Carl Friedrich von Gerber (1823–1891) und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts [1 ed.] 9783428504220, 9783428104222

Carl Friedrich von Gerber wird heute fast ausschließlich im staatsrechtswissenschaftlichen Kontext wahrgenommen, obwohl

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Carl Friedrich von Gerber (1823–1891) und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts [1 ed.]
 9783428504220, 9783428104222

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 105

Carl Friedrich von Gerber (1823 – 1891) und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts

Von

Susanne Schmidt-Radefeldt

a Duncker & Humblot · Berlin

SUSANNE SCHMIDT-RADEFELDT

Carl Friedrich von Gerber (1823 – 1891) und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 105

Carl Friedrich von Gerber (1823 – 1891) und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts

Von

Susanne Schmidt-Radefeldt

a yDuncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Feldbausch-Stiftung

Die Juristische Fakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Jahre 2001/2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-10422-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞



Meinen Eltern

„Nemo sua sorte contentus! Ihre äußere Stellung, Ihre Erfolge u. s. w. beneide ich nicht, aber Ihre geistige Verdauungskraft und Leichtigkeit der Auffassung und Formgebung ist etwas, wofür ich Ihnen gern meine ‚befriedete Natur‘ mitsammt den anderen Eigenschaften, die Sie an mir rühmen, überlassen möchte …“ Rudolf v. Ihering an Carl Friedrich v. Gerber Gießen, 18. Dezember 1852

„Was ich zu sagen habe, habe ich zu freigebig in compendiöser Form hinausgeschossen und meine Resultate zu leicht verzehrbaren Appetitstückchen präparirt, die nun jeder ohne Mühe verschlucken kann …“ Carl Friedrich v. Gerber an Rudolf v. Ihering Leipzig, 26. Mai 1870

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/2002 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen. Sie ist Teil eines von Prof. Dr. Kern betreuten Projekts zur Untersuchung der Geschichte der Leipziger Juristenfakultät im 19. Jahrhundert. Danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Kern, vor allem für seine engagierte und persönliche Betreuung dieser Arbeit. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Gero Dolezalek (Leipzig) und Prof. Dr. Klaus-Peter Schroeder (Heidelberg) für die zügige Erstellung der Zweit- und Drittgutachten. Mein Dank gilt ferner dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit (Dresden) für die kurzfristige Freistellung von meiner Referententätigkeit zur Fertigstellung der Dissertation. Die vorliegende Dissertation wurde von der Universität Leipzig und der Dr. Feldbausch-Stiftung (Landau/Pfalz) mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Ich widme dieses Werk meiner Familie, insbesondere meinen Eltern Gerhard und Wiltrud Probst sowie meinem Ehemann Roman und unserem Sohn David. Leipzig, im November 2002

Susanne Schmidt-Radefeldt

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Erster Teil Das Leben Carl Friedrich Gerbers

18

I. Familie und Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

II. Studienzeit in Leipzig und Heidelberg – berühmte Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

III. Promotion, Staatsexamen und praktische juristische Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

IV. Privatdozent und außerordentlicher Professor in Jena 1844 bis 1847 . . . . . . . . . . . . . . .

29

V. Ordentlicher Professor in Erlangen 1847 bis 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

VI. Ordentlicher Professor und Kanzler in Tübingen 1851 bis 1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

VII. Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB, Nürnberg und Hamburg 1857 bis 1867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 VIII. Die Freundschaft Gerbers mit Rudolf von Ihering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

IX. Die letzten Tübinger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

X. Ordentlicher Professor und Oberappellationsgerichtsrat in Jena 1862 bis 1863 . . . .

71

XI. Ordentlicher Professor in Leipzig 1863 bis 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

XII. Teilnahme am konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes in Berlin 1867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 XIII. Kultusminister in Dresden 1871 bis 1892 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Zweiter Teil Das Werk C. F. v. Gerbers

107

I. Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts 1846 . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufbau und Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erster Abschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweiter Abschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dritter Abschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resonanz und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107 108 108 110 126 132 145

12

Inhaltsverzeichnis

II. System des deutschen Privatrechts 1848 und 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte und verschiedene Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorreden als Methodenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erster Teil: Die Allgemeinen Grundlagen des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zweiter Teil: Die einzelnen Privatrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstes Buch: Die Rechte an Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweites Buch: Die Rechte an Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittes Buch: Die Rechte an Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Viertes Buch: Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Resonanz und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 159 161 175 177 181 181 188 195 200 203

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die lateinischen Schriften Gerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) De unione prolium 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meditationes ad locum speculi juris saxonici lib. I art. L II 1847 . . . . . . . . . . . . . . c) De pactis hereditariis 1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Miscellen, Aufsätze und Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesammelte Juristische Abhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt (1851, 1855 und 1865) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Über die Gewere in den deutschrechtlichen Quellen des Mittelalters (1854) . c) Themenkreis Autonomie: „Ueber den Begriff der Autonomie“ (1854) „Nachträgliche Erörterungen zur Lehre von der Autonomie“ (1859) . . . . . . . . . . . . . . . d) „Bemerkungen zur Beurtheilung genossenschaftlicher Verhältnisse“ (1855) . e) Themenkreis Familienfideikommiss „Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiss“ (1857), „Die Familienstiftung in der Function des Familienfideikommisses“(1858), „Zur Lehre von den Lehns- und Familienfideikommiss-Schulden“ (1854) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Themenkreis eheliches Güterrecht „Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte“(1857) „Erörterungen zur Lehre vom deutschen ehelichen Güterrechte“ (1868) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Themenkreis Reallasten: „Zur Theorie der Reallasten“ (1858) „Reallast oder Realschuld?“ (1863) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) „Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“ (1859 und 1863) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) „Bemerkungen zum ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuchs“ (1871) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

215 215 215 216 217 218 223 224 233 235 238

240

250 258 260 266

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Dritter Teil Ergebnisse

283

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Abkürzungsverzeichnis AcP ADB ADHGB Aufl. Bd. BGB BGBl BGH Centralblatt DJZ Fn. HRG Hrsg. HS Ius Commune JA Jahrbücher Jb. d. gem. dt. R. JuS JZ Krit. Jahrbücher Krit. Überschau Leipziger Repertorium NDB Neues Archiv NJW NL

Archiv für die civilistische Praxis, hrsg. v. J. C. Gensler, C. J. A. Mittermaier u. a., Heidelberg, Freiburg i. Br., Tübingen, 1818 ff. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1–56, Leipzig 1875–1912 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861, BGBl. 1869, S. 404 ff. Auflage Band Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896, RGBl. 1896, S. 195 ff. Bundesgesetzblatt (des Norddeutschen Bundes) Berlin 1867–1870 Bundesgerichtshof Literarisches Centralblatt für Deutschland, hrsg. u. a. v. F. Zarncke, Leipzig 1851 ff. Deutsche Juristen-Zeitung, hrsg. v. P. Laband, O. Liebmann, C. Schmidt u. a., Berlin 1896–1936 Fußnote Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1971 ff. Herausgeber Handschriftenabteilung Ius Commune, Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, hrsg. v. H. Coing, Frankfurt/M. 1967 ff. Juristische Ausbildung Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, hrsg. von Gerber und Ihering, 1857 ff. Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts, hrsg. v. Bekker und Muther, Leipzig 1857 ff. Juristische Schulung Deutsche Juristen-Zeitung Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. v. A. L. Richter und R. Schneider, Leipzig 1837 ff. Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, hrsg. v. Arndt, Bluntschli und Pözl, München 1853 ff. Leipziger Repertorium der deutschen und auslaendischen Literatur, hrsg. unter Mitwirkung der Universität Leipzig, Leipzig 1843 ff. Neue Deutsche Biographie, Berlin 1953 ff. Neues Archiv für Sächsische Geschichte, begründet von H. Ermisch, hrsg. v. H. Kretzschmar, Dresden 1880 ff. Neue Juristische Wochenschrift Nachlaß

14 RGZ Schletters Jahrbücher UA UB ZDR

ZNR ZRG GA ZRG RA Zs. f. gesch. R.

Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, hrsg. v. H. Th. Schletter, Erlangen 1854 ff. Universitätsarchiv Universitätsbibliothek Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. v. Beseler, Reyscher, Wilda und Stobbe, Leipzig und Tübingen 1839 ff. Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte, Wien 1979 ff. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, Weimar 1880 ff. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung, Weimar 1880 ff. Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, hrsg. v. Savigny, Eichhorn und Göschen, Berlin 1815 ff.

Einleitung Der Name Carl Friedrich von Gerber ist in Sachsen immer noch gegenwärtig: In Leipzig stößt man auf die „Gerberstraße“ nahe dem Hauptbahnhof oder auf die Büste Gerbers im Treppenhaus der Universitätsbibliothek „Bibliotheca Albertina“. In Dresden residiert die Juristische Fakultät im „v. Gerber-Bau“, wo im Jahre 1997 eine Ausstellung der Landesbibliothek zu Carl Friedrich von Gerber stattfand. Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Leben und Werk Carl Friedrich von Gerbers (1823–1891) als einem der prominentesten Leipziger Professoren, zu dem ausführlichere biographische Untersuchungen bisher nicht vorliegen. Es soll damit auch ein Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Leipziger Juristenfakultät im 19. Jahrhundert geleistet werden, die Arbeit reiht sich damit ein in die von BerndRüdiger Kern zu dieser Thematik betreuten Untersuchungen.1 Gerber wird heutzutage zumeist in Verbindung mit der Staatsrechtswissenschaft genannt und es wird vorrangig sein staatsrechtliches Werk gewürdigt. 2 Zu Lebzeiten hat er sich jedoch zunächst mit seinem wissenschaftlichen, teilweise äußerst kontrovers diskutierten 3 Œuvre zum deutschen Privatrecht einen Namen gemacht. Ungeachtet des von Losano Anfang der achziger Jahre edierten Briefwechsels zwischen Gerber und Ihering, der insbesondere den Bereich des Privatrechts berührt, ist das zivilrechtliche Schaffen Gerbers insgesamt eher in den Hintergrund getreten. Die Beschäftigung und Analyse des privatrechtlichen Werkes von Gerber erscheint daher notwendig und vielversprechend. In der vorliegenden Untersuchung werden Leben und privatrechtliches Werk Carl Friedrich v. Gerbers chronologisch nachgezeichnet und systematisch vor dem Hintergrund des Rechtsdenkens im 19. Jahrhunderts analysiert. Bei der Betrachtung von Gerbers Vita ist vor allem die Zäsur des endgültigen Wechsels von der Tätigkeit eines Rechtswissenschaftlers ins Amt des sächsischen Kultusministers im Jahre 1872 augenfällig. Die Abkehr von der Wissenschaft und Hinwendung zur Politik zeichnete sich in Gerbers Leben schon früh ab. Gerber hatte bereits als relativ junger Mann – mit 23 Jahren fast noch ein „Wunderkind“ – mit 1 Vgl. dazu bereits die Arbeiten von Thilo Korn, Emil Kuntze, Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002 und von Bettina Scholze, Otto Stobbe (1831–1887), Ein Leben für die Rechtsgermanistik, Berlin 2002. 2 So beschäftigt sich beispielsweise Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, Tübingen 1993, ausführlich mit Gerber. 3 Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft; Gierke, Die Historische Rechtsschule und die Germanisten, S. 27.

16

Einleitung

seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit beträchtliches Aufsehen erregt und in den darauffolgenden Jahren seine akademische Laufbahn zielstrebig verfolgt. Zugleich aber gewann er, beispielsweise in seiner einflußreichen Stellung als Tübinger Kanzler und Mitglied der zweiten Württembergischen Kammer, schon früh beträchtlichen politischen Einfluß. Die nicht zuletzt auch durch Gerbers konservativ-monarchistische Grundeinstellung hervorgerufenen persönlichen Konflikte mit vielen seiner Germanistenkollegen 4, spielen für die Interpretation von Gerbers privatrechtlichem Schaffen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Prägend war darüber hinaus Gerbers (durch den aussagekräftigen Briefwechsel dokumentierte) Freundschaft mit Rudolf von Ihering 5, die zur Gründung einer gemeinsamen Zeitschrift, der „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“ führte. Nur marginal bedeutsam ist hingegen Gerbers Engagement im Bereich des Handelsrechts als Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, eine Tätigkeit, die in seinem Werk nur geringe Spuren hinterließ. Beleuchtet wird schließlich Gerbers Teilnahme am konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes als sächsischer Abgeordneter. Der Werkteil konzentriert sich auf Gerbers privatrechtliche Hauptwerke, „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ und sein Lehrbuch „System des deutschen Privatrechts“, das zu Gerbers Lebzeiten sechzehn Auflagen erlebte. Daneben werden privatrechtliche Abhandlungen und Rezensionen Berücksichtigung finden, soweit sie für Gerbers zentrale Aussagen relevant sind. Gerbers Leistungen für die Wissenschaft des deutschen Privatrechts waren bereits zu seinen Lebzeiten und auch später Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Auf der einen Seite steht die Würdigung seines Lehrbuchs als eine der „glänzendsten germanistischen Erscheinungen der Gegenwart“ 6; hervorzuheben ist dabei das Lob der „Vorzüge konstruktiver Klarheit und Großzügigkeit, Festigkeit und Übersichtlichkeit“ 7 durch Landsberg oder die Feststellung Schlossers, in der Germanistik des 19. Jahrhunderts sei „die entscheidende Wende ... erst mit Carl Friedrich Gerber angebrochen“. 8 Auf der anderen Seite reicht der Bogen ablehnender Verdikte von der berühmten Polemik Gierkes, Gerber habe „mit seiner Pandektenkur die deutsche Seele im deut4 Hervorzuheben ist hier vor allem der Streit mit Reyscher, aber auch die Auseinandersetzungen mit Beseler, Bluntschli und Roth. 5 Das Verhältnis von Gerber und Ihering wird durch ihren bereits erwähnten Briefwechsel aussagekräftig dokumentiert, vgl. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, 2 Bände, Ebelsbach 1984. 6 Gengler, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, S. 40. 7 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. 8 Schlosser, Das „wissenschaftliche Prinzip“ der germanistischen Privatrechtssysteme, S. 495.

Einleitung

17

schen Recht“ getötet“ 9, über die Feststellung, Gerbers Systematik trage schon „von Anbeginn an den Keim der Zersetzung in sich“ 10, bis hin zu Kerns Kritik an Gerbers „Begriffsspielerei nach romanistischem Vorbild“. 11 Insbesondere das zeitgenössisch-ambivalente Urteil über Carl Friedrich von Gerber soll auf der Basis der Beziehung zwischen seinem Leben und zivilrechtlichen Werk erneut einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.

Gierke, Historische Rechtsschule, S. 27. Hirschbühl, Die Rechtslehre C. F. Gerbers, S. 89 (eine naturrechtlich orientierte Dissertation über Gerber aus den Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts). 11 Kern, Georg Beseler, Leben und Werk, S. 478. 9

10

2 Schmidt-Radefeldt

Erster Teil

Das Leben Carl Friedrich Gerbers I. Familie und Erziehung Carl Friedrich Gerber wurde am 11. April 1823 im thüringischen Ebeleben (Schwarzburg-Sondershausen) geboren. Seine Vorfahren sind im Dreißigjährigen Krieg mit dem schwedischen Heer nach Thüringen eingewandert. 1 Der früheste nachweisbare Ahnherr der Familie war Hans Volkmar Gerber (1613 bis 1697), Freisasse in Wenigenehrich 2, einem schwarzburgischen Dorf in Thüringen. Die Familie spielte in der Geschichte der thüringischen Stadt Sondershausen, Sitz des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen, seit Anfang des 18. Jahrhunderts eine Rolle. Sie hat zahlreiche zu ihrer Zeit berühmte Musiker hervorgebracht. Heinrich Nicolaus (1702 bis 1775), der Urgroßvater Gerbers, selbst Sohn eines Landmannes, übte das Amt des Hoforganisten in Sondershausen aus. Daneben war er auch Hofsekretär des Fürsten zu Schwarzburg. Zuvor hatte er ein Studium der Rechtswissenschaft in Leipzig abgebrochen, weil die „trockene Jurisprudenz“ mit seiner Neigung zur Musik zu wenig harmonierte.3 Sein Sohn Ernst Ludwig (1746 bis 1819), ein Großonkel Gerbers, studierte ebenfalls in Leipzig die Rechte, wobei ihm jedoch die Jurisprudenz, sein künftiges Berufsfach, so gleichgültig wurde, daß er sie bald gänzlich aufgab. 4 Statt dessen wurde er Nachfolger seines Vaters als Hoforganist. Sein historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler fand zu seiner Zeit und auch noch später weite Verbreitung. 5 Ludwig Friedemann (1738 bis 1803), Gerbers Großvater, hatte offenbar weniger stark ausgeprägte musische Neigungen als sein jüngerer Bruder. Er war Direktor der Stiftsschule in Ebeleben. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe wurde er, inzwischen erkrankt, von seinem Sohn Friedrich Wilhelm (1775 bis 1859) unterstützt. Dieser, der Vater Gerbers, hatte Gothaisches Genealogisches Taschenbuch Teil B 1933, S. 176. Teilweise auch: Weniger-Ehrich. 3 Vgl. Heinrich Döring in Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, Leipzig 1854, S. 333. 4 Döring, Allgemeine Encyklopädie, S. 331. 5 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 87. 1 2

I. Familie und Erziehung

19

in Jena evangelische Theologie und Philologie studiert und war ein anerkannter Horaz-Forscher. Bei Gelegenheit seiner silbernen Hochzeit 1847 ernannte ihn die Universität Jena zum Doktor der Philosophie honoris causa.6 Seit 1835 war er Direktor des Gymnasiums in Sondershausen. Friedrich Wilhelm war zweimal verheiratet. Mit seiner ersten Ehefrau Luise, geborene Lindau, hatte er einen Sohn. Carl Ludwig Hermann (1818 bis 1892) trat später als Jurist in den schwarzburgischen Staatsdienst. Er galt als sehr unterrichteter und zugleich sehr praktischer Mann. In seiner langen Tätigkeit unter fünf verschiedenen Ministern war er am Entwurf fast aller Gesetze und an ihrer Vertretung vor dem Landtag beteiligt. Man sagte ihm nach, vermöge seiner universellen Bildung und einer immensen Arbeitskraft dem Land bis zu seiner Pensionierung 1889 unschätzbare Dienste geleistet zu haben. 7 In zweiter Ehe war der Vater, Friedrich Wilhelm, mit Wilhemine Friederike Christiane, Tochter des praktischen Arztes Johann Friedrich Köppel aus Schlotheim, verheiratet. Als ältester Sohn wurde Carl Friedrich Gerber geboren. Der jüngere Sohn Alwin starb schon in jungen Jahren. 8 Die Familientradition der Gerbers, wonach sich unter den Vorfahren mehrere in das höfische Leben der Landesherren eingebundene Berufsmusiker, die teilweise auch Sekretärsfunktionen wahrnahmen, befanden, mag die Einstellung Gerbers der Welt des Adels gegenüber positiv beeinflußt haben. 9 Ebenso wird sich die Tätigkeit von Vater und Großvater als Schuldirektoren, zur damaligen Zeit auf Konformität mit dem Landesherren angelegt, auf die Erziehung des jungen Gerber ausgewirkt haben. Über die Kinderzeit Gerbers finden sich nur wenig Belege. Die Kritik, die er in seinen Briefen 10 an der beengten Provinzialität und dem Nepotismus in seiner Heimatstadt übt, gehört einer späteren Lebensphase an. Gleichzeitig läßt sich aus diesen Briefen ablesen, daß Gerber sich in seiner frühen Jugend in Sondershausen sehr wohlgefühlt hat. Auch in seinem späteren Leben hielt er sich immer wieder gern zur Erholung dort auf. 11 Dies hing auch mit starken Familienbindungen zusammen – beide Ehefrauen Gerbers stammten ebenfalls aus Sondershausen. Lutze, Aus Sondershausens Vergangenheit, Bd. 1, S. 181. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 88: Aus seiner Ehe mit Friederike Schatz gingen zwei Töchter hervor. 8 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 88. 9 Vgl. Losano, Bd. 2, S. 10. 10 Vgl. Gerber an Mittermaier, Sondershausen 9. Juli 1843, UB Heidelberg H.HS 2746, 2; JZ 1909, Sp. 997, Jelowik, Briefe deutscher und Schweizer Germanisten an Karl Josef Anton Mittermaier, S. 229 [101 – Numerierung der Briefe bei Jelowik]; zur Kritik Gerbers an den Verhältnissen in Sondershausen vgl. im einzelnen unten. 11 Im Briefwechsel mit Ihering ist immer wieder von Gerbers Erholungsphasen in Sondershausen die Rede – vgl. z. B. Gerber an Ihering, Erlangen, 13. December 1849 [2 Numerierung der Briefe bei Losano]; Ihering an Gerber, Gießen, 29. October 1854: Ihering spricht hier von „Sondershausen-Capua“ (nach den Mußestunden von Capua der Truppen Hannibals – vgl. Losano, Bd. 2, S. 122). 6 7

2*

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Gerber besuchte als Junge das Gymnasium in Sondershausen, d. h. die Schule, an der sein Vater Direktor war. Über seine Schulzeit heißt es posthum: „Die Erinnerung an ihn, als einen der bedeutendsten Schüler, die auf unserem Gymnasium ihre Schulbildung empfingen, wird in der Chronik der Anstalt fortleben.“12 Diese Auskünfte über Gerbers Schulzeit sind freilich etwas spärlich und allein von der Hochachtung für den späteren Minister geprägt. Detailliertere Informationen wären von Gerbers Abgangszeugnis zu erwarten, das jedoch nicht mehr auffindbar ist. In dem lateinischen Lebenslauf, den er später in Heidelberg für die Zulassung zur Promotion einreichte, gibt Gerber an, daß ihm von frühester Jugend an die Fächer seines Vaters, die (Alt)-Philologie, insbesondere die griechische Sprache, die liebsten waren. 13 Besonders begeisterte sich der Schüler für Homer, die Dichtungen der drei berühmtesten Tragiker (gemeint sind wohl die Vollender der attischen Tragödie Aischylos, Sophokles und Euripides) sowie die Lehre Platons.

II. Studienzeit in Leipzig und Heidelberg – berühmte Lehrer Ostern 1840 nahm Gerber das Studium an der Universität Leipzig auf. Er schrieb sich zunächst, wohl unter dem Einfluß seines Vaters, für Philologie – die zur damaligen Zeit selbstverständlich nur die klassischen Sprachen umfaßte – ein. 14 Schon bald wechselte er jedoch zur Jurisprudenz. Die Motive für den Studienfachwechsel waren vermutlich vielfältig. Wie oben dargestellt, hatte das Studium der Rechtswissenschaft in der Familie Gerber eine gewisse Tradition. Allerdings hatte in den Generationen vor Gerber kein Familienmitglied das Studium erfolgreich abgeschlossen. Ein weiterer Gesichtspunkt mag zum Wechsel des Fachs beigetragen haben. Seit Michaelis 1840 hielt sich auch Gerbers um fünf Jahre älterer Halbbruder Carl Ludwig Hermann zum Studium in Leipzig auf. Er war für Jurisprudenz eingeschrieben und wohnte mit seinem Bruder in der Ritterstraße 45. 15 Es ist anzunehmen, daß GerLutze, Aus Sondershausens Vergangenheit, Bd. 1, S. 182. Lebenslauf Gerbers, UA Heidelberg, H II 111/38, S. 15 f. 14 Im Personalverzeichnis der Universität Leipzig von 1840 ist unter dem Namen Gerbers Philosophie (in der Abkürzung „Philos.“) nicht Philologie (Philol.) als Studienfach vermerkt. Es handelt sich vermutlich um ein Schreibversehen. Zwar gehörte die Philologie zur Philosophischen Fakultät, im Verzeichnis der Studierenden werden jedoch stets die exakten Fachbezeichnungen (wie Philos., Philol., Pädag., Cam. etc. aufgeführt) Alle Lebensbeschreibungen gehen davon aus, daß Gerber zunächst Philologie studierte: Beschorner, Sächsische Lebensbilder S. 88; ADB S.291; v. Oertzen, Carl Friedrich von Gerber, in: Peter v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 165. Dies läßt sich auch Gerbers Lebenslauf entnehmen. 15 Verzeichnis der Studierenden auf der Universität Leipzig, Sommer/Winter 1840. 12 13

II. Studienzeit in Leipzig und Heidelberg – berühmte Lehrer

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bers Entscheidung für die Rechtswissenschaft durch den engen Kontakt zu seinem eben dieses Fach studierenden Bruder, der später ein anerkannter praktischer Jurist wurde, Unterstützung erfuhr. In seinem Lebenslauf berichtet Gerber, daß er nach dem Abitur auf Drängen seines Vaters lange über seine künftige Lebensstellung – und also seine Studienwahl – nachgedacht habe. 16 Für die philologische Wissenschaft habe gesprochen, daß sie am schönsten sei, daß sie am meisten geeignet sei, den Geist zu schärfen und die Seele zu erfreuen. Es folgt eine für einen so jungen Mann erstaunlich reife Selbsteinschätzung. Als Grund, warum er sich letztlich gegen die Philologie entschied, führt Gerber an, sie sei nicht geeignet, einen ernsthaften und tatendurstigen Mann ein ganzes Leben lang zu befriedigen. Gerber erkannte klar, daß seine Stärken nicht allein in der wissenschaftlichen Forschung, sondern auch in der praktischen (politischen) Tätigkeit lagen. Er wollte nicht nur wissenschaftlich gestalten. Aus diesem Grund fiel seine Wahl auf die Jurisprudenz als Studiengebiet. Gerade für dieses Fach war Leipzig zur damaligen Zeit auch ein empfehlenswerter Studienort. Die Universität Leipzig stand seit 1832 unter staatlicher Verwaltung. Da durch erhöhte Zuwendungen aus der Staatskasse die Professorengehälter aufgebessert werden konnten, war erstmals in ihrer Geschichte die Finanzierung der Juristenfakultät in etwa zufriedenstellend geregelt 17 und diese auf dem Weg, sich zur führenden Fakultät in Deutschland zu entwickeln. 18 Bereits zur Studienzeit Gerbers waren mit Puchta und Albrecht 19 zwei in ganz Deutschland berühmte Rechtslehrer vertreten. Sowohl Puchta als auch Albrecht übten, neben dem ebenfalls in Leipzig lehrenden Quellenforscher Gustav Hänel einen bestimmenden Einfluß auf Gerbers juristische Bildung aus. Wilhelm Eduard Albrecht war bekannt als Verfasser der ersten vollwertigen deutschrechtlichen Monographie über „Die Gewere“ (1828). Seine MaurenbrecherRezension leistete einen wesentlichen Beitrag zum modernen Staatsrecht. Berühmt war Albrecht zum Zeitpunkt seiner Berufung allerdings stärker noch als einer der Göttinger Sieben. 20 Mit Albrecht blieb Gerber lebenslang in Kontakt, später als Professorenkollege in Leipzig und auch noch als Minister in Dresden. Von all seinen Schülern stand Gerber Albrecht am nächsten. 21 Albrecht verwandte seine ganze Konzentration auf seine Vorlesungen und die Ausarbeitung seiner Hefte, die er seinen Ausführungen als Diktat voranstellte. Er sah sich vornehmlich als Lehrer, und daher zog es ihn von seiner politischen Tätigkeit auch immer wieder an die Universität zurück. Seine Lebenslauf Gerbers, UA Heidelberg, H II 111/38, S. 15. Kern, Juristenfakultät, S. 65. 18 Kern, Deutschrechtlicher Unterricht, S. 29. 19 Zu ihm: Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht, Lehrer und Verfechter des Rechts: Leben und Werk, 1993; vgl. auch Schnapp, NJW 1998, S. 1541. 20 Kern, Juristenfakultät, S. 67. 21 Vgl. Borsdorff, Albrecht, S. 74. 16 17

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Vorlesungen gehörten regelmäßig zu den am stärksten besuchten. 22 Allerdings wurde ihnen teilweise nachgesagt, daß sie über die Köpfe der Zuhörer hinweg gingen. 23 Wenn er auch von seinen Studenten als eigenartig, „auf dem Katheder sich etwas apart und überlegen gebend“ beschrieben wurde, so wurde anderseits sein plastischer Vortrag „außerordentlich belebt durch reichlich eingeschobene freie Ausführungen“ bewundert. 24 Im Gegensatz dazu waren Puchtas Vorlesungen nach allgemeiner Meinung wenig mitreißend. Das zweite Haupt der historischen Schule neben Savigny 25 war offenbar „auf dem Katheder nicht ganz an seinem Platz“. 26 In Leipzig lehrte Puchta nur von 1837 bis 1842. Gerber, der in seinem Werk stark von Puchta beeinflußt wurde, hat diesen als seinen „großen Lehrer“ bezeichnet und stets hochgeachtet.27 Der durch die Edition spätrömischer Quellen bekannt gewordene Hänel, von seinen Studenten als „anima candida“ und Wohltäter geschätzt, 28 zählte Gerber zu seinen Lieblingsschülern 29 und führte ihn gern als Muster eines strebsamen Juristen an. 30 Gerber seinerseits schrieb in seinem Lebenslauf, daß er die Erinnerung an den vortrefflichen Gustav Hänel und seinen väterlichen Rat für immer im Herzen tragen werde. 31 Als weitere Lehrer zählte Gerber neben den drei genannten noch Hermann, Marezoll, Schilling und „alii“ auf, ohne allerdings im einzelnen auf sie einzugehen. Im Wintersemester 1840, als der Grundstein für Gerbers Begeisterung für die Jurisprudenz gelegt wurde, hielt Albrecht ein Privatissimum im Kirchenrecht und eines im deutschen öffentlichen Recht. 32 Puchta las Pandekten nach seinem Lehrbuch. Außerdem behandelte er die Entwicklung der Jurisprudenz vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hänel schließlich las Pandektenrecht und hielt eine Vorlesung über das Leben der neueren Lehrer des römischen Rechts. Von Michaelis 1841 bis Ostern 1843 studierte Gerber drei Semester an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Wie er in seinem Lebenslauf berichtete, hatBorsdorff, Albrecht, S. 456. v. Massow, JZ 1909 Sp. 936. 24 Lotichius, JZ 1909, Sp. 1002. 25 Zu Savigny vgl. u. a. Kiefner in HRG IV, Sp. 1313 ff.; Kleinheyer/Schröder 3. Aufl. S. 239 ff.; Rückert, Heidelberg um 1804, S. 83 ff.; Coing, Savigny und die deutsche Privatrechtswissenschaft, in: Ius commune, Band VIII (1979), S. 9 ff.; Gmür, Savigny und die Entwicklung der Rechtswissenschaft, Münster 1962; Thieme, Savigny und das Deutsche Recht, in: ZRG, RA 1967, S. 1 ff.; Kunkel, JZ 1962, S. 457. 26 Anonymus, JZ 1909, Sp. 943. 27 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 781. 28 Vgl. Fischer, JZ 1909, Sp. 936. 29 Vgl. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 88. 30 Whistling, Beilage zum Leipziger Tageblatt vom 24. Dezember 1891. 31 UA Heidelberg, H II 111/38, S. 16. 32 Vorlesungsverzeichnis Universität Leipzig WS 1840/1841. 22 23

II. Studienzeit in Leipzig und Heidelberg – berühmte Lehrer

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te ihm sein Vater erlaubt, eine andere Universität zu besuchen, um seinen Horizont zu weiten. 33 Zur Wahl standen nach des Vaters Willen Berlin und Heidelberg, d. h. zwei der renommiertesten Hochschulen der damaligen Zeit. Der Student entschied sich für die Stadt am Neckar und sollte seine Wahl nicht bereuen. Sein Bruder begleitete ihn nicht, sondern setzte sein Studium in Leipzig fort.34 Ausweislich des Adreßbuchs der Universität wohnte Carl Friedrich Gerber in Heidelberg zunächst für ein Semester bei einem Herrendiener Ewald, anschließend bei den Erben eines Herrn Weinberg. 35 Von den Heidelberger Professoren beeindruckten ihn besonders Vangerow und vor allem Mittermaier. Im Wintersemester 1841/42 las Vangerow Pandekten mit Einschluß des Erbrechts nach seinem „Leitfaden für Pandekten-Vorlesungen“. 36 Mittermaier las deutschen und französischen Criminalprozeß nach seinem Buch „Das Strafverfahren in den deutschen Gerichten“. Des weiteren hielt er ein „Criminalprozeßprakticum“ sowie ein Relatorium ab. 37 Welche Vorlesungen Gerber im einzelnen gehört hat, läßt sich nicht ermitteln. Karl Adolf von Vangerow war 1840 erst zweiunddreißigjährig zum Nachfolger seines Lehrers Thibaut als ordentlicher Professor des römischen Rechts in Heidelberg ernannt worden. 38 Der Ruf seiner außerordentlichen Lehrbegabung, unterstützt von der literarischen Wirkung des ersten Bandes seines (schließlich dreibändigen) Pandektenrechts, waren ihm schon aus Marburg vorangegangen. Vangerows Heidelberger Pandektenvorlesungen waren in ganz Deutschland berühmt. Sie fanden jeweils im Wintersemester Mitte Oktober bis Mitte März täglich drei bis vier Stunden statt und wurden von mehreren Hundert Studenten – darunter im Winter 1841 wohl auch der junge Gerber – von Anfang bis Ende gehört. 39 Dies stellte angesichts der damaligen Hörerzahlen ein unvorstellbar großes Auditorium dar. Karl Joseph Anton Mittermaier gehörte der Heidelberger Juristischen Fakultät von 1821 bis an sein Lebensende an. Er trug wesentlich zur Aufrechterhaltung des hohen Ansehens dieser Fakultät bei. 40 Beachtlich war auch sein politisches Wirken als badischer Landtagsabgeordneter 1831 bis 1840 und 1846 bis 1849, wobei er der gemäßigt oppositionell-liberalen Rechtspartei zuzurechnen war. 41 Die süddeutsch liberalen Ideale Mittermaiers, der beispielsweise als entschiedener Gegner der Todesstrafe auftrat, waren weit entfernt von der später von seinem 33 34 35 36 37 38 39 40 41

UA Heidelberg, H II 111/38, S. 16. Verzeichnis der Studierenden auf der Universität Leipzig 1842. Adressbuch Universität Heidelberg Winter-Halbjahr 1841/42, Sommer-Halbjahr 1842. Vorlesungsverzeichnis Universität Heidelberg WS 1841/42. Vorlesungsverzeichnis Universität Heidelberg WS 1841/42. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 603. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 605. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 415. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 416.

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Schüler Gerber vertretenen Politik. Gerber selbst gestand seinem Lehrer im Rückblick, daß „ein wesentlicher Theil meiner politischen Meinungen von den Ihrigen mehr der Demokratie zuneigenden abweicht.“ 42 Auch fachlich hat Mittermaier in Gerber für seine eine Domäne, das Strafrecht, offenbar kein Interesse geweckt. Auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts, dem anderen Fach, das Mittermaiers wissenschaftlichen Ruhm begründete 43, ist der Einfluß auf Gerber deutlich. Das Thema eines gemeinen deutschen Privatrechts sollte das wissenschaftliche Leben Gerbers, der hierin zumindest thematisch ein treuer Schüler Mittermaiers war, prägen. Mittermaier muß auf den jungen Gerber einen überwältigenden Eindruck gemacht haben, der weit über die Heidelberger Studienzeit hinauswirkte. Dies läßt sich durch die zahlreichen Briefe belegen, in denen Gerber seinem Lehrer in der gefühlsbetonten Sprache des 19. Jahrhunderts sein Herz ausschüttete. Vierzehn Briefe Gerbers an Mittermaier werden in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt. 44 Von diesen wurden frühzeitig vier in Ausschnitten veröffentlicht. 45 Die acht Briefe Mittermaiers an Gerber, ebenfalls unter den Heidelberger Handschriften zu finden, sind schwer zu entziffern. 46 Mittlerweile wurde jedoch der Briefwechsel zwischen Mittermaier und Gerber komplett herausgegeben. 47 Aus Gerbers Briefen wird deutlich, daß er Mittermaier als eine Art Vaterfigur betrachtete: Beispielsweise beteuerte er, daß er wie einst bei seinem Abschied „so jetzt bei der Erinnerung an Sie Thränen vergießt, wie sie nur ein Kind über die Trennung von seinem Vater vergießen kann“. 48 Der Topos „Vater“ in Verbindung mit Mittermaier taucht auch an anderen Stellen der Korrespondenz auf. 49 42 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg H.HS 2746, 12, Jelowik, Briefe deutscher und Schweizer Germanisten an Karl Josef Anton Mittermaier, S. 319 [163 – Numerierung bei Jelowik]. 43 1821 erschien Mittermaiers „Lehrbuch des deutschen Privatrechts“, 1824 umgearbeitet zu „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts“. 44 Gerber an Mittermaier, UB Heidelberg, H.HS 2746, 1–14. 45 Gerber an Mittermaier, JZ 1909, Sp. 997 ff. 46 Mittermaier an Gerber, UB Heidelberg, 2746. Auch bei Jelowik, Briefwechsel deutscher Germanisten mit K. J. A. Mittermaier, die aus den in Heidelberg aufbewahrten Briefen Gerbers an Mittermaier einige Sätze zitiert, finden sich zunächst keine näheren Erläuterungen zu Mittermaiers Antwortbriefen, vgl. Jelowik, Briefwechsel deutscher Germanisten mit K. J. A. Mittermaier, S. 404. 47 Jelowik, Briefe deutscher und Schweizer Germanisten an Karl Josef Anton Mittermaier, Frankfurt 2001. 48 Gerber an Mittermaier, Sondershausen 9. Juli 1843, UB Heidelberg H.HS 2746, 2; vgl. auch JZ 1909, Sp. 997, Jelowik, S. 228/229 [101]; im selben Brief spricht Gerber davon, daß er seine Sorgen „in Ihrem väterlich gesinnten Herzen“ niederlegen wolle, vgl. auch Jelowik, S.228 [101 – Nummerierung bei Jelowik], und daß er es als „heilige Pflicht“ empfinde, „Ihnen alles das zu leisten, was Sie von dem besten Sohne erwarten dürften“, vgl. Jelowik, S. 230 [101]. 49 Gerber an Mittermaier, Jena, 3. März 1845, UB Heidelberg, H.HS 2746, 6; vgl. auch JZ 1909, Sp. 1000, Jelowik, S. 253 [117] „... nicht nur, daß die stete Beschäftigung mit Ihren

III. Promotion, Staatsexamen und praktische juristische Tätigkeit

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In seiner Heidelberger Zeit wurde Gerber offenbar in Mittermaiers Haushalt freundlich aufgenommen und gewann auch eine engere Verbindung zu seiner Familie. Später erinnerte er sich an „die unvergeßlichen Beweise von Liebe und Theilnahme, welche ich in Ihrem theuren Hause genossen habe“50. Auch wenn man die damals übliche engere Bindung zwischen akademischen Lehrer und Studenten berücksichtigt, bestand zwischen Mittermaier und Gerber offenbar ein außerordentlich vertrauensvolles, fast familiäres Verhältnis.

III. Promotion, Staatsexamen und praktische juristische Tätigkeit Gerber war an der Universität Heidelberg bis einschließlich Wintersemester 1842/43 eingeschrieben. 51 Beschorner gibt als Daten für den Heidelberger Aufentalt Michaelis 1841 bis Ostern 1843 an. Am 1. Februar 1843 legte er dort das juristische Doktorexamen ab. Gerber promovierte also nicht, wie in den meisten Lebensbeschreibungen festgehalten, in Leipzig. Zu diesem Ereignis hatte der amtierende Dekan Vangerow die gesamte Prüfungskommission und den Kandidaten für 6 Uhr (abends, wie anzunehmen ist) in seine Privatwohnung eingeladen. Die Prüfer waren neben Vangerow selbst Zachariä 52, Roßhirt und Gerbers Protektor Mittermaier. 53 Gerber hatte den schon erwähnten lateinischen Lebenslauf sowie zwei jeweils drei- bis vierseitige Exegesen auf Latein eingereicht: Die kirchenrechtliche Exegese beschäftigte sich mit einem Dekret des Papstes Gregor III an Alexander III, den Bischof von Ostia. 54 Die andere Exegese hatte eine Digestenstelle zum Thema. 55 Eine Schriften mir fortwährend das große Beispiel Ihrer aufopfernden Kraft für die Wissenschaft vorhielt – auch Ihr Bild, das ich über meinem Schreibtisch neben dem meines Vaters hängen habe, wirkte in Augenblicken von Schwäche mächtig auf mich ein und gab mir Kraft zu neuer Tätigkeit.“ 50 Gerber an Mittermaier, Sondershausen, 9. Juli 1843, UB Heidelberg, H.HS 2746, 2; JZ 1909 Sp. 998, Jelowik, S. 228 [101]; an anderer Stelle läßt sich Gerber „der Frau Geheimräthin, Ihrem Fräulein Tochter und meinen lieben Freunden, dem Karl und dem Franz“ empfehlen, Gerber an Mittermaier, Jena, 16. August 1844, UB Heidelberg H.HS 2746, 5, Jelowik, S. 231 [101]. 51 Adressbuch der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg, Wintersemester 1942/43; Losano geht davon aus, daß Gerber seinen Aufenthalt in Heidelberg bereits Ostern 1842 beendete, Losano, Bd. 2, S. 305. Dies ist jedoch angesichts der Promotion kaum möglich. Auch die Angaben in den Heidelberger Adressbüchern, die Gerber noch im Wintersemester 1842/43 verzeichnen, sprechen dagegen. 52 Carl Salomo Zachariä von Lingenthal, der vor allem für sein „Handbuch des französischen Civilrechts“ und seine enzyklopädisch angelegten „Vierzig Bücher vom Staat“ berühmt geworden war, zählte bereits 78 Jahre und sollte wenig später, im März 1843 sterben. Zu ihm im einzelnen Sturm in HRG V, Sp. 1596 ff. 53 UA Heidelberg H II 111/38, S. 13. 54 UA Heidelberg H II 111/38, S. 17.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

schriftliche Dissertation war damals im Heidelberger Promotionsverfahren noch nicht üblich. Wie die mündliche Prüfung Gerbers im einzelnen verlief, läßt sich nicht nachvollziehen, da offenbar kein Protokoll angefertigt wurde. Jedenfalls können seine Prüfer mit ihm nicht unzufrieden gewesen sein, da er die Note „summa cum laude“ erhielt. 56 Beinahe noch mehr als diese Bewertung sagt ein Brief Mittermaiers an Gerbers Vater, datiert vom 2. Februar 1843, dem Tag nach der Prüfung, aus. Darin beglückwünschte er Friedrich Gerber zu der glänzenden Leistung seines Sohnes und führte aus, „dass seit langer Zeit kein junger Mann die juristische Doktorprüfung mit solcher Auszeichnung bestanden hat, als Ihr Sohn“57. Sicher verfolgte der Brief auch die Absicht, dem jungen Gerber bei der Durchsetzung seiner wissenschaftlichen Ambitionen gegen den Widerstand des Vaters, der sich für ihn eine Beamtenkarriere wünschte, zur Seite zu stehen. So schrieb Mittermaier: „Überall bewiesen seine Antworten, dass er selbst gründlich den Gegenstand überdacht und sich mit der Lehre völlig vertraut gemacht hat. Ich freue mich, wenn ihr Herr Sohn die Laufbahn, welche er betreten hat, mit gleichem Eifer verfolgt, weil ich überzeugt bin, dass er dann die Wissenschaft weiter fördern wird.“ 58 Die Wortwahl Mittermaiers drückt aber nicht nur eine reine Gefälligkeit gegenüber seinem Schüler zur Erreichung von dessen Berufsziel aus. Vielmehr spiegeln sich hier warme Sympathie und die Überzeugung von der überragenden wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit seines Schützlings wider. „Es gibt für den Lehrer keine grössere Freude, als Schüler zu haben, bei welchen Geist und Gemüth im Einklang stehen. Ihr Herr Sohn gehört in die (leider kleine) Zahl derjenigen, welche mir mein Lehramt liebgemacht haben“ 59. Mitte Februar kehrte der frischgebackene Doctor iuris utriusque in seine Heimatstadt Sondershausen zurück, um sich auf das juristische Staatsexamen vorzubereiten. Dabei kam er nicht so schnell wie erwartet voran. Seinem Mentor in Heidelberg klagte er im Juli 1843. „So sitze ich nun schon seit 20 Wochen hier und habe es noch immer nicht erreichen können, daß ich mein Examen wenigstens beendet hätte. Trotz meiner Bemühungen und meine Eile bei der Meldung dazu habe ich erst vor 6 Wochen die schriftlichen Arbeiten erhalten können. Wie schmerzlich, eine so lange und schöne Zeit verloren gehen zu sehen.“ 60 UA Heidelberg H II 111/38, S. 19. UA Heidelberg H II 111/38, S. 13. 57 Mittermaier an Friedrich Gerber, Heidelberg, 2. Februar 1843, UB Heidelberg H.HS 2246; zitiert nach der maschinenschriftlichen Abschrift, vgl. auch Jelowik, S. 222 [95]. 58 Mittermaier an Friedrich Gerber, Heidelberg, 2. Februar 1843, UB Heidelberg H.HS 2246 vgl. auch Jelowik, S. 222 [95]. 59 Mittermaier an Friedrich Gerber, Heidelberg, 2. Februar 1843, UB Heidelberg H.HS 2246 vgl. auch Jelowik, S. 222 [95]. 60 Gerber an Mittermaier, Sondershausen, 9. Juli 1843, UB Heidelberg H.HS 2246, 2, vgl. auch JZ 1909 Sp. 999, Jelowik, S. 230 [101]. 55 56

III. Promotion, Staatsexamen und praktische juristische Tätigkeit

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Diese Zeit in Sondershausen war eine schwierige Phase im Leben des jungen Gerber. Es fehlte ihm an geistiger Anregung, er litt schwer unter der provinziellen Enge und Rückschrittlichkeit seiner Vaterstadt. Mit starken Worten verlieh der später im Umgang mit Menschen so versierte und für sein diplomatisches Geschick gerühmte Staatsmann seiner Verzweiflung Ausdruck. Er war verbittert über gesellschaftliche Kränkung und berufliche Zurücksetzung. „Unter dem Mantel der Höflichkeit bin ich überall dem Neide und der Mißgunst ausgesetzt, und es wird mir schwer zu leben unter Menschen, deren oberstes Prinzip der Eigennutz ist, denen aller wissenschaftliche Sinn fehlt ... und jeder fühlt sich beengt in der Nähe eines Menschen, dem es wenigstens nicht an wissenschaftlichem Streben fehlt, und von dem sie fürchten müssen, durchschaut zu werden ... Dabei herrscht hier eine vollständige Bureaukratie, indem 3 bis 4 untereinander selbst wieder verwandte oder verbundene Familien alle einflußreichen Posten besetzt halten, und jedes fremdartige Element zu ersticken suchen, von dem sie fürchten, daß es nicht in die Verkettung ihrer Pläne passen wird.“ 61 Das alles sind ungewöhnlich gesellschaftskritische Töne aus dem Mund eines Mannes, der sich später als Universitätslehrer und Politiker mit den Mächtigen gutzustellen wußte und aufgrund seiner konservativen Einstellung immer in Einklang mit den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen lebte. 62 Sie drücken vor allem auch das Ringen des jungen Juristen um seine berufliche Orientierung aus, sein Schwanken zwischen Praxis und Wissenschaft. Aus den Briefen an Mittermaier ist zu entnehmen, daß der Vater „bei seinem hohen Alter“ – Friedrich Wilhelm Gerber war zu dieser Zeit 68 Jahre alt – wünschte, der Sohn werde seine „äußeren Verhältnisse in Ordnung bringen“ 63. Dies hätte eine Stelle als praktischer Jurist, beispielsweise im schwarzburgischen Staatsdienst, wie sie später der Bruder Carl Ludwig innehatte, bedeutet. Die Neigung Gerbers aber tendierte, wie sich aus der Korrespondenz mit Mittermeier ablesen läßt, zu einer akademischen Karriere. 64 Auf die Frage, ob ihm der Lehrer eine akademische Laufbahn empfehle und ihn mit seinem Rat und einer Empfehlung nach Jena unterstütze, antwortete Mittermaier offenbar positiv. Gerber legte sein Examen vor dem fürstlich schwarzburgischen Landesjustizkollegium mit der bestmöglichen Note I a ab. 65 Danach arbeitete er für neun Monate 61 Gerber an Mittermaier, Sondershausen, 9. Juli 1843, UB Heidelberg H.HS 2246, 3; vgl. auch JZ 1909 Sp. 998, Jelowik, S. 229 [101]. 62 Auf Gerbers politisches Geschick wird später noch einzugehen sein. Instruktiv sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen bei Losano, Bd. 2, S. 197 ff. „Gerber und die Mächtigen“. 63 Gerber an Mittermaier, Ebeleben 31. März 1844, UB Heidelberg H.HS 2246, 3, vgl. auch JZ 1909, Sp. 999, Jelowik, S. 233 [103]. 64 Gerber an Mittermaier, Sondershausen 9. Juli 1843, JZ 1909 Sp. 999, Jelowik, S. 232–234 [103]. 65 Vgl. Schreiben Guyet vom 24. Mai 1844, UA Jena K 372.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

beim Fürstlichen Amt Ebeleben 66 und sammelte so Erfahrungen im Bereich der praktischen Jurisprudenz. Im März 1844 aber war die Entscheidung zugunsten der Wissenschaft gefallen. 67 Eine Einschränkung bedeutete für den jungen Wissenschaftler zwar, daß er mit Rücksicht auf seinen betagten Vater, der ihn in seiner Nähe wissen wollte, seinen ursprünglichen Plan, sich in Heidelberg bei Mittermaier zu habilitieren, aufgeben mußte. 68 Statt dessen zog er Ende April 1844 nach Jena, um dort ein halbes Jahr zu privatisieren und dann als Dozent aufzutreten. Seinen Mentor bat er diesbezüglich um eine Empfehlung. 69 Daraufhin richtete Mittermaier ein kurzes Empfehlungsschreiben an Karl Julius Guyet, Ordinarius in Jena, der seinerzeit bei ihm in Heidelberg studiert hatte. Das Schreiben ist sehr kurz gefaßt, vermutlich da Gerber sich ohnehin persönlich vorstellen sollte. Vor allem weist Mittermaier auf Gerbers „glänzendst“ bestandenes Examen hin. 70 Darauf unterstützte Guyet in einem Schreiben vom 24. Mai 1844 71 das „Gesuch des Dr. jur. Gerber aus Sondershausen um Erteilung der venia legendi“. Gerbers Gesuch selbst ist in den Jenaer Fakultätsakten nicht enthalten. Guyet verwies auf verschiedene Anlagen, die ebenfalls nicht mehr auffindbar sind. So erwähnte er die ausgezeichneten Zeugnisse Gerbers über den Gymnasialabschluß und über seine Universitätsstudien in Leipzig und Heidelberg. Er wies weiter darauf hin, daß der Bewerber die juristische Doktorwürde in Heidelberg mit der „ersten Censur“, nämlich summa cum laude, für das Examen erlangt hat. Auch die Staatsprüfung habe er mit I a bestanden. Ein am 6. April 1844 in Sondershausen ausgestelltes Zeugnis bestätige zudem seinen unbescholtenen Lebenswandel. Im persönlichen Gespräch erzeuge Gerber durch seine Bescheidenheit, seinen Verstand und seine gründliche Bildung einen sehr positiven Eindruck. Aus diesen Gründen sah Guyet es für „wünschenswerth“ an, daß dem jungen Wissenschaftler, der „zu den schönsten Erwartungen“ berechtigte, gestattet werde, „als Privatdocent der Rechte Vorlesungen zu halten“.

Schreiben Guyet vom 24. Mai 1844, UA Jena K 372. Gerber an Mittermaier, Ebeleben 31. März 1844, UB Heidelberg H.HS 2746, 3, JZ 1909 Sp. 999, Jelowik, S. 233 [103]. 68 Gerber an Mittermaier, Ebeleben 31. März 1844, UB Heidelberg H.HS 2746, 3, JZ 1909 Sp. 999, Jelowik, S. 233 [103]. 69 Gerber an Mittermaier, Ebeleben 31. März 1844, UB Heidelberg H.HS 2746, 3, JZ 1909 Sp. 1000, Jelowik, S. 233/234 [103]. 70 Mittermaier an Guyet, Heidelberg, Mai 1844, UA Jena K 372; vgl. auch Mittermaiers Brief an Gerber, in dem er auf die Empfehlung an Guyet und auch Michelsen in Jena verweist, Jelowik, S. 238 [107]. 71 UA Jena K 372. 66 67

IV. Privatdozent und außerordentlicher Professor in Jena 1844 bis 1847

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IV. Privatdozent und außerordentlicher Professor in Jena 1844 bis 1847 Im Sommer 1844 72 habilitierte sich Gerber, gerade einundzwanzigjährig, in Jena. Ein Exemplar seiner Habilitationsschrift, betitelt „De unione prolium observationes“, sandte er am 16. August an seinen akademischen Lehrer in Heidelberg, „als den ersten Versuch auf dem Gebiete, in das ich durch Ihr eigenes begeisterndes Wort eingeführt wurde.“ 73 Gewidmet war das Werk an erster Stelle einem Herrn von Ziegeler 74, einem hochdekorierten Ratgeber des Fürsten von Schwarzburg – Sondershausen. Daneben galt die Widmung „dem besten Vater Friedrich Gerber, Direktor des Gymnasiums in Sondershausen“. Bei dem von Gerber bearbeiteten Thema, der Einkindschaft, handelt es sich um die erbvertragliche Gleichstellung von Kindern aus zwei Ehen eines Elternteils. 75 Ein unbekannter Rezensent in den Kritischen Jahrbüchern für die deutsche Rechtswissenschaft 76 anerkennt trotz inhaltlicher Differenzen den „Fleiss und das Streben des Verfassers, von dem noch mehr zu hoffen ist“. Direkt nach seiner Habilitation, noch im Sommersemester 1844 hielt Gerber ein Examinatorium im Zivilprozeß vor 6 Zuhörern. 77 Im Wintersemester 1844/45 hielt Gerber Vorlesungen im Lehnrecht und im deutschen Privatrecht, sowie zwei Pandektenprivatissima „vor verhältnismäßig reich besetztem Auditorium“, wie er an Mittermaier schrieb. 78 Tatsächlich hatte er seinen eigenen Aufzeichnungen zufolge im Lehensrecht 35, im deutschen Privatrecht 17 und in den Examinatorien sechs bzw. drei Hörer 79 – für Jena und für einen absoluten Novizen auf dem Gebiet der 72 Günther, Professoren der Universität Jena, S. 163 gibt als Datum der Habilitation den 24. Oktober 1844 an, nach den Aufzeichnungen Gerbers hielt er jedoch schon nach seiner Habilitation im Sommersemester 1844 Vorlesungen. 73 Gerber an Mittermaier, Jena, 16. August 1844, UB Heidelberg H.HS 2746, 5; JZ 1909, Sp. 1000, Jelowik, S. 245 [113]; Gerber fährt fort: „Ich wage nicht, die Hoffnung zu fassen, daß diese erste Arbeit aus Ihrem Mund eines Beifalls gewürdigt werden möchte ...“. 74 Die Familie von Ziegeler war mit der Familie Gerber verwandt – vgl. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch, Teil B, 1933, S. 176: Gerber führte seit 1878 das Wappen der verwandten Patrizierfamilie von Ziegeler zum Rebenstock), die erloschen war. 75 Vgl. Erler in HRG I, Sp. 900 f.: Wahrscheinlich fränkischer Herkunft, findet die Einkindschaft nach der Rezeption Verbreitung in weiten Teilen Deutschlands. Vertragsparteien des Einkindschaftsvertrags waren die Gatten der zweiten Ehe und die beiderseitigen Kinder. Vertragsinhalt war, daß die Kinder unter Verzicht auf ihre Rechte am erst-ehelichen Vermögen zugunsten der neuen Ehegatten ein Erbrecht gegen diese erhielten. Damit gaben sie sichere, gegenwärtige Vermögensrechte gegen ein noch unsicheres künftiges Erbrecht auf. 76 Anonymus, Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1845, S. 958. 77 Aufzeichnung Gerbers anläßlich seines Antrags auf Erteilung einer außerordentlichen Professur, UA Jena, BA 411. 78 Gerber an Mittermaier, Jena 3. März 1845, UB Heidelberg, H.HS 2746, 6; JZ 1909 Sp. 1000, Jelowik, S. 253 [117]. 79 UA Jena, BA 411.

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Lehre eine beachtenswerte Anzahl. Gerber galt allgemein als eine Art Wunderkind. In einer seiner Vorlesungen ergab sich aus den Geburtsjahren der Studenten, daß Gerber der Jüngste unter den Anwesenden war. 80 Als Dozent war Gerber ein für einen Anfänger ungewöhnlicher Erfolg beschieden. Die Vorlesungen forderten aber auch ihren Tribut. Gerber litt an Überanstrengung, seine Nerven waren aufs Äußerste angespannt. Nach diesem ersten Semester gestand er dem Heidelberger Lehrer, daß sich dessen Warnung, die ersten Schritte der akademischen Laufbahn seien schwer, nur zu sehr als wahr erwiesen habe: „Oft wollten meine Kräfte den Dienst versagen und oft schwankte meine Gesundheit bei der störenden Einwirkung nächtlicher Arbeiten auf meine Nerven.“ 81 Er hoffte jedoch, „im nächsten Halbjahr eine Erleichterung zu haben, da ich bloß Staats- und Rechtsgeschichte angekündigt habe.“ 82 Dafür hatte er den Plan gefaßt, in seinen freien Stunden „etwas Literarisches auszuarbeiten“. 83 Diese erste größere wissenschaftliche Arbeit Gerbers, „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“, erschien im Juli 1846. Gewidmet war das Werk an erster Stelle Gerbers akademischem Lehrer Mittermaier, daneben seinen Jenaer Kollegen Ortloff 84 und Guyet 85. Besonders mit Guyet, der doch mehr als zwanzig Jahre älter war, verband den jungen außerordentlichen Professor Gerber eine herzliche Freundschaft.86 Fischer, JZ 1909, Sp. 936. Gerber an Mittermaier, Jena 3. März 1845, UB Heidelberg, H.HS 2746, 6, JZ 1909, Sp. 1000, Jelowik, S. 253 [117]. 82 Gerber an Mittermaier, Jena, 3. März 1845, UB Heidelberg, H.HS 2746, 6, Jelowik, S.253 [117]. 83 Gerber an Mittermaier, Jena 3. März 1845, UB Heidelberg, H.HS 2746, 6 Jelowik, S. 253 [117]. 84 Über Friedrich Ortloff (1797–1868) berichtet Landsberg, er sei Professor in Jena und später Präsident des dortigen Oberappellationsgerichts gewesen. Er habe sich um die Quellengeschichte verdient gemacht („Sammlungen deutscher Rechtsquellen“ in zwei Bänden) und sei durch die Redaktion der Entwürfe einer Strafprozeßordnung und eines Strafprozeßbuchs für die thüringischen Staaten (1849/1850) bekannt geworden. Vor allem aber habe er maßgebend als Vertreter der Länder seines Gerichts bei der Abfassung des Sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs von 1863 mitgearbeitet. Vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S.230. 85 Karl Julius Guyet (1802 bis 1861), Sohn eines französischen Hauptmanns, geboren in Homburg vor der Höhe, studierte in Heidelberg und war dort seit 1823 Privatdozent und seit 1827 außerordentlicher Professor. In Jena war er seit 1836 ordentlicher Professor, seit 1843 Geheimer Justizrat und schließlich 1856 Ordinarius der Juristenfakultät und des Schöffenstuhls. Er schrieb Abhandlungen auf dem Gebiet des Zivilrechts (Heidelberg 1829) und war beteiligt bei dem ersten und einzigen Band von Ortloff, Heimbach, Schüler und Guyet: Juristische Abhandlungen und Rechtsfälle unter besonderer Rücksicht auf die Länder des Sächsischen Rechts und die Entscheidungen des Gesamtoberappellationsgerichts zu Jena, Jena 1847. Vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten S. 36. 86 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 91 berichtet über den gesellschaftlichen Umgang Gerbers in Jena: „Erholung von der anstrengenden Arbeit suchte und fand er namentlich im Hause des liebenswürdigen und gewandten Justizrats Guyet“. 80 81

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In seiner Heidelberger Zeit war auch Guyet, wie bereits erwähnt, ein Schüler Mittermaiers gewesen. Diese gemeinsame akademische Prägung verband die beiden Männer, wie ein Brief Gerbers an Mittermaier belegt: „Der edle brave Guyet, der mir freundschaftlich und wohlwollend seine Tür geöffnet hat, trug mir auf, ihn herzlich an Sie zu empfehlen. Wir sind häufig zusammen und pflegen dann fast immer in dankbarer Erinnerung von Ihnen zu reden.“ 87 Die Freundschaft überdauerte zumindest brieflich die Jenaer Zeit. Im Hauptstaatsarchiv Dresden werden acht Briefe Gerbers an Guyet aufbewahrt 88, datiert von 1846 bis 1888. Die letzteren sind förmlicher gehalten und wohl an Guyets Sohn adressiert – Guyet selbst starb bereits 1861. Am 18. August 1846 wurde Gerber durch den Herzog zu Sachsen Coburg und Gotha zum außerordentlichen Professor in Jena ernannt.89 Diese Ehre war Gerber nicht in den Schoß gefallen. Er legte vielmehr bereits sehr früh einen beträchtlichen Ehrgeiz an den Tag: In einem Schreiben vom 21. Juni 1846 an den Dekan der juristischen Fakultät 90 legte er seinen Wunsch dar, „diejenige Stellung zu erlangen, welche der Wirksamkeit des akademischen Docenten die größere äußere Sanction verleiht, die Würde eines außerordentlichen Professors“. Das Gesuch enthielt eine genaue Aufstellung der von Gerber in Jena gehaltenen Vorlesungen nebst Hörerzahlen. Nach den bereits erwähnten waren dies im Sommersemester 1845 Encyclopädie und Methodologie des Rechts mit 25 Hörern, Deutsche Staats-und Rechtsgeschichte mit 12 Hörern sowie ein Examinatorium über Pandekten mit 10 Hörern. Im Wintersemester 1845/46 konnte Gerber im Deutschen Privat- und Lehensrecht 8 Hörer, in der Encyclopädie und Methodologie 16 und in seinem Examinatorium über Pandekten 6 Hörer verzeichnen. Im laufenden Semester, in dem er seinen Antrag stellte, beliefen sich seine Hörerzahlen in der Encyclopädie und Methodologie auf 14, in der Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte auf 15 Zuhörer. Weiter berief sich Gerber auf die von ihm publizierten Schriften. Dabei führte er neben „Anzeigen und Recensionen in der hiesigen Literaturzeitung und den Kritischen Jahrbüchern“ seine Inauguraldissertation „De unione prolium observationes“ und „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ an. Die juristische Fakultät, vertreten durch den Dekan Michelsen, unterstützte Gerbers Antrag 91: „Obgleich die Thätigkeit als Privatdocent in dem Zeiraum von drei und einem halben Semester zu kurz erscheinen mögen, um darauf einen Anspruch auf Anstellung als Professor gründen zu können“ müsse berücksichtigt werden, daß 87 Gerber an Mittermaier, Jena 3. März 1845, UB Heidelberg H.HS 2746/6, Jelowik, S. 253 [117]. 88 HStA Dresden, NL Gerber Nr. 97. 89 UA Tübingen Personalakte 126/201; vgl. auch die Meldung in der Neuen Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 22. September 1846, S. 905 und UA Jena, BA 411. 90 UA Jena, BA 411. 91 Schreiben vom 13. Juli 1846, UA Jena, BA 411.

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der Bewerber „dem Vortrag so bedeutender Fächer der Jurisprudenz mit Eifer, Fleiß und Erfolg obgelegen“ habe. Auch in seinen Schriften habe er ein „ernstes wissenschaftliches Streben bestätigt“. Im Januar 1847 erhielt Gerber nach eigener Darstellung einen Ruf als Extraordinarius an die Universität Königsberg als Nachfolger des verstorbenen Professor Backe. 92 Überraschenderweise enthalten die Akten des Kultusministeriums über die Professoren an der Universität Königsberg, die sich im Bestand des Geheimen Staatsarchivs Preussischer Kulturbesitz befinden, keinerlei Hinweise auf eine beabsichtigte Berufung Gerbers nach Königsberg. 93 Es könnten Mutmaßungen angestellt werden, ob Gerber mit Anspielungen auf einen Ruf an eine weit entfernte Universität seinen „Marktwert“ zu Hause steigern wollte. In jedem Fall zog es Gerber vor, mit einem ihm daraufhin gewährten „anständigen Gehalte“ in Jena zu bleiben und einen Ruf aus dem, wie er schreibt, „civilisierten Deutschland“ abzuwarten. 94 Gerber glaubte, seine „Verhältnisse für lange Zeit in Jena fixiert zu haben“. 95 Dabei legte er ein außerordentliches Interesse für die akademische Gremienarbeit an den Tag, was ebenfalls als Indiz für seinen früh entwickelten Ehrgeiz gewertet werden könnte. Vielleicht aber ist der Grund auch in finanziellen Engpässen Gerbers oder einer Überlastung der Mitglieder des Spruchkollegiums zu suchen. Jedenfalls wurde es Gerber auf seinen Antrag hin gestattet, als „außerordentlicher Beisitzer“ an den Sitzungen der Juristenfakultät und des Schöppenstuhls teilzunehmen, da er „durch wissenschaftlichen Eifer und Zuverlässigkeit des Charakters sich unser Vertrauen erworben“ 96 hatte. Zugleich begann Gerber noch in Jena die Vorarbeiten zu seinem „System des deutschen Privatrechts“, ein Unternehmen, das seiner Einschätzung nach „vielleicht die Arbeit mehrerer Jahre erfordern würde“. 97 In Jena zog sich diese Arbeit aber nicht so lange hin, wie Gerber erwartet hatte. Schon im April 1847 wurde er abermals durch einen Ruf überrascht, diesmal nach Erlangen. Dies entsprach offenbar seiner Vorstellung vom „civilisierten Deutschland“. Er zögerte nicht, die ehrenvolle Berufung als ordentlicher Professor des deut92 Dies ist dem Brief Gerbers an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847 zu entnehmen, UB Heidelberg H.HS 2746/9, Jelowik, S. 294 [145]; Losano, Bd. 2, S. 306 nennt dagegen den Januar 1846 als Zeitpunkt für die Berufung nach Königsberg. 93 Schriftliche Auskunft des Geheimen Staatsarchivs Preussischer Kulturbesitz Berlin vom 9.7.1999 nach Durchsicht der Akte GstA PK I.HA Rep. 76 Kultusministerium, V a Sektion 11 Tit. IV Nr. 19, Bd. 1 Anstellung und Besoldung der ordentlichen und außerordentlichen Professoren an der Universität Königsberg, 1844–1855. 94 Gerber an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847, UB Heidelberg H.HS 2746/9, Jelowik, S. 294 [145]. 95 Gerber an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847, UB Heidelberg H.HS 2746/9, Jelowik, S. 294/295 [145]. 96 UA Jena, K, 373, Schreiben vom 17. Februar 1847. 97 Gerber an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847, UB Heidelberg H.HS 2746, 9, Jelowik, S. 295 [145].

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schen Rechts an Stelle von Laspeyres anzunehmen, in der er „die Fügung einer gütigen Vorsehung erkannte“. 98 Da diese Professur in Erlangen seit einem Jahr unbesetzt war, wurde gewünscht, daß Gerber seine Vorlesungen noch im Sommersemester 1847, möglichst nach Pfingsten aufnahm. 99 Gerber bat daher in Jena um die „Dispensation von der Bestimmung des § 32 der hiesigen Statuten“ und die Erlaubnis seines sofortigen Abgangs“. 100 Diese wurde ihm ohne weiteres gewährt.

V. Ordentlicher Professor in Erlangen 1847 bis 1851 Mit knapp 24 Jahren wurde Gerber ordentlicher Professor an der königlich baierischen Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen, die sich dort seit der Verlegung aus Bayreuth 1743 befand. Mit Recht durfte er diese Berufung in so jungen Jahren als große Auszeichnung ansehen. 101 Er nahm sich vor, sich wegen seines „raschen Glücks“ nicht zum „Hochmuth“, sondern „zu nur größerer Thätigkeit anspornen“ zu lassen. 102 Zu seinem Bedauern konnte er mit seinen Vorlesungen in Erlangen trotz der oben geschilderten Dringlichkeit nicht sofort beginnen. Er mußte die Erteilung des Bayerischen Indigenats, d. h. des Bürgerrechts, abwarten, die „durch zufällige Umstände“ verzögert wurde. 103 Die Ernennung zum ordentlichen Professor erfolgte am 20. Mai 1847. 104 Als Inauguraldissertation legte Gerber die Arbeit „Meditationes ad locum speculi juris saxonici lib. I art. L II“ 105 vor. Oberflächlich hatte sich Gerber mit dem Sachsenspiegel schon anläßlich seiner ersten Veröffentlichung überhaupt, dem Artikel über die in der Sondershausener Kirchbibliothek gefundenen Handschriften, beschäftigt. Auch hatte er in Jena im Wintersemester 1846/47 eine Vorlesung über den Sachsenspiegel gehalten. 106 Nun behandelte er eine Stelle aus dem ersten Buch des Landrechts des Sachsenspiegels, die sich mit der Zustimmung der Erben zu der Veräußerung von Grundeigentum beschäftigt. 107 Diese Stelle sieht Gerber als Übersetzung eines Pas98 Gerber an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847, UB Heidelberg H.HS 2746, 9, Jelowik, S. 295 [145]. Laspeyres war 1846 als Oberappellationsgerichtsrat nach Lübeck gegangen. 99 Schreiben des Erlanger Prorektors Schmidtlein vom 20. April 1847, UA Jena, BA 411. 100 Schreiben Gerbers vom 25. April 1847, UA Jena BA 411. 101 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 92. 102 Gerber an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847, UB Heidelberg H.HS 2746, 9, Jelowik, S. 295 [145]. 103 Gerber an Mittermaier, Erlangen 14. Juni 1847, UB Heidelberg H.HS 2746, 9 Jelowik, S. 295 [145]. 104 Personalakte UA Tübingen 126/201. 105 Erlangen 1847, Bibliographie Losano Nr. 9. 106 Lehrveranstaltungen UA Jena GI. 107 Sachsenspiegel, Landrecht, erstes Buch, 52: Ohne Zustimmung des Erben und ohne echtes Ding darf keiner sein Grundeigen und seine Leute veräußern. Doch tauschen die Herren

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sus der Lex Saxonum an. Die Rechtsregel als solche erscheint ihm sehr befremdlich, und er setzt sich mit den dazu von Eichhorn (Deutsches Privatrecht § 105 Not. c.), Beseler (Erbverträge I S. 19) und Pauli (Abhandlungen aus dem Lübischen Rechte I., 13) vertretenen Auffassungen auseinander. Im Wintersemester 1847/48 las Gerber gemeines deutsches Privatrecht mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Lehensrechts. Außerdem hielt er eine Vorlesung über die wichtigsten europäischen Staatsverfassungen. Erstmals zeigt sich hier ein Anhaltspunkt für das später ausgeprägte Interesse Gerbers an staatsrechtlichen Fragen. Vorläufig aber widmete er seine gesamte produktive Kraft der Privatrechtswissenschaft. In Erlangen vollendete er das „System des deutschen Privatrechts“, dessen erster Teil 1848 und dessen zweiter Teil 1849 veröffentlicht wurden. 108 In privater Hinsicht fällt in Gerbers Erlanger Zeit die Eheschließung mit Rosalie von Bloedau am 9. September 1848 in Sondershausen. Die 1829 geborene Tochter des praktischen Arztes Karl von Bloedau und seiner Frau Jeannette, einer geborenen von Kauffberg, stammte, wie Gerber selbst, aus der schwarzburgischen Residenzstadt. Sie starb sehr jung, bereits elf Jahre nach der Eheschließung. Aus dieser ersten Ehe Gerbers mit Rosalie gingen drei Kinder hervor: Luise, geboren 1850, Clara, geboren 1851, und Richard, der im Jahr 1852 geboren wurde, also bereits während Gerbers Tübinger Zeit. Luise blieb später unverheiratet und starb 1926. Der Sohn Richard studierte Medizin und starb als Schiffsarzt 1885 – noch zu Lebzeiten Gerbers – in New-Orleans an Gelbfieber. Clara heiratete den Forstmann Gustav von Schneidewind und bekam drei Kinder, die einzigen Enkel Gerbers. In Erlangen begann 1849 die Freundschaft mit Rudolf von Ihering, der wir den aufschlußreichen Briefwechsel zwischen den beiden großen Juristen verdanken. Im September 1849 fand offenbar der erste Besuch Iherings bei Gerber in Erlangen statt. 109 Aus den Briefen Gerbers an Ihering aus Erlangen läßt sich auch seine eher reservierte Einstellung zu Land und Leuten ablesen. So schreibt er im Dezember 1849, er sehne sich nach einem Gespräch mit Ihering in Kiel, „denn ich bin nun zwei Jahre fast nur in Bayern gewesen, wo ich mich niemals eigentlich heimisch fühlen kann.“ 110 Im gleichen Brief beklagt er die fehlende Abwechslung „in unserem einförmigen philisterhaften Leben“ in Erlangen und zeigt „Reue über meine unvorsichwohl ihre Dienstleute untereinander ohne Gericht, wenn man den Austausch beweisen und bezeugen kann. Veräußert jemand wider Recht ohne Zustimmung der Erben, so möge sich der Erbe mit Urteil dessen bemächtigen, als ob jener tot sei, der da veräußert hat, wie er nicht veräußern durfte. 108 Jena 1848 und 1849, Bibliographie Losano Nr. 10. 109 Im ersten Brief Iherings an Gerber, Kiel, 5. Dezember [1 – Numerierung bei Losano] bezieht sich Ihering auf seinen ersten Besuch bei Gerber: „Als Sie mich in Erlangen kennen lernten ...“. 110 Gerber an Ihering, Erlangen, 13. Dezember 1849 [2].

