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German Pages 331 [332] Year 2002
Dirk van Laak Gespräche in der Sicherheit des Schweigens
Dirk van Laak
Gespräche in der Sicherheit des Schweigens Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik
2., unveränderte Auflage
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-05-003744-X 2., unveränderte Auflage
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 1. Kapitel - Die Lage 1. „Stunde Null" und Lebenszeit - Zu den Ausgangsbedingungen der politischen Geistesgeschichte nach 1945 2. Carl Schmitt und das,Dritte Reich' 3. „Wo ist Carl Schmitt?" 2. Kapitel - Gespräche 1. Oasen der Besinnung 2. Die „AcademiaMoralise.V" 3. „ . . . daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens ende" — Kreise und Gespräche
7 13 13 23 31 42 42 52 63
3. Kapitel - Schweigen 1. Carl Schmitts Nachkriegswerk 2. „Nach dem Sturm schlägt man auf die Β arometer e i n . . . " a) Martin Heidegger b) Ernst Jünger c) Gottfried Benn d) Otto Koellreutter e) Karl Haushofer f) Hans Freyer g) Wilhelm Stapel 3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter" 4. „Entlastungsarbeit" oder „vitale Vergeßlichkeit"? 5. Das Schweigen
70 71 86 86 90 91 94 95 97 99 105 120 126
4. Kapitel - Sicherheit 1. San Casciano - Schmitt in den 50er Jahren 2. „Nein und J a " - D e r „Fall" Carl Schmitt 3. Recht und Politik
134 134 142 153
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Inhaltsverzeichnis
4. 5. 6. 7.
Schmitt und das Grundgesetz Der Kampf um Verfassungspositionen Sicherheit Das verlorene Gewissen
157 164 171 175
5. Kapitel - Universität 1. Universität zwischen Vergangenheit und Zukunft 2. Göttingen 3. Heidelberg und andere 4. Münster: das „Collegium Philosophicum" 5. Die Ebracher Seminare
179 179 182 186 192 200
6. Kapitel - Wissenschaft 1. Die Wissenschaften und Carl Schmitt 1. Jura 2. Politologie 3. Soziologie 4. Geschichtswissenschaft 5. Theologie 6. Philosophie und andere 2. Schule-, Kreis-und Gruppenbildung
209 209 210 213 219 222 227 229 231
7. Kapitel — Bildungswege 1. Ernst Forsthoff (1902-1974) 2. Günther Krauss (1911-1989) 3. RolfSchroers (1919-1981) 4. Armin Möhler (* 1920) 5. Rüdiger Altmann (* 1922) 6. Nicolaus Sombart (* 1923) 7. Hanno Kesting (1925-1975) 8. Hermann Lübbe (* 1926) 9. Roman Schnur (* 1927) 10. Jürgen Seifert (* 1928)
240 240 246 251 256 262 266 271 276 281 288
Nachwort
294
Quellen- und Literaturverzeichnis
301
Namenverzeichnis
317
Einleitung
Seit einiger Zeit ist jede Untersuchung zur Geschichte der Bundesrepublik in einen Prozeß einbezogen, der auf die Epochen-Abschließung deutscher Nachkriegsgeschichte drängt. Neben natürlichen Periodisierungen, die sich aus wechselnden Forschergenerationen ergeben, ist dafür wohl eine Abschwächung von Fixierungen verantwortlich, in denen Perioden nach historischen Zäsuren notwendig befangen sind. Während sich das ,Dritte Reich' in vorwiegend negativer Weise an den Jahren 1918/19 und die frühe Bundesrepublik am Jahr 1933 orientierten, ist aber noch keineswegs eindeutig, ob der Blick zurück auf das Jahr 1945 letztlich zu einer eher positiven oder eher negativen Beurteilung darüber gelangen wird, wie die historischen Herausforderungen dieser Jahre im „Schatten der Vergangenheit"1 bewältigt wurden. Das Staatswesen Bundesrepublik war als Abschied vom deutschen „Sonderweg" konzipiert, doch konnte sich die Abwendung nur unter Sonderkonditionen vollziehen2. Sie betrafen außenpolitisch die besondere - zugleich zentrale wie entscheidungsarme — Position in Europa, innenpolitisch vor allem den starken Bann, unter dem alle Politik im Angesicht der Folgen von „1933" stand. Das, was als die politische Kultur eines Landes benannt wird, blieb auf diesen Referenzpunkt hin orientiert, und die Vergangenheitsprägung der Bundesrepublik wurde zu einem tragenden Pfeiler der bundesrepublikanischen Staatsräson 3 . 1
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Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus (erw. Ausg., Frankfurt a. M./Berlin 1992) - ein Buch, das sich unter Berufung auf Martin Broszats „Historisierungs"-Begriff zu einem revisionistischen' Blick bekennt. Obwohl die von den Autoren beklagte Entwicklung des intellektuellen Gesprächs über die Vergangenheit Thema des folgenden ist, vermag sich der Verfasser den Schlußfolgerungen der Herausgeber nicht anzuschließen. „Sosehr waren wir an der Aufgabe beteiligt, die deutsche Gesellschaft von ihrem unheilvollen Sonderweg in den Mainstream der zivilisierten Gesellschaften zurückzuführen, daß uns ihr fortdauernder Sonderstatus und der unserer Theorien wenig kümmerte" (Karl Otto Hondrich: Wovon wir nichts wissen wollten, in: Die Zeit, Nr. 40, vom 25. September 1992, S. 68, an seine Soziologen-Kollegen über das vermeintliche „Versagen der Soziologie"). Vgl. die Ergebnisse der ,Forschungsgrüppe Deutschland' des Mainzer Prof. Werner Weidenfeld, die den Nationalsozialismus als den mit Abstand wichtigsten „Referenzpunkt" des geschichtlichen Bewußtseins der Westdeutschen bestätigten: „Es gibt in Westdeutschland
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Einleitung
Dies ist inzwischen selbst als Geschichte darstellbar - und dazu soll diese Arbeit beitragen. Sie nimmt ihren Ausgang im Jahre 1945 und will an einem Ausschnitt einige der prägenden Kräfte der politischen Kultur der Nachkriegsgesellschaft verdeutlichen. A m Beginn steht die Schichtung der Generationen, die als einer der wichtigsten Faktoren viele der Auseinandersetzungen in der frühen Bundesrepublik vorstrukturierte. In Carl Schmitt wird anschließend eine Figur der deutschen Geistesgeschichte in ihrer Nachkriegswirkung untersucht, deren Verlauf rein ideologiekritischen Analysen oft rätselhaft blieb. Bezieht man jedoch die unterschiedlichen Vergangenheitsdeutungen mit ein, die jeder Umgang mit Carl Schmitt in der frühen Bundesrepublik evozierte, verspricht dieses Vorgehen nicht allein Aufschlüsse über den Fall, sondern auch über die entsprechenden Zeitumstände. Mit Schmitt ragte der Träger eines Traditionsbestandes politischen Denkens in die Zeit der frühen Bundesrepublik hinein, von dem sich abzugrenzen in den 50er Jahren Übereinkunft zu herrschen schien. A b e r schon die Art, wie er seine eigene kompromittierende Vergangenheit als intellektueller Kollaborateur des ,Dritten Reiches' verarbeitete, führte Schmitt erneut Gesprächspartner zu. Diese Freundeskreise ergänzten sich nach und nach durch immer weitere Interessenten zu einem netzwerkartigen Gesprächszusammenhang. Dessen Heterogenität und die Vielfalt der Rezeptionsweisen seiner Theoreme stand zu dem Bild, welches sich mit dem Namen Carl Schmitt in der offiziellen politischen Kultur verknüpfte, in einer irritierenden Spannung. These der Arbeit ist, daß sich aus dieser Spannung auf wichtige Merkmale der Intellektuellengeschichte der frühen Bundesrepublik insgesamt rückschließen läßt. Mit den Begriffen „Gespräche" und „Schweigen" werden Leitmotive angesteuert, die einmal für sich selbst, aber auch in ihrem je spezifischen Verhältnis zueinander unterschiedliche Verarbeitungsweisen des Vergangenen charakterisieren. Die subkutane Wirkung Carl Schmitts, die hier über verschiedene Kreise, Personen und Diskussionen stratifiziert wird, stand darüber hinaus quer zu einer der anderen Leitkategorien dieser Zeit, dem Streben nach „Sicherheit". U m die in vielem mißverständliche und nach wie vor emotionsgeladene Diskussion über Schmitt nicht zusätzlich zu verwirren, ist es notwendig, sich hierbei der Trennung mehrerer Ebenen bewußt zu bleiben: nicht nur Schmitts eigenes Wollen und Deuten, sein tatsächliches Verhalten und die Rezeption seines Verhaltens, sondern auch die Verbindungen, die er selbst in seinem Denken zog sowie die Schlußfolgerungen, die andere zwischen seinem Verhalten und seinem Denken zogen. Mitglieder der Szene um
praktisch kein Gespräch über Geschichte ohne dieses Thema", auch wenn keine existentiellen Erfahrungen mehr damit verknüpft werden könnten, Krieg und Mangeljahre nicht mehr miterlebt worden wären. In der Geschichtskultur der ehemaligen DDR habe der Nationalsozialismus nicht diese zentrale Bedeutung, die „institutionelle Vergangenheitsbewältigung" sei weitgehend angenommen worden und habe ein „Schlußstrich"-Bewußtsein gefördert (Volker Zastrow: Hitlers Allgegenwart im westdeutschen Geschichtsbewußtsein, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 273, vom 25. November 1991, S. 5).
Einleitung
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Schmitt wie seine Gegner haben bei der Diskussion über den Fall Carl Schmitt an Legenden gestrickt, deren Suggestionen man immer wieder zu erliegen droht. Hier soll ein Mittelweg beschritten werden zwischen einer nach bestem Wissen genauen und möglichst aus Primärquellen gewonnenen Darstellung und einer - „Tertiärbetrachtungen" von Wirkungsgeschichten nicht enthebbaren - Interpretation von Sekundärquellen. Vorab einige Bemerkungen zur Literatur über Carl Schmitt, die schon allein durch Umfang wie Engagement ihren Gegenstand zu einem außergewöhnlichen machen 4 . Sie läßt sich zwischen Aneignungs-, Lesart- und Kontroversliteratur unterscheiden und ist inzwischen für Einzelpersonen kaum noch überschaubar 5 . Es weist bereits auf Schmitts repräsentative Bedeutung hin, daß die vergleichsweise seltenste Annäherung an ihn eine gleichgültige ist. Üblich ist es dagegen auf der einen Seite, in ihm den „Patron" der europäischen Rechts-Intellektuellen schlechthin zu sehen 6 , seinen „Fall" auf der ande4
Monographien aus den letzten fünf Jahren: Armin Adam: Rekonstruktion des Politischen. Carl Schmitt und die Krise der Staatlichkeit 1912-1933 (Weinheim 1992); Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung (Hamburg 1992); Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt — ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos (München 1991); Gary L. Ulmen: Politischer Mehrwert. Eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt (Weinheim 1991); Hans-Georg Flickinger (Hg.): Die Autonomie des Politischen. Carl Schmitts Kampf um einen beschädigten Begriff (Weinheim 1990); Rüdiger Kramme: Helmuth Plessner und Carl Schmitt. Eine historische Fallstudie zum Verhältnis von Anthropologie und Politik in der deutschen Philosophie der zwanziger Jahre (Berlin 1990); Reinhard Mehring: Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundstellung und antimarxistische Hegelstrategie (Berlin 1989); Thomas Vesting: Politische Einheitsbildung und technische Realisation. Über die Expansion der Technik und die Grenzen der Demokratie (Baden-Baden 1990); Vilmos Holczhauser: Konsens und Konflikt. Die Begriffe des Politischen bei Carl Schmitt (Berlin 1990); Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts (Berlin 1989, 21991); Bernd Rüthers: Carl Schmitt im Dritten Reich. Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung? (München 1989, 21990); Norbert Bolz: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen (München 1989); Matthias Kaufmann: Recht ohne Regel? Die philosophischen Prinzipien in Carl Schmitts Staats- und Rechtslehre (Freiburg 1988); Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt (Berlin 1988); Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik (Opladen 1988); Heinrich Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss und der ,Begriff des Politischen'. Zu einem Dialog unter Abwesenden (Stuttgart 1988); Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung (Berlin 1987); Günter Maschke: Der Tod des Carl Schmitt (Wien 1987); Piet Tommissen (Hg.): Schmittiana I—III (Weinheim 1989-1991) sowie zahlreiche Aufsätze.
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Piet Tommissen bibliographiert diese Literatur seit 1952 im Bemühen um Vollständigkeit (ders.: Versuch einer Carl Schmitt-Bibliographie (Düsseldorf 1953), sowie die Bibliographien in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag (Berlin 1959, S. 274-330); Ergänzung in: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Bd. 2 (Berlin 1968, S. 739-778); sowie Fortsetzung in: Cahiers Vilfredo Pareto. Revue européenne des sciences sociales, Bd. 16 (1978), S. 187-238). So in den großen Darstellungen zur Geschichte des deutschen Konservatismus: Helga Grebing:
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Einleitung
ren Seite zu den „abstoßensten Ritualmorden der Kulturgeschichte" zu zählen 7 . Dazwischen befinden sich diejenigen, die sich der hartnäckigen Wirkung Schmitts gegenüber ratlos geben 8 oder Ansätze für einen affektfreieren Umgang mit diesem Namen sehen 9 . Jede Arbeit zu Carl Schmitt begibt sich noch immer zwischen anhaltende Auseinandersetzungen - die vorliegende will dieses Faktum selbst thematisieren. Zu den Bemühungen, Carl Schmitt gegen seinen Ruf wiederzuentdecken, möchte diese Arbeit keinen Beitrag liefern. Es steht außer Frage, daß Schmitt ein Denker von großer und
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Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik seit 1945 (Frankfurt/M. 1971); Martin Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland (Frankfurt/M. 1986; zuerst 1971); Kurt Lenk: Deutscher Konservatismus (Frankfurt a. M./New York 1989); noch jüngst Thomas Assheuer/Hans Sarkowicz: Rechtsradikale in Deutschland. Die alte und die neue Rechte (München 21990); Hans-Gerd Jaschke: Nationalismus und Ethnopluralismus. Zum Wiederaufleben von Ideen der „Konservativen Revolution" (in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 3-4/1992, S. 3-10). „Wer sich die Füße an Carl Schmitt abstreift, stellt gute Gesinnung unter Beweis" (Holczhauser: Konsens und Konflikt, 1990, S. 259, das Zitat vom Ritualmord S. 272); - die Anti-SchmittLiteratur sei „Gesinnungs-Übung" und werde gern als „Karrierestart" verfaßt (Hans-Dietrich Sander: Im Zentrum des Taifuns, in: Die Welt vom 11. Juli 1973); Schmitt sei „Opfer eines intellektuellen Ostrazismus" (Helmut Rumpf: Neues westliches Echo auf Carl Schmitt, in: Der Staat, 22. Jg. (1983), S. 381-393, hier S. 381). „Wann also wird endlich Carl Schmitt nicht mehr in der aktuellen Diskussion zugegen sein? Wann wird er zur Person der Staatsrechtsgeschichte werden?" (Theo Rasehorn: Das lange Fortleben des NS-Staatsrats Prof. Carl Schmitt, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 8/1985, S. 741-743, hier S.743); - „Wenn einer den ,Stürmer' preist, so interessiert mich, offengestanden, nicht mehr, was er über ,normativistischen Fiktionalismus' oder über konkrete Existenzialität' schreibt" (Richard Schmid: Julius Streichers Bewunderer, in: Die Zeit, Nr. 15, vom 9. April 1965, S. 26); — „Diese Rezension des Tagungsbandes wird verdeutlichen, weshalb eine offizielle' Tagung nicht möglich war und — hoffentlich — auch in Zukunft nicht möglich sein wird" (Peter Römer: Tod und Verklärung des Carl Schmitt, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie, Heft 3/1990, S. 372-399, hier S. 375). Bezeichnend auch der Titel einer neueren Betrachtung (Bernhard Schlink: Why Carl Schmitt?, in: Rechtshistorisches Journal 10/ 1991, S. 160-176). Die „Nachkriegsquarantäne scheint gefallen" (Klaus Hansen: Feindberührung mit versöhnlichem Ausgang, in: ders./Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, 1988, S. 9—14, hier S. 13); - „Das Werk Carl Schmitts ist viel zu intelligent geschrieben und viel zu wichtig, als daß es in den Händen von Apologeten und Anti-Apologeten eingesäuert werden sollte" (Wilfried von Bredow: Carl Schmitt lesen, in: Liberal, Heft 6/1978, S. 432-444, hier S. 435); — „... beginnen andere aus der jüngeren Generation unbefangenen Blickes nachzuprüfen, ob Schmitt wirklich das bedeutenste Exemplar des grenzgängerischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert war", sei die frühe Polemik gegen Schmitt noch Ausdruck der Ohnmacht vor dem Gegenstand gewesen, könne „künftige Analyse ihn ohne Mitleid zerlegen" (Michael Stolleis: Die Jünger am Grabe, in: Rechtshistorisches Journal, 6. Jg. (1987), S. 247—250, hier S. 248).
Einleitung
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anregender Potenz gewesen ist, und die folgenden Betrachtungen beabsichtigen nicht, diese Fähigkeiten im Erweis zeitgeistiger Verwurzelungen aufzulösen. Doch soll gezeigt werden, daß und wie sich das Rezeptionsfeld grundlegend änderte, in das Schmitt und sein Denken nach 1945 gerieten, die Problemhorizonte des Werkes wurden daher in spezifischer Weise neu ausgeleuchtet. Die Fragestellung zielt in erster Linie und in vorwiegend historischer Absicht auf diese Randbedingungen, nicht auf die Qualität des Schmittschen Denkens: weder ist bei den Bemerkungen zum Wirkungsgeflecht Vollständigkeit, noch mehr als ein Aufriß der jeweiligen geistesgeschichtlichen Dimensionen beabsichtigt. Ihr geht es vielmehr um eine wichtige und in vielem bezeichnende Unterströmung der bundesdeutschen Geschichte in den 50er Jahren. Sie betrifft auch die Ausdeutung von gesellschaftlicher Erfahrung, deren Vermittlung zu politischen Konsequenzen selten kürzer war als in dieser Zeit. Und es geht schließlich um einen Bereich, in dem wie in keinem anderen ein Bruch zur vorangegangenen Zeit vollzogen werden sollte. Institutionelle und politische Entwicklungen der deutschen Nachkriegszeit seit 1945 sind inzwischen vergleichsweise umfassend analysiert — Einschätzungen der Literatur erübrigen sich aufgrund ihres Umfangs. Die Bedeutung von informellen Gesprächskreisen, von Haltungen, Attitüden, Gesten und Stichworten einer „Deutungs-Elite" muß jedoch stärker akzentuiert werden. Das gilt auch für die Bedeutung von Welt- und Menschenbildern, den „Zeitgeist" sowie die Schub- und Zugkräfte sozialer Systeme mit ihrer jeweiligen Staats-, Gruppen- oder Freundschafts-„Räson". Denn auch diese „mannigfachen Geheimwelten der Gesellschaft" gehören zu den Funktionsmodi und bestimmen deren politische Kultur entscheidend mit 10 . Daher ist die Arbeit im Übergangsfeld zwischen „Figuren" und „Strukturen" angesiedelt und beschreibt eine Konfiguration, die sprachlich einen narrativen Stil herausfordert 11 . 10 So der Schriftsteller Rolf Schroers (Freund und Feind, in: Liberal, 1971, S. 3 5 1 - 3 5 4 , hier S.353). Zu dem Funktionsmodus der Vergangenheitsintegration in den 50er Jahren existiert bereits eine zeitbezogene Theorie, Hermann Lübbes „Medium der gewissen Stille" als sozialpsychologisches Faktum (vgl. ders.: Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Gegenwart, in: Martin Broszat u . a . (Hg.): Deutschlands Weg in die Diktatur, Berlin 1983, S. 3 2 9 - 3 4 9 ) . Sie bildet neben Hans-Peter Schwarz' „Der Geist der 50er Jahre" (in ders.: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1957 [Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2], Stuttgart/Wiesbaden 1981, S. 3 7 5 - 4 6 4 ) für die vorliegende Untersuchung eine wichtige Interpretations-Vorgabe. 11
Dazu eine Vorbemerkung: Bis heute hat die Historik nicht geklärt, inwieweit sich die Plausibilität historischer Texte - und damit die bestimmende Deutung der Vergangenheit - auf die Autorität erzählerischer Kompetenz stützt (vgl. aber Hayden White: Die Bedeutung der Form. Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung, Frankfurt/M. 1990, Dominick LaCapra: Geschichte und Kritik, Frankfurt/M. 1987, für die Anthropologie Clifford Geertz: Works and Lives. The Anthropologist as Author, Stanford, Ca. 1988). Das narrative Element einer Darstellung, soviel scheint festzustehen, wird meist nicht allein dem beschriebenen Gegenstand gerechter, indem es der Darstellung „Botschaften" hinzufügt, die bei jeder strukturellen
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Einleitung
Die Tatsache der Ausschnitthaftigkeit jeder Darstellung innerhalb der quellengesättigten Zeitgeschichte bietet übergenug an Angriffsfläche für Einwände, was alles noch hätte berücksichtigt werden müssen. Immerhin wäre dem Bearbeiter vieles verborgen geblieben, hätte er nicht die Möglichkeit besessen, den Nachlaß Carl Schmitts für seine Untersuchung einsehen zu können. Dem Nachlaß Verwalter, Herrn Prof. Joseph H.Kaiser, sei für die Erlaubnis dazu ausdrücklich gedankt. Schmitt hat seine eigene Wirkung und seine Ausstrahlung auf Personen und Diskussionen stets aufmerksam verfolgt und so konnte der Nachlaß das zentrale Dokument eines nahezu weltumspannenden Netzwerks der geistigen Beeinflussung werden 12 . Komplementär dazu wurden andere Archivalien herangezogen 13 . Der Bearbeiter ist froh, darüber hinaus viele der Beteiligten persönlich wegen ihrer Erinnerungen angesprochen zu haben. Es erwies sich, daß sowohl in Details wie in wichtigen Einschätzungen diese Quelle von großem Wert gewesen ist. Diese Bedeutung wurde noch übertroffen von dem heilsamen Zwang, korrigierende und widersprüchliche Beurteilungen permanent gegeneinander abwägen zu müssen. Ich danke daher allen im Anhang aufgeführten Personen für ihre Bereitschaft zu einem Gespräch. Die Arbeit wurde im Januar 1993 vom Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Fernuniversität Hagen als Dissertation angenommen. Für ihre Betreuung, viele Anregungen und die Einübung des spezifischen Blicks habe ich als erstem Lutz Niethammer zu danken, für die rasche Begutachtung ihm und Peter Brandt. Ulrich Herbert bin ich zu mancherlei verpflichtet, desgleichen Franz Brüggemeier - ihr Einfluß hat sich eher zwischen den Zeilen niedergeschlagen. Die Arbeit wäre eine andere ohne Reinhard Mehring — sein Anteil an Unterstützung und Inspiration ist kaum zu ermessen. Dankbar bin ich auch Raphael Gross und Andreas Koenen für viele Hinweise. Zuletzt, aber nicht am wenigsten, ein mit schlechtem Gewissen ausgesprochenes Lob für die Geduld meiner mit-leidenden Familie.
Analyse zwar verdeutlicht, aber eben auch isoliert werden. Daneben kommt es auch dem Erkenntnisweg des Lesers entgegen, indem zum einen der kognitive Prozeß zu einem großen Teil „bildlich" verläuft, zum anderen das Gedächtnis assoziativer und „anekdotischer" speichert, als man sich das bisweilen wünschen mag. Diejenigen Forschungsgebiete, die komplexe soziale Beziehungen untersuchen (Soziologie, Ethnologie, Sozialgeschichte) u. a. haben die Methode der sog. ,dichten Beschreibung' herausgebildet, die meist in der Fokussierung auf kleinere Zusammenhänge komplizierte Beziehungsgeflechte einzufangen versucht. 12
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Der Nachlaß Carl Schmitts liegt im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HSTAD) und ist seit kurzem verzeichnet. Eine Bestandsübersicht befindet sich im Druck und wird in einer Publikationsreihe des Archivs erscheinen. Es darf bemerkt werden, daß gerade die im Nachlaß befindliche Korrespondenz (über 18 000 Briefe) für die hier anvisierte Fragestellung besonders ergiebig ist. Staatsarchiv Münster; Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (München); Bayrisches Hauptstaatsarchiv (München); Universitätsarchiv Münster; Schiller-Nationalmuseum — Deutsches Literaturarchiv (Marbach).
1. Kapitel - Die Lage 1. „Stunde Null" und Lebenszeit — Zu den Ausgangsbeäingungen der politischen Geistesgeschichte nach 1945 „Selten in der Geschichte eines Landes, das einen Krieg und mehr als einen Krieg verlor, hat sich eine derartige geistige Kluft zwischen zwei Generationen aufgetan wie heute in Deutschland. In Deutschland redet eine Generation, und in Deutschland schweigt eine Generation. Und während die eine sich immer mehr in das öffentliche Gespräch hineinflüchtet [...], versinkt die andere immer mehr für das öffentliche Leben in ein düsteres, nebelhaftes Schweigen." Hans Werner Richter, September 19461
1945 war in der deutschen Geschichte ein Datum von existentieller Bedeutung. Zerstörung, Verwirrung und Unsicherheit, aber auch das Gefühl der Befreiung prägten die Szenerie. Wohl niemand in Deutschland stand in diesem Augenblick bruchlos zum Vergangenen2. Doch nicht nur bei den Besiegten herrschten auf sämtlichen Ebenen ambivalente, mehrdeutige Gefühle vor, sondern auch bei den Siegern des Kampfes, dessen eindeutiger Ausgang scheinbar so viele Möglichkeiten offenließ. Die allgemeine Bewußtseinslage war die eines Neuanfangs - eine eher strukturelle Gemeinsamkeit aller Betroffenen, und das Wort von der „Stunde Null" war unmittelbar eingängig zur Beschreibung dieser Disposition. Es wurde zum geflügelten Wort, das bei allen Zeitgenossen ähnliche Saiten anrührte, auch nachdem sich die aus dem Staub der Trümmer gebildeten Dunstschwaden gelegt hatten und sichtbar wurde, daß ein Neuanfang keineswegs voraussetzungslos geschah. Wesentliche Merkmale des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüges waren entweder intakt geblieben oder in ihrer weiteren Entwicklung bereits vorentschieden3. 1
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Hans Werner Richter: Warum schweigt die junge Generation? (in: Der Ruf, 1. Jg., Heft 2/1946, S. lf.). Richters Antwort: „Sie schweigt aus dem sicheren Gefühl heraus, daß die Diskrepanz zwischen der bedrohten menschlichen Existenz und der geruhsamen Problematik jener älteren Generation, die aus ihrem olympischen Schweigen nach zwölf Jahren heraustrat, zu groß ist, um überbrückbar zu sein." S. die Erinnerungen in: Werner Filmer/Heribert Schwan (Hg.): Mensch, der Krieg ist aus! Zeitzeugen erinnern sich (Düsseldorf/Wien 1985); sowie Peter Hüttenberger: Deutsche Gesellschaft 1945 (in: Manfred Funke u.a. (Hg.): Demokratie und Diktatur, Bonn 1987, S. 316-330). Dieses Verhältnis von Bruch und Kontinuität zu bestimmen, ist einer der Schwerpunkte zeitge-
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1. Kapitel — Die Lage
„Stunde Null" beschreibt also ein Phänomen der Wahrnehmung und kennzeichnet den je individuell vollzogenen Moment der Abkehr und der Distanznahme von einem vorangegangenen Zeitabschnitt. In dieser Sicht geraten die Jahre von etwa 1943 bis 1948, die Phase zwischen Stalingrad und Währungsreform 4 , zu einer Zeitschwelle von, auch psychohistorisch, einheitlichem Zuschnitt. Erst mit der Wiederaufnahme der gesellschaftlichen Kontakte und den ersten Versuchen zur Deutung und Interpretation der Vergangenheit setzten erneut Differenzierungen und Differenzen ein, über die der gemeinsame Gestus des „Nie wieder!" nicht länger hinwegzutragen vermochte. Die sich aus dieser Anfangsdisposition entwickelnde Kultur- und Geistesgeschichte der Jahre von 1945 bis 1949 gehört zu den am besten erforschten Zeitabschnitten dieses Jahrhunderts. Erst aus dem Gegenbegriff der „Restauration" aber zog der literarisch vielfach dokumentierte Topos der „Stunde Null" seine mythische Qualität für die politische Kultur der folgenden Jahre. Aus den in vielem unerfüllt gebliebenen Momenten vermeintlich illusionsfreier Hoffnung und neugewonnener Zuversicht ließ sich immer wieder Kritik an den späteren politischen Entwicklungen befeuern 5 . Möglich auch, daß die Situation von 1945 zunächst dazu verleitet hatte, das psychische Wandlungsvermögen zu überschätzen. Deutungen der Vergangenheit präfigurierten jedoch auch hier die Gegenwartserfahrungen und bestimmten eine Gliederung der Perzeptionsweisen, die sich nach der Erziehung, der Ausbildung und dem geistigem Zugehörigkeitsgefühl auf der einen, nach räumlichen, sozialen, aber auch nach generationellen Erfahrungen auf der anderen Seite strukturierten. Vor allem der letzte Aspekt ist von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung. Die Selbstreflexion über die Generation6 und ihre jeweiligen „Schlüsselerlebnisse" wurden
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schichtlicher Forschungen (vgl. nur Hans-Peter Schwarz: Modernisierung oder Restauration? Einige Vorfragen zur künftigen Sozialgeschichtsforschung über die Ära Adenauer, in: Kurt DüwellAVolfgang Köllmann (Hg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter. Bd. 3, Wuppertal 1984, S. 2 7 8 - 2 9 3 ) . Diesen Abschnitt nahm — gegen die Zäsur 1945 — in den Blick der Sammelband von Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (München 1988). Zur Periodisierung schon vorher Ulrich Herbert: „Die guten und die schlechten Zeiten" (in: Lutz Niethammer (Hg.): „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll". Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, Berlin/Bonn 1983, S. 67 - 9 6 ) . Vgl. etwa die von Christoph Cobet herausgegebene Zusammenstellung: Deutschlands Erneuerung 1945-1950. Biographische und bibliographische Dokumentation (Geistesgeschichte Deutschlands nach Hitler 1945-1950, Teil3, Frankfurt/M. 1985). Ein inhaltlicher Überblick bei Jost Hermand: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945 — 1965 (München 1986) sowie bei Hermann Glaser: Kleine Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1989 (Bonn 1991). Helmut Schelsky definierte Generationen als „eigentümliche gemeinsame Verhaltensform des menschlichen, geistigen, politischen und sozialen Reagierens", als „eine Gemeinsamkeit der
1. „Stunde Null" und Lebenszeit
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in der zweiten Nachkriegszeit zu einem geistes- und erfahrungsgeschichtlichen ,Dauerbrenner' 7 . Damit wurde der Blick auf ein Strukturmerkmal der politischen Geschichte gelenkt, das als historische Kategorie zwar schwer greifbar bleibt, das gleichwohl in lebensgeschichtlichen Selbstausdeutungen zu einer festen Größe wurde. Und in dieser Zuordnung wirkte es nicht nur auf die Zusammensetzung der Träger- wie der Oppositionsgruppen der entstehenden Bundesrepublik, sondern es beeinflußte die Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Kultur maßgeblich, ja es prägte die geistigen Debatten der 40er bis 60er Jahre wahrscheinlich mehr als sonst ein Umstand 8 . Es lohnt daher, sich über die verschiedenen biographischen ,Kohorten' Klarheit zu verschaffen, denn die unterschiedlichen Reaktionsweisen auf das ,Dritte Reich' und den Krieg waren davon entscheidend beeinflußt: - Die jüngste Generation, die den Krieg noch bewußt erlebt und als Flak-, Luftwaffen- oder Marinehelfer auch noch daran teilgenommen hatte, war vollständig im ,Dritten Reich' sozialisiert. Über das Jungvolk war sie in der Regel zur Hitlerjugend gekom-
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Weltauffassung und der Weltbewältigung" (Die Generationen der Bundesrepublik, in: Walter Scheel (Hg.): Die andere deutsche Frage, Stuttgart 1981, S. 178-198, hier S. 178). Seit den 20er Jahren bezeichnet „Generation" einen seine zeitliche Dimension weit übersteigenden Begriff, mit dem nicht nur die Kennzeichnung je spezifischer Erfahrungen, Lebensgefühle, Stile, Szenen, Attitüden, Überzeugungen, Haltungen etc. von außen vorgenommen wird, sondern mehr noch: einen Begriff, an dem sich Selbstbezeichnungen kristallisieren, mit denen man sich von früheren und späteren Jahrgangsgruppen zu unterscheiden glaubt. Es entwickelte sich hierüber ein Diskurs, der die Zeit des Zweiten Weltkrieges übersprang und in der Generation der sog. „68er" noch einmal aufblühte, als für die Betroffenen eine Prägung von offenbar starker affektiver Unmittelbarkeit Ausdruck suchte. Dennoch ließen nur wenige Ereignisse die unterschiedlichen Voraussetzungen verschiedener Jahrgangsgruppen derart deutlich werden, wie die existentielle Situation von 1945 und ihre anschließende Verarbeitung; vgl. Walter Jaide: Generationen eines Jahrhunderts (Opladen 1988); Doris von der BrelieLewien: Katholische Zeitschriften in den Westzonen 1945 — 1949. Ein Beitrag zur politischen Kultur der Nachkriegszeit (Göttingen/Zürich 1986, bes. S. 111-116) sowie Barbro Eberan: Luther? Friedrich „der Große"? Wagner? Nietzsche? ...? ...? Wer war an Hitler schuld? (München 1983); jetzt auch Heinz Bude: Bilanz der Nachfolge (Frankfurt/M. 1992, bes. S.80—91: „Generationen"). Zur Kritik Hans Jaeger: Generationen in der Geschichte. Überlegungen zu einer umstrittenen Konzeption (in: Geschichte und Gesellschaft, Heft 3/1977, S. 429-452, hier S.444) mit der wichtigen Unterscheidung, daß eine historische Generation immer nur eine „Problemgemeinschaft", nicht aber eine „Problemlösungsgemeinschaft" sein könne. Es geht also bei dieser Kategorie um eine Gemeinsamkeit der Fragestellungen, nicht der Antworten. Tatsächlich ist bei der Deutung Vorsicht angebracht: zu verbreitet ist in Selbstreflexionen die Neigung der Autoren, sich als Angehörige einer „Zwischengeneration" zu sehen, die - von Älteren mißbraucht, von Jüngeren mißachtet - zu einem Opfer der Zeitläufte wurde; vgl. etwa Karl Epting: Generation der Mitte (Bonn 1953); Winfried Maaß: Die Fünfzigjährigen. Porträt einer verratenen Generation (Hamburg 1980) oder noch Hans Filbinger: Die geschmähte Generation (München 1987).
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men und hatte nur noch in Ausnahmefällen offen oppositionell eingestellte Lehrer gehabt 9 . Ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein als Hoffnungsträger einer kommenden Zeit war das Ergebnis der nationalsozialistischen Pädagogik bei den Jahrgängen von etwa 1925 bis 1930 gewesen 10 . Gleichwohl war ihr politisches Bewußtsein in den letzten Kriegsjahren erwacht, und das bedeutete, daß ihnen die Doppelbödigkeit zwischen Schein und Sein, die sich aus den vielfältigen Absetzbewegungen von der Politik und der Ideologie des Nationalsozialismus in der zweiten Kriegshälfte entwickelt hatte, nicht verborgen geblieben war 11 . Ihr gleichsam strukturell vorhandenes Selbstvertrauen gründete nicht mehr unbedingt auf eine Weltanschauung 12 . Diese „FlakhelferGeneration" vollzog ihre Abwendung vom Nationalsozialismus wahrscheinlich schneller als die älteren Generationen und zeichnete sich in den folgenden Jahren durch Aktivismus, Pragmatismus und Durchsetzungsfähigkeit aus 13 .
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Zu dieser Generation Rolf Schörken: Luftwaffenhelfer und Drittes Reich (Stuttgart 1984) sowie ders.: Jugend 1945 (Opladen 1990). 10 Hier gälte, nach Gabriele Rosenthal, für die „Hitlerjugend-Generation" das Bewußtsein, etwas Besonderes zu sein, ein „Garant der Zukunft". Dies habe sich — „als alles in Scherben fiel" — in das Gefühl gewandelt, um die Zukunft betrogen worden zu sein; ein allergisches Reagieren auf Verurteilungen statt Verstehen sei die Folge gewesen; man habe ein hohes Selbstwertgefühl vermittelt bekommen, es schien möglich, sich gegen Autoritäten durchzusetzen; „Sekundärtugenden" wie soldatisches Handeln, Heldenhaftigkeit und Kämpfertum seien oft unhinterfragt geblieben, daher habe man oft das Selbstbewußtsein und den Aktivismus der Jugendzeit beibehalten, diese Energie aber vornehmlich auf wirtschaftliches Gebiet umgeleitet („... wenn alles in Scherben fällt..." Von Leben und Sinnwelt der Kriegsgeneration, Opladen 1987, hier S. 82-99; vgl. auch dies. (Hg.): Die Hitlerjugend-Generation. Biographische Thematisierung als Vergangenheitsbewältigung, Essen 1986). 11 So Schörken (Jugend 1945,1990, S. 137): „Offenkundig ist jedenfalls, daß es vielerlei Formen und Möglichkeiten eines mehr oder weniger unmerklichen ,Hinausrutschens' aus dem Nationalsozialismus gab." 12 Christian von Krockow (Jg. 1927) meinte 1981, seine Generation sei durch Anti-Idealismus geprägt, sie reagiere allergisch auf den Jargon der Eigentlichkeit, auf Pathos, und stehe für das Ethos der engagierten Distanz (Wie vergreist ist die Jugend?, in: Scheel (Hg.): Die andere deutsche Frage, 1981, S. 105ff.). Martin Greiffenhagen zog ein ähnliches Resumé: „Der Jahrgang 1928 ist eine Generation des Umbruchs, der historischen und wirtschaftlichen Wechselbäder. In unsere Lebenszeit fallen drei politische Regime. Orientierung bleibt ein Stichwort unserer politischen Existenz"; ihre Devise hieße: die Kunst des Möglichen (Jahrgang 1928, München 1988, S. 193f.). 13 Heinz Bude: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Flakhelfer-Generation (Frankfurt/M. 1987). Als „Flakhelfer" i. e. S. gelten die Anfang 1943 verpflichteten Jahrgänge 1926/27, denen Anfang 1944 noch der Jahrgang 1928 folgte. Eine Abrechnung mit dieser Generation von einem Jüngeren bei Günter Maschke: Die Verschwörung der Flakhelfer (in: Jean Baudrillard: Die göttliche Linke. Chronik der Jahre 1977-1984, München 1986, S. 152-176) und, von einem Älteren, bei Armin Möhler: Die saure Generation (in ders.: Was die Deutschen fürchten, Frankfurta. M./Berlin 1966, S. 98-100).
1. „Stunde Null" und Lebenszeit
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- Auch die etwas älteren Jahrgänge fielen noch unter die Jugendamnestie der Alliierten, die nur vor 1919 Geborene politischen Untersuchungen aussetzte 14 . Die im Kern von 1920 bis 1925 geborene Generation war ungleich stärker weltanschaulich engagiert gewesen, hatte zu einem großen Teil bereits bewußt für den Nationalsozialismus optiert und war mehr oder weniger erwartungsvoll in den Krieg gezogen. Für die meisten von ihnen endete er jedoch als Katastrophe. Nur wenige Jahrgänge sind derart dezimiert worden, hauptsächlich weil ihnen - schnell zu Verantwortung gekommen dennoch die Erfahrungen für das Kriegshandwerk fehlten. Den Überlebenden hing daher das Kriegserlebnis wie auch der ideologische Zusammenbruch meist viel länger nach, die Zäsur wurde existentieller empfunden und der Start in das Nachkriegsleben fiel ihnen schwerer als Jüngeren 15 . Aus den Reihen ihrer Intellektuellen rekrutierte sich bereits ein Großteil der Beiträger zu den vielen Zeitschriften der sog. Jungen Generation', die von 1945 bis 1949 ein so großes Publikum fanden. Stark war bei ihnen das Gefühl vertreten, um wertvolle Jugendjahre betrogen worden zu sein, was nach je unterschiedlicher Phase der Besinnung in ein Nachholbedürfnis nach Kultur, Privatheit und Konsum umgesetzt wurde 16 . Die geistige Reorientierung aber konnte sich länger hinziehen; als Verhaltenskonstante aus den Erfahrungen blieb nicht selten eine Aversion gegen jede Art von Bevormundung und Vereinnahmung 17 . Eine Distanz zu jeder Form langschrittiger politischer Planung war die Folge und, wenn nicht eine Abkehr
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Laut Zonen-Exekutivanweisung Nr. 54 der britischen Militärregierung von 1947 (sog. „Jugendamnestie") waren alle nach dem 1.1.1919 Geborenen als „unbelastet" einzustufen, falls sie keine Kriegsverbrecher waren. 15 Ernst Schulin (Jg. 1929) schrieb über Ernst Nolte (Jg. 1923): „Aus Nolte spricht viel Bitterkeit und Ressentiment der unglücklichen, beschädigten jüngeren Kriegsteilnehmergeneration des Zweiten Weltkriegs. Und viel von ihrer Unsicherheit und Ratlosigkeit. Sie hat sich bei allem Bemühen, mit der späteren, anderen Zeit zurechtzukommen, aus den Erlebnissen des Nationalsozialismus und oft auch aus der deutsch völkischen, rassistischen und anderen abstrusen Literatur der zwanziger Jahre viel schlechter lösen können als die Jüngeren. Bis in den Stil ist das bei Nolte immer wieder zu spüren" (Besprechung von „Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 233, vom 8. Oktober 1991, S. L23). 16
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Vgl. etwa die Beiträge des Verlegers und Schriftstellers Heinz Friedrich, „der zusammengeschossen und mühsam wieder zusammengeflickt aus dem Krieg heimgekehrt war, um eine brutalisierte Welt durch kulturelle Gestaltung an der Selbstvernichtung zu hindern" (Nachbemerkung von Lutz-W Wolff in: Heinz Friedrich: Aufräumarbeiten. Berichte, Kommentare, Reden, Gedichte und Glossen aus vierzig Jahren, München 1987, S.607, darin S. 50-56: Meine Gedanken zur geistigen Lage der jungen Generation, S. 371-378: Die mit dem schlechten Gewissen. Jahrgang 1922: Eine schweigende Generation, S. 509-518: Jahrgang 1922). „Wir mißtrauten den Emigrantenstimmen, die uns belehren wollten, und den ReeducationOffizieren. Das alles kam für uns zu schnell. Es war auch meist zu selbstgerecht und zu polemisch verpackt" (Hans-Günther Zmarzlik: Einer vom Jahrgang 1922. Rückblick in eigener Sache, in ders.: Wieviel Zukunft hat unsere Vergangenheit, München 1970, S. 16-31, hier S. 25).
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1. Kapitel — Die Lage
vom Bereich des Politischen überhaupt, dann doch von jeder Politik, die vorschnell harmonisierte 18 . — Die wiederum etwas Älteren, die Jahrgänge 1910-1920, fühlten sich durch den Zusammenbruch des ,Dritten Reiches' nicht selten um ihre produktivste Lebensphase betrogen, indem sie entweder in ihrer Karriere von neuem zu beginnen hatten oder entscheidende Jahre ihres Lebens für Tätigkeiten hatten einsetzen müssen, die ihren Neigungen nicht entsprochen hatten. Als „Wundergläubige" waren sie in der Phase ihrer politischen Sozialisation der ideologischen Verführung i. d. R. ein leichtes Opfer gewesen 19 . Starke Identitätsgefährdungen waren die Folge des Untergangs. Mit den Jüngeren teilten sie als kleinsten gemeinsamen Nenner das Bewußtsein der verlorenen Jahre, viele fanden aber noch schwerer zu einer neuen Position. Die meisten der sog. „Trümmerliteraten", die dann die frühe Bundesrepublik kritisch begleiten und kommentieren sollten, gehörten zu diesen Jahrgängen 20 . — Die Generation der Jahrgänge 1900—1910 war biographisch die entscheidende Trägerschicht des Nationalsozialismus gewesen, freilich auch die seiner Gegner. Ihr politisches Bewußtsein war an den heftigen Auseinandersetzungen der 20er Jahre orientiert, die auf die eine oder andere Weise zu überwinden wohl die Mehrzahl für unumgänglich hielt. Sie war eine „politische Jugend", deren Denken meist um den Begriff der „Nation" kreiste 21 . Im Falle ihrer Akklamation zum politischen Kurs des
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Barbro Eberan dazu: „aggressive Wahrheitsliebe, Skeptizismus, Sarkasmus, nüchterner Tatsachensinn, mangelnde Kompromißbereitschaft, kameradschaftliche Zusammenarbeit statt individueller Leistung" (Luther?..., 1983, S. 199). So Eberan (Luther? . . . , 1983, S. 196-198). Vgl. die Vorrede zum ersten Heft der Zeitschrift „Labyrinth", die seit 1960 von Heinrich Boll, Walter Warnach und HAP Grieshaber (Jg. 1917, 1910 bzw. 1909) herausgegeben wurde: „Die Männer und Frauen, die sich in dieser Zeitschrift versammeln, haben den Untergang nicht überlebt. Sie stehen nicht auf dem Boden Nachkriegsdeutschlands, sie sind nicht auf der Flucht. Sind noch nicht über 1945 hinausgekommen. Sie können ohne ihr Vaterland nicht leben. Sie sind mit ihm untergegangen, sie sind eingegangen in seine verlorene Natur und Geschichte: in ihr Labyrinth" (HSTAD, RW 265-448, Mat.-Nr.6). Alfred Andersch (Jg. 1914) schrieb, er gehöre zu der Generation, die aus dem unbedingtesten Gehorsam in den unbedingtesten Zweifel gesprungen sei (zitiert nach Volker Wehdeking: Eine deutsche Lost Generation?, in: Literaturmagazin 7 (1977), S. 145-166, hier S. 158). Vgl. Ulrich Herbert: Generation der Sachlichkeit. Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre in Deutschland (in: Frank Bajohr/Werner Johe/Uwe Lohalm (Hg.): Zivilisation und Barbarei, Hamburg 1991, S. 115-144, hier S. 117f.), wo unter Bezug auf zeitgenössische Einschätzungen der „Kriegsjugendgeneration" die Eigenschaften „Wahrheitsliebe", „Schlichtheit", „Kühle", „Härte" und vor allem „Sachlichkeit" zugeschrieben werden — nach einem Wort von Peter Suhrkamp von 1932 aber auch „Mangel an Humanität". Bei Eberan (Luther? . . . , 1983, S. 192-195) tritt sie als „verlorene Generation" und als „Kritiker" auf, was Ludwig Marcuse in einem Rückblick auf den Roman „Jahrgang 1902" von Ernst Glaeser (1928) bestätigte: sie seien klassische Beschwerdeführer gewesen und fühlten sich
1. „Stunde Null" und Lebenszeit
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beginnenden ,Dritten Reiches' konnten gerade die politisch Engagierten ζ. T. phantastische Karrieren vorweisen. Die ideologische und die Verwaltungs-Elite des Nationalsozialismus bildeten sich aus dieser Generation und haben den Verlauf dieser zwölf Jahre geprägt wie keine andere. In der Nachkriegszeit gehörten viele aus diesen Jahrgängen zur „Funktionselite", daher sie das eigentliche Problem bei allen Entnazifizierungs- und Demokratisierungsplänen bildeten 22 . - Die noch Älteren galten in der Nachkriegszeit z.T. als geistige Wegbereiter bzw. Nicht-Verhinderer Hitlers. Ihre politischen Grundeinstellungen hatten sich, da noch im Kaiserreich sozialisiert und bereits mit der Erfahrung zweier untergegangener Staatsformen behaftet, im ,Dritten Reich' meist nicht entscheidend geändert - sieht man von der in vielem irrationalen Aufbruchsstimmung von 1933 ab. Hatte sie diese Älteren erfaßt, war sie nach einiger Zeit jedoch, analog der zunehmenden Radikalisierung nationalsozialistischer Politik, in der Regel einer wachsenden Reserve gewichen. Sie gingen als Etablierte in den Führerstaat und gingen nur selten entwurzelt aus ihm hervor; im Gegenteil: sie bildeten das Reservoir an Erfahrung, auf das in der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückgegriffen wurde, um die politische, die wirtschaftliche und die ethische Misere möglichst zügig zu überwinden. Es war daher kein Zufall, daß — zeitgemäß modifiziert — von dieser „post-totalitären Elite" 23 in vielem auf Weimarer Modelle zurückgegriffen und folglich bei den jüngeren Jahrgängen zusätzlich die allzu natürliche Erwartung gedämpft wurde, ihnen gehöre die Zukunft. Die maßgeblichen Politiker der Besatzungszeit und der frühen Bundesrepublik wurden von Jüngeren als vergreist empfunden, ihre Konzeptionen als veraltet, zumal selbst in den geistigen Auseinandersetzungen man in vielem an die Weimarer Zeit anknüpfte — die zwölf vergangenen Jahre als Irrweg daraus aussondernd 24 . Dieses hier skizzierte Generationenraster bildet aber nur einen der Faktoren in dem notorisch von den Älteren betrogen (in: Der Monat, Oktober 1952, S. 98f.); vgl. auch Schelsky (in: Scheel (Hg.): Die andere deutsche Frage, 1981, S. 181f.). 22 Dies bestätigt Epting (Generation der Mitte, 1953, S. 5): „Unter dem Nationalsozialismus trug sie die Last der technischen Verantwortung im Hintergrund, unter dem Regime von 1945 die Hauptlast der Vergeltung"; in der Schrift beschreibt Epting (Jg. 1905) seinen intellektuellen Werdegang von protestantischem Seminar und Jugendbewegung zur studentischen Selbsthilfebewegung bis zum Funktionär des deutsch-französischen Kulturaustauschs. Dabei wirft er, auch darin bezeichnend, der älteren Generation vor, sie sei es gewesen, die - etwa beim völkischen Denken - das „begrenzende Prinzip" verleugnet habe (ebd., S. 145). 2 3 Nach Hans-Peter Schwarz (Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1957 [Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2], Stuttgart/Wiesbaden 1981, S.413f.) habe diese erste .politische Generation' der Bundesrepublik die Grundeinstellung und den Verhaltensstil der parlamentarischen Führungsgruppen entscheidend geprägt. 24 Vgl. Friedrich Meinecke: Irrwege in unserer Geschichte? (in: Der Monat, 2. Jg., Heft 13 (1949/ 50), S. 3 - 6 ) , wo er sich - anders als in „Die deutsche Katastrophe" (Wiesbaden 1946) - auf geschichtliche „Tragik" zurückzog und von dem legitimen Bedürfnis nach „Selbstbehauptung" sprach.
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Koordinatensystem, innerhalb dessen sich die je individuellen Reaktionen auf die unmittelbare Vergangenheit verorteten 25 . Ohne Zweifel muß neben dem sozialen Umfeld der in frühen Jahren intellektueller Formung herausgebildete jeweils spezifische geistige Standort hierbei mit berücksichtigt werden 26 . Dessen gleichsam ansozialisierte Hartnäckigkeit war sicherlich für die in dieser Zeit oft beobachtete und beschriebene Gedankenbewegung einer Rückkehr zu früheren Positionen ausschlaggebend, v. a. die Rückkehr zu Haltungen von Frömmigkeit, politischer Genügsamkeit und geistiger Demut, verbunden mit einer ausgeprägten Aufnahme- und Lernbereitschaft — insgesamt eine Gedankenbewegung, die es erlaubte, die jüngere Vergangenheit als eine Abweichung vom „normalen" Lebensweg zu kennzeichnen und abzukapseln. Insofern besaß die Emotion einer „Stunde Null" zweifelsfrei auch diese Kehrseite: die Illusion der Voraussetzungslosigkeit nämlich, von der sich erwies, daß sie einen ersten Schritt darstellen konnte in die Verdrängung des Vergangenen, in einen dann auch gesellschaftlich sanktionierten Gedächtnisverlust, den Eintritt in die Geschichtslosigkeit, die eines der Grundstimmungen der 50er Jahre werden sollte. Gerade bei den jüngeren Generationen wird man jedoch die Nachwirkungen des Gefühls der Befreiung besonders in Rechnung zu stellen haben. Sie empfanden es auch als eine „Gnade", noch einmal — scheinbar bei „Null" — anfangen zu können 27 . Die Flut der Publikationen erweist sich ebenso als ein Indikator dieser optimistischen 25
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Zu den unterschiedlichen Reaktionen verschiedener Altersgruppen auf die sog. .Schuldfrage' vgl. Eberan (Luther? . . . , 1983, S. 188-203). Dieser Standort beschränkt sich keinesfalls auf ein einfaches „rechts"-„links"-Schema, sondern spiegelt sämtliche weltanschaulichen, konfessions- und parteigebundenen Standpunkte; so hoben z.B. Katholiken gern auf die Bedeutung der Massenbewegung und den säkularisationsbedingten Abfall von abendländischen Werten ab; Liberaldemokraten dagegen warnten mit Friedrich August von Hayek („The Road to Serfdom", 1944, dt. „Der Weg zur Knechtschaft") oder Karl R. Popper („The Open Society and its Enemies", 1944, dt. „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde") vor sozialistischen und planwirtschaftlichen Elementen sowie vor allen Arten des Utopismus. So Hans Werner Richter in „Der Ruf" (zit. nach Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S.83). Welche Hoffnungen noch im Oktober 1946 die jüngeren Generationen beflügelten, konnte man im „Ruf" nachlesen: „Die Staatsschiffe der Gegenwart gleichen den Kauffahrteischiffen des 16. Jahrhunderts. Sie sind mit dem ganzen Ballast der Vergangenheit beladen. Sie navigieren nur schwerfällig, und jede Kursänderung bereitet unendliche Schwierigkeiten. In Deutschland ist das alles zerschlagen. Es hat weder einen Staat noch eine Wirtschaftsordnung. Die junge Generation kann ganz von vorn dort beginnen, wo die Entwicklung bei den anderen hindrängt. Sie braucht nicht umzubauen. Sie kann neu bauen. Sie hat den Sozialismus des Ostens und die Demokratie des Westens im Land. Aus den Erfahrungen mit den beiden Ordnungen kann sie die Fehlerquellen erkennen, die sie vermeiden muß. Indem sie den Sozialismus und die Demokratie in einer Staatsform zu verwirklichen sucht, kann sie zum Ferment zwischen den beiden Ordnungen werden..." (zit. nach Hans Werner Richter: Zwischen Freiheit und Quarantäne, in ders. (Hg.): Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962, München/Wien/Basel 1962, S. 19).
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Grundeinstellung wie die Fülle der Gesprächskreise, die sich überall zusammenfanden. Der stellvertretende Begriff für all das, um was es dabei inhaltlich ging, ist der des „dritten Weges". Wenn auch jeder schließlich etwas anderes darunter verstand und es meist auf eine je unterschiedliche Mischung christlicher, abendländischer, klassischkultureller und neutralistischer Elemente hinauslief 28 , so umfaßt der Begriff in jedem Fall den Dreischritt, der alle Bemühungen um Orientierung miteinander verband: die Ablehnung des Gewesenen („Nie wieder!"), eine Bereitschaft, die Chancen der gegenwärtigen Situation zu nutzen und den Versuch, sich von den bipolaren Gegensätzen der Weltpolitik, zwischen die das besiegte Deutschland geraten war, nicht zerreiben zu lassen. Die Suche nach einem dritten Weg wurde das einigende Band aller politischen Zukunftspläne, die Träume der ersten Stunde von einem neuen Deutschland in einem vereinten Europa. Es gelte, hieß es meist, Oasen und Inseln der Hoffnung zu schaffen und für die Wandlung als eigene Leistung einzutreten 29 . Diese Hoffnungen sind sozialpsychologisch zwar noch nicht letztgültig ausgedeutet 30 ; es ist aber wohl unstrittig, daß ältere Jahrgänge sich meist als nüchterner erwiesen und sich rascher dem zuwandten, was heute euphemistisch als „Abwicklung" bezeichnet wird. Auf der Suche nach geistigen Wegbereitern und sonstigen Ursachen für die „Katastrophe" (Friedrich Meinecke) waren sie oft pragmatischer und machtbewußter, und das hieß auch: vom Interesse an der politischen und kulturellen Hegemonie geleitet. Die Formel von den „Führern und Verführten" (Hans Windisch) richtete dabei mit den Alliierten das Augenmerk auf alles Erzieherische, v. a. auf die akademische Jugend, deren geistigen Einflüssen die besondere Sorge galt 31 . Dabei wurden vor allem in der älteren Generation unmittelbar nach Beendigung des Krieges heftig darüber debattiert, wie das Verhalten von Intellektuellen in der jüngeren Vergangenheit zu beurteilen sei. Die traditionelle Diskussion um das Verhältnis zwi28
Rainer Dohse: Der Dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955 (Hamburg 1974). Dohse zeigt, wie in diesen Neutralitätsbestrebungen der Gestus des „Ohne mich!" und die Absage an nationalstaatliche Politik weit in die Bundesrepublik hineingetragen wurde und unterscheidet drei verschiedene Grundvorstellungen: die der „Brücke" Deutschland zwischen Ost und West, die der „Brandmauer" zwischen den Blöcken und die der „Dritten Kraft".
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Der Ruf (Heft 1/1946, S. 149. Zu den mit diesem Vokabular geführten Gesprächen vgl. das nächste Kapitel). Eine erste Bilanz bei Bude (Bilanz, 1992; vgl. auch Gabriele Rosenthal (Hg.) „Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun". Zur Gegenwärtigkeit des „Dritten Reiches" in Biographien, Opladen 1990). Vgl. etwa die Forderungen Rudolf Krämer(-Badoni)s, man solle der Jugend helfen, eine eigene [!] Form von Jugendbewegung zu schaffen, bisweilen helfe freilich nur „eine radikale Verpflanzung. [ . . . ] Die klügste Art ist die englische: man schickt wahllos Kinder auf mehrere Jahre ins Ausland: Von nichts anderem als Ernährung ist die Rede; wenn sie wiederkommen, wird von Ernährung nicht mehr die Rede sein, aber dafür von allem anderen" (Terror der Anständigen?, in: Die Wandlung, 2. Jg. Heft 5/1947, S. 379-390, hier S. 389f.).
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sehen Geist und Macht, zwischen Intellektuellen und Politik, wurde mit verstärkter Heftigkeit wiederaufgegriffen. Die Einschätzungen waren naturgemäß nicht affektfrei, und unter die vermeintlich objektiven Kriterien (Veröffentlichungen, Mitgliedschaften und Posten) mischten sich die subjektiveren Faktoren der Konkurrenz, der - langerwarteten — Bestätigung von geistigen Überzeugungen, der nachgetragenen Enttäuschung usw. Von instrumenteller Bedeutung für die strategische Position innerhalb dieser Debatten erwies sich nicht zuletzt die aktuelle Verfügbarkeit von Medien und von Publizität. Bisweilen wurde dabei recht umstandslos an frühere Debatten angeknüpft, ja es erwies sich in der Wahrnehmung der Jüngeren, daß — nachdem sich ihr Personal gewissermaßen wieder zusammengefunden hatte — oft die alten Schlachten fortgeführt wurden. Neben rein sachlicher Widerlegung oder Bestätigung ging es auch um die Meinungsführerschaft gegenüber den Versuchen der jüngeren Generation, aus der Chance des vermeintlichen Neuanfangs einen neuen, dritten Weg zu beschreiten 3 2 . Entscheidend für diese Entwicklung war die vorherrschende Grundemotion der Unsicherheit auf allen Gebieten, die alles mit einem Vorschuß an Autorität ausstattete, was Stabilität zu versprechen schien 3 3 . D e r Blick in die Vergangenheit wurde instrumenten und hielt selektiv nach Bewährtem Ausschau — dasjenige aussondernd, was als Beitrag zum Irrweg gekennzeichnet wurde. Für die vor dem ,Dritten Reich' Aufgewachsenen, die nun eine neue politische Ordnung ins Werk zu setzen versuchten, war jedoch nicht die Erfahrung der „Stunde Null", sondern das Jahr 1933 die entscheidende Zäsur gewesen. A n den Vorgängen um die — zu erwartende — Machtergreifung hatten sich bereits in den frühen 30er Jahren die Geister geschieden — nun, nach 1945, kreiste das Denken der Zeitgenossen dieser Ereignisse in erster Linie um die Bedingungen dieser Möglichkeit 3 4 . Die aus entspre32
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Freilich waren die Älteren selbst einmal Gedankenträger des „dritten Weges" gewesen und hatten während der Weimarer Zeit zumeist das Nationale mit dem Sozialen oder Sozialistischen zu verbinden versucht. Vorstellung der geopolitischen und ideologischen Sonderstellung Deutschlands waren schon dort Ausgangspunkte für „Brücken"-Entwürfe gewesen. Vgl. Hans Mommsen: Der lange Schatten der untergehenden Republik. Zur Kontinuität politischer Denkhaltungen von der Weimarer zur frühen Bundesrepublik (in: Karl Dietrich Bracher/ Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hg.): Die Weimarer Republik, Bonn 21988, S. 552-586, hier v. a. S. 553 u. S. 579, wo er auf Übereinstimmungen zwischen den Kreisen um die Zeitschriften „Die Tat" und „Der Ruf" hinweist). Vgl. das entsprechende informative Kapitel bei Ernst Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg (München/Zürich 1974, S. 190—196: Grundemotion und oberster Nachkriegsimperativ in Deutschland). Noch die erste Forschergeneration der politologischen und zeitgeschichtlichen Disziplinen umkreiste das Ereignis 1933, indem sie sich vornehmlich der „Auflösung der Weimarer Republik" (Bracher), den „Stufen der Machtergreifung" (Bracher/Sauer/Schulz) oder dem Ermächtigungsgesetz zuwandten. Siehe dazu Kapitel 6; vgl. auch den Überblick von Horst Möller: Die Weimarer Republik in der zeitgeschichtlichen Perspektive der Bundesrepublik Deutschland
2. Carl Schmitt und das ,Dritte
Reich'
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chender Interpretation gebildete Meinung hierzu war das Okular für die Deutung von Gegenwart und Zukunft. Mehr noch: die in den Jahren von 1945 bis 1949 herausgebildeten „Haltungen" zur Vergangenheit, die sich in vielerlei Mythen und Legenden zum Ausdruck brachten, wurden zu einem festen Bestandteil der bundesrepublikanischen Staatsräson und prägten die „politische Kultur" 35 nicht nur in den 50er Jahren, sondern für die weitere Dauer ihrer Existenz bis heute. Ob nun die vielfältigen deutschen „Sonderwege" beklagt wurden, die politische Schwäche der Weimarer Eliten oder die verunsichernden Begleiterscheinungen der Moderne insgesamt — mehr „Stabilität" in den Bereich des Politischen einzuführen, war der Leitgedanke aller Analysen 36 . Demokratietechnische und demokratieef/iz'sc/ie Argumentationen wurden wieder aufgegriffen, in den verfassungsgebenden Versammlungen miteinander verschmolzen und unter dem Blickwinkel materialisiert, die juristischen und ideellen Fehlkonstruktionen der Weimarer Verfassung dabei zu vermeiden. Der Auseinandersetzung gelang es dabei nicht immer, ihre Perspektive von kurzfristigen politischen Interessen freizuhalten. Nach dem Motto Kierkegaards: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden", konnte die Gegnerschaft (etwa über den Vorwurf, dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt zu haben) persönlich recht konkret werden. Geschichte war bereits zum wohlfeilen Argument geworden. Ein Name fiel innerhalb dieser Auseinandersetzungen um die jüngste Vergangenheit immer öfter. Es war derjenige des vermeintlichen „Totengräbers von Weimar" und „Kronjuristen des Dritten Reiches": Carl Schmitt. Seine weitere Wirkung und Bedeutung in der frühen Bundesrepublik muß vor diesen Voraussetzungen gesehen werden.
2. Carl Schmitt und das ,Dritte Reich' Für jede wirkungsgeschichtliche Betrachtung bleibt der Name des Politik- und Rechtstheoretikers Carl Schmitt mit dem Zeitabschnitt des ,Dritten Reiches' untrennbar verbunden. Keine der Debatten um seine Person — und das gilt erst recht für die Zeit der frühen Bundesrepublik - ist ohne diesen Zusammenhang verständlich, daher sei die
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(in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hg.): Die Weimarer Republik, Bonn 2 1988, S. 587-616). Eine die Diskussionen der späteren 70er Jahre zusammenfassende Definition bei Peter Reichel: Politische Kultur in Deutschland (Paderborn u. a. 1980); vgl. auch Dirk Berg-Schlosser/ Jakob Schissler (Hg.): Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 18, Opladen 1987). Die Frage nach der Stabilität der Bundesrepublik stellt jetzt Hans-Peter Schwarz der ganzen Zunft als ein zentrales historiographisches Programm (s. Hans-Peter Schwarz: Die ausgebliebene Katastrophe. Eine Problemskizze zur Geschichte der Bundesrepublik, in: Hermann Rudolph (Hg.): Den Staat denken. Theodor Eschenburg zum Fiinfundachzigsten, Berlin 1990, S. 151-174, bes. S.160f., wo er sich u.a. auf Rüdiger Altmann beruft). Vgl. dazu Kapitel4, Abschnitt 6: „Sicherheit".
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1. Kapitel — Die Lage
Entstehung dieser Verbindung vorausgeschickt. Dies kann hier jedoch nur in bilanzierendem Rückgriff auf ältere 37 und in Vorgriff auf kommende Arbeiten 3 8 geschehen. Zur Zeit der Weimarer Republik war Carl Schmitt zu einem namhaften Rechtswissenschaftler avanciert. Ungleich stärkere öffentliche Beachtung dagegen fand er als politischer Schriftsteller 39 . Sein Stil und sein analytisches Vermögen wurden gerühmt, und seine Polemik war gefürchtet. Dabei ist sein Standpunkt innerhalb des rechtskonservativen Denkens dieser Jahre nicht leicht zu bestimmen: ein praktizierender Katholik aus protestantischer Provinz, der, durch private Erlebnisse in Distanz zur Amtskirche geraten, diese dennoch als eine der complexio oppositorum fähige Form politischer Repräsentanz feiert; ein vom Strafrecht kommender Staats- und Verfassungsjurist, der zugleich literarisch experimentierte und einer Reihe von Dichtern nahestand; ein nichtaktiver Kriegsteilnehmer in der Verwaltung, der revolutionäre Bestrebungen, politische Romantizismen und bürgerliches Sekuritätsstreben gleichermaßen bekämpfte;
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Heinrich Muth: Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik des Sommers 1932 (in: Historische Zeitschrift, Beiheft 1, München 1972, S. 75-147); Günter Maschke: Im Irrgarten Carl Schmitts (in: Karl Corino (Hg.): Intellektuelle im Bannkreis des Nationalsozialismus, Hamburg 1980, S. 204-241); ders.: Nachwort (in: Carl Schmitt: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, Köln 1982, S. 179-244); Helmut Rumpf: Carl Schmitt und der Faschismus (in: Der Staat, 1978, S. 233-243); Ernst Rudolf Huber: Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit (in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, Berlin 1988, S. 33-50); Gerhard Hufnagel: Von der Verführbarkeit des Denkens: Carl Schmitt und der Faschismus (in: Rainer Geißler/Wolfgang Popp (Hg.): Wissenschaft und Nationalsozialismus, Essen 1988, S. 245-273); Bernd Rüthers: Carl Schmitt im Dritten Reich. Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung? (München 1989, erw. München 1990); Manfred Lauermann: Versuch über Carl Schmitt im Nationalsozialismus (in: Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 37-51); Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts (2., erw. Aufl., Berlin 1991); Karl Graf Ballestrem: Carl Schmitt und der Nationalsozialismus. Ein Problem der Theorie oder des Charakters? (In: Oscar W Gabriel u.a. (Hg.): Der demokratische Verfassungsstaat. Theorie, Geschichte, Probleme, München 1992, S. 115-132).
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Angekündigt sind Arbeiten zum Weg Carl Schmitts in das .Dritte Reich' und zu seinem „Fall" insgesamt von Andreas Koenen (Münster), zu Carl Schmitts Antisemitismus bzw. sein Verhältnis zu den Juden von Raphael Gross (Zürich/Berlin), zum Katholizismus im Werk Schmitts von Günter Meuter (Düsseldorf) und Bruno Kahl (Bonn) sowie eine biographische Studie von Paul Noack (München). Zur Biographie vgl. Schmitts eigene Erinnerungen in einem Rundfunk-Interview mit Dieter Groh und Klaus Figge (abgedruckt in Piet Tommissen (Hg.): Over en in Zake Carl Schmitt, Brüssel 1975, S. 89-109) sowie Joseph W. Bendersky: Carl Schmitt. Theorist for the Reich (Princeton 1983); zusammenfassende Darstellungen seines Denkweges bei Michael Stolleis: Carl Schmitt (in: Martin J. Sattler (Hg.): Staat und Recht. Die deutsche Staatslehre im 19. und 20. Jahrhundert, München 1972, S. 123-146); Henning Ottmann: Carl Schmitt (in: Karl Graf Ballestrem/ders. (Hg): Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, München 1990, S. 61-87) sowie bei Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung (Hamburg 1992).
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2. Carl Schmitt und das ,Dritte
Reich'
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ein Theoretiker der Entscheidung, der Diktatur und des Ernstfalles, der in Gesprächszusammenhängen künstlerische und intellektuelle Beziehungen mit leichter Hand zu knüpfen verstand. Unter den Prägungen, die man für sein Werk herausgearbeitet hat 40 , kann Schmitts katholisch fundierter anthropologischer Pessimismus als gesichert gelten. Aufgrund seiner fundamentalen Skepsis gegenüber dem, was die Moderne an Säkularisierung, Demokratisierung und Technisierung mit sich brachte, zählte er zu denjenigen, die den Grundlagen von Pluralismus und liberalem Rechtsstaat ablehnend gegenüberstanden. Schmitt war also kein „Vernunftrepublikaner", der seinen Frieden mit dem Weimarer Staat und seinem parlamentarischen System schließen konnte. Seine Kritik galt vielmehr der zunehmenden Auflösung politischer Formprinzipien und wurde um so nachdrücklicher, je weniger ihm Staat und Politik in der Lage schienen, Homogenität und Souveränität zu sichern. In Schmitts Verhältnis zu Juden spiegelt sich exemplarisch die Ambivalenz seiner Grundhaltung wie auch die Problematik, seine Standpunkte eindeutig zu charakterisieren: auf persönlicher Ebene bis 1933 in gutem und intellektuell fruchbarem Austausch, identifizierte er gleichwohl deren Denken mit den in Weimar zur Geltung kommenden Rechts- und Legalitätsprinzipien. Wenn es eine Entwicklung innerhalb seines Werkes der 20er und 30er Jahre gab, so lag sie in Richtung einer immer stärkeren Konkretisierung der antiliberalen Grundeinstellung wie der politischen Feindbestimmung. Und es waren zunehmend die Juden, die innerhalb seines Kampfes um Begriffe als die Gegenseite dessen erschienen, wofür sein Denken zu stehen vorgab. Schmitt beteiligte sich nicht nur an den politischen, sondern auch an den Grundlagendebatten seiner Zunft über das Staats- und Verfassungsrecht. Auch hatte er sich zeitweilig in der Nähe der Zentrumspartei engagiert und als Berater der Präsidialkabinette für die volle Ausschöpfung, ja Ausweitung der Souveränitätsrechte staatlicher Institutionen votiert 41 . Auf welche Ordnungsformen seine Schriften in dieser Zeit letztlich zielten, bedarf weiterer Klärung - im Zusammenhang mehrerer Freundeskreise entwickelte Schmitt politische Konzepte, die sich (in stetem Bezug auf Glaubens· und Existenzgefährdungen) an der Bewältigung politischer Ausnahmezustände im Verfolg einer nationalen „Selbstbehauptung" orientierten. Mit der Frage nach der Legitimität wies Schmitt auf Sollbruchstellen im Verfassungsgefüge hin, das durch ein Legalitätssystem allein nicht zu schützen sei42. Diese Analysen stellten nicht lediglich 40
Dazu Reinhard Mehring: Pathetisches Denken (Berlin 1989); Quaritsch: Positionen und Begriffe ( 2 1991), sowie Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt - ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos (München 1991).
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Schmitt hatte 1932 nach dem sog. ,Preußenschlag' die Sache des Reiches gegen das Land Preußen vor dem Staatsgerichtshof vertreten (dazu Huber in: Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositoram, 1988).
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Dazu grundlegend Hasso Hofmann: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen
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1. Kapitel — Die Lage
reine Diagnosen dar, sondern müssen vor der polemischen Gesamtstruktur seines Werkes gesehen werden, das stets der Rückgewinnung von politischen Handlungsspielräumen gewidmet war 43 . Dennoch hat sich Schmitt vor dem 30. Januar 1933 nicht für die Nationalsozialisten ausgesprochen - seine politischen Überlegungen hatten bislang dieser Alternative reserviert gegenübergestanden. Doch besaßen sie vielfältige Affinitäten 44 und waren durch eher geringe Interpretationsverschiebungen (etwa des Begriffs „totaler Staat") miteinander harmonisierbar. Gerade deshalb scheint ihm der Aufbruch der „Bewegung" die erwarteten Handlungsspielräume versprochen zu haben, und es ist offenbar, daß Schmitt sich in der Lage wähnte, sie auszudeuten zu können. In welcher Weise, ist gleichfalls nicht eindeutig geklärt, doch besaß der Begriff des „Reiches" dabei eine zentrale Bedeutung, der in katholisch-abendländischer Konnotation während der späten 20er Jahre von Kreisen um Schmitt reflektiert worden war 45 . Zur Zeit der Reichstagswahlen und des Ermächtigungsgesetzes, spätestens seit seiner Mitwirkung bei der Ausarbeitung des ,Reichsstatthaltergesetzes', stand Schmitt offen zum neuen Regime und dokumentierte dies mit seinem Eintritt in die Partei zum 1. Mai 1933. Schmitts Karriere nahm zunächst einen gewünschten Verlauf. Er übernahm zahlreiche Funktionärsposten im Hochschul- und Wissenschaftsbetrieb, formulierte parteikonforme Leitsätze für die Rechtspraxis 46 , wandte sich polemisch gegen die Emigranten 47 und betrieb als Redner, Schriftsteller und Herausgeber Um- bzw. Gleichschal-
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Philosophie Carl Schmitts (Neuwied 1964, Neuaufl. Berlin 1992) sowie Vittorio Hösle: Carl Schmitts Kritik an der Selbstaufhebung einer wertneutralen Verfassung in Legalität und Legitimität (in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 61. Jg., 1987, S. 1-34). Nach Schmitt haben „alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte einen polemischen Sinn; sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden" (Begriff des Politischen, Berlin 1963, S.31); vgl. dazu auch die Aufsätze in HansGeorg Flickinger (Hg.): Die Autonomie des Politischen. Carl Schmitts Kampf um einen beschädigten Begriff (Weinheim 1990). Dazu Ingeborg Maus: Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts (München 1976) sowie Mehring (Pathetisches Denken, 1989). Dazu detailliert demnächst Andreas Koenen. Der „Reichs"-Begriff umfaßte bereits den Aspekt des „Raumes", der später für Schmitt starke Bedeutung gewann. Vgl. auch die Bemerkungen zur Stimmung des „Aufbruchs" und der Witterung „geistiger Morgenluft", die Schmitt mit anderen 1933 teilte, im „Glossarium" (Berlin 1991, S. 188, 197, 216). Carl Schmitt: Fünf Leitsätze für die Rechtspraxis (in: Deutsches Recht, 3. Jg., Heft7 vom 15. Dezember 1933, S.201f.); ders.: Nationalsozialistisches Rechtsdenken (in: Deutsches Recht, 4. Jg., Nr. 10, S.225-229) etc. In schärfster Form in Carl Schmitt: Die deutschen Intellektuellen (in: Westdeutscher Beobachter, Nr. 126, vom 31. Mai 1933), wo er sich gegen die „Hetzer" aus dem Ausland, gegen „Landes- und Volksverrat" und den „widerdeutschen Schmutz" wandte.
2. Carl Schmitt und das ,Dritte Reich'
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tungspolitik in nationalsozialistischem Sinne. Die Mitgliedschaft in dem von ihm möglicherweise mitkonzipierten preußischen Staatsrat deutete zugleich seine selbstgewählte Aufgabe als Ratgeber und Theoretiker an, der entscheidend daran mitzuwirken versuchte, das Verhältnis zwischen Bewegung, Volk und Staat im Sinne auch völkischer Homogenität neu zu konfigurieren 48 . Dies betrieb er in enger Absprache mit befreundeten Ökonomen und Theologen 49 ; seinen wichtigsten Beitrag jedoch lieferte er mit dem Postulat eines konkreten Ordnungsdenkens, über das er — dem starren (und in seinem Verständnis jüdischen) Gesetzesdenken gegenüber — dem Recht eine flexible Situationsorientierung einräumte 50 . Seit dem Wintersemester 1933 Lehrstuhlinhaber an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, entfaltete Schmitt ein reges publizistisches Engagement und war um seine eigene und die „ideenpolitische" Präsenz seiner Schüler bemüht. Als einflußreicher Funktionär und als im In- und Ausland vielleicht bekanntester Staatsrechtler des ,Dritten Reiches' kommentierte er die politische und Rechtsentwicklung affirmativ so auch die für die Auflösung des bürgerlichen Rechtsstaats maßgeblichen Wegscheiden: den 30. Juni 1934, die Beschlüsse des Nürnberger Parteitags vom September 1935 sowie die Kennzeichnung und Aussonderung „jüdischer Elemente" in deutschen Rechtsdiskursen 51 . 48
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S. Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit (Hamburg 1933). Zur Vorstellung Schmitts von Homogenität (in Abgrenzung zu anderen) Werner Hill: Gleichheit und Artgleichheit (Berlin 1966). Dazu Lutz-Arwed Bentin: Johannes Popitz und Carl Schmitt. Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland (München 1972); Horst Kater: Die Deutsche Evangelische Kirche in den Jahren 1933 und 1934. Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche Untersuchung zu Gründung und Zerfall einer Kirche im nationalsozialistischen Staat (Göttingen 1970) sowie Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich (Bd. 1, Berlin 1977, Bd. 2, Berlin 1985). Carl Schmitt: Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Berlin 1934). Auch diese Konzeption Schmitts läßt sich entweder als gewichtiger rechtsphilosophischer Beitrag zwischen Naturrechtsdenken, Positivismus und Dezisionismus lesen (dazu Joseph H. Kaiser: Konkretes Ordnungsdenken, in: Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 319—331) oder als über ihre Verzeitlichung vollzogene Auflösung jeglicher Rechtsdogmatik. Auf „ausgesprochen antiindividualistische, entrechtende Folgen für den einzelnen" in der Rezeptionsgeschichte des „konkreten Ordnungsdenkens" machte Michael Stolleis in einer Diskussionsbemerkung aufmerksam (ebd., S. 339). Carl Schmitt: Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934 (in: Deutsche Juristen-Zeitung, 39. Jg., Heft 15, vom 1. August 1934, Sp.945-950); ders.: Die Verfassung der Freiheit (in: Deutsche Juristen-Zeitung, 40. Jg., Heft 19, vom 1. Oktober 1935, Sp. 1133-1135: „Die Fundamente unserer völkischen Ordnung stehen jetzt fest: Das deutsche Volk mit seinem Führer als Staatsoberhaupt und obersten Gerichtsherrn der Nation; der Orden der nationalsozialistischen Bewegung als der Hüter der Verfassung; die deutsche Wehrmacht mit dem Führer als dem obersten Befehlshaber") sowie ders.: Eröffnungs- und Schlußansprache zur Tagung vom Oktober 1936 (in: Das Judentum in der Rechtswissenschaft. 1. Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, Berlin
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1. Kapitel — Die Lage
Dennoch erlitt seine Karriere 1936 durch Angriffe in einem Parteiblatt Rückschläge, und bis auf seine Professur und den praktisch bedeutungslos gewordenen Titel des Staatsrats verlor er alle repräsentativen Ämter 52 . Schmitt blieb jedoch in Berlin, und seine Schriften wurden - zumindest innenpolitisch — zurückhaltender53. Statt dessen wandte er sich verstärkt außenpolitischen und völkerrechtlichen Fragen zu, in denen er deutschen Hegemonieansprüchen das Wort redete: nach der Überwindung Weimars galt es ihm nun, auch Genf und Versailles zu überwinden 54 . Seine „Völkerrechtliche Großraumordnung" war als „Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht" gedacht, und wenn ihr Einfluß auch schwer zu bestimmen ist, so darf sie doch als elaboriertester Ausdruck eines auf Vorherrschaft angelegten völkerrechtlichen Großraumdenkens gelten 55 . Der zur Gewinnung tagespolitischer Positionen und situativer Begriffe vorgenommene historische Rückgriff, etwa auf die Entwicklung des Kriegsrechts, verselbständigte sich fortan immer stärker 56 . Das vermeintlich Diagnostische ging mit der Endphase des Krieges verstärkt in Geschichtsphilosophie über - eine Wendung von offensiver Gestaltungsabsicht zu defensiver Deutungsbemühung. Diese nahm bei Schmitt zunehmend eschatologische Züge an und imaginierte sich aus tagesaktuellen Untergangsmeldungen in weltgeschichtliche Prozesse, in denen er sich in der konservierenden Rolle eines „Aufhalters" sah 57 .
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1936); dazu Horst Göppingen Juristen jüdischer Abstammung im ,Dritten Reich'. Entrechtung und Verfolgung (2. neubearb. Aufl., München 1990, S. 153-163). Die im Vorfeld seines Sturzes angelegte Akte des Sicherheitsdienstes ist erhalten (Institut für Zeitgeschichte, Fa 503,1-2). Sie belegt die ideologische Radikalisierung des Nationalsozialismus durch die SS, analysiert (in vielem durchaus zutreffend) die davon abweichenden Schmittschen „Grundprägungen" und ist zugleich ein bedrückendes Dokument für das Klima der Willkür und der Denunziation. Die Ansicht, hierbei handele es sich bereits um eine Abkehr vom Nationalsozialismus, relativiert Ballestrem (Carl Schmitt und der Nationalsozialismus, S. 131; vgl. auch Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 1992, S. 101-124; zur Kontinuität des Antisemitismus Raphael Gross, in: Merkur, Heft 6/1993). Zum Hochschullehrer Schmitt jetzt die Dokumentation von Christian Tilitzki: Carl Schmitt — Staatsrechtslehrer in Berlin. Einblicke in seinen Wirkungskreis anhand der Fakultätsakten 1934-1944 (in: Siebte Etappe, Oktober 1991, S. 62—117, mit Regesten der Dissertations- und Habilitationsgutachten Schmitts). Nach seiner Aufsatzsammlung: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923-1939 (Berlin 1940). Carl Schmitt: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht (Berlin 1939 u. ö.; dazu Lothar Gruchmann: Nationalsozialistische Großraumordnung. Die Konstruktion einer „deutschen Monroe-Doktrin", Stuttgart 1962, dort S. 137 die Einschätzung, Schmitts Beitrag sei „die Krönung der nationalsozialistischen Völkerrechtstheorie überhaupt" gewesen). Carl Schmitt: Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (Berlin 1938, dann ders.: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942). Carl Schmitt: Beschleuniger wider Willen oder: Problematik der westlichen Hemisphäre (in: Das Reich vom 19. April 1942).
2. Carl Schmitt und das ,Dritte Reich'
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Ob eine Zuordnung Schmitts zum Lager der „Konservativen Revolution" oder der „Nationalsozialisten" zutrifft oder nicht, bleibt für die Bewertung seines Engagements in diesen Jahren letztlich von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist, daß er sich an der Etablierung des ,Dritten Reiches' nach der Machtergreifung beteiligte, daß er auf seinem Gebiet eine prominente und einflußreiche Bedeutung besaß und er mit der Wirkung, die er ausüben konnte, bewußt Politik betrieb. Sein Schritt zu einem offenen Votum für das ,Dritte Reich' wurde daher schon von Zeitgenossen als hochsymbolischer Akt verstanden. Und stärker noch, als es sein tatsächliches Engagement bewirkte, scheint seine Bedeutung für die Geschichte des ,Dritten Reiches' wie auch die Kriterien zur Beurteilung seines „Falls" auf dieser symbolischen Ebene zu liegen. Schmitts Eintreten für das NS-Regime empfanden viele seiner früheren Bewunderer als „schockierend" — was in dieser Wirkung freilich nicht erklärlich wäre, hätte Schmitt sich bereits vor 1933 als Sympathisant der Nationalsozialisten vernehmen lassen. Ambivalente Beziehungen wandelten sich nun vor allem zwischen Schmitt und Kreisen der Emigration in offene Gegnerschaft. Den oft von Enttäuschung unterlegten Kennzeichnungen Schmitts als Karrierist und Opportunist58 folgten eingehende Analysen seiner Konzeptionen, in denen seine Funktion nicht nur als die eines „Steigbügelhalters" interpretiert wurde, sondern auch als die eines Vordenkers von Dezisionismus, Antisemitismus und Krieg - eben als „Kronjurist des Dritten Reiches" 5 9 . Die deutschen 58
Nachdrücklich schilderte diese Enttäuschung der mit Schmitt befreundete Schriftsteller Franz Blei: „Er kann das nicht wahrhaft denken, was er zum Preise des Führers und aller anderen Führer drucken läßt" (Der Fall Carl Schmitt. Von einem, der ihn kannte, in: Der Christliche Ständestaat vom 25. Dezember 1936, S. 1217-1220, hier S. 1220).
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Zum Beispiel Hugo Fiala ( = Karl Löwith): Politischer Dezisionismus (in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, 9. Jg., Heft2/1935, S. 101-123); Paul Müller ( = Waldemar Gurian): Entscheidung und Ordnung. Zu den Schriften von Carl Schmitt (in: Schweizerische Rundschau, Nr. 34, 1934/35, S. 566—576). Gurian, ein ehemaliger Bonner Schüler Schmitts, hatte diesen sehr früh als „Kronjuristen" bezeichnet und ihn als den „Prototyp" der „zynischen Gleichschaltung" beschrieben („Deutsche Briefe" 36 c 1, s. Heinz Hürten (Hg.): Deutsche Briefe 1934-1938, 2 B d e . , Mainz 1969 sowie ders.: Waldemar Gurian, Mainz 1972, S. 119, dort auch das Gerücht, Gurian habe mit seinen Artikeln zu Schmitts Sturz 1936 beigetragen); Hermann Seitz ( = Otto Kirchheimer): Staatsgefüge und Recht des Dritten Reiches (Hamburg [eigentl. Paris] 1935); anon.: Der Kronjurist des III. Reiches (in: Der Deutsche und Polen, 3. Jg., Nr.42, vom 18. Oktober 1936); Gottfried Salomon: Staatsrecht in Deutschland (in: Emil J . Gumbel (Hg.): Freie Wissenschaft. Ein Sammelbuch aus der deutschen Emigration, Paris 1938, S. 174-189, hier S. 182: „Abgesehen von den jungen Arrivisten ist nur ein bedeutender Publizist für das neue Regime eingetreten: Carl Schmitt" - später konstatierte Salomon(-Delatour) bitter-ironisch: „Es kann im jüdischen Sinn gerecht genannt werden, daß gerade diejenigen, die nach königlich preußischem Anspruch wie Huren zu kaufen sind, sich weder im Amt noch in der Würde erhalten können. Carl Schmitt hat selbst die Verleugnung alter Freunde nichts genutzt" - zit. in ders.: Moderne Staatslehren, Neuwied/Berlin 1965, S.672); Max Weinreich: Hitler's Professors. The Part of German Scholarship in Germany's Crimes against the Jewish People (New York 1946, zur Judentumstagung Schmitts S. 3 6 - 4 0 ) .
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1. Kapitel - Die Lage
Politikwissenschaftler in der amerikanischen Emigration, die für das Bild der Alliierten von der nationalsozialistischen Herrschaftsstruktur entscheidend wurden, hatten Schmitt nicht zu Unrecht als paradigmatischen und einflußreichen Rechtsdenker des „Behemoth" rezipiert 60 . Doch besaß Schmitt auch in Deutschland zahlreiche Gegner. Im polykratischen Kampf um Macht, Posten und Deutungsmonopole 61 konnte der politische Professor und mächtige Funktionär Kollegen durchaus zusetzen, und er scheute sich wohl auch nicht vor Intrigen 62 . Schmitts zuweilen autoritäre, schroffe und auftrumpfende Art seines Auftretens in den ersten Jahren des ,Dritten Reiches' hatte die Gräben noch vertieft 63 . Und während viele der Rechtskonservativen, die sich anfänglich auf den Kurs des ,Dritten Reiches' eingelassen hatten, nach und nach offene oder verdeckte Distanzbeweise gaben, lagen bei Schmitt nach außen bis 1945 keine Anhaltspunkte vor, ihn in irgendeiner Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime zu sehen 64 . 60
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Dazu jetzt Alfons Söllner: „Kronjurist des Dritten Reiches". Das Bild Carl Schmitts in den Schriften der Emigranten (in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1, hg. von Wolfgang Benz, Frankfurt a. M./New York 1991, S. 191-216), der vom „Schockerlebnis" derjenigen spricht, die vor der Emigration seine Schüler oder Gesinnungsfreunde gewesen waren; Söllner vollzieht den Weg nach, den die emigrierten Juristen, Philosophen und Sozialwissenschaftler - Löwith, Marcuse, Kirchheimer, Fraenkel, Neumann, C.J. Friedrich, Morgenthau, Strauss, Gurian — in Auseinandersetzung mit Schmitt während der 30er und 40er Jahre gingen. Schmitt sei dabei mit bemerkenswert einheitlichem Kolorit gezeichnet worden als Inbegriff der opportunistischen Perversion des politischen und juristischen Denkens in Deutschland überhaupt (ebd., S. 192); vgl. aber Hannah Arendts relativierende Einschätzung (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt/M. 1955, S. 505f., zu Schmitts Wirkung S. 544). „Niemals in der deutschen Geschichte war der ,Parteihader' heftiger, der gegenseitige Haß der Verantwortlichen größer, die charakterliche und materielle Korruption verbreiteter und der Staat verwirrender organisiert als zur Zeit der Regierung Hitlers" (Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 1970, S. 239; zu Rivalitäten und Konkurrenzen insgesamt Helmut Heiber: Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland, Stuttgart 1966, sowie ders.: Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1: Der Professor im Dritten Reich, München u. a. 1991). Im Falle Schmitts bestanden die stärksten Konkurrenzen wohl zu Otto Koellreutter, Karl August Eckhardt und Reinhard Höhn, die Schmitt 1936 zu Fall brachten (dazu Rüthers: Carl Schmitt im Dritten Reich, 1989). Dies galt wohl v. a. für Konkurrenzen um die Vergabe von Stellen an Mitglieder bestimmter „Schulen", die in Erinnerungen immer wieder angedeutet werden (z. B. bei Hans Kuhnert in: Erich Kaufmann zum 80. Geburtstag 21. September 1960, o.O. 1960, S.18f., bei Friedrich Berber: Zwischen Macht und Gewissen. Lebenserinnerungen, München 1986, S.53, 69, 71 oder bei Ernst Friesenhahn in bezug auf Hans Peters in: Juristenzeitung, Nr. 5-6/1966, S. 197-199). Eine Probe davon bei Fritz Pringsheim: Die Haltung der Freiburger Studenten in den Jahren 1933-35 (in: Die Sammlung, 15. Jg., Heft 10/1960, S. 532-538, hier S. 533f.). Einige eher unsichere Darstellungen deuten dies freilich an, so bei Friedrich Hoßbach (Zwischen Wehrmacht und Hitler, Göttingen 1948, S. 61) sowie in den ,Kaltenbrunner-Berichten'
3. „ Wo ist Carl Schmitt? "
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Daß nach dem Zusammenbruch des ,Dritten Reiches' der Verbleib einer so exponierten Figur von besonderem Interesse schien, konnte nicht verwundern. Mit seinem Namen hatten sich Erwartungen und Kollaborationsbereitschaft, aber auch das Scheitern im Nationalsozialismus eng verbunden.
3. „Wo ist Carl Schmitt?" Als der Krieg in Berlin zu Ende ging, konnte man den ordentlichen Professor für Verwaltungs-, Staats- und Völkerrecht an der Universität Berlin und preußischen Staatsrat, Carl Schmitt, in der Volkssturmeinheit eines gebildeten Majors der Reserve den Teltower Kanal verteidigen sehen. Der international vielleicht prominenteste, sicherlich einer der berüchtigsten Juristen des ,Dritten Reiches' wurde von den sowjetischen Truppen am 30. April in seinem Haus in Berlin-Schlachtensee verhaftet, nach einigen Stunden Verhör jedoch — für manchen überraschend - wieder auf freien Fuß gesetzt 65 . Ende Juni 1945 fand sich der Berliner Pädagogik-Professor und geschäftsführende Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität, Eduard Spranger, bei Schmitt zu einem Gespräch ein. Bei dieser Gelegenheit legte er ihm einen Fragebogen 66 vor, den Schmitt jedoch — wie er es später darstellte — als zudringlich und unterstellend zurückwies 67 .
(Spiegelbild einer Verschwörung, hg. vom Archiv Peter, Stuttgart 1961, S. 117). Wolfgang Abendroth erinnerte sich 1976 (Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 31981, S.212): „Der einzige, der manchen seiner Kollegen klarzumachen versuchte, daß der Krieg verloren war und daß es deshalb darauf ankäme, sich vorsichtig umzuorientieren, war Professor Carl Schmitt". 65 Schmitt selbst gab an, daß hinter seiner Freilassung Johannes R. Becher gestanden habe, der Schmitt aus der Zeit der frühen 20er Jahre kannte, in der beide dem Expressionismus nahegestanden hatten (Auskunft Reinhart Koselleck; s. auch das „Glossarium", Berlin 1991, S.53, Eintrag vom 27. November 1947). 66 Er war vom „Leitenden Ausschuß der Abt. Wissenschaft in der Abt. Volksbildung beim Magistrat der Stadt Berlin" zur „Feststellung der politischen Angehörigkeit zum Nationalsozialismus" unterbreitet worden und fragte in 14 Punkten recht schematisch nach Angehörigkeit zu NS-Verbänden, Sympathien, wissenschaftlichen Leistungen sowie in Frage 11: ,,a) Sind Sie Antisemit gewesen? b) Haben Sie sich antisemitisch betätigt?" (HSTAD, RW265-425, Mat.-Nr. 12). 67 Über diese Episode reflektiert er in „Ex Captivitate Salus" (Köln 1950, S.9-12). Spranger antwortete auf diese Darstellung 1951 mit einem unveröffentlichten Rundschreiben, in dem er das Gespräch (in dem „in einem wichtigen Augenblick zwei Männer sich untereinander bis auf das Blut der Wahrhaftigkeit ausgesprochen" hätten) als „Privatissime-Angelegenheit" bezeichnete; er sei mitnichten Erfinder des Fragebogens gewesen und habe Schmitt sogar geraten, ihn nicht zu beantworten (HSTAD, RW265-425, Mat.-Nr. 12). Zur Entstehung des Fragebogens und Sprangers Stellung dazu vgl. auch ders.: Die Universität Berlin nach Kriegs-
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1. Kapitel - Die Lage
Im August beendete er die etwa vier Wochen dauernde Arbeit an einem Rechtsgutachten über „Das internationale Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ,nullum crimen, nulla poena sine lege'". Den Auftrag dazu hatte er über Konrad Kaletsch von Friedrich Flick erhalten, der sich damit gegen die ihn erwartende Anklage einer „Vorbereitung zum Angriffskrieg" abzusichern versuchte 68 . Im September durchsuchten US-Soldaten Schmitts Wohnung und beschlagnahmten am 16. Oktober seine Bibliothek. Bereits am 25. September war Schmitt verhaftet und in „automatischen Arrest" in ein Lager nach Wannsee, kurz darauf in das Internierungslager Berlin-Lichterfelde/Süd überführt worden. Diese Verhaftung geschah noch im Rahmen der schematischen Erfassung aller, die den Alliierten potentiell als „security threat" galten 69 . Hier traf Schmitt auf zahlreiche ältere Bekannte 70 . Während der Zeit seiner Lagerhaft arbeitete Schmitt - trotz Schreibverbots - an Texten, die später unter dem Titel „Ex Captivitate Salus" veröffentlicht wurden 71 . Aufgrund der Vernehmung vor einem deutschen Sicherheits- und Prüfungs-Ausschuß und aufgrund von einigen Gutachten zu seinen Gunsten 72 wurde ein Jahr später seine Entlassung verfügt, die sich aber bis Oktober 1946 hinzog. A m 19. März 1947 wurde Schmitt erneut von den Amerikanern festgenommen und kurz darauf nach ende 1945 (in ders.: Hochschule und Gesellschaft, hg. von Walter Sachs, Heidelberg 1973, S. 273-321 - geschrieben 1953-55). Zu Spranger demnächst eine Biographie von Klaus D. Himmelstein (Dortmund), die auch auf das Verhältnis Schmitt-Spranger eingeht. 68 Das Gutachten (dazu auch Kapitel 3) wird demnächst kommentiert von Helmut Quaritsch herausgegeben. Für Schmitts angebliches Bemühen, sich mit dem Gutachten erst bei den Amerikanern, dann bei den Russen „anzudienen", wie es immer wieder zu lesen ist, konnten keine Belege gefunden werden. 69 HSTAD RW 265-424, Mat.-Nr. 36. 70 Unter anderem traf er auf den Professor für Orthopädie Lothar Kreuz, der sich als Leiter des Krankenreviers Schmitts annahm und — laut Auskunft Hans Schneiders — ihn zu seinem Sanitätsgehilfen machte (s. auch den Leserbrief Schmitts, „Einen Druckfehler betreffend", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 12, vom 15. Januar 1955). 71 Köln 1950. Genauere Hinweise auf die Entstehungsgeschichte gibt Schmitt im Vorwort zur spanischen Ausgabe von 1958: ein amerikanischer Arzt habe ihm geholfen, Briefe und Notizen aus dem Lager herauszuschaffen und damit ein „providentielles" Werk getan (s. Piet Tommissen (Hg.): Schmittiana II, Weinheim 1990, S. 140f.). 72 Unter anderem von Cornelia Popitz, der Tochter des ehemaligen preußischen Finanzministers Johannes Popitz (vgl. Lutz-Arwed Bentin: Johannes Popitz und Carl Schmitt, München 1972, S. 128); lt. Piet Tommissen (Bausteine zu einer wissenschaftlichen Biographie (Periode 1888-1933), in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, Berlin 1988, S. 71-100, hier S. 91f.) stellte der Bonner Kirchenhistoriker Wilhelm Neuß Duschka Schmitt ein Gutachten zur Verfügung, in dem Schmitts Weg zum „totalen Staat" dargestellt wurde. Weitere Erklärungen zu Schmitts Gunsten lagen durch Ferdinand Friedensburg (Schmitt sei eine „wissenschaftliche und künstlerische Natur ohne eigentliche politische Zielsetzung"), Alfons Adams, Pfarrer H. Gebhardt, Wilhelm Schröder und Karl von Lewinski vor (HSTAD RW265-469, Mat.-Nr.4).
3. „Wo ist Carl Schmitt?"
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Nürnberg gebracht, wo erwogen wurde, ihn als „possible defendant" bzw. als Zeugen für die anstehenden Juristenprozesse zu verhören 73 . Dort traf er auf Ossip K. Flechtheim und vor allem auf Robert M. W. Kempner als vernehmende Offiziere, für beide Juristen war Schmitt seit den 20er Jahren kein Unbekannter. D i e Vernehmungen sind mehrfach dargestellt, die bei dieser Gelegenheit von Schmitt verfaßten juristischen Antworten inzwischen veröffentlicht worden 74 . Kempner sah keine Handhabe und keinen Nutzen darin, Schmitt in Nürnberg festzuhalten und veranlaßte seine Freilassung. Schmitt verabschiedete sich mit dem Vorsatz, sich fortan „in die Sicherheit des Schweigens" zu begeben 7 5 . Mittlerweile waren Schmitts Frau Duschka, Tochter Anima und die dem Haushalt assoziierte Anni Stand von Berlin nach Plettenberg ins Sauerland übergesiedelt, wo Schmitts Karriere ihren Ausgang genommen hatte. In der Dachwohnung des Hauses zweier Schwestern Schmitts fand die Familie eine Unterbringung. Das Zusammenleben verlief nicht ohne Spannungen; die räumliche Enge, die sich erschöpfenden materiellen Reserven und die hier und dort immer deutlicher werdende Ablehnung seiner Person in der Öffentlichkeit lasteten ebenso auf dem Gemüt des früheren Staatsrats, wie die Übungen im Zimmer seiner Schwester, einer Klavierlehrerin 76 . 73
Robert M. W. Kempner (Das Dritte Reich im Kreuzverhör, München/Esslingen 1969, S. 293) schreibt, er habe Schmitt darüber vernommen, „ob seine Lehr- und Vortragstätigkeit die studentische Jugend und andere zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit verführt habe". Die Rechtsabteilung des Militärgouverneurs Clay sei besonders auch an den intellektuellen Urhebern der Verbrechen interessiert gewesen. In dem von Kempner wiedergegebenen Verhör beruft sich Schmitt auf seinen guten Ruf, auf seine lediglich als Diagnose verstandene Tätigkeiten und sein „intellektuelles Abenteurertum". Auf die Nachfrage, ob er sich heute nicht seiner Schriften dieser Zeit schäme, erwiderte Schmitt: „Heute selbstverständlich. Es ist schauerlich, sicher. Es gibt kein Wort darüber zu reden" (S. 299). Kempner ist auf dieses Verhör mehrfach zurückgekommen und hat dabei leider keine ganz einheitlichen Angaben über Anklagegründe und Verlauf des Verhörs gemacht (vgl. Leserbriefe in „Aufbau" vom 24. August 1973 und in Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 99, vom 29. April 1991, S. 10).
74 Vgl. Claus-Dietrich Wieland: Carl Schmitt in Nürnberg (1947) (in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 1/1987, S. 96-122). Veröffentlichung der Texte z.T. in Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze (Berlin 1958), z.T. in der amerikanischen Zeitschrift „Telos" (No. 72, Summer 1987). 75 Nach Kempner (Drittes Reich im Kreuzverhör, 1969, S. 300); Rudolf Diels (Lucifer ante Portas. Zwischen Severing und Heydrich, Zürich o. J., S. 322) berichtet: „Mit dem Ausruf des Ulrich von Hutten am Beginn humanistischer Weltfreudigkeit: ,Es ist eine Lust, zu leben!' trat mir, nach dreijähriger Einzelhaft im Nürnberger Gefängnis [!], der Professor Carl Schmitt entgegen. Wie unzählige Deutsche hat er, hinter Stacheldraht und in engen Zellen, über schmerzhaften körperlichen Leiden, die Gewissheit gewonnen, dass sich der Geist einer neuen und anderen Fröhlichkeit vorbereitet." In Schmitts Handexemplar ist die Stelle angestrichen und nicht korrigiert (HSTAD RW265 -320). 76 Vgl. die Bemerkungen in Carl Schmitt: Glossarium (Berlin 1991, S. 33, 61f.).
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1. Kapitel — Die Lage
Schmitts geistige Produktivität aber war ungebrochen. Mehrere Manuskripte lagen nahezu druckreif in seinem Schreibtisch, an weiteren arbeitete er. Daneben trug er regelmäßig in seine „Glossarium" beschriftete Tagebuch-Kladde ein 77 und führte eine immer umfassender werdende Korrespondenz mit Personen seines früheren Bekanntenkreises. Diese hatten z.T. über Umwege von seinem Verbleib erfahren und schilderten ihr berufliches Schicksal in der Art eines Münchener Kollegen, der im Februar 1946 schrieb: sein Haus sei voll belegt, in München seien alle bis auf Düll enüassen, Exner verteidige mit Jahrreiss Jodl in Nürnberg, Heckel stehe wegen des Fragebogens vor einem Militärgericht, sei aber freigesprochen worden; er treffe Hueck regelmäßig, Mezger verteidige v. Neurath in Fragen der „conspiracy", Walz habe sich in München bislang nicht sehen lassen, sei im Schwarzwald von Franzosen verhaftet und ins KZ Rottweil gebracht worden, Scheuner sitze beschäftigungslos in Göttingen, Maunz und Gerber seien suspendiert, Forsthoff soll im Amte sein, auch Peters und Smend, er selbst sei suspendiert 78 . Etwas später schrieb ein süddeutscher Kollege ähnliches, seine ganze wissenschaftliche Bibliothek sei zudem restlos verbrannt und er habe sieben Monate französischer Zivilinternierung absolviert79. Dies alles waren Gerüchte, die sich später ζ. T. korrigierten oder auch als ganz falsch erwiesen. Sie zeigten aber, wie das Medium des Briefes hier gleichsam den Flugfaden bildete, aus dem sich das zerrissene Kommunikationsnetz der staatsrechtlichen „scientific community" neu zusammenzuwirken versuchte. Für Carl Schmitt freilich knüpfte sich das einigende und in vielem nachsichtige Band der Schicksalsgemeinschaft nur unvollständig. Während Kollegen wie Otto Koellreutter, die sich während des ,Dritten Reiches' im Intrigenspiel um Posten und Parteipositionen durchaus mit Schmitt überkreuzt hatten, nun unter der Besatzung schnell wieder eine gemeinsame Basis mit ihm zu finden glaubten, war die Vorgeschichte für andere weniger leicht zu übergehen. Schmitts ehemaliger Schüler Waldemar Gurian etwa, der Schmitt aus dem Schweizer Exil heraus seit 1934 stark angegriffen hatte 80 , schrieb aus Notre Dame, Indiana, im Oktober 1946 an den Historiker Karl Thieme: er habe von den früheren Kollegen dieses und jenes gehört, ihn aber interessiere: „Wo ist Carl Schmitt?" - Thieme antwortete: „Finde hier Deine Frage nach C. Schmitt; wo er ist, weiß ich nicht; Hejo
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Veröffentlicht Berlin 1991, hg. von Eberhard Freiherr von Medem. Im Winter 1946/47 verfaßte Schmitt auch einen autobiographischen Text über seine Studienzeit und seine „obscurité": „Ich war ein obskurer junger Mann bescheidener Herkunft. Weder die herrschende Schicht, noch eine oppositionelle Richtung hatte mich erfaßt. Ich Schloß mich keiner Verbindung, keiner Partei und keinem Kreise an und wurde auch von niemand umworben. Dafür war ich weder mir selbst noch den anderen interessant genug [ . . . ] L'Obscurité protège mieux" („1907 Berlin", veröffentlicht von Piet Tommissen (Hg.): Schmittianal, Weinheim 1989, S. 11-21, hier S. 20). 78 Brief an Schmitt vom 6. Februar 1946 (HSTAD RW 265 - 4 3 3 , Nr. 85). 7 9 Brief an Schmitt vom 15. März 1946 (HSTAD RW265-196, Nr. 84). so Vgl. Abschnitt 2, Anm. 59.
3. „Wo ist Carl Schmitt?"
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erzählte Pfingsten, er begreife nicht, daß Guardini den Burschen verteidige. (Ich finde nicht unbegreiflich, daß jemand, der selbst so kläglich war wie G., für klug hält, sich durch Inschutznahme eines anderen das Air des Ueber den Dingen Stehens zu geben.) So dürfte HejoS. [...] am ehsten Deine Frage beantworten können." 81 Dieser Stand der Information nährte zunächst allerlei Spekulationen. Die New Yorker Zeitung „Aufbau", ein Organ jüdischer Emigranten aus Deutschland, hatte am 2. Mai 1947 in einer kurzen Notiz über die Nürnberger Haft Schmitts berichtet. Das in kurzen Strichen gehaltene Bild seines Werdegangs mußte für den „Ruf", den Carl Schmitt nicht nur im Ausland genoß, sicherlich als repräsentativ gelten: es handele sich, hieß es dort, bei dem Festgenommenen um den berüchtigten Staatsrechtler, „der in der Aera Brüning der Diktatur des Reichspräsidenten und dann der Hakenkreuz-Despotie das Mäntelchen theoretischer Legitimität umhing. Carl Schmitt, der als romantischer Katholik begann und Anfang der zwanziger Jahre unter dem Namen Schmitt-Durotic [! V.L.] schrieb, welchen slawischen Namen er aus zeitgemäßen Deutschheitsgründen später ablegte, ist ein geistvoller und gelehrter Mann, der sein reiches Wissen und seine blendende Kunst der Beweisführung in den Dienst der Feinde der Demokratie stellte und, einem Charlatan gleich, rechtfertigte, was in Deutschland von Staatswegen gegen Recht und Menschlichkeit verübt wurde. Dabei schien er aalglatt der verdienten Strafe zu entgehen. Es hiess, er halte sich in der französischen Zone auf und werde dort sogar „verwendet". Nun ist er auf Veranlassung der U.S.Α.-Anklage in Berlin verhaftet und ins Nürnberger Gerichtsgefängnis eingeliefert worden." 82 Dieses in vielem fehlerhafte, aber in seiner Grundemotion gegen Carl Schmitt nicht nur für Angehörige der Emigration sicher authentische Bild stellte eine erste Etappe auf dem Weg zu einer negativen Legendenbildung dar — nicht, weil es in der Aussage falsch, sondern weil in der Botschaft Carl Schmitt bereits zu einem Typus geronnen war. Der Staatsrechtler galt als der wandelbare, opportunistische, seine Geistesgaben in den Dienst des Bösen stellende „Feind der Demokratie", den man, trotz oder gerade wegen der Bewunderung, die er einem abnötigte, als „Charlatan" entlarven und der verdienten Strafe zuführen mußte. Die religiöse Unterlegung dieses Bildes zeigte zugleich die Tendenz zur Dämonisierung, die für die weitere Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Protagonisten zunächst allgemein beherrschend werden sollte 83 .
82 83
Briefe vom 1. und 18. Oktober 1946 (Institut für Zeitgeschichte, Nachlaß Karl Thieme, E D 163/28). c.m.: Staatsrechtler Carl Schmitt unter Anklage (in: Aufbau, New York, vom 2. Mai 1947). Weitere frühe Beispiele der Stilisierung Schmitts zu einem symbolischen Typus finden sich bei Ernst Niekisch: Deutsche Daseinsverfehlung (Berlin 1946, S. 82: Schmitt habe „die politische Methodik des Bestialismus" entwickelt, die dann von SA und SS in die Tat umgesetzt worden sei); Wolfgang Pfeiffer-Belli: Der nationalsozialistische Leviathan (in: Frankfurter Hefte, Nr. 10/1947, S. 1066f., über den „Leviathan" des Thomas Hobbes, der das Dritte Reich vorge-
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1. Kapitel — Die Lage
Aber auch weniger auf Gerüchten denn auf einer Lektüre seines Werkes stehende Interpretationen sahen in Schmitt den „Kronjuristen der Gegenrevolution". Karl Schuhes, Leiter der Gesetzgebungsabteilung im thüringischen Justizministerium, veröffentlichte 1947 seine im wesentlichen bereits 1934 verfaßte Schrift über den „Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus". Es sollte einen Beitrag zum Thema „Hitler und die deutsche Intelligenz" liefern und stellte Schmitts staatsrechtliches Werk als eine in die imperialistische Diktatur führende bürgerliche Ideologie dar. Zunächst folgte Schuhes zwar Schmitts Liberalismus- und Parlamentarismuskritik, griff seine Wendung zu Faschismus und völkischer Ideologie aber um so schärfer an als „reaktionäre Staatslehre der kapitalistischen Schwerindustrie"84. Der frühere Weimarer Justizminister Gustav Radbruch applaudierte der Schrift als „einer für die Reinigung des politischen Denkens sehr notwendigen Arbeit. Das Heine-Wort ,Kein Talent, doch ein Charakter' könnte hier umgekehrt Anwendung finden"85. Mit diesen ersten Reaktionen waren wesentliche Themen der weiteren Auseinandersetzung angeschnitten. Doch fanden sich - zunächst nur zögerlich - auch Fürsprecher des Gelehrten, und sie rekrutierten sich vor allem aus den Kreisen seiner alten Freunde und Bewunderer. Einer schrieb im Januar 1947 - im aufmunternden Ton bezeichnend für viele ähnliche Schreiben: „Daß Sie überlebt haben, bedeutet, dass Ihre geschichtliche Mission, Zeuge des Geschehens zu sein, noch nicht abgeschlossen ist." 86 Spätestens 1947, als Schmitt sich weigerte, ein Entnazifizierungsverfahren zu durchlaufen, war klar, daß sich der „Fall Carl Schmitt" aus den 30er Jahren fortschreiben würde. Über den politischen Wechsel waren die früheren Optionen des Staatsrechtlers nicht vergessen worden - eher im Gegenteil. Ein Kollege bestätigte diese erneute Frontbildung in einem Brief, meinte aber: „Im übrigen haben Sie schon recht: man wird sich über derlei Dinge Wesentliches nur im persönlichen Gespräch, das zudem noch unter einem guten Stern stehen muß, sagen können." 87 Etwas später schrieb er: „Daß Sie es vorziehen, weiterhin im Rembrandt'sehen Halbdunkel zu bewegen, verstehe ich vollständig"; er sei auch bei den ersten wieder stattfindenden Fachtagungen davon ausgegangen, daß Schmitt weiter an der „Obscurité" festhalten wolle88. Tatsächlich verlief das Leben Schmitts in Plettenberg zunächst verschwiegen und bildet habe, gebe es eine Arbeit von Schmitt - „natürlich eine .Ehrenrettung'"); Heinz Holldack: Licht und Schatten der Aufklärung (in: Hochland, 41. Jg., Heft 5/1949, S. 505-508, hier S.505 über „Hitlers Kronjurist", dessen Freund-Feind-Verhältnis in der „totalen Negierung der gesamten geistigen Umwelt, in einem Nihilismus, der jede begriffliche Beziehung aufhob" geendet habe). 84 Karl Schuhes: Der Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus (Weimar 1947, Heft2 der Reihe „Bausteine unseres neuen Weltbildes", hier S. 27). 85 Gustav Radbruch: Buchbesprechung (in: Süddeutsche Juristenzeitung, 3. Jg., Nr.5/1948, S. 224). 86 Brief vom 9. Januar 1947 (HSTAD RW265 - 2 2 0 , Nr. 4). 87 Brief vom 20. November 1947 (HSTAD RW 265 - 2 0 6 , Nr. 284). 88 Brief vom 22. Dezember 1947 (HSTAD RW265 - 2 0 6 , Nr. 285).
3. „Wo ist Carl
Schmitt?"
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zurückgezogen; die finanzielle Situation erzwang zusätzliche Zurückhaltung. Sein 60. Geburtstag im Juli 194889, kurz nach der Währungsreform, offenbarte diese bescheidene Lage, und viele seiner Bekannten machten sich Gedanken, wie dem Freund und Lehrer zu helfen sei. Möglicherweise steht die Gründung der sogenannten , Academia Moralis' in Zusammenhang mit dem Geburtstag, zu dem sich Schmitt jede öffentliche Festlichkeit versagte. Dieser, sich Anfang 1949 zusammenfindende Freundeskreis widmete sich hauptsächlich der finanziellen Überbrückung bis zur Regelung der Pension im Jahre 195290. Hans Schneider, ein Kollege aus Berliner Zeiten, vermittelte daneben an Schmitt den Auftrag zur Abfassung eines „Juristischen Repetitoriums", das von Ende 1948 an bis 1950 in vier Folgen erschien 91 . Werner Haustein, ein Mitinsasse des Lichterfelder Camps, lieh Schmitt 1949/50 seinen Namen für Veröffentlichungen an eher entlegener Stelle, die „Gegenwartsfragen der Verfassung" und „Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland" zum Thema hatten 92 . Ende 1949 schließlich rieten Werner Weber und andere Schüler Schmitt, sich um ein Forschungsstipendium bei der „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft" zu bewerben. Nach anfänglich guten Aussichten war der Antrag jedoch im Hauptausschuß nicht durchzubringen und wurde abgelehnt 93 . Zu der im Oktober 1949 wieder zusammentreffenden „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer" wurde Schmitt weder eingeladen noch wurde er später in die Vereinigung wiederaufgenommen, was ihn mehr als viele andere Ausgrenzungen kränkte 94 .
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Anläßlich der kleineren Zusammenkunft zu diesem Tage brachte Schmitt den „Gesang des Sechzigjährigen" zum Vortrag. Er sei als Walt-Whitman-Parodie gedacht gewesen, habe aber nach wenigen Zeilen ein Eigenleben entfaltet (Schmitt an Hans Paeschke am 10. Dezember 1948, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Merkur-Redaktionsarchiv). 90 Zu diesem Freundeskreis siehe Kapitel 2, Abschnitt 2. 91 Auskunft Hans Schneider (vgl. die Rezension von Werner Weber in der Neuen Juristischen Wochenschrift, Heft21/1949, S.819f., wo er v. a. die Abschnitte über Kirchen- und Völkerrecht lobt). 92 Vgl. „Gegenwartsfragen der Verfassung" sowie „Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland" (zuerst 1949/50 erschienen in der „Eisenbahnerzeitung", mit einer Einleitung Hans Lietzmanns wiederabgedruckt in: Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 171-194). Briefe vom 10. und 12. Dezember 1949 sowie vom 22. Mai 1950 (HSTAD RW265 - 5 8 , Nr. 35, 36, 46). 94 Auskunft Anni Stand. Zu diesem Vorgang gibt es m. W. nur eine Darstellung: der Antrag auf Aufnahme Schmitts wurde zurückgezogen, nachdem in Einzelgesprächen die Kollegen vorsichtig darauf hingewiesen wurden, daß im Falle einer Annahme man möglicherweise in den früheren Schriften der Befürworter aus der Zeit des ,Dritten Reiches' nachlesen würde (Wolfgang Abendroth: Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 1976, S.213, diese Version konnte bislang nicht weiter abgesichert werden); vgl. auch den Bericht über die Tagung von Friedrich August von der Heydte (in: Stimmen der Zeit, Heft 6/1950, S. 221-226).
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1. Kapitel - Die Lage
U m das Jahr 1949 herum ließen die häusliche Enge und das Bewußtsein öffentlicher Mißachtung Schmitt mit dem Gedanken spielen, nach Argentinien auszuwandern. Nachrichten und Briefe aus dem lateinamerikanischen Staat deuteten aber an, daß er dort kaum weniger bekannt und ζ. T. gleichermaßen berüchtigt war. Dort hätte ihn folglich kaum ein ruhigeres Leben erwartet95. Statt dessen schickte er sich - ζ. T. widerwillig - in die Situation heimatlicher Rückkehr 96 . Für einige Wochen aber nahm er das Angebot des Studienregens und Leiters der Albertus-Magnus-Akademie bei Köln, Pater Eberhard Weltys an, im Dominikaner-Kloster Walberberg ungestört arbeiten zu können. Dabei lag ihm vor allem an der Fertigstellung und Veröffentlichung seines völkerrechtlichen Werks „Der Nomos der Erde", und ein Splitterprodukt dieser Arbeit, der Aufsatz über „Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhms" erschien 1949 anonym im Juli-Heft der hauseigenen Zeitschrift „Die neue Ordnung". Der Aufsatz provozierte nicht nur eine Enttarnung seines Autors, sondern erste, z.T. heftige Reaktionen auf das Wiederauftauchen Schmitts in der publizistischen Öffentlichkeit 97 — Reaktionen, die sich noch steigerten, als Schmitt sich 1950 entschloß, gleich mit vieren seiner Werke auf den Markt zu gehen und die Phase seiner anonymen oder Pseudonymen Veröffentlichungen vorerst zu beenden: „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft" erschien auf Vermittlung seines Schülers Serge Maiwald 98 , „Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation", „Ex Captivitate Salus" 95
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Vgl. etwa den Brief von dem eine Zeitlang in Argentinien lebenden Jugendfreund Bernhard Wüst an Schmitt vom 4. August 1949 (HSTAD RW 265-220, Nr. 67). Vgl. die Erinnerungen an Berlin in Ex Captivitate Salus (1950, S. 35—54) sowie die Bemerkungen im Glossarium (1991, S. 20): „Der Weg des Geistes ist der Umweg (Hegel) [...] Mein Weg von Berlin über Nürnberg nach Plettenberg." Aber: „Was tust Du nun also hier? Du hast Dich mit knabenhaftem Stolz in der großen Welt mit ganz großen Feinden angelegt. Mit R. und großen Juden, und jetzt wirfst Du Dich weg an kleine Provinzbrüder, Du Billig-Spieler, du mauerst und passest aus Trägheit und feiger Bequemlichkeit. You can't go home" (ebd., S. 91). Ein Gegenartikel von Friedrich August von der Heydte erschien in der Zeitschrift „FriedensWarte" (Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhms. Eine Entgegnung, 49. Jg. (1949), S. 190—197), in dem er Schmitt vorwarf, alte Ladenhüter durch scheinbar christliche Zutaten wieder schmackhaft machen zu wollen; in Heft 11 der „Frankfurter Hefte" erschien darauf eine redaktionelle Mitteilung (Carl Schmitt redivivus, 1949, S.985), man habe scharf mit Carl Schmitt abrechnende Artikel, u. a. von Karl Thieme, erhalten, ein Gespräch mit der Schriftleitung der Neuen Ordnung (d. i. Kogons Schulfreund Welty) habe aber ergeben, daß die Dinge „komplizierter" seien, warum man von einer Stellungnahme vorerst absehen wolle: „Carl Schmitt und sein Wiederauftreten lehnen wir umso radikaler ab." — In ähnlicher Form nahm die „Deutsche Universitätszeitung" gegen Schmitt Stellung, den sie als „Bundesgenossen" ablehne, weil sie an seiner Wandlungsfähigkeit „zu einem schöpferischen und helfenden Theoretiker des Rechts und des Staates" zweifele (Anonym (= Ludwig Raiser): Kein Bundesgenosse, in: DUZ, Heft9/1950, S.7). Auch Maiwald hatte Schmitt in der von ihm gegründeten Zeitschrift „Universitas" Raum für anonyme Rezensionen und Artikel überlassen.
3. „Wo ist Carl Schmitt?"
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sowie „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des lus Publicum Europaeum" erschienen im Kölner Greven-Verlag99. Dieser Vorstoß löste heftige Stellungnahmen aus. Der katholische Akademikerverband drohte dem Verlag mit dem Entzug seiner Druckaufträge 100 . Den mit Thomas Mann verwandten Jurist Fritz Pringsheim empörte bereits die Verlagsankündigung: „Ich glaube nicht, daß heute noch viele Deutsche Herrn Schmitt für eine ,geistig verantwortliche Persönlichkeit' halten und daß sie an seine innersten Erfahrungen' glauben.. ." 101 Der Rechtshistoriker Hans Thieme wie der in London lebende Rechtsgelehrte Eduard Rosenbaum hielten es für ihre Pflicht, vor der in „Ex Captivitate Salus" zum Ausdruck kommenden Haltung und den „moralischen Bestandteilen seiner zukünftigen Äußerungen" nachdrücklich zu warnen 102 . „Draußen vor der Tür" wähnte der „Mannheimer Morgen" den Staatsrechtler103 und Walter Lewald fragte, ob man sich wundern könne, „wenn ein großer Chor heute den Ruf erhebt: Kreuziget ihn!?" In Schmitt nahm er einen starken Geist luziferischer Art wahr, „der auf den Irrweg der Machtanbetung geriet und mit der Vergötterung des Antichrist sein Werk vollendete"104. Die katholische Zeitschrift „Wort und Wahrheit" faßte diese ersten Stellungnahmen zusammen: „Die Rückkehr Carl Schmitts zur Publikationstätigkeit hat in Deutschland einige, mitunter heftige Reaktionen ausgelöst. Zur Orientierung des Lesers, der sie nicht verfolgt hat, muß registriert werden, worum es ging. Es ist die Frage, wie weit und wie oft ein Lehrer des öffentlichen Rechts bei der juristischen Interpretation - oder Rechtfertigung — wechselnder politischer Systeme seine Anschauungen wandeln (oder vielleicht: verbergen) darf, ohne an Gesicht und an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit zu verlieren. Carl Schmitt, erklären viele, habe sich als allzu wandlungsfähig erwiesen.. ." 105 Besonders das völkerrechtliche Großwerk über den „Nomos der Erde" aber erhielt viele wohlwollende Besprechungen, die Schmitts Klage widerlegten, er sei systematisch mißachtet worden 106 . Der Nationalökonom Carl Brinkmann argumentierte in seiner Besprechung mit dem Verweis auf ähnliche Ausgrenzungsversuche in Frank99
Den Kontakt zum Greven-Verlag hatte der Lektor Karl Epting vermittelt, dessen Bekanntschaft Schmitt bei einem Besuch Ernst Jüngers in Paris 1941 gemacht hatte, il» Brief vom 10. Januar 1951 (HSTAD R W 2 6 5 - 5 8 , Nr. 53). ιοί Vgl. Brief vom 26. März 1951 (HSTAD R W 2 6 5 - 1 9 6 , Nr. 110; siehe Auszüge des Wortlauts in: Piet Tommissen (Hg.): Schmittianalll, Weinheim 1991, S. 50). i° 2 Hans Thieme: Carl Schmitts Apologie (in: Deutsche Universitätszeitung, Nr. 22, vom 17. November 1950, S. 18). Eduard Rosenbaum: Carl Schmitt vor den Toren (in: Rheinischer Merkur, Nr. 48, vom 25. November 1950). 103
E W Koch: Draußen vor der Tür steht jemand und klopft... Über das Wiederauftauchen der Schriften des Rechtsgelehrten Carl Schmitt (in: Mannheimer Morgen vom 9. November 1950). 104 Walter Lewald: Carl Schmitt redivivus? (in: Neue Juristische Wochenschrift, 3. Jg., Heft 10/ 1950, S. 377). 105 106
Gotthard Montesi: Carl Schmitt redivivus (in: Wort und Wahrheit, Heft 3/1951, S. 221). So gab es Besprechungen von Alfred Verdroß, Jürgen von Kempski, Helmut Schelsky, Golo Mann, Theodor Schieder, Rolf Stödter u. a.
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1. Kapitel — Die Lage
reich (und mit deutlichem Bezug auf die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer), „nichts habe dem Ansehen der Académie Française in jüngster Zeit so geschadet, wie der aus Gründen der letzten politischen Vergangenheit über einzelne Mitglieder verhängte Bann. [...] Hüten wir uns davor, uns durch die mannigfachen Suggestionen der Niederlage den Besitz eines großen deutschen Schriftstellers und die Aufmerksamkeit auf eine Epoche deutscher Forschung nehmen zu lassen."107 Friedrich August Freiherr von der Heydte, der 1949 Schmitts Aufsatz in der „Neuen Ordnung" enttarnt und nachdrücklich vor seinem Wiederauftreten gewarnt hatte, stimmte nach der Lektüre von „Ex Captivitate Salus" versöhnlichere Töne an: auch Schmitts Gegner hätten stets zugegeben, „daß er neben Koellreutter als einziger von den vielen, die 1933 glaubten, den entstehenden nationalsozialistischen Staat theoretisch unterbauen zu müssen, nach wie vor den Anspruch auf ernste Beachtung erheben kann". Und er reichte Schmitt gar die Hand zur Versöhnung: „Carl Schmitt sucht, das ist offenbar, nach neuen Ufern [...]. Wehe dem, der dann vom festen Land aus den zurückstößt, der in der Brandung kämpft!" 108 Die „Westfalenpost" stattete dem Schmittschen Haushalt im Sommer 1950 einen Besuch ab und berichtete in unverkennbarer Selbstsicht des Gelehrten, wie dieser sich mittlerweile in seiner Lage einzurichten begann: es kränke Schmitt persönlich nicht — berichtete der A u t o r - , daß man glaube, ohne ihn auskommen zu können, freilich fühle er den Drang in sich, an die Jugend seine jahrzehntelangen Erfahrungen weiterzugeben. Es sei ein Trost für ihn, sich mit seiner Situation in der Gesellschaft von Ernst Jünger, Martin Heidegger, Erwin Guido Kolbenheyer und Ernst Bertram zu befinden. Nun spüre er den Ursprüngen seines Werdens im Westfalentum des Lenne-Tals nach, in einem geistigen Fluidum, das sich in kleinen Kreisen geistig und künstlerisch interessierter Menschen verkörpere: der Nationalökonom Erwin von Beckerath, der Musikwissenschaftler Arnold Schmitz, der Atomphysiker Pascual Jordan, Ernst Jünger, Gerhard Nebel oder der russische Religionsphilosoph Fedor Stepun träfen sich im Hause Schmitts zu Vorträgen oder freundschaftlichem Besuch, „vor verständnisvollen Hörern und Gesprächspartnern ihre geistigen Einsichten z. T. im status nascendi vortragend". In solchen Konstellationen sei ein „Gespräch" möglich109. Dann drang in den Bericht die Debatte um den „Fall Carl Schmitt" ein: „Er könnte wohl eine Berufung nach Südamerika haben" [!? V.L.], aber er wolle seinem Land auch dann die Treue halten, wenn man ihm nicht dafür danke; „Kempner, der viele Stunden 107
Carl Brinkmann: Besprechung von „Der Nomos der Erde" (in: Universitas, 6. Jg., Heft 8/ 1951, S. 907-909, hier S. 907). 108 Friedrich August von der Heydte: Heil aus der Gefangenschaft? Carl Schmitt und die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (in: Hochland, 1950/51, S. 288-294, hier S.288, 294). Zu v. d. Heydte vgl. seine Lebenserinnerungen („Muß ich sterben - will ich fallen..." Ein ,Zeitzeuge' erinnert sich, Berg am See 1987). κ» R N. ( = Paul Niehaus): Das geistige Lennetal. Ein Besuch bei Prof. Carl Schmitt in Plettenberg (in: Westfalenpost, Nr. 155, vom 6. Juli 1950, S. 5).
3. „Wo ist Carl Schmitt?"
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mit Carl Schmitt disputiert hat, ohne einen Grund zur Anklage zu finden, hat jüngst das Wort genommen: solche Völkerrechtslehrer wie Carl Schmitt und E. R. Huber dürften nicht länger ausgeschaltet sein aus dem wissenschaftlichen Gespräch der Völker" 110 „Möge Carl Schmitt beschieden sein, was man allen zugestehen möchte, die nicht feige aus der Verantwortung geflüchtet sind: Als lebendiger Zeuge gehört zu werden einer tragisch-verhängnisvollen Entwicklung, die er mit vollem Bewußtsein, aber in Wahrung seiner geistigen Freiheit miterlebt hat." Schmitt sei, das war eine der Botschaften des Artikels, rasch wieder in das Leben derer eingebunden worden, die ihn persönlich kannten. Seine lokale Reintegration vollzog sich in der Tat rasch, und über die räumliche Nähe ergaben sich neue Bekanntschaften 111 . Schmitts Leben nahm einen mehr oder weniger festen Rhythmus zwischen Spaziergängen, Besuchen, Vorträgen, Reisen, Korrespondenzen und Gästen an. Für den Wunsch, ihn zum Schweigen zu bringen, war die Strategie des Fernhaltens vom institutionellen gelehrten Betrieb durchaus kontraproduktiv. Zeit und Muße sollten vielmehr zu Schlüsselfaktoren seiner erneuten Ausstrahlungskraft werden, die Schmitt nicht nur lokal wieder „ins Gespräch", sondern ihn mit immer weiteren „Kreisen" in Zusammenhang brachten.
no Tatsächlich hatte Kempner (in: Christ und Welt, Nr. 15, vom 13. April 1950, S. 5) geschrieben: „Die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit. Ich stimme durchaus der in Deutschland verbreiteten These zu, daß die augenblicklich ausgeschalteten Juristen Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber weniger bellizistisch und militaristisch geschrieben haben als wieder nach Deutschland Zurückgekehrte" (Gemeint war Schmitts .Rivale' Erich Kaufmann), m Vgl. dazu die im Gespräch Ingeborg Villingers mit Anni Stand und Ernst Hiismert aufgeführten Namen (in: Verortung des Politischen. Carl Schmitt in Plettenberg, bearb. von Ingeborg Villinger, Hagen 1990, S. 4 2 - 6 1 ) sowie unten, Kapitel4.
2. Kapitel — Gespräche 1. Oasen der Besinnung „Jedenfalls täten wir gut, auch wenn wir dringend hoffen wollen, daß eine neue Katastrophe vermieden wird, für alle Fälle einen kleinen Verein zu bilden." Ernst Jünger an Hans Speidel am 21. März 19481 Helmut Schelsky wies 1981 in seinen „Rückblicken eines ,Anti-Soziologen'" 2 auf die lebens- und damit auch wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der „Geworfenheit" hin, der auch Wissenschaftler unterlägen. Biographischen und regionalen Zufälligkeiten (wie auch der Bedeutung der Frauen) werde in intellektuellen Biographien meist zu wenig Beachtung geschenkt. Diese Umstände seien verschärft in Situationen zu beachten, wie sie nach dem Krieg gegeben waren, und er umschreibt die Lage der Intellektuellen nach 1945 mit dem Begriff des „Oasenkomplexes": in vielen Gegenden des zerstörten Reiches hätten sich die an geistigem Austausch Interessierten in lokal begrenzten Gesprächs- und Besinnungskreisen zusammengefunden, um mit örtlich notwendig zufälliger Zusammensetzung eine „Aufarbeitung" des Vergangenen zu versuchen 3 . Er selbst sei Teilnehmer an einigen dieser „Untergrund"-Zusammenkünfte gewesen: bei den „Gesprächen in Tremsbüttel" in Schleswig-Holstein, im Kreise des Grafen Solms auf dessen hessischem Gut und bei der Evangelischen Akademie Niedersachsen 4 .
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Hans Speidel: Briefe aus Paris und aus dem Kaukasus (in: Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, hg. von Armin Möhler, Frankfurt/M. 1955, S. 181-195, hier S. 194). Opladen 1981. - Dabei handelte es sich um eine Antwort auf M. Rainer Lepsius' Darstellung der Entwicklung der deutschen Nachkriegssoziologie (Die Entwicklung der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 bis 1967, in: Günther Lüschen (Hg.): Deutsche Soziologie seit 1945, Opladen 1979, S. 25-70). Schelsky half in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit, den Gefangenen- und Flüchtlings-Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes aufzubauen. Schelsky (Rückblicke, 1981, S.76f.). Der Begriff der Oase findet sich schon bei Friedrich August von Hayek, der am 28. Februar 1944 vor englischen Historikern in Cambridge über die Nachkriegszeit in Deutschland sprach: „Wir werden dort eine geistige und moralische Wüste vorfinden, aber eine Wüste mit vielen Oasen, einige davon makellos, aber fast vollständig voneinander isoliert" (zit. nach Hans Filbinger: Die geschmähte Generation, München 1987, S. 33, der freilich selbst allzu stark die mythenbildende Kraft dieser Oasen beschwört). Schelsky (Rückblicke, 1981, S. 104). Schelsky strich später seine Wertschätzung des Gesprächs als Funktionsmodus der politischen Willensbildung heraus (wollte aber die debattierenden „Priester-Intellektuellen" damit treffen): „Dabei schätze ich übrigens das mündlich-unverbindliche Gespräch mit vielen, aus sehr verschiedenen Berufsschichten stammenden Bürgern, selbst am Wirtshaustisch, höher ein als die Gespräche mit wissenschaftlichen Kollegen. Man
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Der Hinweis auf die „Geworfenheit" erinnert neben den biographischen Kontingenzen auch an die zeitgenössische Grundbefindlichkeit eines Großteils der Intellektuellen, und die Philosophie des Existenzialismus verhieß eine in dieser Zeit adäquate Ausdrucksform. Auch noch auf weniger anspruchsvoller Ebene war der Bedarf nach Orientierung und Verständigung die vorherrschende Tendenz aller geistigen Auseinandersetzungen. Die Jahre nach 1945 werden daher bis heute als eine Phase von außergewöhnlicher intellektueller Ernsthaftigkeit und als große Zeit von Gesprächskreisen aller Art erinnert, die wohl selten zuvor in solch offener Zusammensetzung aufgetreten waren. Viele der Gesprächspartner in den Kreisen der Nachkriegszeit hatten die Zeitumstände in Konzentrations-, Kriegsgefangenen- oder sonstigen Lagern zusammengebracht 5 . In dieser Situation wurden Herkunft und Profession nebensächlich, geistige Betätigungen aber existentielle Mittel zur Selbstbehauptung 6 . Die hier gemachte Erfahrung der Schicksalsgemeinschaft trug oft stärker über die Zeit der Gefangenschaft hinaus als ,Kameradschaften' der Kriegszeit. Die Emigration hatte ähnlich homogenisierende Wirkungen gehabt; sie hatte bisher konträre Ansichten geöffnet oder verflüssigt und Personen miteinander ins Gespräch gebracht, die sich bis dahin nichts zu sagen gehabt hatten. In den Gesprächskreisen herrschten guter Wille und die Bereitschaft zum Ausgleich könnte diese Erfahrungen auf die Formel bringen: Das ,Volk' ist der ,Souverän' — offiziell aber eine ,schweigende Mehrheit'" (ders.: Der „Begriff des Politischen" und politische Erfahrung der Gegenwart. Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt, in: Der Staat, 22. Jg., Heft3/ 1983, S. 321-345, hier S. 325f.). 5 Vergleichbare Besinnungs- und Orientierungskreise hatte es schon am Ende des ersten Weltkriegs gegeben - vgl. etwa die beiden Tagungen, die 1917 auf der Thüringer Burg Lauenstein auf Einladung des Verlegers Eugen Diederichs stattfanden, um über die Zukunftschancen Deutschlands zu diskutieren. Ein Tagungsthema dort hieß „Führungsprobleme im Staat und in der Kultur", und Max Weber hielt den einleitenden Vortrag über „die Persönlichkeit und die Lebensordnungen"; gemeinsames Anliegen der Teilnehmer (u.a. Friedrich Meinecke, Edgar Jaffé, Werner Sombart, Theodor Heuss, Ferdinand Tönnies, Richard Dehmel, Joseph Winkler, Walter von Molo, Gertrud Bäumer und Adolf Grabowski) sei „Deutschlands Errettung" gewesen (s. Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild, Heidelberg 1950, S. 642-647). Im Februar 1919 gründete sich im Hause Webers die „Heidelberger Vereinigung für eine Politik des Rechts" (Alfred Weber, Prinz Max von Baden, Lujo Brentano, Richard Thoma u.a., s. ebd., S. 697). 6 Vgl. die entsprechenden Schilderungen bei Eugen Kogon: Der SS-Staat (1946) und bei Ernst von Salomon: Der Fragebogen (1951). Paradigmatisch die „Einleitung zu der Vorlesungsreihe über die geistige Situation in Deutschland" von Karl Jaspers (1946): „Wir müssen uns in Deutschland miteinander geistig zurechtfinden. Wir haben noch nicht den gemeinsamen Boden. Wir suchen zusammenzukommen. Was ich Ihnen vortrage, ist erwachsen aus dem Miteinandersprechen, das wir alle, jeder in seinem Kreise, vollziehen. [...] Wir wollen lernen, miteinander zu reden..." (Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands, München/Zürich 1987, S. 7).
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vor, und hatte sich nicht überhaupt die Kultur als der Politik überlegen erwiesen? Mit einem Gefühl seelischer Auszehrung holten viele die ihnen vorenthaltenen Eindrücke nach und setzten einen Konsum an Kultur bis weit in die 50er Jahre hinein fort, der in gewisser Weise eskapistische Züge trug7. Die „Zeitschrifteneuphorie" der Nachkriegsjahre war aus derselben geistigen Disposition erwachsen und trug die Gesprächsbereitschaft aus den Redaktionen hinaus in eine Leserschaft, die — wie die ζ. T. phantastischen Auflagenzahlen bewiesen - die Zeitschriften mit den sprechenden Titeln8 geradezu verschlang. Die „Träume der ersten Stunde" sind jüngst am Beispiel der Gesellschaft Imshausen' ausführlich dargestellt worden9. Die Idee eines „politischen Instituts" oder einer „Akademie" auf dem hessischen Gut derer von Trott zu Solz vereinigte in sich viele der Elemente, die für die Gesprächskreise dieser Zeit charakteristisch waren. Gemeinsam befürchteten die Teilnehmer, auf politischem, gesellschaftlichem und geistigem Gebiet sei der Neuanfang schon 1946 gründlich mißraten. Daher wollten die Initiatoren (Werner von Trott zu Solz, Eugen Kogon und Walter Dirks) einen Kreis zusammenstellen, der sich über die Möglichkeiten einer Synthese zwischen West und Ost, über die Chancen eines christlichen Sozialismus, über die Notwendigkeit einer demokratischen Elite und über die Erneuerung Deutschlands verständigen sollte10. Von den Brüdern Jünger bis zu Hans Christoph von Stauffenberg, von Viktor und Carl Friedrich von Weizsäcker bis zu Walter Markov, von Ernst Niekisch bis zu Carl Spiecker ergingen Einladungen,
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Bis das Verhältnis von „Konsum und Kultur" selbst zu einem Gesprächsgegenstand dieser Kreise wurde, vgl. das Jahresthema von „Der Bund" (Hg.): Kulturkonsum und Konsumkultur. Bericht der 9. Tagung der Gesellschaft (Wuppertal 1955, Teilnehmer u. a. Arnold Gehlen und Jürgen Habermas); „Der Bund" war 1946 von Hans-Jürgen Leep zusammen mit dem Fabrikanten Klaus Gebhardt, dem Juristen (und Schmitt-Schüler) Heinrich Gremmels sowie dem Schriftsteller Gerhard Nebel gegründet worden; Schmitt nahm an einigen Treffen teil, u. a. wird von einer intensiven „Unterhaltung im kleinsten Kreis nach einem Vortrag der Kommunistin Ruth Fischer" mit Schmitt berichtet (Leep in einem Brief an Piet Tommissen vom 23. Februar 1992, mitgeteilt in: Piet Tommissen: Ernst Jünger en Carl Schmitt, in: Yang, 28. Jg., Heft2-3/1992, S. 226-235, hier S. 232, Anm. 16). Über die Zeitschriftentitel ironisch Erich Kuby (Aus schöner Zeit, Hamburg/Zürich 1984, S. 43f.): als Titel zu dieser Zeit seien nicht zu empfehlen gewesen: „Der Totale Staat", „Nationales Bewußtsein" oder „Geopolitische Ziele". Für alle drei Formeln stand freilich der Name ,Carl Schmitt'. Wolfgang M. Schwiedrzik: Träume der ersten Stunde. Die Gesellschaft Imshausen (Berlin 1991). Walter Dirks amalgamierte die Alternativen zur Formel vom „europäischen Sozialismus in christlicher Verantwortung". Übrigens bekannte er 1983: „Ich gehöre zu einer Generation, die von Carl Schmitt erst theoretisch merklich belehrt, dann politisch entschieden herausgefordert worden ist. Es besteht Anlaß, das noch nach 60 Jahren zu bezeugen" (Walter Dirks: Ein Vordenker. Zum 95. Geburtstag des Staatstheoretikers Carl Schmitt, in: Badische Zeitung, Nr. 155, vom 9./10. Juli 1983).