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tige Behandlung des Rostocker Rufs“, zumal er dann dem Kieler Freund näher gewesen wäre. 111 Gerber hatte nämlich 1849 einen Ruf nach Rostock, wo er Thöls Nachfolger hätte werden können, abgelehnt. 112 Ein weiteres Ärgernis für ihn war, daß die intellektuelle Kapazität seiner Erlanger Studenten seinen hohen Ansprüchen nicht genügen konnte. Nach der Feststellung, er lese nun zum sechsten Mal deutsches Privatrecht (wohl insgesamt, nicht allein in Erlangen), äußert er unzufrieden: „Das fränkische Publikum ist eben höchst mittelmäßig, alles Besondere, Feinere, Individuellere genirt es.“ 113 Ganz anders beurteilt Gerber die geistigen Fähigkeiten seiner (Beinahe-)Landsleute. „Glücklicher Weise haben sich auch ein paar gescheute Leute aus Sachsen hierher verstiegen, die meine Vorlesungen hören, an die kann man sich halten, wenn man sich bei den besten Sachen vom sonstigen Publikum nicht verstanden sieht.“ 114 Von den Erlanger Kollegen knüpfte Gerber offenbar nur mit Christoph Gottlieb Adolf Scheuerl 115 eine engere Verbindung. Diesen zählte er auch später noch neben Ihering zu seinen engsten Freunden. Wenn er in einem Brief an Ihering seine wachsende Isolierung in Tübingen beklagt, tröstet er sich damit, er sei „glücklich und zufrieden, wenn Du und Scheuerl mir Eure Liebe bewahren wollt.“ 116 1851 war zunächst unklar, ob Gerber dem Ruf aus Gießen oder dem aus Tübingen folgen würde. Zuerst fällte Gerber eine Entscheidung zugunsten von Gießen. Dabei spielte gewiß keine geringe Rolle, daß auch sein Freund Ihering einen Ruf in die hessische Stadt erhalten hatte. Jedoch bereute er schnell, „den Tübinger Ruf ohne weiteres abgewiesen zu haben“, nachdem ihm „von kundiger Seite sehr viel Schönes über Tübingen mitgetheilt worden war“ 117. Aus diesem Grund entschloß er sich schließlich, seine Zusage in Gießen zurückzuziehen und der schwäbischen Universität den Vorzug zu geben. Diesen Schritt galt es vor dem Kieler Freund zu rechtfertigen, der verständlicherweise auf das Umschwenken Gerbers konsterniert reagierte: „Ein Donnerschlag ist es für mich, daß Sie jetzt Gießen wieder untreu werden wollen. Die Aussicht, Sie in Gießen zu treffen, hat mich vor allem mit bestimmt, auf den Ruf einzugehen, und jetzt, wo ich im Netz bin, ziehen Sie sich zurück?“ 118 Gerber an Ihering, Erlangen, 13. Dezember 1849 [2]. Losano, Bd. 2, S. 306. 113 Gerber an Ihering, Erlangen, 13. Dezember 1849 [2]. 114 Gerber an Ihering, Erlangen, 13. Dezember 1849 [2]. 115 Christoph Gottlieb Adolf Freiherr von Scheuerl (1811–1893), ein Schüler Puchtas und Anhänger der Historischen Schule war Ordinarius für Römisches Recht und Kirchenrecht in Erlangen und lehrte dort bis zu seiner Pensionierung; vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 486. 116 Gerber an Ihering, Tübingen, 9. November 1856 [67]. 117 Gerber an Ihering, Tübingen, 2. August 1851 [10]. 118 Ihering an Gerber, Kiel, 31. Juli 1851 [9]. 111 112

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Neben seiner persönlichen Betroffenheit brachte Ihering noch schwerwiegendere Bedenken vor, die gegen eine Annahme des Tübinger Rufs sprachen. Die württembergische Regierung habe von der Stelle, die sie Gerber jetzt anbiete, gerade einen anderen vertrieben. Damit spielte Ihering auf die Entlassung von Gerbers Antipoden August Ludwig Reyscher 119 aus dem württembergischen Staatsdienst im Mai 1851 an. 120 Reyscher, der als Staatsrechtler politisch besonders exponiert war, hatte sich in den Kämpfen um die württembergische Verfassung engagiert und offenbar das Mißfallen höchster Stellen erregt. Im März 1851 versetzte der württembergische König den ordentlichen Professor ohne Angabe einer Begründung als Rat zu der Kreisregierung in Ulm. 121 Die Intervention des Senats blieb erfolglos. Wenig später wurde Reyschers Bitte, ihm die Annahme der Wahl als Abgeordneter der Ständeversammlung zu gestatten, abgeschlagen. Daraufhin bat Reyscher selbst um seine Entlassung, die ihm kommentarlos gewährt wurde. 122 Ihering gestand, ihm persönlich sei der „Fanatiker Reyscher“ „durchaus zuwider“, diese Frage aber müsse man in anderen, nämlich politischen, Dimensionen sehen: „... bedenken Sie wohl, daß Ihre Stellung zu Ihren Collegen durch diesen Umstand gleich von vorneherein beeinträchtigt werden kann, bedenken Sie wohl, daß wir Professoren es unseren Regierungen nicht erleichtern sollten, unsere Collegen abzusetzen.“ 123 Ihering verwies darauf, daß nach der Absetzung der Göttinger Sieben niemand deren erledigte Professuren annehmen wollte, und er stellte fest, „das Interesse und die Ehre unseres Standes“ habe dies geboten.124 Er gab dem Freund die Empfehlung, sich genau zu erkundigen, welche Bewandtnis es mit der Absetzung Reyschers hatte und wie diese Maßnahme von der Tübinger Öffentlichkeit aufgenommen wurde. 125 In seiner unverzüglichen Antwort rechtfertigte sich Gerber zunächst dafür, daß er nun doch nicht nach Gießen komme. Nach dem letzten Briefe Iherings sei ihm dessen Ernennung dort sehr zweifelhaft erschienen, nachdem von finanziellen Schwie119 August Ludwig Reyscher (1802–1880) studierte in Tübingen, wo er sich der Burschenschaft anschloß. Er war dort Privatdozent und Professor, bis er 1851 aus politischen Gründen auf eine Ratsstelle bei der Kreisregierung in Ulm versetzt wurde. Daraufhin erbat er seine Entlassung und arbeitete seitdem als Rechtsanwalt. Er war politisch stark in der Bewegung von 1848 engagiert und äußerte sich juristisch und publizistisch zu den anstehenden verfassungsrechtlichen Fragen im liberalen und nationalen Sinne, vgl. im einzelnen Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie. 120 Zu den Vorgängen im einzelnen Rückert, Reyscher, S. 66 ff., sowie die Darstellung von Reyscher selbst: Drei verfassungsberatende Landesversammlungen und mein Austritt aus dem Staatsdienste. Ein Beitrag zum Verfassungsrecht und zur parlamentarischen Praxis, Tübingen 1851. 121 Rückert, Reyscher, S. 67. 122 Rückert, Reyscher, S. 67. 123 Ihering an Gerber, Kiel 31. Juli 1851 [9]. 124 Ihering an Gerber, Kiel 31. Juli 1851 [9]. 125 Ihering an Gerber, Kiel 31. Juli 1851 [9].

VI. Ordentlicher Professor und Kanzler in Tübingen 1851 bis 1862

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rigkeiten die Rede war. 126 Sodann kam er auf die Affäre Reyscher zu sprechen und wehrte sich gegen den Vergleich mit dem Protest der Göttinger Sieben. Damals habe es sich um einen „Verfassungsbruch und eine schmähliche Beschimpfung des ganzen Standes in Männern wie Dahlmann 127 etc.“ gehandelt. Reyscher hingegen, „über dessen Charakter“ er sich „eines Urtheils enthalte“ (dabei konnte es sich Gerber doch nicht versagen hinzuzufügen, sein Opponent sei „ehrlich, aber borniert und eitel“) habe sich „außer der Sphäre seiner akademischen Thätigkeit in eine so oppositionelle Stellung ... hineindrängen lassen, daß er eben als Professor unmöglich geworden ist“ 128. Eine gewisse Schadenfreude angesichts des Schicksals des wissenschaftlichen Widersachers ist aus dieser Äußerung abzulesen. Was die Sorge des Freundes um die Reaktion der Tübinger Öffentlichkeit betrifft, so bemühte sich Gerber, diese mit folgender Feststellung zu zerstreuen: Zwar habe sich der Senat für die „Beibehaltung“ Reyschers verwendet, doch handele es sich dabei um eine rein formelle „Rücksicht, die ihm die Corporation schuldig war“. Derselbe Senat habe dann jedoch ihn, Gerber, „einstimmig nach vorgängigem einstimmigen Vorschlag der Fakultät präsentirt“. 129 Aus diesem Grund sah Gerber offenbar keinen Grund, an seiner Akzeptanz in Tübingen zu zweifeln. Auch besaß die Aussicht, den Platz seines notorischen Opponenten nach dessen Vertreibung einzunehmen, für Gerber, wenn man seinen Brief richtig interpretiert, durchaus ihren eigenen Reiz.

VI. Ordentlicher Professor und Kanzler in Tübingen 1851 bis 1862 Gerber wurde im Alter von 28 Jahren ordentlicher Professor und Vizekanzler der traditionsreichen, 1477 gegründeten Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. In seiner Antrittsrede am 6. November 1851, betitelt „Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft“, ruft Gerber zunächst zur Erinnerung an den ehemaligen Kanzler Karl Georg von Waechter auf: „Wir gedenken wohl alle des Mannes, dessen Andenken sich in unverwischbaren Spuren verdienstvoller Wirksamkeit für alle Zeiten an unserer Hochschule erhalten wird. Möge ihm die gleiche Anerkennung auch dort zu Theil werden, wohin ihn das Schicksal zu einem neuen Wirkungskreise berufen hat.“ 130 Gerber an Ihering, Erlangen, 2. August 1851 [10]. Zu dem Historiker und Politiker Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860) vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 396. 128 Gerber an Ihering, Erlangen, 2. August 1851 [10]. 129 Gerber an Ihering, Erlangen, 2. August 1851 [10]. 130 Gerber, Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft, später als erster Teil des Aufsatzes „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ veröffentlicht, dort, Gerber, Juristische Abhandlungen, S. 2. 126 127

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Es war weniger schicksalhaftes Wirken als vielmehr die Tatsache, daß Waechter sich infolge politischer Querelen um die württembergische Verfassung in Tübingen nicht mehr wohl fühlte und daher einen Ruf an das Oberappellationsgericht nach Lübeck angenommen hatte, maßgebend für den Fortgang. Die württembergische Regierung hatte einseitig, ohne Zustimmung der Kammer, die alte Verfassung wieder eingesetzt. In der Folge hätte Waechter als Kanzler wieder die Virilstimme der Universität in der Kammer vertreten müssen, obwohl er sich in einer Rede vor der Ständeversammlung 1848 sehr bestimmt für das Ausscheiden der privilegierten Klassen aus der Volksvertretung ausgesprochen hatte. 131 Waechter stellte dazu fest: „Ein Zurückgreifen auf die durch Wahlgesetz von 1849 aufgehobene ständische Repräsentation ist nach meiner rechtlichen Überzeugung nicht vereinbar, und ich kann sie daher nur aus dem Gesichtspunkte der Oktroyirung auffassen.“ 132 Aus diesem Grund sah sich Waechter gezwungen, sein Kanzleramt zur Verfügung zu stellen, und er wurde am 22. April 1851 von König Wilhelm I des Amtes enthoben. Der Vorgang weist Parallelen zur Entlassung Reyschers auf, wenn auch Waechter politisch wesentlich moderatere Positionen vertrat und er sich ursprünglich der Wertschätzung des Monarchen sicher sein konnte. Für den Nachfolger Gerber war angesichts seiner klar monarchistischen Ausrichtung kein Konfliktpotential mit den herrschenden Kräften im Staat gegeben. Offiziell wurden die Vorgänge von seiten des Ministeriums durch einen Erlaß vom 5. September 1851 lapidar folgendermaßen zusammengefaßt 133: Nachdem dem früheren Kanzler von Waechter die Entlassung bewilligt sei, werde das „durch dessen Ausscheiden erledigte Kanzleramt verbunden mit der gleichfalls erledigten ordentlichen Professorenstelle des deutschen Privatrechts so wie des deutschen und württembergischen Staatsrechts“ (die durch den erzwungenen Abgang Reyschers vakant war!) mit der Stellung eines „Vice-Kanzlers“ dem „ordentlichen Professor der Rechtswissenschaft Dr. Gerber zu Erlangen“ übertragen. Vermutlich konnte man einem Neuzugang nicht gleich offiziell die Kanzlerstelle anvertrauen und bezeichnete ihn deshalb als „Vicekanzler“, was jedoch an seiner Funktion nichts änderte. In seine Antrittsrede plazierte Gerber auch einen erneuten Affront gegen seinen abgehalfterten Widersacher Reyscher, allerdings ohne diesen ausdrücklich beim Namen zu nennen. Bei der Stellung der Bearbeiter des einheimischen Rechts handele es sich nicht mehr um „die zu ihrer Zeit vollständig berechtigte Opposition der Germanisten gegen die Romanisten“. Eine solche müsse „in unseren Tagen ebenso sehr verspätet erscheinen, als eine in die Gegenwart verlegte Türkenpredigt“. 134 131 Lenk, Carl Georg von Waechter, in: Begleitheft zur Ausstellung der Universitätsbibliothek Leipzig anläßlich des Symposiums „Karl Georg von Waechter – Leben und Werk“, S. 17. 132 Waechter, Leben S. 123 f., zitiert bei Rückert, Reyscher, S. 70. 133 Akten betr. Dr. von Gerber, Kanzler und ordentlicher Professor an der juristischen Fakultät 1851–1862, UA Tübingen 126/201. 134 Gerber, Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, S.13, vgl. dazu Zweiter Teil III. 3. a).

VI. Ordentlicher Professor und Kanzler in Tübingen 1851 bis 1862

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Dem Freunde Ihering gegenüber äußerte sich Gerber über seine Antrittsrede folgendermaßen. Er wolle „auf einem alten Gaule reiten – römisch deutsches Recht.“ Dann beleuchtete er die Hintergründe, nämlich den Konflikt mit Reyscher, dem er noch eine Replik auf den Angriff in der ZDR schuldete: „Vielleicht halten Sie sich schon die Ohren zu, wenn Sie nur diese Worte hören. Indessen so abgedroschen ist die Sache nicht, so müssen Sie mir doch noch einmal Gehör schenken, wahrscheinlich lasse ich die Rede drucken, um damit Reyschers Ausfall gegen mich zu decken. Es ist für mich die bequemste Art, mich zu vertheidigen, was ich nach meiner Stellung thun muß.“ 135 Gerber ließ die Rede tatsächlich 1851 unter dem Titel „Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft“ drucken und nahm sie später als ersten Teil des Aufsatzes „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ in die „Gesammelten juristischen Abhandlungen“, erschienen 1872, auf. Am Rande berichtete Gerber Amüsantes über die Entstehungsbedingungen der Rede. Offenbar nahm die Suche der Familie Gerber nach einem angemessenen Domizil einige Zeit in Anspruch. Jedenfalls beklagte Gerber, daß „die Rede im Gasthause gemacht werden mußte, und in demselben Zimmer, in dem Luischen 136 wirkte und alle Augenblicke von ihrem Papa wollte „Huckepack“ gemacht haben, während auf der anderen Seite Besuche etc. zu empfangen waren.“ 137 Der Brief an Ihering vermittelt auch anschaulich, welchen Eindruck Gerber nach sechswöchigem Aufenthalt von Tübingen gewonnen hatte: „Die Gegend ist herrlich. Die Stadt ist fürchterlich häßlich; aber ich wohne in einem der schönen neuen Häuser außer der Stadt mit der Aussicht auf den Park-artigen Botanischen Garten ...“ 138. Leicht ironisch fiel die Beschreibung der Einwohner aus: „Die Leute kann ich noch nicht ganz beurtheilen ... Ein Theil der Professorenfamilien sind Schwaben, ein anderer, nicht unbedeutender Theil „Ausländer“. Jener Theil hat also das s. g. süddeutsche Leben, d. h. der Mann kneipt und die Frau steckt bei den Buben oder findet ihr sachgemäßes Entzükken in Kaffee- und Thee(klatsch) gesellschaften.“ 139 Schließlich analysierte Gerber auch das Problem seiner persönlichen Akzeptanz durch die alteingesessenen Tübinger: „Ich habe eine schwere Stellung; 1) bin ich ein „Ausländer“, 2) empörend jung; über Beides mag ein erklärliches Kopfschütteln noch lange fortdauern, bis man das Unvermeidliche verschlackt hat.“ 140 Aus sein Tübinger Personalakten 141 ist zu entnehmen, daß Gerber tatsächlich zu Beginn seiner dortigen Professorentätigkeit ein Gemeindebürgerrecht in WürttemGerber an Ihering, Tübingen, 18. October 1851 [13]. Gerbers damals zweijährige älteste Tochter Louise. 137 Gerber an Ihering, Tübingen, 18. October 1851 [13]. 138 Gerber an Ihering, Tübingen, 18. October 1851 [13]. 139 Gerber an Ihering, Tübingen, 18. October 1851 [13]. 140 Gerber an Ihering, Tübingen, 18. October 1851 [13]. 141 Akten betr. Dr. von Gerber, Kanzler und ordentlicher Professor an der juristischen Fakultät 1851–1862, UA Tübingen 126/201. 135 136

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

berg noch nicht erworben hatte, er gedachte „dies aber in der nächsten Zeit zu tun“. Gerber gab weiter an, „daß ich mir bei meinem Austritt aus dem bayrischen Staatsdienst das bayrische Staats-Indigenat vorbehalten habe“. Aus einer weiteren Anmerkung ergibt sich schließlich, daß Gerber laut Gemeinderatsprotokoll zum 22. Juli 1854 für sich, seine Frau und Kinder das Bürgerrecht erwerben sollte. 142 Neben dem Datum des Dekrets der Anstellung, dem 5. September 1851, ist in den Personalakten auch die Besoldung Gerbers vermerkt. Sie betrug 2800 Florin, d. h. Gold-Gulden, die in Süddeutschland noch im 19. Jahrhundert Zahlungsmittel waren und erst mit der Einführung der Markwährung abgelöst wurden. (Als Vergleichsmoment: Ihering bezog in Gießen ein Gehalt von 3000 Fl, während er zuvor in Kiel nur 1500 Fl erhalten hatte. 143) Hinzu kamen die Nebenbezüge des Kanzleramts, die auf durchschnittlich 120 Florin geschätzt wurden. 144 Außerdem nahm Gerber an den Fakultäts-Emolumenten (Nebeneinnahmen) teil und bezog Honorar für seine Vorlesungen. Die Vorlesungen Gerbers in seinem ersten Semester lassen sich dem „Verzeichnis der Vorlesungen an der königlich württembergischen Eberhard-Karls-Universität“ nicht entnehmen, denn Gerber ist dort im Wintersemester 1851/52 noch nicht verzeichnet. Im Sommersemester 1852 las der Vicekanzler Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Lehenrechts nach seinem „System des deutschen Privatrechts“. Erstmals las Gerber auch Deutsches und Württembergisches Staatsrecht. Es zeichnet sich bei ihm, wie bei den Germanisten des 19. Jahrhunderts durchaus üblich, eine vermehrte Beschäftigung mit staatsrechtlichen Themen ab. Im Sommer 1852 veröffentlicht Gerber seine Abhandlung „Ueber öffentliche Rechte“. Das schmale Buch ist „dem Theuern Freunde Adolf von Scheurl zugeeignet“. In seinem Vorwort betonte Gerber, daß es sich um einen „Versuch“ handelt: „... denn wer an die Möglichkeit glauben wollte, hier etwas Fertiges und Abgeschlossenes liefern zu können, würde übersehen, daß es sich um einen theilweise noch in seiner Bildung befangenen Rechtsstoff handelt.“ 145 Den Zweck seines Werks sah Gerber darin, „aus dem politischen Material“ des öffentlichen Lebens „Gesichtspunkte für die juristische Feststellung einiger der wesentlichsten Bestandtheile des Staatsrechts zu gewinnen“. 146 Ohne ins Detail zu gehen, sei hier kurz angemerkt, daß Gerber als Ergebnis formuliert, es scheine „der einzige Weg einer sicheren Begründung des positiven Staatsrechts in seiner formellen Wiederannäherung an das Privatrecht zu liegen.“ 147 142 Akten betr. Dr. von Gerber, Kanzler und ordentlicher Professor an der juristischen Fakultät 1851–1862, UA Tübingen 126/201. 143 Ihering an Gerber, Kiel, 12. October 1851 [12]. 144 Akten betr. Dr. von Gerber, Kanzler und ordentlicher Professor an der juristischen Fakultät 1851–1862, UA Tübingen 126/201. 145 Gerber, Öffentliche Rechte, S. VII f. 146 Gerber, Öffentliche Rechte, S. VII. 147 Gerber, Öffentliche Rechte, S. 29.

VI. Ordentlicher Professor und Kanzler in Tübingen 1851 bis 1862

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Er machte demnach die Methodik des ihm vertrauten deutschen Privatrechts zur Basis für die bisher noch wenig fortgeschrittene dogmatische Aufarbeitung des Staatsrechts. Nach seiner eigenen Auffassung war Gerber 1846 der erste Germanist, der eine wirkliche Dogmatik auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts vorlegte, und 1852 der erste Jurist, der eine Dogmatik des Staatsrechts vorschlug. 148 Der methodische Ansatz von „Ueber öffentliche Rechte“ wurde in einem Brief Iherings an seinen „Mitkämpfer“ Gerber begeistert aufgenommen. 149 „Es ist dasselbe hier am Staatsrecht vorgenommen, was ich an meinem römischen Recht erstrebe – eine naturwissenschaftliche Untersuchung, eine chemische Analyse des Objekts, und ich unterschreibe aus vollem Herzen die Äußerungen Deines Briefes über die Ähnlichkeit unseres Denkens und Strebens.“ 150 Was die Beziehung zu Mittermaier betrifft, so hatte sich Gerber schon im Laufe seiner Erlanger und erst recht in seiner Tübinger Zeit völlig von seinem früher so verehrten Lehrer gelöst. Dies war wohl die logische Folge der zwischen ihnen bestehenden wissenschaftlichen Diskrepanzen und der Meinungsverschiedenheiten auch auf politischem Gebiet. Noch 1847 hatte der junge Erlanger Professor bei seinem Mentor um Verständnis für seine ablehnende Haltung gegenüber den „radikalen“ politischen Germanisten geworben. „Es liegt mir sehr daran, Ihnen mein bestimmtes Urtheil über diese Gegenstände auszusprechen, damit Sie mich nicht verkennen, wenn ich in dieser Richtung Etwas unternehme.“ 151 Im Jahre 1850 bemühte sich Gerber zwar, nach einer Schreibpause von beinahe drei Jahren, den Kontakt zu Mittermaier erneut anzuknüpfen. Er hob sein „Sehnen“ hervor, dem ehemaligen Lehrer „nach jener trennenden Kluft wieder näher zu treten“ 152. Mittermaier antwortete zunächst ermutigend, er könne seiner Natur nach „wenn ich einmal einen Menschen liebe, nicht meine Gefühle ändern wie man die Kleider ändert, und Sie wissen wohl, daß ich Sie recht aufrichtig lieb hatte – hatte und habe ist aber bei mir gleichbedeutend.“ 153 Gleichwohl sei bei ihm in den letzten beiden Jahren der Eindruck entstanden, Gerber habe seine Einstellung ihm gegenüber geändert. Er hoffte jedoch, daß Gerber ihn eines Tages „unpartheiischer ... würdigen werde“, obwohl in der letzten Zeit, „in der soviel Menschen seit 2 Jahren mehr oder minder in der großen Partheienaufregung zum Wechsel ihrer Gefühle kamen, auch Sie nicht frei geblieben sind ...“ 154 In seinem Antwortbrief hob Gerber Fioravanti, Il Segreto di Gerber, S. 195. Ihering an Gerber, Gießen, 17. Juli 1852 [17]. 150 Ihering an Gerber, Gießen, 17. Juli 1852 [17]; der Brief Gerbers, auf den angespielt wird, ist nicht auffindbar. 151 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1847, UB Heidelberg, H.HS 2746, 10, Jelowik, S. 296 [146]. 152 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 6. April 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 11, Jelowik, S. 314 [159]. 153 Mittermaier an Gerber, Heidelberg, 20. Mai 1850, H.HS 2746, Jelowik, S. 316/317 [161]. 154 Mittermaier an Gerber, Heidelberg, 20. Mai 1850, H.HS 2746, Jelowik, S. 317 [161]. 148 149

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

hervor, daß er seine „persönliche Anhänglichkeit und Treue gegen Sie keinen Augenblick verleugnet“ habe. 155 Zugleich verdeutlichte er noch einmal, was ihn in politischer und wissenschaftlicher Hinsicht von seinem einstigen Lehrer trennte. Politisch weiche er von Mittermaiers demokratiefreundlicher Einstellung ab. In Zeiten wie 1848 träten solche Verschiedenheiten „grell und schroff hervor, und es ist dann jeder rechtschaffene Mann berufen, seine Überzeugung entschieden und ohne Ansehen der Person geltend zu machen“. 156 Er habe damals gegenüber Freunden „wohl auch über Sie gesprochen, vielleicht auch gegen Ihre Meinungen polemisirt“, hoffte aber, daß Mittermaier sich dadurch, falls er davon erfahren habe, nicht verletzt fühlte. 157 Die wesentlichen Differenzen vermutete Gerber auf wissenschaftlichem Gebiet, wobei er von der „stupenten Gelehrsamkeit und ... praktischen Erfahrung“ seines einstigen Mentors immer noch lerne. 158 Es ist jedoch bezeichnend, daß Gerber insbesondere für den ihn selbst nicht betreffenden Bereich des „Criminalrecht(s)“ Mittermaiers „unzweifelhaften und sehr günstigen Einfluß auf die deutsche Gesetzgebung“ anerkannte. 159 Dagegen machte Gerber im Bereich der „eigentlichen Wissenschaft“ große Unterschiede zu Mittermaier aus. So konnte er den „wesentlichen Einfluß“, den Mittermaier dem französischen Recht für die Behandlung des deutschen Rechts einräumen wollte, nicht zugestehen und erklärte dies für einen „Irrthum“.160 Auch wenn Mittermaier in seinen neueren Abhandlungen, wohl u. a. unter dem Einfluß von Beseler der Idee einer „Civiljury“ anzuhängen schien, forderte das Gerbers entschiedenen Protest hervor. Er hielt dies „für das Grab der deutschen Rechtswissenschaft und das deutsche Recht“. 161 Abschließend bedauerte Gerber, „daß ich Ihnen in unserer Wissenschaft nicht näher treten kann, aber soll ich diesem Umstand auf meine persönliche Gesinnung Einfluß geben?“ 162 Die Abkühlung des Verhältnisses zwischen ehemaligem Lehrer und Schüler scheint trotz dieser Appelle unumkehrbar gewesen zu sein. Es ist kein Antwortbrief Mittermaiers überliefert, und so trat erneut eine längere Schreibpause ein. 155 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 319 [163]. 156 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 319 [163]. 157 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 319 [163]. 158 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 320 [163]. 159 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 320 [163]. 160 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 320 [163]. 161 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 321 [163]. 162 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 321 [163].

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Die beiden im April 1853 aus Tübingen abgesandten Briefe Gerbers an Mittermaier sind im Ton merklich verändert. Auffallend kurz und knapp gehalten steht eine sachorientierte Frage, nämlich ob ein Aufsatz Gerbers in dem von Mittermaier herausgegebenen renommierten „Archiv für die civilistische Praxis“ erscheinen könne, im Vordergrund. Von der früheren schwärmerischen Verehrung ist wenig zu spüren. Fast kategorisch und recht undiplomatisch zählt Gerber die Voraussetzungen von seiner Seite auf. „1) Daß der Aufsatz möglichst bald aufgenommen würde. 2) Daß er ohne Trennung als Ganzes gedruckt würde. 3) Daß ich die Korrektur besorgen dürfte.“ 163 Die negative Antwort schien er bereits vorauszuahnen, denn er gestand zu: „Für die „civilistische Praxis“ ist direct [Unterstreichung durch Gerber] freilich mein Aufsatz nicht gemacht ...“ 164 Tatsächlich lehnte Mittermaier in seiner prompten Antwort nur zwei Tage später (man beachte den kurzen Postweg!) die Aufnahme des Aufsatzes ab, bzw. verband sie mit für Gerber unannehmbaren Bedingungen.165 Auch dieser Brief ist im Vergleich zur früheren Korrespondenz auffallend kurz und reserviert gehalten. Das gleiche gilt für Gerbers höfliche Antwort kurz darauf. Er sehe sich nicht in der Lage, die Voraussetzungen zu erfüllen. Seine Abhandlung über die Gewere habe in der Tat nur einen rechtshistorischen Inhalt. Er kommt daher zu dem Schluß: „Aus diesem Grund wird sie nicht geeignet befunden werden können, den Anforderungen der Redaktion zu entsprechen. 166 Gerbers Aufsatz „Ueber die Gewere in den deutschen Rechtsquellen des Mittelalters“ erschien 1854 in der „Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß“. Ebenfalls 1854 erschien im übrigen dann doch eine Abhandlung Gerbers „Über den Begriff der Automomie“ im „Archiv für die civilistische Praxis“. Nach dem eben skizzierten Briefwechsel im April 1853 ist keine Korrespondenz zwischen Gerber und Mittermaier mehr auffindbar. Es kam zwar in der Beziehung zwischen Lehrer und ehemaligem Schüler offenbar nie zu einem Eklat. Dies hätte auch Gerbers im Grunde auf Ausgleich und Harmonie bedachtem Wesen nicht entsprochen. Eine direkte Konfrontation war seine Sache nicht. (Auch bei dem Disput mit Reyscher bemüht er sich um den Anschein, fast gegen seinen Willen in die Auseinandersetzung verwickelt worden zu sein.) Statt dessen schlief der Kontakt zu dem einst hochverehrten Mentor einfach ein. Bemerkenwert ist auch, daß Gerber in der Korrespondenz mit Ihering kein Wort über Mittermaier verliert. Wenn dessen Name vom Briefpartner erwähnt wird, geht Gerber an Mittermaier, Tübingen, 21. April 1853, H.HS 2746, 13, Jelowik, S. 394 [196]. Gerber an Mittermaier, Tübingen, 21. April 1853, H.HS 2746, 13, Jelowik, S. 393 [196]. 165 Mittermaier an Gerber, Heidelberg, 23. April 1853, H.HS 2746, Jelowik, S. 394 [197]: Der Aufsatz passe nach Ansicht der Herausgeber nur dann in das „Archiv“, „wenn er wenigstens am Schluße die praktische Erörterung der Lehre von der Gewere für eine neue Gesetzgebung enthält“. 166 Gerber an Mittermaier, Tübingen, 26. April 1853, H.HS 2746, 14, Jelowik, S. 397 [199]. 163 164

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Gerber nicht darauf ein. Das könnte darauf schließen lassen, daß der Verlust seines Jugendidols bei Gerber Spuren hinterlassen hatte. Gerbers Strategie im Umgang mit eine andere Auffassung vertretenden Kollegen war prinzipiell auf Konfliktvermeidung gerichtet. Illustriert wird dies beispielsweise durch seinen Brief an Hugo Mohl 167, Botaniker in Tübingen und Bruder des berühmten Staatsrechtslehrers Robert v. Mohl 168, der 1845 unter ähnlichen politischen Umständen wie später Reyscher sein Tübinger Professorenamt verloren hatte. Gerber bat den Bruder brieflich, bei v. Mohl für ihn, Gerber, zu vermitteln. 169 Offenbar hatte Gerber bei der Sitzung der zweiten Kammer vom 23. März 1854 eine abwertende Bemerkung über v. Mohls Staatsrecht gemacht, die in einem Bericht der [Augsburger] Allgemeinen Zeitung zu Gerbers Bestürzung in verschärfter Form wiedergegeben wurde. 170 Gerber ersuchte daher Hugo Mohl, „Ihrem Herrn Bruder den wahren Sachverhalt darzustellen, ihn meiner wahren und aufrichtigen Hochachtung zu versichern und mich gegen den Schein eines gehässigen und verletzenden Angriffs zu rechtfertigen.“ 171 Es wird deutlich, daß sich Gerber nach den Erfahrungen mit Reyscher keine weiteren persönlichen Feinde schaffen wollte. Wie sich die Beziehungen zu v. Mohl nach dem Brief entwickelten, läßt sich nur schwer rekonstruieren. In v. Mohls berühmten „Lebenserinnerungen“ wird Gerber jedenfalls nicht erwähnt, was darauf schließen läßt, daß es keine weiteren Berührungspunkte gab. Der Brief gewährt in jedem Fall einen aufschlußreichen Einblick in die Psyche Gerbers. Die Angst, sich unbeliebt zu machen, scheint für ihn charakteristisch gewesen zu sein. Gerber hatte diesen Wesenszug durch Selbstanalyse erkannt, ohne alÜber Hugo Mohl, geboren 1805 vgl. Robert v. Mohl, Lebenserinnerungen, S. 46 ff. Robert v. Mohl (1799–1875) wurde als Tübinger Professor 1845 wegen eines Wahlaufrufs als Regierungsrat nach Ulm versetzt und trat deswegen aus dem Staatsdienst aus. Seit 1847 war er Professor in Heidelberg. Er war einer der Führer des südwestdeutschen Liberalismus und seit 1857 langjähriges Mitglied der badischen ersten Kammer. Bahnbrechend wirkte er auf dem Gebiet des Verfassungsrechts. Seine Werke umfassen u. a.: Staatsrecht des Königreichs Württemberg (1829–31), Geschichte und Literatur der Staatswissenschaft (1855–58), Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860–69), vgl. im einzelnen Schroeder NJW 1998, S. 1518 ff.; Stolleis in HRG III, Spalte 617 ff.; Angermann, Robert von Mohl: 1799–1875. Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962. Zu Robert v. Mohls politisch bedingtem Abschied aus Württemberg vgl. Rückert, S. 11, S. 67 – auch v. Mohl wurde der Urlaub als Abgeordneter der Ständeversammlung verweigert. Der neueste Beitrag über v. Mohl findet sich bei Schroeder, Vom Sachsenspiegel zum Grundgesetz, Eine deutsche Rechtsgeschichte in Lebensbildern, München 2001. 169 UB Tübingen, Md 613 289: aus dem Inhalt des Briefes ergibt sich eindeutig, daß dieser nicht, wie im Verzeichnis angegeben, an Robert v. Mohl, sondern an seinen Bruder gerichtet ist (auch wenn die Anrede „Hochverehrter Herr College lautet – Hugo Mohl war Professor der Botanik). 170 Gerber an Mohl, Tübingen, 25. März 1854, UB Tübingen Md 613 289. In der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 24. bzw. 25. März 1854 war allerdings kein Bericht über die Stuttgarter Kammersitzung zu finden. 171 Gerber an Mohl, Tübingen, 25. März 1854, UB Tübingen Md 613 289. 167 168

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lerdings wirksam dagegen ankämpfen zu können: „Mein Bedürfnis nach Wohlwollen ist ein so leidenschaftliches, daß mich das gefundene Gegentheil ungebührlich reizt, und dies ist der Grund, aus dem ich dem Schicksal verfallen werde, mich immermehr zu isolieren ...“. 172 Generell scheint das Gefühl der Isolierung für Gerbers Tübinger Zeit prägend gewesen zu sein, auch wenn er ihr durchaus auch positive Seiten abgewinnen konnte. „Die dorfartige Isolirtheit in dem schwäbischen Particularleben, die völlige Abgezogenheit von allem, was geselliger oder Kunstgenuß heißt, hat wenigstens das Gute, daß man sich zu Hause ganz behaglich fühlen kann ... Diesen mehr negativen Vortheil suche ich im Kreise meiner Familie mir möglichst auszubeuten.“ Auch gelang es Gerber kaum, zu seinen juristischen Fachkollegen ein engeres Verhältnis aufzubauen. Zwar läßt er es in einem Fall an Hochachtung nicht fehlen, wenn er Ihering von einem gesellschaftlichen Ereignis berichtet: „Am interessantesten war mir die Anwesenheit Wächters, der Sie vielmals grüßen läßt. Er ist doch eine prächtige Persönlichkeit, so grundgescheut, so virtuos in der Praxis des Lebens und der Wissenschaft ...“ 173 Dennoch beklagt er die mangelnde menschliche Nähe, er komme „mit ihm über einen gewissen Punkt nicht hinaus“ 174. Über einen anderen Kollegen, den Romanisten Eduard Fein 175, der 1852 Waechters Stelle übernommen hatte, schüttete Gerber dagegen seinen Spott aus. „Mit unserem Pandektenroß, genannt Fein, bin ich ein einziges Mal wieder zusammen gewesen; die Geistesarmuth ist gar zu frappant, und wenn nicht die Verzweiflung über die hiesige absolute Öde und das Interesse triebe, manchmal eine Person zu haben, die man nur anreden kann, so würde er mich schwerlich bald wieder sehen.“176 Einen gewissen geistigen Austausch scheint es mit Fein dennoch gegeben zu haben. Im Hauptstaatsarchiv Dresden werden immerhin elf Briefe von Fein an Gerber sowie drei Konzepte Gerbers an Fein aufbewahrt. Diese sind jedoch inhaltlich eher beGerber an Ihering, Tübingen, 9. November 1856 [67]. Gerber an Ihering, Tübingen, 22. September 1853 [25]. Zu Waechters Leben und strafrechtlichem Werk vgl. die Zusammenfassung eines Waechter-Symposiums in Leipzig 1997: Kern, Bernd-Rüdiger (Hrsg.): Zwischen Romanistik und Germanistik. Carl Georg von Waechter (1797–1880), Berlin 2000. Siehe i. ü. auch Lars Jungemann, Carl Georg von Wächter (1797–1880) und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts. Strafrechtliche Lehre und Wirkungsgeschichte, Berlin 1999. 174 Gerber an Ihering, Tübingen, 22. September 1853 [25]. Die Tatsache, daß Gerber im Herbst 1853 über eine Begegnung mit Waechter in Tübingen berichtet, läßt den Schluß zu, daß dieser, obwohl mittlerweile Professor in Leipzig, seine schwäbischen Kontakte trotz des unerfreulichen Abgangs nicht abgebrochen hatte. Möglicherweise ist jedoch nicht von Karl Georg Waechter die Rede, sondern von seinem ebenfalls in Tübingen die Rechte lehrenden weniger berühmten Vetter Karl Wächter (später als Freiherr von Wächter-Spittler württembergischer Minister). Angesichts von Gerbers emphatischem Lob – „Es gibt keinen zweiten Menschen so wie ihn ...“ – ist allerdings anzunehmen, daß von dem berühmteren Namensträger die Rede ist. Dafür spricht auch, daß sich Ihering kaum für eine württembergische Lokalgröße interessiert haben dürfte. 175 Über diesen Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 177 f. 176 Gerber an Ihering, Tübingen, 22. September 1853 [25]. 172 173

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langlos und betreffen hauptsächlich Universitätsinterna. Auch das Urteil über einen weiteren Tübinger Kollegen, den Strafrechtler Karl Gustav Geib 177, fällt in der Tendenz negativ aus. Er sei „theils durch theils ohne seine Krankheit bei vielen trefflichen Eigenschaften eine Art Nero in seiner impertinenten Eitelkeit.“ 178 Aus all dem ergibt sich, daß Gerber im Tübinger Kollegenkreis wenig geistigen und emotionalen Rückhalt hatte. Umso wichtiger war für ihn die Geborgenheit in seiner Familie. Unter den durch die Tätigkeit im Stuttgarter Landtag und vor allem den Arbeiten am ADHGB in Nürnberg und später Hamburg erzwungenen Perioden der Trennung litt er stark. Das Jahr 1859 brachte eine tiefe persönliche Krise Gerbers. Bereits im Oktober 1858 war seine Mutter einem Schlaganfall erlegen, so plötzlich, daß Gerber nicht einmal rechtzeitig zur Beerdigung nach Sondershausen kam.179 Ein Jahr später, im Oktober 1859, starb Gerbers dreiundachtzigjähriger Vater. Auf die Nachricht von dessen lebensbedrohlicher Krankheit war Gerber nach Hause geeilt, nur um den Vater bereits tot vorzufinden. 180 Bei der Beschäftigung mit der Regulierung der väterlichen Erbschaft wurde Gerber, wie er schreibt, „noch immer nicht Herr meiner Wehmut“ 181. Der Sechsunddreißigjährige empfand eine ungekannte Verlassenheit. „Das Gefühl, daß nun unsere alte Familiengemeinschaft so ganz zerstört ist, ist mir unendlich traurig. Ich fühle mehr und mehr, wie sehr meine geliebten Eltern in Wahrheit das Centrum meines Lebenskreises waren“ 182. Doch die große Katastrophe stand erst noch bevor. Ende des Jahres 1859 verstarb Gerbers Frau Rosalie im Alter von gerade dreißig Jahren. Gerber war somit alleinstehender Vater dreier kleiner Kinder im Alter von sechs, acht und zehn Jahren. Unmittelbar nach dem Verlust schildert Gerber seinem Freund in bewegenden Worten seine schwere Erschütterung und Überforderung: „Ich bin tief erschöpft. Ich bin ein Schatten, der mit der Nothwendigkeit des Lebens ringt. Ach das Leben und seine Forderungen, das Amt, das Haus, wie bitter ist das Alles, wie schwer wird es mir, mir durch sie die Befriedigung meines Schmerzbedürfnisses verkürzen zu lassen! Denn dieser unendliche Schmerz ist mein Freund, mein Heiligthum, mein Schatz; ihm lebe ich, ihn will ich festhalten und nicht verbleichen lassen.“ 183 Bei der Betreung der Kinder halfen Gerber zunächst seine aus Sondershausen angereisten Schwägerinnen, für die Zeit danach hatte seine Schwiegermutter eine Erzieherin angeworben. Das kommende Jahr war für Gerber von Trauer und Bitterkeit überschattet. Auch aus seiner Arbeit konnte er nur wenig Trost schöpfen: „In dieser Woche beende ich 177 178 179 180 181 182 183

Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 217. Gerber an Ihering, Tübingen. 26. Dezember 1856 [70]. Gerber an Ihering, Hamburg, 1. November 1858 [99]. Gerber an Ihering, Tübingen, 12. October 1859 [123]. Gerber an Ihering, Tübingen 17. November 1859 [125]. Gerber an Ihering, Tübingen, 17. November 1859 [125]. Gerber an Ihering, Tübingen, 18. Januar 1860 [126].

VI. Ordentlicher Professor und Kanzler in Tübingen 1851 bis 1862

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meine Vorlesungen. Sie waren mir eine entsetzliche Last. Und doch fürchte ich mich davor, sie aufzugeben. Zu einer literarischen Tätigkeit habe ich noch nicht wieder Kraft gewonnen, und so waren mir meine Vorlesungen doch das Mittel, mich etwas zu veräußerlichen.“ 184 Die Depression verfolgte Gerber das ganze Jahr hindurch, auch wenn sie sich etwas abschwächte. Aus Nürnberg, von der Handelsgesetzkonferenz, schreibt er im Dezember: „Was ich gemüthlich und körperlich zu leiden habe, – darüber schweige ich! Gestern war ich in Erlangen und besuchte die Stätten unseres ersten Glücks.“ In einem Brief Ende Dezember beteuerte der Freund Ihering, wie er „im Geist stets bei Dir“ sei und „diese Schreckenszeit zum zweiten Male mit Dir durchmache“ 185. Zugleich aber ermunterte er zu einem Schritt in die Zukunft, zum „Anfang eines neuen Lebensversuchs“ und erläuterte, gerade am Grabe der verstorbenen Frau müsse sich der „Gedanke einer Wiedererstehung ihrer selbst, einer Mutter Deiner Kinder, anknüpfen.“ 186 Ihering war sich durchaus bewußt, daß dieser Gedanke bei Gerber eine psychologische Hürde überwinden mußte und erklärte, er solle „ein Saatkorn sein, das ich in dieser Zeit in Deine Seele werfe; wann und wie es aufgeht, das möge der Zukunft vorbehalten bleiben ...“. 187 Das „Saatkorn“ Iherings ging jedoch schon schneller auf, als er es erwartet hatte. Bereits in seinem nächsten Brief erzählte Gerber, er habe „mitten in der tiefsten und wühlendsten Schmerzensbewegung“ beschlossen, „eine neue Lebensgründung zu versuchen“. In dieser Situation seien ihm Iherings Zeilen „wie vom Himmel geschickt zur Kräftigung und Unterstützung meiner Entschlüsse“188 erschienen. Er denke nun an eine Heirat mit Rosalies Schwester Helene. „Eine Verbindung mit diesem in jeder Hinsicht trefflichen Mädchen würde meinen Kindern die beste Mutter und mir die Möglichkeit geben, ein neues Glück ohne die Zerbrechung der Continuität meiner Tradition zu gründen.“ 189 Die zutiefst konservative Gesinnung Gerbers tritt hier auch im privaten Bereich hervor. Im Mai 1861 heiratete Gerber seine fünfzehn Jahre jüngere Schwägerin Helene von Bloedau. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, Marie und Carl Ludwig. Marie, geboren 1862, wurde später Hofdame der Fürstin zu Schwarzburg-Rudolstadt und als Staatsdame verabschiedet. 190 Sie starb unverheiratet 1939 in Sondershausen. Ihr ist die Veröffentlichung der Briefe Gerbers vom konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867 zu verdanken, die sie abschrieb und mit einem Vorwort versah. Gerbers 1866 geborener zweiter Sohn Carl Ludwig, das Pa184 185 186 187 188 189 190

Gerber an Ihering, Tübingen, 11. März 1860 [127]. Ihering an Gerber, Gießen, 30. December 1860 [143]. Ihering an Gerber, Gießen, 30. December 1860 [143]. Ihering an Gerber, Gießen, 30. December 1860 [143]. Gerber an Ihering, Nürnberg, 5. Januar 1861 [144]. Gerber an Ihering, Nürnberg, 5. Januar 1861 [144]. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 93.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

tenkind Iherings, hatte schon im frühesten Kindesalter unter häufigen Krankheiten gelitten. 191 Er starb 1902, ebenfalls unverheiratet, als Patient einer Heilanstalt in Hildesheim an einem schweren Gehirnleiden. Gerbers Biograph Beschorner vermutet, daß er sich dieses fünf Jahre zuvor durch einen Reitunfall im Manöver als Adjutant des späteren Königs Friedrich August zugezogen hatte. 192 In beruflicher Hinsicht war die mehr als zehnjährige Zeit in Tübingen für Gerber, zumindest was das Bild nach außen betrifft, eine äußerst fruchtbare Periode. Er sammelte Erfolge auf gleich drei unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern. In wissenschaftlicher Hinsicht durch seine Publikationen und die Herausgabe der Jahrbücher, gemeinsam mit Ihering. Auf politischem Gebiet durch seine einflußreiche Stellung als Kanzler. Zwar war die Arbeit im Landtag allein durch die damit verbundenen Reisen nach Stuttgart mit großem Zeitaufwand verbunden. Gerber klagte häufig, die „Landtagsplage“ würde ihn aus seiner „Ruhe herausreißen“193 und strebe nach einer „Umgehung des Landtags (wenn möglich!)“ 194. Trotzdem wurden durch die politische Erfahrung, die er im württembergischen Landtag gewann, die Weichen für seine spätere Ministerkarriere gestellt. Schließlich verschaffte ihm die Entsendung als Vertreter Württembergs in der Kommission zur Ausarbeitung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs die Möglichkeit zur konzeptionellen gesetzgeberischen Arbeit in größeren, nationalen Dimensionen.

VII. Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB, Nürnberg und Hamburg 1857 bis 1867 1857 wurde Gerber (neben dem Staatsrat a. D. Goppelt aus Heilbronn) zum Delegierten Württembergs bei der Konferenz für die Ausarbeitung eines für sämtliche deutsche Staaten gültigen allgemeinen Handelsgesetzbuchs in Nürnberg ernannt. Die Vorgeschichte dieser Konferenz sei hier in Kürze zusammengefaßt. 195 Die Deutsche Bundesakte von 1815 sah in Art. 19 eine Kompetenz der Bundesversammlung zur Regelung in Fragen des gemeinsamen Handels vor. Im Februar 1856 stellte die bayerische Regierung in Frankfurt bei der Bundesversammlung den Antrag, eine Kommission zum Entwurf eines Allgemeinen Handelsgesetzbuchs für die deutschen Bundesstaaten einzusetzen. Bayern besaß kein Handelsgesetzbuch und sah deshalb in der Vereinheitlichung des Handelsrechts eine besonders dringliche Aufgabe. Dasselbe traf auch für Gerbers Entsendungsstaat Württemberg zu. Gerber an Ihering, Leipzig, 8. März 1868 [272]. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 94. 193 Gerber an Ihering, Tübingen, 19. November 1855 [52]. 194 Gerber an Ihering, Nürnberg, 23. Februar 1861 [146]. 195 Ausführliche Darstellung bei Bergfeld/Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte S. 2948 ff. 191 192

VII. Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB

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Preußen sah durch ein eventuelles Eingreifen des Bundestags seine eigene Führungsrolle auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands in Gefahr und bestritt daher eine Gesetzgebungskompetenz des Bundestags für das Handelsrecht. Das Gesetzeswerk sollte vielmehr den Charakter einer freien Vereinbarung souveräner deutscher Staaten haben. Die Vorlage wurde schließlich auf der Basis des seit 1850 von Preußen vorbereiteten Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs erarbeitet. 196 Neben dem preußischen Entwurf als Grundlage zog die Kommission vergleichend den österreichischen Entwurf eines Handelsgesetzbuchs heran, sowie, trotz starker Gegenstimmen, auf Vorschlag Badens den französischen Code de Commerce von 1808. 197 Auch der 1849 durch die Frankfurter Nationalversammlung fertiggestellte Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches wird in den Protokollen gelegentlich erwähnt. 198 Die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes setzten anschließend den 1861 abgeschlossenen Entwurf des Handelsgesetzbuchs durch übereinstimmende Einzelstaatsgesetze als allgemeines deutsches Recht in Kraft.199 Erst 1897 trat an seine Stelle das Handelsgesetzbuch. Die Verhandlungen über das ADHGB in Nürnberg und später auch in Hamburg (Seerechtskonferenz im Zeitraum 1858 bis 1860) zogen sich von 1857 bis 1861 hin. Angesichts der Widerstände, denen das Vorhaben von Anfang an ausgesetzt war, ist dies dennoch eine relativ kurze Zeitspanne. Gerber nahm an allen drei Handelsrechtskonferenzen sowie an der ersten Seerechtskonferenz teil, nachdem sich seine Regierung entgegen seiner Erwartung 200 entschlossen hatte, auch die Seerechts-Konferenz zu beschicken. Er fehlte also nur beim zweiten Teil der Seerechtskonferenzen. Sein württembergischer Mitkommissar Goppelt war nur bei den ersten beiden Handelsrechtskonferenzen anwesend. 201 Es ist daher anzunehmen, daß Gerber der sogenannte „Stimmführer“ der württembergischen Regierung war, d. h. derjenige der beiden Delegierten, der sich an den Abstimmungen beteiligen konnte. 202 Jedoch war Gerber erkennbar um eine fruchtbare Zusammenarbeit mit seinem Kollegen bemüht. So machte er vor Beginn der ersten Konferenz den Vorschlag einer gemeinsamen Anreise von Stuttgart aus, um bereits im Vorfeld eine Verständigung über wesentliche Punkte zu erzielen.203 Insgesamt gab es 59 Delegierte, fast alle Regierungen des Deutschen Bundes hatten Abgeordnete entsandt. Jedoch waren niemals alle gleichzeitig anwesend. An den Kellenbenz, in: HRG I, Sp. 1951. Bergfeld, Handbuch, S. 2950. 198 Bergfeld, Handbuch, S. 2939. 199 Köbler, Lexikon Rechtsgeschichte, S. 16. 200 Vgl. Gerber an Ihering, Nürnberg, 17. September 1857 [ 87]. 201 Schubert, Protokolle, S. X. 202 Vgl. Bergfeld, Handbuch, S. 2952. 203 Gerber an Goppelt, Tübingen 4. Januar 1857, Universitätsbibliothek Tübingen, Handschriftenabteilung, Mi VII 34. 196 197

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Abstimmungen konnten sich, wie erwähnt, nur die „Stimmführer“ der Regierungen beteiligen, theoretisch also 17 Delegierte. Tatsächlich waren es aber nur 16 Stimmführer, da Sachsen-Anhalt und Dessau-Köthen gemeinsam vertreten wurden. 204 Zu ihrem Präsidenten wählte die Kommission den bayerischen Minister Ringelmann, zu dessen Vertreter den österreichischen Delegierten v. Raule. Der preußische Delegierte Bischoff, dem das wichtige Amt des Referenten übertragen worden war, starb bereits nach der ersten Sitzungsperiode. 205 Er wurde von Gerber schmerzlich vermißt. 206 Sein Nachfolger war der Senatspräsident des Appellationsgerichts Köln, Heimsoeth, dem wir zahlreiche Berichte über die Kommissionsarbeit verdanken. Das Präsidium wurde insgesamt von Gerber als „ganz über die Maßen kläglich“ eingeschätzt und indirekt für das stockende Vorankommen der Kommissionsarbeit verantwortlich gemacht. 207 Die Nürnberger Verhandlungen waren aber vor allem dadurch erschwert, daß fast die Hälfte der Kommissare dem Vorhaben feindlich gegenüberstand. Die Vertreter aus Österreich, Sachsen, Hannover, Hessen-Kassel und den Hansestädten beabsichtigten, die Konferenz scheitern zu lassen, so der Vertreter des preußischen Handelsministers, Delbrück in einem Bericht 208. Sachsen sei der entschiedenste Gegner gewesen und habe bei jeder Bestimmung Schwierigkeiten bereitet. Der Abgeordnete Hannovers, Professor Thöl 209aus Göttingen, habe sich als starrer Dogmatiker erwiesen und jede Abweichung vom gemeinen Recht bekämpft. Die Kritiker des preußischen Entwurfs waren nach der Einschätzung des Kommissionsvorsitzenden Heimsoeth 210 in drei Gruppen einzuordnen. Erstens ein „Element eines pedantischen Formalismus für Handels-Institutionen“, zweitens ein „doktrinäres Element“, das der theoretischen Konsequenz vor den Forderungen der Praxis den Vorzug gebe und fast alle Materien auf den Standpunkt des sogenannten gemeinen deutschen Rechts zurückzuführen bestrebt sei. Drittens schließlich ein „egoistisches Element“, das sich um des Vorteils einzelner Staaten willen gegen das Zustandekommen einzelner Rechtsnormen sträube, weil sie dann die ihnen günstigen Partikularrechte einbüßten. Gerber war wohl unter die zweite Fraktion, nämlich die der Theoretiker, einzuordnen. Dies ergibt sich auch aus einer Äußerung Heimsoeths gegenüber seinem alBergfeld, Handbuch, S. 2952. Bergfeld, Handbuch, S. 2951. 206 Gerber an Ihering, Nürnberg, 17. September 1857 [87]. 207 Gerber an Ihering, Nürnberg, 28. Januar 1857 [72]. 208 Delbrück, Bericht vom 16. Juli 1857, referiert bei Schubert S. XIII. 209 Johann Heinrich Thöl (1807–1884) studierte in Leipzig und Heidelberg, wo ihn v. a. Thibaut und Mittermaier prägten. Unterbrochen von einer siebenjährigen Periode in Rostock, lehrte er in Göttingen. Nahezu alle seine literarischen Werke betreffen das Handelsrecht. Vgl. im einzelnen Kern in HRG IV, Sp. 179 ff. 210 Heimsoeth, Darlegung anläßlich einer Ministerbesprechung am 10. September 1857 in Berlin, referiert bei Schubert, Protokolle, S. XIII. 204 205

VII. Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB

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ten Universitätsfreund Bluntschli. Danach äußerte der Kommissionsvorsitzende, nach Ansicht Bluntschlis ein „scharfer Kopf“, sein Bedauern darüber, „dass als Theoretiker in derselben [der Kommission] Gerber und Thöl das Wort führen“ und daß nicht Bluntschli und Beseler „als Vertreter des germanistischen und modernen Rechtsgedankens, in der Commission mitarbeiten“. 211 Gerber stand als Entsandter Württembergs dem Vorhaben von der Tendenz her positiv gegenüber. Seine Durchdrungenheit von der Bedeutung der ihm gestellten Aufgabe läßt sich aus brieflich geäußerten Sätzen ablesen, wie beispielsweise „Mich hält nur noch der Gedanke an die große, wirklich unüberschätzbare Wichtigkeit der Sache aufrecht“ 212. Gerbers Briefen an Ihering läßt sich entnehmen, wie für ihn ein typischer Konferenztag ablief. „Täglich sitzen wir von 10 bis 3 Uhr; dann gemeinschaftliches Diner, dann endlich das erwünschte Alleinsein bis wir uns Abends wieder im Gasthof finden“ 213. Teilweise war die Arbeitsbelastung aber auch weit intensiver: Im April 1857 schrieb Gerber an den Freund in Gießen, an manchen Tagen hätten die Konferenzsitzungen 14 Stunden gedauert. 214 Gerber bezeichnete die Arbeit als „ganz unbeschreiblich in Anspruch nehmend“, besonders für ihn, der zugleich Mitglied in beiden Commissionen sei.215 Es dürfte sich um eine Anspielung darauf, daß Gerber auch Mitglied der Redaktionskommission für das Handelsrecht war, handeln. 216 Der Konferenzort der Handelsrechtskonferenz behagte Gerber überhaupt nicht: Seiner Ansicht nach war Nürnberg ein „langweiliger Philisterort“. Verärgert schrieb er: „Aber wie ganz anders wäre es gewesen, wenn wir nach Frankfurt beordert wären!“ 217 Dies war jedoch aufgrund der erläuterten politischen Hintergedanken Preußens nicht möglich gewesen. Zu der persönlichen Mißstimmung Gerbers trug auch bei, daß er – wie übrigens regelmäßig bei einer beruflich bedingten Abwesenheit – unter der Trennung von seiner Familie litt. 218 Zeitweise nahm er Frau und Kinder mit nach Nürnberg, „um nicht mehr so elend zu existieren“. 219 Auch in fachlicher Hinsicht war Gerbers Geduld häufig aufs Äußerste strapaziert. Obwohl er das Vorhaben eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs begrüßte, war er Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, Teil 2/1, S. 286/287. Gerber an Ihering, Nürnberg, 25. Februar 1857 [74]. 213 Gerber an Ihering, Nürnberg, 28. Januar 1857 [72]. 214 Gerber an Ihering, Tübingen 7. April 1857 [78]. 215 Gerber an Ihering, Nürnberg, 25. Februar 1857 [74]. 216 Die Hamburger Seerechtskonferenz, an der Gerber ebenfalls teilnahm, begann erst im April 1858. 217 Gerber an Ihering, Nürnberg, 28. Januar 1857 [72]. 218 Gerber an Ihering, Nürnberg, 25. Februar 1857 [74]. 219 Gerber an Ihering, Tübingen, 7. April 1857 [78]. 211 212

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

nicht bereit, in wissenschaftlich-dogmatischer Hinsicht Abstriche zu machen. Leider übte er in den Briefen an Ihering äußerste Zurückhaltung, so daß man dort keine Stellungnahme zu einzelnen Paragraphen des Handelsgesetzbuchs findet. Die juristische Diskussion verschob er lieber auf das persönliche Gespräch: „Ich wollte, Du kämst einmal hierher; erzählen lassen sich alle Einzelheiten, schreiben nicht wohl.“ 220 Auch die Protokolle der Handelsgesetzkonferenz 221 geben über Gerbers Ansichten kaum Aufschluß. Es wurde nämlich nur auf besonderen Wunsch des jeweiligen Delegierten im Protokoll vermerkt, wer einen bestimmten Antrag stellte und wer für und gegen einen Antrag stimmte. 222 Deshalb kann man sich anhand der Protokolle kein vollständiges Bild der Beratungen machen. Welche Anregungen, die für den Inhalt der ADHGB von Bedeutung waren, im einzelnen von Gerber ausgingen, läßt sich nicht mehr feststellen. Sicher aber ist, daß Gerber mit seiner dogmatischen Unbestechlichkeit den stärker an den Bedürfnissen der Praxis orientierten Kommissionsmitgliedern oft ein Dorn im Auge war. 223 Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung um Art. 87 des preußischen Entwurfs, den späteren Art. 111 ADHGB. Art. 87 des preußischen Entwurfs lautete: „Jede Handelsgesellschaft als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten und ihr besonderes Vermögen; sie kann auf ihren Namen Grundstücke und Forderungen erwerben.“ Diese Vorschrift erwies sich nach einem Bericht des bayerischen Kommissars v. Seuffert neben anderen Problemen des Gesellschaftsrechts als der „wahre ParisApfel der Conferenz“. 224 Sie stieß bei den „unbeugsamen Vertretern der römischrechtlichen Theorie und der hierauf aufgebauten Wissenschaft“ 225 (zu denen wohl auch Gerber als Anhänger romanistischer Systematik zählte) auf heftigen Widerstand, der die Konferenz „auseinander zu sprengen“ 226 drohte. Hierzu kam es nicht, wie das preußische Kommissionsmitglied Heimsoeth mitteilt, „indem man sich zur Aufnahme einiger Punkte verstand, welche im preußischen Entwurf sich dem Artikel anschlossen, insbesondere zur Aufnahme des Artikels 110 des jetzigen Entwurfs.“ 227 In den Protokollen wurden bei diesen Punkten gleichzeitig Verwahrungen festgehalten, wonach der Inhalt der betreffenden Artikel lediglich von formeller BeGerber an Ihering, Nürnberg, 28. Januar 1857 [72]. Nachdruck von 1984, eingeleitet und neu herausgegeben von Schubert. 222 Bergfeld, Handbuch, S. 2952; Schubert, Protokolle, S. IX. 223 Dies dürfte auf alle in der Kommission vertretenen Professoren, außer Gerber, wie erwähnt, Thöl und Hahn, zutreffen. 224 Seuffert in einem Bericht vom 15.11.1857, Bayr. HStA MJu 17049, zitiert bei Schubert, Protokolle, S. XV. 225 Seuffert, zitiert bei Schubert, Protokolle, S. XV. 226 Bericht des preußischen Kommissars Heimsoeth vom 3.11.1857, StAB 890, S. 194, zitiert bei Schubert S. XV. 227 Heimsoeth Darlegung anläßlich einer Ministerbesprechung am 10. September 1857 in Berlin, referiert bei Schubert, Protokolle, S. XIII. 220 221

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deutung und unter „Gesellschaft“ in Wirklichkeit nur die mehreren einzelnen Gesellschafter verstanden werden sollten. Bei den beschriebenen Streitigkeiten um Art. 87 des preußischen, bzw. Art. 110 des ersten und zweiten Kommissionsentwurfs, der schließlich als Art. 111 in das ADHGB einging, zeigt eine überlieferte Begebenheit, wie sehr sich Gerber für die seiner Ansicht nach richtige Lösung engagierte: Man glaubte schon, ihn als den bisher entschiedensten Gegner für Art. 110 des Kommissionsentwurfs gewonnen zu haben, der in erster Lesung folgendermaßen lautete: „Die Handelsgesellschaft kann unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen; sie kann Eigenthum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben; sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden.“ Die Befürworter dieser Fassung argumentierten, sie sei nicht durch die Vorliebe für diese oder jene Theorie hervorgegangen, sondern sie lasse sich einerseits auf dem Boden des gemeinen Rechts konstruieren. Andererseits und vor allem sei sie zweckmäßig und für das Handelsrecht notwendig, weil ohne ihre Anerkennung die Handelsdispositionen der Gesellschaft fortwährend völlig unberechenbaren Störungen ausgesetzt wären und ein geordneter und sicherer Geschäftsbetrieb unmöglich wäre. 228 Der Braunschweiger Kommissar Trieps stellte also den entsprechenden Antrag an die Kommission. Daraufhin konnte sich Gerber als Dogmatiker nicht länger zurückhalten. Heimsoeth berichtet: „Völlig unerwartet erhob sich der Abgeordnete von Württemberg (Gerber) in einer feurigen Rede dagegen; erklärte, er habe in letzter Zeit in seiner Überzeugung geschwankt, er müsse aber dennoch jetzt mit aller Entschiedenheit widersprechen, daß das Unwesen der moralischen Person in dieser Weise wieder eindringen solle. Jene Sätze seien nach gemeinem Zivilrecht falsch und sie würden ein der Gerechtigkeit widersprechendes Privilegium der Kaufleute darstellen“. 229 Die Versammlung wurde durch die Heftigkeit der Gerberschen Rede und die Furcht vor dem Wiederaufleben der moralischen Person in äußerste Aufregung versetzt. Es gelang jedoch dem Präsidium, für allgemeine Beruhigung zu sorgen, indem es die Debatte für 14 Tage verschob. 230 Die Querelen zogen sich noch über Jahre hin. Schließlich setzte sich Preußen gegen den Widerstand der Romanisten durch: In der Sitzung der Kommission vom 21.11.1860 wurden die preußischen Anträge mit großer Mehrheit gebilligt.231 Gerber selbst schrieb noch in der 16. Auflage seines „Systems“ von 1890: „Insbesondere ist die Meinung zu verwerfen, welche allen Handelsgesellschaften im of228 229 230 231

Heimsoeth, referiert bei Schubert, Protokolle, S. XIII. Heimsoeth, referiert bei Schubert, Protokolle, S. XIII. Heimsoeth, referiert bei Schubert, Protokolle, S. XIII. Schubert, Protokolle, S. XVI, S. 4520 ff.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

fenen Widerspruche mit ihrer ganzen rechtlichen Anlage das Princip der juristischen Person aufdrängen will.“ 232 In einer Fußnote führte er aus, der Hauptgrund, weshalb der preußische Entwurf die allgemeine Einfügung der Handelsgesellschaft in den Rahmen der juristischen Personen nach dem Vorbild der französischen Jurisprudenz verlangte, sei die gewünschte Unabhängigkeitsstellung des Handelsfonds gegen Eingriffe der Privatgläubiger, insbesondere das Separationsrecht der Gesellschaftsgläubiger im Konkurs gewesen. Gerber schloß seine Ausführungen dazu folgendermaßen: „einige dieser Sätze hat nun auch das HGB angenommen, aber sie sind nun nicht als Consequenzen des (überdies ausdrücklich verworfenen) Princips der juristischen Person, sondern als selbständige, aus materiellen Gründen legislatorisch festgestellte Bestimmungen zu betrachten.“233 Als 1864 an Gerber die Bitte herangetragen wurde, die von Lutz herausgegebenen Protokolle in Zarnckes „Literarischem Centralblatt“ zu besprechen, lehnte er mit folgender Begründung ab: „Da die Protokolle keine literarische Erscheinung, sondern bloße Mittheilung eines Quellenmaterials sind ... so wäre m.V. von einer Besprechung der Lutz’schen Protokolle abzurathen.“ 234 Trotz aller Ärgernisse fiel die Bilanz, die Gerber bezüglich des ADHGB aufstellte, positiv aus. Er sah nicht nur die Vorteile des neuen Gesetzes für den Handelsverkehr, sondern auch die für die Wissenschaft. Gerade der Wissenschaft habe eine neue, gesunde Praxis gutgetan. Mit der gewohnten treffsicheren Ironie führte Gerber aus: „Die Wissenschaft schwankte zwischen einer pedantischen Reproduktion des römischen Rechts und zwischen wunderlichen Phantasieen, die sich der Germanist in seiner Schreibstube in der Absicht ausheckte, recht praktisch sein und fingirten Bedürfnissen des Lebens entgegen kommen zu wollen, über deren Anmuthung Niemand mehr erschreckt als der Kaufmann selbst.“235 In persönlicher Hinsicht kam Gerber zu dem Schluß, mit der Konferenz „eine bedeutende Periode“ seines Lebens abgeschlossen zu haben.236 Ihering bescheinigte seinem Briefpartner sogar, durch die langwierigen Verhandlungen charakterlich gereift zu sein: „Es will mir scheinen, als ob Deine Theilnahme an den Nürnberger Conferenzen auf Deinen Charakter und Dein ganzes Wesen einen veredelnden und erhebenden Einfluß ausgeübt habe. Du bist maßvoller, fester, innerlich freier und unabhängiger geworden.“ 237 Es folgt eine glänzende psychologische Analyse der Situation des Freundes: „Deine exponirte wissenschaftliche und amtliche Stellung, die Dich ... Anfeindungen in hohem Grad ausgesetzt hat, hatte in Dir ein gewisses Gefühl der Spannung gegenüber der Außenwelt hervorgerufen ... Das Bewußtsein, 232 233 234 235 236 237

Gerber, System, 16. Auflage, S. 325. Gerber, System, 16. Auflage, S. 324, Fn. 5. Gerber an Zarncke, Leipzig, 10. Februar 1864, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249/1. Gerber an Ihering, Tübingen, 18. März 1858 [91]. Gerber an Ihering, Tübingen, 18. März 1858 [91]. Ihering an Gerber, Gießen, 3. Mai 1858 [94].

VII. Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB

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an einem großen Unternehmen in einflußreicher Weise Theil genommen zu haben, hat Deinem Selbstbewußtsein einen Aufschwung gegeben, Dir gezeigt, was Du bist und was Du kannst ... und eben damit Dich gegen die Mückenstiche des Neids und der Bosheit unempfindlicher gemacht.“ 238 Zwar waren die mit der Konferenz verbundenen Arbeitsunterbrechungen und Reisen, die sich über Jahre hinzogen 239, für Gerber oft eine Belastung. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach dem Tod seiner ersten Frau, wenn er seine Kinder „vaterund mutterlos“ zurücklassen mußte. 240 Diese beiden Ereignisse – Handelsgesetzkonferenz und Tod der Ehefrau – sah Gerber auch als große Zäsur in seinem wissenschaftlichen Wirken an. Das zeigte sich beispielsweise, wenn er an Ihering im Herbst 1861 schrieb: „... seit den großen Unterbrechungen von 1857–1860 fühlte ich nie wieder so wie jetzt meine ganze Jugendlust an der juristischen Unternehmung“.241 Trotzdem hielt sich die Freude an der praktischen gesetzgeberischen Arbeit mit dem wissenschaftlichen Engagement die Waage, wenn Gerber nach dem endgültigen Abschluß der Nürnberger Arbeit feststellte: „Das Gefühl etwas unmittelbar ins Auge tretendes zu leisten, ist ein überaus befriedigendes ...“ 242 Durch die erfolgreiche Handelsgesetzkonferenz war die politische Stellung Gerbers so gestärkt, das Vertrauen des Königs von Württemberg in ihn so gewachsen, daß man ihm im März 1861 das Amt des Kultusministers antrug. 243 Aus politischen Gründen schlug Gerber dieses ehrenvolle Angebot aus: Das Königreich Württemberg war nämlich gerade dabei, ein Konkordat mit der katholischen Kirche auszuhandeln, das den Katholizismus gegenüber der protestantischen Kirche begünstigte. Mit Gerbers Einstellung zum Katholizismus, d. h. seiner klaren Parteinahme zugunsten der Protestanten, ließ sich das nicht vereinbaren. 244 Somit hatte die Teilnahme an der Handelsgesetzkonferenz keine unmittelbare Auswirkung auf Gerbers politische Karriere.

Ihering an Gerber, Gießen, 3. Mai 1858 [94]. Vgl. Gerber an Ihering, Nürnberg, 6. Dezember 1866 [252]: „Nun sitze ich schon seit 3 Wochen in Nürnberg und bin mit Anderen bemüht, unser Werk durch das letzte Stadium hindurch zu helfen.“ 240 Gerber an Ihering, Tübingen, 14. August 1860 [137]. 241 Gerber an Ihering, Tübingen, 2. November 1861 [169]. 242 Gerber an Ihering, Nürnberg, 6. December 1866 [252]. 243 Losano, Band 1, S. 295, Fn. 1, Band 2, S. 197. 244 Vgl. Losano, Bd. 2, S. 197 f. zu Gerbers Ausrichtung innerhalb der Religionskonflikte. 238 239

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

VIII. Die Freundschaft Gerbers mit Rudolf von Ihering In Gerbers Tübinger Periode fiel die „Blütezeit“ seiner Freundschaft mit Rudolf von Ihering. 245 Die beiden jungen Professoren begegneten sich erstmals im Dezember 1849 in Erlangen. 246 Ihr umfangreicher Briefwechsel, von Losano herausgegeben, ist in dieser Darstellung schon vielfach zur Illustration der persönlichen Lebensumstände und der wissenschaftlichen Position Gerbers herangezogen worden. Ein Großteil dieser Briefe wurden zwischen 1851 und 1862 von Tübingen nach Gießen und vice versa geschrieben. Die anfängliche Homogenität ihrer wissenschaftlichen Methode, aber auch der Gleichklang ihrer persönlichen Interessen und Lebenseinstellungen trug offensichtlich zur gegenseitigen Sympathie, ja beinahe Faszination der beiden jungen Professoren bei. Bereits nach der ersten Begegnung verlieh Gerber diesem Gefühl fast schwärmerisch Ausdruck: „... es liegt etwas dämonisches darin, in einem Augenblicke, ohne Vermittlung, einem Mann gegenüber zu treten, den man zum ersten Male sieht, aber für einen und gar den besten Freund halten muß, weil seine Erscheinung gerade den letzten Kern der eigenen Individualität anpackt.“ 247 Rudolf von Ihering war fünf Jahre älter als Gerber. Er wurde am 22. August 1818 als Sohn von Georg Albrecht Ihering, Rechtsanwalt und Sekretär der ostfriesischen Stände, in Aurich in Ostfriesland geboren. 248 Seine sämtlichen Vorfahren, zu denen auch Hermann Conring zählte, waren Juristen. 249 Nach seinem Studium in Heidelberg, Göttingen und München promovierte er 1840 in Berlin und habilitierte sich bei Homeyer mit einer historisch-romanistischen Arbeit über den Erbschaftsbesitz250, „De hereditate possidente“. 1845 wurde er Ordinarius in Basel, 1846 in Rostock, 1848 in Kiel und 1852 in Gießen. Dort trat in seiner akademischen Laufbahn ein Stillstand ein. Er blieb dort sechzehn Jahre, wie sich aus seinen Briefen an Gerber ergibt, nicht völlig aus eigenem Antrieb. Als Grund hierfür wurde die „vielfach bestehenden Opposition gegen die von ihm damals eingeschlagene wissenschaftliche Richtung“ 251 vermutet. Insgesamt jedoch verlief seine Laufbahn, wie auch die Gerbers, schnell und glatt, fast umweglos. 252 Eine weitere Gemeinsamkeit mit Gerber ist, daß auch Ihering als ein Exponent des fortschrittsgläubigen, die Gesellschaft seiner Zeit bejahenden Be245 Zu Ihering vgl. u. a. auch Klemann, Rudolf von Jhering und die Historische Rechtsschule, Frankfurt/M. 1989; Luig, Recht zwischen Natur und Geschichte, Das Beispiel Rudolf von Jhering, Frankfurt/M 1997. 246 Gerber an Ihering, Erlangen, 13. Dezember 1849 [2]. 247 Gerber an Ihering, Erlangen, 13. Dezember 1849 [2]. 248 Mitteis in ADB 50, 652. 249 Wolf, Rechtsdenker, S. 628, Fn. 1. 250 Wolf, Rechtsdenker, S. 628. 251 Mitteis, ADB 50, 652. 252 Wolf, Rechtsdenker, S. 628.

VIII. Die Freundschaft Gerbers mit Rudolf von Ihering

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sitzbürgertums 253 angesehen werden kann. Einzelheiten des sie verbindenden bildungsbürgerlichen Hintergrunds sind beispielsweise Gerbers Goethe-Verehrung (er war Gründungsmitglied einer Goethe-Gesellschaft254) wie auch Iherings sorgfältige Ausbildung als Pianist 255 und seine kammermusikalischen Aktivitäten bei häuslichen Streichquartetten. Derartige kulturelle Vorlieben aber charakterisieren vermutlich den Großteil der Professorenschaft Mitte des 19. Jahrhunderts und liefern, für sich betrachtet, noch keine Erklärung für die von tiefem gegenseitigen Vertrauen, Bewunderung und Respekt vor den Leistungen des anderen geprägte Beziehung. Aus dem Briefwechsel wird deutlich, daß Ihering und Gerber ganz besonders Eigenschaften des anderen schätzten, die sie bei sich selbst für weniger ausgeprägt hielten, d.h. gewissermaßen die Ergänzung der eigenen Persönlichkeit und Arbeitsweise suchten. So betonte Ihering bereits in den Anfangsjahren der Freundschaft, nachdem er zuvor seine eigene „geistige Schwerfälligkeit“ 256 beklagte, wie sehr er die „Leichtigkeit“ von Gerbers Arbeit bewundert: „Ihre äußere Stellung, Ihre Erfolge usw. beneide ich nicht, aber Ihre geistige Verdauungskraft und Raschheit und Leichtigkeit der Auffassung und Formgebung ist etwas, wofür ich Ihnen gern meine „befriedete Natur“ mitsammt den andern Eigenschaften, die Sie an mir rühmen, überlassen möchte.“257 Zu einem späteren Zeitpunkt, als die beiden wissenschaftlich längst getrennte Wege gingen, deckte Gerber in der gewohnten vertrauensvollen Offenheit gegenüber dem Freund das Problem seiner „literarischen Unproductivität“ 258 auf. In schonungsloser Selbsterkenntnis offenbarte er die Schattenseite seiner glatten Leichtigkeit in der Formgebung: „Was ich zu sagen habe, habe ich zu freigebig in compendiöser Form hinausgeschossen und meine Resultate zu leicht verzehrbaren Appetitstückchen präpariert, die nun jeder ohne Mühe verschlucken kann.“ 259 Nun konnte er seinerseits ausrufen: „Wie beneide ich Dich um Deine Produktivität!“ 260 Hollerbach, NDB 10, 124. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 106. Ein eindrucksvolles Zeugnis für Gerbers Goethe-Enthusiasmus ist ein Brief an Zarncke, in dem er sich für das Geschenk eines GoetheBildes bedankt. Er schwärmt in den höchsten Tönen und erkundigt sich ausführlich nach den Entstehungsbedingungen des Bildnisses. Dabei erläutert er: „Sie wissen wohl, was mir Göthe ist, was er mir seit vierzig Jahren gewesen ist – mein geistiger Erzieher [?], ... mein Freund in allen Lagen, meine Hoffnung für die deutsche Literatur!“, Gerber an Zarncke, 30. April 1882, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249, Brief Nr. 40 [Numerierung bei Losano]. 255 Wolf, Rechtsdenker, S. 628. 256 Ihering an Gerber, Gießen, 18. Dezember 1852 [18]. 257 Ihering an Gerber, Gießen, 18. Dezember 1852 [18]. 258 Gerber an Ihering, Leipzig, 26. Mai 1870 [285]. Die vorbehaltslose Aufrichtigkeit und Freimütigkeit des Briefwechsels wurde immer wieder hervorgehoben. So nennt Fikentscher die Beziehung zwischen Gerber und Ihering eine „besonders tiefgründige und von rückhaltsloser Offenheit gekennzeichnete Freundschaft“, Fikentscher, Bd. 3, S. 134. 259 Gerber an Ihering, Leipzig, 26. Mai 1870 [285]. 260 Gerber an Ihering, Leipzig, 26. Mai 1870 [285]. 253 254

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Auch die Persönlichkeit der beiden Freunde ergänzte sich offenbar ideal. Gerber war von einer starken Selbstbeherrschung und Disziplin geprägt. Nach den Schilderungen seiner jüngsten Tochter war er ein „Frühaufsteher“ 261, der „seine Zeit sehr gut einteilte und unglaublich schnell arbeitete“. 262 Auch erwies er sich als „peinlich ordentlich und sehr pünktlich, Eigenschaften, die eigentlich dem Gelehrten sonst ferner liegen“. 263 Seinen Studenten erschien er denn auch weniger als der typische deutsche Gelehrte und Professor, sondern der künftige Politiker gab sich auch „auf dem Katheder mehr als der vornehme, im tätigen Leben stehende Weltmann, dem auch die Eleganz des Ausdrucks zur Verfügung steht.“ 264 Immer wieder wird die „verbindliche Art“ 265 als Grundzug von Gerbers Wesen betont. Bei Ihering wurde hingegen seine „friesische Art“ 266 als charakteristisch hervorgehoben, die einen starken „Freiheitssinn, Bedürfnis nach Unabhängigkeit, ein lebhaftes Empfinden für den Wert der Persönlichkeit und der Berufsehre, besonders aber auch eine urwüchsige Rechtsliebe“ 267 beinhaltete. Sein Temperament war stürmischer ausgeprägt, allerdings hatte er auch unter häufigeren Gefühlsschwankungen und Depressionen zu leiden, wovon die Briefe an Gerber ein beredtes Zeugnis ablegen. Im Gegensatz zu Gerber, dem, wenn kein opportunistisches so doch ein sehr diplomatisches Wesen nachzusagen ist, wehrte sich Ihering vehement gegen jeden Druck oder gar Zwang „von oben“. An seinen ausgeglicheneren und besonneneren Freund schrieb er beispielsweise, er sei nicht gewohnt und willens, dem Kanzler gegenüber „den gehorsamen Diener zu spielen“ oder sich „zu einem bloßen Partheimenschen machen zu lassen“ und der geforderten „Mittelmäßigkeit und Charakterlosigkeit“ 268 gerecht zu werden. Jähzornig fuhr er fort, er habe Lust, „mit einem derben Fußtritt das morsche System der Kriecherei und Augendienerei gewaltig zu erschüttern.“ 269 Neben dem „Schwung eines rücksichtslosen, hohen Gesichtspunkten nachstrebenden Geistes“ 270 war bei Ihering auch eine „derbkräftige Sinnlichkeit“ 271 als prägende Eigenschaft vorhanden. Nicht umsonst war in den Briefen immer wieder von kulinarischen Leckerbissen die Rede. Iherings Vorliebe für Ananas und Nüsse 272 261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272

Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 106. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 106. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 107. Anonymus, JZ 1909, Sp. 148. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 107. Wolf, Rechtsdenker, S. 630. Wolf, Rechtsdenker, S. 630. Ihering an Gerber, Gießen, 8. Mai 1852 [16]. Ihering an Gerber, Gießen, 8. Mai 1852 [16]. Mitteis, ADB 50, S. 652. Wolf, Rechtsdenker, S. 629. Ihering an Gerber, Gießen, 29. October 1854 [38].

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fand ebenso Erwähnung wie sein „Enthusiasmus“ für Aale 273, sowie die Übersendung eines böhmischen Fasans an Gerber 274, der seinerseits mit einem „Austerntönnchen“ Iherings „Austernpassion“ 275 zu stillen suchte. Die Korrespondenz der beiden Wissenschaftler war also nicht nur von wissenschaftlichen Diskursen geprägt. Die Freunde teilten miteinander Alltagssorgen, Universitätsquerelen und Gesundheitsprobleme. Gerade Ihering kränkelte offenbar häufig. Beschwerden wie Rheumatismus, Zahnschmerzen, Magen-Beschwerden und Katarrh sind in seinen Briefen allgegenwärtig. 276 Derartige Details sind zwar nebensächlich, sie tragen aber zur Abrundung des Persönlichkeitsbilds der beiden Korrespondenten bei und lassen sympathische menschliche Züge durchscheinen. Durch die Illustration des Lebensumfelds wird so Wissenschaftsgeschichte lebendig. Zudem hatte beispielsweise der Spott über unliebsame Professorenkollegen, der einen festen Platz in der Korrespondenz einnahm, seinen ganz besonderen Reiz. Exemplarisch sei hier Iherings Bemerkung über Gerbers Dauer-Opponenten Reyscher zitiert: Er empfahl, „den Patron keiner Antwort weiter“ zu würdigen, denn als ächte Fischweib-Natur wird er doch stets das letzte Wort behalten, und der unerfreuliche Streit setzt sich nur weiter fort.“ 277 Der gemeinsame Hang zu Scherz und Ironie war ein verbindendes Element, das den gesamten Briefwechsel durchzog. Die bereits erwähnte Bezeichnung des Kollegen Fein als „Pandektenroß“ belegt dies ebenso wie Gerbers Schilderung der Tübinger Philister oder der gemeinsame, wenngleich nie in die Tat umgesetzte Plan zur Gründung einer „satyrischen Rundschau“. Auch nachdem sich die Freunde wissenschaftlich entzweit hatten, blieb ihr Sinn für Satire und Humor der gleiche. Gerber schrieb über die „Vertraulichen Briefe eines Unbekannten“, in denen Ihering immerhin seine Abkehr von den die beiden verbindenden Anschauungen postuliert: „Dein vertraulicher Brief ist zum Entzücken. Ich habe nicht leicht eine so kostbare Stunde genossen, als die war, da ich ihn las.“ 278 Ohne das römische Recht wäre der Freund „einer der größten deutschen Humoristen geworden“ 279. Teilweise aber waren die Briefe auch weniger scherzhaft gestimmt, sondern hatten melancholischere Untertöne. Die Freunde leisteten einander in existentiellen Krisensituationen Lebenshilfe, so beim Tode der jeweiligen Ehefrauen (Rosalie Gerber starb, wie erwähnt, 1859, Ida Ihering 1867). In diesen Momenten wird das tiefe menschliche Vertrauen besonders deutlich, das die beiden von Anfang an verband. Gerber, der gestand, normalerweise sein „Wesen künstlich zu präparieren, daß Ihering an Gerber, Kiel, 30. August 1859 [120]. Ihering an Gerber, Kiel, 24. December 1855 [53]. 275 Ihering an Gerber, 15. Dezember 1858 [101]. 276 Z. B. Ihering an Gerber, Gießen, 18. December 1852; Gießen, 14. October 1854 [18; 37]. 277 Ihering an Gerber, ohne Angabe von Ort und Datum [21]. 278 Gerber an Ihering, Leipzig, 16. Januar 1867 [256]. 279 Gerber an Ihering, Leipzig, 16. Januar 1867 [256]. Zu Iherings Überwindung der Begriffsjurisprudenz vgl. u. a. Eisenhardt, S. 375. 273 274

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es einigermaßen zu ... meiner persönlichen Umgebung paßt“ 280, empfand dem Freund gegenüber keine Notwendigkeit zur Verstellung: „Ihnen gegenüber fühle ich mich völlig frei.“ 281 Er betrachtete es als „seltenes Glück, meiner Persönlichkeit ihr volles Recht geben zu können.“ 282 Die unterschiedlich Persönlichkeit der beiden Juristen spiegelte sich auch in ihrer wissenschaftlichen Arbeit wider. Gerber, in seinem Wesen harmonisch und ausgeglichen, legte nur wenige Werke vor. Diese aber waren in sich geschlossen und abgerundet, wenn auch vielleicht auf Kosten größerer Tiefe. Gerber nahm in jedem Werk ein bestimmtes Thema auf und führte es konsequent und rigoros zu Ende. Sein ganzes Leben lang – zumindest während seiner gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit – blieb er einer zusammenhängenden wissenschaftlichen Entwicklung treu.283 Der impulsive Ihering legte mit ungleich stärkerer produktiver und schöpferischer Kraft eine Fülle von Arbeiten vor. Seine Biographie war von einer Kette von Publikationen und Rufen auf Lehrstühle geprägt. 284 Er blieb zwar bestimmten Themen treu, schloß sie jedoch nie ganz ab, so daß ein Buch immer die Fortsetzung des vorangegangenen darstellt, wobei fast alle seine Werke unvollendet geblieben sind. 285 Durch den grundsätzlichen Umbruch seines Rechtsdenkens Anfang bis Mitte der sechziger Jahre entzweite sich Ihering mit seiner eigenen bisherigen Theorie.286 Infolge seiner Abkehr von der konstruktiven Methode, später von ihm ironisch die Begriffsjurisprudenz genannt, und seiner Hinwendung zu einem soziologischen und naturalistischen Positivismus 287 weist sein Werk zwangsläufig gewisse Brüche auf. Gleichzeitig läßt sich auch in seiner uferlosen Forschung eine stringente organische Entwicklung ablesen. 288 Trotz all dieser Unterschiede aber gleichen sich die Werke von Ihering und Gerber in der Methode, zumindest in Iherings erster positivistischer Phase, als auch er noch ein Anhänger der „Begriffsjurisprudenz“ war. Ausgangspunkt war für beide Puchta, der maßgebliche Lehrer sowohl Gerbers als auch Iherings. Ihering stellte dazu fest: „Ich habe Puchta nie gehört, durch seine Werke hat er allerdings mehr auf mich gewirkt als irgendein Anderer.“ 289 Somit war es folgerichtig, daß er 1852 den ersten Band seines Hauptwerks, „Der Geist des römischen Rechts auf den Stufen seiner Entwicklung“ dem Andenken Puchtas widmete. 280 281 282 283 284 285 286 287 288 289

Gerber an Ihering, Tübingen, 21. September 1853 [25]. Gerber an Ihering, Tübingen, 21. September 1853 [25]. Gerber an Ihering, Tübingen, 21. September 1853 [25] Losano, Bd. 2, S. 90. Losano, Bd. 2, S. 53. Losano, Bd. 2, S. 53. Wolf, Rechtsdenker, S. 643. Wolf, Rechtsdenker, S. 660. Losano, Bd. 2, S. 53. Deutsche Gerichtszeitung 1861, Nr. 85, zitiert bei Wolf, S. 628.

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Beide waren, wie Landsberg es ausdrückt, nicht „historisch deskriptive, sondern dogmatisch konstruktive Köpfe“ 290. Den gemeinsamen methodischen Ansatz faßte Ihering folgendermaßen zusammen: „Ein Gegenstand, in dem wir beide uns in der Wissenschaft gefunden haben, und um den unsere beiderseitige wissenschaftliche Aufgabe sich mehr oder minder dreht, die juristische Konstruktion des Rechts.“ 291 Beide Juristen verfolgten das gleiche Ziel, nämlich den juristischen Beziehungen des Privatrechts eine wissenschaftliche Einkleidung zu geben, ihnen einen erhöhten Grad von Sicherheit und Stabilität zu verleihen. 292 Es war demnach einigermaßen naheliegend, daß die beiden Freunde nach einem Forum suchten, um ihre gemeinsame Überzeugung von der konstruktivistischen Rechtstechnik der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorzustellen. Eine gemeinsam herausgegebene Zeitschrift gab ihnen die Möglichkeit, das entsprechend ihrer Ansicht nach einer einheitlichen Methode zu behandelnde germanistische und romanistische Material im Zusammenhang zu veröffentlichen. Zugleich aber war zum damaligen Zeitpunkt die Zusammenarbeit eines Germanisten und eines Romanisten ein relativ provokantes Ereignis, zumal Gerber ohnehin als „romanisierender Germanist“ geschmäht wurde. 293 Es läßt sich nur darüber spekulieren, inwieweit die Erinnerung an Savignys Schulgründung durch die „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“ als Anregung für die beiden Freunde diente. 294 Jedenfalls kann die Gründung der „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“ durch Gerber und Ihering 1856 als maßgeblicher Zeitpunkt für die Ablösung der historischen Schule durch Begriffsjurisprudenz und Positivismus angesehen werden. 295 Zum Hintergrund der Zeitschriftengründung gehört auch die aus Sicht der beiden Herausgeber erwünschte Konkurrenz zu der von Gerbers Erzrivalen Reyscher und Beseler herausgegebenen „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft“. Diese wollten zunächst nicht aufgeben, um den „Jahrbüchern“ das Erscheinen buchhändlerisch zu erschweren oder es sogar zu verhindern, mußten jedoch das Erscheinen ihrer Zeitschrift 1861 mit dem 20. Band einstellen. 296 Die „Jahrbücher“ markierten also den Wendepunkt der Privatrechtswissenschaft in die dogmatisch-konstruktivistische Richtung. Es fanden sich bei ihrer Gründung Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 790. Ihering an Gerber, Gießen 26. März 1854 [33]. 292 Fioravanti, Il Segreto di Gerber, S. 194. 293 Zwar stellen Wesenberg/Wesener, 2. Auflage, S. 153 fest, es sei zum guten Teil auf Iherings Einwirkung zurückzuführen, wenn Gerber das germanische Recht mit romanistischen Denkfiguren zu erfassen suchte, was jedoch in Frage zu stellen ist. Immerhin lernte Gerber Ihering erst zu einer Zeit persönlich kennen, als er seine privatrechtlichen Hauptwerke bereits geschrieben hatte. 294 Wolf, Rechtsdenker, S. 637. 295 Kern, Juristische Germanistik, S. 21. 296 Kern, Juristische Germanistik, S. 21. 290 291

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Ihering und Gerber als „Dioskuren der Konstruktionsjurisprudenz“ zusammen, wie Wieacker es formuliert 297. Daß die Idee zu dieser Publikation nicht über Nacht geboren wurde, sondern die beiden Herausgeber sich seit Beginn ihrer Bekanntschaft mit dem Gedanken an eine gemeinsame Zeitschrift trugen, läßt sich aus ihrem Briefwechsel ablesen. So teilte Gerber Ihering bereits im ersten Brief, den er an ihn schrieb, mit, er plane einige Abhandlungen, die für „unsere zu hoffende Zeitschrift“ 298 geeignet seien. Das Projekt war also bereits im ersten Treffen zur Sprache gebracht worden. Im Laufe der folgenden Jahre finden sich immer wieder Anspielungen auf die Zeitschrift, die allerdings noch recht unbestimmt sind. So sprach Ihering im März 1853 von der anzustrebenden „Auffindung eines tertiums, unter das die Begriffe des deutschen und römischen Rechts sich subsumieren ließen“299 und fuhr fort: „Das müssen wir demnächst in unserer Zeitschrift zu erstreben suchen!“300 Konkretere Gestalt nahm das Projekt in einem Brief Iherings an Gerber Anfang Januar 1855 an. Es handelt sich zwar nicht um die erste Erwähnung des Unternehmens in einem Brief 301, jedoch zeigt sich Iherings Entschlossenheit, die Ausführung zu beschleunigen: „Es gärt jetzt seit einiger Zeit so sehr in mir ..., daß ich mit Macht an die Realisierung unseres Planes der Herausgabe einer juristischen Zeitschrift denke.“ 302 An Motivation und Material mangelt es jedenfalls nicht. „Für das gegenwärtige Jahr könnte ich drei bis vier größere Abhandlungen und manche kleine beisteuern. Hast Du nun Lust, so bin ich bereit.“ 303 Wenig später stellte Ihering mit Befriedigung fest, es freue ihn sehr, daß Gerber den Vorschlag aufgegriffen und bereits „einiges in petto“ habe. 304 Ihering stellte sich in der Korrespondenz als die treibende Kraft der Zeitschrift dar. Gerber beteuerte, er überlasse es ihm ganz, „das Buchhändlerische zu besorgen, wie Du es für gut hältst.“ 305 Es folgten ausführliche Diskussionen über den zu wählenden Titel. Nachdem Gerber zunächst „Jahrbücher für die Dogmatik des Privatrechts“ 306 und danach „einen altväterischen, aber doch sehr unbescheidenen Titel, nämlich: Magazin für privatrechtliche Dogmatik herausgegeben von R. Ihering und C. Fr. Gerber“ 307 vorgeschlagen hatte, traf Ihering die endgültige Entscheidung: Er plädierte, vorbehaltlich der Zustimmung Gerbers, für „Jahrbücher für die Dogmatik 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307

Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 405. Gerber an Ihering, Erlangen, 13. December 1849 [2]. Ihering an Gerber, Gießen, 12. März 1853 [20]. Ihering an Gerber, Gießen, 12. März 1853 [20]. So aber Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 800. Ihering an Gerber, Gießen, 2. Januar 1855 [39 a]. Ihering an Gerber, Gießen, 2. Januar 1855 [39 a]. Ihering an Gerber, Gießen, 4. Februar 1855 [40]. Gerber an Ihering, Stuttgart, 9. Februar 1855 [41]. Gerber an Ihering, Stuttgart, 9. Februar 1855 [41]. Gerber an Ihering, Tübingen, 28. December 1855 [54].

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des römischen und deutschen Rechts von Gerber und Ihering“ 308. Erläuternd fügte er hinzu, daß er auf dem Titel den Namen Gerbers „nach Ordnung des Alphabets voran“ stellte, „wie es einmal in der Beziehung hergebracht ist.“ 309 Auch schlug er Gerber vor, seinen Adelstitel (Gerber hatte vom württembergischen König den persönlichen Adel erhalten) auch als Herausgeber zu führen. Als Mitarbeiter wurden u. a. Bähr 310, Roth 311, Deurer 312, Scheuerl und Chambon 313 gewonnen. Auch Waechter sagte zunächst einen Beitrag zu, den Ihering „schon des Namens Wächter wegen noch in den ersten Band bringen“ 314 wollte. Später bat Waechter zur maßlosen Verärgerung Iherings, ihn „bis zur Vollendung seines Württembergischen Privatrechts zu dispensieren“, d. h. er vertagte seinen Beitrag „ad Calendas Graecas“ 315. Der erste Band erschien 1857 bei Mauke in Jena und enthielt Beiträge der genannten Autoren (mit Ausnahme Chambons, der unerwartet verstarb, und Scheuerls, der erst im zweiten Band mit zwei Aufsätzen vertreten war). Als Einleitung diente der programmatische Aufsatz Iherings „Unsere Aufgabe“. Ihering unterschied darin drei Stufen juristischer Begriffsbildung: Analysis, Konzentration und Konstruktion, wobei die beiden ersten zur „niederen“, die letzte aber zur „höheren“ Jurisprudenz zählen. 316 Was diesen Aufsatz betraf, so schrieb Gerber an Ihering, sein Bruder, „der jetzt Justizamtmann wird und ein wirklich hervorragender Praktiker ist“ 317, sei darüber „ganz außer sich“ gewesen. Und nun folgt ein Satz, der beIhering an Gerber, Gießen, 21. Januar 1856 [56]. Ihering an Gerber, Gießen, 21. Januar 1856 [56]. 310 Otto Bähr (1817–1895), ein Freund Iherings bis zu einem persönlichen Bruch, lehnte mehrere Berufungen an Universitäten ab und verfolgte eine praktisch-juristische Karriere. Er war Obergerichtsrat in Kassel, später Oberappellationsgerichtsrat in Fulda und Berlin. Zwei Jahre lang gehörte er dem Reichsgericht an; vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten S. 276 f., Losano Bd. 2, S. 336; vgl. auch Birgit Binder, Otto Bähr (1817–1895), Richter von universellem Geist, Mittler zwischen Dogmatik und Praxis, Freiburg 1982. 311 Paul Rudolf von Roth (1820–1892) war Germanist. Nach Professuren in Marburg, Rostock und Kiel trat er 1863 die Nachfolge Bluntschlis in München an. Er gehörte der ersten Kommission zur Ausarbeitung des BGB an, wobei seine Mitarbeit offenbar nicht maßgeblich war. Im einzelnen vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten S. 372; Sten Gagnér in HRG IV, Sp. 1160 ff. sowie ders.: Zielsetzungen und Werkgestaltung in Paul Roths Wissenschaft, in FS für H. Krause, S. 276 ff. 312 Ernst Ferdinand Friedrich Deurer (1812–1873) war ein Kollege Iherings in Kiel und später in Gießen. Sein Interesse an der Wissenschaft war offenbar nicht sonderlich ausgeprägt. Bei Landsberg wird er nicht erwähnt. Einzelheiten bei Losano, Bd. 2, S. 350. 313 Eduard Egmund Josef Chambon (1822–1857), Ordinarius für römisches Recht in Prag, laut Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S.342 „trefflich, aber jung gestorben“ wurde vermutlich durch seinen frühen Tod an der Veröffentlichung des zugesagten Beitrags gehindert – vgl. Losano, Bd. 1, S. 220. 314 Ihering an Gerber, Gießen, 24. November 1856 [68]. 315 Ihering an Gerber, Gießen, 8. Februar 1857 [73]. 316 Wolf, Rechtsdenker, S. 638. 317 Gerber an Ihering, Sondershausen, 16. September 1856 [66]. 308 309

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zeichnend ist dafür, wie Gerber seine wissenschaftliche Arbeit verstand, und der doch aus dem Mund eines Dogmatikers erstaunt: „... und ich habe da abermals die Freude gehabt, die Probe jeder echt juristischen Arbeit zu sehen, nämlich die Anerkennung des tüchtigen Praktikers.“ 318 Der zweite Aufsatz des ersten Bandes stammte aus der Feder Gerbers: „Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiß“. Im ersten Band waren noch zwei weitere Abhandlungen Iherings („Übertragung der Reivindicatio auf Nichteigentümer“ und „Mitwirkung für fremde Rechtsgeschäfte“) enthalten, sowie ein weiterer Beitrag Gerbers, „Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte“. Der zweite Band der „Jahrbücher“, erschienen 1858, beinhaltete zwei Abhandlungen Gerbers: „Zur Theorie der Reallasten“ und „Die Familienstiftung in der Function des Familienfideikommisses“. Von Ihering erschien die umfassende und ausführliche Fortsetzung der Mitwirkung für fremde Rechtsgeschäfte, die als eine seiner „bleibendsten Forschungen“ 319 gelobt wurde. Die Zeitschrift entwickelte sich bald zum „ersten civilistischen Organ Deutschlands“ 320. Die beiden Herausgeber hatten sich ein elitäres Niveau zum Ziel gesetzt, wie sich aus folgender Bemerkung Gerbers ergibt: „Unsere Zeitschrift trägt an der Spitze ein sehr beschränkendes Tendenzprincip und fordert Leistungen, welche den aller-bedeutendsten Ansprüchen genügen.“ 321 Ihre herausragende Stellung verdankte die Zeitschrift zum Großteil der eigenen Mitarbeit Iherings, so daß es später bewundernd hieß: „Nicht oft hat der Herausgeber einer Zeitschrift soviel für deren Blüthe gethan als Ihering für die Jahrbücher.“ 322 Auch wurde festgestellt, daß im Verhältnis von Iherings zu Gerbers Aufsätzen „ihre Zahl viel größer, ihr Gewicht viel schwerer“ 323 gewesen sei. Gerber setzte sich als Redakteur bei weitem nicht so ein, was teilweise mit seinen politischen Verpflichtungen und seiner Tätigkeit für das ADHGB zu entschuldigen ist. Es war offenbar vereinbart, die Redaktionsgebühren nach romanistischen und germanistischen Beiträgen aufzuteilen. Aber bereits beim ersten Band – es ging um einen Beitrag Roths – stellte Gerber fest, er könne „diese Gebühr kaum annehmen, da die Abhandlung keine eigentlich germanistische ist und Du ja die Mühe gehabt hast.“ 324 Immer wieder sind in den Briefen Entschuldigungen Gerbers für seine „Säumigkeit“ zu finden. So schrieb er im Februar 1857 aus Nürnberg, er bitte den Freund, „mit mir jetzt nur ein Bischen Geduld zu haben. In meiner gegenwärtigen 318 319 320 321 322 323 324

Gerber an Ihering, Sondershausen, 16. September 1856 [66]. Mitteis, ADB 50, S. 660. Mitteis, ADB 50, S. 660. Gerber an Ihering, Tübingen, 7. April 1857 [78]. Mitteis, ADB 50, S. 660. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 803. Gerber an Ihering, Sondershausen, 16. September 1856 [66].

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Lage ist es mir ganz unmöglich, Etwas zu liefern, d. h. so lange der Congress dauert, oder solange ich dabei bin.“ 325 Immer öfter wurde der Wunsch Gerbers nach geringerer Arbeitsbelastung deutlich, etwa wenn er vorschlug, man solle „garnicht an eine so regelmäßige Aufeinanderfolge der Hefte denken, laß auch einmal ein halbes Jahr dazwischen liegen, was thut es?“ 326 Auch der Wunsch, sich völlig von der Herausgebertätigkeit zurückzuziehen, klang bereits recht früh an: „Vielleicht könnte den Jahrbüchern damit geholfen werden, daß wir noch Einen oder Einige als Redakteur aufnehmen?“327 Gleichzeitig aber war sich Gerber bewußt, daß er als Herausgeber nur schwer zu ersetzen war. Er erinnerte Ihering daran, „daß es keinen Germanisten giebt, der so viele dogmatische Arbeiten geliefert hat als ich.“328 Bei dieser Aussage schwingt offenkundig eine gewisse Eitelkeit mit. Problematisch war vor allem, daß sich parallel zu Gerbers anderweitiger Eingespanntheit, die ihn daran hinderte, seinen Pflichten als Herausgeber nachzukommen, eine geistige Wende Iherings vorbereitete: Seine Rechtsanschauung entwickelte sich in zunehmendem Maße weg vom Konstruktivismus, hin zu einem „produktiven“ und „materialen“ Rechtsdenken. 329 Die paradoxe Folge war, daß sich Ihering, je mehr er sich von der konstruktivistischen Theorie entfernte, desto mehr der Zeitschrift widmen mußte, die eben diese Theorie propagierte. 330 Gerber begriff schon früh, daß sein Freund sich „in einer sehr gereizten Stimmung“ befand, „die auch ein klein wenig ihre Richtung gegen mich“ 331 genommen hatte. Es bestand tatsächlich Anlaß zu der von Landsberg geäußerten Vermutung, daß „Gerber kaum so viel gehalten hat, wie sich Ihering von ihm versprochen hat“ 332. Bis zum Jahr 1863 war Gerber neben Ihering als Herausgeber der „Jahrbücher“ tätig, danach lieferte er auch keine Beiträge mehr. Dies hing aber wohl besonders damit zusammen, daß sich Gerbers Interesse in zunehmendem Maße vom Privatrecht ab- und dem Staatsrecht zuwandte. In Band 3 der „Jahrbücher“, erschienen 1859, finden sich zwei Beiträge aus der Feder Gerbers: „Über die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“ 333 und „Nachträgliche Erörterungen zur Lehre von der Autonomie“ 334. Der vierte Band der „Jahrbücher“ enthielt keinen Aufsatz von Gerber, ebensowenig wie der fünfte. Beide Bände wurden 1861 herausgegeben. 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334

Gerber an Ihering, Nürnberg, 14. Februar 1857 [74]. Gerber an Ihering, Tübingen, 7. April 1857. Gerber an Ihering, Tübingen, 12. April 1857. Gerber an Ihering, Tübingen, 12. April 1857. Wolf, Rechtsdenker, S. 642. Losano Bd. 2, S. 176. Gerber an Ihering, Tübingen, 12. April 1857 [79]. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 804. Jahrbücher, Band 3 Nr. IV, S. 359. Jahrbücher, Band 3 Nr. VI, S. 411 ff.

5 Schmidt-Radefeldt

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Als 1863 der sechste Band erschien, fand sich darin ein einziger Beitrag Gerbers: „Reallast oder Realschuld?“ 335. In den folgenden Jahren fungierte Ihering allein als Herausgeber der Zeitschrift, die auch als „Iherings Jahrbücher“ berühmt wurde. Gerber zog sich völlig von der Arbeit zurück. Den Entschluß Gerbers, die Redaktion der Jahrbücher aufzugeben, bezeichnete Ihering als „begreiflich, obschon ich ihn bedauere“ 336. Ursprünglich faßte ihn Ihering als Signal auf, sich ebenfalls zurückzuziehen. 337 Schnell entschloß er sich jedoch zur Fortführung, wobei er, entgegen dem Vorschlag des Verlegers Mauke, Gerber nicht durch einen anderen Redakteur für das deutsche Recht ersetzte. 338 Auf Anraten Gerbers setzte er die Jahrbücher ohne eine Veränderung des Titels mit dem 7. Band fort. Die von Ihering zunächst beabsichtigte Beschränkung auf das römische Recht hatte der Freund nicht für opportun gehalten, da gerade die Verbindung deutschen und römischen Rechts ein Fundamentalpunkt der Gründung war. 339 Im übrigen bot Gerber weiterhin seinen Rat in germanistischen Fragen an. 340 Als Datum für den endgültigen methodologischen Bruch zwischen Ihering und Gerber ist mit Losano 341 das Jahr 1865 anzusetzen: Gerber veröffentlichte die „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts“, von Ihering erschien der dritte Band „Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung“, in dem er die in den vorherigen Bänden dargelegte konstruktivistische Methodologie klar ablehnte. 342 Unter anderem rügte Ihering die Überbewertung des logischen Elements im Recht. 343 Bereits in den „Vertraulichen Briefen eines Unbekannten“, die zwischen 1861 und 1866 in der „Preußischen Gerichtszeitung“ erschienen, hatte Ihering das wissenschaftliche Ziel, für das er die „Jahrbücher“ geschaffen und sich mit Gerber verbündet hatte, preisgegeben. 344 Fraglich ist, ob man tatsächlich mit Wolf annehmen kann, daß Ihering aus diesem Grund Gerbers Freundschaft verlor. 345 Noch später beJahrbücher, Band 6 Nr. V, S. 266 ff. Ihering an Gerber, Gießen, 11. März 1863 [209]. 337 Ihering an Gerber, Gießen, 11. März 1863 [209]. 338 Ihering an Gerber, Gießen, 8. August 1863 [216]. 339 Gerber an Ihering, Leipzig, 11. August 1863 [217]. 340 Gerber an Ihering, Leipzig, 11. August 1863 [217]. 341 Losano, Bd. 2, S. 177. 342 Losano, Bd. 2, S. 177. 343 „Es ist das Blendwerk der juristischen Dialektik, welche dem Positiven den Nimbus des Logischen zu geben versteht, welche, indem sie das Vorhandene vor unserem Urteil als vernünftig zu rechtfertigen sucht, dabei nicht den Weg einschlägt, daß sie die historische, praktische oder ethische Berechtigung desselben nachweist, sondern den, daß sie mit Hilfe von Gesichtspunkten, die erst für diesen Zweck erfunden sind, die logische Notwendigkeit desselben dazutun versucht.“ Ihering, Geist des römischen Rechts, Dritter Teil, erste Abteilung, sechste und siebte Auflage, S. 318 [zitiert bei Losano, Bd. 2, S. 181]. 344 Wolf, Rechtsdenker, S. 644. 345 Wolf, Rechtsdenker, S. 644. 335 336

VIII. Die Freundschaft Gerbers mit Rudolf von Ihering

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kannte sich Gerber, wie bereits erwähnt, dazu, „unendlich dabei gaudirt“ 346 gewesen zu sein, als er diese Briefe las. Ihering selbst offenbarte Windscheid 347 1865, er „habe in den letzten 2–3 Jahren eine merkwürdige Umwandlung meiner ganzen geistigen Anschauungen durchlebt“ 348. Kurz danach schrieb er: „Die Umwandlung, die mich Dir wissenschaftlich so nahe brachte, hat mich von Gerber gänzlich entfernt.“ 349 Dennoch war der Bruch nicht endgültig, wie der fortgesetzte Briefwechsel belegt. Die Briefe werden im Ton etwas kühler, der Zenit der Freundschaft ist überschritten. Dieser Höhepunkt kann vielleicht an einem äußeren Ereignis festgemacht werden. Ende Dezember 1853 hob Gerber Carl Friedrich Ihering aus der Taufe – wie Losano schreibt, ein lebendes Symbol für den Zusammenschluß der beiden Juristen.350 Von diesem Zeitpunkt ab gingen die Freunde dazu über, sich in ihren Briefen zu duzen. In der späteren Korrespondenz ist von dem Schwung der Anfangsjahre wenig zu spüren, die beiden Korrespondenten waren sichtlich abgeklärter. Wissenschaftlich gingen sie auf getrennten Wegen, was sie jedoch nicht daran hinderte, sich persönlich und fachlich in der altvertrauten Weise auszutauschen. Die Hochachtung vor den intellektuellen Leistungen des anderen war ungebrochen, wenn Ihering an Windscheid schrieb, Gerbers Staatsrecht sei „brillant geschrieben“ und habe, soweit er es beurteilen könne, „auch sachlich manches gefördert.“ Er sei kürzlich mit Gerber einen Tag zusammen gewesen und „wiederum ganz entzückt von dem eminenten Formtalente, das er hat.“ 351 An Gerber selbst schrieb Ihering, er sei der „Überzeugung, daß Dein jetziges Werk für die Methodik des Staatsrechts denselben Fortschritt bezeichnet, wie Dein früheres für das des Privatrechts“ 352. Erläuternd fügte er hinzu: „Die Umwandlung, die seit zwei Jahren in meiner ganzen Anschauungsweise eingetreten ist, hält mich nicht ab, das Verdienstliche einer solchen Leistung, wie es die Deinige ist, in vollem Umfang zu würdigen und anzuerkennen.“ 353 Aus diesen versöhnlichen Zeilen wird deutlich, daß keiner der beiden Freunde den persönlichen Bruch wollte. Noch 1866 übernahm Ihering die Patenschaft für Gerbers jüngsten Sohn, Carl Ludwig. Wenn die Briefe zunehmend spärlicher wurden und nach 1872 ihr Strom ganz versiegte, so ist das wohl auch auf Gerbers zunehmende politische Eingespanntheit zurückzuführen. Er beklagte sich zwar immer wieder über die an ihn gestellten AnGerber an Ihering, Leipzig, 16. Januar 1867 [256]. Zu Windscheid vgl. Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, Erkundungen auf den Feldern der sog. Begriffsjurisprudenz, Frankfurt/M. 1989; Kern, Windscheid zum 100. Todestag, in: Universitätszeitung Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, H. 15, Greifswald 1992. 348 Ihering an Windscheid, Briefe 176, vgl. Wolf, S. 642. 349 Ihering an Windscheid, Briefe 177, vgl. Wolf, S. 643. 350 Losano, Bd. 1, S. 93. 351 Ihering an Windscheid, Briefe 188 – 10. September 1865, vgl. Losano, Bd. 2, S. 183). 352 Ihering an Gerber, Gießen, 2. Juli 1865 [233]. 353 Ihering an Gerber, Gießen, 2. Juli 1865 [233]. 346 347

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

forderungen, sprach u. a. von der „Parlamentsgeschichte, die mich wie ein böses Gespenst verfolgt und mir den Tag verdirbt.“ 354 Gleichzeitig verfolgte er aber seine politische Karriere konsequent weiter. Ganz anders dagegen Ihering, der politisch eher die „Rolle eines unbetheiligten Beobachters“ 355 spielte. Das Politische unmittelbar zu ergreifen und zu gestalten 356, war nicht Iherings Anliegen, auch wenn er durchaus gedanklich engagiert war, wie sich z. B. in seiner enthusiastischen Reaktion auf den deutsch-französischen Krieg 1870/71 zeigt. 357 Ein einziges Mal war Ihering bereit, sich aktiv in das politische Geschehen einzumischen. Er kandidierte in seiner friesischen Heimat („im ersten Wahlbezirk: Leer, Emden, Norden etc“ 358) für den konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes. Auch Gerber gehörte diesem Reichstag als Abgeordneter des Leipziger Landkreises an. Als Ihering schließlich einem Gegenkandidaten unterlag, stellte er resigniert fest: „Wie sehr hatte ich mich in diesen Tagen schon darauf gefreut, mit Dir zusammen sein zu können ...“ 359 „Die schöne Hoffnung“ wurde jetzt „zu Wasser“. Der Briefwechsel riß 1872 jäh ab, wohl weil Gerber aufgrund seiner neuen Ministerpflichten kaum mehr Zeit zu privater Korrespondenz aufbrachte, nicht etwa aufgrund eines persönlichen Zerwürfnisses. Dennoch sah Ihering Gerber bis zu dessen Tod fast zwanzig Jahre später als einen „alten Freund“ an.360 Die befruchtende Wirkung dieser Freundschaft in persönlicher wie wissenschaftlicher Hinsicht während ihrer Tübinger „Blütezeit“ ist jedenfalls unbestreitbar.

IX. Die letzten Tübinger Jahre Gerbers spätere Jahre in Tübingen gestalteten sich eher unerfreulich. Es ist bereits angesprochen worden, daß das Konkordat Württembergs mit der katholischen Kirche, das vor seinem Abschluß jahrelang diskutiert wurde, Gerber als einen entschiedenen Gegner stark belastete. Gerbers Vorlesungstätigkeit erstreckte sich erstmals im Wintersemester 1859/60 361 auch auf „Katholisches und evangelisches Kirchenrecht“. Zuvor behanGerber an Ihering, Leipzig, 16. Januar 1867 [256]. Ihering an Gerber, Wien, 31. December 1869 [281], allerdings in Bezug auf die politischen Verhältnisse in Österreich. 356 Wolf, Rechtsdenker, S. 629. 357 Ihering an Gerber, Wien, 9. November 1870 [287]. 358 Ihering an Gerber, Gießen, 22. Januar 1867 [257]. 359 Ihering an Gerber, Gießen, 1. März 1867 [259]. 360 Rudolf v. Ihering an Minna Glaser, Göttingen, 24. Dezember 1891, zitiert bei Losano, Bd. 2, S. 185. 361 Im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1858/59 ist die Veranstaltung bereits angekündigt, aus einem Brief Gerbers an Ihering geht jedoch eindeutig hervor, daß er erstmals 354 355

IX. Die letzten Tübinger Jahre

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delten seine Vorlesungen neben den bereits erwähnten Materien („Deutsches Privatrecht“, „Deutsches und württembergisches Staatsrecht“) Gebiete wie „Württembergisches Privatrecht“, „Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte“ (beide erstmals im Wintersemester 1852/53), „Handelsrecht“ (Wintersemester 1853/54) sowie „Interpretation von Stellen deutscher Rechtsbücher“ (erstmals Wintersemester 1855/56). Die Vorlesung im Kirchenrecht, zu dem er im übrigen nie einen wissenschaftlichen Beitrag veröffentlichte, stellte für Gerber eine schwere Herausforderung dar. Nicht genug damit, daß er sich „zum ersten Male zur Herrschaft eines Stoffes bringen“ mußte, der ihm „bisher völlig fern lag“ und daher genötigt war „eine ganz unglaubliche Masse von Büchern, Broschüren und Heften zu lesen“ 362. Noch belastender war für Gerber das große öffentliche Interesse, das seiner Veranstaltung entgegengebracht wurde. Die Presse beschäftige sich „fortwährend“ mit dem Konkordat, es war „der wichtigste Gegenstand unserer inneren Politik“ 363. Im übrigen gewann die Vorlesung soviel Aufmerksamkeit wohl auch infolge der einflußreichen Stellung des Dozenten als Kanzler der Universität. Gerber bemerkte dazu bescheiden: „... glücklicherweise legt man mir nun eine größere Bedeutung zu als ich habe, indem man auf der einen Seite meine Kammerstellung, auf der anderen Seite meine Stellung zum Gouvernement prämirt.“ 364 Jedenfalls spürte Gerber eine starke Kontrolle von beiden konfessionellen Seiten. Es ist eindeutig, auf welcher Seite seine ganze Sympathie lag, wenn man die Beschreibung seiner Vorlesungsbesucher liest: „Ich sehe nicht bloß protestantische Theologen, sondern auch katholische Theologen mit ihren langen schwarzen Röcken und kleinen Jesuitenhütchen drin.“ 365 Die entschiedene Ablehnung des Katholizismus sollte sich auch später noch als Leitschnur durch sein kirchenpolitisches Wirken ziehen. Infolge des Konkordats, das seiner Meinung nach die katholische Kirche unangemessen bevorzugte, sah Gerber sich 1861, wie bereits erwähnt, gezwungen, die ihm angebotene Position als Kultusminister in Württemberg auszuschlagen. 366 Dies war aber nur einer der Faktoren, die Gerber seine Situation in Tübingen immer unerträglicher machten. Hinzu kam beispielsweise ein Ereignis, das er als persönliche Demütigung empfand. Gerber, der ohnehin unter seiner „widerwärtigen Doppelstellung als Dekan und Kanzler“ 367 litt, hatte gehofft, daß Ihering, nachdem im Wintersemester 1859/60 Kirchenrecht las – vgl. Gerber an Ihering, Tübingen, 17. November 1859 [125]. 362 Gerber an Ihering, Tübingen, 17. November 1859 [125]. 363 Gerber an Ihering, Tübingen, 17. November 1859 [125]. 364 Gerber an Ihering, Tübingen, 17. November 1859 [125]. 365 Gerber an Ihering, Tübingen, 17. November 1859 [125]. 366 Gerber an Ihering, Tübingen, 6. April 1861 [150]; vgl. auch Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 94/95. 367 Gerber an Ihering, Tübingen, 3. Juni 1861 [155].

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

er primo loco vorgeschlagen war, einen Ruf nach Tübingen erhalten werde. 368 Dafür hatte er sich stark eingesetzt, wenn auch unter Hinweis auf die „gewisse Befangenheit“ als „intimster und theuerster Freund“. 369 Als schließlich durch das Ministerium in Stuttgart der Oberjustizassessor Mandry zum ordentlichen Professor des römischen Rechts ernannt wurde370, wogegen sich Gerber zuvor in einem Separatvotum als Kanzler ausgesprochen hatte 371, fühlte sich Gerber „gebeugt und gedemüthigt“ 372 Er durfte dies allerdings nicht zeigen: „Die bösen Buben würden frohlocken.“ 373 Dieser „Schwabenstreich“, wie Ihering sich ausdrückte, nämlich „einen Justizreferendar zum ordentlichen Professor zu machen, zum Nachfolger von Wächter, Fein, Bruns – gegen den erklärten Willen der Fakultät und aller intelligenten Leute“ 374, spiegelte in Gerbers Augen den Niedergang der Tübinger Fakultät wider. Diese habe bald nur noch die Bedeutung einer „Provinzialschule“ 375. Insofern sah Gerber es für seine „weitere wissenschaftliche Wirksamkeit“ als „dringend und absolut notwendig“ an, „auf einen neuen Boden zu kommen und Verhältnissen entzogen zu werden, die mich Tag für Tag mit einem lähmenden Unmuth erfüllen.“ 376 Gerber, der seine Karriere in Tübingen auch der guten Verbindung zu den politischen Entscheidunggsträgern verdankte, sah die ministerielle Einflußnahme auf die Universität nun offenbar mit anderen Augen. Er verglich Tübingen mit einem „Todtenthale; was hier hineinkommt, verstummt in stummer Resignation.“ 377 In der Rückschau betrachtete er die zehn Tübinger Jahre als „unglückliche Lebensperiode“ 378, was aber wohl vor allem auf die privaten Schicksalsschläge zurückzuführen ist. Äußerlich jedenfalls war Gerber in Tübingen mit Ehrungen überhäuft worden: Erst sog. „Vicekanzler“, seit dem Sommersemester 1855 Kanzler der Universität Tübingen, waren seine Verdienste u. a. mit der Ernennung zum Kommissar Württembergs für das ADHGB und mit der Verleihung des persönlichen Württembergischen Adels gewürdigt worden. 379 Auch verlieh ihm der König noch 1861 das Com368 Zum genauen Fortgang der Berufungsverhandlungen, vgl. Gerber an Ihering, Tübingen, 9. Juli 1861 [161]. 369 Gerber an Ihering, Tübingen, 9. Juli 1861 [161]. 370 Gerber an Ihering, Tübingen, 21. Juli 1861 [163]. 371 Gerber an Ihering, Tübingen, 9. Juli 1861 [161]. 372 Gerber an Ihering, Tübingen, 27. Juli 1861 [165]. 373 Gerber an Ihering, Tübingen, 27. Juli 1861 [165]. 374 Ihering an Gerber, Gießen, 23. Juli 1861 [164]. 375 Gerber an Ihering, Tübingen, 19. September 1861 [167]. 376 Gerber an Ihering, Tübingen, 19. September 1861 [167]. 377 Gerber an Ihering, Tübingen, 7. Januar 1862 [177]. 378 Gerber an Ihering, Tübingen, 7. Januar 1862 [177]. 379 Beschorner gibt als Jahr der Adelsverleihung 1861 an, Sächsische Lebensbilder, S. 94; dies erscheint aber zu spät: Bereits seit Sommersemester 1854 wird Gerber im Verlesungsverzeichnis der königlich württembergischen Eberhard-Karls-Universität als Prof. Dr. von Gerber geführt.

X. Ordentlicher Professor und Oberappellationsgerichtsrat in Jena 1862 bis 1863

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mandeurkreuz des Württembergischen Kronenordens 380, der Kanzler war also bei den höchsten Stellen keineswegs in Ungnade gefallen. Vielmehr wurde Gerber noch im November 1861 vom König „in jeder Hinsicht mit auszeichnender Aufmerksamkeit“ 381 behandelt. Dennoch hielt Gerber angesichts der vorher geschilderten Ereignisse und Zustände nichts mehr in Tübingen. Er bat Ihering, wenn er irgend etwas tun könne, ihn wegzubringen, „aber ohne mich als Urheber zu nennen“382. Tatsächlich bewirkte ein Zusammentreffen von Ihering mit dem Jenaer Professor Danz auf Norderney im August 1861 383, daß die Universität auf der Suche nach einem Nachfolger für die Stelle des Ordinarius Michelsen Gerber berief. Gerber schwankte zunächst ein wenig. In Jena wurden ihm 1500 Fl angeboten.384 Dies stellte zwar für dortige Verhältnisse, wie Ihering betonte, „ein enormes Gehalt“ dar, und würde „zugleich in den Augen des Publikums und der Universität die hervorragende Stellung signalisieren ..., die man Dir eingeräumt hätte.“ 385 Dennoch bedeutete es für Gerber einen „Gehaltsverlust von 500 Fl“ und einen „bedeutenden Verlust an sonstigen Einnahmen“ 386, den er seiner Familie nicht glaubte zumuten zu können. Der Entschluß wäre ihm offenbar leichter gefallen, „handelte es sich um Göttingen oder Leipzig“. Hinzu kam, daß Gerber von seinem Bruder, der als „Commissär“ in Jena war, gerade erfahren hatte, die Universität sei „im Sinken begriffen und das dortige Leben sehr wenig ansprechend“.387 Schließlich aber siegte die übergroße Abneigung gegen Tübingen. Am 30. Dezember 1861 nahm Gerber die Jenaer Stelle an und reichte gleichzeitig sein Entlassungsgesuch ein. 388

X. Ordentlicher Professor und Oberappellationsgerichtsrat in Jena 1862 bis 1863 Seine lateinische Antrittsrede in Jena hielt Gerber im Juni 1862 vor etwa 8 Professoren und 5 Studenten, einem für Jenaer Verhältnisse offenbar „enormen Publikum bei solchen Akten“ 389. Die Rede, deren Text nicht mehr auffindbar ist, behandelte laut Gerber die Frage der veränderten Stellung der Justiz der Gegenwart, verglichen mit dem 18. Jahrhundert. Mit dem Inhalt der Rede war Gerber zufrie380 381 382 383 384 385 386 387 388 389

Gerber an Ihering, Nürnberg, 23. Februar 1861 [146]. Gerber an Ihering, Tübingen, 2. November 1861 [169]. Gerber an Ihering, Tübingen, 27. Juli 1861 [165]. Ihering an Gerber, Gießen, 24. August 1861 [166]. Gerber an Ihering, Tübingen, 21. December 1861 [172]. Ihering an Gerber, Gießen, 24. August 1861 [166]. Gerber an Ihering, Tübingen, 27. December 1861 [174]. Gerber an Ihering, Tübingen, 27. December 1861 [174]. Gerber an Ihering, Tübingen, 31. December 1861 [175]. Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189].

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den 390, auch wenn er sie später nicht in die „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ aufnahm. Anders stand es mit dem ebenfalls zu diesem Anlaß gefertigten lateinischen Programm „De pactis hereditariis“, über Erbverträge. An diesem hatte Gerber bereits in Tübingen im Januar acht Tage gearbeitet 391, ohne es fertigzustellen. Insgesamt empfand er das Erfordernis des Lateinischen als etwas „höchst Lästiges“, da er fürchtete „daß ich 2–3 Wochen mit dem Scheller 392 umspringen muß.“ 393 Im Rückblick klagt er, die Arbeiten hätten ihn „mehr Zeit gekostet, als sie wert waren“ 394. Vor allem, weil er die sonst in Jena übliche „fremde Hülfe“ ablehnte, war er gezwungen „eine enorme Zeit auf die Latinität zu verwenden“ 395. Hinzu kam, daß es Gerber angesichts seiner bisherigen Verdienste als demütigend empfand, daß man ihm „zumuthete“, er solle „praestando ope Schelleri [sic] prästiren, um den 4. Platz in der Jenaer Juristenfakultät zu erringen“ 396. Auch inhaltlich war Gerber mit seinem lateinischen Programm unzufrieden. Es handelte sich im wesentlichen um eine Besprechung des Buches „Zur Lehre von den Erbverträgen und von den gemeinschaftlichen Testamenten“ des Göttinger Professors Gustav Hartmann, erschienen 1860. Ursprünglich hatte Gerber darüber einen Artikel für die Jahrbücher liefern wollen 397, wozu es aber aus Zeitmangel nie kam. Die Arbeit war für Gerber eine reine Routineangelegenheit. An Ihering schrieb er, daß er dem Programm „gar keinen Werth beilege, sondern es nur als ein Ding betrachte, mit dem ich formell über den im Wege liegenden Anstand hinweg kommen wollte“ 398. Gewiß spielte bei den Schwierigkeiten, die Gerber bei der Ausarbeitung hatte, auch folgender Gesichtspunkt eine Rolle. Er war, wie er 1863 gestand, „schon seit einigen Jahren in ein Stadium eingetreten, in dem es mir ein dringendes Bedürfniß ist, das Privatrecht auf einige Zeit zu verlassen.“ 399 Es folgte die schon bekannte Klage über seinen niederdrückenden „Mangel an Produktivität“. Im Gegensatz dazu verspürte er eine „wahre Sehnsucht, im Staatsrecht etwas zu schreiben“ 400. Gedacht war dabei offenbar zunächst an einen Band Abhandlungen, wofür er sich schon seit Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]: „Ich glaube, sie war gut.“. Gerber an Ihering, Tübingen, 27. Januar 1862 [179]. 392 Immanuel Johann Gerhard Scheller, „Ausführliches lateinisch-deutsches und deutschlateinisches Wörterbuch, 3. Auflage, Leipzig, 1804–05, 7 Bände, aufgeführt in: Meyers Großes Konversationslexikon, Sechste Auflage, 17. Band, Leipzig 1907. 393 Gerber an Ihering, Jena, 14. Mai 1862 [187]. 394 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 395 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 396 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 397 Gerber an Ihering, Tübingen, 16. Juli 1860 [135]. 398 Gerber an Ihering, Jena, 22., Juni 1862 [189]. 399 Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. 400 Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. 390 391

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Jahren mit „4 oder 5 schönen Stoffen“ 401 trug, zu deren Ausarbeitung er jedoch nach seiner Einschätzung zwei Jahre Zeit benötigen würde. Tatsächlich war Gerber in seinem Jenaer Jahr literarisch nicht besonders produktiv. Er überarbeitete das „System des Deutschen Privatrechts“, das in achter Auflage 1863 erschien, insbesondere auf dem Gebiet des Handelsrechts. Das Vorwort ist allerdings bereits Leipzig, 20. Juni 1863, datiert. 402 Ebenfalls 1863 erschien, wie bereits erwähnt, der letzte Aufsatz Gerbers für die „Jahrbücher“, „Reallast oder Realschuld?“. Die Zeitkalkulation Gerbers für das beabsichtigte staatsrechtliche Werk erwies sich als zutreffend. Die „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts“ erschienen erst 1865 in Leipzig. Das einzige zivilrechtliche Gebiet, auf dem zu arbeiten Gerber in Jena eine starke Neigung verspürte, war das Handelsrecht. Gerber war im April 1862 durch den Buchhändler Tauchnitz das Angebot gemacht worden, einen Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, an dessen Entstehung er maßgeblich mitgewirkt hatte, zu schreiben. 403 Trotz seiner anfänglichen Begeisterung konnte Gerber diesen Plan nicht verwirklichen. Sein Jenaer Kollege Hahn 404, der ebenfalls der ADHGB-Kommission angehört hatte, ließ nämlich, wie sich im Gespräch ergab, zur selben Zeit bereits einen derartigen Kommentar drucken. Nach Gerbers Empfinden wäre ein zweiter Kommentar eine Rücksichtslosigkeit gegenüber Hahn gewesen, zumal er feststellte, daß dieser ohnehin Gerbers Berufung nach Jena „als eine erdrückende Konkurrenz auffaßt, und sich der Hoffnung hingibt, daß er wenigstens das Handelsrecht frei erhält“. 405 Auf keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, „daß ich seine Arbeit ohne sie zu kennen für so werthlos hielte, daß ich sie durch eine bessere ersetzen müßte.“ 406 Statt dessen kam Gerber in Jena dazu, ein seit längerem geplantes Projekt durchzuführen. In nur fünf Tagen arbeitete er eine „ganz genaue Personenschilderung und Darstellung des Ganges der Handelsgesetzconferenz“407 aus. Mit dem Gedanken, seine „Beobachtungen und Erfahrungen“ hinsichtlich der Nürnberger und Hamburger Konferenzen „verbunden mit der geheimen Geschichte des Ganzen“ aufzuzeichnen, hatte er sich bereits in seiner Tübinger Zeit getragen. 408 Allerdings war von AnGerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. Vgl. Losano, Bd. 2, S. 282. 403 Gerber an Ihering, Weimar, 19. April 1862 [183]. 404 Friedrich v. Hahn (1823–1897) studierte in Heidelberg und Jena, wo er auch promoviert wurde und von 1847 bis 1872 als Lehrer der Rechte tätig war, seit 1862 als ordentlicher Professor. Anschließend wurde er Mitglied des Reichsoberhandelsgerichts, 1879 des Reichsgerichts, wo er schließlich als Senatspräsident fungierte. Vgl. im einzelnen Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 275. 405 Gerber an Ihering, Jena, 24. April 1862 [185]. 406 Gerber an Ihering, Jena, 24. April 1862 [185]. 407 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 408 Gerber an Ihering, Tübingen, 8. December 1861 [170]. 401 402

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fang an geplant, das Vorhaben nur „privatim, d. h. nicht für den Druck und die Öffentlichkeit“ 409 auszuführen. Vermutlich hatte Gerber von einigen seiner Mitkommissare ein wenig schmeichelhaftes Bild zu zeichnen und strebte aus dem für ihn charakteristischen Harmoniebedürfnis danach, eine öffentliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Jedenfalls wollte Gerber sein Werk nicht aus der Hand geben, war aber gleichzeitig „froh, diese Arbeit zum ewigen Gedächtniß gemacht zu haben“ 410. Die Aufzeichnungen Gerbers sind offenbar nicht erhalten, was sehr bedauerlich ist, da sie ein detailliertes Bild von den Hintergründen der Handelsgesetzkonferenzen vermitteln könnten. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit gab die mit dem Professorenamt verbundene Stellung als Oberappellationsgerichtsrat Gerber auch Gelegenheit zur Betätigung als Praktiker des Rechts. Von den zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu gebildeten Oberappellationsgerichten galt das Jenenser wegen dieser institutionalisierten Beteiligung des akademischen Elements an der Richterschaft als besonders bemerkenswert. 411 Als oberster Gerichtshof für viele kleine Einzelstaaten bewältigte es die sich aus dieser Situation ergebenden Schwierigkeiten nach allgemeiner Einschätzung mit Bravour. Seine Rechtsprechung galt im Vergleich zu den meisten deutschen Obergerichten als ausgesprochen fortschrittlich. 412 Gerbers Vorlesungen waren in Jena sehr erfolgreich. Im Sommersemester 1862 las er Deutsches Privat- und Lehnrecht 413 und hatte seinen Angaben nach 28 Hörer. Im seinem zweiten Semester, dem Wintersemester 1862/63 hörten bei ihm 24 Studenten Staatsrecht und 14 Kirchenrecht. 414 Zu den anderen Professoren hatte er ein wesentlich besseres Verhältnis als in Tübingen, wo ständig ein „tückischer Schlangenbiß von einem Schurken von Collegen“ 415 gedroht hatte. Besonders schätzte er August Heinrich Emil Danz416, der ja auch seine Berufung vermittelt hatte. Er sah in ihm ein „leichtes Naturell, mit dem sich ungemein bequem verkehrt, eben ein braver, guter Mensch“. 417 Danz hatte übrigens schon zu Gerbers früherer Zeit als Privatdozent und außerordentlicher Professor an der Universität Jena gelehrt, anscheinend ohne daß es zwischen den beiden zu einem näheren Kontakt gekommen war. Nun aber entwickelte sich ihr Verhältnis ausgesprochen freundschaftlich. Die Beziehung dauerte auch über Gerbers Jenaer Gerber an Ihering, Tübingen, 8. December 1861 [170]. Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 411 Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, S. 30. 412 Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, S. 30. 413 UA Jena, GI Lehrveranstaltungen. 414 Gerber an Ihering, Jena, 1. November 1862 [195]. 415 Gerber an Ihering, 22. Juni 1862 [189]. 416 August Heinrich Emil Danz (1806–1881) studierte bei Savigny und wurde 1843 Professor und Oberappellationsgerichtsrat in Jena. Von seinen Werken war vor allem sein „Lehrbuch der Geschichte des Römischen Rechts“ bekannt, vgl. Losano, Bd. 2, S. 349. 417 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 409 410

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Jahr hinaus, wie sich aus den Briefen Gerbers im Nachlaß von Danz ergibt, die von 1866 bis 1869 datieren. 418 Der Ton der Briefe, in denen Danz als „liebster alter Freund“ 419 angeredet wird, ist vertraulich. Es ist von einem geplanten Besuch Gerbers in Jena und auch davon die Rede, daß Danz beim Sohn Gerbers dessen „väterliche Autorität“ untergrabe. 420 Besonderes Interesse zeigte Danz offenbar für die Teilnahme Gerbers am konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, worauf noch eingegangen wird. In seinen Erwartungen an den ihm seit längerem bekannten Kollegen Hahn sah sich Gerber etwas getäuscht, da dieser trotz der erwiesenen Rücksichtnahme den Eindruck vermittelte, „als wenn ihm mein Kommen unangenehm gewesen wäre“ 421. Was Burkard Wilhelm Leist 422 betraf, so war man „freundlich umeinander herum gegangen“, ohne sich „irgend nahe zu kommen.“ 423 Das äußerlich ungetrübte Verhältnis zu seinen Kollegen änderte nichts daran, daß für Gerber feststand: „... innere Verbindungen werde ich mit neuen Menschen nicht mehr knüpfen“. Es genügte ihm vollkommen, „drei ganze und wahre Freunde in der Welt zu haben“ 424. Dazu zählte er Ihering, Scheurl und Louis von Gemmingen 425, der mit seiner Frau in Tübingen zum engsten Freundeskreis Gerbers gehört hatte.426 Insgesamt fühlte sich Gerber in Jena nach den in Tübingen erlittenen seelischen Strapazen ausgesprochen wohl. Er hatte „gar keinen äußeren Ehrgeiz mehr“ und konstatierte mit Behagen, „daß der thüringisch-sächsische Stamm zum Leben außerordentlich bequem ist“ 427. In Jena lernte Gerber wieder „einen Schimmer von dem ..., was man Lebensgenuß nennt“, kennen, „eine herrliche Gegend, keine Amtssorgen ...“. 428 „Orden, Titel, akademische Ehren“ erschienen ihm nicht länger UB Jena, Nachlaß Danz 2.29 a–d, 2.100, 2.101. Gerber an Danz, Berlin, 8. April 1867, UB Jena, NL Danz 2.29 a. 420 Gerber an Danz, Leipzig, 25. März 1869, UB Jena, NL Danz 2.29 d. 421 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 422 Burkard Wilhelm Leist (1819–1906) studierte in Heidelberg, Göttingen und Berlin, wurde 1842 in Göttingen Privatdozent und anschließend ordentlicher Professor in Basel und Rostock. 1853 nahm er einen Ruf nach Jena an und blieb dort bis zu seinem Tod. Er schrieb fünf Bände der Fortsetzung von Glücks Pandektenkommentar, vgl. im einzelnen Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten S. 350 f. Vgl. auch Eyk Ueberschär, Die Entwicklung der bürgerlichen Rechtsperson und die Pandektenlehre des Burkard Wilhelm Leist (11.7.1819–31.12.1906), Jena 1993. 423 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. Immerhin vergaß Gerber in einem späteren Brief an Danz nicht, einen „herzlichen Gruß an Leist“ ausrichten zu lassen, Gerber an Danz, Leipzig, 18. April 1867, UB Jena, NL Danz 2.100. 424 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 425 Louis v. Gemmingen entstammte dem Adelsgeschlecht mit gleichnamigem Stammhaus im Kraichgau, vgl. Losano, Bd. 2, S. 358, NDB 6, S. 178 f. 426 Der Nachlaß Gerbers im Hauptstaatsarchiv Dresden II, 14, 109 enthält zwei Briefe Louis von Gemmingens sowie einen Brief seiner Frau Julie aus den Jahren 1861 und 1862. 427 Gerber an Ihering, Jena, 1. November 1862 [195]. 428 Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. 418 419

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

wichtig; er hatte ohnehin „mehr davon als man braucht“. 429 Dem Ehrgeiz und der Eitelkeit, nach Gerber eine „Hauptprofessorenkrankheit“, wollte er abschwören und statt dessen für sich selbst, seine Familie und seine Wissenschaft „still und unangefochten leben.“ 430 Doch auf Dauer war dieses beschauliche Leben wohl doch nicht mit Gerbers Ambitionen, die trotz aller gegenteiligen Beteuerungen lebendig waren, zu vereinbaren. Er fürchtete, sich „in dem Genuß der lieblichen Jenaer Behaglichkeit zu verlieren“ 431. Bereits im Januar 1863 nahm er einen Ruf an die Universität Leipzig an, denn er glaubte, „es meiner Lebensaufgabe schuldig zu sein, den größten mir gebotenen Wirkungskreis anzunehmen“ 432. Sein Entschluß faßte er auch aus einem anderen Grund. Gerber war in Jena der höchstbesoldete Professor und sah sich daher „genöthigt, mit einer Reihe von Menschen in gesellschaftlichen Verkehr zu treten, deren Verbindung nicht Sache meiner Wahl wäre“ 433. Daß seine Wahl auf Leipzig fiel, war nicht allein auf Größe und Ansehen der dortigen Juristenfakultät zurückzuführen, die auf dem Weg war, die bedeutendste deutsche Fakultät neben, wenn nicht sogar vor Berlin zu werden. 434 Vielmehr reizte ihn die erhoffte „Leipziger Isolirung“, die in der „Zusammenhanglosigkeit der dortigen Professoren“ begründet war. Nach seinen leidvollen Tübinger Erfahrungen waren Gerber alle gesellschaftlichen Verpflichtungen zuwider. Offenbar befürchtete er trotz des vielversprechenden Anfangs in Jena ähnlich belastende Konstellationen wie in der schwäbischen Kleinstadt, so daß er „fort aus kleinen Universitätsverhältnissen, wo man in eine Fügung der Professorensocialität hineintritt“ 435, strebte. Auch familiäre Rücksichtnahme sprach für einen Umzug nach Leipzig, da so der älteste Sohn Richard „aus den elenden hiesigen Schulanstalten auf ein ordentliches Gymnasium“ 436 überwechseln konnte. So beendete Gerber am 15. März 1863 seine Vorlesungen und siedelte Anfang April nach Leipzig über. Die Jenaer Episode kam ihm nach eigenem Bekunden „nicht wie ein Lebensabschnitt, sondern mehr wie der Schluß einer akademischen Badesaison vor.“ 437

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Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. Gerber an Ihering, Jena, 22. Juni 1862 [189]. Gerber an Ihering, Jena, Januar 1863 [205]. Gerber an Ihering, Jena, Januar 1863 [205]. Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. Kern, Juristenfakultät, S. 65. Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211].

XI. Ordentlicher Professor in Leipzig 1863 bis 1871

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XI. Ordentlicher Professor in Leipzig 1863 bis 1871 Seit dem Sommersemester 1863 war Gerber in Leipzig Ordinarius für deutsches Privat-, Staats- und Kirchenrecht. Auf Wunsch seines alten Lehrers Albrecht war eine weitere Professur für dessen Fächer eingerichtet worden, und die Fakultät hatte Gerber einstimmig „primo loco“ vorgeschlagen. 438 Leipzig war in diesen Jahren, wie bereits erwähnt, auf dem Weg, mit die bedeutendste Juristische Fakultät in Deutschland zu werden. 439 Zunächst war Gerber der Meinung, daß die Besoldung von 2000 Fl für Leipzig in Relation zu seinem Jenaer Gehalt mäßig sei. 440. Er erfuhr jedoch bald, daß er „nächst Wächter der höchstbesoldete [Hervorhebung durch Gerber] Jurist“ war und nach ihm Albrecht mit 1800 Fl kam. 441 Hinzu kam, daß er sich schon immer danach gesehnt hatte, in Leipzig zu lehren. 442 Seine Antrittsvorlesung hielt Gerber am 25. April 1863 in der Leipziger Aula über die Nachdruckgesetzgebung 443, ein Thema, das wie geschaffen für die Metropole des deutschen Buchhandels schien. In Teilen wurde diese Vorlesung in den später veröffentlichten Band „Gesammelte juristische Abhandlungen“ aufgenommen444. Unter dem Titel „Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“ gab Gerber im Teil I eine Abhandlung wieder, die bereits 1859 in den „Jahrbüchern“ 445 veröffentlicht worden war. Teil II ist „aus einer späteren akademischen Rede“ von 1863, nämlich Gerbers Leipziger Antrittsvorlesung entnommen. Im Sommersemester 1863 las Gerber „Deutsches Staats- und Bundesrecht“ und „Kirchenrecht“, wie übrigens auch in den fünf kommenden Sommersemestern (ab 1867 entfiel das „Bundesrecht“). Die Staatsrechtsvorlesung war von Anfang an ein großer Erfolg, Gerber konnte „wieder 70–80 Hörer“ 446 verzeichnen. Im Wintersemester bot Gerber „Deutsches Privatrecht“ (nach seinem „System des deutschen Privatrechts) sowie „Lehnrecht“ an. Im Wintersemester 1867/68 las er zudem „Über einzelne Theile des Handelsrechts auf Grund des deutschen Handelsgesetzbuchs“. Seit dem Wintersemester 1868/69 hielt er die Vorlesungen „Deutsche Rechtsgeschichte“ 447 und „Kirchenrecht“. Gerber an Ihering, Jena, Januar 1863 [205]. Kern, Juristenfakultät, S. 65. 440 Gerber an Ihering, Jena, Januar 1863 [205]. 441 Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. 442 Ihering an Gerber, Gießen, 24. Januar 1863 [206]: „Du erinnerst Dich, daß Dein Verlangen immer nach Leipzig stand ...“. 443 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 95. 444 Gerber, Abhandlungen, S. 261 ff. 445 Jahrbücher, Bd. 3, S. 359. 446 Gerber an Ihering, Leipzig, 13. Mai 1863 [214]. 447 Seit Wintersemester 1869/70 „Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte“. 438 439

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Gerber lebte sich in der „neuen großen Stadt“ 448 gut ein, wenn er auch zeitweilig unter dem „gräulichsten Meßspektakel“ 449 litt. Dem Personalverzeichnis der Universität Leipzig ist zu entnehmen, daß der königlich sächsische Geheime Justizrath, Comthur des Ordens der württembergischen Krone, Ritter des k. k. österreichischen Leopoldordens und des königlich preußischen rothen Adler-Ordens 3. Classe 450 in der Schützenstraße 15–16 wohnte. 451 Seiner produktiven Kraft tat der Ortswechsel gut. In seinem ersten Semester konstatierte er, er habe „diesen Sommer über mit einer Liebe und Hingabe gearbeitet, wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr, und wieder ganz das Glück einer reinen wissenschaftlichen Freude gehabt“ 452. Gerber stellte endlich die achte, erweiterte Auflage seines „Systems des deutschen Privatrechts“ fertig, wobei er „große Arbeit“ aufzuwenden hatte, da es „viel hinzuzusetzen und zu ergänzen“ 453 gab. Dabei empfand er große Befriedigung, da seiner Ansicht nach das Buch „mit mir gewachsen“ war. Es trage überall „die Merkmale meiner eigenen Entwicklung“ und könne „wie wenige Bücher als ein rechter Ausdruck der Persönlichkeit des Autors gelten.“ 454 Nach dieser erfolgreichen Überarbeitung konnte sich Gerber nun „anderen Studien widmen, nach denen ich wahrhaft lechze.“ 455 Er verlegte sich auf „die Entwicklung einer ganzen Reihe staatsrechtlicher Fragen“, die er einem „einzigen Centralpunkte“ 456 zuzuführen versuchte. Seine Methode sah er darin, „Frage für Frage einzeln ... zu beantworten“, um „schließlich den ganzen Knoten schürzen und wieder lösen zu können“ 457. Sein großes Ziel war ein Buch, „das als eine wissenschaftliche juristische Arbeit in einem Gebiete gelten kann, das gegenwärtig theils von Schwätzern wie Bluntschli 458 und Mohl 459, theils von dürren Beschreibern wie Zachariä 460 Gerber an Ihering, Leipzig, 13. Mai 1863 [214]. Gerber an Ihering, Leipzig, 13. Mai 1863 [214]. 450 Auszeichnungen Gerbers für seine Tätigkeit bei der Ausarbeitung des ADHGB. 451 Personal-Verzeichnis der Universität Leipzig für das Sommersemester 1863; ab Sommersemester 1868 wohnte Gerber in der Querstraße 22, zum Wintersemester 1870/71 zog er in die Pfaffendorfer Straße 23 um. 452 Gerber an Ihering, Leipzig, 19. Juni 1863 [215]. 453 Gerber an Ihering, Leipzig, 19. Juni 1863 [215]. 454 Gerber an Ihering, Leipzig, 19. Juni 1863 [215]. 455 Gerber an Ihering, Leipzig, 19. Juni 1863 [215]. 456 Gerber an Ihering, Leipzig, 15. November 1863 [219]. 457 Gerber an Ihering, Leipzig, 15. November 1863 [219]. 458 Johann Kaspar Bluntschli (1808–1881) zunächst Professor in Zürich, dann in München und Heidelberg (vgl. Losano, Bd.2, S. 342) war zuvor schon auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts ein wissenschaftlicher Antipode Gerbers. 459 Zu Robert v. Mohl vgl. oben Erster Teil, Kapitel VI. 460 Heinrich Albert Zachariae (1806–1875) studierte in Göttingen, wo er schließlich auch Ordinarius wurde. Sein „Deutsches Staats- und Bundesrecht“ erschien in erster Auflage 1841; im einzelnen vgl. Lingelbach in HRG V, Sp. 1594 ff.; vgl. auch Dagmar Bandemer, Heinrich Albert Zachariae, Rechtsdenken zwischen Restauration und Reformation, zugleich ein Ver448 449

XI. Ordentlicher Professor in Leipzig 1863 bis 1871

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beherrscht wird.“ 461 Tatsächlich unternahm es Gerber in seinen 1865 erschienenen „Grundzügen eines Systems des deutschen Staatsrechts“, die streng juristische, positivistische Methode, die er bereits für den Bereich des Zivilrechts entwickelt hatte, auf das Staatsrecht zu übertragen. Nach einer jahrelangen produktiven Krise – seit der Abhandlung „Über öffentliche Rechte“ 1852 waren nur noch einzelne Aufsätze zu verzeichnen – hielt sich Gerber bereits für „geistig bankrott“ 462. Er war auf der Suche nach einer „Arbeit, die seiner Natur assimilierbar“ 463 war, ohne diese zu finden. Schließlich aber hatte Gerber, „die lang erstrebte congeniale Arbeit“ 464 vor Augen. Während des Prozesses, in dem er „das Werk seines Lebens nun langsam reifen“ 465 ließ, hatte seine Arbeit ihn völlig absorbiert. Sie habe „eine solche Herrschaft über mich gewonnen, daß ich fast nichts anderes thue und treibe“. 466 Ein wesentlicher Antrieb war für Gerber, daß er bei dem gewählten Stoff „eine nicht gewöhnliche Erfahrung und Beobachtung“ 467, gewonnen bei seiner praktischen politischen Arbeit in Stuttgart, einbringen konnte. Gerber beschrieb das Staatsrecht nicht nur aus der Perspektive des Theoretikers, sondern konnte auch auf seine eigenen unmittelbaren Erfahrungen mit der Staatsmacht zurückgreifen. Hier erkannte er seine Domäne, sowohl im theoretischen wie im praktischen Ansatz. Er habe „die Überzeugung gewonnen, daß ich hier noch etwas sagen kann, was Andere nicht, oder nicht so gut sagen können.“ 468 Gerber beschränkte sich in seiner Darstellung auf grundlegende Prinzipien Seine Gliederung besteht aus vier Abschnitten: 1. Staatsgewalt, 2. Organe des Staates (Monarch und Landstände), 3. Formen der Willensäußerung des Staates und 4. Rechtsschutz im Gebiet des Staatsrechts. Verwaltungsrechtliche Detailfragen werden nicht behandelt. 469 Gerber konnte in Ermangelung eines einheitlichen deutschen Staats kein bestimmtes positiv geltendes Recht darstellen, sondern nur die Grundprinzipien, die sich in allen deutschen Partikular-Staatsrechten fanden. Sein Schwerpunkt lag damit nicht im praktischen Nutzen (auch wenn er auf praktische Erfahrungen in der Politik zurückgreifen konnte), sondern in der Systematik und such, die Gerechtigkeitstheorie anhand der Begriffe von Staat und Gesellschaft auszudeuten, Frankfurt 1984. 461 Gerber an Ihering, Leipzig, 15. November 1863 [219]. 462 Gerber an Ihering, Leipzig, 18. October 1864 [228]. 463 Gerber an Ihering, Leipzig, 18. October 1864 [228]. 464 Gerber an Ihering, Leipzig, 18. October 1864 [228]. 465 Gerber an Ihering, Leipzig, 18. October 1864 [228]. 466 Gerber an Ihering, Leipzig, 12. Februar 1865 [231]. 467 Gerber an Ihering, Leipzig, 12. Februar 1865 [231]. 468 Gerber an Ihering, Leipzig, 12. Februar 1865 [231]. 469 Vgl. Gerber, Grundzüge, S. IX: „Ich scheide den grössten Theil des Stoffes, den man unter dem Namen „Verwaltungsrecht“ zu begreifen pflegt, aus, indem er nach meiner Ueberzeugung mit dem Staatsrecht in keinem engeren Zusammenhang steht ... Seine Verbindung und Vermischung mit dem Staatsrecht kann nur zu einer Trübung des dem letzteren eigenthümlichen wissenschaftlichen Princips führen.“

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Dogmatik. Dabei erhob er in seinem mit 208 Seiten verhältnismäßig schmalen Werk nicht den Anspruch, einer ausgeführten „Darstellung des gesamten deutschen Staatsrechts“. Vielmehr ging es ihm um eine „Revision seiner Grundbegriffe in der knappen Fassung von Grundlinien eines dogmatischen Systems“. 470 Soweit Gerber in seiner Vorrede, die er Leipzig, 30. März 1865 datierte. 471 Gerber verfolgte mit dem Buch das Ziel, „das eigentliche juristische Denken in einen Stoff einzuführen, der bisher nur laienhaft, d. h. mit dilettantischer Philosophie und politisierendem Klugmannsraisonnement“472 behandelt worden sei. Die „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts“ waren „Herrn Wilhelm Eduard Albrecht als Zeichen inniger Verehrung und Freundschaft zugeeignet“. Tatsächlich verdankte Gerber seinem akademischen Lehrer die wesentliche Idee von der juristischen Persönlichkeit des Staates. In seiner bahnbrechenden „MaurenbrecherRezension“ hatte Albrecht bereits 1837 als erster die Formel von der Rechtspersönlichkeit des Staates in strenger juristischer Konsequenz als dogmatischen Zentralbegriff des Staatsrechts dargestellt. 473 In „Ueber öffentliche Rechte“ hatte Gerber sich diesem Staatsbegriff noch nicht angeschlossen, auch wenn er es begrüßte, daß dadurch versucht werde, „den Staat auf eine objektive Basis zu stellen“ 474. Jahre später nun war Gerber – wohl auch durch die Leipziger Gespräche mit seinem alten Lehrer – zu der Überzeugung gekommen, daß Albrechts Theorie einen „unverrückbaren Ausgangspunkt der juristischen Erkenntnis des Staates“ 475 bildete. Von den Leipziger Professoren, unter ihnen alte Bekannte wie Hänel und Waechter, insgesamt alle „würdige und angenehme Kollegen“ 476, war Albrecht der engste Vertraute Gerbers. Dieser hatte Gerbers Berufung betrieben, weil er den Schüler, der ihm von allen am nächsten stand, in Leipzig an seiner Seite wissen und die Bedeutung der von beiden vertretenen Fächer (Deutsches Privat- und Staatsrecht, Kirchenrecht, Rechtsgeschichte) gestärkt sehen wollte. 477 Zwischen beiden Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, S. VIII f. Mit Gerbers staatrechtlichem Werk beschäftigen sich zahlreiche neuere Veröffentlichungen. Zu erwähnen ist insbesondere Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, Tübingen 1993. Daneben wird auf Gerber Bezug genommen von Ellwein, Die Fiktion der Staatsperson, eine Skizze, Baden-Baden 1990 oder Hisao Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: FS für Scupin, 1983. Instruktiv auch frühere Schriften wie Bärsch, Der Gerber-Laband’sche Positivismus, 1872 oder Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, 1964. Auch neuere grundlegende Werke wie Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 1997 oder Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, behandeln Gerber. 472 Gerber an Ihering, Leipzig, 20. Juni 1865 [234]. 473 Borsdorff, Albrecht, S. 313, mit weiteren Nachweisen. 474 Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 15. 475 Gerber, Grundzüge, 2. Auflage, S. 219. 476 Gerber an Ihering, Leipzig, 13. Mai 1863 [214]. 477 Borsdorff, Albrecht, S. 74. 470 471

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gab es befruchtende wissenschaftliche Diskussionen.478 Zu Gerbers Tagesablauf gehörte unausweichlich „zwischen 4–6 ein Spaziergang und eine Parthie Billard mit Albrecht“. 479 Dennoch bestand, wahrscheinlich auch wegen des Generationsunterschieds, zwischen den beiden keine Freundschaft im eigentlichen Sinne. So klagt Gerber später über mangelnde Anregung in Leipzig, da ihm die „persönliche Nähe eines gleichgesinnten Freundes“ 480 vollständig fehle. Albrecht stehe ihm nur „ex vinculis heraus“ nahe, sonst sei „effectiv Niemand“ vorhanden. 481 Durch welche „Fesseln“ Albrecht und Gerber verbunden wurden, bleibt dabei unklar. Vielleicht spielt Gerber auf die gemeinsam vertretenen Fach- und Interessengebiete an. Von Seite der Studenten wurde festgestellt, daß Albrecht, „scharfsinnig bis zu äußersten Grenze, verbissen und schwer umgänglich“, und der ausgeglichene und verbindliche Gerber „in ihrer Vortragsweise und Persönlichkeit die schroffsten Gegensätze, die man sich vorstellen kann“ 482 darstellten. Es gehört zur Widersprüchlichkeit Gerbers, daß er, nachdem er die „Zusammenhanglosigkeit“ der Professoren ursprünglich als großen Vorteil Leipzigs angesehen hatte, nun wieder darüber klagte, es vergingen „oft 14 Tage, ohne daß ich einen meiner juristischen Kollegen zu Gesicht bekomme“ 483. Er schien unter der „Leipziger Art, sich um einander nicht zu bekümmern“ 484 stärker zu leiden, als zuvor geahnt. Auch seine Vorsätze, sich vom gesellschaftlichen Leben der akademischen Öffentlichkeit fernzuhalten, waren schnell vergessen. So berichtete er beispielsweise schon 1864 mit Vorfreude: „Heute haben wir bei Wächter ein großes Diner, zu dem auch die Hallenser Professoren der Juristenfakultät eingeladen sind.“ 485 Ebenso schwand der Widerwillen gegen die Übernahme von Ämtern. Zweimal hintereinander, 1865/66 und 1866/67, ließ er sich von der Leipziger Universität zum Rektor wählen. 486 Daneben bekleidete er in den Jahren 1868/69 und 1870/71 das Amt des Dekans der Juristenfakultät. 487 Der alte Ehrgeiz war deutlich wieder zu spüren, wenn Gerber beispielsweise schilderte, wie er als Rektor einen Besuch des sächsischen Königs betreute und feststellte, daß „ein Besuch solcher Art geeignet ist, die ganze Universität zu heben und zu ehren“. 488 Mit unverhohlener Befriedi478 Gerber an Ihering, Leipzig, 8. Juni 1864 [224]: bezogen auf die Successionsordnung: „Ich spreche oft mit Albrecht darüber; eben noch ist er nicht von unserer Meinung überzeugt.“ 479 Gerber an Ihering, Leipzig, 12. Februar 1865 [231]. 480 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 481 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 482 Fischer, JZ 1909, Sp. 934. 483 Gerber an Ihering, Leipzig, 20. Juli 1865 [234]. 484 Gerber an Ihering, Leipzig, 26. Mai 1870 [285]. 485 Gerber an Ihering, Leipzig, 8. Juni 1864 [224]. 486 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 97. 487 Beschorner, ADB, S. 298. 488 Gerber an Ihering, Leipzig, 21. Februar 1866 [241].