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um die erwünschte Heterogenität der Zusammensetzung zu gewährleisten. Eine breite Koalition der besten Kräfte aus allen Lagern wurde als für die Situation einzig erfolgversprechend erachtet. Augenscheinlich beseelte der Wille zu Offenheit und Eintracht tatsächlich die ersten Ansätze dieser Veranstaltung. Das „Gespräch" in Imshausen sollte nicht nur der gedanklichen Klärung, sondern auch einer Veränderung der Position dienen. Faule Kompromisse nach Weimarer Art oder die Assimilation abweichender Meinungen wie im ,Dritten Reich' galt es zu umgehen. Es war dieser Wunsch nach Verbindung widerstreitender Positionen, der sich als gedankliche Vorstufe des später vielberufenen demokratischen Grundkonsenses' erweisen sollte. Er trug Züge des „Katakombengeistes", der bis heute gern den „Vätern des Grundgesetzes" und Gründern der Bundesrepublik nachgesagt wird. Die „Gesellschaft Imshausen" war aber nur eine der Initiativen dieser Art. Die „Heidelberger Aktionsgruppe zur Demokratie und zum freien Sozialismus" um Alfred Weber, Karl Geiler und Alexander Mitscherlich11, die „Stiftung Gesellschaft Oberschwaben" auf Schloß Aulendorf in Württemberg (eine Initiative Hans Christophs von Stauffenberg) oder der schon erwähnte Arbeitskreis „Mundus Christianus" auf Schloß Tremsbüttel waren von vergleichbarem Zuschnitt. Letzterer war von dem ehemaligen Mitglied des „Kreisauer Kreises" und ersten gewählten Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein, Theodor Steltzer, gegründet worden und führte 1947 und 1948 mehrere Tagungen durch. Mit den Teilnehmern Alfred Andersch, Erich Kuby, Eugen Kogon, Walter Dirks, Clemens Münster, Gerd Bucerius, Walter Hallstein und Helmut Schelsky gab es auch hier eine charakteristische personelle Überschneidung zu anderen Kreisen12. Über Ernst Forsthoff, dem „politischen Sekretär" Steltzers, existierte kurzzeitig auch eine Verbindung zu Carl Schmitt, den Forsthoff aber wohl vergeblich zu einem Treffen mit Steltzer überreden wollte13. 11
Rainer Dohse: Der Dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955 (Hamburg 1974, S. 19-28); die „Aktionsgruppe" veranstaltete seit 1947 Tagungen mit weit über hundert Teilnehmern, u. a. Ludwig Bergsträsser, Marie Elisabeth Lüders, Hans von Eckardt und Harry Pross. 12 In seiner Autobiographie (Sechzig Jahre Zeitgenosse, München 1966, S. 196f.) geht Steltzer nur kurz auf den Arbeitskreis ein; man habe wie im Kreisauer Kreis auf einigen sehr interessanten Tagungen mit Vertretern aller gesellschaftlicher Gruppen und Konfessionen über die Erneuerung des christlichen Menschenbildes gesprochen. In der Biographie Anderschs von Stephan Reinhardt (Alfred Andersch, Zürich 1990, S. 148) heißt es, man habe einen „Deutschen Kreis" und eine parteienübergreifende Verfassungsinitiative für ein geeintes, demokratisches und neutrales Deutschland gründen wollen; als weitere Teilnehmer werden Hildegard (Hamm-)Brücher, Karl Schiller und Hans Werner Richter erwähnt. 13 Brief an Carl Schmitt vom 6. Juli 1948 (HSTAD RW265-398, Nr. 72). In einem Brief des Schriftstellers Gerhard Günther an Schmitt vom 11. November 1948 warnte dieser vor Steltzer, empfahl dagegen seinen eigenen Kreis (u. a. mit Hans Egon Holthusen, Paul Schütz und Pascual Jordan; HSTAD RW265-458, Nr. 2). Auch Wolf Schenke (Siegerwille und Unter-
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Konstitutiv für nahezu alle Gespräche war der Gedanke der Partnerschaft, und die Pflege des überkonfessionellen, ökumenischen Gedankens besaß Leitfunktion 14 . So konnte die Zeit zwischen Niederlage und Währungsreform als eine existentielle, reinigende Phase der Besinnung und der ernsthaften intellektuellen Orientierung gelten und im Effekt das Gefühl zur Folge haben, bereits vieles „abgearbeitet" zu haben 15 . Vor dem Hintergrund der Spaltung Deutschlands und des Übergangs in den Kalten Krieg allerdings gerieten diejenigen Kreise in die Defensive, deren Besonderheit in ihrer Integrationsbereitschaft lag. Gerade die Anknüpfung an Widerstandsgruppen trug die Gefahr des Umschlags in Konfrontationen über die Art der Wege in sich, auf der die hehren Vorsätze der Gesprächsteilnehmer in die Tat umzusetzen waren. Die Vorstellung aktiver Planbarkeit, die frühe Gesprächsrunden beseelt hatte, erwies sich bald als Täuschung und ließ manchen Teilnehmer erahnen, daß die „Stunde Null" in ihrer suggerierten Offenheit überhaupt nur das Phänomen einer illusionären Wahrnehmung gewesen war. Welche Faktoren waren für diesen Umschwung verantwortlich? Auf der äußerlichen Ebene trug sicherlich die Zögerlichkeit, mit der sich die materiellen Lebensverhältnisse zu bessern schienen, zu wachsender Ungeduld und zu Unduldsamkeit mit denen bei, die man dafür verantwortlich machte. Die Deutschlandpolitik der alliierten Besatzer trug kein einheitliches Gepräge, und die Besatzungspolitik konnte nicht ohne Widersprüche umgesetzt werden. Der im Herbst 1947 verkündete Marshall-Plan polarisierte zusätzlich, er hatte eine Verhärtung der Fronten im sich anbahnenden Kalten Krieg zur Folge und integrierte letztlich unter Preisgabe der deutschen Einheit. Die deutsche Bevölkerung verfolgte diesen Prozeß mit Mißbehagen, hauptsächlich aber wohl mit viel politischem Desinteresse. Die Politiker versuchten mit einer kleinschrittigen Prioritätensetzung zu antworten, die in zunehmendem Maße eher den unpolitischen, ökonomischen Erfordernissen Rechnung trug, als dem Bedürfnis nationaler Homogenisierung. Das Scheitern der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz im Juni 1947 signalisierte nicht nur für die Ebene gesamtdeutscher Politik den Vollzug eines qualitativen
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werfung. Auf dem Irrweg zur Teilung. Erinnerungen 1945—1955, München/Berlin 1988, S. 232f., 274) berichtet vom Wiederaufleben des Kreises um Günther um das Jahr 1949 - eine Neuauflage des Zirkels um die Brüder Gerhard und Albrecht Erich Günther aus den späten 20er Jahren, dem seinerzeit u. a. die Brüder Jünger und Wilhelm Grewe angehört hatten. Querverbindungen hatte es damals zum „Tat"-Kreis wie zu Carl Schmitt gegeben. In Fortsetzung etwa des ,Berneuchener', des ,Alpirsbacher' und anderer Bibel-Kreise. So mehrfach Helmut Schelsky (z.B. in Walter Scheel (Hg.): Die andere deutsche Frage, Stuttgart 1981, S. 189). Schon 1965 hatte er auf seine Artikel in „Volk und Zeit" von 1946-48 hingewiesen als Versuch zu einer wissenschaftlichen ,Bewältigung der Vergangenheit' zu einer Zeit, da dieses Schlagwort noch nicht erfunden und noch nicht funktionalisiert worden sei, sondern die Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit zum selbstverständlichen Bedürfnis jedes denkenden Menschen in Deutschland gehört habe (Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf 1965, Einleitung, S. 12).
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Umschwungs. Für das politische „Gespräch" der Nachkriegszeit insgesamt signalisierte er das vorläufige Ende einer Phase des guten Willens. Die sich anschließende Konstituierung eines „Deutschen Volksrats" nahm im westlichen Teil Deutschlands kaum noch jemand ernst; seine Bedeutung, als gesamtdeutsches Forum geplant, blieb letztlich darauf beschränkt, die Verhärtungen im innerdeutschen Klima zu veranschaulichen. Viele der homogenisierenden Tendenzen der Nachkriegsgesellschaft, auch die Versuche zur Bildung einer Einheitsgewerkschaft wie die meisten Sozialisierungsabsichten (die der Hoffnung entsprungen waren, die gefährlichen Spannungen zwischen Kapital und Politik bzw. zwischen den Klassen zu entschärfen), scheiterten bei dem Versuch ihrer institutionellen Umsetzung 16 . „Nach der Währungsreform war auch sie vorbei, die Ära der Disputationen. Die Leute hatten jetzt andere Sorgen" 17 - diese Beobachtung Hans Mayers stimmt gleichwohl nur bedingt. Gleichsam von oberster Ebene abwärts verlagerten sich die Gespräche in immer kleinere Kreise. War noch die Vereinigung von KPD und SPD zur SED im April 1946 - zumindest auf der Ebene der Parteimitglieder 18 - vom Willen der Zusammenarbeit getragen und atmete auch der Verfassungskonvent in Herrenchiemsee bzw. der Parlamentarische Rat angeblich noch den „Geist der Stunde Null", so zehrte auch hier die politische Realität diesen Überschuß an guter Absicht rasch auf. Die SED formierte sich — besonders nach dem Bruch mit Tito und unter Ausschluß aller Abweichler - zu einer stalinistischen „Partei neuen Typs", während sich die Gemeinsamkeit der westdeutschen Parteien spätestens mit der ersten Bundestagswahl in ein Oppositionsverhältnis auflöste, das nicht dazu geeignet war, Weimar-verdrossene Demokraten für politisches Engagement zurückzugewinnen. Diese Entwicklungen hatten zur Folge, daß sich Struktur und Bestimmung der Kreise oft grundlegend wandelten. Der Mitte 1948 von dem Historiker Ulrich Noack gegründete „Nauheimer Kreis" war hierfür bezeichnend. An jugendbewegte Zeiten anknüpfend versuchte Noack nicht ohne einen gewissen Erfolg, die Anhänger eines neutralen und wiedervereinigten Deutschland zusammenzubringen. Dafür fand er einen breiten Kreis von Sympathisanten, der von Gustav Heinemann bis Victor de Kowa reichte. Wilhelm Cornides vom - westlich orientierten - „Europa-Archiv" 16
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Der Sammelband „Der Marshall-Plan und die europäische Linke" (hg. von Othmar N. Haberl und Lutz Niethammer, Frankfurt/M. 1986) zeigt, wie die hoffnungsvollen Konzeptionen von linker und gewerkschaftlicher Seite europaweit an inneren Dissonanzen und dem machtpolitischen fait accompli zerschellten. Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen I (Frankfurt/M. 1982, S. 402). Mayer selbst berichtet von einem „Deutsch-Amerikanischen Klub" in Frankfurt und von Streitgesprächen an der Universität Mainz (ebd., S. 377, 400). Im Bewußtsein der Überwindung einer einst verhängnisvollen Spaltung in rivalisierende Lager; diese Überzeugung war in den linken Widerstandskreisen der Emigration während des ,Dritten Reiches' gereift und bestimmte die Faschismus-Interpretation der unmittelbaren Nachkriegszeit — um später erneut und eher stillschweigend der älteren SozialfaschismusThese der KPD zu weichen.
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2. Kapitel — Gespräche
freilich entdeckte nicht nur mit unverhohlenem Argwohn Noacks frühere Anstellung im Auswärtigen Amt der Wilhelmstraße, sondern fand sich darüber hinaus in einigen Konzepten an Carl Schmitts „Großraum"-Theorien erinnert19. Als Noack schließlich auf Einladung Wilhelm Piecks seine Vorstellungen dem „Deutschen Volksrat" vortrug, war im Westen das Zurücksinken des „Nauheimer Kreises" in eine Zirkel-Existenz besiegelt20. „Neutralität" und „Wiedervereinigung" blieben dennoch über die 50er Jahre hinaus virulent und waren - vom Korea-Krieg, der Debatte um die Wiederbewaffnung bis zur Berlin-Krise immer wieder befeuert — potentielle Kernthemen für weitere Kreisbildungen21. Ähnliche, über die „Brücken"-Konzeption hinausgehende Versuche, auch innenpolitische Alternativen in die junge Demokratie einzubringen, kamen von vornherein über eine Zirkel-Bildung nicht hinaus22. Wie der „Nauheimer Kreis" blieb auch die sog. „Tatgemeinschaft freier Deutscher" eine weitgehend einzelgängerische Initiative. Der Hildener Textil-Unternehmer Gert P. Spindler hatte mit einer ganzen Reihe reformerischer Bestrebungen in den späten 40er/frühen 50er Jahren von sich reden gemacht, unter anderem als Herausgeber der in Essen-Werden erscheinenden Wochenzeitung „Der Fortschritt". Spindler, zugleich ein wütender Gegner Amerikas, des Kommunismus und der Gewerkschaften, versuchte, ein Bündnis vorwiegend rechtsgerichteter Kreise gegen die vermeintliche „Weimarer Restauration" Bonns auf die Beine zu stellen. Sein Gegenbild zum Weststaat zeichnete ein neutrales und wiedervereinigtes Deutschland zwischen den Blöcken23. Wie andere Kreise dieser Art versuchte er offenbar vergeblich, Carl Schmitt in dieses Bündnis zu integrieren, das sowohl in Fühlungnahme zum später so berüchtigten Naumann-Kreis wie zur nordrhein-westfälischen 19
Noack sah eine Entwicklung des Weltstaatensystems in eine Richtung, die auf ca. zehn „Friedenskreisen" beruhte, einer davon befinde sich in Mitteleuropa (s. Ulrich Noack: Wie kann der Frieden lebendig werden? Organische Erneuerung der UNO auf der Grundlage von 10regionalen Friedenskreisen, Würzburg 1954). 20 Noack sprach am 26. August 1949 in Weimar unter der Leitung Ernst Niekischs; im November 1949 entstand der Plan eines Deutschlandkongresses in Rengsdorf zur Bildung einer „Deutschen Friedensgewerkschaft". Nach ihrem Verbot blieb die Bildung eines „Bundes der Kriegsdienstverweigerer". Zu Noack und dem „Nauheimer Kreis" im Zusammenhang mit anderen Neutralitätsbestrebungen und zum Versuch ihrer Verschaltung im „Deutschen Kongreß" (1951/52) s. Rainer Dohse (Der Dritte Weg, 1974, S. 41-61). 21 Um die Wiedervereinigung sorgte sich der sog. ,Königsteiner Kreis zu gesamtdeutschen Fragen'; Mitglied seines Verfassungsausschusses war u.a. der Schmitt-Schüler und Göttinger Staatsrechtler Werner Weber. 22 Politiker wie Jakob Kaiser, die eine „Brücken"-Konzeption vertraten, wurden auch in Westdeutschland kaltgestellt (dazu Werner Conze: Jakob Kaiser. Politiker zwischen Ost und West, Stuttgart 1969), schließlich auch Ernst Niekisch mit seinen „Ost-West-Gesprächen" des Sekretariats der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland (ca. 1947) (s. Armin Möhler: Die Konservative Revolution in Deutschland, Darmstadt 31989, S. 466). 23 Nach Kurt P. Tauber: Beyond Eagle and Swastika (Middletown, Conn. 1967, S. 276-278).
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FDP stand 24 . Immerhin vermochte Spindler einige seiner gegen die Gewerkschaften gerichteten Vorstellungen im eigenen Hause zu verwirklichen und sorgte mit seinem sozialreformerischen Modell eines „Mitunternehmertums" 25 in den Wirtschaftskreisen der frühen 50er Jahre für Gesprächsstoff. Daß die Wirtschaft in den zukünftigen Entwicklungen Deutschlands eine besondere, der Politik eng verbundene und diese bisweilen substituierende Bedeutung haben werde, war spätestens seit der Währungsreform abzusehen. Deren auch gesellschaftspolitischer und sozialer Impuls übertraf in Zusammenhang mit dem Marshall-Plan jede der bis dahin getroffenen politischen oder gar ideologischen Entscheidungen bei weitem. Nach den Erfahrungen der Schwarzmarktzeit waren damit die Weichen für eine privatwirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands gestellt26. Von den verbreiteten Hoffnungen auf eine Sozialisierung wenigstens der Schlüsselindustrien blieb in der Folgezeit lediglich eine soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft übrig. Ein Veranstaltungskreis wie der im Frühherbst 1948 gegründete „Rhein-Ruhr-Klub" verstand sich als Gelenkstelle des Gesprächs zwischen Politik und Wirtschaft. Er brachte freisinnige Honoratioren, Angehörige selbständiger Berufe, Wissenschaftler und leitende Personen der mittelständischen Wirtschaft zusammen, um dem offenen Austausch zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ein Forum zu bieten. Der von Landräten und Rechtsanwälten geleitete Klub, dessen Einzugsbereich der Name umgriff, war keine Korporation vom Schlage eines ,Langnamvereins', sondern er sollte der orientierenden Information über aktuelle Zeitfragen dienen 27 . Die Sat-
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Eine Sonderausgabe der gewerkschaftseigenen Zeitschrift „Feinde der Demokratie" berichtete im Juni 1953 über die Affäre um den ehemaligen Propaganda-Funktionär Werner Naumann: die Bildung des Naumann-Kreises sei zusammengefallen mit Bestrebungen Spindlers, in dessen Altenberger Wohnung eine „nationale Oppositionsbewegung" zu schaffen, Teilnehmer waren u. a. auch Gunter d'Alquen (der ehemalige Redakteur des „Schwarzen Korps" und „Werwolf'-Organisator) und der Schriftsteller Hans Schwarz van Berk; im Terminkalender Naumanns habe man die Namen Kiesinger, Dr. Ohlendorf, Hendrik de Man und Ernst Jünger gefunden (vgl. auch Friedrich Grimm: Unrecht im Rechtsstaat. Tatsachen und Dokumente zur politischen Justiz. Dargestellt am Fall Naumann, Tübingen 1957).
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Gert P. Spindler: Mitunternehmertum. Vom Klassenkampf zum sozialen Ausgleich (Lüneburg o.J. [1951]). Hier entwickelte Spindler ein (gegen die Mitbestimmung gerichtetes) „sozialistisches" Modell innerbetrieblicher Partnerschaft, das Betriebsangehörigen gegen Übernahme von Eigenverantwortung auch eine Teilhabe an den erwirtschafteten Erträgen zugestand.
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Vgl. zu den Erfahrungen der Schwarzmarktzeit Lutz Niethammer: Privat-Wirtschaft. Erinnerungsfragmente einer anderen Umerziehung (in ders. (Hg.): „Hinterher merkt man, daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist". Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet, Bonn 1983, S. 17-105).
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Leiter waren u . a . Landrat Ernst Theodor Loeb-Caldenhof, der spätere Staatssekretär Klaus von der Groeben und der Verteidiger in Nürnberg Justus Koch. Dieser schrieb am 4. August 1953 an Schmitt über das Bemühen, bedeutenden Persönlichkeiten Gehör zu verschaffen, die
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zung versprach in zeittypisch unverbindlicher Unbescheidenheit eine „unabhängige und überparteiliche Vereinigung zum Studium politischer, wirtschaftlicher und kultureller Fragen" in dem Bestreben, „dem inneren und äußeren Frieden und damit der Allgemeinheit zu dienen und die Völkerverständigung zu fördern" 28 . Der Klub verstand es, bis in die späten 60er Jahre hinein Referenten zu verpflichten, über deren Thesen „man gerade sprach" 29 . Auch Carl Schmitt war - neben häufigeren Teilnahmen im Auditorium — im Dezember 1950 als Referent gewonnen worden, blieb bis in die 60er Jahre in engem Kontakt zum Club und führte ihm diverse Referenten zu 30 . Eine vielleicht für die Nachkriegszeit noch bezeichnendere Einrichtung als die vorbenannten waren die allenthalben gegründeten kirchlichen Akademien. Sie trugen wohl wie kein anderes Diskussionsforum dieser Zeit die Atmosphäre der „Stunde Eins" in die 50er und 60er Jahre hinein. Sie waren auch insofern charakteristisch, als sie sich in der Regel eher mit - zum Christentum rückgeschlossenen - Themen aus Kultur und Gesellschaft befaßten, als mit aktueller Politik. Sie wurden von evangelischer wie von der (geistig und organisatorisch eine gewisse Zeitlang führenden) katholischen Seite aus als Besinnungsstätten institutionalisiert und als Plattformen für liberales, tolerantes und ökumenisches Denken sorgsam gepflegt 31 . Hermann Glaser, selbst später Exponent des den Herrschenden und den wechselnden Windrichtungen im Wege ständen, aber: der Studiengemeinschaft sei es bisher nicht gelungen, den „Wall der Uninteressiertheit" zu durchbrechen; am 2. Januar 1954 klagte er über das Raumproblem, auch sei der große Einzugsbereich ein kühnes Unterfangen; er bedaure zwar die geistige Lethargie vieler Schichten, aber man lerne doch viele interessante Leute kennen, wolle „Stützpunkte" bilden und den geselligen Teil der Treffen weiter pflegen (HSTAD RW265-178, Nr. 120, 188). 28 Satzung vom 12. November 1952 (nach Rudolf Morsey: Brünings Kritik an Adenauers Westpolitik. Vorgeschichte und Folgen seines Düsseldorfer Vortrage vom 2. Juni 1954, in: Manfred Funke u. a. (Hg.): Demokratie und Diktatur, Bonn 1987, S. 349-364, hier S. 349 bzw. S. 352); am 27. Mai 1949 referierte auch Ulrich Noack vor dem Rhein-Ruhr-Klub. 29 Auch Gert P. Spindler und Werner Weber sprachen dort; im Januar 1952 referierten Kurt G. Kiesinger und Erich Mende zur Frage: „Ist der Parlamentarismus in einer Krise?" (dabei sollen sie sich beflissen mit Schmitts Gedankengängen auseinandergesetzt haben, wie ein Zuhörer an Schmitt schrieb, Brief vom 29. Januar 1951, HSTAD RW265-220, Nr. 189); im Januar 1955 diskutierte dort Winfried Martini (s. unten, Kapitel4, vgl. dazu den Bericht von Hans Becker: Hat die Demokratie keine Chance mehr? Zu einem Vortrag von Winfried Martini, in: Westfälische Nachrichten/Münsterischer Merkur vom 21. Januar 1955, aus dem die Anwesenheit und die Diskussionsbeiträge von Hjalmar Schacht und Carl Schmitt hervorgehen); im Dezember 1956 setzte sich Konrad Zweigert u.a. mit Carl Schmitts Vorwurf einer justizförmigen Politik auseinander. Die größte Aufmerksamkeit aber erregte am 2. Juni 1954 ein Vortrag Heinrich Brünings über „Die Vereinigten Staaten und Europa" (dazu Morsey, a.a.O.), nach welchem Brüning in Deutschland nicht wieder an die Öffentlichkeit trat. 30 Unter anderem im Januar 1957 Alexandre Kojève, der über „Kolonialismus in europäischer Sicht" sprach. Eine ähnliche Einrichtung war der in Düsseldorf ansässige „Industrieklub", dessen Einzugsbereich sich aber eher in Kreisen der Schwerindustrie befand. 31 Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer 1945-1957 (Stuttgart/Wiesbaden 1981, S.452). Der
1. Oasen der Besinnung
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,Kulturbetriebs', schrieb rückblickend, die Akademien seien „Örtlichkeiten, die für den aufstrebenden Trümmergeist, für die engagierte Bereitschaft, Probleme des Wesentlichen' im Geiste offener Brüderschaft anzugehen, charakteristisch waren - Ausdruck einer in den 50er Jahren dann ihren Höhepunkt erreichenden Begegnungseuphorie, die Studienräte und Pastoren, musisch aufgeschlossene Hausfrauen und zaghaft-skeptische Oberschüler, inspiriert von ehemals jugendbewegten Erwachsenenbildnern, zu Diskussionen in ländlich abgeschiedener Atmosphäre zusammenführte" 32 . Mittelbarer war der Trümmergeist im Bereich der Literatur aufgehoben: Die Schubladen wurden geöffnet und bislang zurückgehaltene Manuskripte dem Druck übergeben. Ausländische Autoren standen hoch im Kurs. Und es war in literarischen Kreisen, in denen ein Mythos des „Kahlschlags" geboren wurde, der noch Jahrzehnte nachwirkte und vornehmlich eine Angelegenheit der Autoren war, die sich der „jungen Generation" zugehörig fühlten. Nur wenigen Vorgängen dieser Zeit haftet eine derartige mythische Qualität an wie der Konflikt ihrer Zeitschrift „Der Ruf" mit der amerikanischen Besatzungsmacht, aus dem heraus sich die „Gruppe 47" konstituierte 33 . Der Vorgang gilt als symptomatischer Wendepunkt im Übergang von der „Befreiung" zur „Besatzung" und aus der integrativen Kraft einer Frontstellung gegen die politischen Entwicklungen bezog die Gruppe ihre Lebendigkeit. Sie wurde zu dem kritischen Forum der 50er Jahre 34 . „Die Gruppe war (und ist teilweise noch), was Deutschland nach 1945 fehlte: Treffpunkt, mobile Akademie, literarische Ersatz-Hauptstadt; und
Akademie-Gedanke rekurrierte auf Piatons Philosophenschule, aber auch auf die wissenschaftlichen Akademien seit der Accademia della Crusca' (1582). Im Jahre 1983 gab es 18 evangelische und 25 katholische Akademien in Deutschland (vgl. H. Boventer (Hg.): Evangelische und katholische Akademien. Gründerzeit und Auftrag heute, Paderborn 1983). 32 Hermann Glaser: Positionen im Trümmerfeld. Reinhold Schneider: ,Das Unzerstörbare' (in: Günter Rühle (Hg.): Bücher, die das Jahrhundert bewegten, Frankfurt/M. 1980, S. 132-136, hier S. 136). Der von Glaser porträtierte Reinhold Schneider verkörperte diese so zeitspezifische Mischung aus Pathos, Christentum und abendländischer Kultur paradigmatisch. Glaser rief 1965 die „Nürnberger Gespräche" ins Leben. 33 Nach Reinhardt (Alfred Andersch, 1990, S. 132) richtete sich die Zeitschrift an die Jahrgänge 1911—1927, ihr „Generalnenner" sollte sein: „Erforschung, Ermutigung, Klärung". 34 „Es gab eine Handvoll zorniger, abgerissener Schriftsteller aller Provenienz, vom Krieg abgebrochene Lebensläufe, denen der ,Ruf' verboten wurde. Sie lasen sich gegenseitig vor grimmig und vor reduziertem Publikum - , was sie hatten drucken wollen. Das war 1947 am Starnberger See [...]. Wie lange dieser Ur-Zustand der Gruppe dauerte, ist schwer zu datieren: dieser Zustand ungehobelter Kameraderie, der Hemdsärmeligkeit, der geschlossenen Duzbrüderschaft, dieses tatsächlich etwas ,Obergefreitenhafte-nach-Entfernung-der-Vorgesetzten' (das sich gut im Haß auf Ernst Jünger erkannte)." Der Erlebnisgrund der Gruppe sei, nach Rolf Schroers, die unbewältigte Vergangenheit, nicht Weimar gewesen, im Entwicklungsprozeß von der Notgemeinschaft zur Interessengemeinschaft sei daher eine etwas ältere Generation ohne Anschluß geblieben (ders. : „Gruppe 47" und die deutsche Nachkriegsliteratur, in: Merkur206, 1965, S. 448-462, hier S. 451-455).
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2. Kapitel — Gespräche
lange bevor es Mode wurde, war sie, was die bundesrepublikanische Gesellschaft inzwischen als selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt: pluralistisch." 35 Die „Gruppe 47" repräsentierte die Suchbewegung derjenigen, die von den „restaurativen" Entwicklungen enttäuscht waren. Ihr entsprach eine gegenläufige der „Heimatlosen" und vermeintlich „Entrechteten". Während die einen mit allen Hoffnungen, die sich aus der „Befreiung" ergeben hatten, in die Defensive gerieten und in einer Oppositionshaltung enger zueinander fanden, hatten sich andere Gruppen vorderhand eher als „Besiegte" definiert. Sie sahen in Besatzung, Entnazifizierung, Reeducation sowie in der demokratischen Umorientierung aufoktroyierte Maßnahmen zur Kastration der politischen Potenz Deutschlands 36 und evozierten schon einmal die Erinnerung an ,Versailles'. Diesen Tendenzen gegenüber wurde die Wahrung von Identität und der Integrität der Persönlichkeit behauptet. Einer dieser Kreise gruppierte sich um Carl Schmitt und soll hier etwas genauer untersucht werden.
2. Die „Academia Moralis e. V. " Die sogenannte „Academia Moralis" war ein zunächst informell zusammengetretener Kreis von Freunden Carl Schmitts, die sich in den Wirren des Nachkriegs wiedergefunden hatten. Die Idee zu regelmäßigen Treffen war um 1948 entstanden - möglicherweise im Zusammenhang mit den ausgebliebenen offiziellen Feiern zu Schmitts 60. Geburtstag. Vorläufer war ein „Godesberger Kreis" gewesen, der sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit um den ehemaligen Bischof Heinrich Oberheid 37 versammelt hatte. Am 5. Februar 1949 trafen sich die Mitglieder der „Academia Moralis" in privatem Kreis wohl zum erstenmal 38 . Gründungsgedanke war, als Gruppe von Personen 35
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Heinrich Boll 1965 (zit. nach Volker Wehdeking: Eine deutsche Lost Generation?, in: Literaturmagazin 7, 1977, S. 145—166, hier S. 151). Carl Schmitt hatte Verbindungen zu einigen Mitgliedern auch dieses Kreises, nicht nur zu Nicolaus Sombart, der zu seinen Gründungsmitgliedern zählte. In den folgenden Jahren machte er die Bekanntschaft von Alfred Andersch, Heinz Friedrich und Rolf Schroers, blieb aber freilich ohne jeden Einfluß auf die Vereinigung. Das Bild vom „kastrierten Kater" Bundesrepublik verwandte noch 1965 Rüdiger Altmann (Späte Nachricht vom Staat, Stuttgart 1968, S. 49). Heinrich Oberheid war Sohn eines Bahnbeamten aus Mülheim, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung im Sekretariat von Hugo Stinnes, studierte Theologie, wurde später Bischof und führender Funktionär der „Deutschen Christen"; baute nach 1945 die deutschen Filialen der kanadischen Stahlhandelsfirma Coutinho-Caro auf, kaufte die Firma Henschel in Kassel auf und war materiell fortan sorgenfrei; er und seine Frau unterstützten Carl Schmitt auch finanziell (nach Ernst Hüsmert, in: Verortung des Politischen. Carl Schmitt in Plettenberg, bearb. von Ingeborg Villinger, Hagen 1990, S.50; Heiner Faulenbach: Ein Weg durch die Kirche: Heinrich Josef Oberheid, Köln 1992). Auch die Bezeichnung „Societas Carolina" war im Gespräch gewesen (vgl. Brief vom 17. März 1949, HSTAD RW265-234, Nr. 4).
2. Die „Academia Moralis e.V."
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ähnlicher Gesinnung und mit ähnlichem Schicksal einen Weg aus der Isolation zu finden und dabei an eine Freundschaft anzuknüpfen, deren große Zeit das Berlin der 30er Jahre gesehen hatte. Wie schon in Berlin, stellte Carl Schmitt auch jetzt wiederum den geistigen Pol des Kreises: „Was wir wollen" hieß es: „Carl Schmitt in seiner Arbeit und seinem Sein stärken" 39 . Aus einer „Kaffeetafel mit vorgängigem Referat" 40 sollte sich mit der Zeit ein lobbyähnlicher Verein bilden, um — wie es dann in Einladungsschreiben formuliert wurde — „das Recht der Persönlichkeit im Massenzeitalter zu vertreten" 41 . Dieses ambitionierte Vorhaben, das vom Anspruch her einem Kreis um Hans Freyer in Wiesbaden entsprach 42 , geriet trotz gelegentlicher Offensiven in die Öffentlichkeit aus ihrer defensiven Grundhaltung nie heraus. Sie besaß klassische Züge einer Sammlungsbewegung der „Heimatlosen" und „Entrechteten", die nach eigenem Verständnis nicht in erster Linie zusammenfanden, um Ressentiments zu pflegen, sondern um auf höchstem Niveau in vorgeblich geistferner Zeit das orientierende und klärende Gespräch zu suchen. Die Mitglieder des Kreises waren sämtlich schon aus den 20er oder 30er Jahren miteinander bekannt; alle hatten sich an an der Etablierung des ,Dritten Reiches' an zum Teil prominenter Stelle beteiligt: neben Carl Schmitt und Heinrich Oberheid bildeten den Kern der Akademie Hans Barion 43 , Hubertus Bung 4 4 und Günther
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Rundbrief an die Mitarbeiter der Festschrift zum 65. Geburtstag Schmitts vom 18. Juni 1953 (HSTAD RW265-234, Mat.-Nr. 10). 40 So der Brief eines Teilnehmers an Schmitt vom 17. März 1949 (HSTAD RW265 -234, Nr. 5). « Rundschreiben an die Beiträger der Festschrift vom 8. April 1953 (HSTAD RW265-234, Mat.-Nr. 10). 42 In diesem Kreis um die Rechtsanwälte Hans Franzen (ehemals Habilitant bei Schmitt) und Hans Martin Müller-Henneberg trat auch Carl Schmitt gelegentlich auf. Als Franzen Schmitt im Februar 1953 zu einem Vortrag Arnold Gehlens nach Wiesbaden einlud, entschuldigte sich dieser mit einem gleichzeitigen Vortrag Ernst Forsthoffs vor der „Academia Moralis", an deren „Zustandekommen und Leitung ich so entscheidend beteiligt bin, dass ich mich nicht absentieren kann" (Schmitt an Franzen am 17. Februar 1953, HSTAD RW 265-178, Nr. 66). 43 Der Kanonist Hans Barion war Anhänger der „Katholischen Aktion" gewesen und mit der Amtskirche in Konflikt geraten, als er früh für die Nationalsozialisten optiert, der Partei beigetreten und Kritik am Reichskonkordat geäußert hatte. Eine Berufung Barions an die Münchner Theologische Fakultät führte 1938 zu deren vollständiger Schließung. Barion bekam keinen Lehrstuhl mehr, wurde Privatgelehrter und übte weiter innerkirchliche Kritik, etwa am II. Vatikanum. Über seine Freundeskreise gab er selbst Auskunft (Erwiderung, in: Eunomia. Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969, Privatdruck Pfungstadt 1969, S. 203-219; zu seinem Fall die Einleitung in ders.: Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, hg. von Werner Böckenförde, Paderborn u. a. 1984, S. 25-75). 44 Der Rechtsanwalt Hubertus Bung war in den 30er Jahren Schmitts Assistent beim NS-Rechtswahrerbund gewesen. Am 8. April 1947 bot er Duschka Schmitt sein Zeugnis über die Vorgänge um 1936 an: er habe Schmitt von 1927 bis 1943 gekannt, dieser sei kein Nazi gewesen,
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2. Kapitel — Gespräche
Krauss 45 , beide ehemalige Mitarbeiter Schmitts, Wilhelm Schmitz46 und Karl Tiesler 47 . Fast alle hatten in der Nachkriegszeit Probleme, ihre persönliche Biographie mit der politischen Entwicklung zu harmonisieren. So unterschiedlich man sich später mit den Verhältnissen zu arrangieren suchte, so rasch fand man in der geistigen Haltung zueinander. Carl Schmitt repräsentierte sie geradezu vorbildlich. Und die Mitglieder solidarisierten sich über seinen „Fall" nicht nur, weil er bislang schon ihr geistiger Mentor gewesen, sondern auch, weil er prominent und selbstbewußt genug war, diese ihre gemeinsame Situation als „Typus" zu vertreten und gedanklich zu überformen 48 . Auf der Basis der „Kaffeetafel" organisierte sich der Kreis immer professioneller, und er nahm sich Aufgaben vor, die über die „Sammlungsbewegung" hinauswiesen: zum „inneren Kreis", der sich regelmäßig um Köln und Düsseldorf herum traf, wurden zunehmend Gäste zu Vorträgen geladen, die den Veranstaltungen ein offizielleres Gepräge verliehen. Mit der Zeit wurde öffentlich plakatiert und auf die Vorträge hingewiesen, was auch einigen Erfolg bescherte 49 . Die Einlader empfahlen sich dabei als unabhängige, d. h. von keiner Besatzungsmacht lizensierte und kontrollierte wissenschaftliche Vereinigung: die „Einheit von Wissen, Gewissen, Situationsbewußtsein und intellektuellem Mut: das ist die wahre Bedeutung des Namens der Academia Moralis" 50 . In der überschaubar bleibenden Gruppe, der sich zeitweilig wohl nur noch der Philosoph und katholische Schriftsteller Walter Warnach 51 als festes Mitglied assoziierte,
sondern habe als Vertreter französischer Denkungsart in Deutschland gegolten und eine „Insel des universalen europäischen Geistes retten" wollen (HSTAD RW265—234, Mat.-Nr. 8). 45 Zu Günther Krauss' Biographie vgl. Kapitel 6. 46 Das 1912 geborene AEG-Vorstandsmitglied Wilhelm Schmitz wurde wohl über Oberheid mit Schmitt bekannt, von ihm demnächst Erinnerungen an die „Academia Moralis" in Piet Tommissen (Hg.): Schmittiana IV (erscheint 1993). 47 Tiesler (1904-1988) war als Pfarrer in Mülheim mit dem Hause Forsthoff bekannt gewesen und hatte über Oberheid 1932 auch Carl Schmitt kennengelernt; in der Nachkriegszeit wurde Tiesler Pfarrer in Bielefeld. 48 Dazu Kapitel 3. Es ließe sich darüber spekulieren, ob der Zusammenhalt der „Academia Moralis" Schmitt auch in Rollenerwartungen eingesponnen hat. 49 Hans Schneider erinnerte sich, daß seinen Vortrag am 2. Mai 1953 über die Entstehung des Ermächtigungsgesetzes ein großes Auditorium verfolgt hätte (pers. Mitteilung). Der Vortrag erschien in den jungen „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte" (l.Jg., Heft3/Juli 1953, S. 197 - 2 2 1 ) mit einem Hinweis auf die „Academia Moralis". Die „Bundeszentrale für Heimatdienst" gab eine erweiterte Fassung in mehreren Auflagen als Broschüre heraus. Auch Roman Schnur trug einmal dort vor (pers. Mitteilung). 50 Begrüßungsansprache anläßlich eines Vortrages von Carl Schmitt am 28. Juli 1951 im Stadtgarten-Restaurant Köln über die „Eindrücke einer Spanien-Reise" (HSTAD RW265-234, Mat.Nr. 10, mit Liste der einzuladenden Gäste). 51 Der 1910 geborene Warnach war Anfang der 50er Jahre Lektor des Schwan-Verlages, gab den
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ergab sich mit der Zeit eine gewisse Rollenverteilung: Günther Krauss blieb zeit ihrer Existenz der „Motor" 52 der „Academia Moralis", Hans Barion übernahm Sekretärsfunktionen, Heinrich Oberheid stellte ein Büro und wohl auch Sachmittel zur Verfügung. Am 29. Februar 1952 allerdings schrieb ein Mitglied an Schmitt über das zum Zweck seiner Unterstützung eingerichtete Sonderkonto, man sei möglicherweise etwas zu diskret damit gewesen, denn es gebe eine Grenze, jenseits derer eine Meldung nicht mehr ankomme: „Jedenfalls hoffe ich, daß Sie nunmehr gesehen haben, wie weit verzweigt doch der Kreis derer ist, die es als Pflicht empfunden haben, Ihnen gegen den Terror, den schwarzen, den roten, den beschnittenen, beizustehen. Daß darunter manches Sühnegeld ist, bestimmt, Gewissensvorwürfe zum Schweigen zu bringen, halte ich für belanglos" 53 . Aus den Gesprächskreisen wurden in unregelmäßigen Abständen, aber einige Jahre lang kontinuierlich stattfindende Vortragsveranstaltungen. Im Laufe der Jahre sprachen dort, neben Carl Schmitt selbst, u.a. Walter Warnach, der Volkskundler Josef Otto Plassmann, Helmut Schelsky, die Juristen Werner Weber, Hans Schneider, Ernst Forsthoff und der Osteuropa-Historiker Peter Scheibert - sie alle gehörten zum weiteren Bekanntenkreis der Akademiemitglieder. Wie sich die Einrichtung finanzierte, ist nicht eindeutig geklärt; es waren aber so viele Spenden aus Industriekreisen dabei, daß neben dem Vortragsprogramm kleinere Unterstützungen möglich wurden: jüngere Freunde der „Academia Moralis" wurden mit Zuschüssen für ihre Anreisen zu den Vorträgen bedacht oder mit kleineren Beträgen in ihren Forschungen gefördert. So konnte man für die Erstellung einer ersten Carl Schmitt-Bibliographie den jungen Belgier Piet Tommissen gewinnen. Im Herbst 1952 startete eine Initiative, den ins Stocken geratenen Verkauf der neuesten Bücher Schmitts über einen pauschalen Ankauf der Remittenden wieder in Gang zu bringen. Gleichzeitig wurde versucht, das Buch über den „Nomos der Erde" durch die gezielte Versendung von Freiexemplaren auch in den USA bekannt zu machen. So hatten im Sommer 1952 auch Bemühungen Erfolg, den Status eines „eingetragenen Vereins" zugesprochen zu bekommen. Die dafür vorgelegte Satzung enthielt freilich einen geradezu zynisch überzogenen Anspruch, der deutlich machte, daß es hierbei eher um die steuerlichen Vorteile als um die versprochenen Bildungsaufgaben ging54. Das aufwendigste Ereignis der „Academia Moralis", gleichzeitig ihre Klimax, war die Ausrichtung der Feierlichkeiten zu Carl Schmitts 65. Geburtstag am 11. Juli 1953. Hierbei wollte man dem Jubilar etwas präsentieren, das den kurz zuvor erschienenen Nachlaß des Dichters E . G . Winkler heraus, hörte Schmitts Antrittsvorlesung in Köln 1933, lernte ihn aber erst im Herbst 1948 persönlich kennen. Warnach wurde später Philosophieprofessor an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf (s.Piet Tommissen (Hg.): SchmittianaIII, Weinheim 1991, S.88). 52 Laut Piet Tommissen (in ders. (Hg.): Schmittianall, Weinheim 1990, S. 156, Anm. 60). 53 Brief vom 29. Februar 1952 (HSTAD RW 265-309, Nr. 68). 54 HSTAD RW265 - 2 3 4 , Briefe Nr. 24, 25, 27, 28.
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Festschriften für Schmitts wissenschaftliche Rivalen Erich Kaufmann und Rudolf Smend vergleichbar war. Es erwies sich jedoch seine Lage und seine Reputation als bei weitem nicht so gefestigt wie bei Kaufmann und Smend. Zwar hatte der zu Ehrende nach wie vor Freunde und Bewunderer genug, eine Festschrift zu füllen, doch häuften sich Vertröstungen und die Zahl der Absagenden. Es war daher bezeichnend, daß die Festgabe ein Fragment und unveröffentlicht blieb55. Die Begleit-Feier mit der zeremoniellen Übergabe der aufwendig eingebundenen Festschrift fand in den Düsseldorfer Rheinterrassen statt. Die „Mitteilungen für den 131er Hochschullehrer" berichteten, zum Geburtstag „gab die Academia Moralis in Düsseldorf einen Empfang, zu dem zahlreiche Gäste aus den In- und Ausland erschienen waren. Es sprachen Prof. Dr. Hans Barion, Bonn, und der wieder amtierende Prof. Forsthoff, Heidelberg. Forsthoff würdigte das Werk des Rechtsdenkers, das zu einem objektiven Bestandteil der deutschen Rechtswissenschaft geworden sei"56. In Erinnerung an diesen Tag schrieb Hans Freyer einige Wochen später an Schmitt: „Einen zugleich so mannigfaltigen und so homogenen Kreis wird man selten finden."57 Erst im Rückblick wurde sichtbar, wie sich an diesem 65. Geburtstag Schmitts, seinem formalen Eintrittsdatum in den Pensionärsstand, innerhalb dieses Freundeskreises gleichsam symbolisch ein Generationenwechsel vollzogen hatte. Die bei der offiziellen Feier noch an einen „Katzentisch" verbannten jüngeren Freunde Schmitts (Nicolaus Sombart, Heinrich Popitz, Roman Schnur, Hanno Kesting, Peter Scheibert, Ernst Hüsmert usw.) gestalteten einstweilen nur das — private — Abendprogramm (man spielte einen Sketch). Sie sollten später aber den Kern derjenigen bilden, die Schmitts Wirkung in die jüngeren Generationen trugen. Trotzdem es der „Academia Moralis" auch nach den Geburtstagsfeierlichkeiten noch gelang, angesehene Referenten zu verpflichten, schien ihr nach dieser Feier die Aufgabe zu fehlen58. Günther Krauss schrieb an Schmitt, die „Academia Moralis" 55
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Ein Mitglied versuchte, die Manuskript-Sammlung Schmitt gegenüber dennoch als dernier cri anzupreisen (Brief vom 25. März 1953, HSTAD RW265-234, Nr. 40; vgl. auch Brief an Schmitt vom 9. Juli 1952: schon 1948 habe man eine Festschrift geplant, die aber „die damalige Zeit- und Wirtschaftslage unmöglich" gemacht habe, HSTAD RW265-457, Nr. 10). Von den „Jungen" trugen bei: Hanno Kesting (Lenins Lehre vom gerechten Krieg), Günther Krauss (Grundrechte und Hegungen), Armin Möhler (Literarische Schnittmuster. Unernste Variationen zu einem ernsten Thema. Johannes Negelinus gewidmet) und Roman Schnur (Maxime Leroy - HSTAD RW265-416, Mat.-Nr. 6). Eine Übersicht der übrigen Beiträger bei Piet Tommissen (Ergänzungsliste zur Carl-Schmitt-Bibliographie vom Jahre 1959, in: Hans Barion u. a. (Hg.): Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Berlin 1968, S. 739-778, hier S. 751).
Heft Nr. 4, Juli 1953, S. 6 (zit. nach Ludwig Elm: Hochschule und Neofaschismus, Berlin 1972, S. 128). Der Herausgeber der „Mitteilungen" (später „Deutsche Hochschullehrer-Zeitung"), Herbert Grabert, wurde — selbst von seinem Lehramt ausgeschlossen — einer der rührigsten rechtskonservativen Verleger der 50er Jahre. Sein Verlag existiert noch heute. 57 Brief vom 9. August 1953 (HSTAD RW265-93, Nr. 84). 58 Ein Mitglied schrieb am 18. November 1955 an Otto Koellreutter: „Praktisch steht diese
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habe wirkliches moralisches Ansehen, einige der „Sieben gegen Theben" seien aber wohl etwas kriegsmüde 59 . Um 1955 brachen sich Verstimmungen innerhalb des Kreises Bahn, und spätestens 1956 scheint nicht nur der „Geist", sondern das Leben insgesamt aus dem Verein gewichen zu sein60. Der Status des „e.V" erlosch und mit ihm auch die Veranstaltungen. Der Grund für dieses Versiegen lag wohl darin, daß mittlerweile fast alle Mitglieder wieder in irgendeine Funktion eingebunden waren und nicht zuletzt mit ihrer Zeit geizten. Über die immanenten Gründe verständigten sich die Mitglieder rückblikkend selbst, nachdem ein Versuch zur Reaktivierung der „Academia Moralis" in den Jahren 1965/66 derart zäh verlief, daß auch dieser bald einschlief. Ein Mitglied schrieb: „Ist nicht vielleicht für uns die Zeit der ,Aktionen' längst vorbei? Was wir in dieser Hinsicht zu der Zeit, die unsere Zeit war, nicht oder nicht richtig gemacht haben, können wir nicht nachholen: Jedenfalls muß ich das für mich sagen." 61 Andere bestätigten, die Runde „war doch eigentlich eine sehr zeitgebundene Sache, die sich über die Zeit der allgemeinen Wirrnis hinaus nur sehr schlecht konservieren ließ" 62 . Der Grund dafür wurde auch benannt: „Geändert hat sich aber auch die existenzielle Verfassung der Betroffenen, die sich 1945ff. alle in vergleichbaren Situationen befanden. Inzwischen hat fast jeder auf eine andere Art seinen Separatfrieden mit dieser Welt geschlossen" 63 . Am 25. März 1967 stellte Günther Krauss Schmitt gegenüber resigniert fest: „Meine Versuche zur Wiedererweckung der letzteren muß man wohl als gescheitert betrachten, da nicht alle Lust und Liebe dazu haben und gutgemeinte Vorschläge eine Kritik hervorrufen, der man sich nun doch nicht weiter aussetzen möchte. Die alten Themenvorschläge sind wohl überholt, neue habe ich nicht zu machen. [...] Es wächst - die Preisverleihung an Möhler und anderes zeigt es - auch anders, aber, wie ich fürchte, zu langsam. Jedenfalls von der AM aus kann man nichts mehr dazu tun." 64 Damit war die „Academia Moralis" ein Verein seligen Angedenkens. Bis die Mitglieder derart strukturierter Kreise ihren Separatfrieden' mit der Bundesrepublik geschlossen hatten, konnte u . U . längere Zeit vergehen. Günther Krauss verkörperte in paradigmatischer Weise die heimatlose Suchbewegung der „EhemaliAkademie, die am 65. Geburtstag von Herrn Professor Schmitt so gefestigt schien, infolge einer sehr plötzlichen und mir bis heute nicht durchschaubar gewordenen Mutatio rerum fast seit jenem Tage nur noch auf den Schultern von Herrn Dr. Krauss und mir" (HSTAD RW 265 - 2 2 4 , Nr. 110). 59 Brief vom 13. Februar 1954 (HSTAD RW265 - 2 3 4 , Nr. 87). 60 Eine „Krisensitzung" war für Januar 1956 angekündigt (Brief vom 27. November 1955, HSTAD RW265-234, Nr. 99). 61 Brief an Günther Krauss vom 14. Mai 1965 (HSTAD RW265-234, Nr. 123). « Brief an Günther Krauss vom 19. Mai 1965 (HSTAD RW265-234, Nr. 124). « Brief an Günther Krauss vom 12. April 1967 (HSTAD RW265-234, Nr. 176). « Brief vom 25. März 1967 (HSTAD RW265-178, Nr. 449). Krauss bezog sich auf den Preis der Deutschland-Stiftung 1965 an Möhler (s. dazu die Biographie Möhlers in Kapitel 7).
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gen" in den ideologiefeindlichen 50er Jahren, die sich in geradezu manischer Zirkelbildung äußerte. Er war Mitglied gleich mehrerer derjenigen Vereinigungen, deren Existenz im jungen Bonner Staatswesen seit der „Werwolf'-Aktion von 1945 die ständig beunruhigende Mutmaßung nährte, ein antidemokratischer Umsturz stehe unmittelbar bevor. Eine davon war die im November 1950 an die Öffentlichkeit tretende sog. „Erste Legion", die sich gegen den Egoismus der Parteien, den Klassenkampf und den Kommunismus aussprach. Nur wenig Informationen drangen über die Zusammensetzung dieses Kreises ans Tageslicht, den folglich eine Aura der Verschwörung umgab 65 . Sowohl Gerhard Schröder und Kurt G. Kiesinger als auch Erich Mende und Hans Joachim von Merkatz wurden immer wieder mit der „Legion" in Verbindung gebracht. Nach einem aide-mémoire des Spindler-Kreises war sie als Reservearmee der C D U für einen Staatsstreich von oben gedacht und bezog sich angeblich auf Konzeptionen Carl Schmitts, um einen „Volksstaat" zu etablieren. Nachdem sich zunächst die SPD gegen jegliche Mitgliedschaft in der „Ersten Legion" ausgesprochen hatte, fühlte sich auf öffentlichen Druck hin auch die C D U zu der Erklärung genötigt, eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der Partei und der „Legion" seien miteinander unvereinbar 66 . Funktional gesehen sollten sich aber ,Erste Legion' oder die ,Abendländische Akademie 67 ', entgegen ihrer undemokratischen Satzungen, als Integrationsverbände im Dienste der zweiten deutschen Republik erweisen. Zum Teil dienten auch das „Kuratorium Unteilbares Deutschland" oder die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" 68
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Kurt P. Tauber (Beyond, 1967, S. 1134) vermutet, die Leitung habe bei Heinrich Böx (Bundespressechef), Adolf Dedekind und einem Herrn Schmalz gelegen, die möglicherweise von der Bundesregierung gefördert worden seien, um Rechtsextreme auf Adenauer-Kurs zu bringen. Mitglied war wohl auch Friedrich August Freiherr von der Heydte (ebd., S. 287). Fritz Heine: Die SPD und die Erste Legion (in: Die Welt vom 26. Januar 1951, S.2, wo er Vergleiche zwischen der .Legion' und der SS bzw. dem Ku-Klux-Klan zog); sowie: CDU will Mitglieder der Ersten Legion ausschließen (in: Die Welt vom 7. September 1951). Diese trat zuerst unter dem Namen „Abendländische Aktion" auf und griff auf „Abendland"Vorstellungen der Zwischenkriegszeit zurück. Seit 1952 tagte die „Abendländische Akademie" bis in die 60er Jahre, und obwohl etliche Mitglieder früher Regierungen und prominente kirchliche Würdenträger an den Veranstaltungen teilnahmen, waren die Diskussionen durchaus nicht immer staatskonform, sondern kreisten um die Klage mangelnder gesellschaftlicher „Homogenität". Meist ging es um die Ausgestaltung eines streng hierarchisch strukturierten, von manchen Teilnehmern wohl auch monarchistisch gedachten Staatswesens. Schmitt wurde gelegentlich in den (veröffentlichten) Diskussionen erwähnt (vgl. Immanuel Geiss: Auf dem Wege zum ,Neuen Abendland', in: Die neue Gesellschaft, Heft 6/1955, S. 41-46; Die missionäre Monarchie, in: Der Spiegel vom 10. August 1955, S. 12-14 sowie Gerhard Kühlig: Das Programm der Abendländischen Akademie, in: Staat und Recht, 6.Jg., Heft7/1957, S. 727-737). Dazu Leo E Kreuz: Das Kuratorium Unteilbares Deutschland. Untersuchungen zu einer deutschlandpolitisch tätigen Institution (Opladen 1980); Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als anti-
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dem Zweck, ν. a. bei den virulenten Problemen „Nationalismus", „Identität" und „deutsche Frage" umläufige Alternativ-Optionen zur parlamentarischen Demokratie bzw. zur Politik der Westintegration zu binden. Selbst die FDP oder der ,Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten' haben rückblickend bewirkt, vermeintlich durch das ,Dritte Reich' nicht widerlegte Modelle der „Konservativen Revolution" in den parlamentarischen Willensbildungsprozeß zu integrieren 69 . Die Mitgliedschaften von Abgeordneten, ja Regierungsangehörigen an den rechten Zirkeln belegt aber zugleich, wie prekär selbst bei gewählten Volksvertretern die Verwurzelung demokratischer Überzeugungen in der frühen Bundesrepublik für lange Zeit blieb. Günther Krauss hat offenbar versucht, Carl Schmitt zur Mitarbeit in der „Ersten Legion" zu bewegen 70 . Wie bei anderen Konventikelbildungen rechter Art hat sich jedoch auch hier Schmitt - anders als sein Kollege Otto Koellreutter 71 - jeglicher Mitarbeit entzogen. Trotzdem war und blieb Schmitt Projektionsfigur verschiedenster Verschwörungsbefürchtungen, denn sein Name tauchte immer wieder im Zusammenhang mit antidemokratischen Kreisbildungen auf. Eine aktive Mitarbeit Schmitts an einer „Verschwörung von rechts" 72 ist jedoch bislang nicht nachweisbar. Gleichwohl wird man die ideelle Bedeutung Schmitts für rechte Sammlungsbewegungen in der Bundesrepublik diskutieren müssen und dies ist immer wieder getan worden 73 . Zweifellos bildete er im geistigen Lager der Konservatikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948—1959 (München 1987). Vgl. auch den „Deutschen Klub 1954". 69 Dieses Bemühen v. a. des nordrhein-westfälischen Landesverbandes und die Herausbildung der sog. „Absorbtionsthese" läßt sich nun nachvollziehen in Udo Wengst (Hg.): FDP-Bundesvorstand. Die Liberalen unter dem Vorsitz von Theodor Heuss und Franz Blücher. Sitzungsprotokolle 1949—1954 (2Bde., Düsseldorf 1990). Initiativen wie die „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise" versuchten demgegenüber, einer vermeintlichen „Renazifizierung" durch „Antidemokraten" entgegenzusteuern. 70 Vgl. Tommissen (in ders. (Hg.): Schmittianall, 1990, S. 158f.), der unter Berufung auf einen Brief Krauss' vom 3. September 1985 bestätigt, Mitglieder seien tatsächlich Kiesinger, Merkatz und Mende gewesen und es seien Mitteilungen unter dem Titel „Der Deutsche" erschienen. 71 Koellreutters Engagement für die Sache der „Entnazifizierungsgeschädigten" und amtsverdrängten Hochschullehrer schlug sich in mehreren Veröffentlichungen nieder (ζ. B.: Die Entnazifizierung eine Sünde wider Recht und Ehre, Landau 1954). Auch der Volkstumsforscher Max Hildebert Boehm wurde Vorsitzender eines „Notverbandes amtsverdrängter Hochschullehrer" mit Sitz in Lüneburg (vgl. HSTAD RW265-220, Mat.-Nr. 20). 72 So der Titel eines Buches von Manfred Jenke (Verschwörung von rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961, sowie ders.: Die nationale Rechte. Parteien, Politiker, Publizisten, Berlin 1967). 73 Zum Beispiel Roland Meister: Mittler faschistischen Staatsdenkens: Carl Schmitt (in: Staat und Recht, 16. Jg. (1967), S. 942-962); Friedrich Tomberg: Konservative Wegbereitung des Faschismus in der politischen Philosophie Carl Schmitts (in: Das Argument 87, Heft 7-9/1974, S. 604-633); Hans-Dieter Bamberg: Die Deutschland-Stiftung e.V Studien über Kräfte der
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ven eine feste Größe, die man über seine Initiativen auf dem laufenden hielt und für sich zu gewinnen suchte 74 . Daß Schmitt dabei - so sehr er als „Kronjurist" und „Wegbereiter" galt — auch als Denker mit deutlicher Distanz zum Nationalsozialismus im Bewußtsein stehen konnte, der sich gleichwohl der Entnazifizierung verweigerte, steigerte seine Attraktivität für defensive Gesprächszusammenhänge aller Art. Und es waren namentlich seine frühen Analysen der Schwächen des parlamentarischen Systems, die auch Angehörigen jüngerer Generationen nach ihren ersten Erfahrungen mit dem neuen Staatswesen Bundesrepublik treffend erscheinen konnten. Am 18. Oktober 1959 erreichte Schmitt der Brief eines ehemaligen Mitglieds einer Tischrunde, die einst im Plettenberger Bahnhofsrestaurant unter der Mentorenschaft Schmitts versucht habe, „eine Gemeinschaft der Kriegsgeneration zu bilden, in der wir ein Gegengewicht erfühlen konnten zur allgemeinen Befreiung des Abendlandes, die sich inzwischen teilweise bis zur extremen Nudität entwickelt" habe. Seinen Brief, so der Absender, solle Schmitt begreifen als „Nach-Denken eines suchenden jungen Deutschen, der seit den Tagen des Kampfes und des Niederganges nicht mehr zur Ruhe kommt. Wir meinen eben auch heute noch helfen und verteidigen zu müssen, wenn man uns Wertvolles in den Schmutz zu zerren versucht. Und wir sind froh, daß es so ist, daß wir nicht zu denen gehören, die mit der Litanei zwischen Hosianna und Kreuziget ihn wechselweise Charakter vortäuschen" 75 . 1952 hatte der junge Journalist Josef („Sepp") Schelz aus Lüdenscheid diese Tischrunde begründet und sich dabei ratsuchend an Schmitt gewandt 76 . Was die später als nationalkonservative Splittergruppe 77 bezeichnete Runde umtrieb, ging aus einer im Selbstverlag herausgegebenen Broschüre hervor, die noch einmal alle Einwände zusammenfaßte, die eine jugendliche Kritik am „Establishment" des neuen Staates seit
„demokratischen Mitte" und des Konservatismus in der Bundesrepublik Deutschland (Meisenheim/Glan 1978, dort S. 244 über Schmitt, „ . . . der m. E. als ein wichtiger Lehrmeister der ,Deutschland-Stifter' anzusehen ist"); zuletzt Thomas Assheuer/Hans Sarkowicz: Rechtsradikale in Deutschland. Die alte und die neue Rechte (München 2 1990). 74 Schmitt verweigerte, sich von rechten Lobbyisten „einspannen" zu lassen, so auch vom späteren BHE-Mitglied Wilhelm Ziegler, der an Schmitt schrieb: er habe sich schon oft gefragt: „Wo ist eigentlich Carl Schmitt geblieben? Denn man hörte und sah nichts von Ihnen." Ob er mit Schmitt einmal wegen seiner Kandidatur für die „Unabhängigen" in Hessen - zunächst rein privat - sprechen könne (Brief vom 2. September 1949, HSTAD RW265 - 2 2 0 , Nr. 70). 75 Brief vom 18. Oktober 1959 (HSTAD RW265-178, Nr. 243). 76 Brief vom 15. Juni 1952 (HSTAD RW265 -457, Nr. 9). Schelz, Jg. 1917, schrieb zahlreiche Artikel über Schmitt, meist zu dessen Geburtstagen, und wurde später Herausgeber des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts". Der Bezug auf Schmitt findet sich allenthalben in Sepp Schelz: Sekundenzeiger. Ein Lesebuch aus Zeitungsberichten (Hamburg 1977); zwei Jahre später gab er mit Schmitt und Eberhard Jüngel zusammen einen Band mit Texten über „Die Tyrannei der Werte" heraus (Hamburg 1979). π Tauber: Beyond, 1967, S. 1301.
2. Die „Academia Moralis e. V. "
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1945 umgetrieben hatte 78 : die drängenden Probleme - auch Identitätsprobleme - der „Erlebnisgemeinschaft" der Kriegsgeneration seien den überalterten und restaurativen Politikern des „Bonner Systems" verschlossen. Niemand bemühe sich um eine echte geschichtliche Kontinuität, die Parteien hätten sich mediatisierend zwischen den Staat und die Bevölkerung geschoben, der Verwaltungsapparat sei aufgebläht, niemand bemühe sich ernsthaft um die Wiedervereinigung und damit um „die natürliche Mittlerrolle Deutschlands im weltpolitischen Kräftespiel" 79 . Die „Sammlung der Kriegsgeneration" versuchte wie andere freie Wählervereinigungen in die Kommunalparlamente zu gelangen, scheiterte aber bereits an den Gemeindewahlen der Stadt Lüdenscheid 80 . Die identifikationsbereite Suche einer jungen Generation nach politischen Partizipationsgelegenheiten stieß auf eine politischsoziale Kälte, die schon kurz nach der Gründung der Bundesrepublik bereits wieder Staatsverdrossenheit spürbar werden ließ. Sie entsprang der Beobachtung, daß der Spielraum der Politik in der Bundesrepublik nicht nur außenpolitisch wenig Alternativen anbot, sondern auch innenpolitisch ein moralisch eingebundener, kleinschrittiger Pragmatismus vorherrschte. So konnte sich der alte Affekt der Volksvertretung gegenüber nähren, beim Parlament handele es sich vornehmlich um eine „Quasselbude". Diese Bedenken verbanden sich mit dem nach wie vor drängenden Bedürfnis nach Orientierung und geistiger Verortung und setzten die Bereitschaft zum Gespräch bis weit in die 50er Jahre hinein fort. Abseits der offizösen Kultur und abseits der parlamentarischen Foren wandte sie sich dabei immer stärker von der Vergangenheit ab und der Gegenwart wie der Zukunft zu. Vortragskreise und Tagungen wurden institutionalisiert, und der gepflegte Gedankenaustausch an illustrer Stelle (in Klöstern, Akademien, Bahnhofshallen oder Hotels) sollte dem entschlußlosen „Reden" das „echte Gespräch" gegenüberstehen. „In Darmstadt pflegt man seit 1951 das ,Gespräch'", hieß es 1955, „mit solchem 78 79
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Sepp Schelz: Aufbruch der Kriegsgeneration (Lüdenscheid/Wuppertal 1952). Ebd., S. 23. In Schmittschem Geist formulierte Leitsätze sollten abschließend der Vertrauenskrise der jungen Generation in den neuen Staat begegnen. Aus einem Flugblatt ging hervor, daß die etablierten Parteien zu verhindern wußten, der „Sammlung" eine eigene Reserveliste zu gewähren. Daraufhin bot der BHE ihr einige „aussichtsreiche" Stellen auf der Wahlliste (HSTAD RW265 - 2 7 6 , Mat.-Nr. 5). In den Erinnerungen Wolf Schenkes (Siegerwillen, 1988, S. 365) wird Schelz als Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft Nationaler Gruppen" erwähnt, der im November 1952 als deren Vertreter in den Vorstand der neugegründeten „Gesamtdeutschen Volkspartei" Gustav Heinemanns gewählt wurde. - Über einen sich zur gleichen Zeit und nicht weit entfernt entwickelnden, den sog. „Bergheimer Kreis" in Kamen, berichtet Everhard Holtmann (Die neuen Lassalleaner. SPD und HJ-Generation nach 1945, in: Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.): Von Stalingrad zur Währungsreform, München 1988, S. 169-210): über ehemalige lokale HJFührer versuchte der Kreis, die eigenen leistungs- und gemeinschaftsorientierten Erfahrungen aus Bergarbeitermilieu und Fronterlebnis in die SPD-Politik umzusetzen und wurde so zu einem Vorläufer der Öffnung der SPD zur Volkspartei seit Godesberg.
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2. Kapitel — Gespräche
Erfolg, daß man kaum noch einen Bestandteil dieser Wortverbindung auszusprechen vermag, ohne daß sich gleich der andere einstellt." Gemeint war das unter den wie ein „lässig ausgestreuter Wurf von Samenkörnern" über Deutschland verteilten Veranstaltungen angeblich herausragende „Darmstädter Gespräch" 81 . Dessen erstes Thema, „Das Menschenbild in unserer Zeit", wurde über die Jahre vielfach variiert, dabei hielt sich das dem Elan der ersten Nachkriegsjahre geschuldete „O-Mensch-Pathos", wie ein Beobachter vermerkte, bis in die Zeit der späten 60er Jahre 82 . Zum vierten Gespräch über die Bedrohung des Menschen durch die Organisation war auch Carl Schmitt eingeladen worden 83 . Schon 1955 freilich wurde konstatiert, das „Darmstädter Gespräch" sei eigentlich kein „Gespräch" mehr gewesen, These und Antithese seien ohne Synthese geblieben, und „nicht einmal in engeren Bezirken" hätten sich die Meinungen durchdrungen und befruchtet 84 . Daß die Teilnehmer, wie ein Beobachter feststellte, im allgemeinen dennoch recht guter Laune gewesen seien, „lag eher daran, daß heutzutage an derlei Unternehmungen schon von den Veranstaltern und erst recht von den herbeigeströmten Scharen mit einem guten Schuß Nüchternheit, um nicht zu sagen Zynismus herangegangen wird" 85 . Der Ernst der Diskussionen und ihr existentieller Ethos hatten sich verausgabt, aus den Gesprächen wurden Monologe und ein leicht gelangweiltes Tagungs-Jetset bemächtigte sich der Veranstaltungen. Trotzdem verhalfen die Treffen einigen der prägenden Strukturen des geistigen Lebens der 50er Jahre zum Ausdruck. Sie trafen Bedürfnisse und fanden nicht nur ein lebhaftes Interesse, sondern wurden auch offiziös zur Orientierung und Besinnung als erwünscht und für „volkspädagogisch wertvoll" erachtet, kurz: sie stellten eine subventionierte Leitvorstellung der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik dar. Aber
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Hellmut Jaeserich: Kein Gespräch in Darmstadt (in: Der Monat, Nr. 81, Juni 1955, S. 265-269, hier S.265). In ähnlicher Weise etablierten sich die „Cappenberger", „Starnberger", „Aschaffenburger" Gespräche etc., sowie, seit 1962, der „Bergedorfer Gesprächskreis zu Fragen der freien industriellen Gesellschaft". Über die „Kölner Mittwochsgespräche" jetzt Rainer Steinberg: „Rangierbahnhof des Geistes" Die Kölner Mittwochsgespräche 1950-1956 (in: Geschichte im Westen, 7. Jg., Heft2/1992, S. 186-201). 82 Gert Kalow: Die Evolution der Gedanken geht weiter. Zum zehnten Darmstädter Gespräch (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 231, vom 4. Oktober 1968, S. 32). 83 Brief vom 5. Mai 1953. Schmitt sagte offenbar zu, ob er bei dem Gespräch vom 2 6 . - 2 8 . September 1953 tatsächlich anwesend war, ist unklar (HSTAD RW265-93, Nr. 73, 74). 84 So Jaeserich (in: Der Monat, 1955, S.268). Enttäuscht schon vom Gespräch 1952 über „Mensch und Technik" zeigte sich Wolfgang de Boer (Mensch und Technik. Gedanken zum dritten Darmstädter Gespräch (20. bis 22. September 1952), in: Merkur59, Heft 1/1953, S. 8 3 - 8 7 ) und führte dies u.a. darauf zurück, daß die „erste Garnitur" der Zeitgeistdeuter (E. Jünger, Ortega y Gasset, Jaspers, Guardini, Heidegger, de Man) zu Hause geblieben sei (ebd., S. 85). R5 Jaeserich (in: Der Monat, 1955, S. 269).
3. „... daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens ende"
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sie trafen bald nicht mehr „Wesentliches" oder „Existentielles", sondern waren zu Veranstaltungen herabgesunken, die das eigentliche Leben allenfalls begleiteten und nach und nach in den Bannkreis kulturindustrieller Verfügbarkeiten gerieten.
3. „... daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens ende" — Kreise und Gespräche In der Typologie des Gesprächswesens dieser Zeit fällt die Unterscheidung zwischen offenen, eine positive Integration möglichst vieler Teilnehmer anstrebenden, und geschlossenen, d.h. sich negativ integrierenden, Kreisen auf. Oft war der Unterschied bereits in der Bezeichnung abzulesen: waren die ersteren in der Wortwahl oft recht anspruchsvoll, brachten die anderen ihre Exklusivität in Bezeichnungen zum Ausdruck, die tendenziell in Richtung Subkultur konvergierten 86 . Eine Zwischenstellung nahmen die mit Verzögerung nach dem Krieg wieder- oder neugegründeten Freimaurer-, Rotary- und Lions-Verbände ein, die - zugleich exklusiv und verständigungsbereit — das halböffentliche Clubwesen des vormodernen Bürgertums konservierten und dadurch in einer Zeit, die in mehr als nur dem politischen Bereich bürgerliche Lebensweise „restaurierte", eine sinnfällige Verkehrsform bezeichneten 87 . Sie leiteten strukturell über zur Funktion des Klubwesens als einer Instanz zur Abstimmung von Partikularinteressen, wie sie in „Führungskreisen" administrativer, wirtschaftlicher und militärischer Bereiche üblich sind 88 . In einer Zeit des relativen institutionellen Vakuums nach 1945 bezweckten die Kreise die Wiederherstellung einer intellektuellen Infrastruktur. Wenn es auch vielerlei Anknüpfungspunkte an bereits bestehende Gruppen gab (etwa an die Oppositionsund Widerstandskreise der 30er und frühen 40er Jahre 89 ), vollzog der ganze Vorgang
86
„Europäisches Gespräch" in Recklinghausen, „Transatlantisches Gespräch" im „Monat", „Mundus Christianus", „Abendländische Akademie" etc. auf der einen, „Der Bund", „Der Club zu Bremen", „Die Tafelrunde" etc. auf der anderen Seite.
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„Der Spiegel" dichtete über das Rezept der „Rotarier": „Geschäftsbeziehungen möglichst weltweit durch freundschaftlich-philanthropische Bande zu überwölben und zugleich mit dieser im Zahnrad symbolisierten internationalen Vernetzung von Besitzenden, Bestimmenden und Bedeutenden auch der ländlichen und kleinstädtischen Oberschicht den Ruch des Provinziellen zu nehmen." („Rotary - Filz mit Nadelstreifen", in: Der Spiegel, 37. Jg., Nr. 21, vom 23. Mai 1983, S. 5 6 - 7 4 , hier S. 57).
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Im Bereich des Politischen kennt man die abschätzig als „Kungel-Klubs" (so ζ. B. Bild am Sonntag, 39.Jg., Nr.8, vom 23.Februar 1992, S.40) bezeichneten Abgeordneten-Kreise („Seeheimer Kreis", „Schaumburger Kreis", „Elbe-Kreis" etc.). Zu der Vielzahl der widerständischen „Kreise", die während der Kriegszeit „wie Pilze nach warmem Regen" gewachsen seien, jetzt — ironisch — Helmut Heiber (Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1: Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz,
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2. Kapitel — Gespräche
gewissermaßen im Zeitraffer noch einmal die Entwicklung nach, die seit der Frühaufklärung zur Herausbildung einer bürgerlichen „Öffentlichkeit" und zu ihrer politischen Organisation geführt hatte. Insofern waren die Gesprächskreise zunächst notwendige Vorstufen zu einer wiederhergestellten, die Gesamtgesellschaft umgreifenden politischen Willensbildung. Salons, Clubs, Geheimbünde, Logen, Orden sowie Vereine und gelehrte Gesellschaften in der Struktur des 19. Jahrhunderts, aber auch die gelehrte Buch- und Briefkorrespondenz, waren adäquate Geselligkeitsformen und oft auch vorläufiger Partizipationsersatz 90 . Sie stellten Basisformen des Politischen dar, die in ihrer Zusammensetzung und in ihrem ,Ethos' die Tragfähigkeit der politischen und gesellschaftlichen Optionen der Teilnehmer in der frühen Bundesrepublik um so stärker erprobten, als sie von erhalten gebliebenen Großstrukturen der Politik bald wieder zurückgedrängt wurden 91 . Daher schufen nicht nur Bündnisse von Vordenkern Kohäsionen, sondern auch Freundeskreise der Verprellten, die eine „Ohne-mich"-Haltung, einen Rückzug aus der Politik, wenn nicht der Geschichte überhaupt signalisierten. Die Kreisbildungen und halböffentlichen Gespräche verwiesen aber auch auf das starke emotionale Mißtrauen, das in der bundesrepublikanischen Gesellschaft anfänglich dem demokratischen Institut der bürgerlichen Öffentlichkeit' entgegengebracht wurde und das sich u. a. im Affekt gegen die sog. Lizenzpresse äußerte. Der Rückzug in die Privatsphäre konnte in diesem Sinne auch als Absage an die Sphäre der Öffentlichkeit verstanden werden. Ob man sich stärker der Weimarer Zeit und ihrer Öffentlichkeit als „Diktatur des Man" (Heidegger 92 ) erinnerte oder des ,Dritten Reiches'
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München u. a. 1991, S. 187f.). Dabei habe es sich oft nur um Zirkel gehandelt, die sich mit kollektivem Meckern begnügt hätten. Als erster Salon gilt der 1613 von Madame de Rambouillet gegründete, seine Spätblüte in Deutschland wurde oft getragen von den Ehefrauen großer Nationalökonomen: von Marianne Weber, Corina Sombart oder Thea von Beckerath. Über eine paradigmatische gelehrte Gesellschaft (deren letzte Sitzung 1944 übrigens den „Begriff des Staates" bei Carl Schmitt und Otto Brunner behandelte) vgl. Klaus Scholder: Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932 bis 1944 (Berlin 1982); zum Gesamten vgl. Lucian Hölscher: Öffentlichkeit und Geheimnis (Stuttgart 1979). Jüngst hat Wolfgang Schlott auf die Netzwerkbildung informeller Gruppen als Vorstufe zu demokratischen Öffentlichkeitsformen in der Sowjetunion hingewiesen und damit bestätigt, daß es sich hierbei um ein wiederkehrendes Phänomen der .intellectual history' handelt (Subkulturen, informelle Gruppen und TeilÖffentlichkeiten: Zur Entstehung neuer Organisationsformen in der UdSSR der späten achtziger Jahre, in: 1999, Heft3/1992, S. 88-100). Dies gilt auch etwa für die Betriebsräte, die Antifas etc. (vgl. Ulrich Borsdorf/Peter Brandt/ Lutz Niethammer (Hg.): Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976). Martin Heidegger meinte, Öffentlichkeit sei eine Seinsweise des Man „weil sie unempfindlich ist gegen alle Unterschiede des Niveaus und der Echtheit. Die Öffentlichkeit verdunkelt alles und gibt so das Verdeckte als das Bekannte und jedem Zugängliche aus" (Sein und Zeit, Tübingen u1967, S. 127).
3. „... daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens ende"
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mit seiner manipulierten Akklamationsöffentlichkeit 93 - nun wurde es zu einem Gebot der inhaltlichen Ausdeutung der bundesrepublikanischen Verfassung als „repräsentativer Demokratie", diese Öffentlichkeit in die politische Theoriebildung einzubeziehen. Grundsätzliche Positionen zur Demokratie wurden hierdurch offenbar. Dabei konnten sich Vertreter des Prinzips der Repräsentation, die im Gefolge Schmitts das Prinzip der Öffentlichkeit als liberale Illusion werteten 94 , durch die politische Praxis zunächst eher bestätigt fühlen als die Befürworter einer „kritischen Öffentlichkeit" 95 . Unter dem Banner grundsätzlich „freiheitlicher" Meinungsäußerung wurde auch in den 50er Jahren, für jeden spürbar, gezielte „Öffentlichkeitspolitik" betrieben. Adenauers legendäre „Teegespräche" und die Versuche zur Einrichtung eines regierungsnahen „Deutschland-Fernsehens" 96 erregten entsprechende Aufmerksamkeit. Angeblichen „Feinden der Demokratie" drohte über die Möglichkeit zu einem Parteienverbot der Entzug der Öffentlichkeit. Selten auch gab es derartige Verteilungskämpfe um den 93
Einen Zwischenbericht zu diesem Problemkreis für die Nachkriegszeit gab Rudolf Smend: Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit (in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht. Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München o.J. [1954], S. 11-20, unter Hinweis auf die Dissertation von Rüdiger Altmann, s. dazu Kapitel7). Wilhelm Hennis (Der Begriff der öffentlichen Meinung bei Rousseau, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. 43, Heft 1/1957, S. 111-115, hier S. 111): „Dabei ist der Begriff der öffentlichen Meinung wie wenige geeignet, als eine Art Leitseil die Wandlungen des verfassungsrechtlichen Denkens während der letzten zwei Jahrhunderte deutlich zu machen." 94 Dazu Joseph H. Kaiser: Die Repräsentation organisierter Interessen (Berlin 1956; sowie ders. : Die Dialektik der Repräsentation, in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, Berlin 1959, S. 71-80). Repräsentation war bei Schmitt verbunden mit einer Sichtbarmachung von Herrschaft, mit einer Abwehr indirekter Gewalten gegen die Autorität und Souveränität der politischen Entscheidung des Staates, s. die Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form" (1923). Zur Wortgeschichte s. Hasso Hofmann: Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (Berlin 1974). 95
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Vgl. grundlegend Gerhard Leibholz: Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert (zuerst 1929), der Vortrag von Martin Drath: Die Entwicklung der Volksrepräsentation (Bad Homburg/Berlin 1954) sowie v. a. die Frankfurter Schule (dazu Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung, Frankfurt/M. 21989, S. 479ff.) und hier besonders Jürgen Habermas, vgl. dessen Besprechung der Arbeiten von Hanno Kesting und Reinhart Koselleck (Verrufener Fortschritt - verkanntes Jahrhundert, in: Merkur 147, Heft5/1960, S. 468-477, hier S. 472): „Ihrer eigenen Idee zufolge sollte Publizität der politischen Entscheidungen es ermöglichen, den Grundsatz auctoritas non Veritas facit legem umzukehren: nämlich die Tätigkeit des Staates durch öffentliches Räsonnement mit dem Interesse der Nation, faktisch mit dem bürgerlichen Klasseninteresse in Übereinstimmung zu bringen." Die Politik des „Schweigens" beschrieb an einem anderen Beispiel Gottfried Niedhart: Schweigen als Pflicht. Warum Konrad Adenauer die Stalin-Note vom 10. März 1952 nicht ausloten ließ (in: Die Zeit, Nr. 11, vom 6. März 1992, S. 49f.).
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2. Kapitel — Gespräche
Zugang zur Publizität, gab es eine derartige Vielfalt an Presseorganen, Informationsdiensten, Rundbriefen etc. - Verteilungskämpfe auch um die begrenzte Aufmerksamkeit des Publikums. Dennoch (oder gerade deshalb) formierte sich in den 50er Jahren vor allem das Zeitungswesen als eine „vierte Kraft" im Gefüge der Demokratie, und den Medien gelang es endgültig, sich als Repräsentanten der öffentlichen Meinung zu etablieren. Die Kreis- und Zirkelbildungen brachten aber auch zum Ausdruck, wie unter der Oberfläche zur Schau gestellten Stolzes und Saturiertheit Orientierungslosigkeit auch und gerade in den globalen Fragen einer „Ortsbestimmung der Gegenwart" 97 schwelte. Die Grundstimmungen hatten sich in den 50er Jahren gegenüber denjenigen der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht entscheidend gewandelt. Biographische, literarische oder filmische Quellen machen diese emotionalen Unsicherheiten bis heute nachvollziehbar. Friedrich Sieburgs Mitte der 50er Jahre so erfolgreiches Buch über „Die Lust am Untergang" reflektierte auch über die, vor allem bei jungen Leuten anzutreffende, Gestimmtheit zum „Gespräch": Wertlosigkeit habe sich in der Bundesrepublik breitgemacht, eine Verehrung der Tat gegenüber „politischem Geschwätz", wie es unduldsame Statements aus dem Publikum von Diskussionsveranstaltungen bewiesen. Die Unterhaltung im kleinsten Kreis dagegen sei das wirksamste Mittel, um die Teilnahme der Bevölkerung am politischen Leben zu stimulieren, denn es gebe eine zunehmende Sehnsucht nach Gesprächen, die die Erstarrung der Meinungen überwänden und das Gefühl bestärkten, ernst genommen zu werden 98 . Der mythisch umflorte Trostcharakter des echten Gesprächs in diesem Sinne scheint dabei erst in Situationen äußerer Bedrängnis voll zur Entfaltung zu gelangen, denn — wie ein anderer Autor meinte - „das echte Gespräch kennzeichnet sich selbst als das Wagnis ohne Vorbehalt, als die Fahrt in die Gefahr, als die Kette der strengsten Verbindlichkeit [...] — geboren aus der Not des Wissens um bittere Worte und bitteres Schweigen [...]. Dort, erst dort, gibt es nimmer Jäger und Wild, nimmer leichtfertige Siege, prahlerische Vergewaltigung, beschämende Hingabe. [...] Wofür also lebt das Gespräch? Dafür, daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens ende. [...] Finsternis des Schweigens: man weiß, wie vieles in uns dieser Formel widerspricht, wie vieles im Schweigen ein atemlos glasklares Glück sehen möchte, der starrend blauen Glocke des Sternenhimmels vergleichbar. Dennoch wird die Erkenntnis zu recht bestehen, daß, wenn das Schweigen schön ist, dann um des vorausgegangenen oder des kommenden Gesprächs willen. Das Schweigen unter Menschen hat den Charakter der Pause, der musikalischen Pause. [...] Daß zu jemand sprechen auch heißen kann: Krankheits97
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Alexander Rüstow: Ortsbestimmung der Gegenwart. Eine universalgeschichtliche Kulturkritik, 3 Bde. (Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1950-1957) - eines der vielen Bücher, deren Titel zu dieser Zeit einen Selbstlauf entfalteten und die gewiß stärker zitiert als gelesen wurden. Friedrich Sieburg: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene (Hamburg 1954, S. mí.).
3. „... daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens
ende"
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erreger weiterleiten, Verfinsterungen verursachen, langsam wirkende Gifte verteilen, das liegt nicht ,am Tage', das gehört vielmehr zu der Nachtseite des Gesprächs." Dieses Definitions-Dokument des Schriftstellers Albrecht Goes von 1937" weist auf die besondere Intensität des „echten" Gesprächs hin, die sich aus der Dialektik zwischen Reden und Schweigen, zwischen Offenheit und Tabu ergibt. Es ist vom „ewigen" Gespräch der deutschen Romantiker zu unterscheiden, das Carl Schmitt ebenso effektvoll wie polemisch als politisch folgenlos getadelt und auf das entscheidungslose Debattieren des Parlamentarismus übertragen hatte 100 . Gerade deshalb neigte auch Schmitt dem Ideal eines dem politischen Bereich entzogenen, der rein geistigen Sphäre zugehörigen „echten Gesprächs" zu, das eine Art esoterischer Verkehrsform bezeichnete und durch den Kult der „Persönlichkeit" seit der Jahrhundertwende wie auch in den rechten Debattierzirkeln der 20er Jahre noch einmal zusätzlich aufgewertet worden war. „Wir verstehen unter Gespräch nicht mehr den in sprachliche Form gebrachten Stimmlärm, mit dem sich die Leute die Angst vor der Stille und Leere vertreiben", konnte man 1941 lesen, „nicht den lautbar gewordenen Ausbruch des Gefühls oder eines haltlosen Mitteilungsbedürfnisses, das nicht gar selten mit der Entladung eines überfüllten Magens eine unschöne Ähnlichkeit hat, sondern wir verstehen unter Gespräch eine Weise geistig-seelischen Zusammenkommens durch das Mittel der Sprache." Es sei eine symbolische Form des ritterlichen Waffengangs, und wo das echte Gespräch gelinge, genieße der Geist sein Selbst101. Im Bewußtsein der Defensive zur geschwätzigen Moderne stilisierte sich das „echte Gespräch" zu einer Restsubstanz vormoderner Verkehrsformen und vor-modernen Wissens102. Als Ursprung der europäischen Idee des „Gesprächs" muß der sokratische Dialog gelten 103 . Für Piaton verwirklichte er in adäquater literarischer Form die Darstellung des sich entfaltenden Gedankens. „Wenn die Geltung der Diskurse, in denen das 99
100
Albrecht Goes: Über das Gespräch (in: Frankfurter Zeitung, Nr. 276-277, vom 3. Juni 1937, S. 11). „Wenn Carl Schmitt das romantische ,ewige Gespräch' und die liberale freie ,Diskussion' einander so nahe rückt, so ist das durchaus tendenziös und allein von der Option für die Entscheidung' (lies: die Diktatur) her motiviert" (Alfred von Martin: Die Intellektuellen als sozialer Faktor, in: Studium Generale, 15. Jg., Heft6/1962, S.412, Anm. 17): Schmitt hatte (in Anlehnung an Donoso Cortés) hiermit nicht allein dem antiparlamentarischen Affekt zu intellektuellem Niveau verholfen, sondern Kritik an der (in seinem Verständnis) romantischen Haltung des subjektiven Occasionalismus überhaupt geübt.
101
Hjalmar Kutzleb: Über das Gespräch (in: Monatsschrift für das Deutsche Geistesleben, 43. Jg. des Deutschen Volkstums, Maiheft 1941, S. 153-155, hier S. 153f.). 102 Die literarische Form des Gedichts erscheint hierin dem „echten Gespräch" am nächsten (vgl. Edgar Salin: Gespräch und Gedicht, in ders.: U m Stefan George. Erinnerung und Zeugnis, München/Düsseldorf 2 1954, S. 233-237, der die Pflege des zermoniellen Gesprächs mit dem ,Meister' darlegt, sowie jetzt Hans-Georg Gadamer: Gedicht und Gespräch, Frankfurt/M. 1990). 103
Zur Geschichte von „Gesprächs"-Theorien Claudia Schmölders (Hg.): Die Kunst des
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2. Kapitel — Gespräche
Bewußtsein sich ins noch Unformulierte hineinarbeitet, problematisch" werde, in Augenblicken von „Orientierungskrisen und an Schwellen, wo das Bewußtsein in neue Welten" eintrete, besinne man sich auf diese Wurzel, meinen Philosophen festgestellt zu haben104. Die Idee des „unendlichen Gesprächs" bleibe aber an die Bedingungen einer „ästhetischen Situation" gebunden, Gesprächsziel sei das Gespräch selbst, es dürfe weder unter Zeitdruck, noch unter Verwertungsabsichten stehen, noch müsse es zum Konsens geführt werden, entscheidend sei nicht die Frage: „Was kommt heraus?", sondern: „Wer kommt heraus?"105 „Gespräch" ist in der Philosophie der Bundesrepublik nicht zufällig während der 50er Jahre zu einer Leitkategorie geworden. Analog zu den Versuchen, eine „bürgerliche Öffentlichkeit" als Reaktion auf hierarchische Formen der Politik zu erneuern, richtete sich die philosophische Frage nach der Legitimität auf freiheitlichere, egalitär strukturierte und diskursive Modelle politischen Handelns. Gadamers Hermeneutik versuchte, das „Gespräch" als Handlung der Erkenntnis und Erkenntnis der richtigen Handlung aufzuwerten106. Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel verbanden im Rückgriff auf Kant Diskursivität und Ethik zu einer „Diskursethik"107. Das in den Kreisen der Nachkriegszeit gepflegte Gespräch, das in diesen Ansätzen seine philosophische Überhöhung fand, besaß eine utopische Qualität. Sie wurde um so stärker beschworen, als sich ein Schweigen, das eher aporetische Qualität besaß, parallel zu den Gesprächskreisen immer drückender auf die frühe Bundesrepublik legte. Carl Schmitt repräsentierte in diesem Spannungsfeld ein spezifisches Gleichgewicht, das sich in betontem Gegensatz zu den öffentlichen Diskursen über Vergangenheit und Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie (München 21986; zuerst 1979). 104 Vorwort zu: Karlheinz Stierle/Rainer Warning (Hg.): Das Gespräch (Poetik und Hermeneutik, Bd. XI, München 1984, S. 1). ios Odo Marquard: Das Über Wir - Bemerkungen zur Diskursethik (in: Stierle/Warning (Hg.): Das Gespräch, S. 29-44, hier S.36f.); Marquard bezieht hier Stellung gegen die seiner Ansicht nach verabsolutierende Tendenz der Diskursethik Habermas'. Die Erfahrung der „vita brevis" und die Entlastung vom absoluten Diskurs erst setze den Menschen zum Gespräch frei. Vgl. dazu den ironischen Aphorismus aus Schillers Xenien (66):„das philosophische gespräch. einer, das höret man wohl, spricht nach dem anderen, doch keiner mit dem andern; wer nennt zwei monologen gespräch?" 106 Vgl. die Bemerkungen zur Kunst, ein „wirkliches Gespräch" zu führen, und zur „FrageAntwort-Logik" bei Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode (Tübingen 31972, S. 349-352). 107 Siehe Samuel Jakob: Zwischen Gespräch und Diskurs. Untersuchungen zur sozialhermeneutischen Begründung der Agogik anhand einer Gegenüberstellung von Hans-Georg Gadamer und Jürgen Habermas (Bern/Stuttgart 1985) sowie Odo Marquard: Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist (in ders.: Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981, S. 117-146). Reflexionen dazu aus system theoretischer Sicht bei Niklas Luhmann/Peter Fuchs: Reden und Schweigen (Frankfurt/M. 1989).
3. „... daß die tausendsinnige Finsternis des Schweigens ende"
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Gegenwart definierte. „Wie schön", schrieb er einem Vertreter der jüngeren Generation 1952 mit geringer Eigendistanz, „Sie sagen, dass Sie es ablehnen, Menschen zu überzeugen, und ich kann mich rühmen, der am wenigsten rechthaberische Mensch der Welt zu sein. Das könnte ein gutes Gespräch geben.. ."108
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Brief Schmitts vom 18. November [1952] an Alfred Andersch (Deutsches Literaturarchiv, Marbach, Nachlaß Alfred Andersch).
3. Kapitel — Schweigen
Es ist sicher falsch, aus dem weitgehenden Scheitern der großen Umstrukturierungsvorhaben der Alliierten, das im Begriff der „Restauration" eingefangen wurde, zu schließen, die deutsche Bevölkerung habe zwei bis drei Jahre nach dem Ende des Krieges bereits von ihrer Vergangenheit vollständig Abschied nehmen wollen 1 . Vielmehr trugen auch hierbei die Veränderungen unterschiedlicher Einzelelemente dazu bei, das Thema „Vergangenheit" innerhalb der gesellschaftlichen Konfiguration auf andere, weniger existentielle Ebenen zu verlagern. Der Aggregatzustand der Erinnerung veränderte sich in diesem Prozeß, er wurde sublimer und von den Dingen, die eine akute Aufmerksamkeit erforderten, überlagert oder verdrängt. Die Vorgänge der jüngeren Vergangenheit blieben im Arbeitszimmer des Gefühlshaushaltes nur derjenigen präsent, die sich institutionell damit befaßten und die frei waren (oder sich die Freiheit nahmen), sich innerhalb künstlerischer oder wissenschaftlicher Diskurse damit auseinanderzusetzen. Ansonsten ließ das innere Beteiligtsein schnell nach und gerade im Blick auf das Funktionieren von Institutionen wurde anderes bald als wichtiger deklariert. Außer im Privaten und auf einer eher proklamativen Ebene in Bereichen des politischen Wiederaufbaus war daher das Thema „Vergangen1
Eine frühe und skeptische Analyse der Umerziehung bei Hans-Joachim Arndt: The Questionnaire and the Information Program (in: Confluence. An International Forum, 2. Jg., Heft3/ September 1953, S.82—94); Caspar von Schrenck-Notzing: Charakterwäsche. Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen (Stuttgart 1965). Kritisch über den Ertrag auch Lewis J. Edinger: Post-Totalitarian Leadership: Elites in the German Federal Republic (in: American Political Science Review, Bd.54/1960, S.58-82). Detaillierter und z.T. modifizierend zur Entnazifizierung nach wie vor Lutz Niethammer: Die Mitläuferfabrik. Entnazifizierung am Beispiel Bayerns (Berlin/Bonn 1982, zuerst 1972). Jetzt im internationalen Vergleich Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.): Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg (München 1991). Zur Reeducation Karl-Ernst Bungenstab: Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949 (Düsseldorf 1970); Hans Borchers/Klaus W. Vowe: Die zarte Pflanze Demokratie. Amerikanische Re-education in Deutschland im Spiegel ausgewählter politischer und literarischer Zeitschriften. 1945—1949 (Tübingen 1979); für die britische Zone Günter Pakschies: Umerziehung in der britischen Zone 1945—1949. Untersuchungen zur britischen Re-education-Politik (Weinheim 1979).
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heit" noch zur Besatzungszeit aus der Öffentlichkeit weitgehend entschwunden und auf private oder intellektuelle Residuen beschränkt. Trotz des Abdrängens ihrer öffentlichen Thematisierung jedoch bildete die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit einen der stärksten Pfeiler, der das neue Staatswesen trug, gerade weil es sich hierbei nicht um Tradition im üblichen, sondern um eine Vergangenheitsprägung im negativen Sinne handelte. Das ,Dritte Reich' blieb ein entscheidender „Bestimmungsfaktor" 2 der bundesdeutschen Politik und beherrschte sein „politisches Layout" 3 . Dieser Komplex sich gegenseitig beeinflussender und überlagernder Faktoren, der nicht nur für die Atmosphäre der Nachkriegszeit entscheidend wurde, ist als „Weg ins Schweigen" über die Vergangenheit immer wieder beschrieben und zumeist beklagt worden 4 . In diesem Zusammenhang kommt der Haltung einiger Intellektueller mit Leitbildfunktion besondere Bedeutung zu, denn sie wurden zu Stichwortgebern des Umgangs mit der Vergangenheit, prägten Haltungen, vor allem aber griffige Formeln, die umläufigen Haltungen prägnant Ausdruck verliehen. Carl Schmitt tat dies mit besonderer gedanklicher Stringenz.
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Nachkriegswerk „Das Rechtbehalten selber, bis in seine subtilste logische Reflexionsform hinein, ist Ausdruck jenes Geistes von Selbsterhaltung, den aufzulösen das Anliegen von Philosophie gerade ausmacht." Th. W Adorno: Minima Moralia 5
Liest man die Nachkriegsschriften Carl Schmitts rein werkimmanent, so fällt sehr bald auf, daß sie zu einem wesentlichen Teil aus dem Abschluß eigener Gedankenbewegungen bestehen, dem Eigenkommentar dienen und sich ζ. T. selbst ausdeuten. Die nur gelegentlich explizit werdenden Hinweise zu einer Rechtfertigung der Rolle Schmitts 2
Vgl. Martin Greiffenhagen: Die Narben blieben sichtbar. Das Dritte Reich als Bestimmungsfaktor heutiger Politik (in: Nationalsozialistische Herrschaft (Themenheft2 der Bundeszentrale für politische Bildung), Bonn 1983, S. 7 8 - 8 1 ) . Mit „Narben" bezeichnet Greiffenhagen die Spuren, die als Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen Eingang in Verfassung und Gesetzgebung gefunden haben.
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Vgl. Gerd Roellecke: Der Nationalsozialismus als politisches Layout der Bundesrepublik Deutschland (in: Der Staat, 27. Jg., Heft4/1989, S. 5 0 5 - 5 2 4 ) . Noch jüngst mit großer Resonanz Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein (Hamburg 1987). Theodor W. Adorno (zit. nach einer Besprechung der „Minima Moralia" von Joachim Günther in: Der Monat, 3. Jg., Heft34, Juli 1951, S. 434).
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im ,Dritten Reich' geraten dabei in den Gesamtprozeß einer gleichsam autopoietischen Systematisierung und Differenzierung des eigenen Werks. Gleichzeitig spiegeln die Texte Schmitts seine eigene Wahrnehmung ihrer Rezeption; in Rezensionen, Artikeln, Aufätzen und Broschüren umkreiste er eigene Themen und nahm gerade Gelesenes und gerade Diskutiertes auf, um es mit früher Erdachtem und Dargestelltem zu einem aktualisierten Kommentar, zum Vorschlag einer Interpretation seiner Texte oder zu einer aktuellen Stellungnahme zu verbinden. Sie stellen in mehrfachem Sinne fortgeführte Gespräche dar und bilden die Kreisbildung um Schmitt insofern ab, als sie Schmitts Gesprächspartner oft unmittelbar in die Darstellungen „einarbeiteten". Referenzen, Zitate, Fußnoten gaben wider, wer und was Schmitt gerade beschäftigte. Dabei blieb er seiner Neigung und Fähigkeit treu, Diskussionen pointiert zusammenzufassen und „auf den Begriff" zu bringen. Im folgenden soll bei einer Durchsicht des Nachkriegswerks das Augenmerk auf diejenigen Teile gerichtet werden, die der Reflexion der Vergangenheit dienen. Diese Lesart sucht nach offenen oder versteckten Appellen und versucht, Schmitts Lage dabei mitzubedenken. Diese Vorgehensweise soll nicht als offensichtlich selektive Lektüre ein weiteres Mal seine Unbotmäßigkeit und vermeintliche Verstocktheit vor Augen führen - der Eigenwert der Texte soll hier unangetastet bleiben. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Wirkung Schmitts in der Nachkriegszeit aber ist die Frage danach, welche Deutungsangebote er für die jüngere Vergangenheit bereitstellte, von entscheidender Tragweite. Seine Äußerungen aus dieser Zeit nämlich bieten in paradigmatischer Weise Elemente eines Eigenkommentars zu einer Situation der „beschädigten Identität" 6 . Die Ausstrahlung Schmitts in der frühen Bundesrepublik bestätigt nachdrücklich, daß dieser Versuch einer Bewältigung von Stigmatisierung offenbar auf der Grundlage eines für dieses Jahrhundert in vielem repräsentativen Schicksals erfolgte und daher erfolgreich zu Identifikationen einlud. Schmitts Nachkriegswerk zeigt die ganze Vielfalt seiner Äußerungsmöglichkeiten — bei seinen Stellungnahmen zu den zeitgeschichtlichen Vorgängen und zur eigenen Person aber äußerte er sich in einem gleichbleibenden Tenor: als Vertreter des „Jus Publicum Europaeum", des europäischen Völkerrechts also, das von ihm als klassisch aufgewertet wurde. Zwar sah er mit dem Untergang der Nationalstaatlichkeit dessen Ende gekommen, gleichwohl fühlte er sich aufgerufen, gegen die mannigfachen aktuellen Gefährdungen dieses Rechtssystems beständig anzuschreiben 7 . 6
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Nach Erving Goffman: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität (Frankfurt/M. 4 1980). Insofern befinden sich die Kommentare in einer im einzelnen nachzuweisenden Spannung zu Adornos „Reflexionen aus dem beschädigten Leben"; vgl. auch die intellektuellen Nachkriegsbiographien in Dan Diner (Hg.): Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz (Frankfurt/M. 1987). Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (Köln 1950, S. 75). Zu seinem Selbstbild als „Katechon" vgl. auch seine Bemerkungen im Anschluß an den Neuabdruck von „Staat als ein konkreter, an eine
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Gleich in seinen ersten und unveröffentlicht gebliebenen Ausführungen über „Das internationale Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ,nullum crimen nulla poena sine lege'" 8 argumentierte er mit dem einstweilen noch anerkannten zwischenstaatlichen Charakter des Völkerrechts gegen die Versuche zu dessen „Universalisierung", die sich namentlich in einer „Kriminalisierung" des Krieges manifestierten 9 . Staaten seien einstweilen noch die „Hauptpersonen des großen Dramas ,Völkerrecht'" 10 und Deutschland sei (hier schloß er sich der seit 1947/48 „herrschenden Meinung" an) als Staat nicht untergegangen. D i e Entfesselung eines Krieges sei bislang völkerrechtlich nicht als „strafwürdig" angesehen worden, davon zu unterscheiden seien aber die Vergehen gegen das ,Recht im Kriege' sowie Verbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg, die aber keine militärischen Aktionen darstellten 1 1 . D e n Nürnberger Prozessen warf er vor, eine völkerrechtlich neue und einmalige Strafjustiz eingeführt zu haben, der eine stark moralische Komponente unterläge.
geschichtliche Epoche gebundener Begriff" (in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 385): es seien auch gefährdete Institutionen zu wahren, denn sie seien nicht restituierbar, man müsse die Beschleuniger restloser Funktionalisierungen „aufhalten" und der objektiven Vernunft ein „Asyl" bieten. Nach Michael Kirn (Verfassungsumsturz oder Rechtskontinuität? Die Stellung der Jurisprudenz nach 1945 zum Dritten Reich, insbesondere die Konflikte um die Kontinuität der Beamtenrechte und Art. 131 Grundgesetz, Berlin 1972, S. 68) habe Schmitts 1943/44 mehrfach gehaltener Vortrag über „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft" in der Schlußphase des .Dritten Reiches' den Rückzugsweg gewiesen, „um das Recht aus einer weiteren zu erwartenden Verfassungsumwälzung, nunmehr mit demokratischer Zielsetzung, herauszuhalten und als bremsenden Faktor einer solchen Entwicklung zu stärken". 8
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Geschrieben im Juli 1945 (erscheint erstmals 1993). Max Weinreich (Hitler's Professors. The Part of German Scholarship in Germany's Crimes against the Jewish People, New York 1946, S. 37) wies darauf hin, daß die von Schmitt herausgegebene Reihe „Der deutsche Staat der Gegenwart" seit 1934 zur Unterminierung gerade dieses Grundsatzes beigetragen habe. Schon 1938 hatte Schmitt über „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff" (München/Leipzig 1938, Neuausgabe Berlin 1988) geschrieben - seine „Großraum"-Konzepte hatten während der Kriegszeit den zwischenstaatlichen Charakter des Völkerrechts freilich gleichfalls unberücksichtigt gelassen. Das Juristische Repetitorium (Serie B: Öffentliches Recht, Nr. 6, 13, 17, 20: Völkerrecht (1-4), hg. von Heinrich Freymark, 1948-50, hier S.25) war, da anonym und als Auftragsarbeit erschienen, zudem als Lehrtext verfaßt und ohne „Situation", weitgehend ohne „appellative" Struktur, es zeigte Versiertheit im Zugriff und dem „Wissenden" hier und dort, wer ihr Verfasser war, wenn Schmitt sich auch um „Verhüllungen" bemühte (so wird etwa der Begriff des „Großraums" — der den Verfasser sogleich „verraten" hätte — durch den Begriff „Rechtskreis" ersetzt, ebd., S. 14f.). Diese seien als „abnorme Untaten" nicht zu entschuldigen und entsprechend zu ahnden, im Falle einer Anklage wegen Entfesselung eines Angriffskriegs sei nur der enge Kreis der zur Führung des „Regimes" Gehörenden abzuurteilen.
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Vor allem aber sei es verfehlt gewesen, einzelne Individuen (statt Staaten) zu Völkerrechtssubjekten erklärt zu haben 12 . Das europäische Völkerrecht dagegen habe bislang auf dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker gebaut: „Immer beruht die Ordnung auf der gegenseitigen Achtung der Persönlichkeit und der Rechtssphäre ihrer Mitglieder." 13 Einer rückblickenden Betrachtung unterzog Schmitt dieses „Jus Publicum Europaeum" in seiner völkerrechtlichen Synthese über den „Nomos der Erde", die — während der Kriegszeit konzipiert - 1950 erschien 14 . Es lief in einen Appell an das (internationale wie nationale) Rechtsinstitut einer Generalamnestie aus, dem Schmitt mit mehreren Zeitungsartikeln im Auftreten eines altersweisen Völkerrechtlers Nachdruck verlieh 15 . Der Ruf nach einer Amnestie mag auch aus Schmitts wachsender Verbitterung über die von ihm sogenannten Remigranten, „Rechthaber" und „Re-Eduzierte", also die sich vermeintlich den Zielen amerikanischer Reeducation andienenden „doppelten Umfaller", erwachsen sein 16 . Zwar konnte sich schon 1950 Schmitt hiermit zum Anwalt 12
Repetitorium, S.66—72: „Die Entthronung des Staates ist hier gelungen." Entscheidendes Kriterium war für Schmitt die Stellung zum Widerstandsrecht, die er in diesem Prozeß zu einer Widerstandspflicht entwickelt sah, die den einzelnen in Aporien stürzen müsse (vgl. auch die Rezension Schmitts von E J. P. Veale: Der Barbarei entgegen. Wie der Rückfall in die Barbarei durch Kriegführung und Kriegsverbrecherprozesse unsere Zukunft bedroht, in: Das Historisch-Politische Buch, 3. Jg., Heft 6/1955, S. 200f., an die sich ein langer Briefwechsel mit dem Autor anschloß). 13 Repetitorium, S. 29f. 14 Carl Schmitt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (Köln 1950). Im Vorwort heißt es: „Dieses Buch, die wehrlose Frucht harter Erfahrungen, lege ich auf dem Altar der Rechtswissenschaft nieder, einer Wissenschaft, der ich über vierzig Jahre gedient habe. Ich kann nicht voraussehen, wer sich meiner Opfergabe bemächtigen wird, sei es ein denkender Mensch, sei es ein praktischer Verwerter, sei es ein Zerstörer und Vernichter, der das Asyl mißachtet. Die Schicksale eines Buches stehen nicht in der Hand des Autors, so wenig wie sein persönliches Schicksal, das daran hängt." Hier wurde die Parteiung benannt, zwischen die Schmitt sich gestellt sah, und die eigene, vermeintlich ganz auf die Sache konzentrierte Haltung darin bezeichnet, die jeglichen Bezug zur Aktualität vorsorglich vermied, um „die Größe des Themas nicht zu verfehlen"; es seien „die Friedfertigen, denen das Erdreich versprochen" sei (ebd., S. 6). 15 Anonym (= Carl Schmitt): Zeus an die Bundesregierung. Amnestie - Urform des Rechts (in: Christ und Welt vom 10. November 1949); ebenfalls anonym: Amnestie ist die Kraft des Vergessens. Wann werden wir den Bürgerkrieg beenden? (in: Sonntagsblatt vom 15. Januar 1950) sowie, unter Namensnennung: Das Ende des Kalten Bürgerkrieges. Im Zirkel der tödlichen Rechthaberei — Amnestie oder die Kraft des Vergessens (in: Der Fortschritt, Nr. 40 vom 5. Oktober 1951). Auf den qualitativ andersartigen und nicht mit den Mitteln des „klassischen" Völkerrechts (und damit einer „Amnestie") zu greifenden Charakter des rassistischen Völkermords ging Schmitt nirgends explizit ein. 16 In der Öffentlichkeit nahm er zu seinen „Feinden" jedoch nur sehr vermittelt Stellung, v. a. in „Ex Captivitate Salus". Das „Glossarium" (hg. von Eberhard von Medem, Berlin 1991) offen-
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in eigener Sache, nicht mehr aber zu dem eines Massenphänomens machen. Tatsächlich sollte über eine Generalamnestie wohl vor allem innerhalb der als Elitenkonkurrenz wahrgenommenen ideologischen Auseinandersetzungen den Gegnern ein funktionalisierbarer Vergangenheitshinweis aus der Hand geschlagen werden. Unter der von Max Weber 17 und Vilfredo Pareto 18 angestoßenen soziologischen Perspektive von Machtverteilung wurde die Nachkriegszeit von ihm vor allem als „Machtwechsel", als Austausch der Eliten innerhalb eines Kreislaufs interpretiert 19 . Neben völkerrechtlichen nahm Schmitt auch zu verfassungsrechtlichen Problemen Stellung. Und obwohl er auch hierbei die „Epoche der Staatlichkeit" als beendet konstatierte und in der Bundesrepublik keinen Staat mit seinen klassischen Elementen „Souveränität", „autonomer Wille der verfassungsgebenden Gewalt" 20 etc. anerkennen konnte, sah sich der Verfassungsjurist Schmitt immer wieder zu Kommentaren zur rechtlichen und Verfassungs-Entwicklung gedrängt. Hierzu trieben ihn das Bedürfnis eines Validitätsbeweises seiner Kategorien und die Abwehr angeblicher Mißdeutungen seiner Begriffe; nicht zuletzt aber wollte er sich aus dem aktuellen fach wissenschaftlichen Gespräch wohl nicht vollständig ausschalten 21 . Juristisches Denken, wie Schmitt es betrieb, fügte sich stets in ein geschichtliches Interpretationsmuster, das sich durch die Erfahrung des staatlichen Zusammenbruchs Deutschlands eher noch schärfer konturierte. Spätestens seit seinem „Leviathan"bart das Ausmaß, in dem Schmitt sich ausgegrenzt, ja verfolgt sah. Die erst posthume Veröffentlichung macht es für den hier in Frage stehenden Appellcharakter des Nachkriegswerkes uninteressant, es sei denn, man läse es als eine Dokumentation, die Schmitts privaten und verbalen Stellungnahmen näher steht, als es seine Veröffentlichungen taten. Es ist gleichsam der nachgelassene Ausdruck von Schmitts dunkler, außeröffentlicher, unter dem Deckmantel des Schweigens liegender Seite, die hier in nicht sublimierter, ungeschützter Form auftritt. 17 „Wenn man von einer Frage sagt: sie sei eine politische' Frage[...], so ist damit immer gemeint: Machtverteilungs-, Machterhaltungs- oder Machtverschiebungsinteressen" (Max Weber: Politik als Beruf, Stuttgart 1992, S. 7). 18 Zu Pareto vgl. die Ausgewählten Schriften, hg. von Carlo Mongardini (Frankfurt a. M./Berlin/ Wien 1976); Peter Scheibert: Vilfredo Pareto (in: Göttinger Universitäts-Zeitung, 4.Jg., Heft9/1949, S.8f.). 19 Die Konzentration auf das Machtproblem konnte freilich das ethische hintanstellen; der Ruf nach einer Amnestie als Beendigung des „Bürgerkrieges" tauchte später immer dann wieder auf, wenn die sog. .Vergangenheitsbewältigung' Publizität beanspruchte. Der Topos des „Weltbürgerkrieges" übertrug die Strukturen blutiger Glaubenskriege auf die historische Epoche insgesamt. 20 Carl Schmitt: Verfassungslehre (Berlin 1928, S. 9). - Über das Ende der Staatlichkeit „ist kein Wort mehr zu verlieren" (Der Begriff des Politischen, Neuausgabe Berlin 1963, S. 10). 21 Vgl. die pseudonym erschienenen Artikel „Gegenwartsfragen der Verfassung" sowie „Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland" (zuerst erschienen in: Eisenbahnerzeitung 1949/50, wiederabgedruckt in Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 171-194) sowie Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954. Materialien zu einer Verfassungslehre (Berlin 1958).
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Buch von 1938 22 war für Schmitt die Zeit der konfessionellen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts Grundlage und Stanzmuster seines politisch-juristischen Denkens. Dabei gab er vor, die Suche nach Mechanismen zur Befriedung des Bürgerkrieges sei das beherrschende Thema seiner Schriften 23 . Überdies fügte sich ein eschatologischer Zug in seine Aussagen, Schmitt sah „Beschleuniger wider Willen" am Werk, sich selbst dagegen als kate-chon, als Aufhalter gegen das Wirken des Antichrist. Die geschichtliche Situation besaß für ihn die Struktur von Frage und Antwort und offenbarte sich daneben in vielerlei historischen „Parallelen" 24 . Unermüdlich „entdeckte" Schmitt in seinem Nachkriegswerk Intellektuellenschicksale aus der europäischen und amerikanischen Geistesgeschichte, die Züge seines eigenen trugen, und in kaum verhüllten Spiegelungen legte er nahe, sein Schicksal in paralleler „Tragik" zu deuten. Schon 1929 las sich das in einem (1950 wiederaufgelegten) Aufsatz über den „unbekannten Donoso Cortés" so: „Dieser Philosoph einer radikalen Diktatur hat von sich selbst gesagt, daß er nicht die Härte habe, um ein Diktator sein zu können - ein Zeugnis nicht gegen, sondern für seine Theorie, denn es beweist, daß seine Ideen von Kampf und Entscheidung aus der Betrachtung der politischen Dinge und der politischen Situation und nicht aus der privaten Bosheit eines menschenfeindlichen Gemüts entstanden. In seinem privaten Wesen hat Donoso etwas im besten Sinne Liberales, ist er sogar besser und wesenhafter liberal als seine humanitär moralisierenden Gegner, und die eigentliche Heimat aller liberalen Qualitäten ist doch die Sphäre des Individuell-Persönlichen, nicht die staatlicher und politischer Ideen. Es wäre wohl an der Zeit, diesen ungewöhnlichen und sympathischen Menschen als bedeutende Figur der europäischen Geistesgeschichte in ihrer Reinheit und Größe zu erkennen und sich nicht mehr an die Mängel und Unzulänglichkeiten seiner Demonstrationen zu halten, sondern an das seltene Phänomen einer in säkularen Horizonten stehenden politischen Intuition." 25 Etwas später wird die „Spiegelung" (und Schmitt führt in diesem Zusammenhang seine Theorie der historischen Parallele aus) noch deutlicher:
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Carl Schmitt: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols (Hamburg 1938). „Was war der Kern des zwischenstaatlichen jus publicum Europaeum? Die Überwindung des Bürgerkriegs und die Ausgrenzung des Kolonialkrieges!" (Carl Schmitt: Glossarium, Berlin 1991, S. 250, Eintrag vom 18. Juni 1949). Carl Schmitt: Drei Stufen historischer Sinngebung (in: Universitas, 5. Jg., Heft8/1950, S. 927-931). Dazu die Münsteraner Dissertation von Viktor Christen: Die große Parallele im Geschichtsdenken Alexander Herzens (Münster 1963), die sich auch auf diesen Aufsatz beruft. Carl Schmitt: Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation (Köln 1950, S. 78f. Bis zu diesem Zitat schon 1940 wiederabgedruckt in: Positionen und Begriffe, Berlin 1940, S. 115-120).
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„Er war unendlich mehr als eine Figur in dem damaligen diplomatischen Spiel der Höfe und Kabinette, ebenso wie er unendlich mehr war als ein Parteimann der damaligen Parteifronten. [...] Daß er als Diplomat den Staatsstreich Louis Napoleons und die Kaiserkrönung begünstigte, gehört zu seiner zeitgebundenen Situation als Politiker und Diplomat. In Wirklichkeit bedeutete ihm die gekrönte Diktatur, die dictadura coronada, nur ein praktisches pis aller, eine Notwehr gegen die Diktatur anderer Kräfte und Mächte, die er für gefährlicher, boshafter und intensiver diktatorisch hielt. Niemals hat er diesen pragmatischen Notbehelf für eine religiöse oder theologische Rettung gehalten. Weder über den Cäsarismus als geschichtliches Phänomen des 19. Jahrhunderts noch über den menschlichen Wert des neuen Cäsar hat er sich getäuscht." 26
Historische „Archetypen" des eigenen Schicksals suchte Schmitt oft im Medium literarischer und mythischer Figuren. Auch methodisch schlug er Veränderungen vor, eine Ikonographie sei heutigen Einsichten besser angepaßt als die Ideologie27. In „Hamlet oder Hekuba"28 reflektierte er ein Beispiel „politischer Mythologie": Shakespeare habe mit der Figur des Hamlet einen in der Literaturgeschichte seltenen echten Mythos hervorgebracht, an den sich unzählige Deutungen gehängt hätten. Dies sei nur möglich gewesen, so Schmitt, weil Shakespeare hier den „Einbruch der Zeit in das Spiel" gestaltet, d.h., einen Fall wirklicher geschichtlicher „Tragik" bearbeitet habe (die Vorgänge um die Krönung Jakobs I.). Durch den Realitätsbezug sei Shakespeare, der zum politischen Gefolge Jakobs gezählt habe, in den Jahren der ersten Aufführungen aus „Scheu und moralischer wie politischer Rücksicht", aus „Taktgefühl und natürlicher Ehrfurcht" 29 zu „Verhüllungen" veranlaßt worden, die die Vielzahl der späteren Deutungen erst ermöglicht hätten. Die zwei „Einbrüche" des zeitgeschichtlich schwebenden Vorgangs (den Shakespeare „auf sich beruhen ließ") in das Schauspiel beträfen die Respektierung des „Tabus der Königin" und die „Abbiegung" 26
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Ebd., S. 105f. (Diese Passage ist zum Aufsatz von 1940 hinzugefügt.) - Die Einschätzung, daß es sich hierbei um ein „verdecktes Selbstporträt" Schmitts für die späte Weimarer Zeit handelt, teilt auch Reinhard Mehring (Pathetisches Denken, Berlin 1989, S.21). In ähnlicher Weise wäre diese Selbsteinschätzung nachzuweisen für den „christlichen Epimeteus", „Benito Cereño", für Max Stirner, Alexis de Tocqueville, Gelimer, Thomas Hobbesetc.; vgl. die von Josef Pieper mitgeteilte Parallelisierung Schmitts mit Max von Pettenkoffer, der eine Kultur von Cholera-Bazillen getrunken habe, ohne daran zu erkranken: „Sehen Sie, genau dasselbe habe ich gemacht: ich habe den NS-Bazillus getrunken, aber er hat mich nicht infiziert!" (Josef Pieper: Noch wußte es niemand. Autobiographische Aufzeichnungen 1904-1945, München 1976, S. 198.)
Carl Schmitt: Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: „Der Gordische Knoten" (in: Freundschaftliche Begegnungen. Festgabe für Emst Jünger, hg. von Armin Möhler, Frankfurt/M. 1955, S. 135-167, hier S. 139). 2 8 Düsseldorf 1956. Das Buch geht auf einen Vortrag zurück, den Carl Schmitt am 30. Oktober 1955 auf Einladung der Düsseldorfer Volkshochschule gehalten hatte. 29 Ebd., S. 50.
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3. Kapitel - Schweigen der Figur des Rächers zu einem räsonierenden Hamlet. Der Autor habe das Wissen des Publikums um diese zeitgeschichtliche Folie noch voraussetzen können. — In dieser scheinbar unverfänglichen Betrachtung kommt Schmitt also erneut auf die Themen „Schuld" und „Rache" zu sprechen; dabei legen es die poetologischen Bemerkungen Schmitts nahe, in seinen Ausführungen selbst ein „Spiel im Spiel" zu sehen, das dem Selbstkommentar zur „Tragik" der eigenen Geschichte dient. Mehrfach weist er auf Freiligraths Gedicht „Deutschland ist Hamlet" hin und läßt sein Buch in das Plädoyer münden, gewisse zeitgeschichtlich schwebende Vorgänge, um die man weiß, „auf sich beruhen zu lassen", gewisse Tabus zu respektieren und die Figur des Rächers zu „hamletisieren" 30 .
In Schmitts betont bekenntnishafter Schrift „Ex Captivitate Salus" sahen Gegner dessen Unverbesserlichkeit und Uneinsichtigkeit exemplarisch dokumentiert 31 . Seine Bewunderer dagegen lasen sie als ein weiteres Beispiel der überlegenen und noch einmal abgeklärter gewordenen Weltsicht des großen Gelehrten. Neben der unabweisbar larmoyanten Tendenz der Schrift beinhaltete sie einige der sublimsten Argumente der Abwehr, mit denen Schmitt einer vermeintlichen Überforderung seelischer Kräfte beispielgebend Ausdruck verlieh: „Wer beichten will", hieß es dort, „gehe hin und zeige sich dem Priester" 32 . Die Kompetenz, Schuld und Sühne zuzuweisen, war irdischen Instanzen damit generell abgesprochen, namentlich aber denjenigen, deren Legitimität für moralische Inquisi-
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In seiner Einleitung zu einem Buch von Lilian Winstanley (Hamlet, Sohn der Maria Stuart, Pfullingen 1952 - von seiner Tochter Anima übersetzt) war Schmitt noch deutlicher geworden: die konkrete geschichtliche Situation sei dem Publikum des „Hamlet" ebenso gegenwärtig gewesen, wie dem „Berliner Publikum des Jahres 1934 die damalige Röhm-Affäre" (ebd., S. 12). Auch Shakespeare habe für die Mitwelt, nicht für die Nachwelt oder irgendein neutrales oder fremdes Publikum geschrieben, sondern — so möchte man ergänzen — seine Dramen „mit vollem Bewußtsein in die Waagschale der Zeit geworfen". Dies ist ein früher Hinweis auf die später von ihm selbst lancierte Deutung, der Aufsatz „Der Führer schützt das Recht" habe eine verdeckte und mutige Kritik am Geschehen des 30. Juni 1934 enthalten (vgl. etwa HansDietrich Sander: Hüter der Freiheit, in: Deutschland-Archiv, Nov. 1968, S. 824-826). 31 „Ob der milden Haft, die er bei den Amerikanern erlitt, beweinte sich Schmitt in seiner Schrift Ex Captivitate Salus als bejammerungswürdigen Hiob." (Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse, Köln/Berlin 1958, S. 245.) - Dazu Goffman: „Ferner scheint es möglich, daß ein Individuum im Leben das verfehlt, was wir effektiv von ihm verlangen, und dennoch von seinem Versagen relativ unberührt ist; abgesondert durch sein Fremdsein, geschützt durch seinen eigenen Identitätsglauben fühlt es sich als ein vollgültiges normales menschliches Wesen und empfindet uns als solche, die nicht ganz menschlich sind. Es trägt ein Stigma, scheint aber davon weder beeindruckt noch zur Reue bewegt zu sein." (Goffman: Stigma, 1980, S. 15.) 32 Schmitt (Ex Captivitate Salus, 1950, S. 72, dies war möglicherweise gegen das Stuttgarter „Schuldbekenntnis" von Mitgliedern der evangelischen Kirche, u.a. Rudolf Smend, gerichtet).
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tionen er in Abrede stellte: „Tu quis es?" hieß es daher an Eduard Spranger gerichtet33. Sich selbst sah Schmitt - ein Argument Ernst Jüngers aufgreifend - den besonderen Gefährdungen eines der jeweiligen Krone zugeordneten Staatsrechtlers ausgesetzt, er sei also auch das Opfer eines spezifischen „Berufsrisikos" geworden34 und habe „die Escavessaden des Schicksals" und „die vielen Arten des Terrors"35 erfahren müssen. Schließlich jedoch, hielt er als Trost bereit, schreibe der Besiegte die Geschichte, denn er habe den Siegern gegenüber tiefergehende Einsichten 36 . Schon der Titel der Schrift mußte provozieren, mit dem Schmitt sich in die Gattung der ,Kerkerliteratur' einreihte 37 . Auch in anderen Veröffentlichungen scheute sich Schmitt nicht, seine angebliche Nähe zum Widerstand anzudeuten 38 . Erst auf den zweiten Blick entdeckt man auch in dem Bemühen Schmitts, die Virulenz eigener Analysen und Fragestellungen zu erweisen, einen Kommentar zum eigenen „Fall" 39 . Die Aufforderung aber, zur Sache zurückzukehren, legte eine Lesart seiner
33 Ebd., S. 9-12. 3< t Ebd., S.55; vgl. dazu die Diskussion bei Roman Schnur: Carl Schmitt und die deutsche Staatsrechtslehre (in: Wort und Wahrheit, 13. Jg./1958, S. 725-727, hier S. 725). 35 Gesang des Sechzigjährigen (Ex Captivitate Salus, 1950, S. 92f.). 36 „Er kann die Schicksalsprüfungen, die er erlitt, auch als Glück im Unglück sehen, besonders deswegen, weil gespürt wird, daß Leiden über das Leben und die Menschen belehren kann." (Goffman, Stigma, 1980, S. 20; zur Fortwirkung dieses Theorems siehe unten, S. 103f.) 37 Vgl. die Besprechung einiger der „Kerkertagebücher" durch Karl Epting (der dann selbst ein solches Buch vorlegte: Aus dem Cherchemidi. Pariser Aufzeichnungen 1947—1949, Bonn 1953) in der Zeitschrift für Geopolitik (22. Jg., Heft 1/1951, S.71f.): „Wie gleichgültig wird hier die Herkunft des Verfolgers und des Opfers! Es zählt nur noch das Wie der Bewährung. [...] Hier bewährt sich der Geist vor der Gewalt." Schmitts Titel wurde von Helmut Ridder später ironisiert in „Ex Oblivione malum" (Untertitel: Randnoten zum deutschen Partisanenprogreß, in: Gesellschaft, Recht und Politik. Wolfgang Abendroth zum 60. Geburtstag, Neuwied/Berlin 1968, S. 305-332). 38 Vgl. die Widmungen an Popitz (Verfassungsrechtliche Aufsätze 1924-1954, Berlin 1958), den „Tymbos für Wilhelm Ahlmann" (Berlin 1951), auch den Artikel „Der Fall Carl Schmitt, Charaktermord" (in: Der Fortschritt, Nr. 4, vom 25. Januar 1952). 39 Carl Schmitt: Das Problem der Legalität (in: Die neue Ordnung, 4. Jg. (1950), S. 270-275); ders.: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, sowie ders.: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber (Pfullingen 1954): hier verknüpfte Schmitt Analysen, die er 1947 Kempner gegenüber zum erstenmal äußerte (z. B. Der Zugang zum Machthaber, ein zentrales verfassungsrechtliches Problem, abgedruckt in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 430—439) mit einem .memento!' an die politische Grundtatsache der Macht, über die zu philosophieren so unzeitgemäß erschien. Schmitt schilderte sie als eine Größe, der eine Dialektik innewohne, die sich von dem je individuellen, gut oder böse gemeinten Willen zur Macht emanzipiere; in diesem (an Hans Freyers „sekundäre Systeme" gemahnenden) Komplex, in dem die Frage der Informationsvermittlung zentrale Bedeutung erhalte, sei es nicht mehr der Mensch als Mensch („homo homini homo"), „sondern eine von ihm entfesselte Kettenreak-
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3. Kapitel — Schweigen
früheren literarischen Produktion nahe, die sich in ihrer Funktion als Seismograph 40 , als lediglich beschreibend, bewährt hätte. Auch wurde der Eindruck nahegelegt, Carl Schmitt sei einer der energischsten Verteidiger der Weimarer Republik gewesen 41 . Im Vorwort zur Neuausgabe des „Begriffs des Politischen" 42 gab Schmitt sich angesichts der fast unüberschaubaren Wirkungsgeschichte seiner erstmals 1927 erschienenen Schrift bescheiden: Sie habe einen „streng didaktischen Charakter" besessen und „ein unermeßliches Problem theoretisch encadrieren" wollen, sie habe „unbequeme" Fragen aufgeworfen, die eine Herausforderung, eine „Challenge", in sich enthalten hätten und sei in erster Linie an Verfassungsexperten und Völkerrechtsjuristen gerichtet gewesen. Auf dieser Ebene der „Bewegung eines Rechtsbegriffs", der „mit dialektischer Notwendigkeit aus der Negation" hervorgehe, wehre er sich gegen den immer wieder erhobenen Vorwurf, er habe einen Primat des Feindbegriffs propagiert: „Strafe und Strafrecht setzen nicht eine Tat, sondern eine Untat an ihren Anfang. Ist das vielleicht eine ,positive' Auffassung der Untat und ein ,Primat' des Verbrechens?" — Wie könne man das alles theoretisch erfassen, wenn man die Wirklichkeit, daß es Feindschaft zwischen Menschen gibt, aus dem wissenschaftlichen Bewußtsein verdränge? — „Tagespublizistik und massenmediale Öffentlichkeit" hätten seine Schrift außerwissenschaftlich instrumentalisiert: „Hier wird die Bemühung um eine wissenschaftliche Encadrierung einfach absurd. In diesem Milieu hat man aus einer vorsichtigen, ersten Absteckung eines Begriffsfeldes ein primitives Schlagwort gemacht, eine sogenannte Freund-Feind-Theorie, die man nur vom Hörensagen kennt und der Gegenpartei in die Schuhe schiebt. Hier kann der Autor nicht mehr tun, als den vollständigen Text nach Möglichkeit in Sicherheit bringen. Im übrigen muß er wissen, daß die Wirkungen und Auswirkungen seiner Veröffentlichungen nicht mehr in seiner Hand liegen" 43 . Dieses Vorwort sah den betonten Rückzug in die reine Wissenschaftlichkeit voll ausge-
tion", die die Frage nach dem Wesen der Macht heute zu einer technischen gemacht habe (ebd., S. 25). 40 Arnold Gehlen schrieb am 1. April 1948 an Schmitt: er höre mit Befriedigung, „von Ihrem Befinden Gutes gehört zu haben, und daß das Erdbeben den Seismographen nicht zerschlug" (HSTAD RW265—217, Nr. 104). 41 Vgl. Schmitts Warnung (in „Legalität und Legitimität") vor einer legalen Machtergreifung (s. Hans-Hellmut Knütter: Ideologien des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland, Bonn 1961, S.44ff., zu Schmitts Plädoyer für ein Verbot der NSDAP etc.). Auf diese Argumentation ging Kurt Sontheimer ein (Carl Schmitt. Seine .Loyalität' gegenüber der Weimarer Verfassung, in: Neue Politische Literatur, 3. Jg., Heft 10/1958, Sp. 757-770, und gelangte zu dem Schluß, dieser Versuch gehe „über das vertretbare Maß von Selbstrechtfertigung hinaus", Sp. 768). « Berlin 1963; zu folgendem S. 9-16. 43 Beim genauen Text-Vergleich der unterschiedlichen Ausgaben hat Heinrich Meier ζ. T. erhebliche Umschreibungen dokumentiert (Carl Schmitt, Leo Strauss und ,Der Begriff des Politischen'. Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988).
1. Carl Schmitts
Nachkriegswerk
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bildet. Öfter gab Schmitt vor, lediglich an seiner Fragehaltung nach dem „Quis iudicab i t ? " festgehalten zu haben, die H o b b e s ihn gelehrt habe und die vom juristischen Denken her gestellt werden müsse. Sie sei also eine formale, keine materiale 4 4 . Vom politisch-polemischen Appellcharakter seiner frühen Schriften war hier vollständig abstrahiert. Die reine Fragehaltung sah Schmitt nicht allein geschichtsphilosophisch legitimiert, sondern auch als wertfrei an. E r schritt sogar zur Gegenoffensive und sah sich gegen E n d e der 50er J a h r e einer zunehmenden „Tyrannei der W e r t e " ausgesetzt: Diese zunächst im Privatdruck verbreitete Schrift 4 5 setzte sich expliziter als alle vorherigen mit Max Weber auseinander. Mehrfach war Schmitt zu einem von dessen Nachfolgern ernannt worden 46 . Seinem „Werturteilsfreiheitspostulat" wurde hier eine Analyse der allgemeinen „Ver-Wertung" angefügt. Nach Schmitt stimme die Ökonomisierung des - auch wissenschaftlichen - Denkens ihn bedenklich, drohe sie doch in letzter Konsequenz auf eine „Beseitigung des Unwertes", ja eine „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens" hinauszulaufen 47 . Schmitt unternahm hier deutlicher als anderswo eine philosophische Einbindung dessen, was ihm als „intellektueller Bürgerkrieg" erschien 4 8 . Und es war der Gegenschlag zum „Nihilismus"-Vorwurf, der ihn seit 1945 verfolgte.
„Es ist die Frage nach der rechtskräftig, d. h. inappellabel und insofern unfehlbar interpretierenden Person oder Instanz, keine Frage nach der Substanz. Sie ist also formal, nicht material" (Carl Schmitt: Die vollendete Reformation, in: Der Staat, 3. Jg., Heft 1/1965, S. 5 1 - 6 9 , hier S. 65). 4 5 Stuttgart 1960; um eine Einleitung erweitert in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag (Stuttgart u . a . 1967, S. 3 7 - 6 2 ) . ^ Zum Beispiel Wolfgang J . Mommsen: Max Weber und die Politik 1890-1920 (Tübingen 1959, bes. S. 380, 4 1 4 - 4 1 9 ; zuvor von Karl Löwith (Max Weber und seine Nachfolger, in: Maß und Wert, 3. J g . , Heft2/1940, S. 166-176). Karl Loewenstein dazu in einer Besprechung des Buches von Mommsen (Max Weber als „Ahnherr" des plebiszitären Führerstaats, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 13.Jg., Heft2/1961, S. 2 7 5 - 2 8 9 , hier S. 287f.), es koste ihn außerordentliche Überwindung, überhaupt davon zu sprechen, aber er verwahre sich gegen die von Mommsen getätigte „schwere Verunglimpfung", in Max Weber einen Vorläufer von Carl Schmitt zu sehen, „dem Mephisto der deutschen Vor-Hitlerzeit, der sich dann als .ideologischer' Geburtshelfer des Tausendjährigen Reiches so verdient gemacht hat". Daß Schmitt auch in der jüngeren Generation noch Anhänger finde, lasse bedenkliche Rückschlüsse auf den Stand der deutschen Vergangenheitsbewältigung zu. Eine von Habermas angestoßene Debatte über Schmitt und Weber gab es auch auf dem Heidelberger Soziologentag 1964 (s. Wolfgang Rothe: Besichtigung des Heroen, in: Sonntagsblatt, Nr. 19, vom 10. Mai 1964, S. 14). 44
47
Schmitt erinnert an die Abhandlung gleichen Titels von Alfred Hoche/Karl Binding aus dem Jahre 1920 (ebd., S. 48, 61).
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„Richtig verstanden kann das Wort von der Tyrannei der Werte den Schlüssel zu der Erkenntnis liefern, daß die ganze Wertlehre den alten, andauernden Kampf der Überzeugungen und der Interessen nur schürt und steigert" (ebd., S. 60), also gleichsam als „Beschleuniger" wider (den humanistischen) Willen wirke.
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3. Kapitel — Schweigen
Als „Antwort" sind auch Schmitts Analysen zum „gegenwärtigen Zeitalter" zu verstehen. Die Fragestellung des „Quis iudicabit?", so Schmitt 1965, sei neueren Erfahrungen nach zu erweitern in: „Quis interrogabit? Das ist die Frage, wer die Frage stellt und den in sich entscheidungsfremden Apparat programmiert" 49 . Auch in diesen Stellungnahmen, v. a. zu neuen Medien und zur Technik50, war der Appell enthalten, den Blick gemeinsam nach vorn zu richten, um nicht neuen und gänzlich anders gearteten, Politik und Wirtschaft bislang unbekannten Totalitarismen zum Opfer zu fallen. Dies war durchaus als Entlastung gemeint: nach dem „Zeitalter der Ideologien" 51 erschienen die politischen trouvaillen gering neben den ,planetarischen' Vereinheitlichungstendenzen der Technik. Es gelte, nach der Auflösung der alten Staatlichkeit einen „neuen Nomos der Erde" 52 zu finden, der den Gegensatz von terraner und maritimer Existenz berücksichtige: „Ich behaupte nämlich, daß es ein geschichtliches Gesamtbild der bisherigen Entwicklung unserer durch die industrielle Revolution bestimmten Epoche überhaupt noch nicht gibt und daß dieses Gesamtbild nur in dem Aspekt des Gegensatzes von Land und Meer möglich ist" 53 . Dazu käme zusätzlich der „Aufbruch ins Weltall"54, der den Ost-West-Gegensatz in die geschichtsphilosophische Bewegung einer Raumrevolution transzendiere, die zur Erweiterung in den Luftraum und zu neuen Freund-FeindKonstellationen hinleite 55 . Aus dieser planetarischen Perspektive benannte Schmitt immer klarer, wer für ihn geschichtsmächtig gedacht hatte: Hobbes, Rousseau und Clausewitz56. Und es ließ sich
49 Schmitt (Die vollendete Reformation, 1965, S. 68). 50
Carl Schmitt: Der verplante Planet (in: Der Fortschritt, Nr. 15, vom 11. April 1952: hier die Behauptung, die Technik, nicht die Politik sei das Schicksal der Menschen - vgl. dazu den Einwand Schmitts auf Walter Rathenaus Wort, die Ökonomie sei das menschliche Schicksal in: Schmitt: Begriff des Politischen, 1963, S.76 - , sie bedinge die Einheit der Welt (Carl Schmitt: Die Einheit der Welt, in: Merkur, 6. Jg., Heft 1/1952, S. 1 - 1 1 ) ; statt der Monroegelte nun die Stimson-Doktrin von 1941, nach der die Welt zu klein sei für zwei entgegengesetzte Systeme.
51
Otto Brunner: Zeitalter der Ideologien. Anfang und Ende (in ders.: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S.45—63). Carl Schmitt: Der neue Nomos der Erde (in: Gemeinschaft und Politik, 3. Jg., Heft 1/1955, S. 7—10). Schmitt (Gordischer Knoten, 1955, S. 157 unter Bezug auf §247 von Hegels „Philosophie des Rechts", dessen Entfaltung „nicht weniger fruchtbar und nicht weniger folgenreich sein [könnte], wie die Entfaltung der vorangehenden §§243/246 durch den Marxismus", ebd., S. 165). Carl Schmitt: Der Aufbruch ins Weltall. Ein Gespräch zu dritt über die Bedeutung des Gegensatzes von Land und Meer (in: Christ und Welt, Nr. 25, vom 23. Juni 1955). Carl Schmitt: Von der TV-Demokratie. Die Aggressivität des Fortschritts (in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 26, vom 28. Juni 1970). Zu Hobbes Schmitt: Die vollendete Reformation (1965); zu Clausewitz ders.: Clausewitz als politischer Denker. Bemerkungen und Hinweise (in: Der Staat, 5. Jg. (1967), S. 479—502). Zu
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1. Carl Schmitts Nachkriegswerk
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eine Rolle definieren, die ihrer Aufgabe, heimatverbunden und weltgeschichtlicher „Aufhalter" zugleich zu sein, gerecht werden konnte - die Figur des „Partisanen": Die „Theorie des Partisanen" war ein autoritatives Wort zu der umläufigen Debatte um „Widerstand"/,,Waldgang"/„Partisanentum", die nach 1945 einsetzte und Stoff zu mehreren Büchern gab 57 . Der Partisan, so Schmitt, sei im preußischen Edikt über den Landsturm von 1813 erstmals theoretisch erfaßt worden, es sei das erste „offizielle Dokument einer Legitimierung des Partisanen der nationalen Verteidigung [...] aus einem Geist und einer Philosophie, die in der damaligen preußischen Hauptstadt Berlin herrschten" 58 . Hier sei (und die Parallele zu 1933 liegt nahe) in einer Atmosphäre, „in der sich ein erregtes Nationalgefühl mit philosophischer Bildung" vereinigt habe, von einem ungeheuren geistigen Potential „einer damals im kritischen Augenblick tatbereiten preußischen Intelligenz" der Partisan „philosophisch entdeckt" worden „als eine neue, bisher nicht anerkannte Figur des Weltgeistes"59. Über Clausewitz, Lenin und Mao sei die weitere Entwicklung des Partisanen verlaufen — innerhalb immer weltanschaulicher werdender Kämpfe. Aber erst der revolutionäre Krieg mache ihn zu einer Schlüsselfigur der Weltgeschichte60. Im französischen General Raoul Salan sieht Schmitt seine bisher letzte Ausprägung und er verweilt bei der Rousseau ders.: Dem wahren Johann Jakob Rousseau (in: Zürcher Woche, 14. Jg., Nr. 26, vom 29. Juni 1962). Letzterer wird hier als ein „Partisan" vorgestellt, der als „letzter Mensch" in einer überzivilisierten Welt erscheint und dessen Deutung durch „interessierte Dritte" instrumentalisiert worden sei; so sei ein „Labyrinth phantastischer Widersprüche" entstanden, „in dem das echte Bild Rousseaus" verschwunden sei; gegen diese von einer „weltpolitischen Zentrale" gesteuerten Einverleibung in die Programme ihrer Massenmedien gebe es nur einen Ausweg: „den Text seiner Worte so zu lesen, wie er ihn selber geschrieben und gemeint" habe — die „große Parallele" zu dem ,,verfolgte[n] und im Verfolgungswahn endende[n] Individuum" Rousseau ist hier wieder ganz offenbar. (Auf diesen Artikel Schmitts gab es eine umfangreiche Entgegnung von H. F Pfenninger: Carl Schmitt und der .Partisan' Rousseau, in: Neue Zürcher Zeitung vom 27. Juli 1962, S. 5). 57
Berlin 1963. Am bekanntesten war Jüngers „Der Waldgang" (1951); dort habe Jünger, wie Schmitt in einer Fußnote bitter vermerkte, dem Staatsrechtslehrer die Fähigkeit abgesprochen, dem Waldgänger das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben (ebd., S.26) - dies zu widerlegen war sicherlich eines der Motive für die Untersuchung. Auch „Der Partisan" von Rolf Schroers (1961) erhält eine Abfuhr, wie sie freundschaftlicher Umgang noch gerade zuzulassen schien: er sei an der Hitler-Zeit orientiert und habe den illegalen Widerstandskämpfer und Untergrundaktivisten zum eigentlichen Typus des Partisanen gemacht, damit habe er die Bindung des Partisanen an die Kriegssituation „verkannt" und - aus Schmitts Feder eines der härtesten Verdikte - zur „Begriffsauflösung" beigetragen (ebd., S. 24f.). 58 Ebd., S. 47, 48. 59 Ebd., S. 49f. Als „Partisanen des Weltgeistes" hatte Schmitt bereits vorher Bruno Bauer, Max Stirner und Donoso Cortés bezeichnet (vgl. Schmitt: Donoso Cortés, 1950, S. 25). 60 Ebd., S. 74, S. 80. Vier Kriterien seien es, die einen Partisanen definierten: Irregularität, gesteigerte Mobilität, Intensität des politischen Engagements und tellurischer Charakter (vgl. auch Carl Schmitt: Gespräch über den Partisanen, in: Joachim Schickel (Hg.): Guerrilleros, Partisanen. Theorie und Praxis, München 1970, S. 9-29).