6 Schmidt-Radefeldt

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gung blickte Gerber als Rektor auch auf seinen maßgeblichen Beitrag zum Entwurf von akademischen Gesetzen für Studierende zurück.489 Es zeichnete sich also schnell ab, daß Gerber in der wissenschaftlichen Arbeit allein trotz aller gegenteiligen Beteuerungen keine Befriedigung fand. Als Dekan gab Gerber auch zwei Veröffentlichungen anläßlich des Andenkens an Christian Friedrich Kees heraus. Dieser Leipziger Hofrat, verstorben am 12. Februar 1843 490, war ein Gönner der Juristenfakultät gewesen, die zu seinem Todestag alljährlich eine Feierstunde abhielt. 491 1869 erschien von Dekan Gerber zu dieser Gelegenheit „Erörterungen zur Lehre vom deutschen ehelichen Güterrechte“, der Neudruck einer Abhandlung, die Gerber bereits im Jahr zuvor veröffentlicht hatte. 1871 wurden zum gleichen Anlaß Gerbers „Bemerkungen zum ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuchs“ veröffentlicht. Ebenfalls beglückwünschte Gerber als Dekan am 13. August 1871 Waechter zu dessen 50jährigen Professorenjubiläum. 492 Die Festschrift zu diesem Anlaß enthält eine Abhandlung Gerbers über die 35 Ordinarien der Juristenfakultät von Conrad Thus bis Carl Georg v. Waechter. Die Einleitung bildet eine Rede Gerbers an die Adresse des Jubilars, in der sein wissenschaftliches Wirken in fünfzig Jahren, einschließlich der politischen und legislatorischen Arbeit, gewürdigt wird. 493 Einen dauerhaften Kontakt knüpfte Gerber in Leipzig zu Friedrich Zarncke, Germanistikprofessor und Herausgeber des „Literarischen Centralblatts für Deutschland“. In der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Leipzig werden 65 Briefe Gerbers an Zarncke, datiert zwischen 1864 und 1891, aufbewahrt. 494 Ursprünglich auf beruflichen Interessen basierend, da Gerber Rezensionen im „Centralblatt“ veröffentlichete 495, entwickelte sich die Beziehung der beiden zunehmend freundschaftlich. Selbst in Gerbers Dresdner Ministerzeit, in der ihm nur wenig Raum für persönliche Korrespondenz bleibt, riß der Strom der Briefe nicht ab. Inhaltlich ging es zumeist um die Zeitschrift. Es zeigte sich hier, daß Gerber immer noch regen Anteil an der Wissenschaft nahm und sogar als Minister noch die Zeit Gerber an Ihering, Leipzig, 21. Februar 1866 [241]. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 21. 1843, kurze Todesanzeigen Februar, DBA 538. 491 Kees hatte in seinem Testament von 1837 der Universität fünfzehntausend Taler vermacht, deren Zinsen unter vier bis fünf juristische Dozenten, die noch keine ordentliche Professur erlangt hatten, verteilt werden sollte, vgl. Gerber, Bemerkungen, S. 20. 492 Whistling, Beilage zum Leipziger Tageblatt, 24. Dezember 1891. 493 Gerber, Die Ordinarien der Juristenfacultät zu Leipzig, S. 3 ff. 494 UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249. 495 Die Publikation der Rezensionen im „Centralblatt“ erfolgte leider in der Regel anonym, so daß nur aufgrund der Korrespondenz mit Zarncke einige Rezensionen als aus der Feder Gerbers stammend identifiziert werden konnten: So rezensierte Gerber u. a. Bährs „Rechtsstaat“, Labands „Staatsrecht des deutschen Reiches“ und den ersten Band von Roths „System des deutschen Privatrechts“, zu letzterem vgl. Zweiter Teil, Kapitel IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten. 489 490

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fand, Rezensionen zu verfassen. 496 Teilweise ist der Briefwechsel auch offizieller Natur und nicht eigenhändig von Gerber geschrieben, so wenn Zarncke durch das Kultusministerium vertretungsweise der Vorsitz der wissenschaftlichen Prüfungskommission übertragen wird. 497 Es finden sich aber auch persönlichere Mitteilungen, wenn Gerber beispielsweise seinen „innigen Dank“ für einen gelungenen gemeinsamen Abend ausspricht und den zweiseitigen Brief „mit den herzlichsten Wünschen in aller Freundschaft“ schließt. 498 Noch in seinem Todesjahr 1891 bedankte sich Gerber mit einer Karte für die von Zarncke erhaltenen Glückwünsche zum 68. Geburtstag. Der Leipziger Professor ging ihm schon im Oktober desselben Jahres in den Tod voraus. Die Einzelheiten der akademische Tätigkeit Gerbers in Leipzig lassen sich nur schwer rekonstruieren. 499 Gerber selbst resümierte die Entwicklung der Juristenfakultät gegen Ende seiner Tätigkeit 1871 folgendermaßen: „Unsere Universität nimmt mehr und mehr einen großartigen Aufschwung.“500 Jedoch sah er auch Schattenseiten dieser Entwicklung, den Verlust von Individualität: „Leipzig hatte bis in die letzten Jahrzehnte eine besondere und selbständige, manchmal isolirte Stellung gegenüber den anderen deutschen Universitäten. Die Leute waren hier anders als anderswo.“ 501 Nun aber habe man „bei den massenhaften neuen Berufungen lauter Leute der uniformierten Art, wie sie jetzt überall sonst zu finden sind“ nach Leipzig gezogen, „aber von ihnen, weil man die Mittel hat, die besten.“ 502 Daher sei auch hier „das in religiöser und politischer Beziehung radikale Professorenthum zur Herrschaft gekommen, das nach einer einzigen, höchst einförmigen Schablone gearbeitet ist.“ 503 Diese Professoren seien durch eine „merkwürdige Gleichartigkeit der Gesinnung“ gekennzeichnet: „lauter gute Techniker ihres Faches, aber selten ein Individuum.“ 504 Welche seiner Fachkollegen ihm bei dieser Charakterisierung vor Augen standen, ließ Gerber offen, vermutlich, um sich in Leipzig keine Feinde zu schaffen. 496 Vgl. Gerber an Zarncke, Dresden, 28. Januar 1876, UB Leipzig NL Zarncke [25], wo von einer Rezension des Laband’schen Staatsrechts die Rede ist, oder Gerber an Zarncke, Dresden, 14. März 1880, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249, wo Gerber sich anbietet, Roths „System des deutschen Privatrechts“, Bd. 1 zu besprechen. 497 Gerber an Zarncke, Dresden, den 29. Juni 1889, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249 [60]. 498 Gerber an Zarncke, Dresden, 28. Februar 1888, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249 [ 54]. 499 Nach Auskunft des Universitätsarchivs Leipzig ist die Personalakte Gerbers wie die gesamte Registratur der Juristenfakultät durch den letzten Krieg verlorengegangen. Auch die in Dresden aufbewahrten ministeriellen Akten zur Juristenfakultät (Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung, Nr. 10198) weisen für die Zeit von Gerbers Leipziger Professur eine Lücke auf und können erst für Gerbers spätere Tätigkeit als Kultusminister Belege liefern. 500 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 501 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 502 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 503 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 504 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290].

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Seit der Teilnahme am Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, auf die nach diesem Abschnitt eingegangen wird, waren Gerbers politische Ambitionen in zunehmendem Maße geweckt. Allerdings nahm er danach eine Neuwahl in den Reichstag des Norddeutschen Bundes nicht mehr an, da er „nicht die Absicht habe, mich auf Jahre meinem Berufe zu entfremden.“505 Immer stärker stand seine wissenschaftliche Arbeit unter dem „hemmenden Einfluß der inneren Theilnahme an den großen politischen Veränderungen unserer Zeit.“ 506, wobei diese allerdings „gerade auf die Gebiete meines wissenschaftlichen Denkens ganz unmittelbar einwirken.“ 507 Jedoch vermochte Gerber diese politischen Impulse für die Staatsrechtswissenschaft nicht zu verwerten. Statt dessen beschlich ihn der Gedanke, „daß doch alles, was man jetzt in meinem wissenschaftlichen Fache arbeitet, werthlos ist.“ 508 Schließlich setzte er, unter dem Eindruck des deutsch-französischen Krieges, ganz eindeutig seine Prioritäten in der Politik, wenn er feststellte, für ihn persönlich „haben die Zeitinteressen alles andere in den Hintergrund gedrängt.“ 509 Es war die Konsequenz dieser Entwicklung, daß Gerber im September 1871 die Ernennung durch den sächsischen König Johann zum Nachfolger des verstorbenen Kultusministers v. Falkenstein annahm. Sein Wunsch, auf Reichsebene gestaltend mitzuwirken, ging nicht in Erfüllung, obwohl Gerber bereit gewesen wäre „das nach meinen Verhältnissen große Opfer“ zu erbringen, „eine Reichstagswahl anzunehmen, wenn man irgendwo an mich gedacht hätte“ 510. Statt dessen bot ihm das Amt in Dresden die Gelegenheit, maßgeblich die sächsische Schul- und Kirchenpolitik zu beeinflussen und auch im Universitätsbereich Impulse zu setzen. Zu verdanken hatte er die Ernennung dem Verständnis und Geschick, mit dem er als Präsident die oft schwierigen Verhandlungen der ersten evangelischen Landessynode 1871 in Sachsen geleitet hatte. 511 Diese Synode stellte den Versuch dar, die Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten in Sachsen, bei denen sich der „Kulturkampf“ auf lokaler Ebene widerspiegelte, zu schlichten. 512 Gerber war sich bewußt, daß seine mangelnde wissenschaftliche Produktivität zumindest eines der tragenden Motive war, das ihn in der Politik seinen neuen Wirkungsbereich suchen ließ: Aufgrund der „Vorstellung, mit der ich mich seit drei Jahren plagte, ich würde literarisch nichts Erhebliches mehr schaffen können, hätte mich wissenschaftlich ausgesprochen“, sah er es als „wünschenswerth“ an, „ein anderes Arbeitsfeld zu gewinnen“ 513. 505 506 507 508 509 510 511 512

Gerber an Ihering, Leipzig, 17. August 1867 [264]. Gerber an Ihering, Leipzig, 3. November 1867 [267]. Gerber an Ihering, Leipzig, 3. November 1867 [267]. Gerber an Ihering, Leipzig, 8. März 1868 [272]. Gerber an Ihering, Leipzig, 27. December 1870 [288]. Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. Beschorner, ADB, S. 293. Losano, Bd. 2, S. 7.

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Für Gerbers Umgebung kam sein Berufswechsel allem Anschein nach nicht überraschend. Seinen Studenten war er stets weniger als introvertierter Gelehrter erschienen denn als Mann „mit einer Zufriedenheit mit sich selbst und der Welt atmenden Physiognomie, elegant und verbindlich“. 514 Man stellte fest: „Als er das Katheder mit dem Ministersessel vertauschte, ... hatte man unwillkürlich das Gefühl, daß diese Veränderung seiner Persönlichkeit entspreche und für ihn eine natürliche Fortentwicklung bedeute.“ 515 5513 514 515 Zwar stimmte der Abschied von der Lehrtätigkeit Gerber „wehmüthig“ 516, zumal er auf sein „Talent des Docirens, das wenige mit mir theilen“517 wohl zu Recht immer stolz gewesen war. Als „äußerst lockend“ empfand er jedoch den Gedanken, als Kultusminister „die Pflege der Universität Leipzig fortsetzen zu können“. 518 Dazu hatte er alsbald Gelegenheit. Als Minister war er für die Wiederbesetzung seiner alten Stelle in Leipzig zuständig. Sein Freund Ihering merkte dazu an: „Wer die Möglichkeit erhält, Lehrstühle zu besetzen, und zwar so, wie es in Sachsen möglich und jetzt hergebracht ist, der mag getrost den Lehrstuhl selber räumen.“519

XII. Teilnahme am konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes in Berlin 1867 Das politische Wirken Gerbers stellt zwar nicht den Schwerpunkt dieser Arbeit dar. Die über seine Teilnahme am konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes in Berlin erhaltenen Dokumente ermöglichen es aber, sich ein genaueres Bild von Gerbers politischer Einstellung zu machen, die für sein wissenschaftliches Wirken vor allem im Bereich des Staatsrechts, aber teilweise auch auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts, nicht ohne Bedeutung ist. Neben den gedruckten stenographischen Berichten über die Verhandlungen, in denen die Redebeiträge Gerbers enthalten sind, existiert eine Sammlung von Briefen Gerbers an seine Frau. Auf dieser Grundlage ergibt sich ein differenziertes Bild von Gerbers persönlicher Einschätzung der maßgeblichen politischen Fragen. Zum politischen Hintergrund des konstituierenden Reichstags ist folgendes anzumerken. Sachsen, das auf österreichischer Seite am Krieg teilgenommen hatte, trat im Friedensschluß mit Preußen dem Norddeutschen Bund bei. Im Gegenzug ver513 514 515 516 517 518 519

Gerber an Ihering, Dresden, 23. September 1871 [292]. Fischer, JZ 1909, Sp. 934. Zitiert bei Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 97. Gerber an Ihering, Dresden, 23. September 1871 [292]. Gerber an Ihering, Jena, 16. März 1863 [211]. Gerber an Ihering, Dresden, 23. September 1871 [292]. Ihering an Gerber, Wien, 10. October 1871 [293].

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zichtete Preußen auf den Erwerb sächsischer Gebiete.520 Der Eintritt in den Norddeutschen Bund nach dem verlorenen Krieg wurde in Sachsen als erzwungen, nicht als freiwillig angesehen, zumal das Land von seinen ursprünglichen Souveränitätsrechten wenig rettete 521. Dies wird durch ein Zitat aus einem Privatbrief des Ministers Friesen an den sächsischen König veranschaulicht: „... wir sind die Besiegten, und der Sieger hat uns den Eintritt als Friedensbedingung auferlegt, wir akzeptieren den Norddeutschen Bund bona fide, aber daraus folgt noch nicht, daß wir ihn für gut oder für zweckmäßig halten ...“ 522 Als einer der 23 sächsischen Abgeordneten nahm Gerber am konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 24. Februar bis zum 16. April 1867 in Berlin teil. Vielfach wurde angenommen, daß dabei „die Unterwerfung Sachsens unter Preußen rechtlich festgelegt werden sollte“ 523. Gerber war im Leipziger Landbezirk (13. Sächsischer Wahlbezirk) mit der erforderlichen absoluten Mehrheit (6 378 von insgesamt 11 174 abgegebenen Stimmen 524) gegen drei Gegenkandidaten gewählt worden 525, und zwar „ohne alle Bewerbung, ja ohne Programm“ 526. Dies ist um so beachtlicher, als Gerber kein gebürtiger Sachse war und erst seit knapp vier Jahren in Leipzig lebte. Allgemein hatten in Sachsen die Konservativen ihre Hauptstütze in der Landbevölkerung und wurden vor allem von höheren Staatsbeamten und Rittergutsbesitzern repräsentiert. 527 Dagegen waren die Nationalliberalen vor allem in Leipzig zu finden, an ihrer Spitze Fabrikanten und Intellektuelle. 528 Der Wahlbezirk Leipzig Stadt wurde von Gerbers Kollegen Waechter vertreten. Im übrigen war im konstituierenden Reichstag an politisch aktiven Rechtsprofessoren noch Zachariä aus Göttingen vertreten, den Gerber in seinen Briefen erwähnt. Dort tauchen auch Bemerkungen über Bruns und Beseler auf, die Gerber in Berlin traf, obwohl sie nicht Mitglieder des konstituierenden Reichstags waren. An dieser Stelle ist eine kurze Bemerkung über die Sammlung der fast vierzig Briefe Gerbers vom Reichstag, alle datiert zwischen dem 24. Februar 1867 und dem 16. April 1867 nötig. Vgl. Huber, Bd. III, S. 604. Dickmann, Bismarck und Sachsen zur Zeit des Norddeutschen Bundes, Neues Archiv für Sächsische Geschichte, 49, 1928, S. 258. 522 Friesen an König Johann, 14. Januar 1867, zitiert bei Klocke, Die Sächsische Politik und der Norddeutsche Bund, Neues Archiv 48, 1927, S. 126. 523 Klocke, Neues Archiv 48, S. 130. 524 Marie Gerber, Neues Archiv 60, S. 224, Fn. 1. 525 Tagebuchaufzeichnung Gerbers vom 18. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 226. 526 Gerber an Ihering, Leipzig, 15. Februar 1867 [258]. 527 Klocke, Neues Archiv 48, S. 127. 528 Klocke, Neues Archiv 48, S. 127. 520 521

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Gerbers jüngste Tochter Marie bereitete die Veröffentlichung der Briefe vor, die 1939 kurz nach ihrem Tod erschienen. 529 Sie stellte ihnen eine kurze Einleitung voran, in der sich auch einige Auszüge aus Tagebüchern Gerbers mit Bezug auf den Reichstag finden. Daß Gerber eine Veröffentlichung der Briefe zumindest in Erwägung gezogen hat, läßt sich aus der Bitte an seine Frau im ersten Brief ablesen: „Bitte hebe meine Briefe auf, sie sollen mir als Erinnerungsmittel dienen.“530 Das Angebot des Verlegers Tauchnitz, sich durch Abfassung wöchentlicher Parlamentsberichte an einer großen politischen Wochenschrift zu beteiligen, lehnte Gerber allerdings als „merkwürdigen Antrag(e)“ 531 ab. Vermutlich wollte er nicht zu sehr die kritische Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in diesen für Sachsen ebenso entscheidenden wie umstrittenen Fragen auf sich ziehen. 532 Als eigentliche Begründung führte er, wie glaubwürdig auch immer dies erschien, an: „Ich dachte: so lange ich hier bin, gilt meine ganze literarische Tätigkeit und all mein vom Parlamente übrig gelassenes Sinnen meiner herzallerliebsten Frau.“ 533 Helene von Gerber, die Adressatin der Briefe, war zwar erst 28 Jahre alt, aber nach Ansicht ihrer Tochter hatte sie „trotz ihrer Jugend ... bereits das vollste Verständnis und regste Interesse für meines Vaters politische und wissenschaftliche Tätigkeit, so daß er sich ihr gegenüber ganz aussprechen konnte.“ 534 Tatsächlich tragen diese persönlichen Briefe erheblich zur Abrundung des sich aus den offiziellen Redebeiträgen ergebenden Bildes von Gerbers Abgeordnetentätigkeit bei. Gerber war sich der schwierigen Position der sächsischen Abgeordneten bei den Verhandlungen bewußt. Es war äußerst problematisch, eine Fraktion zu finden, der man sich anschließen konnte. Im Verhandlungssaal waren die Plätze nach Gerbers Schilderungen in Rechte, Linke, rechtes und linkes Centrum aufgeteilt. Zu Beginn hatten zwei Landsleute bereits für alle sächsischen Abgeordneten durch Anheften von Visitenkarten Plätze beim linken Centrum belegt. Dies stimmte zwar nicht mit Gerbers politischer Ausrichtung überein, er mußte es sich aber „vorläufig gefallen lassen, denn es würde in hohem Grade verletzen, wollte ich mich jetzt schon von ihnen trennen“ 535. Insgesamt empfand Gerber den engen Zusammenschluß der sächsischen Abgeordneten als drückend, zumal, wie er etwas überheblich feststellte „ein Teil von ihnen eben recht gewöhnlich und gesellschaftlich ungebildet sind, mit denen verbunden zu sein 529 Marie v. Gerber, Aus den Briefen Carl von Gerbers vom konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte, Bd.60 (II), 1939, S.224 ff. 530 Gerber an seine Frau Helene, 24. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 229. 531 Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 250. 532 Gerber selbst führt wenig später an, es wäre „zu schade, wenn ich meine wissenschaftliche Bahn um ein paar hundert Thaler willen verdürbe.“, Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 254. 533 Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 250. 534 Marie v. Gerber, Neues Archiv 60, S. 228. 535 Gerber an seine Frau Helene, 24. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 229.

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nicht zu den Reizen des Lebens gehört, zumal hier, wo man nur durch Takt und gute Haltung etwas erreichen kann.“ 536 Der Anschluß an eine Fraktion wurde dadurch erschwert, daß zunächst die jeweilige Zielrichtung ausgelotet werden mußte. Gerber klagte: „Alle Parteiverhältnisse verrücken sich hier.“ 537 Er ortete verschiedene Gruppierungen. Die äußerste Rechte schied für ihn als „specifisch preußisch-soldatisch“ 538 aus. Die Partei des Herzogs Ujest galt zwar als feindlich gegen Sachsen, aber auch als gemäßigt konservativ, was Gerber anzog. Bei seiner Teilnahme an einer Fraktionssitzung betonte Gerber, die Sachsen seien „in der vollen und redlichen Absicht gekommen, um den Bundesstaat aufbauen und vollenden zu helfen, setzten aber gleichzeitig voraus, daß Sachsen in demjenigen staatsrechtlichen Zustand verbleibe, in dem es jetzt auf Grund der Friedensverträge stehe und daß es nicht durch Anstrebung des Einheitsstaates in seiner Existenz bedroht werde“ 539. Er mußte jedoch erkennen, daß bei dieser Gruppierung „in den Sachsen immer noch die Feinde Preußens“540 gesehen wurden. Auch die nationalliberale Partei von Bennigsen und Lasker 541, die Gerber zunächst als „große Mittelpartei“ 542 hoffnungsvoll ins Auge gefaßt hatte, schied nach näherer Betrachtung aus. Es sei wenigstens teilweise „die Nationalvereinspartei, welche dahin strebt, durch demokratische Ausstattung des Reichstags, den Einheitsstaat auf dem Wege des Parlamentarismus zu erreichen.“ 543 Mit den von Gerber vertretenen sächsischen Interessen ließ sich dies nicht vereinbaren, vor allem aber auch nicht mit seiner äußerst kritischen Einstellung zur Demokratie. Bereits vor Beginn des konstituierenden Reichstags hatte sich Gerber in seinem Tagebuch pathetisch gefragt: „Wird Deutschland je von der Krankheit des demokratischen und parlamentarischen Gelüstes wieder frei werden? Oder wird es daran verkommen?“ 544 Gerber dachte bereits an eine Mandatsniederlegung, weil er im „Wirrwarr“ 545 der verschiedenen Fraktionen keine fand, die ihm entsprach. Doch letztlich schloß er sich der von ihm als „Mittelpartei“ 546 oder „Centrum“ 547 bezeichneten Gruppierung um den ehemaligen preußischen Kultusminister Moritz August von Bethmann536 537 538 539 540 541 542 543 544 545 546 547

Gerber an seine Frau Helene, 2. März 1867, Neues Archiv 60, S. 235 f. Gerber an seine Frau Helene, 28. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 235. Gerber an seine Frau Helene, 28. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 235. Gerber an seine Frau Helene, 2. März 1867, Neues Archiv 60, S. 236. Gerber an seine Frau Helene, 2. März 1867, Neues Archiv 60, S. 236. Zu Lasker vgl. Laufs, Eduard Lasker, Ein Leben für den Rechtsstaat, Göttingen 1984. Gerber an seine Frau Helene, 28. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 235. Gerber an seine Frau Helene, 2. März 1867, Neues Archiv 60, S. 237. Tagebuchaufzeichnung Gerbers vom 23. Januar 1867, Neues Archiv 60, S. 226. Gerber an seine Frau Helene, 2. März 1867, Neues Archiv 60, S. 237. Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 241. Gerber an seine Frau Helene, 6. März 1867, Neues Archiv 60, S. 244.

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Hollweg an. Dieser hatte in den Fünfziger Jahren die liberalkonservative, sogenannte „Wochenblattpartei“ geführt. 548 Bei den späteren Wahlen zum einzigen ordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. August 1867 trug diese Fraktion v. Bethmann-Hollwegs und v. Vinckes die Bezeichnung Altliberale Partei. 549 Auch in Zeitungsberichten vom Konstituierenden Reichstag ist bereits von den Altliberalen die Rede, die sich am 7. März in einer Stärke von 13 Mitgliedern als besondere Fraction constituiert hätten, darunter die drei Sachsen v. Rabenau, v. Gerber und Dr. Braun. 550 Als weitere Mitglieder nannte Gerber neben v. Vincke-Olbendorf, Graf Dhyrn, Friedenthal, v. Rath, Falk, v. Schenck, Graf Solms-Laubach sowie vor allem auch Max Duncker 551. Dieser war ein alter Bekannter Gerbers, mit dem er „ganz vertraulich“ umging, und hatte seine Einladung zur Fraktionssitzung vermittelt. 552 Sowohl Bethmann-Hollweg als auch Duncker waren Mitglieder der sog. „Mittwochs-Gesellschaft“ 553. Diese Berliner „Freie Gesellschaft für wissenschaftliche Unterhaltung“ war zum „Austausch wissenschaftlicher Gedanken“ gegründet worden, wobei sie, trotz des satzungsmäßigen Ausschlusses der Tagespolitik als Thema, keinen unpolitischen Charakter hatte. 554 Vielmehr kam ihr die Aufgabe einer „elitären Ideenschmiede“ zu, gerichtet weniger auf eine Frontstellung gegen Bismarck, als auf die Abwehr des Linksliberalismus. Wenn Gerber auch keine Sitzung der Gesellschaft besuchte, so bewegte er sich in Berlin doch mit Vorliebe in den Kreisen ihrer Mitglieder. Bei einer Abendgesellschaft Beselers (ebenfalls eines Gründungsmitglieds der Gesellschaft) wenige Tage nach seinem Fraktionsbeitritt, tauschte er sich u. a. mit Droysen, Trendelenburg und Bruns aus 555, allesamt Angehörige der Mittwochsgesellschaft. Gerber, der selbst den Ausdruck „Altliberale“ nie benutzte, sondern immer vom „Centrum“ oder der „Bethmann-Hollwegschen Mittelpartei“ sprach, war jedenfalls 548 Kern, Georg Beselers Mitgliedschaft in der Berliner Mittwochsgesellschaft, ZRG GA 113 (1996), S. 281. 549 Huber, Bd. III, S. 649. 550 Augsburger Allgemeine Zeitung vom 11. März 1867; v. Rabenau wird hier irrtümlich den Sachsen zugeordnet, er war Abgeordneter des Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Der einzige Sachse außer Gerber war, wie dieser mehrmals betont, der Geh. Regierungsrat Dr. Braun: Alexander Karl Hermann Braun, geboren 1807, war 1848/49 sächsischer Justizminister und Vorsitzender des Gesamtministeriums. Zur Zeit des Reichstags war der liberale sächsische Politiker Amtshauptmann in Plauen, vgl. Neues Archiv 60, S. 243. 551 Max Duncker (1811–1886), Historiker und Politiker, zeitweise Mitglied der konstitutionellen Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses. 552 Gerber an seine Frau Helene, 5. März 1867, Neues Archiv 60, S. 243. 553 Über diese ausführlich Kern, Georg Beselers Mitgliedschaft in der Berliner Mittwochsgesellschaft, ZRG GA 1996, S. 279 ff. 554 Kern, Georg Beselers Mitgliedschaft in der Berliner Mittwochsgesellschaft, ZRG GA 1996, S. 281. 555 Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 251.

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froh, seinen „Eintritt in eine so anständige Gesellschaft erklären zu können“ 556. Darin kommt zum Ausdruck, daß er weniger Wert auf die exakte politische Ausrichtung als auf die Persönlichkeit seiner politischen Mitstreiter legte. Insofern wird man Gerber trotz seiner Fraktionszügehörigkeit keineswegs zu den Liberalen zählen können, seine Einstellung war nach wie vor konservativ monarchistisch. Einige Kollegen aus Sachsen, die sich um die Wahrung der sächsischen Interessen in dem Programm der Fraktion sorgten, beschied er lapidar: „Sehen Sie sich die Leute an, ob sie Ihnen gefallen, darin liegt das Programm. Keine Gesellschaft wird jetzt schon aussprechen können, was sie in jedem einzelnen Falle zukünftig zu tun gedenkt.“ 557 Was das Verhältnis zu Preußen betraf, so revidierte Gerber im Verlauf des konstituierenden Reichstags seine zunächst gespaltene Einstellung. Die äußeren Rahmenbedingungen zeigten von Anfang an klar das preußische Übergewicht. So entfielen von den 297 Wahlkreisen, in die das Bundesgebiet aufgeteilt war, 235 auf Preußen. 558 Die preußische Regierung hatte in mehreren Schritten einen Entwurf der Bundesverfassung ausgearbeitet (dabei stammte der erste Entwurf, der allerdings modifiziert wurde, von Duncker) 559. Laut Bismarcks Erklärung bei der Übergabe des Entwurfs an die Bevollmächtigten der verbündeten norddeutschen Regierungen sollte die Bundesverfassung die Souveränität des Bundes herstellen, in ihrem Rahmen aber die Autonomie der Gliedstaaten bewahren. Die staatstheoretische Frage, ob dieser Bund ein Staatenbund oder ein Bundesstaat sei, sollte dabei in der Schwebe bleiben.560 Diese Unbestimmtheit griff Gerber in einer seiner Reden vor dem konstituierenden Reichstag auf. 561 Gleichwohl ist der Norddeutsche Bund nach dem Entwurf als ein „Bundesstaat“ zu sehen (wie dies auch überwiegend getan wurde), allerdings in einem neuen, das herkömmliche Schema modifizierenden Sinn. 562 Auf sächsischer Seite war man, wie bereits erwähnt, von Mißtrauen gegen Preußen erfüllt, da man glaubte, es würde mit der Zeit die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten noch weiter verkürzen. 563 Auch Gerber war vor Beginn der Sitzungen in Berlin nicht unempfänglich für diese Befürchtungen. Ihn überkam zeitweise „das Gefühl, daß der ganze Rechtsboden erschüttert sei und daß der projektierte Bund Gerber an seine Frau Helene, 6. März 1867, Neues Archiv 60, S. 244. Gerber an seine Frau Helene, 7. März 1867, Neues Archiv 60, S. 246. 558 Huber, Bd. III, S. 648. 559 Huber, Bd. III, S. 649. 560 Huber, Bd. III, S. 650. 561 Gerber in der 9. Sitzung des konstituierenden Reichstags am 9. März 1867, Protokolle, S. 117. 562 Huber, Bd. III, S. 651. 563 Klocke, Neues Archiv 48, S. 130. 556 557

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doch nur eine Maske, um dahinter eine Annexion der sogenannten Bundesstaaten zu verbergen.“ 564 Im Verlauf der Verhandlungen wandelte sich Gerber jedoch rasch in einen Anhänger des preußischen Regierungsentwurfs. Er appellierte an seine sächsischen Mitabgeordneten: „Bemühen wir uns also, die preußische Regierung in der Durchführung des Entwurfs zu unterstützen, das wird wohltätig auf die Behandlung unseres Landes zurückwirken.“ 565 Sein Stimmungsumschwung zugunsten Preußens wurde sicher durch seine persönliche Bewunderung und Sympathie für Bismarck, mit dem er mehrere Gespräche hatte, gefördert. Vor allem aber sah er die Chance zu einer „Herstellung des uralten Nationalgedankens einer deutschen Einheit im Anschluß an die verjüngende und zusammenfassende Kraft Preußens ...“. 566 Gegenüber diesem alles überragenden Ziel mußte seiner Ansicht nach die „lächerliche Partikulareitelkeit“ 567 mancher Sachsen zurückstehen. Empörung erregte bei Gerber die preußenfeindliche Rede eines sächsischen Abgeordneten568: Er sah es als unverzeihlich an, „hier in Berlin, wo wir freundlich und brüderlich aufgenommen sind, ... den Nationalstolz der Preußen zu verletzen.“ 569 Gleichwohl vergaß der gebürtige Thüringer Gerber nie seine Solidarität gegenüber Sachsen. Er bemühte sich in einer Art diplomatischem Spagat um einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen, was für ihn eine besondere Herausforderung darstellte: „Es ist die höchste politische Kunstaufgabe meines bisherigen Lebens gewesen, in Preußen mich als aufrichtiger Anhänger der neuen Entwicklung zu bekennen und doch meine Pflichten gegen Sachsen nicht zu vernachlässigen.“ 570 Gerber trat wiederholt als Redner vor dem Reichstag auf, nach den gedruckten Sitzungsprotokollen am 4., 9., 20. und 26. März, sowie am 1. und 9. April. 571 Tagebuchaufzeichnung Gerbers vom 12. Januar 1867, Neues Archiv 60, S. 226. Gerber an seine Frau Helene, 4. März 1867, Neues Archiv 60, S. 243. 566 Gerber an seine Frau Helene, 23. März 1867, Neues Archiv 60, S. 260. 567 Gerber an seine Frau Helene, 13. März 1867, Neues Archiv 60, S. 252. 568 Angesichts der Befürchtung, Bismarck wolle mit Hilfe der Liberalen den Einheitsstaat errichten, äußerte der sächsische Abgeordnete Günther (nach einer Rede des Abgeordneten Twesten): „... dieser Liberalismus kommt mir auch vor, wie eine Art von Küchlein, das noch tief in der Eierschale steckt, und diese Eierschale sieht ganz genau aus wie eine Pickelhaube“ (Protokolle, S. 310); vgl. auch dazu Gerber an seine Frau Helene, 22. März 1867, Neues Archiv 60, S. 258. 569 Gerber an seine Frau Helene, 22. März 1867, Neues Archiv 60, S. 258. 570 Gerber an seine Frau Helene, 23. März 1867, Neues Archiv 60, S. 260. 571 Vgl. auch Sprech- Register, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Von der Eröffnungs-Sitzung am 24. Februar und der Ersten bis zur Fünfunddreißigsten und Schluß-Sitzung am 17. April 1867 (Parl. Verh. 20), Berlin 1867 (zit. Protokolle), S. 736; in der 6. Sitzung am 4. März 1867 machte Gerber nur eine kurze Anmerkung zur Geschäftsordnung; Protokolle, 564 565

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Vor Gerbers Rede vom 9. März hieß es: „Herr Abgeordneter Dr. von Gerber hat das Wort für den Entwurf“ 572, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Gerber verteidigte den preußischen Entwurf folgendermaßen: „... der Entwurf, der uns vorgelegt worden ist, ist nach meiner Ansicht Nichts anderes, als das Product dieser Thatsachen und will nur von dem Gesichtspunkte aus beurtheilt sein, daß er die Wirkungen dieser Thatsachen formuliert. Ich glaube nun, daß es schon hier am Platze ist, auszusprechen, daß ich es für die patriotische Pflicht halte, diesen Thatsachen sich zu unterwerfen, sie zu acceptieren und für das Vaterland zu verwerthen.“ 573 Auf diese Feststellung Gerbers wurde ein „Bravo“ registriert. Im Anschluß zeigte Gerber die möglichen Fehler des Entwurfs auf, insbesondere dogmatische Einordnungsschwierigkeiten, Stellung des Bundesrats, konstitutionelle Garantien und Probleme des Budgetrechts. Gerber behält sich zwar vor, in der Einzelberatung seine Anträge zu stellen. Trotzdem betont er am Ende seiner Rede, diese einzelnen Bedenken führten nicht dazu, „mein allgemeines Verhältnis zu dem Entwurfe dahin zu bestimmen, daß ich die Verantwortlichkeit auf mich nehmen möchte, mich principiell in eine Opposition zu demselben zu stellen.“574 Daraufhin wurde ein „Lebhaftes Bravo rechts“ vermerkt. Nach dieser Stellungnahme hoffte Gerber, er habe sich „so vorsichtig ausgedrückt, daß man auch in der sächsischen Presse nicht viel darauf schimpfen kann.“ 575 Gerbers diplomatisches Taktieren während des gesamten Reichstags wurde dennoch negativ aufgenommen. So schrieb der Leipziger Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung: „Herr v. Gerber hat einige vage Wünsche und Hoffnungen geäußert, welche einen äußerst geringen Werth haben und stimmt im übrigen consequent im preußisch-ministeriellen Sinn.“ 576 Gerbers Briefe belegen die Weltläufigkeit und Gelassenheit, mit der er sich unter den Mächtigen seiner Zeit bewegte. Seine Schilderungen des gesellschaftlichen Umfelds des Reichstags waren nicht ohne literarische Ambitionen, beispielsweise wenn er mit poetischen Worten die opulente Ausstattung und „feenhafte“ Atmosphäre eines Hofballs beschrieb. 577 Dabei verließen ihn nie seine Beobachtungsgabe und sein Sinn für Spott und Ironie. So schilderte er beispielsweise den Auftritt des Bankiers Rothschild, des Abgeordneten aus Frankfurt a. M., bei der Eröffnungsfeier „in einer feuerroten Uniform, S. 49; ebenso gab es 24. Sitzung am 1. April 1867 nur einen kurzen Beitrag von ihm zur Wortlautänderung: eines Amendements von Vincke, Protokolle, S. 507/508. 572 Protokolle, S. 116. 573 Gerber in der 9. Sitzung des konstituierenden Reichstags am 9. März 1867, Protokolle, S. 117. 574 Protokolle, S. 117. 575 Gerber an seine Frau Helene, 9. März 1867, Neues Archiv 60, S. 249. 576 Augsburger Allgemeine Zeitung vom 9. April 1867, S. 1615. 577 Gerber an seine Frau Helene, 6. März 1867, Neues Archiv 60, S. 244.

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wie ein dicker gesottener Krebs, mit einer Masse Sternen behängt“.578 Auch mokierte er sich, als „vier alte, greisenhafte Generale“ auftraten, „welche in ihren zitternden Händen die Reichskleinodien trugen ...“ 579 und stellte bei einer anderen Gelegenheit, einem Diner im Schloß, fest: „Sonst gehören die Damen dieses Hofes nicht zu den Schönheiten.“ 580 Mit seiner ironischen Distanzierung kehrte Gerber betont seine Überlegenheit gegen äußere Eitelkeiten heraus. So beteuerte er: „Was für einen Reiz hat der Flitterstaat dieses Lebens für mich – keinen, nicht den geringsten“ 581. Auch als der preußische Justizminister unter rühmender Erwähnung seines „Staatsrechts“ die Hoffnung ausdrückte, Gerber bald im Dienste Preußens zu sehen, und ihm allgemein angedeutet wurde, daß er zur Zeit in Berlin etwas „in Mode“ käme, verdeckte Gerber seine Geschmeicheltheit hinter der trockenen brieflichen Bemerkung: „Nun, da wäre es Zeit, daß ich nach Hause ginge, bevor ich wieder aus der Mode draußen bin.“ 582 Nur einer Persönlichkeit bringt Gerber in Berlin ungeteilte Sympathie, ja beinahe schwärmerische Verehrung entgegen – Bismarck. Er gesteht: „Meine Bewunderung dieses Mannes ist nicht gemindert, sondern gewachsen, seit ich ihn persönlich wirken sehe.“ 583 Der Facettenreichtum des Politikers übt auf ihn eine ganz besondere Faszination aus. Zunächst stellt er fest, Bismarck sei „weit schöner ... als ihn die Photographien darstellen.“ 584 Besonders fehle „dem wirklichen Bismarck ganz der Ausdruck des Bösen, Brutalen, Dämonischen, das seine Bilder charakterisiert.“585 Im Gegensatz dazu betont er nach einer Rede Bismarcks, er habe nie „etwas an einem Menschen gesehen, was mir dämonischer erschienen wäre“. Hingerissen kommentiert er: „Er war fürchterlich. – Man hat hier das Gefühl, daß gewaltige Dinge hier vorgehen.“ 586 Tatsächlich hatte Gerber einen gewissen persönlichen Kontakt zu dem von ihm bewunderten Bismarck. Bereits kurz nach Beginn des Reichstags war er in dessen Haus zum Diner eingeladen. Bei dieser Gelegenheit bekam Gerber vom Hausherrn, wie er mit Stolz vermerkt „meinen Platz neben sich angewiesen“ 587. Es ergab sich ein politisches Gespräch, bei dem sich Bismarck nach Einschätzung seines Gastes „über die Stellung der Beamten als Abgeordneten, die Diätenfrage u. s. w. höchst treffend, immer graziös und den Nagel auf den Kopf treffend“ aussprach, mitunter allerdings „etwas derb“. 588 578 579 580 581 582 583 584 585 586 587 588

Gerber an seine Frau Helene, 24. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 230. Gerber an seine Frau Helene, 24. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 230. Gerber an seine Frau Helene, 26. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 232. Gerber an seine Frau Helene, 9. März 1867, Neues Archiv 60, S. 251. Gerber an seine Frau Helene, 9. März 1867, Neues Archiv 60, S. 251. Gerber an seine Frau Helene, 4. März 1867, Neues Archiv 60, S. 242. Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 239. Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 239 f. Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 251. Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 240. Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 240.

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Im Verlauf der Briefe wird immer wieder eine „superbe Rede“589 Bismarcks erwähnt oder sein Ausmaß an „staatsmännischer Einsicht und Tiefe“ 590 gelobt. Auf weit weniger Sympathie bei Gerber stieß die Begegnung mit einem anderen berühmten preußischen Staatsmann und Sohn des juristischen Vordenkers Friedrich Karl von Savigny, nämlich Karl Friedrich von Savigny. 591 Von diesem hieß es laut Gerber, er versuche, „Bismarck ein Bein zu stellen, um an seine Stelle zu gelangen“ 592, d. h. Bundeskanzler zu werden. Darüber spottet Gerber: „Wenn dieser sein Rivale genannt wird, so begreife ich nicht, wie es im Kopfe dessen aussieht, der Savigny und Bismarck als Rivalen betrachten kann.“ 593 Der selbst so verbindliche Gerber wirft Savigny vor, „ganz der schönredende Diplomat“ 594 zu sein und „den süßesten Weihrauch zu streuen“ 595. Seine Abneigung ist unverkennbar: „Mir ist es unsympathisch, daß er mir stets die gröbsten Schmeicheleien an den Kopf wirft.“ 596 Ein privater Besuch verstärkt den ungünstigen Eindruck: „Ich traf diesen Mann (um 12 Uhr) im Negligée! Dies bestand aus einem feuerrot gefütterten Schlafrocke, auf dem Kopfe eine blaue, hochstehende Sammetmütze, feuerroten Morgenhosen und einem gelben Foulard um den Halskragen malerisch gewunden!“ 597 Eine derart exzentrische Aufmachung konnte bei dem nüchternen Frühaufsteher Gerber nur Widerwillen erregen. Eine Begegnung gab es in Berlin auch mit dem Professorenkollegen Beseler, der zu Gerbers entschiedensten wissenschaftlichen Gegnern gehört hatte. Mit den Jahren aber war man milder geworden. Gerber nahm eine Abendeinladung bei seinem einstigen Widersacher an und bemerkte wohlwollend: „Beseler, mein alter Literar-Antipode benahm sich sehr freundlich und hübsch. Er und seine Frau sind noch immer ein höchst stattliches Paar.“ 598 Auch politisch stand man gar nicht so weit entfernt, da Beseler zu den führenden Politikern der altliberalen Partei in Preußen gezählt wurde. 599 Allerdings war Gerber, wie bereits erwähnt, der Fraktion Bethmann-Hollwegs weniger aus politischer Überzeugung als aus persönlichen Gründen beigetreten. Gerber an seine Frau Helene, 29. März 1867, Neues Archiv 60, S. 264. Gerber an seine Frau Helene, 29. März 1867, Neues Archiv 60, S. 264. 591 Karl Friedrich v. Savigny (1814–1875), Jurist und preußischer Diplomat, schied 1868 in seinen Hoffnungen auf das Amt des Bundeskanzlers getäuscht aus dem Staatsdienst aus und gehörte bis zu seinem Tode dem preußischen Abgeordnetenhaus als Mitglied des Zentrums an. Zu ihm vgl. Laufs, Der preußische Diplomat Karl Friedrich von Savigny, Notizen zu und aus seinen Selbstzeugnissen, in: Gerichtslauben-Vorträge, Freiburger Festkolloquium zum 75. Geburtstag von Hans Thieme, Hrsg. Karl Kroeschell, Freiburg 1983, S. 95 ff. 592 Gerber an seine Frau Helene, 5. April 1867, Neues Archiv 60, S. 272. 593 Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 240. 594 Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 250. 595 Gerber an seine Frau Helene, 28. März 1867, Neues Archiv 60, S. 263. 596 Gerber an seine Frau Helene, 3. April 1867, Neues Archiv 60, S. 272. 597 Gerber an seine Frau Helene, 3. April 1867, Neues Archiv 60, S. 272. 598 Gerber an seine Frau Helene, 11. März 1867, Neues Archiv 60, S. 251. 599 Kern, Beseler, S. 235. 589 590

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Das Verhältnis zu dem Leipziger Kollegen Waechter dagegen war aufgrund der unterschiedlichen politischen Standpunkte stark belastet. Gerber sah es bereits als „merkwürdig“ an, daß Waechter bei der Präsidentenwahl des Konstituierenden Reichstags 17 Stimmen erhielt. 600 Er selbst stimmte für den Kandidaten der Rechten, Graf Stolberg. 601 Gewählt wurde schließlich Eduard Simson 602, der bereits Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war und später der erste Präsident des Reichsgerichts werden sollte. Seine Präsidialeigenschaft wurde laut Gerber allgemein gerühmt 603. Waechter war von manchen Sachsen verübelt worden, daß er gleich zu Beginn versucht hatte, „auf eigene Hand mit den Hannoveranern anzuknüpfen“ 604. Er hatte dann gemeinsam mit diesen (u. a. Zachariae), den Augustenburgern und Dänen eine Partei gegründet, die er „Mittelpartei“ nannte. 605 Als Begründung, warum er nicht in das „Centrum“, d. h. die altliberale Fraktion Gerbers eingetreten sei, führte er an, daß dort der Einheitsstaat vertreten werde. 606 Gerber hielt dem entgegen, daß seine Fraktion entschieden keine unitaristische Tendenz, sondern die vertragsmäßige Stellung der Bundesstaaten verfolge. Es habe lediglich v. Bethmann-Hollweg einmal geäußert, er glaube, daß der Zug der Geschichte zum Einheitsstaat führe.607 Jedenfalls wurde Waechter nachgesagt, er vertrete im Reichstag konsequent den verfassungsmäßigen Bundesstaat. 608 Dagegen sah man in Gerber, wie erwähnt, einen Verfechter der preußisch-ministeriellen Position, was durch das offensichtliche Wohlwollen der preußischen Entscheidungsträger für ihn untermauert wurde. Die unvereinbaren Positionen der beiden Leipziger Professoren zeigten sich deutlich in ihren Reden. Waechter befürwortete im Zusammenhang mit der Armeefrage 609 eine notwendige Mitwirkung des Parlaments: „Es ist ein Hauptgrundsatz in allen Verfassungen, welche wirklich den Namen einer constitutionellen Verfassung verdienen, daß das Verwilligungsrecht im Wege der Gesetzgebung ausgeübt werden muß, daß also, wenn auch nur ein Factor der Gesetzgebung nicht übereinstimmt, von einer Verwilligung mit Erfolg nicht die Rede sein kann.“610 Er machte daher den Vorschlag, die Artikel, wie im Entwurf vorgesehen, anzunehmen, „ihnen aber eine bestimmte Lebensdauer zu setzen, seien es 3 oder 4 Jahre, für diese Zeit alles zu verwilligen, was in Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 238. Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 238. 602 Zu Simson vgl. Bernhard von Simson (Hrsg.), Eduard von Simson, Erinnerungen aus seinem Leben, Leipzig 1900. 603 Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 238. 604 Gerber an seine Frau Helene, 28. Februar 1867, Neues Archiv 60, S. 234. 605 Gerber an seine Frau Helene, 3. März 1867, Neues Archiv 60, S. 238. 606 Gerber an seine Frau Helene, 3. April 1867, Neues Archiv 60, S. 271. 607 Gerber an seine Frau Helene, 3. April 1867, Neues Archiv 60, S. 271. 608 Augsburger Allgemeine Zeitung, Dienstag, 9. April 1867, S. 1615. 609 U.a. Dienstzeit des Militärs, Bestimmung der Kosten, Bestimmung der Größe des Heeres. 610 Waechter in der 27. Sitzung des konstituierenden Reichstags am 5. April 1867, Protokolle, S. 564. 600 601

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den Artikeln steht.“ Dann jedoch „soll das Recht des Parlaments in seine volle Wirksamkeit wieder treten, und es sollen die Fragen neu bestimmt werden, aber mit Zustimmung des Parlaments, welches in jener Zeit versammelt sein wird.“ 611 Gerber trat dieser Auffassung Waechters in der Sitzung nicht offen entgegen. Seinem Unmut äußerte er lediglich in einem der Brief an seine Frau. Dort bemerkte er, entgegen der Stellungnahme Waechters gebe es in jedem Staat „indiskutable Ordinarien, über die man nicht mehr streiten darf.“ 612 Der entschiedene Monarchist Gerber führte auch gleich ein seiner Ansicht nach überzeugendes Argument ins Feld: „Nach Wächters Ansicht müßte man auch von Jahr zu Jahr die Frage verabschieden, ob noch ein König im nächsten Jahre sein solle, denn der kostet offenbar auch Geld.“ 613 Im übrigen war Gerber strikt dagegen, den Reichstag zu einem konstitutionellen Parlament zu entwickeln, da er glaubte: „Ein entwickeltes Parlament saugt die Selbständigkeit der Einzelstaaten am sichersten auf“ 614. Bereits zuvor hatte Gerber die Konfrontation mit Waechter gescheut. In einer Debatte um verschiedene Amendements zu Artikel 11 des Entwurfs (Bundespräsidium, das der preußischen Krone zugewiesen war 615), in der das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit diskutiert wurde, kam Gerber nach der Rednerliste direkt nach seinem Leipziger Kollegen zu Wort. Eine Konfrontation schien daher unvermeidlich. Waechter sprach sich gegen die Vorlage aus: Artikel 11 des Entwurfs enthalte eine Lücke, die Frage der Minister-Verantwortlichkeit sei von einer eminenten praktischen Wichtigkeit. 616 Kurz darauf folgte eine Anspielung auf Gerbers Rede vom 9. März. „Man hat zwar eingewendet, wir seien begriffen in der Constituierung des Bundesstaates; auf einen Bundesstaat aber könne man die gewöhnlichen constitutionellen Einrichtungen und Garantieen nicht anwenden ... Allein, meine Herren, man hat das zwar behauptet, aber nicht bewiesen.“ Waechter erläuterte, daß „die ausübenden Organe wenigstens dafür stehen müssen, daß die Schranken, welche der ausübenden Gewalt gezogen sind, nicht überschritten werden und daß im Geist der Verfassung diese ausübende Gewalt geübt wird. Das ist im Bundesstaat grade ebenso gut möglich wie im Einheitsstaat.“ 617 Noch einmal führte Waechter einen kaum verdeckten Angriff gegen Gerber, der in seiner Rede den preußischen Entwurf als hinzunehmende Tatsache bezeichnet hatte. „Es ist uns weiter von einer gewichtigen Stimme die Mahnung zugerufen worden, wir sollten die Thatsachen acceptieren und uns nicht über die Verfassungs-Paragraphen streiten ... Aber jetzt sind wir doch gerade dazu da, um mit BerücksichProtokolle, S. 564. Gerber an seine Frau Helene, 6. April 1867, Neues Archiv 60, S. 275. 613 Gerber an seine Frau Helene, 6. April 1867, Neues Archiv 60, S. 275. 614 Gerber an seine Frau Helene, 4. März 1867, Neues Archiv 60, S. 243. 615 Huber, Bd. III, S. 651. 616 Waechter in der 19. Sitzung des konstituierenden Rechstags am 26. März 1867, Protokolle, S. 360. 617 Protokolle, S. 361. 611 612

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tigung der gegebenen Thatsachen einen Ausbau des Rechts zu gründen ... um die Stellung des Parlaments und der Regierung auf dem Rechtsboden zu gründen ...“ 618. In der Sache gehörte Waechter zu den ausdrücklichen Befürwortern einer MinisterVerantwortlichkeit. Gerber antwortete auf die Herausforderung Waechters mit einer ausgesprochen ausweichenden und inhaltsarmen Rede: „Die bisherige Discussion hat hauptsächlich die Richtung eingeschlagen, die Minister-Verantwortlichkeit zu erörtern. Es ist nicht meine Absicht, gerade in dieser Beziehung zu reden, vielmehr will ich einige andere Gesichtspunkte hervorheben.“ 619. Einzig Gerbers Stellungnahme zur Stellung des Bundeskanzlers620 ist beachtlich. „... Der Bundeskanzler ist aber ... der natürliche vermittelnde Beamte zwischen dem Bundespräsidium und dem Reichstage; er ist der eigentliche Bundesminister und er ist, um das hier gleich auszusprechen, natürlich, wie ich das als etwas ganz Selbstverständliches ansehe, auch für seine Handlungen verantwortlich. Ob man das ausdrücklich ausspricht oder nicht ausspricht – ich betrachte das unter allen Umständen, insoweit als die Minister-Verantwortlichkeit überhaupt eine reale Bedeutung hat, als selbstverständlich.“ 621 Gerber ging also im Verfassungsrecht von ungeschriebenen Selbstverständlichkeiten aus, die keiner Kodifikation bedurften. Bemerkenswert ist auch Gerbers Befürchtung, mit den teilweise geforderten Änderungen werde man, „einen constitutionellen Prachtbau ausführen, dem es aber an wirklichem Inhalte fehlt, der hohl wäre und daher von selbst zusammenfallen müßte“ 622. In einem Brief an seine Frau machte Gerber deutlich, daß er die direkte Auseinandersetzung mit seinem Vorredner aus diplomatischer Weitsicht scheute: Er vermied deshalb „die von Wächter behandelte Frage, streifte wenigstens nur nebenbei daran an, um ihm nicht geradezu Opposition zu machen...“ 623. Allerdings bezichtigte er den Kollegen, wenn auch nicht öffentlich, der Verwendung „politischer Schlagwörter“ 624. Gerbers eigener Vorschlag, man solle sich an den Entwurf halten und käme so am raschesten zum Ziel 625, brachte ihm, obwohl er damit nichts Neues mitteilte, viel Protokolle, S. 361. Gerber in der 19. Sitzung des konstituierenden Rechstags am 26. März 1867, Protokolle, S. 361/362. 620 Der Bundeskanzler wurde nach dieser Debatte durch die sog. „lex Bennigsen“ zum einzigen, aber parlamentarisch verantwortlichen Bundesminister gemacht und so das föderativhegemoniale Regierungssystem des Regierungsentwurfs in ein konstitutionell-unitarisches Regierungssystem verwandelt, vgl. Huber, Bd. III, S. 659. 621 Protokolle, S. 362. 622 Protokolle, S. 362. 623 Gerber an seine Frau Helene, 27. März 1867, Neues Archiv 60, S. 260. 624 Gerber an seine Frau Helene, 27. März 1867, Neues Archiv 60, S. 260. 625 Protokolle, S. 362. 618 619

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Zustimmung. Er notiert befriedigt: „Die Rede gelang mit gut und wurde sehr beifällig aufgenommen.“ 626 In der Schlußabstimmung am 16. April 1867 nahm der konstituierende Reichstag den umgestalteten Verfassungsentwurf mit 230 gegen 53 Stimmen an. 627 Dabei erregte Waechters Abstimmungsverhalten das Mißfallen Gerbers, der selbst, ebenso wie zehn andere sächsische Abgeordnete, zugestimmt hatte: „Wächter und die Hannoveraner, Polen und Roten haben nein gesagt. O!“ 628 Er gönne seinem „Herrn Specialcollegen Wächter“, so schrieb Gerber an Ihering „die Anerkennung, die er dafür hier in manchen Kreisen eincassieren wird“. 629 Die Motive der Gegner der Verfassung verspottete Gerber, da sie für ihn nur Schlagwortcharakter hatten: „... wir können nicht dafür stimmen, weil es an den nothwendigen „constitutionellen Garantieen“ fehlt, worunter sich denn jeder vage und ungewaschene Mensch seine besonderen Vorstellungen denkt.“ 630 In seiner letzten und längsten Rede vor dem Reichstag, die vor allem die Frage des Budgetrechts zum Gegenstand hatte 631, zeigte sich Gerber einmal mehr als Gegner wirksamer parlamentarischer Kontrollrechte. Seine Ablehnung des Parlamentarismus läßt sich auch aus seinem besonderen Interesse und seiner Stellungnahme zu zwei Artikeln ablesen, die seiner Ansicht nach unmittelbar miteinander verknüpft waren: Art. 21, der das allgemeine (gleiche, direkte und geheime) Wahlrecht enthielt, und Art. 29, der die Diätenfrage in Gestalt eines Diätenverbots regelte. 632 Gerbers Jenaer Freund Danz beabsichtigte, ein Gutachten für Bismarck über eine mögliche Korrektur des allgemeinen Wahlrechts zu verfassen. 633 Der Kontakt wurde über Gerber hergestellt, an den Bismarck auch eine Mitteilung für Danz schrieb. 634 Gerber wies den Freund auf die Gesichtspunkte hin, die ihm besonders am Herzen liegen. Der Entwurf sah gemäß Art. 29 keine Abgeordnetendiäten vor, um das Aufkommen von Berufspolitikern zu verhindern 635, was Gerber ausdrücklich begrüßte: „Ich halte es für richtig und dem durchgeführten Princip des Selfgovernement entGerber an seine Frau Helene, 27. März 1867, Neues Archiv 60, S. 261. Huber, Band III, S. 666. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes trat am 1. Juli 1867 in Kraft, vgl. Mitteis/Lieberich, S. 449. 628 Gerber an seine Frau Helene, 16. April 1867, Neues Archiv 60, S. 279. 629 Gerber an Ihering, Leipzig, 18. April 1867 [262]. 630 Gerber an Ihering, Leipzig, 18. April 1867 [262]. 631 30. Sitzung des konstituierenden Reichstags am 9. April 1867, Protokolle, S. 654. 632 Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b. 633 Gerber an seine Frau Helene, 8. April 1867, Neues Archiv 60, S. 277. 634 Gerber an Danz, Leipzig, 18. April 1867, UA Jena NL Danz 2.100: wörtlich zitiert wird darin die Mitteilung Bismarcks an Gerber vom 16. April 1867, es werde ihm „sehr willkommen sein, wenn Ihr Freund die Güte haben will, das... Gutachten einer Regulierung des allgemeinen direkten Wahlrechts ... näher auszuführen ...“ 635 Huber, Bd. III, S. 662. 626 627

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sprechend, daß die Männer, welche die höchste politische Macht ausüben wollen, solche sind, welche zugleich das Opfer bringen können, ein paar Monate jährlich in Berlin aus ihrer Tasche zu leben.“ 636 Gerber befürwortete also eine soziale Auswahl der Reichstagsabgeordneten: „Wir sind es müde, uns von den ‚Proletariern der Intelligenz‘ vertreten zu lassen, müde, daß jeder „Möchtegern ... von 300 ... Gehalt sich als Reichstagsmann träumt.“ 637 Er sah das Fehlen von Diäten als einziges Korrektiv für das allgemeine Wahlrecht des Art. 21 an. Sein ständisches Denken zeigt sich auch in der zugespitzten Bemerkung gegenüber seiner Frau, daß ohne diese Diätenschranke das Wahlrecht „uns vielleicht schon beim nächsten Parlament 2 bis 300 Buchdrucker und Cigarrenarbeiter liefern und diesen die Entscheidung der Geschicke unseres Vaterlands in die Hand legen würde“ 638. Hier stellte Gerber wesentlich polemischer als in dem Brief an Danz die gegensätzlichen Positionen dar: Der Position der Konservativen, die seine eigene ist, wurde in einer für Gerber ungewöhnlich drastischen Ausdrucksweise der vermeintliche Standpunkt der ihm suspekten „Demokraten“ gegenübergestellt: „Wir haben nun in Artikel 21 das allgemeine Pöbelwahlrecht errungen; damit nun jeden Augenblick und ohne jeden Widerstand der gemeinste unserer Demagogen in der Wahlschweinerei siegt, muß der Artikel 29 hinweg, der eine ganze Menge armer, anständiger Kerle von dem teuren Pflaster Berlin’s fernhalten würde.“ 639 Zwar erkannte Gerber das Problem, daß die Schranke der fehlenden Diäten durch Privatfonds umgangen werden könnte. 640 Er begrüßte aber, „daß sie uns englischen Verhältnissen nähert (wo auch keine Diäten gegeben werden)“ 641. Vor allem aber werde so „das richtige Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten“ 642 festgesetzt: Die Wähler müssen einem bedeutenden Mann, dem sie die Wahl antragen, dieß in der Form der Bitte thun ... Der Gewählte, der sich bewußt ist, daß er ein Opfer bringt, wird den Wählern gegenüber sich in einer würdigeren Stellung befinden.“ 643 Als „Hauptgrund“ für die Annahme des Art. 29 sah Gerber es an, daß so das von ihm mißbilligte allgemeine Wahlrecht „den Charakter eines Provisoriums“ 644 erhalte. So hätten die Regierungen noch eine Möglichkeit, in absehbarer Zeit „eine Modifizierung des allgemeinen Wahlrechts durchbringen“ 645 zu können. 636 637 638 639 640 641 642 643 644 645

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Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b. Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b. Gerber an seine Frau Helene, 29. März 1867, Neues Archiv 60, S. 266. Gerber an seine Frau Helene, 29. März 1867, Neues Archiv 60, S. 265. Gerber an seine Frau Helene, 29. März 1867, Neues Archiv 60, S. 265. Gerber an seine Frau Helene, 29. März 1867, Neues Archiv 60, S. 266. Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b. Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b. Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b. Gerber an Danz, Leipzig, 20. April 1867, UA Jena, NL Danz 2.29 b.

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Daß Gerber ein entschiedener Gegner des allgemeinen Wahlrechts war, ließ sich bereits seinen „Grundzügen des deutschen Staatsrechts“ entnehmen. Mit Blick auf die verschiedenen Wahlgesetze der einzelnen deutschen Staaten heißt es dort: „Während einige von dem Gesichtspunkte ausgehen, dass das Volk nicht eine nur nach Kopfzahlen zu begreifende Masse, sondern ein nach mannichfachen Gesellschaftsgruppen und Interessen gegliederter Körper sei, und dass auch die Volksvertretung dieser Natur des Volks als Ganzem entsprechend beschaffen sein müsse, verläugnen andere den geistigen Charakter des Volks, indem sie der unterschiedslosen oder höchstens nach Steuermaassstaben getheilten Masse in der Wahleinrichtung einen rein mechanischen Apparat zur Bestimmung der Abgeordneten darbieten.“646 Später ergänzte Gerber in einer Fußnote, „das allgemeine und direkte Wahlrecht, wie es seit 1866 im Norddeutschen Bunde ... aufgenommen worden ist“ erreiche „die äusserste Grenze der möglichen Versuche. 647 Er kommt zu dem Schluß, im Zuge der derzeitigen Entwicklung entziehe sich „die Bestimmung des Wahlsystems mehr und mehr der wissenschaftlichen Erwägung und unterliegt fast ausschließlich dem Einflusse politischer Strömungen.“ 648 In einer 1868 verfaßten „Beilage IV“ 649 für die „Grundzüge des deutschen Staatsrechts“ behandelte Gerber den Norddeutschen Bund, den er in seiner Eigenschaft als „Bundesstaatsverhältnis“ 650 darstellte. Wenn diese auch später durch Gründung des Deutschen Reichs inhaltlich „antiquiert“ war, so nahm Gerber sie auch in eine spätere Auflage noch auf, da „ihre Grundgedanken immerhin auch für das Deutsche Reich verwendbar bleiben.“ 651 Gerbers politische Tätigkeit auf Reichsebene blieb nur ein Intermezzo. Zwar hatte er auf eine Anfrage des Dresdner Ministers Friesen, ob er geneigt sei, die Stellung eines Vertreters der Sächsischen Regierung im Reichstage zu übernehmen, positiv geantwortet, zumal dies offenbar auf einen Vorschlag Bismarcks zurückging 652: „Überall, wo es um einen Dienst für Seine Majestät unsern allergnädigsten Herrn oder für Sachsen handelt, können Ew. Exzellenz über meine Kräfte vollständig disponieren.“ Es schloß sich aber keine Berufung Gerbers an. Die in Berlin geknüpften Kontakte zu den sächsischen Entscheidungsträgern wirkten sich jedoch, wenn auch nicht sofort, so doch auf lange Sicht positiv auf Gerbers weitere politische Karriere aus. Vier Jahre nach dem konstituierenden Reichstag erhielt Gerber durch seine Berufung als Kultusminister die Gelegenheit, seine Kräfte, wie er es versprochen hatte, in besonderer Weise für Sachsen einzusetzen. 646 647 648 649 650 651 652

Gerber, Grundzüge Staatsrecht, S. 128. Gerber, Grundzüge Staatsrecht, 3. Auflage, S. 136 Fn. 6. Gerber, Grundzüge Staatsrecht, 3. Auflage, S. 136 Fn. 6. Gerber, Grundzüge Staatsrecht, 3. Auflage, S. 244 ff. Gerber, Grundzüge Staatsrecht, 3. Auflage, S. 245. Gerber, Grundzüge Staatsrecht, 3. Auflage, S. 244 Fn. Gerber an seine Frau Helene, 28. März 1867, Neues Archiv 60, S. 263.

XIII. Kultusminister in Dresden 1871 bis 1892

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XIII. Kultusminister in Dresden 1871 bis 1892 Seit September 1871 wirkte Gerber als Kultusminister für das Königreich Sachsen in Dresden. Damit war seine endgültige Hinwendung zur Politik besiegelt. In seiner Ministerrolle konnte Gerber unter anderem auch durch seine Berufungspolitik die Geschicke der Universiät Leipzig mitgestalten. Zu seinem Nachfolger in Leipzig berief er zu Ostern 1872 Johann Ernst Otto Stobbe653, bisher Ordinarius in Breslau. Bekannt war dieser vor allem durch seine „Geschichte der deutschen Rechtsquellen“ von 1860 und das „Handbuch des deutschen Privatrechts“, veröffentlicht 1871. Zunächst hatte Gerber zwischen Stobbe und Viktor Reinhard Meibom 654 aus Tübingen geschwankt. Für letzteren schien ihm, „abgesehen von seiner großen wissenschaftlichen Bedeutung“ 655, die Persönlichkeit, seine guten Dozentenleistungen und die Tatsache, daß er auch Kirchenrecht las, zu sprechen.656 Stobbe hingegen kannte Gerber nur „ganz oberflächlich“. 657 Jedoch riet Ihering, von Gerber befragt, ganz eindeutig dazu, Stobbe zu berufen. Nicht nur stehe Stobbe Gerber von sämtlichen Germanisten am nächsten, sondern man müsse ihn nach seinen bisherigen Leistungen „nicht bloß als einen der tüchtigsten, sondern (was doch für eine Universität wie Leipzig auch ins Gewicht fällt) für einen der nahmhaftesten und bekanntesten Germanisten bezeichnen.“658 Sein „Deutsches Privatrecht“ sei eine „ungemein tüchtige, solide Arbeit“, wenn es auch als „an Originalität hinter dem Deinigen weit zurückstehend (woraus Stobbe sich selber keinen Hehl macht)“ 659 einzustufen sei. Stobbe schien in der Tat für Gerber die beste Wahl, zumal man ihm später nachsagte, „die Gedanken Gerbers, wenngleich in voller Selbständigkeit, durchgeführt und stofflich ausgefüllt“ 660 zu haben. Diese Betrachtungsweise ist jedoch, wie jetzt 653 Johann Ernst Otto Stobbe (1831–1887) studierte in Königsberg zunächst klassische Philologie, später Rechtswissenschaft. Er war in Leipzig Schüler Albrechts, von dem er entscheidende Einflüsse empfing. Nach seiner Habilitation war er ordentlicher Professor in Königsberg, danach in Breslau, vgl. im einzelnen Kern in HRG IV, Sp 1998 bis 2001. Zu Leben und Werk von Stobbe vgl. Scholze, Otto Stobbe (1831–1887), Ein Leben für die Rechtsgermanistik, Berlin 2002. 654 Zu Viktor Reinhard Karl Friedrich von Meibom (1821–1892), später Reichsgerichtsrat vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten S.387; zu Meibom vgl. auch Vortmann (Hrsg.), Die Lebenserinnerungen des Juristen Viktor von Meibom (1821–1892). Ein Juristenleben zwischen Theorie und Praxis, Marburg 1992. 655 Gerber an Ihering, Dresden, 13. October 1871 [294]: Gerber war der Ansicht, Meiboms Monographie „Das deutsche Pfandrecht“ gehöre „zum Besten, was wir haben“. 656 Gerber an Ihering, Dresden, 13. October 1871 [294]. 657 Gerber an Ihering, Dresden, 13. October 1871 [294]. 658 Ihering an Gerber, Wien, 18. October 1871 [295]. 659 Ihering an Gerber, Wien, 18. October 1871 [295]. 660 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 376 N. 2.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Scholze nachgewiesen hat und wie es sich nicht zuletzt aus Gerbers eigenen Aussagen ergibt 661, in Frage zu stellen. Die persönliche Bescheidenheit Stobbes kommt zum Ausdruck, wenn er sich mit seinem Vorgänger vergleicht: „Ja, wenn Gerber die Quellen so wie ich studiert hätte, oder wenn ich so denken könnte wie Gerber ...“ 662 Tendenziell vertrat Stobbe jedoch einen vermittelnderen Standpunkt als sein Vorgänger 663. Nach seinem Empfinden sollte sich die deutsche Privatrechtswissenschaft „jeder tendenziösen Auffassung enthalten, ebenso sehr des sogen. Romanisierens, als des sogen. Germanisierens“. 664 Weil er im Stoffumfang von Gierke, in der germanistischen Ausrichtung von Beseler und in der romanistischen Begrifflichkeit von Gerber übertroffen wurd, nahm er eine undankbare Mittelposition ein.665 Mit Stobbe übernahm Gerbers Leipziger Lehrstuhl jedenfalls ein Mann, der die Aussicht bot, eine gewisse Kontinuität von Gerbers wissenschaftlichen Anliegen zu garantieren. 666 Gewissermaßen als seinen Abschied von der Wissenschaft veröffentlichte Gerber 1872 in zwei Bänden „Gesammelte juristische Abhandlungen“. In seinem Vorwort, datiert Dresden, im Januar 1872, führt Gerber aus, daß es sich um kleinere Schriften aus Zeitschriften und Programmen der letzten zwanzig Jahre handelt. Von seinen zahlreichen akademischen Reden in dieser Zeit nahm Gerber nur drei auf, da ihm die übrigen als zu sehr zeitgebunden erschienen. Auf seinen Wunsch einer grundlegenden Überarbeitung und den „Plan, in einem Rückblick auf die germanistische Literatur der letzten Jahrzehnte eine Schilderung der allgemeinen Bewegung unserer Wissenschaft während dieser Zeit zu versuchen“ 667, mußte Gerber infolge Zeitmangels verzichten. Die Herausgabe der „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ konnte als „öffentliche Erklärung und Bestätigung dafür, daß damit für die produktiv rechtswissenschaftliche Tätigkeit der Endpunkt eintrat“ 668, gewertet werden. Tatsächlich betreute Gerber danach nur noch die 11. bis 16. Auflage seines „Systems des deutschen Privatrechts“ sowie die dritte Auflage der „Grundzüge des deutschen Staatsrechts“. Bei dieser war es ihm infolge seiner politischen Beanspruchung nicht möglich, sie um das Recht des Deutschen Reichs zu erweitern. Er verwies jedoch darauf, daß er das kaum bedauere, „da unsere Literatur nunmehr in dem Vgl. Zweiter Teil, Kapitel IV, Die Konflikte Gerbers mit den Germanisten. Bekker, JZ 1909, Sp. 85. 663 Kern, Juristenfakultät, S. 68. 664 Zitiert bei Kern, Juristenfakultät, S. 69. 665 Kern zu Stobbe in HRG IV, Sp. 2000. 666 Zu den Unterschieden in den Auffassungen Stobbes und Gerbers vgl. Scholze, Stobbe, S. 165 ff., insbesondere S. 167 zur abweichenden Ansischt hinsichtlich der unmittelbaren praktischen Anwendbarkeit des deutschen Privatrechts. 667 Gerber, Gesammelte Juristische Abhandlungen, S. III f. 668 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S. 334 N. 2. 661 662

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Werk von Laband 669 eine vorzügliche Bearbeitung dieses Gegenstands erhalten hat.“ 670 Gerber sah demnach Laband als seinen wissenschaftlichen Erben an, der seinen Ansatz im Staatsrecht weiter ausbauen würde. Mit seiner ganzen Kraft widmete sich Gerber fortan der ihm anvertrauten sächsischen Kulturpolitik. Gerbers zwanzigjährige Tätigkeit als Kultusminister, insbesondere auf dem Gebiet der Kirchen- und Schulgesetzgebung würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Es sollen nur einige besonders markante Eckpunkte Erwähnung finden. Im übrigen sei auf die relativ ausführliche Darstellung bei Beschorner 671 verwiesen. Fest steht, daß Gerber in zwei Jahrzehnten das Bildungs- und Erziehungswesen des wichtigsten deutschen Industrielandes maßgeblich prägte. Er krönte so sein Lebenswerk mit einer schöpferischen praktischen Tätigkeit, die sogar den erbittertsten politischen Gegnern Hochachtung abnötigte. 672 Hervorgehoben wurde im Zusammenhang mit Gerbers staatsmännischen Wirken, es habe „die klassische Formvollendung, durch welche sich seine wissenschaftlichen Werke auszeichnen ... auch seine parlamentarischen Reden“ 673 ausgezeichnet. Er sprach „fließend und klar, gewandt und sicher“. Auch war er, zumindest nach Darstellung seines Nachrufs, „in beiden Kammern des Landtages ... gleich beliebt und verehrt“ und verstand es,„durch seine urbanen Formen ... nicht selten, selbst spröde Fragen zu einer für das Ministerium günstigen Entscheidung zu bringen“ 674. Beispielhaft für Gerbers Kirchenpolitik ist die Unterstellung der evangelischen Landeskirche unter das Landeskonsistorium 1874. Damit entzog er die Kirchenleitung dem staatlichen Ministerium und übertrug sie einer kirchlichen Behörde. Durch das gleichzeitig in Kraft gesetzte neue Schulgesetz wurde die umstrittene konfessionelle Grundlage des sächsischen Schulwesens bekräftigt 675, obwohl nun staatliche Bezirksinspektoren die Oberaufsicht über die Volksschule inne hatten. 676 Ein Gesetz von 1876 regelte das Verhältnis des Staates zur römisch-katholischen Kirche, angesichts des katholischen Königshofs ein Unternehmen, das Feingefühl verlangte. Dabei wurde das staatliche Hoheitsrecht über die katholische Kirche 669 Paul Laband (1838–1918) studierte in Breslau, Heidelberg und Berlin. Er wurde 1866 ordentlicher Professor in Königsberg, 1872 in Straßburg. Von Landsberg wird er als „Testamentsvollstrecker“ Gerbers bezeichnet. Vgl. auch Laband, Lebenserinnerungen, hrsg. von Wilhelm Bruck, Berlin 1918. Zu Labands methodischer Anlehnung an Savigny und Puchta auch im Bereich des Staatsrechts vgl. Hattenhauer, Geistesgeschichtliche Grundlagen, S. 230. 670 Gerber, Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, 3. Auflage, Vorrede. 671 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 97 ff. 672 v. Oertzen, Gerber, S. 166. 673 Nachruf auf Gerber, Dresdner Nachrichten, Donnerstag, 24. December 1891, S. 1. 674 Dresdner Nachrichten, Donnerstag, 24. December 1891, S. 1. 675 Scheuffler-Klotzsche, Sächsische Kultusminister, in: Sächsisches Kirchen und Schulblatt, S. 632. 676 Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 100.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

Sachsens festgeschrieben, worin sich wohl auch Gerbers kritische Einstellung gegenüber dem Katholizismus manifestierte. Daß Gerber nicht den „gefährlichen Weg des Konkordats“ (das er ja, wie erwähnt, bereits zu seiner Tübinger Zeit vehement abgelehnt hatte) gegangen war, sondern „den sicheren Weg der staatlichen Gesetzgebung“ eingeschlagen hatte, wurde ihm von protestantischer Seite hoch angerechnet. 677 Man war der Ansicht, daß durch Gerbers Geschick „unser Vaterland von den unseligen Folgen des Kulturkampfs, wie er ringsum in Deutschland tobte“678, bewahrt wurde. Durch Gesetze wurden unter Gerber das Realschulwesen und das höhere Unterrichtswesen auf neue Grundlagen gestellt. Als von seinem Elternhaus geprägter Anhänger humanistischer Bildung erhöhte er die Zahl der königlichen Gymnasien in Sachsen von drei auf acht, davon zwei neue seit 1880 in Leipzig. 679 Die Leipziger Nicolai- und Thomas-Schule erhielten in seiner Amtszeit neue Gebäude, ebenso wie zahlreiche andere Schulen in Sachsen. 680 Seit dem Rücktritt des Ministers Friesen 1876 fungierte Gerber auch als Generaldirektor der königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft. 681 Im Hochschulbereich wandelte er in Dresden die „Polytechnische Schule“ erst 1871 zum „Polytechnicum“ und schließlich 1890 zur „Technischen Hochschule“ um. Besonders Förderung aber erfuhr die Universität Leipzig durch ihren ehemaligen Professor. In seiner Abschiedsrede in Leipzig hatte Gerber seine Grundsätze für die Behandlung von Universitätsangelegenheiten als Kultusminister folgendermaßen zusammengefaßt: „Schaffet jederzeit den ausgezeichneten Mann, befreit seine Wirksamkeit von allen Hindernissen und regiert im übrigen so wenig als möglich.“ 682 Es waren wohl nicht zuletzt Gerbers eigene Erfahrungen als Hochschullehrer, die ihm diese Maxime nahelegten. Unter Gerber wurden tatsächlich eine ganze Reihe bedeutender Professoren nach Leipzig gerufen. Von der Juristenfakultät sind außer Stobbe auch Windscheid, Binding, Wach und Sohm zu nennen. 683 Gerber waren auch die Entstehung neuer wissenschaftlicher Anstalten und die Schaffung zahlreicher neuer Lehrstühle zu verdanken. 684 Er initiierte eine große Zahl von Neubauten, die er „mit dem vollen Rüstzeug der Forschung“ ausstatten ließ. 685 So wuchs in der Leipziger Johannisvorstadt ein ganzes Viertel von medizinischen Instituten aus dem Boden, die Juristenfakultät erhielt den „stolzen Doppel677 678 679 680 681 682 683 684 685

Scheuffler-Klotzsche, Kultusminister, S. 633. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 99. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 102. Beschorner, ADB, S. 294. Beschorner, ADB, S. 296. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 102. Zu diesen vgl. Kern, Juristenfakultät, S. 69 f. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 103 f. Beschorner, ADB, S. 296.