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3. Kapitel — Schweigen Geschichte des OAS-Chefs und besonders beim sich anschließenden Prozeß auffallend ausführlich 61 . „Von jetzt ab werde ich schweigen", habe der General dort geäußert, was ihm für Hochmut und Mangel an Bußgesinnung ausgelegt worden sei, man sähe aber hierin „die Abgründe, über denen sich Scharfsinn und Rhetorik eines politischen Prozesses" abspielten 62 . Salan habe, so Schmitt, die Erfahrungen des Partisanenkampfes zu Ende gedacht 63 . Seine politische Situation „ging in einer verzweifelten Tragik unter, weil er innenpolitisch, im eigenen Vaterland, illegal wurde und draußen, in der Weltpolitik, nicht nur keinen interessierten Dritten fand, sondern, im Gegenteil, auf die kompakte feindliche Front des Antikolonialismus stieß" 64 .
Die Selbstreferenz hatte sich in dieser Schrift bereits mit Schmitts Nachkriegs-„Fall" rückgeschlossen. Sein esoterischstes Werk, die „Politische Theologie II"65 reichte noch tiefer in die Geschichte zurück: Eusebius, der Lobredner Konstantins des Großen, sei Zeit seines Lebens „ex post"Vorwürfen ausgesetzt gewesen, die „moralisch seinen Charakter, theologisch-dogmatisch seine Orthodoxie" beträfen, ja er sei zum „Urbild eines charakterlosen Byzantinismus" geworden 66 . Es sei aber, nach Schmitt, die angeblich von seinen Kritikern nicht in Anschlag gebrachte „geschichtliche Konkretheit" des Falles Eusebius (beim Konzil von Nicaea) zur Geltung zu bringen: „Ein undurchdringliches Neben- und Durcheinander von theologisch-dogmatischem Eifer mit Intrigen am Hofe des Kaisers, von Mönchsrevolten und aufgewiegelten Volksmassen, Aktionen und Gegen-Aktionen aller Art, machen dieses Konzil von Nicaea zu einem Testfall dafür, daß es unmöglich ist, in der geschichtlichen Wirklichkeit religiöse und politische Motive und Ziele als zwei inhaltlich bestimmbare Bereiche sauber zu trennen." 67 Und, wohl auf seine eigene historisch komplexe Situation um 1934/35 anspielend, fährt Schmitt fort: „Wenn ein christlicher Bischof wie Eusebius, der die diokletianischen Christenverfolgungen überstanden hatte, den römischen Kaiser Konstantin, der solchen Verfolgungen ein 61
„Viele Parallelen, die das Partisanentum betreffen, drängen sich hier auf". Salan habe argumentiert, „daß er ja selber am 15. Mai 1958 dem General de Gaulle gegen die damalige legale Regierung zur Macht verholfen habe, daß er sich damals vor seinem Gewissen, seinen Pairs, seinem Vaterland und vor Gott engagiert habe und sich jetzt, 1962, um alles das düpiert und betrogen sehe, was im Mai 1958 als heilig ausgegeben und versprochen worden war. Er berief sich gegen den Staat auf die Nation, gegen die Legalität auf eine höhere Art Legitimität." Erst das Referendum vom September 1958 habe de Gaulle zur Legalität verholfen (ebd., S. 85f.). 62 Ebd., S. 68f. 63 Ebd., S.83. « Ebd., S.93. 65 Berlin 1970; die Schrift antwortete auf eine „Erledigung" jeder politischen Theologie durch Erik Peterson in einem Artikel von 1935, zugleich brachte er sich in der gerade einsetzenden Debatte um die Politische Theologie als einer der Urheber des Begriffs in Erinnerung (dazu demnächst Reinhard Mehring: Carl Schmitts „Politische Theologie II" als Selbstinterpretation und als Konzept - Manuskript). 66 Ebd., S. 69f. 67 Ebd., S.72f.
1. Carl Schmitts
Nachkriegswerk
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Ende machte, mit iiberschwenglichen Worten preist, ist das ein natürliches Verhalten und kein Grund zu theologischen Erledigungen, solange der Bischof den Kaiser nicht mit Gott oder mit Christus" verwechsle68.
Soweit der Gang durch die Appellstruktur des Schmittschen Nachkriegswerkes, für das darüber hinaus die „Ränder" der Texte, Verlagsankündigungen, Widmungen, Klappentexte, Vorworte und Einleitungen von bisweilen mehr als nur erläuternder Bedeutung sind. Dies gilt vor allem für die Anmerkungen, in denen nicht selten erst das eigentlich esoterische Wissen mitgeteilt wurde. Auffällig ist namentlich die „Zitationspolitik", die generell einen stark selbstbezüglichen Charakter aufwies und daneben diejenigen Personen erwähnte, mit denen Schmitt gerade „im Gespräch" stand. Diese Zitationen zollten aber nicht allein freundschaftlichen Tribut, sie suggerierten zugleich ein spezifisches „Diskussionsfeld"69. Insofern waren Schmitts Texte bisweilen wie intellektuelle Gästelisten zu lesen, stellten aber auch einen Reflex auf die Wirkung dar, die er noch erlebte, zumal sich die Texte selbst ja als „Zwischenbemerkung", „Corollarium", „Antwort" etc. gaben und selbst „Paratext" zum Gesamtwerk sein wollten. Diese Fülle von im Nachkriegswerk ausgebreiteten Argumenten entfaltete eine um so stärkere Wirkung, als sie in betont defensivem Kleid dargeboten wurde70. Die „kleine Form", das bescheidene Erscheinungsbild und die zurückgenommene Rhetorik setzten sich im ganzen Stil von der i. d. R. fordernden Behauptung und blanken Apologetik ab, wie sie in der rechten Publizistik sonst vorherrschten. In feiner Andeutung, Insinuation und geistesgeschichtlicher Überhöhung wurde dennoch nahezu das gesamte Argumentationsarsenal präsentiert, mit dem sich deutscher „Behauptungswille" in der Nachkriegszeit wappnete. Schmitt wurde damit unter den posttotalitären Schicksalsinterpreten einer der elaboriertesten und einflußreichsten. Skizzen der Nachkriegsexistenz und -Stellung einiger in vielem vergleichbarer Persönlichkeiten sollen im folgenden gegenübergestellt werden, um diese Bedeutung besser zu illustrieren.
« Ebd., S. 81. 69 „Dabei versieht er in seinen Anmerkungen verschiedene heute lehrende Staatsrechtswissenschaftler mit seinem Segen" (Kurt Sontheimer: Carl Schmitt, 1958, hier Sp. 761). Besonders auffällig ist diese Tendenz bei den Rezensionen, die Schmitt seit 1954 für „Das HistorischPolitische Buch" (hg. u. a. von Ernst Forsthoff, Helmut Schelsky und Otto Brunner) schrieb. Auch diese sind Teil der „Verweisstruktur" Schmittscher Texte, die gleichsam ein „Ritterschlag"-System bildet; zur Bedeutung der ,Rezensionscliquen', s. unten Kapitel 6, Abschnitt 2. 70 „Mein bescheidenes Vehikel von beinahe antikem Format..." nannte Schmitt seinen Privatdruck „Die Tyrannei der Werte" (im Wiederabdruck in: Säkularisation und Utopie, 1967, S. 51).
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3. Kapitel — Schweigen
2. „Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer
ein..."
„Wir sind von Aussen oft verbunden, wir sind von Innen meist getrennt, doch teilen wir den Strom, die Stunden, den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden dess', das sich das Jahrhundert nennt." Gottfried Benn an Ernst Jünger, Dezember 194971
Alle im folgenden kurz vorgestellten Personen befanden sich 1945 in einer Carl Schmitt vergleichbaren Situation: konfrontiert zu sein mit dem Vorwurf einer Mitverantwortung für das ,Dritte Reich' und zu bekannt, um hinterher einfach unterzutauchen, in die Anonymität auszuweichen oder durch ein agrément eines nur engen Bekanntenkreises das Rühren an die Vergangenheit zu unterbinden. Alle waren, meist in der Frühzeit, Sympathisanten oder Befürworter des NS-Regimes gewesen, für manche hatten sich Karrieren angeschlossen, die bis in die Phase des Niedergangs reichen konnten. Natürlich müßte jede dieser Biographien eigenständig gewichtet werden, um den Einzelfällen „gerecht" zu werden. Es soll aber auf einige Gemeinsamkeiten hingewiesen und verdeutlicht werden, wo der „Fall" Carl Schmitt charakteristische Züge aufwies. Es handelt sich um Intellektuellenbiographien, die in die Bundesrepublik hineinreichten und damit in einen Staat, der nicht mehr der ihre war. So bildeten sie gleichsam einen geistesgeschichtlichen Überhang aus den 20er/30er Jahren, und nicht allen gelang es, zu Trägern geistesgeschichtlicher Kontinuität zu werden. a) Niemand ist aus der Perspektive des Verhaltens von Intellektuellen im Bann des Nationalsozialismus72 neben Schmitt so ausführlich debattiert worden, wie Martin Heidegger. Die in beiden repräsentierte Mischung aus Faszinationsgabe, Verstrickung und 71
Zit. nach einem Brief an F W. Oelze vom 2. Dezember 1949 (Gottfried Benn: Briefe an E W. Oelze, 1945-1949, Frankfurt/M. 1982, S.273; vgl. den Brief Hugo von Hofmannsthals an Rudolf Alexander Schröder vom 27. Juli 1911: „Wir gleichzeitig Lebenden sind doch füreinander von einer geheimnisvollen Bedeutung", und er meinte damit „das Aufeinander-bezogensein einiger weniger Männer, die sich ohne Hochmut, aber gemäß innerer Notwendigkeit, fast ohne es zu bemerken, von allen andern plötzlich abgesondert sahen, dabei aber in wunderbarer Weise sich durch ein tiefes Verstehen großer Vorbilder, durch ein Gefühl inneren Wachstums, und schließlich, am herrlichsten, durch eine menschlich tiefe Verknüpfung mit der Welt und den Menschen, gerettet und niemals-und-immerfort am Ziele wissen" (zit. nach Richard Alewyn: Unendliches Gespräch. Die Briefe Hugo von Hofmannsthals, in: Die Neue Rundschau, 65. Jg., 3 . - 4 . Heft/1954, S. 538-567, hier S. 566).
72
Karl Corino (Hg.): Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus (Hamburg 1980, Artikel u. a. über Benn, Forsthoff, Schmitt, Freyer, bezeichnenderweise (noch) nicht über Heidegger).
2. „Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer
ein.
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übersteigerter Selbsteinschätzung ließ sie zu Mythen der deutschen Geistesgeschichte werden. Heidegger, dessen Selbstinszenierung offenbar geraume Zeit über seinen Tod hinauswirkte 73 , geriet seit den frühen 80er Jahren erneut in heftige Auseinandersetzungen um die Affinitäten seines Denken zum Nationalsozialismus74. Dabei ging es exemplarisch um seine Rolle bei der Gleichschaltung der Freiburger Universität während der Zeit seines Rektorats. Dazu hatte Heidegger 1945 geschrieben: „1.) Ich sah damals in der zur Macht gekommenen Bewegung die Möglichkeit zu einer inneren Sammlung und Erneuerung des Volkes und einen Weg, zu seiner geschichtlich-abendländischen Bestimmung zu finden. Ich glaubte, die sich selbst erneuernde Universität könnte mitberufen sein, bei der inneren Sammlung des Volkes maßgebend mitzuwirken. 2.) Darum sah ich im Rektorat die Möglichkeit, alle vermögenden Kräfte - abgesehen von Parteizugehörigkeit und Parteidoktrin - dem Vorrang der Besinnung und Erneuerung zuzuführen und den Einfluß dieser Kräfte zu stärken und zu sichern. 3.) Auf diese Weise hoffte ich, dem Vordringen ungeeigneter Personen und der drohenden Vormacht des Parteiapparates und seiner Parteidoktrin begegnen zu können." 75 „Mit der Übernahme des Rektorats habe ich den Versuch gewagt, das Positive zu retten und zu läutern und zu festigen." 76 Spätestens seit dem sog. „Todtnauberger Lager" Anfang 1934 sah sich Heidegger aber als Opfer eines „Kesseltreibens" mit dem Versuch, ihn „totzuschweigen"77. Die Ereignisse seit 1933 hielt er jedoch insgesamt für nicht der Rede wert: „ . . . auch diese Vorfälle sind nur ein flüchtiger Schein auf Wogen einer Bewegung unserer Geschichte, deren Dimension die Deutschen auch jetzt noch nicht ahnen, nachdem die Katastrophe über sie hereingebrochen" sei78. Der Nationalsozialismus fand seine Verortung im philosophischen Gebäude und wurde in der Irrnisgeschichte des Seins zum
73
74
Vgl. das Heidegger-Interview von 1966 (abgedruckt in „Der Spiegel", Nr. 23, vom 31. Mai 1976, S. 193-219). Hugo Ott: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie (Frankfurt a. M./New York 1988); Bernd Martin (Hg.): Martin Heidegger und das ,Dritte Reich' (Darmstadt 1989); Victor Farias: Heidegger und der Nationalsozialismus (Frankfurt/M. 1989, dem es auch um den Nachweis von Heideggers Antisemitismus geht). D i e Tatsache seiner anfänglichen Sympathien für den Nationalsozialismus ist zwar nie bestritten worden, blieb aber auf merkwürdige Art v. a. von seinen französischen Rezipienten auch dann noch ausgeblendet, nachdem Pierre Bourdieu 1975 erneut darauf hingewiesen hatte (Die politische Ontologie Martin Heideggers, dt. Frankfurt/M. 1976).
7
5 Martin Heidegger: Das Rektorat 1933/34 - Tatsachen und Gedanken (Frankfurt/M. 1983, S. 23f., Erstveröffentlichung einer Niederschrift aus dem Jahre 1945).
76
Ebd., S.26. Seine drei „tüchtigsten Schüler" (Gadamer, Krüger, Bröker) seien jahrelang bei der Vergabe von Lehrstühlen zurückgesetzt worden, ab 1938 habe auch er faktisch unter Publikationsverbot zu leiden gehabt (ebd., S. 42). 78 Ebd., S. 43. 77
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3. Kapitel — Schweigen
Verschwinden gebracht 7 9 . Von seinem ehemaligen Schüler Herbert M a r c u s e auf konkrete Vorgänge wie die Juden Vernichtung angesprochen, schrieb ihm Heidegger unter dem 2 0 . J a n u a r 1948: alles, was über die Ausrottung der Juden gesagt worden sei, würde auch für die Alliierten gelten, wenn man für die „ J u d e n "
„Ostdeutsche"
schreibe. Mit einem letzten Antwortbrief ließ M a r c u s e daraufhin die Gesprächs-Verbindung zu Heidegger wieder a b b r e c h e n 8 0 , und Heidegger bezog den Standpunkt: „Vielleicht verlangt dann die Sprache weit weniger das überstürzte Aussprechen als vielmehr das rechte Schweigen" 8 1 . Heidegger erhielt im F e b r u a r 1947 Lehrverbot durch die französische Besatzungsm a c h t , wurde 1951 emeritiert, konnte aber bis 1967 weiter lehren. Mit dem über Frankreich gleichsam reimportierten Existenzialismus entfaltete er eine breite Wirkung in den 5 0 e r J a h r e n , und ehe Jaspers' Bemühungen um eine politische Ethik zunehmendes G e h ö r fanden, ehe die Frankfurter Schule den Angriff auf den „Jargon der Eigentlichkeit" 8 2 führte und weitere Schüler sich von ihm distanzierten 8 3 , hatte sich (spätestens seit „Holzwege" von 1950) eine für Laien kaum noch nachvollziehbare Esoterik und Heidegger-Philologie etabliert 8 4 . Ernst Vollrath: Heidegger, die Politik und das Politische (in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 242. Jg., Heft 1-2/1990, S. 1 2 0 - 1 5 5 , hier S. 152 - Vollrath geht auch auf Parallelen zu Schmitt ein); vgl. Ignaz Knips: Die „Kehre" und die Kontinuität. Heideggers Arbeiten nach 1945 und ihre Rezeption (in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, Heft 18: Restauration der Philosophie nach 1945,10. Jg./1990, S. 8 1 - 8 8 ) . 8° Hauke Brunkhorst: Der Intellektuelle im Land der Mandarine (Frankfurt/M. 1987, S. 142; s. auch Jürgen Habermas: Einleitung zu Farias, Heidegger, 1989: für das Aufrechnungsargument Heideggers sieht Habermas eine Kontinuität bis zu Andreas Hillgruber und den sog. „Historikerstreit"). 79
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Martin Heidegger: Brief über den „Humanismus" (1946, in ders.: Wegmarken, Frankfurt/M. 1967, S. 145-194, hier S. 174). Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie (Frankfurt/M. 1964). Karl Löwith: Martin Heidegger. Denker in dürftiger Zeit (1953, in ders.: Sämtliche Schriften, Bd. 8, Stuttgart 1984, S. 1 2 4 - 2 3 4 ) . In einem Gedicht unter dem Pseudonym „Bert Ipsenstein" an „Die Zeit" parodierte Schmitt den Satz Heideggers: „Der Mensch ist der Hirte des Seins": „Es raunt ein Ruf aus Hölderlin/ Und Duineser Elegien:/ Zum Sein, zum Sein, zum wahren Sein,/ Wir alle wollen Hirten sein!" (Brief Schmitts an Redaktion „Die Zeit" o . D . [1952], HSTAD R W 2 6 5 - 3 2 3 , Nr. 267). Von einer Beziehung Carl Schmitt - Martin Heidegger kann nur indirekt gesprochen werden: zwar forderte Heidegger Schmitt in einem Brief vom 22. August 1933 zur Unterstützung beim Umbau der deutschen Universität auf (HSTAD RW265 - 4 0 0 , Nr. 31), persönlich begegnet freilich sind sie sich wohl nie, hatten aber literarisch eine „Freundschaftliche Begegnung" (Festschrift für Ernst Jünger, 1955). Die von Christian Graf von Krockow dargelegte gleiche denkerische Linie über die Option für „Die Entscheidung" (Stuttgart 1959) müßte für die Nachkriegszeit separat untersucht werden. Der Darmstädter Schriftsteller Egon Vietta hat, ausweislich der Briefe im Nachlaß Schmitts, offenbar Vermittlerdienste geleistet.
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Als 1953 der Student Jürgen Habermas gegen kommentarlos neuaufgelegte Schriften Heideggers aus den 30er Jahren protestierte, in denen nach wie vor von der „Wahrheit und inneren Größe der Bewegung" die Rede war, blieb der Philosoph zunächst stumm 85 . Als Karl Korn nachhakte, warum Heidegger schweige86, ließ dieser sich in einer Leserzuschrift schließlich vernehmen, er sei „überzeugt, daß die Vorlesung die erwähnten Sätze durchaus verträgt für einen Leser, der das Handwerk des Denkens gelernt hat. Was damals in einer solchen Vorlesung zu sagen im äußersten möglich war und was nicht, können heute nur noch wenige ermessen. Ich aber weiß, daß die Hörenden unter den Hörern das Gesagte sehr genau verstanden haben" 87 . Aus der Umgebung Heideggers, so berichtete Habermas später, habe es immer wieder geheißen, der Denker habe sich gegen Verleumdungen zur Wehr setzen müssen, jedes Eingeständnis wäre als Zeichen eines neuen Mitläufertums gewertet worden, Heidegger sei wegen der Unangemessenheit einer jeden Erklärung verstummt, habe demonstrative Gesinnungswechsel „widerlich" gefunden, junge Leser zudem nicht vor der Lektüre seiner Werke abschrecken wollen, keine Veranlassung zu einem „Canossa-Gang" gesehen, da er sich nicht als Nazi gefühlt habe etc. 88 Aus der Erfahrung der Heidegger-Renaissance im Japan der Nachkriegszeit hat jüngst ein japanischer Forscher versucht, das Typische an der Einstellung nachfaschistischer Intelligenzen zur Vergangenheit im Vergleich zu definieren: l.)die Komplizenschaft von Reflexion und Resignation; 2.) die aufgesetzt wirkende Liebe zum stillen, einfachen und heimatlich-provinziellen Leben 89 bei gleichzeitiger Hinnahme des übermächtigen technisch-wirtschaftlichen Apparats; 3.) die intellektuelle Prätention, als einziger die Position erreicht zu haben, über das schicksalhafte Dahineilen der abendländischen Zivilisation nachdenken zu können 90 .
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Es handelte sich um Martin Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Tübingen 1953; vgl. den Wiederabdruck in Jürgen Habermas: Philosophisch-politische Profile, Frankfurt/M. 1972). Karl Korn: Warum schweigt Heidegger? (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. August 1953). Martin Heidegger: Leserbrief an „Die Zeit" vom 24. September 1953. Habermas (in: Farias, Heidegger, 1989, S. 33 - „Eine selbstkritische Einstellung [ . . . ] hätte von Heidegger etwas verlangt, was ihm schwerfallen mußte: die Revision seines Selbstverständnisses als eines Denkers mit privilegiertem Zugang zur Wahrheit"). Hier ist zu denken an Heidegger: Der Feldweg (1949) und die Antwort auf die Frage: Warum bleiben wir in der Provinz? (1934), zu denen in gewisser Weise Schmitt mit „Welt großartigster Spannung" (in: Merian, 7. Jg., Heft9/1954) ein Gegenstück lieferte. Kenichi Mishima: Über eine vermeintliche Affinität zwischen Heidegger und dem ostasiatischen Denken. Gesehen im politischen Kontext der faschistischen und nachfaschistischen Zeit (in: Dieter Papenfuß/Otto Pöggeler (Hg.): Im Spiegel der Welt. Zur philosophischen Aktualität Heideggers, Bd. 3, Frankfurt/M. 1992, S. 325-341, hier S. 338f.).
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b) Die Freundschaft Schmitts zu Ernst Jünger war seit 1930 eine der wenigen, die über Jahrzehnte und Regime hinweg Bestand hatte; sie wird bisweilen unter die großen und geistig ergiebigen Freundschaften dieses Jahrhunderts gezählt 91 . Eine genaue Analyse ihres Verhältnisses steht noch aus 92 - die immer wieder angekündigte Veröffentlichung ihres Briefwechsels wird einiges erläutern. Sicher ist, daß dieses Verhältnis kein spannungsfreies und wohl gerade wegen der Unterschiedlichkeit der geistigen Temperamente ein so festes gewesen ist. Wie bei Heidegger muß in bezug auf Jünger die Parallelschaltung von geistigen Haltungen und Denkwegen wie die gegenseitige inhaltliche Beeinflussung erst noch untersucht werden. Mehr noch als Schmitt galt Jünger in den 20er Jahren als repräsentative Figur der nationalen Rechten. Er blieb jedoch letztlich ein Einzelgänger und verweigerte sich weitgehend einer offenen Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. In der intellektuellen Produktivität, in der begrifflichen Umkreisung von in der Luft liegenden Themen waren Schmitt und Jünger — wenngleich in sehr unterschiedlichen Zugriffsweisen — kongenial. Bei beiden finden sich daher wichtige Begründungen ihres Selbstbewußtseins aus der Rolle des Analytikers und Deuters heraus. Beide sahen ihr Schicksal als ein für ihre politische Generation typisches an, was ihre Produktivität über Brüche hinweg perpetuierte und sie im eigenen Verständnis gleichsam in eine „Chronistenpflicht" nahm. Kritische Bewunderer stimmten hierin mit ihnen überein und sahen etwa „Züge des ewigen Deutschen an der Figur Ernst Jünger sichtbar werden" 93 . Trotz seiner als Kritik lesbaren Schriften „Auf den Marmor-Klippen" bzw. „Der Friede" war Jünger nach dem Krieg mit Vorwürfen konfrontiert, der Etablierung des ,Dritten Reiches' Vorschub geleistet zu haben; er wurde mit Publikationsverbot
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Der Bestand an Briefen und Materialien im Nachlaß Schmitts bildet jedenfalls einen der umfänglichsten — ob auch einen der spannendsten, muß einer inhaltlichen Auswertung vorbehalten bleiben. Zu Jünger jetzt die Biographie von Martin Meyer: Ernst Jünger (Stuttgart 1990). Vgl. aber Horst Mühleisen: D i e Beziehungen zwischen Carl Schmitt und Ernst Jünger. Ein Versuch (in: Piet Tommissen (Hg): Schmittianal, Brüssel 1989, S. 108-118); Armin Möhler: Begegnungen bei Ernst Jünger. Fragmente einer Ortung (in ders. (Hg.): Freundschaftliche Begegnungen, Frankfurt/M. 1955, S. 196-206); ders.: Carl Schmitt und Ernst Jünger (in: Criticón 128, Nov./Dez. 1991, S. 2 9 4 - 2 9 8 ) ; Piet Tommissen: Ernst Jünger en Carl Schmitt. Een balans (in: Yang, 28. Jg., H e f t 2 - 3 / 1 9 9 2 , S. 2 2 6 - 2 3 5 ) . Alfred von Martin: Der heroische Nihilismus und seine Überwindung. Ernst Jüngers Weg durch die Krise (Krefeld 1948, S. 8, der aber S. 10 skeptisch hinzufügt: „ . . . und nun will Jünger (auch er, wie alle) nie Aktivist gewesen sein, sondern, während der ganzen Dauer des Erdbebens, des Taifuns, nur ,Seismograph' und ,Barometer'"). Vgl. auch Gerhard Nebel: Ernst Jünger und das Schicksal des Menschen (Wuppertal 1948). Auch bei Jünger findet sich die Suche nach Gleichnissen, Parallelen, Identifikationen: „Begonnen mit dem Jeremía, dessen Lage der eines heutigen Deutschen mit geistiger Verantwortung ähnlich war" (Ernst Jünger: Strahlungen, Bd. 2, München 1988, S. 463, Eintrag vom 6. Juni 1945).
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belegt 94 . Einer Entnazifizierung' verweigerte er sich. „Eine Zeitlang erschien er Beobachtern als Wortführer nachnihilistischer Konversion zu Kirche und christlicher Heilslehre" 95 . Jünger auch prägte das Wort vom „Weltbürgerkrieg"96, der sowohl die Nationalstaaten und ihre Konflikte überwinden werde, wie den einzelnen auf sich selbst zurückwerfe. Angesichts dieser Lage sei der „Waldgang" 97 für den geistigen Menschen die einzig angemessene Antwort. Tagespolitischen Stellungnahmen hielt sich Jünger fortan fern, was seine Reetablierung und Wiederanerkennung förderte, die Schmitt mit bitterem Neid kommentierte 98 . In der Suche nach Schutz der individuellen Freiheit verstärkte sich Jüngers „Zeitfeindschaft" 99 bis zur Ausarbeitung der Vorstellung eines „Posthistoire" - erträglich nur im Rausch oder im Führen „endloser Gespräche". c) Zwischen den (intellektuellen) Biographien von Gottfried Benn und Carl Schmitt, die sich persönlich nur während der Kriegstage in Berlin einige Male trafen 100 , gab es bereits vor der Zeit des ,Dritten Reiches' Übereinstimmungen. Der zwei Jahre ältere Benn entstammte zwar einem evangelischen Pfarrhaus, erlernte aber wie Schmitt einen völlig undichterischen Beruf, hatte erste Erfolge als Expressionist und erreichte einen Zenith seines Ruhms gegen Ende der 20er Jahre. Eigenen Aussagen nach geriet er 1933
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Zur Rezeption s. Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik. 1945 bis 1985 (Diss., Frankfurt/M. u. a. 1987). 95 Karl Otto Paetel: Ernst Jünger (Reinbek 1962, S. 119). 96 In den „Strahlungen" (einem Leserbrief eines Helmut Didszun in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Nr. 224, vom 26. September 1991, zufolge soll der Begriff erstmals 1931 im Werk Eugen Rosenstock-Huessys „Die europäischen Revolutionen" erschienen sein). 97 „Weder im Dabeisein, wo heute der Einzelne zur Nummer wird, noch im Resignieren: nur im wartenden schweigenden Abseitsgehen wird nicht nur die Selbstauslese neuer Elite wirksam, sondern auch die Substanz angesammelt, die später im nationalen und menschheitlichen Schicksal eingebaut werden kann" (Paetel: Jünger, 1962, S. 135; kritisch zur Vorstellung des „Waldgangs" der Schmitt-Schüler Serge Maiwald: Der totale Staat und das Individuum. Bemerkungen zum neuen Buch von Ernst Jünger ,Der Waldgang' und zur These vom individuellen Widerstand, in: Universitas, 7. Jg., Heft 1/1952, S. 35-44). 98 Von Theodor Heuss bis Carlo Schmid reichten seine Bewunderer. Heute ist es Helmut Kohl, der ausländische Staatsgäste (Mitterand, Gonzales) gern nach Wilflingen führt, wenn er „deutschen Geist" präsentieren will. - „Ernst Jünger wird reifer und reifer. Jetzt ist er bald reif für den Nobelpreis" (Schmitt: Glossarium, 1991, S. 217, Eintrag vom 27. Januar 1949). 99 Hans-Peter Schwarz: Der konservative Anarchist (Freiburg 1962), S.233: Jüngers Eröffnung eines Auswegs aus dem Scheitern in der Realität sei Eskapismus und Weltabkehr, besonders in „An der Zeitmauer" (1959) und „Eumeswil" (1978), s. auch Dietmar Kamper: Weltstaat im Kopf, Wildnis im Herzen. Ernst Jüngers Anmerkungen zum ,Post-Histoire' (in: Text und Kritik, Januar 1990). 100 Vgl. ¿je beiden von Piet Tommissen 1967 veröffentlichten Briefe Benns an Schmitt aus dem Jahre 1943 (in: Gottfried Benn: Den Traum alleine tragen, München 21975, S. 219-225).
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in eine Art „Schicksalsrausch" 101 . Er besetzte prominente Positionen in Akademien etc., aus denen er gegen die Emigranten schoß 102 . Seit etwa 1934 nahm seine Distanz zum Regime zu, und wie Schmitt wurde er 1936 im „Schwarzen Korps" angegriffen. Fortan zog er sich - mit einer Abschlußgeste für das eigene Fach - in die „innere Emigration" zurück und distanzierte sich vom politischen Appellcharakter der eigenen Texte 103 . In den posthum veröffentlichten Briefen an seinen Freund Oelze gestand er nach dem Krieg: „Die geistige Intensität, die von mir immer in meine Prosa ging, ist mir heute u. im Augenblick unsympathisch u. verdächtig, Schweigen erscheint mir grossartiger, leidend schweigen tiefer." 104 Analog zu „Ex Captivitate Salus" wies Benns „Doppelleben" 1 0 5 eine ungebrochene Selbsteinschätzung aus; im Bereich des Politischen sah er gegenüber dem der Kunst die reine Willkür und den Wankelmut regieren 106 . Dieser Rückzug in die Passivität, Benns ironische Herablassung gegenüber der Politik, trafen (anders als Schmitts Texte) den Zeitgeist eines breiteren Publikums. Benn war daher in der jungen Bundesrepublik, nach der Aufhebung des Publikationsverbots 1948, ein zweiter Ruhm beschieden, der seinen ersten noch überstrahlte. ιοί Nach Walter Lening: Gottfried Benn (Reinbek 1962, S. 114). 102 Gottfried Benn: Der neue Staat und die Intellektuellen (Stuttgart/Berlin 1933, ein Rundfunkvortrag vom 24. April 1933): dieser Staat sei gegen die Intellektuellen entstanden, geschichtlich logisch, von echten menschlichen Substanzen genährt, bringe einen neuen biologischen Typ hervor, sei total, gegen wertindifferente Geistesfreiheit, elementar etc.; im Mai 1933 folgte - auf eine Replik Klaus Manns hin - eine „Antwort an die literarischen Emigranten". 103 Dazu Jürgen Schröder: Benn in den dreißiger Jahren (in Karl Corino (Hg.): Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, Hamburg 1980, S. 48-60). Dem Schmittschen „Ende des Zeitalters der Staatlichkeit" entsprach Benns „Apréslude". Am 1. April 1935 ließ sich Benn als Stabsarzt reaktivieren. Von ihm stammt das Wort von der ,Armee als aristokratischer Form der inneren Emigration'. im Benn (Briefe an Oelze, 1982, S. 9, Brief vom 2. Dezember 1945). 105 Gottfried Benn: Doppelleben (Wiesbaden 1950). 106 „Ich brauche ja gewiss nur einen Schritt der Bemühung hier zu gehn, um wieder bezw. in die demokratische Front eingereiht zu werden, aber ich gehe diesen Schritt nicht [...] 1933 wurden die Mitglieder [der ,Akademie der Künste', v.L.] auf Befehl der Faschisten gestrichen, heute auf Befehl der Antifaschisten, kommen morgen die Katholiken zur Macht, hängen wir eine Madonna an die Wand u. legen Rosenkränze vor die Sitzungsteilnehmer — also: entweder es giebt [sie!] die Kunst dann ist sie autonom, oder es giebt sie nicht, dann wollen wir nach Hause gehn." (Brief an Oelze vom 25. Dezember 1945, Briefe, 1982, S. 12f.) - Vgl. dazu Jünger (Strahlungen, Bd. 2, Eintrag vom 30. Juni 1945, S. 485: „Bei den Engländern, den Franzosen, fast allen anderen hätte ich, ohne Zweifel besser, wahrscheinlich problemlos, reüssiert. Aber man kann und will sich sein Vaterland nicht aussuchen. Es gehört zum Schicksal, zur Aufgabe." — Schröder meint zur Haltung Benns, er habe wie so oft seine eigenen Erfahrungen totalisiert und geschichtsphilosophisch überspannt, zuletzt habe er die im Nachkriegsdeutschland so populäre „Ohne-mich-Haltung" gepflegt (in Corino (Hg.): Intellektuelle, 1980, S. 48-60).
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Über die Vergangenheit schrieb er: „Wer hat nicht im Laufe der Jahrzehnte Dinge geäussert u. publiziert, die heute als einzelner Satz gefährlich und unsympathisch klingen" 107 . Sein vorübergehendes öffentliches Engagement bedauerte er als nicht lohnend, um anschließend die Bedeutung öffentlichen Engagements überhaupt „in der paläontologische[n] Perspective, die unser Jahrhundert für uns herausbeschwor," aufzulösen 108 . Für das „halbe Dutzend sublimer Geister, die vielleicht zustimmen", lohne es nicht, seine ruhige Position aufs Spiel zu setzen 109 . Freilich fühlte auch er sich von Emigranten, niveaulosen Konkurrenten 110 etc. verfolgt und weigerte sich, Spruchkammern und dergleichen als Instanzen überhaupt anzuerkennen 111 . Ernst Jünger, mit dessen „Fall" Benn oft verglichen wurde, näherte er sich zeitweise „mit kameradschaftlichen Gefühlen" 112 , hielt dessen „Strahlungen" aber letztlich für „weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch u. stillos"113. Ähnlich sein Urteil über Heideggers Schrift über den „Feldweg": „tritt so ein Philosoph aus seiner Wort- u Gedanken- u Nomenclaturwelt heraus - was ist er dann? Ein Idylliker, ein Bua, fern aller Problematik u. dialektischer Tragik, ein erstaunlich harmloses Etwas, einer, dem man nicht glauben kann, dass er an der Situation leidet u von dem man nicht sieht, wie er auf Lebensangst u. Geworfenheit u das Leiden am Sein gekommen ist" 114 . Schmitt wiederum verfolgte aufmerksam, wie Benn sich in der Rolle eines „Sündenbocks" seines Faches 115 verhielt und widmete ihm zwei respektvolle Vierzeiler: „Gleitend auf schwülen Daktylen/Mischt hier ein Kosmopolit Hochpietistisches Fühlen/In sein exotisches Lied. Grell mexikanische Gamben/Tätowieren die Haut, Während in Blankversen-Jamben/Still ein Vergißmeinnicht blaut. Musil Maiwald" 116
107 Brief an Oelze vom 14. Januar 1946 (ebd., S. 16). 108
„ . . . ich selber sage mit, dass ich vielleicht politisch sehr dow war, aber prostituiert gewiss niemals" (Brief vom 22. Januar 1948, ebd., S. 112). 109 Brief vom 27.Februar 1946 (ebd., S.21). Am 2. April 1949 an Oelze über „den wahren Elitecharakter aller wirklich produktiven Substanz, ihrer Ärgerniserregung und ihrer Unerkennbarkeit in der Gegenwart" (S. 197). 110 Ebd., S.21, 51,175. m Ebd., S. 83. »ζ Ebd., S. 107, Brief vom 7. Januar 1948. 1952 besuchte Ernst Jünger Benn in Berlin, 1955 steuerte Benn einen Beitrag zur Jünger-Festschrift „Freundschaftliche Begegnungen" bei. i " Ebd., S. 108. H" Brief vom 29. November 1949, ebd., S. 270. u 5 So Schröder (in Corino (Hg.): Intellektuelle, 1980, S. 4 8 - 6 0 ) , der Benn als „Ersatzopfer im apologetischen Selbstgericht der deutschen Intellektuellen" sieht. 116 Zuerst in der Zeitschrift „Civis" (erneut abgedruckt in Rüdiger Altmann/Johannes Gross: Die Neue Gesellschaft. Bemerkungen zum Zeitbewußtsein, Stuttgart 1958, S. 99).
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d) Der Staats- und Verwaltungsrechtler Otto Koellreutter war fünf Jahre älter als Schmitt und seit 1933 Professor in München. Schon vor der Machtergreifung in die N S D A P eingetreten, gehörte Koellreutter wie Reinhard Höhn 1 1 7 und Karl August Eckhardt 118 zu den unmittelbaren Konkurrenten Schmitts in dem Bemühen einiger Juristen des Öffentlichen Rechts, das Staatsrecht des ,Dritten Reiches' nationalsozialistisch zu deuten. Die über Schmitt vom Sicherheitsdienst angelegte Akte deutet darauf hin, daß Koellreutter sich im Kampf um das Deutungsmonopol an Intrigen gegen Schmitt beteiligte und er auch Schmitts engerem Kreis gegenüber aus seiner Verachtung keinen Hehl machte 119 . Koellreutter selbst entging jedoch dem Konflikt mit dem Regime nicht, ging für einige Zeit als Austauschprofessor nach Japan, wurde 1945 gleichwohl „amtsenthoben" 120 . Als sei nichts vorgefallen, übte sich Koellreutter fortan im Schulterschluß mit Schmitt, den er als Schicksalsgenossen in seine kämpferischen Bemühungen um Re117
Reinhard Höhn (* 1904), Berliner Kollege Schmitts, hatte dem „Jungdeutschen Orden" Arthur Mahrauns nahegestanden, war am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten, hatte aber anders als Schmitt auf die SS gesetzt, in der er rasch Karriere (bis zum SS-Oberführer) machte. Noch vor Schmitt feierte Höhn nach dem 30. Juni 1934 Hitler als „Des Deutschen Volkes obersten Gerichtsherrn" (Leitartikel in: Deutsches Recht, Nr. 14, vom 25. Juli 1934, S.321f.). Bei Kriegsende tauchte Höhn in Hamburg als Heilpraktiker für Augenheilkunde unter, ehe die Ärztekammer das irreführende Verschweigen des Zusatzes „jur." auf dem Türschild unterband. 1953 wurde Höhn Leiter der Bad Harzburger Akademie für Führungskräfte der deutschen Wirtschaft und entwickelte dort das sog. ,Harzburger Modell', eines der einflußreichsten Management-Leitbilder der 50er Jahre, das an SS-erprobte Vorstellungen der 30er Jahre anschloß und an die Konzepte Gert P. Spindlers (vgl. Kapitel 2) erinnerte (s. R. Hickel: Eine Kaderschmiede bundesrepublikanischer Restauration. Ideologie und Praxis der Harzburger Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, in: Martin Greiffenhagen (Hg.): Der neue Konservatismus der siebziger Jahre, Reinbek 1974, S. 108—154, hier S. 112). Die Wirtschaft bot nicht nur Refugium, sondern handfeste Verwendung für Sekundärtugenden, deren Konnotation ansonsten anrüchig geworden war. 118 Zu Eckhard vgl. den ausführlichen Nachruf von Hermann Nehlsen: In memoriam: Karl August Eckhardt (in: Zeitschrift der Savigny-Gesellschaft für Rechtsgeschichte (Germ. Abt.), 104. Bd./1987, S. 497-536). 119
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Vgl. den Brief Koellreutters an Werner Weber vom 12. Juni 1936 (in Piet Tommissen (Hg.): Schmittianall, Weinheim 1990, S.113): „Daß ich als Frontsoldat einen Mann wie Carl Schmitt, der zwar besonders gern über den Krieg schreibt, der aber m. W. nie eine Kugel pfeifen hörte [...] nicht als Bannerträger des Nationalsozialismus anerkennen kann, vertrete ich jederzeit." Zu den Machenschaften des „Intrigantentrios" (Eckhardt, Höhn, Koellreutter) ausführlich Bernd Rüthers: Carl Schmitt im Dritten Reich (München 1989, S. 58-69); vgl. auch die Bemerkungen von Koellreutters Schüler Carl Hermann Ule (Carl Schmitt, der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Verwaltungs-Archiv, 81.Bd., Heftl/ 1990, S. 1-17, hier S. 5, Anm. 25). Siehe den Nachruf von Carl Hermann Ule (im „Verwaltungsarchiv", 63.Bd., Heft2, vom 1. April 1972, S. 109—111, der ausführlich über dessen Differenzen zum Regime handelt).
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habilitation zu integrieren suchte. Bis auf die prinzipielle Unterstützung einer Generalamnestie sowie einer gemeinsamen Front gegen das Bundesverfassungsgericht wurden jedoch kaum Übereinstimmungen außer einer haltungsmäßigen erreicht 121 . Zu fünf Jahren Arbeitslager und Vermögensverlust verurteilt, nach 13 Monaten aber wieder entlassen, machte Koellreutter seinen eigenen Fall zu einem exemplarischen und wurde einer der exponiertesten Vertreter der „Entrechteten" und „Entnazifizierungsgeschädigten", deren Bundesverband ihn zu ihrem Ehrenpräsidenten ernannte 122 . In mehreren Schriften und Vorträgen bezeichnete er die Entnazifizierung als eine „Sünde wider Recht und Ehre" 123 . Als es Koellreutter wieder möglich wurde, einen Lehrstuhl zu erhalten, war er bereits zu alt für eine Berufung. Immerhin konnte er als Emeritus Vorlesungen an der Universität München und der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Regensburg halten. Auch in die Standesvereinigung wurde er wieder aufgenommen. Der „Lehrer des nationalen Rechtsstaates" 124 veröffentlichte mehrere „Staatslehren" 125 , die aber nicht zuletzt aufgrund ihrer „völkischen" Ausrichtung — kaum noch Beachtung fanden. In einem Brief an Carl Schmitt zu dessen 70. Geburtstag schrieb Koellreutter, sie beide hätten ein gleiches Los zu beklagen, man betreibe Rufmord oder ignoriere einen, er jedenfalls sei des Kampfes müde: „Aber wir können doch das Gefühl haben, jeweils unser Bestes gegeben zu haben, auch wenn wir gegen die Mächte von heute nichts mehr vermögen." 126 e) Karl Haushofer galt, wie Carl Schmitt, als repräsentative Figur einer politischen Wissenschaft, von der sich die Fach Vertreter der unmittelbar angrenzenden Wissenschaften in der Nachkriegszeit mit deutlichem Gestus abzuwenden versuchten. Die von 121
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S. dazu Kapitel 4. Immerhin tauchte Koellreutter unter den Beiträgern der (unveröffentlichten) Festschrift für Schmitt zu dessen 65. Geburtstag auf. Manfred Jenke: Verschwörung von rechts? (Berlin 1961, S. 354). Der Verband hatte sich am 4. April 1954 aus vier Organisationen zusammengeschlossen und umfaßte insgesamt rund 50000 Mitglieder (ebd., S. 25). Eine Selbstdarstellung seines „Falls" unternahm Koellreutter in: Das Wesen der Spruchkammern und der durch sie durchgeführten Entnazifizierung (Göttingen 1954, S.27—32): Koellreutter wurde im April 1947 im schriftlichen Verfahren als Minderbelasteter (Gruppe 3) eingestuft, wollte eine mündliche Anhörung, um Stufe 5 zu bekommen, wurde daraufhin im Juli 1947 zu fünf Jahren Arbeitslager und Vermögens-Einzug verurteilt, v. a. aufgrund seiner Abordnung nach Japan im Herbst 1938 durch das Auswärtige Amt (dort hielten sich zu gleicher Zeit etwa Eduard Spranger und Karl Löwith auf), im November 1948 wurde er, nach 13monatiger Haft, schließlich als Mitläufer eingestuft politischer Irrtum, so Koellreutter, sei nicht juristisch zu richten.
So der Titel einer Broschüre (Landau 1954). Titel eines Geburtstagsartikels von Walther Hart (in: Reichsruf (Hannover) vom 30. November 1963, S. 5). 125 Zum Beispiel „Staatslehre im Umriß" (Göttingen 1955). Í26 Brief an Carl Schmitt vom 9. Juni 1958 (HSTAD RW265 - 5 8 , Nr. 101). 124
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Haushofer geprägte „Geopolitik" wurde, etwa innerhalb der Geographie, weitgehend tabuisiert und fand - trotz einiger Fortführungsversuche — erst in den 80er Jahren wieder Zuspruch 127 . Dieses Schicksal lag u. a. in der Wahrnehmung Haushofers als maßgeblichen Wegbereiter nationalsozialistischer Großraumpolitik begründet, dem unterstellt wurde, seine imperialistischen Theorien über seinen ehemaligen Schüler Rudolf Heß zu verwirklichen getrachtet zu haben. In den USA — so die Darstellung seines Interrogators während Haushofers Nürnberger Haft, Edmund A. Walsh - sei er von vielen als führender Kopf einer organisierten Bewegung gesehen worden, „die das grosse Spiel der Nazis um die totale Macht mit wissenschaftlichen Argumenten rechtfertigen sollte". Der Expansionswillen sei zwar hinter Worten wie „Lebensraum" und „Autarkie" verborgen gewesen, wissenschaftliches Leitmotiv sei aber die Devise gewesen: Raum ist Macht 128 . Walsh vernahm Haushofer im Auftrag der Nürnberger Anklagebehörde wegen des Verdachts der „Verschwörung gegen den Frieden". Am 5. Oktober 1945 wurde ein informelles Verhör in Haushofers Wohnung geführt und der Geopolitiker von Walsh aufgefordert, eine Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen abzufassen. In dieser „Apologie der deutschen ,Geopolitik'" vom 2. November 1945 nahm Haushofer in Anspruch, in legitimer Weise die Lage des deutschen Volkes in wissenschaftlichem Verfahren durchdacht und dabei Friedrich Ratzels Politische Geographie fortentwikkelt, im übrigen aber sich kaum von ähnlichen Gedanken in England und den USA unterschieden zu haben. Imperialistische Pläne habe er nicht unterstützt und seit 1933 zudem unter Zensur schreiben müssen, die Partei habe sich dennoch mißverstandener Schlagworte aus seinen Theorien bedient. Für die „Weiträumigkeit" seines Denkens habe ansonsten kaum Verständnis geherrscht 129 . Tatsächlich hatte Haushofer, niemals Parteimitglied, für einige Zeit im KZ gesessen 127
Laut Armin Möhler (Karl Haushofer. Autorenporträt, in: Criticón 56, Nov./Dez. 1979, S. 260—263) habe sich die Geographie nach 1945 auf seine Kosten entnazifiziert. Die „Zeitschrift für Geopolitik" wurde durch Karl-Heinz Pfeffer fortgeführt. Auch Schmitt publizierte dort. 128 Edmund A. Walsh: Die Tragödie Karl Haushofers (in: Neue Auslese. Alliierter Informationsdienst ISC Branch Control Commission for Germany (Bünde i.W.), 2. Jg., Heft3/März 1947, S. 19-29, hier S. 19f. - eine Übersetzung aus „Life", Chicago). Tatsächlich hatte Haushofer 1923 Heß und Hitler einmal in Landsberg besucht. ι® Abgedruckt in: Karl Haushofer. Leben und Werk (hg. von Hans-Adolf Jacobsen, Bd. 1, Boppard 1979, S. 639-646). Die Denkschrift Schloß mit dem Vorschlag zu einer internationalen Gelehrtenvereinigung der Geopolitiker, die „eines der besten Mittel zur Vermeidung künftiger Weltkatastrophen sein würde". Voraussetzung sei die „Anerkennung des Menschenrechts auf Persönlichkeit'" (ebd., S. 645). - Für eine rückblickende - und zurechtrükkende — Einordnung Dan Diner: „Grundbuch des Planeten". Zur Geopolitik Karl Haushofers (in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 32. Jg., Heft 1/1984, S. 1 - 2 8 , hier S. 25f., wo er Haushofers Bedeutung als „imperialistischer Erzieher" nationalsozialistischer Politiker in Verbindung bringt mit dem „Lebensgefühl der Raumenge").
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und für die Treue zu seiner jüdischen Frau Nachteile zu gewärtigen gehabt. Sein ebenfalls als Geopolitiker tätiger Sohn Albrecht wurde im Gefolge des 20. Juli 1944 hingerichtet. Zusammen mit seiner Frau nahm sich Haushofer angesichts des nahezu vollständigen Scheiterns seines Lebenswerkes im März 1946 das Leben. f) H a n s Fteyer war Haupt der sog. ,Leipziger Schule' der Soziologie, die sich um den Inhaber des ersten deutschen Soziologielehrstuhls scharte 130 . Der „Wirklichkeitswissenschaftler" Freyer, dessen Werk später in die Tradition einer Anti-Soziologie gestellt wurde 131 , hatte mit der konservativen Revolution' sympathisiert und mit der Schrift „Revolution von rechts" (1931) einen schlagwortfähigen Titel gefunden. Nach 1933 beteiligte er sich an der Konstituierung einer „deutschen Soziologie" 132 . Als Jüngere hierbei jedoch das Tempo zu diktieren begannen und ihm das Leitseil aus der Hand nahmen, setzte sich Freyer 1938 auf eine Professur nach Budapest ab. Noch während der Kriegszeit arbeitete er an einer „Weltgeschichte Europas", die — analog zu Schmitts „Nomos der Erde" - den Gang seiner theoretischen Argumentationen der Nachkriegszeit im wesentlichen vorzeichnete 133 . 1945 nahm er die Lehrtätigkeit in Leipzig wieder auf, floh im Juli 1948 jedoch nach Wiesbaden, wo er mit dem Brockhaus-Verlag über eine Einstellung für den Fall verhandelt hatte, daß seine Anfragen bei den Universitäten Würzburg, Heidelberg etc. erfolglos blieben 134 . Dort überar-
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Zu Freyer die Biographie von Jerry Z. Muller: The Other God that Failed (Princeton, N.J. 1987) sowie Elfriede Üner: Soziologie als „geistige Bewegung". Hans Freyers System der Soziologie und die „Leipziger Schule" (Weinheim 1992); vgl. auch das Protokoll der Tagung „Gab es eine .Leipziger Schule' der Soziologie und Sozialpsychologie?" (Aachen 1982) sowie Helmut Schelsky: Die verschiedenen Weisen, wie man Demokrat sein kann. Erinnerungen an Hans Freyer, Helmuth Plessner und andere (in ders.: Rückblicke eines ,Anti-Soziologen', Opladen 1981, S. 134-159). 131 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg: Deutungswissen der Moderne oder administrative Hilfswissenschaft'? (in Sven Papcke (Hg.): Ordnung und Chaos. Beiträge zur Geschichte der Soziologie in Deutschland, Darmstadt 1986, S.7-47). 132 Dazu Otthein Rammstedt: Deutsche Soziologie 1933-1945. Normalität einer Anpassung (Frankfurt/M. 1986); Iring Fetscher: Von der Soziologie als Kulturwissenschaft zum Angebot an den Faschismus (in Corino (Hg.): Intellektuelle, 1980, S. 180-192); Walter Giere: Das politische Denken Hans Freyers in den Jahren der Zwischenkriegszeit. 1918—1939 (Diss. Freiburg 1967). 133 S. die Rezension seines Schülers Werner Conze (in: Göttinger Universitäts-Zeitung, 4. Jg., Heft23/1949, S. 16). Vgl. auch die spezifisch Freyersche Lesart von Schmitts „Positionen und Begriffe" (in: Deutsche Rechtswissenschaft, 5.Bd./1940, S.261-266). Zu Freyers letzten Kriegstagen in Leipzig vgl. Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 (München 1989, S.27). 134 Muller (Other God, 1987, S. 330f.) berichtet, Freyer habe nach 1945 nach Göttingen berufen werden sollen, dies sei jedoch an Kultusminister Adolf Grimme gescheitert; den Lehrstuhl habe Helmuth Plessner bekommen.
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beitete er 1949/50 den Kleinen Brockhaus — vom Buchstaben A bis C. Seit 1950 konnte er erneut eine Honorarprofessur in Münster wahrnehmen 135 . Freyer entfaltete ein reges Vortrags-Itinerar. Wo immer Reflexionen allgemeiner Art zur „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" 136 gefragt waren, bot er sich als Festredner an. Auch waren seine Werke nicht für engere Fachkreise, sondern für das gebildete Publikum geschrieben 137 . Auch bei Freyer war eine Wendung zu Max Weber, zur Wertfreiheit, zu einer Haltung ,sine ira et studio' zu beobachten, doch noch immer hatte für ihn keine Theorie einen Wert, die nicht alles erklärte 138 . In den Kommentaren zur Vergangenheit gab es bei Freyer zwar eine protestantische Wendung der Schuldfrage 139 , doch neigte auch er zur Entlastung über das Totalitarismus-Konzept - eine Strategie der Verwässerung und ein Prozeß der Derealisation auch in bezug auf die eigene Opposition im ,Dritten Reich' 140 . Auch Freyer entdeckte Tocqueville als angeblich frühen Diagnostiker der Gefahren, die „sekundäre Systeme" für die individuelle Autonomie 141 hervorbrächten. Im Rückzug auf subpolitische und subökonomische Bereiche suchte Freyer (wie Schmitt) die bewahrenden Traditionen in terranen und raumbezogenen Kategorien („auf gewachsenem Grunde oder Boden", in der „Verwurzelung") und entwickelte auf der Suche nach Widerständen gegen Technisierung und Vermassung eine Theorie der „haltenden Mächte". Eine dieser Mächte war auch ihm die Privatsphäre und der kleine Kreis, so auch die von den Juristen Hans Franzen und Hans Martin Müller-Henneberg geleiteten Herrenabende, an denen gelegentlich auch Schmitt teilnahm. Wie die „Academia Moralis" richtete der Kreis 1952 eine nicht-öffentliche Feier zu Freyers 65. Geburtstag im Kloster Eberbach aus 142 . 135
Laut Muller eine Initiative des Nationalökonomen Andreas Predöhl (ebd., S. 359). So der Titel seiner erfolgreichsten Nachkriegsschrift (Stuttgart 1955). 137 Dies habe ihn zu einem häufig ausgebeuteten, aber wenig zitierten Gelehrten gemacht - nach Elfriede Üner ein typisches Schicksal für „Nichtemigranten" nach 1945 (Nachwort in dies. (Hg.): Hans Freyer: Herrschaft, Planung und Technik, Weinheim 1987, S. 145, 150; im Anhang eine Bibliographie der Schriften Freyers). 138 Muller: Other God, 1987, S. 340f. 139 So in der „Weltgeschichte Europas" (Wiesbaden 1948, S. 1003): „Dieser innerste Prozeß der Selbstbesinnung, zumal dort wo er zur Sühnung und Läuterung der sittlichen Kräfte wird, muß ohne Worte verlaufen, wenn er nicht von Anfang an verfälscht werden soll; und wenn das Wort in ihm mitwirkt, so als Mahnung, als Predigt, als ernstes Gespräch." 140 Muller, Other God, 1987, S. 364. 141 Hans Freyer: Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des industriellen Zeitalters (in: Historische Zeitschrift, Bd. 183, Heft 1/1957, S. 97-115); zu Tocqueville auch eine Rundfunksendung 1959: Ist derjenige, der die Gefahren seiner Zeit benennt, ein Pessimist? (nach Muller: Other God, 1987, S. 346). 142 Es hieß, man wolle ein Symposium mit einigen wenigen auserlesenen Männern (Carl Schmitt, Percy Ernst Schramm, Arnold Gehlen, Karl Valentin Müller, Hermann Heimpel, Ernst Forsthoff, Wolfgang Schadewaldt, Gunther Ipsen, Johann Daniel Achelis, Helmut Berve, 136
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Von Soziologen eher angefeindet, galt Freyer als wichtiger Anreger historischer Forschungen, v. a. als Vorläufer ihrer Wendung zur Sozialgeschichte 143 . Obwohl ihm die Einsicht zugesprochen wird, das Scheitern seiner jungkonservativen Ideen eingesehen zu haben und einer Versöhnung zwischen Altliberalismus und Konservatismus den Weg geebnet zu haben 144 , scheint Freyer für die Nachwuchsgeneration der Gelehrten keine Carl Schmitt vergleichbare Attraktivität mehr besessen zu haben. Zu sehr, wurde kritisiert, habe er das Unbehagen am gegenwärtigen Zeitalter geschürt und den Eindruck einer Fatalität der Lage erzeugt 145 . g) Wilhelm Stapel war einer der führenden „Volkskonservativen" und Herausgeber der Zeitschrift „Deutsches Volkstum" gewesen, der auch Carl Schmitt nahegestanden hatte 146 . U m den 1882 Geborenen hatte sich in Hamburg ein Kreis gebildet, der über eine protestantische „Theologie des Nationalismus" 147 nachdachte. „Eine der gefürch-
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Hans Barion, Erich Rothacker, Ernst Jünger u.a.), um ein „echtes" Gespräch über die „Revolution von rechts" zu führen (HSTAD RW265-220, Briefe vom 15. April und 19. Juli 1952, Nr. 326a, 401). Wilhelm Emil Mühlmann erinnerte sich zu Freyers Tode, die Theorie der „haltenden Mächte" zum ersten Male „in einem Wiesbadener Privatzirkel 1948" gehört zu haben (Ein Theoretiker unseres Zeitalters, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 23, vom 28. Januar 1969, S. 20). S. das mit Freyeriana gespickte Konzept Werner Conzes für seinen Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte (ders.: Die Gründung des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 24. Jg., 1979, S. 23-32). Vgl. aber den wütenden Nachruf auf Freyer von René König (in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1969, S. 438-441). Muller: Other God, 1987; s. auch Richard Saage: Von der „Revolution von rechts" zum technokratischen Konservatismus. Anmerkungen zu Hans Freyers Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Industriegesellschaft (in ders.: Rückkehr zum starken Staat? Studien über Konservatismus, Faschismus und Demokratie, Frankfurt/M. 1983, S. 202-227). So Hermann Lübbes Besprechung der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (Die resignierte konservative Revolution, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 115. Bd. (1959), S. 131 — 138, hier S. 133). Die einzige Würdigung, die Schmitt in der Nachkriegszeit einem Jubilar zuteil werden ließ, galt Hans Freyer (Die andere Hegel-Linie. Hans Freyer zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt, Nr. 30, vom 25. Juli 1957). Über die Beziehung Carl Schmitt - Wilhelm Stapel vgl. Heinrich Keßler: Wilhelm Stapel als politischer Publizist (Nürnberg 1967, S. 148f.). So der Untertitel von Stapels Hauptwerk „Der christliche Staatsmann" von 1932. Zum Kreis gehörten u. a. die Brüder Albrecht Erich und Gerhard Günther sowie Hans Bogner. Zur dem Kreis nahestehenden ,Hanseatischen Verlagsanstalt' und zur Beziehung Stapel-Schmitt jetzt eine Studie von Siegfried Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im „Dritten Reich" (in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 38 (1992), S. 1-189, bes. S. 44-66).
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tetsten Federn auf der Rechten" 148 , war Stapel dennoch nicht in die NSDAP eingetreten und 1935 vom „Schwarzen Korps" angegriffen worden. Nach 1945 schrieb Stapel mehrere Aufsätze über „Verfolgungsseuchen", gegen Kollektivschuld und die mechanische Entnazifizierung, mußte aber „scharfe Angriffe gegen unerwünschte Stapeleien" über sich ergehen lassen, die ihn zu den Vorbereitern des Unheils zählten und ihm rieten, jetzt doch lieber zu schweigen149. Ein Entnazifizierungsverfahren Ende 1947 entlastete ihn, und sowohl Theodor Heuss wie Adolf Grimme äußerten sich anerkennend zu seiner Person. Nach Aussagen aus seinem Bekanntenkreis habe ihm seine frühere antisemitische Polemik durchaus Skrupel bereitet. Im Vorwort eines seiner Bücher schrieb er 1951 über sich selbst: „Er weiß, daß er manchmal geirrt hat, und er weiß, daß er manchmal auch recht gehabt hat. Darüber, was am Ende recht oder unrecht, wahr oder falsch gewesen ist, entscheiden nicht wir Menschen, es entscheidet Gott" 150 . Diesem Wort trat Stapels Neigung zur Seite, „sich nach der Niederlage in den Schmollwinkel des beleidigten Nationalgefühls zurückzuziehen und die Zusammenarbeit mit dem ,unterworfenen', unter der Kontrolle der Sieger stehenden Staatswesen zu verweigern", sein Gewissen hätte es ihm verweigert, an einer „unfreien" Körperschaft mitzuwirken, „deren Politik gegenwärtig nicht von Kollaboration abzugrenzen" sei151. Die aktuelle Politik begleitete er noch eine Zeitlang mit Sottisen gegen „Anpäßlinge" und „Anbiederungsdeutsche", ehe er 1954, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, starb. In seinem „Antrag auf Wiederherstellung der literarischen Ehre" von 1947 schrieb Stapel: „Ich habe in meinem Alter nicht mehr das Bedürfnis, zum Zuge zu kommen. Das Leid ist zu schwer. Aber meine Ehre habe ich zu verteidigen bis zum Ende." 152 Die hier geschilderten Biographien waren exponierte, aber keine einzigartigen. Nur wenige entfalteten über das Scheitern einstiger Erwartungen derartige Deutungsaktivitäten und nur wenigen wurde zuteil, daß an ihnen stellvertretend der Schiffbruch faschistischer Experimente debattiert wurde: Gerhart Hauptmann, Knut Hamsun, Ezra Pound, Louis-Ferdinand Céline, Pierre Drieu la Rochelle, Paul de Man oder Jean Cocteau sind es, an denen bis heute das Verhältnis von Kunst und Macht diskutiert wird. Geht man davon aus, daß sich Brüche der politischen Kultur in psychosozialen Krisen der Individuen widerspiegeln und die Art der Verarbeitung, in der divergierende Identitätselemente von ihnen abgebaut werden, u . U . Leitbildfunktion enthält, ι « Armin Möhler: D i e Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932 (Darmstadt 3 1989, S. 410). 149
So ein Artikel in der „Rheinischen Zeitung" vom 4. Oktober 1947 (zit. nach Keßler, Stapel, 1967, S. 226). 150 Ebd., S. 228. 151 Ebd., S.229. 152 Ebd., S. 291.
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m u ß man Carl Schmitt als einen der wichtigsten Stichwortgeber für eine „selbstbewußte" Haltung der unmittelbaren Vergangenheit gegenüber sehen. Im Vorgang der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" 1 5 3 , der ein Jurist in besonderer Weise verhaftet ist, erwies sich Schmitt erneut als sensibler Praezeptor f ü r künftige „herrschende Meinungen". Schmitt wurde über seine ständigen Reflexionen sich selbst zu einem Exempel, zu einer großen Parallele, zu einem beispielhaften „Fall", der ihn in seiner Analyse (wenn auch nicht in seiner politischen Option) grandios bestätigte. Sein Temperament ließ ihn zwischen verschiedenen A r t e n der „Bewältigung" hin und her schwanken: die historische und persönliche Erklärung und Rechtfertigung, die Klage, mißverstanden worden zu sein, die Unterstellung böswilliger Unterstellungen, die vorsichtigen und sehr vermittelten Zugeständnisse, das Beschweigen der „braunen" Biographieanteile, das Einfordern einer Amnestie, die Gegenoffensive etc. Die Parallelisierung des eigenen mit dem Schicksal der Nation insgesamt hatte insofern Berechtigung, als hierin der psychosoziale Umschlag vom Bewußtsein der Ausgrenzung in eine Opferrolle eingefangen war. Doch wären sein und das Werk anderer nicht diese ausführliche Betrachtung wert, wenn sie nur dem Kommentar der Vergangenheit hätten dienen und als solcher hätten wirken sollen. Vielmehr waren auf der meist angesteuerten intellektuellen E b e n e viele der Argumente von der historischen Lage abstrahierbar und konnten auf reale oder putative Situationen des Ausgegrenztseins übertragen werden. Vor allem aber äußerte sich in ihnen nach wie vor das Bemühen um Selbstbehauptung — und möglicherweise ist in dieser Unterströmung aller Texte eines der stärksten Kontinuitätselemente zum politischen Schriftsteller Schmitt in den 20er Jahren zu sehen 1 5 4 . Nach der hier versuchten Deutung scheint es angeraten, Schmitts Texte gerade dieser Zeit mit besonderer Vorsicht zu lesen. In ihnen sind zahlreiche Fallgruben, „Leimruten" und verborgene Wegmarken ausgelegt. Sie lassen die Texte zu schwer lesbaren werden, deren Baugesetz und deren Botschaft sich nur dem vollständig erschließt, der um die Situationen in Verbindung mit den geistigen Horizonten weiß, in die Schmitt die Texte stellte. Diese - bei aller oberflächlichen Einfachheit und klaren Stilistik - esoterische Schreibweise entfaltete, das ist unbestreibar, ihren eigentümlichen Reiz erst in der Zeit und mit fortdauernder Re-Lektüre und ist daher bis heute ein wichtiger Bestandteil der Faszinationskraft, die Schmitts Texten eignet. H a b e n denn aber, wird man fragen, die von Schmitt eingebrachten Stichwörter Wirkung gehabt? Nur zwei Beipiele seien hier stellvertretend angeführt: 1951 startete 153 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (Frankfurt/M. 1969). 154 Vgl. für die Bedeutung des Begriffs in der Philosophie der Bundesrepublik Hans Richtscheid: Verteidigung der Philosophie als Kunst der Selbstbehauptung (München 1971); Hans Blumenberg: Säkularisierung und Selbstbehauptung (Frankfurt/M. 1974); Bernard Willms: Selbstbehauptung und Anerkennung (Opladen 1977).
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Ernst Achenbach, Mitglied der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag 155 , eine Initiative mit dem Ziel, eine Generalamnestie für alle Kriegsverbrecher durchzusetzen. Im Februar 1952 veröffentlichte der „Vorbereitende Ausschuß" in Essen einen „Aufruf zur Unterstützung der überparteilichen Aktion zur Herbeiführung der Generalamnestie", der u.a. von Friedrich Middelhauve (dem Vorsitzenden der NRWFDP), Carl Spiecker (dem Ex-Zentrums-Vorsitzenden) und Friedrich Grimm 156 unterzeichnet war. Als Sekretär des Ausschusses konnte Achenbach Werner Best gewinnen 157 . 1952 veröffentlichte Achenbach in der „Zeitschrift für Geopolitik" unter dem Aufruf „Generalamnestie!" einen Beitrag, der in der Argumentationsweise wie auch explizit Bezug auf Carl Schmitt nahm 158 . Der Aktion gelang es, einige hunderttausend Unterschriften einzuholen, ein politischer Erfolg aber blieb dem Ausschuß versagt 159 .
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Achenbach, ehemals Beamter des Auswärtigen Amtes, Verteidiger bei den Nürnberger Prozessen, führte zu dieser Zeit eine Anwaltspraxis in Essen und war Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der FDP-Bundestagsfraktion. Ihm wurden Kontakte zum sog. Naumann-Kreis nachgesagt. 156 Friedrich Grimm war bereits 1924 an dem Zustandekommen des Londoner Anmestieabkommens beteiligt gewesen, vgl. dessen Broschüre: Generalamnestie als völkerrechtliches Postulat (Opladen 1951, im Westdeutschen Verlag Friedrich Middelhauves); in ders.: Politische Justiz, die Krankheit unserer Zeit (Bonn 1953, wo er u. a. die Zahlen der im KZ Umgekommenen anzweifelte und zur „Greuelpropaganda" zählte) schrieb Grimm dem Ausschuß 160000 „individuelle Zustimmungserklärungen" zu (S. 173). 157 Best war einer der führenden SS-Intellektuellen gewesen und hatte sich v. a. in der Konzeption deutscher Besatzungspolitik hervorgetan; 1951 war er aus der Haft entlassen worden und Anfang 1955 als Rechtsberater zum Stinnes-Konzern gewechselt (zu Best demnächst eine biographische Studie von Ulrich Herbert). Ihm zugesellt wurde später Franz Alfred Six, der 1952 aus der Haft entlassen worden war und später eine Anstellung bei der Harzburger „Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft" seines ehemaligen Lehrers Reinhard Höhn fand. Achenbach, Grimm, Six und Best kannten sich aus der Zeit der französischen Besatzung in den frühen 40er Jahren. 158 Zeitschrift für Geopolitik, 23. Jg., Heft6/1952, S. 321f. 159 Am 24. Oktober 1959 versuchte Achenbach erneut, einen Antrag auf Generalamnestie im FDP-Bundesvorstand einzubringen, der aber als aussichtslos abgelehnt wurde (nach: FDPBundesvorstand. Die Liberalen unter dem Vorsitz von Thomas Dehler und Reinhold Maier. Sitzungsprotokolle 1954-1960, bearbeitet von Udo Wengst, Düsseldorf 1991, S.461). Das Plädoyer für einen „Schlußstrich", ein Ende der Nachkriegszeit verlagerte sich fortan ins Wissenschaftliche (vgl. Hans-Joachim Arndt: Die Besiegten von 1945, Berlin 1978; Bernard Willms: Identität und Widerstand. Reden aus dem deutschen Elend, Tübingen 1986, S.93, Roman Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg, in: Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959, S. 179—219; Julien Freund: Amnestie — ein auferlegtes Vergessen, in: Der Staat, 1971, S. 173-189; Helmut Quaritsch: Apokryphe Amnestien, in: Volker Beismann/Markus Josef Klein (Hg.): Politische Lageanalyse. Festschrift für Hans-Joachim Arndt, Bruchsal 1993, S. 241-257).
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Weniger offensiv, eher von der Qualität einer „lautlosen Mine" 160 war das Theorem, nicht der Sieger, sondern der Besiegte schreibe die Geschichte. Schmitt erneuerte hiermit eine Erkenntnis, die Arthur Moeller van den Bruck schon nach dem ersten Weltkrieg formuliert hatte: „Sind die Sieger blind für die weltgeschichtliche Bedeutung der Krise, deren Ausdruck der Weltkrieg war, so kann die Niederlage gerade für die Unterlegenen zum Segen werden, weil nur sie zum wahren Verständnis der historischen Zusammenhänge gelangen." 161 Hans Paeschke war es, der im „Merkur" Schmitts Fortführung erstmals an die Öffentlichkeit trug: „Ein bekannter Völkerrechtslehrer stellte kürzlich die geistvolle Frage, ob der Sieger oder der Besiegte die Geschichte schreibe. Er entschied sich für den Letzteren. Als Beispiel dient ihm vor allem die Gestalt des Historikers Alexis de Tocqueville", dessen Prophetien sich „würdig neben die Vorhersagen Jacob Burckhardts über die ,terribles simplificateurs', die über unser 20. Jahrhundert kommen würden" reihen würden 162 . Am 6. April 1949 schrieb Schmitt an Hans Freyer zu dessen „Weltgeschichte Europas": es sei vor allem ein „Dokument geistiger Überlegenheit des Besiegten, der auch in der Niederlage seine Sieger besser kennt als sie sich selbst" 163 . Vor allem die im Krieg verlustreichsten Jahrgänge scheinen auf dieses Theorem „angesprungen" zu sein. Der transzendierende Gestus, der die eigene Niederlage in eine welthistorische Bewegung einzugliedern erlaubte, kam dem Übermaß an Deutungsbedarf einer zeitweilig orientierungslosen Generation entgegen. Das Stichwort entsprach der Tendenz zu einer „Anthropologisierung" der Vorgänge des ,Dritten Reiches', die argumentierte: „Wenn grundsätzlich alle Menschen und alle Völker fähig sind, der Dämonie des Schrecklichen anheimzufallen, dann sind die Deutschen in der gegenwärtigen Situation nur ein exemplarischer Fall und machen Grunderfahrungen, 160
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Ernst Jünger in einem Brief vom 14. Oktober 1930 an Schmitt zum „Begriff des Politischen" (HSTAD RW265 - 4 0 0 , Nr. 23). Zit. nach Kurt Lenk: Deutscher Konservatismus (Frankfurt a.M./New York 1989, S. 159); vgl. auch Ernst Jünger: „Die Fehler, die Irrtümer, die Laster können zu Bildungselementen werden, und zwar gerade dann, wenn sie zum Scheitern, zum Zusammenbruch geführt haben" (Strahlungen, Bd. 2, München 1988, S.481, sowie die Reflexionen über das „Besiegtsein" am 30. Juni 1945, ebd., S. 485, und am 1. September 1945, ebd., S. 526). Reinhard Mehring machte mich darauf aufmerksam, daß hiermit auch eine Variation der Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik gegeben ist (vgl. deren Ausdeutung für die Sozialwissenschaften bei Robert Hepp: Selbstherrlichkeit und Selbstbedienung, München 1971 sowie Hanno Kesting: Herrschaft und Knechtschaft, Freiburg 1973).
H.P.: Zur Frage einer Weltregierung (in: Merkur, 1947, S. 6 0 0 - 6 0 5 ) . Paeschke rekurrierte hier auf den Text „Historiographia in nuce: Alexis de Tocqueville", den Schmitt später im Band „Ex Captivitate Salus" veröffentlichte. Unter dem 30. August 1947 schrieb Paeschke an Schmitt, er möge diese Erwähnung als Geste sehen, die ihn zur Mitarbeit im „Merkur" auffordern solle (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Merkur-Redaktionsarchiv). 163 Nachlaß Freyer (zit. nach Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 284). Schmitt griff hierbei auf eine Formulierung Bruno Bauers zurück.
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die andere Völker prinzipiell auch machen könnten. Aus diesem Bewußtsein konnte man damals sogar eine bescheidene Selbstvergewisserung entwickeln: Man war weiter als die anderen" 164 . „Der Besiegte hat die einzigartige Chance, seine Niederlage zu begreifen und damit echte Einsichten zu gewinnen", schrieb folglich Hanno Kesting, Schmitts junger Freund aus Heidelberg 165 . Hans-Joachim Arndt warf der deutschen Politikwissenschaft später vor, die Tatsache des Besiegtseins nicht zum Ausgangspunkt ihrer Lageanalysen gemacht zu haben 166 . Reinhart Koselleck schließlich entwickelte eine eigene Historik, die darauf aufbaute, dem Besiegten seit Thukydides kraft seiner bedrückenden Erfahrungen stärkere Einsichtsfähigkeiten zuzuschreiben 167 . Dieser sicherlich elaborierteste Versuch, aus der Not intellektuelle Tugenden zu schlagen, erneuerte zugleich einen Topos der Geschichtsschreibung, der weit über Tocqueville hinausführte: „Mit einem historischen Scharfblick, der oft in der Geschichte dem eignet, der selbst seine Machtstellung einem Stärkeren räumen muß, haben die Griechen in Rom die Mittelmeermacht der Zukunft erkannt und die These vertreten, daß die römische Expansion eine notwendige, in sich sinnvolle sei, die bald die ganze Erde umfassen würde." 168 Der trotzige „Scharfblick" des Besiegten Schloß also nicht aus, daß man sich langfristig in die Ordnung des Siegers fügte.
164 Rolf Schörken: Jugend 1945 (Opladen 1990, S. 141f. mit dem Hinweis, daß diese These im Historikerstreit wieder aufgetaucht sei). 165
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Hanno Kesting: Utopie und Eschatologie (in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Heft 2/1954, S. 202-230, hier S. 219). Zu Kesting vgl. dessen Biographie unten, Kapitel7. Hans-Joachim Arndt: Die Besiegten von 1945 (Berlin 1978); sein Gegenmodell einer lagebewußten Politikwissenschaft ist am .konkreten Ordnungsdenken' Schmitts geschult, er identifiziert „Unruhe, Unsicherheit und Verdrossenheit" als Ausdruck der beschädigten Identität der Deutschen. Reinhart Koselleck: Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze (in Christian Meier/Jörn Rüsen (Hg.): Historische Methode, München 1988, S. 13-61, hier S.60f.). Hans Schäfer: Das Problem der Entstehung des römischen Reiches (in: Historische Zeitschrift, 1949, S. 13-24, hier S. 13 - Randbemerkung hierzu von Schmitt im Sonderdruck (HSTAD RW265 - 4 8 1 ) : „der Besiegte schreibt die Geschichte").
3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter"
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3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter" „ . . . an Systemen, die widerlegt sind, kann uns eben nur noch das Persönliche interessieren, denn dies ist das ewig Unwiderlegbare." Friedrich Nietzsche 169
Was haben diese konservativen Denker in der Nachkriegszeit gemeinsam, wenn man von den Ähnlichkeiten der äußeren Schicksale und den Problemen absieht, im auf mehrfache Weise restituierten Betrieb wieder Fuß zu fassen? Was ist ihre Hinterlassenschaft für die intellectual history' der Bundesrepublik? Auf gedanklicher Ebene - dies scheint ein wesentlicher gemeinsamer Nenner zu sein - läßt sich eine gleichsam sozio-intellektuell vollzogene Wendung ins Individuelle beobachten. Als Reaktion auf die Erfahrungen mit der totalisierenden Eigendynamik des Nationalsozialismus verstärkte sich bei ihnen die Neigung, die in weltgeschichtlicher Perspektive gedeuteten und gelenkten Entwicklungen zu (v. a. dem Bereich der Technik zugeschriebenen) „sekundären Systemen" oder „Superstrukturen" umzudeuten. Gleichzeitig wurde der gesellschaftsabgewandte Bereich des Persönlichen aufgewertet. Die Integrität des historisch gewordenen Menschen bildete nun die Basis einer der einflußreichsten Defensivstrategien, die sich der politischen Option aber nur oberflächlich zu enthalten schien; nun sah man sich als „Aufhalter", als Katechon170, und prägte „Metaphern des Standhaltens" 171 . Im Rückgriff auf die große (geschichts-)philosophische Perspektive wurde dem eigenen Werk eine vornehmlich analytische Bedeutung zugemessen, das Appellative und die politisch-polemische Funktion früherer Texte dagegen negiert. Notorisch wurde die Behauptung, man habe statt dessen die Tendenzen zum Totalitären sehr früh diagnostiziert, die strukturell in der politischen Entwicklung der Moderne angelegt gewesen seien. Der Nationalsozialismus sei als ein Zuviel an Aufklärung zu interpretieren, als Ergebnis allzu rationalistischen Denkens. Damit konnte der eigene geistesgeschichtliche Grundansatz als bestätigt gelten. 169
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Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (zit. nach Manfred Koch: Die Begriffe Person, Persönlichkeit und Charakter, in: Ph. Lersch/H. Thomae (Hg.): Persönlichkeitsforschung und Persönlichkeitstheorie (Handbuch der Psychologie, Bd. 4), Göttingen 1960, S. 3 - 2 9 , hier S. 13). Zum Beispiel Hans Freyers „haltende Mächte"; Carl Schmitts „kat-echon"; s. Carl Schmitt: Drei Stufen historischer Sinngebung, in: Universitas, Heft 8/1950, S. 927-931 (Rekurs auf die Paulus-Stelle des 2. Tess.-Briefes). Schon während der Kriegszeit hatte man sich dem Menschen anthropologisch - Arnold Gehlen: Der Mensch (1940) — oder historisch — Hans Freyer: Weltgeschichte Europas (1948) - oder als Rechtssubjekt — Carl Schmitt: Nomos der Erde (1950) - genähert. Karl-Siegbert Rehberg: Metaphern des Standhaltens. In memoriam Arnold Gehlen (in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1976, S. 389-398; vgl. auch den treffenden Titel der Gehlen-Festschrift von 1974: „Standorte im Zeitstrom").
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3. Kapitel — Schweigen
Solche aus Erfahrung gewonnenen Gedankenbewegungen ließen i. d. R. eine Einkapselung und Abschließung der eigenen Beteiligung an diesen Prozessen zu, sie finden sich aber nicht allein bei konservativen Denkern. Ein Großteil der Theoriebildung und geschichtlichen Deutung insgesamt kreiste um den Gedanken der Rettung von Beständen, des Haltens oder Innehaltens in reißenden Entwicklungen. Jenseits jeder politischen Option ist dies sicher eine psychologisch zunächst verständliche Gegenbewegung gegen die als zudringlich empfundenen Zeitläufe gewesen, namentlich gegen den totalitären Anspruch von Partei, Staat und Politik im ,Dritten Reich' bzw. die bedrängenden Erfahrungen des Krieges und das inquisitorische Klima der Entnazifizierungsphase. Der Wunsch nach Schutz des Einzelnen, nach autonomen Residuen, einer Privatsphäre und der Wahrung persönlicher Integrität äußerte sich etwa in der Nachdrücklichkeit des Verlangens nach Rechtssicherheit und der Abkehr von allem, was nach politischem Engagement im ideologischen Sinne aussah. Vor diesem Hintergrund erlangten zwei Identitätskonzepte Geltung, die vor jeder geistigen Verortung lagen, auf diese aber entscheidend einwirkten. Ich möchte sie in diesem Zusammenhang die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter" nennen. Selbstverständlich sind diese Begriffe terminologisch anfechtbar und unpräzise. Es sei hiermit aber in idealtypischer Konstruktion auf ein strukturierendes Merkmal der politischen Geistesgeschichte aufmerksam gemacht, welches gerade in diesen Jahren der Nachkriegszeit Koalitionen und Oppositionen schuf, die mit hergebrachten ideengeschichtlichen Fraktionsbildungen nicht beschreibbar sind. Gleichwohl vermögen sie aber Interpretations-Kriterien für eine „intellectual history" dieser Zeit darzubieten. Zunächst einige Bemerkungen zur Semantik: obgleich es in ihrer Wissenschaftsentwicklung sowohl Phasen der „Charakterologien" wie der „Persönlichkeitsforschungen" gab, sind „Charakter" und „Persönlichkeit" in der Psychologie Begriffe von nur mäßiger Prägnanz: „Jeder Autor definiert seine Begriffe anders, wir sind in ein Stadium der privaten Definition getreten." 172 Gleichwohl besitzen beide Begriffe eine semantische Entwicklung und ein Bedeutungsfeld seit der Antike, die Rückschlüsse sowohl auf das jeweilige Welt- und Menschenbild wie auf die verschiedenen Vorstellungen über das Subjekt und seine Individualität zulassen. Dabei betont der Charakterbegriff in aller Regel mehr das statische Element, das Eingeprägte, und schreibt damit die schon aristotelische Idee vom „einheitlichen, sich selbst treuen Charakter" 173 fort, während unter „Persönlichkeit" mehr das Dynamische, Sich-wandelnde, das Zeitbezogene verstanden wird, also die Person im Hinblick auf ihre geschichtliche Existenz und ihre individuelle Biographie. Während der Charakter traditionell - so auch bei Kant ethisch konnotiert wurde (Charakter als „Fertigkeit, nach Maximen zu handeln") und in der Epoche der Charakterkunde die Pädagogik ihr Ziel als „Charakterbildung" (dem „Sittengesetz" der jeweiligen Zeit entsprechend) definierte, kam sie freilich nicht aus dem Dilemma heraus, bestimmen zu müssen, was „wahrer" und was „falscher" Cha-
172 Koch (Die Begriffe, 1960, S. 21). 1 73 Koch (Die Begriffe, 1960, S.7; vgl. auch den Hinweis auf die Vorstellungen der Stoa (S.6): der einmal geprägte Mensch stimme konsequent mit sich selbst überein).
3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter"
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rakter sei. In jedem Fall werden bis heute unter „Charakter" mehr die Antriebsdispositionen unter dem Gesichtspunkt der Stetigkeit summiert 174 , während „Persönlichkeit" die haltungsmäßige Durchformung und die Fähigkeit umfaßt, Aufgaben aufgrund eigener Einsicht, Stellungnahme und Entscheidung selbständig zu bewältigen. „Persönlichkeit" fügt sich dem Sozialkörper durch Anpassung (adjustment), den Sozialisierungsprozeß etc. ein und wirkt zugleich formend auf ihn zurück, dabei entsteht u. U. eine Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und dem, was die „Persönlichkeit" darstellen will 175 . Auch im Anschluß an die juristische Kategorie der „Rechtsperson" 176 erlebte „Persönlichkeit" als Begriff in der Nachkriegszeit wohl nicht von ungefähr eine Konjunktur, 1 7 7 und es setzte sich das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschende Verständnis eines „dynamischen Prozesses" durch, einer ,,kontinuierliche[n] Aktivität des Individuums, das um die Schaffung, Erhaltung und Verteidigung jener privaten Welt bemüht ist, in der es lebt" 1 7 8 .
Für eine Konzeptualisierung in philosophisch untermauerte Identitätskonzepte 179 wur174
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So auch im „klassischen" Verständnis, s. Wilhelm von Humboldt: Über den Charakter (1797, in ders.: Schriften zur Anthropologie und Bildungslehre, hg. von Andreas Flitner, Frankfurt/ Berlin/Wien 1984, S. 111-115). Diese Diskrepanz entsteht i. d. R. über das Anspruchsniveau, das sinnfällig in der Psychologie auch als „Maske" bezeichnet wird. Zu vorgehendem Wilhelm Hehlmann: Wörterbuch der Psychologie (Stuttgart 121974). Otto von Gierke sprach Ende des 19. Jahrhunderts (Deutsches Privatrecht, Bd. 1, 1895, S.703) zum erstenmal von „Persönlichkeitsrechten". Auch bei Schmitt wird die Persönlichkeit stark von der juristischen Denkweise einer Rechtsperson her gesehen, die zwar im strafrechtlichen Sinne Verantwortung trägt, die aber nicht auf ihre Motive hin durchleuchtet wird (schon gar nicht im Sinne psychologischer Zuschreibungen von „Zurechnungsfähigkeiten"). Auch der Staat als juristische Person trägt demnach im Kriegsfall als Besiegter zwar die Verantwortung, tritt aber wieder in seine Rechte als Staat ein. Diese Herleitung aus der strafrechtlich motivierten Rechtsphilosophie wäre an Schmitts Frühschriften genauer zu untersuchen (vgl. auch Ernst Forsthoff: Der Persönlichkeitsschutz im Verwaltungsrecht, in: Festschrift für den 45. Deutschen Juristentag, Karlsruhe 1964, S. 41—60, sowie Dieter Leuze: Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag im Verhältnis allgemeines Persönlichkeitsrecht - Rechtsfähigkeit, Bielefeld 1962).
Dies fand schließlich Niederschlag im Grundgesetz Art. 2 Abs. 1, wo von der „freien Entfaltung der Persönlichkeit" die Rede ist, was den Gerichten bis heute keine geringen Interpretations-Probleme bereitet. 178 L. K. Frank (zit. nach Koch: Die Begriffe, 1960, S.21). 179 Unter „Identitätskonzept" wird hier das Bemühen verstanden, Fremd- und Selbsterwartungen auszubalancieren und zu Anerkennung und Selbstachtung zu gelangen. Ich-Identität bildet eine Voraussetzung psychischer Gesundheit, ihr Ausdruck ist Gelassenheit. Dazu gehören Vertrauen in sich und andere, Unbelastetsein von Scham und Zweifel und eigene Initiative; letztlich dient das Selbstkonzept der Optimierung des Lust-Unlust-Gleichgewichts. Zur Geschichte des Begriffs „Identität" und „Identitäts-Krise" Erik H. Erikson: Identität (1966, in ders.: Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel, München 1988, S. 11-39): der Begriff der Identitäts-Krise sei zuerst während des Zweiten Weltkrieges auf
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3. Kapitel — Schweigen
den - das ist fast ein Gemeinplatz - die Umbrucherfahrungen der Moderne entscheidend. Was von Deutungseliten als „Vermassung" und Egalisierung wahrgenommen wurde, ließ das Bedürfnis entstehen, das „Individuum" in der „Person" zu überwinden 180 . Der Althistoriker Christian Meier hat in diesem Zusammenhang über die Generation Schmitts eine weitgehend unbeachtet gebliebene Bemerkung gemacht: für Gottfried Benn, Carl Schmitt und andere hätte die Geschichte des Ichs eine große Bedeutung bekommen aus der Erfahrung heraus, daß man sich unmerklich plötzlich weit von dem entfernt hätte, als was man einmal geprägt worden sei. Zwar habe man in dieser Generation noch Wert darauf gelegt, „Charakter" zu haben (wie er in klassischer Bildung und in der humanistischen Erziehung des deutschen Gymnasiums gefordert wurde), dabei aber gespürt, daß mit ihm nicht weiterzukommen sei. Diese Generation sei auf eine Weise „ins Freie" geworfen worden, wie kaum eine zuvor, und von dieser Erfahrung aus müßte man ihre Reaktionen genau studieren 181 . Benn, Freyer, Gehlen, Heidegger, Jünger, Schmitt — sie alle versuchten nach dem Scheitern „nationaler" Lösungen auf ihren jeweiligen Denk-Feldern Antworten, die integrale Individualitätskerne stabilisieren und gegenüber Technisierung, Ökonomisierung, Sozialisierung etc. konservierend wirken sollten. Sie trafen naturgemäß auf konkurrierende Lösungsvorschläge, die die „Identität" der Person in der Zeit anhand von stark kontrastierenden Kriterien zu bestimmen suchten. Die sich dabei aufbauende und besonders in der Nachkriegszeit zum Antagonismus auswachsende Differenz zwischen „Persönlichkeit" und „Charakter" läßt sich etwa folgendermaßen beschreiben: Beide Konzepte, dies ist ihr gemeinsamer Ausgang, verstehen sich als Möglichkeiten einer geistigen Existenz in der Geschichte. Das Konzept „Persönlichkeit", wie es sich bei den hier Vorgestellten mehr als nur andeutet, besitzt vor allem eine starke Wertschätzung der vielfältigen Arten des Geistes 182 . Bei der „Wahrung der Persönlichkeit" handelt es sich um eine Strategie der Selbstbehauptung gegenüber den HerausfordePatienten angewandt worden, die durch „die Zwangssituation des Krieges ein Gefühl der persönlichen Gleichheit und der historischen Kontinuität verloren" hatten (S. 12), Identität ist demnach das „subjektive Gefühl einer bekräftigenden Gleichheit und Kontinuität" (S. 15). 180 Dies ist bereits das Thema des bürgerlichen Romans, die Perzeptionen des kommenden Massenzeitalters früh bei Ε. T. A. Hoffmann: Des Vetters Eckfenster (1822) oder E. A. Poe: The Man in the Crowd (1840). 181 Christian Meier: Diskussionsbeitrag (in Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 305f.). Möglicherweise hat diese Erfahrung auch eine Disposition zum Expressionismus bestimmt, der sich aus diesen Jahrgängen der späten 1870er bis frühen 1890er Jahren rekrutierte (vgl. Ellen Kennedy: Politischer Expressionismus: Die kulturkritischen und metaphysischen Ursprünge des Begriffs des Politischen bei Carl Schmitt, in: ebd., S.233-252). 182 „Alle Würde des Menschen konzentriert sich in seinem Denken" (Vorwort zur spanischen Ausgabe von „Ex Captivitate Salus" von 1958; vgl. Piet Tommissen (Hg.): Schmittianall, Weinheim 1990, S. 140-142), vgl. auch die Äußerung Schmitts gegenüber Kempner: „Ich bin ein intellektueller Abenteurer . . . " und „Ich fühlte mich damals überlegen [gemeint ist 1933,
3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter"
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rungen und Zudringlichkeiten der Außenwelt, die innere Brüche zu tolerieren bereit ist, wenn sie nur auf hohem Niveau und reflektiert vollzogen werden 183 . D e m Konzept „Charakter" dagegen ist mehr an der moralischen Integrität gelegen, „Charakterstärke" bedeutet eher ein bruchloses Stehen zu bestimmten ethischen Grundwerten und Überzeugungen, was immer die Zeitläufe auch an Verführungen für den Einzelnen bereithalten. Mit „Charakter" ist natürlich der auszeichnende Titel des guten Charakters gemeint — aber auch der schlechte zeichnet sich ja durch seine weitgehende Unwandelbarkeit aus. Dieser Gegensatz stimmt zunächst mit der vorab skizzierten Begriffsgeschichte überein und hat in dieser Frontstellung mit ζ. T. divergierender Terminologie bereits eine ganze Literatur hervorgebracht, die sich in der Nachkriegszeit bis heute noch einmal exponentiell in ihrem Umfang erweitert hat. Eingefangen ist darin die Frage nach der „Haltung", und besonders derjenigen der Intellektuellen, zur Macht, zur Politik, zur Zeit überhaupt. Ein Buch wie Julien Bendas „Verrat der Intellektuellen" gehörte in den 20er Jahren zu den Klassikern dieser Gattung und zum selbstverständlichen Wissensbestand der Intellektuellen 184 . Entlang der Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter" verlief dann sehr auffällig auch eine Scheidelinie, die das Wiederauftauchen Schmitts aus der Verschwiegenheit beurteilte: warf die eine Seite ihm vor, Talent, doch keinen Charakter zu besitzen 185 , sah Schmitt sich im Gegenzug als Opfer unverbesserlicher „Rechthaber" und „Charak-
v.L.]. Geistig unendlich..." (Robert M.W. Kempner: Das Dritte Reich im Kreuzverhör, München/Esslingen 1969, S.298f.). 183 Vgl. Gottfried Benn am 27. Februar 1948: „Man hüte sich davor, Persönlichkeit im bürgerlichen Sinne zu werden, — die Ausdruckslosigkeit bietet mehr Möglichkeiten zum inneren Weiterkommen. Verwandelbar bleiben, — das ist das Geheimnis. Verwandelbar - hat zur Voraussetzung: äusseres Spießertum u. inneres Wachsein" (Gottfried Benn: Briefe an E W. Oelze 1945-1949, Frankfurt/M. 1982, S. 120). Vgl. dazu die Ansicht Schmitts, „daß der Weg des Geistes auch durch Irrtümer führt, in denen der Geist auch in seinem Irrtum noch Geist bleibt" — „Vor dem Forum des Geistes hat unsere wissenschaftliche Arbeit nichts zu fürchten, nichts zu verhehlen und nichts zu bereuen" (Ex Captivitate Salus, 1950, S. 23f. bzw. S. 21f.). 184 Auch Schmitts „Glossarium" (Berlin 1991) beginnt mit Reflexionen über das Buch von Benda (sowie zu Goethe, der zu dieser Zeit beispielhaften Figur „charaktervollen" Geistes und moralischer Haltung). Vgl. aus der Nachkriegszeit etwa Peter de Mendelssohn: Der Geist in der Despotie. Versuche über die moralischen Möglichkeiten des Intellektuellen in der totalitären Gesellschaft (Frankfurt/M. 1953). 185 Gustav Radbruch (in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, Heft5/1947, Sp.224), s. auch die Rezension von „Donoso Cortes in gesamteuropäischer Interpretation" durch Franz Thierfelder (in: Welt und Wort. Literarische Monatsschrift, 5. Jg., Heftl2/Dez. 1950, S.526), wo Donoso in unübersehbarer Parallelität zu seinem Porträtisten „ein seltsamer Dilettantismus, eine auffällige Verzeichnung fremder Charaktere, eine Inkongruenz von Denken und Handeln, eine nicht selten fatale Voreingenommenheit und Selbstüberschätzung: summa summarum kein Charakter" unterstellt wird.
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3. Kapitel — Schweigen
termörder" 186 . Wurde vom „Charakter"-Konzept her die Unterstellung des „Nihilismus" und des „Opportunismus" notorisch 187 , konnte dem unter Rückbezug auf Max Weber die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Gesinnungsethik vorgehalten werden 188 . Hier deutete sich also ein Frontverlauf an, der für den weiteren Gang der bundesrepublikanischen Geistesgeschichte von bisher kaum gewürdigter Bedeutung geworden ist. Die Vorstellungen lohnen daher eine genauere Betrachtung: Zum „Persönlichkeits"-Konzept gehört ein ausgeprägtes Form-Bewußtsein, was sicherlich die etwas altertümliche und zeremonielle Höflichkeit erklärt, mit der man seinem Gegenüber begegnet, ein Auftreten, das dem Comment, Takt und Geschmack den Vorzug vor dem Bekenntnis einräumt und folglich die „Integrität" einer Person (verstanden auch im juristischen Sinne als Ganzheit, Unversehrtheit, Unantastbarkeit) anders bestimmt. Ihr werden Residuen des „Geheimnisses" nicht nur zugestanden, sondern dem „Tabu" wird eine entweder spielerische oder auch rituelle Bedeutung zugemessen, die als zentraler Bestandteil dieser „Integrität" erscheint 189 . Die respektvolle Höflichkeit als Umgangsform bedeutet, daß jede Art von „plumper Vertraulichkeit" unterbleibt - mit der Folge freilich, daß auch langjährige Bekanntschaft keineswegs zu einer genaueren Orientierung über Privates oder Vergangenes im Leben seines Gesprächspartners führen muß. Selbstentblößungen gelten als peinlich 190 . 186
So der von Schmitt lancierte Titel eines Porträts (X [= Rudolf Fischer]: Hexenverfolgung. Der Fall Carl Schmitt: Charaktermord, in: Der Fortschritt, Nr. 4, vom 25. Januar 1952). 187 Dieser Vorwurf traf Schmitt, denn als völlig „charakterlos" will sich auch die „Persönlichkeit" nicht empfinden. In einem Hamburger Vortrag Kurt Hillers vom Mai 1947 findet sich eine für das „Charakterkonzept" bezeichnende, temperamentvolle Abrechnung mit den „Unterpapens und Nebenpapens" (S. 8), denen „Zerknirschung" anstünde: „wir bedürfen des Wissers und Könners, der zugleich ein Charakter ist", anders als Heidegger, Jünger, Schomerus, Eduard Kohlrausch oder Wilhelm Stapel. „Es gibt in der Tat noch Übleres als den Nationalsozialismus; das ist: die Charakterlosigkeit" (ders.: Geistige Grundlagen eines schöpferischen Deutschlands der Zukunft, Hamburg/Stuttgart 1947, S.7-10). 188 Auch hatte Weber die intellektuelle „Rechtschaffenheit" als den Entschluß, sich im Erkenntnisstreben selbst treu bleiben zu wollen, als „Persönlichkeits"-Ideal entwickelt. Bis heute lassen sich Rede und Widerrede anhand dieser Wegscheide nachweisen, vgl. Roman Schnur (Aufklärung. Bemerkungen zu einem Sammelband mit Studien über Carl Schmitt, in: Der Staat, 27. Jg. (1988), S. 437-452, S. 438: „Nur Opportunisten haben in diesem durch Erschütterungen und Veränderungen schwer beschädigten Europa eine kontinuierliche Linie beibehalten können: Immer oben, immer dabei, zwischendurch in Deckung"). 189 Das bestätigt Eberhard Straub: Der Jurist im Zwielicht des Politischen. Carl Schmitt und der Staat (in ders.: Die Götterdämmerung der Moderne. Von Wagner bis Orwell, Heidelberg 1987, S. 75-90, hier S.77): Schweigen schütze davor, in gegenseitiger Peinlichkeit nackt und wehrlos voreinander zu stehen wie im Urzustand, wo der Mensch dem Menschen ein Wolf sei; Höflichkeit habe Schmitt auch als politische Kunst des ,Jus publicum europaeum' gegolten. 190
„Wir wissen alle, wie skeptisch Carl Schmitt allem Bekenntnishaften, allem Direkten, allem unmittelbar Angewandten gegenüberstand. Ihm schien es unerträglich, wenn jemand durch bekenntnishafte Direktheiten das Geheimnis zerstörte", — so Wilhelm Nyssen 1986 zum
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Die Zone des Taktes federt meist dynamisch unliebsame Fragen ab, führt auf der anderen Seite zu vermeidbaren Verstimmungen, weil regulierende „Aussprachen" unterbleiben und sich unter Umständen herausstellt, daß man seit geraumer Zeit aneinander vorbei geredet hat. Bei persönlicher Unempfindlichkeit ist das nicht irreversibel, doch ist es vor allem die starke Identifizierung von Geist und Persönlichkeit, die etwas von der Ernsthaftigkeit, ja dem bitteren Eifer erklären mag, mit dem intellektuelle Auseinandersetzungen geführt wurden und um geistige Positionen miteinander gekämpft worden ist, denn jede Infragestellung geistiger Überzeugungskraft gilt auch als ein Angriff auf die persönliche Würde 191 . Form und Geist stehen also diesem Konzept nach nicht zuletzt deshalb in direkter Beziehung zueinander, weil die Haltung und der Umgang Auskunft geben über den Grad der Beherrschung der chaotischen (Eigen-)Natur. Schlechte Manieren lassen den Trieben die Zügel schießen und die Triebe laufen nicht zum Guten 1 9 2 . Formbewußtsein spiegelt sich nicht selten zugleich in politischen Optionen: Repräsentation ist das Prinzip der Form im Bereich des Politischen 193 , Institutionen sind ihre Träger, die Verbindung von Masse und Leidenschaft ist ihr Schreckbild 194 . Es liegt auf der Hand, daß das „Persönlichkeits"-Konzept auf einer anthropologischen Grundan-
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Auditorium in Speyer (in Quaritsch (Hg): Complexio Oppositorum, 1988, S. 182, und er zitierte Tob. 12,11: „Sacramentum Regis abscondere bonum est"). Ein in Gegenwart Schmitts zu hütendes Tabu betraf etwa die Umstände seiner ersten Ehe; vgl. auch Schmitts Verachtung für Tagebuchveröffentlicher, besonders Ernst Jüngers). Zur Ernsthaftigkeit deutscher Mandarine vgl. Fritz K. Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933 (München 1987). Zur Struktur der „Persönlichkeit" Carl Schmitts in diesem Sinne bestätigend Franz Blei (Carl Schmitt. Von einem, der ihn kannte, in: Der Christliche Ständestaat vom 25. Dezember 1936, S. 1217—1220): nach Schmitt sei der Mensch nur in seiner Intelligenz gut, Schmitt sei uneitel, aber empfindlich bei Mißachtung seiner Person (ζ. B. beim stillschweigenden Abschreiben seiner Theorien) gewesen, habe die Masse verachtet, sei bestrebt gewesen, sein Theorem à tout prix zu halten etc. Carl Schmitt hatte sich (Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 59—68) explizit der „pessimistischen" Auffassung über die Natur des Menschen zugerechnet, die eine „realistische" sei und diese der optimistischen der „Pädagogen" und „Liberalen" gegenübergestellt (und sein späteres Schicksal insofern antizipiert, als er diesen letzteren zusprach, sie würden die klare Erkenntnis und Beschreibung politischer Phänomene auf der Grundlage der Sündhaftigkeit des Menschen „als bekämpfenswerte Teufelei hors-la-loi" zu setzten versuchen, wie es bei Macchiavelli geschehen sei (ebd., S. 65). Zum Zusammenhang von Repräsentation und Identität bei Schmitt und - kontrastierend bei Gerhard Leibholz siehe Wolfgang Manti: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre (Wien/New York 1975, S.212ff., zur Renaissance der Identität aus der Krise der Repräsentation bei Werner Weber S.207ff. „Form" als politisches Konzept klingt noch an bei Rüdiger Altmanns „formierter Gesellschaft", s. unten Kapitel7). Zu untersuchen wäre auch der Einfluß von Lorenz von Steins Vorstellungen vom Staat als zur Persönlichkeit erhobene Gemeinschaft. Dazu jetzt Helmut König: Zivilisation und Leidenschaften. Die Masse im bürgerlichen Zeital-
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3. Kapitel — Schweigen
nähme beruht, die das vielleicht maßgebliche Unterscheidungskriterium darstellt 195 . Von einem „Charakter" wird demgegenüber ein hohes Maß an Gradlinigkeit und Offenheit erwartet, das möglichst wenig Mißtrauen erzeugt. Das jugendbewegte Gebot der „inneren Wahrhaftigkeit" wirkt möglicherweise mit hinein. Auch einem „Charakter" sind Wendungen und Brüche möglich, aber sie müssen gleichsam öffentlich, bekenntnishaft erfolgen (und die frühere Verblendung und Irreleitung zum Ausdruck bringen, die Wendung als Lernschritt darstellen 196 ), um dieser Idee von „Integrität" nicht zu schaden 197 . Die Terminologie neigt bei Haltungs-Brüchen zum Begriff der „Verfehlung", während Wendungen im Gegenkonzept von „Persönlichkeiten" gern als „Scheitern" deklariert werden, in welches eine unaufhebbare Tragik eingebunden wird — ja, unter Umständen ist es das genialische Scheitern, das eine „Persönlichkeit" i. d. S. recht eigentlich erst vollendet 198 . Als entscheidend gilt die Wahrung der geistigen
ter (Reinbek 1992). Schon früh Hendrik de Man: Vermessung und Kulturverfall (München 1951); erfolgreicher: José Ortega y Gasset: Der Aufstand der Massen (Reinbek 1956). 195 Zu Carl Schmitt Heinz Laufer (Homo homini homo. Das „Anthropologische Glaubensbekenntnis" eines Doktrinärs, in: Politische Ordnung und menschliche Existenz. Festgabe für Eric Voegelin, München 1962, S. 320—342) sowie jetzt Rüdiger Kramme: Helmuth Plessner und Carl Schmitt. Eine historische Fallstudie zum Verhältnis von Anthropologie und Politik in der deutschen Philosophie der zwanziger Jahre (Berlin 1989). Siehe aber auch die Reflexionen über die Funktionalisierungen unterschiedlicher Menschenbilder im politischen Tageskampf durch Carl Brinkmann: Über Güte und Schlechtigkeit des Menschen (in: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, hg. von Hans Barion u. a., Bd. 1, Berlin 1968, S. 83-87, ursprünglich ein Beitrag zur unveröffentlichten Festschrift von 1953). 196 Vgl. das Bekenntnis Theodor Heuss' in seinen nachgelassenen Erinnerungen an die NS-Zeit, mit seiner Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz eine „Dummheit" gemacht zu haben (Theodor Heuss: Fragment von Erinnerungen aus der NS-Zeit, aus: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 1/1967, S. 1-16, hier S.6). Hiller (Geistige Grundlagen, 1947, S. 15f.) dazu: „Welcher Verständige sollte Scheiterhaufen wünschen für ehrlich Bekehrte, bloß weil sie vor Jahren, als sehr junge Menschen, einer Suggestion erlagen..." Hier sei gleichsam von „Hypnotisierten" zu sprechen. Im uneinsichtigen „Opportunistengezücht" allerdings sieht er einen Feind, dem gegenüber Toleranz nicht angebracht und der vom öffentlichen Leben auszuschließen sei: „Nur der gesellschaftliche Boykott, der geflissentlich verletzende, der rücksichtslos herausfordernde Verkehrsboykott gegen diese Burschen" helfe hier weiter (ebd., S.25). 197 Vgl. d a z u das „Gespräch mit Eduard Spranger" (in Schmitt: Ex Captivitate Salus, 1950, S. 9-12): Spranger habe Schmitt zwar zugestanden, überaus geistvoll zu sein, sein Wesen und seine Persönlichkeit aber seien undurchsichtig: Schmitt kommentierte, sein „Prosekutor" sei „ganz davon durchdrungen [gewesen], Recht zu haben und behalten zu haben" (S. 11). Es sei aus ihrer verschiedenen Haltung heraus kein Gespräch mehr entstanden. 198
Zum „Scheitern" Rüdiger Altmann: Der wilde Frieden. Notizen zu einer politischen Theorie des Scheiterns (Stuttgart 1987). Charakteristisch auch der Titel von Gustav Hillard Steinbömer: Recht auf Vergangenheit (Hamburg 1966). Am 21. September 1947 schrieb Schmitt in
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Freiheit und Unabhängigkeit 1 9 9 , woraus sich nicht nur die hierbei zu beobachtende allergische Reaktion gegenüber Pädagogik, sondern auch der Affekt gegen die Psychologie erklärt, da sie die Selbstachtung und Identität hinterfragt, Tabus durchbricht und die Persönlichkeit perforiert 200 . D a s Verhältnis zwischen den stärker „Persönlichkeits-,, und den stärker „Charakter "-betonenden Layouts ist zwar nicht deckungsgleich, aber mit der Unterscheidung zwischen „Geist" und „Intellekt" verwandt. Beide Einstellungen zur selben Sache stehen sich um so erbitterter gegenüber, als es sich dabei weniger um inhaltliche Differenzierungen als vielmehr um solche der Haltung handelt 2 0 1 . Möglicherweise ist für die Differenzen darüber hinaus ein grundsätzlich unterschiedlicher Blick auf die Sozialisationsmechanismen „Anlage" bzw. „Umwelt" mitentscheidend. D i e Erwartung einer stabilisierenden Funktion von aristokratischen Haltungsentwürfen findet sich daher am ausgeprägtesten bei einem Anthropologen, bei Arnold
sein „Glossarium": „Mein höchstpersönliches (durch eigene Erfahrungen und Erkenntnisse wohlerworbenes) Recht auf Riservata und Arcana, das ist weit wichtiger als ein Recht auf politischen Irrtum, und in dieser Hinsicht vergewaltigt zu werden, ist ein schlimmeres Unrecht als ein politischer Reinfall, d . h . in einer Wechsellage des Bürgerkriegs auf die besiegte Seite zu geraten" (ebd., 1991, S. 16). 199 „Wie sich ein denkender Mensch im Terror konfessioneller Bürgerkriege seine innere Freiheit wahrt, hat niemand besser gezeigt als Hobbes. Daß er dabei von allen Seiten beschimpft und [...] fertiggemacht wurde, spricht für die Unabhängigkeit seines Denkens und die Echtheit seines freiheitlichen Sinnes" (Carl Schmitt: Die vollendete Reformation, in: Der Staat, 3. Jg. (1965), S. 61). 200 Psychologie untergräbt für Schmitt auch die Ernsthaftigkeit jeder politischen Argumentation (vgl. Schmitt: Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation, Köln 1950, S.83, wo es um Donosos „panikartige Konversionen" und schockartige Schwenkungen geht. Sie ließen, so Schmitt, sich „jedenfalls nicht auf psychologische und soziologische Motive jener Art von Psychologie und Soziologie zurückführen, die den Schrecken einfach als pathologisches Begleitphänomen gestörten Sicherheitsgefühls bagatellisiert. Denn diese Art von Psychologie oder Soziologie ist ja selber nichts als ein Produkt des wiedergewonnenen Sicherheitsgefühls und das Begleitphänomen einer Zwischenzeit illusionärer Sekurität"). Psychologie wird hier der Defensivstrategie des „Bürgers" zugeordnet (vgl. dazu Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde, München 1991). — Wohl nicht von ungefähr stand demgegenüber die westdeutsche Psychologie nach 1945 unter einem starken Erkenntnisinteresse, den „Aufbau des Charakters" zu erforschen (vgl. Peter Mattes: Die Charakterologen. Westdeutsche Psychologie nach 1945, in: Walter H. Pehle/Peter Sillem (Hg.): Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945?, Frankfurt/M. 1992, S. 125-135). 201
Vgl. Hauke Brunkhorst (Der Intellektuelle im Land der Mandarine, Frankfurt/M. 1987), der noch einmal auf die überkommene gesellschaftliche Rollenverteilung zwischen dem geheimnistragenden, introvertierten Gelehrten (Mandarin) und dem tabubrechenden, öffentlichkeitsorientierten (Links-)Intellektuellen hinweist; vgl. auch Hans Blüher: Die Intellektuellen und die Geistigen (Berlin 1916, bes. S. 5f.).
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Gehlen nämlich, der die Persönlichkeit definierte als Institution in einem Fall 202 . Gehlen mühte sich um die Ausprägung einer Haltung, die für ihn „Eigenrichtigkeit" besaß, die im Wandel der Zeiten dagegen invariante „Substanzkerne" behalte und sich der „Pleonexie", dem „Lustprinzip" Freuds entgegenstemme 203 . Der entsprechende Persönlichkeitsentwurf betonte v. a. die (aristokratischen) Konventionen des Außenkontaktes, nämlich „Würde", „Höflichkeit" und „Distanz" 204 . Diese Elemente sollten „Persönlichkeiten" untereinander „kompatibel" werden lassen, zum „echten" Gespräch geeignet und besser gerüstet, trotz sachlicher Differenzen im einzelnen ein „Netzwerk" zu bilden, deren Zentren Figuren mit „Substanzkernen" gleichsam magnetischer Observanz bilden 205 . Möglicherweise spielte bei dieser Vorstellung die Erfahrung eine Rolle, daß eine vergleichbare „Haltung" dasjenige Element gewesen war, was den geistigen Austausch innerhalb der ansonsten in zahllose Richtungskämpfe verstrickten rechten Gruppierungen der 20er Jahre gewährleistet hatte 206 . 202
„Wenn wir den Begriff Persönlichkeit cum emphasi denken, als die eigentlich bewundernswerte Produktivität, so findet sich diese in unserer Zeit [...] da, wo es einer unternimmt, die anspruchsvollen Tendenzen des Geistes im Apparat selbst zur Geltung zu bringen, sich also gerade nicht von ihm ,zu distanzieren'. Wer die Kraft und die Erfindungsgabe hat, den feineren und versehrbaren Werten die Unterstützung des massiven Alltags zu erwirken, wer die Geistesstärke hat, Situationen, und gerade die alltäglichen, auch auszuwerten, sie in allen ihren Qualitäten zu vernehmen: der hat oder ist Persönlichkeit im spezifischen Sinn[...]. Gerade das .Auswerten' der Situation des Alltags ist der einzige denkbare Ersatz für die fehlende Wertintegration einer Gesellschaft, deren Institutionen so weitgehend zu Zweckapparaturen eingeschrumpft sind. Eine Persönlichkeit: das ist eine Institution in einem Fall." (Arnold Gehlen: Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Tübingen 1949, S. 45; Anm. im Exemplar Carl Schmitts: „Ecco" (HSTAD RW265-170). 203 Gehlen setzte sich in „Sozialpsychologische Probleme" u. a. mit Freud auseinander, dessen „Lustprinzip" das „Bewußtsein, Denken und Sichverhalten der Menschen als abhängige Variable von ,Triebschicksalen' darstellten [...]. Die Zeitverhältnisse reflektieren sich in den Individuen als deren Pleonexie, Triebhaftigkeit und Unpersönlichkeit" (ebd., S. 26). 204 Dies betont v. a. Karl-Siegbert Rehberg: Arnold Gehlen. Zum Erscheinen der Gesamtausgabe (in: Criticón49, September/Oktober 1978, S. 224-228, hier S. 224). 205 Nach Gehlen sind Menschen mit Realitätssinn und Verzicht auf das große Weltbild zur Auswertung von Gesprächssituationen geeigneter, würden „also nicht auch unter vier Augen jenes verwaschene Gerede produzieren, das aus dem ewigen Hinschielen auf das Öffentliche und Soziale kommt" (Arnold Gehlen: Ende der Persönlichkeit? (1956), in ders.: Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied/Berlin 1963, S. 329-340, hier S. 336); im übrigen sei auch „das Verstummenkönnen" Merkmal einer Persönlichkeit (ebd., S. 340). 206 Als Gegensatz zur — integrierenden - „Persönlichkeit" wird daher ursprünglich nicht der „Charakter", sondern das subjektive, egoistische, gemeinschaftsfremde „Individuum" gesehen (vgl. Yuji Ishida: Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928-1933, Frankfurt/M. u. a. 1988, S. 51-55, der als allgemeine Zielsetzung des Kreises um Heinrich von Gleichen die „Sammlung der (christlich-nationalen) Persönlichkeiten" ausmacht, um die liberale Weltanschauung zu überwinden, die zu Vermassung und Persönlich-
3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter"
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Folgt man bis hierher dieser idealtypischen Gegenüberstellung, stellt sich die Frage, in welche Traditionen sich die stärker „Persönlichkeits"-orientierten Intellektuellen im Sinne Carl Schmitts oder Gehlens einordnen. Gerade bei Schmitt scheint auf der Hand zu liegen, daß die Vorstellung der „Persönlichkeit" den sozialen Verkehrsformen der von ihm als klassisch beschriebenen Epoche europäischer (Rechts-)Geschichte und daher von höfischen Disziplinierungs- und Sublimierungslehren beeinflußt ist 207 . Nicht zufällig erinnert die Gegenüberstellung von moralischem Rigorismus im „Charakter"und politischem Macht-Pragmatismus im „Persönlichkeits"-Konzept an eine Konfrontation, die sich bereits im 18. Jahrhundert aufgebaut hatte: die mit den Waffen der Moral ausgetragene Kritik der Bürger an der aristokratisch-absolutistischen Politik. In der Philosophie, aber auch in der Literatur der Frühaufklärung angelegt, wurde die Postulierung ethischer und naturrechtlicher Maßstäbe für den Bereich des Politischen aus der Erfahrung von Ohnmacht und Willkür für jede weitere Entwicklung des politischen Denkens grundlegend 208 . Für Schmitt jedoch, der hierin den Weg zu Entpolitisierungen, Kriminalisierungen und Verschleierungen aller Art eingeschlagen sah, blieben Kategorien wie „Geheimnis" und „Verrat" Maßstäbe für die Interaktion, blieb „Verschwiegenheit" für eine Freundschaft zentral. Hierbei wirkte im Katholiken Schmitt wohl nicht zuletzt die christliche Konversationslehre mit ihrer Ausbildung zur Selbstzucht nach 209 .
keitsverfall geführt habe; soziales Element der elitären „Persönlichkeit" sei die „Verantwortung"). 207 „Immer bleibt Hobbes der große Lehrer der Zivilisation gegen die Barbarei" (Schmitt: Die vollendete Reformation, 1965, S. 60f.). Auch etwa Baltasar Gracián (Handorakel und Kunst der Weltklugheit, 1647), dessen Lehren wie bei Hobbes Gesellschaftspessimismus voraussetzten. Die Handlungslehre der Politik i. d. S. ist die Diplomatie. Zum Gesamten die Forschungen von Norbert Elias (v.a.: Über den Prozeß der Zivilisation, 2Bde., Frankfurt/M. 8 1981). Vgl. auch den Aufsatz Theodor Schieders: Die Idee der Persönlichkeit und ihr geschichtliches Schicksal in den letzten anderthalb Jahrhunderten (in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 2. Jg., 1951, S. 193-211, dort S.210 die Formel zu Hitlers .Drittem Reich': „Der Massendämon wird in einem Einzelnen Gestalt"). 208 Vgl. Leo Balet/E. Gerhard: Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert, (Neuausgabe, hg. von Gert Mattenklott, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1973). Diese Parallele empfand und bearbeitete etwa Reinhart Koselleck (Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der modernen Welt, Freiburg/München 1959) mit anderer Akzentuierung jetzt auch: Heinz Dieter Kittsteiner: Geschichte des Gewissens (Frankfurt/M. 1991). Ein zu Kosellecks Interpretation der „Sattelzeit" gegenläufiges Konzept lieferte Jürgen Habermas (Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied/Berlin 1961). 209 Der Kirchenvater Ambrosius umschrieb um 386 in den „Drei Büchern über die Pflichten" die Forderung nach Beherrschung der Sinnlichkeit und das Mißtrauen gegenüber dem Nächsten so: „Vor jedem sichtbaren Widersacher, der reizt, der stachelt, der den Zunder der Lust oder Sinnlichkeit legt, hat man sich in acht zu nehmen. Wenn uns also einer schmäht, neckt, zu Tätlichkeiten reizt, zu Zank herausfordert, dann laßt uns in Schweigen üben!" (zit. nach
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3. Kapitel — Schweigen
Die Moral-, Naturrechts- und Grundwerte-orientierte Haltung einer Formung von „Charakter" im neuzeitlichen Sinne gründete dagegen in der frühbürgerlichen Suche nach einem politischen Ethos in der Welt der Öffentlichkeit. Gleichzeitig war eine Individualisierung von Aufstiegschancen intendiert. Gegen Abkunft und überkommene Chancen Verteilung nach Ständekriterien bot sich ein Modell, das sowohl den Moralforderungen entsprach, wie es auch (über eine Potenzierung von Eigenschaften) die Möglichkeiten zum Reüssieren auf den einzelnen verlagerte. Die von Weber analysierte protestantische Ethik scheint dafür konstitutiv. „Charakter" i. d. S. behauptet und verteidigt die Prävalenz des Gewissens vor den Ansprüchen etwa des Staates 210 ; die Suche nach Wertstabilität antwortete ebenso auf die Unsicherheitspotentiale frühneuzeitlicher Krisen- und Kriegslagen wie das Gegenkonzept. „Persönlichkeit" aber ist stets elitär geprägt und eine exklusive Eigenschaft, zudem im Verständnis ihrer vermeintlichen Träger durchaus antibürgerlich 211 und sensibel gegenüber der jeder Aufklärung innewohnenden Dialektik. In Carl Schmitts Verständnis ist die „Persönlichkeit" eine Emanation des lagebewußten Subjekts, der „Charakter"-Mensch jedoch Ausdruck des demokratisch und humanistisch verbildeten Individuums. Dessen „Überzeugungen" würden in dem Anderen nicht die eigene Frage als Gestalt erkennen, sondern neigten dazu, den anderen erst zu diskriminieren, um ihn dann zu kriminalisieren, während die „Persönlichkeit" um die Arcana wisse und sich davor hüte, das Tabu zu verletzen; eine „unparteiische, kontemplative Haltung" sei Voraussetzung dafür 212 .
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Claudia Schmölders (Hg.): Die Kunst des Gesprächs, München 21986, S. 18. Schmölders legt in ihrer Einleitung (S.60) zugleich dar, wie — in Ergänzung zum von Elias konstatierten „Prozeß der Zivilisation" — die Disziplinierung der Sinne im kommunikativen Bereich begleitet wird von wachsender Aggressivität, etwa in zunehmender Ironie oder polemischer Schärfe. Vor allem wissenschafüiche und ideologische Auseinandersetzungen hätten eine Entschädigungsfunktion für die Unterdrückung physischer Aggressivität). S.Thomas Laugstien (Die protestantische Ethik und der „Geist von Potsdam". Sprangers Rekonstruktion des Führerstaats aus dem Prinzip persönlicher Verantwortung, in: Wolfgang Fritz Haug (Hg.): Deutsche Philosophen 1933, Hamburg 1989, S. 29-68,) in einer Interpretation von Eduard Sprangers Aufsatz „Die Individualität des Gewissens" von 1933. Dagegen Ernst lünger: „Man muß bedenken, daß die modernen Führer, besonders wenn sie durch die allgemeinen Wahlen emporgestiegen sind, ein ganz vorzügliches Gewissen aufweisen. Sie können ja nur dorthin gelangen, wenn sie von sich und ihren zwei, drei Gemeinplätzen völlig durchdrungen sind" (Strahlungen, Bd. 2, München 1988, S.506). Vgl. dazu Hans-Peter Schwarz: Der konservative Anarchist (Freiburg 1962, S. 229: was für Ernst Jünger persönlichkeitszentral sei, erwiese sich als kulturperipher und umgekehrt, was für die Gegenwart kulturzentral sei, schiene für Jünger persönlichkeitsperipher, zentral sei für ihn die Erfahrung der Geheimnishaftigkeit des Daseins). In der Besprechung eines Buches von Luis Cabrai de Moneada (in: Universitas, 1948, S. 837f.) spricht Schmitt der „Persönlichkeit" des portugiesischen Gelehrten die „drei nicht alltäglichen Qualitäten eines guten Philosophen, eines guten Juristen und eines objektiven
3. Die Konzepte „Persönlichkeit" und „Charakter"
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Es sind aber nicht nur die Zudringlichkeiten der egalisierenden Tendenzen von Nationalsozialismus und Krieg, nicht nur die „Verfolgungen" der „Diskriminierer" und „Kriminalisierer", die ein solches Haltungs-Ideal gefährden. Noch von anderen Seiten fühlt sich das Konzept der „Persönlichkeit" bedroht: von der durchrationalisierten Gesellschaft, vom technokratischen Funktionär und Manager sowie von den Medien. David Riesmans Buch „Die einsame Masse" 213 ließ zu Beginn der 50er Jahre bei seiner Beschreibung der fortschreitenden Anonymisierung der amerikanischen Gesellschaft erahnen, daß die Gefahr der „außengeleiteten", also vorwiegend an Konformität orientierten Verhaltensstile (als „Charaktere" bezeichnet) auch den Verhältnissen in Deutschland drohte. Schon zuvor hatte James Burnhams Buch über „Die Herrschaft der Manager" die intellektuelle Runde gemacht; in Deutschland selbst waren es die Figuren des „Funktionärs" bei Jaspers oder Alfred Webers „vierter Mensch", die das Max Webersche Schreckbild des „stahlharten Gehäuses" bürokratischer Ingriffnahme der Gesellschaft weiter ausgemalt hatten 214 . Auch Technik und Automatisierung forderten zur Reflexion darüber heraus, wie „die Persönlichkeit unter den Bedingungen des gegenwärtigen Zeitalters" 215 zu wahren sei. In der Analyse dieser Gefahren erwiesen sich die persönlich sensibilisierten Denker als um so hellsichtiger, als sie sich selbst als Restbestände einer fragmentierten Elite verstanden. Ihr überscharfer Blick auf die Pathologie der Moderne erinnerte (lange vor Dahrendorf 216 ) an den Zusammenhang von Modernisierung und Totalisierung. Ihre Kritik an den Auswirkungen von Medien und „öffentlicher Meinung" lief der übrigen Kulturkritik, die sich des autonomen Subjekts noch gewiß schien, weit voraus 217 . Und noch etwas anderes wird in vergleichender Sicht auf diese konservative Deutungselite in der Nachkriegszeit deutlich: das allmähliche „Abschleifen" ihres Extremismus, die über den Rückzug auf die „Persönlichkeit" sichtbar werdende Defensive, die bis zum
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Historikers" zu, die ihm eine unparteiische, kontemplative Haltung ermöglichten, „wie sie heute für ein solches Schlachtfeld umstrittener Ideen [Rechts- u. Staatsphilosophie, v. L.] nur noch selten zu finden sein wird". Erschienen 1950, für die deutsche Ausgabe (Hamburg 1958) schrieb Helmut Schelsky eine für die hiesige Rezeption aufschlußreiche Einführung. „Der deutsche Bürger? [ . . . ] So etwas von Niederlage hat es noch nicht gegeben. Beamte und Funktionäre, Manager und Technokraten, Treuhänder und Kommissare schicken sich an, ihn zu beerben" (Carl Schmitt: Der Mut des Geistes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Dezember 1950, S. 10). Hans Freyer: Die Persönlichkeit unter den Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft (in: Jahresring 57/58. Jahrbuch, hg. vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie, Stuttgart 1957, S. 5 5 - 6 8 ) . Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland (München 1968). Später erfolgte eine Akzentverschiebung auf die Kritik der Medien (etwa Gehlens: Moral und Hypermoral, Frankfurt/M. 1969); Gegenbilder einer autonomen, selbstbestimmten Persönlichkeit äußerten sich u. a. in starker Hinwendung zur Kunst (bei Gehlen: Zeit-Bilder, Frankfurt/M. 1961).
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3. Kapitel — Schweigen
melancholischen Austritt aus der Geschichte und dem Einrichten im Posthistoire reichen konnte 218 . Vielleicht trägt der Gedanke einer Unterscheidung dieser beiden hier skizzierten Konzepte insofern etwas zur Geschichte der 50er Jahre bei, als in beiden jeweils auch Leitvorstellungen einer geistigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit enthalten sind. Beinhalten nicht beide eine Auffassung davon, wie das einzelne Subjekt frühere Lebensabschnitte integriert 219 ? Dann müßte man sich für die 50er Jahre die beiden Konzepte als gleichsam parallel existent vorstellen: unterhalb der öffentlich proklamativ vollzogenen Abkehr von der Vergangenheit, im Bekenntnis zum Bruch mit ihr (wobei der Verblendungscharakter des Irrtums besonders herausgestrichen wurde 220 ) sahen das Staatswesen und die öffentliche Kultur der Bundesrepublik den einzelnen Bürgern ihre eventuellen Verfehlungen nach, indem sie das öffentliche Entlarven mit Tabus belegten und nicht nach Herkunft, Gradlinigkeit oder der „Fertigkeit, nach Maximen zu handeln" (Kant) fragten, sondern sich bei funktioneller Bereitschaft zu einer verschwiegenen Integration bereit zeigten 221 . Eine auf innerstaatliche Homogenität bedachte „Integrationslehre" (Rudolf Smend) schien dabei tauglicher zu sein 218
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Über Gehlens Melancholie s. Wolf Lepenies: Melancholie und Gesellschaft (Frankfurt/M. 1972, S. 229-253). Das Motiv der „Langeweile" fand sich v. a. auch beim älteren Helmut Schelsky. Zum Ende der Geschichte Lutz Niethammer: Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? (Reinbek 1989). Der im „Glossarium" mehrfach zitierte Satz von Carl Schmitt: „Ich verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum" (Berlin 1991, S. 16) ist auch als seine Variante dazu lesbar. Vgl. Carl Schmitt: Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (Tübingen 1950, S.15): „Wir können uns die wechselnden Machthaber und Regimes nicht nach unserem Geschmack aussuchen, aber wir wahren in der wechselnden Situation die Grundlage eines rationalen Menschseins, das der Prinzipien des Rechts nicht entbehren kann. Zu diesen Prinzipien gehört eine auch im Kampf nicht entfallende auf gegenseitiger Achtung beruhende Anerkennung der Person..." Die amerikanischen Maßnahmen der Reeducation zielten bekanntlich auf eine positive Beeinflussung des deutschen Nationalcharakters, woraus sich u. a. die sich anschließende Blütezeit der Pädagogik und der Pädagogen (Litt, Flitner, Spranger, Jaspers, Hermann Nohls „Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung") erklärt. Die „Studien zum autoritären Charakter", die Adorno u. a. Anfang der 50er Jahre durchführten, blieben in der Frage der Erziehbarkeit skeptisch. Aus dem anti-pädagogischen Affekt des „Persönlichkeits"-Konzepts freilich wird auch der Anti-Amerikanismus verstärkt. Salomons „Fragebogen" (1951) wies diesen Umerziehungsanspruch publikumswirksam zurück. Die Rechtsprechung der 50er Jahre wertete dazu die „Persönlichkeits"- und „Ehren"-Rechte auf. Daneben war diese Strategie in der zögerlichen juristischen Behandlung der Vergangenheit bemerkbar, vgl. Gotthard Jasper: Wiedergutmachung und Westintegration. Die halbherzige justizielle Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik (in Ludolf Herbst (Hg.): Westdeutschland 1945-1955, München 1986, S. 183 -202). Die Westintegration habe von einer Politik energischer Distanzierung vom Nationalsozialismus flankiert werden müssen, während die Verfolgung von NS-Verbrechen nur halbherzig erfolgte — im
3. Die Konzepte
„Persönlichkeit"
und
„Charakter"
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als eine am Ausnahmefall gewonnene „Freund-Feind"-Ausrichtung des Politischen. Welche Konsequenzen eine solche Haltung (sozial-)psychologisch nach sich zog, wurde ausführlich erst später diskutiert 222 - eine der Folgen war sicherlich das (in Rückerinnerungen als Gefühl der Sicherheit verklärte) Klima zielbewußter, aufbauender Arbeit, aufstiegsorientierter Leistung und des Abbaues unsicherheitsstiftender Zudringlichkeiten der Politik. Diesem in der Bundesrepublik verfolgten Modell einer das Politische mit schonenden Tabus belegenden Integration stand ein Konkurrenzmodell entgegen: das zwar gleichfalls integrative, aber ein proklamatives Bekenntnis zur Umkehr und zum Antifaschismus einfordernde Modell der DDR, ein asketisches und auf eine ideologische Zukunftserwartung gerichtetes Muster, in dem der Kultur zunächst ein vergleichsweise höherer Stellenwert zufiel als der Ökonomie. Daher war es für viele Intellektuelle attraktiver als das Modell der Westzonen. Ohne daß der tatsächliche Effekt allzu durchschlagend gewesen wäre, besaß der in der DDR vertretene Anspruch einer Aufhebung des Gegensatzes zwischen Geist und Macht starke Momente der Hoffnung. Im Westen dagegen wurde der altbekannte Diskurs über „Intellektuelle" vs. „Politik" weitergeführt und kritische Geister begleiteten das stolze, in Richtung Wohlstand dampfende Staatsschiff „wie krächzende Möwen" 223 . Es ist neuerdings darauf hingewiesen worden, daß sich der Gesamt-„Charakter" der bundesrepublikanischen und der DDR-Gesellschaft dementsprechend unterschied und im Falle der Bundesrepublik als „ironisch", im Falle der DDR als eher „tragisch" bezeichnet werden müsse 224 : das stille Bündnis der in den Nationalsozialismus verwikkelten Generationen gegen Entnazifizierung, verbunden mit einer Ablehnung des Freund-Feind-Schemas in der Politik und der Integration der Mitläufer habe in der Bundesrepublik eine Gesellschaft ohne Ernstfall und ohne großen Sinn erzeugt - mit einer „Ironie" freilich, die Angehörigen jüngerer Generationen zunehmend als „Zynismus" erschien.
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Sinne einer stillschweigenden Kompensation für die nationalkonservativen Kräfte der Regierungskoalition (Einleitung von Herbst, ebd., S. 14). Etwa der „zwanghafte Charakter der ökonomischen Ersatzintegration" (Lutz Niethammer: Zum Wandel der Kontinuitätsdiskussion, in Herbst (Hg.): Westdeutschland, 1986, S. 6 5 - 8 3 , hier S.79, in einer Auseinandersetzung mit Hermann Lübbes Thesen von 1983); klassisch: Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern (München 1967, die enttäuscht konstatierten, daß sich der „Charakter" der Bundesdeutschen nicht gewandelt, die Gesellschaft sich ihrer „Verfehlung" nicht gestellt habe). So die von Christoph Kleßmann (Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft, 1985, S. 4 7 6 - 4 9 4 , hier S. 480) kritisierte Formulierung bei Hans-Peter Schwarz (Die Ära Adenauer 1949-1957, Stuttgart/Wiesbaden 1981, S. 448). Heinz Bude: Plötzlich in eine ironische Welt. Der Untergang einer tragischen Gesellschaft (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 142, vom 22. Juni 1991).
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4. „Entlastungsarbeit"
3. Kapitel — Schweigen
oder „vitale
Vergeßlichkeit"?
Obwohl viele der ,Schicksalsinterpreten' dem eher affektiv begründeten Umschwung im Verhältnis zur Vergangenheit so elaboriert zum Ausdruck verhalfen, war das Reflektieren über Schuld und die Ursache der Katastrophe im Vergangenheitsdiskurs der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht die vorherrschende Reaktionsweise. Statt dessen ging es akademisch oder auch nur rational bald kaum noch zu, was für die ersten Nachkriegsjahrzehnte eine anhaltende Beunruhigung durch angebliche „Dispositionen", „Potentiale" oder Verschwörungsbefürchtungen zur Folge hatte. Der Zeitpunkt des Umschlages in einen trotzigen Behauptungswillen kann hierbei wahrscheinlich nicht früh genug veranschlagt werden 225 — und die Gründung von Zirkeln, Kreisen, Interessengruppen, Tatgemeinschaften und Parteien (besonders der SRP, der D R P und des BHE) sowie eine ausufernde rechtsnationale Publizistik konterkarierte für Jahre jegliches Sekuritätsgefühl. Daß es sich dabei langfristig um eine Rückzugsbewegung in rein papierne Auseinandersetzungen handelte, war zunächst nicht abzusehen 226 . Schematismus und Schwarz-Weiß-Malerei mit dämonisierten Nazis auf der einen, exponierter Bevorzugung von Nicht-Nazis auf der anderen Seite erleichterte es denjenigen, die im .Dritten Reich' mehr sahen als eine Periode der Verirrung, sich im Gegenwind der proklamativen Versicherungen und Verordnungen bis in eine Opferrolle hineinzusteigern. Es dauerte nicht lange, bis die „Wächter des Rechts, der politischen Moral und selbst der Demokratie [ . . . ] nicht länger mehr auf der Seite der Sieger, sondern der Besiegten zu finden" waren 227 . 225
Siehe Heiner Wember: Umerziehung im Lager. Internierung und Bestrafung von Nationalsozialisten in der britischen Besatzungszone Deutschlands (Essen 1991, S. 181—234, 358-365). Siehe auch Josef Foschepoth: Zur deutschen Reaktion auf Niederlage und Besatzung (in Ludolf Herbst (Hg.): Westdeutschland 1945-1955, München 1986, S. 151-165, dort S. 151, wo er den Berliner „Tagesspiegel" vom 23. Januar 1947 zitiert, in dem von einer Fortsetzung der Nachkriegsstimmung von 1918, von einer nationalen' Widerstandsbewegung, von Widerwillen gegen das Besiegt- und Besetztsein und einem Verächtlichmachen der .Schuldbekenntnisse in Staub und Asche' die Rede war). 22 6 Noch 1961 stellte Manfred Jenke die bange Frage nach einer „Verschwörung von Rechts?" (Berlin 1961) und zitierte S. 440ff. eine „Vertrauliche Mitteilung an alle Ehemaligen": „Millionen Deutsche tragen heute ein doppeltes Gesicht. Sie haben als fleißige Bürger des Staates in allen Berufen mitgeholfen, das Wirtschaftswunder zu ermöglichen, verhalten sich auch loyal gegen die Gesetze, sympatisieren mit Parteien oder Kirchen oder sonst der Demokratie wohlgefälligen Einrichtungen, aber im Grunde ist dies nicht ihr Staat, nicht ihre Verfassung, für die sie sich bis zum Letzten einsetzen und aufopfern würden." S. auch den Literaturbericht von Gerhard Binder (Revisionsliteratur in der Bundesrepublik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 3/1966, S. 179-200) sowie Lutz Niethammer: Angepaßter Faschismus. Politische Praxis der NPD (Frankfurt/M. 1969). 227 Foschepoth (in Herbst (Hg.): Westdeutschland, 1986, S. 156; er zitiert eine Aufforderung
4. „Entlastungsarbeit"
oder „vitale
Vergeßlichkeit"?