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palast“ des am 30. October 1882 eingeweihten Juridicums. 686 Dabei handelte es sich um ein neues Gebäude am gewohnten Ort in der Petersstraße. 687 Insgesamt trug Gerber als Kultusminister dazu bei, in Sachsen eines der fortschrittlichsten Bildungssysteme jener Zeit zu schaffen und aus der Universität Leipzig eines der wichtigsten Kulturzentren Europas zu machen. 688 Seine praktische Arbeit für das Bildungswesen, bei der er sich bewußt seine Selbständigkeit zwischen Krone und Landtag und zwischen den Parteien bewahrte, kann nicht als Verleugnung oder Entwertung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, sondern auch als ihre Erfüllung angesehen werden. 689 Nur acht Wochen vor seinem Tod hielt Gerber die Ansprache zur Eröffnung der unter ihm zwischen 1887 und 1891 erbauten neuen Leipziger Universitätsbibliothek, der „Albertina“. 690 Bei diesem Anlaß verkündete der amtierende Rektor Binding, daß die Hochschule beschlossen hatte, „dem um sie hochverdienten Staatsund Cultusminister durch Aufstellung seiner Portraitbüste im großen Lesesaale der Bibliothek eine monumentale Ehre darzubringen“691 Die Büste war im Atelier des Bildhauers Schilling angefertigt worden. Sie ist heute wieder im Treppenhaus der aufwendig wiederhergestellten alten Leipziger Universitätsbibliothek zu bewundern. Gerber ist nach dem Geschmack der Zeit im Stil eines römischen Senators dargestellt und blickt leicht melancholisch. Wie in der Rede des Rektors anklang, war Gerber gegen Ende seines Lebens Staatsminister geworden. Er war nach den Tod des Ministers v. Fabrice mit dem Vorsitz im Gesamtministerium und gleichzeitig mit dem Amt eines sächsischen Ordenskanzlers betraut worden. 692 Für seine Person hatte Gerber die tiefe Kluft, die im Kaiserreich das besitzende und gebildete Bürgertum von der verantwortlichen Leitung des Staates trennte, schon seit langem überwunden.693 Dies belegen auch die anderen hohen königlichen Auszeichnungen, mit denen er in Sachsen dekoriert wurde. Bereits 1878 wurde er anläßlich der Silberhochzeit des Königspaares in den erblichen Adelsstand erhoben, 1888 erhielt er bei der WettinFeier die Rautenkrone, den höchsten sächsischen Orden, verliehen. 694 Gerber starb mit 68 Jahren auf dem Höhepunkt seines politischen Wirkens. Am 22. Dezember 1891 traf ihn im Ministerium „mitten in Ausübung seines Berufes“ 695 686 687 688 689 690 691 692 693 694 695

Beschorner, ADB, S. 296. Kern, Juristenfakultät, S. 71. Losano, Bd. 2, S. 198. Vgl. v. Oertzen, Gerber, S. 167. Whistling in der Beilage zum Leipziger Tageblatt vom 24. Dezember 1871. Whistling in der Beilage zum Leipziger Tageblatt vom 24. Dezember 1871. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 105. Vgl. v. Oertzen, Gerber, S. 167. Beschorner, Sächsische Lebensbilder, S. 105. Beschorner, ADB, S. 296.

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1. Teil: Das Leben Carl Friedrich Gerbers

ein Schlaganfall. Zwar war danach vordergründig eine „scheinbar beruhigende Erholung“ 696 zu verzeichnen. Nach einem zweiten Schlaganfall trat dann jedoch am 23. Dezember um vier Uhr früh der Tod ein. 697 Die „Dresdner Nachrichten“ vom 24. Dezember 1891 widmeten Gerber einen ausführlichen Artikel auf der Titelseite. Einleitend wird beteuert, es habe sein „unerwarteter Tod ... unserem Könige seinen ersten Berater, dem Staate seinen verdienstvollsten Beamten geraubt“ 698. Das Land erleide dadurch einen „unersetzlichen Verlust: denn Dr. v. Gerber war nicht blos ausgezeichnet durch staatsmännische Vorzüge, er glänzte auch als epochemachender Vertreter der Wissenschaft und als deutscher Patriot ...“ Nach einer Würdigung der Vita Gerbers wurde noch einmal ausführlich auf seine wissenschaftlichen und politischen Verdienste eingegangen, sein „Lebensberufe als Gelehrter und als Staatsmann“699. Über Gerbers Beerdigung am 27. Dezember berichteten die „Dresdner Nachrichten“ ebenfalls auf der Titelseite. 700 Demnach fand sich im Trauerhaus Theresienstraße 4 vormittags zwischen 11 und 12 Uhr eine zahlreiche Trauerversammlung ein. Neben Vertretern des Adels, der Ministerien, der evangelischen Kirche und des Militärs waren auch die Repräsentanten der Universität Leipzig anwesend: Rektor, Prorektor und die Dekane der vier Fakultäten. Schließlich erschien unter den Kondolierenden auch der König und wurde von Gerbers jüngerem Sohn begrüßt. Bei der anschließenden Trauerfeier hielt Hofprediger Dr. Löber die Trauerrede. Der Leichenzug „unter dem feierlichen Geläute der Neustädter Kirchenglocken“ führte über die Theresienstraße zum Albertplatz und weiter zum inneren Neustädter Friedhof. Zu den Klängen von Chopins Trauermarsch, gespielt vom Musikchor des Leibgrenadierregiments wurde der Sarg „zu dem im dritten Felde des Kirchhofes gelegenen mit Fichtenreisig bestreuten Grabe getragen“, geleitet von der Trauerversammlung mit den fünf Staatsministern an der Spitze. Gerbers Grab ist noch heute auf dem Inneren Neustädter Friedhof, damals auch „alter Friedhof“ genannt, zu finden. 701

Leipziger Tageblatt vom 24. Dezember 1891. Beschorner, Sächsische Lebensbilder S. 104. 698 Dresdner Nachrichten, Donnerstag, 24. Dezember 1891, S. 1. 699 Dresdner Nachrichten, Donnerstag, 24. Dezember 1891, S. 1. 700 Dresdner Nachrichten, Montag, 28. Dezember 1891, S. 1. 701 Schriftliche Auskunft des Kirchenbuchamtes Dresden mit Verweis auf den Sterbeeintrag des Dr. Carl Friedrich Wilhelm von Gerber, Sterberegister Dreikönigskirche 1891 Nr. 491. 696 697

Zweiter Teil

Das Werk C. F. v. Gerbers I. Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts 1846 1. Entstehung Mit gerade 23 Jahren schloß Gerber seine erste größere wissenschaftliche Arbeit „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ ab. Vermutlich war Gerber unter anderem auch durch seine Rezensionstätigkeit dazu angeregt worden, ein eigenes Werk auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts zu verfassen. Außerdem scheint ihn Mittermaier zu einer Arbeit in diesem Bereich ermuntert zu haben. Im April 1846 berichtete Gerber mit bemerkenswertem Selbstbewußtsein seinem akademischen Lehrer: „Ihrem eigenem Rathe zufolge habe ich schon früh begonnen, litterarisch thätig zu werden. Außer einigen Recensionen ... habe ich auch eine selbständige Lehre des deutschen Privatrechts in Form einer Monographie ausgearbeitet, welche nun im Manuskript ... vorliegt. Schon seit langer Zeit war meine Gedankenrichtung der Frage über das wissenschaftliche Princip des deutschen Privatrechts zugewandt, und ich glaube nun, durch fortgesetztes Studium den Weg gefunden zu haben, auf dem die bis jetzt noch nicht vollständig geschlichteten Streitpunkte dieser wichtigen Frage in sicherer Weise ihre Erledigung finden. Es ist nicht Anmaßung, welche mich bewegt, dieß Urtheil auszusprechen, sondern eine auf langes Nachdenken und Studium gegründete Ueberzeugung. – Das Werkchen wird im Druck, der schon begonnen hat und im Juni beendet sein wird, etwa 17 bis 18 Bogen ausmachen ...“. 1 Im 29. Band des „Archivs für die civilistische Praxis“, zu dessen Herausgebern Mittermaier gehörte, erschien 1846 auf der letzten Seite, allerdings ohne jede inhaltliche Besprechung, der Hinweis: „In der Crökerschen Buchhandlung zu Jena ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu haben: Dr. C. F. Gerber, das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts, Preis 1 Rthlr. 8 g Gr.“ Gewidmet war das Buch, wie bereits erwähnt, neben Mittermaier auch den beiden Jenaer Professoren Ortloff und Guyet „als Zeichen tiefgefühlter Verehrung“. 1 Gerber an Mittermaier, Jena 6. April 1846, UB Heidelberg, H.HS 2746/7, Jelowik, S. 261/262 [121].

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

2. Inhalt a) Aufbau und Einleitung „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ ist, wie Gerber selbst in der Einleitung beschreibt 2, in drei Teile gegliedert: Ein erster Abschnitt widmet sich der Dogmengeschichte und teilt die verschiedenen über das Thema ausgesprochenen Ansichten mit. In einem zweiten Abschnitt wird die Geschichte des einheimischen Rechts seit der Rezeption des römischen Rechts behandelt. Im dritten Abschnitt schließlich unternimmt Gerber den Versuch, „auf Grund der aus dieser Geschichte gewonnenen Thatsachen ein wissenschaftliches Princip für das deutsche Privatrecht selbst aufzustellen und zu begründen.“ 3 Als Rechtfertigung für seine Monographie über das gemeine deutsche Privatrecht führt Gerber das Erfordernis einer vertieften wissenschaftlichen Prüfung an. 4 Die bisherigen Bearbeitungen des Stoffs erscheinen ihm nicht befriedigend. In seiner Einleitung macht Gerber zunächst auf eine „Eigenthümlichkeit“, ja „Abnormität“ der Jurisprudenz gegenüber den anderen Wissenschaften seiner Zeit aufmerksam. Er betont, daß „derselbe, seinem Inhalte nach unzertheilte Stoff wegen der Mehrheit seiner Quellen den Gegenstand verschiedener einander gegenüberstehender Systeme ausmacht“. 5 Gemeint ist damit die Antinomie der wissenschaftlichen Behandlung des gemeinen deutschen Privatrechts und des „heutigen römischen Rechts“. Ausgangspunkt von Gerbers Gedankenführung ist somit das Verhältnis zwischen deutschem und römischem Recht. Gerber unterscheidet drei wichtige Stadien der Entwicklung des deutschen Rechtslebens, von deren genauer Abgrenzung er sich eine tiefere Einsicht in den gegenwärtigen Zustand des Rechts verspricht. 6 Auf der ersten Stufe stehen für Gerber die durch die „produktive Kraft eines originellen Rechtsbewußtseins“ 7 hervorgebrachten Rechtsbücher des Mittelalters. Das von ihnen in Grundzügen abgebildete Rechtssystem hätte, „wenn es selbständig und ohne trübende Einmischung fremder Elemente“ weiter ausgebildet worden wäre, „selbst den vielseitigsten Ansprüchen der Gegenwart genügt“ 8. Diese Entwicklung wurde jedoch durch die Rezeption gehemmt. Während „die Entwicklung des eigenen Rechts noch in ihren Anfängen begriffen war“ 9, bot sich 2 3 4 5 6 7 8 9

Gerber, Princip, S. 14. Gerber, Princip, S. 14. Gerber, Princip, S. 13. Gerber, Princip, S. 3. Gerber, Princip, S. 7/8. Gerber, Princip, S. 8. Gerber, Princip, S. 8. Gerber, Princip, S. 9.

I. Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts 1846

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die Annahme eines „durch die mehr als tausendjährige Tätigkeit des vorzugsweise zur Rechtserzeugung berufenen Volks vollendeten Rechtssystems“ 10 an. Die letzte Periode eines einheitlichen und selbständigen deutschen Rechts war für Gerber also die Zeit des späten Mittelalters, kurz vor Beginn der Rezeption. 11 In der Rezeptionszeit sieht Gerber das zweite Stadium der deutschen Rechtsentwicklung, gekennzeichnet durch „den Kampf des nationalen Rechts mit dem fremden“ 12. Gerber stellt zur Wirkungsweise des römischen Rechts fest, daß es trotz der höchsten Vollendung seines Rechtssystems vollständig nur für das Volk passe, aus dem es ursprünglich hervorging 13. Dabei wendet er sich ausdrücklich gegen naturrechtliches Gedankengut – in seinen Augen eine „leere Chimäre“ 14 – wonach „ein Rechtssystem aus lauter absoluten und universalen, allen Völkern, Sitten und Verhältnissen gleich angemessenen Wahrheiten bestehen könne“ 15. Aus diesem Grund ist durch die Rezeption das einheimische Recht nicht vollständig ersetzt worden, wenn auch dessen größerer Teil unterging. 16 Es wirkte „die rechtserzeugende Kraft des deutschen Volkes ... still und langsam fort“, und zwar mit der Zielsetzung, „das fremde Rechtselement auf einheimischem Boden zu naturalisieren“ 17. Für seine Zeit sieht Gerber das dritte Stadium der Entwicklung des deutschen Rechts angebrochen, in dem sich die Aufgabe stellt, „auf dem nach langer Arbeit zum Niveau geebneten Rechtsboden neue, originelle Keime des Rechts hervorzutreiben“. 18 Gerber sieht in seiner Gegenwart eine „neue Aufgabe des Germanisten“ als die eines „Taufzeugen für neu geborene Rechtselemente“ 19. Er muß diese „frischen und jungen Keime“ wahrnehmen, sie „in ihrer allmählichen Entwicklung“ beobachten, sie pflegen und endlich „nach vollendetem Bildungsprocesse in die Reihe anerkannter Rechtswahrheiten“ 20 aufnehmen. Die Zeit erscheint ihm reif für einen neuen Ansatz, zumal die bisherigen Bearbeitungen des deutschen Privatrechts ihn offensichtlich nicht überzeugen. Gerber spricht von einem schmerzlichen Gegensatz „zwischen der unsichern und schielenden Dogmatik und den trefflichen Bemühungen der neuern Zeit für Geschichte und Quellen des deutschen Privatrechts“, wobei für ihn die unbefriedigende Dogmatik allein durch den „Zwiespalt über das Gerber, Princip, S. 8. v. Oertzen, Carl Friedrich von Gerber, in: Peter v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 220. 12 Gerber, Princip, S. 9. 13 Gerber, Princip, S. 9. 14 Gerber, Princip, S. 9. 15 Gerber, Princip, S. 9. 16 Gerber, Princip, S. 9. 17 Gerber, Princip, S. 9. 18 Gerber, Princip, S. 11. 19 Gerber, Princip, S. 11. 20 Gerber, Princip, S. 11. 10 11

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

oberste wissenschaftliche Princip“ 21 verursacht wird. Mit seinem wissenschaftlichen Erstlingswerk möchte Gerber einen Beitrag zur Lösung dieses von ihm als dringend angesehenen Problems liefern.

b) Erster Abschnitt Dazu faßt Gerber zunächst im ersten Abschnitt in einer Dogmengeschichte auf 93 Seiten 22 die bisher in der Wissenschaft erarbeiteten Beiträge zum Princip des gemeinen deutschen Privatrechts zusammen. Gerber gliedert den dogmengeschichtlichen Teil nach einleitenden Bemerkungen in § 1 in vier Abschnitte 23. Markante Eckpunkte stellen für ihn die Werke der Germanisten Beyer, Pütter, Runde und Eichhorn dar. In den Einleitungsbemerkungen beschreibt Gerber die Rechtswissenschaft des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Nach Vollendung der Rezeption im fünfzehnten Jahrhundert bildete das römische Recht in diesem Zeitraum beinahe den ausschließlichen Gegenstand der wissenschaftlichen Beschäftigung. 24 Die „Reste des deutschen Rechts“ 25, die in den alten Stadt- und Dorfrechten weiterlebten, wurden von den akademischen Juristen geringgeschätzt. Autoren des siebzehnten Jahrhunderts wie Schilter, Thomasius und Conring 26 anerkannten laut Gerber noch nicht hinreichend den selbständigen Charakter der deutschrechtlichen Bestimmungen 27, weshalb Gerber ihr Werk nicht weiter bespricht. Die Werke im achtzehnten Jahrhundert, die sich, wie die „Delineationen“ des Thomasius-Schülers Georg Beyer 28 (1655–1714) erstmals mit dem deutschen Privatrecht beschäftigten, stellen nach Gerbers Ansicht nur „nackte historische Antiquitäten“ 29 bzw. eine „Curiositätensammlung“ 30 dar und genügen seinem Wissenschaftsbegriff nicht. Immerhin hält Gerber fest, das „Dasein der Wissenschaft des Gerber, Princip, S. 13. Gerber, Princip, S. 15–118. 23 Princip, § 2–§ 5. 24 Gerber, Princip, S. 19. 25 Gerber, Princip, S. 19. 26 Gerber, Princip, S. 22 nennt sie in dieser nicht chronologischen Reihenfolge, wobei er das Werk von Thomasius nicht einmal in einer Fußnote erwähnt. Zu Conring vgl. Patricia Herberger, „De origine iuris Germanici“ – Zu Leben und Werk von Hermann Conring in: JuS 1982, S. 484 ff.; Kern, Der deutschrechtliche Unterricht an den sächsisch-thüringischen Universitäten, S. 27/28. 27 Gerber, Princip, S. 23. 28 G. Beyeri delineatio juris Germanici ad fundamenta sua revocati. Edid. Griebner. Hal. 1718, von Hoffmann Lips. 1729 herausgegeben; zu Beyer vgl. Kleinheyer/Schröder, S. 467; Kern, Der deutschrechtliche Unterricht an den sächsisch-thüringischen Universitäten, S. 18. 29 Gerber, Princip, S. 27. 30 Gerber, Princip, S. 28. 21 22

I. Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts 1846

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deutschen Privatrechts“ 31 lasse sich auf den Versuch Beyers zurückführen, der als erster eine akademische Vorlesung über das „jus Germanicum“ angeboten habe.32 Dem kurze Zeit später erschienenen Buch von Heineccius 33 gibt Gerber unter Hinweis auf die „äußere wissenschaftliche Behandlung des Stoffes ... einen unbedingten Vorzug“ 34 vor dem Werk Beyers. Allerdings merkt er an, daß in dem Buch die Orientierung auf das praktisch anwendbare Recht gegenüber den „antiquarischen Details“ so sehr zurücktrete, „daß schon damals beim Erscheinen die Brauchbarkeit des Buches bezweifelt werden mußte“. 35 Die Bearbeitungen des deutschen Privatrechts durch Engau, Eisenhart und Benedict Schmid beurteilt Gerber als „principlos und mit Irrthümern überhäuft“36 bzw. die beiden letzteren als „durchaus unbedeutend“.37 Dem gegenüber hält Gerber das als verschollen angesehene Werk von Johann Georg Estor 38 für „so einzig in seiner Art, daß ich nicht umhin kann, es näher zu charakterisieren. 39 Die Besonderheit des Buches liegt für Gerber darin, daß Estor mit den in seinem Buch erwähnten Rechtssätzen „Bemerkungen und Traktate aus der Naturgeschichte und fast allen Fächern des Wissens“ 40 verwebt. Gerbers hauptsächlicher Kritikpunkt an Estor weist bereits auf seinen eigenen wissenschaftlichen Ansatz hin: Estor habe verkannt, daß „die Sache dem Rechte nur von der einen Seite von Interesse ist nach welcher sie Gegenstand einer totalen oder partiellen Unterwerfung unter den Willen einer Person sein kann ...“ 41 und sich daher in Nebensächlichkeiten verloren. Zu der Frage, die für Gerber im Mittelpunkt steht, nämlich, „welches die eigentliche juristische Natur des deutschen Privatrechts“ 42 ist, findet er bei diesem Autor keine Antworten. Gerber, Princip, S. 25. Gerber, Princip, S. 24. 33 Heineccii elementa juris Germanici tum veteris tum quod hodie in ipsis obtinet rerum argumentis, Teil I, Halle 1736, Teil II, Halle 1737, vgl. Gerber, Princip, S. 29 Fn. 11; zu Heineccius vgl. Kleinheyer/Schröder, S.482; Kern, Der deutschrechtliche Unterricht an den sächsischthüringischen Universitäten, S. 27/28. 34 Gerber, Princip, S. 30. 35 Gerber, Princip, S. 29. 36 Gerber, Princip, S. 32. 37 Gerber, Princip, S. 33. 38 Johann Georg Estor’s teutsche Rechtsgelahrtheit angefertiget durch J.A. Hofmann, 2 Teile Marburg 1757 und 1758, vgl. Gerber, Princip, S. 34 Fn. 17; zu J. G. Estor und seinem System der „Bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen“ vgl. Buschmann in FS Kroeschell, München 1997, S. 77 ff.; Buschmann stellt auch ausführlich Gerbers negative Meinung zu Estor dar, vgl. Buschmann in FS Kroeschell, S. 79. 39 Gerber, Princip, S. 34. 40 Gerber, Princip, S. 35/36. 41 Gerber, Princip, S. 36. 42 Gerber, Princip, S. 36. 31 32

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Gerber hält es für überflüssig, sich mit den Abhandlungen weiterer Schriftsteller dieser Zeit, die er in einer Fußnote erwähnt, zu beschäftigen, da sie für ihn „auf der Stufe früherer Behauptungen stehen geblieben“ 43 sind. Er hält fest, es werde in dieser Periode „unendlich viel disputiert über die Nothwendigkeit der Aufstellung eines Systems des vaterländischen Rechts“ und es regten sich zu dieser Zeit bereits „jene patriotischen Empfindungen gegen das fremde Recht, die man, wie es selbst heutezutage noch bisweilen vorkommt, anstatt juristischer Gründe zum Vertheidigungsmittel des deutschen Rechts benutzte“ 44. Die für Gerber allein relevante Frage, ob nämlich ein gemeines überall anwendbares einheimisches Recht zu konstruieren sei, wurde immer noch nicht gestellt. Deshalb hält Gerber die Darstellung Johann Stephan Pütters45, die er im nächsten Abschnitt (§ 3) behandelt, für Epoche machend und bahnbrechend. Er sei der erste, der nicht nur das Bedürfnis nach einer Beantwortung der aufgestellten Frage (nämlich nach dem wissenschaftlichen Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts) verspürte, sondern schon eine „in vieler Beziehung wissenschaftlichere Antwort“ 46 gab. Er habe die Notwendigkeit gefühlt „ein oberstes und leitendes Princip aufzustellen, welches dann die ganze behandelte Masse beherrschen sollte“ 47. Ein weiteres Verdienst Pütters sieht Gerber in der Systematisierung der deutschrechtlichen Quellen. 48 Pütters „Princip“ ist für Gerber allerdings allein schon unter dem Aspekt der Logik nicht haltbar. Man könne nicht behaupten, das deutsche Privatrecht sei ein gemeines Recht der Theorie und nicht der Praxis. Gerber hält dagegen, ein Recht, „das bloß als gemeines gedacht werden kann“, sei „in der That kein gemeines“ 49. Pütter habe daher zwar die früheren „chimärischen Ansichten“ 50 verdienstvoll negiert, selbst aber keine neue positive Größe geschaffen. Auf diese Kritik Gerbers an Pütter wird bei der Bewertung von Gerbers eigenem „Princip“ noch zurückzukommen sein. Im Gegensatz dazu geht Selchow 51 nach Darstellung Gerbers von der Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts aus, das in ganz Deutschland oder zumindest in den meisten Teilen unmittelbare Anwendbarkeit besitzt. Über das Verhältnis dieses deutschen Privatrechts zum römischen Recht und den Partikularrechten äußere Gerber, Princip, S. 38, insbes. Fn. 19. Gerber, Princip, S. 39. 45 Johann Stephan Pütter: elemanta juris Germanici hodierni, Göttingen 1748, letzte Auflage 1776, vgl. Gerber, Princip, S. 40, Fn. 20; zu Pütter vgl. Willoweit in HRG IV Sp. 114 ff.; vgl. auch Jan Schröder (Hrsg.), Anfangsgründe des Naturrechts, Gottfried Achenwall, Johann Stephan Pütter, Hrsg. und übers. von Jan Schröder, Frankfurt/M. 1995. 46 Gerber, Princip, S. 40. 47 Gerber, Princip, S. 41. 48 Gerber, Princip, S. 42. 49 Gerber, Princip, S. 43. 50 Gerber, Princip, S. 43. 51 Joh. Henr. Christ. Selchow, De elementa juris Germanici privati hodierni ex ipsis fontibus deducta, Göttingen 1757, vgl. Gerber, Princip, S. 43, Fn. 23. 43 44

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sich Selchow nicht explizit, aus Andeutungen könne man aber schließen, daß er ihm die „Kraft eines gemeinen subsidiären Gesetzbuchs“ 52 beilege. Bei genauer Betrachtung könne man in Selchows Princip eine außerordentliche Übereinstimmung mit den späteren Aussagen von Runde erkennen, insbesondere was dessen Behauptung von der „Natur der Sache“ betrifft, deren Besprechung Gerber einem späteren Teil seines Buches vorbehält. 53 Selchows Verdienst sieht Gerber zum einen darin, daß er die Frage nach der Bedeutung der Quellen für das gegenwärtige Recht behandelte und die alten Volksrechte und Rechtsbücher aus der Reihe der gegenwärtigen Quellen ausschied. Einen relativen Wert von Selchows Werk erkennt Gerber darin, daß dieser – im Gegensatz zum „negierenden Ausspruche“ Pütters – eine „positive Grundlage zur Beurtheilung des praktischen Werths des deutschen Rechts“ 54 aufgestellt habe. Dieses Verdienst komme Selchow selbst dann zu, wenn seine Ansicht als unrichtig verworfen werden muß, da sich nach Gerbers Einschätzung der „Einfluß eines falschen positiven Princips“ 55 auf die Praxis nur sehr langsam bemerkbar macht und die fördernde Wirkung für das zur damaligen Zeit noch um sein Ansehen in der Praxis ringende deutsche Recht überwiegt. Auf Selchows „System“ habe eine Abhandlung von Mylius 56 entscheidenden Einfluß gehabt, deren Kernaussage Gerber unkommentiert folgendermaßen zusammenfaßt: Es gibt ein unmittelbar anwendbares gemeines deutsches Privatrecht „welches nicht nur aus Reichsgesetzen und wirklichen gemeinen Gewohnheiten gewonnen wird, sondern auch aus denjenigen als anwendbar zu betrachtenden Rechtssätzen, die, wenn auch nicht überall, doch an den meisten Stellen Deutschlands anerkannt werden“ 57. Die Schrift von Rudloff 58, von Gerber als „viel treffender und bedeutender“ 59 eingeschätzt, versuche, die in Pütters System nur angedeuteten Ideen in „wissenschaftlicher Deduction“ auszuführen und sie mit den „Ansprüchen an ein Rechtssystem“60 Gerber, Princip, S. 45. Gerber, Princip, S. 45.; Gerber kommt auf Rundes „Natur der Sache“ ganz am Ende des Buches zurück, um die seiner Ansicht nach auf Runde basierende Ansicht Reyschers zu kritisieren, vgl. Gerber, Princip, S.310. Auf Rundes Lehrbuch als solches geht er bereits in §4 näher ein, Gerber, Princip, S. 56 ff. Zur Natur der Sache bei Runde vgl. auch Marx, Heinrich, Die juristische Methode der Rechtsfindung aus der Natur der Sache bei den Göttinger Germanisten Johann Stephan Pütter und Justus Friedrich Runde, Göttingen 1967. 54 Gerber, Princip, S. 45. 55 Gerber, Princip, S. 45. 56 F. H. Mylius, De genuino conceptu juris Germanici universalis hodierni privati civilis, Leipzig 1752, vgl. Gerber, Princip, S. 46, Fn. 24. 57 Gerber, Princip, S. 46. 58 G. A. Rudloff, Comment. de jure Germanico justa methodo tractando, Goettingen 1767, vgl. Gerber, Princip, S. 46 Fn. 25. 59 Gerber, Princip, S. 46. 60 Gerber, Princip, S. 47. 52 53

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in Einklang zu bringen. Bei der Frage nach den Quellen für ein gemeines unmittelbar anwendbares deutsches Recht scheide Rudloff sowohl das Material der Reichsgesetze als auch die ältesten und mittelalterlichen Quellen aus. Ebensowenig komme ein Vergleich der neueren Statuten infrage, da diese bereits mit „fremden und den echt germanischen Urformen zuwider laufenden Instituten“61 durchsetzt seien. Dennoch spricht sich nach Gerbers Darstellung Rudloff für die Konstruktion eines gemeinen deutschen Rechts aus all diesen Quellen aus, die man dann allerdings nicht mit der Intention „eines Interpreten anwendbarer Gesetze“ behandeln solle, sondern mit der Tendenz, „die leitenden germanistischen Principien (um den später so beliebten Ausdruck zu wählen)“ für die noch zu Gerbers Zeit vorkommenden deutschrechtlichen Institute herauszufinden. 62 Resultat solle kein in der Praxis anwendbares Recht sein, sondern ein nur in der Theorie existentes, das allein den Zweck habe, daß „die einzelnen in Deutschland vorkommenden Rechtsinstitute richtig erklärt und besonders ihrem inneren Wesen und Charakter nach erkannt würden“ 63. Allerdings erkenne Rudloff diesem Recht für einen Fall dennoch eine unmittelbare Anwendbarkeit zu: Wenn das Partikularrecht eines Landes in einem strittigen Punkt eine Lücke aufweise, so sei die „ratio“ anwendbar, „welche aus einer Uebereinstimmung aller deutscher Quellen gefunden und in jenem Rechtssysteme aufgestellt worden sei“ 64. Dieser von Rudloff sogenannten „Analogie des deutschen Rechts“ 65 komme Vorrang vor der Anwendung römischen Rechts zu. Gerber kritisiert allerdings die mangelnde Konsequenz des Rudloffschen Princips, da angesichts des damaligen Stands des geschriebenen Partikularrechts diese von Rudloff als Ausnahme gedachte unmittelbare Anwendung des deutschen Rechts zur Regel werden und dieses somit zu einem „allgemeinen subsidiären Rechte“ erheben mußte. 66 Zugleich äußert er sich anerkennend über die „Willenskraft“ des Verfassers, der es gewagt habe, zugunsten „eines auf wissenschaftlichem Wege gefundenen Resultats ein ganzes Rechtsgebiet dem langjährigen Besitze der Praxis mit diktatorischer Gewalt zu entreißen“ 67. In einem kurzen Einschub erwähnt Gerber die seiner Ansicht nach verfehlten Thesen Senckenbergs 68 und Fischers 69, die den Rechtsbüchern des Mittelalters unGerber, Princip, S. 47. Gerber, Princip, S. 48. 63 Gerber, Princip, S. 48. 64 Gerber, Princip, S. 48. 65 Gerber, Princip, S. 49. 66 Gerber, Princip, S. 49. 67 Gerber, Princip, S. 49. 68 Chr. H. v. Senckenberg, Gedanken von dem jederzeit lebhaften Gebrauche des uralten deutschen bürgerlichen und Statsrechts in denen nachherigen Reichsgesetzen und Gewohnheiten, Frankfurt, 1759, vgl. Gerber, Princip, S. 50, Fn. 26; Senckenberg wird von Gerber ansonsten als „verdienstvoll“ bezeichnet, Princip, S. 50. 69 E. Ch. J. Fischer’s Entwurf einer Geschichte des deutschen Rechts, Leipzig, 1791, vgl. Gerber, Princip, S. 51, Fn. 27. 61 62

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mittelbare verbindliche Kraft zuschrieben. Gerber meint, darauf nicht ausführlicher eingehen zu müssen, da diese These seitdem „für immer aus der Reihe gangbarer Ansichten“ verschwunden sei. 70 Unmittelbar an den Vesuch Rudloffs reiht sich für Gerber eine Schrift Tafingers 71 an. Ihr gesteht Gerber das Verdienst zu, in einer „gut geschriebenen Litterärgeschichte“ erstmalig ein „Gesamtbild von der bisherigen Thätigkeit der Bearbeiter des deutschen Rechts für diese Frage“ – nämlich der nach dem „Princip“ – geliefert zu haben. 72 Tafinger empfindet laut Gerber die „Notwendigkeit der Aufstellung eines Systems des deutschen Privatrechts“ und postuliert, daß der „oberste, leitende Grundsatz bei der Aufstellung eines gemeinen deutschen Privatrechts in der s. g. Analogie des deutschen Privatrechts“ 73 liegen soll. Es handelt sich dabei nicht um anwendbares Recht sondern um eine „wissenschaftlich bearbeitete Rechtstheorie“, die als Hilfsmittel zur Interpretation unklarer Gesetze dient. Ziel Tafingers ist es, „aus einer Verfolgung der allmählichen Entwicklung der Institute aus ihren ersten Anfängen durch alle Perioden ihrer Ausbildung“ die Grundideen zu gewinnen, „deren Gesammtheit ein System des deutschen Privatrechts“ 74 darstellen soll. 75 In der auch von Gerber bei Tafinger hervorgehobenen historisch-vergleichenden Untersuchung, d. h. in der „Isolierung leitender deutschrechtlicher Grundsätze und innerer Wahrheiten aus der Natur eines jeden einzelnen Rechtsinstituts durch das Medium der historischen Genese“ wurde in neuerer Zeit das „wirklich revolutionierend Neue an Tafingers wissenschaftlich erarbeiteter Theorie des deutschen Privatrechts“ gesehen. 76 Gerber kritisiert allerdings die von Tafinger zur Beschreibung seiner wissenschaftlichen Methode verwendete Bezeichnung „Analogie“. Eine juristische Analogie sei im Grunde nur „eine eigenthümliche, besondere Anwendung eines Gesetzes, Gerber, Princip, S. 51. W. G. Tafinger, Über die Bestimmung des Begriffs der Analogie des teutschen Privatrechts und der Grundsätze, dasselbe zu bearbeiten, 1. Teil, Ulm 1787, vgl. Gerber, Princip, S. 51, Fn. 28. 72 Gerber, Princip, S. 51/52. 73 Gerber, Princip, S. 52. 74 Gerber, Princip, S. 52/53. 75 Schlosser hat eine erstaunliche Parallelität und Kontinuität zwischen Tafinger und Gerber herausgearbeitet: Tafingers Privatrechtstheorie stehe im Dienste der Praxis. Sie sei Einleitung in die Partikularrechte, Interpretationshilfe bei dunklem Gesetzeswortlaut und trete bei Lükkenhaftigkeit der Partikularrechte auch vertretend an die Stelle des positiven Rechts. Gerade in dieser höchst aktuellen Ausrichtung nehme sie Gerbers praktisches Theorieprinzip in nuce vorweg, vgl. Schlosser, Das „wissenschaftliche Prinzip“ der germanistischen Privatrechtssysteme, in: Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, S.491–515, hier S. 502/503. Dazu ist allerdings anzumerken, daß nach Gerber gerade keine Lückenfüllung durch das gemeine deutsche Privatrecht möglich ist. 76 Schlosser, Prinzip, S. 501. 70 71

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dessen sonstige verbindende Kraft außer Zweifel gesetzt sein muß“.77 In Tafingers Theorie liegt für Gerber demnach eine „petitio principii“, Tafinger habe „die Schwierigkeit umgangen und verhüllt, keineswegs aber behoben“. 78 Daß Gerber dennoch die wissenschaftliche Leistung Tafingers keineswegs geringschätzt, zeigt sich an anderer Stelle, wo er davon spricht, daß Tafinger sich „über seine Zeit ... erhebt und in künftige Stadien der Wissenschaft eintritt“ 79. In einer abschließenden Analyse der untersuchten Schriftsteller des 18. Jahrhunderts unterscheidet Gerber hauptsächlich zwei Wege der Behandlung des deutschen Privatrechts. Von dem einen Teil der Literatur werde dem deutschen Privatrecht unmittelbare Anwendbarkeit zugestanden, wenn auch mit abweichenden Begründungen. Der andere Teil unterziehe sich der Aufgabe, „ein nur theoretisches deutsches Privatrecht zu entwickeln, um unklare Stellen auslegen zu können“ 80. In § 4 kommt Gerber auf die seiner Ansicht „wichtigste Erscheinung der ganzen bisherigen germanistischen Literatur“ 81, nämlich das Lehrbuch von Runde 82, zu sprechen. Nach Runde gibt es ein anwendbares gemeines deutsches Privatrecht in dem selben Sinne, in dem das römische Recht diesen Namen trägt. Es besteht zum einen aus allgemein verbindlichen Reichsgesetzen mit privatrechtlicher Regelungsmaterie, zweitens aus allgemeinen deutschen Gewohnheitsrechten und drittens in Ermangelung positiver Rechtsgrundlagen aus der „Natur der Sache“. 83 Runde selbst hat laut Gerber diesen Begriff durch Hinweis auf das zu seiner Zeit aktuelle s. g. „hypothetische Vernunftrecht“ geklärt. 84 Gerber sieht deshalb im Gegensatz zu Eichhorn 85 darin keine Vorahnung des Prinzips der Historischen Rechtsschule.86 Vielmehr führt er Zeugnisse von Zeitgenossen ins Feld, die seiner Ansicht nach belegen, daß es sich bei der Natur der Sache nur um „eine oberflächliche philosophierende Anschauung des gegenwärtig Vorhandenen“ 87 handele. Gerber, Princip, S. 54. Gerber, Princip, S. 54. 79 Gerber, Princip, S. 68. 80 Gerber, Princip, S. 55. 81 Gerber, Princip, S. 56/57. 82 J. Fr. Runde, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Gött. 1791, vgl. Gerber, Princip, S. 57, Fn. 29; zu Runde vgl. Sellert in HRG IV, Sp. 1208 ff. 83 Zitiert bei Gerber, Princip, S. 58. 84 Gerber, Princip, S. 60. 85 Eichhorn, Zs. f. gesch. R., Bd. 1, S. 131; zu Eichhorn vgl. Sellert, Karl Friedrich Eichhorn: Vater der deutschen Rechtsgeschichte, in: JuS 1981, S. 799 ff. 86 Vgl. zu diesem Problemkreis Kroeschell, Zielsetzung und Arbeitsweise der Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht, S. 254/255: Gerber habe nur begrenzt recht, wenn er die spätere Ansicht Eichhorns von der Verwandtschaft der Rundeschen Anschauungen mit den seinigen als Irrtum bezeichne. Eine historisch ermittelte „Natur der Sache“, die es bei Runde doch auch gebe, sei mit Eichhorns Anschauung durchaus zu vereinbaren. 87 Gerber, Princip, S. 62. 77 78

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Es sei allgemein bekannt, welchen Einfluß Rundes Lehrbuch sowohl auf die Praxis, v. a. in den Ländern des gemeinen Rechts, als auch auf die Theorie gehabt habe. Gerber führt die Überlegenheit des Buchs gegenüber früheren Bearbeitungen zurück auf seine zweckmäßige Form, die Wahl der deutschen Sprache, die „der Richtung der Zeit“ entspreche, sowie auf die praktische Brauchbarkeit infolge außerordentlicher Vollständigkeit. 88 Gewöhnlich werde das Werk Rundes als erstes brauchbares Handbuch des deutschen Privatrechts angesehen. 89 Seine Kritik an dem von Runde aufgestellten „obersten Princip“ kündigt Gerber ausdrücklich an einer „spätern Stelle dieser Schrift“ 90 an. Gegen Runde richtet sich nach Gerbers Darstellung eine Abhandlung von Hufeland 91. Als deren wesentlichen Mangel bezeichnet es Gerber, daß sie lediglich „negirt, aber nicht versucht, auf der Tabula rasa ein neues, festeres Gebäude aufzuführen“ 92. Als Hauptursache für die immer noch nicht gelöste Frage des Prinzips des deutschen Privatrechts führe Hufeland die mangelnde Definition der Begriffe allgemeines und gemeines deutsches Privatrecht ins Feld. Nachdem er darüber eine „lange Reihe hohler Bemerkungen“ 93 ausgebreitet habe, und nach einer unzureichenden Widerlegung Rundes glaube er, zur „Vernichtung des Begriffes eines gemeinen deutschen Privatrechts auch noch eine Widerlegung Tafingers nöthig zu haben“ 94, die keinesfalls das Niveau dieses Schriftstellers erreiche. Als Resultat all seiner Bemühungen begnüge sich Hufeland damit, „auf zwei Seiten am Ende seiner Schrift unserer Wissenschaft statt des Namens ‚gemeines deutsches Privatrecht‘ einen neuen Taufnamen ‚deutsches Privatrecht‘ gegeben zu haben“ 95. Die Ansicht Rundes habe wenige Jahre später in Posse96 einen neuen Verteidiger gefunden, der die Ausführungen Hufelands umfassend zu widerlegen versuchte. Diese Abhandlung werde nun, nach fast einem halben Jahrhundert, von einem neueren Germanisten – nämlich Maurenbrecher 97 – völlig unverdientermaßen „mit BeGerber, Princip, S. 62. Gerber, Princip, S. 63. 90 Gerber, Princip, S.63; Gerber kommt auf Runde ganz am Ende des Buches zurück, um die seiner Ansicht nach auf Runde basierende Ansicht Reyschers zu kritisieren, vgl. Gerber, Princip, S. 310. 91 G. Hufeland, Beiträge zur Berichtigung und Erweiterung der positiven Rechtswissenschaften 1. Stück, Jena 1782, vgl. Gerber, Princip, S. 63, Fn. 32. 92 Gerber, Princip, S. 64. 93 Gerber, Princip, S. 65. 94 Gerber, Princip, S. 67. 95 Gerber, Princip, S. 69. 96 A. F. H. Posse, Abhandlung einiger vorzüglicher Gegenstände des deutschen Stats- und Privatrechts 1. Heft Nr. 1, 1802, vgl. Gerber, Princip, S. 70, Fn. 34. 97 In einer Fußnote führt Gerber aus, Maurenbrecher bezeichne in seinem Lehrbuch des deutschen Privatrechts Posse wegen dieser Abhandlung als „einen Hauptbegründer der für die deutsche Rechtswissenschaft so glänzende(n) Gegenwart“ und bedauere, daß dieser kein Compendium verfaßt habe. Dies wiederum veranlaßt Gerber zu der Bemerkung: „Die bekannte 88 89

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wunderung gepriesen und mit der Anerkennung von Verdiensten belohnt ..., die überall gar nicht vorhanden sind.“ 98 Teilweise sei vielmehr bei dieser Schrift die „Verwirrung und Unklarheit so groß, daß es unmöglich ist, den Gang der Ideen zu enthüllen“, weshalb es sich Gerber schließlich versagt, „noch weitere Proben der Unwissenschaftlichkeit mitzuteilen, welche diese Schrift charakterisiert“99. Unmittelbar darauf habe sich Feuerbach 100 als ein Anhänger der Ansicht Hufelands erklärt, wobei diese Stellungnahme allerdings „wegen ihrer Kürze und Einseitigkeit hier nur eine beiläufige Erwähnung“ 101 verdiene. Zuletzt verweist Gerber in diesem Zusammenhang noch auf eine Abhandlung von Ulrich 102. In dieser „nur unbedeutenden Arbeit“ 103 werde eine Zusammenführung der Ansichten von Hufeland und Runde versucht, was Gerber als ein Ding der Unmöglichkeit ansieht. Als Fazit seiner bisherigen Untersuchung hält Gerber fest, daß die „Aufstellung des wissenschaftlichen Begriffs“ 104, die „Erforschung des obersten leitenden Grundsatzes ... in dem als letztem Sammelpunkte alle einzelnen Fäden zusammenlaufen sollen, welche die einzelnen Theile eines wissenschaftlichen Gebiets festhalten ...“ 105, ja letztlich die „Feststellung eines Systems“ 106 eine wesentliche Leistung von Seiten des Bearbeiters zur Voraussetzung haben, nämlich die „vollständige Herrschaft über den Stoff“ 107. Gerber formuliert damit einprägsam, was er unter wissenschaftlicher Systematik versteht. Gerade die von ihm vorausgesetzte Beherrschung des Rechtsstoffs war seiner Ansicht nach in der von ihm in § 4 beschriebenen Periode der deutschen Rechtswissenschaft noch nicht erreicht, vor allem aufgrund eines unbefriedigenden Umgangs mit den Quellen. Er kommt daher zu dem Schluß, daß der Schritt „zu einer besseren Behandlung unserer Frage“ erst in der Periode getan werden konnte, „in welcher das geschichtliche Studium der Rechtswissenschaft im neueren Sinne des Worts seine Leichtfertigkeit dieses Germanisten findet in diesem Raisonnement ihre Spitze“, Gerber, Princip, S. 70, Fn. 35. 98 Gerber, Princip, S. 70. 99 Gerber, Princip, S. 73. 100 Feuerbach’s civilistische Versuche, Gießen 1803, S. 191 ff., vgl. Gerber, Princip, S. 74, Fn. 36. 101 Gerber, Princip, S. 74. 102 Versuch einer Kritik der von Hufeland und Feuerbach behaupteten Deduktion der Principien des heutigen deutschen Privatrechts von L. J. Ulrich, Marburg 1804, vgl. Gerber, Princip, S. 75. 103 Gerber, Princip, S. 75. 104 Gerber, Princip, S. 77. 105 Gerber, Princip, S. 76. 106 Gerber, Princip, S. 77. 107 Gerber, Princip, S. 77.

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Anerkennung erlangte“ 108. Die Darstellungen der Autoren der Historischen Rechtsschule seit Eichhorn will Gerber im nächsten Abschnitt (§ 5) als eine neue Epoche der Dogmengeschichte würdigen. Zuvor allerdings muß er noch einige Veröffentlichungen erwähnen, die zwar teilweise der Zeit nach in die neue Periode hineinreichen, aber jedenfalls „noch ganz der bisher geschilderten Classe von Schriften zugehören“ 109. Es folgen relativ ausführliche Anmerkungen über das „bändereiche“ Werk von Danz 110, das für Gerber hauptsächlich den Charakter einer „Compilation“ besitzt, und dessen Verdienst für ihn vor allem in einer „ziemlich weitläufigen Dogmengeschichte“ 111 besteht. Enthalten sind ferner „schätzenswerte Bemerkungen über den Werth und die Nothwendigkeit des historischen Wegs bei der Behandlung des deutschen Rechts“ 112, sowie eine Definition des Begriffs des deutschen Privatrechts 113, wobei sich an manchen Stellen nachweisen lasse, daß der Verfasser „von der Wahrheit seines Princips nicht völlig durchdrungen“ 114 sei. Ein vernichtendes Urteil fällt Gerber über das „jetzt mit Recht vergessene ... Lehrbuche von Nössig“ 115, das die Gerber interessierende Frage nach dem deutschen Privatrecht mit einer „unglaublichen Unwissenschaftlichkeit“ 116 behandele, jedoch nicht völlig ohne Interesse sei, da „bei der Auffassung einer organischen Entwicklung auch die monströsen Aeußerungen des Wachsthums“ 117 wahrgenommen werden sollten. Über das Werk von Krüll 118, der versuche, eine Mittelmeinung zwischen den bisher aufgestellten Ansichten zu entwickeln, urteilt Gerber noch negativer und denkbar kurz: Arbeiten, die „neben dem Mangel einer wissenschaftlichen Bedeutung“ nicht einmal – wie die von Nössig – ein „Curiositätsinteresse“ bedienten, seien „für den späteren Beschauer nichts als schattenhafte, kernlose Gebilde“. 119 Gerber, Princip, S. 78. Gerber, Princip, S. 78. 110 W. A. F. Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts nach dem Systeme des Herrn Hofraths Runde, 10 Bde, hier insbes. Bd. 1 S. 175 ff., vgl. Gerber, Princip, S. 79, Fn. 39. 111 Gerber, Princip, S. 79. 112 Gerber, Princip, S. 80/81. 113 Gerber, Princip, S. 81 mit Zitat Danz: „Es ist der Inbegriff der allgemeinen Begriffe und Grundsätze aller noch heutezutage üblichen deutschen Rechtsinstitute, welche aus der historischen Untersuchung des ersten Ursprungs und der weiteren Entwickelung dieser verschiedenen Institute, im Ganzen genommen, abgeleitet sind.“ 114 Gerber, Princip, S. 81. 115 C. G. Nössig, Erste Grundsätze des deutschen Privatrechts zu Vorlesungen und als Einleitung zur Erlaernung des reinen deutschen Privatrechts, Leipzig, 1797, vgl. Gerber, Princip, S. 83, Fn. 41. 116 Gerber, Princip, S. 82. 117 Gerber, Princip, S. 84. 118 F. X. v. Krüll, Das deutsche Privatrecht, 1805, vgl. Gerber, Princip, S. 84, Fn. 42. 119 Gerber, Princip, S. 84. 108 109

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Auch beim Lehrbuch Goedes 120 kann Gerber keine neue Theorie erkennen, lediglich eine Wiedergabe der Ansichten Hufelands und Feuerbachs, wonach die Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts geleugnet und „in diesem Rechtstheile nur eine Zusammenstellung der aus den Particularrechten gezogenen Principien“ gesehen wird. Die Schriften von Autoren wie u. a. Kretschmann, Gründler, Brose und Mallinkrodt 121 glaubt Gerber übergehen zu können, ohne daß in seiner Dogmengeschichte eine Lücke entsteht und verbannt sie daher in die Fußnoten. In § 5 behandelt Gerber die Versuche seit Eichhorn bis in die neuere Zeit. Seiner Ansicht nach waren von den Wissenschaftlern dieser letzten Periode bedeutendere Ergebnisse hinsichtlich Methode und Inhalt zu erwarten. Sie konnten sich bei ihren Studien nämlich auf die Forschungen von Eichhorn, der in seiner Rechtsgeschichte „die innere, organische Entwickelung des deutschen Rechtslebens enthüllt“ 122 hatte, und von Mittermaier, der „das germanische Princip in allen Formen seiner Entfaltung verfolgend eine bisher nicht bekannte Masse des positiven Stoffes der Thätigkeit der Germanisten dienstbar gemacht hatte“ 123, stützen. Gerber kündigt an, er werde sich an dieser Stelle auf eine Wiedergabe des Inhalts der neueren Werke beschränken und sich ihrer Kritik aus „formellen Gründen“124 erst zuwenden, wenn er seine eigene Ansicht entwickelt habe (was für den dritten Teil des Buches vorgesehen ist). Die Ansicht Eichhorns zum wissenschaftlichen Prinzip des deutschen Privatrechts entnimmt Gerber teils einer „trefflich geschriebenen Abhandlung“ 125 mit dem Titel „Ueber das geschichtliche Studium des deutschen Rechts“, teils dem einleitenden Kapitel von Eichhorns Lehrbuch. 126 Nach Eichhorn stehen die deutschen Partikularrechte untereinander in einem inneren Zusammenhang und setzen in ihrer Unvollständigkeit ein über ihnen stehendes gemeines Recht voraus. Dies sei zum einen das römische Recht, daneben gebe es aber noch eine andere Entscheidungsquelle, den „Inbegriff der höheren leitenden Regeln und Principien, welche in allen Partikularrechten vermöge der ursprünglichen Gemeinschaft ihrer Abstammung“ erkennbar seien. 127 Sowohl in der ältesten Zeit als auch im Mittelalter sei ein Komplex überall in gleicher Weise anerkannter Rechtsinstitute in Deutschland zur An120 C. A. G. Goede, Jus Germanicum privatum, Göttingen 1806, vgl. Gerber, Princip, S. 85, Fn. 43. 121 Aufgeführt in Gerber, Princip, S. 86, Fn. 44 und 45. 122 Gerber, Princip, S. 87. 123 Gerber, Princip, S. 87/88. 124 Gerber, Princip, S. 88. 125 K. Fr. Eichhorn, Ueber das geschichtliche Studium des deutschen Rechts, Zs.f. gesch. R., Bd. 1, S. 124 ff., vgl. Gerber, Princip, S. 88, Fn. 46. 126 K. Fr. Eichhorn, Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, Göttingen 1823, 5. Auflage 1845, vgl. Gerber, Princip, S. 88, Fn. 47. 127 Gerber, Princip, S. 89.

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wendung gekommen, der auch nach der Rezeption fortgebildet worden sei. Diese „Ideen der Institute“ müßten nun durch eine „Verfolgung des Rechts durch alle Stadien seiner Entwicklung“ gefunden werden, um ein – abgesehen von einer nachweisbaren „Anomalie in den Partikularrechten“ – überall anwendbares Recht zu erhalten. 128 Gerber zitiert unkommentiert Eichhorn, der „praktische Nutzen“ des so gewonnenen deutschen Privatrechts bestehe darin, daß nicht nur „das gemeine deutsche Recht wissenschaftlich entwickelt und die Gränze der Anwendbarkeit des römischen Rechts bestimmt“ werde, sondern daß man auch „die deutschen Partikularrechte verstehen, anwenden und aus dem gemeinen deutschen Rechte, wo besondere Bestimmungen fehlen, ergänzen“ lerne. 129 Sodann wendet sich Gerber den Theorien seines Lehrers Mittermaier130 zu. Im Verlaufe seiner verschiedenen Stellungnahmen 131 zum Thema habe dieser seine Ansichten modifiziert und sich der historischen Methode zugewandt. Nach verschiedenen Modifikationen sei der letzte Stand seiner Forschungen 132, daß das deutsche Privatrecht ein subsidiär anzuwendendes Recht sei, das zwar der formellen Sanktion entbehre, aber verbürgt sei durch die Existenz von Normen für die deutschrechtlichen Institute, die eine rationelle und historische Notwendigkeit hätten. 133 Gerber referiert die Stellungnahme seines früheren Mentors mit längeren Zitaten, ohne eine Wertung auszusprechen. Die Eichhornsche Begründung einer Theorie des gemeinen deutschen Privatrechts wurde nach Darstellung Gerbers auch von Weiße 134 angenommen, der es als ein gemeines, subsidiär anwendbares Gewohnheitsrecht ansah, das auf der Autonomie des deutschen Volkes beruhte. Als Beweismittel für den „Zusammenhang zwischen dem jetzt Bestehenden und den aus dem Gemeinsamen des Mittelalters entnommenen Principien“ führe er den „durch Schulen und Schriften der Rechtsgelehrten begründeten Gerichtsgebrauche“ an. 135 Ebenso äußere sich auch Türk 136 in seinen bekannten Vorlesungen, der allerdings durch größere Unbestimmtheit zu erkennen gebe, daß er selbst noch nicht vollständig von dieser These überzeugt sei. Gerber, Princip, S. 90. Gerber, Princip, S. 90. 130 Zu Mittermaier vgl. Schlosser, Karl Joseph Anton Mittermaier als Germanist, in: Carl Joseph Anton Mittermaier, Symposium 1987 in Heidelberg, Vorträge und Materialien, Hrsg. Wilfried Küper, Heidelberg 1988. 131 C. J. A. Mittermaier, Versuch einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Privatrechts mit einem Grundriß zu Vorlesungen, Landshut, 1815, namentlich §§19 ff.; Lehrbuch des deutschen Privatrechts, Landshut 1821, vgl. Gerber, Princip, S. 91, Fn. 48 u. Fn. 49. 132 Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 6. Auflage 1842, insbesondere § 37, vgl. Gerber, Princip, S. 91, Fn. 50. 133 Gerber, Princip, S. 91/92. 134 Weiße, Einleitung in das gemeine teutsche Privatrecht, Leipzig 1817, 2. Auflage 1832, vgl. Gerber, Princip, S. 92, Fn. 51. 135 Gerber, Princip, S. 93. 136 K. Türk, Historisch-dogmatische Vorlesungen über das deutsche Privatrecht, Rostock und Schwerin 1832, vgl. Gerber, Princip, S. 93, Fn. 52. 128 129

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Nach der Erwähnung der „vortrefflichen Recension“ des Eichhornschen Lehrbuchs durch Gaupp 137 geht Gerber auf ein Werk von Phillips 138 ein, nicht ohne – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – eine kurze Kommentierung abzugeben. Dieser Schriftsteller lege eher ein Schwergewicht auf eine abgeschlossene Auffassung des vor der Rezeption entwickelten älteren deutschen Rechts und berücksichtige zu wenig die neueren Partikularrechte als „eigentliche in der Entwickelung des deutschen Rechts bedeutungsvolle Elemente“. 139 Im folgenden grenzt Gerber die bisher dargestellten Ansätze einer wissenschaftlichen Konstruktion des deutschen Privatrechts, die von der Mehrheit der Germanisten getragen wird, gegen Versuche aus neuester Zeit ab, „auf anderen Wegen zu dem erstrebten Resultate zu gelangen“. 140 Gemeint sind damit vor allem die Arbeiten Maurenbrechers und Reyschers. Der Versuch einer Restauration des deutschen Rechts durch eine Schrift Bernhards 141 sei als mißlungen anzusehen. In diesem Kontext erwähnt Gerber auch das Lehrbuch von Wolff 142, wobei er auf seine eigene vernichtende Rezension hinweist. 143 Schon vor Maurenbrecher habe Weiske 144 eine ähnliche Ansicht aufgestellt, die Gerber gewissermaßen als Übergang zu Maurenbrecher ansieht. Nach Weiskes Argumentation müsse es ein positives deutsches Recht geben, weil „der Praktiker ein solches anzuwenden sich genöthigt“ sehe, die „praktischen Schriften der Rechtsgelehrten“ seien „Organe des geltenden deutschen Privatrechts selbst“. 145 Erst Maurenbrecher 146 aber hat für Gerber diesen Gedanken der „communis doctorum opinio“ als unmittelbar verbindliche Quelle des deutschen Rechts ausgeführt und weiter begründet. Nach Maurenbrechers Lehrbuch sei das deutsche Recht ein Juristenrecht. Als Quellen sehe er die Schriften der Rechtsgelehrten seit dem 16. Jahrhundert und die Rechtsprechung der höchsten Gerichtshöfe (und zwar aller 137 Gaupp in der Halleschen Allgemeinen Literatur Zeitung, Jahrgang 1831, S. 50, vgl. Gerber, Princip, S. 94, Fn. 53; zu Gaupp: Hans Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 1107 ff., Ernst Theodor Gaupp, Schlesischer Freiheitskämpfer, Savigny-Schüler, Germanist 1796–1859. 138 G. Phillips, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Dritte Ausg. 1846, 1. Band, S. 230, vgl. Gerber, Princip, S. 94, Fn. 54. 139 Gerber, Princip, S. 94. 140 Gerber, Princip, S. 95. 141 F. L. Bernhard, Über die Restauration des deutschen Rechts insbesondere in Beziehung auf das Grundeigenthum, München 1829, vgl. Gerber, Princip., S. 95 Fn. 55. 142 C.W. Wolff, Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts 1. Band, Göttingen 1843. insbes. §§ 25 und 30, vgl. Gerber, Princip, S. 95, Fn. 56. 143 Neue Jenaische allgemeine Literaturzeitung, Jahrg. 1844, Nr. 269, 270, vgl. Gerber, Princip, S. 95/96, Fn. 56. 144 Abhandlungen aus dem Gebiete des deutschen Rechts, theoretischen und praktischen Inhalts von Julius Weiske, Leipzig 1830. Abh.1 namentlich §26, vgl. Gerber, Princip, S.96, Fn.57. 145 Gerber, Princip, S. 97. 146 Romeo Maurenbrecher’s Lehrbuch des gesammten heutigen gemeinen deutschen Privatrechts, Bonn 1833, 2. Auflage, Bd. 1, 1840, vgl. Gerber, Princip, S. 97, Fn. 58.

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deutschen Länder) an, wogegen die Partikularrechte und die Rechtsbücher des Mittelalters nur der beispielhaften Erläuterung dienten. Gerber bescheinigt diesem Germanistenkollegen bei der Aufstellung seiner Theorie eine „wahre ... Frechheit der Consequenz“ 147. Die Juristen besäßen für Maurenbrecher neben ihrer Eigenschaft als „Staatsunterthanen“ eine weitere Stellung infolge einer „auf öffentlichem Zutrauen beruhende(n) Macht“, in der sie „berechtigt und verpflichtet sind, Recht zu erzeugen“, das je nach der Ausrichtung „Gerichtsgebrauch“ oder aber „Theorierecht“ heiße. 148 Ein Beweis des positiven Charakters des Juristenrechts sei Maurenbrecher zufolge einerseits, daß es „den Richtern zur Amtspflicht gemacht werde, in gleichen Sachen gleichmäßig zu entscheiden“ 149 und daß andererseits bezüglich des Theorierechts immer die „Majorität der Rechtsgelehrten“150 entscheide. Als letzte Quelle des Juristenrechts werde enthüllt – und hier zitiert Gerber Maurenbrechers Äußerungen wörtlich – daß „der Juristen Wille als der Staatswille auftrete“, was so zu verstehen sei, „daß der Sta(a)t (Volk und Regierung) will, was sie wollen“ 151. Gerber kommentiert diese These Maurenbrechers mit einem Ausrufezeichen. Im übrigen verweist er darauf, daß selbst Beseler, der in seinem „Volksrecht und Juristenrecht“ dem Juristenrecht eine ganz besondere Bedeutung beigelegt habe, davon entfernt sei, „dasselbe als Fundament des heutigen deutschen Privatrechts in dieser Weise anzunehmen“ und vielmehr Maurenbrechers Ansicht „selbst als absurd“ bezeichne. 152 Der neueste Versuch, das wissenschaftliche Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts auf einem anderen Weg als Eichhorn zu gewinnen, sei von Reyscher in mehreren diesbezüglichen Abhandlungen unternommen worden. 153 Im ersten Aufsatz polemisiere der Verfasser in mißlungener Weise gegen die Rechtsentstehungslehre Savignys, um dann eine neue Lösung dieser Frage zu entwickeln. Reyscher unterscheide zwischen dem aus der menschlichen Natur abgeleiteten „natürlichen Recht“, das, weil es von Natur aus bestehe, gemeines sei, dem „gesetzlichen und herkömmGerber, Princip, S. 97/98. Gerber, Princip, S. 98. 149 Gerber, Princip, S. 98. 150 Gerber, Princip, S. 99. 151 Gerber, Princip, S. 99. 152 Gerber, Princip, S. 99/100; in Fn. 59 verweist Gerber auf Beselers Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843, S. 90; zu Beseler vgl. Kern, Georg Beseler, Leben und Werk, Berlin 1982. 153 Abhandlungen von Reyscher in der Zeitschrift für deutsches Recht: 1) über das Dasein und die Natur des deutschen Rechts, 1. Band, S. 12 ff. 2) Die Einheit des gemeinen deutschen Rechts und dessen Verhältnis zu fremden Rechten, 9. Band, S. 337 ff. 3) Begriff des gemeinen deutschen Rechts, 10. Band, S. 153 ff., vgl. Gerber, Princip, S.100, Fn. 60: Gerber macht darauf aufmerksam, daß er die letzten beiden Abhandlungen erst zu einer Zeit erhalten habe, als seine Schrift schon ausgearbeitet und der erste Bogen im Druck war; er habe jedoch seine Arbeit angesichts der Verschiedenheit seiner Auffassung von der Reyschers konsequent fortsetzen können. Zu Reyscher vgl. Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie, 1802–1880, Berlin 1974. 147 148

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lichen Recht“ und dem „autonomischen Recht“.154 Insbesondere seien auch Vernunft und Sitte Quelle des Rechts, und es existiere somit auch in Deutschland ein gemeines Recht im Sinne des römischen jus gentium. Dieses materiell gemeine Recht könne zur Ergänzung des formellen Rechts verwendet werden. Das Ergebnis einer solchen Rechtsbildung, die „Natur der Sache“, sei freilich nicht aus philosophischen Abstraktionen, sondern aus den vorhandenen positiven Verhältnissen zu schöpfen. Das so konstruierte gemeine Recht sei unmittelbar praktisch verbindlich. 155 Die zweite Abhandlung Reyschers behandelt Gerber an späterer Stelle, da sie einen anderen Kontext betrifft 156, nämlich im dritten Teil. Die dritte Abhandlung Reyschers schließlich definiert laut Gerber das deutsche Privatrecht als den „Inbegriff der Grundsätze, welche aus der Natur der Verhältnisse in Deutschland und den dortigen allgemeinen Gesetzen und Gewohnheiten abgeleitet seien“ 157. Hauptgrundlage sei die „Natur der Sache“, nämlich „die Beschaffenheit gegebener Verhältnisse und der sich hieraus ergebende rechtliche Begriff“. 158 Gerber beschränkt sich an dieser Stelle darauf, Reyschers Argumentation nachzuzeichnen und bewahrt sich seine Kritikpunkte für den dritten Teil auf. 159 So wie bereits früher schon Wigand 160 die Konstruktion eines gemeinen deutschen Privatrechts abgelehnt habe, sei dies in neuester Zeit durch Waechter 161 geschehen. Waechter habe insbesondere auch gegen die erwähnte Ansicht Reyschers eine „negirende Kritik“ 162 geübt. Gerber, Princip, S. 101. Gerber, Princip, S. 101–103. 156 Gerber, Princip, S. 103. Gerber weist darauf hin, daß diese zweite Abhandlung eine im zweiten Abschnitt seiner Schrift zu behandelnde Frage (die Rezeption) betrifft. Er geht allerdings erst im dritten Teil auf Reyschers Thesen ein, vgl. Princip, S. 303. Dort lehnt er Reyschers Versuch, den Dualismus zwischen römischen und deutschen Recht zu überwinden, indem man formell die anwendbaren Sätze des fremden Rechts in die Darstellung des deutschen Rechts integriert, ab. Es ist daher entgegen der Ansicht von Losano (vgl. Losano, System bei Gerber, S. 657) nicht davon auszugehen, daß auf systematischer Ebene Reyschers Vorschlag genau parallel zu Gerbers Ideen steht. Vielmehr weist Gerber darauf hin, daß angesichts der inneren Verschiedenheit der Sätze und Institute des deutschen und des römischen Rechts eine getrennte Behandlung der Stoffe vorteilhaft ist, schon allein um eine „Verflachung der Wissenschaft“ wie im überwundenen usus modernus pandectarum zu vermeiden, vgl. Gerber, Princip, S. 304/305. 157 Gerber, Princip, S. 103. 158 Gerber, Princip, S. 104. 159 Gerber, Princip, S. 310 ff. 160 Wigand im Archiv für Gesch. und Alterth. Westphalens, Bd. 3, Heft 4, 1828, S. 146–177, vgl. Gerber, Princip, S. 104, Fn. 61. 161 C. G. v. Waechter, Gemeines Recht Deutschlands, Leipzig 1844, S. 208 ff.; dazu schreibt Kroeschell, Zielsetzung, S. 261, zwei Jahre vor Gerber habe Waechter in seinem Buche Gemeines Recht Deutschlands insbesondere gemeines deutsches Strafrecht den Abschied vom „Traum eines gemeinen deutschen Rechts“ verkündet. Gerber habe dann, wie Landsberg es ausdrückte, die Waechtersche Lösung auf das deutsche Privatrecht übertragen. 162 Gerber, Princip, S. 104. 154 155

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In eine ähnliche Richtung geht für Gerber auch die Ansicht von Falck 163, der im gemeinen deutschen Privatrecht nur eine notwendige Einleitung in die deutschen Partikularrechte sehe und die Anwendbarkeit seiner Grundsätze davon abhängig mache, daß ein Zusammenhang des anzuwendenden Grundsatzes mit dem jeweiligen Landesrecht nachzuweisen sei. In einem zusammenfassenden Abschluß seiner Dogmengeschichte drückt Gerber angesichts der vielfältigen unvereinbaren, einander bekämpfenden Theorien seine Verwunderung darüber aus, daß nach mehr als hundertjähriger Arbeit diese Streitfragen, die die Existenz eines ganzen wissenschaftlichen Gebiets berühren, noch nicht geklärt sind. Immerhin beweist für ihn die unermüdliche Aufstellung immer neuer Theorien, selbst wenn diese teilweise nur „eklektische ... Systeme“ darstellen, daß die Behandlung des in dem sog. deutschen Privatrechts enthaltenen Rechtsstoffs unbedingt notwendig und daß das deutsche Privatrecht für das Rechtsleben seiner Zeit unentbehrlich ist. 164 Dafür spricht auch, daß „trotz jener Verschiedenheit der obersten Prinzipien in allen Bearbeitungen doch immer derselbe Stoff im Ganzen auf gleiche Weise behandelt wurde“. 165 Es stellt sich die Frage, warum Gerber seine Dogmengeschichte so ausführlich, auf fast hundert Seiten, ausgebreitet hat. Gerber sah es offenbar als erforderlich an, die Basis, auf der er aufbauen wollte, präzise festzulegen. In seiner Einleitung betont er, daß „die Pflicht zur Wiederholung einer solchen Prüfung in ausführlicher Weise länger als billig verabsäumt sein dürfte“. 166 Ebenso wie für Gerber die gründliche Quellenarbeit und die dadurch erzielte „Herrschaft über das positive Material“ 167 unabdingbar war, sah er vermutlich auch den detaillierten Überblick über die bisherige Forschung als grundlegende Voraussetzung für erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten an. Um das wissenschaftliche Fundament aus der Perspektive Gerbers, auf dem er seinen eigenen Standpunkt begründen will, zu verdeutlichen, wurde seine Darstellung der Dogmengeschichte hier ausführlich nachvollzogen. Zwar bemüht er sich um eine neutrale Skizzierung der bisherigen wissenschaftlichen Versuche und sieht in der „gerechte(n) Würdigung eines dogmengeschichtlichen Factums“ den „Vortheil, des eigenen Urtheilens überhoben zu sein“.168 Diese wertungsfreie Darstellung, in der die Kritik auf eine spätere Stelle seiner Schrift verschoben werden soll, kann er jedoch, wie oben an verschiedenen Stellen anklang, nicht durchhalten. Gerbers Unzufriedenheit mit den bisherigen Ansätzen, die den wesentlichen AnFalck’s juristische Encyclopädie, 4. Aufl. 1839 § 124, vgl. Gerber, Princip, S. 104, Fn. 63. Gerber, Princip, S. 106. 165 Gerber, Princip, S. 105. 166 Gerber, Princip, S. 14. Allerdings gesteht Gerber ein, daß ihm, als er die schrieb, die beiden letzten oben erwähnten Abhandlungen Reyschers noch nicht bekannt waren, vgl. Gerber, Princip, S. 100 Fn. 60 a. E. 167 Gerber, Princip, S. 87. 168 Gerber, Princip, S. 63. 163 164

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trieb zu seiner eigenen Arbeit bildete, schimmert fast überall durch. Bei der Analyse der bereits durchgeführten Versuche gelangt er zu dem Schluß, daß sie zu stark an den äußeren Aspekt des Rechts gebunden waren 169, was wiederum seinen eigenen Ansatz beeinflußt. c) Zweiter Abschnitt Im zweiten Abschnitt behandelt Gerber zunächst den Rechtszustand des Mittelalters im allgemeinen (§ 6). Gerber setzt sich mit der Behauptung auseinander, daß im Mittelalter ein „wirklich gemeines einheimisches Recht“ gegolten habe, was durch die „weitverbreitete Autorität“ von Sachsen- und Schwabenspiegel belegt werde. 170 Dies bejaht er, wobei er das gemeine Recht nicht eng definiert, sondern weiter, nämlich nicht als ein in allen einzelnen Bezirken eines geographischen Ganzen verbindliches, da von einem Zentralorgan sanktioniertes Recht, sondern weiter gefaßt, nämlich als „aus historischen Gründen überall anerkanntes Recht“.171 Den Rechtszustand des Mittelalters charakterisiert Gerber als den eines „stillen, unbemerkten, sich selbst überlassenen Wachsens der Rechtsstoffe“, weder gefördert durch Gesetzgebung noch durch Wissenschaft. 172 Als tiefe Zäsur wirkte an diesem Punkt der Entwicklung die Rezeption des römischen Rechts, die Gerber in § 7 behandelt. Trotz des immer größeren Bekanntheitsgrades des römischen Rechts bildete das einheimische Recht ein starkes Gegengewicht, da es nationaler und volkstümlicher war. 173 „Auf dem Wege künstlicher Täuschung“ aber wurde auch dem fremden Recht ein „Anstrich der Nationalität“ gegeben. 174 Gerber spielt damit auf die Idee der juristischen Fortdauer des alten römischen Reiches an, wodurch das römische Recht im öffentlichen Rechtsleben angewandt und ihm eine immer größere Autorität zugestanden werden konnte. 175 Letzlich ist die Rezeption für Gerber der Vorgang, der die Entwicklung des deutschen Rechts unterbricht. 176 In § 8 beschäftigt Gerber sich mit dem rechtlichen Grund der Geltung des römischen Rechts und deren Bedeutung. Dabei steht es nach Gerber der Annahme einer allgemeinen Volksüberzeugung nicht entgegen, daß sie nur durch die Juristen geltend gemacht wurde. 177 Gerber erweist sich insoweit als Anhänger des Spezialistendogmas. 178 169 170 171 172 173 174 175 176 177

Losano, System bei Gerber, S. 652. Gerber, Princip, S. 109. Gerber, Princip, S. 110. Gerber, Princip, S. 110. Gerber, Princip, S. 121. Gerber, Princip, S. 122. Gerber, Princip, S. 124. Vgl. auch Losano, System bei Gerber, S. 653. Gerber, Princip, S. 133.