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Bringt man für die Zeit nach dem Zusammenbruch ein Modell psychischer Ökonomie in Anwendung, könnte von einer „seelisch-moralischen Streß-Situation" gesprochen werden, auf die es drei vorherrschende Reaktionsweisen gab: a) die Abwehr der aporetischen Situation bei Verlagerung der Energien in unempfindlichere Bereiche (Privatleben, Ökonomie), b) das Einlassen auf den Schuldvorwurf mit der Tendenz zur Überidentifikation mit den neuen Maßstäben, und c) das Verwerfen des Maßstabs der Moral insgesamt. Diese drei Extreme zu überwinden, erforderte, was psychologisch „Bewußtseinsarbeit" genannt wird. Dazu gehörten jedoch Mut, Ich-Stärke, die Bereitschaft, Informationen belastender Art aufzunehmen, und die Fähigkeit, überkommene Weltbilder und Wertvorstellungen bis in die Tiefe hinein zu revidieren 228 - Faktoren, die i. d. R. nicht vorausgesetzt werden konnten. Eine Zwischenstellung in der affektiven Einstellung zum Vergangenen nahm die „Entlastungsarbeit" ein, vor allem die Identifikation mit unbelasteteren Institutionen, besonders mit der Kirche (die ja auch Aussicht auf „tätige Buße" und Möglichkeiten zur „Umkehr" bot), aber auch mit Widerstands- oder Oppositionskreisen aller Art. Die Erinnerung daran neigte nicht selten zur Überzeichnung ihrer Gefährdungen während des ,Dritten Reiches'. Auch die Befangenheit in vermeintlich „verratenen", „geschmähten", „verheizten" usw. Generationsgruppen konnte u . U . Teil einer emotionalen - Entlastungsstrategie werden, die gegen den Opferstatus konvergierte und sich auch in späteren Jahren immer dann aktualisierte, wenn an Verantwortlichkeiten für das ,Dritte Reich' erinnert wurde. Nicht zu unterschätzen ist aber auch der ebenso unwillkürliche wie für jede Alltagsbewältigung unerläßliche Mechanismus des Vergessens. Er führte zur mehr als nur partiellen Ausblendung dessen, was einen aus vergangenen Zeiten belastete. Er mag die allgemeine „Exkulpationssolidarität" 229 mit erklären, die sich in „demokratischer" Beckmesserei an den Maßnahmen der Besatzer und in technokratischem Aufbauwillen und Effizienzorientierung äußerte. Möglicherweise gingen hierbei „Übersprungs"Energien und die kontinuierliche Ausrichtung am Gesichtspunkt des Erfolges eine Verbindung ein, mit dem schon der Nationalsozialismus bewertet worden war. Im Ergebnis stand die Dominanz des entpolitisierenden Gedankens, daß Sachverstand und Fachwissen als soziale Qualifikationen höher zu bewerten seien als das Bekenntnis. Die Überlagerung des Kriegsendes durch den Kalten Krieg sollte sich in diesem Zusammenhang für die deutsche Politik nicht nur in zusätzlich zum Besiegtenstatus
Richard Tiingels in „Die Zeit" von Mitte Januar 1947 an seine Leser, sich zu einer Art Rechtsgemeinschaft gegen die Alliierten zusammenzuschließen). 228 Nach Rolf Schörken: Jugend 1945. Politisches Denken und Lebensgeschichte (Opladen 1990, S. 143, der anschließend die innere Logik dieser Bewußtseinsarbeit in Schritten bis zum „Aufbau demokratischer Orientierungen" beschreibt). 229
Peter Graf Kielmansegg: Lange Schatten. Vom Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (Berlin 1989, S.35).
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3. Kapitel -
Schweigen
aufgebürdeten Gefährdungen auswirken, sondern schaffte im Windschatten der Blockkonfrontationen gerade für die westlichen Zonen auch Handlungsspielräume. Die mit dem Namen des amerikanischen Außenministers Marshall verbundenen Überlegungen, das besiegte Staatswesen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Erwägungen halber wieder auf die Füße zu stellen, und sei es fragmentarisch, schlossen in der sich abzeichnenden weltpolitischen Dynamik den Abschluß eines minderrechtlichen Status, das Ende einer Phase der Umerziehung, bereits potentiell mit ein. Dies war eine Chance, wie sie etwa die deutschen Staatsrechtslehrer konsequent nutzten. Aller evidenten Brüche zum Trotz gingen sie in ihrer großen Mehrheit vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches aus und suchten den Übergang deutscher Staatlichkeit auf die entstehende Bundesrepublik staatsrechtlich zu fundieren 230 . Schon auf der ersten Hamburger Tagung der Deutschen Völkerrechtslehrer im März 1947 setzte sich die Kontinuitätsthese als herrschende Lehre durch 231 . Die Besatzungsmächte hatten ursprünglich neues Recht schaffen wollen232, nach heftigen Kontroversen und gestützt durch die politische Großwetterlage fand die Ansicht der Staatsrechtler aber auch bei ihnen zunehmende Anerkennung, so daß schon der Parlamentarische Rat von der Formel ausgehen konnte: es habe keine vollständige Besetzung stattgefunden, daher sei nur von einer treuhänderischen Ausübung der „supreme authority" durch die Alliierten auszugehen. Mit der Durchsetzung der Kontinuitätsthese war es erfolgreich und paradigmatisch gelungen, das Recht als die Stärke der Schwachen auszuspielen, indem an Rechtssicherheit, die Menschenrechte, die Haager Konvention u. ä. appelliert wurde 233 . Gleichzeitig hatten sich mit der Durchsetzung eines beharrlichen, kleinschrittig unter 230
Dazu Bernhard Diestelkamp: Rechts- und verfassungsgeschichtliche Probleme zur Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (in: Juristische Schulung, Heft 6/1980, S. 401—405, Heft7/1980, S. 4 8 1 - 4 8 5 , Heft7/1981, S. 4 8 8 - 4 9 4 , sowie ders.: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Historische Betrachtungen zur Entstehung und Durchsetzung der Theorie vom Fortbestand des Deutschen Reiches als Staat nach 1945, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte, Heft7/1985, S. 181-207).
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Spätestens jedoch seit dem Erscheinen des Buches von Rolf Stödter: Deutschlands Rechtslage unter der Besatzung (Hamburg 1948). Schmitts Schüler Gustav von Schmoller steuerte eine Ausarbeitung bei, die den bezeichnenden Titel „Untergang und Neubildung der deutschen Staatspersönlichkeit" trug (Diestelkamp: Rechtsgeschichte, 1985, S. 195, Anm. 89). Hans Kelsen faßte in seinem amerikanischen Exil diese Absicht 1944 völkerrechtlich, was den Deutschen aber Einschränkungen in der Rechtssicherung durch die Haager Konvention brachte; dies wiederum wurde Ansatzpunkt der juristischen Gegenmeinung; Kelsen wurde aber erst 1947 rezipiert, als sich schon gutachtliche Stellungnahmen für den Fortbestand ausgesprochen hatten.
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In der unter dem Motto „vae victis" geführten Auseinandersetzung wurde den Alliierten „Allmacht des Siegers" vorgeworfen und Kelsen zu ihrem „Handlanger" gemacht (vgl. Bemerkungen in Schmitts „Glossarium" (1991) vom 11. Juni 1948, ebd., S. 162); Jürgen von Kempski, der neben Wolfgang Abendroth nahezu als einziger Kelsen im „Merkur" verteidigt
4. „Entlastungsarbeit" oder „vitale Vergeßlichkeit"?
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Ausnutzung von Spielräumen im Schatten weltpolitischer Entwicklungen vollzogenen Standpunktes Grundzüge der künftigen Außen- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik präformiert. Greifbar wurde der Umschwung von dem Willen zum Neuanfang zu einer Suche nach Kontinuitäten auch bei der Praxis der Entnazifizierung und der beamtenrechtlichen Regelung nach Art. 131 GG 2 3 4 . Vom Fortbestand deutscher Staatlichkeit ausgehend wurde argumentiert — und die „Unangemessenheit" vieler US-Traditionen entsprungener Reformvorstellungen kam dieser Argumentation zu Hilfe 235 —, die Beamten hätten allein der Staatsidee gedient, nicht einem wie immer gearteten Regime; für den Bereich des Staatlichen wurde eine geringe, aber letztlich entscheidende Unabhängigkeit von der NS-Führung reklamiert 236 . Der engen Verbindung von „Staatsdienst und Staatsschicksal" 237 wurde von Lobbyisten des Berufsbeamtentums in publizistisch flankierenden Beiträgen zur Beamtendebatte gern eine zeitgeschichtliche Tragik unterlegt, besonders von den „amtsverdrängten" Hochschullehrern 238 . Gefordert wurde vor allem die Wiederherstellung der sog. hatte, wurde von Politikern dafür unter Druck gesetzt (laut Diestelkamp: Probleme, in: Juristische Schulung, Heft 7/1980, S.484). 234 Dazu Michael Kirn: Verfassungsumsturz oder Rechtskontinuität. Die Stellung der Jurisprudenz nach 1945 zum Dritten Reich, insbesondere die Konflikte um die Kontinuität der Beamtenrechte und Art. 131 Grundgesetz (Berlin 1972); sowie Udo Wengst: Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948-1953 (Düsseldorf 1988). 235 Lutz Niethammer: Zum Verhältnis von Reform und Rekonstruktion am Beispiel der Reform des öffentlichen Dienstes (in: Wolf-Dieter Narr/Dietrich Thränhardt (Hg.): Die Bundesrepublik Deutschland, Königstein 1984, S. 47—59, hier S. 47), verweist darauf, daß der langfristige Trend der US-Besatzungspolitik überdies nicht auf radikale Reformen gerichtet gewesen sei, sondern auf politische Liberalisierung und Rekonstruktion der materiellen Lebens- und Produktionsverhältnisse (ebd., S.55). 236 Dabei wurde ein vornormativer, metaphysischer Staatsbegriff konstituiert, dessen Existenz im „ethisch-politischen" Sinne nicht aufgehört habe (Stödter, Kaufmann, Grewe; vgl. Joachim Pereis: Die Restauration der Rechtslehre nach 1945, in: Kritische Justiz, 17. Jg. (1984), S. 359—379, hier S.366); vgl. die Ausgrenzung von Anhängern der Diskontinuitätsthese bei Günther Krauss: Die Verfassung Deutschlands 1945-1954 (in: Die öffentliche Verwaltung, Heft 19-20/1954, S. 579-583, hier S.580, Anm. 10). 237 Gottfried Neesse: Staatsdienst und Staatsschicksal. Eine Studie über das deutsche Berufsbeamtentum (Hamburg 1955). 238 So ζ. B. Carl Heyland: Die Rechtsstellung der entfernten, erfolgreich entnazifizierten Beamten (in: Die Öffentliche Verwaltung, Heft 10/1950, S. 289-364) oder Herwart Miessner: Um die Sicherung des Berufsbeamtentums (Göttingen 1953, dazu die Besprechung von Werner Weber in: Das Historisch-Politische Buch, 1954, S. 142). Giselher Wirsing: Forschung heißt Arbeit und Brot (Artikelserie in: Christ und Welt, Sommer 1950), sowie Herbert Grabert: Hochschullehrer klagen an. Von der Demontage deutscher Wissenschaft (Göttingen 1952), wo er auch auf Carl Schmitt einging.
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3. Kapitel — Schweigen
institutionellen Garantien für das Beamtentum (ein Begriff Carl Schmitts 239 ) wie der Schutz der „wohlerworbene Beamtenrechte" 240 . Es war nicht zuletzt der Umstand, daß 60 Beamte im Parlamentarischen Rat saßen, der das Unterlaufen der alliierten Reformbestrebungen für das öffentliche Dienstrecht durch die sog. Abschlußgesetze (1949-1954) ermöglichte. A m 2. März 1950 wurde die Beamtenrechtsregelung weitgehend nach dem Beamtengesetz von 1937 wiederhergestellt 241 . Die Säuberungen versandeten in Einzelfallentscheidungen und die beabsichtigte strukturelle Neuordnung wurde einstweilen vertagt. Im Ergebnis wurden nur etwa 2 - 3 % der „Entnazifizierten" nicht wieder eingestellt 242 . Trotzdem blieb dieser faktischen Amnestie ihre letzte Anerkennung versagt. Das Bundesverfassungsgericht stellte am 17. Dezember 1953 sinngemäß fest, daß von einem Weiterbestehen der Beamtenrechte nach dem Wechsel der Staatsform nicht ausgegangen werden könne. Dieses Urteil werteten die meisten Staatsrechtler, so auch Ernst Forsthoff, als „sensationell", würde hier doch der Untergang deutscher Staatlichkeit und der Verlust der „wohlerworbenen Beamtenrechte" behauptet: „Es scheint sein [des Beamtentums, V.L.] Schicksal zu sein, daß es in Zeiten politischer Umwälzungen von dem Staat, dem es dient, keinen oder nur begrenzten Schutz erfährt, während jeder andere unter allen politischen Systemen vorwurfslos seinen Geschäften nachgehen kann." 243 239 Zuerst in Carl Schmitt: Verfassungslehre (Berlin 1928, S. 170), dann in ders.: Freiheitsrechte und institutionelle Garantien (1931), wiederabgedruckt in ders.: Verfassungsrechtliche Aufsätze 1924-1954, Berlin 1958, S. 140-171, anschließend S. 171-173 die Rezeptionsgeschichte bis zum Grundgesetz, Art. 33 Abs. 5). 240
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Carl Schmitt: Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen (1931, wiederabgedruckt in ders.: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 174-179, Rezeptionsgeschichte S. 179f.). Das NS-Beamtengesetz von 1937 sei — vom Heidelberger Staatsrechtler Walter Jellinek mit roter Tinte um rassische Diskriminierungen und die Verpflichtung gegenüber dem Führer reduziert — nicht außer Kraft gesetzt worden (Niethammer: Zum Verhältnis, 1984, S.51). Vgl. anonym (= Ernst Rudolf Huber): Beamte als Abgeordnete (in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 36 (1949), S. 105-109). Faktisch wurden die deutschen Justizbehörden, sobald die Verfahren in ihre Zuständigkeit gelangten, über Begründungen wie „nulla poena sine lege", Recht auf politischen Irrtum etc. amnestierend tätig. Auch Seilschaften spielten eine Rolle — bekanntlich rekrutierte sich die Erstausstattung des Diplomatischen Dienstes der Bundesrepublik zu etwa 60% aus dem ehemaligen Reichsaußenministerium. Dazu Kielmansegg (Lange Schatten, 1989, S.38); Niethammer (Zum Verhältnis, 1984, S.52f., spricht von 1071 Personen, die bis 1950 kraft Spruchkammerbescheid für unfähig erachtet wurden, ein öffentliches Amt zu bekleiden, ja, 1948/49 seien in etlichen Behörden mehr Pgs beschäftigt gewesen, als unter Hitler: „Es fehlte nicht viel zum Status quo ante"); s. auch Wolfgang Benz: Versuche zur Reform des öffentlichen Dienstes in Deutschland 1945-1952. Deutsche Opposition gegen alliierte Initiativen (in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 29. Jg., 1981, S. 216-245). Ernst Forsthoff: Das Bundesverfassungsgericht und das Berufsbeamtentum (in: Deutsches
4. „Entlastungsarbeit" oder „vitale Vergeßlichkeit"?
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Obwohl das Urteil kaum noch praktische Auswirkungen hatte, galt es Gegnern wie Befürwortern als ein Signal 244 . Die Kritik am Urteil beklagte, das Gericht habe weitergehend (und politischer) entschieden, als ihm zustände, es habe die Geschichte zu deuten versucht, statt lediglich die Verfassungsmäßigkeit des Art. 131 GG festzustellen 245 . Gerade dies aber wurde von denjenigen begrüßt, die in den Beamten Werkzeuge der ,Restauration' vermuteten. Das Gericht habe, so ein Kommentar, „in einer geradezu beklemmenden Weise die Vergangenheit ernstgenommen und in die öffentliche Diskussion, die sonst nur vom deutschen Wunder und vom deutschen Aufstieg spricht, das Thema des deutschen Abstiegs eingeführt" und daran erinnert, daß die Beamten Beamte Adolf Hitlers gewesen seien. Die ,wohlerworbenen Rechte' habe der NS-Staat beseitigt, die institutionellen Garantien' bestünden nicht weiter, kein Beamter habe im ,Dritten Reich' nur dem Staat dienen können, der Zusammenbruch habe also auch seine Stellung berührt 246 . Das Beispiel des Beamtenrechts illustriert noch einmal das Ineinandergreifen von affektiver und instrumenteller Ebene in der Stellung zur jüngsten Geschichte wie auch die geduldete bis geförderte Unterminierung einer öffentlich proklamierten Abwendung durch stillschweigende Schaffung vollendeter Tatsachen. Ein ganzes Argumentationsarsenal 247 überlagerte das innere Bedürfnis nach Erklärung und Verständnis und Verwaltungsblatt, 69. Jg., Heft3, vom 1. Februar 1954, S. 69-72, hier S. 72). Hier findet sich Schmitts Argument nachgezeichnet, daß der Staatsrechtler (bzw. der Staatsdiener) den Gefährdungen des Politischen in besonderem Maße ausgesetzt sei. Ähnlich argumentierte der Schmitt gleichfalls bekannte Ernst Kern in einer Besprechung des Buches von Herbert von Borch (Obrigkeit und Widerstand. Zur politischen Soziologie des Beamtentums, Tübingen 1954, der aus dieser Erfahrung ein Widerstandsrecht, ja eine Widerstandspflicht der Beamten befürwortet hatte, in: Zeitschrift für Beamtenrecht, 3. Jg., Heft2, Februar 1955, S. 33-36). 244 Das Urteil wurde gleich auf der nächsten Tagung („Die Berufsbeamten und die Staatskrisen") Gegenstand der Verhandlungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, in der Forsthoff seine Bedenken noch einmal dahingehend präzisierte, das Gericht habe einen den gegenwärtigen Justizstaat charakterisierenden „apokryphefn] Souveränitätsakt" getätigt und den Zusammenhang von „Schutz und Gehorsam" zerbrochen (Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer, Heft 13, Berlin 1955, S. 161f.). 245
246
247
Tatsächlich wurde das Urteil z.T. unterlaufen, u.a. vom Bundesgerichtshof (vgl. W[alter] Ffredericia = Petwaidic]: Karlsruhe gegen Karlsruhe (in: Die Zeit, Nr. 31, vom 5. August 1954: die Gerichte müßten sich nicht an die Urteilsbegründung des BVG halten, nur an die Urteilsformel selbst, denn: das Deutsche Reich als Gesamtstaat bestünde im Rechtssinne fort). Reinhold Kreile: Eine deutsche magna Charta der Selbstbesinnung (in: Frankfurter Hefte, 9. Jg., Heft2/1954, S. 83-91, hier S. 85). Aufrechnung mit alliierten Verbrechen, Ablehnung Nürnbergs als „Siegerjustiz", Hinweis auf aktuelle Verbrechen im Osten, Gerechtigkeit prinzipeil unmöglich, die eigentlich Schuldigen bereits verurteilt, materiell für alles bezahlt, Bedarf an Sachverstand der Mitläufer, Recht auf politischen Irrtum, Belastete für das demokratische System zu gewinnen etc.
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3. Kapitel — Schweigen
traf auf den äußeren Zwang, mit den ehemaligen Mitläufern — jetzt wieder Nachbarn und Kollegen - weiterhin zusammenleben und -arbeiten zu müssen 248 . Dies war nur schwer denkbar unter der Hypothek, dem anderen seine Vergangenheit ständig „nachzutragen". Schmitts und die Warnungen vieler anderer vor einem inneren Bürgerkrieg, vor Phasen der Rachsucht und der Pogrome waren also nicht unbegründet 249 , wirken im Rückblick aber um so aufgeregter, als wohl nirgendwo die Mechanismen der Konsensbildung derart schnell griffen, wie im Deutschland der Nachkriegszeit. Nimmt man als politische Grundeinstellung dieser Jahre zudem eine „Ideologie des Überlebens" 250 an (die sich nicht erst in der Nachkriegszeit äußerte, sondern seit längerem sich als eine Konstante sozialer Verhaltensweisen in Deutschland erwies, mit der auch die Nationalsozialisten zu rechnen gehabt hatten 251 ), so ist es wenig überraschend, daß der Eindruck entstand, es habe sich die „vitale Vergeßlichkeit"252 durchgesetzt und der „Weg ins Schweigen" habe dem Bemühen assistiert, „sich das Leben ohne lastende Erinnerung neu einzurichten" 253 .
5. Das Schweigen Als Carl Schmitt 1947 seine Situation als die des „Schweigens" charakterisierte, wird ihm die schillernde Bedeutungsvielfalt bewußt gewesen sein, die der Begriff in Bereichen geistiger Betätigungen besitzt. Sein semantisches Umfeld bezeichnet über den einfachen Wortsinn hinaus Zustände und Haltungen, die im Repertoire intellektuellen Verhaltens besondere Funktionen besitzen 254 . Bei Schmitt verwies der mehrfache Sinngehalt unter anderem auf: 248 Dazu die zeitgenössische Abrechnung mit diesen angeblichen „Zwängen" von Kurt Nemitz: Das Regime der Mitläufer. Soziologische Notizen zur Renazifizierung (in: Die Neue Gesellschaft, Heft3/1955, S. 3 9 - 4 5 ) . 249
Dies war der Fall etwa in Polen oder Frankreich (vgl. Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.): Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991). 250 Beatrix Hochstein: Die Ideologie des Überlebens. Zur Geschichte der politischen Apathie in Deutschland (Frankfurt a. M./New York 1984). 251 Die starke sozialpazifizierende Tendenz der NS-Sozialpolitik (vgl. Timothy W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich, Opladen 1977; Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985) war auch der Erfahrung mangelnder politischer Mobilisierbarkeit geschuldet. 2 52 Dolf Sternberger: Versuch zu einem Fazit (in: Die Wandlung, 1949, S. 6 9 9 - 7 1 0 , hier S. 701: „War das die ,Wandlung' zwischen 1945 und 1948? Hat die vitale Vergeßlichkeit gesiegt?"). 253
254
„Man assistierte ihnen bei ihrem Bemühen, sich das Leben ohne lastende Erinnerung neu einzurichten." (Kielmansegg: Lange Schatten, 1989, S. 17.) Darauf wies u . a . der von Carl Schmitt im „Nomos der Erde" (Köln 1950) zitierte und in vielem Schmitt ähnliche Henry Adams hin, so im Kapitel „Schweigen" seiner Autobiographie „Die Erziehung des Henry Adams" (Zürich 1953, S. 553—556, vgl. auch Nachwort von K. A .
5. Das Schweigen
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— die unmittelbare Reaktion nach 1945, die das Schweigen als Entsagung verstand, als A b w e s e n h e i t von Betriebsamkeit, als ein christlich motiviertes Innehalten in chaotischer Zeit, als Ausdruck eines „ m e m e n t o mori" wie u. U . als A n d e u t u n g einer „metanoia" 2 5 5 ; — die Auskunftsverweigerung, die irdischen Instanzen das Recht absprach, Verfehlungen bestimmter Art zu richten; dieser gleichfalls christlich bestimmten Haltung entsprang noch die Weigerung Schmitts, den Entnazifizierungsfragebogen auszufüllen; — das G e f ü h l der Vergeblichkeit, das Schmitt angesichts der Situation zu empfinden glaubte; sich „in die Sicherheit des Schweigens" zu begeben, war auch gedacht als Antwort auf vermeintliche Kränkungen; — das Synonym des Verhältnisses von Geist und Öffentlichkeit; in diesem Verständnis war dies ein Ausdruck der Beziehungslosigkeit zwischen der geistreichen Persönlichkeit und der Gesellschaft 2 5 6 ; Schmitts Stoßseufzer „ d o c e o sed frustra" wie seine Befürchtung, „totgeschwiegen" zu werden, entsprach dem, was seine Texte der Nachkriegszeit an „Verschwiegenem" und literarischen „Maskierungen" in sich bargen 2 5 7 .
Preuschen). Jetzt dazu das Themenheft „Schweigen" der Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST, Heft 42, Juni 1990, v. a. die Einleitung von Ulrich Schmitz: Beredtes Schweigen — Zur sprachlichen Fülle der Leere. Über Grenzen der Sprachwissenschaft, S. 5—58, mit umfangreicher Literaturliste). Zu „Schweigen" in der modernen Literatur Christiaan L. Hart Nibbrig: Rhetorik des Schweigens. Versuch über den Schatten literarischer Rede (Frankfurt a. M. 1981). 255
„Carl Schmitt ringt mit dem Problem, wie man die Niederlage geistig verwinden und einen Gewinn daraus machen könne. Den Weg, den er findet, ist der des Schweigens und der Stille" (Karl Korn: Der christliche Epimetheus. Zu Carl Schmitt: „Ex Captivitate Salus", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Oktober 1950). Max Picard hat diesen Aspekt des heilsamen Schweigens als Besinnung betont, die jedoch bald „von der Lärmwelt des alten Betriebes überrannt" worden sei (Die Welt des Schweigens, Zürich 1948, zit. nach Schmitz, in: OBST, 1990, S. 38).
256
„Wenn in einem Lande nur noch die von der staatlichen Macht organisierte Öffentlichkeit gilt, dann begibt sich die Seele eines Volkes auf den geheimnisvollen Weg, der nach innen führt; dann wächst die Gegenkraft des Schweigens und der Stille" (Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus, Köln 1950, in der Antwort an Karl Mannheim, S. 21). — Max Weber war im Juni 1919 vor sein Münchner Auditorium mit den Sätzen getreten: „Wir stehen in aller Form unter Fremdherrschaft. Wir sind gleich den Juden zum Pariavolk gemacht, die deutsche Regierung ist Büttel fremder Interessen und zur Racheübung an den eignen Volksgenossen gezwungen. Wir können nur ein gemeinsames Ziel haben: aus dem Friedensvertrag einen Fetzen Papier zu machen. Im Augenblick ist das nicht möglich, aber das Recht auf Revolution gegen Fremdherrschaft läßt sich nicht aus der Welt schaffen. Notwendig ist jetzt die Kunst des Schweigens und die Zurückgewöhnung an schlichte Alltagsarbeit..." (nach Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild, Heidelberg 1950, S. 711f.)
257
Carl Schmitt schrieb Armin Möhler 1977: „aber — soweit man mich noch erwähnt — sucht man mich auf 1928/29 festzulegen und die folgende Gedankenarbeit als ,Nazi-Gedankengut' zu verschweigen und zu bestehlen... ,erst schweigen sie, dann verschweigen sie', diese lieben
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3. Kapitel — Schweigen
Schweigen war für Schmitt eine bewußte Positionsnahme. Sie war nicht nur Ablehnung der „ewigen Gespräche" und der Diskussionen des wiederauflebenden Liberalismus und Parlamentarismus, sie war nicht nur die im stillen Bewußtsein des Wissens um die „arcana imperii" getätigte Weigerung, sich abermals der Macht anzunähern 258 , sie war eine für den „Gebildeten" als angemessen und konsequent empfundene Haltung gegen das vermeintlich fruchtlose und wahrheitsferne „Gerede des Man" (Heidegger 259 ). Vom „christlichen Epimetheus", dem Nachsinnenden, sich stumm zum Geschehen der Welt Verhaltenden 260 erfolgte hier eine Wendung zum weniger demütigen Bild des Schweigens als Schutzmantel des „echten Gesprächs" — und in diesem Verständnis wurde es als ein konservierender, ja genuin konservativer Akt des Bewahrens und Aufhaltens verstanden. Ab integro nascitur ordo — ein von Carl Schmitt gerne zitierter Satz des Vergil261 - bedeutete im Kontext der Zeit auch: der Ursprung der Katastrophe ist nicht mit wohlfeilen und massenwirksamen Begriffen einzufangen, erst recht nicht von Fremden, seien sie nun Besatzer oder aus der Emigration Heimgekehrte. Im „Schweigen" Schmitts äußerte sich eine sich „gelassen" gebende Einsicht, einstweilen die Meinungsführerschaft abgetreten zu haben 262 . Deutschen" (nach Armin Möhler: Carl Schmitt und die ,Konservative Revolution', in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, Berlin 1988, S. 129-152, hier S. 132). Zu Schweigen und Maske bei Hobbes die Bemerkungen Schmitts in ders.: Die vollendete Reformation (in: Der Staat, 4. Jg./1965, S. 51-69, hier S. 55-57). 258 „Der nationalsozialistische Kronjurist Carl Schmitt hat zuerst den Komplex der .Staatsgeheimnisse' theoretisch wieder berührt, das tönende Schweigen ehrfurchtgebietender Gerissenheit" (Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt/M. 1961, S.307). Schmitts Haltung der Nachkriegszeit wurde nicht immer gutgeheißen, so schrieb ihm ein Freund anläßlich seines 70. Geburtstages am 11. Juli 1958: einige Wissende würden von Schmitts beredtem Schweigen angeregt, es wäre aber besser für das Volk, er würde schreiben, was er so denke (Brief vom 11. Juli 1958 an Schmitt, HSTAD RW265-58, Nr. 162). 259 Schweigen sei die „andere wesenhafte Möglichkeit des Redens", auch als eine Anti-Strategie gegen das „Gerede", das „seinsvergessene Sprechen", das „Nachreden des Man" (vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen n1967, S. 164ff.). Dazu Schmitt (in: Glossarium, 1991, S. 11): „Wer weiß und redet statt zu schweigen; oder schreibt statt zu schweigen; das schreibende Reden ist das schlimmste..." 260 Dazu die Deutung von Wilhelm Nyssen: Carl Schmitt, „der schlechte, unwürdige und doch authentische Fall eines christlichen Epimetheus" (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 181-192). 261 Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen (Berlin 1963, S. 95). 262 „Gelassenheit" wurde ein Leitbegriff der Heideggerschen Nachkriegsphilosophie. Alfons Söllner („Kronjurist des Dritten Reiches". Das Bild Carl Schmitts in den Schriften der Emigranten, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1, hg. von Wolfgang Benz, Frankfurt a.M./New York 1991, S. 191—216, hier S.212) macht auf die Auseinandersetzung mit Schmitt in der Emigration aufmerksam: „In ihr gab es eine höchst intensive, wenngleich äußerst kritische Gesprächsbereitschaft auf der einen Seite, der auf der anderen Seite zunächst — in den 30er und 40er Jahren — ein verständliches Schweigen gegenüberstand. Daß
5. Das Schweigen
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Die Emotionen und das Selbstmitleid, mit denen sich Carl Schmitts Stellungnahmen der unmittelbaren Nachkriegszeit paarten (besonders deutlich im „Glossarium") wirken noch heute bedrückend und zeigen eine extreme, keinesfalls aber untypische Reaktionsweise auf die „Schuldfrage" 263 . Die Voraussetzungen für Alternativen zum Schweigen waren nicht eben günstig, setzten sie doch das Vorhandensein eines politisch-therapeutischen Raumes voraus, um den Leidensdruck - für Opfer wie für Täter — verbal artikulierbar zu machen 264 . Ein „echtes Gespräch" dagegen erschien in dieser Perspektive der bewußt Schweigenden - und unter den Belastungen der Zeit mehr den je — nur möglich zwischen „Persönlichkeiten", zwischen denen also, die Distanz wahrten und die Integrität des Gegenübers nicht in Frage stellten. „Schweigen" besaß im Vokabular des intellektuellen Diskurses der 50er Jahre also eine zwar vieldeutige, aber doch eine Aktualität von prägnanter Benennungsqualität. Als Vorwurf wurde der Begriff in die Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit mit hineingetragen in der Vorstellung der Alliierten, das deutsche Volk hätte 1933—1945 zu Hitler und seinen Untaten „geschwiegen". Was hier dem Ausdruck des Entsetzens dienen sollte, wurde von vielen Deutschen zu der amnestierenden Formel funktionalisiert (und gegen den Schuldvorwurf ins Feld geführt), die deutsche Bevölkerung habe mehrheitlich von den Vorgängen so gut wie nichts gewußt, die Verbrechen seien also im Verschwiegenen begangen worden 265 . Diese beiden Pole der Bewertung bildeten in der Nachkriegszeit einen ständigen unaufgelösten Rest zwischen Schuldvermutung und Nachsicht, der innenpolitisch latent ebenso an der Basis des Staatswesens nagte, wie er außenpolitisch Mißtrauen unter den Willen zur Anerkennung mischte 266 .
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daraus nach dem Krieg aber gerade bei den spektakulären Figuren eine fortgesetzte Gehörverweigerung wurde, fügt der Beziehung zwischen den Emigranten und den Daheimgebliebenen eine neue Dimension hinzu: die einer nurmehr psychologisch verstehbaren Verdrängung." Karl Jaspers: Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands (München/Zürich 1987, zuerst 1946). So Tilman Moser: Die beschimpfte Verdrängung. Über die verfehlte Wirkung von Mitscherlichs „Die Unfähigkeit zu trauern" (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 131, vom 6. Juni 1992). Adornos vielzitiertes Wort, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, deutet diese Artikulationsschwelle an (vgl. auch Dan Diner (Hg.): Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt/M. 1987, und Heinz Bude: Bilanz der Nachfolge, Frankfurt/M. 1992, Kap. „Opfer und Täter"). Dem entspricht der metaphorische Gebrauch in bezug auf das Ende des Rechtsstaats (vgl. etwa Arnold Brecht: Vorspiel zum Schweigen. Das Ende der deutschen Republik, Wien 1948). Auf der anderen Seite gab es die per Analogieverfahren gewonnene Formel „Schweigen ist Selbstmord", die sich gegen Menschenrechtsverletzungen in der SBZ/DDR wandte, die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit' veranstaltete daraufhin im Juli 1950 „Tage des Schweigens" (vgl. Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959, München 1987, S. 3 8 - 4 3 , 116-120). Die unabgedeckten Reste freilich begründeten bei den die „Last des Schweigens" tragenden
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3. Kapitel — Schweigen
Ob diese Tabuisierung — bis auf Rückstände — alles NS-Nahen aus dem Konsens der Bundesrepublik ein letztlich erfolgreicher Bestandteil ihrer politischen Kultur gewesen ist267 und ob der Weg ins Schweigen als Vermeidungsstrategie, an lastende Erinnerungen zu rühren, ein amnestierender „Funktionsmodus zur Integration der Nachkriegsbevölkerung in die Staatsbürger der neuen Republik" (Hermann Lübbe) war, ist eine Frage, die heute nur schwer von späteren Einsichten und aktuellen Bezügen zu trennen ist268. Auf der Ebene der reinen Beschreibung spricht jedenfalls vieles für die Sichtweise, daß etwas auf sich beruhen gelassen wurde, weil es nicht lösbar schien, ohne energiebindende Emotionen auszulösen. „Schweigen" als pragmatische Stille kann also als ein integrierender Mechanismus gesehen werden, der jedoch mit deutlichen „Betriebsgeräuschen" verbunden war, die wohl kaum ein Zeitgenosse ohne Unbehagen zur Kenntnis nahm. Dabei ist „Schweigen", wie gesehen, nicht unbedingt wörtlich gemeint — schon die Fülle der kulturellen Zeitschriften und Gesprächskreise und die akademischen Auseinandersetzungen dieser Zeit sprechen dagegen, in denen Fragen der Bewertung der unmittelbaren Vergangenheit durchaus präsent waren. Es handelt sich vielmehr um einen Rückzug dieser Debatte aus der Öffentlichkeit ins Unpersönliche und Abstrakte. Die verbliebenen Appelle und Schlüsse, die diesem Diskurs in den Kategorien allgemeinmenschlicher Verfehlungen und humanitärer Mangelhaftigkeit entsprangen, trafen jedoch nur noch selten die tatsächlichen Lebenserfahrungen. „Schweigen" stellt sich so als hochaggregierte Metapher für das Ausbleiben öffentlicher Thematisierung eines Umstandes dar, „um den man weiß", den man aber der privaten Bewältigung als einer Art „Sickerschacht" überläßt 269 . Sie umschrieb die nachfolgenden Generationen eine „Hermeneutik des Verdachts" (Bude: Bilanz, 1992, S. 32f.). 267 So nicht nur Hermann Lübbe (Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Gegenwart, in Martin Broszat u. a. (Hg.): Deutschlands Weg in die Diktatur, Berlin 1983, S. 329—349), der die integrierende Stille über einem gesäuberten Erbe als eine Art des historischen Kompromisses durch gemeinsames Beschweigen brauner Biographieanteile interpretiert; ähnlich Kielmansegg (Lange Schatten, 1989, S. 13) und Hermann Grami: Die verdrängte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (in Martin Broszat (Hg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 169-183, der allerdings die Tatsache der Tabuisierung weitgehend zu relativieren versucht); schließlich fragte auch Gerd Roellecke (Der Nationalsozialismus als politisches Layout der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat, Heft4/1989, S. 5 0 5 - 5 2 4 , hier S. 515): „Was konnte man anderes erwarten als betretenes Schweigen?" 268 Vgl. die Re-Lektüre des Buches der Mitscherlichs von Tilman Moser (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juni 1992), der den Autoren mangelndes Einfühlungsvermögen vorwirft; dagegen verweist er auf die „Grenzen der seelischen Kapazität". Der Kampf ums Überleben habe den „seelischen Raum erschöpft", der Leidensdruck am Schuldvorwurf sei vorwiegend nonverbal verarbeitet worden und habe sich u. a. in psychosomatischen Reaktionen und Angstzuständen Bahn gebrochen. 269 Vgl. Lutz Niethammer: „Normalisierung" im Westen. Erinnerungsspuren in die 50er Jahre
5. Das Schweigen
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schwierige Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Vergeben und Vergessen. Erfahrungsgeschichtlich wird dieses Phänomen noch deutlicher: in lebensgeschichtlichen Erinnerungen an die 50er Jahre begegnet einem das Schweigen über bestimmte biographische Abschnitte als Phänomen, dem das Bewußtsein einer „Normalisierung" entspricht 270 . Die Belastungen der Vergangenheit wurden in der Zeit des Wirtschaftswunders ausgeblendet, waren aber nicht vergessen 271 . „Mit dieser nationalen Last", schließt Lutz Niethammer daraus, „waren die einzelnen und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen im Anforderungsdruck der neuen dynamischen Ordnung aber überfordert. Beides war überall präsent, aber ihre Vermittlung endet im Schweigen, in der Konzentration auf die Arbeit, die von den Umständen nur allzu nahegelegt wurde und doch auch eine Ausflucht war, und in einer affektiven Zuwendung zu den Früchten dieser Arbeit, die über deren Gebrauchswert weit hinausging und in den ohnehin überbelasteten persönlichen Beziehungen fehlte." Nach dieser „verschobenen affektiven Überbesetzung der Leistungs- und Warengesellschaft" in den 50er Jahren habe über „den Umweg einer Politisierung des Generationenkonflikts" erst die Jugend der späten 60er Jahre das lastende Schweigen aufgebrochen 272 . Zwischen einer verordneten oder auf dem Wege des Konsenses hergestellten Stille auf der einen und dem psychischen Akt des Vergessens auf der anderen Seite drängt sich die Differenzierung zwischen einem „instrumentellen" und einem „unwillkürlichen" Schweigen auf 273 . Dabei kommt der spezifische Mechanismus der öffentlichen
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(in Gerhard Brunn (Hg.): Neuland. Nordrhein-Westfalen und seine Anfänge nach 1945/46, Essen 1986, S. 175—206, hier S. 205); vgl. auch S. 196: „Die Sprache der Medien muß nun die heimliche Stille übertönen". — Die eigentliche Thematisierung etwa des Kriegserlebnisses fand u . a . in den für Außenstehende so unsäglichen „Kameradenkreisen" statt. Vgl. Ulrich Herbert: „Die guten und die schlechten Zeiten" (in Lutz Niethammer (Hg.): „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinstecken soll". Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, Bonn 1983, S. 67-96) und Lutz Niethammer („Normalisierung", 1986, S. 181): „Bei näherer Betrachtung erwiesen sich die Strecken des Schweigens als ,gute Jahre', Zeiten der .Normalität' eines geregelten Arbeits- und Familienlebens und der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen. Nicht daß man sich auf Befragen an die damaligen Lebensverhältnisse nicht hätte erinnern können; die guten Jahre entbehren nur jener Dramatik in der Verknüpfung der Lebensgeschichte mit erkennbaren allgemein-geschichtlichen Bedingungen, die immer neue ,merkwürdige' Erlebnisse aufzwingt, wie sie sonst in der Regel nur die Jugendzeit ermöglicht." Zum Teil waren die Erfahrungen der Kriegszeit auch sprachlich zunächst schwer zu bewältigen, das Schweigen der Kriegsheimkehrer (s. Heinrich Boll: „Und sagte kein einziges Wort", 1953) schlug dann um in ein für Nichtteilnehmer schwer erträgliches „Stammtisch"-Reden in den semantischen Bahnen des militärischen „Jargons", das zusammen mit den zahllosen Kriegsfilmen, Landser-Heften und Frontromanen jedoch eine spezifische Art des Redens, ja des „Durcharbeitens" gewesen ist. Niethammer („Normalisierung", 1986, S.205). So wurde etwa Art. 5 Abs. 3 GG als verordnete Stille intepretiert, vgl. Arnold Köttgens
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3. Kapitel — Schweigen
Meinung ins Spiel, der als „Schweigespirale" benannt worden ist. Es ist dies der aus der Furcht vor Isolation und Vereinsamung entstehende Anschluß an das vorherrschende Meinungsklima, der es bedingt, daß jeder „auf der Seite des Siegers" stehen will274. Damit ist das „Schweigen" zu dieser Zeit aber noch keineswegs ausgedeutet: wie jedes Subjekt, so verfügt auch jede Gesellschaft über Tabus, über Residuen des Geheimnisses und über Mechanismen, einmal Ausgesprochenes wie Ungesagtes zu behandeln275. Der Takt bildet dabei eine Art soziales Gleitmittel, dessen wesentlicher Aspekt zu sein scheint, „daß man die Selbstdarstellung der Interaktionspartner nicht desavouiert"276. Es gibt institutionelle Tabus — so könnte man von einem „Diskussionstabu" sprechen, das über den Grundrechtsteil des Grundgesetzes verhängt wurde — und solche, die der offiziösen politischen Kultur eines Staates eingeschrieben sind, ohne ausgesprochen zu werden. Viele der Tabus dieser Zeit der frühen Bundesrepublik betrafen die wesentlichen Grundlagen der Republik, denn die Autorität des neuen Staatswesens war keinesfalls vorgegeben und seine Anerkennung blieb ungesichert, solange es seinen Bürgern keine greifbaren Vorteile bieten konnte. Das Mißtrauen des Parlamentarischen Rates gegenüber plebiszitären Elementen des Grundgesetzes ergänzte das Bemühen, der neuen Demokratie eine Zeit der stillen Entfaltung einzuräumen, in der über einige der Grundlagen, auf denen die Republik aufgebaut wurde, ein einstweiliges Tabu verhängt wurde277. Der „pubertäre" Status der Republik schien es nicht zuzulassen, über die fehlende Souveränität, die Frage nach den tatsächlichen Machtverhältnissen, nach der Entscheidungsbefugnis im Ernstfall, nach den repressiven Auswirkungen der Re-education, kurz: nach
Besprechung von Richard Thoma: Die Lehrfreiheit der Hochschullehrer und ihre Begrenzung durch das Bonner Grundgesetz (in: Deutsches Verwaltungsblatt vom 1. September 1955, S. 579): er habe die Bindung an das Grundgesetz im Sinne einer Schweigepflicht interpretiert. Nur wenige Vorgänge waren in diesem Zusammenhang derart symbolträchtig wie das verordnete Beschweigen der ersten Strophe der Nationalhymne. 274 Nach Elisabeth Noelle-Neumann: Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung — unsere soziale Haut (München/Zürich 1980). 275 Vgl. Alois Hahn: Rede- und Schweigeverbote (in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 1/1991, S. 86—105), der in Anlehnung an Luhmann zwischen sachlichen, zeitlichen und sozialen Aspekten von Kommunikationsverboten unterscheidet. 276 Ebd., S.93. 277 Vgl. Kurt Sontheimer: Tabus in der deutschen Nachkriegspolitik (in: Neue Rundschau, Heft2/1969, S. 209-221); als Beispiele führt er an: das Soldatische und die Bundeswehr, die Diskussion der Begriffe Volk, Nation, Vaterland, politische Justiz etc. Der Linksintellektuelle verstehe sich dagegen als Anwalt der öffentlichen Diskussion aller relevanten Probleme, und er verabscheue Ausklammerungen, Verdrängungen und Schweigegebote. Es gelte aber, zwischen dem Meinungstabu (in totalitären Systemen) und einem Diskussionstabu zu unterscheiden, dessen Verletzung an die Grundlagen des sozialen und politischen Systems rühre, über die ein gewisser Konsens herrschen sollte (Sontheimer kritisierte hierbei die Neigung zu „harmonisierendem Quietismus").
5. Das Schweigen
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den Dispositiven der Macht' (Foucault) und ihren Kehrseiten zu fragen. Statt dessen sollte alles Integrierende gefördert werden - durch positive (etwa mit dem „siegreichen" Westen) und negative Integration (gegenüber dem Osten) gleichermaßen. Diese autoritätsstiftenden institutionellen Schweigegebote 278 haben ihren Zweck erfüllt - bringt man deren Effekt mit der Kritik am autokratischen Führungsstil Adenauers und seiner Regierung von fundamental- oder basisdemokratischer Seite in Zusammenhang. Erst am Ende der 50er Jahre wurde die Fülle der Tabus thematisiert, die das Jahrzehnt sorgsam gehütet hatte 279 . Tabus gerieten in Gegensatz zur „Demokratisierung" 280 , und „Schweigen" wandelte sich zu einer Metapher für Würdelosigkeit 281 , mangelnde Zivilcourage und das Versagen einer kontrollierenden demokratischen Öffentlichkeit. „Warum habt ihr geschwiegen?" erneuerte sich zu einer Standardfrage im nun aufbrechenden Generationenkonflikt.
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Institutionelle Schweigegebote finden sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, wo Autorität gefragt ist, vgl. etwa das Votum Hans Schneiders gegen die Veröffentlichung der sog. „dissenting opinions" bei Gerichtsentscheidungen (in: Zeitschrift für Beamtenrecht, 1957, S. 239). Heinrich Bodensiek: Tabuvorwurf in der Bundesrepublik. Ein Überblick für die Politische Bildung (in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 17. Jg. (1966), S. 709-716); Bodensiek zählt auf: die „deutsche Frage", der Anteil der Besatzungsmächte am Entstehen der Bundesrepublik, das Wehrbudget, die Kommunistenprozesse, politische Justiz überhaupt, Neutralität, religiöse Fragen, der Bundespräsident, die Oder-Neiße-Grenze, das Verhältnis zu Volk, Nation und Vaterland usw. Zur Ursache der Tabu-Inflation zitiert er Bundestagspräsident Gerstenmeier, man habe der Bundesrepublik ähnliche Grundsatzdiskussionen ersparen wollen, wie sie die Weimarer Republik (Stichwort: Dolchstoßlegende) erschütterten, es sei aber davor zu warnen, daß die Verabsolutierung einer geschichüichen Erfahrung ungewollt zu einer „Tabu-Ideologie" gerate (ebd., S.714). Diese attackierte Armin Möhler: Das GroßTabu (in ders: Was die Deutschen fürchten, Frankfurt a. M./Berlin 1966, S. 125-128).
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Dazu die 18. Folge des Bergedorfer Gesprächskreises zu Fragen der industriellen Gesellschaft: Hemmen Tabus die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft? (Hamburg 1965). Der Referent Alexander Mitscherlich sah sich u.a. Armin Möhler, Nicolaus Sombart und Rüdiger Altmann gegenüber, mit welchen er sich sogleich über Carl Schmitt in die Haare geriet über die Frage, ob dieser mit einem Tabu belegt bleiben solle (S. 30f., 65), dazu ein Einwurf von Lewis J. Edinger: „Die Tabus der deutschen Gesellschaft sind ähnlich den Tabus der Irrenhäuser. Man spricht nicht gern vom Judenproblem, von Carl Schmitt, von früheren Leitbildern, die jetzt nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert werden. Man möchte sie auch nicht mehr in Erinnerung bringen. Wenn ich Herrn Mitscherlich nicht mißverstanden habe, liegt da ein Problem der psychiatrischen Behandlung, indem man einerseits fordert, die moralische Schuld anzuerkennen, was aber andererseits die psychologische Genesung schwieriger macht. Man bringt da, glaube ich, moralische und therapeutische Momente etwas durcheinander" (S. 38).
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So Walter Magass: Das öffentliche Schweigen. Gibt es Maßstäbe für die Kunst der öffentlichen Rede in Deutschland? (Heidelberg 1967, S.21: „Schweigen und Würdelosigkeit verweisen aufeinander", sowie S.35: „Die Apologeten der Gewalt sind auch Apologeten des Schweigens").
4. Kapitel — Sicherheit
1. San Casciano — Schmitt in den 50er Jahren Carl Schmitts Eintritt in die Zeit der frühen Bundesrepublik begann turbulent. Negative wie positive Höhepunkte wechselten dabei in kurzen Abständen, und der Tod seiner Frau gehört sicher zu ersteren. Mit ihr verlor er einen bestimmenden Faktor seines Lebens, der sich aber in die Umstände der Plettenberger Existenz nicht mehr ganz hatte einfügen können. An ihrem frühen Tod trug Schmitt schwer, denn sie war es gewesen, „von der jene Atmosphäre archaischer Sicherheit ausstrahlte, die zu seiner Aura gehört" 1 . Schon kurz nach der Beerdigung Duschka Schmitts aber hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt nach Krieg und Verhaftung: vor dem „Rhein-Ruhr-Klub" sprach Schmitt am 13. Dezember 1950 in Düsseldorf über die „Einheit der Welt und die Einheit Europas" 2 . Dieser Vortrag war für ihn der Auftakt zu einer noch etwa ein Jahrzehnt dauernden unregelmäßigen Vortragstätigkeit, mit der er freilich nur ein meist sehr begrenztes Publikum bzw. private Kreise erreichte. War der Anlaß offizieller, lief Schmitt Gefahr, daß eine einmal ausgesprochene Einladung wieder zurückgezogen wurde, wenn sich einer der übrigen Teilnehmer das Zusammentreffen mit Schmitt verbat 3 . Dies widerfuhr ihm im Verlaufe dieses einen Jahrzehnts etwa sechsbis achtmal, was ihn jeweils sehr kränkte und ihn wortreich mit seinem Schicksal hadern ließ 4 . ι Nicolaus Sombart an Duschka Schmitt am 20. September 1950 (HSTAD RW265 - 2 1 1 , Nr. 16). Siehe auch: Süderländer Tageblatt vom 4. Januar 1951: „Prof. Carl Schmitts Rückkehr in die Öffentlichkeit" (HSTAD RW265-35, Mat.-Nr. 4). 3 Tatsächlich hatten etwa Bundestagspräsident Ehlers bei der Tagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar am 3. Dezember 1952 (Brief Schmitts vom 18. Oktober 1952, HSTAD RW265—234, Nr. 21; Brief an Schmitt vom 16. Oktober 1952, HSTAD RW265 - 9 3 , Nr. 64) und der Staatssekretär im Bundesjustizministerium Walter Strauss bei der Tagung der Evangelischen Akademie Baden in Herrenalb Anfang Mai 1953 gedroht, ihre Teilnahme abzusagen, falls Schmitt erscheine (vgl. Brief Schmitts vom 16. März 1953, HSTAD RW265-178, Nr. 81). Adolf Arndt pflichtete (dem ebenfalls im ,Dritten Reich' rassisch diskriminierten) Strauss in einem Brief vom 4. Mai 1953 bei, das Wiederauftauchen Schmitts sei ein „alarmierendes Symptom, welchen Grad die Restauration in Westdeutschland erreicht" habe (zit. nach Dieter Gosewinkel: Adolf Arndt, Bonn 1991, S.533). 4 Im Herbst 1953 war Schmitt anläßlich der Ausstellung „Alemania y su Industria" vom 23. März 2
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Schmitt führte das Leben eines Privatiers 5 . Bis zur endgültigen Regelung seiner Pension im Jahre 1952 war er auf Auftragsarbeiten angewiesen oder erfuhr die oft stillschweigende Unterstützung einiger Freunde. D a n a c h war seine Existenz akuter wirtschaftlicher N ö t e enthoben, w e n n auch weit von den Möglichkeiten entfernt, die sein Berliner Haushalt besessen hatte. Schmitt konnte ein äußerlich zwangloses und ungebundenes D a s e i n als Privatgelehrter führen. D i e s verschaffte ihm eine Position von intellektueller Unabhängigkeit und, jedenfalls äußerer, „Souveränität". So konnte sich der im Sauerland „Exilierte" nach seiner lokalen Reetablierung ganz der Pflege von Kontakten widmen. Schmitts Ausstrahlung wirkte in gleichsam konzentrischen Kreisen wieder über seine privaten Beziehungen hinaus und verschaffte ihm den Ruf, eine Persönlichkeit zu sein, „mit der zu reden sich lohnt" 6 . Plettenberg entwickelte sich mit der Zeit - in der ärgerlichen Beobachtung seiner Gegner - „zu einem Wallfahrtsort für konservative Juristen" 7 und anderer, die „dem Alten von Plettenberg" einen Besuch abstatteten 8 . Mit seinen eingeschränkten Mitteln versuchte Schmitt, einen gastfreien Haushalt aufrechtzuerhalten, wie er seinem Verständnis nach zum Ambiente eines guten Gesprächs gehörte 9 . Einem Besucher schrieb er: „Ich sorge für eine erträgliche
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bis 14. April 1954 zu einer Vortragsreise in Mexiko aufgefordert worden; die Einladung wurde, angeblich wegen Geldmangels, widerrufen (Briefe vom 23. September, 12. Oktober und 9. Dezember 1953, HSTAD RW265 - 9 3 , Nr. 88, 92, 101). Zum Leben Schmitts nach 1945 die Darstellung von Ernst Hüsmert (Die letzten Jahre von Carl Schmitt, in: Piet Tommissen (Hg.): Schmittianal, Brüssel 1989, S. 40—54), sowie das Interview Ingeborg Villingers mit Anni Stand und Ernst Hüsmert (in: Verortung des Politischen. Carl Schmitt in Plettenberg, Hagen 1990, S. 4 2 - 6 1 ) . So der Ausspruch Alexandre Kojèves von 1967 (mitgeteilt von Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin 1987, S. 24). So Ingo Müller: Die Aktualität Carl Schmitts (in: Martina KirfelAValter Ostwalt (Hg.): Die Rückkehr der Führer, Wien 1989, S. 212-220, hier S. 216) oder Helmut Fangmann: Die Restauration der herrschenden Staatsrechtswissenschaft nach 1945 (in Udo Reifner (Hg.): Das Recht des Unrechtsstaates, Frankfurta. M./New York 1951, S. 211-247, hier S.235): „Schmitts Wohnort, Plettenberg im Sauerland, wurde schon früh zum .Wallfahrtsort' seiner Schüler und SchülerSchüler sowie Freunde, die sich dort in regelmäßigen Abständen zu privaten Symposien [!? V.L.] trafen, welche Schmitts Verbannung' aus der Öffentlichkeit zu kompensieren suchten. Trotz des privaten Charakters entfalteten die Veranstaltungen eine starke öffentliche Wirkung für die Kontinuität Schmittscher Theorien, sei es explizit über seine Schüler, sei es implizit oder unterschwellig in der Rezeption seiner Vorstellungen von Staat, Recht und Verfassung." Zu einigen der Gäste die Erinnerungen Anni Stands und Ernst Hüsmerts (in: Verortung des Politischen, 1990, S. 50ff.). Daß nicht nur konservative Juristen kamen, zeigen einige Besuche Otto Kirchheimers seit 1949, der seinen „verehrten Lehrer" wiederzusehen hoffte und dafür von Mitgliedern des „Frankfurter Instituts für Sozialforschung" heftig gescholten wurde (s. Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule, München 1989, S. 524). „Er war ein großer Freund und Kenner des Weins und ein Gastgeber nach arabischer Art, wo man dem Gast die besten Bissen eigenhändig in den Mund steckt." (Günther Krauss: Erinnerungen, Teil2, in: Criticón96, Juli/August 1986, S. 180-184, hier S. 181.)
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4. Kapitel — Sicherheit
Unterkunft und betrachte Sie als meine Gäste. Das ist ein Modus, wie er sich längst eingespielt und bei zahlreichen Besuchen von In- und Ausländern sehr gut bewährt hat. Er hat den unschätzbaren Vorteil, daß wir abends zusammen Wein trinken und uns im Schatten meiner kleinen Bibliothek 10 in Ruhe unterhalten können. In meinem Alter braucht man einen gewissen Anmarsch, um zum Thema zu kommen; mit dem ,in medias res' funktioniert es schon deshalb nicht mehr so recht, weil es allzuviele ,res' gibt." 11 Den „Anmarsch", auch den über die Berge ins verschlafene Plettenberg, nahmen viele in Kauf. Es war für die Besucher fast üblich, mindestens eine Übernachtung einzuplanen, denn es wurde meist spät und die Gespräche intensiver. Nichts drängte Schmitt ins Bett, wenn er einmal in Fahrt gekommen war. Mußte die Unterhaltung abgebrochen werden oder hatte der reichlich fließende Wein die Sinne benebelt, ging der Besuch ins Hotel — nicht selten mit Büchern bepackt, über die schon am nächsten Morgen ein erneutes Gespräch anstehen konnte 12 . Mit Geduld und Muße ließ sich Schmitt offenbar vor allem auf jüngere Besucher ein, die sich angeregt, beansprucht und herausgefordert, dabei aber nur selten belehrt fühlten 13 . Unübliche Herangehensund Sichtweisen, die Weite des inhaltlichen Horizonts und die hintersinnige Art der Fragestellung wurden immer wieder als Besonderheiten dieser Gespräche erinnert. Rückschauen von Gesprächspartnern malen ein Bild von Schmitt, das ihn gleichsam als Medium ausweist, als einen Kommunikator mit der besonderen Fähigkeit, ein Resümee zu ziehen und die Inhalte „meisterhaft" auf den Begriff zu bringen 14 .
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Schmitts Bemühungen um Rückgabe seiner 1945 beschlagnahmten Bibliothek hatten 1952 Erfolg; aus Platzmangel und Mangel an Finanzen trennte er sich von einem großen Teil unmittelbar wieder, veräußerte ihn antiquarisch und übergab Teile dem „Institut für Europäische Geschichte" in Mainz, das der mit Schmitt bekannte Kirchenhistoriker Joseph Lortz leitete (vgl. die Bemerkungen von Roman Schnur: Aufklärung, in: Der Staat, 1988, S. 437—452). » Carl Schmitt an einen Besucher am 11. November 1953 (HSTAD RW265-178, Nr. 152). 12 Auskunft Reinhart Koselleck. 13 Auskunft aus verschiedenen Gesprächen; — „Sogar über juristische Fragen unterhielt er sich mit mir und warf mir dabei die Bälle so geschickt zu, daß ich zum mindesten in seiner Gegenwart überzeugt war, etwas von Jurisprudenz zu verstehen" (so Armin Möhler: Carl Schmitt und die .Konservative Revolution', in Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 144, über die Zeit der ersten Begegnungen Ende der 40er Jahre). Schmitt scheint sich um die Sokratische Vorstellung der Gesprächsführung als „Hebammenkunst" bemüht zu haben. Im November 1953 schrieb Schmitt an einen jungen Freund, der sich einem anderen Gesprächspartner gegenüber in einem Brief als „dummer Laie" bezeichnet hatte: „Vor der Intellektualität von X brauchen Sie nicht bange zu sein. Die Philosophie-Studenten fühlen sich gern überlegen und terrorisieren gern ein bischen mit ihrer Terminologie. Das muß man ihnen gönnen. Es ist viel Überkompensation dabei. Ich freue mich immer über ein Gespräch mit Ihnen [...] und habe dabei noch niemals das Gefühl gehabt, dass Sie sich unterlegen fühlen müßten" (Brief vom 25. November 1953, HSTAD RW265-178, Nr. 161). 14 Auskunft Johannes Chr. Papalekas. Schmitt konnte, trotz seiner institutionellen Ungebun-
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Wer fand nun den Weg über die Berge in die „Welt großartigster Spannung"15? Es waren zunächst alle diejenigen, die sich Schmitt trotz allen Situationswandels nach wie vor aus früheren Tagen freundschaftlich verbunden fühlten, aber auch viele, die nun erst seinen Kontakt suchten. Dazu gehörten Unternehmer, die bei Schmitt wegen einer Rechtsberatung anfragten. Den Höhepunkt dieser Arbeiten bildete für ihn zweifellos das Gutachten für die Buderusschen Eisen-Werke im Verfassungsstreit um die Sozialisierungsbestimmungen des Art. 41 der hessischen Landesverfassung. Die Ausarbeitung des Gutachtens über den „Rechtsstaatlichen Verfassungsvollzug"16 bewirkten bei Schmitt gleichsam ein „Aufleben" - nicht nur, weil er hier an eines seiner früheren juristischen Themen anknüpfen konnte. Wichtiger scheint, daß an der Klage des Werkes vor dem hessischen Staatsgerichtshof und später vor dem Bundesverfassungsgericht die crème der bundesrepublikanischen Staats- und Verfassungsrechtler beteiligt war. Es war dies eine der großen juristischen Grundsatzdebatten der frühen Bundesrepublik, in denen es um die materiale Ausdeutung und Ausgestaltung der Verfassung ging17, und Schmitt wurde hierbei als gleichwertiger Beiträger berücksichtigt. Weniger anspruchsvoll war seine beratende Funktion bei der Initiative einiger mittelständischer Unternehmer des westlichen Sauerlandes, gegen das sog. Investitionshilfegesetz vorzugehen. Nach einigen erfolglosen parlamentarischen Interventionen gelang es, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu kommen und das Gesetz tatsächlich zu Fall zu bringen. Schmitts Anteil hieran lag vornehmlich in verfahrenstechnischen Ratschlägen18. Zahlreiche kleinere und größere Anfragen um Beratung und Stellungnahme erreichten Schmitt, auf dessen freie Kapazitäten meist über mündliche Empfehlungen denheit, auch etwas „für die jungen Leute tun": er vermittelte Kontakte innerhalb seines großen Bekanntenkreises, empfahl vielversprechende Nachwuchsgelehrte weiter, äußerte sich bisweilen gutachtlich über sie, rezensierte oder zitierte sie in seinen Veröffentlichungen. 15 Carl Schmitt: Welt großartigster Spannung (in: Merian, 7. Jg., Heft9/1954, S. 3 - 6 ) . 16 Veröffentlicht separat als Broschüre (Wetzlar 1952 sowie in Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 452-488). 17 Beteiligt waren Carl Hermann Ule, Wilhelm Grewe, Günter Dürig, Hans Peter Ipsen, Hermann Jahrreiss, Ulrich Scheuner, Werner Weber, Franz Wieacker, Theodor Maunz, Carl Heyland und viele andere, die zu etwa 80 % für die Nichtigkeit der Forderung nach Sozialisierung plädierten. Zwar wurde am 4. April 1952 die Sozialisierung einiger Betriebe vom hessischen Staatsgerichtshof befürwortet, im Ergebnis kam sie jedoch durch betriebliche Transaktionen, Verschleppungen des Verfahrens und Entschädigungsforderungen kaum noch in dem ursprünglich beabsichtigten Sinne zum Tragen. Dieser Streit wird aus linker Sicht daher als früher Triumph der konservativen Staatsrechtslehre betrachtet; vgl. dazu Gerd Winter: Sozialisierung in Hessen 1946—1955 (in: Kritische Justiz, 1974, S. 157-175). Zu weiteren „Kämpfen um Verfassungspositionen" s. unten, Abschnitt 5. 18
Daran beteiligt war u. a. der mit Schmitt befreundete CDU-Bundestagsabgeordnete Peterheinrich Kirchhoff (vgl. dessen Ausführungen im Bericht zur 65. Sitzung des Deutschen Bundestages vom Freitag, dem 28. Januar 1955, S.3358ff.; das Protokoll verzeichnet mehrfach
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4. Kapitel -
Sicherheit
hingewiesen wurde. Einige der Bekanntschaften hielten weit über diese Verfahren hinaus, so etwa zu Konrad Kaletsch oder dem Fabrikanten Wilhelm Schulte. Eine zweite Quelle, aus der sich das Beziehungsgeflecht um Schmitt wieder enger knüpfte und das sich ζ. T. aus früheren Bekanntschaften zusammensetzte, waren seine Verbindungen zu Publizisten, die als Redakteure oder Herausgeber immerhin in einigen der wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften dieser Jahre tätig waren: Giselher Wirsing von „Christ und Welt" und Hans Zehrer von der „Welt" standen mit Schmitt seit den 20er Jahren in Verbindung19. Herbert Nette von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Walter Petwaidic ( = Fredericia) von der „Zeit", Rudolf Fischer vom „Fortschritt"20 und Serge Maiwald von „Universitas"21 kannten Schmitt aus den 30er und 40er Jahren. Margret Boveri war eine der wenigen Frauen, mit denen er in geistigem Austausch stand. Schmitt selbst bemühte sich u . U . sichtlich um diese Beziehungen, nicht zuletzt, weil er ein „Totschweigen" seiner Bücher durch die meinungsbildenden Medien fürchtete — zu Unrecht. Trotz gelegentlicher Klagen nämlich durfte Schmitt mit der öffentlichen Resonanz auf den sachlichen Gehalt seiner neueren Arbeiten letztlich nicht unzufrieden sein. Der „Nomos der Erde", das „Gespräch über die Macht" oder das „Hamlet"-Buch wurden in nahezu sämtlichen größeren Tages- und Wochenzeitungen wie auch in den meisten der Kultur- und Fachzeitschriften besprochen 22 . Mehr noch: der überwiegende Teil der
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Zurufe und Heiterkeit unter den Abgeordneten). Als Folge des Einspruchs der Lüdenscheider Unternehmer wurde später die Mehrwertsteuer eingeführt. A m 24. Januar 1952 erschien ein Artikel von Giselher Wirsing in „Christ und Welt" (Carl Schmitt — zwischen gestern und morgen), in dem es hieß, Schmitt sei zu einem Objekt der Rache geworden: „In Deutschland wird nämlich das Merkwürdige von einem politischen Denker verlangt, daß er in völlig gewandelten Situationen noch immer einen Standpunkt vertreten soll, der zu einer ganz anderen Zeitlage paßte." Dies konnte durchaus auch als Eigenkommentar zum Lebensweg des ehemaligen „Tat"-Mitarbeiters Wirsing gelesen werden (vgl. Axel Schildt: Deutschlands Platz in einem „christlichen Abendland". Konservative Publizisten aus dem Tat-Kreis in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Thomas Koebner/Gert Sautermeister/Sigrid Schneider (Hg.): Deutschland nach Hitler, Opladen 1987, S. 344-369). Vgl. den Artikel von X ( = Rudolf Fischer): Hexenverfolgung. Der Fall Carl Schmitt. Charaktermord (in: Der Fortschritt, Nr. 4, vom 25. Januar 1952). Fischer war ein Publizist aus dem Umkreis der .Konservativen Revolution' und später in der Presseabteilung des Bundesverkehrsministeriums . Serge Maiwald hatte sich 1944 bei Schmitt habilitiert und gehörte bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1952 zu den prononciertesten Vertretern einer von Schmitt angeregten Perspektivik auf das Völkerrecht. Maiwald, der Aufsätze seines Lehrers seit 1949 in „Universitas" veröffentlichte, war der einzige, dem Schmitt einen Nachruf widmete (Zum Gedächtnis an Serge Maiwald, in: Zeitschrift für Geopolitik, Heft 7/1952, S. 447f.). Schmitts Hamlet-Buch fand sogar Eingang in den „Spiegel" (Hamlet - Die Mutter ist tabu, in: Der Spiegel, Nr. 35, vom 29. August 1956, S. 41f.). Rudolf Augstein hatte 1952 bei Schmitt um juristische Ratschläge anfragen lassen und ihn wohl auch einmal besucht.
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Besprechungen fiel durchaus positiv aus - von grundsätzlich kritischen Stimmen abgesehen, auf die noch zurückzukommen sein wird. Auch zum wichtigen Medium Rundfunk - in den 50er Jahren von vielen als „Asyl" eigenwilliger Geister empfunden - schlossen sich für Schmitt Kontakte. Paul Adams 2 3 , Walter Warnach 2 4 , Alfred Andersch 2 5 und Heinz Friedrich 26 besprachen seine Werke, sendeten neuere Texte oder ein Gespräch mit ihm und blieben Schmitt ζ. T. weiterhin freundschaftlich verbunden 2 7 . N e u e Bekanntschaften führten Schmitt auch seine Vorträge zu, wenn er auch keine etwa mit Hans Freyer vergleichbare Reisetätigkeit mehr ausübte. Auch über sie wurde ζ. T. in der Lokalpresse berichtet bzw. der Vortrag dort abgedruckt 2 8 . D a s wichtigste Medium seiner Kontakte aber waren Briefe, und der Postbote wurde für Schmitt der wichtigste Mann im Ort 2 9 . In der Korrespondenz setzten sich Gespräche fort, schriftlich
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Der Literaturkritiker Adams war zusammen mit seinem Bruder Alfons Student bei Schmitt in Bonn und Redakteur der zentrumsnahen kulturellen Beilage der „Germania" gewesen. Warnach führte 1951 für den Hessischen Rundfunk ein Gespräch mit Schmitt über die Frage „Hat die Geschichtsphilosophie noch einen Sinn?" (vgl. Exposé in HSTAD RW 265 - 8 , Mat.-Nr. 18). Der — kurze — Kontakt mit Andersch stellte sich offenbar in Zusammenhang mit einer „Abendstudio"-Sendung über den gemeinsamen Bekannten Walter Warnach her. Zu Anderschs Kontakt zu Schmitt jetzt Stephan Reinhardt: Alfred Andersch. Eine Biographie (Zürich 1990, bes. S. 187,191, 250, 496). Heinz Friedrich, Anderschs Assistent und Nachfolger beim „Abendstudio" und über diesen selbst mit Schmitt bekanntgeworden, erinnerte sich: „Carl Schmitt war von Andersch beeindruckt. Ihm gefiel, daß er in den geistigen Turbulenzen der unmittelbaren Nachkriegszeit den klaren Kopf behielt und sich die Freiheit herausnahm, nach eigenem Ermessen zu urteilen und sich seine Gegner jenseits parteilicher Engstirnigkeit auszusuchen" (Brief vom 15.Februar 1989 an Reinhardt, mitgeteilt ebd., S.661, Anm.23).
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Friedrich sendete wie Andersch Texte Schmitts. „Der neue Nomos der Erde" erschien anschließend in Heinz Friedrich (Hg.): Lebendiges Wissen (Stuttgart 1955, S. 281-288) „Der Titel ,Nomos der Erde' ist ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb Carl Schmitt noch weitere Beiträge, darunter einen zum Thema ,Land und Meer' und einen über ,Melville'..." (Brief an Stephan Reinhardt vom 15. Februar 1989, in ders.: Andersch, 1990, S. 191); es sei ihm und Andersch um die „Einübung in demokratische Streitkultur" und den Abbau von Berührungsängsten vor Tabus gegangen; Friedrich korrespondierte mit Schmitt bis in die 70er Jahre.
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Andersch schrieb freilich kurz darauf in einem Brief: er verbrachte einen „turbulenten Tag mit Adorno, Korn, Kogon, Funk, Friedrich, Kaiser, Hilsbrecher, Wilimzig und Prof. Carl Schmitt, der zufällig da war (doch ein böser Mann!)" (Reinhard: Andersch, 1990, S.250). Spätere Kontakte über den Rundfunk bekam Schmitt zu Joachim Schickel, Klaus Figge, Jens Litten, Ansgar Skriver und Manfred Rexin. Vgl. mp: Neue Deutung moderner Technik. Prof. Carl Schmitt sprach in VHS-Sonderveranstaltung (in: Iserlohner Zeitung vom 17. Oktober 1953); Albert Schulze Vellinghausen: Der Inselaffekt - Terrane und maritime Ängste (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 254, vom 31. Oktober 1953). Auskunft Anni Stand (laut Interview in: Verortung des Politischen, 1990, S. 57).
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knüpften sich neue Kontakte, alte wurden gepflegt, und stärker als es durch Schmitts Randstellung als Privatier in der Provinz vorgezeichnet war, wurde der Briefwechsel zu dem paradigmatischen Ausdrucksmittel des Gelehrten. Briefe waren nicht nur Schmitts Verbindung in die Welt, sie waren Lehrstuhlersatz, die direkteste Form eines „Dialogs unter Abwesenden" (Heinrich Meier30) und idealiter der materialisierte Ausdruck des unendlichen „Gesprächs"31. Schmitt beantwortete in der Regel jeden Brief. In den 50er Jahren war noch einiges an „geschäftlicher" Korrespondenz darunter, und bei gelegentlicher Anwesenheit half die Tochter mit der Schreibmaschine aus. Einzelne Korrespondenzen traten immer stärker in ausgedehnte inhaltliche Auseinandersetzungen ein, und so wurde Schmitt zu einer Art von Fernuniversität in einer Person. An ihr schrieben sich in den 50er Jahren vor allem diejenigen jungen Leute ein, denen im Rahmen ihres Universitätsstudiums die persönliche Betreuung fehlte oder der Fächerkanon und seine Behandlung zu eingeschränkt erschienen. Als Folge seiner Lage hatte Schmitt Zeit und Muße, sich an langen Abenden und Wochenenden der freien Konversation bzw. Korrespondenz über vielerlei Themen hinzugeben. In seiner Person schien vielen seiner Besucher ein Rest der Einheit von Rechts- und Staatswissenschaften repräsentiert - verbunden mit literarischer Belesenheit — , die bei deutschen Gelehrten seit dem 19. Jahrhundert in so hohem Ansehen gestanden hatte. Er sammelte „aparte Reime" und „irreale Bedingungssätze bei Historikern"32, übte sich selbst in sarkastischen Gedichten über seine „Feinde" und „Verfolger" sowie an gereimten Kommentaren zum Zeitgeschehen. Dabei waren für seine erneut ausgreifende Wirkung Schmitts Sprache und Stil von nicht unerheblicher Bedeutung. Der leichte und eingängige, bei aller Systematik bildreiche Stil seiner Schriften (auch der seiner Briefe) besaß vor jeder Inhaltlichkeit ästhetischen Reiz. Schmitts Texte waren meist recht zuverlässig schon an ihrem Duktus erkennbar, und in seiner Person konnte man Sprachwitz und literarisches Sensorium antreffen. Das machte ihn wiederum für Philologen und Literaturwissenschaftler interessant, zu denen er eine um so stärkere Beziehung bekam, als die Gedanken seines Spätwerkes zunehmend um Etymologien und semantische Felder kreisten33. 30
Wie ein solcher „Dialog unter Abwesenden" funktionierte, hat Meier am Beispiel der Auseinandersetzung über den „Begriff des Politischen" zwischen Schmitt und Leo Strauss gezeigt (Heinrich Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss und der „Begriff des Politischen", Stuttgart 1988). 31 Vgl. Richard Alewyn: Unendliches Gespräch. Die Briefe Hugo von Hofmannsthals (in: Die Neue Rundschau, 65.Jg., 3.-4.Heft/1954, S.538-567): Briefe seien für Hofmannsthal „geronnenes Gespräch" gewesen, Fragmente des unendlichen Gesprächs mit denen, deren geistige Gegenwart ihm unentbehrlich gewesen sei. - Auch Veröffentlichungen konnten Teil eines „Gesprächs" sein, vgl. Carl Schmitts späte Antwort auf Erik Peterson in „Politische Theologien" (1970). 32 Vgl. den Eintrag Schmitts in Walter Habel (Hg.): Wer ist Wer? Das deutsche Who's Who (Bd. 1 (West), 15. Ausg., 1967/68, Berlin 1967, S. 1749). 33 Carl Schmitt: Raum und Rom - Zur Phonetik des Wortes Raum (in: Universitas, 6. Jg.,
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Vor allem der persönliche Umgang mit Schmitt aber hatte einen magnetisierenden Effekt. Ob es die Herzlichkeit und Gastfreundschaft war, ob es Schmitts Freigiebigkeit beim Verteilen seiner Werke, ob es seine betonten Aufforderungen an den neuen Gast waren, sich nicht mit seinem Namen zu belasten, oder seine Offenheit im mündlichen Gespräch, die das Hintergründige seiner Texte erst voll ins Bewußtsein hob. Alle diese „Strategien" besaßen etwas Verpflichtendes und entfalteten ihre bindende Kraft um so stärker, je verkannter, einsamer und verfolgter Schmitt sich gab. In der persönlichen Begegnung wurde die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der Person Carl Schmitts erst eigentlich offenbar. Gleichzeitig wurde man zum „Eingeweihten", der an einem esoterischen Diskurs partizipieren durfte 34 . D i e Sphäre der Mündlichkeit war Initiation und Schutz des „echten Gesprächs" zugleich. Besucher bestätigen, daß Schmitt seinerseits auf „verarbeitete Erfahrungen" 35 aus gewesen sei. Schmitts Produktivität und Ausstrahlung hatten sich stets innerhalb von Kreisen entwickelt, sei es in den ästhetisierenden Schwabinger Kreisen zu seiner Münchner Zeit oder in den politisierenden Berliner Kreisen der 20er/30er Jahre 36 , bei den „Freunden des Samstag" 37 , im „Siedlinghäuser Kreis" 38 oder im Berliner Freun-
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Heft9/1951, S.963-967; ders.: Nehmen/Teilen/Weiden, in: Gemeinschaft und Politik, 1. Jg., Heft3/1953, S. 18—27; ders.: Nomos - Nähme - Name, in: Der beständige Aufbruch. Festschrift für Erich Przywara, Nürnberg 1959, S. 92-105). Schmitt selbst hat in Briefen gelegentlich seine „Strategie" beschrieben, so riet er Armin Möhler 1948, man müsse seinen Feinden „unbegreiflich" und obskur bleiben und durch „Verhüllung" bzw. eine geschickte Verteilung von Licht und Schatten seine Feinde „unterlaufen" (mitgeteilt in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 142). Reinhard Mehring spricht der von Schmitt gepflegten Esoterik freilich Züge eines „Gelehrtennarzißmus" zu (Reinhard Mehring: Pathetisches Denken, Berlin 1989, S.22), was sie auch gefördert haben mag, dennoch besaß gerade die darin zum Ausdruck gelangende Haltung der Opposition ein starkes Attraktionsmoment für manchen Rezipienten. Auskunft Hans-Joachim Arndt: meist habe Schmitt die noch Fremden systematisch .ausgeforscht'. Methodenfragen sah Schmitt als „Sandbänke", auf denen Gespräche zu stranden pflegen (s. Carl Schmitt: Drei Stufen historischer Sinngebung, in: Universitas, 1950, S.928). Auch der didaktische Stil des Spätwerks ist ganz an das Mündliche angelehnt. Ernst Jünger muteten rückblickend die Nationalistenzirkel „wie Kreise um Lagerfeuer vor dem Aufbruch an. Das war der eigentliche Ort; die Berliner Mansarden und Hamburger Keller gaben den Zeitstil ab. Am Morgen zerstreute sich die Runde, um sich zu bewähren..." (Eintrag vom 23. September 1945, in ders.: Strahlungen, Bd. 2, München 1988, S. 549). Es handelt sich hierbei um einen Kreis des katholischen Publizisten Theodor Haeckers (dazu Hansjörg Viesel: Jawohl, der Schmitt, Berlin 1988, S. 17, 63); Teilnehmer waren u. a. Richard Seewald (dazu dessen Autobiographie: Der Mann von Gegenüber, München 1963, S.206ff.), Max Stefl, Ferdinand Schreiber, Ludwig Heinrich, Ludwig von Ficker, Erik Peterson, Hans Rupé und Carl Schmitt. Darüber seine Tochter Veronica Runte-Schranz (Dr. Franz Schranz und sein ,Siedlinghäuser Kreis', in Tommissen (Hg.): Schmittianalll, 1991, S. 63-88).
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deskreis um Wilhelm Ahlmann 39 . Seine mediale Potenz und sein Kommunikationstalent machten ihn für jegliche „Gestimmtheit zum Gespräch" geeignet. Denn - so ein Besucher - Schmitt sei ein Mann gewesen, der „bis ins hohe Alter hinein besessen war von einem wahren Hunger nach Gespräch, nach Auseinandersetzung mit Menschen der verschiedensten Herkunft (wenn sie nur intelligent oder markant waren)" 40 .
2. „Nein und Ja" — Der „Fall" Carl Schmitt Trotz aller ostentativen Frontstellung zwischen ihm und der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit besaß Schmitt stets einen Drang zur Publizität 41 . Auch wollte er fertige Arbeiten vorstellen und die Überhänge seiner Tätigkeit als Wissenschaftler nach akademischer Sitte durch Veröffentlichung beglaubigen. Eine Erklärung für die heftigen Reaktionen auf sein Wiederauftauchen in der Öffentlichkeit geht aber wohl über die Summierung seiner Verfehlungen im ,Dritten Reich' hinaus. Sie muß, um verständlicher zu werden, offenbar nicht allein Projektionen seiner Gegner mit einbeziehen, sondern auch die Funktion mit bedenken, für die er sich innerhalb der politischen Kultur dieser Zeit anbot. Carl Schmitt wurde in der frühen Bundesrepublik zu einem historischen Typus, zur Personifikation der Verführbarkeit des Geistes und der Gewissenlosigkeit „nihilistischer" Intellektueller. Damit wurde er einbezogen in den Prozeß der Dämonisierung des ,Dritten Reiches', der sich in einer Typologie charakteristischer Personen der NS-
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„Das große Thema waren die haltenden Mächte [...], die Tugenden und nicht das Politische", angeblich verschob sich der Kreis immer mehr in den Widerspruch zum Bestehenden, aber „ . . . kein politischer Kreis, kein Konventikel, keine Verschwörung" (Vorwort in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Dargebracht von seinen Freunden, Berlin 1951, S.XII); neben Schmitt gehörten dem Freundeskreis Hans Barion, Heinz Brauweiler, Johann Daniel Achelis, Hans Freyer, Gustav Hillard Steinbömer, Jens Jessen, Heinrich Oberheid, Konrad Weiss, Karlfried Graf von Dürckheim-Montmartin, Ernst Forsthoff, Gunther Ipsen, Hermann Kasack, Hans Kauffmann, Walter Kellinghusen, Oskar Klug, Karl Lohmann, Ernst Manheim, Gerhard von Mende, Herbert Plügge, Hans Schomerus, Percy Ernst Schramm, Peter Suhrkamp und Werner Weber an. 40 Armin Möhler: Carl Schmitt und die „Konservative Revolution" (in Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, Berlin 1988, S. 130). Gesprächsform haben selbst Schmitts in Anlehnung an R. G. Collingwood entwickelte Konzeptionen der Frage-Antwort-Struktur der Geschichte. Berühmt seine (von Theodor Däubler übernommene) Dialogisierung der FreundFeind-Dezision: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt." 41 Vgl. den Brief Schmitts an Erwin von Beckerath, dem er am 7. Juni 1941 wünschte, es solle ihm nicht so gehen wie ihm, „den das Bewußtsein des Mangels jeder echten Publizität völlig lähmt" (nach Piet Tommissen: Problemen rond de houding van Carl Schmitt in en na 1933, in: Tien jaar Economische Hogeschool Limburg (1968-1978), Diepenbeek 1979, S. 167-199, hier S. 184).
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und Nachkriegszeit manifestierte: Veit Harlan, Leni Riefenstahl, Gustav Gründgens und Arno Breker wurden zu Symbolfiguren ehrgeiziger, aber politikblinder Künstler im Dienste der Macht 42 ; Krupp und Flick wurden zu Paradigmen für Kriegsgewinnler. Thomas Mann galt als Prototyp des bürgerlichen, wie Ernst Wiechert zum Prototyp des inneren Emigranten wurde. In Philipp Auerbach stigmatisierte man den Typus des Wiedergutmachungs-Funktionärs 43 , Claus Schenk Graf von Stauffenberg dagegen stand für den Widerständler schlechthin. In allen Fällen wurden hervorstechende Züge verabsolutiert und die Personen als Chiffren in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verwandt: reduzierte (gleichwohl emotional „aufgeladene") Versatzstücke eines bestimmten Vergangenheits-„Diskurses", der auf immer abstrakteres Niveau geriet und - wie jeder gesellschaftliche Diskurs von längerer Dauer - bald mit „Stellvertretern" operierte 44 . Schmitt erlangte in diesem Diskursverlauf freilich nie wirkliche Popularität, er blieb ein Streitfall innerhalb intellektueller Kreise; und auch dort behielt er immer ein ambivalentes, nur selten in vorbehaltlose Ablehnung umschlagendes Gepräge. Notorisch wurde die Zuschreibung der „Brillanz", der ein wechselnde Akzente setzendes „ a b e r . . . " folgte. Gerade die Möglichkeit, von ihm fasziniert zu sein, wurde als seine Gefährlichkeit gesehen 45 . Dagegen schien hauptsächlich eine Strategie tauglich, die darauf zielte, ihm das Wort zu entziehen, um seine Wirksamkeit zu beschneiden. Kein Geringerer als Bundespräsident Theodor Heuss war es, der Carl Schmitt in diesem Sinne mit der vorangegangenen Epoche der elementaren Politik identifizierte, die mit fatalen Folgen versucht habe, sich von der Ethik zu trennen: „Vor ein paar Jahrzehnten ist das ,Wesen des Politischen' von Carl Schmitt in den dürftigen Formalismus des ,Freund-Feind'-Verhältnisses gepreßt worden. Die unendliche Vielfalt der Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen des politischen Lebens war damit abgedrosselt, indem die dynamische Spannung, die auch dazu gehören kann, isoliert und im Akzent überhöht wurde, jene unendliche Vielfalt, die nicht bloß auf das Freund-FeindVerhältnis blickt, sondern dorthin schaut, wo über das Formal-Logische hinaus inhaltliche Substanz des öffentlichen Lebens gesehen wird, die Werte trägt und von Werten 42
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Zu Harlan Karsten Witte: Der barocke Faschist. Veit Harlan und seine Filme (in Karl Corino (Hg.): Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, Hamburg 1980, S. 150-164). Dazu Werner Kraushaar: Das Kesseltreiben (in: Die Zeit, Nr. 34, vom 14. August 1992, S. 62). Eine an Symbolismen reiche Zeit - Ausdruck einer „Reduktion von Komplexität" (Niklas Luhmann) — läßt wahrscheinlich umgekehrt Rückschlüsse auf den Grad der Komplexität zu, in der sich die gesellschaftliche Konfiguration insgesamt befindet. Diese Sicht auf repräsentative, stellvertretende „Fälle" entsprach übrigens Schmitts eigener Wahrnehmung, und er sammelte nicht nur die Berichte zur eigenen Person, sondern auch Stellungnahmen zu Veit Harlan, Werner Krauss, Kurt Ziesel, Hans Globke etc. (vgl. das Notizheft HSTAD RW265-61, Mat.-Nr. 15). „Wäre Carl Schmitt nur ein opportunistischer Apologet der Tyrannis gewesen, so würde ihm gegenüber Schweigen heute wohl das angebrachteste sein." Manfred Friedrich: Unvereinbar: Recht und Macht (in: Die Welt der Literatur vom 24. Juni 1965, S. 327).
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getragen wird, die ihrem Wesen nach transzendent sind." 46 Theodor Litt sekundierte dieser Auffassung: „Man wird also im Gegensatz zu Schmitt sagen dürfen, daß der wahrhaft politische' Kampf insofern gerade nicht ein ,existenzieller' ist, als es in ihm auf Herstellung eines Zustandes abgesehen ist, der die Freund-Feind-Relation für weite Bereiche außer Kraft setzt und durch friedliche Beziehungen ersetzt." 47 Die symbolische Stigmatisierung Carl Schmitts in diesem von Heuss und Litt vorexerzierten Sinne wurde in der Folgezeit zum Initiationsakt einer veränderten politischen Kultur in der frühen Bundesrepublik 48 . Sie war Teil der „Bonn ist nicht Weimar"Rhetorik, die etwas um so Beschwörenderes hatte, als die personellen und strukturellen Kontinuitäten nicht zu übersehen waren 49 . Das Buch gleichen Titels des schweizerischen „Monat"-Redakteurs Fritz René Allemann wurde mit Erleichterung und Stolz
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Theodor Heuss: Politik und Ethik (in: Rheinischer Merkur, 6. Jg., Nr. 12, vom 16. März 1951, S. 2). Der Hinweis auf Schmitt fand sich gleichsam als Argumentationsbaustein bereits 1949 in der „Wandlung" („Ein Streitgespräch", S.245) und wurde von Heuss mehrfach wiederholt (vgl. in: Universitas, 8.Jg., Heft9/1953, S.911). Vgl. dazu die Bemerkung von Günter Maschke: Der Tod des Carl Schmitt (Wien 1987, S. 68f., Anm. 115). Theodor Litt: Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes (in: Beilage zu „Das Parlament" vom 27. Januar 1954, zit. nach Rolf Badke: Feind oder Gegner? Bemerkungen zum Begriff des Politischen nach der Theorie Carl Schmitts, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 9. Jg. (1958), S. 686-695, hier S. 693). Litt führte aus, daß der „Begriff des Politischen" eine Schrift gewesen sei, „in der das kämpferische Ethos des Nationalsozialismus sich in Gedankenform wiederfand und die daher für einen großen Teil der akademischen Jugend zum Kanon des politischen Verhaltens werden konnte". Badke weist zusätzlich darauf hin, man solle niemals vergessen, daß diese existenzielle Theorie der Politik Millionen von Staatsfeinden in die Gasöfen von Belsen und Auschwitz gebracht habe (ebd., S. 694). Die fast stets mit beschwörendem Unterton versehenen Anrufungen des Namens Carl Schmitt im Bonner politischen Apparat lassen sich immer wieder belegen — bis zu Distanzierungen durch Franz Josef Strauß (vgl. Johannes Gross: San Casciano im Sauerland. Zum 75. Geburtstag des bekannten Rechtslehrers Carl Schmitt, in: Deutsche Zeitung, Nr. 157, vom 11. Juli 1963, S. 3) oder Erich Mende (s. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Protokoll der 225. Sitzung vom 27. März 1969, S. 12379). Für die polemische Sprengkraft noch 1966 steht die durch mehrere Zeitungen gehende (und vom DDR-„Graubuch" begierig aufgegriffene) Unterstellung Thomas Dehlers vom 15. Dezember 1966, Schmitt sei der „heimliche staatsrechtliche Berater der Bundesregierung" (s. Volkmar Hoffmann: Thomas Dehlers Worte wirkten wie ein Orkan, in: Frankfurter Rundschau, Nr. 292, vom 16. Dezember 1966, S. 3). Die gleiche Spitze hatte bereits 1952 Adolf Arndt gegen die Regierung gerichtet und Schmitt gar zu deren „Hauptsachverständigen" erklärt (Deutscher Bundestag, 23. Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, Wörtliches Protokoll der 209. Sitzung vom 10. Oktober 1952, S. 4 u. 10). Siehe den ersten Forschungsbericht der Hamburger Studiengruppe um Arnold Sywottek (Axel Schildt/Arnold Sywottek: ,Wiederaufbau' und Modernisierung'. Zur westdeutschen Gesellschaftsgeschichte in den fünfziger Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 6 - 7 / 1989, S. 18-32), die bestätigen, die politische Kultur der 50er Jahre habe eher auf die 20er und 30er Jahre zurück- als in die 60er und 70er Jahre vorausgewiesen.
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aufgenommen; und der Ausruf avancierte zur Leitformel aller staatsrechtlichen und -politischen Bemühungen des Jahrzehnts. Doch blieb Carl Schmitt als Menetekel abwesend-anwesend in allen Bemühungen, die geistigen Grundlagen des liberalen, parlamentarischen und demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik zu festigen. Die sinnbildliche Verwendung seines Namens als Anti-Demokrat par excellence fügte sich in den Anti-Extremismus und Anti-Totalitarismus, der als Gegenbild zur „Wirklichkeit" Schmitts sein politisches Wesen auf wirtschaftliche Prosperität, Partnerschaft, Solidarität, Toleranz, Gewaltverzicht, Konsens und Konfliktvermögen zu gründen suchte 50 . „Politischer Extremismus war nicht mehr gefragt" 51 , und v. a. der Aufbau eines anti-totalitären Konsenses (durch die „Freiheitlich-demokratische Grundordnung") sollte Bonn von Weimar unterscheiden, dessen Untergang man vor allem seinem Fehlen zuschrieb. Die „politische Bildung" sollte diesen Aufbau flankieren: „Gemeinschaftskunde" wurde zum Schulfach, die „Bereitschaft zum Kompromiß" ihr Lernziel. Ein ausgeprägter Pragmatismus in politischen Fragen wurde gepflegt, der vor politischen Experimenten und Extremismen zurückscheute. Die grundlegende Orientierung des Politischen schien wie ausgewechselt und „1945" als Wasserscheide zweier Epochen, deren vorherige in den Kategorien Krieg, Nationalismus, Gewalt und Terror dachte, in deren gegenwärtiger aber der „Imperativ des Friedens" 52 galt, gestützt durch die Erziehung
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Vgl. Johannes Gross (Vom Feind und der Feindschaft. Carl Schmitt: ,Der Begriff des Politischen', in Günther Rühle (Hg.): Bücher, die das Jahrhundert bewegten, Frankfurt/M. 1980, S. 75—83): das Buch habe nicht in Zeit der 50er Jahre gepaßt. Es wäre zu fragen, inwieweit das Begriffspaar „Konsens und Konflikt" eine politische Theorie der „Freundschaft/Feindschaft" substituierte (vgl. Günter C. Behrmann: Artikel „Konsens und Konflikt", in Wolfgang W. Mickel (Hg.): Handlexikon zur Politikwissenschaft, Bonn 1986, S. 253—259 sowie Vilmos Holczhauser: Konsens und Konflikt. Die Begriffe des Politischen bei Carl Schmitt, Berlin 1990). Jetzt hat noch einmal Bernd Weisbrod (Gewalt in der Politik. Zur politischen Kultur in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 7/1992, S. 391-404) Carl Schmitt in die Wegbereitung einer zunehmenden Akzeptanz illegaler politischer Gewalt gestellt. 51 Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer 1949-1957 (Stuttgart 1981, S. 431). Dazu Kurt Sontheimer (Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1968, S. 13): „Die Weimarer Republik ging nicht zuletzt daran zugrunde, daß es ihr nicht gelang, ein eigenes Staatsbewußtsein zu entwickeln [...], das sich an die demokratische Republik gebunden fühlte und mit ihr im Einklang wußte." Und Carl Schmitts Abhandlungen hätten ohne Zweifel dazu beigetragen, „den Glauben an die Weimarer Verfassung und den Willen zu ihrer Verteidigung zu untergraben[...]. Wem die liberale, das heißt: die freiheitliche Demokratie am Herzen liegt, der braucht Carl Schmitt nicht." (Ders. : Der Macht näher als dem Recht. Zum Tode Carl Schmitts, in: Die Zeit, Nr. 17, vom 19. April 1985, S. 7.) 52 Hans-Adolf Jacobsen: Vom Imperativ des Friedens. Anmerkungen zu einigen Lehren aus der Geschichte des Dritten Reiches (in Ursula Büttner (Hg.): Das Unrechtsregime, Bd. 2, Hamburg 1986, S. 451-474).
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zur Achtung von Recht und Menschenwürde und begleitet vom - inneren - Abbau von Feindbildern. Dem zweiten Versuch einer demokratischen Gesellschaft sollte nach dem Willen der Alliierten und dem der meisten deutschen Politiker darüber hinaus mehr Zeit gewährt werden 53 . Das Mißtrauen in die politische Urteilskraft des „Volkes" hatte sich in institutionellen Vorkehrungen des Grundgesetzes niedergeschlagen. Der die Verfassung flankierende Geist sah sich darüber hinaus gezwungen, gewisse Tabuzonen zu errichten, um die Festigung der (noch) labilen Grundlagen des politischen Systems zu gewährleisten. Sie schienen aus den Erfahrungen der unmittelbaren und der näheren Vergangenheit gewonnen und waren um so leichter durchzusetzen, als die Systemkonkurrenz zum parallel existenten „totalitären" Staat DDR ständiges Anschauungsmaterial lieferte. Carl Schmitt galt als Repräsentant derjenigen Kräfte, die ein auf noch schwankenden Beinen stehendes demokratisches Staatswesen systematisch unterminiert hatten. Er hatte seine Finger auf deren wunde Punkte gelegt und dazu beigetragen, den „demokratischen Grundkonsens" zu torpedieren, der allein - so die Schlußfolgerung aus einer der wirkungsvollsten Analysen zum Ende Weimars - die erste Republik hätte retten können und der nun für die zweite erst aufgebaut werden mußte; ein Intellektueller, der mit Legitimitäts- und Legalitätsfragen umstandslos hantierte, mußte als „gefährlich" gelten. Nicht seine Hitler-Hagiographie und also der „Nazi" Schmitt, sondern das FreundFeind-Theorem des „Totengräbers von Weimar" war daher der Grund des Anstoßes, den man zu dieser Zeit an ihm nahm 54 . Als Theoretiker des Ausnahmezustandes stand er gegen den beschworenen Zustand der Normalität. Möglich auch, daß eine gewisse „peinliche Nähe" der Konzeption der streitbaren Demokratie 55 zu Schmitts verfassungspolitischen Vorstellungen sowie Schmitts — vom Grundgesetz geteilten — Miß-
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Nach einer weitverbreiteten Weimar-Analyse war die erste deutsche Republik zu früh, zu unorganisch gegründet worden (vgl. z . B . Ernst-Wolfgang Böckenförde: Weimar - Vom Scheitern einer zu früh gekommenen Demokratie, in: Die öffentliche Verwaltung, 34. Jg., Heft24/1981, S. 9 4 6 - 9 4 9 ) ; vgl. auch Dolf Sternberger: Grund und Abgrund der Macht (Frankfurt/M. 1962, S. 225): „O diese fürchterliche historische Ungeduld!" eines Carl Schmitt, der schon vier Jahre nach der Konstituierung der Weimarer Republik dieser ihr grundsätzliches Scheitern vorgerechnet habe.
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Von „Feinden" sprach man nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit denen, die mit der Prägung des Begriffes identifiziert wurden, nämlich den „Feinden der Demokratie" (vgl. die DGB-Publikation gleichen Titels) und später von den „Verfassungsfeinden" (s. Wilhelm Bleek: Verwaltung und öffentlicher Dienst, in Wolfgang Benz (Hg.): Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Frankfurt/M. 1989, S. 151-180, hier S. 168 mit Rekurs auf Schmitt).
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Dazu Johannes Lameyer: Streitbare Demokratie (in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Neue Folge 30, 1981, S. 147ff.); s. auch unten: Carl Schmitt und das Grundgesetz.
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trauen gegenüber dem Volk dazu führten, ihn zu tabuisieren 56 . Indem (wie Heuss es tat) Schmitts Freund-Feind-Denken zu einer Chiffre „primitiven" politischen Denkens deklariert wurde, von dem man sich abgewendet habe, konnte eine pluralistische Wahrnehmung sozialer und politischer Phänomene um so überzeugender als Ausbildung von „politischer Kultur" und als Angleichung an den zivilisatorischen Standard des Westens erscheinen. Kurz, mit Schmitt versuchte man sich vom „deutschen Sonderweg" endgültig zu verabschieden. Wie sollte das geschehen? Im April 1952 verständigten sich der Soziologe Ludwig Yehuda Oppenheimer und der Pädagoge Karl Thieme darauf, daß es gegen eine Politik legaler Machtergreifung nur eine Waffe gebe: „den unbeirrbaren Druck des Gewissens mutiger Männer auf Regierung und öffentliche Meinung". Der allein könne dem erneut drohenden Faschismus entgegenwirken. Thieme plädierte dafür, „vor allem in ein für allemal verpflichtender Form die wurzelhaften und durchaus nicht so ganz unbedeutenden Irrlehren eines Carl Schmitt" zu verwerfen. „Wenn damit nicht nur eine Lehre, sondern eine Schule, nicht nur eine ,Sache', sondern eine Person in Acht und Bann erklärt würde, so geschähe damit nur, was in diesem Falle längst hätte geschehen müssen"; es werde Zeit, die Sendung, die Erich Lüth 57 Veit Harlan gegenüber erfüllte, endlich auch gegenüber Carl Schmitt zu übernehmen 58 . Wenig später erschien in der katholischen Wochenzeitung „Michael" unter dem Titel: „Offensive des Gewissens. Gegen den Zynismus der Gestrigen" ein Artikel Thiemes, in dem er die Gefahr einer „Renazifizierung" beschwor - „Gerade in diesen Wochen läuft endlich auch eine Aktion an gegen das seit drei Jahren immer ungeniertere Wiederhervortreten des ,Kronjuristen', der Hitlers Massenmord vom 30. Juni 1934 mit der Etikette versehen hatte: ,Der Führer schützt das Recht', der [...] Kollegen als zu judenfreundlich denunzierte - und jetzt hinterher öffentlich erklärt, daß er ,nichts zu bereuen' habe, Carl Schmitt." Bundespräsident Heuss habe gefordert, daß diejenigen Typen, „die gestern im Dienste des Hasses standen, heute schweigen müssen" 59 . 56
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So die Mutmaßung Peter Römers (Tod und Verklärung des Carl Schmitt, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 1990, S. 373-399, hier S. 386). Lüth war Leiter der Pressestelle des Hamburger Senats und hatte im Herbst 1950 dazu aufgerufen, Filme Harlans zu boykottieren. Ein Kinobesitzer klagte dagegen wegen Unterlassung; der Fall kam bis vor das Bundesverfassungsgericht, das die Meinungsfreiheit Lüths gegenüber den ökonomischen Interessen des Kinobesitzers feststellte. Das Urteil fand in Juristenkreisen starke Beachtung, weil das BVG hierbei den Grundrechtsteil des Grundgesetzes erstmals werthaft ausdeutete (vgl. Bernhard Schlink: Abwägung im Verfassungsrecht, Berlin 1976, sowie Ernst-Wolfgang Böckenförde: Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: Oikoiesis. Festschrift für Robert Spaemann zum 60. Geburtstag, Weinheim 1987, S. 1 - 2 1 , hier S. 17f.; aus Sicht der Opposition: Dieter Gosewinkel, Adolf Arndt, Bonn 1991, S. 493-499). Briefwechsel Oppenheimer - Thieme (in: Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem Alten und dem Neuen Gottesvolk - im Geiste der beiden Testamente, 4. Folge 1951-52, Nr. 16, S. 17f.). Michael vom 27. April 1952. Thieme bezog sich auf einen Vortrag Heuss' vom 7. März 1952. Es
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Noch deutlicher wurde Karl Thiemes Bruder, der Rechtshistoriker Hans Thieme, in einer Reaktion auf das Buch des rechtsnationalen Verlegers Herbert Grabert. Dieser hatte seinen Mahnruf „Hochschullehrer klagen an"60 u. a. mit einer namentlich nicht spezifizierten Beschreibung von Schmitts Nachkriegsschicksal veranschaulicht: es handele sich um einen „Mann von Goetheschem Format", der „der Möglichkeit eines Freitodes [...] entschlossen und klar ins Auge" sähe: „Er widersteht, um sich trotzdem durchzusetzen. Kommenden Geschlechtern ein Beispiel für Größe und Standhaftigkeit in der Not."61 Thieme fand diese Heroisierung unzumutbar und schrieb - ebenfalls ohne Namensnennung — dem so Beschriebenen zu, er habe dazu beigetragen, „daß Millionen eine Lagerexistenz führen mußten und der Wirklichkeit des Gastodes ausgeliefert wurden"62. Damit waren - im Positiven wie im Negativen - die extremsten Punkte der Auseinandersetzung bezogen und die Polarisierung über Carl Schmitt nahezu unhintergehbar geworden63. Als im Februar 1953 der Vorsitzende des „Notverbandes vertriebener Hochschullehrer" Carl Schmitt bat, seiner Vereinigung beizutreten, erwiderte Schmitt, er „habe das Schicksal des verdrängten und politisch verfolgten deutschen Hochschullehrers bis zur Hefe gekostet"; seine Bedenken, dem Verband beizutreten, gründeten in der „ganz exzeptionellen Feindschaft", mit der er „von einflußreichen Persönlichkeiten des heutigen Lebens" verfolgt werde, Persönlichkeiten, auf die auch sein Verband Rücksicht zu nehmen habe; es sei zwar niemals formell Anklage gegen ihn erhoben worden: „Statt
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ist nicht ganz klar, welche Aktion außer dem Artikel, in dem sie angekündigt war, hier gemeint ist. Erschienen Tübingen 1952. Dort wurde u. a. festgehalten, daß die deutsche Wissenschaft „eine Zierde der Weißen Rasse gewesen" sei (S. 15f.). Grabert machte sich als Verleger und Schriftsteller (Pseudonym Hugo C. Backhaus) einen Namen, v. a. als publizistische Speerspitze der „amtverdrängten Hochschullehrer", für die er die „Mitteilungen für den 131er Hochschullehrer" (später „Deutsche Hochschullehrer-Zeitung") herausgab. Ebd., S. 59f. Der ganze Abschnitt basiert auf einer schwachen (und ζ. T. falschen) Paraphrase des Artikels „Hexenverfolgung. Der Fall Carl Schmitt. Charaktermord" (in: Der Fortschritt vom 25. Januar 1952). Die Möglichkeit eines Selbstmordes hatte Schmitt im „Gesang eines Sechzigjährigen" angedeutet und in „Ex Captivitate Salus" eine sympathetische Spekulation über den Freitod Heinrich von Kleists angestellt (Ex Captivitate Salus, Köln 1950, S. 35—54). Hans Thieme: Hochschullehrer klagen an (in: Deutsche Universitätszeitung vom 7. April 1953, S. 4 wo er des weiteren etwas dunkle Hinweise auf Machenschaften gewisser Hochschullehrer im ,Dritten Reich' — Denunziationen, eigene uk-Stellung usw. — gibt). Allenfalls die redaktionelle Vorbemerkung zu Karl E Borries: Der Advokat des Faschismus. Die faschistische Staatsideologie im Werke Carl Schmitts (in: Aktion, hg. von Margarete Buber-Neumann, Frankfurt, Nr. 5, Juli 1951, S. 12—19, hier S.12) erreichte eine ähnliche Schärfe: Schmitt könne wieder ungehindert das Wort führen und sei mit „Ex Captivitate Salus" angeblich zu einem katholischen Schriftsteller von Rang geworden: „Wir hoffen, daß die Lebensbeichte des vor kurzem hingerichteten Massenmörders Oswald Pohl, ,Credo. Mein Weg zu Gott', ihm nicht allzuviel Konkurrenz machen wird".
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dessen ist unter der Hand ein Mythos ,Carl Schmitt' fabriziert worden, der mich jeder Diffamierung und Boykottierung ausliefert." Er schicke ihm den Prospekt „Nein und Ja" 64 , wobei „Nein" keine literarischen Unverbindlichkeiten darstellten, sondern „echte Waffen und echtes Gift zur Vernichtung eines Menschen [...], um einen klassischen Fall des Charaktermordes, dessen Niedertracht und Bosheit viel zu groß ist", als daß sich Kollegen dafür ernsthaft interessierten: „Gerade weil ich niemals eine unkollegiale Handlung begangen habe" und es „lächerlich" sei, ihm die Mitwirkung an verbrecherischen Handlungen vorzuwerfen, sei der Haß um so gefährlicher; die Schrift Graberts habe ihn selbst tief ergriffen 65 . Schmitt hatte (wie sein Tagebuch nachträglich ausweist66) sehr wohl erkannt, daß die Evokation seines Namens v. a. bei denjenigen ungute Erinnerungen weckte, die im ,Dritten Reich' zu den Verfolgten gehört hatten. So harmlos Schmitt sich in seinen Schriften der Nachkriegszeit gab - jede seiner Äußerungen konnotierte bei einigen seiner Zeitgenossen unweigerlich die Folgen, die aus ähnlichen Bemerkungen Schmitts im ,Dritten Reich' erwachsen waren. Dieser Zusammenhang, ob in der historischen Kausalität berechtigt oder nicht, erschien auch und gerade mit Bezug auf seinen Antisemitismus um so zwingender, als sich Schmitt so nachdrücklich einer „Revision" seiner Standpunkte verweigerte. Die beiderseitige Sensibilität konnte sich daher gegebenenfalls stark vermittelt äußern. An Hans Paeschke schrieb Schmitt jedoch 1949 offen: „Nennen Sie aber [Karl Löwith gegenüber, V.L.] keinesfalls meinen Namen; die Emigranten sind unberechenbar und meistens potentiell geistesgestört in moralischer Hinsicht; sie sind durch Rechthaberei und berechtigte moralische Entrüstung ausser sich und ausserhalb des Menschlichen geraten und die Berechtigung ihres Affektes verhindert ihre Rückkehr zu sich selbst und zur Vernunft. Ich weiss nicht, ob das für Karl Löwith gilt, von dem ich seit 1933 nichts mehr gehört habe, aber man muß heute mit allen solchen Möglichkeiten rechnen, und ich habe keine Lust, die Hassaffekte dieses Menschentyps zusätzlich zu 64
Unter dem Titel „Carl Schmitt: Nein und Ja" war 1951 auf Veranlassung Schmitts (der jede ihn betreffende Äußerung peinlich genau registrierte und sammelte) ein Prospekt gedruckt worden, der die ihm am wichtigsten erscheindenden Stellungnahmen zu seiner Person zusammenfaßte. Die Broschüre ließ er vom Greven-Verlag nicht nur an seine Freunde und Bekannten, sondern auch an seine Gegner verteilen (s. Teil-Abdruck im Artikel Giselher Wirsings: Carl Schmitt - zwischen gestern und morgen, in: Christ und Welt vom 24. Januar 1952, S. 8).
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Brief vom 3. Februar 1953 an Schmitt, Antwort Schmitts vom 5. Februar 1953 (HSTAD RW265—220, Nr. 474, 475). Der Vorsitzende antwortete auf diese Lagebeurteilung am 17. Februar 1953: er sei tief erschüttert, Graberts Schrift hätte in der Tat diesen seelischen Aspekt der amtsverdrängten Hochschullehrer in den Vordergrund stellen müssen (HSTAD R W 2 6 5 - 2 2 0 , Nr. 477).
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Besser als andere Schriften belegt das „Glossarium" (Berlin 1991), wie sich hinter den von Schmitt eingeforderten Rücksichten und Tabus auch Gesprächsverweigerung, ja Gesprächsunfähigkeit verbergen konnte - besonders den, „Emigranten" benannten, Juden gegenüber (vgl. ebd., S. 51, 90f., 115, 232, 265).
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4. Kapitel - Sicherheit
den bereits überstandenen Verfolgungen auf meine arme Person zu lenken. Ich bin von dem taedium fugae erfüllt und halte mich an den antiken Satz: non possum scribere de eo potest proscribere." 67 Tatsächlich sprachen sich später im „Merkur" nach einer Veröffentlichung Schmitts Leser und Autoren der Zeitschrift offenbar lebhaft gegen den (Ko-)Autor aus 68 . Und auch in anderen Medien regte sich Widerstand, so in der „Zeit", zu der Schmitt über Richard Tüngel und Walter Petwaidic seit 1952 gute Beziehungen unterhielt. Ihren Leitartikeln hatte er schon einmal mit Stellungnahmen „zugearbeitet" 69 . Als Tüngel im Juli 1954 jedoch einen Schmittschen Radiotext 70 veröffentlichte, erhob Marion Gräfin Dönhoff beim Herausgeber energischen Einspruch. Wenn heute ein Mann wie Schmitt als Berater in verfassungsrechtlichen Fragen herangezogen werde, so die Journalistin, „dann hat's geklingelt". Sie drohte mit ihrem Abschied aus der Redaktion und obsiegte in einem sich anschließenden Kräftemessen vor dem Herausgeber gegenüber Tüngel, der daraufhin seinerseits protestierend und prozessierend aus der Redaktion ausschied 71 . Schon die Nennung von Schmitts Namen konnte in den 50er Jahren provozieren; sie wurde zu einem polarisierenden Versatzstück innerhalb politischer Auseinandersetzungen der frühen Bundesrepublik. Für die Verwendung als Chiffre eines Denkens, das schon in seinen Grundlagen fragwürdig und besorgniserregend und dessen konsequenter Endpunkt das ,Dritte Reich' gewesen sei, Beispiele aus der Tagespublizistik: - „Die von dem Staatsrechtler Carl Schmitt vor zwei Jahrzehnten entwickelte Kennzeichnung des Politischen als eines Freund-Feind-Verhältnisses hat entgegen der 67
Schmitt an Paeschke am 4. Juli 1949 (Deutsches Literatur-Archiv Marbach, Merkur-Redaktionsarchiv); abgedruckt auch im „Glossarium" (1991, S. 252). 68 Für den Hinweis von Rolf Schroers (in: Meine deutsche Frage, Stuttgart 1979, S. 174), der Abdruck von Schmitts Artikel (Die Einheit der Welt, in: Merkur, Heft 1/1952, S. 1-11) habe einen von 80 „Merkur"-Autoren unterzeichneten Brief evoziert, die im Falle der Wiederholung ihre Mitarbeit aufzukündigen drohen, ließ sich jedoch keine weitere Bestätigung finden. Wohl kommentierte Hans Paeschke Schmitts Nachfrage, er hoffe, der „Merkur" habe hoffentlich nicht allzu viel Ärger mit der Veröffentlichung seines Artikels gehabt, mit der Bemerkung: „Denkste!" (Randbemerkung zum Brief Schmitts an Paeschke vom 27. Februar 1952, Deutsches Literatur-Archiv Marbach, Merkur-Redaktionsarchiv). 69 So erstellte Schmitt ein Exposé zu Art. 9 Abs. 2 GG (HSTAD RW265-323, Mat.-Nr. 5), das ζ. T. wörtlich Niederschlag fand in dem Artikel von W. Fredericia (= Petwaidic): Was darf die Polizei verbieten? (in: Die Zeit, Nr. 42, vom 16. Oktober 1952, S.3). Vgl. auch den gegen Adolf Arndt gerichteten Hinweis auf Schmitt bei Richard Tüngel: Wir treiben in eine Staatskrise (in: Die Zeit, Nr. 49, vom 4. Dezember 1952, S. 1, dazu ein Leserbrief von Ehrenfried Schütte, in: Die Zeit, Nr. 2, vom 8. Januar 1953, S. 18; Schütte hatte Schmitt 1952 zu einem Vortrag vor dem „Club zu Bremen" eingeladen). ™ Carl Schmitt: Im Vorraum der Macht (in: Die Zeit, Nr. 30, vom 29. Juli 1954, S. 3). 71 S.Gerd Bucerius: ZEIT-Geschichte — wie sie uns in Atem hielt (in: Die Zeit, Nr.8, vom 21. Februar 1966).
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Absicht des Autors dazu beigetragen, dem Totalitarismus den Weg zu ebnen. Sein fast gleichnamiger Kollege Carlo Schmid läuft heute Gefahr, in vermeintlichem Realismus mit einer anderen These das gleiche zu bewirken." 7 2 - „Die Verteidigungsbündnisse legen die Räume fest, die gesichert werden sollen. Sie bestimmen Freund und Feind. Dulles ist der markanteste lebende Praktiker der berühmten Freund-Feind-Theorie, in der nach Carl Schmitt der Begriff des Politischen seinen Angelpunkt hat." 7 3 - „Aber wenn sie auch gleich denken, sie fühlen nicht gleich. Walter Lippmann schrieb das über das Verhältnis von Eisenhower und Dulles. Es gilt Wort für Wort auch für Adenauer und Brentano. Adenauer liebt die Freund-Feind-Theorie des in nationalsozialistische Vergangenheit geratenen Staatsrechtlers Carl Schmitt. Brentano sucht die Verständigung, sieht in den Sozialdemokraten den Gegner, nicht den Feind." 7 4 - „Zweimal haben ,Halbstarke' aktiv in die deutsche Geschichte eingegriffen. Einmal 1819 [...] und zum andern Mal hundert Jahre später, als sie die völkischen Kampfbünde aufzogen. Salomons Bücher haben eine so hohe Auflage, daß das Faktum eigentlich bekannt sein müßte. Auch genießt der Professor, der aus ihrer ,Hau mich oder ich steck dich'-Moral ein universales staatsrechtliches Prinzip zurechtbastelte, noch heute in vielen Kreisen das Ansehen eines Menschen von .wahrhaft goethischem Range'. Wo das nicht gesehen wird, ist's nicht die Schuld der Halbstarken.. ," 7 5 - „Es scheint, als ob die in der nat.soz. Episode unserer Geschichte beliebte Definition des Politischen als einer Destinktion von Freund und Feind weder mit Adolf Hitler in den Trümmern der neuen Reichskanzlei untergegangen, noch mit ihrem Erfinder Carl Schmitt in den Ruhestand getreten ist. Denn diese Definition ist die Definition des Politischen in der spektakulären Ausnahmesituation des Weltbürgerkrieges, dessen eine Form von Ausprägung der kalte Krieg darstellt." 7 6 - „Auch der Herr Bundeskanzler möge mal darüber nachdenken, ob und inwieweit er, selbstverständlich ohne Schüler Carl Schmitts zu sein, diese Theorie praktiziert." 7 7
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Leitartikel der Wirtschaftsseite von Hans Ilau: Sozialpartner und Parlament (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Februar 1951) — im Zusammenhang mit dem hessischen Sozialisierungsstreit wandte sich Ilau später allerdings selbst an Carl Schmitt (Brief vom 15. Juni 1955, HSTAD RW265-112, Nr. 71). Leitartikel von Conrad Ahlers: Schmerzhafte Überprüfung (in: Die Welt vom 23. Januar 1956). Ungezeichnet: Der gefesselte Minister (in: Die Welt vom 30. Juni 1956). Harry Pross: Die Flucht in die Bande. Moped-Jugend und die Frage der Autorität (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 228, vom 29. September 1956, Beilage „Bilder und Zeiten"); das Zitat vom „goetheschem Format" bezog sich auf das Buch von Grabert, s. oben; s. auch H.Pross: Über Vor- und Nachnazismus (in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 12. Jg., Heft8/ 1961, S. 452—461, wo er S. 457 zwischen Carl Schmitt und Adolf Eichmann nur „Nuancen" in der Begrifflichkeit sah). Willi Weyer: Die Geschichte wägt nur die Resultate (in: Das freie Wort, Nr. 13/1958 vom 28. März 1958, S. 1; „Das freie Wort" war ein Organ der F D P und erschien in Bonn). August Dresbach: Der Benimm im Bundestag (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 179, vom 6. August 1958, S. 2). Selbst Wilhelm Grewe setzte sich von Schmitt ab und hielt Adolf
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4. Kapitel — Sicherheit
Schmitt identifizierte sich mit diesen Zuschreibungen und hatte selbst ein durchaus ambivalentes Verhältnis dazu; er konnte also auch eine gewisse Lust und ein spöttisches Vergnügen daraus ziehen. Sicherlich ist er hier und dort auch zum Objekt von Projektionen derjenigen geworden, die selbst Ursache hatten, über Verantwortung nachzudenken. In ihm hatte sich die Verführbarkeit der Macht (konkreter: die Verführbarkeit während der Aufbruchszeit des ,Dritten Reiches') personifiziert, die in vielen selbst gelauert hatte 78 . Schmitt hatte die eigene Ambivalenz, die abgewehrte Faszination für die „Bewegung" ausgelebt und war nun zu einem Menetekel einer solchen Disposition geworden. Sein Scheitern im ,Dritten Reich' bestätigte die These von der Nutzlosigkeit aller Anpassung und Gleichschaltung 79 . Auch in Erinnerungen von Zeitgenossen, die seit dem Ende des Krieges erschienen, tauchte Schmitt regelmäßig im Zusammenhang von „Gefährdung und Verführbarkeit des Geistes" auf. Immer ließ sich mit ihm der bürgerlichen Rückschau auf „Begegnungen" ein besonders schillernder Typ hinzufügen, dessen „Konversion" stets herausgestrichen wurde: so bei Ernst Niekisch 80 , Moritz Julius Bonn 81 , Elias Hurwicz 82 , TheoArndt 1951/52 vor, er begebe sich auf die „gefährliche Bahn, die in der deutschen staatstheoretischen Literatur mit dem Begriffe des Politischen von Carl Schmitt beschritten worden ist [...]. Die Konsequenz dieser Theorie ist die totale Politisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens" (Manuskript eines Vortrages vor dem BVG, zit. bei Gosewinkel: Adolf Arndt, 1991, S. 273). 78 Vgl. Jürgen Seifert (Theoretiker der Gegenrevolution, in: Kritische Justiz, 18. Jg. (1985), S. 193-200, hier S. 193: an Schmitt werde das Verhältnis von Recht und Nationalsozialismus stellvertretend diskutiert, er habe den Haß eines Überläufers auf sich gezogen und durch das Betreiben seiner Rehabilitation zusätzlich provoziert). Auch Bernhard Schlink (Why Carl Schmitt?, in: Rechtshistorisches Journal, 1991, S. 171) unterstützt die Sichtweise, der von Schmitt vertretene Dezisionismus sei wie der von Kelsen vertretene Positivismus gleichsam „Prügelknabe" derjenigen gewesen, die „die im Dritten Reich gepflegten Varianten substanzhaften, geschichtlichen, institutionellen oder auch dialektischen, Hegeischen Rechtsdenkens ihrer nationalsozialistischen Konnotation entkleidet" weitergepflegt hätten. 79 Vgl. die Bemerkungen Heinz Hürtens über die „Haßliebe", die offenbar Waldemar Gurian zu Schmitt empfunden hatte (in Heinz Hürten: Waldemar Gurian. Ein Zeuge der Krise unserer Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Mainz 1972, S. 13, 120). 80 Deutsche Daseinsverfehlung (Berlin 1947, v. a. S. 82: der „Begriff des Politischen" habe die „politische Methodik des Bestialismus" entwickelt, „die dann von der SA und noch buchstäblicher von der SS in die Praxis umgesetzt wurde", sowie ders.: Das Reich der niederen Dämonen, Hamburg 1953, unter die er auch Carl Schmitt zählte, der am „Stürmer" abgelesen habe, „bis zu welcher geistigen Stufe sie sich hinunterzuschrauben hatten" (ebd., S. 189). Schmitt war, nach Niekisch, ein „geistiger Quartiermacher, der sich durch seine Vorsorge und Umsicht die Dankbarkeit jedes einzelnen Stadiums der großen bürgerlichen Restaurationsbewegung erwarb und der sich dabei selbst jedesmal vorteilhaft placieren konnte" (ebd., S. 199). 81 So macht man Geschichte (München 1953, hier S. 330-332). 82 Aus den Erinnerungen eines Abseitigen (in: Hochland, 45. Jg., Juni 1953, S. 446-554, zu Schmitt S. 452f.).
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dor Heuss 83 , Carlo Schmid 84 , Josef Pieper 85 , Harry Graf Kessler 86 , Ferdinand A. Hermens 87 , Arnold Brecht 88 oder Hans Mayer 89 . Immer wurde Schmitt als schwankender, unsteter Charakter und als gefährlich dargestellt: ein im Irrgarten der Politik umhertaumelnder Intellektueller. Aber noch für ein anderes Thema wurde Schmitt zum Exempel, für das Verhältnis von Staat und Gehorsam, von Macht und Gewissen, für das Verhältnis von Recht und Politik.
3. Recht und Politik Der große Heidelberger Rechtslehrer und frühere Weimarer Justizminister Gustav Radbruch hatte 1946 die Formel vom „gesetzlichen Unrecht" geprägt, dem das Volk keinen Gehorsam schulde 90 . Es gebe ein „übergesetzliches Recht", dem auch der Jurist verpflichtet sei. Die im deutschen Rechtsdenken stark vertretene und hier angegangene rechtspositivistische Auffassung bot aber zugleich eine Brücke, über die sich die Justiz von der Verantwortung für die terroristische Struktur des NS-Regimes weitgehend freisprechen konnte. Analog zur Beamtenrechtsdiskussion konnte argumentiert werden, für die gesetzlichen Pervertierungen sei allein die politische Führung des ^ r i t ten Reiches' verantwortlich gewesen. In rechtsphilosophischen Schriften wurden dagegen Bedenken erhoben: mit Radbruch wurde der Positivismus als wehrlos gegenüber politischen Neu- und Umdeutungen erkannt, als Rechtsstandpunkt, der der normativen Kraft eines pervertierten Fakti-
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Erinnerungen 1905—1933 (Tübingen 1963, S. 302—304: „... der sich auf seiner Lebenswanderung der ärgerlichen Last des Gewissens entledigt hat"). 84 Erinnerungen (Bern u. a. 1980, v. a. S. 140f.). Schmid kannte Carl Schmitt seit den 20er Jahren und war ihm auch während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich begegnet. Beider Schüler war Gustav von Schmoller gewesen, der später das Tübinger „Institut für Besatzungsfragen" leitete. 85 Noch wußte es niemand. Autobiographische Aufzeichnungen 1904—1945 (München 1976, hier S. 196—199 — zur späten Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit). 86 Tagebücher 1918-1937, hg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli (Frankfurt/M. 1961, S.676f., der Schmitts Abfinden mit dem Nationalsozialismus schon auf 1932 datiert). 87 Begegnungen im Dritten Reich (in: Hochland, 59. Jg., 1966/67, hier S. 337-347). 88 Mit der Kraft des Geistes. Lebenserinnerungen. Zweite Hälfte: 1927-1967 (Stuttgart 1967, hier S. 201-204). 89 Ein Deutscher auf Widerruf. ErinnerungenI (Frankfurt/M. 1982, hier S. 140-151: Carl Schmitt und Hans Kelsen, dessen Assistent Mayer vorübergehend gewesen war). 90 Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (in: Süddeutsche Juristenzeitung, 1946, S. 105); vgl. die daran anschließende rechtsphilosophische Studie von Hans Welzel: Vom irrenden Gewissen (Tübingen 1949). Zur Formel Radbruchs jetzt Horst Dreier: Die Radbruchsche Formel - Erkenntnis oder Bekenntnis? (in: Staatsrecht in Theorie und Praxis. Festschrift für Robert Walter, Wien 1991, S. 117-135).
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4. Kapitel — Sicherheit
sehen nichts entgegenzusetzen gehabt hatte. Statt dessen lebte eine Debatte um das Naturrecht wieder auf 91 , die nach einer stabilen Begründung des Rechts in Gerechtigkeit und überzeitlichen Werten suchte. Der dabei immer wieder zu beobachtende allzu rasche Rückgriff auf religiöse Fundierungen aber forderte freilich gleichfalls zum Widerspruch heraus 92 . Begleitend wurde ein eher stiller, aber anhaltender Diskurs über das Verhältnis des Juristen zur Politik geführt. Dieser war Teil der Rückbesinnung auf das traditionelle Berufsethos der „Wahrer des Rechts" 93 , das, anders als im .Dritten Reich', seine Maßstäbe Grundlagen schuldet, die der Politik weitgehend entzogenen sind, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Schmitt hatte zu Beginn des ,Dritten Reiches' als führender Funktionär die politische Ausrichtung der Rechtspraxis vehement betrieben und mit der Konzeption eines „konkreten Ordnungsdenkens" einen rechtsphilosophischen „Überbau" nachgereicht 94 . Nun wurde er in dem Prozeß der erneuten Scheidung von Recht und Politik zum Beispiel für jemanden, der die sachliche und unparteiische Selbsteinschätzung der Juristen gefährdet, wenn nicht langfristig diskreditiert hatte 95 . Schmitts früherer Schüler Ernst Friesenhahn trat im November 1950 sein Rektorat an der Bonner Universität mit einem Vortrag an, der sich das Verhältnis von „Staatsrechtslehrer und Verfassung" zum Thema gesetzt hatte 96 . Er stellte Überlegungen an
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Hans Dieter Schelauske: Naturrechtsdiskussion in Deutschland. Ein Überblick über zwei Jahrzehnte: 1945-1965 (Köln 1967). Eine neuere Übersicht zu dieser Kritik bei Franz Böckle/Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hg.): Naturrecht in der Kritik (Mainz 1973, u.a. mit Beiträgen von Rainer Specht, Niklas Luhmann und Robert Spaemann). Vgl. Karl Siegfried Bader: Die deutschen Juristen (in: Deutsche Rechts-Zeitschrift, 1. Jg., Heft 2/August 1946, S. 33—36, der u. a. auf den aus einem Minderwertigkeitsgefühl erwachsenen Begriff des „Rechtswahrers" eingeht; erweitert zu ders.: Die deutschen Juristen, Tübingen 1947; s. auch Kurt Oppler: Justiz und Politik, in: Deutsche Rechts-Zeitschrift, 2. Jg., 1947, S. 323). Carl Schmitt: Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Hamburg 1934). Vgl. dazu das erste Kapitel sowie Bernd Rüthers: Wir denken die Rechtsbegriffe um. Weltanschauung als Auslegungsprinzip (Zürich 1987); ders.: Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich (München 1988). Vgl. auch die Kritik an Werner Webers von Schmitt beeinflußter Göttinger Antrittsvorlesung durch Klaus Dockhorn: Der Begriff des Politischen. Das Bonner Grundgesetz und die Juristen, in: Göttinger Universitäts-Zeitung, 4. Jg., Heft 15, vom 5. August 1949, S. 4—6. Erschienen Krefeld 1950. Hierbei rekurrierte er möglicherweise auf Heinrich Triepels Rede über „Staatsrecht und Politik. Rede beim Antritt des Rektorats der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1926" (Berlin/Leipzig 1927). Friesenhahn berichtete, beim ersten Treffen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VDSTL) seien „die zwölf Jahre, in denen Macht vor Recht gegangen war, [...] mit Stillschweigen übergangen" worden: „Wahrlich ein gespenstischer Vorgang!" (ebd., S.7). Fritz von Hippel (Die nationalsozialistische Herrschaftsordnung als Warnung und Lehre, Tübingen 21947) verwandte für nachträgli-
3. Recht und Politik
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zum Entstehen und zur Auslegung des Art. 5 Abs. 3 GG, der von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, so Friesenhahn, aufgrund der „Tätigkeit gewisser Staatsrechtslehrer vor 1933" in die Beratungen eingebracht worden sei97. Absicht sei es gewesen, grundsätzlich zulässige Kritik an der Verfassung unter das Gebot der Verantwortlichkeit zu stellen. Man habe verhindern wollen, daß - wie Carlo Schmid es formuliert habe - vom Katheder die Demokratie und ihre Einrichtungen erneut verächtlich gemacht würden 98 . Daß mit den „gewissen Staatsrechtslehrern" auch und vor allem Carl Schmitt angesprochen war, darunter konnte bei den Zuhörern kein Zweifel bestehen, denn Friesenhahn gehörte zu denen, die aus der Enttäuschung über das Verhalten ihres einstigen Lehrers keinen Hehl gemacht hatten 99 . Der Philosoph Jakob Barion nahm den von Schmitt in Anlehnung an Hobbes vertretenen rechtsphilosophischen Standpunkt „auctoritas non Veritas facit legem" zum Ausgangspunkt einer Betrachtung über „Macht und Ethos im Recht". Recht müsse wieder mit Gerechtigkeit rückgebunden und im Reich des Sittlichen begründet werden, wenn auf ihm eine Ordnung des Friedens aufgebaut werden solle. Schmitt dagegen habe Macht vor Recht gesetzt, es müsse aber umgekehrt sein und dem Ethos ein Widerstands- und Notwehrrecht eingeräumt werden 100 . Von einem unauflöslichen Widerspruch „zwischen dem Wesen des Politischen und dem Wesen des Rechts in seiner idealtypischen Struktur" sprach 1953 auch Gerhard Leibholz: habe das Politische mit dem „Dynamisch-Irrationalen zu tun, das sich den dauernd sich verändernden Lebensverhältnissen anzupassen hat", sei das Recht dagegen „etwas Statisch-Rationales, das die vitalen, nicht kalkulierbaren politischen Kräfte kalkulierbar zu machen und damit zu bändigen" suche 101 . Mit diesem Gegensatz, den
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che Stellungnahmen zu diesem „heiklen" Thema das Bild vom eingefrorenen Posthorn des Barons von Münchhausen, „das lange schwieg und endlich gewaltig zu tönen begann, als der von ihm gemeinte Wintertag schon überstanden war" (ebd., S. 3). So Friesenhahn (Staatsrechtslehre, 1950, S.9). Der Artikel lautet: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Ebd., S.23. Diese Orientierung des Art.5 Abs. 3 GG am negativen Beispiel Carl Schmitts bestätigte Adolf Süsterhenn in einem „Spiegel"-Interview von 1965 (Nr. 21/1965, S. 3 8 - 4 9 ) , der für seine Initiative „saubere Leinwand" den zweiten Teil des Artikels betonte, diese Freiheit gelte „im Rahmen der allgemeinen sittlichen Ordnung". Im Juli 1957 klagte Friesenhahn bei der Redaktion der RCDS- Zeitschrift „Civis" über den Ton einer Rezension von Peter Schneiders Schmitt-Buch (Ausnahmezustand und Norm, Stuttgart 1957) durch Rüdiger Altmann: Carl Schmitt, den „Feind des Rechtsstaates" könne man nicht auf diese Weise verteidigen (in: Civis, 4. Jg., Heft31, Juli 1957, S. 71). Jakob Barion: Macht und Ethos im Recht (in: Philosophisches Jahrbuch, 59. Bd., 1949, S. 191-199). Ernst Bloch (Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt 1961, hier S.62) sah in Schmitt eine der „Huren des völlig mortal gewordenen, des nationalsozialistischen Absolutismus", aus dessen Deutung zum faschistischen Anti-Naturrecht schlechthin er ihm Hobbes zu entreißen suchte. Gerhard Leibholz: Strukturprobleme der modernen Demokratie (zit. nach Rainer Eckertz:
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er offen mit Schmitt identifizierte 102 , wollte Leibholz auch die Verfassungsgerichtsbarkeit der „Existenzialität" des Politischen entziehen, um sie zweifelsfrei der „Normativität" des Rechts zuschlagen zu können 103 . Nicht zuletzt für Adolf Arndt, den Nachfolger Gustav Radbruchs als führender sozialdemokratischer Rechtspolitiker, bildete das Beispiel Schmitt den Hintergrund seines in den 50er Jahren vehement betriebenen Versuchs einer „rechtsstaatlichen Bändigung des Leviathan auch im Ausnahmefall" 104 . Arndts mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts betriebene Oppositionspolitik 105 zeigte aber, wie wenig man sich dabei an einer neutralen, im Sinne Montesquieus oder Savignys verstandenen „Dritten Gewalt" zu orientieren beabsichtigte, die sich der Legislative unterwirft. Die Stoßrichtung ging vor allem gegen die Auswüchse einer „politischen Justiz", die Otto Kirchheimer später für die Zeit des ,Dritten Reiches' nachwies und für die Carl Schmitt, der Vertreter eines Primats der Politik über das Recht, als Vordenker galt 106 . Schmitt selbst, der sich 1952 bereiterklärte, während der Tagung einer Evangelischen Akademie zum Thema „Macht und Recht" über die „Rechtsordnung als Grundlage des politischen Kräftespiels" zu referieren, wurde auf Intervention eines Politikers wieder ausgeladen 107 . Die Kompetenz des BVerfG und die Eigenheit des Politischen, in: Der Staat, 17. Bd., Heft2/ 1978, S. 183 -203, hier S. 193). Eckertz sieht hier eine stillschweigende Anlehnung an die von Schmitt in seiner „Verfassungslehre" (1928) getroffene Unterscheidung. 102 Vgl. Gerhard Leibholz: Die Haltung Carl Schmitts (Leserbrief, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 169, vom 24. Juli 1973, S. 9): Recht sei für Schmitt „Situationsrecht" und letzthin nur „Ausdruck einer nihilistisch-relativistischen Grundhaltung", deren letzte makabre Konsequenz jedem Hellsichtigen bei der Judentums-Tagung 1936 „blitzartig sichtbar" geworden sei. 103 Auf der anderen Seite gab es Versuche, die Nichtjustitiabilität von Staatsakten aus ihrer politischen Qualität heraus zu postulieren (vgl. Hans Schneider: Gerichtsfreie Hoheitsakte, Tübingen 1951, oder Helmut Rumpf: Regierungsakte im Rechtsstaat. Rechtsvergleichende Beiträge zu einer Untersuchung des Verhältnisses von Politik und Recht, Bonn 1955; für den Bereich des internationalen Rechts Wilhelm Wengler: Der Begriff des Politischen im internationalen Recht, Tübingen 1956 - ohne allerdings auf Schmitt einzugehen). "w Gosewinkel (Adolf Arndt, 1991, S. 587), der Arndt zitiert: „Wer von einem Primat der Politik vor dem Recht meint, nicht lassen zu können, muß sich anrufen lassen, daß er sich auf schreckliche Spuren der Willkür begibt" (S.586). Arndt brachte eine Gesetzesinitiative in Gang, den NS-Widerstand nicht nur straffrei zu setzen, sondern ihn als geboten erscheinen zu lassen. 105 So die These Gosewinkels, s. auch Helmut Ridder: In Sachen Opposition: Adolf Arndt und das Bundesverfassungsgericht (in Horst Ehmke/Carlo Schmid/Hans Scharoun (Hg.): Festschrift für Adolf Arndt zum 65. Geburtstag, Frankfurt/M. 1969, S. 323-348; dort auch Eugen Kogon: Der Jurist in der Politik, S. 163-178). 106 Otto Kirchheimer: Politische Justiz (Neuwied/Berlin 1965, zuerst 1961). Die Abgrenzung von Schmitt noch bei Rudolf Wassermann: Artikel „Justiz und Politik" (in Wolfgang W. Mickel (Hg.): Handlexikon zur Politikwissenschaft, Bonn 1986, S. 232-236, hier S. 233). 107 Schmitt antwortete dem Gastgeber: „Das Thema Ihrer Veranstaltung Macht und Recht
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4. Schmitt und das Grundgesetz
4. Schmitt und das
Grundgesetz
Die Ausarbeitung des Grundgesetzes sollte einen vorübergehenden modus vivendi für den westlichen Teilstaat Bundesrepublik bereitstellen und war vornehmlich dem antitotalitären Gedanken verpflichtet. In der Diskussion ist strittig, ob sich die Stoßrichtung eher gegen die Schwächen von Weimar und gegen den Nationalsozialismus oder gegen den sich real etablierenden Sozialismus und Kommunismus richtete 108 . Eindeutig aber ist die Problematik, in der Konzeption des Grundgesetzes zwei gegenläufige Erfahrungen miteinander in Einklang bringen zu müssen: sowohl das Ende Weimars wie der Aufbau des realen Sozialismus legten eine Stärkung von Staats- und Verfassungsschutz nahe; die Geschichte des ,Dritten Reiches' wie ostdeutsche Kollektivierungsbestrebungen machten dagegen sensibel gegenüber Mißbrauchsmöglichkeiten und bestärkten die Schutzabsicht individueller Freiheitsrechte 109 . Und es schien geboten, die Verfassung abwehrbereit zu gestalten, sie an Grundwerte zu binden und die Staatsbediensteten stärker auf ihre Einhaltung zu verpflichten 110 . Hierzu konnte und mußte auf die staatsrechtlichen Debatten der Weimarer Zeit zurückgegriffen werden. „Wir halten hier kein Kolleg über Staatsrecht und Staatslehre", wehrte sich Carlo Schmid schon im Parlamentarischen Rat gegen die sich bald allzusehr ins Juristisch-Akademische verlaufende Ausarbeitung, „sondern wir versuchen Deutschland zu gestalten" 111 . Die Mitglieder des Rates besaßen mehrheitlich noch eine persönliche Erinnerung an die krisenhafte Entwicklung Weimars, zumeist wohl auch für die heiß umkämpften Positionen der Juristen dieser Zeit 112 . Schon die Mitglieder des Verfassungskonvents in Herrenchiemsee hatten, so Carlo Schmid, „ihren Jellinek und manche wohl auch Carl Schmitts Staatslehre gelesen" 113 . beschäftigt mich seit langem, eigentlich mein ganzes berufliches Leben..." (Brief vom 7. August 1952, HSTAD RW265-93, Nr. 61). Erinnert sei nur an seinen frühen Text „Recht und Macht" (in: Summa, hg. von Franz Blei, Jg. 1917/18, Heft 1, S. 3 7 - 5 2 ) . 108 Die verschiedenen Interpretationen über die Entstehung des Grundgesetzes benennt Frank R. Pfertsch: Die Gründergeneration der Bundesrepublik. Sozialprofil und politische Orientierung (in: Politische Vierteljahresschrift, Nr. 27/1986, S. 237-251, hier S. 237f.): als gegen Vergangenheit und Nachbarschaft gerichtete doppelte Ablehnung; als negative Revolution im Sinne historischer Abgrenzung; als Renaissance; als GegenVerfassung; als antikommunistischen Entwurf; als Konvergenz zwischen Vorstellungen der Alliierten und der Deutschen; als Kompromiß. 109
Friedrich Karl Fromme: Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur (Tübingen 1960, S. 17). 110 Vgl. Armin Scherb: Präventiver Demokratieschutz als Problem der Verfassungsgebung nach 1945 (Frankfurt/M. u. a. 1987). m Zit. nach Pfertsch (Gründergeneration, 1986, S. 244). 112 Das Durchschnittsalter seiner Mitglieder lag bei 53,6 Jahren, sie besaßen zu 3/4 einen Hochschulabschluß und waren zu 85 % zwischen 1890 und 1909 geboren; 46,7% waren katholisch gegenüber 37,7% evangelisch (Pfertsch: Gründergeneration, 1986, S.239). Carlo Schmid: Erinnerungen (Bern u. a. 1980, S. 335).