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Er vertritt die Ansicht, daß das Corpus Juris als Ganzes rezipiert wurde179, und zwar nicht von einem reflektierten Bewußtsein gesteuert, sondern infolge einer „durch vielfältige Irrthümer der Zeit unterstützte heftige Neigung und Ueberzeugung“ 180. Der gesamte Prozeß fand planlos und zufällig statt. Als hauptsächliche negative Folge sieht Gerber das gänzliche Zurücktreten des einheimischen Rechts.181 Es wäre nach Gerber Aufgabe der Wissenschaft und Gesetzgebung gewesen, die vorhandenen einheimischen Rechtssätze zu fixieren und zu schützen. Auf dieser Grundlage hätte dann eine Vereinigung des römischen Rechts mit dem einheimischen hervorgebracht werden sollen. Um diese äußerst schwierige Aufgabe zu lösen, wäre jedoch ein Verständnis der „gegenseitigen Wahlverwandtschaften“ der beiden Rechte Voraussetzung gewesen. 182 178 179 180 181 182 Zur Rechtfertigung dieser Behauptung hält Gerber an dieser Stelle einen Einschub über den Vergleich des römischen und deutschen Rechtselements für erforderlich. Es ergeben sich hier wichtige Aufschlüsse für Gerbers Wissenschaftsbegriff: Das römische Recht hält Gerber in bestimmter Hinsicht für fast vollendet. In seiner Begriffsfassung in Personen, Sachen, Forderungen und Verbindlichkeiten zeigt sich für ihn „der vollständige Sieg über die Subjekte des Rechts“. 183 Der Begriff des Rechts objektiviert sich hier und ist deshalb am ehesten einer wissenschaftlichen Behandlung zugänglich. Die römische Jurisprudenz hat universelle Bedeutung erlangt. Sie entwickelt die Natur jedes einzelnen Rechts, trennt das Gleichartige von dem Ungleichartigen und vereinigt den ganzen Rechtsstoff zu einem System. 184 Hier taucht zur Beschreibung des römischen Rechts der Systembegriff, der für Gerber zum Schlüsselwort wird, erstmals als bestimmender Faktor in Gerbers Begriffswelt auf. Die Terminologie ist in Gerbers Erstlingswerk noch wenig eindeutig. Es ist davon auszugehen, daß Gerber hier Systematik und Wissenschaftlichkeit gleichsetzt. 185 Im Gegensatz zum römischen Recht tritt nach Darstellung Gerbers im deutschen Recht überall die Individualität des Berechtigten in den Vordergrund. Der Mensch als Subjekt der Rechte erscheint hier regelmäßig nicht als Person i. S. des römischen 178 Zu den methodischen Unterschieden innerhalb der Germanisten bezüglich des Festhaltens am Spezialistendogma vgl. Kern in Dilcher/Kern, Die juristische Germanistik des 19. Jahrhunderts und die Fachtradition der deutschen Rechtsgeschichte, ZRG GA 1984, S. 16/17. 179 Laut Gerber wird sowohl in den Schriften des 16. bis 18. Jahrhunderts als auch in den Landrechten dieser Zeit das römische Recht als in complexu anwendbar und rezipiert dargestellt, vgl. Gerber, Princip, S. 136, was so generell sicher nicht gilt. 180 Gerber, Princip, S. 134. 181 Gerber, Princip, S. 135/136. 182 Gerber, Princip, S. 138. 183 Gerber, Princip, S. 139. 184 Gerber, Princip, S. 140. 185 Vgl. auch Losano, System bei Gerber, S. 651.

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Rechts, sondern „in seiner organischen Verbindung“ 186, was die rechtliche Behandlung kompliziert. In vielen deutschen Rechtsinstituten sieht Gerber eine „dem subjektiven Bedürfnisse angepaßte größere Wechselabhängigkeit“ dokumentiert, u. a. in den deutschen ehelichen Güterrechten und den Reallasten.187 Als Problem betrachtet Gerber, daß die deutsche Rechtswissenschaft keine Klassifizierung bzw. objektive Basis für das einheimische Recht liefern konnte, sondern sich auf eine kasuistische Darstellung beschränkte. Beispielhaft erwähnt er hier die Schwierigkeiten, auf die das deutsche Recht bei der Einordnung der Gewere stößt. 188 Die von ihm postulierte Synthese-Aufgabe für Wissenschaft und Gesetzgebung konnte nach Gerbers Auffassung wegen der skizzierten grundlegenden Verschiedenheit des römischen und deutschen Rechts letztlich nicht gelöst werden. Bei der Würdigung der Rezeption nimmt Gerber eine vermittelnde Position ein. Er ist „nicht geneigt, an dieser Stelle die bedauerlichen Gefühle kund zu geben, welche dieses Resultat in einem für das einheimische Recht begeisterten Sinne hervorbringt.“ 189 Gerber bedauert, daß es nicht gelungen ist, die systematischen Vorzüge des römischen Rechts auf das vorhandene deutsche Recht unter Wahrung von dessen Selbständigkeit zu übertragen. Statt dessen habe man das römische Recht auf Kosten des einheimischen in allen seinen Teilen dem deutschen Volke aufgedrängt. So mußte „die Rechtsüberzeugung des Volks selbst zur Abstoßung der zu einem organischen Zusammenwachsen unfähigen Theile jenes Rechts wirksam werden.“ 190 Zur Beschleunigung dieses Prozesses der Rechtsentwicklung habe „in neuerer Zeit eine Parthei von Rechtsgelehrten einen wichtigen Schritt gethan, indem sie zur Begründung einer vaterländischen Rechtswissenschaft und eines nationalen Rechtsstudiums auffordert“. 191 Gerber spielt damit auf den Aufruf Reyschers im ersten Band der Zeitschrift für deutsches Recht an. Er erkennt grundsätzlich die „zum Theil vorzügliche(n) Leistungen“ 192 dieser Richtung an. Selbst für einen Romanisten kann es seiner Meinung nach gegenwärtig nicht mehr darauf ankommen, sich mit „antiquarischem Scharfsinn“ 193 der Reinheit des römischen Rechts zu widmen. Nach so viel Lob formuliert Gerber seine Kritik gegenüber der neuen „Partei“. Zum einen wehrt er sich gegen das Postulat, „das römische, aber nun deutsch geGerber, Princip, S. 141. Gerber, Princip, S. 142; diesen Themengebieten widmete Gerber später mehrere gesonderte Darstellungen: Zur Theorie der Reallasten, 1858, 1863, vgl. Gerber, Abhandlungen, S. 213 ff.; Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte, 1857, 1869, vgl. Gerber, Abhandlungen, S. 311 ff. 188 Gerber, Princip, S. 142/143. 189 Gerber, Princip, S. 146. 190 Gerber, Princip, S. 147. 191 Gerber, Princip, S. 147. 192 Gerber, Princip, S. 147. 193 Gerber, Princip, S. 149. 186 187

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wordene Recht“ müsse auch formal in das deutsche Recht inkorporiert werden. 194 Die weitere Ausführung dieses Gedankens folgt im dritten Abschnitt. 195 Hauptsächlicher Kritikpunkt ist für ihn jedoch der Versuch, dem römischen Recht jetzt schon die gesetzliche Geltung abzusprechen. 196 In neuerer Zeit vertritt laut Gerber Beseler 197 (im Anschluß an Kierulff) die Ansicht, daß das römische Recht nur stückweise rezipiert worden sei und deshalb nur bei Nachweisbarkeit dieser Rezeption für ein Rechtsinstitut im Einzelfall anwendbar sei. 198 In gleicher Richtung habe in jüngster Zeit auch Reyscher 199 argumentiert. Dessen Behauptung, das römische Recht sei ursprünglich nur wie die Rechtsbücher des Mittelalters als Schatz brauchbarer Wahrheiten benutzt worden, erbringt für Gerber kein Ergebnis für die Gegenwart, wenn man nicht die Einflüsse der vergangenen vierhundert Jahre völlig ignoriert. 200 Gerber hält somit trotz der abweichenden Ansichten an dem Ergebnis fest, daß das römische Recht in Deutschland als gemeines subsidiäres positives Recht (lex scripta) gilt. Für die Partikulargesetze und partikularen Gewohnheitsrechte besteht zweifellos ein Anwendungsvorrang. Fraglich ist, ob dieser Anwendungsvorrang auch für das Material des sog. gemeinen deutschen Privatrechts als solchem gegenüber den römischen Rechtssätzen gilt. 201 Um diese Frage zu beantworten, hält Gerber in § 9 die Untersuchung der Entwicklung des deutschen Rechts seit der Rezeption für erforderlich. Er skizziert den Rechtszustand des sechzehnten Jahrhunderts am Beispiel verschiedener Landrechte und einiger Stadtrechte. Als Landrechte des 16. Jahrhunderts behandelt Gerber exemplarisch: Unter 1) das Landrecht des Fürstentums Würtemberg 202, wobei er insbesondere auf Waechters Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts verweist 203; unter 2) das Landrecht der Kurpfalz von 1582 204; Gerber, Princip, S. 150. Gerber, Princip, S. 303 ff.: hier wendet sich Gerber explizit gegen die Thesen Reyschers. 196 Gerber, Princip, S. 150 ff. Gerber zitiert eine längere darauf abzielende Passage aus Kierulffs „Theorie des gemeinen Civilrechts“, das nach seiner Meinung eher zu einer „Theorie der Rechtsbildung als der Rechtsanwendung“ führen würde, vgl, Gerber, Princip S. 153 und Verweis auf Kierulff, Theorie des gemeinen Civilrechts, Altona 1839, Bd. 1, S. 24 ff. 197 Gerber, Princip, S.153, mit Verweis auf Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S.52, 99 ff. 198 Gerber, Princip, S. 153/154. 199 Reyscher, ZDR, Bd. 9, S. 404 ff. (der zweite oben erwähnte Aufsatz Reyschers). 200 Gerber, Princip, S. 157. 201 Gerber, Princip, S. 157. 202 Gerber, Princip, S. 166 ff. 203 Gerber, Princip, S. 167, Fn. 42. 204 Gerber, Princip, S. 173 ff.; zum Kurpfälzer Landrecht vgl. Kern, Die Gerichtsordnungen des Kurpfälzer Landrechts von 1582, Köln 1991. 194 195

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unter 3) den bayerischen Codex aus dem Jahr 1518 205; unter 4) die „Gericht- und Landtordnung“ der Grafschaft Solms aus dem Jahr 1571 206; unter 5) die Landesordnung der Grafschaft Henneberg aus dem Jahr 1539 207; und schließlich unter 6) die „Constitutionen des Churfürsten August von Sachsen“ aus dem Jahre 1572 208, laut Gerber „der vollständigste Abdruck der damaligen Rechtswissenschaft“, zumal „in keinem Land der Zwiespalt des römischen und deutschen Rechts fühlbarer hervortreten“ mußte als in Sachsen, wo das Recht des Sachsenspiegels in „täglicher praktischer Übung“ lebte. 209 Anschließend erörtert Gerber verschiedene Stadtrechte des 16. Jahrhunderts. Als zu dieser Zeit entstandenen Reformationen der Reichsstädte beschreibt er: Unter 1) das Stadtrecht von Nürnberg aus dem Jahr 1479 210; unter 2) „der Stadt Hamburg Gerichtsordnung und Statuta“ von 1603 211; unter 3) die Statuten der Stadt Freiburg von 1520 212; unter 4) die Stadtrechtsreformation von Frankfurt am Main aus dem Jahre 1578 213; und endlich unter 5) die Revision des lübischen Stadtrechts von 1586. 214 Gerbers zu Beginn dieses Kapitels 9 aufgestellte These, maßgebendes Organ zur Normierung des Verhältnisses von deutschen und römischen Recht seien die Gesetzgebungen gewesen, die Wissenschaft habe damals noch keinen Einfluß ausüben können 215, wird in einem Punkt durch seine eigene Darstellung in Frage gestellt. Er hebt die Leistungen des Gelehrten Johann Fichard als Verfasser des Solmser Landrechts und der Frankfurter Stadtrechtsreformation sowie von Ulrich Zasius 216 als Schöpfer des Freiburger Stadtrechts hervor, wobei letzteres allerdings seiner Meinung nach zu sehr eine „romanisierende Richtung“ hat. Mit dieser Würdigung unterstreicht er implizit den von ihm zuvor bestrittenen Einfluß der Wissenschaft. Gerber, Princip, S. 175 ff. Gerber, Princip, S. 178 ff. 207 Gerber, Princip, S. 181 ff. 208 Gerber, Princip, S. 184 ff. 209 Gerber, Princip, S. 184. 210 Gerber, Princip, S. 195 ff. 211 Gerber, Princip, S. 200 ff. 212 Gerber, Princip, S. 209 ff. 213 Gerber, Princip, S. 212. 214 Gerber, Princip, S. 217. 215 Gerber, Princip, S. 158. 216 Zu Zasius vgl. Klaus-Peter Schroeder, Ulrich Zasius (1461–1535) – Ein deutscher Rechtsgelehrter im Zeitalter des Humanismus, in: Juristische Schulung 1995, S.97 ff. 205 206

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Gerbers Urteil über den von ihm untersuchten Rechtszustand des sechzehnten Jahrhunderts ist insgesamt negativ. Er beschreibt die dargestellten Quellen mehrheitlich als „unorganische(r) Gestaltungen“, die das „durch mühsame und allmähliche Pflege Erworbene(n)“ zerstörten. 217 An späterer Stelle spricht er allgemein von der „unfruchtbaren und planlosen Thätigkeit der Particulargesetzgeber“. 218 Den Rechtszustand nach Vollendung der Rezeption sieht Gerber als „dem wunderbarsten Labyrinthe vergleichbar“, wobei das einheimische Recht einem „ungeordneten Trümmerhaufen“ glich und das rezipierte Recht ohne Kenntnis seiner Geschichte unverständlich war. 219 Zudem machte das römische Recht zahlreiche neue Verkehrsformen bewußt, darunter auch viele Rechtsinstitute im Widerspruch zum einheimischen Recht, was einen Zwiespalt erzeugte. Auch die unverständliche Form und Sprache des fremden Rechts waren vermittlungsbedürftig. 220 Die angeführten Beispiele zeigen für Gerber, daß in fast allen Ländern versäumt wurde, die Bedürfnisse und die Rechtsüberzeugung des Volks zu erforschen. 221 Das römische Recht wurde seiner Ansicht nach in den Legislationen überbewertet. Vom deutschen Recht wurden nur vereinzelt „größere(n) und organische(n) Institute gerettet“. 222 Bezeichnend ist, daß Gerber die Kodifikationen Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts überhaupt nicht anspricht, sondern sich ganz auf das sechzehnte Jahrhundert beschränkt. Dies mag mit seiner kritischen Haltung gegenüber dem Naturrecht zu erklären sein 223, möglicherweise orientierte er sich auch an der negativen Einstellung Savignys. Zusammenfassend konstatiert Gerber in gewissem Widerspruch zu seinen bisherigen Feststellungen eine eher positive Wirkung der Landrechte für die deutsche Rechtsentwicklung: Sie trugen zur „Verpflanzung“ des römischen Rechts auf „einheimischen Boden“ bei, indem sie es überall der „Volksanschauung“ näher brachten. 224 Das einheimische Recht dagegen war nach Gerber durch die Rezeption des schon zu einem „organischen Systeme“ entwickelten römischen Rechts „in seinem schon 217 Gerber, Princip, S.222: Allerdings müsse das, was an dessen Stelle getreten sei, durchaus als wertvoll und gediegen anerkannt werden. 218 Gerber, Princip, S. 239. 219 Gerber, Princip, S. 223. 220 Gerber, Princip, S. 224. 221 Gerber, Princip, S. 225. 222 Gerber, Princip, S. 226: Gerber erwähnt die „Lehre von der Solennisierung der auf Liegenschaften Bezug habenden Rechtsgeschäfte“, die Güterrechte und das Erbrecht der Ehegatten und die Rechte der Personen. 223 Vgl. Pöggeler (Hrsg.), Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts. Von Carl Friedrich Wilhelm von Gerber. Mit einer Einleitung herausgegeben von Wolfgang Pöggeler. Nachdruck der Ausgabe Jena 1846, Einleitung, S. 31. 224 Gerber, Princip, S. 233/234.

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begonnenen Krystallisationsprocesse“ gehemmt worden, d. h. der Entwicklungsprozeß des deutschen Rechts wurde unterbrochen. Es wurde „in Stücke zerschlagen“ und „einzelne Brocken“ an die römischen Institute angegliedert. 225 Mit botanischen Vergleichen illustriert Gerber die Folgen dieses Prozesses. Das deutsche Recht verlor seine Wurzeln und mußte auf dem Boden des römischen Rechts verkümmern, da es zu ihm keine organische Verwandtschaft gab. 226 Die rechtserzeugende Kraft des Volkes war nach Gerber zwar nicht zum Stillstand gekommen, aber völlig mit der Aneignung des fremden Rechtselements beschäftigt. So blieben vom deutschen Recht nur isolierte, unverstandene Reste, die sich einer Rechtsfortbildung entzogen. 227 Wer rein deutsches Privatrecht finden will, ist nach Gerber gezwungen, auf die Zeit vor der Rezeption zurückzugreifen, denn seitdem ist in der Gültigkeit und Ausbildung des einheimischen Rechts eine Lücke entstanden. 228 Diese Lücke aber kann man nicht mehr überspringen, auch das „in der neueren Zeit nicht berücksichtigte Rechtsmaterial des Mittelalters“ ist Gerber zufolge nach den Ereignissen der Rezeptionszeit nicht mehr praktisch anwendbares Recht.229 Somit stellt sich für Gerber an dieser Stelle die entscheidende Frage, deren Lösung die vorliegende Schrift gewidmet ist, nämlich die nach dem „Princip dieser neuen Wissenschaft des deutschen Privatrechts“ 230, d. h. gewissermaßen, wie dem fragmentarischen deutschen Recht ein System abgewonnen werden kann. 231 Man könnte demnach erwarten, daß Gerber im dritten Teil seines Buches versucht, eine Antwort auf die Grundfragen des gemeinen deutschen Privatrechts im neunzehnten Jahrhundert zu geben. 232 d) Dritter Abschnitt Im dritten Abschnitt, der zwar nicht quantitativ, wohl aber inhaltlich den absoluten Schwerpunkt des Buches bildet, unternimmt Gerber somit den „Versuch der Aufstellung eines wissenschaftlichen Princips des gemeinen deutschen Privatrechts“. Vorangestellt ist in § 10 eine „Begränzung der Aufgabe“. Gerber will die Anknüpfung an bestehende Denkmodelle (die er zuvor äußerst ausführlich dargestellt hat) vermeiden, um nicht unwillkürlich in ein „altes Geleis ... einzulaufen“. 233 Erneut unterstreicht er statt dessen, daß er „die reine Quelle“234 zum Ausgangspunkt 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234

Gerber, Princip, S. 235. Gerber, Princip, S. 235. Gerber, Princip, S. 235. Gerber, Princip, S. 236. Gerber, Princip, S. 236. Gerber, Princip, S. 236. Vgl. Losano, System bei Gerber, S. 654. Vgl. Pöggeler, Einleitung, S. 31. Gerber, Princip, S. 237. Gerber, Princip, S. 238.

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aller Betrachtung machen möchte, womit er die Ausführlichkeit des zweiten Abschnitts rechtfertigt. Gerber betont das Erfordernis einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Rechts, nach dem Vorbild des römischen Rechts, bei dem man früh „die Fähigkeit, zu einem organischen Systeme verschmolzen zu werden“ 235, erkannt habe. Problematisch ist für ihn nur, in welcher Weise diese erfolgen soll. Eine bloße „Aggregierung der einzelnen particularrechtlichen Bestimmungen“236 scheidet aus. Die erforderliche systematische und wissenschaftliche Behandlung der „Gesammtheit der germanistischen Stoffe“ 237 hat vielmehr „die deutschen Rechtsstoffe zu einem abgerundeten Ganzen zu vereinigen, in welchem alle einzelnen Theile organisch verbunden sind“ 238. Gerber postuliert weiter: „... die ganze Darstellung muß von einem einheitlichen Principe ausgehen, welches alle anderen Theile beherrscht und mit überall sichtbaren Fäden in sich, als dem lebendigen Mittelpunct, vereinigt.“ 239 Zur weiteren Beleuchtung seines Wissenschaftsbegriffs führt Gerber aus: „es muß jeder Zweig des größeren Ganzen trotz seiner eigenen Selbständigkeit die Verwandtschaft mit dem Centrum bekunden, – mit einem Worte, es muß diese Gesammtdarstellung der germanistischen Rechtsstoffe den Anspruch auf eine wirkliche Wissenschaft befriedigen können.“ 240 Kompliziert wird die gestellte Aufgabe für Gerber dadurch, daß das gesuchte wissenschaftliche Prinzip „diejenigen Eigenschaften besitzen muß, durch welche dem dargestellten Stoffe der Charakter eines gemeinrechtlichen verliehen wird“ 241. Die „Lösung der Aufgabe“ präsentiert Gerber in § 11, auch wenn er im Grunde keine Regeln vorgibt, nach denen der von ihm angestrebte „Qualitätssprung“ 242 erreicht werden kann. Das deutschrechtliche Quellenmaterial belegt nach Gerber eine organische Entwicklung des Rechts. Die Volksrechte als erste „Denkmäler des einheimischen Rechts“ 243 sind beherrscht von der Idee der germanischen Freiheit und dem Recht der Einzelnen. 244 Gerber, Princip, S. 239. Gerber, Princip, S. 241. 237 Gerber, Princip, S. 238. 238 Gerber, Princip, S. 241/242. 239 Gerber, Princip, S. 242. 240 Gerber, Princip, S. 242. 241 Gerber, Princip, S. 243: Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des Rechts, auf das sich das zu suchende Prinzip bezieht, stellt Gerber an dieser Stelle ausdrücklich zurück, vgl. Princip, S. 244. 242 Vgl. Losano, System bei Gerber, S. 655; Losano spricht verschiedentlich vom „Qualitätssprung“ der Materie des deutschen Rechts, so auch S. 652. 243 Gerber, Princip, S. 245. 244 Gerber, Princip, S. 246. 235 236

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Auch in den Rechtsdenkmälern des Mittelalters, die einer späteren Zeit angehören, sind nach Gerber trotz aller feudalrechtlichen Veränderungen die „alten germanischen Rechtsideen noch nicht ganz erbleicht“. 245 Die Phase der Rezeption vernichtete zwar den Zusammenhang des einheimischen Rechts. Aber selbst in den Ausflüssen partikulärer Staatsgewalt erkennt Gerber noch „die Zweige des alten mittelalterlichen Stammes“. 246 In jüngster Vergangenheit sieht Gerber den Dualismus von fremden und einheimischen Recht überwunden und die brauchbaren Elemente des fremden Rechts in das Rechtsbewußtsein des Volks integriert. 247 Eine „Wahlverwandschaft“ 248 der neuen Rechtsstoffe mit den ursprünglichen deutschen Rechtsideen des Mittelalters ist für ihn jedoch unverkennbar. So zieht sich nach Gerber durch alle diese Stationen der deutschen Rechtsentwicklung die „Idee der organischen Entwicklung des deutschen Volksbewußtseins“ 249. Die Besonderheit der deutschen Rechtsgeschichte besteht darin, daß sie „die Aeußerungen jenes seiner endlichen Entfaltung entgegenstrebenden Rechtsbewußtseins“ darstellen und so „die Einzelproducte der Rechtserzeugung“ ihrer Isoliertheit entziehen muß. 250 Insbesondere handelt es sich nicht um die Geschichte des Rechts eines Staates (als eines durch gemeinsame Zentralorgane beherrschten Ganzen), sondern um die Darstellung der Rechtsentwicklung eines Volkes. 251 Nach Gerber bringt es die Besonderheit der deutschen Rechtsgeschichte mit sich, daß es unmöglich oder doch wertlos wäre, jedem einzelnen Satz des geschriebenen oder ungeschriebenen Rechts eine isolierte und selbständige Betrachtung zu widmen. 252 Die einzelnen privatrechtlichen Fragmente, wie sie sich beispielsweise in städtischen Gesetzen oder verschiedenen Statuten finden, besitzen keinen geschichtlichen Wert an sich, sondern haben nur insofern Bedeutung „als sie nach Abstreifung alles Zufälligen in ihrer Totalität ein Zeugniß für das Vorhandensein einer bestimmten Richtung der Rechtsüberzeugung gewähren“. 253 Nach Gerber kommt es in der Geschichte des deutschen Rechts, in der „der einzelne auf dem wuchernden Boden des deutschen Rechtsbewußtseins gekeimte Trieb das Zufällige ist“ nur darGerber, Princip, S. 249. Gerber, Princip, S. 252. 247 Gerber, Princip, S. 252. An späterer Stelle wehrt sich Gerber allerdings dagegen, daß Schriftsteller wie Reyscher den Dualismus durch formelle Integrierung der anwendbaren Sätze des fremden Rechts in die Darstellung des deutschen Rechts überwinden, vgl. Gerber, Princip, S. 303. 248 Gerber, Princip, S. 253. 249 Gerber, Princip, S. 253. 250 Gerber, Princip, S. 254; an anderer Stelle spricht Gerber von der Geschichte des deutschen Rechts als der „Darstellung des deutschen Rechtsbewußtseins in seiner Bewegung und allmählichen Entfaltung“, Gerber, Princip, S. 260/261. 251 Gerber, Princip, S. 258. 252 Gerber, Princip, S. 255. 253 Gerber, Princip, S. 256. 245 246

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auf an, „aus der Natur desselben die tiefer liegende ursprüngliche Triebkraft zu erkennen“. 254 Diese „Abstraction aus den vorhandenen einzelnen Instituten“ ist für ihn an dieser Stelle „das Hauptsächliche und der letzte Zweck“.255 Zwischen der Geschichte und der Dogmatik des Rechts besteht für Gerber, auch wenn streng zwischen ihnen zu trennen ist, ein enger Zusammenhang. Erstere kennzeichnet er als „die Entwicklung des Rechts in seiner Bewegung, in seinem Werden“, letztere als „die Behandlung des Rechts in seiner endlichen Ruhe“. 256 Für das in einem einzelnen abgegrenzten Staat geltende Recht erscheint die systematische Darstellung dieses statischen Ruhezustands nicht kompliziert. Dies gilt für die einzelnen Partikularrechte und vor allem die Sätze des römischen Rechts. 257 Anders verhält es sich jedoch bei der Darstellung des gegenwärtigen Rechts eines ganzen Volkes „welches aus der Totalität aller durch die particulären Organe erzeugten Rechtsstoffe gezogen werden muß“. 258 Diese allgemeinen Leitideen bilden einen Rechtsstoff, der nicht fertig und abgeschlossen ist und sich daher einer statischen Behandlung verschließt. Im deutschen Recht ist demnach keine vollkommene Trennung von Geschichte und Dogmatik denkbar. 259 Gerber will daher den wissenschaftlichen Begriff für die Darstellung des gegenwärtigen deutschen Privatrechts aus der Geschichte entlehnen. Die deutsche Rechtsgeschichte enthält für ihn „die Darstellung der allmählichen Entfaltung des deutschen Rechtsbewußtseins ... geschöpft aus der Anschauung der gemeinsamen nationalen Ideen ...“. 260 Für die dogmatische Behandlung fordert Gerber, daß das „heutige gemeine deutsche Privatrecht“ als die „Darstellung der gegenwärtigen Aeußerungen der Rechtsüberzeugung des deutschen Volks auf dem Gebiete des Privatrechts“ aufgefaßt werden muß. 261 Damit hat Gerber seiner Darstellung nach eine Antwort auf die Frage nach dem „wissenschaftlichen Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ gegeben. Die Aussage erscheint jedoch auf den ersten Blick eher phrasenhaft und bedarf weiterer Interpretation. Auch ist der Fortschritt gegenüber der „Volksgeistlehre“ der HistoriGerber, Princip, S. 257. Gerber, Princip, S. 257. 256 Gerber, Princip, S. 261. 257 Auch für das heutige römische Recht (wobei Gerber bezweifelt, ob sich dieser Begriff überhaupt wissenschaftlich rechtfertigen läßt) beziehen sich die neueren Modifikationen allein auf die Einwirkungen des kanonischen Rechts und der Reichsgesetze, Gerber, Princip, S. 262/263. 258 Gerber, Princip, S. 263. 259 Gerber, Princip, S. 264. 260 Gerber, Princip, S. 268. Der Text ist bei Gerber an dieser Stelle kursiv gesetzt. 261 Gerber, Princip, S. 269. Mittermaier lobt in einem Brief an Gerber ausdrücklich, daß er „mit Freude in Ihrem Buch viel las, z. B. was Sie S. 269 ... sagen ...“, Mittermaier an Gerber, Heidelberg, 29. Juni 1846, UB Heidelberg, H.HS 2746, Jelowik, S. 267 [125]. Allerdings erläutert Mittermaier nicht näher, was er an dieser Formel, auf die er sich wohl bezieht, herausragend findet, es kann sich somit auch um eine allgemeine Freundlichkeit seinem Schüler gegenüber handeln. 254 255

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schen Rechtsschule nicht unmittelbar festzustellen. Dies mag damit zusammenhängen, daß sich Gerber formal im „Princip“ immer wieder zur Historischen Rechtsschule bekennt, auch wenn er ihren Boden letztlich verläßt, wie sich im weiteren Verlauf des Buches zeigen wird. 262 Gerber erkennt, daß sich auch bei dem auf die von ihm vorgeschlagene Weise konstruierten gemeinen deutschen Privatrecht immer das Problem des Sanktionsmangels stellt. Daher wird im folgenden § 12 die praktische Geltung des so konstruierten Privatrechts erörtert. Gerber ist sich darüber klar, daß selbst noch in neuester Zeit die Mehrzahl der Germanisten die Idee einer „gewissen, wenn auch beschränkten Anwendbarkeit des in der Darstellung des gemeinen deutschen Privatrechts Enthaltenen“ vertritt. 263 Auch ist er sich bewußt, daß sich die Frage aufdrängt, woraus der Richter seine Entscheidungsquelle für Rechtsstreitigkeiten entnehmen soll, die nicht nach den Grundsätzen des römischen Rechts beurteilt werden können. 264 Bisher wurden Lükken im Partikularrecht von der Rechtssprechung aus den Lehren des deutschen Privatrechts ergänzt. 265 Gerber sieht jedoch als unmittelbar anwendbares positives Recht nur an, was eine „äußere Sanction“ erhalten hat, d. h. aus einem der drei anerkannten Faktoren der Rechtserzeugung hervorgegangen ist. Das sind Gesetz, Rechtsüberzeugung des Volkes (d. h. Gewohnheitsrecht) und Wissenschaft. 266 Die Wissenschaft ist für Gerber dabei nur eine „accessorische“267 Rechtsquelle, nur insoweit rechtsproduktiv, als sie das vorhandene positive Rechtsmaterial auf seine Prinzipien zurückführt. 268 Gerber bezweifelt, daß der Richter durch die Unvollkommenheit und Lückenhaftigkeit der Territorialrechte in eine „traurige Rathlosigkeit“ 269 geführt werde. Meist dürfte es wenigstens ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht des jeweiligen Ortes geben. Ohnehin besteht für ihn die Unvollkommenheit der Partikularrechte „mehr in dem Mangel einer Nachweisung der juristischen Natur von Rechtsinstituten“ 270 als 262 Vgl. i.ü. Kern, Germanisten, S.12, zur Aufgabe der Volksgeistlehre durch Puchta, der damit die Historische Rechtsschule verläßt. 263 Gerber, Princip, S. 273/274. 264 Gerber, Princip, S. 275. 265 Gerber, Princip, S. 276. 266 Gerber, Princip, S. 276; Pöggeler, Einleitung, S. 35, macht darauf aufmerksam, daß Gerber unter Gesetz offensichtlich eine Rechtsnorm versteht, die auf den Staat zurückgeht. Rechtsüberzeugung des Volkes sind in diesem Zusammenhang Gewohnheitsrechte; der Begriff des Juristenrechts entspricht dem Puchtas, d. h. es ist keine eigenständige umfassende Rechtssetzung gemeint, sondern die Lückenfüllung durch konsequentes Weiterdenken der gesetzlichen Regelung. 267 Gerber, Princip, S. 277. 268 Gerber, Princip, S. 278: „zu einem Ganzen von sich gegenseitig voraussetzenden und bedingenden Sätzen“, mit Verweis auf Puchta. 269 Gerber, Princip, S. 278. 270 Gerber, Princip, S. 279.

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darin, daß tatsächlich keine entscheidenden Grundsätze darin enthalten sind, sie bedürfen also gewissermaßen nur der richtigen juristischen Lesart. In jedem Fall hat seiner Meinung nach die Wissenschaft nicht die Berechtigung, „eine dritte Größe mit der Vollmacht auszustatten, selbstthätig in einem ganz fremden Gebiete wirksam zu werden“. 271 Gerber argumentiert an dieser Stelle offenbar gegen jegliche richterliche Rechtsfortbildung, sei sie auch noch so wissenschaftlich fundiert. Grundsätzlich spricht Gerber gleich zu Beginn seiner Ausführungen zum „praktische(n) Wert des gemeinen deutschen Privatrechts“ in § 12 diesem jede unmittelbare Anwendung ab. 272 Es handelt sich für ihn um eine „von der Anwendung im Rechtsleben ganz abstrahirende Idee“. 273 Selbst eine „hypothetische Anwendbarkeit“ ist für ihn juristisch nicht denkbar, da es sich um einen „sublimierten Stoff“ handelt, der „mittelst rein theoretischer Operationen aus den vorhandenen wirklich anwendbaren Rechten gezogen wird“. 274 Für Gerber kann das gemeine deutsche Privatrecht nur die Anerkennung beanspruchen, die der Rechtsgeschichte generell zukommt. 275 In der Preisgabe des Anspruchs auf unmittelbare Anwendbarkeit liegt, wie Gerber selbst ausführt, die wesentliche Abweichung von der Ansicht Eichhorns 276 und somit der Kern der Eigenständigkeit von Gerbers Ansatz. Lücken werden entsprechend den Grundsätzen des bestehenden Rechts ausgefüllt. Auch die Lückenhaftigkeit der meisten Territorialrechte (die nach Gerbers Ansicht weniger ins Gewicht fiele, wenn es überall Werke gäbe wie das Waechtersche für Württemberg 277) kann nach Gerber meist durch ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht des jeweiligen Ortes gehoben werden. 278 Eine subsidiäre Anwendung des deutschen Privatrechts zur Lückenfüllung scheidet somit für Gerber ebenfalls aus. Gerber spürt, daß sich an dieser Stelle die Frage aufdrängt, welchem Zweck das in einem so anspruchsvollen Verfahren gewonnene deutsche Privatrecht denn dienen soll, wenn nicht dem der Anwendung. Er beantwortet diese Frage zum einen dadurch, daß er der Wissenschaft des gemeinen deutschen Privatrechts die Bedeutung zuschreibt, „die einzelnen Sätze des Particularrechts zum wissenschaftlichen Bewußtsein“ zu bringen, d. h. die Verbindung des „einzelnen Rechtssatzes ... mit dessen Motiven und den daraus hervorgehenden Principien“ zu beleuchten. 279 Diese wissenschaftliche Anschauung ist insGerber, Princip, S. 280. Gerber, Princip, S. 272. 273 Gerber, Princip, S. 273. 274 Gerber, Princip, S. 273. 275 Gerber, Princip, S. 273. 276 Gerber, Princip, S. 306 f. 277 Gerber, Princip, S. 279, Fn. 10 – Gerber weist auf Waechters Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts, Bd.1, hin, auf das er schon im zweiten Teil des Princips, S. 167 eingegangen ist. 278 Gerber, Princip, S. 279, vgl. bereits oben. 279 Gerber, Princip, S. 284. 271 272

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besondere auch für den Richter unabdingbar, da sonst der einzelne positive Rechtssatz „als eine durch willkürliche Gewalt bindende, aber unerklärte und unverstandene Macht erscheinen würde“. 280 Nach Gerber ist die wissenschaftliche Instruktion unverzichtbar für das Verständnis des positiven Rechts, „aber die Materialien, durch welche sie bewirkt wird, sind nicht selbst positive Rechtssatzungen, sondern nur der wissenschaftliche, einleitende Apparat“ 281. Der eine praktische Nutzen des deutschen Privatrechts besteht somit in der wissenschaftlichen Einleitung in das Studium der Partikularrechte. 282 Darin befindet sich Gerber in voller Übereinstimmung mit Eichhorn. 283 Es handelt sich dabei für Gerber jedoch nur um einen mehr zufälligen Vorteil, nicht um den eigentlichen „Selbstzweck“ der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht. 284 Dies folgt für Gerber schon allein aus der Überlegung, daß „die magere Idee einer bloßen Einleitung, also einer bloßen methodischen Vorbereitung für etwas Drittes, im Hintergrunde Verborgenes, nicht als die letzte Tendenz einer gehaltvollen Wissenschaft erscheinen kann“. 285 Zudem würde sich eine solche Wissenschaft in absehbarer Zeit überleben, da für Gerber zu erwarten ist, „daß jene Mangelhaftigkeit des positiven Rechts überwunden wird, und sicher voraus gesehen werden kann, daß jener innige Zusammenhang unseres heutigen Rechtszustandes mit dem des Mittelalters im Laufe der Zeit... verwischt“ werden wird. 286 Den „Hauptzweck“ 287 aber, die „principale Tendenz der Dogmatik des gemeinen deutschen Privatrechts“ 288 sieht Gerber daher in einem anderen Gesichtspunkt. Für ihn hat „das deutsche Volk ... noch nicht die schöpferische Kraft verloren, von der die Erzeugung eines lebensfrischen Rechts ausgeht“, auch wenn sich die Tätigkeit der Rechtsproduktion immer mehr „in die thatkräftigen Organe und Repräsentanten des Stats zurückgezogen“ hat. 289 Die „Motive zur Entstehung des Privatrechts, Gesinnung, Sitte, Ansichten über das sociale Leben“ sind die „geistige Errungenschaft eines Volkes“ und nicht auf einzelne Partikularstaaten beschränkt. 290 280 Gerber, Princip, S. 284: Gerber illustriert diese Bedeutung der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht für den Richter, indem er zwei Stellen aus dem Lübecker bzw. Hamburger Stadtrecht zitiert, die ohne Kenntnis des Wesens der gerichtlichen Auflassung im ersten bzw. des altdeutschen Rechtsprinzips „Hand muß Hand wahren“ im zweiten Fall zu Fehlinterpretationen führen würden, vgl. Gerber, Princip, S. 285. 281 Gerber, Princip, S. 286. 282 Gerber, Princip, S. 286. 283 Gerber, Princip, S. 307. 284 Gerber, Princip, S. 287. 285 Gerber, Princip, S. 307. 286 Gerber, Princip, S. 287. 287 Gerber, Princip, S. 288. 288 Gerber, Princip, S. 292. 289 Gerber, Princip, S. 288. 290 Gerber, Princip, S. 288.

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Ein allgemeiner „Ideenaustausch“ wird dadurch bewirkt, daß in allen oder zumindest den meisten Teilen Deutschlands verbreitete Rechtsinstitute dazu beitragen „jene nationale Gemeinschaft geistiger Güter zur lebendigen Erscheinung zu fördern“. 291 In diesem Sinne wirken einerseits die Landstände der konstitutionellen Staaten, die an der Gesetzgebung teilhaben. Auch sieht Gerber eine Wirksamkeit des deutschen Bundes in dieser Richtung, dem trotz seines ursprünglichen Charakters als völkerrechtlicher Verein immerhin eine gewisse „Möglichkeit einer indirecten Einwirkung auf gemeinschaftliche Grundlagen des Rechts“ nicht völlig abzusprechen sei. 292 Gerber betont bei alledem ausdrücklich, niemand könne „mehr als ich von der Ansicht entfernt sein, daß aus diesen Elementen jemals wieder ein formell gemeinsames Recht herauswachsen werde“. 293 Die Möglichkeit einer gesamtdeutschen Kodifikation hält er also im Jahre 1846 für völlig ausgeschlossen und möchte daher wohl auch das zu konstruierende gemeine deutsche Privatrecht nicht als direkte Vorbereitung dazu sehen. 294 Für ihn hat die Dogmatik des gemeinen deutschen Privatrechts ihren hauptsächlichen Zweck als „lebendige(s) Organ zur Erkenntnis der allgemeinen Richtungen des gegenwärtigen deutschen Rechtsbewußtseins“ 295. Seiner Ansicht nach hat das Volk einen Anspruch darauf, daß man ihm seine „geistige Errungenschaft“, insbesondere auf dem Gebiet des Rechts, durch wissenschaftliche Bearbeitung zum Bewußtsein bringt. 296 Gerber knüpft daran jedoch keinerlei rechtspolitische Konsequenzen. Er scheint vielmehr vor allem im Blickfeld zu haben, die Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht auf das Niveau einer „höheren Wissenschaft“ 297 zu heben, die zum geistigen Erbe eines Volkes gehört. Im vorletzten Paragraph 13 macht Gerber Ausführungen zur „Darstellung des gemeinen deutschen Privatrechts“, d. h. er versucht, Hinweise zu geben, wie diese seiner Ansicht nach zu realisieren ist. Dazu sind zum einen insbesondere Regeln für die Trennung der Geschichte – die nach Gerber die vom Volksgeist abgeschiedenen, „abgestorbene(n) Thatsachen“ 298 enthält – von der dogmatischen Darstellung des deutschen Privatrechts 299 aufzustellen. Selbst in der Mehrzahl der neueren Lehrbücher wird nach Gerbers Ansicht, ohne daß er Beispiele nennt, die Grenzlinie teilweiGerber, Princip, S. 289. Gerber, Princip, S. 289. 293 Gerber, Princip, S. 290. 294 Es ist also zu bezweifeln, daß Gerber tatsächlich, wie Losano, Briefwechsel, Bd.2, S. 92 schreibt, die Aufgabe der Rechtswissenschaft darin sah, durch die Ausarbeitung des gemeinen Rechts das notwendige Material für eine Rechtsvereinheitlichung zur Verfügung zu stellen. 295 Gerber, Princip, S. 292. 296 Gerber, Princip, S. 292. 297 Gerber, Princip, S. 301. 298 Gerber, Princip, S. 292. 299 Gerber, Princip, S. 294. 291 292

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se nicht einmal durch äußere Trennung gezogen. Gerber hat allerdings selbst an einer früheren Stelle festgestellt, daß im deutschen Privatrecht keine vollkommene Trennung zwischen Geschichte und Dogmatik denkbar ist.300 Als zweiten Fokus dieses vorletzten Kapitels seines Buches zielt Gerber mit einen kurzen Hinweis auf die seinem Prinzip entsprechenden „Grundsätze über die Benutzung der Quellen und die Behandlung des Stoffes“. 301 Bei der Trennung von Rechtsgeschichte und Dogmatik sieht Gerber vor allem eine Schwierigkeit. Die Umgestaltung der Rechtsüberzeugung ist bedingt durch den Fortschritt der Entwicklung des Rechtsbewußtseins eines Volkes. Dieses seinerseits ist abhängig von der „Umgestaltung all jener socialen Zustände und Ansichten, welche auf das Recht überhaupt einwirken können“, weshalb die Rechtsfortbildung meist nicht so gleichmäßig wie in der Theorie verläuft, sondern dem hemmenden Einfluß zufälliger Umstände, wie insbesondere einer willkürlichen Gesetzgebung, ausgesetzt ist. 302 Aus der so erklärbaren unterschiedlichen Rechtsentwicklung in den einzelnen deutschen Territorialstaaten ergibt es sich, daß kaum ein Institut des deutschen Rechts in allen Ländern Deutschlands „in ganz gleichem Stadium der Entwickelung zur Anwendung kommt“. 303 Dieser ungleiche Rechtszustand erschwert die Trennung von Rechtsgeschichte und Dogmatik, da es sich bei den „verschiedenen Endpuncten der Territorialrechte fast nie mit absoluter Sicherheit behaupten läßt, auf welcher Linie sich das lebensvolle Dasein eines Rechtsinstituts von den abgestorbenen Gliedern scheidet“. 304 Diesem Problem mußte man laut Gerber vor allem bei der Konstruktion eines unmittelbar anwendbaren gemeinen Rechts begegnen, weshalb man bisher nur „approximativ“ ein Ergebnis erreichen konnte. Aufgrund dieser „Unvollkommenheit unserer Wissenschaft“ mußten sich berechtigte „Zweifel gegen die Fähigkeit des Stoffs, als solide und feste Basis einer wissenschaftlichen Behandlung zu gelten“, aufdrängen. 305 Gerber glaubt nun, das von ihm aufgestellte „Princip“ (das gemeine deutsche Privatrecht als Darstellung der gegenwärtigen Rechtsüberzeugung des deutschen Volkes, aber nicht als unmittelbar anwendbares Recht) gewähre „die juristische Möglichkeit, das Geschichtliche vom heutezutage Geltenden nicht bloß nach Wahrscheinlichkeit, sondern fast mit voller Sicherheit zu trennen“. 306 Allerdings räumt er ein, daß mit Schwierigkeiten zu rechnen ist, vertraut aber darauf, es werde sich zur Ausscheidung von Nebensächlichkeiten „aus einer theils historischen, theils abstrahierenden Untersuchung ... ergeben, welche Rechtsprodukte gerade zur Erkenntnis der Rechtsüberzeugung von Interesse 300 301 302 303 304 305 306

Gerber, Princip, S. 264. Gerber, Princip, S. 294. Gerber, Princip, S. 296. Gerber, Princip, S. 297. Gerber, Princip, S. 298. Gerber, Princip, S. 299. Gerber, Princip, S. 299.

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sind“. 307 Die von Gerber angekündigten Trennungsregeln bleiben damit sehr wenig konkret. Er betont nur immer wieder, daß das von ihm propagierte „Durchdringen ... der Natur des Rechtsstoffs“, angelehnt an die Rechtsgeschichte und „unter Berücksichtigung aller Veränderungen der auf das Privatrecht wirkenden socialen Motive“ für den Germanisten den „Aufwand der höchsten geistigen Kräfte“ und die „größte Herrschaft über den Stoff“ ebenso erforderlich macht, wie eine „gewisse productive Geistesthätigkeit“. 308 Gerber kommt zu dem Schluß, daß „alle Particularrechte Deutschlands die Quellen unserer Wissenschaft bilden“, und aus ihnen die Elemente herausgelöst werden müssen, „welche nach Abstreifung des Zufälligen und Particulären als Product einer wirklich allgemeinen deutschen Rechtsüberzeugung erscheinen“.309 Nach seiner Vorstellung kann so die Wissenschaft besonders für die „legislative Rechtserzeugung“ Wirksamkeit entfalten, indem sie dazu beiträgt, beim Ablegen von „den Zeitverhältnissen nicht mehr entsprechenden Normen“ Anschluß an die „Entwicklungsprozesse ... der Natur“ zu finden, „in denen die Blüthe aus der entfalteten Hülle sanft und schmerzlos hervorbricht“. 310 Gerber bemüht hier wieder einmal einen bildhaften Vergleich aus der Biologie, bleibt aber jede konkrete ‚Handlungsanweisung‘ an den Wissenschaftler, wie dieses positive Einwirken vonstatten gehen soll, schuldig. Für Gerber ist die wissenschaftliche Darstellung erst dann vollendet, wenn das gesamte Privatrecht einbezogen ist. Gegenwärtig hält er jedoch einen Großteil des in Deutschland geltenden Rechts für „in der zusammenhängenden Darstellung des heutigen römischen Rechts“ 311 erfaßt. Die Wissenschaft des deutschen gemeinen Privatrechts muß sich daher noch beschränken auf „die Institute, welche auf deutschem Boden primitiv entstanden, oder aus einer Vermischung römischer Elemente mit deutschen Rechtsansichten hervorgegangen sind“. 312 Gerber hat allerdings keine Bedenken, in das deutsche Privatrecht diejenigen ursprünglich römischen Rechtssätze einzubeziehen, die durch Modifikationen in der deutschen Rechtsanwendung einen „neuen und veränderten Charakter erhalten haben“. 313 Bei weiterem Fortschritt von Gesetzgebung, rechtserzeugender Kraft des Volkes und Wissenschaft sieht Gerber möglicherweise den Zeitpunkt nicht mehr fern, in dem die römischen Rechtssätze durch die Entwicklung des deutschen Rechtsbewußtseins noch stärker als bisher assimiliert und so umgestaltet sind, daß sie als Teil Gerber, Princip, S. 299. Gerber, Princip, S. 300/301; Losano, System bei Gerber, S. 657 stellt fest, mit Begriffen wie „Aufwand höchster geistiger Kräfte“ und „gewisse productive Geistesthätigkeit“ werde mit bemerkenswerter Unschärfe die geistige Haltung, die bei der Konstruktion des Rechts leiten müsse, umrissen. 309 Gerber, Princip, S. 302. 310 Gerber, Princip, S. 302. 311 Gerber, Princip, S. 302. 312 Gerber, Princip, S. 302. 313 Gerber, Princip, S. 303. 307 308

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dieses einheimischen Rechtsbewußtseins aufgefaßt werden dürfen. Allerdings kann für Gerber diese „Einheit des deutschen Rechts“ nur „auf dem Wege der Rechtserzeugung“ erreicht werden. 314 Zu erinnern ist an dieser Stelle daran, daß Gerber kurz zuvor ein formell gemeinsames Recht für ganz Deutschland in der Zukunft als unwahrscheinlich bezeichnet hat. 315 Wenn neuere Schriftsteller 316 wie Reyscher den „Dualismus“ des deutschen Rechtszustandes, d. h. die Aufteilung in römisches und deutsches Recht, bereits gegenwärtig durch formelle Integration der anwendbaren Sätze des fremden Rechts in die Darstellung des deutschen Rechts aufheben wollen, findet das nicht Gerbers Zustimmung. 317 Ein solches Vorgehen ist seiner Ansicht nach angemessen bei der Behandlung der Partikularrechte, nicht aber bei der Darstellung des gemeinen deutschen Privatrechts. Hier fällt seiner Ansicht nach die „innere Verschiedenheit der einzelnen Sätze und Institute des deutschen von denen des römischen Rechts“ ins Gewicht, weshalb es auch für beide Gebiete eine selbständige Literatur und geschichtliche Darstellung gibt. 318 Gerber verweist auf den wissenschaftlichen Vorteil, den die „abgesonderte Behandlung beider Stoffe“ bietet und befürchtet ansonsten einen Rückfall in die längst überwunden geglaubte „Verflachung der Wissenschaft“ im „Usus modernus Pandectarum“. 319 Eine „äußere ... und mechanische ... Verbindung unzusammenhängender Stücke“ widerspricht Gerbers Ansprüchen an eine „wahre Wissenschaft“. 320 Den Ansichten Eichhorns und Reyschers widmet Gerber das letzte Kapitel (§ 14) seiner Schrift, das insgesamt als Annex erscheint. Gegenüber Eichhorn betont Gerber noch einmal die Eigenständigkeit seiner eigenen Ansicht. Zwar liegt bei ihm wie auch bei Eichhorn der Schwerpunkt auf der historischen Entwicklung der Institute, es gehen für ihn jedoch „die Endpunkte beider Ansichten ... diametral auseinander.“ 321 Während Eichhorn dem Mittelalter auch für das gegenwärtige Recht eine ganz besondere Bedeutung zumesse und insbesondere auch aus den Rechtsquellen des Mittelalters unmittelbar anwendbare Normen zur Ergänzung der Partikularrechte ziehen wolle, spricht Gerber dem Einfluß dieser Epoche auf das gegenwärtige Recht Gerber, Princip, S. 303. Gerber, Princip, S. 290. 316 Gerber bezieht sich hier auf Reyscher, in dessen schon erwähnten (zweiten) Aufsatz in der ZDR, Bd. 9, S. 368 ff., sowie auf Vitzer im selben Band derselben Zeitschrift, S.501 ff.; vgl. Gerber, Princip, S. 303, Fn. 15. 317 Es ist daher entgegen der Ansicht von Losano nicht davon auszugehen, daß auf systematischer Ebene Reyschers Vorschlag genau parallel zu Gerbers Ideen liegt, vgl. Losano, System bei Gerber, S. 657. 318 Gerber, Princip, S. 304. 319 Gerber, Princip, S. 304/305. 320 Gerber, Princip, S. 305. 321 Gerber, Princip, S. 306. 314 315

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„keinen anderen Werth als den einer jeden Culturperiode überhaupt“ zu.322 Eichhorn wolle Resultate mit Anspruch auf unmittelbare Geltung liefern, Gerber hingegen beschränkt sich darauf, „in den aus der deutschen Rechtsgeschichte gezogenen Ergebnissen die „allgemeinen Grundlagen der heutigen Rechtsbildung des deutschen Volks“ zu sehen, deren Kenntnis zwar unentbehrlich ist, wenngleich allerdings „die Anwendbarkeit der so gewonnenen Resultate im praktischen Rechtsleben entschieden in Abrede gestellt werden mußte“.323. Und schließlich sehe Eichhorn den „wissenschaftlichen Begriff dieses Ganzen“ als den einer Einleitung in die Partikularrechte, Gerber aber scheint „die magere Idee einer bloßen Einleitung, also einer bloßen Vorbereitung“ nicht hinreichend als „letzte Tendenz einer gehaltvollen Wissenschaft“. 324 Gerber beschließt seinen Vergleich mit Eichhorn mit der erneuten Formulierung seines für ihn wesentlichen Ergebnisses: Das entscheidende Ziel seiner Wissenschaft liegt für ihn in der Aufgabe, „die Producte der Rechtsüberzeugung des deutschen Volks, die Thaten des deutschen Volksgeistes auf dem Gebiete des Rechts in wissenschaftlicher Lehrart vorzutragen“. 325 Gerber differenziert abschließend noch einmal ausdrücklich zwischen den Aufgaben des Rechtshistorikers, der zu Recht in jedem Partikularrecht noch den Zusammenhang mit dem alten Recht des Mittelalters durchschimmern sieht, und denen des Richters, der „eine neue und eigenthümliche Grundlage des Rechtslebens finden muß“ 326, wobei daran zu erinnern ist, daß sich Gerber zuvor als entschiedener Gegner unabhängiger richterlicher Rechtsfortbildung gezeigt hat. Das Recht des Mittelalters ist für Gerber aus gegenwärtiger Perspektive „eine abgeschlossene That des Volksgeistes, die nunmehr der Geschichte preis gegeben ist“. 327 In der Gegenwart sind zwar noch immer Spuren mittelalterlichen Einflusses nachweisbar – besonders in einzelnen Rechtsinstituten – aber für Gerber „verlieren (sie) sich mehr und mehr und weichen den Erfolgen der neueren Zeit“, wobei es Aufgabe der Wissenschaft ist, sich „dieser weiteren Entfaltung anzuschließen“. 328 Unvermittelt geht Gerber abschließend noch einmal auf die Ansicht Reyschers ein. Er hat an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, daß er zwei Aufsätze Reyschers erst erhalten hat, nachdem Teile seines Buches bereits im Druck waren. Offenbar konnte er es sich aber nicht versagen, kurz seine Kritik anzubringen. Bei genauer Betrachtung enthält die Ansicht Reyschers für Gerber „nichts Anderes, als die Grundlage der Theorie Rundes: die Natur der Sache oder das hypothe-

322 323 324 325 326 327 328

Gerber, Princip, S. 307. Gerber, Princip, S. 307. Gerber, Princip, S. 307. Gerber, Princip, S. 307/308. Gerber, Princip, S. 309. Gerber, Princip, S. 310. Gerber, Princip, S. 310.

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thische Vernunftrecht“ 329. Gerber kommt nun zu seiner bereits angekündigten 330 Kritik an Runde. Die Natur der Sache im Sinne von Runde und anderen Schriftstellern des vorigen Jahrhunderts würde laut Gerber mit Sicherheit „die vollkommenste Verseichtigung der Wissenschaft herbeiführen“, wie dies schon „durch den ehemaligen Einfluß des alten Naturrechts geschehen mußte“. 331 In beiden Fällen hält Gerber die Argumentation für „oberflächlich und haltlos“. 332 Die „bestehenden factischen Verhältnisse“, aus denen die Verfechter der Natur der Sache ihre Rechtssätze ableiten wollen, sind für Gerber keine sichere Basis, schon weil es keinerlei Garantie für eine richtige Auffassung ihres objektiven Bestands gibt. Außerdem macht Gerber darauf aufmerksam, daß „fast niemals ein Verhältnis des socialen Lebens nur auf ein bestimmtes Rechtsinstitut mit Nothwendigkeit hinführt“ 333, sondern immer auch die Möglichkeit einer völlig anderen juristischen Beurteilung besteht. Wie beim Naturrecht sieht Gerber auch bei der Natur der Sache die „Willkür der subjectiven Auffassung“ 334 im Vordergrund. Gerber stellt noch einmal klar, daß die Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse in der Jurisprudenz sowohl zum Verständnis als auch zur Anwendung des positiven Rechts immer erforderlich ist. Nur werde dabei immer eine positive Rechtsnorm vorausgesetzt, während das Princip der Natur der Sache versuche „aus der Betrachtung der Thatsachen erst eine solche zu schaffen“. 335 Reyscher habe sich nicht über die alte Natur der Sache zu erheben versucht. In einem Zitat aus dem letzten Aufsatz Reyschers 336 sieht Gerber den Beleg, daß dieser „überall die Motive zur Bildung des Rechts mit den Grundlagen des bestehenden Rechts“ verwechselt. 337 329 Gerber, Princip, S. 310; die folgende Kritik an Runde hinsichtlich der „Verseichtigung“ der Wissenschaft kann daher durchaus auch auf Reyscher bezogen werden. Zur langwierigen Auseinandersetzung zwischen Gerber und Reyscher vgl. unten Kapitel IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten. 330 Gerber, Princip, S. 63; vgl. oben. 331 Gerber, Princip, S. 310/311. 332 Gerber, Princip, S. 311. 333 Gerber, Princip, S. 311. 334 Gerber, Princip, S. 311. 335 Gerber, Princip, S. 312. 336 Reyscher, ZDR, Bd.10, S.173: „Was die Natur, Vernunft oder Geschichte als nothwendig erweisen, ist nicht weniger wahr, als das s. g. positive Recht, aber der Unterschied findet allerdings Statt, daß das gesetzliche Recht und ebenso das Gewohnheitsrecht in ihrer Form schon den Grund ihrer Verbindlichkeit haben, während die Verbindlichkeit des materiellen Rechts aus der Beschaffenheit seines Inhalts nachzuweisen ist.“, vgl. Gerber, Princip, S. 312. 337 Gerber, Princip, S. 312. Diesem Irrtum ist für Gerber auch die von Reyscher gezogene Parallele zwischen seinem deutschen Privatrecht und dem römischen Ius Gentium zuzurechnen. Gerber verdeutlicht, daß Letzteres in Rom nicht deswegen galt, weil es „aus der allgemeinen Vernunft oder Menschennatur hervorgegangen war“, sondern weil man ihm eine förmliche Sanktion verliehen hatte.

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Gerber beendet sein Buch mit der Kritik Reyschers, ohne noch einmal eine prägnante Zusammenfassung seines Anliegens an den Schluß zu stellen. Das Ende erscheint sehr abrupt und steht in gewissem Widerspruch zur sonstigen abgerundeten und gut durchstrukturierten Darstellung.

3. Resonanz und Ergebnis Bei der zeitgenössischen Aufnahme des „wissenschaftlichen Princips des gemeinen deutschen Privatrechts“ fällt zunächst einmal ins Gewicht, daß es sich um das Erstlingswerk eines zu dieser Zeit noch völlig unbekannten jungen Germanisten handelte. Dies erkärt, weshalb sich nur eine einzige Rezension von Gerbers „Princip“ finden ließ. Die von Gerber erhoffte Anzeige seines Werks durch Albrecht in Richters Jahrbüchern war unterblieben, wie man einem Brief von Albrecht an seinen früheren Schüler entnehmen kann. 338 Die relativ ausführliche Rezension erschien im „Leipziger Repertorium“ von 1846 und stammt aus der Feder eines unbekannten Verfassers. 339 Der Rezensent faßt zusammen, es sei in dem Werk „im Wesentlichen das zusammengestellt und bearbeitet, was man gewöhnlich in der sogenannten Einleitung in das deutsche Privatrecht behandelt findet“. 340 Wenn es auch kein eigentliches Bedürfnis zur Vermehrung der Literatur auf diesem Gebiet gebe, so findet er doch ein Wort des Lobes für den jungen Autor: „An Herrn G. erkennen wir zunächst ernsten Eifer, Talent, Darstellungsgabe und die wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes überhaupt an; sein Buch gewährt eine recht ansprechende, gute Lectüre“. Für den Rezensenten ist ein weiteres Buch über das deutsche Privatrecht nur gerechtfertigt, wenn „etwas erheblich Neues oder wissenschaftlich Bedeutendes gegeben wird“, er gesteht aber andererseits zu, „dass ein jüngerer strebsamer Germanist wohl mit Recht einen gewissen Drang in sich fühlt, seine Ansichten über deutsches Privatrecht öffentlich darzulegen“. 341 Was Gerbers ersten Abschnitt über die Dogmengeschichte und seinen zweiten Abschnitt über die Rezeptionszeit betrifft, beanstandet der Rezensent eine zu große Ausführlichkeit und stellt die Frage, ob zuweilen nicht einfach ein Verweis genügt hätte. Was die Entwicklung des deutschen Rechts seit der Rezeption angeht, liefere Gerber mit der Darstellung der Land- und Stadtrechte nur Materialien statt „die Sache selbst“ zu besprechen. 342 338 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden; zu Albrecht vgl. Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht, Lehrer und Verfechter des Rechts: Leben und Werk, Pfaffenweiler 1993. 339 Anonymus in Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur“ 1846, Heft 36, S. 361–363. 340 Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 361. 341 Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 361. 342 Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 362.

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Für den dritten Abschnitt stellt der Rezensent fest, hinsichtlich der „Art und Weise des Studiums des deutschen Privatrechts ... möchte in der That zwischen der Ansicht Eichhorn’s und der des Vfs. ein sehr wesentlicher Unterschied nicht obwalten“. Er möchte dies Gerber jedoch keineswegs als Vorwurf anrechnen. 343 Der „Hauptpunct“, in dem Gerber selbständiger erscheine, sei, daß er dem deutschen Privatrecht jede Fähigkeit zur unmittelbaren Anwendung abspreche. Zwar sei auch diese Ansicht keineswegs neu, was aber ihre Begründung betreffe, so müsse man dem Verfasser vom „rein wissenschaftlichen Standpuncte aus doch alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen, obschon wir dieser Ansicht selbst, und gewiss im Einverständniss mit manchen andern Fachgenossen nicht beitreten können“. 344 Der Rezensent wiederholt noch einmal, daß „die wissenschaftlichen Deductionen des Vfs. meist die volle Anerkennung verdienen“, gibt Gerber aber zu bedenken, „dass in unseren deutschen Zuständen gar Manches wirklich vorhanden ist, was auf dem Wege der rein wissenschaftlichen Beweisführung ... als nicht vorhanden herausgestellt werden kann ...“ und wirft schließlich die Frage auf, ob es sich nicht ähnlich mit der Anwendbarkeit des deutschen Privatrechts verhalten sollte. 345 Daß Gerbers Erstlingswerk auf seine Fachkollegen einen gewissen Eindruck gemacht hat, läßt sich beispielsweise daraus herauslesen, daß in einer Rezension der zweiten Auflage (1850) seines späteren Lehrbuchs gleich zu Beginn darauf hingewiesen wird, der Verfasser habe „bereits durch die 1846 erschienene Schrift ‚Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts‘ seine Stellung in der Rechtswissenschaft markirt“. 346 Die Zustimmung war jedoch nicht ungeteilt. Walter beispielsweise verweist in seinem Lehrbuch zwar mehrfach auf Gerbers „Princip“. Zum Problembereich Begriff und Existenz des deutschen Privatrechts hält er fest, diese Frage „welche mit der wissenschaftlichen Entwicklung dieser Disciplin und der Methode ihrer Behandlung in der engsten Verbindung steht, ist mit genauer Beleuchtung der darauf bezüglichen Meinungen und Schriften behandelt von Gerber, das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts, Jena 1846“ 347. Auch zur „Geschichte der Methode“ weist er ganz besonders auf Gerbers „Princip“ hin. 348 Zusammenfassend hält er fest, Gerber bestimme den Begriff des gemeinen deutschen Privatrechts als die Darstellung der gegenwärtigen Aeußerungen der Rechtsüberzeugung des deutschen Volks auf dem Gebiete des Privatrechts. Gerber wolle diese auch auf historischem Wege gewonnen wissen, bestreite jedoch deren formelle Geltung und Anwendbarkeit zur Ergänzung der Partikularrechte. Die Bedeutung einer solchen Wissenschaft sehe er weniger in dem praktischen Nutzen derselben, als hauptsächlich in 343 344 345 346 347 348

Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 362. Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 362. Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 362. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 70. Walter, System des gemeinen deutschen Privatrechts, S. 7, Fn. 1. Walter, System, S. 17, Fn. 1.

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der Befriedigung des Anspruches auf wissenschaftliche Berücksichtigung, den jedes geistige Produkt eines Volkes, sein Recht ebenso wie seine Literatur habe.349 Trotz der Wertschätzung, die sich im häufigen Zitieren ausdrückt, fällt jedoch Walters Urteil über Gerbers „Princip“ insgesamt eher negativ aus. Dessen eben zitierte Auffassung des deutschen Privatrechts sei „zu theoretisch und abstract“ 350. Interessant ist der Schluß, den Walter daraus auf Gerbers Ausführung im „System des deutschen Privatrechts“ zieht und auf den noch zurückzukommen sein wird. Bemerkenswert ist auch Walters Bemerkung, Gerber habe „das mit Maurenbrecher, Beseler und Anderen gemein, daß viel zu viel auf Volksbewußtsein, Volksüberzeugung, Volksgeist, Volkswille Bezug genommen wird“ 351. Ganz im Gegensatz dazu bemängelt die bereits erwähnte Rezension, Gerber scheine davon „dass das Recht gleichsam mit dem Fleisch und Blut des Volkes verwachsen war, noch nicht so lebendig durchdrungen zu sein als es nöthig ist; die Bedeutung eines Volksrechts, eines angeborenen Rechts dürfte er sich noch nicht hinlänglich zu eigen gemacht haben.“ 352 Es spricht vieles dafür, dass es sich bei Gerbers Bekenntnis zum Volksrecht eher um ein „Lippenbekenntnis“ gehandelt haben dürfte, um seine Zugehörigkeit zur Historischen Rechtsschule zu dokumentieren. Thöl geht zwar in seiner kurzen „Einleitung in das deutsche Privatrecht“ bewußt wenig auf die vorhandene Literatur zum Thema ein, begründet diese Weglassung aber in seinem Vorwort: „Wer übrigens, was ich bei meinen Zuhörern voraussetze, die Werke von Eichhorn, Kraut und Gerber zur Hand hat, wird diesen Mangel kaum fühlen.“ 353 Gerbers privatrechtliches Werk, und zwar mit Sicherheit nicht nur sein Lehrbuch, sondern gerade auch sein „Princip“, das ja ebenfalls eine Einleitung in das deutsche Privatrecht darstellt, werden demnach bereits im Jahre 1851 gewissermaßen zu den „Klassikern“ gezählt. Stobbe verweist im ersten Band seines „Handbuchs des deutschen Privatrechts“ im Abschnitt „Das deutsche Privatrecht und seine Wissenschaft“ gleich zu Beginn u. a. auch auf Gerbers „Princip“, nicht aber auf sein „System“.354 Stobbe macht deut349 Walter, System, S. 19: Walter verweist dazu auf Gerbers „Princip“ wie auch auf § 5, § 6 und § 7 seines „Systems“. Die Bezugnahme auf die Literatur ist erst im „System“ zu finden, wo Gerber schreibt: „Das Recht eines Volks ist ebenso wie seine Literatur schon an und für sich ein die wissenschaftliche Berücksichtigung in Anspruch nehmender Gegenstand“, vgl. Gerber, System, § 7 S. 10. 350 Walter, System, S. 19. 351 Walter, System, S. 19 Fn. 3; Walter stellt hier seine eigene Meinung heraus: „Es giebt im Recht keine Überzeugung und kein Bewußtsein als das der Männer vom Fache. Das Uebrige ist leere Fiction, woraus für die Wissenschaft nur Unklarheit und Widerspruch fließt.“ 352 Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 362. 353 Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, Vorwort. 354 Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band 1, S. 1. Verwiesen wird auch auf Beselers „Volksrecht und Juristenrecht“, v. Waechter und Thöl; Gerbers „System“ wird dafür in § 16 Literatur des deutschen Privatrechts, S. 90 neben anderen Autoren gewürdigt.

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lich, daß sich Gerber bei seinen Thesen zur Wissenschaft des gemeinen deutschen Privatrechts in einem „auffallenden Widerspruch“ befindet. Gerber leugne die praktische Anwendbarkeit 355 und erkläre andererseits, daß es kein anderes gemeines als ein praktisch gemeines Recht gebe; theoretisch gemeines Recht bezeichne er als logischen Widerspruch. 356 Und dennoch spreche Gerber oft von einem gemeinen deutschen Privatrecht, allein schon im Titel des „wissenschaftlichen Princips des gemeinen deutschen Privatrechts“. 357 Auf diese Widersprüchlichkeit in Gerbers Theorie wird noch näher einzugehen sein. Beseler 358 wendet in seinem „System des deutschen Privatrechts“ ein, wenn Gerber im Anschluß an Falck 359 das gemeine deutsche Privatrecht nur als Einleitung in das Studium der Partikularrechte gelten lasse, so höre es damit auf, ein Recht zu sein, da „ein solches ohne die Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung nicht gedacht werden kann“. 360 V. Gierke 361 resümiert, Gerber habe als Germanist auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts „im wesentlichen nicht aufgebaut, sondern lediglich zerstört“.362 Mit seiner Schrift über das „wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ habe Gerber „mit dem Begriff eines gemeinen Rechts deutscher Herkunft endgültig aufräumen und dem deutschen Privatrecht nur den Wert einer wissenschaftlichen Abstraktion zugestehen“ 363 wollen. Diesen Versuch erklärt v. Gierke jedoch für gescheitert, da die gemeinrechtliche Praxis „stets so gut ein gemeines deutsches, wie ein gemeines römisches Recht als positives Recht anerkannt und auch das Reichsgericht ... immer Sätze des gemeinen deutschen Privatrechts als revisible Normen behandelt“ habe. 364 Dem Lob Landsbergs, Gerber habe die rein historische Schule klassischer Prägung im Grunde nicht restauriert, sondern überwunden und namentlich ihre Rechtsentstehungslehre preisgegeben, hält v. Gierke entgegen, man werde, selbst wenn man dies als Verdienst sehe, „vergeblich in der von Gerber an die Stelle gesetzten allgemeinen Rechtslehre fruchtbare Gedanken suchen“. 365 Die spätere Einschätzung von Gerbers „Princip“ schreibt diesem Erstlingswerk eine bedeutende Wirkung für die Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht zu – sei es in positiver oder in negativer Richtung. Es war Gerber schon mit Gerber, Princip, S. 272. Gerber, Princip, S. 42 f. 357 Stobbe, Handbuch Bd. 1, S. 49. 358 Beseler, System des deutschen Privatrechts, Band 1, S. 35, Fn. 6. 359 Falck, juristische Encyclopädie § 124, Note 69. 360 Beseler, System, S. 35, Fn. 6. 361 v. Gierke, Rezension von Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abteilung, Zweiter Halbband, in ZRG GA, Bd. 32, 1911, S. 341 ff., S. 358 ff. 362 v. Gierke, Landsberg-Rezension, S. 358. 363 v. Gierke, Landsberg-Rezension, S. 358. 364 v. Gierke, Landsberg-Rezension, S. 358. 365 v. Gierke, Landsberg-Rezension, S. 358. 355 356

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seinem ersten literarischen Auftreten gelungen, die juristische Öffentlichkeit zu polarisieren. Die positiven Urteile reichen von der Feststellung, das „Princip“ habe in der Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht „literärgeschichtliche Bedeutung“ 366 entfaltet (Landsberg) oder „Epoche gemacht“ 367 (Kroeschell), bis zur neutraleren Aussagen wie, es habe „seinen Ruf als Germanisten begründet(e)“ (Koehler) 368, es enthalte die „wichtigste Kritik“ der bisherigen Lehren zum Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts und „zugleich ihre Weiterführung“ 369 (Thieme) oder es „machte ihn mit einem Schlag berühmt“ 370 (Schroeder). Wieacker hält fest, Gerber habe eine Generation nach Eichhorn, der eine begriffliche durch „höhere Regeln“ begründete Einheit des überterritorialen deutschen Privatrechts zum Gegenstand der wissenschaftlichen Darstellung gemacht habe, die „vollen Konsequenzen“ gezogen, indem er unter dem Einfluß Puchtas bereits 1846 den Fortschritt der Germanistik „zur abstrakten Dogmatik und zum geschlossenen wissenschaftlichen System“ 371 gefordert habe. Schlosser konstatiert, während die Germanisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „konstruktiv wie methodisch im wesentlichen im Umkreis jenes Reservoirs an Alternativen verblieben, das bereits von ihren Vorgängern des vergangenen 18. Jahrhunderts extensiv abgesteckt war“, sei „die entscheidende Wende ... erst mit Carl Friedrich Gerber angebrochen“. 372 Schon Gerbers 1846 erschienene Programmschrift habe diese Wende gebracht, indem sie „eine ausgewogene Abrechnung mit sämtlichen Rechtsgewinnungstheorien, die seit Anbeginn einer Wissenschaft vom deutschen Privatrecht ... diskutiert worden waren“, enthielt. 373 Das von Gerber „postulierte und für die Germanistik fortan modellhaft bleibende neue wissenschaftliche Prinzip“ sei „eine Konsequenz eminent praktischer Notwendigkeit“ gewesen, da es die „wirklich aktuellen pragmatischen Alternativen zu einer desolaten zeitgenössischen Rechtsordnung“ aufgezeigt habe. 374 Es stellt sich hier allerdings die Frage, was Gerber durch die extrem abstrahierenden Umschreibungen seines „Princips“ als die „Darstellung der gegenwärtigen 366 Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abtlg., 2. Halbbd., Text, S. 780. 367 Kroeschell, Zielsetzung und Arbeitsweise der Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht, S. 261. 368 B. Koehler HRG I Sp. 1530. 369 H. Thieme, HRG I Sp. 704. 370 Schroeder, Besprechung des Nachdrucks von 1998: Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts. Von Carl Friedrich von Gerber. Mit einer Einleitung herausgegeben von Wolfgang Pöggeler, NJW 1999, S. 932. 371 Wieacker, Theorie, S. 361. 372 Schlosser, Das „wissenschaftliche Prinzip“ der germanistischen Privatrechtssysteme, S. 495. 373 Schlosser, wissenschaftliches Prinzip, S. 496. 374 Schlosser, wissenschaftliches Prinzip, S. 496.

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Aeußerungen der Rechtsüberzeugung des deutschen Volks auf dem Gebiete des Privatrechts“ 375 an konkreten pragmatischen Lösungsansätzen geboten hat. Gemeint ist wohl der gesamte wissenschaftliche Ansatz Gerbers, der laut Schlosser das „wissenschaftliche Prinzip als Konstituens eines neuen deutschen Privatrechts“ in „begriffsjuristisch-dogmatische Höhen entrückt“ habe. 376 Allerdings gesteht Schlosser auch ein beträchtliches „Ausmaß der Abhängigkeiten zwischen den Germanisten des 19. Jahrhunderts einschließlich Gerber auf der einen sowie ihren Vorläufern im 18. Jahrhundert auf der anderen Seite“ zu und mithin eine starke „konstruktive-methodische Kontinuität“. 377 Dies hat Gerber selbst – ungewollt – in seiner ausführlichen Dogmengeschichte deutlich gemacht. Diese laut Landsberg „zersetzende Kritik aller seit Beyer versuchten Begründungen“ als ein Teil des „außerordentlich festen Unterbau(s)“ 378 des Buches zeigt trotz aller von Gerber an den Schriften seiner Vorläufer geübten Kritik, daß er in manchen Punkten von ihren Ansätzen nicht so weit entfernt war, sie unter Umständen sogar aufgegriffen hat. Die Ausführlichkeit dieser Dogmengeschichte wurde einerseits bemängelt. 379 Es ist aber andererseits zu bedenken, daß Gerber die „Herrschaft über das positive Material“ 380 für eine Grundvoraussetzung erfolgreicher wissenschaftlicher Arbeit hielt. Der umfangreiche Grundlagenteil verfolgte daher sicher nicht nur das Ziel, den Umfang des wissenschaftlichen Erstlingswerks zu vergrößern. Gerber wollte am Beginn seiner Karriere verdeutlichen, wo er stand, welche Positionen er zu den wissenschaftlichen Fragen seiner Zeit einnahm. Dazu sah er es als notwendig an, den bisherigen Stand der Forschung wie auch in einem weiteren Teil die seiner Ansicht nach maßgeblichen Quellenmaterialien darzustellen. Es ist dieser von Gerber erstellten umfangreichen und, wie Gagnér feststellt, „hellhörig nuancierten“ 381 Historik der bisher aufgestellten Ansichten durchaus ein beträchtlicher Eigenwert zuzumessen. Die behandelte „beeindruckende Zahl von großen, mittleren und kleinen Germanisten aus 150 Jahren Rechtsgeschichte“ 382, die, wie Pöggeler es ausdrückt, eine Art „Who is who? der Germanistik“ 383 darstellen, bilden eine umfangreiche Materialsammlung, auf die man auch heute noch zurückkommen kann, um sich über teilweise längst vergessene Juristen zu informieren. Allein darin liegt schon ein Verdienst von Gerbers Darstellung. Gerber, Princip, S. 269. Schlosser, wissenschaftliches Prinzip, S. 505. 377 Schlosser, wissenschaftliches Prinzip, S. 496. 378 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 778. 379 Vgl. Anonymus in Leipziger Repertorium 1846, S. 361. 380 Gerber, Princip, S. 87. 381 Gagnér, Die Wissenschaft des gemeinen Rechts und der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, S. 85. 382 Vgl. Pöggeler, Einleitung, S. 28. 383 Pöggeler, Einleitung, S. 28, Fn. 89. 375 376

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Gerber stellte in seinem „wissenschaftlichen Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ sehr ausführlich das zusammen, was bei anderen Autoren im Einleitungskapitel in das deutsche Privatrecht behandelt wird. Dabei wird schon sehr früh deutlich, daß Gerber, wie Wilhelm es beschreibt, „den Mangel systematischer Gestaltung des deutschen Rechts ... zum Hauptmotiv seines wissenschaftlichen Unternehmens machte“ 384. Es mag Gerbers wissenschaftliche Ansichten entscheidend bestimmt haben, daß Puchta in der Vorrede zur zweiten Auflage seines Lehrbuchs der Pandekten von 1844 die überwiegend historische Bearbeitung des deutschen Rechts und den herrschenden Mangel der Begriffe und des Systems innerhalb der germanistischen Wissenschaft kritisiert hatte. 385 Mit ausdrücklichem Verweis auf Puchta bezeichnet es Gerber als einzig rechtsproduktive Aufgabe der Wissenschaft, daß sie „das vorhandene Material des positiven Rechts auf seine Principien zurückführt, und zu einem Ganzen von sich gegenseitig voraussetzenden und bedingenden Sätzen formirt“. 386 v. Oertzen faßt zusammen, die Hauptforderung Gerbers, die er im „Princip“ wie auch in der Vorrede des „Systems“ und in einigen kürzeren Reden und Aufsätzen dargelegt habe, sei auf eine kurze Formel gebracht die „wissenschaftliche und zugleich praktisch brauchbare Bearbeitung des Rechts“.387 Tatsächlich betont Gerber im „Princip“ überraschend häufig die Bedeutung der „Ansichten über das sociale Leben“ 388 als eines Motivs zur Entstehung des Privatrechts, der „Umgestaltung aller jener socialen Zustände und Ansichten, welche auf das Recht überhaupt einwirken können“ 389, und verlangt explizit vom Rechtswissenschaftler die „Berücksichtigung aller Veränderungen der auf das Privatrecht wirkenden socialen Motive“ 390. Man kann also durchaus erkennen, daß Gerber insofern praktisch orientiert ist, als er bei allen Forderungen nach dogmatischer Exaktheit die soziale Lebenswirklichkeit nicht aus den Augen verlieren will. Was jedoch die „praktisch brauchbare Bearbeitung des Rechts“ betrifft, tun sich Fragen auf, da Gerber ja gerade die unmittelbare praktische Anwendbarkeit des deutschen Privatrechts in Abrede stellt, ein Punkt auf den noch ausführlich einzugehen sein wird. Die wissenschaftliche Leistung Gerbers im „Princip“ und später auch im „System“ wird von Schönfeld mit folgender Feststellung auf den Punkt gebracht: „Es 384 Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, S. 92. 385 Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S.92 mit Verweis auf Gaupp, Über die Zukunft des Rechts, 1847, S. 112. 386 Gerber, Princip, S. 278. 387 v. Oertzen, Carl Friedrich von Gerber, in: Peter v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 219. 388 Gerber, Princip, S. 288. 389 Gerber, Princip, S. 296. 390 Gerber, Princip, S. 300.

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ist die Ehre Gerbers, der ein hervorragender Jurist, ein wirklich und wahrhaftiger Rechtsdenker gewesen ist, wie es nur wenige in der deutschen Rechtswissenschaft und namentlich in der Wissenschaft des deutschen Rechts gegeben hat, daß er von Jugend auf bemüht war, dem deutschen Privatrecht ... zu einem echten ‚System‘ zu verhelfen, da ihn das ‚Aggregat‘ historisch-politischer Betrachtungen und Erzählungen nicht befriedigte und nicht befriedigen konnte, mit dem man sich bisher ... begnügt hatte“ 391. In der Tat gehört die Trennung von Rechtsgeschichte und Dogmatik – die allerdings fast alle Germanisten propagierten – zu den Kernpunkten von Gerbers wissenschaftlichem Anliegen, wie er es im „Princip“ pointiert formuliert hat. Im römischen Recht sieht er diese Trennung als problemlos möglich an. Er erkennt allerdings auch, daß zwar die Rechtsgeschichte die „Rechtsbildung“ und die Dogmatik die „Entwickelung des endlich Errungenen in seiner gegenwärtigen Ruhe“ 392 darstellen soll, daß aber gerade im deutschen Privatrecht „keine so vollkommene Trennung zwischen Geschichte und Dogmatik denkbar“393 ist. Das Recht des Mittelalters ist für Gerber jedenfalls „eine abgeschlossene That des Volksgeistes, die nunmehr der Geschichte preis gegeben ist“ 394, auch wenn die Gegenwart in einzelnen Rechtsinstituten noch Spuren mittelalterlichen Einflusses zeige, die sich immer mehr verflüchtigten. Gerade diese Auffassung rief bei manchen Fachkollegen Kritik hervor und wurde beispielsweise von Stobbe als ungeschichtlich abgelehnt. 395 Für Gerber kommt, wie schon mehrfach angesprochen, das römische Recht, was Systematik und Konstruktion betrifft, der Vollendung nahe. 396 Die Grundfrage angesichts der unstrukturierten Stoffmasse des deutschen Rechts ist für ihn, nach welchen Prinzipien der Stoff geordnet und auf das wissenschaftliche Niveau des in dieser Hinsicht vorbildlichen römischen Rechts 397 gebracht werden kann. 398 Hauptmotiv von Gerbers wissenschaftlichem Unternehmen ist also, um noch einmal Wilhelms Formulierung aufzugreifen, der „Mangel systematischer Gestaltung des deutschen Rechts“ dem er abhelfen möchte, indem er es „einer abstrakten SystemaSchönfeld, Grundlagen der Rechtswissenschaft, S. 527. Gerber, Princip, S. 264; an anderer Stelle charakterisiert Gerber die Rechtsgeschichte als Behandlung der „Entwickelung des Rechts in seiner Bewegung, in seinem Werden“, die dogmatische Darstellung des geltenden Rechts als „Behandlung des Rechts in seiner endlichen Ruhe“, Gerber, Princip, S. 361. 393 Gerber, Princip, S. 264. 394 Gerber, Princip, S.310; an anderer Stelle hebt Gerber hervor, daß für ihn das „in der neueren Zeit nicht berücksichtigte Rechtsmaterial des Mittelalters“ nach den Ereignissen der Rezeptionszeit nicht mehr praktisch anwendbares Recht ist, Gerber, Princip, S. 236. 395 Stobbe, Handbuch I 1, S. 33; vgl. die Darstellung bei Scholze, Stobbe, S. 165. 396 Vgl. z. B. Gerber, Princip, S. 139. 397 Gerber, Princip, S. 139: Gerber verweist hinsichtlich der systematischen Vollendung des römischen Rechts auf die „vortrefflichen Bemerkungen von Puchta“, Cursus der Institutionen, Bd. 1, S. 18 ff. 398 v. Oertzen, Gerber, S. 216. 391 392

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tik nach Vorbild des römischen Rechts“ 399 unterwirft. Dieser Grundgedanke wird bereits im „Princip“ als Erstlingswerk ausführlich entwickelt. 400 Abgesehen von seiner Vorbildfunktion in systematischer Hinsicht hält Gerber daran fest, daß das römische Recht in Deutschland als gemeines subsidiäres positives Recht (lex scripta) gilt, wobei die Partikulargesetze ihm gegenüber einen Anwendungsvorrang haben. 401 Im Zusammenhang damit steht Gerbers Auffassung von der Rezeption. Gerber geht von einer Rezeption in complexu aus 402, die in Deutschland im fünfzehnten Jahrhundert vollendet war. 403 Den Vorgang der Rezeption beschreibt Gerber als planlos und zufällig 404 und hält fest, daß er die Entwicklung des deutschen Rechts unterbrochen hat 405, ja daß man das römische Recht „auf Kosten des einheimischen in allen seinen Theilen dem deutschen Volke aufdrängte“ 406. Demgegenüber hätte Gerber es als unermeßlichen Gewinn angesehen, wenn man die systematischen Vorzüge des römischen Rechts auf das vorhandene deutsche übertragen hätte, ohne diesem damit die Selbständigkeit zu nehmen. 407 Gerber nimmt bei der Bewertung der Rezeption eine vermittelnde, man möchte beinahe sagen, eine nüchterne Position ein. Weder bezeichnet er sie als „nationales Unglück“, noch sieht er das römische Recht für eine Weltherrschaft prädestiniert. 408 Diese Tendenz läßt sich deutlich aus dem „Princip“ und auch später aus seinem Vgl. Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 92. Die Vorbildhaftigkeit des römischen Rechts beschreibt Gerber in Formulierungen wie „Die römische Jurisprudenz entwickelt die Natur eines jeden Rechts, trennt das Gleichartige von dem Ungleichartigen, und vereinigt den ganzen Rechtsstoff zu einem Systeme“, Gerber, Princip, S. 140; oder: „Nachdem man aber einmal im römischen Recht die Fähigkeit, zu einem organischen Systeme verschmolzen zu werden, erkannt, und eine dieser Fähigkeit entsprechende Thätigkeit entwickelt hatte, so mußte ein gleiches Verfahren auch mit dem deutschen Rechte begonnen werden, wenn es nicht aufhören sollte, seine Stellung als parallele Größe dem römischen Recht gegenüber zu behaupten“, Gerber, Princip, S. 239. 401 Vgl. Gerber, Princip, S. 157. 402 Gerber, Princip, S. 136. 403 Gerber, Princip, S. 19. 404 Gerber, Princip, S.134: „Die Reception des römischen Rechts geschah in einer Weise, bei welcher weniger die bestimmende, leitende Richtung irgend eines die That beherrschendes Bewußtseins vorlag, als vielmehr eine durch vielfältige Irrthümer der Zeit unterstützte heftige Neigung und Ueberzeugung.“ 405 Vgl. dazu auch Losano, Der Begriff „System“ bei Gerber, in: Werner Krawietz/Theo Mayer-Maly/Ota Weinberger (Hrsg.), Objektivierung des Rechtsdenkens, Gedächtnisschrift für Ilmar Tammelo, S. 653. 406 Gerber, Princip, S. 147. 407 Gerber, Princip, S. 146/147. 408 Gerber, Princip, S. 146: „Ich bin nicht geneigt, an dieser Stelle die bedauerlichen Gefühle kund zu geben, welche dieses Resultat in einem für das einheimische Recht begeisterten Sinne hervorbringt; noch weniger halte ich es für nöthig, die einseitigen Urtheile derer zu widerlegen, welche in der Aufnahme des römischen Rechts das größte Heil erblicken, das der deutschen Nation beschieden sein konnte, und in der fortdauernden Anerkennung desselben Veranlassung finden, ihm eine Weltherrschaft zu prädestinieren.“ 399 400

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Lehrbuch ablesen. Allerdings erscheint es zu weitgehend, wenn Bender ausführt, es hätte auf germanistischer Seite kein Grund vorgelegen, sich im Hinlick auf Gerbers Stellung zur Rezeption über ihn zu beschweren.409 Den Dualismus des deutschen Rechtszustands, d.h. die Aufteilung in heutiges römisches und deutsches Recht, meint Gerber zumindest gegenwärtig im Interesse einer angemessenen wissenschaftlichen Behandlung aufrechterhalten zu müssen, auch wenn Schriftsteller wie Reyscher ihn durch formelle Integrierung der anwendbaren Sätze des römischen Rechts aufheben wollen. 410 In seiner naturrechtlich orientierten Kritik bezeichnet Hirschbühl Gerbers Rechtslehre als „ein Kind ihrer Zeit“ 411 (nämlich der Historischen Rechtsschule) „obwohl Gerber den übertriebenen ‚Historismus‘ der geschichtlichen Schule nicht mitzumachen gedachte und auf eine dieser fremden Betonung des Systematischen drängte“. In Gerbers „Princip“ läßt sich allein schon durch die häufige Beschwörung des „Volksgeists“ 412 sein formales Bekenntnis zur Historischen Rechtsschule ablesen. Auch die offenkundige Bewunderung für Eichhorn, die im „Princip“ anklingt und die sich später in der Apostrophierung Eichhorns als „Vater unserer Wissenschaft“ 413 ausdrückt, lassen diese Einordnung Gerbers zu. Andererseits hat Gerber von Anfang an die Eigenständigkeit seines Ansatzes gegenüber der Lehre Eichhorns hervorgehoben. 414 Wilhelm verdeutlicht die Kritik, die Gerber an Eichhorn und seinen Nachfolgern übte, folgendermaßen: „Von den beiden (für Gerber) grundlegenden Bedingungen aller rechtswissenschaftlichen Arbeit, der ‚historischen Perspektive‘ und der ‚Durchdringung des Stoffes‘ hatten Eichhorn und seine Schule nur die erstere erfüllt.“ 415 Vor allem aber ein Punkt läßt daran zweifeln, ob Gerber tatsächlich noch auf dem Boden der Historischen Rechtsschule stehen konnte: Seine im „Princip“ entwickelte 409 Vgl. Bender, Die Rezeption des römischen Rechts im Urteil der deutschen Rechtswissenschaft, S. 76: Bender führt dazu aus, es lasse sich von Auflage zu Auflage des „Systems des deutschen Privatrechts deutlich beobachten, wie Gerbers Urteil immer mehr im germanistischen Sinne ausfalle, Insbesondere erfahre seine Stellungnahme in der 17. Auflage eine erhebliche Verschärfung in germanistischer Richtung. Hier ist jedoch zu beachten, daß gerade die 17. Auflage von Cosack bearbeitet wurde und somit nicht mehr Gerbers eigenes ungefiltertes Urteil über die Rezeption wiedergibt. 410 Vgl. Gerber, Princip, S. 302–304: Für die Zukunft hält Gerber allerdings die Assimilierung römischer Rechtssätze und eine Aufhebung des Dualismus im Wege der Rechtserzeugung für im Rahmen des Möglichen. 411 Hirschbühl, Die Rechtslehre C. F. Gerbers, S. 89. 412 Z. B. Gerber, Princip, S. 292, 307/308, 310. 413 Gerber, System, S. VIII. 414 Gerber, Princip, S. 306/307: „Man könnte beim ersten Blicke verleitet sein, die Eichhorn’sche Ansicht in der meinigen wiederzuerkennen, da in beiden der ganze Schwerpunkt auf die historische Entwickelung der Institute gelegt ist. Dies würde durchaus irrig sein; denn nicht bloß die Endpunkte beider Ansichten gehen diametral auseinander ...“. 415 Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 105.

I. Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts 1846

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Ablehnung der unmittelbaren Geltung des gemeinen deutschen Privatrechts. Manche sahen darin die Übertragung der zwei Jahre zuvor von Waechter für das Strafrecht geprägten Formel vom „Abschied vom Traum eines gemeinen deutschen Rechts“ 416 auf das Privatrecht, zollten jedoch Gerbers eigenständiger wissenschaftlicher Begründung Respekt. 417 Dieser radikalen Abwendung von der herrschenden Germanistenmeinung seiner Zeit 418 hatte Gerber es wohl vor allem zu verdanken, daß bereits sein Erstlingswerk so bekannt wurde und eine solche Polarisierung der juristischen Öffentlichkeit hervorrief. Gerber hatte mit seiner Stellungnahme, um die Formulierung von Gagnér zu gebrauchen, den „Lebensnerv der bisherigen Wissenschaft eines gemeinen deutschen Privatrechts angegriffen“ 419. Landsberg rühmte später die Überwindung der Historischen Schule durch Gerber, indem bereits im „Princip“ trotz formalen Eintretens für sie die Rechtsentstehungslehre preisgegeben wurde. 420 Dagegen bemängelte Gierke, wie bereits erwähnt, daß in der von Gerber an deren Stelle gesetzten allgemeinen Rechtslehre keine fruchtbaren Gedanken zu finden seien. 421 Die Preisgabe der unmittelbaren Geltung des gemeinen deutschen Privatrechts war gewiß einer der Gründe, weshalb Gerber von vielen Germanisten als „gran proditore“, als romanisierender Germanist, „verketzert“ wurde. 422 Kroeschell konstatiert, seit Gerbers Werk sei die Frage der unmittelbaren Geltung des gemeinen deutschen Privatrechts praktisch entschieden gewesen. 423 Beseler und ihm folgend Bluntschli seien wohl die letzten gewesen, die diese noch bejahten. 424 Gewiß haben die Thesen Gerbers im „Princip“ einen bedeutenden Einfluß in diese Richtung ausgeübt und dazu beigetragen, die „herrschende Meinung“ der Germanisten zu wenden. Andererseits hat selbst das Reichsgericht noch Sätze des gemeinen deutschen Privatrechts angewendet. 425 Man wird daher schwerlich sagen können, Gerber habe diese Streitfrage ein für allemal geklärt, zumal seine Begründung für die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit des gemeinen deutschen Privatrechts, die 416 Carl Georg Waechter, Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Strafrecht, S. 269. 417 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 780. 418 Vgl. Pöggeler, Einleitung, S. 34. 419 Gagnér, Wissenschaft, S. 86. 420 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 781. 421 Gierke, Landsberg-Rezension, S. 258. 422 Vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 781. 423 Kroeschell, Zielsetzung, S. 262. 424 Kroeschell, Zielsetzung, S. 262, Vgl. dazu auch Kern, Beseler, S. 451. 425 Vgl. z. B. RGZ 2 (1880), S. 145, S. 151 zur Mißheirat (wo im Übrigen Gerbers Lehrbuch § 224 zweimal in einer Fußnote – allerdings neben zahlreichen anderen Autoren – erwähnt wird); RGZ 3 (1881), S. 203 zun ehelichen Güterrecht. Vgl. zur zivilrechtlichen Judikatur des Reichsgerichts vor Inkrafttreten des BGB Mertens in AcP 1974, S. 333: Demnach hat das Reichsgericht, wenn es die Geltung eines gemeinrechtlichen Rechtssatzes für unbestritten hielt, auf geschichtliche Erörterungen verzichtet und ihn als gegeben hingenommen, Mertens, Untersuchungen zur zivilrechtlichen Judikatur des Reichsgerichts vor Inkrafttreten des BGB, in: AcP 1974, S. 333 ff., S. 356 mit Verweis auf RGZ 7, 141; 8, 138.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

im wesentlichen auf dessen Sanktionsmangel beruht, eher vage und positivistisch ist. 426 Vor allem aber setzt sich Gerber damit in einen Widerspruch zu seinen eigenen Aussagen im ersten Teil seines Buches, worauf bereits Stobbe 427 hingewiesen hat. Gerber selbst kritisiert den Ansatz Pütters als logisch nicht haltbar, „es sei das deutsche Privatrecht ein Recht der Theorie und nicht der Praxis“428, denn für Gerber ist „ein Recht, das bloß als gemeines gedacht werden kann ... in der That kein gemeines“ 429. Genau das gleiche Problem müßte sich ihm dann aber bei seiner eigenen Theorie stellen: Das gemeine deutsche Privatrecht ist für ihn zwar theoretisch als Produkt wissenschaftlicher Konstruktion, als „Darstellung der gegenwärtigen Aeußerungen der Rechtsüberzeugung des deutschen Volkes“ 430 existent, aber praktisch nicht unmittelbar anwendbar. 431 Insofern ist es von Gerber vor dem Hintergrund seiner eigenen bei der Behandlung Pütters aufgestellten Prärogative inkonsequent, überhaupt von einem gemeinen deutschen Privatrecht zu sprechen, ja sogar als Titel seiner Schrift „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ zu wählen. Indem er das gemeine deutsche Privatrecht als theoretisch existent aber praktisch unanwendbar darstellt, gibt er, wie es Pöggeler ausdrückt, die „Antwort auf die große Frage der Germanistik mit einem Ja – Aber“ 432. Es drängt sich die Frage auf, welchen Sinn es macht, in einem von Gerber als äußerst aufwendig beschriebenen wissenschaftlichen Prozeß („Aufwand der höchsten geistigen Kräfte“, „größte Herrschaft über den Stoff“ 433) mittels „theoretischer Operationen“ dieses gemeine deutsche Privatrecht als „sublimierten Stoff“ 434 zu gewinnen, wenn es im Ergebnis nicht einmal subsidiär anwendbar ist. Der von Gerber ins Feld geführte Hauptzweck, die „geistige Errungenschaft ... auf dem Gebiete des Rechtes durch wissenschaftliche Bearbeitung zum Bewußtsein der Volksglieder“ 435 zu bringen und so der Rechtswissenschaft endgültig die Bedeutung einer „höheren Wissenschaft“ 436 zu sichern, scheint darauf eine nicht restlos befriedigende Antwort zu geben. Der Nutzen des gemeinen deutschen Privatrechts als wissenschaftliche Einleitung in das Studium der Partikularrechte wird von Gerber selbst als sekundär angesehen. 437 Im wesentlichen ist Gerbers Ergebnis negativ. So wie er selbst bei Pütter kritisierte, dessen Verdienst bestehe eher in einer „Negation der früheren chimärischen An426 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437

Vgl. Gerber, Princip, S. 272 ff. Stobbe, Handbuch Bd. 1, S. 49. Gerber, Princip, S. 42/43. Gerber, Princip, S. 43. Gerber, Princip, S. 269. Gerber, Princip, S. 272. Pöggeler, Einleitung, S. 34. Gerber, Princip, S. 300. Gerber, Princip, S. 273. Gerber, Princip, S. 292. Gerber, Princip, S. 301. Gerber, Princip, S. 286/287.

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sichten ... als in dem Erschaffen einer neuen positiven Größe“ 438, so hielt Gierke 439, wie bereits erwähnt, seinerseits Gerber vor, er habe als Germanist auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts im wesentlichen nicht aufgebaut, sondern lediglich zerstört. In die gleiche Richtung zielt es, wenn Hirschbühl anmerkt, es trage „Gerbers Systematik schon von Anbeginn an den Keim der Zersetzung in sich“ 440. Gerber selbst war offenbar von dem negativen Vorzeichen, unter das er seine Arbeit auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts mit seinem „Princip“ gestellt hatte, unberührt, denn er legte nur zwei Jahre später sein Lehrbuch „System des deutschen Privatrechts“ vor. Es wurde häufig festgestellt, es habe sich beim „Princip“ um Gerbers „wissenschaftliches Programm in großen Zügen“441 gehandelt, das er im „System des deutschen Privatrechts“ ausführte. Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, daß es äußerst schwierig erscheint, aus dem „Princip“ ein konkretes wissenschaftliches Programm herauszulesen. Gewiß formuliert Gerber Forderungen, die er an die Rechtswissenschaft als „höhere Wissenschaft“ stellt, wie beispielsweise die Trennung von Geschichte und Dogmatik oder die exaktere Konstruktion der Begriffe und Institute im Sinne Puchtas. 442 Mit ausdrücklichem Verweis auf Puchta bezeichnet es Gerber als einzig rechtsproduktive Aufgabe der Wissenschaft, daß sie „das vorhandene Material des positiven Rechts auf seine Principien zurückführt, und zu einem Ganzen von sich gegenseitig voraussetzenden und bedingenden Sätzen formirt“443. Damit macht sich Gerber allerdings lediglich eine Formulierung Puchtas zum Wissenschaftsbegriff zu eigen und schafft nichts genuin Neues. Etwas eigenständiger, wenn selbstverständlich auch durch Puchta inspiriert, erscheint, was Gerber an anderer Stelle von einer „wahrhaft wissenschaftliche(n)“ Behandlung des deutschen Privatrechts verlangt: Sie solle „die deutschen Rechtsstoffe zu einem abgerundeten Ganzen vereinigen, in welchem alle einzelnen Theile organisch verbunden sind; die ganze Darstellung muß von einem einheitlichen Principe ausgehen, welches alle einzelnen Theile beherrscht und mit überall sichtbaren Fäden in sich als dem lebendigen Mittelpunct, vereinigt; es muß jeder Zweig des größeren Ganzen trotz seiner eigenen Selbständigkeit die innere Verwandtschaft mit dem Centrum beurkunden“. 444 Gerber, Princip, S. 43. Gierke, Landsberg-Rezension, S. 359. 440 Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 89: Die Begründung Hirschbühls geht jedoch aufgrund seiner naturrechtlich gefärbten Perspektive in eine ganz andere Richtung. 441 Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 91, der hier zu Recht noch Vorrede und Einleitung des „Systems“ einbezieht. Daneben müssen zu den programmatischen Schriften Gerbers zweifellos auch die in den „Gesammelten Juristischen Abhandlungen unter der Überschrift „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ zusammengefaßte Tübinger Kanzlerrede von 1851, ein Aufsatz aus dem Jahre 1855 und die Leipziger Rektoratsrede von 1865 gezählt werden, Gerber, Abhandlungen, S. 1–35. 442 Vgl. dazu Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 781. Zu Puchtas Methode und Rechtsbegriffen vgl. zusammenfassend auch Gmür/Roth, Grundriß der deutschen Rechtsgeschichte, S. 109. 443 Gerber, Princip, S. 278. 444 Gerber, Princip, S. 241/242. 438 439

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Eine konkrete Antwort auf die Frage aber, worum es sich bei diesem allumfassenden obersten Prinzip handelt, bleibt Gerber in seinem Erstlingswerk schuldig, er begnügt sich mit vagen Formulierungen. Gleichzeitig ist zu erkennen, daß Gerber durch Begriffe wie „Aufwand der höchsten geistigen Kräfte“ 445 oder „productive Geistesthätigkeit“ 446, wie es Losano formuliert, „mit bemerkenswerter Unschärfe die geistige Haltung, die bei der Konstruktion des Rechts leiten müsse“ 447 umschreibt. Auch mit der von Gerber als eigentlichen Kern seines Buches angesehenen, hier schon mehrfach zitierten Formulierung des „wissenschaftlichen Princips des gemeinen deutschen Privatrechts als „Darstellung der gegenwärtigen Aeußerungen der Rechtsüberzeugung des deutschen Volks auf dem Gebiete des Privatrechts“ 448 wird keine konkrete Antwort auf die Frage nach dem obersten Prinzip gegeben, es ist nicht zu erkennen, worin hier der Fortschritt gegenüber der alten Lehre vom Volksgeist bestehen soll. Es mag durchaus zutreffen, daß die Position Gerbers 1846 noch nicht so „konzis“ war wie 1848. 449 Jedenfalls drängt sich die Vermutung auf, daß Gerbers Vorgaben im „Princip“ noch so abstrakt und verschwommen waren, daß sie in seinem Lehrbuch von 1848 überhaupt nicht konkret umgesetzt werden konnten. Ähnlich hat es jedenfalls Gerbers zeitgenössischer Fachkollege Walter gesehen, als er feststellte, Gerbers Auffassung sei „zu theoretisch und abstrakt, deshalb entspricht ihr auch die Ausführung im Lehrbuche selbst nicht, sondern wird durch die Natur des Stoffes von selbst in das gewöhnliche Geleise gezogen“. 450 Bei allen Fragen, die es offenläßt und bei allem Widerspruch, den es hervorrief, kann jedoch in Gerbers „wissenschaftlichem Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ ein Baustein für die Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht gesehen werden. Gerber profilierte sich mit seinem Erstlingswerk als streitbarer und scharfsinniger Wissenschaftler. Mit seinen Forderungen nach einer strafferen Systematik und seiner Warnung, sich nicht in rechtshistorischen Details zu verstricken, gab er Denkanstöße und übte einen Einfluß auf das Selbstverständnis der Rechtswissenschaft seiner Zeit als „höherer Wissenschaft“ aus. Er bot zudem ein fundiertes Nachschlagewerk über die gesamte bisherige Entwicklung des gemeinen deutschen Privatrechts. Daß auch heute noch, rund 150 Jahre nach dem ersten Erscheinen, durchaus ein Interesse für dieses Buch besteht, zeigte zuletzt der 1998 mit einer Einleitung von Pöggeler herausgegebene Nachdruck. In seiner diesbezüglichen Besprechung in der NJW kommt Schroeder zu folgender zusammenfassenden Beurteilung: „Wenn auch heute Gerbers Thesen etwas fremd anmuten, so ist doch seine Bedeutung für die Gerber, Princip, S. 300. Gerber, Princip, S. 301. 447 Losano, System bei Gerber, S. 657. 448 Gerber, Princip, S. 269. 449 Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, ein Beitrag zu Entwicklung und Gestaltung der Wissenschaft vom öffentlichen Recht im 19. Jahrhundert, S. 100. 450 Walter, System, S. 19. 445 446

II. System des deutschen Privatrechts 1848 und 1849

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Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht unter den Rechtshistorikern unumstritten“. 451 Diese Bedeutung Gerbers ist jedoch nicht allein seinem „Princip“, sondern in stärkerem Maße seinem seinerzeit weit verbreiteten Lehrbuch „System des deutschen Privatrechts“ zuzuschreiben.

II. System des deutschen Privatrechts 1848 und 1849 1. Entstehungsgeschichte und verschiedene Auflagen Das „System des deutschen Privatrechts“ war das zu seinen Lebzeiten am meisten verbreitete Werk Gerbers. Es erreichte 16 Auflagen. In den einzelnen Auflagen änderte sich die grundlegende Struktur des Buches nicht. Ein Vergleich beispielsweise der zweiten mit der 16. Auflage zeigt, daß der äußere Aufbau bis hinein in die einzelnen Gliederungspunkte und die Numerierung der Paragraphen über die Jahre identisch blieb. Zwar betonte Gerber in seinen Vorreden immer wieder, daß er bestrebt war, bei seinen Revisionen des Buchs „die Ergebnisse weiterer Studien und reicherer Lebenserfahrung zu verwerthen“ 452. Wiederholt wird darauf hingewiesen, das Buch sei „mit Rücksicht auf die neuere Literatur und Gesetzgebung durchgesehen und durch einzelne Zusätze ergänzt“ worden. 453 Dagegen wurde beispielsweise von Gierke die Kritik erhoben, in den späteren Auflagen trete zu den von ihm im Einzelnen beschriebenen ursprünglichen Mängeln hinzu, „daß weder die neuere Gesetzgebung noch die neuere Litteratur irgend ausreichend beachtet ist“. 454 Es ist zwar durch Gerbers Briefe belegt, daß er regelmäßig Zeit in die Überarbeitung der neuesten Auflagen investierte. 455 Zugleich ist aber folgendes zu bedenken. Gerber hatte sein Interesse in der letzten Phase seiner wissenschaftlichen Tätigkeit fast ausschließlich dem Staatsrecht zugewandt. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens füllte er ein aufreibendes politisches Amt aus, das ihm offenbar nicht einmal mehr Zeit für persönliche Korrespondenz ließ. Es ist somit nachvollziehbar, wenn die Überarbeitungen sparsam ausfielen, was dem Erfolg des „Systems“ aber keinen Abbruch tat. Gerber selbst vertrat in einem Brief an Ihering die Ansicht, das Buch sei mit ihm gewachsen, es trage die Merkmale seiner eigenen Entwicklung: „Alles, was ich in der Welt juristisch erfahren – und das ist doch nicht wenig – hat in irgend einem Zusatz, oft nur einem Wort, Schroeder, NJW 1999, S. 932. Gerber, System, 16. Auflage, S. XV, worin die Vorrede zur zehnten Auflage von 1870 zitiert wird. 453 Z. B. Gerber, System, 15. Auflage, S. XVI. 454 Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 92 Fn. 41. 455 Z. B. Gerber an Ihering, Jena, 24. September 1862 [193] mit Blick auf die achte, erweiterte Ausgabe des „Systems“: Ich möchte das Buch dann gern einer ganz durchgreifenden und gründlichsten Revision unterwerfen, zu der ich bis jetzt keine Zeit gefunden habe. Ferner will ich nun auch das neue Handelsrecht ganz darin aufnehmen ...“. 451 452

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

einer Zeile auf das Buch reagiert. So mag es denn wie wenige Bücher als Ausdruck der Persönlichkeit des Autors gelten.“ 456 Definitiv überarbeitet wurde von Gerber der Abschnitt über die Handelsgesellschaften (Zweiter Theil, Zweites Buch, Zweites Capitel, VI: Gesellschaftsvertrag, insbes. Handelsgesellschaften). Nachdem er Mitglied der Kommission des ADHGB gewesen war, arbeitete er in den Fußnoten die entsprechenden Artikel des ADHGB ein. Auch ergänzte er den Abschnitt der Actiengesellschaft in § 198 um einen § 198 b, der die Commanditgesellschaft auf Actien behandelte. Über die Motive Gerbers bei der Ausarbeitung seines privatrechtlichen Hauptwerks gibt ein Brief an seinen Lehrer Mittermaier im Juli 1847 Aufschluß. Durch seine Vorlesungen sei ihm vor allem das Erfordernis „einer genauen Sichtung des deutschrechtlichen Materials und Zurückführung auf die einfachsten juristischen Principien“ 457 vor Augen geführt worden. Gerber versucht, seinen Mentor zu überzeugen und vor allem, sich gegenüber seinen wissenschaftlichen Gegnern zu profilieren: „Obschon ich vermuthe, daß Sie darin mir nicht beistimmen, so habe ich doch die Hoffnung, Sie durch diese neue Ausführung zu überzeugen, daß eine wissenschaftliche Begründung wohl auf diesem, nicht aber auf dem Wege Reyschers möglich ist.“ Im folgenden zeigt sich erneut, daß die Ressentiments gegen Reyscher nicht rein wissenschaftlich begründet sind: „Gerade diesem Manne mit seiner Seichtigkeit, Unwissenheit und beispiellosen Arroganz wünsche ich energisch entgegenzutreten.“ 458 In einem späteren Brief an Mittermaier erläutert Gerber noch einmal die Motive für sein Buch und rechtfertigt den teilweise verletzenden Grundton gegenüber seinen wissenschaftlichen Opponenten: „In meinem System des deutschen Privatrechts habe ich einen eigenthümlichen Standpunkt eingenommen und zu begründen versucht – denjenigen, der nach meiner individuellen Meinung allein dazu führen kann, auf dem Wege der Wissenschaft, welche die Vorbereitung der Gesetzgebung ist, zu einem deutschen Nationalrechte zu führen ... Ich mußte aber polemisch ... weil in der Wissenschaft des deutschen Privatrechts neuerdings ein heilloser Geist der Verflachung, Unwissenschaftlichkeit und der politischen Parteinahme gefahren ist, der zum Verderben führt.“ 459 Die 17. Auflage des „Systems“ erschien 1895 postum und wurde von Konrad Cosack neubearbeitet herausgegeben. 460 Cosack hatte das Werk Gerbers einer grundleGerber an Ihering, Leipzig, 19. Juni 1863 [215]. Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1847, UB Heidelberg H.HS 2746, 10, Jelowik, S. 295/296 [146]. 458 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1848, UB Heidelberg H.HS 2746, 10, Jelowik, S. 296 [146]. 459 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, UB Heidelberg, H.HS 2746, 12, Jelowik, S. 319/320 [163]. 460 Dies mag unter folgendem Gesichtspunkt erstaunen: Es wäre zu erwarten gewesen, daß ein Bearbeiter von Gerbers Werk zumindest grundsätzlich mit seinem Ansatz, die systema456 457

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genden Veränderung unterzogen, wobei er seiner Bearbeitung den Entwurf zweiter Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugrunde legte und damit erstmals das künftige Reichszivilrecht in den Mittelpunkt einer Darstellung des deutschen Privatrechts stellte. 461 Dennoch betont Cosack in seinem Vorwort, es sei trotz des großen Umfangs der dadurch erforderlichen Änderungen „doch ein sehr großer Theil von Gerber’s ursprünglicher Arbeit auch in dieser neuen Auflage dem Leser erhalten geblieben, und insoweit kommt auch Gerber allein die Ehre des Werks und die Verantwortung dafür zu.“ 462 Später distanzierte sich Cosack von seiner Bearbeitung des Gerberschen Lehrbuchs und bezeichnete sie als „durchaus verfehltes Unternehmen“ 463. 2. Vorreden als Methodenlehre Die Vorreden zu den verschiedenen Auflagen des „Systems“ 464 stellen im Zusammenhang mit der dreiteiligen Abhandlung „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ 465 und dem bereits skizzierten „Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ Gerbers Methodenlehre dar. Zu Beginn der Vorrede nimmt Gerber die bereits im „Princip“ ausführlich dargelegte Kritik der bisherigen Bearbeitungen des deutschen Privatrechts auf. Er ist der Meinung, daß sich „die Geringschätzung des Systems bei den bisherigen Schriftstellern über deutsches Privatrecht bitter gerächt“ 466 habe. tisch-begriffliche Methode der Pandektenwissenschaft auf das deutsche Recht zu übertragen konform ging. Cosack dagegen hatte offenbar bereits in seiner Studienzeit „tiefgehende Abneigung gegen alle Konstruktion und Scholastik im Recht empfunden Aus dem Vorwort der 17. Auflage ergibt sich, daß er das Recht zur Umarbeitung von Gerbers Werk „zugleich als eine Pflicht auffassen zu müssen glaubte“; vgl. dazu Luxem, Konrad Cosack – Leben und Werk 1855–1933, S. 77/78. 461 Luxem, Cosack, S. 78. 462 Cosack, Vorwort System 17. Auflage, S. IV/V. 463 Cosack, in: Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Leipzig 1924, Bd. 1, S. 19. 464 Mit Einschränkungen kann auch die Einleitung zum „System“ zur Methodenlehre Gerbers gezählt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird sie hier jedoch im Zusammenhang mit dem „System“ als ganzem behandelt. 465 Diese ist zusammengesetzt aus zwei akademischen Reden und einem Zeitschriftenbeitrag zwischen 1851 und 1865, Abhandlungen, S. 1–35. Bei dem Zeitschriftenbeitrag, der den Teil II (S. 15 ff.) der Abhandlung bildet handelt es sich um eine Einleitung zum deutschen Privatrecht, die Gerber auf Bitte des Leipziger Professors Schletter verfaßt hatte (A Rechtswissenschaft. I. Deutsches Privatrecht, Einleitung, Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, herausgegeben von H. Th., I, 1855, S. 97–99) Nach dem Urteil Iherings war dieser Aufsatz zu kurz und allgemein gehalten und konnte sich nicht mit Gerbers sonstiger Produktion messen, vgl. Ihering an Gerber, Aurich, 26. März 1855 [42]. 466 Gerber, System, 1. Auflage, S. VII. (Wenn nichts anderes vermerkt ist, wird hier aus der 1. Auflage zitiert.) 11 Schmidt-Radefeldt

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Zwar nennt er „den Vater unserer Wissenschaft“, Karl Friedrich Eichhorn, „mit ehrfurchtsvoller Verehrung“. 467 Aber auch Eichhorn würde sich seiner Meinung nach in der heutigen Zeit nicht mit einer historischen Darstellung begnügen. Gerbers analytischen Anforderungen an die heutige Wissenschaft, die er an den Verdiensten Savignys und Puchtas orientiert, hat seiner Ansicht nach nur Thöl für einen Teil des deutschen Privatrechts Genüge geleistet. 468 Bei den anderen Darstellungen des deutschen Privatrechts – Gerber nennt keine Autoren – wird häufig nur das „faktische Material“ des Rechtes statt des Rechtes selbst 469 vorgetragen, auch ist Gerber zufolge kein Maßstab für die Bedeutung der Geschichte der Rechtsinstitute gegenüber der Dogmatik vorhanden. Er wendet voll Spott auf die germanistischen Schriftsteller ein Goethe-Zitat über die persischen Dichter an und vergleicht die Art ihrer Darstellung mit einem orientalischen Bazar. 470 Hinzu kommt, daß die übliche germanistische Literatur nicht vom Inhalt der einzelnen Rechte ausgeht, sondern vom Status der diese Rechte innehabenden Personen und somit der Darstellung des deutschen Privatrechts ein völlig anderes Prinzip zugrunde legt als der des römischen. 471 Ironisch merkt Gerber an, in dieser Zerteilung des Rechts in „Separatrechte“ wie Adelsrecht, Bürger- und Bauernrechte sehe man sogar noch einen Vorteil des deutschen Rechts, da so „auch das Individuelle, das Besondere“ zur Geltung gebracht werde. 472 So habe man „das bunte und, wie man glaubte, recht eigentlich deutsche Bild des gemeinen deutschen Privatrechts gewonnen“. 473 Für Gerber hat man damit jedoch den falschen Weg beschritten, er hält dafür, daß dieser Einteilung eine „Verwechslung der Begriffe“ zugrunde liegt. 474 Für ihn bleibt der „privatrechtliche Wille, insofern er auf die Unterwerfung einer Sache oder Person gerichtet ist“ stets „specifisch derselbe“. 475 Auf die Bedeutung des Personenwillens für das Privatrechtssystem wird Gerber an anderer Stelle noch häufig eingehen. Hier betont er zunächst, daß die Einteilung der Menschen nach Ständen lediglich von staatsrechtlichem Interesse ist. Die Gliederung des deutschen Privatrechts sollte sich an „demselben Principe“ orientieren, mit dem es gelungen ist, „den Stoff des Gerber, System, S. VIII. Gerber, System, S. VIII. 469 Gerber, System, S. VII. 470 Gerber, System, S. VIII: „Nicht immer sind die kostbarsten und niedrigsten Waaren im Raume weit gesondert, sie vermischen sich vor unseren Augen und oft gewahren wir auch die Fässer, Kisten Säcke, worin sie transportiert worden; wie auf einem Obst- und Gemüsemarkte sehen wir nicht allein Kräuter, Wurzeln und Früchte, sondern auch hier und dort allerlei Arten Abwürflinge, Schalen und Strunke.“ 471 Losano, Bd. 2, S. 94/95. 472 Gerber, System, S. IX. 473 Gerber, System, S. IX. 474 Gerber, System, S. XI. 475 Gerber, System, S. XI. 467 468

II. System des deutschen Privatrechts 1848 und 1849

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römischen Rechts zu einer solchen wissenschaftlichen Einheit und Durchbildung zu bringen und einer ferneren lebendigen Entwickelung fähig zu machen“. 476 Auf der Grundlage des Inhalts, nicht nur nach der äußeren Form der Rechte, ist das Rechtssystem auszubilden. 477 Für die Anordnung der Stoffe hält Gerber die römischen Gliederungsbegriffe „Rechte an Sachen, Rechte an Handlungen, Rechte an Personen und Rechte an der Verlassenschaft einer abgeschiedenen Person“ 478 für geeignet, d. h. nichts anderes als das Pandektenschema. Gerber macht sogar sein Urteil über die Dauerhaftigkeit deutschrechtlicher Prinzipien davon abhängig, ob sie sich in das romanistische Schema einfügen lassen. 479 Seit Puchta, als dessen „dankbaren ... Schüler“ 480 sich Gerber einmal mehr bekennt, sei offenkundig, daß sich die Wissenschaft nicht mit einer „auf historische Grundlagen gestützten Darlegung der einzelnen Rechtssätze und Rechtsinstitute“ begnügen kann, sondern „tieferes Eindringen in die Natur der Rechte“, eine „vergeistigende Analyse der Institute“ erforderlich ist.481 Gerber kommt es demnach hauptsächlich auf „Analyse und Construction des rein juristischen Elements der Rechtsinstitute“ an, konsequent will er eine „Trennung des Geschichtlichen ... vom Dogmatischen und besonders des Staatsrechtlichen und Politischen vom Privatrecht“ 482 versuchen. Auf einen möglichen Hintergrund für die Betonung des „rein juristischen Elements“ wird noch zurückzukommen sein. Bemerkenswert ist auch, daß Gerber in der Vorrede zur ersten Auflage noch davon spricht, daß das Geschichtliche „möglichst ausgeschieden“ 483 werden sollte – eine etwas befremdende Feststellung für einen zumindest formalen Anhänger der Historischen Rechtsschule. Diesen Widerspruch wollte Gerber offenbar in späteren Auflagen aus dem Wege räumen, indem er diese Feststellung fallen ließ. 484 Statt dessen führte er seit der Vorrede der zweiten Auflage Gedanken zu einem weitgehenden Mangel an „principieller Bestimmtheit“ im mittelalterlichen deutschen Recht aus, der offensichtlich der „juristischen Construktion“ des untersuchenden Rechtswissenschaftlers gewisse Gerber, System, S. XII. Gerber, System, S. XIII. 478 Gerber, System, S. XII. 479 Gerber, System, 16. Auflage, S. VI: Ließe sich das deutsche Recht nicht der Fügung des oben bezeichneten Systems unterwerfen, so würde dies ein Beweis dafür sein, daß ihm die Bedeutung eines Schatzes principieller Sätze abginge, daß es vergänglich und hinfällig wäre wie jede auf blos individuellen Ursachen beruhende Einzelerscheinung des Lebens. 480 Gerber, System, S. IX: Beachtlich ist an dieser Stelle, daß Gerber zwar auch Savigny als in der Darstellungsweise vorbildhaft erwähnt, allerdings ohne jeglichen weiteren Kommentar, wohingegen er seinen 1846 verstorbenen Lehrer Puchta überschwenglich rühmt und bei ihm die „einsame Höhe solcher Naturen“ anerkennt. Wenn Gerber in späteren Auflagen (beispielsweise 10., 16. Auflage) die Vorrede der ersten Auflage zitiert („Aus früheren Vorreden“), läßt er diese Erwähnung von Savigny und Puchta entfallen. 481 Gerber, System, S. VIII. 482 Gerber, System, S. XVI. 483 Gerber, System, S. XVI. 484 Gerber, System, 10 Aufl.(1870) S. XII, 12. Aufl.(1875) S. XI. 476 477

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Grenzen setzte und anderen Methoden auch für die Entwicklung des deutschen Privatrechts Raum gewährte. 485 Wie schon mehrfach erwähnt, sah Gerber das anzustrebende spezifisch „juristische“ Prinzip des Privatrechts im römischen Recht bereits im Wesentlichen ausgebildet. Das System des deutschen Privatrechts war also nach dem Vorbild des römischen Rechts zu entwickeln. In der Einleitung der späteren Auflagen des „Systems“ gibt Gerber dafür noch eine besondere Rechtfertigung. In neuerer Zeit, „nachdem mit der allmählichen Annäherung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse an die der späteren römischen Welt auch die Gegensätze des deutschen und des römischen Rechts ihrer Versöhnung nahe gekommen sind“, mache sich „ein frischer Trieb selbständiger Rechtserzeugung geltend, der häufig selbst an ältere, von der Jurisprudenz fast vergessene Sätze und Institute des deutschen Volksrechts anknüpft“, und die Wissenschaft bemühe sich, diesen „jene innere Vollendung zu geben, durch welche sie den römischen Rechtsbildungen auch in Bezug auf die Forderungen der juristischen Kunst gleich werden“. 486 In seinem „System“ unternimmt Gerber also den Versuch, das deutsche Recht in die Bahnen der am römischen Recht zuerst ausgebildeten, rein juristisch-begrifflichen Betrachtung hineinzuführen. Den vielfach gegen ihn erhobenen Vorwurf, er „romanisiere“ das deutsche Recht, versucht er folgendermaßen zu entkräften. Der von ihm eingeschlagene Weg ist für ihn nicht das Ergebnis einer nur dem römischen Nationalrecht zugewandten Betrachtung, sondern beruht auf der „richtig erkannten und unveränderlichen Bedeutung des menschlichen Willens im Privatrecht“. 487 Damit führt Gerber seine Argumentation auf den zentralen Punkt seines Systems, den Personenwillen hin. Dieser Begriff taucht hier erstmals als wesentliches Systemmerkmal bei Gerber auf, im „Princip“ war davon noch nicht die Rede. 488 Auch in späteren Abhandlungen wiederholt Gerber immer wieder, daß das Privatrechtssystem seiner Zeit als ein „System ... freier Willensmöglichkeiten“ 489 zu sehen ist. Für Gerber ist der Personenwille, um mit Pauly zu sprechen, der „Universalcode des Privatrechts“, mit dessen Hilfe „jedes Rechtssystem konstruiert oder rekonstruiert werden kann“. 490 485 Vgl. die Darstellung bei Gagnér, Zielsetzungen und Werksgestaltung in Paul Roths Wissenschaft, S. 328, insbesondere den Hinweis in diesem Zusammenhang, daß Gerber in späteren Auflagen (z. B. 12. Auflage von 1875) den Text der 2. Auflage mit einigen Retouschen wiedergibt. 486 Gerber, System, 16. Auflage, S. 4; In diesem Gedankengang sieht v. Oertzen im Kern die gesamte Gerbersche Theorie enthalten, v. Oertzen, Gerber, S. 220. 487 Gerber, System, S. XVI. 488 Lediglich an einer Stelle findet sich dort ein Hinweis auf die Bedeutung des Personenwillens: Gerber kritisiert Estor, der verkannt habe, daß eine „Sache dem Rechte nur von der einen Seite von Interesse ist, nach welcher sie Gegenstand einer totalen oder partiellen Unterwerfung unter den Willen einer Person sein kann“, Gerber, Princip, S. 36. 489 Gerber, Abhandlungen, S. 216. 490 Pauly, Methodenwandel, S. 101.

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Allerdings bleibt er eine konkrete Darstellung, wie sich anhand des Personenwillens das Privatrechtssystem aufbauen läßt, schuldig. Gerber formuliert nirgends ausdrücklich die Regeln für den Aufbau eines Systems. Es findet sich jedoch in der Vorrede zur ersten Auflage eine Passage, der zu entnehmen ist, was Gerber für die wesentlichen Eckpunkte eines Systems hält: „Die Consequenz eines nach dem Inhalt der Rechte zu schaffenden Systems fordert die strengste Prüfung der rechtlichen Natur der einzelnen Institute und ihres Zusammenhangs mit den stufenweise bis zum letzten Sammelpunkte aufsteigenden Gesammtideen, sie verlangt Rechenschaft über das Maß des zu liefernden Stoffes, Ausscheidung alles Fremdartigen und eine von allem geistlosen Erzählen entfernte Darstellung, welche vielmehr den Anschein einer in spontaner Bewegung fortschreitenden Selbstentwicklung des Gegenstandes haben muß.“ 491 Man kann hier mit Losano durchaus erkennen, daß Gerber eine pyramidenförmige Struktur 492 beschreibt, wie auch bereits sein Vorbild Puchta eine Begriffspyramide gebaut haben soll. 493 An der Spitze der Pyramide oder auf der obersten Stufe steht für Gerber der menschliche Wille, was ein weiteres Zitat aus der Vorrede belegt: Gerber spricht von einem „System ... der Rechte ..., dessen leitender Gedanke ausschließlich aus der Vergleichung der Hauptrichtungen des Personenwillens gefunden wird“.494 Der Personenwille stellt sich also für Gerber als der Angelpunkt eines wahrhaft juristischen Systems dar. Die hierarchische Natur dieses Systems tritt bei Gerber noch deutlicher hervor als bei Puchta 495, wenn er beispielsweise am Ende der Vorrede zur zweiten Auflage verdeutlicht: „Als ein wahrhaft juristisches System erscheint ... nicht das nach Rechtsverhältnissen bestimmte, bei welchem die entscheidenden Punkte geschichtliche und durch äußere Einflüsse hervorgerufene Zustände sind, sondern allein das System der Rechte, welches den gesammten Rechtsstoff nur als den möglichen Ausdruck des Personenwillens betrachtet. Indem hierdurch das deutsche Recht wieder an die unmittelbar wirksame und lebendige Kraft des menschlichen Willens anknüpft, d. h. juristisch construiert wird, tritt es in die Reihe der die Gegenwart beherrschenden Erscheinungen.“ 496 Gerber, System, 2. Auflage, S. VI. Wieacker, Die Ausbildung einer allgemeinen Theorie des positiven Rechts in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 374 sieht in der Begriffspyramide Puchtas ein Erbe des Wolffschen Rationalismus. 493 Ob man bei Puchta, der dieses Wort selbst nicht gebrauchte, tatsächlich von einer Begriffspyramide sprechen kann, ist umstritten, vgl. Björne, Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert, S.218 mit Nachweisen: Wilhelm, Wieacker und Larenz sehen Puchtas System als ein logisches, deduktives System, eine Begriffspyramide. Dagegen sind Bohnert und mit ihm Rückert der Meinung, daß Puchtas System auf der Anschauung des als schon vorhandenen gedachten Systems basiere und somit ein Gegenteil von Deduktion sei. Zur „Genealogie“ der Begriffe bei Puchta vgl. auch Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. 3, S. 91, Pöggeler, Vom Naturrecht zum Positivismus, S. 342. 494 Gerber, System, S. XII. 495 Vgl. auch Björne, Rechtssysteme, S. 245. 496 Gerber, System, S. XXIV. 491 492

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Für das römische Recht ist es charakteristisch, daß „jedes Recht in gleicher Weise der denkbare Inhalt des Willens jeder Person ist“. 497 Durch dieses Prinzip ist es nach Gerber möglich geworden, „den Stoff des römischen Rechts zu einer solchen wissenschaftlichen Einheit und Durchbildung zu bringen und einer ferneren lebendigen Entwicklung fähig zu machen“. 498 Den Gedanken, daß das wissenschaftliche Prinzip im römischen Recht vollendet ausgebildet ist, hatte Gerber bereits in seinem ersten Werk 1846 entwickelt. Damals war jedoch, wie bereits festgestellt, noch nicht der Personenwille als entscheidendes Kriterium herausgearbeitet worden. Gerber sieht die wissenschaftliche Durchformung des deutschen Privatrechts nach wie vor als äußerst schwierig an, vor allem, da der aus den einheimischen Rechtsquellen ablesbaren Rechtsauffassung die juristische Abstraktion völlig abgehe. 499 Das „Primat des Willens“ 500, nach dem der zentrale, das System und die Einzelbegriffe tragende Grundbegriff der juristischen Bearbeitung der Personenwille, die rechtliche Willensmacht des Individuums wird, war bereits bei Savigny angelegt. 501 Insgesamt ist bei Gerber jedoch auch insoweit eine noch wesentlich stärkere Anlehnung an Puchta festzustellen. 502 Schon bei Puchta leitete sich die ganze Vielfalt des positiven Rechts, die Rechtssätze, Rechte, Rechtsinstitute und Rechtsverhältnisse auf die Gegenstände des Willens zurück. 503 Er unterschied dabei fünf Gegenstände des Willens 504 und baute seine Darstellungen nach dieser Einteilung auf. Wenn Gerber im Anschluß an Puchta das Willenselement in den Mittelpunkt stellt, handelt es sich sachlich, nach der Darstellung von Böckenförde, um die Übernahme und Verabsolutierung des dem Vernunftrecht zugrundeliegenden Prinzips der allgemeinen rechtlichen Freiheit und Gleichheit des Individuums, wodurch die Begriffsjurisprudenz der Sache nach zum Schrittmacher der Emanzipation wurde und in innerer Übereinstimmung mit den Tendenzen des liberalen Zeitalters stand. 505 Gerber, System, S. IX. Gerber, System, S. XII. 499 Gerber, System, S. XII. 500 Vgl. Coing, System, Geschichte und Interesse in der Privatrechtswissenschaft. Geschichte und Bedeutung des Systemgedankens der Rechtswissenschaft, S. 205. 501 Böckenförde, Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, S. 23, Fn. 44. 502 Gerber, System, S. VI; vgl. Björne, Rechtssysteme, S. 245; in die gleiche Richtung zielt der Hinweis von Gagnér, Zielsetzungen, S. 232/233, daß Gerber „mit ehrfurchtsvoller Verehrung Eichhorn erwähnt und eher beiläufig von „den Verdiensten“ Savignys spricht, dagegen als Puchta-Schüler die Verdienste des parallel erwähnten Puchta nachdrücklich hervorhebt, Gerber, System, S. IX. 503 Vgl. die Darstellung bei Bohnert, Über die Rechtslehre Georg Friedrich Puchtas, S. 159 mit Verweis auf Puchta, Institutionen I, S. 19. 504 1. Sachen, 2. Handlungen, 3. Personen a) Personen außer uns b) Personen, welche außer uns existiert haben, aber in uns übergegangen sind (Erbrecht) c) die eigene Person (Personenrecht, status, Recht des Besitzes), vgl. Bohnert, Rechtslehre Puchtas, mit Verweis auf Rheinisches Museum 3 (1829), S. 296–300; S. 115, 124, Vorlesungen S. 94. 505 Böckenförde, Historische Rechtsschule, S. 23, Fn. 44. 497 498

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Eine solche Wirkung war von Gerber vor dem Hintergrund seiner monarchistischkonservativen Ansichten sicherlich nicht intendiert. Allerdings könnte man durchaus schlußfolgern, er habe sich, wie bereits schon Savigny, durch den Verzicht auf materiale, sozialpolitisch motivierte Schranken in seinem Privatrechtskonzept für die freigesetzte bürgerliche Gesellschaft im obrigkeitlichen Staat ausgesprochen. 506 Auch verwahrte sich Gerber stets ausdrücklich gegen naturrechtliches Gedankengut. So hebt er in der Vorrede zum „System“ hervor, daß „durch die stofflose naturrechtliche Behandlung des deutschen Rechts am Ende des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts“ die von ihm als zweite Grundlage der Wissenschaft (neben der historischen Perspektive) postulierte Durchdringung des Stoffes nicht geleistet werden konnte. 507 Es ist demnach äußerst fraglich, ob man mit Hirschbühl 508 davon ausgehen kann, daß Gerber, um sein Unterfangen, das deutsche Recht in das Pandektensystem hineinzubauen, philosophisch zu rechtfertigen, in naturrechtliche Gedankengänge, in Anschauungen, die von der geschichtlichen Schule verfehmt wurden, verfiel. Zwar läßt sich eine gewisse Veränderung in Gerbers Anschauungen nicht leugnen. Im „Princip“ hatte er noch kategorisch festgestellt: „... die Annahme der Möglichkeit, daß ein Rechtssystem aus lauter absoluten und universalen, allen Völkern, Sitten und Verhältnissen gleich angemessenen Wahrheiten bestehen könne, verdient wohl kaum mehr als den Namen einer leeren Chimäre.“509 Dagegen ist es nach der Darstellung Gerbers im „System“ eine „nicht zu bestreitende Wahrheit, daß ein großer Theil des Privatrechts in seinen allgemeinsten Grundlagen den Einflüssen der Volksindividualität fern steht, und die Bestimmung seiner Gränzen durch die bei Völkern von gleicher Bildungsstufe immer in demselben Geleise sich offenbarende allgemein menschliche Idee der Gerechtigkeit empfängt“. 510 Ob man daraus jedoch schließen kann, daß sich bei Gerber innerhalb von zwei Jahren eine grundlegende Wandlung seiner wissenschaftlichen Grundeinstellung vollzog und er zu der Einsicht gelangte, eine wirkliche Systematik könne allein auf dem Boden einer einseitigen geschichtlichen Auffassung des Rechts nicht zur vollen Entfaltung gelangen 511, erscheint zweifelhaft 512. Das erwähnte Zitat aus dem „System“ steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt „voller Anerkennung des Princips der geschichtlichen RechtsVgl. dazu Ott, Rechtspositivismus, S. 212. Gerber, System, S. XXII. 508 Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 45. Naturrechtliche Bezüge sind im Übrigen bereits bei Gerbers Lehrer Puchta zu finden. So bediente sich Puchta in seiner Rezension von Beselers „Volksrecht und Juristenrecht“ einer stark vernunftrechtlichen Argumentation, um seine eigene Ansicht über die historische Schule und ihre Methode darzustellen, vgl. Kern, Beseler S. 393. 509 Gerber, Princip, S. 9. 510 Gerber, System, S. XIV. 511 Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 45. 512 Pauly, Methodenwandel, S. 99/100, Fn. 21 macht darauf aufmerksam, daß Gerber auch 1846 im „Princip“ keine solche Position vertreten hat. Er führt das Mißverständnis Hirschbühls auf eine „folgenschwere(n) Verkennung von Gerbers theoretischen Dispositionen“ zurück. 506 507

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schule“. 513 Es ist allerdings hier schon darauf aufmerksam gemacht worden, daß es sich bei Gerbers häufig vorgetragenem ostentativen Bekenntnis zur Historischen Rechtsschule eher um ein „Lippenbekenntnis“ gehandelt haben dürfte. Man kann das erwähnte Zitat als Beleg dafür nehmen, daß Gerber sich von der Theorie vom Volksgeist als Recht schaffendes Element abgewandt hatte. 514 Wie erwähnt, hatte Gerber schon im „Princip“ die Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule hinter sich gelassen, indem er dem gemeinen deutschen Privatrecht die unmittelbare Anwendbarkeit aberkannte. 515 Es ist es aber auch zu bezweifeln, ob Gerber aufgrund der zitierten Aussage als ein „später germanistischer Vertreter des ius commune“ 516 eingeordnet werden kann. Im unmittelbaren Anschluß betont Gerber nämlich wiederum, die Ansicht werde „richtig verstanden, der geschichtlichen Auffassung des Rechts keinen Eintrag thun“. 517 Wenn sich im „System“ wiederholt, wie schon im „Princip“, das formale Bekenntnis Gerbers zur Historischen Rechtsschule findet, scheint er sich seiner eigenen Widersprüchlichkeit nicht bewußt werden zu können oder zu wollen. Es sind sich bei ihm durchaus auch naturrechtlich erscheinende Anklänge zu verzeichnen, wie beispielsweise in seiner Antrittsrede als Tübinger Kanzler 1851. 518 Dort heißt es, das Recht habe „neben seiner nationalen und notwendigen auch eine freie Seite, nach der es etwas absolut Bestimmbares ist, und gerade dem römischen Volk war es beschieden, diese freie Seite des Recht in vollendeter Weise festzuhalten.“ 519 Die historische Rechtsschule selbst empfand sich als Überwinderin des Naturrechts 520 und der von Gerber mitbegründete rechtswissenschaftliche Positivismus als ihr Erbe kam wohl zu einer Überbetonung dieses Gegensatzes. 521 Dabei finden sich auch naturrechtliche Vermächtnisse in der historischen Schule, wie etwa das Pandektensystem. 522 Der systematische und begriffliche Formalismus des Vernunftrechts wurde von Puchta und der Konstruktionsjurisprudenz, wie sie auch Gerber Gerber, System, S. XIV. Losano Bd. 2, S. 94. 515 Zur Auseinandersetzung von Gerbers Lehrer Puchta und Beseler im gleichen Zusammenhang um „Volksrecht und Juristenrecht“ vgl. Kern, Beseler, S. 393–395. 516 Landau, Die Vormundschaft als Prinzip des deutschen Privatrechts und der Staatstheorie im 19. Jahrhundert, S. 578. 517 Gerber, System, S. XIV/XV. 518 Diese Rede hielt Gerber bei seinem Eintritt in das Kanzleramt der Universität Tübingen am 6. November 1851 anläßlich der Verleihung der akademischen Preise. Sie wurde später als erster Teil des Aufsatzes „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ in seine „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ (S. 1 ff.) aufgenommen. 519 Gerber, Abhandlungen, S. 4/5. 520 Vgl. auch Gerber, System, S. XXII: „daß man sich bei der Ueberwindung der früheren naturrechtlichen Schule beruhigte“. 521 Wieacker, Theorie, S. 373. 522 Dieses geht laut Wieacker, Theorie, S. 373 auf die Wolffschüler Darjes und Nettelbladt und somit letztlich auf das natürliche System Samuel Pufendorfs zurück. 513 514

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praktizierte, noch weit überboten. 523 Neben all dem Trennenden läßt sich also auch manches Verbindende zwischen dem Naturrecht und der Historischen Schule feststellen. Insbesondere die Richtung auf das System, die von Gerber in das Zentrum seiner Methodenlehre gestellt wird, kann im weitesten Sinne als Erbe des Naturrechts der Aufklärung verstanden werden 524, auch wenn dieses formal von ihm mißbilligt wurde. In der Sache läßt sich festhalten, daß Gerber das Recht mit den vom späten Vernunftrecht ausgebildeten Begriffen, Formen und Figuren bearbeitete und konstruierte, wobei er diesen Begriffen nun den Charakter des rein-juristischen, in sich Gültigen verlieh. 525 Die juristische Konstruktion des Rechts war die wissenschaftliche Aufgabe, in der sich Gerber mit Ihering in dessen erster wissenschaftlicher Periode traf526, der eine auf germanistischem, der andere auf romanistischem Gebiet. Wilhelm sieht dabei sogar Gerber als häufig führend in der Entwicklung des Gedankens an 527. Tatsächlich lassen sich in Gerbers „Princip“ die Grundbegriffe der sog. „naturhistorischen“ Methode Iherings (wie höhere Wissenschaft, produktive Geistestätigkeit, körperhafte Gestalt des Rechts, künstliche Analyse und anatomische Operation) bereits nachweisen, ehe sie von diesem in extenso ausgeführt und so benannt wurden. 528 Wilhelm betrachtet Gerbers „juristische“ Methode und Iherings „naturhistorisches“ Verfahren demnach als identisch und sieht darin den Ausdruck der Begriffsjurisprudenz auf ihrem Höhepunkt. 529 Bei allen methodischen Parallelen ist jedoch nicht zu übersehen, daß Gerber und Ihering eine unterschiedliche Auffassung vom Rechtssystem vertraten. 530 Als gemeinsamer methodischer Ansatzpunkt ist festzuhalten, daß durch die „produktive“ Jurisprudenz, wie sie Gerber und Ihering praktizierten, der Stoff der Rechtsregeln in den „höheren Aggregatzustand“ der juristischen Konstruktion versetzt werden sollte. 531 Vgl. Wieacker, Theorie, S. 375. Vgl. Coing, System, Geschichte und Interesse in der Privatrechtswissenschaft, S. 106. Zu den Verbindungen zwischen Naturrecht und Historischer Schule vgl. auch Pöggeler, Vom Naturrecht zum Positivismus, S. 343: Volksgeistlehre und begriffsjuristische „Erkenntnis“ vom inneren Zusammenhang der Rechtssätze ersetzen gewissermaßen „Vernunft“ bzw. Natur des Menschen oder der Sache. 525 Vgl. Böckenförde, Historische Rechtsschule, S. 22. 526 Vgl. Ihering an Gerber, Gießen, 26. März 1854 [ 33]: „... einen Gegenstand, an dem wir beide uns in der Wissenschaft gefunden haben, und um den unsere beiderseitige wissenschaftliche Aufgabe sich mehr oder minder dreht, die juristische Construction des Rechts“. 527 Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 90. 528 Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 111, mit Verweis auf Gerber, Princip, S. 244. 529 Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 117. 530 Vgl. dazu Losano, Bd. 2, S. 114 ff. zu Ihering; S. 130 ff. zu Gerber; Björne, Rechtssysteme, S. 244 ff., S. 246: Iherings Auffassungen von System sind denjenigen Savignys näher, weil er außer vom logischen Element auch vom Organischen im System mehrmals spricht; für Gerber ist das System ein logisches Gebäude. 531 Böckenförde, Historische Rechtsschule, S.23, spricht sogar von der Überführung „in ein System selbständiger juristischer Wesenheiten quasi-kategorischer Existenz“. 523 524

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Außerdem läßt sich feststellen, daß beide Juristen das Ziel verfolgten, dem Privatrecht einen höheren Grad von Sicherheit und Stabilität zu verleihen. 532 Fraglich ist jedoch, wie es mit dem Realitätsbezug eines solchen Modells bestellt ist, das das Recht formalisiert und einen „Apriorismus der einmal fixierten Rechtsbegriffe“ 533 bewirkt. Eine Ablösung des Rechts von seinem gesellschaftlichen Hintergrund würde zweifellos in einen leeren Formalismus münden. Die Befürchtung, daß die „streng juristische“ Systematik Gerbers zwangsläufig zur Vergewaltigung der Wirklichkeit durch die frei schwebenden „produktiv“ gewordenen Begriffe führen könnte 534, ist vor diesem Hintergrund durchaus nachvollziehbar. Denn bei logischer Betrachtung kann aus den reinen Rechtsbegriffen nicht mehr herauskommen, als empirisch in sie hineingelegt wird, so daß ihre Selbstbewegung, wie v. Oertzen treffend bemerkt, entweder fiktiv oder willkürlich erscheint. 535 In diesem Zusammenhang sind auch die Bedenken Paulys relevant, das von Gerber zugrundegelegte rechtstheoretische Modell könnte deswegen reaktionär wirken, weil es sich auch gegenüber einer Realität, die mehr feudal als liberal ist, formal und damit zugleich schon legitimierend verhält. 536 In die gleiche Richtung scheint die Bemerkung Grimms zu zielen, die begriffsjuristische Methode impliziere eine Entscheidung in der Sache, sie sei eine Option für den bestehenden Zustand. 537 Gleichzeitig ist aber zu bedenken, daß Gerber dem deutschen Privatrecht, indem er es von seiner sozialen Grundlage abzulösen und zu abstrahieren versuchte, eben die Gestalt gab, die den Bedürfnissen der sich entfaltenden Verkehrsgesellschaft entsprach und insofern alles andere als restaurativ wirkte. 538 Es stellt sich hier allerdings die Frage, ob dieser Effekt von Gerber bewußt intendiert war. Gerber selbst betont immer wieder, daß er mit seinem „System“ das Ziel verfolgt, das deutsche Privatrecht „zu seiner vollen inneren Selbständigkeit“ zu bringen, und zwar nicht durch die „Anschauung schwankender thatsächlicher Verhältnisse „sondern auf der sicheren Basis der exacten juristischen Kunst“. 539 An anderer Stelle erklärt er, „juristisch denken und juristisch konstruieren“ bedeute für ihn „das juristische Beherrschen der tatsächlichen Verhältnisse des Lebens“. 540 Man könnte diese Anknüpfung Gerbers an die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten seiner Zeit für „unmethodisch“ 541 halten. Zu beachten ist jedoch, daß die Dominanz der juristische Dogmatik über die Lebensverhältnisse mit Gerbers methodi532 533 534 535 536 537 538 539 540 541

Vgl. Fioravanti, Giuristi e constituzione politica nell’ ottocento tedesco, S. 194. Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 96. v. Oertzen, Gerber, S. 215. v. Oertzen, Gerber, S. 215. Pauly, Methodenwandel, S. 106. Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, S. 360. Grimm, Recht und Staat, S. 360. Gerber, Vorrede System, 5. Auflage, zitiert nach der 16. Auflage, S. XIV. Gerber, Abhandlungen, S. 14. Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 93.

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schen Ansatz ohne weiteres vereinbar ist. Es ist durchaus die Gefahr erkennbar, die „produktive“ Jurisprudenz, wie sie Gerber propagiert, liefere das vollkommene Beispiel einer abstrakten, der gesellschaftlichen Realität abgewandten Wissenschaft. 542 Wenn Gerber 1865 in seiner Leipziger Rektoratsrede543 die Feststellung trifft: „das Leben lässt sich nicht vollständig in Formeln bannen“ 544, so könnte darin ein später Sinneswandel anklingen. Schon früher ist jedoch auch eine realistische Komponente in Gerbers Methodik feststellbar. Keinesfalls liegt ihm daran, wie er mit Nachdruck betont, „die ursprünglichsten und freien Bildungen des Lebens nach vorgefaßten theoretischen Principien materiell umzugestalten“. 545 Damit wehrt sich Gerber zugleich gegen den oft erhobenen Vorwurf, er presse das deutsche Recht in eine vorgefertigte Pandektenschablone. Offen bleibt dabei jedoch, wie Gerber diese ursprünglichen Elemente in seine feste Systematik einfügen will, ohne sie zu beschneiden. Gerbers juristischer Formalismus ist insoweit realistisch, da er den Wert der außerrechtlichen Elemente im Recht nicht bestreitet, sondern sich vielmehr bemüht, ihre Einflußzone abzustecken 546, die freilich gegenüber den juristischen Gesichtspunkten zurückzustehen hat. „Sobald aber diese Motive ihre Aufgabe als rechtsbildende Kräfte vollendet haben, treten sie aus dem Kreis der juristischen Betrachtung zurück, welche sich allein damit beschäftigen kann, die Natur der entstandenen Institute und Sätze nicht nach ihrer zufälligen Beziehung zu vereinzelten Lebenszuständen, sondern nach ihrer Stellung in einem Systeme der Rechte zu untersuchen, dessen leitender Gedanke ausschließlich aus der Vergleichung der Hauptrichtungen des Personenwillens gefunden wird.“ 547 Ein interessanter Aspekt, der zum besseren Verständnis von Gerbers wissenschaftlichem Ansatz Hilfe leisten kann, ist, sich das politische Umfeld in der Entstehungszeit des „Systems“ 1848 vor Augen zu führen. Man kann in der von Gerber in der Vorrede skizzierten neuen Methode zur Zeit des politischen Umbruchs mit Gagnér eine direkte Antwort des entschieden konservativen Gerber auf rechtspolitische Forderungen sehen, die im März 1848 plötzlich eine ihm bedrohlich erscheinende Aktualität angenommen hatten. 548 In der Formel der „Analyse und ConstrukSo Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 107. Ein Ausschnitt dieser am 31. Oktober 1865 bei der Übernahme des Rektorats der Universität Leipzig gehaltenen Rede, wurde später als dritter Teil von „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ in die „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ (S. 23 ff.) übernommen. 544 Gerber, Abhandlungen, S. 32. 545 Gerber, System, Vorrede zur 5. Auflage, zitiert nach der 16. Auflage, S. XIV. 546 Losano, System bei Gerber, S. 650. 547 Gerber, System, S. XI/XII. 548 Gagnér, Zielsetzungen, S. 324. In diese Richtung zielt auch Kriechbaum, Dogmatik und Rechtsgeschichte bei Ernst Immanuel Becker, S. 9, wenn sie in einem Vergleich der beiden konservativen Juristen Bekker und Gerber darauf hinweist, daß Gerber „in der ‚gewaltig erregten Zeit‘ der 48er Jahre seiner Gesinnung mit einem neuen methodischen Programm Geltung 542 543

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tion des rein juristischen Elements der Rechtsinstitute“ 549 hatte Gerber eine Abwehrmöglichkeit entdeckt und formuliert, und in diesem Sinne beendete er sein Vorwort von 1848, nicht ohne erneut sein formales Bekenntnis zur Historischen Rechtsschule anklingen zu lassen: „Denn es ist ein Irrthum, wenn man so viele durch Jahrhunderte gepflegte Rechtsinstitute durch einen einzigen Griff entwurzeln zu können vermeint; das zu Grunde liegende Rechtsprincip, dem oft Unkenntniß und blinder Eifer die Schuld seiner zufälligen Anwendung in einer den politischen Anforderungen der Zeit widerstrebenden Weise beimißt, wird sich in anderer Verbindung immer von Neuem kundgeben, solange ihm von seiner natürlichen Quelle, dem Rechtsbewußtsein des Volks, das nicht allein auf einer politischen Grundlage ruht, die nothwendige Nahrung zufließt.“ 550 Welche erschütternde Bedeutung Gerber dem politischen Geschehen von 1848 zumaß, vermittelt im übrigen eine briefliche Äußerung gegenüber Mittermaier. Für Gerber erreichen die revolutionären Ereignisse nicht nur „das fast gänzliche Stocken der wissenschaftlichen Tätigkeit in jenen Zeitschriften, welche früher eine fortdauernde Gemeinschaft aller Gelehrten bewirkten“, sondern sie rufen auch ein Gefühl hervor, „als seien alle alten Bande durch sie zerrissen und bedürften, um fortzudauern, einer neuen Anknüpfung“. 551 Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Gerber in den verschiedenen Vorworten zu seinem „System“, die als Grundstock seiner Methodenlehre gelten können, keine prägnanten Regeln zum Systemaufbau formuliert. Insbesondere bleibt er eine konkrete Darstellung, wie sich anhand seines Schlüsselbegriffs, des Personenwillens, das Privatrechtssystem aufbauen läßt, schuldig. In der Vorrede zur zweiten Auflage wird deutlich, daß Gerber selbst den Eindruck verspürt, seine Methode bisher nicht deutlich genug beschrieben zu haben, wenn er ankündigt, „bestimmter, als dies vordem geschehen, den Weg zu bezeichnen, welchen der Verfasser zur Erreichung jenes Zieles betreten zu müssen glaubte“. 552 Gerber legt, wie er hier betont, Wert darauf, das deutsche Recht nicht mehr „in bloß äußerlicher Schilderung und mit Beibehaltung seiner ... eigenthümlichen Bildungsformen darzustellen“. Vielmehr geht es ihm darum, zu untersuchen „ob in der Totalität der unendlichen Wiederholung gewisser Rechtsverhältnisse ... ein wirkliches Rechtsprincip ausgesprochen ist“. Wenn sich ein solches finden läßt, will Gerber zu der von ihm geforderten Abstraktion kommen, indem „das in der Begründung von lauter subjekiven Befugnissen ausgesprochene Recht aus dieser zufälligen Verbindung gelöst und in objektive Rechtssätze und Rechtsinstitute übersetzt“ wird. 553 Erst dadurch werden die Stoffe des deutschen zu schaffen suchte“. Auch Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 3, S. 131 hebt hervor, daß Gerber gerade 1848 offen zur Begriffsjurisprudenz überging. 549 Gerber, System, S. XVI. 550 Gerber, System, S. XVII/XVIII. 551 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 6. April 1850, Jelowik, S. 314/315 [159]. 552 Gerber, System, 2. Auflage, S. XXIII. 553 Gerber, System, 2. Auflage, S. XXIII.