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4. Kapitel — Sicherheit
Die Anliegen einer Reform der demokratischen Herrschaftsbildung, des Verfassungsschutzes und der Diktaturabwehr manifestierten sich schließlich in: - der Ausschaltung plebiszitärer Willensbildungselemente; - der Vermeidung eines politischen Dualismus von Präsident und Kanzler; — der Stärkung der Stellung des Kanzlers (und seine alleinige Legitimation durch das Parlament); — der Sicherung seiner parlamentarischen Basis durch das konstruktive Mißtrauensvotum; - der Anerkennung der politischen Parteien als tragende politische Kräfte; — der Verbindlichkeit der Grundrechte auch für den Gesetzgeber; - dem Schutz der Verfassung durch eine Verfassungsgerichtsbarkeit; — dem Schutz des Bürgers durch richterliche Kontrolle der staatlichen Gewalt 114 . Carl Schmitt nun wird hierbei in einigen Punkten immer wieder ein bestimmender Einfluß zugeschrieben. Sowohl das konstruktive Mißtrauensvotum wie auch die Sicherung des Kernbestandes der Verfassung sollen auf Schmitt zurückgehen 115 . Dabei sei Art. 67 GG eine Reaktion auf den Art. 54 WRV gewesen116, wie der Art. 79 GG auf Erfahrungen mit dem Art. 76 WRV basiere, deren Schwächen und mögliche Auslegungen Schmitt zuerst hervorgekehrt habe 117 ; die Unterscheidung zwischen dem organisatorischen und dem materiellen Verfassungsrecht gehe auf Schmitts „Verfassungslehre" zurück, die sich im Grundrechtsteil des Grundgesetzes niedergeschlagen habe. Schmitt, so wird schließlich behauptet, sei ein tonangebender Befürworter der Gewaltenteilung gewesen und habe sich gegen das Alleingesetzgebungsrecht des Parlaments ausgesprochen 118 . Motivisch sei beim Parlamentarischer Rat „an die Stelle der Parla114 Nach Horst Ehmke: Grundgesetz und politisches Handeln (in: Der Monat 229,19. Jg., Oktober 1967, S. 2 5 - 3 5 , hier S. 25). us Auch Fromme sieht hier den Einfluß Carl Schmitts (Von d e r . . . , 1960, S. 9 2 - 9 7 ) ; vgl. außerdem Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts (Berlin 1989, S. 4 4 - 4 9 zu Schmitts Urheberschaft am konstruktiven Mißtrauensvotum, sowie am Grundrechtskern des Grundgesetzes) sowie Henning Ottmann: Carl Schmitt (in Karl Graf Ballestrem/ders. (Hg.): Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1990, S. 6 1 - 8 8 , hier S. 80). Eine erste Aufzählung der Einflüsse Schmitts bei Hans Schneider: Über Einzelfallgesetze (in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, hg. von Hans Barion/Ernst Forsthoff/Werner Weber, Berlin 1959, S. 159-178, hier S. 170, Anm. 28). 116 Zur Entstehung des konstruktiven Mißtrauensvotums Adolf M. Birke: Das konstruktive Mißtrauensvotum in den Verfassungsverhandlungen der Länder und des Bundes (in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 1977, S. 7 7 - 9 2 , der nicht den Namen Carl Schmitt, wohl aber den Ernst Fraenkels nennt, der den Ende der 20er Jahre „in der Luft liegenden" Gedanken am treffensten vorformuliert habe). 117
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Zum Beispiel Hans Schneider (Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1. Jg., Heft3/1953, S. 197-221, separat Bonn 1955): Carl Schmitt habe davor gewarnt, und diese Warnungen seien in den Art. 79 GG eingeflossen. So Reinhard Mußgnug: Carl Schmitts verfassungsrechtliches Werk und sein Fortwirken im
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mentsfeindschaft Carl Schmitts die durch historische Erfahrungen gerechtfertigte Skepsis gegenüber der unbedingten demokratischen Verläßlichkeit von Parlamentsentscheidungen getreten" 119 . Am präsentesten aber ist wohl die Formel Schmitts vom „Hüter der Verfassung" geworden, wenn man auch seinem Plädoyer für die Einsetzung des Präsidenten in diese Stellung nicht folgte 120 . Über seine Bedenken, bei der Einsetzung eines Gerichts gebe es die Gefahr einer Juridifizierung der Politik wie auch einer Politisierung der Justiz 121 , sah man hinweg; doch wurde der Vorwurf einer vom Bundesverfassungsgericht betriebenen „politischen Justiz", spätestens seit dem KPD-Urteil von 1956, bei den jeweils Unterlegenen notorisch 122 . Schließt man von den staatsrechtlichen Debatten zurück, die sich an die Verabschiedung des Grundgesetzes anschlossen, muß Schmitt tatsächlich ein gewisser Einfluß
Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland (in Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, Berlin 1988, S. 517-528). ne Fromme (Von der..., 1960, S. 180); Christoph Müller: Das Freund/Feind-Theorem Carl Schmitts: Fortwirkungen im Verfassungsdenken der Bundesrepublik Deutschland (in: Gegen Barbarei. Festschrift für Robert M. W. Kempner, Frankfurt/M. 1989, S. 153-178) hält kaum, was der Titel verspricht und bleibt auch den eigentlichen Beweis schuldig, der Art. 21 Abs. 2 GG (Erklärung der Verfassungswidrigkeit von Parteien außerhalb der „freiheitlich demokratischen Grundordnung") sei auf Einflüsse Carl Schmitts zurückzuführen. 120 Oliver R. Scholz (Vater der Verfassungshüter?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 39, vom 15. Februar 1989, S. 3N) erwähnt den Vorschlag der FDP-Fraktion, mit einem plebiszitär gewählten Bundespräsidenten ein Gegengewicht zum Parlament zu schaffen, wobei aus „Hüter der Verfassung" zitiert worden sei; in seinen Artikeln in „Der Eisenbahner" (1949/50, vgl. Kapitel 1) betonte Schmitt die Bedeutung des BVG, v. a. für die Kontrolle der Parteien, alles hinge aber von seiner Zusammensetzung ab und davon, wer die Richter ernenne (dazu unten, Abschnitt5); zum Selbstverständnis Theodor Heuss' als Bundespräsident s.Hans Bott: Theodor Heuss in seiner Zeit (Frankfurt a. M./Zürich 1966, S. 82, 93), der sich immerhin zu einer Art von „Hüter des Grundkonsenses" berufen sah (vgl. Friedbert Pflüger: Von Heuss bis Weizsäcker: Hüter des Grundkonsenses. Das Amt des Bundespräsidenten in Theorie und Praxis, in Manfred Funke u.a. (Hg.): Demokratie und Diktatur, Bonn 1987, S. 383-399). 121 Fromme (Von der..., 1960, S. 157 mit Bezug auf Schmitt: Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, 1929). 122 Alexander von Brünneck: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968 (Frankfurt/M. 1978), jetzt auch Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte (München 1991); zur Gesamtproblematik der Vortrag von Klaus Stern: Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik (Opladen 1980, dort S.37 ein Diskussionsbeitrag von Ulrich Scheuner über den „Irrtum von Carl Schmitt", im Verfassungsrecht könne nur politisch entschieden werden). Von rechter Seite unermüdlich bis zu seinem Tod 1961 Friedrich Grimm (Unrecht im Rechtsstaat. Tatsachen und Dokumente zur politischen Justiz, dargestellt am Fall Naumann, Tübingen 1957).
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zugestanden werden 123 . Seine gedankliche Vorarbeit zu dem einen oder anderen Merkmal der neuen Verfassung wurde bisweilen durchaus offen anerkannt, so von Georg August Zinn 124 oder von Adolf Arndt, der am 19. Februar 1954 erklärte: „Art. 79 gibt nur eine beschränkte Befugnis zur Verfassungsänderung oder -ergänzung. Im übrigen würde selbst dann, wenn sich Art. 79 nicht in der Verfassung befände, eine materiale Grenze für eine Veränderung bestehen. Das ist die Erkenntnis, die wir den Arbeiten von Carl Schmitt verdanken. Ich habe gar keine Hemmung, den Teufel zu zitieren; denn manchmal ist auch die Kraft, die stets verneint, eine, die Gutes schafft. Leute, wie Carl Schmitt oder Ernst Jünger oder andere Leute dieser Art, die sich stark beim Einreißen falscher Vorstellungen betätigt haben, haben durch diese Art des Schuttwegräumens eine durchaus positive geschichtliche Funktion erfüllt." 125 Wahrscheinlich ist diese Funktion des „Schuttwegräumens" und die eher implizit erfolgte Abkehr von Mißständen, auf die auch er aufmerksam gemacht hatte, die unmittelbarste Einwirkung, die Schmitt auf das Grundgesetz genommen hat. Trotzdem ist es geboten, die Bedeutung Schmitts für Verfassungsgebung und Verfassungsleben der Bundesrepublik nicht überzubewerten. Bei vergleichender Betrachtung erweist sich die Wirkung keineswegs als exklusiv oder auch nur als außergewöhnlich und die Bedeutung von Rudolf Smend, Hermann Heller, Hans Kelsen, Richard Thoma oder Gerhard Anschütz wäre von juristischen Experten vermutlich kaum geringer zu veranschlagen. Schmitt war vor allem mit seinen prägnanten Begriffen und Unterscheidungen präsent 126 ; von ihm als „Vater der Verfassungsväter" zu sprechen 127 , greift also um einiges zu hoch. 123 Vgl, n u r die Bezüge auf Schmitt in: Das Gesetz als Norm und Maßnahme (Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer, Heft 15, Berlin 1957). Vgl. auch die Nachweise bei Rüdiger Voigt/Wolfgang Luthardt: Von Dissidenten zu Klassikern. Eine Zitationsanalyse der Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (in Erk Volkmar Heyen (Hg.): Historische Soziologie der Rechtswissenschaft, Frankfurt/M. 1986, S. 135-155). 124
„Es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß seinerzeit Carl Schmitt mit seiner eindringlichen Argumentation (,Hüter der Verfassung') den Kern dieses Problems klar, wenn auch vielleicht allzu überspitzt, aufgezeigt hat" (in: Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, erstattet von den Berichterstattern des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates für das Plenum, Bonn 1949 über Abschnitt IX, D i e Rechtsprechung, S.45; es ging dabei um den Konflikt Politik vs. Justiz bei der Konstruktion eines BVG).
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Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, 16. Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, 7. Sitzung, 19. Februar 1954. Diese realtivierende Einschätzung bei Bernhard Schlink: Why Carl Schmitt? (in: Rechtshistorisches Journal 10, 1991, S. 160-176). Hans Lietzmann: Vater der Verfassungsväter? Carl Schmitt und die Verfassungsgründung in der Bundesrepublik (in Klaus Hansen/ders. (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 107—118), der dies aber selbst in Frage stellt und auch nur schwache Belege
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O b Schmitt daneben auch auf Verfassungen anderer Staaten eingewirkt hat, wie gelegentlich behauptet wurde 1 2 8 , oder seine „Völkerrechtliche Großraumordnung" als eine geistesgeschichtliche Grundlage des Atlantik-Paktes bezeichnet werden kann 1 2 9 , bedarf weiterer Klärung. Wirkungsgeschichte ist hier generell mit dem Problem konfrontiert, zwischen Wirkung durch Adaption oder Identifikation und derjenigen durch Abgrenzung unterscheiden zu müssen. Letztere ist noch schwieriger nachzuweisen, weil sie i. d. R . implizit erfolgt und keinem wissenschaftlichen Belegzwang unterliegt, daher nur aus Andeutungen zu rekonstruieren ist. D i e Schmitt zugeschriebenen Wirkungen gingen vor allem von seinem politischen D e n k e n aus: namentlich das Fortwirken in Parlamentarismus-, Pluralismus- und Parteienkritik läßt ihn als „abwesend-anwesende graue Eminenz auch noch der bundesrepublikanischen Verfassungsgeschichte und politiktheoretischer Diskussionen der Nachkriegszeit" 1 3 0 erscheinen, sein „substanzhafter" Demokratiebegriff, so wird behauptet, habe Einfluß auf das „Demokratiegesetz" 1 3 1 gewonnen, sein Freund-Feind-
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beibringt; als griffige Formel übernommen von Oliver R. Scholz: Vater der Verfassungshüter? (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 39, vom 15. Februar 1989, S.3N). Arnulf Baring: Hüter der Verfassung? (in: Deutsches Verwaltungsblatt, 76. Jg., Nr. 3, vom 1. Februar 1961, S. 101 —108, hier S. 103, Anm. 13: die französische Verfassung vom 13. Mai 1958 schiene unter unmittelbarem Einfluß Schmitts geschrieben, Baring vermutet jedoch keinen direkten Einfluß); Vermittler war nach Piet Tommissen wahrscheinlich René Capitant (vgl. ders. (Hg.) Schmittianal, Brüssel 1989, S. 119; vgl. auch ders. (Hg.): Schmittiana II, Weinheim 1990, S. 4 9 , 5 4 , 6 8 sowie Roman Schnur in: Der Staat 1984, S. 156, wo er Schmitt als einen der „geistigen Väter" der V Republik bezeichnet). Günter Maschke (Der Tod des Carl Schmitt, Wien 1987, S. 70) urteilt eher kritisch über Schmitt als „L'inspirateur de la VRépublique" (Verlagsprospekt); nach Jacob Taubes ließ sich 1952 der israelische Justizminister Pinchas Rosen Schmitts „Verfassungslehre" bringen, um an der Verfassung Israels zu arbeiten (nach Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin 1987, S. 19).
Wie dies offenbar der Völkerrechtler Trainin tat (nach der Bemerkung Schmitts in einem Brief an Michael Freund vom 1. November 1950, HSTAD RW 265-196, Nr. 104). Die Betonung der nationalen Souveränität zur Zeit des Kalten Krieges sah Kurt Sontheimer jedenfalls auf Schmitts Affekt gegen „raumfremde Mächte" basieren (Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1968, S. 327). 130 So Henning Ottmann (in Karl Graf Ballestrem/ders. (Hg.): Politische Philosophie, 1990, S. 61). 131 Ingo Müller: Die Aktualität Carl Schmitts (in Martina Kirfel/Walter Ostwalt (Hg.): Die Rückkehr der Führer?, Wien 1989, S. 216, gemeint ist Art. 21 Abs. 2 GG); auch Sontheimer meint, die institutionellen Vorkehrungen des Grundgesetzes gegen politischen Extremismus hätten bewirkt, daß sich alle Antidemokraten dazu haben bekennen müssen und zur Verschleierung ihrer Gesinnung gezwungen waren (Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken, 1968, S.323); - „Die politische Hypothese einer normalitäts-orientierten, ,abwehrbereiten Demokratie' und die Konstitutionalisierung einer organisatorisch abgespaltenen Instanz zu deren dynamischer Realisierung verknüpft fast alle Schmitt'schen Idealtypen zu
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Denken, so heißt es gar, habe Einfluß auf die Politik der Nichtanerkennung gegenüber der D D R genommen 132 . Schmitt selbst nahm in den wenigen Äußerungen zur neuen Verfassung eher normativ Stellung 133 , die eigentliche Kritik an Grundgesetz und Verfassungsauslegung kam aus den Reihen seiner „Schüler". Der angesehene Göttinger Staatsrechtler Werner Weber sah unter den „Spannungen und Kräften im westdeutschen Verfassungssystem" vor allem diejenigen der Besatzungsmächte wirken und spach davon, bei der Verfassungsgebung habe es sich nicht um „eine aus eigener Macht und Verantwortung vollzogene [ . . . ] Entscheidung des Volkes gehandelt" 134 . Die rivalisierenden politischen Kräfte hätten, so auch Ernst Forsthoff, schon vor dem Grundgesetz ihre claims abgesteckt und mit dem Grundgesetz den status quo zu sichern versucht. Auch Günther Krauss wies darauf hin, das Grundgesetz sei ohne Ermächtigung des Volkes beschlossen worden, sei nach Vorgaben der Alliierten konzipiert worden und habe daher provisorischen Charakter (besonders der Abschluß-Artikel 146 135 ). Diese Infragestellung der Souveränität der Bundesrepublik 136 , gedacht als Plädoyer für mehr Staatlichkeit, ließ sich grundsätzlich auch für linke oder „basisdemokratische" Kritik einsetzen 137 . Hier aber ging es um die Rettung staatlicher Autorität vor dem destabilieinem praktikablen Konzept" (Lietzmann, in Hansen/ders. (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, 1988, S. 115). 1 32 Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen I (Frankfurt/M. 1982, S. 142). 133 Dazu die Einleitung zum Wiederabdruck der „Eisenbahner"-Artikel von Hans Lietzmann (Carl Schmitt alias Dr. Haustein, in Hansen/ders. (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, 1988, S. 157-169), der urteilt: „...denn vordringlich bleibt er ein durchschnittlich anpassungsbereiter deutscher Staatsrechtler autoritär-konservativer Provenienz" (S. 162). Eine Demonstration seiner - vorwiegend affirmativen — Aufsätze seit 1924 in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954 (Berlin 1958). 134 Erschienen Stuttgart 1951 (hier zit. nach der 3. Aufl., S. 12 - Werner Weber (1904-1976) war Doktorand Schmitts aus Bonner Tagen und Referent im preußischen Kulturministerium gewesen, seit 1935 Professor für Öffentliches Recht in Hamburg, Berlin, Leipzig und — seit 1949 — in Göttingen). Jürgen Seifert: Grundgesetz und Restauration (Darmstadt/Neuwied 1974, hier S.76) bemerkte mit Verweis auf Schmitts „Verfassungslehre", daß die Formel immer wieder zur Begründung von Verfassungsänderungen angewandt worden sei. 135 Siehe Günther Krauss: Die Verfassung Deutschlands 1945—1954 (in: Die öffentliche Verwaltung, Heft 19-20/1954, S. 579-583); s. zu diesem - populären - Argument Wolfgang Benz: Grundgesetz der Alliierten? Die Entscheidung für die Staatsgründung im Sommer 1948 (in: Politische Meinung 24, 1979, S. 6ff.). 136 Vgl. Helmut Rumpf: Land ohne Souveränität (Karlsruhe 1969). Auch Rumpf (1915-1986) hatte 1939 bei Schmitt promoviert; vgl. auch ders.: Der ideologische Gehalt des Bonner Grundgesetzes (Karlsruhe 1958), wo er der Bundesrepublik mangelnden Selbstbehauptungswillen unterstellte — s. die Besprechung von Günther Krauss (in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 1959, S. 473 -476). 137
So in den Jahren um 1968 (s.Seifert: Grundgesetz, 1974, S. 14f., der darin zustimmt, das Grundgesetz sei dekretiert worden; vgl. auch ders.: Die Verfassung, in Wolfgang Benz (Hg.):
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sierenden Zugriff partikularer Interessen (etwa der drohenden „Herrschaft der Verbände" 138 ) und individualrechtlicher Ansprüche. Einseitige Sicherungen des Staatsbürgers gegen den Staat, so eine Befürchtung Werner Webers, würden diesen geradezu notwendig in den Status der Illegitimität geraten lassen 139 . Souveränität nach außen und Autorität nach innen als Merkmale funktionierender Staatlichkeit war diesen Positionen gemeinsam 140 . Dieser „Staatsideologie" 141 , auch wenn sie sich nur noch bedingt auf Schmitt berufen konnte, wollten sich viele seiner Schüler nicht begeben: außen- wie innenpolitisch implizierte er für sie „Regierbarkeit", den Schutz der Freiheiten des Bürgers und die Möglichkeit der „Daseinsfürsorge"; dazu bedurfte der Staat ihrer Überzeugung nach Handlungsfreiheit sowie eine Stellung über den gesellschaftlichen Partikular- oder Parteiinteressen. Die Verfassung, mit der man auf diese Ziele hin zu arbeiten hatte, war mit dem Grundgesetz gegeben, nun kam es seinen Kritikern darauf an, sie in entsprechender Weise auszudeuten oder auch zu modifizieren. Und tatsächlich wurde das Grundgesetz im Laufe der Jahre unter der Devise einer Angleichung von „Verfassung und Verfassungswirklichkeit" in vielen seiner Bestimmungen revidiert 142 . Diesem Weg setzte jedoch nicht nur der Grundrechtsteil Grenzen 143 . Die „Verfassungsmäßigkeit" von Gesetzen - wollten sie nicht in die Nähe von „Maßnahmegesetzen" 144 geraten - wurde Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Frankfurt/M. 1989, S. 40-70, bes. S.44: das Grundgesetz sei eine „Demarkationslinie widerstreitender politisch-sozialer Kräfte" - dazu die Biographie Seiferts in Kapitel 7). 138 Vgl. dazu Theodor Eschenburg: Herrschaft der Verbände? (Stuttgart o. J., und die zustimmende Rezension von Ernst Forsthoff, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 44. Jg., 1958, S. 456f.). 139 Nach Seifert (Grundgesetz, 1974, S. 20). 140 Dazu historisch Helmut Quaritsch: Staat und Souveränität, Bd.I: Die Grundlagen (Frankfurt/M. 1970). S. auch Ernst Forsthoffs Aufsätze: Hat der Staat noch Autorität? (in: Christ und Welt, Nr. 46, vom 17. November 1955); Das politische Problem der Autorität (in: Horizonte. Vorträge aus der Arbeit der evangelischen Akademie Baden, Herrenalb, 1. Jg., 1956, S. 1—9). 141 Vgl. Christian von Krockow: Staatsideologie oder demokratisches Bewußtsein (in: Politische Vierteljahresschrift, 6. Jg., Heft2/1965, S. 118-131). Dagegen Ernst Forsthoff: „Keines der klassischen Merkmale der Staatlichkeit: Staatsgebiet, Staatsvolk, souveräne Staatsgewalt trifft auf die Bundesrepublik zu" (ders.: Die Bundesrepublik Deutschland. Umrisse einer Realanalyse, in: Merkur, 14. Jg., Heft9, September 1960, S. 807-821). 142 Vgl. Ernst Forsthoff: Verfassung und Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik (in: Merkur, 1968, S. 401-414); dazu kritisch Wilhelm Hennis: Verfassung und Verfassungswirklichkeit (Tübingen 1968) sowie Peter Häberle: Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten. Ein Beitrag zur pluralistischen und „prozessualen" Verfassungsinterpretation (in: Juristenzeitung, 1975, S. 297ff.). 143 Zur Verfassungsänderung vgl. Hans Haug: Die Schranken der Verfassungsrevision (Zürich 1947) sowie Horst Ehmke: Grenzen der Verfassungsänderung (Berlin 1953). 144 Nach Uwe Dietrich Adam (Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972, S. 18) hat
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4. Kapitel — Sicherheit
von dem in der Bundesrepublik dafür eingesetzten „Hüter" attestiert, dem Bundesverfassungsgericht. Dieses Organ wurde seit 1951 zum wichtigsten Forum des „Kampfes um Verfassungspositionen" 145 , in dem sich gegenüber anderen zunehmend eine spezifische „Carl-Schmitt-Schule" profilierte.
5. Der Kampf um
Verfassungspositionen
Ernst Forsthoff hatte schon Mitte der 50er Jahre die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts als Praxis einer „die Substanz ergreifende" Verfassungswandlung kritisiert; statt „exakter Gesetzesinterpretation" lege das Gericht die Verfassung „geisteswissenschaftlich· werthierarchisch" aus, diskreditiere so die Legalität, denn der Charakter der Verfassung als Dezision werde damit verkannt, ihre Geltung werde unsicher und der Rechtsstaat werde zum Justizstaat. Der mit „geisteswissenschaftlich-werthierarchisch" angesprochene Rudolf Smend, dessen Verfassungsinterpretation in der Tätigkeit des Gerichts bestimmenden Einfluß gewann, empfahl gegen diese Befürchtungen einer politischen Grenzüberschreitung der Staatsgerichtsbarkeit die Weisheit und den richterlichen Takt der Verfassungsjustiz146. Jenseits inhaltlicher Positionen drückte sich in der Kritik am BVG auch eine Konkurrenz um das Deutungsmonopol bei der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung der Verfassung aus, denn dem Gericht war institutionell das letzte Wort über Positionen eingeräumt worden, die vordem die Staatsrechtslehre definiert hatte 147 . Die stetigen Warnungen vor einer „Juridifizierung der Politik und der Politisierung der Justiz" 148 verSchmitt erstmals den Begriff der „Maßnahme" abgegrenzt, nämlich nach dem präsidialen Notverordnungsrecht, sie würden aus der „Zweckabhängigkeit von der konkreten Sachlage" bestimmt (Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichs Verfassung, 1924); vgl. die Jahrestagung der „Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer" im Oktober 1956 über „Das Gesetz als Norm und Maßnahme" (Heft 15, Berlin 1957); vgl. Ernst Fraenkels Unterscheidung in ders.: Der Doppelstaat (1940) sowie Konrad Huber: Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz (Berlin 1963). 145
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Begriff von Jürgen Seifert: Der Kampf um Verfassungspositionen (in: Vorgänge, Heft 7/1966, S.275—278b, hier S.277), vgl. auch Eike Hennig: Sozialer Rechtsstaat - affirmativ oder kritisch? Bemerkungen zum Kampf um Verfassungspositionen (in: Neue Politische Literatur, Heft2/1968, S. 2 0 7 - 2 1 9 ) . Aus einer Ansprache Rudolf Smends (in: Das Bundesverfassungsgericht 1951-1971, Karlsruhe 1971, S. 26f.). Der Kampf erreichte äußerstes Maß, wenn es sich bei den Verfassungsnormen um „dilatorische Formelkompromisse" handelte (ein Begriff aus Schmitts „Verfassungslehre", Berlin 1983, S. 32, zuerst 1928). Ernst-Wolfgang Böckenförde (Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 283 - 3 0 0 , hier S. 291) betont, für Schmitt sei jede echte Verfassungsgerichtsbarkeit politische Justiz, da die
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deutlichten, wie stark es hierbei um Grundsatzpositionen ging. Hinter den Stellungnahmen zu „Staatszielbestimmungen" und „Verfassungsaufträgen", hinter der Feststellung einer Diskrepanz zwischen „Verfassung" und „Verfassungswirklichkeit" (bis zur in den 60er und 70er Jahren aufgestellten Forderung nach einer „Totalrevision" des Grundgesetzes) ging es auch um die Möglichkeiten zur politischen Einflußnahme. Tatsächlich befand sich das Verfassungsgericht schon von seiner personellen Zusammensetzung her in einer Sonderstellung und wies eine im Vergleich zu anderen Gerichten vergleichsweise geringe personelle Kontinuität zum ,Dritten Reich' auf 149 . Zu einem Streitpunkt wurde daher schon die parteipolitisch gebundene Richterwahl; sie aber ermöglichte es der SPD erst, überhaupt wirksame Oppositionspolitik betreiben zu können und das ansonsten „weitgehende Interpretationsmonopol der konservativen juristischen Funktionseliten" einzuschränken150. Die Kritik an den angeblich politisch motivierten Urteilen, an der vermeintlichen Selbstherrlichkeit, die das BVG zur Neben-Legislative erheben wolle, es aus der „balance of power" heraushebe etc. konnte durchaus bis ins Persönliche gehen. Eine der ersten dieser leidenschaftlich geführten Debatten bezog sich auf die Interpretation der vom Grundgesetz offengehaltenen Sozialstaatsbestimmungen151. Hier trat eine Gruppe als wissenschaftlicher Gegner der „Carl-Schmitt-Schule" auf, die deren Vorstöße von linker Seite zu konterkarieren suchte, wie dies Hermann Heller in den Weimarer Verfassungsdebatten getan hatte152. Tatsächlich waren einige der linken Juristen der frühen Bundesrepublik ehemals Mitglieder seines „Hofgeismarer Kreises" gewesen und hofften, in der zweiten Republik zumindest einige der Grundsätze einer sozialistisch orientierten Demokratie zur Geltung bringen zu können. Exponiertester Verfassung dem Bereich der politischen Entscheidung eines Volkes angehöre; als „pouvoir neutre", als „Hüter der Verfassung" aber tauge das BVG nicht (vgl. auch die von Schmitt beeinflußte Kritik von Richard Tüngel: Wir treiben in eine Staatskrise, in: Die Zeit, Nr. 49, vom 4. Dezember 1952). 149 Johannes Feest: Die Bundesrichter. Herkunft, Karriere und Auswahl der juristischen Elite (in Wolfgang Zapf (Hg.): Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht, München 21965, S. 95-113). 150 So Joachim Pereis: Die Restauration der Rechtslehre nach 1945 (in: Kritische Justiz, 17. Jg., 1984, S. 359-379, hier S. 360) und die These Dieter Gosewinkels (Adolf Arndt, Bonn 1991). Seifert (Grundgesetz, 1974, S. 73) zitiert den Staatsrechtler Karl Loewenstein, es habe in den ersten zehn Jahren der Bundesrepublik nur zwei ernsthafte Möglichkeiten gegeben, der Staatspartei die Spitze zu bieten: das BVG und den „Spiegel". Ein gewisses Gegengewicht zum BVG bildete der Bundesgerichtshof, der vom Zuschnitt wie von seinen Urteilen her eindeutig „konservativer" ausgerichtet war. 151 Sie bezogen sich auf Art. 28 Abs. 1GG, besonders die Formel vom „republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat" Bundesrepublik (vgl. dazu Hans-Hermann Hartwich: Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, Köln/Opladen 1970). 152 Zu Hermann Heller das Buch von Christoph Müller/Ilse Staff (Hg.): Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller (Baden-Baden 1984).
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4. Kapitel — Sicherheit
Vertreter dieser Richtung, in vielerlei Auseinandersetzungen direkter Kontrahent und „verfassungsrechtlicher Antipode" Werner Webers und Ernst Forsthoffs war ohne Zweifel Wolfgang Abendroth 153 . Über die ersten zwanzig Jahre der Bundesrepublik hinweg zogen sich die Konfrontationen um Rechts- und Sozialstaat, um die Rolle der Beamten, um die Auslegung der Grundrechte usw. und stellten dabei in vielem eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung dar, die 1933 durch die Emigration und den frühen Tod Hellers zwischen ihm und Schmitt unterbrochen worden war. Dabei war (wie schon bei Heller) auch auf seiten Abendroths ein im vielem ambivalentes, doch respektvolles Verhältnis zu Schmitt zu beobachten 154 . Ähnliches galt für Martin Drath 155 und, mit Einschränkungen, auch für Karl Schultes. Beide traten im Juni 1946 erstmalig nach dem Kriege zueinander in Kontakt, beide waren Schüler Hellers gewesen und hatten sich ausführlich mit Carl Schmitt auseinandergesetzt 156 . Beide waren 1948/49 aus der SBZ geflohen, nachdem sie eine Zeitlang am Aufbau einer „volksdemokratischen" Justiz mitgewirkt hatten 157 . Anders als Drath hatte Schultes aber Probleme, sich in die bundesdeutsche politische Landschaft zu 153 Diese Bezeichnung bei Volker Neumann: Verfassungstheorien politischer Antipoden: Otto Kirchheimer und Carl Schmitt (in Redaktion Kritische Justiz (Hg.): Der Unrechts-Staat, Bd. II, Baden-Baden 1984, S. 31-50). Über Abendroth die autobiographischen Gespräche mit B. Dietrich und J. Pereis (Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 1976) sowie Dieter Sterzel: Wolfgang Abendroth (1906—1985) Revolutionär und Verfassungsjurist der Arbeiterbewegung (in Kritische Justiz (Hg.): Streitbare Juristen, Baden-Baden 1988, S. 476-486). 154 Sein zeitweiliger Assistent Rüdiger Altmann bestätigte diese Beobachtung 1986 in Speyer (vgl. Diskussionsbeitrag in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S.444). Zur Schulebildung um Abendroth jetzt Christoph Hüttig/Lutz Raphael: Die „wissenschaftliche Politik" der „Marburger Schule(n)" im Umfeld der westdeutschen Politikwissenschaft 1951-1975. Ein Beitrag zur Geschichte der Disziplin (in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 3/1992, S. 427-454). 155 Drath war der gleiche Jahrgang 1902 wie Ernst Forsthoff und Assistent Hermann Hellers gewesen, dessen Lehrstuhl in Frankfurt Forsthoff 1933 übernahm. Drath wurde wie sein Lehrer entlassen, arbeitete als juristischer Berater der Freien Gewerkschaften sowie als Buchhalter und Revisor. Nach 1945 war er zunächst Lehrbeauftragter, dann Professor an der Universität Jena, 1948 ging er in den Westen, lehrte seit 1949 an der Freien Universität Berlin und wurde 1951 als Richter an das Bundesverfassungsgericht gewählt. 1963 schied das SPDMitglied dort wieder aus. 1976 starb Drath in Karlsruhe. Er gab die Schriften Hellers heraus und galt als einer der wenigen, die Hellers wissenschaftliche Ansätze im deutschen Staatsrecht — vor seiner „Wiederentdeckung" in den 70er Jahren — zur Geltung gebracht haben. 1966 veröffentlichte er im „Staat" — fünf Jahre vor Forsthoff: „Der Staat der Industriegesellschaft. Entwurf einer sozialwissenschaftlichen Staatstheorie" (ebd., S. 273ff.). 156 Schultes' Arbeit war im wesentlichen bereits 1934 geschrieben (s. Kapitel 1), Draths Jenaer Habilitationsschrift über Schmitt von 1946 wurde nicht veröffentlicht. 157 Vgl. Hellmuth Loening: Kampf um den Rechtsstaat in Thüringen (in: Archiv für Öffentliches
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fügen. Im November 1952 schrieb er an Drath: er beglückwünsche ihn zur Ernennung zum Bundesverfassungsrichter, wolle ihn aber mit der Bitte um ein Empfehlungsschreiben an die ,London School of Economics' behelligen, an der er eine Stelle in Aussicht habe; im übrigen sei er „der Ansicht, die sozialistische Intelligenz müßte mehr, zielbewußter und systematischer zusammenarbeiten" 158 . Da er den „Ungeist Carl Schmitts [ . . . ] noch immer oder schon wieder" durch die gesamte Argumentation einflußreicher Staatsrechtler geistern sah 159 , schrieb er am 3. April 1955 erneut an Drath, seine Schriften zeigten, „daß man in Dir den Verfasser einer Staatslehre der Sozialen Demokratie erwarten darf. D u solltest mit einem Grundriss beginnen nach der Art wie Koellreutter das machte — als sozialistische Antwort - und nicht zuviel Stoff hineinpacken.. ," 160 Otto Koellreutter hatte seinerseits Drath zu einer Zielscheibe seiner Kritik am Bundesverfassungsgericht gemacht und in der Wochenzeitung „Der Fortschritt" gegen ihn polemisiert 161 . Man habe ihm, Koellreutter, Huber und Schmitt verweigert, wieder in die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer aufgenommen zu werden. Endgültig aber sei die Berufung Draths in das BVG ein Menetekel dafür, wie Parteipolitik über dem Kriterium der Kompetenz stehe. In einer späteren Nummer der Zeitung mußte er aber den Vorwurf zurücknehmen, Drath habe sich nicht ordnungsgemäß habilitiert 162 . Spätestens durch seine Beteiligung am Beamtenrechtsurteil des BVG vom Recht, 75. Bd., Heft 1/1949, S. 56-102, hier S.58: das thüringische Verwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz vom 7. Oktober 1948 sei wesentlich von Schultes und Drath konzipiert worden). 158 Brief vom 30. November 1952 (Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, Nachlaß Schultes, ED 188/7). Abendroth erinnerte sich später, auch er habe in dieser Zeit versucht, Kontakt zu alten Genossen aufzunehmen, bald aber erleben müssen, „wie sehr sich das Niveau und die Meinungen auch zahlreicher aus der Emigration zurückgekehrter früherer Fraktionsgenossen verändert hatten, nachdem alle nach 1945 entstandenen Hoffnungen durch den Kalten Krieg und das Wirtschaftswunder zunichte gemacht worden waren" (Abendroth: Leben in der Arbeiterbewegung, 1976, S.226). 159 Karl Schultes: Staatslehre und Politik in Deutschland (in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 1955, S. 236-242, hier S. 240. Gemeint war Werner Weber). 160 IfZ Nachlaß Schultes (ED 188/7); Koellreutter hatte 1955 eine „Staatslehre im Umriß" (Göttingen 1955) veröffentlicht, die aber weitgehend unbeachtet blieb. Schultes hatte dagegen (im „Neuen Vorwärts", Hannover, vom 19. März 1954) Laskis Staatslehre „Grammar of Politics" (1925) und „Liberty in the modern State" (1930) empfohlen. 161 Gralshüter der Demokratie (in: Der Fortschritt, Nr. 11, vom 14. März 1952, S. 3). Schon am 9. November 1951 hatte der „Fortschritt" unter dem Titel „Ein zäher Drath. Der Aktivist als Staatshüter - Tauschzentrale für Persilscheine" gemeldet, Drath sei bis 1949 Mitglied der kommunistischen Partei gewesen und habe sich an der Umformung des Rechts im volksdemokratischen Sinne beteiligt; zur Kennzeichnung des „Milieus", aus dem Drath komme, wurde auf seinen früheren Mitarbeiter Schultes und einige von dessen Äußerungen verwiesen. 162 Der Fortschritt (Nr. 18, vom 2. Mai 1952, S. 3). Der Artikel Koellreutters war über Schmitt an den „Fortschritt"-Redakteur Rudolf Fischer gelangt (vgl. Brief Fischer an Schmitt vom 11. Februar 1952, HSTAD RW265-220, Nr. 288).
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Dezember 1953 wurde Drath für Koellreutter zu einer Anti-Figur, mit der kein Gespräch mehr möglich schien. D i e Auseinandersetzung mit Schmitt und seiner Schule verlief dagegen wissenschaftlicher 163 und konzentrierte sich v. a. auf die von Forsthoff angestoßene Debatte um „Rechtsstaat" vs. „Sozialstaat" 164 . Ernst Forsthoffs Votum gegen sozialstaatliches Anspruchsdenken war eindeutig: ihm galten die Sicherheitsinteressen des Staates vor den Sozialinteressen der Einzelnen. Abendroth dagegen, sein Kontrahent seit der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer von 1953, brachte in die Debatte Restbestände der fehlgeschlagenen Initiativen eines deutschen Sozialismus des dritten Weges ein 165 . Über die Stellung der Gewerkschaften, die Mitbestimmung und das Medium des Streiks bildete sich eine Front zwischen Abendroth, Alfred Weber und Schuhes auf der Seite von „Demokratie und Sozialismus", Werner Weber, Forsthoff und Hans Schneider auf der Seite der vermeintlich „rechtsstaatlichen" Behauptung staatlicher Autorität166.
163 Ein Assistent Draths schrieb am 2. Januar 1954 an Schmitt (HSTAD RW265-398, Nr. 164): im Seminar von Ernst Fraenkel und Drath lese man klassische Texte der deutschen Rechtswissenschaft, u.a. Schmitts Hugo Preuss-Rede (1930), und es sei von Fraenkel als große moralische Tat hervorgehoben worden, 1930 für Juden einzutreten; Drath habe bedauert, daß sich Schmitt „außer Gefecht gesetzt" habe, da eine Analyse der Bundesrepublik wie in Weimar ausstünde. 164
Begonnen hatte die Debatte mit einem Bericht Forsthoffs auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer am 15./16. Oktober 1953 über „Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates" und einer langen Stellungnahme von Wolfgang Abendroth in der anschließenden Aussprache (Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 12, Berlin 1954); vgl. Ernst Forsthoff (Hg.): Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Aufsätze und Essays (Darmstadt 1968 - Schmitts „Nehmen/Teilen/Weiden" von 1953 wird dort als dessen Beitrag zur Debatte abdruckt). 165 Vgl. Jürgen Seifert: Demokratische Republik und Arbeiterbewegung in der Verfassungstheorie von Wolfgang Abendroth (in: Kritische Justiz, 18. Jg., 1985, S.458-465). Wie die Alliierten selbst sehr früh „sozialistischen" Experimenten vorgebeugt hatten, stellt jetzt dar Michael L. Hughes: Lastenausgleich unter Sozialismusverdacht. Amerikanische Besorgnisse 1945-1949 (in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 1/1991, S. 37-53). 166
„Die Gewerkschaften (sind) die natürlichen Hüter der Demokratie" (so Abendroth nach Dieter Sterzel: Wolfgang Abendroth, in: Streitbare Juristen, 1988, S.480). Gegen diese Auffassung richtete sich v. a. das Gutachten Forsthoffs vom Juni 1952 im Auftrag des .Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeber' (ders./Alfred Hueck: Die politischen Streikaktionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes anläßlich der parlamentarischen Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes in ihrer verfassungs- und zivilrechtlichen Bedeutung, Köln 1952): der Streik als Mittel der Staatswillensbildung widerspreche der Verfassung, ein Nachgeben des Anspruchs der Gewerkschaften lasse den Staat vor oligarchischen Herrschaftsgruppen kapitulieren. Hans Peter Ipsen hatte einiges von Forsthoffs Argumentation in einer Rede vom 17. November 1949 bereits vorweggenommen (vgl. Hans-Hermann Hartwich: Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, Köln/Opladen 1970, S. 284f.).
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Forsthoff sah für den Rechtsstaat die Gefahr, auf eine Moderatorenfunktion zwischen den gesellschaftlichen Interessen und Gruppenegoismen reduziert zu werden. Für Alfred Weber dagegen mündeten die gewerkschaftlichen Aktionen in die grundsätzliche Fragestellung nach dem Widerstandsrecht in der Demokratie167. Zwar gelang es in Gesprächskreisen und auf öffentlichen Veranstaltungen verbal, die politische Hegemonie in dieser Frage zu behaupten168, auch wurde zu Beginn der 50er Jahre nicht nur in Arbeiterkreisen vehement für eine Ausgestaltung des Sozialstaats votiert169, die verfassungsrechtliche Entwicklung insgesamt verlief nach der Phase integrativer Sozialgesetzgebung an jeder „sozialistischen" Orientierung aber zunehmend vorbei170. Von „politischen" Streiks und der Wiederbewaffnung angestoßene Stellungnahmen zum Recht auf Widerstand blieben aber aktuell; in ihnen vermengten sich Vergangenheitsdeutung und Gegenwartsinteressen nahezu ununterscheidbar. Nach einer Debatte um den Widerstand im Beamtenrecht171 warf der „Kampf um den Wehrbeitrag" mit den Überlegungen zum Kriegsdienstverweigerungsrecht die Frage erneut auf. Die Erinnerung an den (bürgerlichen und adeligen, also den „staatszugewandten") Widerstand wurde dabei als Beitrag zu einer positiven Identifikation von den Befürwortern des Wehrbeitrages durchaus gezielt beschworen. Sie galt zwar dem Eingedenken einer „charaktervollen Haltung", die das Widerstandsrecht symbolisieren sollte, ging in der 167
Alfred Weber: Staat und gewerkschaftliche Aktion (Köln o. J.); politische Streiks der frühen 50er Jahre wurden von linker und Gewerkschaftsseite u. a. mit Hinweisen auf das Scheitern des Kapp-Putsches legitimiert. Die hessische und die bremische Verfassung hatten das Widerstandsrecht aufgenommen, zur Kritik vgl. Joseph H. Kaiser: Der politische Streik (Berlin 1955), oder Carl Heyland: Das Widerstandsrecht des Volkes (Tübingen 1950), der Widerstand als Revolution kennzeichnet, die nicht mit dem Recht vereinbar sei. 168 So etwa bei den wie dem im Rahmen der „Ruhrfestspiele" stehenden „Europäischen Gespräch" zum Thema „Gewerkschaften im Staat" (dazu Theo Pirker: Die blinde Macht, Bd. 1, München 1960, S.297-316). Die Referenten vom 28.-30. Juli 1952 waren Alfred Weber (der die Veranstaltung leitete), Franz Grosse, Otto Stammer, Viktor Agartz, Dolf Sternberger, Eugen Kogon und Joseph Rovan, die sich u. a. mit Forsthoffs Rechtsgutachten und den Thesen Werner Webers auseinandersetzten). 169 „Die Ausgestaltung des Sozialstaats wurde als Ablösung paternalistischen Schutzes, als Sicherung und perspektivische Dynamisierung der Positionen, die man im Markt erworben hatte, erfahren" (Lutz Niethammer: „Normalisierung" im Westen. Erinnerungsspuren in die 50er Jahre, in Gerhard Brunn (Hg.): Neuland. Nordrhein-Westfalen und seine Anfänge nach 1945/46, Essen 1986, S. 175-206, hier S. 184). 170 Vgl. etwa Horst Thum: Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften (Düsseldorf 1973). 171 Herbert von Borch: Obrigkeit und Widerstand. Zur politischen Soziologie des Beamtentums (Tübingen 1954, dazu Besprechung von Schmitt in: Das Historisch-Politische Buch, 3. Jg., Heft 3/1955, S.72); Heinz Sladeczek: Zum konstitutionellen Problem des Widerstands (in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. 43, Heft 3/1957, S. 367-398); Klaus Kröger: Art. „Widerstandsrecht" (in Wolfgang W. Mickel (Hg.): Handlexikon zur Politikwissenschaft, Bonn 1986, S. 559—562, mit Hinweisen auf neuere Literatur).
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Stoßrichtung freilich eher auf eine Rehabilitation der gesamten Wehrmacht aus. Die „Vollmacht des Gewissens" 172 zum Widerstand wurde aber über die Notstandsverfassung erst mit Verzögerung dem Grundgesetz eingeschrieben 173 , harrte gleichwohl wie viele andere Bestimmungen der konkreten Ausdeutung. A m Ende des Jahrzehnts war die Bilanz des dabei Erreichten für die Fraktion der rechten „Antipoden" sicher aktiver. Abendroth, vor den Notstandsdebatten singulare Figur einer „heimatlosen Linken", konstatierte 1962 resigniert, die kleinen sozialistischen Zirkel seien in der Bundesrepublik weitgehend irrelevant geworden. Seit dem Ende des „Ruf" und seit dem Scheitern der Sozialisierungs-Pläne einiger LänderVerfassungen stehe das Ende der sozialistischen Idee in der Bundesrepublik im Raum, es gebe eben die Gewohnheit des deutschen Volkes, jeder etablierten Macht — welcher auch immer - zu akklamieren 174 . Es bleibe aber eine ferne Hoffnung auf eine Befreiung aus der „postfaschistischen Restaurationssituation" 175 . Mit Carl Schmitt und seiner Schule hingegen, so Abendroth im selben Jahr, bliebe es notwendig, „im wissenschaftlichen Gespräch zu stehen" 176 .
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Europäische Publikation (Hg.): Die Vollmacht des Gewissens (München 1956) oder auch Annedore Leber (Hg.): Das Gewissen steht auf (Berlin/Frankfurt a. M. 1956). Explizit ist im Grundgesetz vom Gewissen lediglich in Art. 4 Abs. 3 über die Möglichkeit einer Kriegsdienstverweigerung die Rede. 173 Vgl. Art. 20 Abs. 4 GG. Dazu Christoph Böckenförde: Die Kodifizierung des Widerstandsrechts im Grundgesetz (in: Juristenzeitung, 1970, S. 168-172). 174 Wolfgang Abendroth: Bilanz der sozialistischen Idee in der Bundesrepublik (in: Bestandsaufnahme, hg. von Hans Werner Richter, München/Wien/Basel 1962, S. 233-263, hier S.252). 1961 war Abendroth aus der SPD ausgeschlossen worden. Die gleichfalls als Gegengewicht denkbare „Frankfurter Schule" wird für die Zeit der 50er Jahre von ihrem Biographen als „kritische Zierde einer restaurativen Gesellschaft" der vorsichtigen Anpassung bezichtigt (Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule, München 1989, S. 479-565). 175 Ebd., S.263. Knapp fünfzehn Jahre später bereits sollte die „Rechte" als „heimatlos" bezeichnet werden, s. Kurt Hirsch: Die heimatlose Rechte. Die Konservativen und Franz Josef Strauß (München 1979). 176 In einer Besprechung des Schmitt-Buches von Jürgen Fijalkowski (in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 13. Jg., Heft 7/1962, S.501-503). Roman Schnur hatte 1956 von Abendroths ,,lobenswerte[r] Absicht, das Gespräch fortzuführen" gesprochen (Roman Schnur: Syndikalistische Ressentiments, in: Wort und Wahrheit, 11. Bd., 1956, S.545f., und „Bürokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie" von Abendroth und Herbert Sultan als „eine Art Gegenstück" zu Werner Webers „Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem" bezeichnet). Aus Abendroths Erinnerungen geht nicht hervor, wie zuweilen unterstellt, daß er selbst es war, der Schmitt von der VDSTL ferngehalten habe.
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Sowohl linke wie rechte Ausdeutungsversuche der bundesrepublikanischen Verfassung - beide argumentierten mit historischen Einsichten - sahen sich einem übermächtigen Phänomen der politischen Kultur des jungen Staatswesens konfrontiert, das alle Bemühungen um radikale Lösungen zunichte zu machen schien: das Streben nach Sicherheit und Stabilität als Leitgedanke aller Politik dieses ersten bundesdeutschen Jahrzehnts. An ihm scheiterten die meisten der engagierten Versuche einer Konzeption von innenpolitischen Alternativen, ja der Versuch visionärer Politik überhaupt 177 . Dafür gab es eine Reihe handfester Gründe 178 : neben die wirtschaftliche und politische Unsicherheit im Gefolge des Krieges waren Unsicherheiten der Orientierung und diejenigen Identitätsprobleme getreten, die sich aus der Unabgeschlossenheit historischer Bewertungen der jüngsten Vergangenheit und aus der Diffusität der gesellschaftlichen Leitbilder nach dem Untergang einer prägenden Ideologie ergaben. Darüber hinaus war nahezu jeder Deutsche in den 50er Jahren von einer der kollektiven Schicksalslagen (Vertreibung, Gesundheitsschäden, Verlust von Angehörigen, Vermögensschäden etc.) betroffen, die jeweils starke Irritationspotentiale in sich bargen. Zum Bereich des Politischen insgesamt rief diese Konfiguration eine Haltung abwartenden Mißtrauens hervor und bewirkte den oft beschriebenen Rückzug auf kleinräumliche Strukturen und Sozialbeziehungen. Der Aufstieg gesellschaftlicher, vor allem aber wirtschaftlicher Art galt als zentraler Garant zukünftiger Sicherheit. Dieser Befund Schelskys von 1953 wird durch lebensgeschichtliche Analysen durchaus bestätigt 179 . Berufliche Qualifikation und technische Bildung standen dementsprechend in hohem Ansehen und schienen sich zudem durch alle Zusammenbrüche und politischen Wechsel retten lassen zu können 180 . Wo politische Partizipation gefragt war, etwa bei den Wahlen, optierte man für Vertrautes, 177
Wenn man nicht, wie es jüngst üblich geworden ist, Adenauer als visionären Politiker deutet, der — bei aller Pragmatik im einzelnen — in Jahrzehnten gedacht habe (vgl. neuere Veröffentlichungen von Hans-Peter Schwarz oder Kurt Sontheimer). Gemeint ist vielmehr das für eine sog. „kritische Intelligenz" dämpfende Klima des „Enrichissez-vous!". 178 Vgl. zu folgendem Hans Braun: Das Streben nach „Sicherheit" in den 50er Jahren. Soziale und politische Ursachen und Erscheinungsweisen (in: Archiv für Sozialgeschichte, 18. Bd., 1978, S. 279-306). 179 Helmut Schelsky: Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart (Stuttgart 1953). Schelsky ließ sich auch auf Debatten über den sog. ,sozialen Defaitismus' ein, das Desinteresse an der Politik, dem er auf der Haben-Seite die Immunisierung gegenüber politischen Illusionen entgegenhielt (vgl. die Beiträge von Otto Stammer, Klaus Peter Schulz und Helmut Schelsky in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 1950-1951). 180 Es wäre zu prüfen, wie hieraus die technokratische Neigung der 50er Jahre erwachsen ist, die Vorstellung, der auf Sachverstand in Wissenschaft und Technik bauende Staat wirke friedlich-rationalisierend. Die Kybernetik schien eine Zeitlang auch die Gesellschafts-Wissenschaft der Zukunft zu sein.
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dessen „Anmutungsqualität" (Hermann Lübbe) zunächst vor jeder Experimentierbereitschaft lag, und es wurden derjenigen politischen Programme bevorzugt, die die Sicherung des bisher Erreichten ins Zentrum rückten („Keine Experimente!"). Das politische Vokabular spiegelte diese Tendenzen: „Frieden", „Koexistenz" und „Partnerschaft" wurden von einer „Verteidigungs-,, und „Sicherheitspolitik" flankiert, die auf Gewaltverzicht gründen und rein defensiven Charakter haben sollte. In der Außenpolitik galten: unbedingte Friedlichkeit, makellose Vertragstreue, vorbildliche Bereitschaft zu internationaler Zusammenarbeit und zum Kompromiß, Respekt vor den Lebensinteressen und Empfindlichkeiten der anderen usw. Die Kehrseite dieser beschwörenden Formeln des Strebens nach Sicherheit war (wie die emotional geführten Debatten um Wiederbewaffnung, Atomtod etc. belegten) eine latente Katastrophenangst als immer wieder hervorbrechende Zeitstimmung der 50er Jahre181. Das Angstmachen (vor den Kommunisten, den Russen, den Chinesen etc.) wurde als politische Methode wiederentdeckt und v. a. in Wahlkämpfen psychologisch geschickt mobilisiert. Frontal auf diese Einbruchsstelle zielte das Buch des Publizisten Winfried Martini, das ein „Ende aller Sicherheit" beschwor182. Wie nur wenige andere Veröffentlichungen in diesem Jahrzehnt benannte (und verbreitete) es Bedenken gegen den Bestand des jungen Staatswesens in einer Weise, die sich in die klassische Tradition der Demokratie- und Parlamentarismuskritik (allen voran Carl Schmitts) einfügte. Geschickt mischte Martini aktuelle Beobachtungen bedenklicher Entwicklungen mit kulturkritischen Analysen, um nahezulegen, daß Bonn doch einiges mit Weimar gemeinsam habe und nicht imstande sei, über das Prinzip der Volkssouveränität die individuellen Freiheiten zu sichern. „Seitdem die Politik auf innere Gärung der Völker gerichtet ist, hat alle Sicherheit ein Ende", zitierte er Jacob Burckhardt und regte an, die plebiszitären Elemente der Demokratie generell zu reduzieren, denn die Politik sei in den Händen des Volkes besonders dann schlecht aufgehoben, wenn es - etwa ökonomische — Krisenlagen zu bewältigen gebe. Statt dessen empfahl er die gemäßigte Diktatur im Stil des Portugiesen Salazar, in der die identitäre Demokratie vorbildlich funktioniere183. 181
Hans-Peter Schwarz: D i e ausgebliebene Katastrophe. Eine Problemskizze zur Geschichte der Bundesrepublik (in Hermann Rudolph (Hg.): D e n Staat denken. Theodor Eschenburg zum Fünfundachzigsten, Berlin 1990, S. 151-174), dagegen Günter Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1 (München 1956). 182 Winfried Martini: Das Ende aller Sicherheit. Eine Kritik des Westens (Stuttgart 1954). Martini (1905-1991) war seit 1933 Journalist und Korrespondent gewesen, u. a. in Palästina. 183 Das Buch war ein unmittelbarer Erfolg. Martini argumentierte, die Wähler seien in ihrem Sachverstand überfordert und ihre Wahl sei gefühlsabhängig, während die Regierenden ständig auf die Wähler schielten - Standardvorwürfe, die jede Demokratie zu begleiten scheinen. Unter anderem vollzog Martini die Schmittsche Trennung von Demokratie und Liberalismus nach sowie die Unterscheidung von privater Moral und öffentlicher Politik. Armin Möhler urteilte später (Deutscher Konservatismus seit 1945, in ders.: Tendenzwende für Fortgeschrittene, München 1978, S. 6 7 - 8 0 , hier S.73): „Wer sah schon, daß in Winfried
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Dolf Sternberger fühlte sich zu einer Stellungnahme herausgefordert. Er sah hier einen „Defätisten der Demokratie" am Werk, der die Tradition von Schmitts Weimarer Parlamentarismuskritik fortsetzte. Diese, so Sternberger, nicht die Demokratie selbst sei durch die schreckliche Lehre der Geschichte überholt184. Martini replizierte, Carl Schmitt sei keineswegs überholt, man habe sich im Grundgesetz schließlich seiner bedient. Er habe lediglich Diagnosen und Prognosen gestellt und die Befürchtung geäußert, was geschehen werde, wenn das Wirtschaftswunder sich verflüchtige185. Die Folge der Veröffentlichung war, „daß die hier nur vorsichtig angedeuteten Ideen von einer beunruhigten Öffentlichkeit tief im Giftschrank verschlossen wurden"186. Martini schob 1960 ein zweites Buch über „Die Lebenserwartung der Bundesrepublik" nach187, doch gingen - trotz aller stillen Zustimmung, die seine Fragen erhalten haben mögen - seine Titel nicht in den Formelschatz der Zeit ein wie diejenigen seines publizistischen Kollegen Allemann, der die gleiche Entwicklung von ihrer positiven Seite her beleuchtete188. Auch diese Abwesenheit einer praktischen Resonanz war symptomatisch, bedeutete sie doch offenbar auch die Abwesenheit der inneren Unruhe, die während der 20er Jahre das politische Leben Deutschlands so stark in Atem gehalten hatte. Die antibürgerliche Suche nach Entschiedenheit und Entschluß, auch eine Generationenbewegung gegen die spätwilhelminische Gesetztheit, war aus den 50er Jahren weitgehend entschwunden189. Martinis beiden Büchern der fünfziger Jahre, die damals als die respektabelsten literarischen Produkte des konservativen Lagers galten, auch eine Staatsphilosophie dieses Carl-SchmittSchülers steckte?" 184 Dolf Sternberger: Das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Lehren und Irrtümer eines aufrechten Defätisten der Demokratie (in: Die Gegenwart, 9. Jg., Heft 22/1954, S. 687-690, vgl. auch Rez. von Rudolf Augstein: Stimmzettel gegen Recht und Freiheit?, in: Der Monat 76, Januar 1955, S. 362-365). iss Winfried Martini: Das Ende aller Sicherheit (in: Die Gegenwart, 9. Jg., Heft 23/1954, S. 722-724). 186 Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer 1949-1959 (Stuttgart/Wiesbaden 1981, S.435f.), der meint, Martini habe hier immerhin eine berechtigte Frage nach der Krisenanfälligkeit der Demokratie gestellt. 187 Winfried Martini: Freiheit auf Abruf. Die Lebenserwartung der Bundesrepublik (Köln/Berlin 1960). Das Buch konnte aber den Erfolg des ersten nicht wiederholen - trotz der schmissigen Formulierung vom Grundgesetz als „Entmächtigungsgesetz"; die Bundesrepublik sei noch schwächer als Weimar und wäre bei vergleichbaren „Notständen" nach drei Monaten erledigt, Notstandsgesetze und ein Umbau der Verfassung seien notwendig („Kapitulanten" seien aus der Verantwortung nehmen, Strauß dagegen sei als Kanzler empfohlen etc.). 188 Fritz René Allemann: Bonn ist nicht Weimar (Köln/Berlin 1956). Einen ähnlichen Erfolg wie Martini konnte später die - Carl Schmitt stilistisch wie inhaltlich verpflichtete - politische Essayistik Rüdiger Altmanns („Das Erbe Adenauers", 1960), Johannes Gross' („Lauter Nachworte", 1965, „Die Deutschen", 1967) und Armin Möhlers („Was die Deutschen fürchten", 1965) verbuchen. 189 Vgl. Christian Graf von Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger,
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Erst später wurde deutlich, wie sich unter den Bedingungen der sicherheitsbedürftigen 50er Jahre auch eine Transformation des Konservatismus insgesamt vollzogen hatte. Das antidemokratische Denken der Weimarer Zeit hatte zu diesem Zeitpunkt seine Sprengkraft bereits weitgehend eingebüßt. Hans-Peter Schwarz konstatiert: „Voreilige Soziologen haben damals das Ende des ideologischen Zeitalters proklamiert 190 . Diese Feststellung traf nicht einmal den Geist der Adenauer-Ära richtig, geschweige denn, die darauffolgende Epoche. Es stimmt aber, daß für eine Reihe von Jahren eine gewisse Beruhigung eingekehrt war. Politischer Extremismus war nicht mehr gefragt." 191 Eine Abwehr der von Carl Schmitt angestoßenen Fragestellungen aus Weimarer Zeit, so kann vermutet werden, erfolgte weniger aus Sorge um akute Umsturzgefahren als im Bewußtsein um die Brüchigkeit des Konsenses, im Mißtrauen gegenüber der Tiefe, in der sich demokratisches Bewußtsein zu dieser Zeit bereits habitualisiert hatte. Konstatierbar war demgegenüber die Neigung zu einem Verfassungskonformismus, zu einer Idealisierung des westlichen Verfassungsstaates als Demokratie schlechthin, die keine Zweifel, auch theoretischer Art, zuließ. Es spricht einiges dafür, hierin eine Plansollübererfüllung zu sehen, die in ängstlichem Gedenken an die Analysen Weimars als „Entartungserscheinung" einer idealen Demokratie stand, wie sie auch Carl Schmitt vorgenommen hatte. Doch macht Schwarz nicht nur die nivellierenden Tendenzen der „Mittelstandsgesellschaft" mit ihrem Konformitätsdruck 192 als Ursache für die relative
Carl Schmitt, Martin Heidegger (Stuttgart 1958); Norbert Bolz: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen (München 1989). Diejenigen Personen, denen die antidemokratische und „antispießbürgerliche" Haltung dennoch nicht vollständig abhandengekommen war, sahen sich in die Position kritischer Beobachter eines „Zeitgeistes" versetzt, für dessen biedermeierlichen Charakter spöttische Bemerkungen nicht schwerfielen. Mit dieser ironischen Haltung konnten sie freilich mit Angehörigen jüngerer Jahrgänge in Verbindung treten - hierbei war die Bedeutung struktureller Ähnlichkeiten für Koalitionen ausschlaggebender als die politischer. 190 Vgl. Otto Brunner: Das Zeitalter der Ideologien: Anfang und Ende (in: Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, S. 154-219); Raymond Aron: Opium für Intellektuelle oder Die Sucht nach Weltanschauung (Köln/Berlin 1957); Daniel Bell: The End of Ideology. On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties (Glencoe, 111. 1960); dazu auch Karl Dietrich Bracher: Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert (München 1985, zuerst 1982). 191 Schwarz (Ära Adenauer, 1981, S. 431). 192 Schelskys These konnte auch als gegen die DDR gerichtet interpretiert werden, i. d. S., daß der Westen die klassenlose Gesellschaft eher erreicht habe als der Sozialismus. Zum Konformitätsdruck vgl. etwa Erica Pappritz, Verfasserin des maßgeblichen Benimm-Buches ihrer Zeit, die 1956 schrieb, daß „die Gesellschaft — d.h. der Kreis aller Menschen mit Herz, Charakter und einem natürlichen Sinn für Korrektheit - ihre Tore vor den Außenseitern schließt", die sich nicht zu „benehmen" wüßten (zit. nach „Heimweh nach den falschen Fünfzigern", in: Der Spiegel, Heft 14/1978, S. 97).
7. Das verlorene Gewissen
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Effektlosigkeit konservativer Kritik aus, sondern auch den Gegendruck eines geistigen Vorläufers der sozialliberalen Koalition: Ein „Ruch von intellektueller Inquisition" habe über der politischen Landschaft der 50er Jahre gelegen und sei eine beliebte Waffe bei publizistischen Auseinandersetzungen gewesen, nicht immer fein, aber in seinen Konsequenzen durchaus segensreich: „Die Stoßrichtung sozialdemokratischer und vielfach auch der liberalen Vergangenheitsbewältigung ging in erster Linie auf die Verbindung zwischen den Nationalsozialisten und der traditionellen deutschen Rechten in Politik, Verwaltung, Reichswehr, Justiz sowie an den Universitäten. Man bemühte sich hier, ein möglichst breites gesellschaftliches und geistiges Wurzelwerk der deutschen Katastrophe freizulegen und deutlich zu machen, daß sich die Konservativen durch die Allianz mit Hitler diskreditiert hatten." 193
7. Das verlorene Gewissen Sucht man nach Zäsuren innerhalb der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte, dann gibt es gute Gründe, um das Jahr 1957 herum die unmittelbare Nachkriegszeit enden zu sehen: die Rentenreform wurde als letzter Baustein in das Gefüge der Sozialgesetzgebung eingesetzt, im gleichen Jahr die CDU zur absolut stärksten politischen Kraft im Parlament. Der Umschwung von den „Gründerjahren" der Republik zur gefestigten Kanzlerdemokratie sollte sich als „Epochenwechsel" erweisen194. 1958 schien die Sicherheit des Staatswesens derart gefestigt, daß Innenminister Gerhard Schröder die Ausarbeitung einer Notstandsverfassung anmahnte - wie zum Beweis dafür, daß man nun des Tabus eines „verdrängten Ausnahmezustandes" nicht mehr bedürfe 195 . Die lange und quälend sich hinziehende Debatte, die mit einer Eskalation des Protestes und dem „Durchpeitschen" des Gesetzentwurfes in den Jahren 1967/68 endete 196 , sollte zeigen, wie hierbei tatsächlich „schlafende Löwen" geweckt 19
3 Schwarz (Ära Adenauer, 1981, S.433f.); vgl. dazu Arnold Gehlens spätere Kritik an der gesinnungsethischen Mentalität der Bundesrepublik (Moral und Hypermoral, Frankfurt/M. 1969). 194 So auch Hans-Peter Schwarz, der seine beiden Bände zur Geschichte der Bundesrepublik mit diesem Jahr unterteilte. 195 Nach Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen (in: Neue Juristische Wochenschrift, 31. Jg., Heft 31/1978, S. 1881-1890 - Carl Schmitt gewidmet). Vorüberlegungen zum „Staatsnotstand" schon bei Konrad Hesse: Ausnahmezustand und Grundgesetz (in: Die öffentliche Verwaltung, 1955, S.741ff.). Weitgehend folgenlos hatte Serge Maiwald schon zu Beginn der 50er Jahre über den Ausnahmezustand reflektiert (Das atlantische System im permanenten Ausnahmezustand, in: Universitas, Hefte 3 und 4/1951). 196
Und tatsächlich waren sie, wie Martini geargwöhnt hatte, auch der verunsichernden Erfahrung der ersten stärkeren ökonomischen Krise 1966/67 geschuldet. Vgl. Maren Krohn: Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze (Köln 1981) sowie
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4. Kapitel — Sicherheit
wurden 197 . Die Notwendigkeit, mit der sich bei der Thematik historische Parallelen offenbarten und man sich an Schmitts Kommentierungen der Weimarer Ausnahmegesetzgebung erinnert fühlte 198 , gab nach der Vorlage eines ersten Entwurfs 1960 zu der Befürchtung Anlaß, sie werde von den Gegnern der Demokratie zum Umsturz genutzt werden können. Kritiker wähnten gar, es gelte, sich gleichsam gegen ein neues Ermächtigungsgesetz zu stellen 199 . Dies war aber nur die staatsrechtliche Seite einer erneuten Publizität des Themas Vergangenheit, deren „Aufarbeitung" nun eingefordert wurde 2 0 0 . Die junge Generation der bundesdeutschen Schriftsteller hatte das Jahrzehnt mit zunehmender Besorgnis über die „Ohne-mich"-Haltung begleitet, deren Kehrseite soziale Gleichgültigkeit und das Gefühl seelischer Leere bildeten. Lyrik (Paul Celan, Günther Eich), Drama (Wolfgang Borchert) und Prosa (Gerd Gaiser, Heinrich Boll) hatten sich literarisch mit der Unfähigkeit und dem Unwillen auseinandergesetzt, über die Vergangenheit des Krieges und die seelischen Defizite des Nachkrieges zu sprechen, hatten die verschiedenen Arten des Schweigens reflektiert und damit einen - wenn auch begrenzten — Erfolg gehabt 2 0 1 . Nun wandte sich auch die Tagespublizistik wieder dem „verlorenen Gewissen" zu und bezog sich dabei auch auf die politische Vergangenheit 202 . Hakenkreuzschmierereien und die Wiederaufnahme von NS-Prozessen, v. a. der Eichmann-Prozeß in Israel Michael Schneider: Demokratie in Gefahr? Der Konflikt um die Notstandsgesetze: Sozialdemokratie, Gewerkschaften und intellektueller Protest (1958-1969, Bonn 1986). 197 G. v. Uexkiill: Bonns Innenminister weckte einen schlafenden Löwen (in: Die Tat, Zürich, vom 17. November 1958; Uexkülls Aufhänger war Schmitts Souveränitätsdefinition) : 198 Zum Beispiel Michael Freund: Die Not mit dem Notstandsgesetz (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Juni 1959; auch hier kam bei dem Thema notwendig Schmitt ins Spiel). Die Notstandsgesetze bedingten eine neue Auseinandersetzung mit dem Art. 48 WRV (Schmitts Standpunkt: nicht das Konstrukt war falsch, sondern sein Mißbrauch, Hindenburg sei Opfer seines Legalitätsbedürfnisses geworden, der Wahlausgang sei eine „Prämie auf den legalen Machtbesitz" gewesen). 199 Vgl. Peter Graf Kielmansegg: Lange Schatten (Berlin 1989, S. 82). Tatsächlich war mit Josef Koelble immerhin zeitweise ein Schmitt-Schüler mit der Ausarbeitung beauftragt. Vgl. auch die Debatte über die Haltung zu den Notstandsgesetzen zwischen Hermann Lübbe und HansJoachim Arndt (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 437, 441f.). 200
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202
Theodor W. Adorno: Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit (1959, in ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt/M. 1963, S. 125—146). Eckhard Jesse („Vergangenheitsbewältigung" in der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat (1987), S. 539-565, hier S. 550) vermutet mit Verweis auf Fritz Bauer, der Begriff „Bewältigung der Vergangenheit" sei von Theodor Heuss eigeführt, zumindest häufig verwendet worden. Über die Sprachlosigkeit der Kriegsheimkehrer etwa Heinrich Boll: Und sagte kein einziges Wort (1953), jetzt aus dem Nachlaß ders.: Der Engel schwieg (1991). Für einige Unruhe in der intellektuellen Szene sorgte Kurt Ziesel: Das verlorene Gewissen (München 1958, dort S. 13 über sein Motiv: „Es gibt eine Verantwortung, der man sich nicht entziehen kann, es gibt ein Gewissen, das dem geistigen Menschen verbietet zu schweigen").
7 Das verlorene Gewissen
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mit seiner Entdeckung einer erschreckenden „Banalität des Bösen", erinnerten an den nach wie vor latenten Antisemitismus und an das Ausmaß der Verbrechen unter totalitärer Herrschaft 203 . Vielen wurde deutlich, wie sehr die politische Kultur der jungen Bundesrepublik einer unnatürlichen Stille über diesen Erfahrungsbereich unterworfen war. Separiert und durch Dämonisierung isoliert hatte sich eine ganze Dimension der Vergangenheit in Quarantäne befunden - nun wurde „wiederentdeckt", wie gegenwärtig diese Vergangenheit war 204 . Die Stimmungsveränderung von der „Gnade des Vergessens"205 zur sog. „Vergangenheitsbewältigung" setzte um 1960 ein. Über deren Sinn und Nutzen wurde während des kommenden Jahrzehnts immer heftiger gestritten. Tatsächlich hatte die Erinnerung aber wohl nur einen anderen Aggregatzustand angenommen, kehrte aus Residuen zurück, in denen die damit verknüpfte psychische Belastung lediglich „überwintert" hatte. Vor allem traf die Erinnerung auf eine nachwachsende Generation, die von der verschwiegenen Übereinkunft der Älteren, die jüngere Geschichte auf sich beruhen zu lassen, nichts mehr wußten. Der Bruch in der Tradition erweckte ihr Mißtrauen und ließ den Bereich öffentlicher Moral zunehmend bigott und verlogen erscheinen 206 . Die geistige Dürre wurde beklagt und erschloß den Kritikern der politischen und kulturellen Entwicklungen ein größeres Publikum als im Jahrzehnt zuvor. Nicht nur wurden erneut „versäumte Reformen" beklagt 207 - unter dem Signum des „Schweigens", das
203
Herbert Jäger: Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität (Frankfurt/M. 1967). 204 1962 erschien „Die unbewältigte Gegenwart", hg. vom W N , mit Angriffen u. a. auf H. J. v. Merkatz, W Grewe, E. Kaufmann, E. Achenbach, Th. Maunz, W. Best, R. Höhn, A. Six, H. Speidel, E. Forsthoff, O. Koellreutter. Schon im März 1960 hatte es anläßlich einer Tagung „Überwindung des Antisemitismus" Angriffe gegen Maunz gegeben (u. a. durch Alfred Wiener, Ossip K. Flechtheim, Heinz Galinski u. a., s. ebd., S. 37f.). 205 Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer 1957-1963 (Stuttgart/Wiesbaden 1983, S.205); bei Schwarz heißt es dazu, die Parteien hätten gut daran getan, Verwicklungen ihrer Mitglieder, Koalitionspartner oder gar Funktionäre in die jüngste Vergangenheit „nur mit Schweigen oder allenfalls in einer nicht allzu spezifischen Weise zu gedenken, vor allem aber das Herumstochern in individuellen Lebensläufen zu lassen", die Hinweise aus der DDR seien eher kontraproduktiv gewesen und „für viele lange Zeit ein weiterer Grund, die Sache auf sich beruhen zu lassen" (S. 207); die ständigen Erinnerungen während der 50er Jahre habe es aber durch den DGB, linkskatholische und sozialistische Schriftsteller sowie einige Professoren und Journalisten gegeben; die Folge des Umschwungs um 1960 sei, nach Schwarz, „eine ganz auffällige Neigung [gewesen, v.L.], die NS-Vergangenheit gleichsam zu entpolitisieren und sie statt dessen zu kriminalisieren" (S. 209). 206
207
Bernward Vesper: „Hier ist die Zeit nicht" (s. Der Spiegel, Nr. 14/1978, S. 102) sowie seine Autobiographie, die nachdrücklich wie keine andere diesen Umschwung mit seinen Radikalisierungsmöglichkeiten im Vater-Sohn-Konflikt (mit dem NS-Schriftsteller Will Vesper) dokumentiert (Die Reise. Romanessay, Frankfurt/M. 201981). Otto Heinrich von der Gablentz: Die versäumte Reform (Opladen 1960).
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4. Kapitel -
Sicherheit
jetzt erst als Begriff der politischen Kultur florierte208, wurden nach und nach immer mehr tabuisierte Fragen aufgeworfen, wie das Entfernen der Kirchen von ihrer Basis oder ihre Rolle im ,Dritten Reich' 209 . Die Erinnerung riß zugleich Gräben wieder auf, die mit dem Kitt des Kollektivtrotzes kaschiert worden waren. Waren es nicht Emigranten, „Spätsieger" und „DDRSympathisanten", die hier ihre Spitzen gegen die Symbolfiguren einer Versöhnung mit den Ehemaligen (Maunz, Globke, Oberländer) richteten? Sollte die „Vergangenheitsbewältigung" eine späte Rache an der ausgebliebenen Neuorientierung sein, in der Konflikte der Gegenwart in die Vergangenheit projeziert wurden? So jedenfalls wurde von denjenigen geargwöhnt, die den Nutzen der „Vergangenheitsbewältigung" bezweifelten und (ζ. T. berechtigte) Kritik an ihrer Funktionalisierung in politischen Tagesauseinandersetzungen übten. Zwar hefteten sich in der Tat wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder nachgetragene Ressentiments, Machtüberlegungen und Konkurrenzen an die Vergangenheitsdebatte, doch war ein dahinterliegendes ernsthaftes Bedürfnis nach Wiederaufnahme vieler vom Konsens unterdrückter Fragestellungen unübersehbar: Wie verhält sich der Intellektuelle zur Macht, das Gespräch zum Schweigen, Recht zur Politik? Katalytische Bedeutung kam der Entdeckung „brauner" Biographieanteile bei Universitätsmitgliedern zu, und die Institution reagierte darauf mit eher „hilflosem Antifaschismus"210. Die Befürworter des Konsenses der Verschwiegenheit unterschätzten jedoch die Unausweichlichkeit und innere Dynamik, die Verdrängtem eigen ist, welches mit der Kraft des Wiederholungszwangs in das Bewußtsein zurückkehrt. 208
Bezeichnenderweise war es ein Film mit dem Titel „Das Schweigen" (Ingmar Bergmann), der sinnfällig den prüden und tabureichen 50er Jahren ein Ende verhieß - er führte zu lebhaften Gesprächen über die verkrusteten Moralbegriffe der Zeit und nahm diesmal einen anderen Ausgang als die Debatte über „Die Sünderin" von 1951, in deren Gefolge man sich mit „Schmutz- und Schund"-Gesetzen einer ,wehrhaften' Moral befleißigt hatte.
209
Vgl. den Begriff „schweigende Kirche" als Umschreibung der Entfremdung zwischen der katholischen Kirche und ihrer Basis durch Carl Amery (in: Bestandsaufnahme, hg. von Hans Werner Richter, München/Wien/Basel 1962, S. 176f.). Das Buch von Richter wird von Schwarz als eine Art „Summa" der Kritik an der Adenauer-Ära bezeichnet (Schwarz, Ära Adenauer, 1981, S.448, in diesem Zusammenhang auch sein Wort vom „mißtönenden Möwengekrächze" der Intellektuellen). 1958 veröffentlichte Heinrich Boll einen „Brief an einen jungen Katholiken" über die Rolle der Kirchen im ,Dritten Reich'. Eine längere Debatte war 1961 auch durch einen Aufsatz Ernst-Wolfgang Böckenfördes ausgelöst worden (Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung, in: Hochland, 53. Jg., Heft 3/1961, S. 215-239); den Durchbruch zu öffentlicher Thematisierung schaffte erst Rolf Hochhuth 1963 mit seinem Stück „Der Stellvertreter" (dazu Wilfried E Schoeller: Das Ärgernis des Schweigens, in Georg M. Hafner/Edmund Jacoby (Hg.): Die Skandale der Republik, Reinbek 1992, S. 8 6 - 9 3 ) .
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Vgl. die Kritik der entsprechenden Vortragsreihen von Wolfgang Fritz Haug: Der hilflose Antifaschismus (Köln 1977, zuerst 1967).
5. Kapitel - Universität
1. Universität zwischen Vergangenheit und Zukunft Auch an den Universitäten waren 1945 viele ihrer Mitglieder von der Notwendigkeit überzeugt, die Institution habe aus der jüngsten Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen. Als vordringlich galt dabei die personelle Säuberung um diejenigen Mitglieder, deren Engagement für eine Politisierung der Universität im nationalsozialistischen Sinne allzu bekannt oder deren Untragbarkeit aus anderen Gründen allzu offensichtlich war. Als ebenso unglücklich wie unausweichlich erwies sich der Umstand, daß nun interkollegial miteinander ins Gericht gegangen wurde. Unbelastete oder widerständige Professoren wurden in Kommissionen berufen mit dem hauptsächlichen Ziel, die moralische Autorität der deutschen Universität, deren Ethos reiner Wissenschaftlichkeit schweren Schaden genommen hatte, wiederherzustellen. Eduard Spranger, Gerhard Ritter, Karl Jaspers, Gerd Teilenbach oder Hans-Georg Gadamer wurden zu Integrationsfiguren dieses Versuchs einer Selbstreinigung der deutschen Wissenschaft 1 . Neben der personellen Säuberung (der im Dezember 1945 auch Carl Schmitt mit einem knappen Schreiben des Berliner Rektors Stroux unterworfen wurde 2 ) gab es an den Universitäten wie bei anderen Trägern gesellschaftlicher Tradition den unwillkürlichen Gedanken einer grundlegenden Umstrukturierung. Nicht nur von Seiten der Alliierten wünschte man sich die Institution demokratischer, weltoffener, kurz: „moderner". Alsbald einberufene Gespräche über die Zukunft der deutschen Universität konstatierten dringenden Handlungsbedarf, sie gingen über in Reformkommissionen, die schon deutlich kompromißgeprägte Empfehlungen aussprachen 3 . Ihrerseits trafen sie zur Zeit ihrer Veröffentlichung bereits auf eine Praxis, die sich bei währender Gesprächszeit längst wieder in bekannten Strukturen verfestigt
1
Über den Ausschuß zur Erneuerung der deutschen Universität s. Eduard Spranger: Die Universität Berlin nach Kriegsende 1945 (in ders.: Hochschule und Gesellschaft, Heidelberg 1973, hier S. 278f.). 2 Brief vom 29. Dezember 1945 (HSTAD RW265-398, Nr. 62). 3 Vgl. die Marburger Hochschulgespräche zur Universitätsreform vom 12. —15. Juni 1946 (dazu Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945, München 1989, S. 85) oder den Ausschuß für Hochschulreform, der 1948 in 95 Thesen [!] Vorschläge zu einer Erneuerung der deutschen Universität unterbreitete.
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5. Kapitel — Universität
hatte4. Der Andrang von sechs Studentengenerationen hatte sich als der zwingendere Handlungsbedarf erwiesen. Wenn auch die Reformbemühungen fürs erste weitgehend scheiterten und ihre Befürworter bisweilen darüber resignierten5, wäre es sicher falsch, im Universitätsbereich fortan von einer hermetischen Verschwiegenheit über das Vergangene zu sprechen. Trotz stillschweigender Unterschlagungen in den Bibliotheken6 und trotz der später so erstaunt konstatierten „Lücken" in der wissenschaftlichen Vita vieler Professoren zwischen 1933 und 1945 blieb das akademische Milieu einer der wenigen Bereiche, in denen es auch in den 50er Jahren hin und wieder zu einer Thematisierung dieser Zeit kam. Der Anstoß besonderer Ereignisse oder die Bereitwilligkeit Einzelner waren jedoch dafür notwendig, um die im akademischen Bereich latent beibehaltene „moralische" Haltung der „Stunde Null" zu reaktivieren. Beispielhafte Anstöße boten ζ. B. die Wiederaufführung von Filmen Veit Harlans, die schon 1952 in Freiburg heftige Studentenproteste hervorriefen7, oder die Berufung des rechtskonservativen Verlegers Leonhard Schlüter zum niedersächsischen Kultusminister im Jahre 1955, die nicht nur die Studentenschaft, sondern die gesamte Universitätsverwaltung Göttingens in einen geschlossenen Streik treten ließ8. Generell aber galt auch an den Universitäten bald nach ihrer Wiedereröffnung tendenziell die Devise, Debatten um die jüngere Vergangenheit möglichst leidenschaftslos zu halten, um nicht wertvolle Aufbauenergien in Emotionen zu binden. Eine politische Sterilität war an den Universitäten in der Konsequenz wohl zu bemerken, deren posi-
4
Dazu Rüdiger Bolz: Ansätze einer Universitätsreform im Spiegel deutscher Nachkriegszeitschriften (in Gerhard Hay (Hg.): Zur literarischen Situation 1945-1949, Kronberg 1977, S. 63-85) sowie Falk Pingel: Wissenschaft, Bildung und Demokratie - der gescheiterte Versuch einer Universitätsreform (in Josef Foschepoth/Rolf Steininger (Hg.): Britische Deutschland- und Besatzungspolitik, Paderborn 1985, S. 183-209). 5 Karl Jaspers als engagiertester Vertreter einer neuen „Idee der Universität", die auf die Bildung des ganzen Menschen abzielte, nahm u. a. deshalb 1949 einen Ruf nach Basel an (vgl. auch die Gegenbilanz zu den Reformbemühungen bei Ludwig Elm: Hochschule und Neofaschismus. Zeitgeschichtliche Studien zur Hochschulpolitik in der BRD, Berlin 1972). 6 Überarbeitete Neuauflagen wurden, ohne dies kenntlich zu machen, vielfach um vermeintlich vordergründige „Zugeständnisse an den Jargon der Zeit" reduziert und entpolitisiert. 7 Vgl. Clara Menck: Studenten gegen Harlan (in: Der Monat 42, 4. Jg., März 1952, S. 573-583, s. auch Artikel „Demonstration gegen Veit Harlan", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Juni 1952): offenbar trafen die Studentenproteste auf starkes Mißfallen in der Bevölkerung - Mißfallen, das wohl im Zusammenhang mit den nicht sehr populären Wiedergutmachungszahlungen an den Staat Israel gesehen werden muß. » Helmut Jaeserich: Die Göttinger Dreitausend (in: Der Monat 82, Juli 1955, S. 291-301), der in der „Wachsamkeit außerparlamentarischer Kräfte [...] ein neues Element in unser obrigkeitsfrommes Staatsbürgerleben" eintreten sah (ebd., S.292). „Von allen konvergierenden Kraftlinien die stärkste aber war wohl der Drang, nicht wieder untätig zuschauen zu wollen[...]" (ebd., S.301).
1. Universität zwischen Vergangenheit und Zukunft
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tive Kehrseite wurde aber besonders herausgestrichen: eine um so stärkere Konzentration auf das Fach und eine Sachlichkeit, die vom Standpunkt reiner Wissenschaftlichkeit als „goldene Zeit" empfunden werden konnte 9 . Dies kam nicht zuletzt dem Bildungshunger der Studenten entgegen, wenn nicht die Vorboten der Massenuniversität und der Zerfall der Fakultäten vielen die Freude an Studium und Lehre bereits wieder verdorben hätten 1 0 . Auf der anderen Seite hatte sich das Angebot für politisch interessierte Studenten der Geisteswissenschaften mit der Zeit spürbar erweitert; der Einfluß der aus der Emigration zurückgekehrten Wissenschaftler machte sich in einem „Demokratisierungsschub" 11 deutlich bemerkbar und ließ über die gelegentliche Provinzialität und Rückständigkeit vieler hinwegsehen, die bruchlos weitergelehrt hatten oder „wiederverwendet" worden waren. Der eigentliche Durchbruch von Neuansätzen erfolgte aber erst in den 60er Jahren; so lange blieben ihre Vertreter Außenseiter des Betriebs oder mußten neben dem Studium entdeckt und erschlossen werden. Seit den späten 40er Jahren schleppte sich das aus dem Geist der Besinnung auf die klassische Bildung entworfene „Studium Generale" an verschiedenen Universitäten mehr schlecht als recht in seinen institutionellen Bahnen. Es überdeckte dabei, daß die Universitätsausbildung den sich verändernden Verhältnissen und Bedürfnissen der Industriegesellschaft vielfach nicht mehr angemessen war. Helmut Schelsky wies in seiner Münsteraner Antrittsvorlesung schon 1960 auf die Strukturveränderungen der universitären Bildung hin 12 . Es dauerte aber bis 1964, ehe die Beschwörung einer
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Die 50er Jahre waren i.d.S. gleichsam eine Abendröte der deutschen Mandarinenherrlichkeit. Vgl. dazu Heinrich Behnke: Semesterberichte. Ein Leben an deutschen Universitäten im Wandel der Zeit (Göttingen 1978), der von den „goldenen 50er Jahren" spricht: die Studenten seien besonders leicht zu lenken, 5—15 Jahre älter als heutige Studenten gewesen und hätten die Kriegsjahre vergessen wollen. Der Mathematiker Behnke hatte sich 1947 (Am Tor zur Hochschule, in: Frankfurter Hefte, 2. Jg., Heft 3/1947) gegen Reformen zur Öffnung der Universität gewandt, die „ihre bemerkenswerte Neutralität gegenüber innenpolitischen Spannungen und Experimenten" [!] beibehalten müsse.
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Behnke (Semesterberichte, 1978, S. 215) berichtet: bis Ostern 1948 habe es in Münster noch eine einheitliche philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät gegeben, die von der Archäologie bis zur Zoologie reichte, danach hätten sich die Wissenschaften auseinanderentwickelt und die Fakultät sei in (1978) 13 Fachbereiche zerfallen. Joachim Ritter, an der gleichen Universität lehrend wie Behnke, schrieb am 17. Mai 1957 an Carl Schmitt, er habe zwar große Freude an der Lehrtätigkeit, aber die Zunahme der Masse von Studierenden sei beängstigend, der persönlicher Kontakt immer schwieriger und nur Reste des Otiums, aus dem die Arbeit leben sollte, ließen sich retten (HSTAD RW265 - 2 2 0 , Nr. 550). Vgl. auch die einleitenden Bemerkungen zu seinem Aufsatz „Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft" (1963, abgedruckt in ders.: Subjektivität, Frankfurt/M. 1973, S. 105-140).
11 Hauke Brunkhorst: Der Intellektuelle im Land der Mandarine (Frankfurt/M. 1987, S. 96). 12 Schelsky baute den Vortrag aus zu: Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen (Reinbek 1963).
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5. Kapitel — Universität
vermeintlichen „Bildungskatastrophe" (Georg Picht, Ralf Dahrendorf) den Signalen zu einem Umschwung in der Universitätspolitik Nachdruck verlieh13. Bis dahin hatte, wer ein Studium aufnahm, mit bevorzugten beruflichen Karrieren rechnen können - auch wenn er den klassischen „Bildungs"-Auftrag ernst nahm, nicht allzu ziel- und verwertungsbezogen studierte und sich eher generalistisch zu orientieren suchte. Die Zahl der Studenten und der Bedarf an ausgebildeten Akademikern standen in vielen Fächern noch in einem krassen MißVerhältnis — zugunsten der Studenten: „Als ich studierte", berichtet Martin Greiffenhagen, „war die deutsche Universität noch die alte: Bildungsstätte einer bürgerlichen Elite junger Leute, die mit einem in den Geisteswissenschaften weitgehend frei gestalteten Studium den Anspruch auf eine Führungsposition in der Gesellschaft erwarben. Das hatte sich bis 1965 nicht geändert .. ." 14 Es war dies die Studentengeneration, die seit den späten 60er Jahren für etwa zwei Jahrzehnte den Nachwuchs in Wissenschaft und Politik stellen sollte. Was hatte nun ein in vielem vergangenheitsbehafteter Wissenschaftler wie Carl Schmitt einer Studentengeneration zu sagen, die in eine konfliktscheue Gesellschaft hineingewachsen war? Was bedingte seine wissenschaftliche Fortexistenz, ja, was ließ ihn — wenngleich oft hinter vorgehaltener Hand — zu einem der meistdiskutierten Namen innerhalb der deutschen scientific community' werden? Es sollen im folgenden zunächst die vor- bzw. außerwissenschaftlichen Kriterien benannt werden, die für Wirkungsgeschichten und geistige Diffusionsprozesse generell konstitutiv, wenn nicht entscheidend sind.
2. Göttingen An jeder Universität bilden sich unter den Studenten Gruppierungen und Freundschaften heraus, in denen sich für eine gewisse Zeit die Bildungsgeschichten der Beteiligten parallel schalten, in denen wohl auch eine gewisse Konkurrenz untereinander Ansprüche und Leistungen hervorbringt, die eine etablierte akademische Lehre herausfordert und bisweilen geradezu in Zugzwang zu setzen vermag. Dies war in der Nachkriegssituation, in der mehrere physisch wie geistig ausgehungerte Jahrgänge an die Universitäten strebten und mit ihrer verlorenen Lebenszeit geizten, in verschärftem Maße der Fall. Schlägt eine solche Konkurrenzsituation ins Produktive, orientieren sich die 13
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Die Zahl der Studenten hatte sich bis dahin bereits verdoppelt: 1950/51: 108000 Studenten, 1962/63: 213000 (zit. nach Hans-Peter Schwarz: Modernisierung oder Restauration? (in Kurt Diiwell/Wolfgang Köllmann (Hg.): Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Land Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1984, S. 2 7 8 - 2 9 3 , hier S. 281). Martin Greiffenhagen: Jahrgang 1928 (München 1988, S. 121); vgl. jetzt auch die quantitativen Analysen von Peter Weingart u. a.: Die sog. Geisteswissenschaften: Außenansichten (Frankfurt/M. 1991); für die qualitative Analyse Walter H. Pehle/Peter Sillem (Hg.): Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945? (Frankfurt/M. 1992).
2. Göttingen
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Freundes- und Studiengruppen über das Lehrangebot hinaus, rezipieren Abseitiges, Verfrühtes oder Verspätetes. Und steht ein Publikationsorgan zur Verfügung, entsteht ein geistiges Nährklima von oft außergewöhnlichem Ertrag. An der Universität Göttingen herrschte solch ein Klima. Die zunächst einzige niedersächsische Landesuniversität war im September 1945 die erste Westdeutschlands, die ihren Lehrbetrieb wieder voll aufnahm. Dies machte die Stadt für viele Studenten besonders attraktiv, und bekannte Namen innerhalb der Professorenschaft versprachen ein anspruchsvolles Studium 15 . Mit Wilhelm Hennis, Horst Ehmke und Peter von Oertzen fand sich dort ein Freundeskreis zusammen, der — aus akademischen Haushalten stammend — sein Bildungswissen in der charakterisierten Weise überkanonisch erweiterte. Als Jura- bzw. Politik-Studenten stießen sie unter anderen auch auf Carl Schmitt, und die Auseinandersetzung mit ihm ist bei diesen Smend-Schülern16 bis in ihre jeweiligen Dissertationen hinein nachweisbar 17 . Trotz gelegentlicher Korrespondenz mit dem Alten aus Plettenberg aber ist die Distanz zu ihm nicht nur aus Loyalität zu den Schmitt reserviert gegenüberstehenden Lehrmeistern, sondern aus grundsätzlich verschiedenen politischen Optionen beibehalten worden. Alle drei waren nach dem Krieg der SPD beigetreten und Mitbegründer des Göttinger Sozialistischen Deutschen Studentenbundes'. In der „Göttinger Universitäts-Zeitung" forderte Hennis anläßlich der bevorstehenden ersten Bundestagswahl vom 14. August 1949 zu einer „inneren Bereitschaft" auf, „die Möglichkeiten, die diese Organisation [die Bundesrepublik, V.L.] uns bieten wird, bewußt zu ergreifen". Gegen Werner Webers Warnungen vor einer „Mediatisierung" 15
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Rudolf Smend, Helmuth Plessner, Percy Ernst Schramm, Hermann Heimpel, Gerhard Leibholz, Ludwig Raiser, Wilhelm Grewe u. a. Rudolf Smend (seine Staatslehre war 1928 zeitgleich mit Schmitts Verfassungslehre erschienen) hatte in den 30er Jahren seinen Berliner Lehrstuhl räumen und in die damalige „Provinz" nach Göttingen weichen müssen (wahrscheinlich nicht ohne Beteiligung seines Konkurrenten Schmitt). Smends Integrationslehre wurde zu einer der führenden Interpretamente der bundesrepublikanischen Verfassungsauslegung, besonders über seine Schüler Gerhard Leibholz und Konrad Hesse (beide tätig als Bundesverfassungsrichter), die die Auslegung der Grundrechte als Wert-, Güter- und Kultursystem maßgeblich mit beeinflußten. Weitere Schüler Smends waren Axel von Campenhausen, Henning Zwirner, Peter Haberle und der Theologe Hans Adolf Dombois. Vgl. Peter von Oertzen: Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus (Frankfurt/M. 1974, Diss, von 1953); Ehmkes Dissertation „Grenzen der Verfassungsänderung als Verfassungsproblem" von 1952 (Referenten: Smend und Werner Weber) grenzte sich ausdrücklich von Schmitt ab, indem er die dezisionistische Methodik als eine „Flucht aus der bedrückenden und erdrückenden unendlichen Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit" bezeichnete. Auch der Pluralismus und die Bereitschaft, Kompromisse zu schließen, seien eine Entscheidung (ebd., S.59f.). Schmitt wechselte einige freundliche Briefe mit dem Verfasser (vgl. auch Ehmkes Besprechung des Buches von Peter Schneider: Ausnahmezustand und Norm, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 115. Bd., 1959, S. 187-192).
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5. Kapitel — Universität
des Volkswillens durch die Parteien, die er bei seiner Antrittsvorlesung in Göttingen im selben Jahr geäußert hatte, plädierte Hennis mit Hermann Heller für eine „antagonistisch", nicht „totalitär" verstandene Vielheit der in einem Volke vorhandenen Interessenrichtungen 18 . Alle drei Wissenschaftler fanden nach ihrem Studium Zugang zur praktischen Politik: von Oertzen als Landespolitiker, Ehmke 1 9 und Hennis 20 als Mitarbeiter des sozialdemokratischen Rechtsexperten Adolf Arndt, der zwar „Kronjurist" der SPDFraktion im Bundestag genannt wurde, der gleichwohl auf respektvolle, aber entschiedene Distanz zu Carl Schmitt hielt. Er wurde einer der wichtigsten und auch wirksamsten Gegner der „Schmitt-Schule" im deutschen Staats- und Verfassungsrecht 21 . Auch als Assistent am Frankfurter Lehrstuhl Carlo Schmids war Hennis davor bewahrt, Carl Schmitt gegenüber in stärkere Nähe zu treten. Erst als Mitherausgeber der Publikationsreihe POLITICA neben Roman Schnur wurde der mittelbare Kontakt etwas enger. Aber auch hier wurden Differenzen in den Auffassungen schnell deutlich, der kritische Abstand zu Schmitt wurde trotz aller thematischen Nähe nie überwunden 22 . 18
Wilhelm Hennis: Vierzehnter August (in: Göttinger Universitäts-Zeitung, Nr. 15, vom 5. August 1949, S. 1). 19 Peter von Oertzen übernahm Mitte der 50er Jahre seinen ersten Wahlkreis und hielt bei seiner Jungfernrede im Landtag ein Plädoyer gegen die Einsetzung des Göttinger Verlegers Leonhard Schlüter als neuen Kultusminister des Landes Niedersachsen (vgl. Helmut Jaeserich, in: Der Monat, 1955, S. 294). Von Oertzen wurde dann von 1970 bis 1974 selbst Kultusminister in Niedersachsen. Zu Ehmkes persönlichem und politischem Werdegang s. Hermann Schreiber: Unser Spezialist für alles (in: Der Spiegel, Nr. 17/1969, S. 38-48): nach der Gefangenschaft mit 24 Referendar, mit 25 Promotion bei Smend, mit 33 habilitiert bei Ulrich Scheuner, beliebter und unorthodoxer Professor in Bonn und Freiburg (u. a. launige „Festschrift" zu seinem 40. Geburtstag), dort auch Dekan, von 1952 bis 1956 wissenschaftlicher Assistent Adolf Arndts im Rechtsausschuß des Bundestages, während der großen Koalition Staatssekretär unter Gustav Heinemann, dann selbst Justizminister. Zeitweiliger Assistent Ehmkes war Peter Häberle. 20 Hennis beantwortete den universitären Schwenk von 1968 und die Auseinandersetzungen um eine Reform der Hochschule später mit dem Übertritt in die CDU und der Mitbegründung des „Bundes Freiheit der Wissenschaft". Zu Hennis jetzt Reinhard Mehring: Das politische Dasein erhellen. Zum Politikbegriff von Wilhelm Hennis (in: Politisches Denken. Jahrbuch 1991, S. 147-155); Mehring sieht einige strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Schmitt und Hennis, der wie dieser sich mit seinen Schriften primär an die politische Öffentlichkeit wende und seine Positionen und Begriffe „mit vollem Bewußtsein in die Waagschale der Zeit" werfe, von aktuellen Problemen ausgehend erhelle Hennis ein bestimmtes Fachverständnis durch Hinweise auf Fehlentwicklungen - auch dies erinnere methodisch an Schmitt (ebd., S. 151). 21 Zu Arndt jetzt die biographische Studie von Dieter Gosewinkel: Adolf Arndt (Bonn 1991). Hennis war 1951/52 der erste Assistent des Bundestages überhaupt und bereitete für Arndt u. a. Schriftsätze im Lüth-Prozeß vor. 22 Vgl. aber zum anhaltenden Interesse die Beiträge über Schmitt in der Hennis-Festschrift von
2. Göttingen
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Trotz einer ähnlichen geistigen Disposition zu grundsätzlicher Fragehaltung und trotz inhaltlicher Auseinandersetzung war es nicht nur die Distanz im politischen Standpunkt, sondern wohl auch im Menschenbild, die den Göttinger Kreis von Schmitt trennte. Ähnliche Voraussetzungen verhinderten es an anderen Universitäten, daß dort auf Schmitt vorbehaltlos „angesprungen" wurde. Der Tübinger Iring Fetscher etwa hätte über seine Arbeitsgebiete durchaus mit Schmitt persönlich in Kontakt treten können23. Statt dessen wurde er wie der 1929 geborene Jürgen Habermas (dem gerade für seine frühen Schriften immer wieder eine strukturelle Nähe zu Schmitt nachgesagt wird24) zu einem der profiliertesten Kritiker der konservativen Denkschulen in der Bundesrepublik. Er sei — so berichtete Habermas später — während seines Studiums bei so eminenten Figuren wie Martin Heidegger und Carl Schmitt auf deren Vergangenheit gestoßen: „Diese schockierenden Beispiele [...] haben unser Bewußtsein dafür geschärft, daß die theoretischen Dinge, die man lehrt und schreibt, nicht nur als Argumente in den Wissenschaftsprozeß eingehen und dort überleben", daß sie vielmehr „im Augenblick der Rezeption eine Wirkung auf die Mentalität von Hörern und Lesern haben, die der Autor nicht rückgängig machen, nicht wie ein Argument zurückziehen kann." In diesem Dilemma dürfe man sich weder „der Stimmung objektiver Unverantwortlichkeit überlassen", noch „die eigene Verantwortung moralisierend so überdehnen, daß man Hasso Hofmann, Ernst Vollrath und Peter Haungs in Hans Maier u. a. (Hg.): Politik, Philosophie, Praxis (Stuttgart 1988). 23 So hielt Carl Schmitt auf Einladung des Politischen Forums an der Universität Tübingen am 18. Juli 1955 einen Vortrag über „Die Teilung der Erde" (HSTAD RW265-204, Mat.Nr. 11). Fetscher, Jg. 1922, veranstaltete bereits 1960 ein Seminar über Schmitt, veröffentlichte über Rousseau, Hobbes, Kojèveetc. Seine Antrittsvorlesung 1966 in Frankfurt ging auf Schmitt ein (Auszug davon in Iring Fetscher: Müssen Menschen immer wieder Krieg führen? Gedanken zur Friedenssicherung, in: Frankfurter Rundschau vom 11. Januar 1966, S.9): die konservative Kritik an der Kriminalisierung der Kriege sei „bei uns vor allem von Carl Schmitt und seiner noch immer einflußreichen Schule brillant formuliert worden". Mit Marcuse plädierte Fetscher jedoch für einen Abbau von Vorurteilen in Hinblick auf die Vision einer repressionsfreien Zukunftskultur. Fetscher wurde einer der wichtigsten Vermittler der Werke von Karl Marx. Es fällt auf, daß sich Sekundärarbeiten über Schmitt bzw. den Konservatismus meist erst aus den Schülerkreisen dieser Politologen ergaben (vgl. im Falle Fetschers etwa Richard Saage oder Herfried Münkler). 24
Vgl. Jürgen Habermas u.a.: Student und Politik (1961), das sich (nach Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule, Frankfurt/M. 1989, S. 609) an den Arbeiten „einiger mit einem bösen Blick ausgestatteter konservativ-autoritärer Kritiker der modernen Massendemokratie - Ernst Forsthoff, Carl Schmitt, Werner Weber, Rüdiger Altmann" orientiert habe. Dazu die längere Auseinandersetzung in „Geschichte und Gesellschaft", angestoßen von Ellen Kennedy (Carl Schmitt und die .Frankfurter Schule'. Deutsche Liberalismuskritik im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), S. 380-419 und folgende Hefte). Jüngst wieder bei Heinz Bude: „Der Theoretiker des herrschaftsfreien Diskurses ist ein praktischer Schmittianer" (Die Soziologen der Bundesrepublik, in: Merkur, Juli 1992, S. 569-580, hier S. 577).
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5. Kapitel - Universität
aus Angst vor dem Unbestimmten und Ungewissen erstarrt. Dann bliebe nur noch das Schweigen" 25 .
3. Heidelberg und andere Heidelberg war, ähnlich wie Göttingen, nach dem Krieg rasch eines der bedeutendsten universitären Zentren der westlichen Besatzungszonen 26 . Nahezu unzerstört und Standort der amerikanischen Armee, hatte sich Heidelberg nicht eben als NS-Musterschmiede diskreditiert 27 . Mit Karl Jaspers, Gustav Radbruch, Alfred und Marianne Weber wohnten hier gleich vier Persönlichkeiten, die auf der schmalen „Weißen Liste" der Amerikaner standen. Tatsächlich sollten sie, neben Gerhard Anschütz, Walter Jellinek oder Alexander Mitscherlich, in den Jahren nach 1945 zu Gründungsfiguren der geistigen Re-Orientierung werden 28 . In Heidelberg entstanden im Verlauf der 50er Jahre wichtige Lehr- und Forschungseinrichtungen in den Bereichen Politische Wissenschaften (Dolf Sternberger, Carl Joachim Friedrich), Staats- und Völkerrechtswissenschaften (Carl Bilfinger) und Geschichtswissenschaft (Werner Conze). Zusammen mit Jaspers 29 und Löwith 30 als 25
Jürgen Habermas: Probe für die Volksjustiz. Zu den Anklagen gegen die Intellektuellen (in: Der Spiegel, Nr. 42, vom 10. Oktober 1977, S. 32). 26 „Heidelberg ist geistiger, Göttingen ist wissenschaftlicher" — so eine Formel aus den frühen 50er Jahren, vgl. Greiffenhagen (Jahrgang 1928, 1988, S.82f.), der von einem Heidelberger Kreis junger Leute berichtet, „die sich in denselben Vorlesungen und Seminaren trafen. Überall, wo es interessant war, tauchten wir auf: bei v. Campenhausen hörten wir Kirchenväter, bei Bornkamm Luther, bei Forsthoff Rechts- und Sozialstaat, bei Herbig griechische Baukunst, bei Georgiades Mozart-Opern, bei Kunkel römisches Recht, bei Hess Baudelaire, bei Portmann [...] Verhaltensforschung, bei Rüstow ,Ortsbestimmung der Gegenwart', bei Paatz Malerei des 14. und bei Hartlaub des 20. Jahrhunderts". 27 Den Amerikanern war Heidelberg über den wissenschaftlichen Austausch bereits vor dem Krieg ein Begriff. Zum Heidelberg der 20er Jahre vgl. die Erinnerungen von Edgar Salin und Percy Ernst Schramm (in: Merian, 20. Jg., Heft 2/1965: Heidelberg, S. 78-86). 28 Vgl. Henric L. Wuermeling: Die Weiße Liste. Umbruch der politischen Kultur in Deutschland 1945 (Frankfurt a. M./Berlin 1988). Skeptisch über die Neuorientierung in Heidelberg nach 1945 Frank R. Pfertsch: Neugründung der Universität nach 1945? (in Karin Buselmeier/ Dietrich Harth/Christian Hansen (Hg.): Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 21986, S. 365-380). 29 Jaspers 1945 über Heidegger: „Er und Bäumler und Carl Schmitt sind die unter sich sehr verschiedenen Professoren, die versucht haben, geistig an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung zu kommen. Vergeblich. Sie haben wirkliches geistiges Können eingesetzt, zum Unheil des Rufes der deutschen Philosophie" (Brief an Friedrich Oelkers vom 22. Dezember 1945, abgedruckt in Bernd Martin (Hg.): Martin Heidegger und das ,Dritte Reich'. Ein Kompendium, Darmstadt 1989, S. 150-153, hier S. 152). 30 Löwith hatte sich mehrfach mit Schmitt beschäftigt: neben den bereits in Kapitel 3 angeführten
3. Heidelberg und andere
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wissenschaftlichen Gegnern Schmitts auf der einen, mit den Juristen Ernst Forsthoff und Hans Schneider (aber auch dem Althistoriker Hans Schäfer) auf der anderen Seite, waren im Lehrkörper der ,Ruperto Carola' Personen vertreten, die neben den benannten Instituten Heidelberg schon in den 50er Jahren zu einem Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Carl Schmitt hätten machen können. Gleichwohl bezogen sie Schmitt in ihren offiziellen Lehrstoff nicht unbedingt mit ein 31 , worin Heidelberg sich nicht von anderen Universitäten unterschied: Schmitt mußte während der 50er Jahre in der Regel neben dem Lehrplan entdeckt und studiert werden, selbst auf Schmittschen Spezialgebieten wie dem Völkerrecht 32 . Ein starker Impuls für die Wirkung Schmitts auf bundesdeutsche Nachwuchsakademiker ging statt dessen aus dem Umkreis des greisen Nestors der Soziologie, Alfred Weber, aus. Die charismatische Figur des Kultursoziologen 33 übte eine starke Attraktivität auf solche Studenten aus, die sich der geschichtsphilosophischen Perspektive nicht begeben, diese aber mit einer modernen „Wirklichkeitswissenschaft" in Einklang bringen wollten34. Weber schlug durch seine Fragestellungen und den Anspruch des politischen Engagements 35 in seinen Bann und betrieb über sein langjähriges „privatissimum" unter dem Titel „Demokratie und Sozialismus" eine gezielte Nachwuchsförderung 36 . Zu Beginn der 50er Jahre fanden sich in diesem Kreis später so bekannte Namen wie Nicolaus Sombart (der Sohn des großen Berliner Kollegen), Hanno Kesting, Christa Dericum, Peter Scheibert, Reinhart Koselleck, Hans-Joachim Arndt, Gottfried Eisermann, Harry Pross, Bernhard Vogel, Bruno Deschamps, Leonore Gräfin von Lichnowsky, Heinz Markmann, Götz Roth (Webers „rechte Hand"), Erwin Faul, Heinz
31
32 33
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Arbeiten vgl. ders.: Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933 (Stuttgart 1986, hier S. 8 5 - 8 7 ) . Nach Auskunft von Dieter Groh und Hasso Hofmann konnte man selbst bei Forsthoff erst durch nachträgliche Lektüre entdecken, wieviel er in seiner Vorlesung über „Allgemeines Staatsrecht" seinem Lehrmeister verdankte. Auskunft Roman Schnur und Hans-Joachim Arndt. Jetzt die biographische Studie von Eberhard Demm: Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Boppard 1990). Vgl. auch Greiffenhagen (Jahrgang 1928, 1988, S. 19f.): „In meinem Heidelberger Studium stellte ich mir Lehrer und Fächer zusammen, die solchen personenübergreifenden kulturgeschichtlichen Perspektiven verpflichtet waren." Er nennt Karl Löwith, A.Weber, Alexander Rüstow und Hans-Georg Gadamer.
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Vgl. schon seinen Vortrag auf dem Allgemeinen Deutschen Studententag am 7. März 1947: „Student und Politik" (abgedruckt in: Die Wandlung 1947, S. 2 8 3 - 2 9 4 ) . Zu seinem politischen Engagement vgl. die Sammlung seiner politischen Schriften der Nachkriegszeit: Haben wir Deutschen nach 1945 versagt? (hg. von Christa Dericum, München 1979).
36
Hier führte er seine „Soziologischen Diskussionsabende" fort, die er bis zum Krieg für Studierende aller Fächer veranstaltet hatte und erinnerte wohl auch an die „Heidelberger Aktionsgruppe" der unmittelbaren Nachkriegszeit (vgl. Kapitel 2).
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5. Kapitel -
Universität
Hund, Gerhard Hergt, Hans Heigert und Rudolf Wildenmann. Auch Martin Greiffenhagen nahm gelegentlich daran teil: „Mit über achtzig Jahren zeigte er [Weber, V.L.] eine unglaubliche geistige Frische, auch körperliche Gewandtheit (er sprang noch immer auf die fahrende Straßenbahn auf). Das Seminar war bei seinem hohen Alter natürlich längst privatissime', und es galt für eine hohe Ehre, ihm anzugehören [...]. Nach einem gelungenen Referat bekam man manchmal eine Einladung in das Haus des Geheimrats, zu einer Tasse dünnen Tees [ ..]." 3 7 Von diesen Weber-Schülern löste sich bald ein Freundeskreis, der sich über die mit Carl Schmitt schon persönlich bekannten Nicolaus Sombart und Hanno Kesting freilich der Pflege des Kontaktes mit einem Denker annahm, den man in Gegenwart Alfred Webers besser nicht erwähnte 38 . Über diesen Kreis wurden andere Heidelberger mit Schmitt persönlich bekannt, so etwa Reinhart Koselleck und Hans-Joachim Arndt 39 . Unter den Soziologen bildete sich mit diesen dissidierenden Weber-Schülern eine Enklave heraus, die Züge eines „Carl Schmitt-Fanclubs" annahm - ihre Samstagabendtreffen in den Lokalen vermittelten den Eindruck, hier werde „Welt bewegt" 40 . Man pflegte etwas „Bohème", traf sich in Ateliers befreundeter Künstler und umwarb Schmitts Tochter Anima, wenn sie nach Heidelberg kam, um an Übersetzungen zu arbeiten. Freilich gab es vornehmlich ein inhaltliches Interesse an Carl Schmitt, und es resultierte bei diesen etwa Gleichaltrigen wohl in der Suche nach einem geistigen Gegengewicht gegen eine als allzu liberal und konfliktlos empfundene Ausrichtung der Sozialwissenschaften. Diese bot der zeitgenössischen politischen Situation zwar Leitbilder, den vergangenen Erfahrungen aber kaum Erklärungen. In Schmitt begegnete man einem Träger von Kontinuitätsbewußtsein sowie einem Benenner von Einsichten und „bitterer Wahrheiten", die einem vermeintlich illusionsfreien Verständnis von „Realität" näher zu liegen schienen. Dies prägte eine spezifische Haltung aus, die von den übrigen Studenten deutlich unterschied. Dabei wurde das ohnehin gepflegte Sonderbewußtsein, vor allem in Heidelberg werde die politische und wissenschaftliche Elite des neuen Staates ausgebildet, noch einmal übertroffen. Um diesen Kreis herum konstituierte sich ein Geflecht von Bekanntschaften, dessen innerer Zusammenhalt sich aus der Verehrung für den „Meister" ergab und das sich nach und nach aus verschiedenen Freundeskreisen und „nonkonformistischen" Einzelpersonen vervollständigte. Auch die jungen Jurastudenten Roman Schnur und Ernst37 Greiffenhagen (Jahrgang 1928,1988, S. 84f.). 38 39
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Auskunft Nicolaus Sombart. Zu diesem und Kesting vgl. die Biographien in Kapitel? Arndt war eine Zeitlang Hilfsassistent Webers in PR-Dingen und berichtete u.a. über die von Weber geleiteten Recklinghäuser Gespräche im „Monat" und der „Zeit"; seine Dissertation von 1952 resümierte „Über die Ursachen der Geschichtsfremdheit der amerikanischen Soziologie" (Diss, masch. Heidelberg 1952). Zu Arndt jetzt die Festschrift, hg. von Volker Beismann und Markus Josef Klein: Politische Lageanalyse (Bruchsal 1993). Auskunft Roman Schnur.
3. Heidelberg und andere
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Wolfgang Böckenförde stießen unabhängig voneinander, über Empfehlungen und eigene Lektüre, auf die Schriften Schmitts und fanden in der Überzeugung zusammen, Person und Werk des Staatsrechtlers seien weitaus anregender als das meiste, was ihnen in der Universität sonst gelehrt werde. Nach dem nicht realisierten Plan der Heidelberger „Schmittianer", eine eigene Zeitschrift zu gründen 41 , gelang es ab 1954 für einige Jahre, über den Redaktionsassistenten Schnur das „Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie", dem Organ der „Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie" (IVR), zu einem Forum der jungen Freunde Schmitts zu machen. Wie konnten junge Wissenschaftler zu dieser Zeit auf Schmitt verfallen? Der Brief eines ,Cand. jur.' von 1953 an Schmitt gibt Hinweise darauf: ob Schmitt wisse, stellte er sich vor, wie er an Ausgaben von Donoso Cortés kommen könne, er bitte ihn aber, „nicht nur die Unverfrorenheit, Ihnen, sehr verehrter Herr Professor, als unbekannter Student Wünsche vorzutragen, sondern aus ihnen auch die Verehrung eines Schülers zu seinem Professor herauszulesen" 42 . Schmitt antwortete vorsichtig, aber freundlich, und so wurde der junge Student genauer: „Vielleicht waren es auch die häufigen Ablehnungen von Büchern, die ich nicht kannte, die mich nach Ihnen greifen ließen neben dem Gefühl, dass das, was in den Vorlesungen vorgetragen wurde, es allein nicht sein konnte." Es gebe einen kleinen Kreis von Philosophiestudenten, die Gottfried Benns Bücher gelesen hätten; ihr Geschichtslehrer habe ihnen Thukydides nahegebracht und von dort aus sei es nur ein kleiner Schritt gewesen bis zu Macchiavelli, Nietzsche und Hobbes. Antiquarisches Glück habe diesen „Büchern intellektueller Redlichkeit" Carl Schmitts politische Theologie' hinzugefügt sowie den ,Begriff des Politischen'; er ahne, „wie tief die Verwandtschaft in der Methode, der Fragestellung, der Zeit, der Persönlichkeit und Ihrer Stellung in der Zeit, des Menschenbildes, der Stärke des Diagnostischen und der Beschränkung auf dasselbe ist". Der Satz Schmitts: „Im Interesse intellektueller Redlichkeit ist jede verlorene Illusion ein großer Gewinn" habe für ihn Leitfunktion bekommen, aber derlei Gedanken hinderten nur bei der Vorbereitung zu einem Examen, „bei dem so etwas ,nicht gefragt'" sei43. Ein anderer Jurist stellte sich Carl Schmitt 1954 vor: ihn motiviere die „Sehnsucht nach geistiger Obhut und nach geistiger Aussprache", mit der er sich schon an Ernst Jünger gewandt habe 44 . Schmitt las die Dissertation des jungen Mannes und lobte sie als einen „kühnen Anlauf" 45 . Dankbar für die Aufmunterung offenbarte der Jurist die Belastungen, die das geistige Klima in Deutschland für ihn besitze: „Wenn ich von der Nachkriegsatmosphäre spreche, so möchte ich Ihnen noch einen Umstand mitteilen, 41
Der Titel sollte lauten „Raumrevolution und Weltbürgerkrieg" (bzw. „Archiv für Weltbürgerkrieg und Raumforschung" s. Brief Hanno Kestings an Carl Schmitt vom 22. September 1950, HSTAD RW 265-122, Nr. 10). « Brief vom 18. März 1953 (HSTAD RW265-178, Nr. 83). « Brief vom 11. Mai 1953 (HSTAD RW265-178, Nr. 108). « Brief an Schmitt vom 26. Dezember 1954 (HSTAD RW265-327, Nr. 12). 45 Brief Carl Schmitts vom 13. März 1955 (HSTAD RW 265 -327, Nr. 17).
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5. Kapitel — Universität
der bestimmt Beachtung verdient. Ich glaube, die schwierige Situation der jungen Leute nach dem Kriege bestand in der völligen Beziehungslosigkeit zur älteren Generation. Der Krieg hatte das Band zerschnitten, durch das gewöhnlich eine Generation ihr geistiges Erbe der nächsten Generation mitteilt. Dadurch befand sich die Jugend mit einem Male im luftleeren Raum. Die ältere Generation zog sich in ein unerreichbares geistiges Asyl zurück und die Tradition war zerstört. Ich erinnere mich noch gut, wie ich krampfhaft im Ungewissen tastete, wie ich mir Diskussionen ersann, weil die wirkliche Diskussion nicht ausgetragen wurde und die Gesprächspartner tot waren oder schwiegen. Die Beziehungslosigkeit ist ein schreckliches Los. Um so mehr, möchte ich sagen, freue ich mich über Ihr Vertrauen und über die Möglichkeit, langsam in eine geistige Diskussion hineinzuwachsen." 46 Etwas später schrieb er erneut, es läge eine „unheilschwangere, geradezu atemberaubende Stille über Deutschland. Die alte Generation hat wahrscheinlich ihren Kampf gekämpft und will nichts mehr sagen; die mittlere Generation ist weggeschossen und kann nichts mehr sagen; die junge Generation hat nichts zu sagen. Darüber breitet sich natürlich der Firnis des Wirtschaftswunders und der Restauration aller Art. [...] Die Tatsache ist, daß Sie, Herr Professor, der einzige deutsche Rechtslehrer sind, der sich um meine bescheidenen und hilflosen Bemühungen annimmt und der mir in meinen geistigen Ängsten Mut und Trost zugesprochen hat: sowohl in ihren Schriften wie in Ihren freundl. Briefen." 47 Zwischen Einzelgängern dieser Art und Schmitt entwickelte sich eine sympathetische, ja symbiotische Beziehung. Der privatisierte Jurist des öffentlichen Rechts bot nicht allein für jüngere Generationen ungewohnte Perspektiven und Deutungsmuster an, sondern, vielleicht noch entscheidender, er besaß die Bereitschaft und die Zeit, sich auf suchende Geister einzulassen. Deren Gemeinsamkeit war, sich in Distanz zum wissenschaftlichen „Betrieb" zu fühlen und eine gewisse trotzige Bereitschaft, den Lehrkanon zu überschreiten. Und nicht nur als Jurist, Soziologe oder Politikwissenschaftler, auch als Theologe konnte man während seines Studiums auf Carl Schmitt treffen. So ging es auch den Brüdern Marcel und Robert Hepp, die von 1956 bis 1960 in Tübingen und Erlangen studierten und dort als studentische Aktivisten tätig wurden. Als „Katholische" bzw. „Konservative Front" öffneten sie ihre Vereinigung später auch Nichtkatholiken und erregten mit Go-Ins, Teach-ins und schrägen Flugblättern Aufsehen, so daß sich ein Beobachter an „eine Mixtur aus Thomas von Aquin, Carl Schmitt und Enzensberger" erinnert fühlte 48 . « Brief an Schmitt vom 16. Juni 1956 (HSTAD RW265-327, Nr. 33). 47 Brief an Carl Schmitt vom 12. März 1957 (HSTAD RW265 -327, Nr. 46). 48
Armin Möhler: Von rechts gesehen (Stuttgart 1974, S.325). Zu Marcel Hepp vgl. auch die Biographie von Möhler (Kapitel 7). Robert Hepp promovierte bei Hans-Joachim Schoeps mit einer Arbeit zur Politischen Theologie (Politische Theologie und Theologische Politik. Studien zur Säkularisierung des Protestantismus im Weltkrieg und in der Weimarer Republik, Diss. Erlangen 1967) und stellt sich in das Schmittsche Traditionsmoment einer „katholischen
3. Heidelberg und andere
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Von Marburg aus stießen Rüdiger Altmann und Johannes Gross zu diesen Kreisen sowie Peter Scheibert, der zu Schmitt seit den 40er Jahren einen zwar lockeren, aber dauerhaften Kontakt unterhielt 49 . 1951 schrieb er: „Allen möglichen Leuten hier habe ich Ihre Dinge in die Hand gedrückt, und der,Schmittismus, das reizende Doktrinchen' verbreitet sich mit großer Schnelligkeit" 50 . Andere Freundeskreise bestanden in Hamburg 51 und München 52 . So entstand über die „Entdeckung" Schmitts, über persönliche Bekanntschaften und über die wissenschaftliche Kommunikation ein Kreis, der sich selbst - so eine verbreitete Erfahrung - an bestimmten Begriffen, an spezifischen Fragestellungen und an der thematischen Herangehensweise „erkannte". Hierüber geriet er in Konkurrenz zu anderen „Schulen", etwa der von Smend 53 . Beruflich gingen die jungen Wissenschaftler jedoch verschiedene Wege, die meisten blieben aber der Forschung treu und strebten akademische Karrieren an. Einige trafen sich in der 1946 an der Universität Münster gegründeten Sozialforschungsstelle in Dortmund wieder 54 , später fanden viele aus dem Kreis in der neugegründeten Universität in Bochum zusammen — wohl nicht ganz zufällig, hauptsächlich jedoch, weil sich Verschärfung". Immer dort, wo er Schmitt, Clausewitz, Max Weber etc. liberal „entschärft" sieht, wird Hepp seitdem energisch. 49 Zu Scheibert die Bemerkungen in Nicolaus Sombart: Jugend in Berlin (Frankfurt/M. 1986, S. 114—116) sowie den Geburtstagsartikel von Gottfried Schramm (in: Jahrbuch für Geschichte Osteuropas, NF Bd. 28,1980, S. 317f.). so Brief Scheiberts an Schmitt vom 24. November 1951 (HSTAD RW265-178, Nr. 15). Trotz dieses Diktums blieb er einigen der wissenschaftlichen Ansätze im Gefolge Schmitts gegenüber skeptisch, vgl. seine Besprechungen von Büchern Dieter Grohs (in: Historische Zeitschrift, 197/1963, S. 716-718) und Hanno Kestings (in: Jahrbuch für Geschichte Osteuropas, NF Bd. 12, 1964, S. 460). 51 Hierzu zählten Hans Peter Ipsen, Rolf Stödter, Karl Maria Hettlage, Helmut Quaritsch, KarlHeinz Pfeffer, Otto Brunner, Helmut Schelsky oder Sepp Schelz. Am 22. Februar 1951 hielt Schmitt im Freundeskreis Stödters einen Vortrag über „Das Problem des Friedens" (HSTAD RW265 -204, Mat.-Nr. 11). 52 Die „Tafelrunde" um Armin Möhler (Caspar von Schrenck-Notzing, Winfried Martini, Mohammed Rassem). 53 Die Polarität zwischen Smend- u. Schmitt-Schule galt nach 1945 in der deutschen Staats- und Verfassungslehre schlechthin (so Dieter Gosewinkel: Adolf Arndt, 1991, S. 531). 54 Dort arbeiteten u. a. Hanno Kesting, Hans-Paul Bahrdt, Heinrich Popitz, Ernst-August Jüres und Johannes Chr. Papalekas. Gerade bei den jüngeren Forschern entwickelte sich eine spezifische Haltung gegen andere soziologische Schulen (vgl. Jerry Z. Muller: The Other God that Failed, Princeton, N.J. 1987, S.373f.) und, wie sich ein Gesprächszeuge erinnert, eine ironische Beziehung zum amerikanischen Geldgeber, für den man beweisen müsse, daß für die bundesdeutsche Demokratieentwicklung die Amerikaner unerläßlich seien (Hinweis Ernst Hüsmert); Johannes Weyer (Westdeutsche Soziologie 1945-1960, Berlin 1984, S.294f.) überträgt diese Haltung auf die gesamte Einrichtung, es sei um die „Domestizierung der Arbeiterschaft", um die „Minimierung von Reibungsverlusten", kurz: um „Unternehmensberatung" gegangen.
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5. Kapitel -
Universität
die Nähe von Bildungsweg und rechtzeitiger Qualifikation mit räumlicher Nähe kreuzte 55 . Zwei Gesprächskreise erwiesen sich - obwohl nicht primär um Carl Schmitt zentriert - langfristig als besonders bedeutsam für seine Multiplikation innerhalb der bundesdeutschen Wissenschaft. Es ist sicher ein Zufall, wenngleich symptomatisch, daß es das für die bundesrepublikanische (Geistes-) Geschichte insgesamt so wichtige Jahr 1957 war, in dem Schmitt in beiden Kreisen zum erstenmal auftrat: im „Collegium Philosophicum" Joachim Ritters in Münster und in den „Ebracher Ferienseminaren" Ernst Forsthoffs.
4. Münster: das „Collegium
Philosophicum"
Das „Collegium Philosophicum" des Münsteraner Philosophie-Professors Joachim Ritter hatte eine Geschichte, die bis in das Wintersemester 1947/48 zurückreichte und die in der Tradition der exklusiven Ober- bzw. „privatissimum et gratis" abgehaltenen Seminare stand. Etwa 12 bis 20 Personen waren dort zugelassen, in der Hauptsache handelte es sich dabei um Studenten und Doktoranden Ritters; aber auch Teilnehmer benachbarter Studienfächer waren geladen, was den Anspruch der Interdisziplinarität unterstrich. Im Arbeitszimmer Ritters (wenn die Teilnehmerzahl es zuließ) traf sich eine Gruppe, die im Laufe der Jahre eine außergewöhnliche Kontinuität und einen vielfach freundschaftlichen Zusammenhalt entwickelte, die dem Niveau der „interessanten Intellektualität" 56 des Seminars nur förderlich sein konnte. Die „Ontotogie der Gegenwart" hatte 1947/48 den inhaltlichen Auftakt gebildet, und mit einer Unterbrechung in den Jahren 1953-55, in denen Ritter in Istanbul lehrte, ging es Semester für Semester vorwiegend um die klassischen Texte der Philosophie: Kant, Hegel, Aristoteles, Kierkegaard und Heidegger. Seit 1957 wurden die Seminare flankiert von einem Lesekreis, in dem man philosophische Neuerscheinungen besprach. Es gab Vorträge, zuweilen von auswärtigen Referenten, und da die Seminare meist abends stattfanden, setzten sich die Diskussionen anschließend nicht selten in Münsteraner Kneipen fort. Die Stetigkeit des Diskussionszusammenhangs war über eine ungewöhnliche Kontinuität des Kreises gewährleistet, der seine Mitglieder oft über den Studienabschluß und die Promotion hinaus an sich zu binden verstand. Die meisten Teilnehmer hatten durchaus nicht den Eindruck, als sei es bei der Einrichtung des Seminars vornehmlich um die Bildung einer Schule gegangen57. Schon 55
56 57
Dies war der Fall bei Bernard Willms, Roman Schnur, Helmut Rumpf, Helmut Quaritsch, Christian Meier, Hermann Lübbe, Reinhart Koselleck, Marianne und Hanno Resting, Jürgen von Kempski, Karlfried Gründer u. a. Auskunft Hermann Lübbe. Auskunft Hermann Lübbe und Karlfried Gründer.
4. Münster: das „Collegium
Philosophicum"
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1959 aber lobte ein Mitglied des Kreises die Heterogenität seiner Zusammensetzung und sah im „Collegium Philosophicum" gerade wegen dieser Eigenschaft eine Gruppierung innerhalb der philosophischen Landschaft entstehen, die bereits erkennbar ein eigenes Profil aufwies: „Thomisten, evangelische Theologen, Positivisten, Logiker, Marxisten und Skeptiker im Gespräch vereinigt"58. Erst heute aber wird die Bedeutung Ritters in vollem Umfang erkannt und das „Collegium Philosophicum" als Gruppe wahrgenommen, der ein spezifischer Stallgeruch anhaftet 59 . Für diese verspätete Wahrnehmung scheint mitverantwortlich zu sein, daß Ritter nicht dem Bedürfnis nachzukommen versuchte, ein auratisches Klima der Hermetik und Initiation zu erzeugen, wie dies zur selben Zeit Heidegger, Adorno und eingeschränkt wohl auch Gadamer vermochten. Seine große Zeit hatte das „Collegium Philosophicum" etwa Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre, als sich eine besonders lebendige Gruppe um Ritter zusammenfand. Es war die Zeit, in der sich in mehr oder weniger freundschaftlichem Verhältnis in Münster Hermann Lübbe, Karlfried Gründer, Odo Marquard, Martin Kriele, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Friedrich Kambartel, Willi Oelmüller, Günter Rohrmoser, Rudolf Vierhaus, Jürgen Seifert und Robert Spaemann - neben anderen - zusammenfanden und sich um die Erneuerung einer praktischen Philosophie bemühten, die den historischen Voraussetzungen aktueller Probleme nachzuforschen suchte. Das aus dem „Collegium Philosophicum" hervorgegangene „Historische Wörterbuch der Philosophie" ist bis heute die Manifestation dieses personellen und philosophischen Zusammenhangs geblieben. Seine Anfänge gehen in das Jahr 1958 zurück, die ersten Beratungen in den frühen 60er Jahren verliefen „ebenso schwierig wie unterhaltsam, ja gelegentlich euphorisch" 60 . Wie die parallel dazu entwickelte und parallel erscheinende Aufstellung „Geschichtlicher Grundbegriffe" ist es eines der großen lexikalischen Projekte der bundesrepublikanischen Wissenschaftsgeschichte. Mit diesem teilt es viele seiner Voraussetzungen, und es zeigt in seinem Ertrag, was das Besondere des Ritter-Kreises ausmachte: eine umfassende philosophiegeschichtliche Ausbildung und die Fähigkeit zu aktueller Zuspitzung der in Frage stehenden Problematik, die 58
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Robert Spaemann: Philosophie zwischen Metaphysik und Geschichte. Philosophische Strömungen im heutigen Deutschland (in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie, Heft 2—3/ 1959, S. 2 9 0 - 3 1 3 . hier S. 313). Inzwischen versuchen die Mitglieder selbst, sich über das Besondere ihrer Prägung zu verständigen. D i e Ergebnisse einer in diesem Sinne abgehaltenen Tagung der Werner-ReimersStiftung im Sommer 1990 werden demnächst veröffentlicht (Auskunft Karlfried Gründer); vgl. die Bemerkung Odo Marquards (in ders.: Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1981, S . 8 ) sowie die Beiträge in Volker Gerhardt (Hg.): Der Begriff der Politik (Stuttgart 1990); vgl. auch die Erinnerung des ehemaligen Mitgliedes Ernst Tugendhat (Vorrede zu ders. : Philosophische Aufsätze, Frankfurt/M. 1992, S.9): „Der Kreis um Joachim Ritter war damals wohl der lebendigste in Deutschland." Vorwort Karlfried Gründers in ders. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6 (Basel/Stuttgart 1984, S. VII).
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5. Kapitel -
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Einbeziehung der theologischen Überlieferungsgeschichte und das Wissen um die Funktionen des historischen Bewußtseins61. Philosophie war, wie sich seine Schüler heute erinnern, für Ritter nach mancherlei Arten zu betreiben, nicht aber, ohne sie auf Theologie und Politik zurückzubeziehen. Ein Schlüsseltext war Ritters 1956 erschienene Hegel-Interpretation 62 . Darin verteidigte er den idealistischen Philosophen gegen diejenigen Interpreten, die ihm Etatismus und reaktionäre Verabsolutierung der Staatsmacht vorwarfen 63 . Dieser Deutung setzte er einen Hegel entgegen, der die Französische Revolution als unhintergehbares weltgeschichtliches Ereignis erkannt und gefolgert habe, mit ihr sei das Prinzip der Freiheitswahrung als Forderung an jegliche Staatsordnung ein für allemal festgeschrieben worden: „Das Problem, das die Forderung politischer Freiheit durch die Revolution aufgeworfen hat, liegt darin, die Rechtsform der Freiheit zu finden und d. h. eine Rechtsordnung auszubilden, die der Freiheit des Selbstseins angemessen ist und ihr gerecht wird und es dem Einzelnen ermöglicht, er selbst zu sein und zu seiner menschlichen Bestimmung zu kommen." 64 Hegel habe sich, bei aller Kritik am Verlauf der Revolution, gegen jeden Versuch einer Restauration als ungeschichtlich gewandt und statt dessen die Diskontinuität und Entzweiung der modernen Welt als Problem erkannt, dem sich seine Epoche zu stellen gehabt habe. Diese Deutung holte Hegel und Aristoteles, an dessen klassische Definition der Freiheit Ritter sich anschloß 65 , in den Kreis aktueller Denker zurück und versuchte, sie für gegenwärtige politisch-philosophische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Hegel wurde als Philosoph gesehen, der die Moderne als Grundbedingung von Freiheit begriffen und ein zur „Subjektivität" 66 affirmatives Verhältnis besessen habe. Es war diese Lesart und die Methodik, durch Re-Lektüre klassischer Texte der Philosophiegeschichte fixierte Deutungen zu revidieren, die Ritters Text für den Kreis so ertragreich werden ließen. In diesen und späteren Texten wurde eine Haltung zur modernen Welt formuliert, die den Status quo akzeptierte und einem bürgerlichen Reformismus das 61
Vgl. die Festschrift für Ritter: Collegium Philosophicum. Studien. Joachim Ritter zum 60. Geburtstag (Basel/Stuttgart 1965, Beiträge u. a. von E.-W Böckenförde, K. Gründer, E Kambartel, M. Kriele, H. Lübbe, L. Oeing-Hanhoff, W. Oelmüller, G. Rohrmoser, R. Spaemann, E. Tugendhat und R. Vierhaus). 62 „Dieses Buch ist ein Schlüsseltext zum Verständnis wichtiger ideenpolitischer Auseinandersetzungen in den frühen sechziger Jahren" (Hermann Lübbe: Laudatio, in: Gedenkschrift Joachim Ritter, Münster 1978, S. 18). 63 Besonders ging Ritter mit Karl R. Popper ins Gericht, dessen Deutung Hegels als Reaktionär alle bisherigen Einschätzungen übertroffen hätten (Joachim Ritter: Hegel und die Französische Revolution, Frankfurt/M. 1965, S.81f.). « Ebd., S.27. 65 „Frei ist der Mensch, der um seiner selbst willen, nicht um eines anderen willen ist." (Aristoteles: Metaphysik, vgl. Ritter: Hegel, 1965, S.25; s. auch ders.: ,Naturrecht' bei Aristoteles, Stuttgart 1961). 66 So auch der Titel eines Sammelbandes mit Aufsätzen Ritters (Frankfurt/M. 1974).
4. Münster: das „Collegium
Philosophicum"
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Wort redete. Gleichzeitig sah Ritter den Geisteswissenschaften aufgegeben, der anhaltenden Legitimationskrise in Ethik und Politik entgegenzuwirken. Viele der Mitglieder des Seminars gehörten der „skeptischen Generation" 67 an, besaßen gleichwohl zum neuen Staatswesen kaum Anpassungsprobleme 68 . Einige zeigten, auch in Parteien, bereits neben ihrem Studium politisch-praktisches Engagement und die meisten davon sympathisierten mit dem reformerischen Flügel der post-Godesberger SPD. Andere fühlten sich der politischen Philosophie des Liberalismus verbunden. Diese Wahlverwandtschaft in der politischen Orientierung war keineswegs von Ritter vorgegeben, sondern entsprach wohl einer Neigung zur politischen Philosophie, die in der Praxis wie der Selbstdeutung der westdeutschen Demokratie mancherlei Anlässe zur Kritik fand, ihren gemeinsamen Grundnenner aber vor allem in einem positiven Verhältnis zur Moderne gefunden hatte. Die „Zeit"-Deutung der Mitglieder gelangte in einem Satz spezifischer Theoreme zu philosophischer Ausprägung: das Bewußtsein von der Endlichkeit des Seins, der Philosophie Heideggers eingezeichnet, traf das intellektuelle Zeitgefühl der 50er Jahre von der prinzipiellen Unsicherheit jedes ,status quo', ein aus der Erfahrung drastischer geschichtlicher Wechsel gefolgertes Mißtrauen in die Längerfristigkeit jeglichen ordnungspolitischen Systems, ein aus Diskontinuitäten gefolgertes Bewußtsein der Gefährdungen jeder staatlichen und gesellschaftlichen Legitimität 69 . Diese Erfahrungen findet sich bei etlichen Mitgliedern des Kreises wieder in der Aufwertung des geschichtlichen Faktors der Kontingenz 70 , in dem ausgeprägt anti-utopischen Gestus einer praktischen, und das heißt v. a. einer praktizierbaren, reformorientierten politischen Philosophie. Sie stellt sich unter die Einsicht einer „Entlastung vom Absoluten", eines „Abschieds vom Prinzipiellen" und billigt den Geisteswissenschaften kompensatorische Funktionen zu 71 . Übereinstimmung herrschte im Kreis wohl in dem Bedürfnis, totalisierenden Tendenzen im Politischen vorzubeugen. Dazu „erlaubte" man sich, links wie rechts zu 67
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Was sich bis in die Titel ihrer Werke hinein äußerte, vgl. Odo Marquard: Skeptische Methode im Blick auf Kant (Freiburg/München 1958). Nach Auskunft Hermann Lübbes: „ressentimentfrei" (vgl. auch Marquard: Abschied, 1981, S. 5). Vgl. das im Sommer 1987 dazu gehaltene Seminar vor dem Forum für Philosophie in Bad Homburg unter dem Titel: Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus (Frankfurt/M. 1988). Odo Marquard: Apologie des Zufälligen (Stuttgart 1986). In Anschluß an die Komplementaritätsthese, die Joachim Ritter 1961 in seinem Aufsatz „Landschaft" (abgedruckt in: Subjektivität, Frankfurt/M. 1974) entwickelt hatte; zur Kritik dazu jetzt Ruth und Dieter Groh: Vize-Glück im Unglück? Zur Entstehung und Funktion der Kompensationsthese (in: Merkur, Dezember 1990, S. 1054-1066) sowie Ernst Tugendhat: Die Geisteswissenschaften als Aufklärungswissenschaften. Auseinandersetzung mit Odo Marquard (in ders.: Philosophische Aufsätze, 1992, S. 453—463).
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5. Kapitel — Universität
schauen und sich nicht auf die Rezeption des etwas eingeschränkten Kanons an Theoretikern zu beschränken, an dem sich die Oberthemen des Seminars orientierten. Odo Marquard berichtete 1986, wie er 1956 Marcuses ,Eros and Civilization' unter allgemeiner Zustimmung des Kreises vorgestellt habe 72 . Im März 1957 lud man, auf Vermittlung von Ernst-Wolfgang Böckenförde und Johannes Winckelmann, erstmals Carl Schmitt ein, im Seminar vorzutragen. Zwar hatten die Brüder Böckenförde Schmitt bereits 1955 privat zu einem Vortrag in die Münsteraner Ratsschänke geladen, doch war dieser Besuch weitgehend „unter Juristen" verblieben 73 . In Ritters Kreis aber mußte sich erweisen, ob auch der politische Denker Schmitt noch anzuregen vermochte. Ritter und Schmitt hatten sich bereits auf schriftlichem Wege miteinander bekannt gemacht und ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichert74. Am 6. Januar 1957 schrieb Ritter: „Sehr verehrter Herr Kollege Schmitt! Für Ihren dialektischen Neujahrsgruß 75 danke ich Ihnen von Herzen. Er gibt nun den Anstoß zu dem Brief an Sie, den ich seit langem schreiben will. In diesem Wintersemester besteht mein Collegium Philosophicum zehn Jahre. Es ist der Kreis der Schüler und derer, die nun in der Philosophie und in anderen Fächern promoviert haben, Assistenten an hiesigen Instituten sind oder in einer anderen beruflichen Tätigkeit stehen. Sie sind zusammengeblieben und kommen regelmäßig am Freitag abend zusammen zu philosophischer Arbeit und Diskussion, die in diesem Winter Hegels Logik zum Gegenstand hat. Es gibt auch ein paar jüngere Studenten darunter, die mir durch ihre lebhafte Teilnahme und ihre Begabung aufgefallen sind, und die ich so aus der großen Masse der Studierenden herausgenommen habe. Das Besondere des Kreises liegt vielleicht darin, daß so viele seiner Mitglieder nun durch die Jahre zusammengeblieben sind. Unter ihnen zwei, die seit 1946, seitdem ich hier meine Lehrtätigkeit begonnen habe, dabei sind. Dieses ,Jubiläum' möchten wir feiern. Und nun wage ich, Ihnen die Bitte vorzutragen, die das Collegium mit mir auf dem Herzen hat: Wir möchten Ende des Semesters ein kleines ,Symposion' veranstalten; und wir bitten Sie, dafür nach Münster zu kommen, um uns in diesem Kreis einen
72 Marquard (Abschied, 1981, S.9). 73 Schmitt hielt einen Vortrag zum Thema Eigentum/Enteignung (unter den Zuhörern u. a. Erich Küchenhoff (vgl. Brief vom 23. März 1957, HSTAD RW265 - 6 4 , Nr. 22). 74 Bereits im März 1949 hatte Clemens Graf Podewils Schmitt auf den jungen PhilosophieDozenten hingewiesen, dessen Bekanntschaft er im britischen Kriegsgefangenenlager Shap Wells gemacht hatte (Brief, HSTAD RW 265 - 2 2 0 , Nr. 28). Zur dortigen Lager-Zeitschrift hatte Ritter zwei Beiträge geliefert. 75 Ritter meinte den „Neujahrsgruß 1957: Lied eines Neutralisten", veröffentlicht zuerst in der Zeitschrift „Civis", abgedruckt auch in: Rüdiger Altmann/Johannes Gross: Die neue Gesellschaft. Bemerkungen zum Zeitbewußtsein (Stuttgart 1958, S. 68).
4. Münster: das „Collegium
Philosophicum"
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Vortrag zu halten. Ich weiß, daß diese Bitte vielleicht unbescheiden ist: Der Kreis ist klein, und wir wollen auch davon absehen, dem geplanten ,Symposion' durch Einladung von Gästen einen offizielleren Charakter zu geben. Das würde dem persönlichen Sinn und Stil des Kreises nicht entsprechen, aber Sie können sicher sein, verehrter Herr Kollege Schmitt, daß Sie dankbare und aufmerksame Zuhörer haben werden. Wir haben uns in den letzten Jahren immer wieder mit Fragen der Gesellschaft, des Staates, der Geschichte etc. beschäftigt. In dem zum Collegium gehörenden Lesekreis hat uns im vergangenen Semester ein junger Jurist zusammenhängend über Ihre Schriften berichtet 76 , und es ist so kein Zufall, daß wir gerade Sie bitten, uns mit einem Vortrag zu erfreuen, dessen Thema natürlich ganz Ihrer Wahl überlassen bleibt, wenn uns auch alles, was mit dem Umkreis ,Nomos' zu tun hat, besonders willkommen sein würde. Ich möchte zu dem gleichen Tage auch unseren gemeinsamen Freund, Dr. Johannes Winckelmann, einladen. Ich bitte ihn, über das Problem des modernen Staates bei Max Weber zu sprechen. Wir denken dabei so zu disponieren, daß vielleicht Winckelmann am Vormittag und Sie am Nachmittag sprechen werden. Für die Sitzungen stehen jeweils etwa 21/2 bis 3 Stunden zur Verfügung. Es wäre schön, wenn Zeit für eine anschließende Diskussion freibleibt. Am Abend wollen wir in einfachster Form gesellig beisammen sein. [Es folgen technische Absprachen, V.L.] Ich bin davon überzeugt, daß für das Fortbestehen des Geistes die kleinen persönlichen Kreise, wie Inseln lebendiger Kontinuität, wichtig sind. Aber zu ihnen gehört freilich konstitutiv, daß sie nicht über Mittel verfügen, die sie in einem öffentlichen Sinn angebotsfähig machen. Für eine kurze gelegentliche Antwort wäre ich sehr dankbar, von der ich hoffe, daß sie eine Zusage enthalten wird. In aufrichtiger Verbundenheit und herzlicher Verehrung, Ihr Ihnen sehr ergebener Ritter" 77 Ritter und Schmitt kamen überein, daß Schmitt einen Extrakt seiner Überlegungen zum neuen „Nomos der Erde" vortragen sollte 78 . Aus der Themenwahl war das Interesse des Kreises daran herauszulesen, wie ein modernitätskritischer Denker wie Schmitt sich den Grundlagen der Gesetzesgeltung aus der historischen Erfahrung der Gegenwart nähern würde. Darüber hinaus hatten einige der Teilnehmer den Eindruck, Ritter habe sich bei dieser und den folgenden Einladungen auch von dem Gedanken der caritas leiten lassen und dem isolierten Schmitt die Wohltat verschaffen wollen, noch einmal in einem interessierten Kreis aufzutreten. Die Umstände der Ausgrenzung 76 77 78
Es handelt sich hierbei wohl um Jürgen Seifert (vgl. dessen Biographie in Kapitel7). Joachim Ritter an Carl Schmitt (HSTAD RW265-64, Nr. 19). Die Vortragsskizze findet sich mehrfach im Nachlaß, dazu das Typoskript der Ausarbeitung einer Diskussionsbemerkung Johannes Winckelmanns, über die sich Schmitt anschließend verstimmt gezeigt hatte (HSTAD RW265 - 6 4 , Mat.-Nr. 12 bzw. 34).
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5. Kapitel -
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Schmitts habe er nicht akzeptiert, sie als atavistische „Ächtung" verstanden und ihn mit hanseatischer Noblesse, betont respektvoll und förmlich-„kollegial" behandelt. Auch im Seminar habe Sensibilität für kritische Fragen vorgeherrscht, man habe ihn als historische Figur betrachtet und versucht, ihn „zum Reden zu bringen" 79 . Die Veranstaltung am 9. März 1957 nahm einen besonders gelungenen Verlauf: nach Schmitts und Winckelmanns Referaten gab Odo Marquard eine „Fundamentalkantate für Solostimme und Chor mit gemischten Gefühlen zum zehnjährigen Bestehen des Collegium Philosophicum Münster" zum besten 80 ; danach ließ Schmitt in sein Hotelzimmer um einen Text schicken und brachte sein Gedicht „Die Sub-Stanz und das Subjekt" zum Vortrag81. Der Eindruck war nachhaltig. Ritter dankte Schmitt am 1. April 1957 brieflich: im Universitätsbetrieb bleibe nur wenig Zeit für Orientierung: „Auf der kleinen, aus dem Betrieb ausgegrenzten Insel waren Sie zu Gast; was Sie gesagt und vorgetragen haben, lebt und wirkt fort in vielen Gedanken und in manchem Gespräch, das sich daran angeknüpft hat. Sie haben mir und ebenso den jungen Freunden Mut gemacht und uns in dem, was wir versuchen, mehr als Sie es wissen können, bestätigt. [...] Ihr Besuch wirkt fort und trägt Frucht; das Bedürfnis, das Eigene in der Auseinandersetzung und im geistigen Gespräch mit Ihnen zu überprüfen und genauer zu bestimmen, wird bleiben." 82 Selbst um den Höflichkeitsfaktor reduziert traf diese Einschätzung für viele der Teilnehmer zu. Zwar trat Schmitt leibhaftig nur selten in Münster auf, und nicht nur im „Collegium Philosophicum", sondern auch in dem von einigen der Ritter-Schüler mitgeleiteten Aaseehaus-Kolleg 83 oder bei Tagungen der „Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie". Für einige der Nachwuchswissenschaftler folgten jedoch einige Jahre der intensiven Auseinandersetzung mit Schmitt, ζ. T. begleitet von Briefwechseln oder auch von Besuchen in Plettenberg. Es fügte sich, daß Schmitts von ihm selbst als „begriffssoziologisch" gekennzeichneter Ansatz 84 , der sich bei ihm zu dieser Zeit eher noch stärker ausprägte, zu den Vorbereitungen der Münsteraner zu dem historischen Wörterbuch philosophischer Begriffe durchaus parallel und nicht ohne Beeinflussung verlief. Schmitt wurde sogar zur Mitarbeit aufgefordert, was er aber ablehnte 85 . Einige der von ihm geprägten
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Auskunft Hermann Lübbe und Karlfried Gründer, so Typoskript HSTAD RW265 - 4 6 9 , Mat.-Nr. 12. 81 Nicht, wie sich Odo Marquard 1986 in Speyer erinnerte, „Die große Ent-Entung", die - stark „schmittisierend" - von Rüdiger Altmann stammte, aber gleichfalls in der Zeitschrift „Civis" abgedruckt wurde (Altmann/ Gross: Die neue Gesellschaft, 1958, S. 112-117). 82 Brief vom 1. April 1957 (HSTAD R W 2 6 5 - 9 3 , Nr. 176). 83 Zu den Tutoren zählten Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Tugendhat und Martin Kriele, Hermann Lübbe war zeitweise Leiter des Kollegs (Auskunft Ernst-Wolfgang Böckenförde). 84 Siehe Carl Schmitt: Politische Theologie (Berlin 1979, S. 57ff.). 85 Briefe vom 9. und 28. Juli 1966 (HSTAD R W 2 6 5 - 1 7 8 , Nr. 406, 414).
4. Münster: das „Collegium Philosophicum"
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Begriffe aber wurden in das Wörterbuch aufgenommen 86 und damit insofern „historisiert", als sie den merkwürdigen Traditionen der Geistesgeschichte zugeschlagen wurden. Zugang und Ertrag aus der Begegnung mit Schmitt waren bei den Mitgliedern - so sie sich überhaupt auf ihn einließen - sehr unterschiedlich. Sie reichten von einer raschen, eklektizistischen und liberalen Rezeption eines Hermann Lübbe 87 bis zur Durchformung zu einem „Haltungs-Schmittianer" 88 , etwa bei Bernard Willms 89 . In jedem Fall wurde es eine Lesart gegen den Strich. So war etwa mit seinen kritischen Einwürfen aus den 20er Jahren das Verhältnis derjenigen Institutionen zur Demokratie zu klären, denen man sich nahe fühlte (Kirchen, Parteien etc.). Die vom (links-)katholischen Denken kommenden Ernst-Wolfgang Böckenförde und Robert Spaemann versuchten mit Hilfe seiner Anregungen, die Beziehung von Institutionen und Ethik über eine Politische Theologie neu zu definieren. Der Jurist Martin Kriele gelangte ideengeschichtlich ebenso wie bei Fragen der Gesetzes- und Verfassungsgeltung zu Standpunkten, die sich von Schmitt deutlich absetzten 90 . Das geschichtsphilosophische und politiktheoretische Interesse einiger Mitglieder konnte sich bei Schmitt für eine Haltung munitionieren, die sich gegen Ideologien und Utopien stellte 91 . Ästhetisches Interesse 86
So die Artikel „Ordnungsdenken, konkretes" von Ernst-Wolfgang Böckenförde oder „Nomos" von Robert Hepp (Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984). 87 Dazu die Biographie Lübbes in Kapitel 7. 88 „Haltungs-Schmittianer" soll hier als Typus verstanden werden, dessen Bereitschaft zu „Entschiedenheit" sich im Verfolg nationaler „Identität" Ausdruck sucht, der sich im Gestus des Tabubrechers gefällt, unangenehme Wahrheiten äußert und sich potentiell zum Märtyrer der Wahrnehmung der vermeintlichen bitteren Realität berufen fühlt; als Schlüsselsatz des gesamten Schmittschen Werkes gilt ihm: „Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk" (Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 54; vgl. Günter Maschke: Der Tod des Carl Schmitt, Wien 1987, S. 135, aber auch die Veröffentlichungen Robert Hepps). 89 Ein von Willms im Sommer 1959 vor dem ,Collegium' vorgetragenes Referat über „Die politische Theorie von Carl Schmitt" ist jetzt von Manfred Lauermann aus Willms' Nachlaß veröffentlicht worden (in: Jahrbuch für politisches Denken 1, 1991, S. 120-146, s. auch den Nachruf von Lauermann in: Criticón 124/1991). Willms promovierte über Fichte und litt zunehmend an dem vermeintlichen Identitätsverlust der deutschen Nation (vgl. ders. (Hg.): Handbuch der Deutschen Nation, 3Bde., Tübingen 1986-88). S.auch ders.: Freund oder Feind: Nachruf auf Carl Schmitt (in: Student, November 1985): die Kritik an Schmitt klinge fatalerweise so, „als wenn 1938 von ,echt jüdischer Spitzfindigkeit' gesprochen würde", Schmitt an seinen Fehlern zu messen sei „die Manier von Kriechdenkern neudemokratischer, erbaulicher Provenienz wie Sternberger oder Sontheimer". 90 Vgl. Martin Kriele: Die Herausforderung des Verfassungsstaates. Hobbes und die englischen Juristen (Neuwied 1970), ders.: Legitimationsprobleme der Bundesrepublik Deutschland (München 1977). 91 Zum Beispiel Günter Rohrmoser: Marxismus und Menschlichkeit. Eine kritische Bilanz der
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konnte seine Grenzwanderungen zwischen Theologie, Philosophie und Literatur bewundern 92 . Es wäre zu überprüfen, an welchem Punkt sich diese Zugänge jeweils von den letzten Konsequenzen des Schmittschen Denkens distanzieren. Kaum jemals nämlich schlug sich die Lektüre in diesem Kreis in einer Infragestellung der Grundlagen des gesellschaftlichen Status quo, geschweige der Moderne insgesamt nieder. Statt dessen wurde Schmitt produktiv „gewendet" (und dabei zumeist durchaus entschärft): statt den Liberalismus zu perforieren diente er nun zumeist dazu, Standpunkte „wehrhafter" Liberaler zu imprägnieren 93 . Hierfür war eine Haltung förderlich, die nicht lediglich im Antitotalitarismus befangen blieb, sondern nach den praktisch-politischen Begründungsmöglichkeiten der Freiheit fragte. Ein Collegiums-Mitglied schrieb ihm daher zu seinem 75. Geburtstag, vielleicht mache es ihm Freude, unter den Gratulanten nicht nur Freunde und Schüler zu finden — er sei beides nicht. Statt dessen habe er sich mit großem Gewinn an das Schmittsche Wort gehalten, der Feind sei unsere eigene Frage als Gestalt 94 .
5. Die Ebracher
Seminare
Ernst Forsthoff gehörte in den 50er Jahren in Heidelberg zu den Großprofessoren, zu denen „man ging". Seine Vorlesungen über „Allgemeines Staatsrecht" galten als Ereignis, sein „Lehrbuch des Verwaltungsrechts" war ein juristischer Bestseller. Zudem war Forsthoff ein meist gewissenhafter Förderer wissenschaftlichen Nachwuchses, der insgesamt sieben Juristen zur Habilitation führte 9 5 . Doktoranden und Studenten genossen seine Fürsorge, und auch er lud zu „privatissima" in sein Haus eine alte Mühle.
Versuche, die Selbstentfremdung des Menschen zu überwinden (Freiburg 1974); Robert Spaemann: Zur Kritik der politischen Utopie (Stuttgart 1977, enthält eine Auseinandersetzung mit Habermas). 92 Auskunft Karlfried Gründer. 93 Vgl. dazu v. a. Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 283-299, mit anschließender Diskussion S. 301—318, besonders den heftigen Vorwurf von Robert Hepp, Böckenförde habe Schmitt „die Zähne gezogen" (ebd., S.310); vgl. auch die Aussprache zum Referat von Bernard Willms, u. a. über die „Entschärfung" Schmitts (ebd., S. 599-608). 94 Brief vom 11. Juni 1963 an Schmitt (HSTAD RW265-196, Nr. 219). 95 Darunter als ersten und sicherlich bekanntesten den späteren Botschafter Wilhelm G. Grewe, außerdem Karl Doehring, Roman Schnur, Karl Zeidler, Hans H. Klein, Prodromos Dagtoglou und Willi L. Blümel. Zu Forsthoff vgl. die Biographie, Kapitel 7.
5. Die Ebracher Seminare
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Bei einem dieser Treffen entstand aus dem Ungenügen an fehlenden Möglichkeiten, angeschnittene Themen zu vertiefen, die Idee zu etwas, das als Block- oder Wochenendseminar später gängige Ergänzung zum Vorlesungsbetrieb wurde. Assistenten Forsthoffs regten an, ob nicht ein überschaubarer Kreis von Studenten und Dozenten zu gemeinsamem Gespräch an ruhigem Ort zusammenzubringen wären, um dem Gedanken fragmentierenden Takt des Semesteralltags zu entweichen. Schon kurz darauf schrieben zwei der Schüler Forsthoffs Carl Schmitt einen Brief: „Sehr geehrter Herr Professor! Auf eine Anregung von Herrn Prof. Dr. Forsthoff geht der Plan zurück, in der zweiten Septemberhälfte eine Gruppe von etwa vierzig interessierten Studenten für zwei Wochen zu versammeln; es ist beabsichtigt, den Gedanken des Studium Generale — seine Verwirklichung an der Universität ist bisher im allgemeinen unbefriedigend geblieben — aufzugreifen, um einen Einblick in die grundlegenden Fragen der Zeit und die Ansatzpunkte einer neuen Entwicklung zu geben. Es ist vorgesehen, die geplanten Vorträge und Diskussionen unter das Generalthema ,Gefahr und Sicherheit' zu stellen. Bei der Diskussion der in erster Linie zu behandelnden Fragen kamen wir zu der Überzeugung, dass die Auflösung der von Europa her bestimmten Völkerrechtsordnung der Welt und die Frage nach der Möglichkeit einer neuen Ordnung in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung sind. In Ihrem ,Nomos der Erde' zeigen Sie das Entstehen und die Struktur der alten Ordnung auf. Sie zeigen, wie die Hegung des Krieges gelang, wie sie heute nicht mehr möglich erscheint, da die alten Voraussetzungen entfallen sind, und dass daraus der Zusammenbruch der alten Völkerrechtsordnung sich ergibt. An dieser Stelle brechen Sie ab und geben nur einige Andeutungen über die Faktoren, welche die künftige Entwicklung massgeblich bestimmen könnten. Herr Prof. Forsthoff zeigte uns einen kurzen Überblick über einen Vortrag, den Sie in Münster gehalten haben. Es scheint uns, dass hier Gedanken entwickelt werden, die wir als eine Antwort auf die im ,Nomos der Erde' offen gelassenen Fragen verstehen. Zum Gelingen unseres Vorhabens würden Sie entscheidend beitragen, wenn Sie im September Zeit hätten, unter dem umrissenen Themenkreis zu uns zu sprechen. Wir wären sehr glücklich, wenn Sie Ihren Aufenthalt über mehrere Tage ausdehnen könnten, da uns an Ihren Gedanken zu dem gesamten Kreis der unter das Generalthema fallenden Fragen sehr viel gelegen ist. Mit den Vorbereitungen für die Tagung im September haben wir in diesen Wochen begonnen, sodass nähere Einzelheiten noch nicht konkrete Formen angenommen haben. Der Tagungsort wird im Schwarzwald oder Odenwald liegen. Heute möchten wir Sie nur bitten, uns zu schreiben, ob Sie grundsätzlich bereit wären, im Rahmen dieser Tagung unter dem genannten Generalthema zu uns zu sprechen. Das Gelingen unseres Planes hängt wesentlich von Ihrer Zusage ab.
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5. Kapitel — Universität
Über den Fortgang unserer Vorbereitungen werden wir Sie regelmäßig auf dem Laufenden halten. Mit höflichen Grüßen" 96 Der Brief deutete an, welcher Zugriffsweise man dabei anstrebte. „Gefahr" sollte einen Kontrapunkt zum Zeitgeist des Strebens nach „Sicherheit" setzen; und der generalistische, um geschichtliche Herleitung bemühte Versuch einer Klärung des gegenwärtigen (rechtlichen) Standortes empfahl es auch vom methodischen Ansatz her, Carl Schmitt zu dem Gespräch einzuladen. Die Veranstaltung wurde Ende September/Anfang Oktober 1957 zum ersten Mal abgehalten. Obwohl sie in ihrer Zusammensetzung und Ausrichtung zunächst unsicher war, erwies sie sich bei nahezu allen Beteiligten als voller Erfolg. Lediglich einige — später als verzopft gescholtene - Landräte wurden allgemein als Ausfall angesehen. Einer der Teilnehmer gab anschließend in der Heidelberger Studentenzeitschrift einen Bericht: man habe einen kleinen Ort gewählt, „damit kein Teilnehmer ausweichen, kein Fremder während der Tagung dazustoßen" könne, auch die Referenten habe man dort mehrere Tage festhalten und ausgiebig „ausnehmen" wollen. Etwa 35 Studenten hätten sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit Institutionen noch bestehen und anerkannt würden. Carl Schmitt habe gleich zu Beginn den „Nomos" als wertfreien, fächerübergreifenden und einen allgemeinen Durchblick erlaubenden Begriff empfohlen. Arnold Gehlen habe anschließend den heute nach dem Verfall der Institutionen und Traditionen herrschenden Entscheidungsdruck dargestellt, der vielerlei Unsicherheiten erzeuge und dem man in der Forderung zu entfliehen suche, keinen Experimenten ausgesetzt zu werden97. Staatliche Legitimation — so Gehlen — bestehe heute in der Garantie von Ruhe und in der Erfüllung von Verteilungserwartungen, dagegen habe er die Askese des Konsumverzichts, Wachsamkeit und eine wertfreie Deskription der Lage empfohlen 98 . Auch Forsthoff habe von der „eudaimonistischen Legitimierung der Staatsgewalt" gesprochen. Ein Dr. Mochmann habe am sozialhygienischen Beispiel der Faulheit des Staates auf dem Gebiet der Fluß- und Luftverschmutzung illustriert, wo das Allgemeininteresse sich nicht mehr gegen Partikularinteressen durchzusetzen vermöge. Zwei Referate des Tübinger Professors Schrade hätten den Höhepunkt der Tagung gebildet, dabei habe es sich um Lichtbildervorträge über moderne Kunst gehandelt. — „Nur die Theologen blieben angesichts des von allen vorangegangenen Rednern liebevoll ausgebreiteten Chaos unerschüttert." Hans Schomerus (evang.) und Prof. Hauser (kath.) hätten versucht, diese Ratlosigkeit erzeugende Situation „doch
96 Brief vom 3. April 1957 (HSTAD R W 2 6 5 - 2 0 4 , Nr. 97). 97 98
Hier spielte Gehlen auf den CDU-Slogan der Bundestagswahl von 1957 an. Diese konsum- und versorgungskritische Position Gehlens ließ unter den Bedingungen dieser Zeit allerdings seine „wertfreie Deskription" immer zynischer werden (s. Karl-Siegbert Rehberg: Arnold Gehlen. Zum Erscheinen der Gesamtausgabe, in: Criticón 49, September/Oktober 1978, S. 2 2 4 - 2 2 8 , hier S. 228).
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nur als die immer gleich neue, aber nie andersartige zu interpretieren, einzuordnen und zu verkraften". Man habe in Ebrach aber nicht nur „berserkerhaft" gearbeitet: Fahrten in die nähere fränkische Umgebung hätten dem Seminar einen ferienhaften Anstrich gegeben und das „Bamberger Volksblatt" habe abschließend berichtet: „Die Studierenden zeigten sich äußerst aufgeschlossen und waren sehr e r f r e u t . . . " " — Der Wunsch nach einer Wiederholung der Veranstaltung war allgemein. Die Organisation lag zunächst in den Händen einiger Studenten, Forsthoff stand aber mit seinem Namen dafür ein und sorgte für anspruchsvolle Referenten. So brach sich schon 1958 unter den Teilnehmern das Bewußtsein Bahn, selbst eine Institution geschaffen zu haben. Natürlich waren auch die Ebracher Seminare nicht ohne Vorbild100. So veranstaltete das aus einem Widerstandskreis hervorgegangene „Europäische Forum Alpbach" in Tirol jährliche Tagungen mit ähnlicher Mischung aus Arbeit und geselligem Beisammensein. Martin Greiffenhagen berichtet, er habe einem der vorbereitenden „Alpbachkreise" in Heidelberg angehört, wo ein Dutzend Studenten aus unterschiedlichen Fächern das für eine Jahrestagung ausgewählte Thema bearbeitet und zu diesem Zweck auswärtige Vortragende - etwa Theodor W. Adorno - eingeladen hätten. Als geistiger Schirmherr dieses Kreises galt in Heidelberg Hans-Georg Gadamer 101 . Über eine andere aus der Universität ausgelagerte Akademie auf Zeit berichtete ihr Organisator in den „Kant-Studien": „Die Spannung, welche heute zwischen der politischen und geistigen Sphäre infolge der Mobilisierung auch des Geistes im letzten Kriege besteht, ist nur durch persönliche Begegnung und Kenntnis langsam aufzuheben." Maßgebende „Kreise der akademischen Bildung" hätten sich heuer gegen „die Abschließung der Fächer und Gebiete des Geistes" gewandt, vor allem aber die Soziologie, „in welcher die Krise zum Ausdruck kommt", habe „im Brennpunkt des Interesses" gestanden; in einer „neben den Kursen laufenden Aussprache der jungen Generation" sei es um Marx und konkrete Fragen der Wirtschaftsdemokratie gegangen, auf alle Fälle aber sei man sich „gegen den Faszismus einig" gewesen. Als Teilnehmer hätte man u. a. Sombart, A. Weber, Kantorowicz, Nell-Breuning und Freyer gewinnen können. Dieser Bericht wäre auch für die zweite Nachkriegszeit charakteristisch gewesen — Gottfried Salomon-Delatour schrieb hier freilich schon 1930 über die legendär gewordenen „Davoser Hochschulkurse" 102 . Viermal, von 1927 bis 1931 (jeweils zur Osterzeit), gelang Salomon die Zusammenstellung einer illustren Referentenliste. Nachge99
Axel von Campenhausen über das Seminar: „Sicherheit und Gefahr in der modernen Gesellschaft. Tagungsbericht vom Ebracher Ferienseminar der juristischen Fakultät" (in: Forum academicum (?), 1957, S.6f., HSTAD RW265-150). Campenhausen war auch Schüler von Rudolf Smend und später Staatssekretär im niedersächsischen Wissenschaftsministerium. 100 Einige der Teilnehmer erinnerten in diesem Zusammenhang an Konzepte der Jugendbewegung. ιοί Martin Greiffenhagen: Jahrgang 1928 (München 1988, S. 8 5 - 8 7 ) . 102 Gottfried Salomon: Davoser Hochschulkurse 1930 (in: Kant-Studien, 1930, S. 564-567).
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5. Kapitel — Universität
rade berühmt wurde die Auseinandersetzung zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger im Jahre 1929103. Ursprünglich als caritative Veranstaltung für in Davos rekonvaleszierende lungenkranke Studenten gedacht, entwickelten sich die Kurse während der kurzen Phase ihres Bestehens zu einem Ereignis der deutsch-französischen Geistesgeschichte. Daneben spielten die politischen Auseinandersetzungen in die Kurse hinein, wurden aber vorsichtshalber in spezielle Seminarveranstaltungen ausgegliedert. Auch Carl Schmitt referierte dort am 7. April 1928 über die Grundbegriffe jeder demokratischen Staatsverfassung 104 . Einem kritischen Zuhörer schien es hierbei, als würden „politische Sophismen in die Gemüter einer unerfahrenen Jugend eingeträufelt" 105 . Ein anderer Zeuge berichtete, daß noch Ostern 1931, als über die Lage der Mittelklassen gehandelt wurde, vor allem die jungen Konservativen sehr autoritativ gesprochen hätten - dabei Carl Schmitts Politische Theologie „als Ausgangspunkt und Ermöglichung einer neuen politischen Sprache" wissend106. Wie in Davos wurden die Ebracher Seminare nicht nur für die Teilnehmer zu einem Ereignis, auch die Ortsbevölkerung nahm Notiz von den Gästen, die z. T. bei Privatleuten unterkamen und während der 14 Tage ein Bildungs- und Unterhaltungsprogramm absolvierten, das ihre Präsenz in der Ortschaft unterstrich: Kirchen- und Abteiführungen, Lichtbildervorträge, abendliche Konzerte, Führungen durch den Staatsforst usw. Die gastgebenden Steigerwälder hielten mit öffentlicher Anerkennung nicht zurück (Begrüßung durch den Bürgermeister, den Pfarrer oder gar den Landrat) und die Lokalpresse berichtete: ein Abglanz „großer Wissenschaft" sei auf den herbstlichen Steigerwald gefallen, und artig schrieb Forsthoff ins Gästebuch des Hotels „Klosterbräu" von „bezauberndem Herbst" und „herzlicher Gastlichkeit" 107 . Teilnehmer erinnern sich - anders als in Davos - an den vermeintlich „absolut unpolitischen Charakter" 108 der Gespräche und es sorgte für einiges Aufsehen, wenn, etwa mit den Brüdern Hepp oder Armin Möhler, die Politik Einzug im Kreise hielt. Freilich war sie auch in Ebrach nicht ausgeschlossen: die aktuelle politische Lage bildete eine selbstverständliche Dimension innerhalb der Debatten und wurde als konkretes, situationsgebundenes Denken vermerkt. „Unpolitisch" verweist in diesem 103
Über die Begegnung, in der auch der junge Joachim Ritter eine Rolle spielte, berichtet Karlfried Gründer: Cassirer und Heidegger in Davos (in Hans-Jiirg Braun u. a. (Hg.): Über Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, Frankfurt/M. 1988, S. 290—302). km Vortragsmanuskript HSTAD RW265-204, Mat.-Nr. 13. 105 Elias Hurwicz: Aus den Erinnerungen eines Abseitigen (in: Hochland, 1952/53, S. 446—454, hier S. 452f.; s. auch Piet Tommissen (Hg.): Schmittianall, Weinheim 1990, S. 121, 153: Thema des Schmittschen Referates sei die „Moderne Verfassungslehre" gewesen). 106 A. M.: Politische Begegnung in Davos (in: Europäische Revue, Juni-Heft 1931, S. 476—478, hier S. 477). io? Eintrag von 1958 in das Gästebuch der Stadt (eine Kopie wurde mir vom ehemaligen Bürgermeister Ebrachs, Herrn Weininger, zur Verfügung gestellt). 108 Auskunft Gisela und Peter Lehmann (Frau Lehmann, geb. Iglberger, war die langjährige Sekretärin Forsthoffs).
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Zusammenhang eher auf die Abwesenheit von politischer Polemik und von Flügelkämpfen politischer Bekenntnisfraktionen, die gegen Ende der 60er Jahre von Gelegenheiten wie dieser gern Besitz ergriffen. Das sachliche, der „Wahrheitssuche" dienende Gespräch war die formale und eine „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" die inhaltliche Leitvorstellung. Entsprechendes wurde hier noch vom Umgang erwartet. Sich den Eingeladenen der älteren Generationen in entlarvender Weise zu nähern, wurde mißbilligt. Carl Schmitt, „inquisitorischen" Avancen gegenüber offenbar zunehmend empfindlicher, hätte seine Teilnahme sicherlich verweigert, wären Absichten dieser Art auch nur latent anwesend gewesen. Eine Rolle als ,Zeitzeuge' dagegen gab ihm Gelegenheit, nicht nur die selbststilisierte Identität als Diagnostiker auszufüllen 109 . Auch seine Faszinationskraft als Lehrer vermochte er wieder auszuspielen, und nach wie vor verstand er es, vielversprechende Nachwuchskräfte in seinen Bann zu schlagen. Die „Ebracher Ferienseminare" gewannen schnell einen besonderen Ruf 110 . Nicht nur, daß Klausurtagungen dieser Art im studentischen Bereich unüblich waren; es war wohl das besondere Klima der Veranstaltung, die Atmosphäre des gelehrten Gesprächs und der sinnliche Eindruck des persönlichen Umgangs mit den Lehrmeistern. Bildung, Kultiviertheit und das altertümlich ehrfurchtsvolle Messen der Kräfte zwischen den älteren und selbstbewußten Nachwuchs-Gelehrten verfehlten ihre Wirkung auf die anwesende Studentenschaft nicht. Der Tagesablauf begann um 9 Uhr früh mit einem ersten Vortrag, dem sich eine kurze Diskussion noch vor dem Mittagessen anschloß. Eine Pause bis zum nächsten Vortrag um 15 Uhr wurde zu kleineren Spaziergängen, einem Mittagsschlaf oder sonstigen Erholungen genutzt, während sich in die Abende hinein - vom Weinkeller befördert — der geistige Austausch in kleineren Gruppen zunehmend intensivierte. Dieses „open end" war es ja auch gewissermaßen, weshalb man sich überhaupt in Ebrach traf. Sicher glitten die abendlichen Treffen bisweilen hier und dort ins Unterhaltende oder gar Launige ab, dennoch vermittelten sie den Beteiligten das Gefühl einer Intensität des Gesprächs, das „Ebrach" zu einem bleibenden Bildungserlebnis für die meisten der Teilnehmer erhob. 109 Dies galt auch für Forsthoff selbst: 1960 berichtete „Der Spiegel" in Nr. 41 über Forsthoffs Berufung nach Zypern: die „deutschfeindliche" „Daily Express" habe auf Forsthoffs braune Vergangenheit aufmerksam gemacht. Noch schwerer als die Schrift „Der totale Staat" von 1933 habe der Festschrift-Beitrag für Carl Schmitt von 1959 gewogen. In den Leserbriefreaktionen fand sich u. a. eine Stellungnahme des Heidelberger ASTA: Forsthoff sei für sie „ein aufrichtiger, kompromißloser Zeuge der Zeit des Nazi-Regimes" (Der Spiegel, Nr. 43/1960). Die Zuschrift war von einem Teilnehmer der Ebracher Seminare formuliert worden (vgl. Brief vom 26. Oktober 1960, HSTAD RW265-212, Nr. 90). 110
So empfahl etwa Jörn Rüsen Mitte der 60er Jahre seinen Studenten eine Teilnahme (Auskunft Peter Lehmann), vgl. auch die Postkarte eines Bekannten an Schmitt vom 2.November 1962: „Ich habe von der Verschwörerzentrale Ebrach gehört. Der Kreis hat scheints heuer wieder getagt. Könnte ich erfahren, welches Thema traktiert wurde? Werden Protokolle geführt?" (HSTAD RW265-457, Nr. 30).
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5. Kapitel — Universität
Für einen exklusiv-esoterischen Charakter der Veranstaltungen, der ihnen bisweilen unterstellt wird 111 , fand sich keine Bestätigung. Im Gegenteil - es konnte durchaus Probleme bereiten, eine ausreichende Anzahl an Teilnehmern zu finden 112 . Die Organisation der Veranstaltung lag - von einer Phase studentischer „Selbstverwaltung" zu Forsthoffs zypriotischer Zeit abgesehen 113 - in den Händen von Forsthoffs Assistenten. Nachdem die erste Generation der Organisatoren ins Berufsleben überwechselte, nahm ab 1964 Forsthoffs Sekretärin Gisela Iglberger die Vorbereitungen in die Hand. Den Einladungen lagen Literaturverzeichnisse bei, die den Anspruch, den zu pflegen man sich in Ebrach vorgenommen hatte, deutlich unterstrichen. Die recht weit gehaltenen Oberthemen der jeweiligen Veranstaltungen 114 sollten durch „Schlüsselbücher" vorbereitet und in den Vorträgen dann systematisch und perspektivenpluralistisch „eingekreist" werden 115 . Forsthoff gelang es vorausschauend, eine Reihe später bekannter, zur Zeit ihres Vortrage bisweilen nur erst vielversprechender Referenten einzuladen. Sie bekamen hier erstmals Gelegenheit, sich neben dem etablierten Konferenz- und Tagungs-Jetset (wie Arnold Gehlen, Werner Conze, Franz Wieacker, Joachim Ritter, Julien Freund, Hubert Schrade, Pascual Jordan, Hans Barion, Hans Schomerus u. a.) zu behaupten. Dazu gehörten neben den Münsteranern Spaemann, Böckenförde, Rohrmoser, Kriele, Lübbe und Willms 116 auch Reinhart Koselleck, Hans-Joachim Arndt, Kurt 111
So Bernd Rüthers: Entartetes Recht (München 1988, S. 165): bei den Ebracher Seminaren sei die Aura des Elitären gepflegt worden, man habe „zugelassen" werden müssen, mußte „auserwählt" sein. Wer Thesen von Schmitt offen in Frage gestellt oder kritisiert habe (wie August Nitschke das einmal gewagt habe), sei dem Tadel und der Ausladung durch die Veranstalter verfallen. Eine Privataudienz bei Schmitt in Plettenberg sei ein noch höherer „Reifegrad" innerhalb der Schmitt-Schule gewesen (diese Einschätzung übernommen von Dietmut Majer: Rez. in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 3/1990, S.510). 112 Die Kunde vom Seminar verbreitete sich mündlich, andere Teilnehmer wurden von den Referenten mitgebracht. Trotzdem war die Veranstaltung nie überfüllt. Forsthoff trug einen Großteil der Unkosten selbst, Honorare gab es keine (Auskunft Gisela und Peter Lehmann). 113 Forsthoff war von 1961 bis 1963 auf Zypern. Während dieser Zeit fand das Seminar nur einmal, 1962, und unter der organisatorischen Leitung von Dorothea Stürmer (spätere Mußgnug) statt. i " „Subjektivismus" (1958), „Der Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert" (1959), „Der Beitrag der Wissenschaften für die Erkenntnis unserer Zeit" (1960), „Natur-Begriff" (1962), „Säkularisation" (1964), „Utopie" (1965), „Institution und Ethik" (1966), „Die gegenwärtige Situation des Staates" (1967), „Jenseits von Revolution und Restauration" (1968), „Wesen und Funktion der Öffentlichkeit" (1969), „Zur Standortbestimmung der Wissenschaften" (1970), „Der Wirklichkeitsverlust des Geistes" (1971). Unterlagen Schmitts zu Ebrach im Nachlaß (HSTAD RW265—143, 145,148). 115 Von 1968 bis 1970 erschienen die meisten der vorgetragenen Referate in der Heidelberger Zeitschrift „Studium Generale" (Bd. 21-23/1968-70). h 6 Dieser schrieb nach seiner ersten Teilnahme an Schmitt: „Das also war Ebrach! Eigentlich ja die ideale Situation für einen Anfänger wie mich: zwar auch schon die Möglichkeit zu haben,
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Hübner, Dieter Henrich, Rainer Specht, Heinhard Steiger, Marianne Kesting und Helmut Quaritsch 117 . Der eingangs zitierte Brief deutete an, daß Carl Schmitt und sein „Ansatz" eine anfangs durchaus konstitutive Bedeutung für die Seminare besessen hat. Zwar war Schmitt dort nicht unabkömmlich (und auch meist nicht über den gesamten Zeitraum anwesend), doch wesentlich für den Erfolg und die Eindrücklichkeit der Veranstaltung. Seinen gelegentlichen Stellungnahmen wurde als stets interessanter Auftritt erwartungsvoll entgegengesehen. Umgekehrt engagierte er sich in und für Ebrach in besonderem Maße und lebte in den Gesprächen sichtlich auf. Etliche der Studenten blieben über die Seminartage hinaus mit Schmitt in Kontakt, korrespondierten mit ihm, schickten ihre Arbeiten oder besuchten ihn privat. Forsthoffs Absicht, seinem Lehrmeister hier noch einmal ein Forum zu bieten, seine Prägekraft auf Jüngere zu erproben, hatte zweifellos Erfolg. Einer der inhaltlichen Erträge dieser Teilnahme Schmitts in Ebrach waren seine Überlegungen zur „Tyrannei der Werte". Er hatte sie im Anschluß an das Seminar 1959 niedergeschrieben und 1960 in einem Privatdruck an alle Seminarteilnehmer verschikken lassen118. Diese Abrechnung mit der Wertphilosophie war nicht allein eine geistesgeschichtliche Positionsnahme von großer Unmißverständlichkeit, die noch klarer als bisher Schmitts Rückwendung zu Max Weber bezeugte. Sie war gleichzeitig eine Abrechnung mit einer der Grundorientierungen der Bundesrepublik und traf offenbar darin ein Unbehagen derjenigen Ebracher, denen die ostentativ wertbezogene Begründung der bundesrepublikanischen Verfassung und Politik widerstrebte. Und in ihrem Appell reiner Wissenschaftlichkeit war sie nicht zuletzt ein Dokument der Ebracher „Seminarräson". Eine unmittelbare Folgewirkung Schmitts über den Ebracher Kreis ist weitaus schwerer zu bestimmen, als für das „Collegium Philosophicum". Die Teilnehmer waren z.T. jünger und in ihren politischen Standorten heterogener zusammengesetzt, was sich in den Polarisierungen der späten 60er Jahre deutlich erwies. Es zeigte sich, daß der Bildungsweg durch Schmitts Werk hindurch nicht allein durch selektive Aneignung zu
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das eigene Argument zu erproben — ohne befürchten zu müssen, es könnte nicht richtig abgestimmt sein — vor allem aber zuhören zu dürfen der gesammelten Weisheit großer Vorbilder, die aber doch mit einem an dem gleichen Tisch sitzen. Hoffentlich können wir das noch manches Jahr erleben!!!" (Brief vom September 1964, HSTAD RW265-182, Nr. 97.) Auch aus der teilnehmenden Studentenschaft mauserten sich einige aus dem Status des „Vielversprechenden" heraus: so etwa Ruth und Dieter Groh, Otto Dann, Peter J. Heinemann, Bernhard Schlink, Adalbert Podlech, Eike Christian Hirsch, Annette Kuhn, Rolf Grawert, Claus und Alexander von Bormann, Dieter Conrad, Günther Bien, Monika Richarz, Wolfgang Schluchter, Volker Haak, Reinhart Maurer, Christian Meier und KlausMichael Kodalle. Nach Auskunft von Gisela und Peter Lehmann soll auch Jürgen Habermas einmal eingeladen worden, dann aber unbeabsichtigt verhindert gewesen sein. Um eine Einleitung ergänzt veröffentlicht in der Festschrift für Forsthoff: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien (Stuttgart u. a. 1967, S. 3 7 - 6 2 ) .
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5. Kapitel — Universität
liberaler Affirmation, sondern auch zu ausgesprochen linker Positionsnahme führen konnte. Ebrach zeigte aber wohl vor allem, daß unter gewissen „Spielregeln" der Wissenschaftlichkeit generationsübergreifende Gespräche über die „Grundlagen der gegenwärtigen Zeit" auch mit problematischen Traditionsrepräsentanten möglich waren, wenn sie das spezifische Gleichgewicht wahrten, das sich in den 50er Jahren zwischen Reden und Schweigen austariert hatte. Es gelang die Verständigung mit Personen, die bekanntermaßen belastet waren und der „heimliche Lehrplan" der Veranstaltung erlaubte es, das gleichsam offizielle Bild des noch immer weithin „dämonisierten Nazi" zu differenzieren 119 . Im Schlagschatten einer immer polemischer werdenden Vergangenheitsbewältigung bot sie eine abstrakte, aber gemeinsame Ebene, sich auch über moralisch problematische Traditionen zu verständigen. In diesem Sinne war, innerhalb einer „vaterlosen Gesellschaft", der Diskurs tatsächlich unpolitisch. Ebrach hielt sich über 14 Jahre erfolgreich. Das Jahr 1968 hatte politische Einbrüche gebracht, Standpunkte konkreter und keineswegs kompatibler werden lassen; doch obwohl die letzten Veranstaltungen eine deutliche Schlagseite ins Konservative zeigten, war der Zuspruch ungebrochen. Forsthoff ließ nach seiner Emeritierung 1967 in seiner Brillanz, Diskussionen zusammenzufassen und die Veranstaltung souverän zu moderieren, zwar nicht nach, 1972 aber war offenbar wegen personeller Umbrüche unter den ständigen Teilnehmern der Zusammenhalt gewichen; auch konnten nicht mehr ausreichend Referenten verpflichtet werden, und bevor das geplante Thema „Sprache" behandelt werden konnte, war das Ebracher Gespräch beendet 120 .
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Zu Gesprächen zwischen den Generationen vgl. die Schilderung der Begegnungen Martin Greiffenhagens mit Ernst Rudolf Huber (in Greiffenhagen: Jahrgang 1928, 1988, S. 71ff.). Forsthoffs damalige Sekretärin berichtet, bis kurz vor Forsthoffs Tod im Jahre 1974 hätten noch einige sich in der Tradition „Ebrachs" fühlende Treffen in einem Heidelberger Wirtshaus stattgefunden (Auskunft Gisela Lehmann).
6. Kapitel - Wissenschaft
1. Die Wissenschaften und Carl Schmitt Die Gruppenprozesse um Carl Schmitt in den 50er Jahren trugen Züge eines „invisible college". Die Streuung der geographischen Zentren und das starke „ingroup"-Bewußtsein verwiesen darauf, unter welch besonderen Bedingungen sich die Wirkung Carl Schmitts subkutane Wege bahnte. Zur Überraschung manches etablierten Fachvertreters entwickelte sie hier und dort ein Fortleben, das wegen der Art des Gruppenvorgehens an verschwörerische „Netzwerke" gemahnte und dazu verleitete, den tatsächlichen Einfluß bisweilen stark zu überschätzen. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß mit Schmitt der „böse Geist" einer totalitären Politisierung aus den Wissenschaften „exorziert" werden sollte 1 . Zusammen mit der Suche nach einer neuen und ethisch einwandfreien Legitimations-Basis für das jeweilige fachliche Theoretisieren galt dem Bemühen einer demonstrativen wissenschaftlichen „Reinigung" mindestens im ersten Nachkriegsjahrzehnt ein Großteil allen Bemühens. Schmitts fortdauernde Präsenz aber mußte im Positiven wie Negativen die Beharrlichkeit gewisser Grundpositionen verdeutlichen, von denen man sich abzuwenden trachtete — ein memento! der Kontinuität wissenschaftlicher Entwicklung. Den untergründigen Impulsen Schmitts auf verschiedene Wissenschaften soll im folgenden nachgegangen werden. Es versteht sich von selbst, daß jeder dieser Einflußwege biographisch und thematisch Stoff für eigene umfassende Darstellungen bietet. Zum Teil werden Skizzen dazu im nächsten Kapitel geboten. Unter Berücksichtigung erster Ansätze soll hier vorab eine nur jeweils kurze Charakterisierung für einige Wissenschaftsbereiche erfolgen, die es erlaubt, die Stellung Schmitts und seiner Ansätze in der bundesdeutschen Wissenschaftsentwicklung der ersten zwei Jahrzehnte zu gewichten. Schmitt-Philologie und der Erweis seiner Fruchtbarkeit sind hier jedoch nicht beabsichtigt.
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So Edgar Salin (in Norbert Kloten u. a. (Hg.): Systeme und Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Erwin von Beckerath zum 75. Geburtstag, Tübingen 1964, S. 13—17, hier S. 16).
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6. Kapitel - Wissenschaft
1. Jura Auf Schmitts Rezeption im Bereich des Staats- und Verfassungsrechts in Bereichen, die der Öffentlichkeitsdarstellung entzogen waren, wurde bereits mehrfach hingewiesen. Dort war schon in den 50er Jahren eine Tendenz feststellbar, bestimmte Werke Schmitts, besonders seine „Verfassungslehre", als „Klassiker" zu behandeln 2 . Der politisierende Grundlagenforscher des Rechts aber, sein Entwurf eines „konkreten Ordnungsdenkens", wurde „bis zum Zitierverbot" 3 tabuisiert. Auch auf diese in der Trennung von Recht und Politik vollzogene Ausgrenzung wurde verwiesen 4 . Wo immer die ,zur Demokratie verurteilten' 5 Juristen sich diesem Verhältnis im Rückblick auf das ,Dritte Reich' fortan näherten, fiel der Blick auch auf Schmitt 6 . Jüngeren Rechtswissenschaftlern auf der Suche nach der verdrängten Vergangenheit ihres Fachs galt er später zwar immer noch als einer der „furchtbarsten" unter ihnen 7 , doch entdeckten sie auch, daß er alles andere als ein singulärer Fall gewesen ist.
2 Vgl. Ulrich Scheuner: Carl Schmitt - heute (in: Neue Politische Literatur, Heft 3/1956, Sp. 181-188) und die Zitationsanalyse von Rüdiger Voigt/Wolfgang Luthardt: Von Dissidenten zu Klassikern (in Erk Volkmar Heyen (Hg.): Historische Soziologie der Rechtswissenschaften, Frankfurt/M. 1986, S. 135—155): Schmitt sei bei den Verhandlungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer erheblich häufiger zitiert worden als Hermann Heller. Dies galt aber nicht für die Lehrpläne, aus denen er i. d. R. ausgespart blieb. Am 1. Januar 1954 schrieb ein Bekannter an Schmitt über seine Vorlesungen an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer: „Ich habe dabei nicht ohne eine gewisse Erschütterung festgestellt, daß die derzeitige Referendargeneration (Jahrgänge 1927-1929) nur noch in Einzelfällen Vorstellungen mit Ihrem Namen verbindet" (HSTAD RW265-93, Nr. 105). 3
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Dieter Simon: Zäsuren im Rechtsdenken (in Martin Broszat (Hg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Zeitgeschichte, München 1990, S. 153—167, hier S. 154). Zu einer — generationsspezifischen - Neubetrachtung der Problemstellung siehe Dieter Grimm: Recht und Politik (in: Juristische Schulung, 9.Jg., Heft 11/November 1969, S. 501-510). Hans Wrobel: Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945—1949 (Heidelberg 1989). Noch 1988 konnten Wolfgang Kohl/Michael Stolleis konstatieren (Im Bauch des Leviathan, in: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 45/1988, S. 2849-2856, hier S.2851): „Eine umfassende Untersuchung der Staatsrechtslehre im NS-Staat liegt noch nicht vor. Lediglich zur Rolle Carl Schmitts im Nationalsozialismus gibt es zahlreiche Untersuchungen, die viel zu einer Erhellung, aber auch manches zur Erhaltung der schon in der Weimarer Zeit einsetzenden Polarisierung bei der Beurteilung dieser in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Erscheinung geführt haben." Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz (München 1989, v. a. S.50—54). Bernd Rüthers: Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich (München 21989); ders.: Carl Schmitt im Dritten Reich (München 1989, erw. Aufl. 1990); Heinrich Senfft: Richter und andere Bürger. 150 Jahre politische Justiz und neudeutsche Herrschaftspublizistik (Nördlingen 1988).
1. Die Wissenschaften und Carl Schmitt
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Von sprachlich eher unbeholfenen Stellungnahmen zur eigenen Vergangenheit abgesehen 8 , wurde die Rückkehr der Rechtswissenschaft zu gegenwärtigen Sachproblemen von den Zeitläufen stark begünstigt. Namentlich für Juristen des Öffentlichen und Verfassungs-Rechts war die Nachkriegszeit eine Phase großer Herausforderungen. Mit katalytischer Unterstützung der drängenden äußeren Rechtslage Deutschlands konnten innerfachliche Animositäten meist rasch beigelegt und in den reetablierten Standes- und Fachvertretungen Fraktions- und Flügelkämpfe vorerst beendet werden. Nachdem viele der frühen Verfassungs-Debatten sich im Grundgesetz manifestiert hatten, gingen die Staatsrechtler an dessen Ausdeutung. Einige der Wegmarken, an denen sich die künftige Ausrichtung entschied, wurden bereits dargestellt (Sozialisierung/Eigentumsfrage im Zusammenhang mit Art. 41 der Hess. Verfassung, Mitbestimmung/Streik und Gewerkschaften, Beamtenrecht und Art. 131 GG usw.). Andere wesentliche Auseinandersetzungen gingen um die Wiederbewaffnung, die Wehrverfassung bzw. die Kriegsdienstverweigerung, um den Fortbestand des Reichskonkordats bzw. die Kulturhoheit der Länder, um die Errichtung eines ,Deutschland-Fernsehens' als „Regierungsfunk" etc. Schmitt nahestehenden Juristen kam eine jeweils gewichtige Stellung dabei zu. Die rückblickende Wertung der 50er Jahre als Restaurationsphase konservativer Interpretationseliten im Staatsrecht, die demokratische und gar sozialistische Elemente gemeinschaftlich verhindert hätten 9 , bringt noch einmal die Enttäuschung aus der Perspektive einer angenommenen „Stunde Null" zum Ausdruck, überschätzt aber wahrscheinlich die Spielräume, die dem Verfassungsrecht gegeben waren. Öffentliches Recht verstand sich in der frühen Bundesrepublik zunehmend als Verwaltungs- und Planungsrahmen einer industrialisierten Gesellschaft mit eingeschränkter Staatlichkeit, der Umverteilungsregeln aufzustellen und die „Daseinsfürsorge" mitzugestalten habe. In diesem Verständnis konnte Schmitt zwar als Rechtsdogmatiker über seine Lehre von den institutionellen Garantien' in der kommunalen Selbstverwaltung oder im Beamtenrecht sowie beim ,klassischen Enteignungsbegriff' wirksam werden 10 , die von einigen seiner Schüler getragenen Impulse waren jedoch bereits schöpferische Weiterentwicklungen seiner Lehren 11 . Sozialpolitik und ihre juristischen Pro-
8 S. Wrobel (Verurteilt, 1989, S. 194ff.: Mit Goethe durch die Zeit. Vergangenheitsdeutungen westzonaler Juristen): besonders beliebt seien die Beschwörung des „Abgrunds" und der „Erschütterung" und nahezu einhelliger Tenor die Formel von der „Vergewaltigung der Justiz im Dritten Reich" gewesen. 9 So Joachim Pereis: Die Restauration der Rechtslehre nach 1945 (in: Kritische Justiz, 17. Jg., 1984, S. 3 5 9 - 3 7 9 ) . 10 Roman Schnur: Aufklärung (in: Der Staat, 1988, S.442), auch Günter Dürig: Das Eigentum als Menschenrecht (in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 109.Bd., 1953, S.326ff.); ders.: Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff! (in: Juristenzeitung, Heft 1-2/1954, S. 4 - 1 2 , hier S. 7, Anm. 17: „Das ist ein später, aber klarer Sieg Carl Schmitts"). 11
Volkmar Götz: Verwaltungsrechtswissenschaft in Göttingen (in: Rechtswissenschaft in Göttingen, Göttingen 1987, über Werner Weber, S. 3 5 3 - 3 6 4 , hier S.360): der für die „Carl
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6. Kapitel — Wissenschaft
bleme, die nun aus einer Randlage in das Zentrum der Wirtschafts- und Gesellschaftsprozesse rückten, lagen bereits weitgehend außerhalb der von Schmitt angeregten Themen 1 2 . Nicht so die konjunkturarme Staats- und Verfassungsgeschichte, an deren umfangreichster und allgemein anerkannter Darstellung der Schmitt-Schüler Ernst Rudolf Huber seit den 50er Jahren schrieb 13 . Auch das Nachdenken über die Grundlagen des Rechts im allgemeinen 14 und des Staatsrechts im besonderen 15 sah sich fast notwendig auf Carl Schmitt verwiesen; kritische Grenzfragen der Rechtsanwendung, die das Ausnahmerecht streiften, fanden bei ihm Anregungen, die stets souveränitätsorientiert blieben 16 . Dies galt ebenso für das Völkerrecht, dessen Modifikationen von deutscher Seite aus für lange Zeit unter der Hypothek bloßer Analyse verblieb 17 - und dies scheint um so mehr zu gelten, seitdem hier erneut Gestaltungsspielräume offenstehen 18 .
Schmitt-Schule" charakteristische Methodenwandel im Verwaltungsrecht (Hinwendung zur kommunalen Selbstverwaltung als Paradebeispiel für die umfassend vorsorgende im Unterschied zur punktuell eingreifenden Verwaltung) sei allerdings nicht ganz eingelöst worden. 12 Trotz des Aufsatzes „Nehmen/Teilen/Weiden" von 1953. Die insbesondere von Ernst Forsthoff beförderte Verwaltungsrechtslehre hatte während des .Dritten Reiches' eine Erschütterung ihrer tradierten dogmatischen Bestände erfahren, zugleich über das Leistungsverwaltungs- und Planungsrecht neue Einsichten gewonnen (Kohl/Stolleis in: NJW, 1988, S.2855). Zu Schmitts Einfluß vgl. auch Carl Hermann Ule: Carl Schmitt, der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichtsbarkeit (in: Verwaltungs-Archiv, 81.Bd., Heft 1/1990, S. 1-17). Zum Gesamten vgl. Hans Günter Hockerts: Metamorphosen des Wohlfahrtsstaats (in Broszat (Hg.): Zäsuren, 1990, S. 35-45). 13 Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 (Stuttgart 1957ff.). 14 Hier mit Blick auf Schmitt besonders Hasso Hofmann: Legitimität gegen Legalität (Neuwied 1964), die bis heute stringenteste Analyse des Schmittschen juristischen Werkes; jetzt auch Matthias Kaufmann: Recht ohne Regel? (Freiburg/München 1990). Auf Schmitt ein gehen u. a. Ottmar Ballweg: Zu einer Lehre von der Natur der Sache (Basel 1960) sowie Martin Kriele: Recht und praktische Vernunft (Göttingen 1979). 15 Hier z. B. Martin Kriele: Einführung in die Staatslehre (Reinbek 1975). 16 Vgl. Josef Isensee: Verfassung ohne Ernstfall. Der Rechtsstaat (in Anton Peisl/Armin Möhler (Hg.): Der Ernstfall, Frankfurta. M./Berlin/Wien 1979, S. 98-123); Helmut Quaritsch: Über Bürgerkriegs- und Feind-Amnestien (in: Der Staat, Heft 3/1992, S. 389-418). Zum Einfluß Schmitts s. auch Rainer Eckertz: Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Grenzproblem des Rechts. Zur Überwindung des Dezisionismus im demokratischen Rechtsstaat (Baden-Baden 1986). 17 Vgl. die Hinweise auf Schmitt bei Paul Barandon: Gespräch über Völkerrecht und Außenpolitik (in: Mensch und Staat in Recht und Geschichte. Festschrift für Herbert Kraus, Kitzingen/ Main 1954, bes. S.8f.); Helmut Rumpf: Der internationale Schutz der Menschenrechte und das Interventionsverbot (Baden-Baden 1981); ders.: Land ohne Souveränität (Karlsruhe 1969). Diskussion auch bei Dan Diner: Israel in Palästina. Über Tausch und Gewalt im Vorderen Orient (Königstein 1980). is Eine Renaissance' des „Mitteleuropa"-Gedankens ergab sich aus der Öffnung Osteuropas,
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Ernst-Wolfgang Böckenförde ist heute der wohl eminenteste Jurist aus dem direkten Umkreis Schmitts, der nicht nur einzelne von dessen Themen aufgriff, sondern Schmitts Fragehorizonte geradezu systematisch abgeschritten hat. Probleme der Rechts- und Gesetzesgeltung, rechtshistorische Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche im Vorgang der Säkularisation, verfassungsrechtliche und staatstheoretische Untersuchungen fügen ihn in die Tradition der „gesamten Staatswissenschaften" ein. Dabei hat es Böckenförde verstanden, den programmatischen Blick Schmitts auf die Entstehung des Staates und des Rechts wie dessen politisch-theologische Perspektive entschieden rechtsstaatlich und freiheitsorientiert zu wenden. In dieser Hinsicht darf er als Schmitts legitimer Nachfolger bezeichnet werden 19 .
2. Politologie Während in der Rechtswissenschaft gewisse bleibende Anstöße Schmitts konzediert und diskutiert wurden, wirkt es überzogen, Carl Schmitt als eine der wichtigen Figuren auch der Politikwissenschaft der frühen Bundesrepublik zu deklarieren. Dennoch wird diese Funktion eindeutig, wenn man seine Wirkung implizit bzw. ex negativo verfolgt. In den seit etwa 15 Jahren vorgelegten Selbstreflexionen zur Geschichte der Politikwissenschaft herrscht Einmütigkeit darüber, daß es sich bei der bundesdeutschen Politologie um eine weitgehend neue, den Etablierungsprozeß der Demokratie begleitende Wissenschaft handelte 20 . Geistige wie institutionelle Förderung verdankte sie der sog. Re-education und wesentliche Impulse sog. Remigranten, die Elemente der amerikanischen ,Political science' einführten 21 . Zwar handelte es sich oft um Re-Importe europädes „Großraum"-Theorems aus dem Golfkrieg, vgl. exemplarisch Günter Maschke: Frank B. Kellogg siegt am Golf. Völkerrechtsgeschichtliche Rückblicke anläßlich des ersten Krieges des Pazifismus (in: Siebte Etappe, Bonn, Oktober 1991, S. 2 8 - 6 1 ) . 19
Reinhard Mehring: Zu den neu gesammelten Schriften und Studien Ernst-Wolfgang Böckenfördes (in: Archiv des öffentlichen Rechts, 117. Bd., Heft 3/1992, S . 4 4 9 - 4 7 3 , hier S.450). Paradigmatisch für diese „Wendung" Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 283—299), wo er exemplarisch vorführt, wie man Schmitts Distinktionen, ihres existentialistischen Pathos, entkleidet, für Bestimmungen eines „Aggregatzustandes des Politischen" nutzen kann, ohne seinem autoritären Katholizismus zu verfallen.
20
Hans Kastendiek: Die Entwicklung der westdeutschen Politikwissenschaft (Frankfurt/M. 1977); Erwin Faul: Politikwissenschaft im westlichen Deutschland (in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 1/1979, S. 7 1 - 1 0 3 , mit Diskussion in den folgenden Heften); Arno Mohr: Politikwissenschaft als Alternative. Stationen einer wissenschaftlichen Disziplin auf dem Wege zu ihrer Selbständigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1965 (Bochum 1988).
21
So Alfons Söllner: „Kronjurist des Dritten Reiches". Das Bild Carl Schmitts in den Schriften der Emigranten (in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1, hg. von Wolfgang Benz, Frankfurt a.M./New York 1991, S. 191-216), der die These aufstellt, in der Auseinandersetzung
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6. Kapitel — Wissenschaft
ischer oder deutscher Ansätze 22 , doch verfehlte die Kritik an der neuen Wissenschaft selten, ihr amerikanische Ideologeme zu unterstellen oder sie rundweg als „Propagandawissenschaft" abzutun 23 . Wie jede Wissenschaft in ihrer Etablierungsphase — die in diesem Fall mit einer gesellschaftlichen Konsolidierungsphase zusammenfiel — richtete sich ein Großteil der Gedankenarbeit zunächst auf die Abgrenzung zu den Fächern, von denen sie sich löste und begab sich auf die Suche nach einer eigenen Tradition. Hierbei traf sie mit der Auflösungstendenz der klassischen Staatswissenschaften zusammen, die sich in reine Rechtslehre, Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft spaltete - die erneute gedankliche Trennung von Staat und Gesellschaft nach vollziehend, deren Verhältnis zueinander das eigentliche Thema der politischen Wissenschaft' werden sollte. Die Trennung des Rechtswissenschaftlers Schmitt vom politischen Denker wurde dabei von juristischer Seite vollzogen, und der Jurist Schmitt war für die Politologie zunächst nicht interessant, wohl aber der Staatsdenker und Kritiker politischer Systeme. Eine Fortsetzung der auf hohem Niveau geführten staatsrechtlichen Debatte der Weimarer Zeit 24 fand zunächst eher in der Politikwissenschaft statt, als bei den Staatsrechtlern selbst. Hermann Heller, der den Staat als sozialwissenschaftliches Phänomen, nicht mehr vorderhand als juristisches begriff, wurde seit den 50er Jahren für einen Teil der deutschen Politikwissenschaft richtungsweisend25. Die Analyse des Kräftespiels in der wirklichen Verfassung eines politischen Verbandes, wie sie Schmitt, Smend und Heller unternommen hatten, wurde nun Aufgabe der politischen Wissenschaft. In diesem Sinne wurde sie als Grundlagenwissenschaft verstanden, der durchaus eine normative Stoßrichtung zukam. Sie wandte sich gegen die problematischen Traditionen einer spezifisch „deutschen Staatsanschauung", wollte ihr also gegen Webers Wertneutralismus „wieder ein gutes Gewissen zu einer auch
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der Emigranten mit Schmitt sei der Übergang von der juristisch dominierten Staatsrechtslehre zur modernen Politikwissenschaft angelsächsischen Stils vollzogen worden. „Die Inkubation der westdeutschen Politikwissenschaft fand vielmehr in der Emigration, insbesondere in den Vereinigten Staaten, statt" (Wilhelm Bleek in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. April 1992, S. 9, wo er Neumann, Fraenkel, Bergstraesser, Karl Loewenstein und Voegelin nennt; s.auch ders.: Die Gründung der Wissenschaft von der Politik in den U S A . Ein Kapitel amerikanisch-deutschen Kulturtransfers, in Manfred Funke u . a . (Hg.): Demokratie und Diktatur, Bonn 1987, S. 5 2 1 - 5 3 3 ) .
23
So etwa Caspar von Schrenck-Notzing: Charakterwäsche (Stuttgart 1965); die Politikwissenschaft mußte einige ihre Vertreter zunächst aus dem Ausland oder anderen Wissenschaften rekrutieren — so, aus der Rechtswissenschaft, etwa Wolfgang Abendroth oder Roman Schnur, von der Geschichtswissenschaft etwa Michael Freund, Karl Dietrich Bracher und vorübergehend Reinhart Koselleck.
24
Zuletzt dazu das Buch von Thomas Vesting: Politische Einheitsbildung und technische Realisation. Über die Expansion der Technik und die Grenzen der Demokratie (Baden-Baden 1990). Kurt Sontheimer: Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre (Freiburg 1963, S. 27f.).
25
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werthaften Beurteilung der politischen Phänomene" geben 26 . Im Rückgriff auf die klassische politische Philosophie wurden Versuche gemacht zur Bestimmung der Wesensgehalte so zentraler Begriffe wie Gemeinwohl, Macht, Herrschaft, Einheit und Gliederung, Repräsentation und Legitimität, wie sie sich nach den Ereignissen von 1933 darstellten 27 . „Wesen" und „Wert" zielten dabei auf eine vermeintlich „nihilistische" Bestimmung des Politischen, wie sie Carl Schmitt repräsentierte. Zugleich avancierte er zum paradigmatischen Vertreter des Macht-Machiavellismus wie zum Vollender deutscher „Staatsgesinnung" 28 . In einer - auch wissenschaftslogisch begründeten — Antithese sah man die Politikwissenschaft als liberale und westliche Demokratiewissenschaft den autoritären Staatswissenschaften gegenüberstehen, die immer auch mit deutschem Sonderbewußtsein identifiziert wurden 29 . Auch in der Schnittmenge von Politikwissenschaft und Geschichte, respektive Zeitgeschichte, mußte Schmitt zum Forschungsgegenstand werden. Für die seit Mitte der 50er Jahre vorgelegten Untersuchungen zur „Auflösung der Weimarer Republik" mußte Schmitts „innenpolitische" 30 Rolle in diesem Prozeß gewichtet werden, und dem Urteil von Bracher 31 , Sontheimer oder Sternberger nach war diese Rolle verhängnis26 Ebd., S.41. 27 Ebd., S. 44. 28 Jürgen Fijalkowski: Die Wendung zum Führerstaat. Die ideologischen Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts (Köln/Opladen 1958); Martin Greiffenhagen: Staatsgesinnung oder demokratisches Bewußtsein? (in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 15. Jg., Heft 12/1964, S. 705—713), wo diese Abarbeitung an Schmitt besonders deutlich wird. Den „gegnerisch gespannten" (zit. nach Theodor Geiger, S. 713) Staatsgesinnungen gegenüber fehle dem rechtsstaatlichen Bewußtsein der emotionale Akzent, der Ernstfall des modernen Verfassungsstaates sei der ewige Friede (Kant), nicht der Krieg. 29 Karl Dietrich Bracher: Staatsbegriff und Demokratie in Deutschland, (in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 1/1968, S. 2-27), der die Politikwissenschaft als reine Demokratiewissenschaft definiert, „während die Staatsrechtslehre offenbar unter mancherlei Regimen florieren kann" (ebd., S. 3). Auch Bracher verfolgt den Weg zum verhängnisvollen Sonderbewußtsein im deutschen Staatsverständnis und zitiert Georg Picht: „Kein Staat ist heute mehr autark, kein Staat vermag mehr souverän über sein eigenes Schicksal zu entscheiden" — auch nicht im Ausnahmezustand (S.25). In Brachers „Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert" (München 1985, zuerst 1982) wird sichtbar, daß für ihn „Nachkriegserfahrung und Denkstrukturen des Wiederaufbaus" (Kap. III, 1) eine (leider nur vorübergehende) erholsame Ent-Ideologisierung bewirkten, es sei „Tatsache, daß sich in den Jahren nach 1945 erstmals seit der Jahrhundertwende die positive Bewertung der freiheitlichen Demokratie und die eindeutige Absage an geschlossene Ideologien intellektuell durchsetzte" (ebd., S. 273). 30
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Heinrich Muth: Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik des Sommers 1932 (in: Historische Zeitschrift, Beiheft 1, hg. von Theodor Schieder, München 1971, S. 75-147). Gustav Seibt über den Jubilar Bracher: er habe stets auf der analytischen Funktion des Totalitarismus-Begriffs gegenüber ideologischen Weltbürgerkriegsszenarien bestanden, die verletzlichen Machtstrukturen der Demokratie durchleuchtet und gefolgert, diese scheitere nicht an
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6. Kapitel — Wissenschaft
voll. In der Folge kam es zu einer „einhelligen Verurteilung Schmitts durch die Politikwissenschaft" 32 . Ihr unterlag die zeitgeschichtliche Interpretation Weimars als an ihrem fehlenden „Geist" gescheitert 33 . Diesen „Geist" nun zu begründen und über demokratische Schulung und politische Bildung zu festigen, war der selbstgewählte Auftrag der Politikwissenschaft. Sie wollte daher als eine Wissenschaft des „Gesprächs" verstanden werden, des Pluralismus, des Liberalismus, des Parlamentarismus, der Demokratie, der Öffentlichkeit - „Entscheidung" und Dezision dagegen galten als Elemente des klammheimlichen Wegs zur Diktatur und zum „Schweigen" 34 . Aus dem zuvor der Soziologie vorbehaltenen Bereichen wurden die gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen bzw. die „Gestaltungsarten" von Macht, Herrschaft und Konsens untersucht. Analog zur empirischen Sozialforschung wandte man sich aber eher eingeschränkten Forschungsfeldern zu, untersuchte die Spielregeln einer demokratischen Gesellschaft, das Gleichgewicht der institutionellen Kräfte, die Bauformen von Parteien und Verbänden etc. Die v. a. an der Berliner Hochschule für Politik (dem späteren Otto-Suhr-Institut) betriebene Grundlegung einer pluralistischen Demokratie 35 hatte im 1951 aus den U S A zurückgekehrten Ernst Fraenkel zudem einen Mitarbeiter, dessen Analysen sich schon in den 30er Jahren mit Schmitt auseinandergesetzt hatten 36 . äußeren Problemen, sondern „aus innerer Schwäche, aus Mangel an demokratischer Gesinnung, aus Mangel an Rechtlichkeit und Verantwortlichkeit" (Fundament der Republik. Karl Dietrich Bracher wird Siebzig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 62, vom 13. März 1992, S. 33). 32 Mohr (Politikwissenschaft, 1988, S. 267); dem „Begriff des Politischen", so Mohr, wurde der ebenso wertgebundene wie vieldeutige „Begriff der Demokratie" gegenübergestellt. 33 So Sternberger in seinem Hinweis auf Schmitt (in ders: Begriff des Politischen, Frankfurt/M. 1961, S. 21). 34 Daher „verkörperte der totalitäre Staat den ,Unwert' par excellence, vor dessen Parteigängern und Sympatisanten es sich vorzusehen galt. Ein eindrucksvolleres, weil empirisch verifizierbares Freund-Feind-Verhältnis hätte sich Carl Schmitt nicht ausmalen können!" (Mohr: Politikwissenschaft, 1988, S.294). Zum Dezisionismus Christian Graf von Krockow (Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958). 35 Peter Christian Ludz (Die Bedeutung der Soziologie für die Politische Wissenschaft. Zur wissenschaftssoziologischen Interpretation des Streites um die politische Soziologie in den fünfziger Jahren, in Günther Lüschen (Hg.): Deutsche Soziologie seit 1945, Opladen 1979, S. 264-293, hier S. 271) meint, Otto Stammer (ein Schüler Hermann Hellers) habe unter dem Einfluß Neumanns die Frage gestellt: Wie kann im Zeitalter der Massengesellschaft, der expandierenden Bürokratien und des sich immer mehr in den politischen Prozeß einschaltenden Interessengruppen eine pluralistische Demokratie überhaupt verwirklicht werden? Auflagenstarkes Dokument dieses Politikverständnisses war das von Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher herausgegebene Fischer-Lexikon „Staat und Politik" (Frankfurt/M. 1957). 36 Ob Fraenkels Konstruktion des „tripartite state" und des Normen- und Maßnahmenstaats auf Denkfiguren Carl Schmitts („Staat, Bewegung, Volk") rekurrierte (so Ludz: Die Bedeutung, 1979, S. 277), muß hier offenbleiben. Vgl. Fraenkels Besprechung von Peter Schneider: Ausnahmezustand und Norm, (in: Neue Politische Literatur, 2. Jg., 1957, Sp. 827—832): Schmitt
1. Die Wissenschaften und Carl Schmitt
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Theoretischer und grundsätzlicher wurde es, wenn man sich etwa den „Faktoren der Machtbildung" zuwandte 37 . Hier waren Stellungnahmen und Abgrenzungen zu Schmitt nicht zu umgehen 38 . D a Schmitt fehlende Normorientierung und Inhaltsleere vorgeworfen wurden, galt das Bestreben, die Macht gleichsam zu entmachiavellisieren und auf ihre Kontroll- und Begrenzungsmöglichkeiten hin zu analysieren. Die pädagogisch gedachte Aufgabe der Politikwissenschaft, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft über die Demokratie zu harmonisieren, erstreckte sich - mehr noch als die Demokratisierung der Regierten - auch auf eine „Erziehung der Regierenden", betraf also Fragen des politischen Stils. In der Frage nach dem Verhältnis zwischen Macht und Ethik wie dem „guten Staat", mit der sich vor allem die „zweite Generation" der Politikwissenschaftler beschäftigte 39 , klang bereits der verstärkte Rückgriff auf metaphysisch fundierte Ordnungen im Geiste der Antike an 40 . Im Anschluß an Aristoteles wurden sittliche Qualitäten („Maß" und „Tugendwissen") als vitale Prinzipien der Demokratie postuliert 41 und der Freund-Feind-Theorie gegenübergestellt 42 . Politikwissenschaft war die Suche nach der habe versucht, der Montesquieu des ,Dritten Reiches' zu sein, habe aber nur „zahlreiche Essays über den Esprit der Gesetzlosigkeit verfaßt", noch heute sei er einer der einfallsreichsten und gefährlichsten, weil labilsten, deutschen Sozialwissenschaftler unserer Zeit (Sp.831f.). 37 So der Titel eines Sammelbandes mit dem Untertitel: Wissenschaftliche Studien zur Politik (Berlin 1952). 38 Besonders im Beitrag von Otto Heinrich von der Gablentz: Macht, Gestaltung und Recht — Die drei Wurzeln des politischen Denkens (ebd., S. 139ff.), der den „kulturmüden Gewaltästheten" Schmitt (S. 142) der ersten Wurzel zuordnet; vgl. auch Helmuth Plessner: Die Emanzipation der Macht (in ders.: Diesseits der Utopie. Ausgewählte Beiträge zur Kultursoziologie, Düsseldorf/Köln 1966, S. 190-209, hier S.204), wo er Schmitts Freund-Feind-Denken als Verfallsstation des deutschen Geistes auf dem Weg in den Amoralismus der nackten Macht kennzeichnete. 39 Auch dies stand im Zeichen der jüngeren Vergangenheit; es ist auffällig, wie viele Politikwissenschaftler ihre Promotionen oder Habilitationen rechten Theorien bzw. Theoretikern der Zeitgeschichte widmeten: Kurt Sontheimer über Thomas Mann, Martin Greiffenhagen über den Konservatismus, Christian von Krockow über Jünger, Schmitt und Heidegger, Hans-Peter Schwarz über Jünger, Alexander Schwan über Heidegger etc. 40 Leo Strauss: Naturrecht und Geschichte (Stuttgart 1953). Eric Voegelin: Die neue Wissenschaft von der Politik (München 1959). 41 Zum Beispiel Wilhelm Hennis: Politik und praktische Philosophie (Neuwied 1963), vgl. auch Gerhard Schulz: Entwicklungstendenzen in der Nachkriegsdemokratie (in Gerhard Lehmbruch/Klaus von Beyme/Iring Fetscher (Hg.): Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik Deutschland. Für Theodor Eschenburg, München 1971, S. 29). 42 Vgl. Jürgen Fijalkowski: Das politische Problem der Feindschaft (in: Politische Vierteljahresschrift, 6. Jg., Heft 1/1965, S. 105-111); Hasso Hofmann: Feindschaft - Grundbegriff des Politischen? (in: Zeitschrift für Politik, Heft 1/1965, S. 17-39); Mathias Schmitz: Die FreundFeind-Theorie Carl Schmitts. Entwurf und Entfaltung (Köln/Opladen 1965).
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6. Kapitel — Wissenschaft
„guten Ordnung", die repräsentative Demokratie die ideale Verwirklichung einer Theorie der gemischten Verfassung. Über den Weg klassischer Lehrmeinungen näherte sich die Politikwissenschaft erneut einer Definition dessen, was als spezifischer Bereich ihrer Wissenschaft auszumachen sei, was überhaupt als „Begriff des Politischen" zu gelten habe 43 . Dolf Sternberger entwarf in seiner 1960 unter diesem Titel gehaltene Antrittsvorlesung ein Gegenmodell zu Schmitts Definition, das sich am Frieden als „der Grund und das Merkmal und die Norm des Politischen", ja als einer „politische(n) Kategorie schlechthin" zu orientieren suchte 44 . Mehr Geschmack am Krieg als am Frieden und mehr an der Ausnahme als an der Norm gefunden zu haben, warf Sternberger Schmitt noch des öfteren vor 45 . Letztlich versuchte Sternberger eine umfassende Rehabilitation des „Bürgers", den Schmitt bekanntlich zugunsten des „Soldaten" abgewertet hatte 46 . Die wiederum etwas jüngeren Politikwissenschaftler konnte diese Suche nach der „rechten Herrschaftsordnung" allein nicht mehr zufriedenstellen. Die Harmonisierung wich in den 60er Jahren dem Bedarf nach „kritischem Selbstbewußtsein" im Wissen um das Vorhandensein gesellschaftlicher Antagonismen. Die Theoriebildung wandte sich verstärkt Dissoziations- oder Konfliktbestimmungen statt Integrationsbegriffen zu, und diese Wendung erleichterte es wiederum, Kriterien Schmitts auch positiv zu rezipieren47. Innerhalb wissenschaftlichen Nachdenkens über Politik ließ sich freilich der ganze Ansatz der bundesdeutschen Politikwissenschaft kritisieren, und Hans-Joachim Arndt (zunehmend auch Bernard Willms) haben eine radikale Infragestellung ihres Ertrags aus dem Geiste von Carl Schmitts „konkretem Ordnungsdenken" vorgenommen. In der Nähe des Affekts gegen Political Science als „Reeducationwissenschaft" warfen sie ihr nicht nur vor, die Interpretation der Zeitgeschichte zu monopolisieren (und zu moralisieren), sondern „lagevergessen" gewesen zu sein. Politische Wissenschaft hätte bei der Situation der „Besiegten von 1945" ansetzen müssen. Zu keiner Zeit, so Arndt, hätte die risiko- und zufallsbehaftete Erfahrung Niederschlag in der politischen Wissenschaft gefunden, sie sei daher praxisfern und „lageinadäquat" 48 . 43
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Vgl. Heinz Laufer: Das Kriterium politischen Handelns. Eine Studie zur Freund-Feind-Doktrin von Carl Schmitt auf der Grundlage der Aristotelischen Theorie der Politik. Zugleich ein Beitrag zur Methodologie der Politischen Wissenschaften (Diss. München 1961). Erschienen Frankfurt/M. 1961, S. 18. Auch Christian Graf von Krockow versuchte sich an einer „Soziologie des Friedens" (Gütersloh 1962). Dolf Sternberger: Irrtümer Carl Schmitts. Bemerkungen zu einigen seiner Hauptschriften (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 125, vom 1. Juli 1985: „An keiner Stelle erhebt der Autor die Frage nach dem Frieden"). Dolf Sternberger: Zu Carl Schmitts älteren und neueren Gedanken von Staat und Krieg (in ders.: Staatsfreundschaft (Schriften, Bd. 4), Frankfurt/M. 1980, S. 314-319). Es ging dabei v. a. um Begriffsprägungen, um Umdeutungen in der Terminologie, die tendenziell zu Integrationsbegriffen wurden, statt Dissoziations- oder Konfliktbedeutungen fortzutragen, mit denen v. a. Schmitt identifiziert wurde (Mohr: Politikwissenschaft, 1988, S. 265). Hans-Joachim Arndt: Die Besiegten von 1945. Versuch einer Politologie für Deutsche samt
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3. Soziologie Soziologie hatte nach ihrer Begründung in Frankreich im Deutschland der 20er/frühen 30er Jahre mehr als nur erste Etablierungsschritte vollzogen. Simmel, Tönnies, Vierkandt, von Wiese, Spann, Mannheim, vor allem aber Max Weber wurden international diskutiert 49 . Seit 1933 aber war soziologische Forschung in Deutschland unter der Parole, die Gemeinschaft sei vor der Gesellschaft zu stärken, zumindest in ihrem theoretischen Ertrag weitgehend zum Erliegen gekommen 50 . Analog zu anderen Wissenschaften gab es den von Hans Freyer getragenen Versuch, Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft" zu betreiben, die sich gleichwohl einer „Revolution von rechts" dienstbar machte. Doch erwies sich auch hier das konservativ-autoritäre Layout dieses Versuchs als unfähig, mit der Radikalisierung einer politisierten „Deutschen Soziologie" Schritt zu halten. Die Rekonstruktionsphase des Faches in der Bundesrepublik war einerseits durch den Versuch gekennzeichnet, die von Max Weber u. a. ausgesandten Impulse erneut auszuleuchten 51 . Andererseits wurde in ihr eine rasche Rezeption der angelsächsischen Methoden einer empirischen Sozialforschung 52 vollzogen, die in betont anti-ideologi-
Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland (Berlin 1978; s. auch ders.: Der Begriff des Politischen in der Politikwissenschaft nach 1945, in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 509-515. Jetzt wurde verraten, daß der Untertitel von Arndts Untersuchung ursprünglich „Im Kampf mit Nürnberg, Potsdam, Jaita" lautete (s. Einleitung der Herausgeber in Volker Beismann/Markus Josef Klein (Hg.): Politische Lageanalyse. Festschrift für Hans-Joachim Arndt zum 70. Geburtstag am 15. Januar 1993, Bruchsal 1993, S. 8); vgl. auch Bernard Willms: Einführung in die Staatslehre. Politisch-dialektische Propädeutik (Paderborn 1979, darin die Vorbemerkung: deutsche Politikwissenschaft sei die Ideologie der Niederlage von 1945). 49 Vgl. Raymond Aron: Deutsche Soziologie der Gegenwart (Stuttgart 1969). Einem Bekannten schrieb Carl Schmitt am 30. Januar 1954: „Die Übereinstimmung meiner Gedanken und meiner Haltung mit derjenigen von Raymond Aron ist geradezu frappant" (HSTAD RW265-178, Nr. 201); vgl. die Bemerkungen in Arons Lebenserinnerungen: Erkenntnis und Verantwortung (München/Zürich 1983, bes. S.317, 418f.). Gute Beziehungen nach Frankreich unterhielt Schmitt vor allem über den Straßburger Soziologen Julien Freund. 50 Otthein Rammstedt: Deutsche Soziologie 1933—1945. Die Normalität einer Anpassung (Frankfurt/M. 1986). Von diesem Befund auszunehmen sind die empirischen Forschungen zu Sozialstatistiken etc. 51 M. Rainer Lepsius: Die Entwicklung der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 bis 1967 (in Günther Lüschen (Hg.): Deutsche Soziologie seit 1945, Opladen 1979, S. 25-70, hier S.31): die deutsche Soziologie in den ersten Nachkriegsjahren sei gegründet von Vertretern einer Generation, die zwischen 1865 und 1885 geboren und in den liberalen Traditionen der 20er Jahre verwurzelt waren; das .Studium Generale' habe bei ihnen als Leitvorstellung der ersten Nachkriegsjahre gegolten. 52 Auch dies war z. T. ein Re-Import von Ansätzen, die während der 20er Jahre in Deutschland
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scher Stoßrichtung gegen „Kulturkritik" und „Gesellschaftsanalyse" eingenommen war (wie sie etwa die frankfurter Schule' betrieben hatte). Statt theoretischer Durchdringung gab es umfassende statistische Erhebungen über die Folgen des Krieges, Untersuchungen über die sozialstrukturellen Folgen für Jugend, Familie, Flüchtlinge etc. Das „Gesellschaftsbild des Arbeiters" und „Technik und Industriearbeit" waren zwei charakteristische Untersuchungen der Dortmunder Sozialforschungsstelle an der Universität Münster. Sowohl in der datenbezogenen Forschung wie auch in der Rezeption der Werturteilsfrage Max Webers war das Institut der übrigen Soziologie offenbar eine Zeitlang voraus 53 . In die empirische Sozialforschung ließ sich zwar eine soziologische Theorie integrieren, die sich weiterhin als „Wirklichkeitswissenschaft" verstand, die sich aber gegen politische Implikationen zunehmend glaubte wehren zu müssen 54 . Ein Teil der Forscher reihte sich später explizit in eine Tradition der „Anti-Soziologie" ein, die mit „Gesellschaftswissenschaft" und nüchterner Untersuchung von Partikularinteressen nicht übereinzukommen glaubte 55 . Helmut Schelsky war zugleich der publicity trächtigste Soziologe der 50er Jahre, wie der wirkmächtigste Vertreter dieser „Anti-Soziologie" 56 . Auch Arnold Gehlen hatte
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bereits erhebliches Niveau erreicht hatten (vgl. z.B. Marie Jehoda/Paul E Lazarsfeld: Die Arbeitslosen von Marienthal, zuerst 1933, Neuaufl. Frankfurt/M. 1975 mit einem Anhang von Hans Zeisel zur Geschichte der Soziographie). So Johannes Weyer: Westdeutsche Soziologie 1945—1960. Deutsche Kontinuitäten und nordamerikanischer Einfluß (Berlin 1984, S. 303f.). Nach Weyer überschnitt sich in Dortmund der amerikanische Einfluß über die geldgebende Rockefeller-Foundation mit einer deutschen Kontinuität, die bereits seit den 30er Jahren mit empirischen, statistischen und bevölkerungswissenschaftlichen Materialien befaßt war und die sich etwa in der Person Gunther Ipsens manifestiert habe. Vgl. die von Schelsky (mit-)verfaßte Resolution der ,Deutschen Gesellschaft für Soziologie' gegen einen weiteren Ausbau der Politischen Wissenschaften zuungunsten der Soziologie (in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1950/51, S. 263f.). Nach Lepsius (Die Entwicklung, 1979, S. 43) aktualisierte sich Ende der 50er Jahre die Front zwischen Emigranten und den in Deutschland im Amt Verbliebenen noch einmal. Dazu Karl-Siegbert Rehberg: Deutungswissen der Moderne (in Sven Papcke (Hg.): Ordnung und Theorie, Darmstadt 1986, S. 7-47). Über Schelskys Verhältnis zu Schmitt das Vorwort zu ders.: Thomas Hobbes. Eine politische Lehre (Neuausgabe Berlin 1981, Vorwort S. 5): er verdanke Schmitt entscheidende Förderung in sehr persönlichen und universitären Lebensfragen. 1961 variierte er Schmitts Souveränitätsdefinition: Technisierung und Verwissenschaftlichung nach dem Prinzip der höchsten Wirksamkeit („efficiency") definierten auch den Bereich des Politischen neu: „Eine realistische Definition der Souveränität dieses Staates wäre dann die, daß souverän ist, wer über die höchste Wirksamkeit der in einer Gesellschaft angewandten wissenschaftlich-technischen Mittel verfügt" (Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf 1965, S.455). Zu Schelsky demnächst eine Studie von Gerd Schäfer (Bremen), die auch auf das Verhältnis zu Schmitt eingeht.
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zunächst (durchaus empirisch) Bürokratisierung, Konsum verhalten, die Gemeindeverfassung und das Elitenproblem analysiert, ehe sein im Grenzbereich zu Philosophie und Anthropologie stehendes Werk innerhalb der Fachentwicklung der westdeutschen Soziologie marginalisiert wurde. Die „Leipziger Schule" der Soziologie, zu der auch Schmitt eine gewisse Nähe besessen hatte, schaffte trotz personeller Kontinuitäten den Traditionssprung in die Bundesrepublik letztlich nur unter großen Schwierigkeiten und mit der Folge einer gewissen Demoralisierung ihrer ersten Generation 57 . Die zweite Generation jedoch, Schüler von Freyer, Gehlen, Schelsky - und eben in der Mehrzahl auch von Carl Schmitt - , griff viele der Traditionsbestände auf. Sie richteten ihre Suche auf einen spezifischen Ahnen-Kanon für das Verständnis von Soziologie als (Welt-)Bürgerkriegswissenschaft 58 ; in erster Linie aber kreisten ihre Forschungen immer wieder um die Fragen nach Herrschaft, Macht und dem „Elitenproblem" 59 . Rekurse auf Vilfredo Pareto 60 und Georges Sorel, besonders die Vorstellung vom „Kreislauf der Eliten", boten sich in der Nachkriegsgesellschaft als soziologisches Deutungsmodell gesellschaftlichen Wandels und als Immunisierungsstrategie gegen den „Massenmachiavellismus" an. Paretos Vorstellung eines vordergründigen gesellschaftlichen Diskurses, hinter dem das eigentliche Geschehen um Macht und 57
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Einschlägig die Frontstellung zu den Kölner Soziologen um René König (zur Kontroverse König/Schelsky s. Jerry Z. Muller: The Other God that Failed, Princeton, N.J. 1987, S. 379); René König warf Schelsky u. a. vor, für das Wiedereindringen ehemaliger Nazis in den Lehrbetrieb der Soziologie verantwortlich gewesen zu sein (ders.: Leben im Widerspruch, Frankfurt a.M./Berlin 1984, S. 189f.). Jetzt Elfriede Üner: Soziologie als „geistige Bewegung". Hans Freyers System der Soziologie und die „Leipziger Schule" (Weinheim 1992). Vgl. Nicolaus Sombart über Saint-Simon (vgl. Kapitel 7) oder Robert Spaemann: De Bonald und die Philosophie der Restauration (Diss. Münster 1952, pubi. 1959 u. d. T. Der Ursprung der Soziologie aus dem Geiste der Restauration. Studien über L. G. A. de Bonald, München 1959). Charakteristisch die Einschätzung von Johannes Gross: „In der Tat gehört der Rechtsgelehrte und politische Schriftsteller Carl Schmitt in die Tradition, die James Burnham die machiavellistische genannt hat, oder, nach einem Ausdruck von Robert Michels, zu den Vertretern des Pessimismus in der Soziologie, also jener, die sich zur Politik nicht in nomothetische oder propagandistische, sondern analytische Beziehung setzen. Sie geben die Politik nicht als Manifestationen des Guten, Wahren und Schönen aus, sondern begreifen sie und stellen sie dar als Kampf, so, wie es auch Max Weber und Mosca taten" (ders.: San Casciano im Sauerland. Zum 75. Geburtstag des bekannten Rechtslehrers Carl Schmitt, in: Deutsche Zeitung, Nr. 157, vom 11. Juli 1963, S. 3).
Arnold Gehlen: Das Elitenproblem (1952, in ders.: Einblicke. Gesamtausgabe, Bd.7, Frankfurt/M. 1978, S. 105-109); Johannes Chr. Papalekas: Das Problem der sozialen Leitbilder unter den Bedingungen der entwickelten Industriegesellschaft (in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 40,1959, S. 221-237). 60 Vgl. die Besprechung von Hanno Kesting (in: Soziale Welt, 1954/55, S.93f.); schon 1941 Arnold Gehlen: Vilfredo Pareto und seine ,neue Wissenschaft' (in ders.: Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied/Berlin 1963, S. 149-195). Zum Einfluß Paretos auch Kurt Lenk: Deutscher Konservatismus (Frankfurt a. M./New York 1989, S. 294ff.).
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Einfluß tobt, schien die intellektuellen Grabenkämpfe unterhalb des gesellschaftlichen Konsenses der Stille treffend zu charakterisieren. „Soziologie als ,Leit-', ,Schlüssel-' und ,Überwissenschaft' der Gesellschaftsveränderung, der .säkularen Gesellschaft' und der neuen Priesterherrschaftsklasse der Intellektuellen, Soziologie als Legitimationswissenschaft für Anspruchshaltungen dem Sozialstaat gegenüber, damit mitschuldig an den Gefährdungen der Autonomie und Würde der Person — das ist sozusagen die einer konservativen Gesellschaftsauffassung definitorisch entgegengesetzte geistige Unternehmung" - auf diese Formel konnte die Grundannahme des antisoziologischen Diskurses gebracht werden 61 . Es lag auf der Hand, daß sich in diesem Verständnis vielfältige Anknüpfungspunkte zu Carl Schmitt ergaben: in allem, was bislang der „Staatssoziologie" unterstand, also in der Institutionenlehre und der Herrschaftssoziologie, aber auch in der geschichtlichen Suche nach dem „Ursprung der Soziologie"62.
4. Geschichtswissenschaft Das Denken in historischen Kategorien war stets eines der wichtigsten Baugesetze Schmittscher Theoriebildung. Es ist ein Denken, das Generationserfahrungen bündelte und stets durchdrungen blieb von dem Bewußtsein an die Gebundenheit des geschichtlichen Standortes, eine Art von aktualisiertem Historismus „in praktischer Absicht". In Auseinandersetzung mit Weber, Troeltsch oder Meinecke hatte Schmitt jedoch eine gleichsam existenzialisierte und politisierte Variante entwickelt. Den historistischen Habitus bürgerlicher Gelassenheit hatte er abgestreift und dabei die antiquarische Traditionswahrung gegenüber der gleichfalls historistischen Betonung des Eigenwertes jeder Epoche abgewertet. Diesem Eigenwert wollte Schmitt eine je spezifische Begrifflichkeit zugeordnet wissen, deren polemischer Gehalt den jeweiligen Frontverlauf geschichtlicher Auseinandersetzungen kenntlich werden ließ. Von Fortschrittsoptimismus unterschied sich dieses Denken ebenso wie von zyklischen Modellen des Geschichtsverlaufs, und es versuchte, den Reaktionen auf geschichtliche Herausforderungen größere Spielräume zuzugestehen. Diese Perspektive trug Schmitt nicht allein, doch am prägnantesten, in die Rechtswissenschaft und die Staatstheorie — in einer Form, die für Nachbarwissenschaften vor allem dann mit Gewinn rezipierbar war, wenn die katholischen und „abendländischen"
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Rehberg: Deutungswissen der Moderne (in Papcke (Hg.): Ordnung und Theorie, 1986, S. 7 - 4 7 , hier S. 47). In Anknüpfung an das vierte Kapitel der „Politischen Theologie"; vgl. dazu auch Albert Salomon: Fortschritt als Schicksal und Verhängnis — Betrachtungen zum Ursprung der Soziologie (Stuttgart 1957 - nach Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin 1987, S. 16: „voll im Schatten [ . . . ] Carl Schmitts").
1. Die Wissenschaften und Carl Schmitt
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Axiome geteilt wurden 63 . So hatten Schmitts Werke in der Geschichtswissenschaft durchaus Zustimmung gefunden, und seine historisch imprägnierten Analysen fanden dies auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Die „Politische Romantik" 64 , die „Politische Theologie" 65 , der „Begriff des Politischen" 66 , vor allem aber Schmitts Arbeiten zur Geschichte von Staat und Völkerrecht sollten immer wieder aufgegriffen werden. Es war namentlich Otto Brunner, der die methodischen Konsequenzen aus dem im ,Dritten Reich' vermeintlich vollzogenen Abschied vom liberalen Freiheits- und Staatsbegriff gezogen hatte. Die polemisch intendierte Historisierung der Epoche der Staatlichkeit erschloß sozial- und begriffsgeschichtliches Neuland, das — seines politischen Gegenwartsbezuges später entkleidet - im Übergang von der „Volks-" zur Sozial- und Strukturgeschichte fruchtbar wurde 67 . A n Schmitts Postulat eines Zusammenhangs von Raum und Geschichte wurde dagegen kaum angeknüpft 68 . Zwar gab Schmitt selbst immer wieder Hinweise auf die
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Dies war etwa bei den katholischen Historikern Albert Mirgeler, Joseph Lortz oder Michael Freund der Fall. 64 Ein Auszug veröffentlichte Schmitt 1922 in der ,Historischen Zeitschrift'; einige der Kategorien Schmitts später bei Franz Schnabel: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert (1929-37). 65 Hier sollte v. a. der sog. „begriffssoziologische Ansatz" und die These von der strukturellen Identität von theologischen und politischen Begriffen aufgegriffen werden (vgl. dazu Christian Meier: Zu Carl Schmitts Begriffsbildung — Das Politische und der Nomos, in Quaritsch (Hg.): Comlexio Oppositorum, 1988, S. 537-556). Zur Herausarbeitung einer politischen Theologie des mittelaterlichen Herrschaftsgefüges durch Ernst Kantorowicz („The King's Two Bodies") gibt es keine offensichtlichen Verbindungen. 66 Otto Brunner: Land und Herrschaft (Brünn 1939, Kapitel „Friede und Fehde"); Helmut Rumpf: Mitteleuropa. Zur geschichtlichen Deutung eines politischen Begriffs (in: Historische Zeitschrift, Bd. 165, 1942, S.510ff.). 67 Dazu Otto Gerhard Oexle: Sozialgeschichte — Begriffsgeschichte - Wissenschaftsgeschichte. Anmerkungen zum Werk Otto Brunners (in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 71. Bd., Heft 3/1984, S. 305-341, hier S. 316-326) und schon Ernst-Wolfgang Bökkenförde: Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder (Berlin 1961, S. 17). S.auch Paul-Ludwig Weinacht: „Staatsbürger". Zur Geschichte und Kritik eines politischen Begriffs (in: Der Staat, 8. Bd., Heft 1/1969, S. 41-63). 68 Auf die überwiegend positive Aufnahme von „Der Nomos der Erde" wurde bereits hingewiesen, z. B. durch Theodor Schieder: Zum Problem des Völkerrechts (in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 3/1952, S. 175-177). Vgl. schon 1933 Albert Mirgeler: Der Raum als geschichtliche Macht (in: Europäische Revue, 3. Jg., Heft 7/1933, S. 390-394); Fritz Rörig: Volk, Raum und politische Ordnung in der Deutschen Hanse (Berlin 1944) sowie - zeitgleich — Fernand Braudel: La Méditerranée et le monde méditerranéen à l'époque de Philippe II (Paris 1949).
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6. Kapitel — Wissenschaft
Fruchtbarkeit seiner Theoreme 69 - die Nähe zu geopolitischen Fragestellungen (und auch der provinzielle Beigeschmack von „Heimatgeschichte") mag zu diesem Meiden beigetragen haben 70 . Gustav Adolf Rein 71 , Günther Franz, Franz Petri 72 , Erwin Hölzle 7 3 forschten zu Raum-Aspekten, blieben aber weitgehend ohne Nachfolger, weil auch sie sich meist im ,Dritten Reich' politisch diskreditiert hatten. Nicht der Raum- oder Reichs-Aspekt, wohl aber Schmitts spezifische Sicht auf die Moderne hielt sich dagegen generationsübergreifend. Hatte sich das Interesse an dem Zeitabschnitt, für den sich der Begriff „Frühe Neuzeit" durchsetzte, bei den älteren Wissenschaftlern zunächst noch politisch gespeist, geriet in der Nachkriegszeit der Blick auf die Pathogenese des katastrophischen 20. Jahrhunderts ins Zentrum. Wie Schmitt glaubten viele, im politischen System der modernen Staaten, v. a. aber in Aufklärung und Revolution die vermeintlichen Wurzeln für Fehlentwicklungen der eigenen Zeit finden zu können. Und Kriegs- wie Nachkriegszeit erinnerten durchaus handfest an Zustände, wie sie in der „Schwellenzeit" existiert hatten. Mit traditioneller Machtgeschichte schien man hierbei nicht weiterzukommen: das sich auf Werner Conze, Otto Brunner und Hans Freyer berufende Konzept der „Zeit69
Siehe z.B. Schmitts anonyme Besprechung von Egmont Zechlin: Maritime Weltgeschichte (in: Christ und Welt vom 6. Oktober 1949, S. 9). 70 Vgl. dazu Heinz Gollwitzer: Geschichte des weltpolitischen Denkens, Bd. II (Göttingen 1982, zu Schmitts „Völkerrechtlicher Großraumordnung" S. 563-574). Erst in den 70er Jahren näherte man sich über völkerrechtliche Fragen der Frühen Neuzeit der von Schmitt vorgelegten Deutung hier und dort wieder an (Jörg Fisch: Krieg und Frieden im Friedensvertrag, Stuttgart 1979; Eberhard Straub: Das Bellum Iustum des Hernán Cortéz in Mexiko, Köln/ Wien 1976; Dan Diner: Israel in Palästina. Über Gewalt und Tausch im Vorderen Orient, Königstein 1980). Der Trierer Historikertag 1986 stand dann unter dem Leitthema „Raum und Geschichte", den Abschlußvortrag hielt dazu Reinhart Koselleck (bislang nicht veröffentlicht). 71 Gustav Adolf Rein: Über die Bedeutung der überseeischen Ausdehnung für das europäische Staatensystem (Darmstadt 1953); Rein war mit den beiden folgenden 1950 Gründer der sog. ,Ranke-Gesellschaft', die „Das Historisch-Politische Buch" herausgab sowie die Reihe „Persönlichkeit und Geschichte" (dazu — polemisch — Hans Schleier: Die Ranke-Renaissance, in Joachim Streisand (Hg.): Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft von 1871 bis 1945, Bd. 2, Berlin 1965, S. 99-135, hier S. 132-135 sowie Walther Hofer: Der mißbrauchte Ranke. „Konservative Revolution" in der deutschen Geschichtsschreibung?, in: Der Monat 84, Sept. 1955, S. 542-547). 72 Franz Petri: Zum Stand der Diskussion über die fränkische Landnahme und die Entstehung der germanisch-romanischen Sprachgrenze (Darmstadt 1954). 73 Hölzle ging in seiner Geschichte der Mächte Amerika und Rußland (Geschichte der zweigeteilten Welt, Reinbek 1961, sowie: Die Revolution der zweigeteilten Welt, Reinbek 1963) von Tocqueville aus und rezipierte Schmitts völkerrechtliches Spätwerk zustimmend; zudem unternahm er es, „von dritter Seite eine Geschichte zu schreiben" in der Meinung, „daß ein solcher Standort eher die historische Wahrheit zu finden ermöglicht" („Revolution...", S. 146 — der Besiegte schreibe also die bessere Geschichte?).
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schwelle" um 1800 wurde nicht nur eines der wirksamsten Interpretamente der Nachkriegshistoriographie, es verband sich darüber hinaus mit einer Betrachtungsweise, die das „Soziale" stärker in den Griff zu nehmen versuchte 74 . Über die Aufgabe eines in diesem Sinne einzurichtenden Arbeitskreises schrieb Conze, „daß das gegenwärtige Zeitalter', über dessen Theorie und Bewegungsrichtung bereits viel von philosophischer und soziologischer Seite gesagt worden ist, durch empirisch-historische Forschung in seinen geschichtlichen Stufen, Schichten und Strukturzusammenhängen erforscht werden sollte" 75 . Analog dazu (und parallel zu Forschungen im Bereich der Philosophiegeschichte) bildete sich in diesem Zusammenhang die Begriffsgeschichte als an konkrete Situationen gebundene Analyse des „Zeitalters der Ideologien" heraus - unter gelegentlichem Rückgriff auf Carl Schmitt 76 und unter besonderer Patronage Reinhart Kosellecks 77 . Das Lexikon „Geschichtliche Grundbegriffe" bündelte von 1972 bis 1993 die ersten Erträge in eindrucksvoller Weise und trug dazu bei, historische Semantik als eigenständiges Forschungsprogramm zu etablieren 78 . Historisch kürzer in der Erklärung der „Katastrophe" setzten Zeitgeschichts-, Parteien- und Parlamentarismusforschung an, die auf der „Faschismustheorie" basierten, der Nationalsozialismus sei hauptsächlich aus der strukturellen wie geistigen Schwäche der Weimarer Republik an die Macht gelangt. Einer der Effekte der politologischen Analysen des ,Dritten Reiches' aus dem Exil war es, daß Schmitt zu einer nahezu
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Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945 (München 1989, S.304f., der darauf hinweist, daß das „Soziale" forschungsgeschichtlich im „Völkischen" seinen Vorläufer besaß). Werner Conze im Schreiben vom 18. Januar 1957 an interessierte Kollegen (zit. in ders.: Die Gründung des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 24. Jg., 1979, S. 23-32, hier S.28); Absicht sei die Überwindung der Kluft zwischen Geschichte und Soziologie gewesen; ein erstes Treffen fand am 25./26. April 1957 in Bad Ems statt (daher auch „Emser Kreis" genannt). Zur Bedeutung als Forschungsprogramm — neben Max Weber und Troeltsch — vgl. Henning Ottmann: Politische Theologie als Begriffsgeschichte. Oder: Wie man die politischen Begriffe der Neuzeit politisch-theologisch erklären kann (in Volker Gerhardt (Hg.): Der Begriff der Politik. Bedingungen und Gründe politischen Handelns, Stuttgart 1990, S. 169-188). Reinhart Koselleck hat das Verfahren als „Ausmessen des Bedeutungsraumes" eines Wortes im Bewußtsein eines steten „semantischen Kampfes" beschrieben, zu dem auch der jeweilige Gegenbegriff gehöre (Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 1989, S. 107-129), sowie: Zur historischpolitischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe (ebd., S. 211-259, hier S. 258, wo er die „wissenschaftliche Leistung" würdigt, die Schmitts „Begriff des Politischen" in dieser Hinsicht darstelle); zu den Gegenbegriffen vgl. auch Carl Schmitt: Donoso Cortés, Köln 1950, S. llOf.). Vgl. dazu Dietrich Busse: Historische Semantik. Analyse eines Programms (Stuttgart 1987. Vgl. auch die - parallel zu Blumenberg liegende - Metaphorologie bei Alexander Demandt: Metaphern für Geschichte, München 1978).
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6. Kapitel — Wissenschaft
unumgänglichen Figur dieser Zeitgeschichte geworden war, bisweilen auch als Zeitzeuge befragt wurde 79 . Die Zergliederung des Endes von Weimar und der Struktur nationalsozialistischer Herrschaft griff dabei in diversen Fällen (Norm- und Maßnahmestaat - Ernst Fraenkel; Behemoth - Franz Neumann; Polykratie 80 und totaler Staat) gleichsam auf „Lehnbegriffe" Schmitts zurück. Bis auf wenige Ausnahmen wurde er dabei nicht — wie er selbst es gern gesehen hätte 81 — als Mahner und Warner gesehen (der v. a. auf den Mißbrauch der Legalität hingewiesen habe), sondern als Zerstörer der Weimarer Legitimität: Schmitt sei, so Karl Dietrich Bracher, ein Lehrer der terroristischen Machtphilosophie gewesen, die „das Toleranzprinzip, den Kooperations- und Kompromißgedanken der Demokratie verächtlich abwertete" 82 . Daß Schmitts hier vornehmlich angeführte Schriften „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" und „Der Begriff des Politischen" einen ihre polemische, auch destruierende Funktion übersteigenden theoretischen Gehalt besaßen 83 , dies wurde auch in der Geschichtswissenschaft erst in den 60er Jahren und von einer nachwachsenden Gelehrtengeneration wiederentdeckt: August Nitschke reflektierte die von Schmitt und Jünger ausgehende „elementare Intensität" 84 , Christian Meier sah dagegen eher den analytischen Gehalt des vom „Begriff des Politischen" gekennzeichneten „Handlungsfeldes" 85 . Ähnlich wie Alexander Demandt 8 6 ging er mit 79
So von Hans Buchheim, Rudolf Morsey, Klaus Fritsche, Wolfgang Schieder, Dieter Groh/ Klaus Figge u. a. so Laut Ian Kershaw (Der NS-Staat, Reinbek 1988, S. 134) ein von Gerhard Schulz 1960 erstmals verwendeter und von Carl Schmitt übernommener Begriff. 81 Vgl. die Studie zum Ermächtigungsgesetz von Hans Schneider (Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1. Jg., Heft 3/1953, S. 197-221) sowie Hellmut Diwald: Der Ernstfall als Selbstaufgabe des republikanischen Bezugs: Notverordnung und Ermächtigungsgesetz (in Anton Peisl/Armin Möhler (Hg.): Der Ernstfall, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1979, S. 20-39). 82 Vgl. Karl Dietrich Bracher: Stufen der Machtergreifung. Die nationalsozialistische Machtergreifung, I (Frankfurt/Berlin/Wien 1983, zuerst 1960, S. 43); Schmitts Affekt gegen die Zeitgeschichte (die diffamiere, verzerre und würdelos sei, u. a. weil sie die Gegenrechnung für die Alliierten nicht aufmache) teilte etwa auch Ernst Forsthoff (Der Zeithistoriker als gerichtlicher Sachverständiger, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1965, S. 574f.). 83 Vgl. Jürgen Oelkers: Das Politische und die Geschichte (in: Neue Politische Literatur, 28. Jg., Heft 3/1982, S. 269-303), der untersucht, wo der „Begriff des Politischen" als systematischer Rahmen historischer Rekonstruktion angewendet wurde, so bei Christian Meier und Reinhart Koselleck. 84 August Nitschke: Der Feind. Erlebnis, Theorie und Begegnung. Formen politischen Handelns im 20. Jahrhundert (Stuttgart 1964, bes. S. 77-83). 85 Christian Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen (Frankfurt/M. 1980). Meier war Schüler von Hans Schäfer, der seinerseits Schmitt aus Bonner Tagen kannte und gelegentlich auf ihn verwies (z.B. in Staatsform und Politik. Untersuchungen zur griechischen Geschichte des 6. und 5. Jahrhunderts, Leipzig 1932). 86 Alexander Demandt: Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was wäre
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Schmittschem Rüstzeug („Nomos", „Demokratie", „Ernstfall", „Macht" etc.) den antiken Ursprüngen diverser Begriffe der politischen Theorie nach 87 . Einer der bekanntesten Totalitarismus-Forscher und Geschichtsphilosophen unter den Historikern schließlich, Ernst Nolte, verteidigt gegen den erbitterten Widerstand großer Teile der Zunft an Schmitt erinnernde Kategorien der Geschichtsdeutung, ohne je irgendwo ausführlicher auf diesen einzugehen 88 . Der Blick auf das 20. Jahrhundert aus der Perspektive des „Weltbürgerkriegs"89 aber birgt eine Tradition der Geschichtsdeutung von Nietzsche bis Heidegger, die wohl zu den Überhängen der .Konservativen Revolution' zu zählen ist.
5. Theologie Jeder Versuch, sich dem Einfluß Carl Schmitts auf theologischem Feld zu nähern, kreist fast notwendig zunächst um die 1922 erschienene Schrift „Politische Theologie". Tatsächlich nimmt sie im Werkzusammenhang des katholischen Juristen eine zentrale Stellung ein. Zusammen mit der ein Jahr später veröffentlichten Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form" wurde sie zum Schlüsseltext einer Gruppierung innerhalb der Weimarer „Bewegungen", die dem katholischen Milieu seinen Einfluß im Bereich des Politischen hoffte zurückgewinnen zu können. Die Bemühungen, die Ziele von Politik und Theologie im „Reich" miteinander zu verschmelzen, scheiterten schließlich an der fundamental anti-christlichen Machtpolitik der Nationalsozialisten, und über das Reichskonkordat gelang es allein, einen Status der Duldung im ,Dritten Reich' zu behaupten. Schon die Andeutung einer „politischen Theologie" konnte in der Nachkriegszeit an die abenteuerliche „Complexio oppositorum" nach 1933 erinnern, und weiterer Eingeschehen, w e n n . . . ? (Göttingen 1984); ders.: Staatsform und Feindbild bei Carl Schmitt (in: Der Staat, Heft 1/1988, S. 2 3 - 3 2 : Schmitt habe zwischen Polis und Imperium als den zwei möglichen Modellen unterschieden). 87 Vgl. Christian Meier: Der Ernstfall im alten Rom (in Peisl/Mohler (Hg.): Der Ernstfall, 1979, S. 4 0 - 7 3 ) ; ders.: Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar (München 1978); ders.: Zu Carl Schmitts Begriffsbildung — Das Politische und der Nomos (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 537—556); in Speyer bekannte sich Meier 1987 zur „außerordentlichen Fruchtbarkeit" der Schmittschen Begriffe auch für die Erkenntnis ferner Zeiten (S. 307, vgl. auch die längere Stellungnahme S. 605—607, wo er Schmitt dennoch Unsicherheiten im Verhältnis zur Begriffsgeschichte nachsagt). 88
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Siehe jetzt Ernst Nolte: Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert. Von Max Weber bis Hans Jonas (Berlin 1991, S. 2 5 9 - 2 7 1 zu Ernst Jünger und Carl Schmitt). Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg (Berlin 1987). Vgl. dazu den Schlußsatz eines Artikels von Hanno Kesting (Zur Geschichtsphilosophie von Karl Marx, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 1957, S. 5 4 5 - 5 5 4 , hier S. 554): „Im Marxismus hat der europäische Bürgerkrieg seine schärfste gedankliche Ausprägung gefunden."
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6. Kapitel — Wissenschaft
fluß Schmitts ist denn auch für diesen Bereich kaum nachweisbar90. Das änderte sich, als der Begriff gegen Ende der 60er Jahre erneut in die Diskussion geriet91. Johann Baptist Metz (der in den frühen 60er Jahren Gelegenheit hatte, Carl Schmitt in Ebrach persönlich zu erleben92) trug ein neues Verständnis politischen Engagiertseins in die Theologie, dessen sich jüngere und „linkere" Theologen begierig öffneten. Ohne ausdrücklichen Bezug auf Schmitt, aber schulebildend, trat Metz für ein erneuertes Verständnis der „Politischem Theologie" ein, das sich bis in die Befreiungstheologie Südamerikas verstärkte93. Freilich ging auch die schärfste Kritik an diesem Verständnis von theologischem Engagement von Deutschland aus und brachte dabei den Namen Carl Schmitts wieder ins Spiel94. Hinter dieser „appellativen" politischen Theologie, die die Verantwortung des Christen in der Welt und sein soziales Engagement betonte (und forderte), schien auch die erneute Möglichkeit einer „institutionellen" politischen Theologie hervor, die das Verhältnis von Religion und weltlicher Herrschaftsordnung zu klären sucht95. Die Unhintergehbarkeit des Säkularisationsprozesses war dabei i. d. R. die Ausgangshypothese derjenigen, die dieses Verhältnis erneut überprüften, und nicht zufällig mündeten diese Definitionsversuche in vielerlei Vorschlägen zu einer „Zivilreligion"96. Schmitt selbst, der sich als theologisierender Jurist definierte, blieb über Fragen der Theologie vor allem mit Hans Barion im Gespräch, dem in seiner Entwicklung im vielen ähnlichen judifizierenden Theologen. An ihn und an Erik Peterson97 richtete Schmitt 1970 seine letzte größere Veröffentlichung, die „Politische Theologie II". Von 90
Vgl. die Abschnitte zu Schmitt in zwei theologischen Großwerken, anerkennend: Erich Przywara: Humanitas. Der Mensch gestern und morgen (Nürnberg 1952, S. 591-598); ablehnend: Helmut Thielicke: Theologische Ethik. II.Bd.: Entfaltung, 2.Teil: Ethik des Politischen (Tübingen 1958, S. 149-164). 91 Dabei bildete ein Grund für das Wiederaufleben die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Marxismus, vgl. Günter Rohrmoser: Anmerkungen zu einer Theologie der Revolution (in: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Berlin 1968, S. 617-631). 92 In der Mitte der 60er Jahre war Metz einige Zeit als Stipendiat der .Deutschen Forschungsgemeinschaft' Vikar in Ebrach (Auskunft Pfarrer Komnick, Ebrach). 93 Johann Baptist Metz: Zur Theologie der Welt (München 1968). Zur Entwicklung der Politischen Theologie vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde: Politische Theorie und Politische Theologie in (Cahiers Vilfredo Pareto, Bd. 29, Nr. 54-55/1981, S. 233-243). 94 Helmut Peukert (Hg.): Diskussion zur „politischen Theologie" (Mainz/München 1969); Hans Maier: Kritik der politischen Theologie (Einsiedeln 1970). 95 Diese Trennungen vollzieht Böckenförde nach (in: Politische Theorie, in: Cahiers, 1981). 96 Dazu Heinz Kleger/Alois Müller (Hg.): Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa (München 1986, v. a. über Böckenförde, Kriele, Spaemann und Lübbe). 97 Barions gesammelte Aufsätze erschienen 1984 (Kirche und Kirchenrecht, hg. von Werner Böckenförde, Paderborn u. a.). Über Erik Peterson jetzt die Arbeit von Barbara Nichtweiß: Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk (Freiburg/Basel/Wien 1992, zum Verhältnis zu Schmitt v. a. Kap. XI).
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der „Erledigung jeder politischen Theologie", wie es im Untertitel hieß, konnte zu diesem Zeitpunkt keine Rede mehr sein: die theologischen Auseinandersetzungen der 70er Jahre standen ganz unter ihrem Zeichen. Die von Schmitt ausgehenden Impulse, Begriff, Ursprung und Gegenwart der politischen Theologie, leuchtete im Februar 1980 bilanzierend ein von Jacob Taubes einberufenes Colloquium aus: „Carl Schmitt und die Folgen"98.
6. Philosophie und andere In der bundesdeutschen Philosophie der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte war von Politik selten die Rede. Existenzphilosophie, Anthropologie, Phänomenologie und Ontologie beherrschten das Feld". Reichten jedoch philosophische Fragebereiche in politische hinein, fiel der Name Schmitt gelegentlich in zustimmender, meist aber in abgrenzender Absicht 100 . Von den Beiträgen Schmitts für die zunächst auf klassische Vorlagen zurückgehende praktische Philosophie hatte sich vornehmlich die RitterSchule anregen lassen101. In modernisierter Form wurden besonders das von der Rechts-„Philosophie" bestimmte Ordnungsdenken, Elemente des Dezisionismus oder die Kategorie der Kontingenz als „gegenstrebige Fügung"102 im Prozeß von „Innovation und Folgelast"103 gelesen. Doch waren Schmitts „Diagnosen" alles andere als singulär und seine Technikkritik etwa blieb in ihrer Tragweite hinter den Analysen von Gehlen oder Günther Anders 104 weit zurück.
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Jacob Taubes (Hg.): Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen (Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 1, München u. a. 1983). 99 So die Redaktion von „Widerspruch". Münchner Zeitschrift für Philosophie (Heft 18: Restauration der Philosophie nach 1945,10. Jg., 1990, Vorwort, S. 7). 100 Noch 1988 bei Dietrich Böhler (Die deutsche Zerstörung des politisch-ethischen Universalismus. Über die Gefahr des - heute (post-)modernen — Relativismus und Dezisionismus, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hg.): Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1988, S. 166-216: Schmitt als antiuniversalistischer Wegbereiter des Nationalsozialismus) . ιοί Zu den Rekursen der politischen Philosophie auf ihre vor- oder gegenaufklärerischen „Klassiker" vgl. v. a. Bernard Willms: Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie (Köln/ Opladen 1967); ders.: Die Antwort des Leviathan. Thomas Hobbes' politische Theorie (Neuwied/Berlin 1970). 102 Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung (Berlin 1987). 103 So ein Titel des ehemaligen Sauerländer Nachbars von Schmitt, des Philosophen Rainer Specht (Stuttgart 1972). 104 Günther Anders (Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten Industriellen Revolution, München 1956): nicht die Ideologie, die Technik sei der Angelpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung.
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6. Kapitel — Wissenschaft
Ebenfalls über den Münsteraner Kreis wurde Schmitt als Anreger begriffssoziologischer Untersuchungen rezipiert, aber auch hier eher in Stil und Denkungsart als über die von ihm vertretenen Inhalte 105 . Darüber hinaus blieb Schmitts Einfluß in philosophischen Forschungsbereichen gering. Zwar betrieb er Geschichtstheologie nach der Frage-Antwort-Struktur, wie sie ähnlich R. G. Collingwood und Arnold J. Toynbee mit großer Resonanz vertraten, auch hierin war er aber keineswegs exklusiv 106 . Im bundesrepublikanischen „philosophischen Diskurs der Moderne" (Jürgen Habermas) erinnerte Schmitt zwar immer wieder an verhängnisvolle Tendenzen des utopischen und Fortschrittsdenkens; für den in Frage stehenden Zeitraum aber geriet die Sichtweise auf ihre Pathologie letztlich gegenüber derjenigen ins Abseits, in der Moderne ein .unvollendetes Projekt' zu sehen. Es wären weitere Wirkungswege nachweisbar — so für die Geopolitik 107 oder, v. a. über die „Politische Romantik", für die Literaturwissenschaft —, doch führen sie aus dem hier behandelten Zeitraum hinaus und zerfasern sich ins Unmerkliche. Als das Spezifische des Interesses an Schmitt kann der Wunsch benannt werden, an deutsche (bzw. deutsch-romanische) wissenschaftliche Traditionen anzuknüpfen und einen Träger dieser Traditionen kennenzulernen, dem noch der altertümliche Titel eines ,homme de lettre' zugestanden werden konnte 108 . Im Vorgang des Auseinanderfallens der ehemaligen Rechts- und Staatswissenschaften in Politikwissenschaft, Soziologie,
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Zum Verhältnis zwischen Schmitt und Ritters Münsteraner Nachfolger Hans Blumenberg s. Wolfgang Hübener: Carl Schmitt und Hans Blumenberg oder über Kette und Schuß in der historischen Textur der Moderne (in Jacob Taubes (Hg.): Der Fürst dieser Welt, 1983, S. 57-76). Hermann Schmidt versuchte 1963 weitgehend folgenlos, sich als Philosoph dem Nomos-Begriff Schmitts zu nähern (Der Nomosbegriff bei Carl Schmitt, in: Der Staat, Heft 1/ 1963, S. 81-108). 106 Vg]. die Rezeption bei Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode (Tübingen 1960, etwa S. 350). 107 Nach der Einschätzung von Ulrich Raulff (in: Liber, 1990, S. 6) sorgte Schmitt in der Nachkriegszeit dafür, daß Denkfiguren der Geopolitik bei der westdeutschen Intelligensija wieder gesellschaftsfähig wurden; die Rezeption von Schmitts „Nomos der Erde" konzentrierte sich auf die geschichtlichen Aspekte und die Kritik an der Entwicklung des modernen Völkerrechts, weniger auf den Raumaspekt. Schmitt war Beiträger der geopolitischen Periodika „Zeitschrift für Geopolitik" sowie „Gemeinschaft und Politik"; deren Herausgeber Rolf Hinder setzte sich mehrfach mit Schmitt auseinander, Angriffe gegen die Geopolitik (z.B. von Peter Schöller: Wege und Irrwege der Politischen Geographie und Geopolitik, in: Erdkunde. Archiv für wissenschaftliche Geographie, Bd. 11, Lfg. 1, Bonn 1957) konterte er mit dem „Hegungs"-Gedanken Schmitts (Vom Sinn der modernen Geopolitik, in: Gemeinschaft und Politik, 6. Jg., Heft 1/1958, S.35-38, hier S.38). Jetzt Yves Lacoste: Geographie und politisches Handeln. Perspektiven einer neuen Geopolitik (Berlin 1990). 108 Zu dieser Bezeichnung (mit Verweis auf den Tymbos-Kreis um Wilhelm Ahlmann) Gustav Hillard (Steinbömer): Epilog auf den deutschen Homme de lettres (in: Merkur 71, Heft 1/ 1954, S.42-53).
2. Schule-, Kreis- und
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Gruppenbildung
Geschichtswissenschaft, Theologie und Recht 109 bot Schmitt eine mit literarischer Belesenheit rückgekoppelte Gelehrsamkeit. Sie versuchte nicht nur, das öffentliche Leben im Gesamten in den Blick zu nehmen, sondern auch die dahinterliegenden Mechanismen, die arcana, die früheren „Geheimwissenschaften", kurz: alles, was die geistige „Elite" erst zu einem esoterischen Zirkel, was sie zu „Wissenden" macht. Staat und Gesellschaft wurden dabei als ebensowenig voneinander getrennt angesehen, wie die Wissenschaften, die sich auf je unterschiedlichen Wegen einer Gesamtschau zu nähern hofften. Diese umfassende Betrachtungsweise versprach, hinter allen „dilatorischen Formelkompromissen" nach Wahrheiten auszuschauen, die — im Verständnis vieler — leider als „traurige" festgestellt werden mußten. Und gerade dies schien ihre Überzeugungskraft noch zu steigern...
2. Schule-, Kreis- und
Gruppenbildung „Der verhängnisvolle Zug unsrer Bildung, sich immer mehr aufzufasern und abzuklammern, führt bereits dahin, daß sich selbst im Besonderen einer Fachangelegenheit ein Schulenund Sektenwesen schleicht, worüber einer des andern Zunge nicht mehr versteht." 110
Ist es, nach dem Durchgang durch Kreise und verschiedene Wissenschaften, möglich, von einer Carl-Schmitt-Schule zu sprechen? Können die von Schmitt angestoßenen Thesen und Forschungsprogramme objektiviert, von ihrem Gründer gelöst werden, ist Schmitt also als nachgerade „klassisch"111 im Sinne wissenschaftlicher Kanonbildung anzusehen? Bevor im letzten Kapitel die Szene um Schmitt erneut diversifiziert und über biographische Zugänge individualisiert wird, seien einige soziologische Betrachtungen über die Mechanismen des Zusammenhalts wissenschaftlicher Kreise angestellt. Wie im Bereich der Kunst ist die Schulebildung auch im Wissenschaftsbetrieb natürlich generell kein außergewöhnliches Phänomen. Zum „klassischen" Selbstverständnis eines deutschen Professors gehört es, Schüler um sich haben (meist als Assistenten) und ein Thema schulebildend zu besetzen. Emanation der klassischen humanistischen Bil-
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Vgl. „Der Staat" (Heft 1/1962, S. 1: Zum Geleit): „Der Staat ist ein Gegenstand der Soziologie und der Geschichtswissenschaft, der Wissenschaft von der Politik und der Wirtschaftswissenschaften, der Rechtsphilosophie, der Verfassungs- und der Verwaltungsrechtswissenschaft..." (S. 1). Hjalmar Kutzleb: Über das Gespräch (in: Monatsschrift für das Deutsche Geistesleben. 43. Jg. des Deutschen Volkstums, Maiheft 1941, S. 153-155, hier S. 154). Vgl. Bernard Willms: Carl Schmitt - jüngster Klassiker des politischen Denkens? (in Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, Berlin 1988, S. 577-598).
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6. Kapitel — Wissenschaft
dung war es stets, sich in die Geschichte des eigenen Faches einzuschreiben. Über die Mechanismen des Lobe- und Zitationskartells, die Vergabe differenzierender, aber doch bestätigender Promotionsthemen, über bestimmenden Einfluß auf Publikationsorgane und über Festschriften als Reputationsversicherung erhob sich ein Ordinarius zum „Lehrer". Der an Initiationen reiche Weg des Wissenschaftlers dorthin wurde nur selten reflektiert, die reine Hingabe an die „Sache" statt dessen um so pathetischer postuliert 112 . Enthüllungen gegnerischer Haltungen wurden als Ideologiekritik betrieben. Marx hatte mit seinem Basis-Überbau-Schema auf das Ideologische am Idealismus hingewiesen. Erst die von Karl Mannheim begründete Wissenssoziologie aber machte auf Bewußtseinsstrukturen und die soziale Seinsverbundenheit des Wissens methodisch aufmerksam 113 . Besonders an der „Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen" 114 entzündete sich eine lebhafte Debatte, die aber durch die Emigration von Karl Mannheim, Norbert Elias u. a. unterbrochen wurde. Immerhin waren es die Soziologen selbst, die innerhalb der Geistesgeschichte mit Verzögerung wissenssoziologische Betrachtungsweisen wieder aufgriffen und inzwischen eine ganze Bibliothek und eigene Forschungszweige dazu angefertigt haben 115 . Sie bestätigen die Beobachtung innerhalb des Wissenschaftsbetriebs, daß die „Objektivierungen" (d.h. die Positionsnahmen inhaltlicher Art) den unbeteiligten Beobachter oft ratlos darüber lassen, wo denn die eigentlichen Differenzen vieler wissenschaftlicher Auseinandersetzungen liegen und wo die Konfliktlinien für die brisant geführten Debatten tatsächlich verlaufen. Das „Objektivitätspostulat" stellt hier
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Martin Kohli: „Von uns selber schweigen wir." Wissenschaftsgeschichte aus Lebensgeschichten (in Wolf Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie, Bd. 1, Frankfurt/M. 1981, S. 428-465, hier S.455): das Selbstverständnis eines Wissenschaftlers sei auf die Manifestation eines konsistenten Bewußtseins angelegt, die „Ideologie" sei hoch strukturiert: „Die Prämie liegt auf dem großen Zugriff, auf dem Nachweis des Durchhaltens des zentralen Problems, der alles leistenden Idee." 113 Dazu die Aufsätze in Volker Meja/Nico Stehr (Hg.): Der Streit um die Wissenssoziologie (2Bde., Frankfurt/M. 1982). 114 So der Aufsatz von Karl Mannheim, abgedruckt in ebd., S. 325—370. 115 Unter den neueren Untersuchungen v. a. diejenigen Pierre Bourdieus (Homo academicus, Frankfurt/M. 1992); in Deutschland Peter Weingart: Wissensproduktion und soziale Struktur (Frankfurt/M. 1976); ders. (Hg.): Wissenschaftssoziologie (2Bde., Frankfurt/M. 1972-74). - Einer anderen Literaturgattung, nämlich der philosophischen Selbstreflexion, entsprang die Intellektuellen(selbst)kritik, die nach 1945 eine erneute Blüte trug (zwei prominente Beispiele: Theodor Geiger: Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft (Stuttgart 1949 - für die Enthaltung von der Tat) - und Alfred von Martin: Die Geistigen und die Gesellschaft. Zur Krise der Intelligenz (in: Der Monat, 3. Jg., Heft34, Juli 1951, S. 3 7 3 - 3 8 6 - für das zivilcouragierte Eintreten für ewige Werte). Diese Ansätze flössen aber in die erneuerte wissen(schaft)ssoziologische Forschung mit ein.
2. Schule-, Kreis- und
Gruppenbildung
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der Ursachen-Erkenntnis insofern ein Bein, als es oftmals nicht eigentlich in der Lage ist, zu erklären, was die Konfliktparteien letztlich antreibt. Dabei erweist die neuere soziologische Forschung, daß über die Mechanismen von Schulebildungsprozessen und interschulischen Auseinandersetzungen einiges an wiederkehrenden Strukturen festzustellen ist116: Demnach organisiert sich um einen Gründer mit intellektuellem „Charisma" eine zunächst nur kleine und örtlich meist lokalisierbare Denkschule 117 . Diese versieht sich mit Ideen, Techniken und normativen Dispositionen, die nicht mit den allgemein in der Profession anerkannten Ansichten in Einklang stehen. Die Gruppe versucht, ihr Fach zu reformieren, das Establishment verweigert aber zunächst meist den Zutritt. Diese Ausgangslage erzwingt nicht nur, daß die Gründerfigur „wie ein wahrer Prophet die ,νοχ clamantis in deserto' gegen die der professionellen Orthodoxie und Respektabilität zu sein" hat 118 , sondern auch eigene Informationsstrukturen, Organe etc. gebildet werden müssen. Ein (Gegen-)Kanon „klassischer Texte" bildet die Verständigungsgrundlage für eine Schülerschaft, die — in der Anfangsphase einer religiösen Sekte oder Bruderschaft oft nicht unähnlich 119 - die vom Gründer verkündete grundlegende Auffassung der Wirklichkeit und der Einstellung zu ihr in eigenen Untersuchungen anzuwenden versucht. Die „Botschaft" wird dadurch empirisch abgesichert, die Erfolge und die Produktivität der Schule werden erst informell, dann immer formeller bekannt - der Etablierungsprozeß beginnt. Die Integration in den bestehenden „Betrieb" aber entpersonalisiert das ursprüngliche Paradigma, sein Ursprung in einer spezifischen soziointellektuellen Gemeinschaft wird vergessen, damit auch - als verborgenes Element des Paradigmas - seine Vorannahmen (die existentiellen und metaphysischen Grundlagen, die grundlegenden Situationsdefinitionen, die entscheidenden Zugänge zur Wirklichkeit etc.), die die Schule zu ihrem institutionellen und soziohistorischen Umfeld in Beziehung setzen 120 . Innerhalb 116 Zur These, invisible colleges' seien möglicherweise in der ganzen Wissenschaft gleichartig beschaffen s. Belver C. Griffith/Nicholas C. Mullins: Kohärente soziale Gruppen im wissenschaftlichen Wandel (in Peter Weingart (Hg.): Wissenschaftssoziologie II: Determinanten wissenschaftlicher Entwicklung, Königstein/Ts. 1974, S. 223-238) sowie, systematischer, Nicholas C. Mullins: Ein Modell der Entwicklung soziologischer Theorien (in Wolf Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1982, S. 6 9 - 9 6 ) . U7 Im folgenden sei nach einer Untersuchung von Edward A. Tiryakian zitiert, der seine Merkmale hauptsächlich anhand der Durkheim- und der Parsons-Schule gewann (Die Bedeutung von Schulen für die Entwicklung der Soziologie, in Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1982, S. 3 1 - 6 8 ) . us Ebd., S.49. n9
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In der Entstehungsphase einer Schule befinden sich die Mitglieder oft in einem Zustand geistiger Erregung, einer Art Hyperaktivismus, der in eine Durchschnittsproduktivitätsrate übersetzt wird, die zunächst viel höher ist als die anderer Gruppen. „Die Institutionalisierung [ . . . ] reduziert den Antagonismus und die Gruppenidentifikation und zeigt die Rückkehr der erfolgreichen Gruppe zu den normalen lockeren Netzwerken der
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6. Kapitel — Wissenschaft
der Gefolgschaft entwickeln sich meist spezifische Rollenverteilungen: der „Interpret" und der „Popularisierer", die „Stellvertreter", die „Agenten des Institutionalisierungsprozesses", die „Helfer" und die „Patrone" 1 2 1 . Schulen werden oft als Zeichen eines vorwissenschaftlichen Status verstanden 1 2 2 , und besonders in den Naturwissenschaften gelten sie als Übergangsstadien zum Paradigmenwechsel (Th. S. Kuhn). Im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften jedoch scheinen sie unhintergehbar zu sein, seit methodische und wissenschaftstheoretische Vereinheitlichungen unmöglich geworden sind. „Schulen" stellen in komplexer Weise im Wissenschaftlichen dar, was Kreise und verwandte Gruppenbildungen im Gesellschaftlichen bedeuten 1 2 3 . Sie durchlaufen ähnliche Transformationsprozesse und können, wie Kreise im Politischen, das Durchgangsstadium einer vorerst abweichenden Meinung darstellen, entweder auf dem Weg zum Paradigma (oder wenigstens zur „herrschenden" Meinung), oder aber auf dem Weg zum Abweichler und Außenseiter. Als identitätsstiftende Zusammenhänge innerhalb der Geistesgeschichte und als Kristallisationskerne der intellectual history' jedenfalls wird man um ihre pluralistische Berücksichtigung kaum mehr herumkommen. Die Geschichte der Wirkung Carl Schmitts ist — wenn man es von der hier aufgerissenen Sichtweise aus betrachtet - auch die Geschichte einer behinderten und unter erschwerten Bedingungen stattfindenden, vielleicht aber gerade deshalb funktionierenden Schulebildung: die Kriterien für ein neues Paradigma waren gegeben (ein Gründer, der eine eigene Begrifflichkeit ausprägte und eine spezifische, zu bisherigen Modellen deutlich unterscheidbare Perspektivik in seinen Wissenschaftsbereich einbrachte), der Beginn seiner Institutionalisierung auch (über Schüler, ein eigenes Kom-
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Wissenschaft an. Infolgedessen ist die Strafe des Erfolgs, gleich, ob er an bestimmten Zielen oder in der Bekehrung einer Disziplin zu einem neuen Standpunkt gemessen wird, der Tod der Gruppe als einer eigenständigen sozialen und intellektuellen Einheit" (Griffith/Mullins, 1974, S. 236). „Agenten" bilden neue Schüler aus, nehmen Stellen in anderen Institutionen an, besetzen Ämter, Forschungsgelder usw. Die „Helfer" liefern als ,treue Fußsoldaten' keine eigenen Forschungsbeiträge, sind aber als Herausgeber von Zeitschriften, Geschäftsführer einer Stiftung, Verfasser eines Lehrbuchs, Bibliograph etc. bei der Selbstdarstellung und auch der Finanzierung behilflich. Die „Patrone" sind keine Mitglieder der intellektuellen Gemeinschaft, stellen aber wichtige materielle Hilfen für Führer und Schule bereit (aus persönlicher Bindung an das Schulhaupt, aus einer Bindung an Vorannahmen, dem Wunsch nach Ansehen aus der Verbindung mit „Wissenschaftlern"etc.). Jerzy Szacki: „Schulen" in der Soziologie (in Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1982, S. 16-30). Schon das semantische Umfeld illustriert die Vielfalt der Erscheinungsarten: Loge, Club, Schar, Verband, Clique, Partei, Runde, Korona ( = Tafel-, Freundes- oder Vereinsrunde), Verein, Bande, Seilschaft, Brüder/Bruderschaft, Freundschaft, Kaste, Stand, Kollegium, Brain-Trust, peer group, Gesellschaft, Gang, Klüngel, Front, Korps, Gruppe, Fraktion, Zirkel, Sekte etc.
2. Schule-, Kreis- und
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munikationsnetz, die Verankerung in Lehrstühlen etc.) - allein, die politischen Verhältnisse, zu denen das Paradigma enge Anlehnung gesucht hatte, wandelten sich, gaben zumindest dieser lagegebundenen politischen Ausdeutung des Paradigmas Unrecht und damit Konkurrenzmodellen Auftrieb - die Anerkennung durch die „scientific community" wandelte sich in Ablehnung. Da sich das von Schmitt vorgegebene Modell in der politischen Kommentierung aber nicht erschöpfte und die einmal in Gang gesetzte Dynamik des Schulebildungsprozesses fortwirkte, setzte sich der Etablierungsprozeß weiter fort, zumal einige der für diesen Prozeß wichtigen Elemente weiterhin gegeben waren: der Gründer 124 ; seine wissenschaftliche Reputation 125 ; seine Schüler und - wenn auch mit gewissen retardierenden Momenten — die Veröffentlichungs- und Verbreitungsmechanismen. Spätestens mit dem Ende der 40er Jahre wurden die Versuche, den Institutionalisierungsprozeß weiter voranzutreiben, wieder aufgenommen 126 : Kreisbildung, Suche nach Publizität, Reputationsversicherungen über Festschriften, Widmungen, Rezensionen, Geburtstagsartikeletc., später durch Tagungen und Kongresse, schließlich der kanonisierende Akt einer Erhebung zum „Klassiker". Aus der Binnensicht stellt sich das Anliegen eines Kreises freilich weniger funktional, sondern emphatisch dar: hier gilt es, ein geistiges „Gespräch" zu führen, darüber hinaus eine „kulturelle Hegemonie" anzustreben, die Wirklichkeitsdeutung zu besetzen, Nachwuchs und „Seilschaften" auszubilden, einen „Diskurs" zu beherrschen, die „Funktions"- oder „Deutungs"-Elite eines Faches zu bilden, kurz: sich durchzusetzen und Erfolg zu haben. Gelingt dies (als überzeugendes verifizierendes Merkmal) nicht, bleibt immerhin, sich in einer Gegnerschaft zum „Zeitgeist" oder dem Status des „Verkanntseins" einzurichten 127 . 124
Es sind vorwiegend sechs Merkmale, die eine Person zur Integrationsfigur eines Kreises machen: l.der Erfolg dieser Person, 2. das Charisma und die Aura, 3. die Sachkompetenz, 4. das Wissen, 5. die Handlungskompetenz und 6. der Einfluß und die Beziehungen. 125 Reputation ist hier neutral verstanden, sie setzt sich zusammen aus dem Bekanntheitsgrad des Gründers und der Virulenz, die seinen Theorien von der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit zugesprochen wird; wie der „Fall" Schmitt zeigt, erweist sich selbst die negative Reputation eines Gründers (etwa als für die herrschende politische Kultur nicht tragbar) für die Rekrutierung keinesfalls als kontraproduktiv, sie kann die Attraktivität auf bestimmte Schüler sogar erhöhen („Daß er den umerzogenen Deutschen als .berüchtigter Mann' galt, war ein Anreiz mehr" etwa für Armin Möhler, Schmitt 1948 zu besuchen, s. Möhler in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 144). 126 Der Trennung in eine Wirkungsphase vor 1945 und eine danach trug die einleitende Bemerkung der Festschrift für Schmitt zum 80. Geburtstag Rechnung: Band 2 enthält „die Beiträge der Autoren, die nach 1945 in eine wissenschaftliche oder persönliche Beziehung zu Carl Schmitt getreten sind" (Berlin 1968, vgl. auch das Motto von Tennyson: „ . . . we are not now that strength which in old days/ Moved earth and heaven [ . . . ] but strong in will/ To strive, to seek, to find and not to yield"). 127
Selbst dann braucht die Produktivität nicht zu erlahmen: „Die von einem bestimmten Stigma
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6. Kapitel — Wissenschaft
Eine Phase affektgeladener Adaption einer Theorie und ein ausgeprägtes „ingroup"„outgroup"-Bewußtsein128 scheinen integrale Bestandteile von schulebildenden Prozessen zu sein. Gegen die desinteressierte Objektivität des „Wissenschaftskartells" steht den Adapteuren neuer Sichtweisen der unmittelbare Eindruck von Erkenntnisgewinnen - zumal in persönlich aufgeladenen Konfrontationen mit konkurrierenden Deutungsmodellen. Einer Adaption steht dies zunächst notwendig näher als jede Form von Suche nach falsifizierenden Momenten. Das „Wissen u m . . . " etwas, das „Sich verstehen...", das weit mehr in Andeutungen, in leisen Zwischentönen und in ironischen Bemerkungen sich äußert, entfaltet meist weitaus auratischere Qualitäten, als eine vor sich hergetragene Gesinnung. Von der Ursprünglichkeit korrespondierender Mitglieder der ersten Einrichtungen des wissenschaftlichen Austausche (etwa der 1662 gegründeten ,Royal Society') zur hier beschriebenen, gezielten Imagepflege durch Huldigungs- und Rezensions-Cliquen, die einen bestimmten „Jargon", Sprachstil und bestimmte Topoi pflegen129, ist es ein weiter Weg gewesen. Nach einem Intermezzo der Offenheit 1945ff. führte er wie im Zeitraffer rasch zu einer Situation zurück, in der die Angebote von Forschung und Theorie den wissenschaftlichen Markt überfluteten und es nicht mehr auf Akkumulation des Wissens, sondern auf Behauptung im Selektionsprozeß der Nachfrage ankam. Eine Vorbild- wie Abschreckungsfunktion für alle ins Künstlerische hineinspielenden Gruppenbildungen130, deren Emphase sich nicht mehr primär auf die Wahrheitssuche richtete, erfüllte zweifellos der George-Kreis, der in kultischer Überhöhung ein entsprechendes Modell prägte: hinter der revitalisierten Idee einer platonischen Akademie pflegte man Berufung, Initiation, elitäres Bewußtsein, Hierarchie, Zucht, Esoterik, den Ordenscharakter, die Mythologisierung, die geistigen Ahnen, Prophetie, Verrat und den Gedanken, daß aus den Seelenkräften des Volkes ein neuer Staat, ein neues Reich zu begründen sei: „George verpflichtet sie [die Schüler, V.L.], er schulmei-
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Betroffenen fördern oft eine Publikation irgendeiner Art, die gemeinsamen Gefühlen Ausdruck verleiht und so ihrem Leser den Sinn für die Wirklichkeit,seiner' Gruppe und seiner Verbindung mit ihr konsolidiert und stabilisiert. Hier wird die Ideologie der Mitglieder formuliert - ihre Klagen, ihre Wünsche, ihre Politik. Die Namen wohlbekannter Freunde und Feinde der Gruppe werden zitiert [...]. Eine intellektuell aufgearbeitete Version ihres Standpunkts steht so für die meisten stigmatisierten Personen zur Verfügung" (Erving Goffman: Stigma, Frankfurt/M. 41980, S. 36f.). Von Bedeutung sind hierbei auch die Kategorien des „Verrats", des Zeremoniellen, der Festschriften, der „Gruppenwärme", der „Seilschaft". Anhand von Festschriften, Laudationes und Nekrologen hat Hubert Treiber beschrieben, wie hierbei über Zitierkartelle und Protektionsbünde „Vergangenheit nach Maß und von der Stange" (Thomas Berger) konstituiert wird (Juristische Lebensläufe. Image und Imagepflege von Juristen in Laudationes und Nekrologen, in: Kritische Justiz, Heft 1/1979, S. 22—44, dort S. 39ff. auch zu Schmitt). Über Kreisbildung und ihre Probleme heute Martin Greiffenhagen (Jahrgang 1928, München 1988, S. 139-141).
2. Schule-, Kreis- und Gruppenbildung
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stert unnachsichtig, aber zugleich - und das ist das Entscheidende und das Geheimnis seiner Wirkung - macht er diese Jugend stolz auf sich, führt und lenkt er ihre Begeisterungsfähigkeit auf ein Ziel hin, bindet er sie an eine Aufgabe und weckt in ihnen den Glauben, daß sie auserwählt sind, mit ihm die Gründer einer neuen Zeit zu sein." 131 In Gegensatz zu diesen Strukturen sah sich der Weber-Kreis in Heidelberg — und die Spannung zwischen „Georgianern" und „Weberianern" zog sich über Jahrzehnte nach dem Tod der „Gründer" weiter 132 . Schmitt protestierte nicht, wenn man ihn in die Nachfolge Max Webers stellte. Trotzdem war seinem Verständnis nach eine „Lagerbildung", die Unterschieds- und vor allem niveaulos alles um sich schart, was als „Gesinnungsgenosse" auftritt, eher dégoûtant. Statt dessen war man es seinem Anspruch, der sich nicht ohne Anmaßung um den Begriff des „Realismus" zentrierte 133 , und „der Sache" schuldig, mit den „Wohlmeinenden" der verschiedensten politischen und weltanschaulichen Richtungen „im Gespräch" zu sein. Eine „Schule" bilden zu wollen galt als Schritt zum Dogmatismus und entsprechende Qualifizierungen wies man denn auch zurück 134 . Auf die Bildung einer Carl-Schmitt-Schule machten aber ihre Gegner um so häufiger und jeweils zu Anlässen aufmerksam, die vermeintlichen Etablierungsversuchen galten: Würdigungen zu Geburtstagen und Festschriften und die Gründung von Referatorganen. 1958 richtete Erich Kaufmann einen offenen Brief an Ernst Forsthoff, in dem er anläßlich eines Geburtstagsartikels für Schmitt die Schule des konkurrierenden Staatsrechtlers angriff 135 . Auch die Veröffentlichung der Festschrift für Schmitt provozierte 1959 eine durch mehrere Zeitungen und Zeitschriften verlaufende Rede und Gegenrede, die sich an der Tatsache entzündet hatte, daß dem umstrittenen Gelehrten
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Franz Schonauer: Stefan George (Reinbek 1986, S. 137); s. auch Edgar Salin: Um Stefan George. Erinnerung und Zeugnis (München/Düsseldorf 21954). Initiationen gab es freilich auch bei Schmitt, sie erfolgte u. a. durch die Übergabe eines Bechers, auf dem „Kai Nomon Ethnoi" zu lesen stand. 132 Vgl. Edgar Salin (in: Merian, Heft 2/1965: Heidelberg, S. 78-84). Schmitt war 1919/20 Mitglied im Dozentenseminar Webers in München gewesen und Beiträger zur von Melchior Palyi herausgegebenen Weber-Gedenkschrift (München/Leipzig 1922). 133 Die „Realität" ist eines der magischen Schlüsselworte und zusammen mit anderen spezifischen Leit-Begriffen ein Erkennungszeichen dafür, daß man zu ihrer ungeschminkten Anerkennung bereit ist; daher die Redewendungen, es sei etwas „falsch verstanden", es müsse eine Abkehr vom „falsch verstandenen Positivismus, Humanismus" etc. geben. 134 Vgl. Roman Schnurs Bemerkung, es sei bei der Rezeption Schmitts in Heidelberg in den 50er Jahren ebensowenig um die Bildung einer Schule gegangen, wie bei der „Academia Moralis", denn man habe gewußt: „Zuviel Weihrauch verruße den Heiligen" (Aufklärung, in: Der Staat, 1988, S. 441, 444). 135 Erich Kaufmann: Carl Schmitt und seine Schule. Offener Brief an Ernst Forsthoff (in: Deutsche Rundschau, 84. Jg., 1958, S. 1013-1015, wiederabgedruckt in ders.: Rechtsidee und Recht. Gesammelte Schriften, Bd. III, Göttingen 1960, S. 375-377).
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6. Kapitel — Wissenschaft
überhaupt eine Festschrift zuteil geworden war 136 . Spätere Festschriften waren ähnlichen Kontroversen ausgesetzt 137 . Als Etablierungsschritt wurde auch die Gründung der Zeitschrift „Der Staat" gewertet 138 und in den Auseinandersetzungen der 60er Jahre um die Frage, wer die Bundesrepublik wohin treibe, der Schmitt-Schule ein bestimmender Einfluß zugeschrieben 139 . Schon gegen Ende der 50er Jahre aber waren auch Elemente einer indirekten Anerkennung Schmitts und seiner „Schule" sichtbar geworden: eine wachsende akademische Auseinandersetzung in Dissertations- und Habilitationsschriften, die Wahrnehmung von Binnendifferenzierungen innerhalb der Wirkungsgeschichte 140 , schließlich
136 Adolf Schüle: Eine Festschrift (in: Juristenzeitung, 14. Jg., Heft 22/1959, S. 729-731, hier S. 729: „Einer besonderen Carl-Schmitt-Forschung, die übrigens schon begonnen hat, sind damit alle Wege bereit"); sowie Hans Hubers Besprechung (in: Zeitschrift für schweizerisches Recht, Bd. 78, Heft 8/1959, S.431f.): „Wird aber die Tatsache der Festgabe an sich verurteilt, so geht es kaum an, ihren wissenschaftlichen Inhalt dann noch im einzelnen zu besprechen so wie die Beiträge irgendeiner Festschrift"). An diese Besprechungen Schloß sich eine Leserbriefdebatte in der „Deutschen Zeitung" an (Februar/März 1960). 137 Vor allem die ausführlichen Kommentare von Helmut Ridder (Schmittianal/II, in: Neue Politische Literatur, Hefte 1 und 2/1967, S. 1 - 1 2 , S. 137-145 sowie ders.: Epirrhosis? Carl Schmitt und ein Ende, in: Neue Politische Literatur, Heft 3/1971, S. 317-339: „Die C.S.schulspezifische Unlauterkeit der praktizierten Wettbewerbsmethode besteht in der fragmentbezogenen Ehrlichkeit. [...] Man trifft etwas nicht Unwesentliches, in mancher Hinsicht sogar Bezeichnendes, und doch nicht das Wesentliche, noch weniger das Ganze"). Vgl. auch die Binnenkritik bei Johannes Gross: Auf dem Weg zur Anti-Festschrift (in ders.: Absagen an die Zukunft, Frankfurt/M. 1970, S. 92-95). 138 Dazu die Zeitschriftenkritik von Anton Madler: Hier weht ein kühler Realismus (in: Die Welt vom 20. März 1974, S. 17: die Zeitschrift habe nach ihrer Gründung als Organ der ,Schmittisten aller Lager' gegolten, v. a. weil Schmitt selbst und seine Freunde dort publiziert hätten, der „kühle Realismus" gehe aber auch auf Max Weber und das Fehlen der „Utopie-Besoffenheit" zurück); vgl. auch den Aufhänger bei Christian von Krockow: Staatsideologie oder demokratisches Bewußtsein (in: Politische Vierteljahresschrift, 6. Jg., 1965, S. 118-131). 139 Im Gefolge von Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? (München 1966). Dazu Kurt Sontheimer, der Jaspers Schmittsche Argumente zuschreibt (Menetekel über der Bundesrepublik. Karl Jaspers' politische Sendung, in: Der Monat 214, Juli 1966, S. 72 - 7 9 , bes. S. 78) und Karl J. Newman: Wer treibt die Bundesrepublik wohin? (Köln 1968, S. 93-100: Munition aus der Carl Schmitt-Schule). Roland Meister: Mittler faschistischen Staatsdenkens (in: Staat und Recht, 16. Jg., 1967, S. 942-962); Karl Dietrich Bracher: Staatsbegriff und Demokratie in Deutschland (in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 1/1968, S. 2-27, hier S. 23: CSSchule und ihre „Mitläufer"); Peter Römer: Vom totalen Staat zur totalen bürgerlichen Gesellschaft. Einige Erwägungen anhand neuerer Analysen der Carl-Schmitt-Schule (in: Das Argument, 1970, S. 322-339). 140 Nach Hermann Lübbe habe ihm gegenüber Wolfgang Wieland Ende der 50er Jahre zuerst von einem „Links-Schmittianismus" gesprochen (ders.: Carl Schmitt liberal rezipiert, in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S.428), der inzwischen von einem „Rechts-"
2. Schule-, Kreis- und Gruppenbildung
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die wissenschaftliche Nobilitierung zu einem „Ismus" 141 und die Rezeption durch den politischen Gegner. Ob die seit den 50er Jahren gegen alle Widerstände durchgesetze Re-Etablierung Carl Schmitts im wissenschaftlichen Bereich letztlich über seine „Wiederentdeckung" hinausreichende Potentiale freisetzen kann, wird sich erweisen. Daß sich hierbei ein für die Wissenschaftsentwicklung exemplarischer Vorgang der Schulebildung vollzog, ist bereits offenbar.
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und einem „Establishment"-Schmittismus abgefedert wird (Armin Möhler: Links-Schmittismus, Rechts-Schmittismus und Establishment-Schmittismus, in: Criticón 98, Nov./Dez. 1986, S. 265 —267). Diese Art von Linien-Bildung hat Schmitt selbst befördert (z. B.: „Die andere Hegel-Linie" - ein Geburtstags-Artikel für Hans Freyer in: Christ und Welt, Nr. 30, vom 25. Juli 1957) und sich damit - einer Hegeischen Linken gegenüber - der Hegeischen Rechten zugeordnet - dazwischen setzte sich die liberale Hegel-Deutung Joachim Ritters (vgl. auch Dieter Groh: Junghegelianer und noch kein Ende, in: Der Staat, 1964, S. 346-357). 1968 gab Wilhelm Hennis den ersten Hinweis auf einen „Carl Schmitt frankfurterisch" (Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Tübingen 1968, S. 34f., Anm. 74), v. a. bei Eike Hennig und Jürgen Habermas. Gerhard Hufnagel: Von der Verführbarkeit des Denkens: Carl Schmitt und der Faschismus (in Rainer Geißler/Wolfgang Popp (Hg.): Wissenschaft und Nationalsozialismus, Essen 1988, S. 245-273, hier S.245).
7. Kapitel - Bildungswege
„Lebensgeschichten sind hochaggregierte zusammenfassende Sinnkonstruktionen" (Martin Kohli 1 ). Entsprechend komplex müssen deren verschiedene Schichten methodisch analysiert werden. Im folgenden sollen jedoch keine Lebensgeschichten im gesamten, sondern diejenigen Ausschnitte aus der Bildungsgeschichte von zehn verschiedenen Wissenschaftlern dargestellt werden, die entscheidende Prägungen Carl Schmitt verdanken. Nach dem Versuch einer Analyse des Gefüges wissenschaftlicher Kreise soll damit — trotz allem Zeit- oder Fachtypischen in den jeweiligen Auseinandersetzungen - die Perspektive wiederum auf biographische Kontingenzen hin geöffnet werden. Im Sinne einer „Spektralanalyse" Schmitts in den 50er Jahren soll an charakteristischen Vertretern verschiedener Lesarten darüber hinaus noch einmal die Vielfalt der Einfluß- und Wirkungswege illustriert werden.
1. Ernst Forsthoff
(1902-1974)
Ernst Forsthoff kann für die Zeit der frühen Bundesrepublik zweifellos der wichtigste und einflußreichste Schüler Carl Schmitts genannt werden 2 . Trotz der Eigenständigkeit 1
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Martin Kohli: „Von uns selber schweigen wir." Wissenschaftsgeschichte aus Lebensgeschichten (in Wolf Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie, Bd. 1, Frankfurt/M. 1981, S. 428-465, hier S.438). Die Lebensgeschichten von Gründerfiguren in der Wissenschaft dokumentieren demnach darüber hinaus das jeweilige „Sozialideal" der akademischen Fachgemeinschaften. Zu Forsthoff vgl. die biographischen Skizzen von Karl Doehring in: Semper Apertus. 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1986, Bd.3 (Berlin u.a. 1985, S.437-463) sowie ders. in: Juristen im Porträt. Verlag und Autoren in 4Jahrzehnten (München 1988, S. 341-349); Bibliographie seiner Werke (mit Schrifttum über Forsthoff) in Roman Schnur (Hg.): Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag (München 21974, S. 495-538); Interpretationen seines wissenschaftlichen Werks von Werner Skuhr: Die Stellung zur Demokratie in der deutschen Nachkriegsdiskussion über den „demokratischen und sozialen Rechtsstaat", dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Beiträge Ernst Forsthoffs (Diss. FU Berlin 1961) und Ulrich Storost: Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff (Frankfurt a. M./Bern/Las Vegas 1979); s.auch Peter Häberle: Lebende Verwaltung trotz überlebter Verfassung? Zum wissenschaftlichen Werk von Ernst Forsthoff (in: Juristenzeitung, Heft 22/1975, S. 685 —689)
1. Ernst Forsthoff
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seines juristischen Denkens verband niemand sonst in diesem Maße dem Lehrer adäquate Fähigkeiten, Bildung, gedankliche Stringenz und polemisches Temperament miteinander wie er. Der in einem Mülheimer Pfarrhaus 3 aufgewachsene Forsthoff studierte Jura in Bonn — angeblich die ersten vier Semester recht lustlos. Dann habe er, wie er später berichtete, im fünften Semester blitzartig begriffen, was Rechtswissenschaft sei, als Carl Schmitt in einer öffentlich-rechtlichen Übung anhand eines Falles aus dem Jagdrecht dessen Lösung exemplarisch vorgeführt habe 4 . Schon mit 23 Jahren wurde er über den „Ausnahmezustand der Länder" promoviert; 1931 bereits habilitiert. Forsthoff blieb im engen Umkreis Schmitts, zunächst als dessen Assistent, und wurde (z. T. unter Pseudonym 5 ) Beiträger für die nationalkonservativen Zeitschriften „Der Ring" und „Deutsches Volkstum". 1933 erschien - für die Nachkriegskarriere immer wieder Stein des Anstoßes - die Broschüre „Der totale Staat". Sie griff den im SchmittKreis umläufigen Terminus auf und übersetzte ihn in die Vorgaben des neuen Staatswesens 6 . Sie war, wie Armin Möhler schrieb, „eine der zentralen Standortbestimmungen der Konservativen Revolution gegenüber dem Nationalsozialismus" 7 . Der Weimarer Rechtsstaat erschien hierin als hohles Legalitätssystem zur Täuschung des Volkes - im neuen Staat dagegen gelte es, die Totalität des Politischen in einer autoritären Herrschaftsordnung über einer gegliederten Volksgemeinschaft zur Geltung zu bringen.
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sowie Richard Saage: Konservatismus und Faschismus. Anmerkungen zu Ernst Forsthoffs Entwicklung vom „Totalen Staat" zum „Staat der Industriegesellschaft" (in: Politische Vierteljahresschrift, 19. Jg., Heft2, Juni 1978, S.254-268). Der Vater Heinrich Forsthoff, Pastor in Mülheim/Ruhr, später Mitglied der ,Deutschen Christen', schrieb u. a. 1933 über „Das Ende der humanistischen Illusion". Von diesem „juristischen Damaskuserlebnis" berichtet Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts (Berlin 1989, S. 72) und im Nachruf auf Forsthoff (in: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 47/1974, S. 2120, Forsthoff habe dies 1962 erzählt). „Rudolf Langenbach", „Friedrich Landeck", „Friedrich Grüter", „Georg Holthausen". Vgl. den von Albrecht Erich Günther herausgegebenen Sammelband: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten. Zwanzig Antworten, Stuttgart 1932 (darin S. 81-89 Dr. Friedrich Grüter: Die Gliederung des Reiches). Erschienen Hamburg 1933: „Der totale Staat ist eine Formel, die dazu dienen sollte, einer noch an die liberale Begriffswelt gewöhnten politischen Welt durch Setzung des reinen Gegenbildes den Anbrach eines neuen Staates anzukündigen und zu verdeutlichen" (ebd., S.7). 1934 erschien eine überarbeitete und in einigen Punkten eher noch schärfere Ausgabe. Besonders über den antisemitischen Gehalt seiner Schrift habe (so Karl Doehring: Ernst Forsthoff, 1988, S.342) Forsthoff später Bedauern geäußert (vgl. auch die Selbstkorrektur 1971 in Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft, München 1971, S. 53f.). In ähnlicher Form hatte Waldemar Gurian den „totalen Staat" gedeutet (Walter Gerhart [= W. Gurian]: Um des Reiches Zukunft, Freiburg 1932; vgl. auch Karl Lohmann: Hitlers Staatsauffassung, Berlin 1933). Armin Möhler: Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932 (2. Aufl., Darmstadt 1972, S. 429). Ähnliches gilt noch für die von Forsthoff herausgegebene und eingeleitete „Deutsche Geschichte seit 1918 in Dokumenten" (Leipzig 1935).
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7 Kapitel — Bildungswege
Das ,Dritte Reich' galt Forsthoff in diesem Sinne als die Vollendung der Nationalstaatsbildung des 19. Jahrhunderts8. Noch 1933 erging an Forsthoff ein Ruf an die Universität Frankfurt - in der Nachfolge Hermann Hellers - , 1935 wechselte er nach Hamburg und 1936 nach Königsberg. Während dieser Zeit beteiligte er sich mit der „Carl Schmitt-Schule"9 an den Ausdeutungsversuchen einer nationalsozialistischen Rechtswissenschaft und zählte zum „Stoßtrupp" junger Rechtslehrer, die Hermann Weinkauff später für die politischen und rassischen „Säuberungen" an den juristischen Fakultäten hauptsächlich verantwortlich machen sollte 10 . Forsthoff spezialisierte sich auf das Verwaltungsrecht. Dort erarbeitete er eine Systematik, die den gewandelten Strukturen der Verwaltungspraxis des ,Dritten Reiches' Rechnung tragen sollte. Sein 1938 erschienenes Buch über „Die Verwaltung als Leistungsträger"11 wurde über das ,Dritte Reich' hinaus zu einem klassischen Text des modernen Verwaltungsrechts und sein darin geprägter Begriff der „Daseinsfürsorge" zu einem geflügelten Wort12. Er ging von der Diagnose sozialer „Vermassung" aus, aufgrund derer dem Staat und seiner Verwaltung immer weitergehende, „daseinssichernde", freilich auch die Grundrechte des Einzelnen substituierende Aufgaben zufallen 13 . » Forsthoff (Totaler Staat, 1933, S. 48). 9 Als „Schulstreitigkeiten" äußerten sich nicht nur Fragen der Lehrstuhlbesetzung (vgl. Friedrich Berber: Zwischen Macht und Gewissen. Lebenserinnerungen, München 1986, S. 68, 71), sondern auch Konkurrenzen im Bemühen, die Begriffe neu zu besetzen (vgl. die Besprechung Forsthoffs von Otto Koellreutter: Der deutsche Führerstaat, in: Juristische Wochenschrift, 1934, S. 538, wo er wegen Koellreutters Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit der Konzentrationslager auf dessen liberales Denken rückschloß). Forsthoff veröffentlichte auch im „Deutschen Adelsblatt". 10 Nach Gerhard Mauz: Ernst Forsthoff und andere... (in Karl Conno (Hg.): Intellektuelle im Bannkreis des Nationalsozialismus, Hamburg 1980, S. 193—203, hier S. 199, mit Bezug auf Weinkauffs Buch „Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus" (1968); ähnliches galt für Forsthoffs Generationsgenossen Reinhard Höhn, Erich Küchenhoff, Heinrich Henkel, Friedrich Schaffstein, Georg Dahm, Karl Larenz, Ernst Rudolf Huber, Heinrich Lange oder Theodor Maunz). 11 Erschienen Stuttgart/Berlin 1938; im Vorwort hieß es, er sei von der Notwendigkeit ausgegangen, „die Dogmatik des Verwaltungsrechts in eine enge Beziehung zur Wirklichkeit der modernen Verwaltung zu setzen"; unter Bezug auf Lorenz von Stein, Otto Mayer, Max Weber und Carl Schmitt führte Forsthoff aus, wie „durch das Mittel dieses Apparates [zur Daseinsvorsorge, V.L.] eine hoheitliche Funktion von großer politischer Dynamik in Wirksamkeit tritt" (ebd., S. 13), dessen Organisation in die Hand zu bekommen jeden Eroberer der Staatsgewalt zwinge, legal an die Macht zu kommen (ebd., S. 10). 12 Der Begriff leitete sich her von Karl Jaspers: Die geistige Situation der Zeit (1931, s. Wolfgang Kohl/Michael Stolleis: Im Bauch des Leviathan. Zur Staats- und Verwaltungslehre im Nationalsozialismus, in: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 45/1988, S. 2849-2856, hier S. 2854, Fn. 75); die Rezeption dieses Neuansatzes erfolgte aber im wesentlichen erst nach 1950 und durch den Erfolg von Forsthoffs „Lehrbuch des Verwaltungsrechts". 13 „Die Grundrechte gehören der Geschichte an. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung [...] hat
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Damit war eine der elaboriertesten Interpretationen des „totalen Staates" vorgelegt, die sich nur scheinbar auf einem unpolitischen Terrain hielt. Tatsächlich war hiermit die Verwaltung als derjenige Funktionsmodus identifiziert, der - nach dem Abschluß der staatlichen Konsolidierung nach innen - an die Stelle des Politischen selbst trat. Der Staat wurde (was im 19. Jahrhundert bereits mehrfach erahnt worden war) von Forsthoff selbst als Verwalter „technisch bedingter Strukturwandlungen" 14 gesehen, dessen Aufgabe es sei, zwischen Freiheit und Gleichheit die Balance zu halten. Mit der Überbetonung des letzteren im „totalitären" Staat geriet Forsthoff gelegentlich in Konflikt 15 . Eine Berufung nach Wien scheiterte am Einspruch von Parteistellen, angeblich u. a. wegen Forsthoffs kirchentreuer Haltung. Eine Berufung nach Heidelberg 1943 nahm er wegen Militärdienstes nicht mehr wahr 16 . 1945 wurde er von der amerikanischen Militärregierung seines Heidelberger Lehrstuhls enthoben. Forsthoff ging nach Schleswig-Holstein, arbeitete in der dortigen Landesverwaltung und fand Anschluß an Intellektuellen-Kreise, die die verbliebenen Spielräume politischer Betätigung und staatlicher Existenz in Deutschland zu reflektieren suchten 17 . Die Rückkehr auf den Heidelberger Lehrstuhl Schloß für ihn erst 1951 ein Jahrzehnt des Interims ab, in dem er sich den philosophischen 18 und geistesgeschichtlichen 19 Grundlagen des ihren Sinn derart geändert, daß sie nicht mehr als ein für die verwaltungsrechtliche Dogmatik konstitutives Prinzip gelten kann. [...] Denn eine Dogmatik, die sich an Eigentum und Freiheit orientiert, wird die Wirklichkeit der modernen Verwaltung nicht in ihr Blickfeld bekommen" (Forsthoff: Verwaltung, 1938, S. lf.). 14 Dazu Ernst Forsthoff: Technisch bedingte Strukturwandlungen des modernen Staates (in Hans Freyer/Johannes Chr. Papalekas/Georg Weippert (Hg.): Technik im technischen Zeitalter, Düsseldorf 1965, S. 211-231). 15 Vgl. Helmut Quaritsch: Nachruf auf Ernst Forsthoff (in: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 47/1974, S. 2120). 16 Hierzu der Nachruf von Hans Schneider (in: Die öffentliche Verwaltung, Heft 17, September 1974, S. 596f.). 17 In der Monatszeitschrift „Zeitwende" und dem im Juli 1949 gegründeten Pressedienst „Realpolitik" (vorher „Unions-Pressedienst") empfahl er 1948 den Verfassungsvätern, nicht zu vergessen, was „bis hin zu Max Weber und Carl Schmitt gedacht und geschrieben worden ist" („Die letzte Chance"), plädierte für stärkste Gegengewichte zum Parlament („Der Staatspräsident und das Berufsbeamtentum") und favorisierte eher einen absolutistischen Monarchen als ein absolutistisches Parlament (s. Rainer Dohse: Der Dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1974, S. 86). Treibende Kraft des Pressedienstes war, neben Pascual Jordan, Max Hildebert Boehm, Hans von Hentig und Graf Kielmansegg der Journalist Wolf Schenke. Zu Forsthoffs Verbindung zu Theodor Steltzer vgl. Kapitel2. Nach Helmut Heiber (Universität unterm Hakenkreuz, Bd. 1, München u. a. 1991, S. 189) soll Forsthoff Mitglied des liberalen „Freiburger Kreises" gewesen sein, was aber zweifelhaft erscheint. 18 Recht und Sprache (Königsberg 1940); Grenzen des Rechts (Königsberg 1941). 19 Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit (Berlin 1940); Übersetzung und Kommentierung von Montesquieu: Vom Geist der Gesetze (Tübingen 1951).
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Rechts gewidmet hatte, vor allem aber der Konzeption seines „Lehrbuchs des Verwaltungsrechts", das bis zu seinem Tod zehn Auflagen erfuhr und ihm erneut „mit einem Schlag den ersten Rang in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft sicherte" 20 . Was Forsthoff dennoch zu einem der umstrittensten Juristen der frühen Bundesrepublik machte, war sein Staats- und Verfassungsverständnis, dessen Ursprung immer wieder auf Carl Schmitt zurückgeführt wurde 21 . Die von ihm 1953 mitinitiierte Sozialstaatsdebatte legte frei, daß es Forsthoff abermals um die Abwehr von Gleichheitsbestrebungen ging - hierin sah er eine fatale Kontinuität zwischen ,Drittem Reich' und Bundesrepublik. Die Aufwertung der Sozialstaatsbestimmungen zu GrundrechtsRang, wie sie die Verfassungsauslegung der Gerichte betreibe, gefährde - so Forsthoff - erneut die staatliche Balance innerhalb der institutionellen Aufgabenverteilung. Die Grundrechte seien im Grundgesetz vielmehr als Gegengewicht zu den zentrifugalen Kräften sozialer Trends und Ansprüche gedacht gewesen. Die Verfassung selbst sei ordnende Entscheidung, besitze ,Eigenwert' und dürfe nicht in die Spannungslage zwischen gewährender Sozialstaatlichkeit und gewährleistender Rechtsstaatlichkeit mit einbezogen werden. Der Interpret (und damit auch der Richter) stehe unter der Verfassung 22 . Das Grundgesetz sei prinzipiell eine rechtsstaatliche Verfassung und das Sozialstaatliche nur als eine Realität zu akzeptieren, die es zu überwinden gelte 23 . Der Rechtsstaat befinde sich durch soziale, ethische oder sonstige Aufladungen in ständigem Wandel und sei allein durch ein formales Verständnis als Institution zu bewahren 24 .
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So Hans Schneider (Nachruf, 1974, S. 596). Seine Vorlesung über „Allgemeines Staatsrecht" in Heidelberg war in den 50er Jahren eine Starveranstaltung: engagiert und von „hochgespannter Geistigkeit" (Auskunft Hasso Hofmann). Dazu ausführlich Storost (Staat und Verfassung, 1978). Der offene Brief Erich Kaufmanns in der Deutschen Rundschau (84. Jg., 1958, S. 1013-1015) über „Carl Schmitt und seine Schule" ging davon aus, daß Forsthoff durch einen Geburtstagsartikel für Carl Schmitt hier selbst für eine Klärung seines Verhältnisses zu seinem Lehrmeister beigetragen habe. Ernst Forsthoff: Die Umbildung des Verfassungsgesetzes (in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70.Geburtstag, Berlin 1959, S . 3 5 - 6 2 , dort S.61: „Der Rechtsstaat ist[...], um es kraß zu formulieren, ein System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freiheit"); ders.: Zur Problematik der Verfassungsauslegung (Stuttgart 1961) und die Replik von Alexander Hollerbach: Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? (in: Archiv des öffentlichen Rechts, 85. Jg., Heft 3/1960, S. 241-270). Ernst Forsthoff: Verfassungsprobleme des Sozialstaats (Münster 1954, S. 3): „Diese Überwindung — in den durch die Verhältnisse gesetzten Grenzen — wird nur einer Politik gelingen, die [ . . . ] den Sinn für das Echte, das Heile und Unversehrte bewahrt hat. Denn ab integro nascitur ordo" (ebd., S.24). Ernst Forsthoff: Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1950-1964 (Stuttgart 1964, Vorwort, S.7f.); unter dem - unnatürlichen - Gleichheitsgebot wandle sich der lästige Rechtsstaat in den bequemen Rechtsstaat, „dienstbar den Wünschen und Ansprü-
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Forsthoffs offenes 2 5 Eintreten für Schmitt brachte ihm seit 1958 zunehmend Kritik ein: als Zyperns Staatsoberhaupt, Erzbischof Makarios, 1959 ausgerechnet Forsthoff als Präsidenten des obersten zypriotischen Verfassungsgerichtes vorschlug, erinnerte der Londoner „Daily Express" an dessen „Totalen Staat", und Ernst Fraenkel bezeichnete die Berufung als einen „internationalen Skandal" 26 . Forsthoff nahm jedoch die Berufung an und versah als „Richter von Zypern" dieses Amt für drei Jahre 27 , ehe er aus Protest gegen eine Regierungsentscheidung zurücktrat. In Deutschland setzte er eine umfangreiche (und ertragreiche) Gutachtertätigkeit 28 fort, die es ihm u. a. erlaubte, die seit 1957 durchgeführten Ebracher Seminare auch materiell zu fördern. Als Forsthoff bei der Entdeckung des „braunen Erbes" der Universitäten in den 60er Jahren als „Daseinssicherer des Monopolkapitals und Gehilfe des Führers" angegangen wurde 29 , weigerte er sich, dazu Stellung zu nehmen: „Jeder Schriftsteller muß zu dem stehen, was er veröffentlicht hat [...]. Nur schwache Naturen können dem Irrglauben verfallen, durch nachträgliche Deutungen und Erklärungen ließe sich irgend etwas verbessern, mildern oder gar ungeschehen machen. Ich halte es mit dem Aphorismus Ernst Jüngers (aus Blätter und Steine): ,Wer sich selbst interpretiert, geht unter sein Niveau'" 30 . Als sich die Angriffe im Gefolge einer geplanten Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Wien häuften, ließ er sich 1967, trotz studentischer Fackelzüge zu seinen Gunsten, vorzeitig emeritieren 31 . chen des justemilieu". Zu dieser Debatte vgl. Skuhr (Die Stellung, 1961, S. 77), der von einer „völlig gewandelte(n) Einstellung zum Rechtsstaat" bei Forsthoff seit spätestens 1953 spricht. 25 Nach 1945 habe sich Forsthoff, trotz der früheren politischen Differenzen, sofort vor seinen verfehmten Lehrmeister gestellt (Helmut Quaritsch, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1974). 26 Der Spiegel (Nr. 41/1960, S. 74-76). 27 So der Titel einer Reportage der „außergewöhnlichen" Illustrierten „Kristall" (Nr. 22/1961, S. 20—24, u. a. über den „Riesenärger" im Anschluß an die Festschrift für Schmitt, der aber nach Forsthoff in der Rechtswissenschaft „mal als der größte Mann der ersten Jahrhunderthälfte gelten" werde. Der Artikel gibt im übrigen einen Eindruck von Forsthoffs „ungewöhnlicher inneren Unabhängigkeit, gegründet auf die Erfahrung eigener intellektueller Überlegenheit und einem starken Selbstbewußtsein", S. 24). 28 Vgl. Forsthoffs Schriftenverzeichnis; im sog. ,Wehrstreit' erstattete Forsthoff auch ein Gutachten für die SPD - Adolf Arndt fand dies „nicht ganz ohne Pikanterie" (zit. nach Dieter Gosewinkel: Adolf Arndt, Bonn 1991, S. 362). 29 Helmut Anders: Der „Daseinssicherer" des Monopolkapitals und „Gehilfe des Führers" — Prof. Dr. Ernst Forsthoff (in: Staat und Recht, 1963, S. 981-995). 30 „Statt einer Stellungnahme" (in Rolf Seeliger (Hg.): Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Dokumentation mit Stellungnahmen, Heft 6, München 1968, S. 26). 31 Doehring (1988, S. 346) meint, Forsthoff habe diesen Angriffen „in eigenartiger Hilflosigkeit" gegenübergestanden. Vgl. auch Forsthoffs 1965 geführten Angriff auf die Zeitgeschichte, die sich in Deutungsbereiche der Justiz einmische (Der Zeithistoriker als gerichtlicher Sachverständiger, in: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 13/1965, S. 574f.).
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7. Kapitel — Bildungswege
Auf Forsthoff trafen die im ersten Kapitel skizzierten Bedingungen seiner Generation voll zu. Wie Schmitt und mehr noch wie Gehlen vertrat er nachdrücklich ein Institutionen- und Persönlichkeitskonzept, das er offenbar selbst eindrucksvoll verkörperte 32 . Forsthoff verband dies mit der Identitätsfrage der juristischen Profession, die im Spannungsfeld zwischen Recht und Politik der „Tugend" des Staats- und Verwaltungsbeamten zentrale Bedeutung zumaß 33 . In dieser Position käme es dem Juristen durchaus zu, Politik und Gesellschaft gegenüber „lästig" zu sein 34 . Ähnlich wie Gehlen wurde Forsthoff Vertreter eines reformerischen Konservatismus. Er verhielt sich früheren Positionen gegenüber flexibler als Schmitt, und seine Beiträge zu Theorie und Praxis der modernen Verwaltung, sein „Daseinsfürsorge"Konzept usw. ebneten dem sog. technokratischen Konservatismus den Weg. Dieser nahm einen späteren Status quo an als die Generation eines Carl Schmitt, ehe er eine Technisierung und technokratischen gesellschaftlichen Planungen durchaus offenstehende Position mit einbezog, die freilich auf das Weiterbestehen und Funktionieren repräsentativer Institutionen baute 35 . Die Schwächung traditioneller Elemente, insbesondere die Erosion staatlicher Autorität, verbitterte Forsthoff gegen Ende seines Lebens immer stärker. Im „Staat der Industriegesellschaft" faßte er noch einmal seine Standpunkte zusammen 36 - die Bundesrepublik der sozialliberalen Koalition jedoch war nicht mehr seine Zeit 37 .
2. Günther Krauss (1911-1989) Der 1911 in der Eifel geborene Günther Krauss verkörperte unter den Schülern Schmitts einen Typus, der die Befürchtungen linker und liberaler Denkhaltungen in der Bundesrepublik zu bestätigen schien, Schmitt sei vielleicht doch mit antidemokrati-
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Vgl. die Bemerkungen von Roman Schnur, unten, sowie: Ernst Forsthoff: Der Persönlichkeitsschutz im Verwaltungsrecht (in: Festschrift für den 45. Deutschen Juristentag, Karlsruhe 1964, S. 4 1 - 6 0 ) . Ernst Forsthoff: Der moderne Staat und die Tugend (in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann, Berlin 1951, S. 8 0 - 9 1 ) . Ernst Forsthoff: Der lästige Jurist (in: Die öffentliche Verwaltung, 8. Jg., 1955, S. 6 4 8 - 6 5 0 ) . Vgl. Ernst Forsthoff: Über Mittel und Methoden moderner Planung (in Joseph H. Kaiser (Hg.): Planung, Bd. III, Baden-Baden 1968, S. 2 1 - 3 8 ) ; ders.: Von der sozialen zur technischen Realisation (in: Der Staat, 9. Jg., 1970, S. 145-160). Erschienen München 1971. Das Buch brachte ihm 1972 den Adenauer-Preis der DeutschlandStiftung ein. In der von ihm mitherausgegebenen Festschrift für Arnold Gehlen — seiner letzten Veröffentlichung - bezeichnete er das Berufsbeamtentum als letztes Hindernis auf dem Weg zum Gewerkschaftsstaat (Bemerkungen zur Situation der Verwaltung, in ders./Reinhard Hörstel (Hg.): Standorte im Zeitstrom. Festschrift für Arnold Gehlen, Frankfurt/M. 1974, S. 4 1 - 5 2 ) .
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2. Günther Krauss
sehen Verschwörungen in Verbindung zu bringen 38 . Wie nur wenige trug er das Moment der entschiedenen Haltung, für die Schmitt in seinen frühen Schriften geworben hatte, in die Nachkriegszeit hinein. Der spätere Rechtsanwalt hatte in Paris, München, Berlin und Köln studiert und war in Paris mit dem Renouveau catholique bekannt geworden. Dessen dogmatischer, aber in Distanz zur Amtskirche verbleibender Katholizismus blieb tragender Pfeiler seines Denkens. Er bestimmte seine antijüdische Haltung, wie auch seine starke Orientierung auf die geistige Welt Spaniens und Lateinamerikas. Während seiner Münchener Studienzeit kam Krauss über die Lektüre der „Verfassungslehre" zum erstenmal mit Carl Schmitt in Berührung 39 . Das Buch hinterließ einen ungeheuren Eindruck bei dem noch nicht Zwanzigjährigen, der - im Wintersemester 1930/31 nach Berlin gewechselt - zur Handelshochschule pilgerte, um den Vorlesungen Schmitts wie auch den privatissime gehaltenen Seminaren beiwohnen zu können. Ein dort gehaltenes Referat verschaffte ihm eine erste Einladung in die Schmittsche Privatwohnung in der Klopstockstraße 40 . Nach der Beendigung seines Studiums in Köln hielt Krauss nicht nur Kontakt zu Schmitt, sondern auch zu dessen Freunden und Schülern aus den Kölner und Bonner Kreisen 41 . Nach dem Referendarexamen ging er als Doktorand mit Schmitt nach Berlin und trat wie dieser der NSDAP, aber auch der SA bei. Als Bei träger zu Zeitschriften von Jung-Nationalsozialisten vertiefte er sich in die Literatur des italienischen Faschism u s u n d d e r Action
française.
1935 promovierte Krauss „summa cum laude" mit einer Arbeit aus dem Bereich des Kirchenrechts über den von Schmitt bewunderten Rudolf Sohm. Als hochschulpolitischen Präzedenzfall veranlaßte Schmitt, die Promotion mit einer umfänglichen öffentlichen Disputation abzuschließen, die den „Rechtsstaat" zum Thema hatte und kurz
38 Vgl. Kapitel 2. 39
Der mit ihm befreundete Franz A. Kramer (der spätere Herausgeber des „Rheinischen Merkur"), erinnerte er sich später, habe ihn auf Carl Schmitt aufmerksam gemacht; auch bei Heidegger habe er gehört: „von unerträglicher Arroganz[...]. Ich weiß, daß es schwer ist, in gewissen Positionen nicht zum Ekel zu werden" (Günther Krauss (fälschlich als Krems gezeichnet): Aus der Ferne längst vergangener Z e i t e n . . . , in: Flamberg-Blätter, Nr. 28, April 1976, S. 18-21, hier S. 20). 40 Vgl. Günther Krauss: Erinnerungen an Carl Schmitt, Teill: 1929-1931 (in: Criticón 95, Mai/ Juni 1986, S. 127-130); Erinnerungen an Carl Schmitt, Teil2: 1931-1933 (in: Criticón96, Juli/ August 1986, S. 180-184). 41
Unter dem Pseudonym „Clemens Lang" veröffentlichte er 1932 eine Besprechung des „Begriffs des Politischen" (Die Ideologie des Widerstandes - Bemerkungen zu Carl Schmitts „Begriff des Politischen", in: Deutsches Volkstum, 14. Jg., 1932, S.959-964, dort S.962 hellsichtig: „Schmitts konkreter Realismus [ . . . ] scheint im besonderen Maße prädestiniert [ . . . ] nationale Erhebungen ideologisch vorzubereiten"). Das Buch hielt er auch später für Schmitts bedeutenstes (Erinnerungen, 2. Teil, 1986, S. 183).
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7 Kapitel — Bildungswege
darauf mit einer Einleitung Schmitts veröffentlicht wurde 42 . Für einige Zeit wurde Krauss als Referent Mitarbeiter Schmitts in der wissenschaftlichen Abteilung des ,Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen'. Diese Zusammenarbeit nahm im Herbst 1936 ein abruptes Ende, als ein vermeintlich nicht zum Druck freigegebener Artikel von Krauss in der Nachwuchs-Juristenzeitschrift „Jugend und Recht" von der SS, die Schmitt seit längerem observierte, zum Anlaß genommen wurde, den prominenten, aber weltanschaulich verdächtigen Staatsrat in der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps" anzuschießen43. Schmitt zeigte sich äußerst verstimmt darüber, seinen Gegnern diese Gelegenheit verschafft zu haben, und veranlaßte das Ausscheiden von Krauss aus seinem engeren Mitarbeiterstab. Es habe allerdings Gegensätze in der Lebensauffassung gegeben, schrieb dieser daraufhin an Schmitt, erläuterte die Umstände und äußerte sein Bedauern. Er müsse sich aber wohl „mit der unbestimmten Hoffnung begnügen, in späterer Zeit durch einen Dienst, den ich der auch jetzt noch gemeinsamen Sache erweise, den Schaden und das Unrecht zu einem Teil wiedergutzumachen.. ,"44. Diese Gelegenheit sollte sich erst rund zehn Jahre später ergeben. Während dieser Zeit war der Kontakt zwischen beiden weitgehend abgebrochen. Krauss kämpfte im spanischen Bürgerkrieg und versah als Funktruppführer an der Ostfront seinen Kriegsdienst, geriet in russische Gefangenschaft und wurde im Herbst 1945 wieder entlassen. Er arbeitete als Notar in Köln, hatte jedoch seine Hoffnung auf eine Universitätskarriere noch nicht aufgegeben. Der Kontakt zwischen Krauss und Schmitt wurde 1947/48 wieder hergestellt. Im November 1948 schrieb ein gemeinsamer Bekannter an Schmitt, er habe Krauss getroffen und festgestellt, wie leicht doch eine Verbindung von Mensch zu Mensch geknüpft sei, „wenn man sich in der gemeinsamen Treue zu einem Dritten begegnet". Krauss habe „in dem durch die Ereignisse keineswegs widerlegten Faschismus den einzig brauchbaren antibolschewistischen Mythos" und in einer (Militär-)Diktatur von oben die einzige Möglichkeit zu seiner Verwirklichung gesehen45. Nach der Wiederaufnahme der Beziehungen wurde Krauss zu einem der Organisatoren der „Academia Moralis". Seine Pläne für eine Universitätskarriere scheiterten 46 . In vielen nationalistischen, 42
Günther Krauss/Otto von Schweinichen: Disputation über den Rechtsstaat (Hamburg 1935). Jugend und Recht vom 10. Nov. 1936, S. 252f.: dort wies Krauss v. a. auf Schmitts Wandlungen hin, die Krauss - ungewöhnlich genug - auf die Lage der deutschen Intellektuellen und ihre Entscheidungslosigkeit, auf einen geistigen Typus, „dessen Beweglichkeit sich überschlägt und dem die Stetigkeit der vollzogenen Entscheidungen fehlt", sowie auf landschaftliche und stammesmäßige Bedingtheiten zurückführte. Mit einem Hinweis auf Hitler versuchte er jedoch abzuschwächen: „Auch der Führer selbst stammt aus einer katholischen Landschaft und ist durch den preußischen Staat hindurchgegangen." Das „Schwarze Korps" sah darin „Eine peinliche Ehrenrettung" (Folge49, Oktober 1936). 44 Brief an Schmitt vom 30. November 1936 (HSTAD RW 265 - 2 7 0 , Nr. 78). 45 Brief an Schmitt vom 28. November 1948 (HSTAD RW265-219, Nr. 140). 46 Sein Versuch einer Habilitation mit der Arbeit „Homo homini homo. Zwölf Kapitel zur Relectio de Indis des Francisco de Vitoria" an der Universität Bonn scheiterte. Vorübergehend hielt er 1954/55 Vorlesungen über Staatsrecht an der Mittelrheinischen Verwaltungs- und 43
2. Günther Krauss
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katholischen und juristischen Zeitschriften blieb Krauss ein scharfer Kritiker der Entwicklungen in Staat, Kirche und Gesellschaft; dabei war seine Angriffslust von Diplomatie und Rücksichten kaum gebunden, er wurde deutlich wie nur wenige, die Schmitts Staatsverständnis teilten. Auf dem Bochumer Katholikentag 1949 versuchte er in einem heftig umstrittenen Vortrag, die konstruktiven Seiten der „Totalitären Staatsidee" zu verteidigen. Die Schriftleitung der Zeitschrift, die den Vortrag abdruckte, spielte ihn als „soziologische Feststellung" herunter. Doch versuchte Krauss darin erneut, Elemente des frühen Faschismus zu retten. Dafür berief er sich auf Erkenntnisse Georges Sorels und Vilfredo Paretos, besonders auf die Lehre vom Kreislauf der Eliten und die These von der absoluten Irrationalität des Lebens 47 . 1956 schrieb Krauss einen Grundriß über das „Staatsrecht des Bundes und der Länder", in dem er votierte, im gegenwärtigen „Weltbürgerkrieg" habe der Einparteienstaat durchaus Vorteile 48 . Auch gegen „Remigranten" ließ er sich eindeutig vernehmen 49 . Solche Positionen waren einer akademischen Karriere nicht eben förderlich. Seine Offenheit und „soldatische" Gradlinigkeit, die ihn auch zu einem entschiedenen Befürworter der Wiederbewaffnung machten 50 , brachten Krauss jedoch auch zunehmend in Distanz zu Schmitt. Die von Krauss gepflegte Form burschikoser Kameradschaftlichkeit war mit Schmitts zuweilen „zelebrierten" Freundschaften kaum zu vereinbaren und Krauss ging auf einen Abstand, der es ihm erlaubte, Schmitt gegenüber (der nach Krauss „gleichermaßen subtil in Auszeichnungen wie Kränkungen" war 51 ) loyal verbunden bleiben zu können 52 .
Wirtschaftsakademie in Bonn (Manuskript HSTADRW 265-270) und war später Dozent an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Oberhausen. Auch eine Bewerbung beim Auswärtigen Amt blieb erfolglos. 47 Günther Krauss: Die totalitäre Staatsidee (in: Die neue Ordnung, 3. Jg./1949, S. 494-508). 48 Vgl. Otto Köhler: Der Galgen hat immer recht (in: Pardon, 2. Jg., Heft8, August 1963, S. 26-28). Weitere kleinere Veröffentlichungen von Krauss handelten u. a. über Thukydides, Gregor den Großen, Lenin und Franco (Erinnerungen, 1. Teil, 1986, S. 127). 49 Juristen (schrieb er 1954), die sich 1945 nicht in Deutschland befunden hätten, könnten in der Frage der „moralischen Einstimmigkeit der deutschen Staatsrechtslehre" über die Kontinuitätsthese nicht berücksichtigt werden (Günther Krauss: Die Verfassung Deutschlands 1945-1954, in: Die öffentliche Verwaltung 1954, Heft 19-20/1954, S. 579-583, hier S. 580, Anm. 10). 50 In der „Wehrwissenschaftlichen Rundschau" tat Krauss den Ausspruch: „Überlassen wir es den Heiden, die Wiederbewaffnung abzulehnen; handeln wir selbst als - Christen" (nach Georg Heidingsfelder: Neukatholischer Wehrexperte, in: Die Andere Zeitung, Hamburg, vom 6. Oktober 1955; Heidingsfelder sah sich hierbei an Schmitt erinnert und hielt das Statement für „hellen Wahnsinn" (vgl. auch die Broschüre von Günther Krauss: Warum Soldaten? Wiederbewaffnung in 100Fragen und Antworten, Augsburg 1957). 51 Erinnerungen, 1. Teil (1986, S. 128). Die Erinnerungen lassen das ambivalente Verhältnis zu Schmitt durchscheinen, wenn auch die Kritik an diesem meist anderen in den Mund gelegt wird. 52 So trat er in der „Deutschen Zeitung" nach den Angriffen auf Schmitt wegen der Veröffentlichung der Festschrift von 1959 für ihn ein („Die Rolle Carl Schmitts", in; Deutsche Zeitung,
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Ein katholischer Fundamentalist und Anti-Liberaler, kam Krauss dem Schreckbild der politischen Bildung' vom „Ewig-Gestrigen", der die männerbündlerische Revolution von rechts nie überwunden zu haben schien, recht nahe. In der Bundesrepublik fand er weder beruflich noch geistig eine Heimat, sondern orientierte sich stark nach Spanien, wohin er viele Freundschaften unterhielt und wo er zunehmend publizierte. Krauss war zwar CDU-Mitglied, haderte aber mit deren Kurs und sympathisierte in den 50er Jahren eher mit der Linie des BHE. Darüber hinaus war er führendes Mitglied eines „Vereins zur Wiedereinführung der Todesstrafe", der später in „Verein für wirksame Verbrechensbekämpfung" umbenannt wurde. Als solches begab er sich in öffentliche Auseinandersetzungen und verfehlte selten, am Kriterium der Todesstrafe die „mannhafte" Haltung von Persönlichkeiten zu messen 53 . Als Notar trug er keine Bedenken, auch politisch brisante Fälle zu verteidigen 54 . Schließlich wurde Krauss Mitglied der „Freien Sozialistischen Volks-Partei"55 und unterhielt Kontakte zu nicht eben liberal ausgerichteten Kreisen in Lateinamerika. Seine letzten Veröffentlichungen galten Carl Schmitt. In Erinnerungen gedachte er ihrer ersten Begegnungen und schilderte ausführlich, wie der Professor in der für ihn und Krauss selbst - entscheidenden Zeit in Berlin zum Protagonisten der erregenden Geistigkeit rechter Kreise geworden war 56 .
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Nr. 69, vom 22. März 1960, S. 2) und noch 1988 in einer Replik auf Angriffe Hans Mayers gegen Schmitt (in: Anwaltsblatt, Heft 8-9/1988, S. 449). Vgl. Köhler (in: Pardon, 1963), wo er über eine der Todesstrafe gewidmete Versammlung in Köln berichtet, bei der Krauss sich u. a. dem Vorwurf ausgesetzt sah, Schüler des „antisemitischen NS-Rechtslehrers" Carl Schmitt zu sein. Zum Beispiel Edda Göring in Sachen Rückgabe eines von ihrem Vater beschlagnahmten Cranach-Bildes gegen die Stadt Köln, später vertrat er die „Deutschland-Stiftung" (s. HansDieter Bamberg: Die Deutschland-Stiftung e.V Studien über Kräfte der „demokratischen Mitte" und des Konservatismus in der Bundesrepublik Deutschland, Meisenheim am Glan 1978, S. 532, Anm. 23). Dazu Richard Stöss (in ders. (Hg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Bd. 3, Opladen 1986, S. 1382-1396, hier S. 1395): „eine quantitativ und qualitativ unbedeutende Gruppierung innerhalb des westdeutschen Rechtsradikalismus". Laut einem Flugblatt wollte die FSRP die Sammlung von Einzelkämpfern mit partisanenartiger Streuung: „Eine Elite an Standhaftigkeit, Weitblick und Mut wird das freie, sozialistische Deutsche Reich von morgen schaffen" (Flugblatt, HSTAD RW 265-178, Anlage zu Nr. 362). Krauss' Mitgliedschaften erstreckten sich auch auf Fußballclubs. Krauss: Erinnerungen, Teil 1 und 2 (in: Criticón, 1986) sowie Fortsetzungen in Piet Tommissen (Hg.): SchmittianaI (Brüssel 1988, S. 55-69), ders. (Hg.): SchmittianaII (Weinheim 1990, S. 72-111), ders. (Hg.): Schmittiana III (Weinheim 1991, S. 45-51).
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Schroers
3. RolfSchroers
(1919-1981)
Rolf Schroers war ein sich zu vielen Zeitströmungen in Widerspruch fühlender Schriftsteller und als solcher nicht untypisch für seine Generation. Seine Stärken lagen im Essayistischen, der große literarische Erfolg blieb ihm jedoch versagt. Der aus dem Krieg kommende Leutnant, Sohn eines Generals und Polizeipräsidenten, gehörte zu den sog. „Winterfliegen", den älteren Jahrgängen, die bis in die 50er Jahre zwischen den Kindern der Nachkriegszeit in den Hörsälen saßen 57 . Wie viele seiner schreibenden Kollegen in der unmittelbaren Nachkriegszeit sah er ein Vorbild, dessen Schreibhaltung und Thematik den Kriegsheimkehrer unmittelbar berührten, wenn man auch das kriegsmythisierende Pathos seiner Frühschriften ablehnte: Ernst Jünger. Diesem schrieb der Fan und Leon Bloy-Übersetzer bewundernde Briefe, er wurde von Jüngers Sekretär Armin Möhler aber wieder etwas auf Distanz gebracht 58 . Dem Wüstenheld und (wie Jünger 59 ) „denkenden Aktivisten" T. E. Lawrence galt Schroers' erstes größeres Werk, das bereits sein Lebensthema anschlug: die Bestimmung des Verhältnisses von Geist und Macht 60 . Das Buch fand einige Beachtung, verschaffte ihm Einlaß in die Gruppe 47 und aufmunternde Preise, vermochte jedoch nur knapp, die Hoffnungen auf eine freie Schriftstellerexistenz einzulösen. Schroers fühlte sich dem „Realismus" verpflichtet, er pflegte die kurze Form des Essays, des Kommentars und der Kolumne „aus gegebenem Anlaß" 61 . In der Bewegung „Kampf dem Atomtod" engagiert, gab er für den „Club republikanischer Journalisten" des „Grünwalder Kreises" den Pressedienst heraus 62 . Er war Gründungsredakteur der Zeitschrift „atomzeitalter" und Mitarbeiter der Zeitschrift „magnum" - Projekte, denen jeweils nur wenige Jahre und geringe Aufmerksamkeit beschieden waren. Keine „Berührungsängste" zu haben, war Schroers eine Selbstverpflichtung vor dem, was er und andere liberale Publizisten als Anerkenntnis einer plural strukturierst Nachruf von Peter Menke-Glückert (in: Liberal, 1981, S. 401-403). Schroers hatte ohne Abschluß in Münster Germanistik, Geschichte und Philologie studiert. 58
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Vgl. die Briefe an Jünger im Nachlaß Schroers (Staatsarchiv Münster, 288) sowie die Rezensionen Schroers' in „Frankfurter Hefte" (1952/53). Zu Jünger Rolf Schroers: Der kontemplative Aktivist (1965, wiederabgedruckt in ders. : Meine deutsche Frage, Stuttgart 1979, S. 145-161). Vgl. auch Rolf Schroers: Der Intellektuelle und die Politik (in Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Wandlung und Wiederkehr. Festschrift zum 70. Geburtstag Ernst Jüngers, Aachen 1965, S. 2 3 1 - 2 3 7 ) . Rolf Schroers: Aus gegebenem Anlaß. Glossen (Frankfurt/M. 1964). Stefan Reinhardt: Alfred Andersch (Zürich 1990, S. 261) zu diesem Kreis: Hans Werner Richter habe eine demokratische Feuerwehr' vorgeschwebt, „ein ,Ringverein deutscher Intellektueller, die sich nichts gefallen lassen'". Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Akademiker' (u.a. Hans-Jochen Vogel) habe man sich in der Sportschule Grünwald bei München, später in Hamburg, Köln und Berlin getroffen. Thema der ersten Tagung: „Die Aufgabe der künstlerischen Berufe im demokratischen Staat".
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ten „Realität" verstanden, die sich nicht allein im Spektrum neudemokratischen Verständnisses verorten ließ. Im März 1955 machte der junge Kiepenheuer & WitschLektor die persönliche Bekanntschaft Carl Schmitts, an die sich ein umfangreicher Briefwechsel bis zu Schroers' Tod anschloß. Vergeblich versuchte er, Schmitt dazu zu überreden, ein Buch über Hitler zu schreiben 63 , doch mußte er sich noch Jahre später für diesen Plan rechtfertigen 64 . Als im Dezember 1960 ein Bekannter ihm den Text einer Auseinandersetzung mit Carl Schmitt übersandte 65 , erwiderte Schroers, er kritisiere die ideologisierenden und moralisierenden Voraussetzungen dieser Kritik, denn sie mache den, der sage, es brennt, für das Feuer verantwortlich: „Ich meine, es brennt tatsächlich, und zwar lichterloh. Ich finde es harmlos, das so wenig wahrhaben zu wollen, daß man den Brandmelder erschlägt. (Der hat den Maler Gilles in den Jahren des braunen Terrors in seinem Haus versteckt, zum Beispiel; und er hat sich mit Schleicher sehr tatkräftig gegen Hitler verbündet, zum Bsp.; und er hat sich dann in der Wahrung der Legalität verschätzt, wie viele, zum Beispiel; und er war kein Freund der Juden, wohl aber der von Walter Benjamin, zum Bsp.) D a ist viel Verhängnis und gewiß Schuld. Doch keine Gemeinheit, keine Korruption, kein Opportunismus." Es sei zu hoffen, daß Schmitts Analyse des Politischen dereinst nicht mehr stimmen werde, bis dahin jedoch könne man nichts schärfer Gedachtes und Beobachtetes lesen und das sei durch Fehler und Irrtümer nicht zu annullieren 66 . In Auseinandersetzung mit Schmitt (und parallel zu diesem 67 ) verfaßte er ein größeres Werk über die Figur des Partisanen, in der sich die Vorstellung des erdverbunde-
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Am 22. November 1955 antwortete Schmitt auf den Vorschlag: „Ihre Idee, daß ich ein Buch über ,Hitler' schreiben könnte, ist frappant. Ich wäre eigentlich sogar dazu verpflichtet, wenn nicht die dummdreiste Gaunerei, mit der man ,Ex Captivitate Salus' abgewürgt und abgetrieben hat, mich von jeder weiteren Verpflichtung enthöbe. Jedenfalls bis auf weiteres. Lassen wir das. Dagegen finde ich meine Abhandlung über Hamlet-Jacob [...] eine schöne Arbeit, wie sie nur ein alter Mann in meinen Jahren schreiben kann." Schmitt empfahl dem Verlag dagegen seinen ehemaligen Assistenten Bernhard von Mutius als Autor (Staatsarchiv Münster, Nachlaß Schroers, 175). Zur Idee des Hitler-Buches später Schroers: In der Landschaft des Verrats (in ders.: Meine deutsche Frage, Stuttgart 1979, S. 169-174, hier S. 172). 1959/60 gab es Auseinandersetzungen beim „Kommitee gegen Atomrüstung": Heinz von Cramer und Hans Werner Richter warfen Schroers vor, er sei Mitglied des SD gewesen, habe bei der „Deutschen Soldatenzeitung" mitgearbeitet, habe als Lektor unter antisemitischen Anwürfen Bücher abgelehnt und Schmitt zum Schreiben eines Buches über Hitler veranlassen wollen; nur das letzte wurde von Schroers bestätigt: „Ich bedaure noch heute, daß aus diesem Plan nichts wurde" (Staatsarchiv Münster, Nachlaß Schroers, 223). Es handelte sich um „Carl Schmitt oder die Aspekte des Terrors" von Wilhelm Alff, erschienen in der Zeitschrift „Aufklärung" (2. Jg., Heft 1/1952, S. 12-20). Brief Schroers' vom 6. Dezember 1960 (Staatsarchiv Münster, Nachlaß Schroers, 785). Brief vom 19. Oktober 1961 an Schmitt: „Sie wissen, daß Sie der eigentliche Empfänger dieses Buches sind, es während der Niederschrift bei jeder Zeile waren: das sollte die Widmung
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nen, gegen widrige Übermächte auf sich selbst zurückgeworfenen Kämpfers ein Bild suchte, dessen Epizentrum jedoch im deutschen Widerstand zu verorten war 68 . Obwohl das Thema in der Luft lag, fand dieses magnum opus Schroers' nur geringen Widerhall, was den Autor stark enttäuschte. Er blieb zu „Brotarbeiten" genötigt, schrieb kulturelle Beiträge für den Rundfunk, drehte Dokumentarfilme für das Fernsehen und schrieb zahlreiche Glossen für den „Vorwärts". Mehr als einmal nahm er dabei auf Schmitt und seine Theoreme Bezug 69 . Schroers galt als streitbar und zeigte kritisches Engagement im Schnittfeld von Politik und Kultur: „Einer der konsequentesten Einzelgänger der deutschen Publizistik [ . . . ] , ein heimlicher Patriot, der mit dem verkrampften offiziellen Patriotismus in ständiger Fehde liegt" 70 . D a Einzelkämpfer keine sechsköpfige Familie ernähren können, Schloß er seinen Frieden mit dem vermeintlich tolerantesten der gesellschaftlichen Interessenverbände, den Liberalen 71 . 1965 wurde er Chefredakteur der parteieigenen Zeitschrift „liberal" und war von 1968 bis zu seinem Tode 1981 Direktor der TheodorHeuss-Akademie in Gummersbach. Damit hatte er eine Position relativer Unabhängigkeit erreicht - „für die Rechten zu links, für die Linken zu rechts" 72 . 1967 der FDP beigetreten, ließ er sich zweimal vergeblich als Direktkandidat für den Bundestag aufstellen 73 . Von der Gruppe 47 hatte er sich bereits Ende der 50er Jahre gelöst und 1964 eine ausdrücken. Das Buch hätte ohne Sie nicht geschrieben werden können" (HSTAD RW265—323, Nr. 212). 68 Dazu die Rezension von Otto Pöggeler (Von der Autorität des Protestes, in: Frankfurter Hefte, 1962, S. 207—210): was sei das eigentliche Geheimnis des Partisanen? „Sein Geheimnis ist das Mysterium der illegalen Solidarität, der Brüderschaft im Widerstand, der Gemeinschaft an diesem bestimmten Ort und in dieser bestimmten Zeit" (S. 209). 69 Unter anderem sah er in der Gigantomanie der atomaren Rüstung, gegen die er sich als Vertreter der Europäischen Bewegung gegen Nuklearwaffen in Hiroshima wandte, die Freund/Feind-Theorie illustriert (In: Wandlung und Wiederkehr, S. 234), vgl. auch „Hüter der Demokratie" in: „Vorwärts" vom 10. März 1961 etc. 70 Klappentext zu Rolf Schroers: Aus gegebenem Anlaß, 1964. 71 An Schmitt schrieb er, die Liberalen seien Schmitt zwar suspekt, sie wären aber der einzige Ort, wo man noch praktizieren könne zwischen den Emnid-Gallup-Parteien (Brief vom 11. Dezember 1964, HSTAD RW 265-323, Nr 229). 72 Rolf Schroers: Im Laufe eines Jahres (Köln 1964, zit. nach der „generationsspezifischen Porträtskizze" Schroers' von Monika Faßbender/Klaus Hansen: Auf der Suche nach den Werten, die das Herz glühen machen — Eine Einladung, Rolf Schroers zu entdecken, in dies. (Hg.): Feuilleton und Realpolitik - Rolf Schroers: Schriftsteller, Intellektueller, Liberaler, BadenBaden 1984, S. 11-34, hier S. 22). 73 Aus der Position des „Etablierten" schrieb er am 21. Januar 1968 an Schmitt: er freue sich, über „liberal" etwas von Einfluß in der Hand zu haben: „Dabei ist es keine Frage, wieviel für den Begriff von der Sache ich bei Ihnen und auch gewiß gegen Sie gelernt habe, und wenn es Sie hin und wieder erfreut, dann dürfen Sie sich bestimmt auch als Lehrer freuen, wenn der Schüler auch eigenwillige Wege gehen mag." Etwas vom Partisanen sei ihm ja geblieben, aber
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Auseinandersetzung über ihre Rolle für die deutsche Nachkriegsliteratur provoziert. Er warf ihr vor, sich generationell gegen Ältere abgeschlossen zu haben, sich von einer Not- zu einer politischen Interessengemeinschaft gewandelt zu haben (nonkonformistisch, antifaschistisch, philosemitisch, humanitär, engagiert, kurz: eine ,heimatlose Linke' 74 ): „Man war sich in der negativen Bestimmung der literarischen Vergangenheit im Zeichen rechtsstehender Weltanschauungen einig, die man kurzweg dem Nazismus subsumierte [...]. Wer zur Gruppe gehörte, war dadurch entnazifiziert' [.. .]" 75 , während Schriftsteller wie Ernst Jünger der einhelligen Ablehnung verfielen. Heinrich Boll replizierte, er habe sich zwar bisher jeden Urteils über Schmitt enthalten, nicht aber über Jünger, bei dem er nicht anders könne, als an die Jünger-gläubigen jungen Leutnants zu denken in ihren Stellungen und Gräben 76 . Seine eigene Identität als Intellektueller in der Politik hatte Schroers in einem Beitrag zur Jünger-Festschrift 1965 zu definieren versucht. Was hier in stark „jüngerisierendem" Stil zu lesen war, konnte zugleich als sein Kommentar zu Jünger und Schmitt gelten: „Die Würde des einzelnen Menschen bezeichnet den Rang unserer Zeit im Guten oder Schlimmen. Der Intellektuelle gilt uns als Hüter dieses epochalen Auftrags. Politisch ist nun seine Aktivität als permanente Revolution anzusprechen, persönlich als permanenter Ungehorsam [...]. Unverkennbar bewirkt solche Preisgabe eine elitäre Auswahl. [...] Es gibt keine denkbare Identifikation des Intellektuellen mit der Politik, sondern nur die dialektische Kommunikation in Form der revolutionären Begegnung in Permanenz. Darin liegt die geistige Spannung unserer Epoche. Ausgezeichnet sind in ihr die Menschen mit den abenteuerlichen Herzen." 77 Schroers Kontakte zu Schmitt „irritierten" auch seine Freunde, denen die innere Logik dieses Verhältnisses letztlich rätselhaft blieb: die Provokation, so wurde vermutet, sei von Schroers beabsichtigt gewesen. Sicher hätten sich die beiden in der existenziellen und anthropologischen Betrachtungsweise des Politischen getroffen, besonders in der Figur des „Partisanen" oder in den Reflexionen über das Thema „Souveränität". Möglicherweise auch habe Schroers das Tabu fasziniert, mit dem Schmitt die Vergangenheit belegte, dies habe er als „Verweigerung eines Beitrages zur Heuchelei" respektiert 78 . dafür sei Orientierung über die Gesetze der Ordnung unerläßlich, besonders über deren Immanenz habe er bei Schmitt viel gelernt (HSTAD RW265 - 3 2 3 , Nr. 251). 74 Rolf Schroers: „Gruppe 47" und die deutsche Nachkriegsliteratur (in: Merkur206, 1965, S. 4 4 8 - 4 6 2 , hier S. 449). 75 Ebd., S.455. 76 Boll in einem Brief vom 27. Februar 1964 an Schroers, in dem er sich kritisch zu dessen tagebuchartigen Aufzeichnungen „Im Laufe eines Jahres" äußerte (Köln 1964. Dort ging Schroers mehrfach auf Schmitt ein; Staatsarchiv Münster, Nachlaß Schroers, 577). 77 Schroers: Der Intellektuelle... (in: Wandlung und Wiederkehr. 1965, S. 235, 237). 78 Theo Schiller: Rolf Schroers und Carl Schmitt - eine Grauzone (in Faßbender/Hansen (Hg.): Feuilleton, 1984, S. 7 7 - 9 4 , hier S.92) sowie ders.: Die Faszination des Verfemten. Rolf Schroers und Carl Schmitt (in Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die
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Christian von Krockow gegenüber, der 1971 Carl Schmitts „Freund/Feind-Unterscheidung" der „politischen Kultur" überhaupt gegenüberstellte 79 , rechtfertigte Schroers sein Interesse an Schmitt mit dem Argument, freiheitlichem Denken sei „nicht damit gedient, daß man es durch Verniedlichung appetitlicher oder scheinbar demokratischer macht" 80 . — „Die zynische Schmähung mit den ,Scheißliberalen' kommt nicht von ganz so ungefähr, so wenig ungefähr, wie der alte Streit der politisch pragmatischen Haudegen gegen die politische Intelligenz, der Mangel an Realität vorgeworfen wird." Es habe alles etwas von dem alten Machiavellismusstreit81. Bei aller Zustimmung zur demokratischen und liberalen Staatsordnung fanden sich also bei Schroers die aus dem Krieg in die Nachkriegszeit hinübergeretteten Erfahrungen eines existentiellen Bereichs des Politischen; doch zeigte er, wie dies nicht notwendig in Verzweiflung oder negative Anthropologie umschlagen mußte, sondern sich als „Eingedenken" an seine Perversionsmöglichkeiten vor jede „Verniedlichung" schieben konnte. Es ist die „Wahrheit" seiner Generation, die hier beabsichtigte, sich „gegen propagandistische, falsche Fronten" zu stellen82. Mit dem Antiliberalen Schmitt konnte man der Bundesrepublik die Gegenrechnung aufmachen, ihr Verhaftetsein im Zeitgeist anklagen und die Mechanismen bloßlegen, mit der sie es umging, sich bestimmten Fragen (auch an ihre Vergangenheit) zu stellen. Wenn auch seine Würdigung zu Schmitts 90. Geburtstag dessen sämtlichen Selbststilisierungen aufsaß, belegt sie doch gerade dadurch seine menschliche Teilnahme an dessen Person, die sich aus der persönlichen Bekanntschaft erschloß: „Jede seiner Zeilen hat einen vitalen, autobiographischen Gehalt, der die reine Gelehrsamkeit durchsetzt und wohl das wirkliche Geheimnis seiner Faszination ausmacht, die von seinen Texten ausgeht für jeden, der dafür Witterung hat." 83
Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 141 —153 — der Band sammelt die Beiträge zu einem entsprechenden „Rolf-Schroers-Gedächtnissymposion" der Theodor-Heuss-Akademie). 79 Christian von Krockow: Freund und Feind oder politische Kultur? (in: Liberal, 1971, S. 461-465). 80 RolfSchroers: Freund und Feind (in: Liberal, 1971, S. 354). Schmitt habe „durch seine Partizipation am Hitler-Reich zwar seinen guten Ruf, nicht aber den Verstand eingebüßt" (ebd., S. 351). Krockow replizierte, Schmitt habe „nicht den Kopf, sondern den Charakter" verloren (ebd., S.461). si Ebd., S. 551. 82 Peter Menke-Glückert: Zum Tode von Rolf Schroers (in: Liberal, 1981, S. 401). 83 Rolf Schroers: In der Landschaft des Verrats (in ders.: Meine deutsche Frage, 1979, S. 173). Vergeblich, jedenfalls folgenlos, versuchte er, den damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel auf Schmitts 90. Geburtstag aufmerksam zu machen (Staatsarchiv Münster, Nachlaß Schroers, 593).
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4. Armin Möhler (* 1920) „Die Dementis zu den Dementis über meine Dementis zu meinem anscheinend unglaublich interessanten Lebenslauf haben sich schon zu einem solchen Knoten verwirrt, daß ich über jede unfreiwillige Klärung von feindlicher Seite dankbar bin", schrieb Armin Möhler 1967, nach heftigen Angriffen auf den Adenauer-Preisträger der „Deutschland-Stiftung", im „Spiegel"84. Dabei gab Möhler die Details seiner Biographie stets offen preis. 1920 in Basel geboren, war dem Studenten nach anfänglich linken Sympathien der Beginn des Rußlandfeldzuges der deutschen Armee eine Wende, nach der er meinte, „daß jetzt der entscheidende Gang begonnen hatte. Die Ideologien, in denen ich mich bis dahin bewegt hatte, verflüchtigten sich wie ein Spuk" 85 . Vergeblich bemühte er sich nach „illegalem" Grenzübertritt um Aufnahme in der Waffen-SS, studierte kurzzeitig in Berlin, wurde wieder abgeschoben, kam in Haft und anschließend in ein Sanatorium, um eine Tuberkulose zu kurieren. „Damals gab ich das Studium der Kunstgeschichte auf und wandte mich dem zu, was mich seither beschäftigt: Studium der deutschen Problematik, Studium der Erschütterungen unseres Jahrhunderts." 86 Das von Wehrdienst und Werkstudentenarbeit, Grenzübertritt und Haft unterbrochene Studium der Philosophie, der Kunstgeschichte und Germanistik Schloß Möhler 1949 ab mit einer Promotion, deren „Gefangener" er fortan wurde. In ihre Aus- und Überarbeitung sollte er einen Großteil seines Lebens stecken: „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932". Mit eingeschränktem Lob begutachtet von Herman Schmalenbach und Karl Jaspers, erschien sie 1950 im Verlag Friedrich Vorwerk. Die Arbeit war, wie Möhler rückblickend gestand, auch eine Möglichkeit, „mit meiner Vita ins Reine zu kommen" 87 , sollte aber vor allem als programmatisches Geschichtsbuch des deutschen Nachkriegs-Konservatismus wirken. Möhler wurde über dieses Buch gleichsam zu dessen Sekretär. Ausgangspunkt, hieß es im Vorwort, sei die aus zeitweiliger Begeisterung und aus persönlicher Begegnung resultierende Irritation gewesen: „Allein die Tatsache, daß verehrungswürdige Denker, welche heute zu den Trägern des deutschen Geistes gezählt werden, sich damals mit den zur Macht gelangenden Kräften in eins zu setzen schienen, beweist, daß zu Beginn des Jahres 1933 die Lager des Guten und des Bösen nicht eindeutig geschieden werden konnten." 88 Die ganze geistige Bewegung, die er 84
Leserbrief Armin Möhlers im „Spiegel" (Nr. 15 vom 3. April 1967, S. 22). Armin Möhler: Nach der Hexenjagd (in ders.: Von rechts gesehen, Stuttgart 1974, S. 315-323, hier S.319f.). 86 Ebd., S.321. 87 Armin Möhler: Eine Promotion in Basel (in ders.: Tendenzwende für Fortgeschrittene, München 1978, S. 175-185, hier S. 176). 88 Armin Möhler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932 (Darmstadt 31989, Vorwort, S. XXVII) - auch hier erscheint „1933" noch als der Fluchtpunkt aller Reflexion und
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unter dem Konstrukt „Konservative Revolution" subsumierte, beschrieb er mit unverhohlener Sympathie und sah sie keinesfalls als überholt an 89 . Vor allem war er von dem Zusammenhalt der Intellektuellen fasziniert, der „in ständiger geistiger Spannung" vibriert habe 90 . Obwohl er längst nicht die Zustimmung aller Beschriebenen zu seiner Arbeit fand 91 , wirkte Möhler über seinen Begriff der „Konservativen Revolution" gleichsam traditionsstiftend 92 . Als Parole rief er das Wort Moeller van den Brucks ins Bewußtsein zurück, es gelte Zustände zu schaffen, deren Erhaltung sich lohne 93 . Doch sah er nicht allein in der unterschiedslosen Zuschlagung alles Konservativen unter das Tabu des Nationalsozialistischen eine Gefahr für deren geistigen Gehalt. Ebensosehr kritisierte er die Neigung der Konservativen selbst, ihr Wissen nur im Verborgenen weiterzugeben und die Behandlung der Fragen, die sie in der Weimarer Zeit umgetrieben hatten, nun in esoterischen Zirkeln einzukapseln. Die ständige Sorge um das „Profil" und den geistigen Zusammenhalt des Konservatismus, besonders gegenüber liberaler Unterwanderung, sollte sich Möhler zur Aufgabe wählen 94 . Sie ließ ihn im Bereich der die moralische Schwarz-Weiß-Sicht als ihr Medium. Später schrieb er: zunächst habe der Konservatismus die Vergangenheitsbewältigung bewältigen müssen, die ihn kleinzuhalten versuchte (Deutscher Konservatismus seit 1945, in ders.: Tendenzwende, 1978, S.67—80). Möhlers „Konservative Revolution" wollte in Erinnerung rufen, welchen Bewußtseinsstand die deutschen Konservativen vor Hitler erreicht hatten. 89 Möhler (Revolution, 1989, S. XXVIII; in der konservativen Revolution' seien „Lösungen" enthalten, ebd., S. 167). 90 Ebd., S.4. 91 Eher reservierte Aufnahme bei älteren deutschen Konservativen fand die Arbeit (etwa bei Wilhelm Stapel) v. a. wegen der These, Christsein und Konservativsein schlössen sich aus, bis Hans Barth sie in der „Neuen Zürcher Zeitung" freundlich-kritisch rezensierte; er habe, so Möhler, die Chance gehabt, unter der schweizerischen Glasglocke zu schreiben, während in Deutschland die Gehirnwäsche auf Hochtouren gelaufen sei (Möhler: Eine Promotion in Basel, in ders.: Tendenzwende, 1978, S. 175-185); Hans Zehrer tadelte Möhlers Naseweisheit (in: Sonntagsblatt vom 1. Oktober 1950, S.6): die Arbeit sei „verfrüht", die Trennung von geistiger und Massenbewegung sei richtig, nicht deutlich genug werde aber, daß es sich damals um den Gegensatz zwischen Autorität und Totalität gehandelt habe, das Christentum habe Möhler unterschätzt. 92 Zur Kritik an diesem Begriff aber Jeffrey Herf: Reactionary Modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich (Cambridge 1984) sowie Stefan Breuer: Die konservative Revolution' - Kritik eines Mythos (in: Politische Vierteljahresschrift, 31. Jg., Heft 4/1990, S. 585-607). 93 Arthur Moeller van den Bruck: Das dritte Reich (Hamburg 31931, S.202, zit. bei Martin Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1986, S.343); Zustimmung dazu bei Möhler (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 130). 94 Möhler beschwor des öfteren eine Gruppensolidarität, die die Linken den Rechten voraushätten (s. Gespräch mit Claus Leggewie, in ders.: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfa-
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„Öffentlichkeitsarbeit" zu der vielleicht wichtigsten Integrationsfigur des bundesdeutschen Konservatismus überhaupt werden. Niemand hat seit 1949 so häufig (und wohl auch so informiert) Stellung genommen zu Themen, Tendenzen und dem Personal der konservativen „Szene" wie Armin Möhler 95 . Die intime Kenntnis dieser Szene basierte auf den umfassenden Recherchen, die Möhler im Vorfeld seiner Dissertation durch ganz Deutschland und zu vielen der überlebenden Protagonisten seiner Darstellung persönlich geführt hatten. Ernst Jünger war beeindruckt genug, um den jungen Schweizer zu seinem Sekretär zu machen, dessen Aufgabe es neben der Abwicklung des Briefwechsels und verlegerischer Organisation war, einem Zerberus gleich, unliebsame Fans des Dichters auf Distanz zu halten 96 . Gleichzeitig versuchte er, in einer Reprise der Weimarer Zeit, ein der „Konservativen Revolution" vergleichbares Netzwerk herzustellen und die großen Geister miteinander „ins Gespräch" zu bringen: Jünger, Heidegger, Benn 9 7 , Schmitt, was ihm in der Jünger-Festschrift von 1955 auch - für einmal - gelang 98 . Carl Schmitt, den er 1942 zum erstenmal gelesen hatte 99 , besuchte er regelmäßig seit dem Sommer 1948. Den Eindruck, den Schmitt bei ihm hinterließ, hat er mehrfach wiedergegeben: Schmitt habe „zwischen strömender Herzlichkeit und scharfem Fechtstoß gewechselt", habe „es verstanden, Jüngere auf seine Höhe zu heben", sei in vielem sein geistiger Geburtshelfer gewesen 100 . Der Eindruck war um so nachhaltiger,
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briken der Wende, Berlin 1987, S. 201). Mit vermeintlichen „Verrätern" ging er hart ins Gericht (vgl. seine Abrechnung mit Giselher Wirsing — Deutsche Nachkriegspresse und Vergangenheitsbewältigung, in: Criticón, 1975, S. 245-250 - sowie mit Karl Korn - Vergangenheitsbewältigung ist Gegenwartsmanipulation, in: Criticón34, März/April 1976, S. 57-62). Umgekehrt wurde Möhler von Nicht-Konservativen als eben diese zentrale Figur rezipiert (noch jetzt bei Norbert Hilgen Armin Möhler und der Neokonservatismus, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 38. Jg., Heft 8/1991, S. 718-724). Armin Möhler: Kleine Klage eines Zerberus oder: Vademecum zum Umgang mit grossen Geistern (in: Weltwoche, Zürich, Nr. 890, vom 1. Dezember 1950, S. 19): über seine Erfahrungen mit den Besucherfluten im Hause Jüngers, die er ironisch typisiert („die Neugierigen", „die Geltungssüchtigen", „die Hysterischen"), er selbst habe die Eigenschaften eines Diplomaten, eines Boxers und eines Irrenwärters in sich zu vereinigen gehabt. — Möhler war daneben Lektor des von Jünger selbst ins Leben gerufenen „Heliopolis"-Verlages, dessen erste Produktion das utopische Buch Jüngers gleichen Namens war. Vgl. Briefe Benns an Oelze (Kapitel 3) und die Briefe Möhlers an Benn (in Gottfried Benn: Das gezeichnete Ich. Briefe aus den Jahren 1900-1956, München 1962, S. 114f.). Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, hg. von Armin Möhler (Frankfurt/M. 1955). Armin Möhler (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 144). Armin Möhler: Begegnungen bei Ernst Jünger (in: Freundschaftliche Begegnungen, 1955, S. 196-206); — „Er fragte mich unentwegt nach den verschiedensten und überraschendsten Dingen draußen in der Welt (und setzte mich damit oft in Verlegenheit, weil ich die genaue Antwort nicht wußte). Das war keiner jener Monologe, die ich von bedeutenden Köpfen bereits gewohnt war. Er schien überhaupt erst im Dialog aufzublühen (einer seiner Freunde
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als Möhler in Carl Schmitt offenbar eine politische Diagnostik zu bewundern begann, die Jünger in dieser Form nicht besaß. Der „Ideologe" Möhler 101 begegnete in Schmitt einem vermeintlich undogmatischen Denker, der „ganz vom Erleben des Einmaligen geprägt war" 102 und für den eine „allzu umständliche weltanschauliche' Ausstattung" bei der Meisterung dessen, was ist, nur „hinderlich" war 103 . Es sollte dieser Repräsentant „konkreten Ordnungsdenkens" werden, der Möhler entscheidende Impulse seines Wegs zur (neo-)konservativen Bejahung des Status quo gab. Und es war Schmitts Art des „Realismus", an die Möhler sich zunehmend anlehnte. Ein Realismus, dessen Prüfstein das Maß an Komplexität zu sein schien, das man dem Leben und den geistigen Erscheinungen im totalitären Staat zugestand 104 . Während der gesamten 50er Jahre seit 1953 arbeitete Möhler als Korrespondent verschiedener Zeitungen 105 in Frankreich. Wie andere aus dem Umkreis Jüngers und Schmitts lernte er dort die Reste des französischen Pendants der „Konservativen Revo-
sagte einmal: er kann überhaupt nur im Dialog denken). Sogar über juristische Fragen unterhielt er sich mit mir und warf mir dabei die Bälle so geschickt zu, daß ich zum mindesten in seiner Gegenwart überzeugt war, etwas von Jurisprudenz zu verstehen. C. S. erwies sich als meisterhafter Lehrer" (Möhler, in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 144). 101 So die Selbstinterpretation für diese Zeit im Gespräch mit Leggewie (Der Geist steht rechts, 1987) Weltanschauung [resp. „Ideologie"] sei die für die Zeit der Konservativen Revolution typische Form des geistigen Ausdrucks gewesen (Möhler: Konservative Revolution, 1989, S. 17), ein „Suchen nach Bindung, welches das Suchen nach Freiheit ablöst, und das Suchen nach Ganzheit, Einheit, welches von allen Zweiteilungen und Spaltungen wegstrebt" (ebd., S. 10). 102 Freundschaftliche Begegnungen, 1955, S. 198. Die „Geschichtlichkeit" sei es, die Schmitt von Jünger und Heidegger substantiell unterscheide, wie Möhler in einer Kritik an Christian von Krockows „Die Entscheidung" schrieb (s.Das Historisch-Politische Buch, 7.Jg., 1959, S. 187f.): die „geistespolitische Absicht" Krockows habe aber vor dessen „Erkenntnisabsicht" überwogen. 103 Möhler (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 132). 104 In einer Rezension des Buches „Das Dritte Reich und seine Denker" von Léon Poliakov und Josef Wulf (in: Das Historisch-Politische Buch, 1960, S. 244) warf er den Autoren vor, ein „Adressbuch zur Fortführung der,Entnazifizierung'" erstellt zu haben — „die Biographie der Herausgeber ist uns nicht bekannt, aber man kann sich schwer vorstellen, daß sie einen totalitären Staat aus eigener Erfahrung kennen. Sie hätten sonst gewußt, daß ein erheblicher Teil der belastenden' Zitate jene Münze darstellten, die es Professoren und Publizisten gestattete, sich in dem daran anschließenden Text in variierendem Ausmaß vom gleichschaltenden Drucke freizuhalten." 105
Für „Die Tat", „Die Zeit", „Die Furche" (Wien), „Christ und Welt". Berufliches Vorbild war ihm Friedrich Sieburg (zu diesem jetzt Tilman Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußtsein. Friedrich Sieburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert, Berlin 1993).
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Ζ Kapitel — Bildungswege
lution" kennen 106 . Zugleich erlebte Möhler den Beginn der V Republik und den Beginn des „Gaullismus", der - als Form einer „kommissarischen Diktatur" verstanden und von Möhler nach Deutschland vermittelt - den Rechten der Bundesrepublik für einige Zeit als „Versuchung" galt 107 . 1961 kehrte er nach Deutschland zurück, wo die gerade erneut in Gang kommende Auseinandersetzung mit dem ,Dritten Reich' Möhler um seine Bemühungen zu bringen schien, den pluralistischen Charakter der weltanschaulichen Szenen bis weit in die Zeit des ,Dritten Reiches' hinein darzustellen 108 . In der „Vergangenheitsbewältigung" witterte er zunächst funktionalisierte Argumente zur Unterdrückung nationaler Identität 109 und eine „Charakterwäsche" 110 , bis ihn die Hartnäckigkeit der hierbei betriebenen Selbstbeschau zur Diagnose einer deutschen „Neurose" 111 führte. Besonders Carl Schmitt schien ihm ein „idealer Sündenbock für den Bundesbürger in jeder Lebenslage zu sein" 112 . Trotzig widmete er daher 1965 seine Diagnose der „deutschen Ängste" Carl Schmitt und gab zu, „von ihm gelernt zu haben" 113 . Diese Diagnosen enthielten den Versuch, „die Kruste von Komplexen und Verdrängungen aufzusprengen, welche sich lähmend auf das politische Leben der Bundesrepublik legt. Ansatzpunkt ist die Umschreibung dessen, was politisches' Verhalten ist" 114 . Hinter der Kruste trat erneut ein emphatischer Begriff von „Wirklichkeit" zutage, der man sich in ihrer Pluralität zu stellen habe. Letztlich handelte es sich um einen Appell Möhlers an die Bundesrepublik, endlich erwachsen zu werden und in Politik,
106 Dazu Zeev Sternhell (Weder rechts noch links, Paris 1983), dem Möhler in der 3. Auflage seines Buches eine ausführliche und zustimmende Besprechung widmete (Bd. 2, S. 103-118). 107 Armin Möhler: Die fünfte Republik (München 1961) — „Mein großes politisches Erlebnis war der Gaullismus — die gleichzeitige Distanz gegenüber den USA und der Sowjetunion" (Gespräch mit Leggewie: Der Geist steht rechts, 1987, S.203; von der „gaullistische Versuchung" spricht er in: Deutscher Konservatismus seit 1945, in ders.: Tendenzwende, 1978, S. 67-80). 108 Dieser pluralistische Charakter ließ Möhler später sogar die Postmoderne als „ein illegitimes, etwas wild aufgewachsenes Kind der Konservativen Revolution" bezeichnen (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 137). 109 Auch den Konservativen warf er vor, sich nicht ausreichend darum gekümmert zu haben: „Die Todsünde des Nachkriegskonservatismus bestand darin, daß er glaubte, die Aufgabe der Wiedergewinnung nationaler Identität vernachlässigen zu können, mit Rücksicht auf Hitler und die Vergangenheit" (Gespräch mit Leggewie: Der Geist steht rechts, 1987, S. 204). u° So das Buch seines Freundes Caspar von Schrenck-Notzing (Stuttgart 1965). m Anton Peisl/Armin Möhler (Hg.): Die deutsche Neurose (Frankfurt/Berlin/Wien 1979). Das Funktionalisierungsargument war damit nicht beiseitegeschoben, es suchte sich vielmehr im Bild des „Nasenrings" eine neue polemische Metapher (Der Nasenring, Essen 21991). 2 h Leserzuschrift Möhlers (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 168, vom 21. Juli 1960). H3 Armin Möhler: Was die Deutschen fürchten. Angst vor der Politik, Angst vor der Geschichte, Angst vor der Macht (Stuttgart 1965). i " Ebd. (Ausgabe Frankfurta. M./Berlin 1966, S. 181).
4. Armin
Möhler
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Geschichte und Macht zurückzukehren. Das Schmittsche Politikverständnis war hier endgültig adaptiert. Zusammen mit seinem Freund Marcel Hepp griff Möhler um die Mitte der 60er Jahre zudem aktiver in die praktische Politik ein 115 . Der Politiker, der ein „gesundes" Machtbewußtsein versprach, war Franz Josef Strauß. Möhler hatte ihn bereits während der „Spiegel"-Affäre verteidigt, nun schrieb er ihm Reden und belieferte den „BayernKurier" mit Stellungnahmen 116 . Dieses Engagement zog Möhler in öffentliche Auseinandersetzungen hinein, die in einer von ihm als „Hexenjagd" bezeichneten Protestwelle wegen seiner Entgegennahme des Adenauer-Preises der „Deutschland-Stiftung" gipfelten 117 . Die für Möhler unangenehmste Folge war, daß dem inzwischen Habilitierten ein Ordinariat an der Universität Innsbruck seines umstrittenen Rufes wegen verweigert wurde. Seine politische Zuarbeit für die CSU endete mit dem frühen Tod Hepps im Jahre 1970118. Parallel zum Diktum von Strauss, der Konservatismus habe stets an der Spitze des Fortschritts zu marschieren 119 , adaptierte Möhler Elemente der amerikanischen „Technocracy"-Bewegung, die er in den Festschriften für Schmitt (1968) und Gehlen (1974) als Beitrag zur Modernisierung des Konservatismus vorstellte. Als Geschäftsführer der Münchener Carl Friedrich von Siemens-Stiftung (seit 1964) besaß er institutionelle Möglichkeiten, das konservative „Gespräch" aus „Tafelrunden" zu lösen und ihm Publizität zu verschaffen. Ernst Forsthoff, Robert Hepp, Julien Freund, Arnold Gehlen, Helmut Quaritsch, Christian Meier und andere Redner sowie ehrende Geburtstags-Tagungen über den „Ernstfall" etc. verschafften dem Institut des bekennenden Schmittianers freilich den Ruf einer „Carl-Schmitt-Akademie" 120 . In dieser Funktion fand der „Sekretär" des Nachkriegskonservatismus schließlich 115
116
Widmung in „Konservative Revolution": die Freundschaft zu Marcel Hepp habe ihm dieses Buch eingebracht. Seit 1965 arbeitete Möhler daneben für „Die Welt"; für wenige Ausgaben hatte Möhler auch der „Deutschen National-Zeitung" unter dem Pseudonym „Michael Hintermwald" Kommentare verfaßt, bis er sich mit Herausgeber Gerhard Frey und der Linie des Blattes überwarf.
117
Die Preisverleihung der Stiftung (der Einrichtung einer bestimmten Fraktion der politischen Rechten in der Linie Kurt Ziesels) an Möhler gab Anlaß zu allerlei Reflexionen darüber, ob in Deutschland die Rechte sich nun endgültig formiere (u. a. in „Die Zeit", Hans Gresmann: Drei Preise und ein schlechter Nachgeschmack, Nr. 10, vom 10. März 1967, S. 3) - dazu Möhler: Nach der Hexenjagd (in: Von rechts gesehen, 1974, S. 3 1 5 - 3 2 3 ) .
118
Vgl. Möhler: Erinnerung an einen Freund (in ders.: Von rechts gesehen, Stuttgart 1974, S. 3 2 4 - 3 2 7 ) . Politisch noch einmal aktiv wurde er mit der Gründung des „Deutschen Nationalrats" als letzte Initiative der Sammlung der wichtigsten rechten Schriftsteller: Hellmut Diwald, Wolfgang Venohr, Hans-Joachim Arndt, Bernard Willms, Robert Hepp, Franz Schönhuber.
119 Nach „Süddeutsche Zeitung" vom 16. Februar 1968. 120 So Leggewie (Der Geist steht rechts, 1987, S. 197).
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7. Kapitel — Bildungswege
eine ihm adäquate Rolle, nicht als Theoretiker, sondern als Bibliograph, Multiplikator und Kritiker. Die Zeitschrift „Criticón", von Schrenck-Notzing herausgegeben und stark von Gehlens Kritik an „Moral und Hypermoral" des medialen Zeitalters beeinflußt, blieb fortan Möhlers bevorzugtes Publikationsorgan. Dort erschien jüngst eine erneute Stellungnahme zu Jünger und Schmitt - zwischen der spannungsgeladenen „Männerfreundschaft" beider hatte sich Möhlers Bildungsweg vollzogen und sein Selbstbewußtsein ausgeprägt. Zwischen beiden war er in das Herz des deutschen Konservatismus vorgestoßen 121 .
5. Rüdiger Altmann (* 1922) Der als politischer Publizist und Kanzlerberater bekanntgewordene Rüdiger Altmann wurde 1922 in Frankfurt als Sohn eines Schul-Rektors geboren, mit 19 Jahren zur Wehrmacht eingezogen und 1943 so schwer verwundet, daß er in den letzten Kriegssemestern zu dem Hörerkreis um Carl Schmitt an der Friedrich-Wilhelms-Universität gehören konnte. Unter dem Donner der herannahenden Front verständigte man sich dort über „Eigentum und Enteignung", „Völkerrecht und Verfassungslehre", „Lorenz von Stein" und „Bruno Bauer". In der Nachkriegszeit brach der Kontakt zu Schmitt zunächst ab, und Altmann studierte in Marburg Rechts- und Staatswissenschaften, Politik und Soziologie. Während seiner Referendarszeit in Wiesbaden holte ihn Wolfgang Abendroth als Assistent nach Wilhelmshaven. 1951 folgte Altmann dem nicht ganz freiwillig in die Politologie abgedrängten Juristen nach Marburg. Seine Promotion von 1954 über „Das Problem der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die moderne Demokratie" setzte mit einer Auseinandersetzung über Schmitt ein, endete aber in einem Plädoyer für die Integrationsleistungen der Politik 122 . Mit Schmitts Feststellung, daß der moderne Staat an sein Ende gelangt sei, setzte sich Altmann besonders auseinander; dabei analysierte er die Öffentlichkeit als Substitut gewisser Staatsfunktionen 123 . Die Dissertation bot einen Anlaß, den Kontakt zu seinem früheren Lehrmeister 1955 wieder aufzunehmen. Abendroth hatte über diese Beziehung Altmanns zu Schmitt hinaus Anlaß, sich über Kontakte seines Assistenten zu befremden. Dieser hatte inzwischen Anschluß an eine Gruppe junger RCDS-Studenten gefunden (unter ihnen der junge Johannes Gross), die sich anschickten, über ein gemeinsames Forum das beklagenswerte Verhältnis der 121
122
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Armin Möhler: Carl Schmitt und Ernst Jünger (in: Criticón 128, November/Dezember 1991, S. 2 9 4 - 2 9 8 ) . Diss. Marburg 1954. Beim selben Abendroth legte später Jürgen Habermas eine Habilitation zu einem ähnlichen Thema vor: Strukturwandel der Öffentlichkeit (Neuwied 1961). Vgl. die Besprechung von Hans-Joachim Arndt: Öffentlichkeit als Staatsersatz (in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 1956, S. 2 3 9 - 2 4 7 ) .
5. Rüdiger Altmann
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Kanzlerpartei zu Intellektuellen aufzubessern. Ähnlich Rolf Schroers, sollte sich Altmann fortan aus relativ unabhängigen Positionen heraus des Verhältnisses von Geist und Macht als seines Themas widmen. Seit 1954 erschien von Marburg aus die Zeitschrift „Civis"; sie war ein halbamtliches' Organ der CDU-Jugendorganisation und sorgte für einiges Aufsehen durch freche Stellungnahmen, die auch das eigene politische Lager nicht verschonten. Altmann und dem zehn Jahre jüngeren Gross, die nun Schmitt regelmäßig im nicht allzu fernen Plettenberg aufsuchten, gelang es, den Staatsrechtler bei dessen spielerischer Ader 124 zu packen und für einige Zeitschriftenbeiträge zu gewinnen, die dort freilich unter Pseudonymen erschienen 125 . Gross und Altmann, die ihre eigenen Beiträge (und diejenigen Schmitts) noch einmal separat veröffentlichten 126 , legten in der Zeit ihrer Redaktionstätigkeit die Grundsteine für ihre späteren Aufgaben als politische Essayisten bzw. publizistisch tätige Funktionäre 127 . Seit 1956 leitete Altmann die der CDU nahestehende Akademie Eichholz bei Köln 128 und trat 1959 als Referent für Kulturpolitik in die Geschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelstages ein. Seit 1963 war er dort stellvertretender Hauptgeschäftsführer und zuständig für wirtschafts- und finanzpolitische Fragen. Gleichzeitig empfahl er sich mit seinem Buch „Das Erbe Adenauers" von 1960 als politischer Denker mit Urteilskraft 129 und visionärem Blick 130 , wurde darüber mit Ludwig Erhard bekannt und fand als Berater „Zugang" zu einem der präsumtiven „Machthaber". Als dieser 1963 dann tatsächlich Adenauers Erbe antrat, versuchte Altmann in dessen
124
Rüdiger Altmann: Freiheit im Spiel (in Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 100, vom 30. April 1955): „Das Spiel ist die grundsätzliche Negation des Ernstfalles" (zit. in Schmitt: Hamlet oder Hekuba, Düsseldorf 1956, S. 71). Vgl. auch Schmitt: Der Aufbruch ins Weltall. Ein Gespräch zu dritt über die Bedeutung des Gegensatzes von Land und Meer (in: Christ und Welt, Nr. 25, vom 23. Juni 1955: Schmitt gab hier seinem alter ego den Namen „Altmann").
125
„Erich Strauß" und „Musil Maiwald". Schmitt wiederum empfahl weitere Beiträger, etwa Bernhard Roeder ( = Bernhard v. Mutius), Karl Lohmann oder Konrad Liss (s. die Thomas Mann-Parodie im 3. Jg., Nr.26, Februar 1956, S. 185-189). Auch Anima steuerte einen „Brief aus Spanien" bei (3. Jg., Nr. 17, Mai 1956, S. 17f.). Andere Beiträge „atmeten" den Geist Schmitts (vgl. z . B . Friedrich Grund ( = Rüdiger Altmann ?): In Verfassung sein ist alles, 3. Jg., Nr.25, Januar 1957, S. 157f.). Die Mischung aus Pseudonymen, dem Spiel mit literarischen Techniken und politischer Polemik erinnerte an Schmitts Jugendschriften.
126
Rüdiger Altmann/Johannes Gross: Die Neue Gesellschaft (Stuttgart 1958). Johannes Gross redet, nach eigenem Anspruch, bis heute gerne „Tácheles" (so der Titel seines gegenwärtigen Fernsehmagazins beim Privatsender „Premiere"). Ein Habilitationsvorhaben Altmanns über „Kompromiß und Koalition" zerschlug sich. Stuttgart 1960. Adenauer bat daraufhin den jungen Essayisten zu einem Gespräch (Auskunft Rüdiger Altmann). 1963 folgte die außenpolitische Analyse „Das deutsche Risiko". Aufsehen erregte Altmann 1966 mit dem Fernsehfilm „Der Deutsche Bund", in dem ein Szenario der Wiedervereinigung durchgespielt wurde.
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„brain-trust", die Politik des massigen und auch vom politischen Profil her eher „teigigen" Erhard „von Adenauers Einfluß" zu befreien 131 . Die auf dem Düsseldorfer Wirtschaftskongreß der CDU 1965 zum regierungsoffiziellen Kurs erhobene Leitvorstellung einer „formierten Gesellschaft" ging auf Konzepte Altmanns zurück, die er in enger Anlehnung an Schmittsche Gedanken und mit unverhohlener Verwendung von dessen Begrifflichkeit entwickelt hatte: sie zielte auf „eine nach den Grundsätzen von Öffentlichkeit gegliederte politische Landschaft der Interessengruppen und Verbände, die auf solche Weise das (von Carl Schmitt identifizierte) Odium der ,potestas indirecta' verlieren sollten" 132 . Die Nähe zu autoritären, hierarchisch orientierten Theoremen störte Erhard nicht 133 ; gleichzeitig erwies er sich aber als vom Zuschnitt her ungeeignet, die Konzeption überzeugend umzusetzen und den „kastrierten" Staat zu stärken. Als 1966 die große Koalition unter Kiesinger gebildet wurde, blieben von der „formierten Gesellschaft" lediglich Restbestände in der von Wirtschaftsminister Schiller propagierten „konzertierten Aktion" 134 . Auch Kurt H. Biedenkopf trug einige dieser Gedanken weiter, was ihm mehr als einmal als Nähe zu Schmitt ausgedeutet wurde 135 . Altmann war stark von Schmitts politiktheoretischen Schriften der Weimarer Jahre beeinflußt und hierbei wiederum vom Begriff der Repräsentation. Deren drohendes Ende wie dasjenige des Staates überhaupt vorauszusetzen, verschaffte ihm nach eigenem Eindruck regelmäßig einen Diskussionsvorsprung 136 . Es gehe darum, „den repräsentativen Parlamentarismus gegen den heraufkommenden Parteienstaat zu verteidigen", wie dies Schmitt in der „Geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus" habe erreichen wollen137. Altmann teilte Schmitts Analysen über die Gefährdungen moderner 131
Auskunft Rüdiger Altmann. Vgl. „Eierköpfe für Erhard? Diskussion um den Beraterstab des Kanzlers" (in: Die Zeit, Nr. 47, vom 22. November 1963, S. 6), wo Ernst-Wolfgang Böckenförde aus verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, Rüdiger Altmann aber dafür votierte, weil die Verfassung für die „Beratung" — trotz Bundestag und Bundesrat — keine eigenständige Institution mehr kenne, die dem Kanzler helfe, die Richtlinien seiner Politik zu bestimmen.
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J. B . ( = Jürgen Busche?): Optimist des Diskurses. Rüdiger Altmann wird sechzig (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Dezember 1982). Der Entwurf erschien zunächst als Privatdruck 1965 und in der Aufsatzsammlung „Späte Nachricht vom Staat. Politische Essays" (Stuttgart 1968). Auskunft Rüdiger Altmann. Sie zielte auf eine Entwöhnung vom Egoismus der am pluralistischen Staat Partizipierenden. Die anhaltende Kritik am Konzept der „formierten Gesellschaft" beruhte wohl auch auf einer überschätzenden Identifizierung mit der oppositionsgefährdenden Politik der Großen Koalition. Vgl. Richard Faber: Die Verkündigung Vergils (Hildesheim/New York 1975, S. 195) sowie Jan Stehl: Positionen und Begriffe (in: Frankfurter Hefte, Heft 5/1974, S. 5 5 7 - 5 6 6 ) . Auskunft Rüdiger Altmann, vgl. ders.: Der Verdacht, ein Staat zu sein (in: Merkur257, Heft 9/1969, S. 7 9 3 - 8 0 3 ) . Rüdiger Altmann: Carl Schmitt oder Das Ende der Repräsentation (Privatdruck 1973, S. 13). Auch über den Bedeutungsverfall der Kirchen machte Altmann sich Gedanken.
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5. Rüdiger Altmann
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Demokratien durch ,potestas indirecta' 138 , durch den Verfall der Öffentlichkeit und durch den Pluralismus der Verbände - und überdachte eine „Politische Organisationslehre" 139 , in der totalisierende Tendenzen der Gesellschaft wirksamer vermieden werden konnten, als es der Demokratiekritik der 20er und 30er Jahre gelungen war. Dieser Kompromißversuch einer Demokratie „mit Autorität" brachte Altmann widersprüchliche Beurteilungen ein: „der wohl kälteste Fortsetzer der Schmitt'schen Linie" 140 galt auf der Rechten als Kulturkonservativer, der sich der „Mumienpflege am Amenhotep des deutschen Liberalismus, Altkanzler Erhard" zugewandt hätte 141 . In jedem Fall wurde ihm Eigensinn und besondere Originalität zugeschrieben. Diese Eigenschaften machten ihn zu einem Dauergast auf Podien und bei Diskussionsveranstaltungen aller Art 142 und zu einem „Navigations-Offizier" bei der ständigen Verortung der Wege, die das „Staatsschiff" Bundesrepublik nahm 143 . Zur Kreisbildung um Schmitt behielt er stets einen gewissen Abstand; auch dem Meister selbst näherte er sich selbstbewußt und nicht ohne Kritik. Es war vor allem dessen Art des Denkens, die er an Schmitt bewunderte. Bei der posthumen Frage nach dem, was von Carl Schmitt inhaltlich bleibe, urteilte er eher skeptisch, auch legte er ein gewisses eingeschränktes Gesichtsfeld Schmitts nahe 144 . Die „fortdauernde Präsenz" des Staatsrechtlers sei vielmehr eine ästhetische, seiner Sprache und dem Stil seines Denkens zu verdanken, dem Sprechen in Bildern und Gleichnissen. Sie sei ein Sieg der Metapher über abstrakte Rationalität und die sprachliche Verarmung, die den politischen Diskurs inzwischen beherrschten 145 .
138
Vgl. seine Kritik an der „Gruppe 47", die sein in vielem ähnlicher Kollege Rolf Schroers angestoßen hatte (Eine literarische Partei, in: Merkur209, August 1965, S. 770-773): „Unbefriedigend bliebt bei alledem das bloß affektuelle Verhältnis dieser Literatur zu Gesellschaft und Politik", es gebe so etwas wie einen „Affekt-Sozialismus" ohne „Positionen und Begriffe", der mit Simplifikationen antworte, dem entspreche auf fatale Weise die Neigung, ins Geschäft zu kommen (ebd., S. 772f.).
139
In vier Folgen veröffentlicht in Civis (Nr. 42-47, Juni-November 1958). So die Einschätzung von Klaus Fritsche: Politische Romantik und Gegenrevolution (Frankfurt/M. 1976, S. 324). Armin Möhler: Von rechts gesehen (Stuttgart 1974, S. 50 über Altmann und Gross). Zum Beispiel dem „Bergedorfer Gesprächskreis zu Fragen der freien industriellen Gesellschaft". Rüdiger Altmann: Neues vom Staatsschiff (in: Merkur, 27. Jg., Heft 4-5/1973, S. 329-344). In Klaus Hansen/Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik (Opladen 1988, S.28). Diese Kritik betraf wohl vor allem das mangelnde Wissen um ökonomische Bedingungsfaktoren im modernen Staatsgefüge. Vgl. auch Rüdiger Altmann/Johannes Gross: Was bleibt von Carl Schmitt? (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Oktober 1986) sowie Altmanns Bemerkung 1986 in Speyer: „Wir sollten uns davor hüten, Adepten des großen Magiers zu sein; diese epigonale Treue ist etwas lästig..." (Diskussionsbeitrag zum Referat von Bernard Willms in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 602).
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Rüdiger Altmann: Die fortdauernde Präsenz des Carl Schmitt (in: Merkur 509, August 1991, S. 728-734, hier S. 733).
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7. Kapitel — Bildungswege
6. Nicolaus Sombart (* 1923) 1984 erinnerte sich Erich Kuby an die Begegnung in einem Münchener Theater des Jahres 1946. Dort habe er die Bekanntschaft eines ihm zunächst querulant erscheinenden jungen Herrn gemacht, der, entgegen der Stimmung des Publikums, die Aufführung kräftig ausgepfiffen habe. Der junge Mann sei Nicolaus Sombart gewesen, und er habe den Entwurf einer Zeitschrift mit dem Titel „Die verlorene Generation" bei sich getragen: „Er erklärte den Titel damit, daß jene, die vor dem Krieg zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, durch den Krieg um jede soziale Entwicklung gebracht worden seien und nun, zwischen dreißig und fünfunddreißig, vor einem Trümmerhaufen stünden, mit der Anklage der Kollektivschuld konfrontiert. Es sei kein Wunder, daß sie ihrerseits die Vätergeneration anklagten.. ." 146 Nur wenige seiner Generation standen derart im Banne dieser Vätergeneration wie Sombart. Der gleichsam alteuropäische Großbürger- und Mandarinen-Haushalt in Berlin, in dem er aufwuchs, war in jeder Beziehung ein Spätausläufer des 19. Jahrhunderts. Freilich trugen nicht allein die Bibliothek seines Vaters und der Salon seiner Mutter Eindrücke übergenug an den einzigen Sohn heran, sondern auch die in ihn von vielen Seiten gesetzten Erwartungen. Dieses Dasein als ,Kronprinz' und potentieller Schwiegersohn inmitten der Berliner „society" fand jedoch mit dem Ausbruch des Krieges und Sombarts Einberufung vorläufig ebenso ein Ende, wie die Spaziergänge mit Carl Schmitt und der Wunsch, Architekt zu werden. Ein stärkerer Kontrast als der zwischen der schöngeistigen Insel seines Vaterhauses und dem Dasein als Obergefreiter war schwer denkbar, und Sombart legte von den Tagträumen, in die sich der Soldat während endloser Wachdienste flüchtete, literarisch Zeugnis ab 147 . Das Gefühl der Verlorenheit und des existentiellen Verlustes148, welches er aus briti146
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Erich Kuby: Aus schöner Zeit (Hamburg/Zürich 1984, S. 56ff). Zu dem Plan dieser Zeitschrift (zusammen mit Alfred Andersch und Friedrich Minssen) s. Volker Wehdeking: Eine deutsche Lost Generation? (in: Literaturmagazin7, 1977, S. 160), auch Stephan Reinhardt: Alfred Andersch (Zürich 1990, S. 131f.): der Titel sei Andersch zu negativ gewesen. Ohne Sombart als Herausgeber erschien seit 1946 „Der Ruf", doch wurde er einer ihrer Beiträger. Die alternativ von Sombart gegründete Zeitschrift „Skorpion" erschien nur in wenigen Nummern. Der Roman „Capriccio Nr. 1. Des Wachsoldaten Irrungen und Untergang" (Frankfurt/M. 1947) erschien in einer Reihe „Begegnung der Generationen" und trug ihm den Goethe-Preis des Ν WDR ein: Ein Wachsoldat, vom eintönigen Dienst und Schlafmangel entnervt, denkt sich in eine Gegenfigur und -weit der verpaßten Gelegenheiten, über welches Gedankenspiel er auf die Idee verfällt, unauffällig zu desertieren; dabei wird er schon nach kurzem in den Armen einer französischen Fremdarbeiterin gestellt; allerlei existentialistische Gedanken werden dabei gewälzt und Anklagen gegen die Vaterwelt geäußert. Vgl. dazu den Leseeindruck Schmitts (Glossarium, Berlin 1991, Eintrag vom 27. Juni 1948, S. 170f.: Er liebe den Jungen, aber: „es kommt nicht viel dabei heraus"). Nicolaus Sombart: Jugend in Berlin (Frankfurt/M. 1986, S.283): „Ich hatte meine Existenz verloren."
6. Nicolaus Sombart
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scher Kriegsgefangenschaft mit nach Hause brachte, war das einigende Band zu den etwas Älteren, mit denen zusammen er die „Gruppe 47" gründete. Es trug jedoch über die Anfangsjahre kaum hinaus 149 . Carl Schmitt hatte mit ihm während ihrer Berliner Spaziergänge das Denken in Gegenbegriffen eingeübt und Sombart sah sich selbst immer wieder inmitten von Einflußsphären gestellt, zwischen denen zu entscheiden den allzu jungen Professorensohn zu dieser Zeit bisweilen überforderte. So wertete er nachträglich seine Entscheidung, sich in die preußisch-protestantisch-professorale Traditionslinie seines Vaters zu stellen und Soziologie zu studieren, als Fehler 150 , der sein rumänisches und „mütterliches" Erbe, das der Kunst, der Architektur und der Psychologie zuneigte, verleugnet habe 151 . Bei Alfred Weber übte er den Blick der geschichtsphilosophischen Kultursoziologie ein, in das sich seine „Schulung" bei Carl Schmitt gar nicht einmal schlecht einpassen ließ. Sein Denken kreiste gleichsam autobiographisch um den Begriff der „Elite" 152 . Zwar geriet er während des Studiums stark in den liberalen Bannkreis Webers, hielt jedoch den Kontakt zu Schmitt aufrecht, ja er wurde Motor eines informellen „Fanclubs", der sich in die Rolle von Partisanen des Weltgeistes 153 stilisierte und wohl schon anfing, in „raunendem" Code zu sprechen. Seine Dissertation über den „Ursprung der Geschichtssoziologie" beim Grafen von Saint-Simon stellte sich zwischen Weber und Schmitt und galt der Bestimmung der Soziologie als Krisen-Phänomen 154 . Er beendete sie eher aus Pflicht denn aus Neigung,
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Sombart galt innerhalb der Gruppe offenbar als deren „enfant terrible" (nach Reinhardt: Alfred Andersch, 1990, S. 171). 150 Sombart (Jugend, 1986, S. 283). 151 Im „Capriccio Nr. 1" (1947, S. 23) heißt es dazu: „Mit der Psychologie ist man verraten wie mit allen anderen Künsten des bürgerlichen Selbstverständnisses. Auf die Mechanik des sozialen Gefüges kommt es an [...]. Sobald man sie durchschaut, wird man sich ihrer Gesetzmäßigkeit auch entziehen können". 152 Über die Gespräche mit Schmitt zu diesem Begriff Sombart (Jugend, 1986, S.243f.); vgl. ders.: Studenten in der Entscheidung (in: Der Ruf, 1. Jg., Heft7,15. Nov. 1946, S. 8): Studenten seien die künftige Elite, und „die Art, in der die Eliten sich bilden und ausbilden, sich erneuern und ablösen, macht das aus, was man landläufig Geschichte nennt". Auch die Überlegungen für ein Habilitationsvorhaben zielten später auf eine soziologische Theorie der Elite (Brief vom 1. Februar 1951, HSTAD RW265-211, Nr. 22). 153 Ausdruck bei Carl Schmitt: Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation (Köln 1950, S. 100, bezogen auf Bruno Bauer). Zu diesem „Fanclub" vgl. Kapitel 5. 154 Eine Kurzfassung „Vom Ursprung der Geschichtssoziologie" erschien im Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie (Heft 4/1955, S. 469—510): Saint-Simon und Comte hätten an einem Entwurf geschrieben: die Revolution beenden hieße die Krise beenden, und dies würde das Ende der Geschichte und die Herrschaft der Soziologen bedeuten. Der scientistisch-technokratische Einstrom sowie der geschichtslose Glaube an Fortschritt und Perfektionibilität habe die Revolution als nur „wissenschaftlich" zu beenden gedacht; dazu bedürfe es einer Superwissenschaft, der Anti-Krisenwissenschaft Soziologie nämlich, die gedacht wird als enzyklo-
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7 Kapitel - Bildungswege
da die Mechanismen einer universitären Karriere seinem künstlerisch-assoziativen Denkstil durchaus zuwiderliefen 155 . Seit Sommer 1950 lektorierte Sombart die „Neue Rundschau" des Fischer-Verlages und versuchte, zusammen mit Hanno Kesting, dort im Sinne des „Fanclubs" Einfluß zu nehmen, was aber mißlang 156 . Im Sommer 1951 schrieb er aus Frankfurt an Schmitt, er habe Waldemar Gurian getroffen, der ihm „ein zweistündiges Abgewöhnungsprivatissimum ueber C. S." gehalten habe: „Ich schwieg b r a v . . . Aber woher wußte er Gibt es eine schwarze Liste auf der ich mit dem Vermerk stehe: ,wird in Gesellschaft von Carl Schmitt angetroffen'" 157 . Der „konspirative Eros" reichte noch bis in die Zeit hinein, als Sombart - nach Aufenthalten in Neapel und Paris 158 - 1954 als Kulturmanager zum Europarat nach Straßburg ging. 1957 regte er die Herausgabe eines „Briefwechsels mit Carl Schmitt" an, in dem die Briefe veröffentlicht werden sollten, die Schmitt seit Kriegsende mit Altmann, Kesting, Koselleck, Scheibert, Schnur, Krauss, Warnach etc. gewechselt hatte; Schmitts Kreis „würde sich damit vor der Geschichte als das fruchtbarste Zentrum deutschen Geisteslebens nach dem Kriege ausweisen, und der wahre Zusammenhang und Zuordnungspunkt unser aller Arbeit wuerde zu aller Gewinn leuchtend sichtbar werden. Wenn ich so bedenke, was alles an Briefwechseln erscheint; — einen intelligenteren Kommentar zum Thema: wie hat man in Deutschland geistig die Niederlage verarbeitet? gibt es ein spirituelles Gegengewicht zum Wirtschaftswunder? koennte ich mir nicht denken!" 159
pädische Zusammenfassung des gesamten menschlichen Wissens in Hinblick auf eine Totalkonzeption der geistigen und sozialen Ordnung der Menschheit in ihrem Endzustand, dem „état final". In ihm übernimmt der Mensch die Regelung seines Geschickes selbständig und nach „Plan" (der die Stelle der Providenz einnimmt); als planend werden die Soziologen selbst gedacht, die hiermit eine imaginäre geistige Herrschaft entwerfen. Das Dissertationsthema war möglicherweise von Schmitt angeregt, der in „Donoso Cortés" (1950, S. 54f.) in Saint-Simon den „epochalen Ansatz" zum geistesgeschichtlichen Denken des 19. Jahrhunderts gesehen hatte. 155 Dennoch riß der Kontakt zur Universität nie ab: 1955 Mitarbeit an der „Einführung in die Soziologie", hg. von Alfred Weber; 1956-60 und 1977/78 Lehraufträge an der Universität Freiburg; 1962 Lehrauftrag an der Hochschule für Gestaltung Ulm; 1980/81 Gastprofessur Universität Wuppertal; 1982/83 Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin. 156 Brief an Schmitt vom 13. Oktober 1950 (HSTAD RW265 -211, Nr. 17). 157 Brief an Schmitt vom 28. Juni 1951 (HSTAD RW265 -211, Nr. 26). 158 Dort studierte er erneut bei zwei „großen alten Männern", nämlich bei Benedetto Croce und Maxime Leroy. Die Aufenthalte verbanden sich mit einer Tätigkeit als Korrespondent. Es folgte 1954 ein Besuch des Harvard International Seminar. 159 Vielleicht, so Sombart geheimnisschwanger, habe Schmitt aber auch alle Briefe vernichtet, was in diesen Zeiten fast das Richtige wäre (Brief an Schmitt vom 5. Februar 1957, HSTAD RW265 -211, Nr. 55). Schmitt hatte Sombart dazu bereits am 10. März 1949 geschrieben: „Die heutige Methode der literarisch-publizistischen Verwertung aller Einfälle, die Fruktifi-
6. Nicolaus Sombart
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In der Verwaltung der entstehenden europäischen Gemeinschaft (u. a. als „Kollege" Alexandre Kojèves) blieb er seinen geschichtssoziologischen Interessen treu, rezipierte die in den 50er und 60er Jahren umläufigen modernistischen Modelle kultureller und geschichtlicher Entwicklung (Cournot, Julian Huxley, Teilhard de Chardin, Hans Freyer etc.) - jeweils mit Rückbezug auf die Klassiker der soziologischen Theorie und war mit seinen Stellungnahmen aus globaler oder gar planetarischer Perspektive ein gerngesehener Gast bei Diskussionsveranstaltungen 160 . Die Begriffe „Krise" wie „Planung" gewannen dabei leitmotivische Bedeutung 161 und kumulierten — Schmitt aufgreifend — in der Diagnose der Herausbildung eines „neuen Nomos der Erde", in dem Regionen strukturierende Bedeutung erlangten 162 . Später gab Sombart zu, sich während dieser Zeit im Geiste Webers zunehmend von Schmitt gelöst zu haben 163 - der Patriot im Zeitalter des Weltbürgerkrieges wurde zu einem Partisanen des verdrängten Erbes der Psychoanalyse: „Wir wissen, daß der Chiliasmus in Zeiten der Not floriert und schließlich alle Geschichtsphilosophie auf der Bemühung beruht, eine Niederlage in einen Sieg umzuwandeln. Dabei kommt doch alles darauf an, die Ursachen der Niederlage zu begreifen." 164 In dieser Erforschung sah er die Schicksalsfrage seiner Generation 165 und - die Brechungen des eigenen Bildungsweges mitreflektierend — fand er nach einigen Vorläufen endgültig in Carl Schmitt diejenige Figur, an der sich das „deutsche Schicksal" exemplarisch nachverfol-
zierung des eigenen Briefwechsels, die Ökonomie der schon bei der Niederschrift zum Druck bestimmten Tkgebücher, das zerstört alle guten Möglichkeiten eines Briefwechsels" (Glossarium, 1991, S. 225). 160 So auch mehrfach im Bergedorfer Gesprächskreis. Sombart wurde Gründungsmitglied der deutschen Gesellschaft für Zukunftsfragen. 161 Vgl. auch Nicolaus Sombart: Planung und Planetarisierung (in: Wege ins neue Jahrtausend, München/Wien/Basel 1964, S. 35ff.). 162 S. Nicolaus Sombart: Krise und Planung. Studien zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Selbstverständnisses in der globalen Ära (Wien/Frankfurt/Zürich 1965). Die Anleihen an Konzepte Schmitts gingen hierbei eine Verbindung zu „Mitteleuropa"-Konzeptionen ein. 163 Auskunft Nicolaus Sombart - Ein Freund schrieb im Dezember 1956 an Schmitt: „Sie schreiben, daß — nach dem Besuch von Niko Sombart zu urteilen — ,die jungen Leute ihre eigenen Wege gehen'. Was ist darunter zu verstehen? Mir scheint, daß gerade N. Sombart ,ein Kapitel für sich' ist und immer eine gewisse Extravaganz zur Schau trägt, womit ich nicht sagen will, daß er mir darum weniger gefiele, sondern nur: daß er vielleicht nicht als ,Typus' der ,Jungen' genommen werden kann. Hab' ich recht?" (HSTAD RW265-35, Nr. 166). 164 Nicolaus Sombart: Patriotische Betrachtungen über die geistesgeschichtliche Bedeutung von Ernst Jüngers ,Arbeiter', anläßlich der Neuauflage 1964 (in: Frankfurter Hefte, 1965, S. 390—400, hier S. 400). Für das Verständnis des „Patriotismus" auch ders.: Patriotismus im Welt-Bürgerkrieg (in Gerhard Szczesny (Hg.): Der Zeitgenosse und sein Vaterland. Eine Vortragsreihe des Bayrischen Rundfunks, München 1957, S. 31-51). 165 Ebd., S.390 sowie: Wir sind mit Hitler noch lange nicht fertig (in ders.: Nachdenken über Deutschland, München 1987, S. 175-185).
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7 Kapitel — Bildungswege
gen ließ. Dabei gestand er offen ein, daß sich dem Spätwilhelminismus und Carl Schmitt als dessen Erbe 166 zu nähern nicht nur bedeutete, eigene „Familiengeschichte" zu schreiben 167 , sondern sich gewissermaßen selbst auf die Couch zu legen. Sombart nahm hierbei Schmitt insofern beim Wort, als dieser selbst ja sein Schicksal zu dem Deutschlands insgesamt parallelisiert hatte und seine beispielhafte Rolle in verschiedenen Klischees mystifizierte168. Hatte Sombart im Juli 1951 noch geschrieben: „Durch einen alten Vater habe ich ein besonders zärtliches Verhältnis zu den greisen Veteranen einer unwiderruflich verlorenen Zeit. Als einer der wenigen meiner Generation verstehe ich ihre Sprache noch und weiß, wie unendlich viel sie uns zu erzählen haben. Dinge, die wir nur von ihnen erfahren können — wie lange noch? Mit dem Verlust eines jeden stehen wir verlassener da in unserer Ignoranz" 169 , klagte er 1968 über die „Prädominanz einer Generation von überlebenden Greisen" (und hier nahm er Alfred Weber nicht aus), die den Blick auf die eigentliche Problematik verstellt habe 170 . In der Analyse der historischen (= väterlichen) Übermacht der konservativen deutschen Führungsschicht und ihrer intellektuellen Wortführer gelangte Sombart zur methodisch wie inhaltlich bislang radikalsten Lesart des Schmittschen Gesamtwerkes. Demnach vollziehe sich Carl Schmitts Denken in Etappen immer aussichtsloserer Rückzugsgefechte und sei typisch für das Selbst- und Zeitverständnis einer bestimmten Kategorie deutscher Männer zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos. Aus Angst vor dem Chaos sei dabei der Typus des Soldaten gegenüber dem des Bürgers übersteigert worden. Diese Deutung Schmitts als Repräsentant eines Fetischismus der Entschiedenheit wäre auf Zustimmung auch bei „Schmittianern" getroffen, hätte Sombart nicht die Deutung weitergetrieben, in Freudscher Manier auf Sexual- und Aggressionsantriebe focussiert und eine Wende postuliert, die Schmitt vom „Land" zum „Meer", vom Soldaten zu Hamlet, vom Männlichen zum Weiblichen wechseln ließ. Mit dem Ende der Ära Adenauer sei die Lebenszeit der dritten wilhelminischen Genera166 Nicolaus Sombart: Erbe des zweiten Reiches. Der politische Theoretiker Carl Schmitt (in: Die Welt vom 9. Juli 1988). 167
So in seiner Besprechung von Martin Green: Frieda und Else, die Richthofen-Schwestern (Gruppenbild mit zwei Damen. Zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Eros im wilhelminischen Zeitalter, in: Merkur 341, 1976, S. 972-990, hier S. 973). 168 Zur Figur des Benito Cereño vgl. Sombart: Benito Cereño - ein Mythos? - Ein erdachtes Gespräch (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 253, vom 30. Oktober 1954). !69 Nicolaus Sombart: Tage in Neapel (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juli 1951, S. 4): über die Neapolitaner Vico und Croce: „Wenn die Geschichtsschreibung die Sache der Sieger ist, so ist die Geschichtsphilosophie zweifellos das Vorrecht der Besiegten. Ihre Erfahrung schürft tiefer." Eine ähnliche Biographie und einen ähnlichen Bildungsweg zwischen Philosophie und Soziologie nahm der ebenfalls mit Schmitt seit Jugendtagen bekannte Heinrich Popitz (Sohn von Johannes Popitz). 170 Nicolaus Sombart: Vom Historismus zur Psychoanalyse (in: Merkur243, Juli 1968, S.651, wiederabgedruckt in ders.: Nachdenken, 1987, S. 203-213).
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7 Hanno Resting
tion aber abgelaufen, so Sombart. Der Äon der Männerherrschaft sei damit vorüber: „Neue Eliten, die von den Depressionen der Intellektuellen und ihren Lamentationen nicht betroffen sind, weil sie nicht mehr lesen, schaffen sich hoch über deren Köpfen neue Räume der Freiheit, des Luxus und der Lust. Die Geschichte ist alles andere als zu Ende..." 1 7 1
7. Hanno Resting
(1925-1975)
Der zwei Jahre jüngere Hanno Kesting repräsentierte eine Gruppe bundesdeutscher Soziologen, die den Grundlagen ihrer Wissenschaft zutiefst ambivalent gegenüberstanden. Er entstammte einem bescheideneren Haushalt als Nicolaus Sombart. Zu seinem Vater freilich, NS-Gegner und Autodidakt mit großer Bibliothek, fühlte auch er sich trotz aller in ihn gesetzten Erwartungen und trotz des musischen Klimas des Hauses in Opposition. Laut Angaben seiner Schwester Marianne war Kesting „kein einfacher Charakter", er habe seinen Oppositionsgeist gepflegt und sei sogar aus der HitlerJugend geflogen. Gerade noch alt genug, regulär gezogen werden zu können, wurden ihm das Kriegserlebnis grausamer Normandie-Schlachten sowie die Erfahrungen während seiner anschließenden (vierjährigen) Kriegsgefangenschaft zum Katalysator seines pessimistischen Menschenbildes. Aus Sekurität und weltferner „Bildung" gerissen, unerfahren und daher mit großen Verlusten, kamen seine Jahrgänge mit dem Bewußtsein nach Hause, als einzige überlebt und Brutalitäten von bisher unbekannten Ausmaßen erlebt zu haben. Eine der Reaktionen darauf war für viele das drängende Bedürfnis nach geistiger Verortung im großen, geschichtsphilosophischen Stil, einer Verortung, die weit über Fragehaltungen, wie „1933" möglich war, hinausging. Für kurze Zeit, noch während der englischen Gefangenschaft, studierte er Theologie, um sich kurz nach seiner Entlassung in Heidelberg für Soziologie, Philosophie und Geschichte einzuschreiben - den „Orientierungswissenschaften", deren damaligen Kanon er sich in kürzester Zeit aneignete. Etwa 1948 machte er über die mit dem Hause Kesting befreundete Studienrätin Marie Stewens, bei der er sich Bücher zu leihen pflegte, die Bekanntschaft Carl Schmitts und seiner Werke. Der Eindruck war um so nachhaltiger, als er sich inzwischen in Heidelberg mit Nicolaus Sombart angefreundet hatte. Mit diesem konnte er sich über die Bedeutung, die Schmitts Theoreme in der Folge für ihn bekamen, leicht verständigen. Auch von der Person des Gelehrten war er stark fasziniert. Am 8. März 1950 schrieb er an Schmitt: „Es ist mir lange deutlich, dass es Grade und Dimensionen des Wissens gibt, von denen der Normalmensch keine Ahnung hat und das ihm als die verkehrte Welt erscheinen würde. Und ich werde die Nacht nicht vergessen, in der es mir in einem stundenlangen Gespräch gelungen ist, Freund Sombart zu überzeugen, dass eben hier der entscheidende Unterschied zwi171
Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos (München 1991, S. 370).
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7 Kapitel -
Bildungswege
sehen Ihnen und Alfred Weber liegt, dass er von unten macht oder zu machen sich bemüht, was Sie von oben, mit dem Wissen des Eingeweihten machen. So etwa ist es doch, das begreife ich mehr und mehr, seitdem sich mir der Raum eröffnet, den Sie durch die Kraft Ihrer Konzeptionen beherrschen. Wenn irgendjemand, so sind Sie der geheime Principe im unsichtbaren Reich deutscher Geistigkeit - ganz einfach, weil Sie, mit Hegel zu reden, unser aller Avancierriese sind." 172 Alfred Weber, der sich durchaus um die Förderung seines Kreises bemühte 173 und von der Art der Geschichtsbetrachtung her das Interesse Kestings einzunehmen verstand, blieb denn auch ohne nachhaltigen Einfluß auf ihn. Schmitt verstand es, den jungen Freund auf seine Weise zu protegieren. 1949 brachte er Hans Paeschke gegenüber, der Schmitt für die Übersetzung von Karl Löwiths „Meaning in History" hatte gewinnen wollen, Kesting ins Spiel. Aus den ursprünglich geplanten wenigen Abschnitten wurde eine Gesamtübersetzung, an der Kestings Kommilitone Reinhart Koselleck (ohne als Mitübersetzer aufzutreten) maßgeblich beteiligt war. Auch Koselleck machte wenig später Schmitts Bekanntschaft und geriet wie Kesting zunehmend in den Sog der von Schmitt angeregten Perspektive auf den Ursprung der Moderne. Beider Dissertationen, im Falle Kestings ursprünglich mit dem Geschichtlichen bei Heidegger befaßt, wandten sich unter dem Einfluß Schmitts dem Begriff der „Krise" zu. Kestings bei Franz Josef Brecht und Hans-Georg Gadamer eingereichte Arbeit „Utopie und Eschatologie. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts" 174 deklinierte für die Geschichtsphilosophie durch, was Sombart für die Soziologie und Koselleck für das politische Denken nachgewiesen hatten: die v. a. im 18. Jahrhundert stattfindende Säkularisierung des Denkens in eine Fortschrittserwartung hinein, deren utopisches Element jedoch nach der Analyse Schmitts den Keim des Totalitären in sich berge. Die Entstehung moderner Öffentlichkeit, so Kesting, sei von einem allgemeinen Bewußtsein der Krise begleitet, dem darauf reagierenden humanitären Pathos der Aufklärung aber folge eine hemmungslose Moralisierung des Politischen, die den Staat von innen zersetze und ihm nach und nach jeglichen Handlungsspielraum beschneide. Die Balance von Schutz und Gehorsam, Merkmal des den konfessionellen Bürgerkrieg überwindenden Staates, zerbreche, Partikularinteressen brächen sich Bahn, auch wenn es dem liberalen Parlamentarismus für eine gewisse Zeit gelinge, sie zu neuer Balance zu bringen. Die Geschichtsphilosophie erhalte in dieser Situation die Funktion eines legitimierenden Instruments, indem sie eine Zukunftserwartung formuliere, die auf die 172 Brief an Schmitt vom 8. März 1950 ( H S T A D R W 2 6 5 - 1 2 2 , Nr. 8). 173
174
Unter anderem durch die Veröffentlichung der von Alfred Weber herausgegebenen „Einführung in die Soziologie" (München 1955), in der Kesting den Abschnitt zu Marx übernahm. Heidelberg 1952. D i e Arbeit blieb unveröffentlicht, eine Essenz daraus erschien als Aufsatz (Utopie und Eschatologie. Zukunftserwartungen in der Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Heft 2/1954, S. 2 0 2 - 2 3 0 ) , daraus das Folgende.
7. Hanno
Kesting
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Überwindung der Krise und einen Endzustand der Geschichte ziele, deren Urteil das göttliche ersetze: „Damit ist die Theologie in Utopie aufgelöst und der Weg frei für eine neue Konzeption der Welt, für die Welt als Geschichte und schließlich für die Erfahrung des Seins als Zeit." 175 Schmittsche Begrifflichkeit setzte sich in Kestings Analyse fort: „Mit dem Marxismus entlarvt sich die Geschichtsphilosophie als Bürgerkriegsphilosophie. [...] Daher ist das Hauptwerk von Marx, Das Kapital, weitgehend eine Lehre vom Feind, der entlarvt und ins Unrecht gesetzt werden soll. [...] Wo Massen im Spiele sind, wird zunächst die revolutionäre und schließlich alle Legitimität eine Prämie der Zukünftigkeit; am Ende gilt als legitim, wer zu überleben verheißt." 176 Mit Tocqueville werde der Beginn des europäischen Bürgerkrieges diagnostiziert als Widerstreit zweier geschichtsphilosophischer Systeme, die sich zunehmend in eine politische Eschatologie radikalisierten. Die Tradition der Gegenrevolution, am ausgeprägtesten bei Donoso Cortés, suche nach einer politischen Theologie, der gegen allen Optimismus geschichtsphilosophischer Systeme die böse Natur des Menschen Faktum und Ausgangspunkt aller Politik darstelle. Allein eine kommissarische Diktatur vermöge die weit gefährlichere Diktatur der Auflehnung zu verhindern: „Das Widerfahrnis zweier Weltkriege und ihrer Folgen hat dieser gegen die Aufklärung gerichteten Weltansicht eine allgemeine Evidenz erzwungen." 177 Kestings Zeiterfahrungen verdichteten sich in dieser, im Alter von 27 Jahren abgeschlossenen Dissertation. Sie hatte v. a. in Schmitts Nachkriegsanalysen, im „Nomos der Erde" und „Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation" 178 , in „Historiographia in nuce: Alexis de Tocqueville" und „Drei Stufen historischer Sinngebung" Schmitts Besprechung des Löwith-Buches in „Universitas" - wichtige Anregungen erhalten. Kesting hatte Schmitts „Gegenkanon" in kürzester Frist rezipiert und in beeindruckender Weise zu einer Geschichte der Geschichtsphilosophie komponiert. Ein von Schmitt 1957 angeregter Vortrag Alexandre Kojèves vor dem Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Klub beeindruckte Kesting derart, daß er, inzwischen an der Dortmunder Sozialforschungsstelle der Universität Münster beschäftigt 179 , das Thema erneut in Angriff nahm. 1959 erschien „Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der französischen Revolution bis zum Ost-West-Konflikt" und blieb innerhalb seines schmalen veröffentlichten Werks sein umfangreichstes und wichtigstes Buch. Es breitete eine auf den Thesen seiner Dissertation beruhende ungeheure i " Ebd., S. 207. 176 Ebd., S. 214f. 177 Ebd., S. 229. 178 Über Donoso Cortés schrieb Kesting später erneut: Die Katholiken und die Revolution: Juan Donoso Cortés (in Klaus von Bismarck/Walter Dirks (Hg.): Christlicher Glaube und Ideologie, Stuttgart/Berlin/Mainz 1964, S. 4 7 - 5 0 ) . 179 Die Empfehlung Kestings an Gunther Ipsen war gleichfalls durch Schmitt erfolgt.
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7. Kapitel — Bildungswege
Belesenheit aus und führte die Beweisführung vom 18. Jahrhundert bis in die 50er Jahre der Gegenwart 180 . Der Zweite Weltkrieg erschien darin als ein von den Bolschewisten bewußt und den Amerikanern unbewußt in einen Kreuzzug verwandelter Bürgerkrieg. Die Partei des ,Menschen' sei gegen die des ,Unmenschen' aufgetreten und habe dabei die Unterscheidung von Feind und Verbrecher aufgehoben. Nachdem in der Nachkriegszeit die Chancen einer „dritten Position" verspielt worden seien, würden heute Auffassungen, die geeignet wären, die Bürgerkriegsparteien und -parolen zu überwinden, nur noch von Einzelwissenschaftlern („denkenden Spezialisten") vertreten. — Zusammen mit der im selben Jahr veröffentlichten Dissertation Kosellecks: „Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt"181 wurde das Buch Kestings als „Doppelschlag" einer von Schmitt inspirierten Geschichtsdeutung gelesen 182 , die nach der „Rolle des Politischen in der Neuzeit" frage 183 . Wie Nicolaus Sombart trieb auch Kesting „Das Problem der Elite und die Frage nach der Herrschaft" um. Pareto, Sorel, Gaetano Mosca und Robert Michels waren seine Kronzeugen für den Prozeß, bei dem die Herrschaft „vom Staat in die Hände der Gesellschaft gerät, sich dabei dezentralisiert, parzelliert, pluralisiert, vor allem aber unsichtbar wird". Auch die Bundesrepublik befinde sich „an einem Punkt, wo nur das Wissen um die konkurrierenden und sich beeinflussenden Herrschaftsgruppen die Politik verständlich macht" - in dieser Feststellung dürfe weder „Zynismus" noch „Macchiavellismus" gewittert werden 184 . Der berufliche Weg Kestings vollzog sich derweil über Umwege: seit 1952 wirkte er an der Sozialforschungsstelle an empirischen Erhebungen zur Industriesoziologie mit, deren Ergebnisse 1957 veröffentlicht wurden 185 . Für kurze Zeit versuchte er sich in tagespolitischem Engagement und wurde Stadtverordneter der FDP in seinem Heimat180 Auch dieses Werk basiert wohl auf einer von Schmitt gegebenen Anregung (s. Schmitt: Donoso Cortés, 1950, S.94f.). 181
Die Arbeit mit dem ursprünglichen Titel: Kritik und Krise. Eine Untersuchung zur Entstehung des dualistischen Weltbildes im 18. Jahrhundert (Heidelberg 1952) ist gleichfalls stark von Schmitt beeinflußt, der Titel „Kritik und Krise" findet sich in: Schmitt (Donoso Cortés, 1950, S. 100). Ohne Namensnennung druckte die Suhrkamp-Taschenbuchausgabe einen Satz aus der lobenden Besprechung Schmitts in „Das Historisch-Politische Buch" auf den Einband. 182 So Kurt Schilling (in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 1960, S. 147-153), Peter Scheibert (in: Jahrbuch für Geschichte Osteuropas, NF 12/1964, S. 460) sowie Jürgen Habermas (Verrufener Fortschritt - verkanntes Jahrhundert. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie, in: Merkur 147, Heft 5/1960, S. 468—477), der gar schrieb: „Immerhin sind wir dankbar, von so gescheiten Autoren zu erfahren, wie Carl Schmitt, ein so denkender Spezialist, die Lage heute beurteilt" (S.477). Dieser Passus wurde in einer späteren Veröffentlichung (Habermas: Kultur und Kritik. Verstreute Aufsätze, Frankfurt/M. 1973, S. 355 - 3 6 4 ) gestrichen. 183 Schilling (1960, S. 153). 184
185
Hanno Kesting: Sammel-Rezension (in: Soziale Welt, 1954/55, S.93f.). Kesting deutet hier ganz „schmittianisch", vgl. dessen „Geistesgeschichtliche Grundlagen des heutigen Parlamentarismus". Vgl. auch Kesting: Herrschaft und Knechtschaft (Freiburg 1973). „Das Gesellschaftsbild des Arbeiters" und „Technik und Industriearbeit" (1956), bearbeitet
7 Hanno Resting
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ort Wetter an der Ruhr 186 . 1958 wurde er als Dozent für Soziologie an die Hochschule für Gestaltung in Ulm berufen, stieg dort 1960 wieder aus, um für ein Jahr das Kulturressort der „Frankfurter Rundschau" zu leiten. Gleichzeitig fand er immer stärkeren Anschluß an Arnold Gehlen und dessen Anthropologie. Wie Gehlen, der Kesting 1962 als seinen Assistenten an die Technische Hochschule nach Aachen holte und ihm die Möglichkeit zur Habilitation bot, wandelte er als Philosoph auf dem Feld der Soziologie, weil die „Wirklichkeitswissenschaft" gegen Metaphysik und utopische Spekulation zu stehen versprach. In Aachen traf Kesting auf Friedrich Jonas, einen nur unwesentlich jüngeren und vom gesamten Zuschnitt, seinen Interessen und seinem Werdegang her vergleichbaren Gelehrten. In beide setzte Gehlen große Erwartungen und sah in ihnen seine potentiellen „Nachfolger" 187 . Jonas, der in lockeren Kontakt zu Schmitt trat, schien diese Hoffnungen zu bestätigen: seine Habilitationsschrift über „Die Institutionenlehre Arnold Gehlens" (1966) wie seine vierbändige „Geschichte der Soziologie" (1968/69) nährten Erwartungen, die durch einen tödlichen Autounfall im Dezember 1968 ein jähes Ende fanden. Auch Kesting habilitierte sich, seine Schrift über „Öffentlichkeit und Propaganda", ein AntiHabermas, blieb jedoch ungedruckt. Dennoch wurde er 1968 als Ordinarius an die Universität Bochum berufen, wo er sogleich auf heftige Widerstände aus den Reihen der Studenten stieß 188 . Über diese Auseinandersetzungen mit den „Linken" konnte er sich in immer bitterer werdenden Briefen mit niemandem ungeschützter verständigen als mit Gehlen 189 .
von Heinrich Popitz, Hans Paul Bahrdt, Ernst August Jiires und Hanno Kesting. Bahrdt war wie Kesting Mitglied im Kreise Alfred Webers gewesen. 186 Laut Aussage seiner Schwester stand Kesting parlamentarischer Demokratie zwar skeptisch gegenüber, versuchte hier aber noch, ihr gegen ihre Auswüchse wie Korruption etc. zu helfen (Auskunft Marianne Kesting). 187 So Armin Möhler: Ein harter Herr (in: Criticón 113, Mai/Juni 1989, S. 126-128; vgl. auch das Autorenporträt Gehlens von Kesting in: Criticón 1,1970, S. 4f.). 188 Vgl. „Dokumentation der Fachschaft Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum zur Berufung von Dr. Hanno Kesting auf den dritten Lehrstuhl für Soziologie an der Abteilung für Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum" (HSTAD RW265-196, Mat.-Nr.3)-, in der gemutmaßt wurde, „daß hier eine bestimmte politische Richtung versucht, sich selbst zu reproduzieren" (S. 2); ein Vortrag Kestings in Bochum vom 24. Oktober 1967 („Gibt es einen Fortschritt der Völker?", was Kesting verneinte) wurde analysiert, sein fehlender Fortschrittsglaube und „einseitige Voreingenommenheit für Länder klerikalistisch-restaurativer Prägung, die noch dazu in mindestens zwei Fällen — Spanien und Portugal — dem Faschismus nahestehende Diktaturen sind" (S.4), konstatiert und Kesting in einem offenen Brief aufgefordert, seinen Ruf nicht anzunehmen: „Zum Beispiel führt Sie Ihre Orientierung an Hans Freyer und Arnold Gehlen zur pauschalen Abqualifizierung jeglichen Fortschritts als Ideologie, die ungerechtfertigt moralische Ideen in die Politik einträgt..." (S. 5). Auch seine Berufung auf Carl Schmitt in „Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg" wurde ihm vorgehalten. 189 Auskunft von Karl-Siegbert Rehberg.
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7. Kapitel — Bildungswege
Seines Lehramtes wurde Kesting nie recht froh. Seine letzte Veröffentlichung in der Festschrift seines Lehrers Gehlen setzte sich noch einmal mit der These von der Unausweichlichkeit von Herrschaft wie dem Wandel der Eliten auseinander 190 . Kesting starb 1975 an den Folgen einer Operation.
8. Hermann Lübbe (* 1926) Es gibt gute Gründe dafür, in Hermann Lübbe - neben Jürgen Habermas - den präsentesten deutschen Philosophen zu sehen. Zur Zeit seiner Emeritierung an der Universität Zürich kann er auf ein umfangreiches Werk zurückblicken, das nur wenige Bereiche der politischen und praktischen Philosophie unbearbeitet ließ und starke öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr 191 . Ob er auch einer der eminentesten Philosophen sein wird, ist heute nicht entscheidbar, doch ist wahrscheinlich, daß Lübbe aus grundlegender Skepsis gegenüber Kanonbildüngen aller Art dieses Prädikat nie angestrebt hat. Der 1926 in Ostfriesland geborene Lübbe begann als 19jähriger sein Studium der Theologie, Philosophie und Sozialwissenschaften, wechselte in akademischer Tradition während seiner Studien- und Assistentenjahre mehrfach die Universitäten, promovierte 1951 in Freiburg und habilitierte sich 1956 in Erlangen. Seine ersten Veröffentlichungen standen unter den Zeichen einer Aneignung philosophischer Grundlagentexte: Piaton, Hegel, Heidegger, Kant, Husserl und Marx, ehe unter dem Einfluß von Joachim Ritter und seinem Münsteraner Kreis seine Themen politischer, seine Stellungnahmen immer aktueller wurden. Einem ironischen Wort seines Freundes, des Philosophen Odo Marquards, zufolge komme Hermann Lübbe immer einen Tag früher an — und zwar auch dann, wenn man mit ihm im selben Flugzeug fliege192. Diese sich darin äußernde Bewunderung für Lübbes hohe „intellektuelle Taktfrequenz" basierte auf dessen Fähigkeit, Tagesaktualitäten zum Ausgangspunkt philosophischer und politiktheoretischer Analysen zu machen, deren historische Durchdringung ebenso beeindruckte, wie seine eingängige Stilistik und seine Nominalkonstruktionen verblüfften. Beides, der begriffsphilosophische Ansatz und die historische, politische und theologische Rasterung tagesaktueller Phänomene 193 , trafen sich mit der im Ritterschen Seminar eingeübten Perspektivik und ließen zugleich die Bekanntschaft eines Carl Schmitt bei Lübbe, für diesen Kreis in vielem exemplarisch, fruchtbar werden. 190
191
192 193
Hanno Kesting: Simon Nicolas Henri Linguet (in Ernst Forsthoff/Reinhard Hörstel (Hg.): Standorte im Zeitstrom. Festschrift für Arnold Gehlen zum 70. Geburtstag, Königstein 1974, S. 145-162). Vgl. sein Schriftenverzeichnis in der Festschrift (Heinz Kleger/Georg Kohler (Hg.): Diskurs und Dezision, Wien 1990, S. 3 7 3 - 3 8 8 ) . Odo Marquard: Redebeitrag (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S.442). Exemplarisch wurde dieser Ansatz durchgeführt in: Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs (Freiburg 2 1975, zuerst 1965).
8. Hermann Lübbe
277
Lübbe, der den konservativen Revolutionären 194 und der Hegeischen Rechten 195 ebensowenig zuneigte wie den utopischen Sozialisten196, besteht demgegenüber bis heute auf einer Kennzeichnung als ausgemachter Liberaler, der sich darüber hinaus zu durchaus eklektizistischer Aneignungsweise bekennt 197 . Auf welche Weise Schmitt im Ritter-Kreis „liberal rezipiert" wurde, darüber hat er selbst Auskunft gegeben: „Es war eine Lesart, die sich für eine Generation nahelegte, die aus Altersgründen sich einem Spruchkammerverfahren nicht mehr zu unterwerfen gehabt hatte, die entsprechend, mit der ,Gnade der späten Geburt' ausgestattet, für praktisch-politische Engagements bei der zweiten parlamentarischen deutschen Demokratie frei war, zum Beispiel in die neuen Parteien eintrat oder auch für politische Wahlkörperschaften kandidierte." 198 Das nach dem Prinzip „Erfahrung" (nicht „Hoffnung") organisierte Bewußtsein habe sich - anti-totalitär in der Methode - anhand Schmittscher Diagnosen gegen mögliche Einbruchstellen von Totalitarismen zu wappnen versucht. Ein Anti-Liberaler wie Schmitt habe die Schwächen des Liberalismus schonungslos offenbart. Der von Hobbes übernommene Satz „Auctoritas, non Veritas facit legem" habe, gegen den Strich gelesen, die Leistung des modernen säkularisierten Staates beschrieben, kraft seiner friedensstiftenden Autorität einen Freiraum subjektiver Gewißheiten zu garantieren, der die potentiell sich radikalisierenden konfessionellen Bürgerkriege aus der Sphäre des Öffentlichen verbannt. Diese von letztgültigen Wahrheiten entpflichtete staatliche Dezision setze zugleich eine von öffentlichem Gewissenszwang befreite Subjektivität frei 199 . Lübbes gleichsam „evangelisches" Staatsver-
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Hermann Lübbe: Die resignierte konservative Revolution (in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 115.Bd., 1959, S. 131-138), in einer Kritik an Freyers „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters", deren hier und dort ins Zynische hinüberschlagende Distanz zur Moderne, besonders zu den Erträgen von Demokratie, Liberalismus und Technik schien jemandem wie Lübbe keine Alternative mehr; v. a. der von Freyer erweckte Eindruck von der Fatalität der geschichtlichen Lage wurde von Lübbe als Theorie kritisiert, die ausschließlich die Gegenrechnung aufmache.
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Die Hegeische Rechte. Texte aus den Werken von E W. Carové und anderen, ausgewählt und eingeleitet von Hermann Lübbe (Stuttgart 1962). Dazu Hermann Lübbe: Politische Philosophie in Deutschland (Basel 1963). „Man verhielt sich zum Werk Carl Schmitts, sozusagen, eklektisch, nämlich nach der Paulinischen Regel, daß alles zu prüfen und das Gute zu behalten sei" (Lübbe, in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 429); dazu gehört bei Lübbe, daß die Rezeption ohne den Durchlauf durch das „Faszinosum" und frei von jeder Überidentifikation mit Schmitt verlief. Ebd., S. 429. Biographische Hinweise auch in ders.: Verdrängung? Über eine Kategorie zur Kritik des deutschen Vergangenheitsverhältnisses, (in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hg.): Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1988, S. 217-228) und in der anschließenden zusammenfassenden Diskussionsbemerkung (S. 229-237). Lübbe wurde zu einem Protagonisten der Debatte um die sog. Zivilreligion (vgl. Heinz Kleger/Alois Müller (Hg.): Religion des Bürgers, München 1986). Zum Gewissen (auch in
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ständnis kehrte Schmitts Bewertung aber kurzerhand um: „Carl Schmitt [...] hatte die Genesis des Liberalismus plausibel beschrieben; es blieb lediglich nachzuholen, diese Genesis zu bejahen."200 Diese Lesart, so Lübbe weiter, sei aus der Erfahrung erwachsen, daß moderne Gesellschaften „sich entweder totalitär strukturieren oder rigoros die Menge der religiösen, weltanschaulichen, ideologischen, auch moralischen Gehalte reduzieren müssen, die jedermann als verbindlich angesonnen werden können"201. Es gebe Bereiche (dies sagte er gegen Habermas), die öffentlichem Diskurs vorenthalten, „die zwingender Argumente entraten und einer verbindlichen Diskussion unzugänglich" blieben202. Nur das Prinzip „Mehrheit statt Wahrheit" garantiere den Erhalt demokratischer Strukturen. Dieses Interesse, „Bürgerfreiheit" gegen den Zugriff organisierter Gruppenmacht durch Rechtlichkeit, den Respekt vor Institutionen und ihre Verfahren zu immunisieren, habe nach Lübbe in den 50er/60er Jahren durchaus ein Oppositionsgefühl gegen den Zeitgeist erzeugt203. Nicht Gesinnung, nicht Konfessionalismus, nicht Parteilinientreue oder Klassenkämpfertum, sondern ein reformwilliger und -fähiger „starker" Staat bildete die Zielvorstellung204. Lübbe war zu praktischem Engagement für einen solchen Staat bereit, wie Joachim Ritter und Helmut Schelsky beteiligte er sich in einer Phase hochschulpolitischer Euphorie205 an den Universitätsgründungen in Bochum und Bielefeld und versah ab Hinblick auf das Recht zur Kriegsdienstverweigerung): Hermann Lübbe: Zur Dialektik des Gewissens nach Hegel (in Friedhelm Nicolin/Otto Pöggeler (Hg.): Heidelberger Hegel-Tage 1962 (Hegel-Studien, Beiheft 1), Bonn 1963, S. 247-261). zoo Lübbe (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S. 431f.). 201 Ebd., S. 432. 202 Habermas hatte dies dem Dezisionismus vorgehalten. Nicht ohne untergründige Genugtuung verwies Lübbe in Speyer 1986 auf den von Ellen Kennedy geführten Nachweis der angeblichen Beeinflussung Habermas' durch Schmitt. Die Herausgeber der Festschrift für Lübbe, Heinz Kleger und Georg Kohler, bemerken dazu (Diskurs und Dezision, Wien 1991, Einleitung S. 11-32), Lübbe und Habermas seien Exponenten von biographisch ähnlich fundierten Versuchen eines Verfassungspatriotismus, der eine nach links, der andere nach rechts integrierend. 203 Lübbe nennt etwa das Jugendwohlfahrtsgesetz als „Objekt nicht zuletzt schmittianisch inspirierter Opposition" (in Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S.438). 204 Zur ersten Ausgabe der nach Lübbe in diesem Sinne gegründeten Zeitschrift „Der Staat" steuerte er einen Aufsatz „Zur politischen Theorie der Technokratie" bei (Der Staat, 1. Jg., Heft 1/1962, S. 19—38). Beim Wiederabdruck dieses Aufsatzes (Theorie und Entscheidung, Freiburg 1971) merkte Carl Schmitt in seinem Exemplar zum Stichwort „Sachzwang" an: „Vom Sachzwang diktiert, zum Teufel geführt, unter Sachzwang stehen wir alle, unter Sachzwang stand auch Adolf Hitler, Problem: sich in den engen Fesseln des Sachzwangs die Denkfreiheit zu retten und einen Freiheitsraum f. Gedankenfreiheit zu finden" (ebd., S. 53, HSTAD RW265—481). 205 Begriff von Lübbe (in: Aufbau nach dem Wiederaufbau. Ein Rückblick auf die Gründung der Ruhr-Universität, in: Universität und Politik. Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Ruhr-
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1966 für die SPD das Amt eines Staatssekretärs für Hochschulpolitik im nordrheinwestfälischen Kultusministerium. 1963 wurde er noch vor der Eröffnung nach Bochum berufen, 1969 nach Bielefeld. U m 1970 war jegliche Euphorie verflogen, Lübbe schied im Dissens aus seinem politischen Amt 2 0 6 , wurde statt dessen Mitbegründer des „Bundes Freiheit der Wissenschaft" und wechselte 1971 an die Universität Zürich. Ausschlaggebend für den Stimmungswandel war die von Lübbe als Re-Ideologisierung, Moralisierung und Utopisierung empfundene Protestbewegung, die von denselben Universitäten ausging, deren Problemdruck zu beseitigen Lübbe angetreten war. Sein vor dem Hintergrund der späten Adenauer-Zeit entfalteter Reformismus war davon zu seinem Entsetzen derart weit „links" überholt worden, daß wie von selbst sein alt-liberales Politikverständnis als „rechts" bzw. „neo-konservativ" erscheinen mußte. Lübbe verfolgte fortan die Radikalisierung der Studentenbewegung, sah hierbei „nachgeholten Widerstand" 207 am Werk und seine Endstation konsequent im Terror208. Seine Rezeption Schmitts, wie eklektisch auch immer, gereichte ihm im Urteil der solcherart Qualifizierten nicht zum Vorteil 209 . Die auch von Lübbe vertretene Kompensationsthese der Geisteswissenschaften und die sog. Beweislastverteilungsregel 210 nahmen auf Freyer 211 und Ritter Bezug. Die Friedensräson des an Schmitt entwickelten Dezisionismus sei die Trennung von WahrUniversität Bochum (Jahrbuch der Ruhr-Universität Bochum 1990, S. 315-328, hier S. 316). Wie Lübbe wagten auch andere den Sprung in die politische Praxis, etwa Ralf Dahrendorf oder Ulrich Lohmar. 206 1969 w a r er kurzzeitig in das Büro des Ministerpräsidenten Kühn gewechselt, der die Hochschulpolitik in die eigene Verantwortung übernahm. Den Kurs wollte Lübbe nicht mehr mittragen. Dazu allgemein Hermann Lübbe: Hochschulpolitik und Gegenaufklärung (Freiburg^). 207 Dazu auch Odo Marquard: Abschied vom Prinzipiellen (Stuttgart 1981) sowie Josef Isensee: Der verspätete Widerstandskampf (aus: Die Neue Ordnung, Heft 2/1983, S. 84-92). 208 Hermann Lübbe: Endstation Terror. Rückblick auf lange Märsche (Stuttgart 1978). 209 Lübbe selbst wies auf Nachteile hin, die ihm sein Bekenntnis zur „kompromittierten politischen Theorie" (Schweizer Monatshefte, 55. Jg., Heft 12/1976, S.949-960) des Dezisionismus eingebracht hatte (s.Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum, 1988, S.438 sowie Bemerkung in: Verdrängung?, 1987, S.232). 210 Zur „Beweislastverteilungsregel" vgl. Rainer Specht: Über Funktionen der Tradition (in: Mannheimer Berichte 4/72, S. 103ff., bes. 106; zit. bei Schnur in: Die Verwaltung, 1977, 5. 158f.); Martin Kriele: Gesetzprüfende Vernunft und juristische Methode, Vortrag vom 6. September 1966 vor dem Internationalen Hegel-Kongreß in Prag (zit. bei Lübbe: Hegels Kritik der politisierten Gesellschaft, in: Schweizer Monatshefte, 47. Jg., Heft3, Juni 1967, S. 237-251, hier S.240): für Hegel gelte der Grundsatz widerlegbarer Vermutung für die Vernünftigkeit des Bestehenden. 211 Trotz der an Freyer geübten Kritik kam Lübbe diesem in der fast fieberhaften Vortragstätigkeit nahe, die dank ihrer geschichts- und zivilisationsphilosophischen Fundierung wirkt, die mit einer frappanten Fähigkeit zu Aktualisierungen verknüpft ist und bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten konsensstiftend zu wirken pflegt.
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heit und Geltung: „In ihr triumphiert der politische Wille zum Frieden über den Willen zum politischen Triumph der Wahrheit." 212 Die Begründung erfolgte bei Lübbe nicht mehr existentiell oder erkenntnistheoretisch, sondern pragmatisch: jede Lebenspraxis stehe unter der Voraussetzung eingeschränkter Zeit, Dezisionismus sei also ein Gebot der praktischen Vernunft und habe den Primat vor der Theorie 213 . Es ist auffällig und sicher nicht ohne Bezug auf eigene Erfahrungen, wie nicht nur der Faktor der mangelnden Zeit und der menschlichen Lebenskürze in den philosophischen Überlegungen der Münsteraner präsent gewesen ist, sondern auch der des Zufalls 214 . Bei Lübbe äußerte sich dies in verstärkter Hinwendung zu Geschichte und Geschichtsphilosophie, wobei das Interesse wiederum nicht auf Letztbegründungen, sondern auf ihre Funktionen gerichtet blieb 215 . Sucht man nach weiteren Gemeinsamkeiten, so scheint es nicht die Faszination für das Extrem zu sein, was die etwas Älteren bisweilen noch umtreiben mochte, sondern das starke Bedürfnis nach Stabilisierung der Normalität und der Vermeidung eines Ausnahmezustandes. Die Haltung der Entschiedenheit als Imperativ zur Sicherung von Handlungsfähigkeit war hier im Gegenteil von jedem Mutwillen und jeder Abenteuerlust gänzlich befreit. Die wohl meistdiskutierte These Lübbes der letzten Jahre 216 beinhaltete die Bejahung des normalitätsstiftenden Konsenses der 50er Jahre, aus dem heraus sich seine Philosophie entfaltet hatte. Seine positive Wertung des braune Biographieanteile inte212
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Hermann Lübbe: Dezisionismus — eine kompromittierte politische Theorie (in ders.: Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, Stuttgart 1978, S. 61-77, hier S. 65). Schon ders.: Zur Theorie der Entscheidung (in: Collegium Philosophicum. Studien. Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel/Stuttgart 1965, S. 118—140), wo er sich gegen die politischen Implikate der Dezisionismuskritik bei Christian von Krockow, Karl Löwith, Jürgen Fijalkowski und Peter Schneider verwahrte. Vgl. Hermann Lübbe: Dezisionismus in der Moraltheorie Kants (in: Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, Berlin 1968, S. 567-587); ders.: Theorie und Entscheidung. Studien zum Primat der praktischen Vernunft (Freiburg 1971). Vgl. dagegen: „Schon 1965 hat Hermann Lübbe die Wahrheit des politischen Existentialismus wiederentdeckt und Carl Schmitts Dezisionismus in die damals noch moderat konservative, praktische Philosophie der Modernitätstraditionalisten integriert" (Hauke Brunkhorst: Der Intellektuelle im Land der Mandarine, Frankfurt/M. 1987, S. 145). An der Zeiterfahrung geben sie jedoch sichtlich nicht zu leiden vor, ihrer geistigen Durchdringung werden durchaus ästhetische Seiten abgewonnen. Dazu gehört der Spaß an der rhetorischen Aussage und — besonders bei Marquard — der Humor: „Weltappetit", wie Marquard in bezug auf Hans Blumenberg meint (Entlastung vom Absoluten, in: du. Die Zeitschrift der Kultur, Heft 11/1991, S.25f.). Vgl. Hermann Lübbe: Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie (Basel/Stuttgart 1977). Hermann Lübbe: Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Bundesrepublik (in Martin Broszat u. a. (Hg.): Der Weg in die Diktatur, Berlin 1983, S. 329-349). Zur heftigen Reaktion darauf eine Konkretisierung in ders.: Verdrängung? (in: Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins, 1988).
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grierenden Funktionsmodus der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik war zugleich eine Erinnerung an die antitotalitäre Übereinkunft dieser Zeit, an das Bewußtsein davon, daß Politik kleinschrittig vorzugehen habe und Bildung wie Takt erfordert 217 . Und sie implizierte eine erneute Abrechnung mit der Pervertierung des „politischen Moralismus" 218 , der den Primat des common sense aufkündigte und angeblich nicht länger bereit gewesen sei, der Komplexität im Bereich des Politischen gerecht zu werden.
9. Roman Schnur (* 1927) Schon seine Herkunft als Saarländer stellte den 1927 geborenen Roman Schnur zwischen Fronten. Als Verwaltungsjurist sollte er später nicht nur Brücken nach Frankreich und Polen, sondern auch zur politisch-literarischen Schriftstellerei eines Carl Schmitt schlagen. Als Sohn eines Volksschullehrers hatte er eine vergleichsweise bescheidene Herkunft und war im Krieg für kurze Zeit als Luftwaffenhelfer eingesetzt. In der Zeit, die dem nachgeholten Abitur von 1947 folgte, las er auf Empfehlung eines nahen Verwandten Schmitts „Verfassungslehre". Die Beschreibung der Entstehung rechtsdogmatischer Figuren aus der historischen Situation heraus fesselte ihn und blieb ihm anregender als die von ihm mehrheitlich als „flach" empfundenen Darbietungen der Öffentlichrechtler in Mainz, wo der junge Student seit 1948 hörte. Das Buch Schmitts hielt er für absolut verfassungstreu und stieß auf dessen Schriften aus der Zeit des ,Dritten Reiches' erst später 219 . Bei Erscheinen des „Nomos der Erde" 1950 wiederholte sich sein Eindruck äußerster Erhellung über den ihm im Lehrplan präsentierten Stoff hinaus, und Schnur beschloß, dem Autor über den Verlag für die vielen Anregungen zu danken. Unerwartet für den Studenten antwortete Schmitt umgehend und schlug zu seiner großen Überraschung 217
Diesen „Takt" rechtfertigte Lübbe im Umgang mit Heidegger, in dessen Seminaren er Anfangs der 50er Jahre saß, als „Akt der Schonung [...], weil auch wir uns noch der Wirkung des Heideggerschen Denkens aussetzen wollten"; anders als Habermas (s. dessen Angriffe gegen die „Einführung in die Metaphysik" 1953) habe man zu unterscheiden gewußt zwischen philosophischer Einsicht und politischem Engagement — auch bei einem Carl Schmitt (Lübbe: Diskussionsbemerkung, in: Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins, 1988, S. 232).
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Hermann Lübbe: Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft (Berlin 1987). Schriftliche Mitteilung an den Verf. vom 18. Juni 1991. Ein erster Reflex seiner Bekanntschaft mit diesen Schriften ist die Rückfrage an Schmitts Kritiker, wer zu den gegen Schmitt erhobenen Vorwürfen legitimiert sei sowie die Vermutung, hierbei läge ein „typisch romantischefr] Literaturglauben an die Fernwirkung des Gedruckten" vor (Roman Schnur: Carl Schmitt und die deutsche Staatsrechtslehre, in: Wort und Wahrheit, 13. Jg., 1958, S.725-727, hier S. 726).
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sogar ein Treffen vor. Der Kontakt war hergestellt, Besuche und der Briefwechsel verliefen fortan kontinuierlich. D e r junge Jurist schien vertrauensvoll genug, vom Gelehrten um die Betreuung seiner in Mainz lagernden ehemals beschlagnahmten Bibliothek gebeten zu werden. Schnur promovierte bei Karl Siegfried Bader über den „Rheinbund von 1658 in der deutschen Verfassungsgeschichte" 220 und knüpfte bei einem dafür eingelegten Besuch in Paris erste Kontakte zur französischen Hauptstadt-Intelligenz, bei denen auch Carl Schmitt noch eine feste Größe bildete. Der greise Maxime Leroy 2 2 1 , Bertrand de Jouvenel und besonders Alexandre Kojève 2 2 2 beeindruckten ihn stark, Schnur wurde in die Pariser Szene eingeführt und entwickelte sich seinerseits zu einem wichtigen Vermittler des deutsch-französischen „Geistergesprächs" 2 2 3 . In Paris auch lernte er Nicolaus Sombart kennen und besprach mit ihm die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Zeitschrift, in der in der A r t von Pareto, Michels und Carl Schmitt gearbeitet würde. Als Mitarbeiter dachte man sich, in europäischer Tradition, etwa Eric Voegelin, Jouvenel oder Leroy. Die Pläne wurden in Heidelberg zusammen mit Reinhart Koselleck und H a n n o Kesting weiter ausgesponnen, zerschlugen sich vorerst und sollten erst gut zehn Jahre später verwirklicht werden. Statt dessen wurde Schnur nach Promotion und Referendarzeit im Frühjahr 1955 Redaktionssekretär des ,Archivs f ü r Rechts- und Sozialphilosophie' ( A R S P ) unter der Schriftleitung des Mainzer Rechtsphilosophen Theodor Viehweg. Bis 1960 gelang es Schnur, der für den Bereich politische Philosophie zuständig war, die Zeitschrift zu einem Forum derjenigen jungen Wissenschaftler zu gestalten, die mehrheitlich über Schmitt miteinander bekannt geworden waren. D a s A R S P bemühte sich tatsächlich um „europäische Tradition"; es druckte junge deutsche und ausländische Autoren, besprach angelsächsische und romanische Neuerscheinungen und öffnete sich auch thematisch. Schnur und das A R S P wurden zu Anlaufstationen derer, die in ihrem Interesse an Schmitt auch ihr Ungenügen an einem als provinzialisiert empfundenen deutschen Wissenschaftsbetrieb 2 2 4 dokumentierten, 220 Bonn 1955 (vgl. den Artikel von Carl Schmitt: Die Bedeutung des Rheinbundes für die spätere deutsche Verfassungsgeschichte, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 41.Jg., Heft 10/ 1936, Sp. 624f.). 221
Über Leroy schrieb Schnur als jüngster Beiträger ein Porträt zur Schmitt-Festschrift von 1953, das später im Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie veröffentlicht wurde. 222 Schnur vermittelte offenbar sowohl die Bekanntschaft Kojèves mit Schmitt (Schnur: Aufklärung, in: Der Staat, 1988, S. 439 Anm. 10) wie dessen Vortrag vor dem Rhein-Ruhr-Klub im Januar 1957. 223 Neben Maxime Leroy wies er hin auf Léon Duguit, Maurice Hauriou, Benjamin Constant, Antoine Augustin Cournot, Bertrand de Jouvenel etc. (vgl. auch seine Besprechungen im ARSP). 224 Der Vorwurf des „Provinzialismus" etwa in Roman Schnur: Léon Duguit (in: Neue Politische Literatur, Heft 1/1957, Sp. 2 9 - 3 8 , hier Sp. 30), den er nicht allein auf die Mißachtung der ausländischen Literatur bezog, sondern auch auf diejenige der staatsrechtlichen Literatur der
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sich aber gleichzeitig durch eine thematische Öffnung von den Etablierten in die Defensive gedrängt sahen. Dieser „Kern", dessen Durchschnittsalter um die 35 Jahre lag, bestand neben Schnur aus Rüdiger Altmann, Johannes Winckelmann, Hanno Kesting, Hermann Lübbe, Nicolaus Sombart, Reinhard Koselleck, Günther Krauss, Peter Scheibert, Hans-Joachim Arndt, Winfried Dallmayr, Heinz Sladeczek, Rainer Specht sowie Ernst-Wolfgang Böckenförde und Robert Spaemann. Dazu druckte das „Archiv" während dieser Jahre Arbeiten von Jacob Taubes, Otto Kirchheimer, Ottmar Ballweg, Joachim Ritter, aber auch Kurt Sontheimer oder Iring Fetscher. Schnurs akademische Karriere schritt derweil voran: seit 1956 war er Assistent Carl Hermann Ules an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und lernte im selben Jahr Ernst Forsthoff kennen, der Schnur anbot, sich bei ihm in Heidelberg zu habilitieren. Der Abschluß des Verfahrens allerdings verzögerte sich etwas, u. a. wegen Forsthoffs Beanspruchung in Zypern. Schnur, Anfang 30 und gewohnt, berufliche Schritte in kurzem Anlauf zu nehmen, geriet darüber in eine Phase der Unsicherheit. 1960 schied er aus der Redaktion des ARSP aus, blieb aber Berater des LuchterhandVerlags, in dem die Zeitschrift zuletzt erschienen war. Dieser bot ihm nun die Herausgeberschaft einer Buchreihe an, zu der Schnur Wilhelm Hennis die Mitherausgeberschaft antrug, nachdem Reinhart Koselleck wegen anderer Pläne abgelehnt hatte. Unter dem Signum POLITICA 225 edierten sie mit Gespür für vielversprechende Titel, so daß die Reihe bald ein internationales Profil gewann. Carl Schmitt ließ sich freilich entschuldigen. Als 1964 Hasso Hofmanns Dissertation über Schmitt dort erschien, war Schnur wegen einiger Unstimmigkeiten unter den Herausgebern bereits wieder ausgeschieden. Schnur habilitierte sich schließlich im November 1961226 und war gerade zu dieser Zeit eines der Zentren des „Carl-Schmitt-Kreises", der diesem auch neue Personen, etwa Friedrich Jonas 227 und Helmut Quaritsch, zuführte. So konnte es kaum verwunWeimarer Zeit. Den Vorwurf mangelnder „Bildung" richtete er auch an die Gegner Carl Schmitts (Carl Schmitt und die deutsche Staatsrechtslehre, in: Wort und Wahrheit, 1958, S.725). Die „freie Geistigkeit" der europäischen künstlerischen und intellektuellen Szene von etwa 1912 bis 1933, von der ihm neben Schmitt noch Gottfried Salomon zu berichten wußte, beeindruckten Schnur dagegen stark (mdl. Auskunft Roman Schnur sowie ders. in: Aufklärung..., 1988, S.443 - S.444 erneut der Hinweis auf die heutige wissenschaftliche „Provinzialität" - schon 1960 in: Politikwissenschaft (in: Wort und Wahrheit, 15.Bd., 1960, S.389f.), sowie: In der französischen Schule politischen Denkens (in: Wort und Wahrheit, 15. Bd., 1960, S.236f.). 225
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Zu diesem Titel siehe Wilhelm Hennis: Zum Problem der deutschen Staatsanschauung (in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 7. Jg., Heft 1/1959, S. 1 - 2 3 , hier S. 5). Die Arbeit hatte „Studien zum Begriff des Gesetzes" zum Inhalt, sie erschien nicht im Druck. Schnurs wissenschaftliche Etablierung vollzog sich mit seinem Koreferat zur Pressefreiheit auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1963. Jonas hatte Schnur kennengelernt, als dieser Assistent Gehlens in Speyer war. Die Aufsatzsammlung „Revolution und Weltbürgerkrieg" von 1983 hat Schnur Jonas gewidmet, der 1968
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dem, daß seine Gründung von „Der Staat" 1962 (zusammen mit Ernst-Wolfgang Bökkenförde) als Referatorgan und Etablierungsversuch dieses Kreises - vor allem von konkurrierenden Schulen 228 - wahrgenommen wurde. Im Geleitwort hieß es, der Staat sei zerredet worden, es gelte demgegenüber diese politische Ordnungsform „als eine der wichtigsten Sicherungen persönlicher und politischer Freiheit zu erkennen" und zu behaupten. Man wolle eine „Stätte der Staatsbesinnung" sein 229 . Von 1961 bis 1965 bildete sich Schnur als (Ober-)Regierungsrat in der Mainzer Staatskanzlei zu einem Fachmann für Verwaltungsaufgaben und -reformen aus 230 . Während seiner Anstellung in Speyer hatte er sich auf Verwaltungsrecht spezialisiert und über die engere Bekanntschaft mit Gehlen sein Interesse für die „Propheten der verwalteten Welt"231 und Theoretiker der Institutionen 232 verstärkt. Bemühungen um eine Professur führten erst 1965 zu einer Berufung auf den Lehrstuhl für Politische Wissenschaften in Bochum, der einen juristischen Schwerpunkt abdecken sollte. Schnur blieb in den unruhiger werdenden Jahren des Studentenprotestes von Angriffen nicht verschont und die Studentenzeitschrift „Ruhr-Reflexe" analysierte seine angeblich „Neue Lehre von der Diktatur" 233 . 1968 nahm er eine Berufung auf den Lehrstuhl bei einem Autounfall ums Leben kam und selbst über die „Soziologie der französischen Revolution" geschrieben hatte (in: Der Staat, 5. Jg., 1966, S. 96ff.). Der zur gleichen Zeit in Speyer tätige Niklas Luhmann hielt sich von Schmitt offenbar fern. 228 Vor allem die Smend-Schule; Schnur hatte sich bereits für seinen Beitrag zur Schmitt-Festschrift von 1959 „beruflichen Ärger" eingehandelt (schriftl. Mitteilung an den Verf. vom 17. Juli 1991). 22 « Der Staat (1. Jg., Heft 1/1962, S. 1: Zum Geleit). 230 Karl Dietrich Bracher deutete später Schnurs wissenschaftliche Absichten dahingehend, diesem käme es auf „die Schaffung von Verwaltungskabinetten und Kommandozentralen bei der Regierung" an und bezog sich auf eine von Schnur vor dem nordrhein-westfälischen Parlament gehaltenen Festrede (abgedruckt in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Oktober 1967, Bracher: Staatsbegriff und Demokratie in Deutschland, in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 1/1968, S.2-27, hier S.22). Vgl. jetzt die Würdigung Schnurs von Heinrich Siedentopf: Vergleichende Verwaltungswissenschaft: Wissenschaft oder Kunst? (in: Die Verwaltung, Heft 4/1992, S. 427-435). 231 Roman Schnur: Ein Prophet der verwalteten Welt. Α. A. Cournots Prognose des posthistorischen Zeitalters (in: Wort und Wahrheit, Bd. 16, Heft 2/1961, S. 743-754). 232 Maurice Hauriou: Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze (hg. von Roman Schnur, Berlin 1965). Schmitts „konkretes Ordnungsdenken" sah Schnur als Anknüpfung an Hauriou „in geradezu donquichotteresker Weise" (vgl. Bespr. von Ottmar Ballweg: Zu einer Lehre von der Natur der Sache, in: Deutsches Verwaltungsblatt vom 15. Januar 1961, S. 99f., hier S. 99). 233 Komitee zur Unterstützung von Vorgängen im Lehrkörper der Sozialwissenschaftlichen Abteilung: Neue Lehre von der Diktatur. Ruhr-Uni's Prof. Roman Schnur: Totale Verwaltung im totalen Staat (in: Ruhr-Reflexe7, Dezember 1967/Januar 1968, S. 5—7), das Schnurs Abhängigkeit von Carl Schmitt nachzuweisen suchte und ihn selbst zu einem „Propheten der verwalteten Welt" erhob. Vgl. auch Leserbriefe und Entgegnung Schnurs in Heften 8 und 9.
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für Vergleichende Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht in Speyer an und ging 1972 nach Tübingen. Schnur geriet aber in wachsende Distanz zum Wissenschaftsbetrieb 234 , nahm von Tübingen aus 1974 den Kontakt zu Rechtslehrern in Polen auf und wurde zu einem Pionier des deutsch-polnischen Gelehrtenaustauschs, von polnischer Seite hochgeehrt 235 . In welcher Weise setzte sich Schnur mit Carl Schmitt auseinander? Im Rückblick werden in seinem Werk drei Linien deutlich: ein rechtshistorisches Interesse und eine Neigung zur französischen Geistesgeschichte236 verbunden mit der (durch die Bekanntschaft mit Schmitt und in seinem Werk gestellten) Problemstellung, wie menschliches Verhalten und rechtliche Regelungen in einer Situation des (Welt-)Bürgerkrieges juristisch einzuschätzen sind. Der Schwerpunkt von Schnurs rechtshistorischen Arbeiten (einen zweiten Schwerpunkt bildeten verwaltungsrechtliche) knüpfte vor allem an Schmitts mittlere Schaffensperiode an, in der er sich des näheren oder weiteren mit der (drohenden) Bürgerkriegslage vom Ende der Weimarer Republik bis zur Besatzungszeit beschäftigt hatte. Schnur übernahm Schmitts in dieser Zeit entwickelte Sichtweise, die in den frühmodernen, frühneuzeitlichen politischen und rechtlichen Entwicklungen bis zur Französischen Revolution eine Inkubationszeit der gegenwärtigen Lage sah. Gleichzeitig nahm er Schmitts Ansatz ernst, in dieser Zeit diverse „Spiegelungen" heutiger Probleme zu entdecken und ihr Hinweise darauf zu entnehmen, wie sich „im Bauche des Leviathan" 237 zu verhalten sei. Eine theoretische Durchdringung der Zeit von den konfessionellen Bürgerkriegen bis zur Zeit Napoleons versprach ihm mehr als nur historisch interessante Aufschlüsse darüber, wie die in vielem ähnlich strukturierte, wenn auch 234
Zu den Zermürbungserscheinungen durch den „Betrieb" s. Vorwort zu Roman Schnur (Hg.): Staatsräson. Zur Geschichte eines politischen Begriffs (Berlin 1974, S. 5—7). Mit den Mechanismen der Produktion von „herrschenden Meinungen" und „Schulen" setzte sich Schnur schon 1967 auseinander (Der Begriff der „herrschenden Meinung" in der Rechtsdogmatik, in: Karl Doehring (Hg.): Festgabe für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, München 1967, S. 4 3 - 6 4 ) .
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Zunehmend wandte er sich der „Mitteleuropa"-Vorstellung zu, wie sie etwa Konstantin Frantz entwickelt hatte, wie sie aber auch in den „Großraum"-Konzepten Schmitts enthalten waren (vgl. ders.: Aufklärung, 1988, S.440, Anm. 13); über „Raum" schon ders.: Politische Entscheidung und räumliche Interessen (in: Die Verwaltung, 3. Bd., Heft 3/1970, S.257ff.). Vgl. seine beiden Bücher: Polen in Mitteleuropa (Baden-Baden 1984) sowie Transversale. Spurensicherung in Mitteleuropa (Wien 1988). „Fast alle großen politischen Ideen der Neuzeit haben ihren Ausgang in Frankreich genommen" (In der französischen Schule politischen Denkens, in: Wort und Wahrheit, 15.Bd., 1960, S.236f.). So der Titel eines Typoskripts von Schnur über die Briefe Benns an Oelze im Dritten Reich (HSTAD RW265 —452, Mat.-Nr. 16). Vgl. Roman Schnur: Wiedergutmachung: Benjamin Constant und die Emigranten (1825, in: Der Staat, 19. Bd., Heft 2/1980, S. 161-180: wo er erneut an eine „Wiederentdeckung" Carl Schmitts anknüpft).
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weitaus differenziertere Weltbürgerkriegslage der Gegenwart für einen Juristen handzuhaben sei 238 . Der antiutopische Blick auf Prozeß und Folgen von Revolution und Bürgerkrieg sollten Schnur hauptsächlich beschäftigen 239 . Dabei vollzog er weder Gedanken an eine Diktatur nach, noch phantasierte er sich in die Rolle von Partisanen oder „Waldgängern", sondern sah im Anschluß an Forsthoff 2 4 0 in einer das Privileg der Juristen 241 bewahrenden Verwaltung einen Stabilitätsgaranten moderner Staatlichkeit 242 . Innerhalb der Staatsrechtsdogmatik lag ihm daran, den Deutungsprimat der Staatsrechtslehre vor der Gerichtsbarkeit (sprich: dem Bundesverfassungsgericht) zurückzugewinnen. Die Aufgabe der Staatsrechtler bestünde darin, „die Grundsätze der überkommenen Dogmatik mit der Sozialentwicklung einigermaßen in Einklang zu halten" 243 , dabei aber die Grenze zur Politikwissenschaft
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Roman Schnur: Land und Meer — Napoleon gegen England (in: Zeitschrift für Politik, 1961, S. 11—29, hier S. 12) Schloß sich ausdrücklich an Schmitts Forschungen an, diese um den Zeitabschnitt 1792—1815 ergänzend, ihre Grundfragen jedoch nicht ändernd. Thomas Oppermann (in seiner Besprechung der Festschrift für Carl Schmitt, 1959, in: Das HistorischPolitische Buch, 8.Jg./1960, S.272) wies auf die „feinsinnige Analogie" hin, die Schnur „zwischen einem nur scheinbar historisierenden Thema und der Situation des Jubilars als eines herausragenden Streiters im oftmals erbarmungslosen ideologischen Bürgerkrieg' der letzten Jahrzehnte unausgesprochen" ziehe. „So bleibt dem utopischen Denken, das auf Radikalität aus ist, angesichts der Tatsache, daß die Wirklichkeit nicht vor dem bloßen Gedanken verschwindet, nur die radikale Lösung mit Hilfe des Krieges: Er löst die Dunkelheit auf wie ein Blitz die Wolken". Damit werde der Krieg zum Kreuzzug, der Mensch zum Ideenträger, der vernichtet werden muß, alle Hegungen verlieren ihren Sinn. Die Idee des totalen Weltfriedens habe den totalen Weltbürgerkrieg notwendig zur Folge (Weltfriedensidee und Weltbürgerkrieg 1791/92, in: Der Staat, 2. Jg., Heft 3/1963, S.297-317, hier S.308, 316). Vgl. ders.: „La Révolution est finie" (in Ernst Forsthoff/Reinhard Hörstel (Hg.): Standorte im Zeitstrom. Festschrift für Arnold Gehlen, Frankfurt/M. 1974, S. 331-350). Ernst Forsthoff: Der lästige Jurist (in ders. : Rechtsstaat im Wandel, Stuttgart 1964, S. 57-62), vgl. auch Hans Schneider: Der gefährdete Jurist (in: Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, München 21974, S. 347ff.). Roman Schnur: Privileg der Juristen in der Verwaltung? Bemerkungen zu einer falsch gestellten Frage (in: Die Verwaltung, 10.Bd., Heft 2/1977, S. 141-159) und schon 1959 in der Festschrift für Carl Schmitt (Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg, Berlin 1959, S. 179-220, Anschluß an Schmitts Aufsatz von 1941 über die französischen Legisten), erweitert 1962 (Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts, Berlin 1962). Es ist dabei wohl eben das gemeint, was von K. D. Bracher und E. Fraenkel als „obrigkeitlicher Verwaltungsstaat" kritisiert wurde (vgl. die Besprechung des Lexikons „Staat und Politik" durch Schnur in: Wort und Wahrheit, 10. Bd., Heft 12/1957, S. 713f.). Roman Schnur: Die normative Kraft der Verfassung (in: Deutsches Verwaltungsblatt, 74. Jg., vom 15. Januar 1960, S. 123-127, hier S. 126), wo er (wie etwa die Münsteraner Schule, s. Lübbe) den Faktor Zeit in Anschlag bringt, der die Rechtsdogmatik einem „Zwang
9. Roman Schnur
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nicht zu verwischen. Das einzige deutsche Werk der Verfassungslehre und Grundlagenwerk dieser Unterscheidung sei dasjenige Schmitts 244 . Der Begriff der „Staatsräson" definiere sich über die Freiheit als oberstem „Staatsziel", das die Bundesrepublik leidlich gewahrt habe 245 . Auch formal orientierte sich Schnur an Schmitt, so im Stil und Textaufbau: der Exposition folgte i. d. R. eine Auseinandersetzung mit Positionen, besonders angeblichen Unterstellungen, also auch mit der Argumentationsform des Gegners, eine Klärung der Begriffe, eine Einkreisung des Problems, schließlich Hinweise auf künftige Forschungen. Auch besitzt er, neben literarischer Belesenheit, souveräne Sprachbeherrschung und Wortmacht. Wie Schmitt wurde Schnur ein im Grenzbereich zu Literatur und politischer Wissenschaft schriftstellernder Jurist, wie dieser aber wurde er, trotz fachlicher Anerkennung im einzelnen, auch zu einem Außenseiter der Profession. Da er sich im eigenen Verständnis stets den Anpassungsleistungen des „Betriebes" zu verweigern versuchte, geschah dies nicht ganz willkürlich. Jüngst hat Schnur eine seiner „Spurensicherungen in Mitteleuropa" in in die Rahmenutopie eines Generationengesprächs der Nachkriegszeit eingebettet: Ein Sohn nähert sich, durch eigene Reisen angeregt, den (Kriegs-)Erfahrungen seines Vaters: Zwar habe Anton, Studienrat aus der Nähe Bochums, nie das Gefühl gehabt, daß dieser ihm etwas habe verschweigen wollen, während des Gesprächs aber erschien ihm sein Vater deutlicher, „wenn das hervortrat, in dem er damals lebte und überlebte. Anton verlängerte so seinen eigenen, 1949 begonnenen Lebensweg. Obwohl der Vater nicht vertraulicher als früher wurde, spürte Anton eine engere Bindung an ihn", ja, so etwas wie Befreiung „von der Konzentration auf die eigenen Probleme" 246 . - „Vielleicht war die Behauptung, die Älteren hätten das alles mit Begeisterung gewollt, doch nur die Ausrede der Bequemlichkeit." Das Strafrecht dagegen lehre einen: „Ehe man über die Älteren ein Urteil fällt, müsse man eine ähnliche Anstrengung unternehmen", nämlich „sich in die Lage dessen versetzen, über den geurteilt werde" 247 . - „Er glaubte nun zu wissen, woher das kommt, was die Ahnungslosen als Identitätskrise beklagen: Das Aussteigen, das Aussteigen aus der Geschichte, diese asoziale Aktion mußte sie
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zur Dezision" unterwerfe, dem der „Forschungsdenker" nicht ausgesetzt sei (hier S. 125). Dieses mit dem Sozialen rückgekoppelte Verständnis vom Juristen lenkte Schnurs Aufmerksamkeit u. a. auf Lorenz von Stein (vgl. Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, hg. von Roman Schnur, Berlin 1978). Ebd., S. 125. Die Bemerkung war gegen die Verfassungslehre gerichtet, die Karl Loewenstein 1959 veröffentlicht und die Schnur scharf kritisiert hatte (in: Wort und Wahrheit, 15.Bd., 1960, S.389f.). Roman Schnur: Verfassungsauslegung in der Bewährung. Einige Bemerkungen aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Grundgesetzes (in: nicht identifizierbar, 1974, S. 1 5 - 3 4 (HSTAD RW265 - 3 2 7 ) . Roman Schnur: Galizische Geschichten - vor 40 Jahren (in ders.: Transversale. Spurensicherungen in Mitteleuropa, Wien 1988: darin S. 4 2 - 6 2 , hier S. 50). Ebd., S. 51.
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7 Kapitel -
Bildungswege
krank gemacht haben." Tradition sei eine anthropologische Notwendigkeit, auch wenn sie nicht nur Angenehmes enthalte 248 .
10. Jürgen Seifert (* 1928) Anfang 1934 hatte der Prager Exilvorstand der SPD in einem Manifest dazu aufgerufen, nach den Erfahrungen der Machtergreifung künftig das Ziel zu verfolgen, den Staatsapparat zu einem Herrschaftsinstrument der Volksmassen zu verwandeln. Beim Kampf der Arbeiterklasse um ihre demokratische Bewegungsfreiheit käme der Verteidigung von Rechtspositionen eine wichtige Bedeutung zu. — Ob dieser Beschluß langfristig zum Wandel der SPD zur regierungsfähigen Volkspartei beitrug oder nicht immerhin signalisierte er, daß sich nun auch Sozialisten stärker mit rechtspolitischen und verfassungstheoretischen Problemen zu befassen hatten. Jürgen Seifert, der bei dieser Auseinandersetzung u. a. von Carl Schmitt lernte, war und ist solch ein Sozialist. Innerhalb eines antagonistischen Gesellschaftsverständnisses hat er sich wohl stets als linker Oppositioneller verstanden. Für den Sohn eines Ministerialrats mag die Kriegszeit und die „proletarische" Verzögerung seiner akademischen Karriere - Seifert war zunächst Landarbeiter, dann bis 1951 Werkzeugmacher — für seine sozialistische Orientierung prägend gewesen sein. Als Mitglied des SDS und Beiträger zu kleineren Theorie-Zeitschriften waren es bereits die langen 50er Jahre der Adenauer-Zeit, nicht Krieg und ,Drittes Reich', die seinen politischen Erfahrungshorizont bildeten. Doch schulte Mitglieder linker Gruppen auch diese Zeit, sich gegen die subtilen Methoden zur Unterdrückung von Opposition zu sensibilisieren. Seifert studierte in Münster, vorübergehend auch in Bristol und Bologna, und war Mitglied im „Collegium Philosophicum". Mit Carl Schmitt kam er erstmals in Berührung, als die Brüder Böckenförde Anfang 1955 in Münster einen Vortrag des Juristen organisiert hatten. Vor dem Kreise Joachim Ritters referierte Seifert ein Jahr später über „Die Nachkriegsschriften von Carl Schmitt", des „wie man sagt geistvollsten deutschen Juristen und ungekrönten Königs des modernen deutschen Staatsrechts" 249 . Mit leichter Befremdung stellte er den „Nomos"-Gedanken dar und bilanzierte: „Wie Joyce, Eliot, Benn, Jaspers, Heidegger, Spranger, Hitler, Mussolini, Picasso, Gropius und Stravinsky stammt Carl Schmitt aus dem Jahrzehnt des Zarathustra", als Taufspruch dieser Generation habe Nietzsche gerade in die „Götzen-Dämmerung" geschrieben: „Ein anderer Triumph ist unsere Vergeistigung der Feindschaft. Sie besteht darin, daß man den Wert begreift, den es hat, Feinde zu haben.. ." 250 In diesem Sinne versuchte Seifert, die politische Gegnerschaft zu Schmitt in Erkennt248 Ebd., S.62f. 249 Das ausgearbeitete Referat sandte er später an Schmitt, es befindet sich in dessen Nachlaß (RW 265-472, ZitatS. 2). 250 Ebd., S. 12.
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nisgewinn umzusetzen 251 . Die Lektüre seiner Schriften verlagerte sich aber auf die verfassungsrechtlichen Themen. Schmitt habe viele Feinde und Freunde aus Gesinnung, was ihm fehle, sei der Feind von der Sache her, schrieb er in einer Besprechung der „Verfassungsrechtlichen Aufsätze". Es sei Schmitt hoch anzurechnen, daß er nicht verwische, sondern ausspreche, was unzweifelhaft bestehe. Dabei sei der Rettungsversuch einer „konkreten Ordnung" aber zum Scheitern verurteilt, denn er diene nicht der Einhegung und Einfriedung, sondern den Machthabern des Status quo 252 . Von Schmitt lernte Seifert sowohl die Grenzen des rechtswissenschaftlichen Positivismus wie die Gefährdungen alternativer Positionen. Für ihn mußte auch die „objektive Vernunft" wieder ins Spiel kommen, wie sie die alte Sozialdemokratischen Partei repräsentiert habe. Die post-Godesberger SPD dagegen, die das SDS-Mitglied später ausschloß, sah Seifert zunehmend unter dem Diktat von Wohlfahrtsmanagern und dem Machthaben hinterherlaufen, statt den Wortlaut des Verfassungskompromisses von 1949 im Sinne des Prager Manifestes zu verteidigen. So blieben vor allem die Gewerkschaften übrig, um für die Errungenschaften der Arbeiterbewegung einzutreten. Bei Schlüsseldebatten der 50er Jahre (Mitbestimmung, Betriebsverfassung, Wehrstreit, Kampf dem Atomtod) waren für ihn sozialistische Positionen dort am ehesten aufgehoben. Seifert kämpfte seit den frühen 60er Jahren selbst in vorderster Reihe: zur „Spiegel"· Affäre 253 , vor allem aber zur zähen Debatte um die Notstandsgesetze publizierte er Wegweisendes. Hier wähnte er so stark „Gefahr im Verzuge"254, daß er sich nahezu ein Jahrzehnt wie wenige andere gegen deren Verabschiedung stemmte. Man muß Seiferts Verfassungsverständnis rekonstruieren, um zu begreifen, welche Befürchtungen ihn hierbei Umtrieben. Es ging von dem Gedanken der „Waffenstillstandsvereinbarungen" aus, und dieses Friedensangebot im Klassenkampf galt es für Sozialisten, nach Seifert, zu ergreifen. Wie Forsthoff oder Werner Weber ging Seifert davon aus, daß die maßgeblichen Gruppen bereits vor Verabschiedung des Grundgesetzes ihre (Klassen-)Interessen abgesteckt und mit der bundesdeutschen Verfassung eine Demarkationslinie festgelegt hätten. Während nun aber Weber und andere gegen den normativen Grundrechtsteil des Grundgesetzes und besonders gegen dessen werthafte Ausdeutungen durch das Bundesverfassungsgericht polemisierten und Wandlungen der Verfassungswirklichkeit dagegen auszuspielen suchten, votierte Seifert für eine peinlich genaue, ja 251 1958 wollte er Schmitt zu einem Vortrag beim Münsteraner SDS einladen (RW265 -327, Nr. 67, Brief vom 14. Oktober 1958). 252 Jürgen Seifert: Rettungsversuch - oder mehr? (in: Die neue Gesellschaft, 6. Jg., Heft 1/1959, S. 71f.). 253 Die Spiegel-Affäre, hg. von Jürgen Seifert (Freiburg 1966). 254 Jürgen Seifert: Gefahr im Verzuge. Zur Problematik der Notstandsgesetzgebung (Frankfurt/M. 1963).
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7. Kapitel — Bildungswege
positivistische Auslegung gerade dieser Grundrechte. Jede Infragestellung oder Veränderung, so die dahinterstehende Sorge, habe erfahrungsgemäß restaurativen Charakter und gehe zu Lasten der von der Arbeiterbewegung errungenen Freiheitsrechte 255 . Der unveränderliche Grundrechtsteil des Grundgesetzes sei, so das Grundaxiom, in der besonderen Situation antifaschistischer Übereinkunft aller gesellschaftlichen Kräfte festgelegt worden und stehe im Grunde links von der sozialen Realität 256 . Die Kräfte der Gegenrevolution nutzten unbarmherzig jede Gelegenheit, diesen Fortschritt wieder zurückzunehmen, denn der Klassenkampf sei nicht überwunden, sondern camoufliert. Carl Schmitt hatte, als sich der Staat im „Bürgerkrieg" befand, diesen Kampf offen und, in der Ansicht Seiferts, in eindeutiger Ausrichtung gegen das sozialistische Proletariat geführt 257 . Schmitt habe sich eben als Emanzipationsfeind und damit als Gegner zu erkennen gegeben, während die Gegenrevolution in der Bundesrepublik gezwungen sei, sich demokratisch geben zu müssen. Mit Schmitt könne man nun analysieren, wie sich die Macht verberge und auf indirekten Wegen an der Aushöhlung der Waffenstillstandsvereinbarungen arbeite. Die ersten Beratungen einer Notstandsverfassung ließen bei vielen, die seit den 50er Jahren in diesem Bewußtsein Rechtspolitik betrieben und auf Bestandswahrung geachtet hatten, die Alarmglocken klingeln. Sollten hier Vereins-, Versammlungs- und Pressefreiheit oder die Freiheit der Meinung eingeschränkt werden? Sprach man nicht von geheimen Schubladen Verordnungen? Versuchte hier eine Exekutive, sich von lästigen Bindungen zu emanzipieren? Diese von Seifert geäußerten bangen Ahnungen, es werde nicht mit offenen Karten gespielt, waren symptomatisch für die Wiederentdekkung der Existenz von Macht und Herrschaft. Nach den ökonomiebestimmten 50er Jahren steigerte sich dieser Befund zur erneuten Überzeugung, es gebe einen autonomen Bereich des Politischen. Einmal aufmerksam geworden, sah man die Demokratie sich an vielen Stellen totalitär „formieren" 258 , wenn nicht transformieren 259 . Der Regelungsversuch des Not- und Ausnahmezustandes wurde als eine Offensive der Mitte beargwöhnt, die darauf zu zielen schien, linke wie rechte Alternativen einzuschnüren. Gestand man demjenigen Maßnahmegesetze zu, der über den Ausnahmezustand entschied, drohe letztlich die erneute Entwicklung zu einem „Doppelstaat". 255
Vgl. die Bilanz bei Jürgen Seifert: Grundgesetz und Restauration (Darmstadt/Neuwied 1974). 256 Auf diese Grundnorm (wie auch auf die Bedeutung der Arbeiten E.-W. Böckenfördes für diese Sichtweise) machte Volker Neumann aufmerksam in seiner Besprechung von Arbeiten Abendroths (in: Der Staat, 1979, S. 136-141, hier S. 137). 257 Jürgen Seifert: Theoretiker der Gegenrevolution. Carl Schmitt 1888-1985 (in: Kritische Justiz, 18. Jg., 1985, S. 193-200, hier S. 194). Dazu auch die Interpretation von Volker Neumann: Der Staat im Bürgerkrieg (Frankfurt/New York 1980). 258 Vgl. Seiferts Besprechungen von Büchern Rüdiger Altmanns (in: Frankfurter Hefte, Heft 6/ 1961, S. 4 2 6 - 4 2 9 sowie in: Kritische Justiz, 1971, S. 122-124). 259 Vgl. Johannes Agnoli/Peter Brückner: Die Transformation der Demokratie (Frankfurt/M. 1968), einer der Schlüsseltexte für die „linke" Carl-Schmitt-Rezeption.
10. Jürgen Seifert
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Für Seifert hatte die Notstandsdebatte eine grundsätzliche Bedeutung im Kampf um Verfassungspositionen. Zugleich entfremdete sie ihn weiter von der SPD, der er vorwarf, Kompromißvereinbarungen von 1949 kampflos aufgegeben zu haben: „Waffenstillstandsbedingungen setzen voraus, daß die Gegenspieler ihre Interessen selbst wahrnehmen, die markierte Grenzlinie selbst überwachen, jede Verletzung registrieren und zur Sprache bringen - gegebenenfalls vor der vereinbarten Schiedsinstanz" 260 . Innerhalb der Legalität aber hätten sich allenfalls die Gewerkschaften als Gegenmacht bewährt 261 sowie einzelne, der „juristischen Aktion" verpflichtete, „kritische" Juristen 262 . Seifert wurde Mitbegründer eines Kuratoriums „Notstand der Demokratie" und beriet schließlich die einzig verbliebene Oppositionspartei, die FDP. Den akademischen Werdegang hatten diese Interventionen zugleich verzögert wie befördert. Nach dem Gerichtsreferendariat wurde er 1966 mit einer Arbeit über den „Notstandsausschuß" bei Hans Ulrich Scupin promoviert, 1967 wechselte er als Akademischer Rat an die TH Darmstadt und wurde 1971 schließlich Professor an der TU Hannover: wie Wolfgang Abendroth fast selbstverständlich nicht auf einem juristischen, sondern auf einem politikwissenschaftlichen Lehrstuhl. Aus seinem Selbstverständnis als „Bürgerrechtler" heraus wurde er zugleich Mitglied (in den 80er Jahren zugleich deren Bundesvorsitzender) der Humanistischen Union. Die Front gegen die Notstandsgesetze — für die Wandlungen des politischen Klimas und der politischen Kultur während der 60er Jahre wegweisend — trug zwar zur Veränderung des politischen Gefüges der 50er Jahre bei 263 , vermochte es aber nicht, den
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Dazu den grundsätzlichen Artikel von Seifert: Der Kampf um Verfassungspositionen (in: Vorgänge, Heft 7/1966, S. 275-278b, hier S. 277) - zuerst in Neue Kritik, April 1966). Hierin verwies er u. a. auf die Frankfurter Dissertation von Werner Sörgel: Konsensus und Interesse. Eine Studie zur Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Frankfurt/M. 1969). 261 Jürgen Seifert: Gegenmacht in der Verfassungsordnung, in: W. Abendroth u.a.: Festschrift für Otto Brenner zum 60. Geburtstag (Frankfurt/M. 1967, S. 75 -93). Seifert unterhielt an der TU Hannover ein „Notstandsarchiv". 262 Gedacht war hierbei insbesondere an Fritz Bauer, Gustav Heinemann, Diether Posser, Heinrich Hannover, Helmut Ridder oder Richard Schmid. Die Theorie der juristischen Aktion ging u. a. auf Karl Korsch zurück, dessen Texte Seifert neu herausgab (Karl Korsch: Politische Texte, hg. von Erich Gerlach und Jürgen Seifert, 1974). Die Zeitschrift „Kritische Justiz" wurde seit 1969 zu einem wichtigen Forum dieses „linken" VerfassungsVerständnisses, mit dem sich auch etwa Ulrich K. Preuss Carl Schmitt näherte (vgl. ders.: Legalität und Pluralismus. Beiträge zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1973). 263 Über die „Laboratoriumsarbeit" sozialistischer Theoriezeitschriften für eine spätere Protestbewegung vgl. Seiferts Erinnerungen an die Zeitschrift „Sozialistische Politik" (Sozialistische Demokratie als „schmaler Weg". Kooperation in der Redaktion der Zeitschrift „Sozialistische Politik" (1955-1961) in: ders./Heinz Thörmer/Klaus Wettig (Hg.): Soziale oder sozialistische Demokratie? Beiträge zur Geschichte^der Linken in der Bundesrepublik. Freundesgabe für Peter von Oertzen zum 65. Geburtstag, Marburg 1989, S. 21-31).
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„Geist" ideologischer Toleranz in die 70er Jahre hiniiberzuretten. Schon bald gab es für Seifert daher wieder Grund zur Beunruhigung: Berufsverbote, die „innere Sicherheit", Abhöraffären, die Neufassung des politischen Strafrechts etc. machten eine Opposition um so schwieriger, als nun die Genossen des eigenen Lagers die Regierung stellten. Seifert geriet sogar, als er sich 1972 in einem Vortrag für Peter Brückner eingesetzt hatte, selbst in den verhängnisvollen Verdacht, RAF-Sympathisant zu sein264. Im Prozeß der bedenklichen Aufwertung der „fdGO" zur „Überverfassung" 265 gehörte Seifert nicht zu denen, die auf Gesinnungsdurchleuchtung selbst mit Unduldsamkeit reagierten. Statt dessen sprach er sich nicht allein gegen das Verbot von Rechtsparteien (etwa der Republikaner) aus, sondern sah auch in Schmitt den „Sündenbock" seiner Zunft 266 . Mit provozierender Offenheit berief er sich immer wieder auf Schmittsche Theoreme und Begriffe, sei es die innerstaatliche Feinderklärung, sei es der Dezisionismus, denn: „Immer dann, wenn die demokratische Legalität bei der Aufrechterhaltung antagonistischer Gesellschaftsstrukturen zur Fessel wird, kommt die Stunde der Theorien von Carl Schmitt" 267 . Seifert blieb sensibel für die Spielräume und Grenzen der Legalität gegenüber den Selbstermächtigungen eines Legitimitätsdenkens, aber auch gegenüber linker „Romantik der Illegalität" (Georg Lukács). Die Vereinigungsdiskussion 1990/91 fachte erneut seine Befürchtungen an, die Situation werde für einen „Klassenkampf von rechts" ausgenutzt werden 268 . Der spät-linke Verfassungspatriotismus sah sich gegen rechtes Staatsdenken aufgerufen, denn, wie Seifert schon 1958 in einem Aphorismus bemerkt hatte: „Feinde einen - Einheit verfeindet" 269 . Die weitere Rezeption Carl Schmitts auf der Linken kann nicht mehr Thema dieser Untersuchung sein. Sie war für den hier behandelten Zeitraum von nur marginaler Bedeutung. Zweifellos verlohnte sie, eigens betrachtet zu werden, und es spricht einiges dafür, daß der in den 60er Jahren einsetzende Rezeptionsweg von der Kritik am Parlamentarismus über den „Begriff des Politischen" bis zur „Theorie des Partisanen" auch die zunehmende Radikalisierung kämpferischer Linker bis weit in die 70er Jahre 264
Ein entsprechendes Disziplinarverfahren wurde (vom niedersächsischen Kultusminister Peter von Oertzen) jedoch eingestellt. 265 Ulrich K. Preuss sprach von einer „Superlegalität" (s.ders.: Legalität und Pluralismus, Frankfurt/M. 1973); s. auch Jürgen Seifert: „Der Grundkonsens über die doppelte innerstaatliche Feinderklärung. Zur Entwicklung der freiheitlich demokratischen Grundordnung" (in Bernhard Blanke/Hellmut Wollmann (Hg.): Die alte Bundesrepublik. Kontinuität und Wandel, Opladen 1991, S. 354-366, hier S. 358). 2«. Seifert: Theoretiker (1985, S. 193). 267 Ebd., S. 200. 268 Jürgen Seifert: Klassenkampf von rechts oder Modernisierung des Grundgesetzes? (in Bernd Guggenberger/Tine Stein (Hg.): Die Verfassungsdiskussion im Jahre der deutschen Einheit, München/Wien 1991, S. 230-241). 2 ® Jürgen Seifert: Randbemerkungen (in: Neue Deutsche Hefte, 5. Jg., Heft 49/1958-59, S.416f., hier S.417).
10. Jürgen Seifert
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hinein begleitet hat 270 . Zwischen Lukács, Heller, Marcuse, Kirchheimer, Neumann, Abendroth, wohl auch zwischen Habermas und Schmitt, lassen sich Übereinstimmungen in vielen Analysen (gerade des liberalen und demokratischen Systems) und wohl auch in der Art der Argumentation entdecken 271 . An der politischen Gegnerschaft änderte dies nichts, ja deren große Eindeutigkeit konnte dem Erkenntnisgewinn nur förderlich sein. Die Beeinflussung wäre in den 60er und 70er Jahren auch für Peter Brückner, Ulrich K. Preuss, Eike Hennig, Oskar Negt, Alexander Kluge usw. jeweils gesondert nachzuweisen. Schmitt selbst hat sich über die Figur des Partisanen wieder verstärkt linken Traditionen geöffnet (und diese Rezeption offenbar zu dieser Zeit für die interessantere gehalten). In den 60er Jahren wurde er vor allem als Theoretiker wiederentdeckt, der das Politische - gegen jede Diktatur einer unpolitischen Mitte - stets als etwas Unausweichliches thematisiert hatte. Damit versprach er gegen die politischen Bändigungsversuche der unmittelbaren Nachkriegszeit theoretischen Gewinn, auch wenn man die Maßverhältnisse des Politischen schließlich anders bestimmte 272 .
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Diesen Hinweis verdanke ich Dan Diner. Vgl. die von Ellen Kennedy 1986 angestoßene Debatte (Carl Schmitt und die „Frankfurter Schule". Deutsche Liberalismuskritik im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft, 12. Jg. (1986), S. 3 8 0 - 4 1 9 , sowie die Antworten von Alfons Söllner, Ulrich K. Preuss und Martin Jay in den folgenden Heften). Vgl. Oskar Negt/Alexander Kluge: Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen (Frankfurt/M. 1992).
Nachwort
Was ist nun, nach dem Durchgang durch Zeitlagen, Szenen, Kreise, Fakultäten, Schulen und Biographien, für das Verständnis der Faszinationskraft eines Denkers wie Carl Schmitt gewonnen? Was läßt sich daraus über die politische, die Geistes- und die Wissenschaftsgeschichte der Nachkriegszeit schließen? - Vergegenwärtigt man sich noch einmal die Ausgangslage für die politische Geistesgeschichte der Bundesrepublik, dann treten die Jahre 1945 bis 1949 als Phase verdichteter historischer Entwicklung auf. In ihr bildete sich aus bekannten Einzelelementen eine zur vorangegangenen Zeit weitgehend verschiedene Konfiguration politischer Kultur heraus und fand zu einem neuen, wenngleich spannungsgeladenen Gleichgewicht. Die alles beherrschenden und viele dieser Spannungen überdeckenden Kräfte waren der Wille zur Überwindung der Nachkriegsnot und das Eingedenken der jüngsten katastrophischen Vergangenheit. Wenn schon kaum innerhalb der Funktionselite (und wohl zunächst auch kaum in den Techniken der Alltagsbewältigung), so vollzogen sich doch in der Deutungselite weitreichende Wechsel, die nicht immer Personen, sondern auch „lediglich" Standpunkte betreffen konnten. Für diese Neuorientierung waren freilich wegen unterschiedlicher Erfahrungen die Startbedingungen der verschiedenen Generationen unterschiedlich günstig. Wegen der zerschlagenen Infrastrukturen auch im Geistigen wurde auf kleinräumige Gruppenbildungen zurückgegriffen, ehe sich eine politische Öffentlichkeitssphäre restituierte. Auch wenn sich dabei rasch wieder Meinungs- und Einflußkonkurrenzen Bahn brachen, sollte das in diesen Kreisen gepflegte „Gespräch" in der Nachkriegszeit zum Vorbild politischer Willensbildung schlechthin werden. Gesprächskreise, die sich in der Folge nicht in einen öffentlichen Status als Interessenverband transformierten, definierten sich nun als Wahrer von Alternativen, als Integrationsmedium oder als Opposition im Geiste - und dies betraf vor allem die Stellung zur Vergangenheit. Leben und Wirkung Carl Schmitts in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten Westdeutschlands illustriert ein breites Spektrum dieser Alternativen. Sie waren meist auf das Bedürfnis rückführbar, über Vergangenheiten und Traditionen anders sprechen zu wollen, als es der gleichzeitige öffentliche Diskurs darüber anbot. Die Bandbreite der Ausstrahlung Schmitts und die dabei beschrittenen unkonventionellen Kommunikationswege beruhten jedoch auch auf Funktionen, die er innerhalb der politischen Geistesgeschichte dieser Jahre ausfüllte:
Nachwort
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Schmitt galt in der unmittelbaren Nachkriegszeit als einer der „brillantesten" Repräsentanten des sog. „deutschen Geistes" und damit als eine Figur der Vergangenheit, denn hiermit war ein Teil der nationalen Identität berührt, der sich mit dem Nationalsozialismus insgesamt diskreditiert zu haben schien. Der antiliberal, antiwestlich und antidemokratisch geprägte politische Konservatismus, gekennzeichnet vor allem durch das Festhalten an einem „elementaren" Begriff des Politischen, war in den 20er und 30er Jahren nicht nur zu gesellschaftlicher Hegemonie, sondern auch zur Umsetzung gelangt und hatte dabei jede Behauptung eines alternativen Primats als illusionär beiseite geschoben. Daß zwischen dieser Entwicklung und den sich anschließenden Verbrechen ein direkter Zusammenhang bestand, war in der frühen Bundesrepublik eine dominante Interpretation zum ,Dritten Reich'. Schmitt reagierte auf den Vorwurf der Mitverantwortlichkeit für eine solche Entwicklung, indem er die Unterstellung dieses direkten Zusammenhangs negierte. Daneben modifizierte er seinen Standort bei gleicher Begrifflichkeit bis zu einem Punkt, der nicht allein erneut als deutliche Alternative zwischen Nationalsozialismus und westlicher Demokratie, sondern auch als kontinuierliche Diagnose erkannt sein wollte. In diesem Vorgehen unterschied sich Schmitt weder methodisch noch thematisch von vielen anderen, ja nicht einmal allzusehr von der institutionellen „Bewältigung" der Vergangenheit, wie sie in der frühen Bundesrepublik praktiziert wurde. In dem gegen Schmitt erhobenen Vorwurf des Opportunismus standen jedoch noch andere sensible Berührungsfelder zur Debatte. Eines davon betraf seinen Antisemitismus, ein anderes seine offene Unterstützung des Nationalsozialismus nach 1933 und damit das Überschreiten einer Grenze ohne Rückzugsmöglichkeiten, an der viele Intellektuelle mit Hoffnungen auf einen Wechsel entlanggegangen waren. Schmitts Name evozierte in diesem Sinne eine Erinnerung an geistig erregende Zeiten, aber eben auch an Verführbarkeit und an die Verheißungen des Aufbruchs von 1933, von denen man sich nun endgültig kuriert hoffte. Bei aller Nachsicht, die ansonsten den Umgang mit Belasteten prägte - bei Carl Schmitt schien es eine Frage des Prinzips, ihn nicht erneut zu integrieren, um die Grundsätzlichkeit der Abkehr von der vorangegangenen Epoche zu demonstrieren. Tatsächlich aber nährte Schmitts Ausschluß aus Kommunikations- und Kontrollorganen eine Aura des Geheimnisses, und über seine Verurteilung zum Schweigen weitete sich die konspirative Vermutung eher noch aus. Schmitts Name stand auch für die geistige Attraktionskraft des Nationalsozialismus und es wäre notwendig gewesen, sie zu diskutieren. Gerade diese Eigenschaft aber wollten viele in den 50er Jahren dem ,Dritten Reich' nicht zugestehen. Die dahinterstehende Problematik zielt auf die damals wie heute virulente Frage, wie stark ein demokratisches Gemeinwesen und politische Kultur insgesamt von pädagogischen Bemühungen flankiert werden müssen. Die Konfrontation mit Carl Schmitt spiegelte bei jüngeren Personen bereits eine stärkere Zuversicht, ein Zutrauen in die Kraft der eigenen demokratischen Überzeugungen und wurde von ihnen nicht selten als ein Schritt zu gelebtem Pluralismus verstanden. Dieses optimistische Bewußtsein
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war bei den meisten Gründervätern der Bundesrepublik noch nicht erkennbar, und das kann im Angesicht des Erschreckens über den „Zivilisationsbruch" (Dan Diner) weder verwundern noch befremden. Es verweist aber darauf, daß demokratischer Anspruch und Überzeugung erst wieder zusammenfinden mußten. In dieser Hinsicht waren die 50er Jahre noch voller Vorbehalte, voller Oberflächen-Demokratie und eine Karenzzeit basisdemokratischen Staatsbürgertums. Wenn sich bei dem Bemühen, Anspruch und Realität wieder deckungsgleich werden zu lassen, das Erschrecken symbolisch an Namen heftete, die man für ihr Auseinanderfallen verantwortlich machte, ist die auch affektive Ablehnung ernst zu nehmen. Carl Schmitt war in diesem Sinne (und ist es bis heute) ein Erinnerungsträger für etwas Verhängnisvolles, und gegen dieses Erinnerungsgebot an die Verführbarkeit des Denkens mit den intellektuellen Leistungen Schmitts anzuargumentieren, ist weitgehend vergeblich. Leicht wird dabei die Ebene verfehlt, denn es stehen sich hierbei unterschiedliche Modelle der Erinnerung schwer vermittelbar gegenüber. Auf der anderen Seite nämlich resultierte die Dankbarkeit vieler an Schmitt gerade aus seiner Weigerung „abzuschwören". Die in seinen Schriften durchaus enthaltene Tröstung bestand aus der Erinnerung daran, daß im .Dritten Reich' Ansätze, über die man legitim hatte nachdenken können, lediglich pervertiert worden waren. Seinem „Fall", seiner Biographie und seinem Werk war ein in vielem irrationales Bedürfnis nach „Selbstbehauptung" unterlegt. Dies hatte sich im Kampf gegen Weimar, Genf und Versailles geäußert und dies war eines der Motive für seine Kollaboration im ,Dritten Reich'. Die Frontstellung gegen Identitätsgefährdungen war wohl auch eines der arcana seiner Nachkriegsschriften. In dieser Bedeutung konnte Schmitt neben seiner „abschreckenden" Funktion auch zu einer Identifikationsfigur bestimmter Erfahrungen und Grundemotionen aus Weimarer Zeit und ,Drittem Reich' werden. So trug er dazu bei, Geschichts-Interpretationen dieser Zeit unabgeschlossen zu halten, und die Bekanntschaft mit ihm konnte innerhalb der offiziös gehandelten, vieles verdrängenden Geschichtskultur durchaus eine die „Bewältigung der Vergangenheit" befördernde Wirkung haben. Ob im Ergebnis produktiv oder nicht — neben den Residuen der Privatsphäre, des akademischen ,Milieus', einiger Gesprächskreise, der Kunst und der Literatur blieb die Erinnerung und das Reden über die Vergangenheit im Umkreis solcher Figuren wie Carl Schmitt aufgehoben, sie bildeten Kontrapunkte zum „Schweigen" der Mehrheit - auch und gerade weil im anderen Umgang mit Takt und Tabu vieles an „Verschwiegenem" damit verbunden war. Über seine sich auch im Nachkriegswerk dokumentierende Haltung wurde Carl Schmitt wiederum zu einer Figur der Gegenwart. Sie entsprach zeitungebunden einer bestimmten Art politischer Desillusionierung, die gleichwohl das Politische für unhintergehbar hielt. Man brauchte seine Axiome nicht zu teilen (den Katholizismus, den Antiliberalismus etc.), um der Haltung des Grenzüberschreitens, des Vergrundsätzlichens, der Erkenntnis der „bitteren Wahrheit", der vermeintlich ungeschminkten Realitätswahrnehmung und das „Entscheidungspathos" zu teilen. Der geistige Habitus und das Selbstbild des Bescheid-Wissenden („kai nomon ethnoi"), dem von Utopisten,
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Fiktionalisten, Moralisten etc. vermeintlich nichts vorzumachen ist, besaß vor allem auch für Jüngere vor jeder inhaltlichen Identifizierung die Suggestion eines „erwachsenen" Denkens. In der Erinnerung an den „Ausnahmezustand" und den „Ernstfall" meinte man, die Pubertät überwinden zu können, der die Republik insgesamt unterworfen schien. Als „geistiger Typus" stand man mit Schmitt bei der Erfassung vorwiegend „trauriger" und „unbequemer" Wahrheiten gegen Idealisten, Illusionisten, Romantiker und Ideologen. Gegen Intellektuelle, die vermeintlich allzu leicht beliebigen Verführungen und Trends erliegen, wurde Schmitt „Persönlichkeiten" zugeordnet, die gerade wegen ihrer angeblich schonungslosen Realitätswahrnehmung nicht anders konnten, als Brüche zu erleiden und in ihren hehren Ansprüchen zu scheitern. Das solcherart erfahrungsgesättigte Ar kan-Wissen darum, wie es in der Politik eigentlich zugeht, sah man in einer durch die „veröffentlichte Meinung" pervertierten Öffentlichkeit der permanenten Gefahr des Mißbrauchs zur Durchsetzung von Partikularinteressen ausgesetzt. Das in dieser Haltung umschlossene .konkrete Ordnungsdenken' sah sich als Denkstil, der seine Lehren aus den geschichtlichen Umbrüchen in der Erkenntnis gezogen glaubte, daß neue Situationen jeweils neue Analysen verlangen. Schmitt bot dafür prägnante Begriffe und Kategorien, auch Fragen, die einen eigenen Diskurs gestatteten; damit wurde Schmitt zu einem der rezipierbaren Ahnen eines Konservatismus, der sich in den 50er Jahren strukturell wandelte: fort von Ewigkeits-Werten zu einer flexiblen Bejahung des Status quo. Noch mehr bot Schmitt: in ihm konnte man einem Autor inzwischen „klassisch" gewordener Texte begegnen, der noch persönlich zu den Intentionen und der Selbstinterpretation zu befragen war. Mit Schmitt ins Gespräch zu kommen, stellte eine Herausforderung dar. Dem Anspruch und den altertümlichen sozialen und wissenschaftlichen Verkehrsformen zu genügen, entlohnte Schmitt durch eine Aufmerksamkeit, die viele seiner Gesprächspartner anderswo vermißten. Seine Erscheinung und sein Auftreten standen in krassem Gegensatz zu dem Ruf, den er besaß, und die „einnehmenden" Bedingungen des persönlichen Kontaktes schufen durchaus emotionale Bindungen. Insbesondere Nonkonformisten und Oppositionsgeister erlagen dem eigentümlichen Reiz des Anachronistischen und Unzeitgemäßen, das Schmitt zu stilisieren verstand (und in der Rolle eines kate-chon überhöhte). Wenn man sich auch einzelnen seiner Beurteilungen nicht anzuschließen vermochte, bekam man dennoch in der Beschäftigung mit seinem Werk eine ganze, anhand suggestiver Einschätzungen und eines spezifischen Gegenkanons strukturierte geistesgeschichtliche Ära in den Griff. Das Werk Schmitts wurde inhaltlich rezipiert in der zweifachen Weise, in der es angelegt war. Der normative Schmitt (gleichsam der „Hüter der Verfassung") war Bestandteil der auf hohem Niveau abgebrochenen Diskussion der Weimarer Staatsrechtslehre, die zugleich rechtsphilosophische Umorientierungen eingeleitet hatte. Seine Beiträge hierzu waren zitierbar, wenn man sie nicht als Etappen eines notwendig gegen den Nationalsozialismus konvergierenden Gedankengebäudes las — aber sie
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waren natürlich auch dann zitierbar, wenn man sie so las. Die Rechts- und Verfassungslagen von Weimar und früher Bundesrepublik waren so unähnlich nicht, als daß hier Schmitt gänzlich unaktuell geworden wäre. Eklektizistisches und das Lesen „gegen den Strich" waren dagegen geläufige Rezeptionsweisen im Falle des anderen, des „kritischen" Schmitt, des politischen Denkers und Freund/Feind-Theoretikers. Mit Schmitt ließen sich kritische Perspektiven auf die Sphäre des Politischen einnehmen und Grenzverläufe zwischen Recht, Politik und Ethik neu abstecken. Produktiv gewendet, ließen sich so die Grundlagen der bundesdeutschen politischen Kultur' abklopfen. Am vielbeschworenen demokratischen Grundkonsens konnte man sich mit Schmitt im Gepäck trefflich abarbeiten und dabei zahlreiche „Tabus" entdecken. Sie betrafen Einbruchsmöglichkeiten für Totalisierungen - freilich konnte der Blick aber auch Mißtrauen in das gesamte „System" generieren. Wie weit dieser Eklektizismus ging und wie sehr eine zustimmende Lektüre bei den Lesern Schmitts zu Übereinstimmungen mit seinen Grundannahmen (und Folgerungen) gebracht wurde, ist letztlich nicht feststellbar. Doch scheinen viele der Binnendifferenzierungen innerhalb der bundesrepublikanischen Wirkungsgeschichte Schmitts auf die unterschiedlich starke Konsequenz rückführbar, mit der adaptiert wurde, was sein Werk in dieser Hinsicht an Verschwiegenem in sich trug. Auch die Scheu oder betonte Weigerung vieler, trotz guter Gelegenheiten seine persönliche Bekanntschaft zu machen, konnte als Stellungnahme dazu gewertet werden. Mit seinem Nachkriegswerk lieferte Schmitt darüber hinaus einen Kommentar zur „Ordnung des Diskurses": die von ihm analysierte und kritisierte Diskriminierung und Kriminalisierung im Rechts-„Diskurs", als deren prominentestes Opfer er sich selbst sah, konnte zwar als pathologisch abgewehrt werden. Doch benannte Schmitt auch Muster, die sich auf Situationen der Ausgrenzung in intellektuellen Auseinandersetzungen geradezu beliebig applizieren ließen. Beim angeblichen Tabubrecher Schmitt kam es zu einem in spezifischer Weise austarierten Verhältnis von Reden und Schweigen, dessen Gleichgewicht sich anders konstituierte, dessen Tabus anders verteilt und dessen „System" sich inkongruent zu denjenigen Systemen verhielt, die andere Gruppen (und die bundesrepublikanische Gesellschaft insgesamt) zu dieser Zeit aufwiesen. Die sich daraus ergebende Spannung baut sich bis heute ab. Die Emotion gegen Schmitt richtete sich meist gegen den „Defätisten der Demokratie", der das Beschwörende und Pathetische der Staatsgründung gefährdete. Die Aspekte der Selbsttäuschung und der aufklärerischen Erziehungsdiktatur, die auch darin vorhanden waren, drohte Schmitt unbarmherzig in den Mittelpunkt zu rücken. Wäre die politische und gesellschaftliche Ordnung der 50er derjenigen der 20er und 30er Jahre nicht so ähnlich gewesen, man hätte Carl Schmitt als elaborierten Vertreter eines politischen Verständnisses jener Zeit kennzeichnen und ihn damit als „überlebt" verharmlosen können. Bezeichnenderweise aber hört man die Einwände gegen Schmitt, er sei veraltet oder nichtssagend - die einzigen, die seinen Mythos hätten zerstören können — , so gut wie
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nie. Hieraus erklärt sich aber die gleichsam magische Qualität, die jede Beschäftigung mit Carl Schmitt besaß. Wegen seiner Angebote, seiner „lebensvollen" Biographie (und gerade seine „Fehlbarkeit" nahm dem Umgang mit ihm auf menschlicher Ebene viel Einschüchterndes), wegen seiner anspielungsreichen und ästhetischen Texte galt er als „Geheimtip". Die Magie des Extrems und das Reden über etwas Verbotenes reizten zusätzlich, und die beschriebenen Bildungsgeschichten zeichnen in Umrissen ein gemeinsames Profil derer, die darauf „ansprangen". Es handelte sich vorwiegend um Personen mit: - einem emphatischen Verständnis von „Wirklichkeit", als dessen Antagonismus aber nicht eine andere „Wirklichkeit" figuriert, sondern das „Betrogenseinwollen"; - einem Blick auf die Sphäre der Öffentlichkeit (und ihre Medien) im Bewußtsein ihrer Schichtung nach Macht und Einfluß; - dem intellektuellen Gestus des „erwachsenen" Denkens, das sich gegen naive Jugendbewegtheit und Illusionen aller Art stemmt (daher zwar viele „Frühreife" anzog, aber auch die Gefahr der „Altklugheit" und der „Geistreichelei" in sich trug); - einem ausgesprochen historischen, ja historistischen Bewußtsein, das der eigenen Erfahrung einen gewichtigen Stellenwert zumaß und eher zu anekdotischem und assoziativem, als zu systematischem Denken neigte; - einer Identität als „Persönlichkeit" (im hier beschriebenen Sinne); - der Überzeugung von der Verwobenheit aller Wissenschaften, mit einem analytischen Blick in synthetisierender Absicht. An Schmitt faszinierte, daß er eine Geschichtsphilosophie ohne Metaphysik, ein Fortschrittsdenken frei von Optimismus, eine Werten gegenüber kritisch eingestellte Grundsätzlichkeit und eine ideologiefeindliche Weltanschauung mit einem dennoch kohärenten analytischen Instrumentarium vorlegte. Der sich an diesen Kriterien kristallisierende Zusammenhang einer „Schule" spiegelt viele der „irrationalen" Bauprinzipien wider, die von der reinen Überzeugungskraft des Arguments ummantelt werden. Es wäre zu fragen, ob sich Zusammenhänge dieser Art nicht auch aus Gründen einer „Ökonomie des Geistes" bilden. Eröffnet die Idee, um die sich eine Gruppierung bildet, neue Perspektiven außerhalb eingefahrener Bahnen, stellt sich nicht allein ein Gefühl exklusiver Erkenntnis ein. Es ist darüber hinaus, besonders in den Kulturwissenschaften, ein Leitfaden gefunden und damit ein Medium an die Hand gegeben, nach welchem sich die unendliche Fülle schon bestehender Deutungen selektieren und auf neue, oft überraschende Art organisieren läßt. Damit ist eine Gedächtnisstütze gegeben - jeder kennt die intellektuellen Lernschritte, die im Einüben eines fremden Blicks durch vorübergehende Adaption oder gar Identifikation bestehen. Zur „Schule" wird dieser obligate Vorgang erst, wenn sich ein kommunikatives Netz um die Überzeugung spannt, das innovative Potential einer bestimmten Sichtweise sei noch lange nicht erschöpft. Ist Carl Schmitt auch eine Figur der Zukunft? Hat er dieses innovative Potential? Schmitts Werk und seine Person werden weitere Deutungen erfahren, dazu sind beide
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zu vielfältig und dazu gibt es noch zu viel vom Schriftsteller Schmitt zu entdecken. Auch laden von ihm aufgestellte „Forschungsprogramme" weiterhin zur Bearbeitung ein und gerade seine politisch-theologische Problemsicht ist weiterhin provozierend. Sein situationsgebundenes, strukturfeindliches Theoretisieren macht ihn sogar für postmoderne Denkungsart attraktiv. Auch ist Schmitt einer derjenigen Autoren, die über ihre Selbstreferentialität auf besondere Weise in den Bann ziehen, dabei aber nicht leicht reduzierbar sind auf einzelne Themen, die sie besetzt halten. Schmitts Begriffe werden weiterhin Diagnosen kennzeichnen. Wichtiger sind wohl die habituellen Konstanten intellektueller Diskurse: „Dezisionismus des Denkens", Gemeinsamkeiten des „anthropologischen Glaubensbekenntnisses", der stilistische und ästhetische Reiz. In dem Prozeß der Epochen-Abschließung deutscher Nachkriegsgeschichte wird sich eine andere Generation der Gedanken und des „Falls" Carl Schmitts annehmen. Sie wird dies sicherlich mit weniger Emotionen tun, denn die eigene Biographie ist nicht mehr betroffen. Gerade deshalb bildet die lebensgeschichtliche Erfahrung aber - wie bei jeder Lesart seines Werks durch die Generationen der frühen Bundesrepublik auch kein Gegengewicht mehr zu radikaleren Konsequenzen, die sich aus Schmitts Positionen ableiten lassen. Leicht lassen sich an seinem „Fall" die vielen Unsicherheitspotentiale aufzeigen, die das junge Staatswesen Bundesrepublik bedrohten und in der es der politischen Kultur' angelegen war, sich immer wieder regulierend solcher „Feinde der Demokratie" anzunehmen. Der Versuch einer Blockade unerfreulicher Traditionsbestände, um sich dieser „Schatten der Vergangenheit" zu entledigen, mußte jedoch letztlich fehlschlagen. Wie in den Naturwissenschaften erwies sich: was gedacht werden kann, wird auch gedacht. Die Evokation des Namens Schmitt ist zu einem Spiel zwischen Tabuisierung und Provokation geworden, das aber langfristig nur dann wirken kann, wenn dabei Zutreffendes zutage gefördert wird. Vielleicht sollte man sich unter dieser Perspektive erneut mit ihm beschäftigen.
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Gespräche mit Prof. Dr. Hermann Lübbe (11. Januar 1991 in Zürich) Prof. Dr. Wilhelm Hennis (15. Januar 1991 in Freiburg) Gisela und Peter Lehmann (4. Februar und 11. Juli 1991 in Duisburg) Prof. Dr. Karlfried Gründer (2. April 1991, telefonisch) Dr. Nicolaus Sombart (3. April 1991 in Berlin) Prof. Dr. Peter Scheibert (7. April 1991 in Berlin) Dr. Rüdiger Altmann (16. April 1991 in Bad Godesberg) Prof. Dr. Marianne Kesting (2. Mai 1991 in Bochum) Prof. Dr. Reinhart Koselleck (4. Juli 1991 in Bielefeld) Prof. Dr. Dieter Groh (18. Juli 1991 in Essen) Prof. Dr. Helmut Quaritsch (5. August 1991 in Speyer) Prof. Dr. Hans Schneider (6. August 1991 in Heidelberg) Prof. Dr. Dr. h.c. Roman Schnur (30. August 1991 in Rottenburg-Wurmlingen) Prof. Dr. Hasso Hofmann (31. August 1991 in Würzburg) Anni Stand und Ernst Hüsmert (13. September 1991 in Plettenberg) Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde (19. Dezember 1991 in Karlsruhe) Prof. Dr. Hans-Joachim Arndt (31. Januar 1992 in Heidelberg-Schriesheim) Prof. Dr. Johannes Chr. Papalekas (19. Februar 1992 in Bochum) Dr. Gerd Giesler (27. Februar 1992 in Berlin) weitere Auskünfte von Dr. h.c. Eberhard von Medem (t), Ingeborg Villinger (Freiburg), Dr. Eberhard Straub (Essen), Prof. Dr. Dan Diner (Essen), Dr. Heinz Kleger (Zürich), Dr. Marco Molteni (Zürich), Dr. Reinhard Blomert (Berlin), Dr. Karl-Siegbert Rehberg (Aachen) sowie Pfarrer Komnick und Bürgermeister Weininger (beide Ebrach)
2. Archivalien Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HSTAD) Nachlaß Carl Schmitt (RW 265, Kartons Nr. 8, 35,58, 61, 64,93,112,122,143,145,148,150,170, 178, 182, 196, 204, 206, 211, 212, 214, 217, 219, 220, 224, 234, 270, 276, 320, 323, 327, 398, 400, 416, 424, 425, 433, 444, 448, 452, 457, 458, 469, 475, 481)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Institut für Zeitgeschichte, München SD-Hauptamt, Akte Carl Schmitt (Fa 503) Nachlaß Karl Thieme (ED 163/28) Nachlaß Karl Schuhes (ED 188/7) Bayrisches Hauptstaatsarchiv, München Sammlung Rehse (Nr. 5153: Carl Schmitt) Deutsches Literatur-Archiv, Marbach Merkur-Redaktionsarchiv (Briefwechsel mit Carl Schmitt) Nachlaß Alfred Andersch (Briefwechsel mit Carl Schmitt) Staatsarchiv Münster Nachlaß Rolf Schroers (Kartons 175, 223, 288, 577, 785)
3. Literatur (Vorbemerkung: Das Literaturverzeichnis weist lediglich die im Haupttext zitierten sowie die wichtigsten sonstigen Schriften aus; die übrige Literatur ist am Ort angegeben.)
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Namenverzeichnis
Abendroth, Wolfgang 31,37,122, 166-168,170,214,262,290,291,293 Achelis, Johann Daniel 98,142 Achenbach, Ernst 102,177 Adam, Armin 9 Adam, Uwe Dietrich 163 Adams, Alfons 32,139 Adams, Henry 126 Adams, Paul 139 Adenauer, Konrad 65,133,151,171,263, 264 Adorno, Theodor W. 71,72,88,118,129, 139,176,193,203 Agartz, Viktor 169 Agnoli, Johannes 290 Ahlers, Conrad 151 Ahlmann, Wilhelm 142,230 Alewyn, Richard 86,140 Alff, Wilhelm 252 Allemann, Fritz René 144,173 d'Alquen, Gunter 49 Altmann, Rüdiger 23,52,65,93,111,112, 133,155,166,173,185,191,196,198, 262-265,268,283,290 Ambrosius von Mailand 115 Amery, Carl 178 Anders, Günther 229 Anders, Helmut 245 Andersch, Alfred 18,45,52,69,139,266 Anschütz, Gerhard 160,186 Apel, Karl-Otto 68 Arendt, Hannah 30 Aristoteles 192,194,217 Arndt, Adolf 134,144,150,152,156,160, 176,184,245
Arndt, Hans-Joachim 70,102,104,141, 187,188,206,218,219,261,262,283 Arnold, Heinz Ludwig 251 Aron, Raymond 174,219 Assheuer, Thomas 10,60 Auerbach, Philipp 143 Augstein, Rudolf 138,173 Backes, Uwe 7 Bader, Karl Siegfried 154,282 Badke, Rolf 144 Bahrdt, Hans-Paul 191,275 Bajohr, Frank 18 Balet, Leo 115 Ballestrem, Karl Graf 24,28,158,161 Ballweg, Ottmar 212,283,284 Bamberg, Hans-Dieter 59,250 Barandon, Paul 212 Baring, Arnulf 161 Barion, Hans 53-56,99,112,142,158, 206,228 Barion, Jakob 155 Barth, Hans 257 Baudrillard, Jean 16 Bauer, Fritz 176,291 Bauer, Bruno 83,103,262,267 Bäumer, Gertrud 43 Bäumler, Alfred 186 Becher, Johannes R. 31 Becker, Hans 50 Beckerath, Erwin v. 40,142 Beckerath, Thea v. 64 Behnke, Heinrich 181 Behrmann, Günter C. 145 Beismann, Volker 102,188,219
318 Bell, Daniel 174 Benda, Julien 109 Bendersky, Joseph W. 24 Benjamin, Walter 252 Benn, Gottfried 86,91-93,108,109,189, 258,285,288 Bentin, Lutz-Arwed 27,32 Benz, Wolfgang 30,124,128,146,162,213 Berber, Friedrich 30,242 Berg-Schlosser, Dirk 23 Berger, Peter L. 101 Berger, Thomas 236 Bergmann, Igmar 178 Bergsträsser, Arnold 214 Bergsträsser, Ludwig 45 Bertram, Ernst 40 Berve, Helmut 98 Best, Werner 102,177 Beyme, Klaus v. 217 Biedenkopf, Kurt H. 264 Bien, Günther 207 Bilfingen Carl 186 Binder, Gerhard 120 Binding, Karl 81 Birke, Adolf M. 158 Bismarck, Klaus v. 273 Blanke, Bernhard 292 Bleek, Wilhelm 146,214 Blei, Franz 29,111,157 Bloch, Ernst 128,155 Bloy, Leon 251 Blüher, Hans 113 Blümel, Willi L. 200 Blumenberg, Hans 101,225,230,280 Bodensiek, Heinrich 133 Böckenförde, Christoph 170 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 146,147, 154,164,175,178,189,193,194,196, 198-200,206,213,223,228,264,283,284, 288,290 Böckenförde, Werner 53,196,228,288 Böckle, Franz 154 Böhler, Dietrich 229 Boehm, Max Hildebert 59,243 Boll, Heinrich 18,52,131,176,178,254 Boer, Wolfgang de 62
Namenverzeichnis Böx, Heinrich 58 Bogner, Hans 99 Bollmus, Reinhard 30 Bolz, Norbert 9,174 Bolz, Rüdiger 180 Bonn, Moritz Julius 152 Borch, Herbert v. 125,169 Borchers, Hans 70 Borchert, Wolfgang 176 Bormann, Alexander v. 207 Bormann, Claus v. 207 Bornkamm, Günther 186 Borries, Karl E 148 Borsdorf, Ulrich 64 Bott,Hans 159 Bourdieu, Pierre 87,232 Boventer, Hermann 51 Boveri, Margret 138 Bracher, Karl Dietrich 22,23,174, 214-216,226,238,284,286 Brandt, Peter 64 Braudel, Fernand 223 Braun, Hans 171 Braun, Hans-Jürg 204 Brauweiler, Heinz 142 Brecht, Arnold 129,153 Brecht, Franz Josef 272 Bredow, Wilfried v. 10 Breker, Arno 143 Brelie-Lewien, Doris v. d. 15 Brentano, Heinrich v. 151 Brentano, Lujo 43 Breuer, Stefan 257 Brinkmann, Carl 39,112 Bröker, Walter 87 Broszat, Martin 7,11,14,61,130,210,280 Brückner, Peter 290,292,293 Brüning, Heinrich 35,50 Brünneck, Alexander v. 159 Brunkhorst, Hauke 88,113,181,280 Brunn, Gerhard 131,169 Brunner, Otto 64,82,85,174,191,223,224 Buber-Neumann, Margarete 148 Bucerius, Gerd 45,150 Buchheim, Hans 226 Bude, Heinz 15,16,21,119,129,130,185
319
Namenverzeichnis Büttner, Ursula 145 Bung, Hubertus 53 Bungenstab, Karl-Ernst 70 Burckhardt, Jacob 103,172 Burnham, James 117,221 Busche, Jürgen 264 Buselmeier, Karin 186 Busse, Dietrich 225 Cabrai de Moneada, Luis 116 Campenhausen, Axel v. 183,203 Campenhausen, Hans v. 186 Capitani, René 161 Cassirer, Ernst 204 Celan, Paul 176 Céline, Louis-Ferdinand 100 Christen, Viktor 76 Clausewitz, Carl ν. 82,83,191 Clay, Lucius D. 33 Cobet, Christoph 14 Cocteau, Jean 100 Collingwood, Robin George 142,230 Comte, Auguste 267 Conrad, Dieter 207 Constant, Benjamin 282 Conze, Werner 48,97,99,186,206,224, 225 Corino, Karl 24,86,92,93,97,143,242 Cornides, Wilhelm 47 Cournot, Antoine Augustin 269,282 Cramer, Heinz v. 252 Croce, Benedetto 268,270 Däubler, Theodor 142 Dagtoglou, Prodromos 200 Dahm, Georg 242 Dahrendorf, Ralf 117,182,279 Dallmayr, Winfried 283 Dann, Otto 207 Dedekind, Adolf 58 Dehler, Thomas 144 Dehmel, Richard 43 Demandt, Alexander 225,226 Demm, Eberhard 187 Dericum, Christa 187 Deschamps, Bruno 187
Didszun, Helmut 91 Diederichs, Eugen 43 Diels, Rudolf 33 Diestelkamp, Bernhard 122,123 Dietka, Norbert 91 Dietrich, Barbara 166 Diner, Dan 72,96,129,212,224,296 Dirks, Walter 44,273 Diwald, Hellmut 226,261 Dockhorn, Klaus 154 Doehring, Karl 200,240,241,245,285 Dönhoff, Marion Gräfin 150 Dohse, Rainer 21,45,48,243 Dombois, Hans Adolf 183 Donoso Cortés, Juan 67,76,83,109,113, 189,273 Drath, Martin 65,166-168 Dreier, Horst 153 Dresbach, August 151 Drieu la Rochelle, Pierre 100 Düll, Rudolf 34 Dürckheim-Montmartin, Karl Graf v. 142 Dürig, Günter 137,211 Düwell, Kurt 14,182 Duguit, Léon 282 Dulles, John Foster 151 Eberan, Barbro 15,18,20 Eckardt, Hans v. 45 Eckertz, Rainer 155,156,212 Eckhardt, Karl August 30,94 Edinger, Lewis J. 70,133 Ehlers, Hermann 134 Ehmke, Horst 156,158,163,183,184 Eich, Günther 176 Eichmann, Adolf 151,176 Eisenhower, DwightD. 151 Eisermann, Gottfried 187 Elias, Norbert 115,116,232 Eliot, Thomas Stearns 288 Elm, Ludwig 56,180 Enzensberger, Hans Magnus 190 Epting, Karl 15,19,39,79 Erhard, Ludwig 263-265 Erikson, Erik Η. 107 Eschenburg, Theodor 163
320 Eusebius von Caesarea Exner, Franz 34
Namenverzeichnis 84
Faber, Richard 264 Fangmann, Helmut 135 Farias, Victor 87-89 Faßbender, Monika 253,254 Faul, Erwin 187,213 Faulenbach, Heiner 52 Feest, Johannes 165 Fetscher, Iring 97,185,217,283 Fichte, Johann Gottlieb 199 Ficker, Ludwig v. 141 Figge, Klaus 24,139,226 Fijalkowski, Jürgen 170,215,217,280 Filbinger, Hans 15,42 Filmer, Werner 13 Fisch, Jörg 224 Fischer, Rudolf 110,138,167 Fischer, Ruth 44 Flechtheim, Ossip K. 33,177 Flick, Friedrich 32,143 Flickinger, Hans-Georg 9,26 Flitner, Andreas 107,118 Forsthoff, Ernst 34,45,53,55,56,85,86, 98,107,124,125,142,158,162-169,177, 185-187,192,200-208,212,226,237, 240-246,261,276,283,286,289 Forsthoff, Heinrich 241 Foschepoth, Josef 120,180 Foucault, Michel 133 Fraenkel, Ernst 30,158,164,168,214,216, 226,245,286 Franco, Francisco 249 Frank, Lawrence Κ. 107 Frantz, Konstantin 285 Franz, Günther 224 Franzen ,Hans 53,98 Freiligrath, Ferdinand 78 Freud, Sigmund 114,270 Freund,Julien 102,206,219,261 Freund, Michael 161,176,214,223 Frey, Gerhard 261 Freyer, Hans 53,56,79,86,97-99,103, 105,108,117,139,142,203,219,221,224, 239,243,269,275,277,279
Freymark, Heinrich 73 Friedensburg, Ferdinand 32 Friedrich, Carl Joachim 30,186 Friedrich, Heinz 17,52,139 Friedrich, Manfred 143 Friesenhahn, Ernst 30,154,155 Fritsche, Klaus 226,265 Fromme, Friedrich Karl 157—159 Fuchs, Peter 68 Funk, Peter 139 Funke, Manfred 13,22,23,50,159,214 Gablentz, Otto Heinrich v. d. 177,217 Gabriel, Oscar W. 24 Gadamer, Hans-Georg 67,68,87,179, 187,193,203,230,272 Gaiser, Gerd 176 Galinski, Heinz 177 Gaulle, Charles de 84,260 Gebhardt, Hermann 32 Gebhardt, Klaus 44 Geertz, Clifford 11 Gehlen, Arnold 44,53,80,98,105,108, 113,117,118,175,202,206,220,221,229, 246,261,262,275,276,283,284 Geiger, Theodor 215,232 Geiler, Karl 45 Geiss, Immanuel 58 Geißler, Rainer 24,239 George, Stefan 67,236,237 Georgiades, Thrasybulos G. 186 Gerber, Hans 34 Gerhard, E. 115 Gerhardt, Volker 193,225 Gerlach, Erich 291 Gerstenmeier, Eugen 133 Giere, Walter 97 Gierke, Otto v. 107 Gilles, Werner 252 Giordano, Ralph 71 Glaeser, Ernst 18 Glaser, Hermann 14,50,51 Gleichen, Heinrich v. 114 Globke,Hans 143,178 Goes, Albrecht 67 Goethe, Johann Wolfgang 109
321
Namenverzeichnis Goffman, Erving 72,78,79,236 Gollwitzer, Heinz 224 Gonzales, Felipe 91 Göppinger, Horst 28 Göring, Edda 250 Gosewinkel, Dieter 134,147,152,156, 165,184,191,245 Götz, Volkmar 211 Grabert, Herbert 56,123,148,149,151 Grabowski, Adolf 43 Gracián, Β altasar 115 Grami, Hermann 130 Grawert, Rolf 207 Grebing, Helga 9 Green, Martin 270 Gregor der Große 249 Greiffenhagen, Martin 10,16,71,94,182, 186-188,203,208,215,217,236,257 Gremmels, Heinrich 44 Gresmann,Hans 261 Grewe, Wilhelm G. 46,123,137,151,177, 183,200 Grieshaber, HAP 18 Griffith, BelverC. 233,234 Grimm, Dieter 210 Grimm, Friedrich 49,102,159 Grimme, Adolf 97,100 Groeben, Klaus v. d. 49 Groh, Dieter 24,187,191,195,207,226, 239 Groh, Ruth 195,207 Gropius, Walter 288 Gross, Johannes 93,144,145,173,191, 196,198,221,238,262,263,265 Gross, Raphael 24,28 Grosse, Franz 169 Gruchmann, Lothar 28 Gründer, Karlfried 192-194,198,200,204 Gründgens, Gustav 143 Guardini, Romano 35,62 Guggenberger, Bernd 292 Gumbel, Emil J. 29 Günther, Albrecht Erich 46,99,241 Günther, Gerhard 45,46,99 Günther, Joachim 71 Gurian, Waldemar 29,30,34,152,241,268
Haak, Volker 207 Habel, Walter 140 Haberl, OthmarN. 47 Habermas, Jürgen 44,65,68,81,88,89, 115,185,186,200,207,230,239,262, 274-276,278,293 Haberle, Peter 163,183,184,240 Haecker, Theodor 141 Hafner, Georg M. 178 Hahn, Alois 132 Hallstein, Walter 45 Hamm-Brücher, Hildegard 45 Hamsun, Knut 100 Hannover, Heinrich 291 Hansen, Christian 186 Hansen, Klaus 9,10,24,37,75,160,162, 253,254,265 Harlan, Veit 143,147,180 Hart, Walter 95 Hart Nibbrig, Christiaan L. 127 Harth, Dietrich 186 Hartlaub, Gustav 186 Hartwich, Hans-Hermann 165,168 Haug, Hans 163 Haug, Wolfgang Fritz 116,178 Haungs, Peter 185 Hauptmann, Gerhart 100 Hauriou, Maurice 282,284 Hauser, Richard 202 Haushofer, Albrecht 97 Haushofer, Karl 95-97 Haustein, Werner 37 Hay, Gerhard 180 Hayek, Friedrich August v. 20,42 Heckel, Johannes 34 Hegel, Georg W. E 38,82,192,194,196, 239,272,276-279 Hehlmann, Wilhelm 107 Heiber, Helmut 30,63,243 Heidegger, Martin 40,62,64,86-89,93, 108,110,128,185,186,192-194,204,217, 227,247,258,259,272,276,281,288 Heidingsfelder, Georg 249 Heigert, Hans 188 Heimpel, Hermann 98,183 Heine, Fritz 58
322 Heine, Heinrich 36 Heinemann, Gustav 47,61,184,291 Heinemann, Peter J. 207 Heinrich, Ludwig 141 Heller, Hermann 160,165,166,184,210, 214,216,242,293 Henke, Klaus-Dietmar 14,61,70,126 Henkel, Heinrich 242 Hennig, Eike 164,239,293 Hennis, Wilhelm 65,163,183,184,217, 239,283 Henrich, Dieter 207 Hentig, Hansv. 243 Hepp, Marcel 190,204,261 Hepp, Robert 103,190,191,199,200,204, 261 Herbert, Ulrich 14,18,102,131 Herbig, Reinhard 186 Herbst, Ludolf 118-120 Herf, Jeffrey 257 Hergt, Gerhard 188 Hermand, Jost 14 Hermens, Ferdinand A. 153 Hess, Gerhard 186 Heß, Rudolf 96 Hesse, Konrad 175,183 Hettlage, Karl Maria 191 Heuss, Theodor 43,91,100,112,143,144, 147,153,159,176 Heydte, Friedrich August v. d. 37,38,40, 58 Heyen, Erk Volkmar 160,210 Heyland, Carl 123,137,169 Hickel, Rudolf 94 Hilger, Norbert 258 Hill, Werner 27 Hillard Steinbömer, Gustav 112,142,230 Hiller, Kurt 110,112 Hillgruber, Andreas 88 Hilsbrecher, Walter 139 Himmelstein, Klaus D. 32 Hindenburg, Paulv. 176 Hinder, Rolf 230 Hippel, Fritz v. 154 Hirsch, Eike Christian 207 Hirsch, Kurt 170
Namen Verzeichnis Hitler, Adolf 19,27,36,94,96,115,125, 147,151,248,252,260,278,288 Hobbes, Thomas 77,81,82,113,115,128, 155,185,189,277 Hoche, Alfred 81 Hochhuth, Rolf 178 Hochstein, Beatrix 126 Hockerts, Hans Günter 212 Hölscher, Lucian 64 Hölzle, Erwin 224 Hörstel, Reinhard 246,276,286 Hösle, Vittorio 26 Hofer, Walther 224 Hoffmann, E. T. A. 108 Hoffmann, Volkmar 144 Hofmann, Hasso 25,65,185,187,212,217, 244,283 Hofmannsthal, Hugo v. 86,140 Höhn, Reinhard 30,94,102,177,242 Holczhauser, Vilmos 9,10,145 Holldack, Heinz 36 Hollerbach, Alexander 244 Holthusen, Hans Egon 45 Holtmann, Everhard 61 Hondrich, Karl Otto 7 Hoßbach, Friedrich 30 Huber, Ernst Rudolf 24,25,41,124,167, 208,212,242 Huber, Hans 238 Huber, Konrad 164 Hübener, Wolfgang 230 Hübner, Kurt 207 Hueck, Alfred 34,168 Hürten, Heinz 29,152 Hüsmert, Ernst 41,52,56,135,191 Hüttenberger, Peter 13 Hüttig, Christoph 166 Hufnagel, Gerhard 24,239 Huges, Michael L. 168 Humboldt, Wilhelm v. 107 Hund, Heinz 188 Hurwicz, Elias 152,204 Husserl, Edmund 276 Hutten, Ulrich v. 33 Huxley, Julian 269
Namenverzeichnis Iglberger, Gisela siehe Lehmann, Gisela Ilau, Hans 151 Ipsen,Gunther 98,142,220,273 Ipsen, Hans Peter 137,168,191 Isensee,Josef 212,279 Ishida, Yuji 114 Jacobsen,Hans-Adolf 22,23,96,145 Jacoby, Edmund 178 Jaeger, Hans 15 Jäger, Herbert 177 Jaeserich, Helmut 62,180 Jaffé, Edgar 43 Jahrreiss, Hermann 34,137 Jaide, Walter 15 Jakob, Samuel 68 Jaschke, Hans-Gerd 10 Jasper, Gotthard 118 Jaspers,Karl 43,62,88,117,118,129,179, 180,186,238,242,256,288 Jay, Martin 293 Jehoda, Marie 220 Jellinek, Georg 157 Jellinek, Walter 124,186 Jenke, Manfred 59,95,120 Jesse, Eckhard 7,176 Jessen, Jens 142 Jodl, Alfred 34 Johe, Werner 18 Jonas,Friedrich 275,283 Jordan,Pascual 40,45,206,243 Jouvenel, Bertrand de 282 Joyce,James 288 Jüngel, Eberhard 60 Jünger, Ernst 39,40,42,44,46,49,51,62, 79,83,86,90-93,99,103,108,110,111, 116,141,160,189,217,245,251,254,258, 259,262 Jünger, Friedrich Georg 44,46 Jüres, Ernst-August 191,275 Kahl,Bruno 24 Kaiser, Jakob 48 Kaiser, Joachim 139 Kaiser, Joseph H. 27,65,169,246 Kaletsch, Konrad 32,138
323 Kalow, Gert 62 Kambartel, Friedrich 193,194 Kamper, Dietmar 91 Kant, Immanuel 68,106,118,192,215,276 Kantorowicz, Ernst 223 Kantorowicz, Hermann 203 Kasack, Hermann 142 Kastendiek, Hans 213 Kater, Horst 27 Kauffmann,Hans 142 Kaufmann,Erich 30,41,56,123,177,237, 244 Kaufmann, Matthias 9,212 Kellinghusen, Walter 142 Kelsen,Hans 122,152,153,160 Kempner, Robert M. W. 33,40,79,108,109 Kempski, Jürgen v. 39,122,192 Kennedy,Ellen 108,185,278,293 Kern, Ernst 125 Kershaw, Ian 226 Kessler, Harry Graf 153 Keßler, Heinrich 99,100 Kesting,Hanno 56,65,103,104,187-192, 221,227,268,271-276,282,283 Kesting, Marianne 192,207,271,275 Kielmansegg, Peter Graf 121,124,126,130, 176 Kielmansegg, Johann Adolf Graf 243 Kierkegaard, Sören 23,192 Kiesinger, Kurt G. 49,50,58,59,264 Kirchheimer,Otto 29,30,135,156,283,293 Kirchhoff, Peterheinrich 137 Kirfel, Martina 135,161 Kirn, Michael 73,123 Kittsteiner, Heinz Dieter 115 Kleger, Heinz 228,276-278 Klein, Markus Josef 102,188,219 Klein, HansH. 200 Kleist, Heinrich v. 148 Kleßmann, Christoph 119 Kloten,Norbert 209 Klug, Oskar 142 Kluge, Alexander 293 Knips, Ignaz 88 Knütter, Hans-Hellmut 80 Koch, Friedrich Wilhelm 39
324 Koch, Justus 49 Koch, Manfred 105,106 Kodalle, Klaus-Michael 207 Koebner, Thomas 138 Köhler, Otto 249,250 Koelble, Josef 176 Köllmann, Wolfgang 14,182 Koellreutter, Otto 30, 34,40,56, 59, 94, 95,167,168,177,242 Koenen, Andreas 24,26 König, Helmut 111 König, René 99,221 Köttgen, Arnold 131 Kogon, Eugen 38,43,44,139,156,169 Kohl, Helmut 91 Kohl, Wolfgang 210,212,242 Kohler, Georg 276,278 Kohli, Martin 232,240 Kohlrausch, Eduard 110 Kojève, Alexandre 50,135,185,269,273, 282 Kolbenheyer, Erwin Guido 40 Komnick, Pfarrer 228 Konstantin der Große 84 Korn, Karl 89,127,139,258 Korsch, Karl 291 Koselleck, Reinhart 31,65,104,115,136, 187,188,192,206,214,224-226,268, 272,274,282,283 Kowa, Victor de 47 Krämer-Badoni, Rudolf 21 Kramer, Franz A. 247 Kramme, Rüdiger 9,112 Krause, Tilman 259 Kraushaar, Werner 143 Krauss, Günther 53-59,123,135,162, 246-250,268, 283 Krauss, Werner 143 Kreile, Reinhold 125 Kreuz, Leo E 58 Kreuz, Lothar 32 Kriele, Martin 193,194,198,199,206, 212,228,279 Krockow, Christian v. 16,88,163,173, 216-218,238,255,259,280 Kröger, Klaus 169
Namenverzeichnis Krohn, Maren 175 Krüger, Gerhard 87 Krupp, Alfried 143 Kuby, Erich 44,266 Küchenhoff, Erich 196,242 Kühlig, Gerhard 58 Kühn, Heinz 279 Kuhn, Annette 207 Kuhn, Thomas S. 234 Kuhnert, Hans 30 Kunkel, Wolfgang 186 Kutzleb, Hjalmar 67, 231 LaCapra, Dominik 11 Lacoste, Yves 230 Lameyer, Johannes 146 Lange, Heinrich 242 Larenz, Karl 242 Laski, Harold J. 167 Lauermann, Manfred 24,199 Laufer, Heinz 112,218 Laugstien, Thomas 116 Lawrence, Τ. E. 251 Lazarsfeld, Paul E 220 Leber, Annedore 170 Leep, Hans-Jürgen 44 Leggewie, Claus 257,259-261 Lehmann, Peter 204-207 Lehmann (Iglberger), Gisela 204, 206-208 Lehmbruch, Gerhard 217 Leibholz, Gerhard 65,111,155,156,183 Lenin, Wladimir Iljitsch 83, 249 Lening, Walter 92 Lenk, Kurt 10,103, 221 Lepenies, Wolf 118, 232-234,240 Lepsius, M. Rainer 42,219,220 Leroy, Maxime 268, 282 Lersch, Philipp 105 Leuze, Dieter 107 Lewald, Walter 39 Lewinski, Karl v. 32 Lichnowsky, Leonore Gräfin 187 Lietzmann, Hans 9,10,24,37,75,160, 162,254, 265 Lippmann, Walter
151
Namenverzeichnis Liss, Konrad 263 Litt, Theodor 118,144 Litten, Jens 139 Loeb-Caldenhof, Ernst Theodor 49 Loening, Hellmuth 166 Loewenstein, Karl 81,165,214,287 Löwith, Karl 29,30,81,88,95,149,186, 187,272,273,280 Lohalm, Uwe 18 Lohmann, Karl 142,241,263 Lohmar, Ulrich 279 Lokatis, Siegfried 99 Lortz, Joseph 136,223 Luckmann, Thomas 101 Ludz, Peter Christian 216 Lübbe, Hermann 11,99,119,130,172, 176,192-195,198,199,206,228,238, 276-281,283,286 Lüders, Marie Elisabeth 45 Lüschen, Günther 42,216,219 Lüth, Erich 147,184 Luhmann, Niklas 68,132,143,154,284 Lukács, Georg 292,293 Luthardt, Wolfgang 160,210 Maaß, Winfried 15 Macchiavelli, Niccolo 111, 189 Madler, Anton 238 Magass, Walter 133 Mahraun, Arthur 94 Maier, Hans 185,228 Maiwald, Serge 38,91,138,175 Majer, Dietmut 206 Makarios III. 245 Man, Hendrik de 49,62,112 Man, Paul de 100 Manheim, Ernst 142 Mann, Golo 39 Mann, Klaus 92 Mann, Thomas 39,143,217 Mannheim, Karl 127,219,232 Manti, Wolfgang 111 Mao Tse-tung 83 Marcuse, Herbert 30,88,185,196,293 Marcuse, Ludwig 18 Markmann, Heinz 187
325 Markov, Walter 44 Marquard, Odo 68,193-196,198,276, 279,280 Martin, Alfred v. 67,90,232 Martin, Bernd 87,186 Martini, Winfried 50,172,173,191 Marx, Karl 185,203,232,272,273,276 Maschke, Günter 9,16,24,144,161,199, 213 Mason, Thimothy W. 126 Mattenklott, Gert 115 Mattes, Peter 113 Maunz, Theodor 34,137,177,178,242 Maurer, Reinhart 207 Maus, Ingeborg 26 Mauz, Gerhard 242 Max von Baden, Prinz 43 Mayer, Hans 47,153,162,250 Mayer, Otto 242 Medem, Eberhard v. 34,74 Mehring, Reinhard 9,24-26,28,77,84, 103,141,184,213 Meier, Christian 104,108,192,207,223, 226,227,261 Meier, Heinrich 9,80,140 Meinecke, Friedrich 19,21,43,222 Meister, Roland 59,238 Meja, Volker 232 Menck, Clara 180 Mende, Erich 50,58,59,144 Mende, Gerhard v. 142 Mendelssohn, Peter de 109 Menke-Glückert, Peter 251,255 Merkatz, Hans Joachim v. 58,59,177 Merz, Kai-Uwe 58,129 Metz, Johann Baptist 228 Meuter, Günter 24 Meyer, Martin 90 Mezger, Hans Robert 34 Michels, Robert 221,274,282 Mickel, Wolfgang W. 145,156,169 Middelhauve, Friedrich 102 Miessner, Herwart 123 Minssen, Friedrich 266 Mirgeler, Albert 223 Mishima, Kenichi 89
326 Mitscherlich, Alexander 45,119,130,133, 186 Mitscherlich, Margarete 119,130 Mitterand, François 91 Mochmann, Hans 202 Möller, Horst 22 Moeller van den Bruck, Arthur 103,257 Möhler, Armin 16,42,48,56,57,77,90, 96,100,127,128,133,136,141,142,172, 173,190,191,204,212,226,227,235,239, 241,251,256-262,265,275 Mohr, Arno 213,216,218 Molo, Walter v. 43 Mommsen, Hans 22 Mommsen, Wolfgang J. 81 Mongardini, Carlo 75 Montesi, Gotthard 39 Montesquieu, Charles de 156,217,243 Morgenthau, Hans 30 Morsey, Rudolf 50,226 Mosca, Gaetano 221,274 Moser, Tilman 129,130 Mühleisen, Horst 90 Mühlmann, Wilhelm Emil 99 Müller, Alois 228,277 Müller, Christoph 159,165 Müller, Ingo 135,161,210 Müller, Karl Valentin 98 Müller-Henneberg, Hans Martin 53,98 Münkler, Herfried 185 Münster, Clemens 45 Muller, Jerry Z. 97-99,191,221 Mullins, Nicholas C. 233,234 Mußgnug, Reinhard 158 Mussolini, Benito 288 Muth, Heinrich 24,215 Mutius, Bernhard v. 252,263 Narr, Wolf-Dieter 123 Naumann, Werner 48,49,102 Nebel, Gerhard 40,44,90 Neesse, Gottfried 123 Negt, Oskar 293 Nehlsen, Hermann 94 Nell-Breuning, Oswald v. 203 Nemitz, Kurt 126
Namenverzeichnis Nette, Herbert 138 Neumann, Franz 30,214,216,226,293 Neumann, Volker 166,290 Neurath, Konstantin v. 34 Neuß, Wilhelm 32 Newman, Karl J. 238 Nichtweiß, Barbara 228 Nicolin, Friedhelm 278 Niedhart, Gottfried 65 Niehaus, Paul 40 Niekisch, Ernst 35,44,48,78,152 Niethammer, Lutz 14,47,49,64,70, 118-120,123,124,130,131,169 Nietzsche, Friedrich 105,189,227,288 Nitschke, August 206,226 Noack, Paul 24 Noack, Ulrich 47,48,50 Noelle-Neumann, Elisabeth 132 Nohl, Hermann 118 Nolte, Ernst 17,22,227 Nyssen, Wilhelm 110,128 Oberheid, Heinrich 52-55,142 Oberländer, Theodor 178 Oeing-Hanhoff, Ludger 194 Oelkers, Friedrich 186 Oelkers, Jürgen 226 Oelmüller, Willi 193,194 Oelze,EW. 86,92,93,258,285 Oertzen, Peter v. 183,184,292 Oexle, Otto Gerhard 223 Ohlendorf, Otto 49 Oppenheimer, Ludwig Yehuda 147 Oppermann, Thomas 286 Oppler, Kurt 154 Ortega y Gasset, José 62,112 Ostwald, Walter 135,161 Ott, Hugo 87 Ottmann, Henning Paatz, Walter
24,158,161,225
186
Paeschke, Hans 37,103,149,150,272 Paetel, Karl Otto 91 Pakschies, Günter 70 Palyi, Melchior 237 Papalekas, Johannes Chr. 136,191,221,243
327
Namenverzeichnis Papcke, Sven 97,220,222 Papen, Franz v. 110 Papenfuß, Dieter 89 Pappritz, Erica 174 Pareto, Vilfredo 75,221,249,274,282 Pehle, Walter H. 113,182 Peisl, Anton 212,226,227,260 Pereis, Joachim 123,165,166,211 Peters, Hans 30,34 Peterson, Erik 84,140,141,228 Petri, Franz 224 Pettenkoffer, Max v. 77 Petwaidic, Walter 125,138,150 Peukert, Helmut 228 Pfeffer, Karl-Heinz 96,191 Pfeiffer-Belli, Wolfgang 35,153 Pfenninger, Η. E 83 Pfertsch, Frank R. 157,186 Pflüger, Friedbert 159 Picard, Max 127 Picasso, Pablo 288 Picht, Georg 182,215 Pieck, Wilhelm 48 Pieper, Josef 77,153 Pingel, Falk 180 Pirker, Theo 169 Plassmann, Joseph Otto 55 Piaton 51,67,276 Plessner, Helmuth 97,183,217 Plügge, Herbert 142 Podewils, Clemens Graf 196 Podlech, Adalbert 207 Poe, Edgar Allan 108 Pöggeler, Otto 89,253,278 Poliakov, Léon 259 Popitz, Cornelia 32 Popitz, Heinrich 56,191,270,275 Popitz, Johannes 27,32,79,270 Popp, Wolfgang 24,239 Popper, Karl Raimund 20,194 Portmann, Adolf 186 Posser, Diether 159,291 Pound, Ezra 100 Predöhl, Andreas 98 Preuschen, K. A. 127 Preuss, Ulrich K. 291-293
Pringsheim, Fritz 30,39 Pross, Harry 45,151,187 Przywara, Erich 228 Quaritsch, Helmut 9,24,25,27,32,102, 108,111,128,136,141,142,158,159,163, 166,176,191,192,200,207,212,213,219, 223,227,231,235,238,243,245,257, 259-261,265,276-279,283 Radbruch, Gustav 36,109,153,156,186 Raiser, Ludwig 38,183 Rambouillet, Catherine de 64 Rammstedt, Otthein 97,219 Raphael, Lutz 166 Rasehorn, Theo 10 Rassem, Mohammed 191 Rathenau, Walter 82 Ratzel, Friedrich 96 Raulff, Ulrich 230 Recker, Marie-Luise 126 Rehberg, Karl-Siegbert 97,105,114,202, 220,222,275 Reichel, Peter 23 Reifner, Udo 135 Rein, Gustav Adolf 224 Reinhardt, Stephan 45,51,139,251,266, 267 Rexin, Manfred 139 Richarz, Monika 207 Richter, Hans Werner 13,20,45,170,178, 251,252 Richtscheid, Hans 101 Ridder, Helmut 79,156,238,291 Riefenstahl, Leni 143 Riesman, David 117 Ringer, Fritz K. 111 Ritter, Gerhard 179 Ritter, Joachim 181,192-198,204,206, 229,239,276-279,283,288 Roellecke, Gerd 71,130 Römer, Peter 10,147,238 Rörig, Fritz 223 Rohrmoser, Günter 193,194,199,206,228 Rosen, Pinchas 161 Rosenbaum, Eduard 39
328
Namenverzeichnis
Rosenstock-Huessy, Eugen 91 Rosenthal, Gabriele 16,21 Roth, Götz 187 Rothacker, Erich 99 Rothe, Wolfgang 81 Rousseau, Jean Jacques 82,83,185 Rovan, Joseph 169 Rudolph, Hermann 23,172 Rühle, Günther 145 Rüsen, Jörn 104,205 Rüstow, Alexander 66,186,187 Rüthers, Bernd 9,24,30,94,154,206,210 Rumpf, Helmut 10,24,156,162,192,212, 223 Runte-Schranz, Veronica Rupé,Hans 141
141
S., Hejo 34,35 Saage, Richard 99,185,241 Sachs, Walter 32 Saint-Simon, Claude-Henri 221,267,268 Salan, Raoul 83,84 Salazar, Antonio de Oliveira 172 Salin, Edgar 67,186,209,237 Salomon, Albert 222 Salomon, Ernst v. 43,118,151 Salomon-Delatour, Gottfried 29,203,283 Sander, Hans-Dietrich 10,78 Sarkowicz, Hans 10,60 Sattler, Martin J. 24 Sauer, Wolfgang 22 Sautermeister, Gert 138 Savigny, Friedrich Karl v. 156 Schacht, Hjalmar 50 Schadewaldt, Wolfgang 98 Schäfer, Gerd 220 Schäfer, Hans 104,187,226 Schaffstein, Friedrich 242 Scharoun,Hans 156 Scheel, Walter 15,16,19,46,255 Scheibert, Peter 55,56,75,187,268,274, 283 Schelauske, Hans Dieter 154 Schelsky, Helmut 14,19,39,42-46,55, 85,97,117,118,171,174,181,191,220, 221,278
Schelz, Sepp 60,61,191 Schenke, Wolf 45,61,243 Scherb, Armin 157 Scheuner, Ulrich 34,137,159,184,210 Schickel, Joachim 83,139 Schieder, Theodor 39,115,215,223 Schieder, Wolfgang 226 Schildt, Axel 138,144 Schiller, Friedrich 68 Schiller, Karl 45,264 Schiller, Theo 254 Schilling, Kurt 274 Schissler, Jakob 23 Schleicher, Kurt v. 252 Schleier, Hans 224 Schlink, Bernhard 10,147,152,160,207 Schluchter, Wolfgang 207 Schlüter, Leonhard 180,184 Schmalenbach, Herman 256 Schmalz 58 Schmid, Carlo 91,151,153,155-157,184 Schmid, Richard 10,291 Schmidt, Hermann 230 Schmitt, Anima 33,78,140,188,263 Schmitt, Duschka 32,33,53,134 Schmitz, Arnold 40 Schmitz, Mathias 217 Schmitz, Ulrich 127 Schmitz, Wilhelm 54 Schmölders, Claudia 67,116 Schmoller, Gustav v. 122,153 Schnabel, Franz 223 Schneider, Hans 32,37,54,55,133,156, 158,168,187,226,243,244,286 Schneider, Michael 176 Schneider, Peter 155,183,216,280 Schneider, Reinhold 51 Schneider, Sigrid 138 Schnur, Roman 54,56,79,102,110,136, 161,170,184,187,188,192,200,211,214, 237,240,246,268,279,281-288 Schöller, Peter 230 Schoeller, Wilfried F 178 Schoeps, Hans-Joachim 190 Schönhuber, Franz 261 Schörken, Rolf 16,104,121
Namenverzeichnis Scholder, Klaus 27,64 Scholz, Oliver R. 159,161 Schomerus, Hans 110,142,202,206 Schonauer, Franz 237 Schott, Wolfgang 64 Schrade, Hubert 202,206 Schramm, Gottfried 191 Schramm, Percy Ernst 98,142,183,186 Schreiber, Ferdinand 141 Schreiber, Hermann 184 Schrenck-Notzing, Caspar v. 70,191,214, 260,262 Schröder, Gerhard 58,175 Schröder, Jürgen 92,93 Schröder, Rudolf Alexander 86 Schröder, Wilhelm 32 Schroers, Rolf 11,51,52,83,150, 251-255,263,265 Schüle, Adolf 238 Schütte, Ehrenfried 150 Schütz, Paul 45 Schulin, Ernst 17 Schulte, Wilhelm 138 Schultes, Karl 36,166-168 Schulz, Gerhard 22,217,226 Schulz, Klaus Peter 171 Schulze Vellinghausen, Albert 139 Schulze, Winfried 20,97,103,179,225 Schwan, Alexander 217 Schwan, Heribert 13 Schwarz, Hans-Peter 11,14,19,23,50,91, 116,119,145,171-178,182,217 Schwarz van Berk, Hans 49 Schweinichen, Otto v. 248 Sch wiedrzik, Wolfgang M. 44 Scupin, Hans Ulrich 291 Seeliger, Rolf 245 Seewald, Richard 141 Seibt, Gustav 215 Seifert, Jürgen 152,162-165,168,193, 197,288-292 Senfft, Heinrich 210 Shakespeare, William 77,78 Sieburg, Friedrich 66,259 Siedentopf, Heinrich 284 Sillem, Peter 113,182
329 Simmel, Georg 219 Simon, Dieter 210 Six, Franz Alfred 102,177 Skriver, Ansgar 139 Skuhr, Werner 240,245 Sladeczek, Heinz 169,283 Smend, Rudolf 34,56,65,78,118,160, 164,183,191,203,214,284 Söllner, Alfons 30,128,213,293 Sörgel, Werner 291 Sohm, Rudolf 247 Solms, Max Graf 42 Sombart, Corina 64 Sombart, Nicolaus 9,25,52,56,113,133, 134,187,188,191,221,266-271,274,282, 283 Sombart, Werner 43,203 Sontheimer, Kurt 80,85,132,145,161, 171,199,214-217,238,283 Sorel, Georges 221,249,274 Spaemann, Robert 154,193,194,199,200, 206,221,228,283 Spann, Othmar 219 Specht, Rainer 154,207,229,279,283 Speidel, Hans 42,177 Spiecker, Carl 44,102 Spindler, Gert P. 48-50,94 Spranger, Eduard 31,79,95,112,116,118, 179,288 Staff, Ilse 165 Stammer, Otto 169,171,216 Stand, Anni 33,37,41,135,139 Stapel, Wilhelm 99,100,110,257 Stauffenberg, Claus Schenk Graf v. 143 Stauffenberg, Hans Christoph v. 44,45 Stefl, Max 141 Stehl, Jan 264 Stehr, Nico 232 Steiger, Heinhard 207 Stein, Tine 292 Stein, Lorenz v. 111,242,262,287 Steinberg, Rainer 62 Steininger, Rolf 180 Steltzer, Theodor 45,243 Stepun,Fedor 40 Stern, Klaus 159
330 Sternberger, Dolf 126,146,169,173,186, 199,215-218 Sternhell, Zeev 260 Sterzel, Dieter 166,168 Stewens, Marie 271 Stierle, Karlheinz 68 Stinnes, Hugo 52 Stirner, Max 77,83 Stödter, Rolf 39,122,123,191 Stöss, Richard 250 Stolleis, Michael 10,24,27,210,212,242 Storost, Ulrich 240,244 Straub, Eberhard 110,224 Strauß, Franz Josef 144,261 Strauss, Leo 30,140,217 Strauss, Walter 134 Stravinsky, Igor 288 Streisand, Joachim 224 Stroux, Johannes 179 Stürmer, Dorothea 206 Süsterhenn, Adolf 155 Suhrkamp, Peter 18,142 Sultan, Herbert 170 Sywottek, Arnold 144 Szacki,Jerzy 234 Szczesny, Gerhard 269 Tauber, Kurt P. 48,58,60 Taubes, Jacob 9,135,161,222,229,230, 283 Teilhard de Chardin, Pierre 269 Teilenbach, Gerd 179 Tennyson, Alfred 235 Thielicke, Helmut 228 Thieme, Hans 39,148 Thieme, Karl 34,35,38,147 Thierfelder, Franz 109 Thörmer, Heinz 291 Thoma, Richard 43,132,160 Thomae, Hans 105 Thomas von Aquin 190 Thränhardt, Dietrich 123 Thukydides 104,189,249 Thum, Horst 169 Tiesler, Karl 54 Tilitzki, Christian 28
Namenverzeichnis Tiryakian, Edward A. 233 Tito, Jossip Broz 47 Tocqueville, Alexis de 77,98,103,104, 224,273 Tönnies, Ferdinand 43,219 Tomberg, Friedrich 59 Tommissen, Piet 9,24,32,34,39,44, 54-56,59,90,91,108,135,141,142,161, 204,250 Toynbee, Arnold J. 230 Trainin, IljaP. 161 Treiber, Hubert 236 Triepel, Heinrich 154 Troeltsch, Ernst 222,225 Trott zu Solz, Werner v. 44 Tugendhat, Ernst 193-195,198 Tüngel, Richard 121,150,165 Üner, Elfriede 97,98,221 Uexkiill, Göstav. 176 Ule, Carl Hermann 94,137,212,283 Ulmen, Gary L. 9 Veale, Frederic J. P. 74 Venohr, Wolfgang 261 Verdroß, Alfred 39 Vergil 128 Vesper, Bernward 177 Vesper, Will 177 Vesting, Thomas 9,214 Vico, Giambattista 270 Viehweg, Theodor 282 Vierhaus, Rudolf 193,194 Vierkandt, Alfred 219 Viesel, Hansjörg 141 Vietta, Egon 88 Villinger, Ingeborg 41,52,135 Vitoria, Francisco de 38 Voegelin, Eric 214,217,282 Vogel, Bernhard 187 Vogel,Hans-Jochen 251 Voigt, Rüdiger 160,210 Vollrath, Ernst 88,185 Vowe, Klaus W 70 Walsh, Edmund A.
96
331
Namenverzeichnis Walz, Gustav Adolf 34 Warnach, Walter 18,54,55,139,268 Warning, Rainer 68 Wassermann, Rudolf 156 Weber, Alfred 43,45,117,168,169, 186-188,203,267-270,272,275 Weber, Marianne 43,64,127,186 Weber, Max 43,75,81,98,110,116,117, 127,191,207,214,219-222,225,237,238, 242,243 Weber, Werner 37,48,50,55,94,111,123, 137,142,154,158,162,163,166-170,183, 185,289 Wehdeking, Volker 18,52,266 Weidenfeld, Werner 7 Weinacht, Paul-Ludwig 223 Weingart, Peter 182,232,233 Weininger, Erich 204 Weinkauff, Hermann 242 Weinreich, Max 29,73 Weippert, Georg 243 Weisbrod, Bernd 145 Weiss, Konrad 142 Weizsäcker, Carl Friedrich v. 44 Weizsäcker, Viktor v. 44 Welty, Eberhard 38 Welzel,Hans 153 Wember, Heiner 120 Wengler, Wilhelm 156 Wengst, Udo 59,102,123 Wettig, Klaus 291 Weyer, Willi 151 Weyer, Johannes 191,220 White, Hayden 11 Whitman, Walt 37 Wieacker, Franz 137,206 Wiechert, Ernst 143 Wieland, Claus-Dietrich 33
Wieland, Wolfgang 238 Wiener, Alfred 177 Wiese, Leopold v. 219 Wiggershaus, Rolf 65,135,170,185 Wildenmann, Rudolf 188 Wilimzig, Walter 139 Willms, Bernard 101,102,192,199,200, 206,218,219,229,231,261,265 Winckelmann, Johannes 196-198,283 Windisch, Hans 21 Winkler, Eugen Gottlob 55 Winkler, Joseph 43 Winstanley, Lilian 78 Winter, Gerd 137 Wirsing, Giselher 123,138,149,258 Witte, Karsten 143 Wolff, Lutz-W. 17 Woller, Hans 14,61,70,126 Wollmann, Hellmut 292 Wrobel, Heinz 210,211 Wuermeling, Henric L. 186 Wüst, Bernhard 38 Wulf,Josef 259 Zapf, Wolfgang 165 Zastrow, Volker 8 Zechlin, Egmont 224 Zehrer, Hans 138,257 Zeidler, Karl 200 Zeisel, Hans 220 Ziegler, Wilhelm 60 Ziesel, Kurt 143,176,261 Zinn, Georg August 160 Zitelmann, Rainer 7 Zmarzlik, Hans-Günther 17 Zweigert, Konrad 50 Zwirner, Henning 183