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Rechts einer „juristischen Auffassung“ fähig. 554 Man wird mit Gagnér feststellen müssen, daß diese Antwort auf die Frage, mit welcher Methode Gerber ein Programm, das sich von dem in der deutschrechtlichen Dogmatik herkömmlichen unterscheidet, tatsächlich durchführen will, wenig zur Klarheit beiträgt.555 Gerber strebt offenbar mit seinem „System“ eine synthetische Übersicht der über alles Praktische erhabenen Prinzipienwelt an, als ob wenigstens in einigen Bereichen, Partikularrecht für Partikularrecht, eine Zurückführung auf solche „Principien“ stattgefunden hätte. 556 Der tatsächliche Vorgang der „Construction“ dieser Principien läßt sich in seinem Lehrbuch nicht nachvollziehen. Zur Entstehungszeit von Gerbers „System“, Mitte des 19. Jahrhunderts, wurden zwei Systembegriffe nebeneinandergestellt, ein „einfacher“ und ein „höherer“ 557, wie sich allgemein aus dem Brockhaus-Lexikon von 1841 ableiten läßt. Danach bezeichnet das System „im Allgemeinen die übersichtliche Anordnung aller Theile eines Ganzen“. Da es jedoch „höhere Forderung der Wissenschaft ist, die Theile des von ihr darzustellenden Ganzen nicht willkürlich, sondern der Natur des Gegenstands entsprechend anzuordnen, so hat das System dann die höhere Bedeutung einer Darstellung des Gegenstandes vor dem erkennenden Bewußtsein nach seiner ihm eigenthümlichen Entwickelung, so daß er in allen Erscheinungsformen seines Inhalts, von der anfänglichsten und dürftigsten bis zu der vollendetsten und reichsten in nothwendiger Stufenfolge sich zeigt.“ 558 An dieser Darstellung wird deutlich, daß die von Gerber vertretene, hier bereits angesprochene Systemstruktur der „stufenweise bis zum letzten Sammelpunkte aufsteigenden Gesamtideen“559, mag Gerber sie nun von Puchta hergeleitet haben oder nicht, der allgemein vertretenen Systemvorstellung seiner Zeit entsprach und sich nicht durch übermäßige Originalität auszeichnete. Ein völlig anderer Gesichtspunkt ist, daß Gerber diese Struktur außerhalb seiner theoretischen Vorrede im „praktischen“ Teil seiner Lehrbuchs – wie sich zeigen wird – nicht mehr erkennbar umsetzt, sondern vielmehr den üblichen privatrechtlichen Stoff nacheinander abhandelt. Hier tut sich eine Diskrepanz zwischen dem von Gerber propagierten und dem von ihm tatsächlich verwirklichten System auf. Auch bei Gerber klingt die erwähnte Unterscheidung zwischen einem rein äußeren, formellen System und einem inneren, materiellen System an, wie sie bereits von Savigny postuliert wurde. Dieser vertrat die Vorstellung einer vorgegebenen inneren Struktur des Rechts, weshalb in der systematisch methodischen Darstellung „die einzelnen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verbunden Gerber, System, 2. Auflage, S. XXIII. Vgl. Gagnér, Wissenschaft, S. 91. 556 Vgl. Gagnér, Wissenschaft, S. 91. 557 Man könnte auch von einem „formellen“ und einem „materiellen“ System oder einem „äußeren“ und einem „inneren“ System sprechen. 558 Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk, Vierter Band, Leipzig, F. A. Brockhaus 1841. 559 Gerber, System, 2. Auflage, S. VI. 554 555

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werden“ 560, was seinem Ideal eines inneren Systems entsprach. Savigny sah neben dem „historischen Sinn“ auch einen „systematischen Sinn“ als unentbehrlich für den Juristen an, um „jeden Begriff und jeden Satz in lebendiger Verbindung und Wechselwirkung mit dem Ganzen anzusehen, d. h. in dem Verhältnis, welches das allein wahre und natürliche ist.“ 561 Nach der historischen Betrachtung und Entwicklung bestimmter Institute bestand dann die Aufgabe des ‚Systems‘ (dem nach heutiger Klassifizierung eher die Dogmatik entspricht) darin, diese zu definieren, ihren inneren Zusammenhang zu erfassen und als geschlossenes Ganzes darzustellen. Dabei war das ‚System‘ selbst als eine dem Recht immanente Ordnung vorgegeben. 562 Ähnliche darauf aufbauende Vorstellungen, die auf Gerber wohl noch stärkeren Einfluß ausübten, finden sich bei Puchta, der von der Wissenschaft forderte, „die Rechtssätze in ihrem Zusammenhang als einander bedingende und voneinander abstammende zu erkennen“. 563 Gerber selbst hebt hervor, „daß der Begriff des Systems den Gedanken einer nothwendigen Fügung des Einzelnen unter die einheitliche Herrschaft der Gesammtidee einschließe“ 564, d. h. auch er strebt ein inneres, materielles System an. Er möchte die „äußeren Linien des Systems“ von dem „Princip der inneren Anordnung der Stoffe“ 565 unterscheiden. Allerdings führt er gleich darauf die formalen Einteilungskategorien „Rechte an Sachen, Rechte an Handlungen, Rechte an Personen und Rechte an der Verlassenschaft“ 566 als vorbildhafte Struktur des römischen Rechts an. Da er schon vorher die „Rückwirkung der Form auf den Inhalt“ 567 unterstrichen hat, drängt sich der Schluß auf, daß Gerber selbst die beiden Systembegriffe nicht streng voneinander trennt und deshalb zu einer Überhöhung des Aufbaus nach dem Pandektenschema kommt. Das freilich kann nicht der entscheidende Gesichtspunkt für die Besonderheit des von Gerber konzipierten „System des deutschen Privatrechts“ sein. Das Pandektensystem war nach der Meinung der meisten Autoren eine zweckmäßige (formelle, äußere) Lehrordnung.568 Wesentlich eigenständiger war Gerbers (materieller, innerer) Ansatz, das „System der Rechte, ... den gesammten Rechtsstoff nur als den möglichen Ausdruck des Perso560 Savigny, System I, Vorrede S. XXXVI, vgl. die Darstellung bei Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, S. 118/119. 561 Savigny, Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, S. 48. 562 Vgl. die Darstellung bei Jungemann, Carl Georg von Wächter (1797–1880) und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts, S. 49. 563 Puchta, Cursus § 15, S. 22, vgl. die Darstellung bei Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 119/120. 564 Gerber, System, 16. Auflage, S. III: Hier wird dieses Zitat aus der Vorrede zur ersten Auflage ganz an den Anfang gerückt. 565 Gerber, System, 16. Auflage, S. VI, aus der Vorrede der ersten Auflage. 566 Gerber, System, 16. Auflage, S. VI/VII. 567 Gerber, System, 16. Auflage, S. III. 568 Vgl. Björne, Rechtssysteme, S. 275.

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nenwillens“ 569 zu sehen. Es mußte sich allerdings im materiellen Teil des Lehrbuchs erst erweisen, ob Gerber dieses „Systemideal“ auch verwirklichen konnte. 3. Einleitung Gerber baut sein „System des deutschen Privatrechts“ folgendermaßen auf: Einer Einleitung, die sich mit dem Begriff des deutschen Privatrechts, seinen Quellen und Hilfsmitteln sowie der Literatur beschäftigt, folgt ein „Erster Theil“ über die allgemeinen Grundlagen des Privatrechts. Hierin kann man insgesamt einen allgemeinen Teil, gewissermaßen ein „vor der Klammer Ziehen“ sehen, der die mit Gerber eintretende Romanisierung des deutschen Privatrechts deutlich macht. 570 Erst im „Zweiten Theil“ wird der materielle Rechtsstoff erörtert. Dabei folgt Gerber dem romanistischen Pandektensystem, indem er eine Aufteilung in vier Bücher (zusammen mit dem ersten Teil ergibt sich also das pandektistische Fünf-Bücher-Schema) vornimmt: Sachenrecht, Forderungsrechte, Personenrechte und schließlich Erbrecht. Im ersten Kapitel der Einleitung setzt Gerber sich mit dem Begriff des gemeinen deutschen Privatrechts auseinander. Er verfolgt die analytische Entwicklung dieses Begriffs. 571 Dabei verweist er, wenn er „das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ (§§ 5–7) bespricht, auf die ausführliche Dogmengeschichte im ersten Teil seines „Princips“. 572 Gerber wiederholt seine Auffassung, daß eine systematische Darstellung des deutschen Privatrechts nach der Natur der Quellen nicht den Zweck der „Zubereitung eines zur unmittelbaren Anwendung geschickten Materials“ 573 erreichen kann. Hauptinhalt ist es vielmehr, der „letzte(n) That eben dieses Volksgeist(es) auf dem Gebiet des Rechts“, dem „heutige(n) Recht des deutschen Volkes“ seinen „Anspruch auf wissenschaftliche Behandlung“ zu erfüllen.574 Darin erkennt Gerber „das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“. Im folgenden stellt er „Grundsätze über die Ausführung dieses Princips“575 (§§ 8–10) auf. Erneut betont er das Erfordernis der Trennung des Geschichtlichen vom Dogmatischen, um den Inhalt des gegenwärtigen deutschen Rechtsbewußtseins dazustellen. 576 Der Germanist hat nach Gerber seine durch Abstrahierung aus der „Fülle des Materials“ gewonnenen Resultate in wissenschaftlicher juristischer Gerber, System, 16. Auflage, S. XIII, Zitat aus der Vorrede zur 2. Auflage. Vgl. Björne, Rechtssysteme, S. 261/262. 571 Gerber, System, S. 1–13 (Es wird, wenn nichts anderes vermerkt ist, nach der 2. Auflage von 1850 zitiert, die erstmals die zuvor getrennt erschienenen beiden Teile des „Systems“ in einem Band vereinigt.). 572 Gerber, System, S. 6, Fn. 1. 573 Gerber, System, S. 8. 574 Gerber, System, S. 9. 575 Gerber, System, S. 13–18. 576 Gerber, System, S. 13. 569 570

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Form wiederzugeben 577: Zuerst müssen die auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis bezogenen Rechtsideen zu einem Institut verbunden werden, das „nach dem in ihm liegenden Principe construirt“ wird. 578 Hier zeigt sich einmal mehr, daß Gerber von einem selbständigen, apriorischen Charakter des Rechts ausgeht. Als zweites müssen wiederum alle diese gewonnenen Institute in eine „äußere systematische Ordnung“ gebracht werden. 579 Im zweiten Kapitel der Einleitung stellt Gerber die „Quellen und Hülfsmittel zur Erkenntniß des deutschen Privatrechts“ dar. Die Quellen ordnet er zeitlich in drei Perioden ein. Erstens die älteste (germanische) Zeit, in der er Volksrechte (§ 11), Capitularien (§ 12) und Formeln (§ 13) nennt. Als zweites eine „mittlere Zeit“. Hier unterscheidet er ungeschriebenes und geschriebenes Recht. Zu ersterem gehören in Deutschland Urkunden und Schöffensprüche (§ 14) sowie Rechtsbücher (§ 15), ebenso behandelt er hier die langobardischen Libri feudorum (§ 16). Als Quellen des geschriebenen Rechts bespricht er die Reichs- und Territorialgesetzgebung (§ 17), die Stadtrechte (§ 18) und die Hof- und Dienstrechte (§ 19). 580 Auch in der Periode der „neueren Zeit“ unterscheidet er ungeschriebenes Recht (§ 20), d. h. Gewohnheitsrecht, und geschriebenes Recht. Hier zählt er die Reichsgesetze und Bundesbeschlüsse (§ 21), die Landesgesetzgebungen (§§ 22, 23) 581 und die Stadtrechte (§ 24) auf. Als „Hülfsmittel zur Erkenntnis des deutschen Privatrechts“ (§ 25) sieht Gerber insbesondere die Kenntnis der „in der Geschichte liegenden Motive der Bildung und principiellen Entfaltung des Rechts“ 582 an. Daneben unterstreicht er die Bedeutung der „Verfolgung der germanistischen Rechtsbildung im Auslande“583 zur Erkenntnis des einheimischen Rechts. Bei der Erörterung der Literatur des deutschen Privatrechts (§ 26) im dritten Kapitel der Einleitung faßt Gerber auf fünf Seiten 584 seine ausführliche Darstellung aus dem „Princip“ zusammen. Insgesamt erscheinen Gerbers Ausführungen in der Einleitung relativ dürftig und karg. Sie erreichen weder sprachlich noch vom wissenschaftlichen Duktus das Niveau der Vorreden oder auch des häufig angeführten „wissenschaftlichen Princips des gemeinen deutschen Privatrechts“. Gerber, System, S. 16. Gerber, System, S. 16. 579 Gerber, System, S. 17. 580 Diesen spricht er sogar noch eine gewisse Bedeutung bis in neueste Zeit zu, Gerber, System, S. 38. 581 Dazu zählt er einerseits die „aeltere Art derselben“, andererseits die „Gesetzbücher im heutigen Sinne“, das Preußische [Allgemeine] Landrecht, das französische bürgerliche Gesetzbuch Napoleons (das im Rheinland und in überarbeiteter Form in Baden galt) und das österreichische bürgerliche Gesetzbuch, nach Gerber Erzeugnisse des einheimischen Rechtsbewußtseins, Gerber, System, S. 42. 582 Gerber, System, S. 50. 583 Gerber, System, S. 50. 584 Gerber, System, S. 51 bis 54. 577 578

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4. Erster Teil: Die Allgemeinen Grundlagen des Privatrechts Der erste Teil des Systems befaßt sich mit den allgemeinen Grundlagen des Privatrechts. Das erste Kapitel handelt von der Entstehung des Rechts. Gerber beabsichtigt dabei ausdrücklich, sich an das Pandektensystem anzulehnen, indem er „die besonderen Beziehungen des deutschen Rechts zu dieser Lehre berücksichtigt und zur Geltung bringt“. 585 Er behandelt das Gewohnheitsrecht (§ 28), die Autonomie (§ 29) und das Recht der Wissenschaft (§ 30). Bei der Herleitung des Gewohnheitsrechts schließt sich Gerber ausdrücklich an die Theorie Puchtas 586 an und stellt fest, daß die bindende Kraft des Gewohnheitsrechts in der „Rechtsüberzeugung des Volkes als nationaler Einheit“ begründet liegt. 587 Dabei wendet er sich explizit insbesondere gegen Reyscher, nach dem das Gewohnheitsrecht auf der Autonomie der Privaten beruhe. 588 Den Begriff der Autonomie definiert Gerber in Anlehnung an Puchta 589 als die „gewissen Personen zukommende Befugnis, für die ihrer Wirksamkeit unterworfenen Gegenstände Bestimmungen mit der Kraft von Rechtssätzen zu ertheilen, welche auch für Dritte verbindlich sind.“ 590 Gerber beklagt die allgemeine Verwirrung in Bezug auf den Autonomiebegriff, besonders, daß die Autonomie häufig mit der Befugnis der Privaten, Dispositivgesetze durch Verträge abzuändern, gleichgesetzt werde. 591 Diesen Fehler begehe insbesondere Reyscher. 592 Das Recht der Wissenschaft in § 30 ist nach Gerber gerade für das deutsche Recht von besonderer Bedeutung, da es weder Gesetzgebung noch Gewohnheitsrecht vermochten, den durch die Rezeption zerstreuten Elementen des einheimischen Rechts zu ihrer eigentlichen Bedeutung zu verhelfen. 593 In der Tätigkeit des Wissenschaftlers sieht Gerber „immer nur eine construierende, welche ein Gegebenes voraussetzt, das sie zum wissenschaftlichen und lebendigen Bewußtsein fördert“. 594 Dieser Tätigkeit ist für ihn der gegenwärtige Zustand des deutschen Rechts größtenteils zu verdanken. Zu unterscheiden ist davon „jene andere Wirksamkeit der Juristen für die Erzeugung des Rechts, bei der sie nur die Organe zur Bildung eines Gewohnheitsrechts werden, das sie als die Kundigen des Volkes aussprechen“ 595, mithin das Spezialistendogma. Im Gegensatz zu den häufig etwas verklausulierten Ausführungen im „Princip“, erscheinen Gerbers Thesen hier knapp und stringent. 585 586 587 588 589 590 591 592 593 594 595

Gerber, System, S. 56. Puchta, Das Gewohnheitsrecht, 2 Teile, 1828 und 1837. Gerber, System, S. 56. Gerber, System, S. 57, Fn. 1. Puchta, Gewohnheitsrecht II, S. 105 ff. Gerber, System, S. 58. Gerber, System, S. 58/59, Fn. 1. Reyscher, Würtembergisches Privatrecht, S. 59. Gerber, System, S. 61/62. Gerber, System, S. 62. Gerber, System, S. 63.

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Das zweite Kapitel umfaßt nur sieben Seiten und ist der Anwendung der Rechtsvorschriften in Rücksicht auf die Verschiedenheit ihrer Herrschaftsverhältnisse gewidmet. 596 Unter der Überschrift „Innere Gränzen“ (§ 31) erörtert Gerber das Problem des Zusammentreffens mehrerer einheimischer Rechtsvorschriften. Er kommt nach dem Sprichwort „Willkür bricht Stadtrecht; Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemeines Recht“ 597 zu dem Schluß, daß zunächst das nächste Lokalrecht, dann das weitere Partikularrecht und zuletzt das gemeine subsidiäre Recht Anwendung findet. 598 Unter dem Begriff „Aeußere (örtliche) Grenzen“ (§ 32) behandelt Gerber Fragen, die heute in den Bereich des internationalen Privatrechts fallen. Unter anderem will er die Rechts- und Handlungsfähigkeit von Personen nach dem Recht ihres Domizils beurteilt sehen 599, Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen nach dem Recht des Orts, an dem sie sich befinden 600, und das Erbrecht nach dem Recht des Domizils des Erblassers 601 regeln. Es finden sich insoweit bei Gerber Hinweise auf die noch heute geltenden Grundsätze des Internationalen Privatrechts. In späteren Auflagen hat Gerber seine knappen Ausführungen mit Hinweisen auf die aktuelle Literatur zu diesen Fragen ergänzt 602, mit der er sich in den Fußnoten ansatzweise auseinandersetzt. 603 Das dritte Kapitel mit dem Thema „Von den Rechtsverhältnissen“ handelt im ersten Abschnitt von den Personen. Als erstes beschäftigt sich Gerber ausführlich mit den physischen Personen. 604 Unter dem Stichwort „Einfluß besonderer Zustände auf die Rechtsverhältnisse der Personen“ (§ 35) erwähnt er bei den „natürlichen Zuständen“ unter anderem, daß er die privatrechtlichen Wirkungen der Geschlechtsverschiedenheit 605 als allmählich im Verschwinden begriffen ansieht. 606 Von den „staatlichen Zuständen“ findet vor allem die besondere Behandlung des hohen Gerber, System, S. 63 bis 69. Eisenhart, Rechtssprüchwörter Nr. 1, zitiert bei Gerber, System, S. 64. 598 Gerber, System, S. 64. 599 Gerber, System, S. 66. 600 Gerber, System, S. 67. 601 Gerber, System, S. 68. 602 Vgl. Gerber, System, 16. Auflage, S. 51, Fn. 2. 603 In einer geltendrechtlichen Dissertation (Ina Wiedemann, Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung, Berlin 1998) wird Gerber als Begründer der herrschenden Ansicht zitiert, daß der internationale Anwendungsbereich einer Norm regelmäßig nicht durch Auslegung derselben ermittelt werden kann: Ein Ansatz vom Gesetz her erscheine schon deshalb fragwürdig, weil die Gesetze in sehr unterschiedlichem Maße einer autonomen Bestimmung ihres Anwendungsbereichs vom Inhalt her fähig seien, Wiedemann, a. a. O. S. 22 mit Verweis auf die 8. Auflage des „Systems“, S.74, Fn. 5. In den späteren Auflagen des Systems findet sich keine Stellungnahme mehr zu diesem Problemkreis. 604 Gerber, System, S. 70 bis 103. 605 Wie beispielsweise die Zurücksetzung der Frauen im Erbrecht oder die Geschlechtsvormundschaft. 606 Gerber, System, S. 72. 596 597

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Adels hinsichtlich Immobiliarsachen- und Erbrecht Erwähnung. Gerber spricht von „Eigenthümlichkeiten“ in „fideikommissarischen Dispositionen und autonomischen Successionsbestimmungen“. 607 Mit diesem Themengebiet sollte er sich später noch ausführlicher beschäftigen. Relativ breit erörtert Gerber die Modifikationen der Rechtsfähigkeit. Zum einen kann dies durch Schmälerung der bürgerlichen Ehre (§ 39) erfolgen. Hier nimmt Gerber auf seine Rezension eines Buches zu diesem Thema aus dem Jahr 1845 bezug. 608 Die Frage der Rechtsfähigkeit bei Verschiedenheit der Religion stellt sich nach Gerber vor allem hinsichtlich der Juden (§§ 44–46). In privatrechtlicher Hinsicht ist zwar den Juden durch neuere Gesetzgebungen der Erwerb von Grundeigentum gestattet, dessen Verkauf jedoch häufig aus polizeilichen Gründen wieder beschränkt. 609 Auch die freie Gewerbetätigkeit ist teilweise durch die Ausschließung der Juden aus den Zünften gehemmt. 610 In § 46 fügt Gerber auf zwei Seiten einen kurzen Exkurs über jüdisches Recht ein. 611 Wegen Mangels des Indigenats (§§ 47, 48) kommt es nach Gerber nur noch in seltenen Fällen zu einer Modifikation der Rechtsfähigkeit, da das gegenwärtige deutsche Recht „auch die volle Persönlichkeit des Ausländers“ anerkennt. 612 Im Anschluß behandelt Gerber in §§ 49 ff. die juristischen Personen. Er betrachtet die Übertragung der Rechtsfähigkeit auf ein ideales Rechtssubjekt, wie sie schon römischen Verkehrserfordernissen entsprach, als einen „natürlichen Anspruch des Volkslebens“ 613. Auch im deutschen Recht sieht er in den Markgenossenschaften, Land- und Stadtgemeinden sowie den Zünften Beispiele einer, wenn auch unbewußten, Anwendung jener Fiktion. 614 Gerber nimmt hier ausdrücklich Bezug auf Savigny, der versuchte, der kanonischen Fiktionstheorie zur juristischen Person wieder Geltung zu verschaffen. 615 Im folgenden erörtert Gerber insbesondere die Gemeinden (§ 50 bis § 54) und die Zünfte (§ 55 bis § 57), da deren Charakter als juristische Personen zwar schon vom Gerber, System, S. 77. Gerber, System, S. 81, Fn. 5: Gerber in Schneider’s Jahrb., 1845, S. 700 ff. Gerber hatte eine Abhandlung des Bonner Privatdozenten Johann Friedrich Budde „Über Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit“, Bonn 1842 rezensiert, vgl. auch Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, 1845, S. 697 bis 719 (gleichzeitig dort von Gerber rezensiert: Julius Hillebrand, „Über die gänzliche und theilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre nach den deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters“, Gießen 1844). 609 Gerber, System, S. 95. 610 Gerber, System, S. 95. 611 Gerber, System, S. 96 bis 98. 612 Gerber, System, S. 98. 613 Gerber, System, S. 103. 614 Gerber, System, S. 103. 615 Vgl. Baier, Deutsches Privatrecht, S. 17. 607 608

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

römischen Recht anerkannt wird, ihre „innere Verfassung aber auf eigenthümlichen deutschrechtlichen Grundlagen“ beruht. 616 Im zweiten Abschnitt des dritten Kapitels findet sich eine Erörterung „Von den Gegenständen der Rechte (Sachen)“. Behandelt werden „Bewegliche und unbewegliche Sachen“ in § 58 sowie „Haupt- und Nebensachen“ in § 59. Der Grundsatz, daß eine Sache juristisch als Teil einer anderen behandelt werden kann, beruhend auf ihrer ausschließlichen Bestimmung zum Nutzen der Hauptsache, war nach Gerber schon im römischen Recht bekannt, das deutsche Recht ist aber weitergehend. 617 In den folgenden Paragraphen (§ 60 bis § 63) beschäftigt sich Gerber mit den „dem Verkehr entzogenen Sachen“. Unter diesen öffentlichen Sachen hebt Gerber besonders die Flüsse und öffentlichen Wege hervor. 618 Im dritten Abschnitt des Kapitels über die Rechtsverhältnisse kommt die „Entstehung und Endigung der Rechte“ zur Sprache. Gerber unterscheidet dabei die Alternativen des Rechtsgeschäfts (§ 65), im deutschen Recht oft an eine bestimmte Form geknüpft 619, des Zeitablaufs (§ 66), insbesondere der Verjährung 620 und der Privilegien (§ 67), d. h. die Übertragung von öffentlichen Befugnissen an Privatpersonen. Diese Regalien unterscheiden sich von den Hoheitsrechten durch ihren rein privatrechlichen Charakter. 621 Mehrere Regalien haben nach Gerber die Natur gemeinrechtlicher Institute erhalten, wie u. a. das Mühlen- und Fischereiregal, das Jagdregal und das Postregal. 622 Im vierten Abschnitt setzt Gerber sich mit dem Schutz der Rechte auseinander. Zwar unterscheidet sich nach ihm die gegenwärtige Lehre von den gerichtlichen Schutzmitteln, insbesondere den Klagen und Einreden, vom reinen römischen Recht. Trotzdem befürwortet er eine Behandlung im Zusammenhang mit dem römischen System, da dort ihre Wurzeln zu finden sind. 623 Von den außergerichtlichen Schutzmitteln des deutschen Rechts ist gegenwärtig nur noch das Institut des Pfändungsrechts von Bedeutung 624, das er in den folgenden Paragraphen (§ 69 bis § 71) behandelt. 625 Gerber, System, S. 107. Gerber, System, S. 127. 618 Gerber, System, S. 132 ff. 619 Gerber, System, S. 138. 620 Gerber, System, S. 139. 621 Gerber, System, S. 141. 622 Gerber, System, S. 143. 623 Gerber, System, S. 145. 624 Gerber, System, S. 145. 625 Gerber, System, S. 145–149: Diese Befugnis, sich durch außergerichtliche Besitzergreifung der Sachen des Schuldners zu befriedigen, sieht Gerber gegenwärtig als nur noch in der Anwendung auf Zinsschulden partikularrechtlich anerkannt. Die neuere zivilistische Jurispru616 617

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Gerber selbst beurteilte diesen ersten Teil seines „Systems des deutschen Privatrechts“ negativ:„Ich gestehe, daß ich den ersten Theil – bis ans Sachenrecht – für denjenigen halte, der am Wenigsten befriedigt. Es sind lauter Fragmente, arme und kümmerliche Paragraphen.“ 626 Dem ist wenig hinzuzufügen, da Gerbers Darstellung in der Tat äußerst knapp und komprimiert erscheint. 5. Zweiter Teil: Die einzelnen Privatrechte Der zweite (und letzte) Teil des „Systems des deutschen Privatrechts“, der über zwei Drittel des gesamten Werkes umfaßt, ist den „einzelnen Privatrechten“ gewidmet. Wie bereits erwähnt, ist er nach romanistischem System aufgebaut.627 a) Erstes Buch: Die Rechte an Sachen Im ersten Buch behandelt Gerber die Rechte an Sachen. Es stellen sich hier Probleme hinsichtlich der Systembildung. Das deutsche Rechtsleben im Mittelalter kannte sowohl das volle Eigentum als auch verschiedene Arten der partiellen Unterwerfung einer fremden Sache unter die Herrschaft einer Person.628 Allerdings war man sich nach Gerber über die juristische Natur dieser Rechte nicht im klaren, sie waren „nicht als selbständige Institute mit bestimmtem Inhalte und feststehenden Principien anerkannt“. 629 Man sah in ihnen „keine abgeklärten unabänderlichen Rechtsbegriffe, sondern nur die immer in ähnlicher Weise wiederkehrenden rechtlich gesicherten Thatsachen“. 630 Aus diesem Grund war auch eine innere Gliederung nach Art des römischen Rechts nicht erforderlich. Charakteristisch für diese mittelalterliche Rechtsanschauung in Deutschland ist nach Gerber der Gebrauch des denz habe dem deutschen Pfändungsrecht den ihm fremden Charakter einer Besitzverteidigung beigelegt. 626 Gerber an Ihering, Tübingen, 16. October 1855 [ 50]. 627 Luig in HRG III zur Pandektenwissenschaft, Sp. 1422 ff., 1427 f. beschreibt, daß in den Lehrbüchern der Pandektenwissenschaft die einzelnen Materien des Privatrechts in einem modifizierten Institutionensystem dargestellt wurden, das als „rationeller“ angesehen wurde als die Titelfolge der Pandekten (Puchta, Pandekten § 9 a). Diese übliche Anordnung der zeitgenössischen Pandektenlehrbücher, die auch noch auf die Gliederung des BGB eingewirkt hat, ging auf A. Heise (Grundriß eines Systems des gemeinen Civilrechts 1807) zurück, der seinerseits einer Anregung von Hugo gefolgt war. Auf der Grundlage bestimmter Oberbegriffe von besonderer materieller Bedeutung wurde dabei etwa gegliedert (so Puchta, Pandekten): Rechte an der eigenen Person (z. B. Persönlichkeitsrecht, Besitz), an Sachen, an Handlungen (Obligationenrecht), an Personen (Ehe und Familie), Erbrecht. Gerber hatte die „Rechte an der eigenen Person“ in seinen ersten Teil einbezogen und folgte im zweiten Teil, wohl an Puchta orientiert, dem Modell der Pandektenlehrbücher, beginnend mit dem Sachenrecht. 628 Gerber, System, S. 154. 629 Gerber, System, S. 155. 630 Gerber, System, S. 155.

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Wortes Gewere, dessen allgemeine Bedeutung er als den „Schutz in dem Verhältnis einer Person zu einer Sache“ definiert. 631 Nach Gerber ist die Gewere „die formelle rechtliche Substanz, welche zu einem thatsächlichen Verhältnisse der angegebenen Art hinzutritt, um es als ein rechtlich zu schützendes zu bezeichnen.“ 632 Damit stellt Gerber die bis dahin allgemein anerkannte, auf seinen Lehrer Albrecht 633 zurückgehende Auffassung über die Gewere auf den Kopf. 634 Gerber anerkennt bei Albrecht die „reiche Fülle seiner bedeutenden Forschungen und die geistreiche Methode der Untersuchung“635, hält jedoch sein hauptsächliches Ergebnis für falsch. Er sieht es als Irrtum an, daß Albrecht von der Voraussetzung ausgeht, die Gewere sei ein Rechtsinstitut mit innerer selbständiger prinzipieller Gliederung, ein Rechtsinstitut mit materiellem Gehalt, das seine eigene Stellung in einem Rechtssystem des Mittelalters gehabt habe.636 Da nach Gerber gemäß der unbewußten mittelalterlichen Anschauungsweise die Gewere etwas rein Formelles ohne jeglichen materiellen Inhalt war, bestand kein Bedürfnis, „dem wirklichen materiellen Substrat der Gewere, dem Rechtsverhältniß, eine besondere juristische Natur abzugewinnen“ 637. Gerber sieht darin jedoch „nichts Volksthümliches oder Originelles, sondern nur eine Unvollkommenheit, wie sie in Zeiten geringer Bildung vorübergehend stattfinden kann“. 638 Zugleich aber zieht er Schlüsse hinsichtlich der Systematik: „Eine Unvollkommenheit des Denkens kann sich aber in der geistigen Bewegung eines Volks zu keinem System fixieren.“ 639 Gerber schlägt daher vor, bei der Untersuchung der aus dem deutschen Recht hervorgegangenen Rechte an Sachen die rein formelle Gewere auszuklammern und sich auf die materiellen Rechtsideen zu konzentrieren. 640 Dieses Ausweichen kann als symptomatisch für die Verlegenheit, in welcher sich die konstruktive Jurisprudenz gegenüber dem älteren Recht stets befand 641, angesehen werden. Ihering bemerkte nach der Lektüre dieses Teils des „Systems“: „Ihre Charakteristik des deutschen Sachenrechts hat mich sehr angesprochen, und obgleich ich zu sehr Laie bin, um ein Urtheil abgeben zu können, so will mir scheinen, als ob ihre Idee, daß die Gewere nur ein äußerlich zu den verschiedenartigen faktisch-realen Benutzungsarten der Sachen hinzutretendes Moment ist, durchaus annehmbar sei.“642 Gerber, System, S. 156. Gerber, System, S. 156. 633 Albrecht, Die Gewere als Grundlage des älteren Deutschen Sachenrechts, 1828; vgl. dazu Borsdorff, Albrecht, S. 234 ff. 634 Losano, Bd. 2, S. 96. 635 Gerber, System, S. 157, Fn. 3. 636 Gerber, System, S. 157, Fn. 3. 637 Gerber, System, S. 158. 638 Gerber, System, S. 158. 639 Gerber, System, S. 158. 640 Gerber, System, S. 160. 641 Kroeschell, Zielsetzung, S. 274. 642 Ihering an Gerber, Kiel, 23. Mai 1850 [3]. 631 632

II. System des deutschen Privatrechts 1848 und 1849

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In § 74 kommt Gerber auf eine seiner Grundthesen, die fehlende Abgrenzung von öffentlichem und Privatrecht im Mittelalter, zurück, die seiner Meinung nach auch von nachhaltigstem Einfluß auf das deutsche Sachenrecht war. Das öffentliche Recht als „fremdartiger Bestandteil“ 643 wirkte auf das Privatrecht einerseits durch Erzeugung neuer Rechtsinstitute mit entsprechendem Doppelcharakter, andererseits durch bloße Modifizierung einfacher Institute ein. 644 Gerber nennt als Beispiele das Lehnrecht, die Verhältnisse der Gutsherrn und der Bauern und die Reallasten645, bei denen jeweils ein „auf eine sachenrechtliche Grundlage gestütztes Herrschafts- oder Subjektionsverhältnis“ hervortritt. 646 Privatrechtlich aufgefaßt handelt es sich dabei um eine komplizierte Verbindung persönlicher und dinglicher Rechte. 647 Unter den durch das öffentliche Recht hervorgerufenen Ideen hebt Gerber die Bedeutung von Grund und Boden sowie der Immobilien überhaupt hervor, deren Eigentum den Genuß der vollen Freiheitsrechte bedingt. 648 So sind u. a. die Öffentlichkeit des Erwerbs, Veräußerungsbeschränkungen durch die Familie und eine „geringe Würdigung der fahrenden Habe“ darauf beruhende Züge des deutschen Sachenrechts. 649 Trotz der selbständigen deutschen Rechtsideen und Rechtsinstitute hat nach Gerber „das Princip der Dinglichkeit selbst, wie es im römischen Rechte liegt, keine Veränderungen erfahren“. 650 Dieser Maßstab wurde bei der Rezeption auf die einheimischen Rechtsinstitute übertragen, wobei jedoch Schwierigkeiten bei den Instituten auftraten, die aus persönlichen und dinglichen Elementen gemischt waren. Eine Lösung kann nur durch genaue Analyse der in den Rechtsinstituten liegenden Elemente gefunden werden, wodurch sich bestimmen läßt, ob der dingliche oder persönliche Charakter vorherrscht. 651 Hier ist eine der wenigen Passagen im materiellen Teil des „Systems“ erkennbar, in der Gerber auf seine in der Vorrede entwikkelten theoretischen Ansatzpunkte Bezug nimmt. In diesem Zusammenhang findet Gerber hier erneut Gelegenheit, sein wissenschaftliches Credo zu formulieren: „Es ist eine wichtige Aufgabe der heutigen Wissenschaft, die bunte Mannichfaltigkeit deutschrechtlicher Stoffe zu ordnen und durch Anknüpfung an feste Begriffe zu erhalten; denn der reichste Inhalt würde gefährdet sein, wenn ihm die Gewähr begrifflicher Formen abginge.“ 652 Hier verteidigt Gerber, System, S. 160. Gerber, System, S. 160. 645 Diese sind jedoch seiner Ansicht nach nicht als dingliche Rechte anzusehen (vgl. im einzelnen unten). 646 Gerber, System, S. 160. 647 Gerber, System, S. 161. 648 Gerber, System, S. 161. 649 Gerber, System, S. 161. 650 Gerber, System, S. 162. 651 Gerber, System, S. 162/163. 652 Gerber, System, S. 163. 643 644

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

sich Gerber auch einmal mehr gegen den häufig erhobenen Vorwurf, er zwänge die germanistischen Stoffe in römische Formen und beraube sie dadurch ihrer Eigentümlichkeit. Dies sei dann begründet, wenn „ein deutschrechtliches einzelnes Institut in die Form eines ähnlichen, aber doch verschiedenen römischen Instituts gequält“ 653 würde. Jedoch ist es für ihn ein „trauriger Abweg“, auf den der Vorwurf zielt, wenn man „die Eigenthümlichkeit deutschrechtlicher Institute oft durch eine bloße Beschreibung ihres Inhalts und gänzliche Vernachlässigung ihrer Verbindung mit den obersten Principien des Rechts zu retten suchte.“ Es ist charakteristisch für Gerbers Denkweise, wenn er gleich darauf feststellt: „Die richtige Form gewährt dem Individuellen, so wie das Recht dem Menschen, erst die eigentliche Freiheit der Bewegung.“ Es ist aber nach Gerber kein einseitiger Romanismus, wenn man diese Form „im Bereiche der juristischen Bildung, welche unsere Zeit der Aufnahme des römischen Rechts als Kulturelements verdankt“, sucht. 654 Das zweite Kapitel des ersten Buchs behandelt in relativer Breite das Eigentum (§ 76 bis § 102). 655 Zunächst geht Gerber näher auf den Inhalt des Eigentums, allgemein als die „völlige Herrschaft einer Person über eine Sache“ 656 definiert, ein. Da das Rechtsinstitut im mittelalterlichen Rechtsleben nicht als scharfer Begriff erfaßt wurde, verwendete man den Begriff Eigentum häufig mißbräuchlich zur Bezeichnung der das Vermögen einer Person ausmachenden Rechte. Aus dem gleichen Grund wurde ein Miteigentum mehrerer Personen an einer Sache anerkannt, ohne daß man sich dabei einer Beschränkung auf ideelle Anteile bewußt war. 657 Gerber lehnt den Begriff des Gesamteigentums, „wonach jedem Interessenten ein Eigenthum an der ganzen Sache zustehen solle“ als „der Natur des Eigenthums absolut widerstrebende Vorstellung“, die „bei genauerer Betrachtung im deutschen Recht durchaus keine Begründung“ findet, strikt ab. 658 Bei den dafür angeführten Fällen handelt es sich für ihn „um das Eigentum einer juristischen Person, oder um eventuelle Successionsrechte, oder um ein in seiner Ausübung suspendirtes Eigenthum oder endlich um ein Miteigenthum nach ideellen Theilen“.659 Unter der Überschrift „Modificationen des Inhalts“ des Eigentums behandelt Gerber zum einen das Eigentum an Rittergütern (§ 79), zum anderen das Eigentum an Bauerngütern (§ 80). 660 Als „Beschränkung des Inhalts“ des Eigentums bespricht Gerber als erstes die „Beschränkung des Veräußerungsrechts“. Dabei bezieht er sich Gerber, System, S. 163, Fn. 2. Gerber, System, S. 163, Fn. 2. 655 Gerber, System, S. 164–231. 656 Gerber, System, S. 164. 657 Gerber, System, S. 165. 658 Gerber, System, S. 169. 659 Gerber, System, S. 170. 660 Dabei führt er aus, dieselben geschichtlichen Gründe, die für die Rittergüter „eine Steigerung des Eigenthums herbeiführten“, hätten auf die Bauerngüter „in der entgegengesetzten Richtung gewirkt“, Gerber, System, S. 175. 653 654

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bei der Entwicklung der „sehr dunkle(n) Geschichte des Rechts der Familie am Grundeigenthum“ u. a. auch auf seine Erlanger Antrittsvorlesung von 1847, die „Meditationes ad locum Speculi juris Saxonici“ 661. Das Grundeigentum als die wesentliche Bedingung der vollen staatsrechtlichen Befugnisse kam auch allen Familienmitgliedern zugute, die mit seinem Inhaber in einem Erbverband standen und in ihm den Vertreter ihrer eigenen Interessen erkannten. 662 Den höchsten Grad erreichte die Beteiligung der Familie im mittelalterlichen Recht, wie es der Sachsenspiegel 663 darstellt. Hier findet sich die Berechtigung der nächsten Erben, alle Veräußerungen des Grundeigentums und der diesen gleichgestellten Rechte an Dritte – falls sie nicht durch den Fall echter Not veranlaßt waren – zu annullieren und das veräußerte Objekt mit der gleichen Wirksamkeit wie bei der Vindikation ererbter Gegenstände zurückzuerlangen. 664 Dieser Grundsatz ist nach Gerber allerdings kein geltendes Recht mehr. Aus ihm haben sich jedoch gegenwärtig gültige, wenn auch teilweise kritisch angesehene Institute wie die Stammgüter (die Gerber in § 82 bespricht) und insbesondere die Familienfideikommisse entwickelt, denen Gerber eine längere Erörterung in den Paragraphen 83 und 84 widmet. Nach einem kurzen Abriß der geschichtlichen Entstehung des Instituts des Familienfideikommisses charakterisiert Gerber seine gegenwärtige Bedeutung folgendermaßen. Konstitutiv ist die Bestimmung, „daß ein Gut unveräußerlich auf alle Geschlechtsfolger des Constituenten oder eines Dritten bis zum Ausgang des Stammes und Namens zur Erhaltung des Familienglanzes übergehen solle“ 665. Errichter kann „im Zweifel Jeder, welcher Dispositionsbefugnis über einen zur Gründung des Familienfideikommisses geeigneten Gegenstand hat“ sein, wobei allerdings manche Partikularrechte diese Fähigkeit zur Errichtung allein dem Adel zuschreiben.666 Als Gegenstand kommt nur „eine dauernde, fruchttragende Sache, also Grundstükke oder Capitalien“ in Frage. Die Errichtung erfolgt durch den im Testament oder Erbvertrag ausgesprochenen Willen des Constituenten. Bei dem zur Autonomie berechtigten Adel (also nicht dem niederen Adel) genügt „eine bloße hausgesetzliche Bestimmung der Unveräußerlichkeit seiner Stammgüter“. 667 Das Thema Familienfideikommiss erörtert Gerber später noch ausführlich in drei Aufsätzen. Gerber, System, S. 177/178, Fn. 1. Gerber, Meditationes, S.11, vgl. System, S.178, Fn. 2: „Daselbst sind auch die Ansichten derer zu widerlegen versucht, welche das Recht der nächsten Erben auf ein anderes als das genannte Motiv stützen, und die Existenz einer solchen Berechtigung der Erben in der ältesten germanischen Zeit in Abrede stellen. Daß man mit einem väterlichen Gefühl für die Erben Nichts erklären kann, geht aus der Geschichte der römischen Suität hervor, welche trotz ihrer bedeutenden Wirksamkeit doch nicht entfernt zu jenem Ziele führte.“ 663 Sachsenspiegel I, 52. § 1; „Ane erven gelof.“ – Gerber zitiert die Textstelle, auf die er seine „Meditationes“ aufgebaut hat. 664 Gerber, System, S. 179. 665 Gerber, System, S. 186. 666 Gerber, System, S. 186/187. 667 Gerber, System, S. 187. 661 662

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Im Anschluß an das Familienfideikommiss behandelt Gerber in seinem Lehrbuch als weitere Beschränkung des Inhalts des Eigentums die Beschränkung des Gebrauchs und der Benutzung. 668 Als erstes geht er dabei auf das Eigentum an Waldungen (§ 85) ein, bei dem die Polizeigewalt des Staates wegen des ganz besonderen Interesses der Waldungen für das Gemeinwohl hervortritt. 669 Als zweites wird die Beschränkung des Eigentums an Grundstücken (§ 86) durch Rechte Dritter, wie beispielsweise die Schürffreiheit, also das Recht, auf fremden Grundstücken nach Fossilien zu suchen, erwähnt. 670 Beim Eigentum an Gebäuden (§ 87) werden ebenfalls mögliche Beschränkungen durch polizeiliche Vorschriften, d. h. die partikularrechtlichen Bauordnungen, hervorgehoben. 671 Nachdem er unter I. den Inhalt des Eigentums dargestellt hat, behandelt Gerber unter II. den Erwerb des Eigentums. Er unterscheidet A. derivativen Erwerb 672 und B. originären Erwerb. 673 Zu ersterem bespricht er in § 89 den Erwerb durch gerichtliche Auflassung und in § 90 den durch Expropriation. 674 Als originären Erwerb behandelt Gerber recht ausführlich die Okkupation675: Er unterscheidet hier die „Occupation wilder Tiere“ in § 92 und § 93, insbesondere im Rahmen der Jagdberechtigung, die „Occupation von Fischen“ (§ 94) sowie die „Occupation von Fossilien“, d. h. allgemein Bodenschätzen, die er breit in § 95 bis § 98 diskutiert. Des weiteren nennt er den Erwerbstatbestand der „Accession“ (§99), wonach das einem Grundstück angespülte Land und das Bett eines öffentlichen Flusses, sobald es ganz bzw. teilweise vom Wasser verlassen wurde, dem Eigentümer des anliegenden Grundstücks als natürliche Fortsetzung seines Grundstücks anwächst. 676 Anschließend wendet er sich dem Eigentumserwerb an Früchten (§ 100) und der Ersitzung (§ 101) zu. Zum Schluß stellt Gerber unter III. kurz den Schutz des Eigentums dar (§102). Er erwähnt die Beschränkung der Vindikation von beweglichen Sachen („fahrender Habe“) durch das ältere deutsche Recht, wenn diese mit Einverständnis des Eigentümers in den Besitz eines anderen gekommen waren. Hier war eine Klage nur gegen den ursprünglichen Empfänger, nicht aber gegen spätere Besitzer zulässig. 677 Gerber, System, S. 191 ff. Gerber, System, S. 192. 670 Gerber, System, S. 193–195. 671 Gerber, System, S. 195/196. 672 Gerber, System, S. 198 ff. 673 Gerber, System, S. 205. 674 Eine solche „zwangsweise Abtretung von Grundstücken im öffentlichen Interesse“ an den Staat oder eine Gemeinde wird jedoch ausdrücklich auf bestimmte enumerative Fallkonstellationen beschränkt, in denen zudem voller Schadensersatz zu leisten ist, Gerber, System, S. 203–205. 675 Gerber, System, S. 205–224. 676 Gerber, System, S. 224/225. 677 Gerber, System, S. 228–230: Dieses Prinzip, das zu Gerbers Zeit partikularrechtlich verankert war (und auch noch im heutigen BGB gilt), wird durch das Sprichwort „Hand muß Hand 668 669

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Aus Verkehrsschutzgesichtspunkten ist in neueren Gesetzen die Vindikation gegen den gutgläubigen Besitzer eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen, was Gerber als zu weitgehend ansieht. 678 Im dritten Kapitel, das den Titel „Rechte an fremden Sachen“ trägt, behandelt Gerber im ersten Abschnitt auf immerhin 86 Seiten das Lehnrecht (§ 103 bis § 137). 679 In anderen zeitgenössischen Darstellungen des deutschen Privatrechts wird das Lehnrecht entweder überhaupt nicht 680 oder jedenfalls nicht innerhalb des Sachenrechts besprochen. 681 Gerber selbst stellt fest, daß das Lehnrecht seine Bedeutung für den Staat verloren hat und auch für den Privaten sein wesentliches Interesse geschwunden ist, weil das heutige Recht befriedigendere Formen zur Verfügung stellt. 682 Es hat demnach seine Bedeutung eingebüßt, wobei sich die Frage stellt, warum Gerber diesem Gegenstand dann in seinem Lehrbuch eine so ausführliche Darstellung widmet und diese auch in späteren Auflagen über vierzig Jahre lang beibehält. Gerber erörtert den Gegenstand des Lehens (§106 bis § 108), die subjektive Lehnsfähigkeit hinsichtlich der Person des Lehnherrn (§ 109) und des Vasallen (§ 110) sowie die Entstehung des Lehens (§111 bis § 118) 683. Einen breiten Raum nehmen in Gerbers Darstellung die Rechtsverhältnisse der Lehnspersonen untereinander (§ 119 bis § 130) ein, woran sich die Rechtsverhältnisse der Lehnspersonen gegen Fremde (§ 131 bis § 133) anschließen. Den Abschluß dieses Abschnittes bilden die Möglichkeiten der Beendigung des Lehnsverhältnisses (§ 134 bis § 137). Auch in den späteren Auflagen des Systems blieb die Darstellung des Lehnrechts fast unverändert erhalten. 684 wahren“ oder auch „wo man seinen Glauben gelassen hat, muß man ihn wieder suchen“ ausgedrückt. 678 Gerber, System, S. 230/231. 679 Gerber, System, S. 231–317. 680 Z. B. Gengler, Bluntschli, Stobbe. 681 Mit Ausnahme Beselers, der es in der ersten Auflage ausführlich als sechstes Kapitel des Sachenrechts darstellt; Hillebrand behandelt das Lehenrecht als sechstes Buch unter dem Titel „Eigenthümliche Güterverhältnisse“; Kraut benennt sein Sechstes Buch „Von den Lehen, Stammgütern und Familienfideikommissen“. 682 Gerber, System, S. 234. 683 Neben der detailliert beschriebenen Investitur kommt hier auch eine Ersitzung (§ 118) in Frage. 684 Gerber formulierte nur die Passage über den Übergang der Rechte des Lehnsherrn an den Vasallen (Appropriation) in § 137 neu, wie ein Vergleich der 2. Auflage, S. 315/316 mit der 16. Auflage ergibt: Der Passus: „Das Recht des Vasallen hat keine Hinneigung, sich das Eigenthum des Herrn beizufügen; dies ist nur der Fall bei dem Rechte des Lehnsherrn, welches danach strebt, die durch Abtrennung seines materiellen Gehalts entstandene Beschränkung aufzuheben“ wird zu „Das Recht des Vasallen hat nicht die Anlage, daß es aus sich selbst zu vollem Eigenthum, d. h. zur Aufnahme des lehnsherrlichen Rechts heranwachsen könnte; nur in dem Rechte des Lehnsherrn liegt das natürliche Streben nach einer die Rechte des Vasallen aufnehmenden Erweiterung, da diese hier lediglich als Wiederaufhebung einer Beschränkung erscheint“. Durch die Neuformulierung wurde die Verständlichkeit erhöht, ohne allerdings zu völliger Klarheit auf den ersten Blick zu gelangen.

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Der zweite Abschnitt des dritten Kapitels behandelt die Nutzungsrechte an Bauerngütern (§ 138 bis § 143) 685. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit den Servituten (§ 144 bis 148), d. h. den dinglichen Nutzungsrechten 686. Der vierte Abschnitt schließlich ist dem Pfandrecht gewidmet (§ 149 bis § 152) 687. Zunächst wird das Pfandrecht an Immobilien behandelt, und zwar neben dem älteren Hypothekenrecht (§ 150) auch das neueste Hypothekenrecht (§ 151). In den neuesten Hypothekengesetzen 688 werden die Grundsätze der Publizität und Spezialität der Pfandrechte verwirklicht: Zum einen gelten nur Hypotheken, die in das entsprechende Hypothekenbuch eingetragen sind, zum anderen werden nur Hypotheken auf einzelne Grundstücke und für bestimmte Summen eingetragen. 689 Zum Pfandrecht an Mobilien (§ 152) stellt Gerber lapidar fest, daß hier auch nach vielen neueren Pfandgesetzen nur ein Faustpfand bestellt werden kann. 690 An Gerbers Sachenrecht ist, neben der ausführlichen Behandlung des Lehnrechts, vor allem auffallend, daß er dem Immobiliarsachenrecht nur einen sehr bescheidenen Platz einräumt. So behandelt er das „neue Hypothekenrecht“ nur innerhalb seiner Darstellung des Pfandrechts, worin Gerbers Lehrer Albrecht eine „zu beschränkte Wirkung“ 691 der neuen Hypothekenbücher sah. b) Zweites Buch: Die Rechte an Handlungen Das zweite Buch des „Systems“, 1849 erschienen, hat als erstes „Die Rechte an Handlungen“ zum Inhalt. Im ersten Kapitel mit dem Titel „Von den Forderungsrechten überhaupt“ stellt Gerber in § 153 bis § 173 eine Art allgemeinen Teil des Obligationenrechts dar. In einer Einleitung (§ 153 bis § 155) erörtert Gerber, daß die obligatorischen Beziehungen in den mittelalterlichen Quellen infolge der Bedeutung des Grundeigentums eine wesentlich schwächere Ausbildung erfahren haben als das Sachenrecht, und daß dadurch die Rezeption des römischen Obligationenrechts beGerber, System, S. 317–337. Gerber, System, S. 337–345: Gerber beschreibt die Hut- und Weidegerechtigkeit (§ 145) als das Recht, auf ein fremdes Grundstück Vieh zum Zweck des Weidens zu treiben, die Triftgerechtigkeit (§ 146) als das Recht, über das Grundstück eines Dritten Vieh zu treiben, sowie Servituten an Gebäuden (§ 147), z. B. Leiterrecht, Hammerschlagrecht und Lichtrecht und an Waldungen (§ 148), wie u. a. Beholzungsrecht und Mastgerechtigkeit. Bei letzterer handelt es sich um die Befugnis, Schweine in einen fremden Wald zum Zwecke der Fütterung mit den abgefallenen Eicheln zu treiben (Gerber, System, S. 344). 687 Gerber, System, S. 345–354. 688 Zu diesen zählt Gerber neben dem Preußischen Landrecht, Teil 1, Titel 20 und der Preußischen Hypothekenordnung von 1783 u. a. auch Art. 447–471 des Österreichischen Gesetzbuchs, das Bayrische Hypothekengesetz von 1822 und das Königlich Sächsische Hypothekengesetz von 1843, System, S. 350 Fn. 1. 689 Gerber, System, S. 351: Es gibt somit keine Generalhypotheken mehr. 690 Gerber, System, S. 353. 691 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6, HStA Dresden. 685 686

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günstigt wurde 692, zumal sich die Grundsätze des Obligationenrechts in einer „von allen örtlichen und particulären Einwirkungen freien, kosmopolitischen Sphäre“ 693 bewegen. Somit werden gegenwärtig die allgemeinen Grundsätze des Obligationenrechts fast ausschließlich aus dem römischen Recht entlehnt.694 Dagegen finden sich unter den einzelnen Obligationen, die mehr auf individuellen Gegebenheiten beruhen und von jedem Volk selbständig erzeugt werden, zahlreiche Hervorbringungen des „deutschen Volksgeistes“ 695, insbesondere auch auf dem Gebiet des Handelsrechts. Diese „romanisierende“ Argumentation dürfte auf die Mehrzahl von Gerbers Germanistenkollegen wenig überzeugend gewirkt haben. Vom Aufbau her bespricht Gerber zunächst (im ersten Kapitel) die deutsch-rechtlichen Besonderheiten hinsichtlich der allgemeinen Theorie der Forderungsrechte und anschließend (im zweiten Kapitel, § 174 bis § 220) den juristischen Inhalt der einzelnen Obligationen. Er widmet einen kurzen Abschnitt I den Subjekten der Forderungsrechte (Gläubiger und Schuldner), unter II. wird wesentlich ausführlicher die Entstehung der Forderungsrechte behandelt (§ 158 bis § 172). Als Entstehungsgründe werden 1. Verträge 696, 2. Unerlaubte Handlungen 697 und 3. Zustände 698 unterschieden. Bei ersteren stellt Gerber vor allem die besonderen Formen der Verträge heraus, so zunächst die Schriftform (§ 159) wobei ein gesonderter Paragraph (§ 160) 699 den Papieren auf den Inhaber gewidmet wird. Gerber unterstreicht, daß in diesem Fall das Schriftstück selbst zum alleinigen Träger des verpflichtenden Willens wird. 700 In späteren Auflagen spitzt Gerber diese Formulierung im folgenden noch weiter zu. Die Schuldurkunde habe hier „eine ganz andere Function als gewöhnlich, wo sie nur ein Beweismittel für die an und für sich bestehende Obligation ist“, sie sei „der verkörperte Wille des Schuldners, der sonst nirgends, der nur in ihr vorhanden ist“ 701. Es handelt sich hier um eine der wenigen Stellen, in denen Gerber im materiellen Teil seines Lehrbuchs auf die von ihm theoretisch überhöhte Bedeutung des Personenwillens zurückkommt. Als weitere besondere Vertragsformen beschreibt Gerber die gerichtliche Abschließung oder Bestätigung (§ 161), die in zahlreichen neueren Gesetzen für den Abschluß bestimmter Verträge 702 aus öffentlichem Interesse vorgesehen sind. Abschließend wird in wenigen Zeilen (§ 162) die Wechselform behandelt. Gerber, System, S. 355/356. Gerber, System, S. 357, Fn. 1. 694 Gerber, System, S. 257; Diese These hatte Gerber bereits in der Duncker-Rezension vertreten, vgl. Krit. Jahrbücher 1846, S. 313. 695 Gerber, System, S. 258. 696 Gerber, System, S. 364 ff. 697 Gerber, System, S. 375 f. 698 Gerber, System, S. 376 ff. 699 In späteren Auflagen § 161. 700 Gerber, System, S. 368. 701 Gerber, System, 8. Auflage, S. 407. 702 Gerber zählt verschiedene Beispiele auf, vgl. Gerber, System, S. 371, Fn. 4. 692 693

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Nach einer kurzen allgemeinen Beschreibung der Unerlaubten Handlungen in § 165 wendet sich Gerber unter 3. den „Zuständen“ als Entstehungsgrund für Forderungsrechte zu (§ 166 bis § 171). Es handelt sich dabei um eine systematische Besonderheit bei Gerber. Er erläutert einleitend, daß zur Erzeugung einer Obligation nicht immer eine Handlung notwendig ist, sondern daß es Verpflichtungen gibt, die mit dem Eintritt in einen bestimmten Zustand (wie beispielsweise Erbrecht, Verwandtschaft und im deutschen Recht insbesondere der Besitz unbeweglicher Güter) unwillkürlich gegeben sind. 703 Der letzte Gesichtspunkt bringt Gerber dazu, als einer der wenigen Autoren seiner Zeit die Reallasten unter die Forderungsrechte einzuordnen. Er sieht hier eine geeignete Stelle zur allgemeinen Darstellung dieses Instituts, wobei er sich die Erörterung der speziellen Arten bei den einzelnen Obligationen vorbehält. Die §§ 167 bis 171 stellt Gerber unter die Überschrift „Von den Reallasten insbesondere“. Nach seiner Definition handelt es sich dabei um Obligationen, die durch die Anknüpfung an ein Grundstück „perpetuiert und so in Rücksicht auf ihre Dauer den Rechten an Sachen gleichgestellt werden“ 704. Gerber sieht die der Reallast entsprechende Berechtigung als wirkliches Forderungsrecht, wobei die Verpflichtung des Schuldners zu einzelnen wiederkehrenden Leistungen nicht als einzelne selbständige Obligationen, sondern als eine einzige unerschöpfliche Verbindlichkeit zu betrachten ist. 705 Als häufigsten Inhalt der Reallasten bezeichnet er Grundzinsen, Renten und Gülten. 706 Als Entstehungsgrund für eine Reallast nennt Gerber erstens einen qualifizierten Vertrag 707, wobei es eines „Aktes, welcher die Anknüpfung der Verbindlichkeit an das Grundstück darzustellen vermag“ 708, bedarf, d. h. in der Regel der gerichtlichen Eintragung in das öffentliche Grundbuch. Zweitens kann eine Reallast durch letztwillige Verfügung und denselben gerichtlichen Akt begründet werden. 709 Zum Erlöschen der Reallasten (§ 171) führt nach Gerber neben den allgemeinen Aufhebungsgründen 710 auch die in neueren Gesetzen vorgesehene Verpflichtung des Berechtigten, sein Recht gegen eine Ablösesumme an den Verpflichteten aufzugeben, sowie der Untergang des belasteten Grundstücks. 711 Gerber, System, S. 376. Gerber, System, S. 378. 705 Gerber, System, S. 380. 706 Gerber, System, S. 382; unter Gülten sind generell Geldschulden, aber auch Leibrenten, die man sich für Lebenszeit erkauft, zu verstehen (Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 4, Sp. 1255 ff.). 707 Gerber, System, S. 383. 708 Gerber, System, S.384; Durch Verjährung erfolgt dagegen keine Aufhebung der Reallast, was allerdings die Möglichkeit einer Verjährung der Klage nicht ausschließt, Gerber, System, S. 384/385. 709 Gerber, System, S. 385. 710 Wie Vertrag und Konfusion, indem der Verpflichtete das berechtigte Grundstück erwirbt. 711 Gerber, System, S. 389. 703 704

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Ihering äußerte über die Behandlung der Reallasten in Gerbers Lehrbuch, sie sei „ganz vortrefflich, ich möchte sagen ein wirklich römisches Kunstprodukt“ 712, was aus der Perspektive der Germanisten wohl ein eher zweifelhaftes Kompliment darstellt. Begeistert fuhr er fort: „Wie einfach stellt sich alles heraus, wenn man nur erst den richtigen Gesichtspunkt gefunden hat, aber da steckt freilich der Knoten, und es steckt eine ganz andere Arbeit dahinter, als die Leute, wenn der Gesichtspunkt erst da ist, glauben.“ 713 Mit dem Thema Reallast beschäftigte sich Gerber auch außerhalb seines Lehrbuchs eingehender und widmete ihm zwei Aufsätze.714 Im zweiten Kapitel des zweiten Buches behandelt Gerber die einzelnen Forderungsrechte. Es handelt sich hier um den systematisch modernsten Teil des Werks. 715 Gerber behandelt die gängigen Vertragstypen, wie beispielsweise Kauf-, Pacht- und Mietvertrag, räumt aber auch ausgefalleneren Gebieten, wie z. B. dem Handelsrecht und dem Verlagsvertrag, einen Platz ein. 716 Bei der Darstellung des Kaufs unter I. (§ 174 bis § 179) nimmt der Zwangskauf beim Näherrecht (Retract) 717 in § 175 und § 176 einen relativ breiten Raum ein. Der Retrakt ist nach Gerber kein dingliches, sondern ein persönliches Recht, jedoch auch kein eigentliches Vorkaufsrecht. 718 Nach Gerber ist die Natur des Retrakts nur die, daß ein Grundstück aus der Hand eines Dritten zurückgezogen wird. Es sei vielmehr „die Verpflichtung eines Käufers, eine dritte Person in den von ihm abgeschlossenen Kauf eintreten zu lassen.“ 719 Dem Abschnitt II. „Pacht und Miethe“ (§ 180 bis § 185) unterstellt Gerber auch die sog. „Dienstmiethe“, d. h. die „Gesindemiethe“ in § 181 720, sowie den Gesellenvertrag in § 182. Ebenso wird hier die „Transportverdingung“ (§ 183 bis § 185) erörtert. Ein wenig überraschend mutet es an, daß Gerber unter Punkt III. der Forderungsrechte die „Verpflichtung zu Frohndiensten“ diskutiert. Dabei stellt er jedoch ab-

Ihering an Gerber, Gießen, 18. December 1852 [18]. Ihering an Gerber, Gießen, 18. December 1852 [18]; Losano ist der Auffassung, daß sich Ihering hier auf den dritten Abschnitt, Servituten, der den ersten Band von Gerbers System abschließt, bezieht, vgl. Losano Bd. 1, S. 58, Fn. 3. Es ist dann aber unklar, weshalb Ihering ausdrücklich von den Reallasten spricht und nicht die korrektere Bezeichnung wählt. 714 Gerber, Zur Theorie der Reallasten, 1858, und Reallast und Realschuld, 1863. 715 Vgl. dazu Losano, Bd. 2, S. 97. 716 Gebiete wie das Handelsrecht wurden üblicherweise nicht in das Schuldrecht eingegliedert, sondern separat dargestellt. 717 Das Näherrecht/Retraktrecht ist im mittelalterlichen deutschen Recht ein Anrecht bestimmter nahestehender Personen auf ein Gut im Falle von dessen Veräußerung oder Vererbung; d. h. das heutige Vorkaufsrecht. 718 Gerber, System, S. 397; letztere Ansicht hatte Gerber zufolge Eichhorn vertreten. 719 Gerber, System, S. 397/398. 720 In Anlehnung an die römische cocatio conductio operis, vgl. dazu Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 102. 712 713

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schließend fest, daß die „Frohnden, welche aus Vogtei und Gutsherrschaft ... hervorgegangen sind ... jetzt meistenteils sogar ohne Entschädigung aufgehoben“ sind. 721 Die Zins- und Rentenforderungen in Abschnitt IV. nehmen einen relativ breiten Raum ein (§ 187 bis § 192). Neben den zinsbaren Darlehen (§ 187) und den „Realzinsen“ aus einem Grundstück (nach den über die Entstehung der Reallasten geltenden Grundsätzen; § 188 bis § 190) findet die Leibrente bzw. der „Leibzuchtsvertrag“ (§§ 191 und 192) Erwähnung. 722 In einem kurzen Abschnitt V. über Spiel und Wette (§§ 193 und 194) hält Gerber fest, es entspreche dem vielfach bezeugten Rechtsbewußtsein, daß „zwar die Rückforderung bezahlter Spielschulden unzulässig, dagegen aber auch die Klage auf Zahlung noch nicht berichtigter Spielschulden ausgeschlossen sei“723. Besonderes Augenmerk ist auf Abschnitt VI. zu richten, der den Gesellschaftsvertrag, insbesondere die Handelsgesellschaften, zum Inhalt hat. Ursprünglich beschreibt Gerber nur die Grundsätze der Offenen Handelsgesellschaft (§ 196), der „Commanditengesellschaft“ (§ 197) und der „Actiengesellschaft“ (§ 198). Nach Inkrafttreten des ADHGB, an dessen Ausarbeitung Gerber, wie erwähnt 724, mitgewirkt hat, arbeitet er diesen Abschnitt um. Er verweist in den Fußnoten jeweils auf die entsprechenden Paragraphen des ADHGB. Auch bei der Klassifizierung der verschiedenen Handelsgesellschaften bezieht er sich ausdrücklich auf die Bestimmungen des ADHGB. 725 Den Aufbau seiner Darstellung verändert er seit der 10. Auflage, indem er in § 196 die OHG, in § 196 b die Commanditgesellschaft, in § 197 die stille Gesellschaft, in § 198 die Actiengesellschaft und in § 198 b die Commanditgesellschaft auf Actien behandelt. Im allgemeinen Teil des Obligationenrechts erweitert er den Abschnitt I. über die Subjekte der Forderungsrechte um einen speziellen Teil „Im Handelsverkehr“. Dort behandelt er den Kaufmannsbegriff (§ 157) sowie die an diese Stellung geknüpften Erfordernisse der Firma und der Eintragung in das Handelsregister (§ 157 b). Einen neugefaßten § 158 widmet er den „Hülfspersonen des Kaufmanns“ als denjenigen, die in seinem Namen Rechtsgeschäfte abschließen dürfen, nämlich den Prokuristen und den Handlungsbevollmächtigten. § 158 b schließlich beschreibt die „Handelsmäkler“, d. h. „Personen, welche gewerbsmäßig den Abschluß von Handelsgeschäften nur vermitteln“. 726 Gerber, System, S. 419. Gerber, System, S. 434: Danach verpflichtet sich jemand „gegen Empfang eines Capitals oder eines nach seinem Geldwerthe bestimmten Gegenstandes ... einem Dritten eine lebenslängliche Jahresrente zu zahlen.“. 723 Gerber, System, S. 437/438; ein von Germanisten allgemein geteilter Grundsatz, der später Eingang in § 762 I BGB fand, wonach es sich bei Spiel und Wette um Naturalobligationen handelt. 724 Vgl. oben Erster Teil, Kapitel VII. 725 Gerber, System, 16. Auflage, S. 322, Fn. 2. 726 Gerber, System, 16. Auflage, S. 261. 721 722

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Gerbers Beschäftigung mit dem Handelsrecht schlug sich auch in einem Aufsatz über den ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuches nieder. 727 Ein gesonderter, wenn auch nur anderthalb Seiten umfassender Abschnitt VII (§ 199) veranschaulicht bereits in den ersten Auflagen des „Systems“ die Anwendung des Mandats im deutschen Handelsverkehr. 728 Besonderes Interesse brachte Gerber dem in Abschnitt VIII. geschilderten Verlagsvertrag (§ 200) entgegen. Bemerkenswerterweise reiht er diese relativ spezielle Vertragsform in seinem Lehrbuch unter die grundlegenden Obligationen ein. Dies ist gewiß auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß die meisten Vertreter der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht generell den neu entstehenden Rechtsgebieten des 19. Jahrhunderts gegenüber aufgeschlossen waren. 729 Nach einer allgemeinen Definition des Verlagsvertrags 730 geht Gerber kurz auf die Interessen des Autors (Verbreitung seiner Werke, daneben in der Regel auch das Honorarinteresse) und das Interesse des Verlegers, das regelmäßig pekuniärer Natur ist, ein. 731 Daneben schildert er die Rechtsfolgen der Nichterfüllung der gegenseitigen Verpflichtungen, die in meist in Geldentschädigung bestehen. 732 Den Rechten des Schriftstellers und Verlegers widmete Gerber später eine gesonderte Abhandlung und seine Antrittsrede in Leipzig. 733 Auf Gerbers Thesen zu den Rechten von Schriftstellern und Verlegern, wie auch seine Einordnung in die Urheberrechtswissenschaft seiner Zeit, wird in diesem Zusammenhang noch eingegangen werden. Unter der Rubrik IX., betitelt „Geschäfte zur Sicherung gegen künftige Nachtheile“, erwähnt Gerber in aller Kürze die Bürgschaft (§ 201). Breiteren Raum nimmt der Versicherungsvertrag ein (§ 202), wobei Gerber insbesondere auf die Seeassekuranz (§ 203) eingeht, mit der sowohl das Schiff als auch die Schiffsfracht versichert werden können. 734 Abschließend erwähnt Gerber die Besonderheiten der Bodmerei 735 (§ 204), die er als Darlehensvertrag mit Verpfändung des Schiffs oder der Schiffsgüter definiert. 736 Von besonderer Ausführlichkeit ist die Erörterung des Wechselvertrages unter X., mit der Gerber den Abschnitt über die Geschäftsobligationen abschließt (§ 205 Gerber, Bemerkungen zum ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuches, 1871. Gerber, System, S. 450/451: Gerber beschreibt hier den „Commissionshandel“, als dessen eigentümliche Ausprägung in Deutschland er den Buchhandel erwähnt, sowie das Speditionsgeschäft. 729 Vgl. dazu Dölemeyer/Klippel, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, S. 216. 730 Gerber, System, S. 451. 731 Gerber, System, S. 452. 732 Gerber, System, S. 453/454. 733 Zusammenfassung unter dem Titel „Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“ in den gesammelten juristischen Abhandlungen, S.261 ff. – vgl. dazu unten S. 265. 734 Gerber, System, S. 459. 735 Im Seerecht ein vom Kapitän kraft gesetzlicher Vollmacht aufgenommenes Darlehen. Als Rechtsinstitut 1972 aufgehoben. 736 Gerber, System, S. 462. 727 728

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bis § 218). Einmal mehr zeigt sich Gerbers Vorliebe auch für neuere Erscheinungen des Rechtslebens. Er sieht mit dem Institut des Wechsels durch den neueren europäischen Verkehr ein Mittel gefunden, durch das die Ausübung eines Forderungsrechts in einem so hohen Grade erleichtert und gesichert wird, „daß der verfügbare Vermögenswerth dem des baaren Geldes fast ganz zur Seite tritt“. 737 Für den Kaufmann hat jedenfalls gegenwärtig der Wechsel die Bedeutung des Papiergeldes, wobei er jedoch die Urkunde über ein einzelnes Rechtsgeschäft von Privaten ist, was eigentliches Geld niemals sein kann. 738 Gerber erörtert detailliert Begriff, Funktion und Arten des Wechsels. 739 Der zweite große Abschnitt des Kapitels über die einzelnen Forderungsrechte behandelt die Forderungen aus unerlaubten Handlungen. Dieser ist allerdings äußerst knapp gehalten und umfaßt lediglich zwei Paragraphen (§ 219 und § 220). Unter I. befaßt sich Gerber mit dem von ihm auch monographisch gewürdigten Themenkomplex des Nachdrucks. Dieser steht in innerem Zusammenhang mit dem von Gerber, wie bereits dargestellt, eingehender untersuchten Verlagsvertrag. Der Nachdrucker ohne Einwilligung des Urhebers ist diesem zur Leistung einer Entschädigung verpflichtet, die „nach dem Verkaufspreise einer gemäß der Größe des erlittenen Schadens vom Richter zu bestimmenden Zahl von Exemplaren des Originals“ 740 berechnet wird. Daneben sollen die nachgedruckten Exemplare und das dafür verwendete Werkzeug konfisziert werden. Gerber beschränkt allerdings alle Sanktionen auf die Lebenszeit des Urhebers und 30 Jahre nach seinem Tod. 741 Damit orientierte er sich wohl daran, daß zwischen 1837 und 1844 eine Anzahl deutscher Staaten die Schutzfrist des Urheberrechts gesetzlich auf 30 Jahre post mortem auctoris festgesetzt hatte und daß sich auf Grund eines Beschlusses der Bundesversammlung auch die übrigen Bundesstaaten zur Annahme dieser Schutzfrist entschlossen hatten. 742 Als Konsequenz von Gerbers Ablehnung des geistigen Eigentums spielt das Urheberrecht nur im Bereich der unerlaubten Handlungen wegen Verstosses gegen das Nachdruckverbot eine Rolle. Gierke kritisierte nachdrücklich diese „Verflüchtigung des Urheberrechts zur Reflexwirkung des Nachdrucksverbots“ 743. Den abschließenden Punkt II. der unerlaubten Handlungen (§ 220) bildet eine Skizzierung des Wildschadens in nur zwei Sätzen. 744 Gerber, System, S. 464. Gerber, System, S. 464, Fn. 2. 739 U. a. kommen auch die Bedeutung des Indossaments (§ 210) als eines der Form nach weiteren Zahlungsauftrags, sowie die Möglichkeit, im Falle der mangelnden Akzeptanz des Wechsels Regreß (§ 213) bei den sog. „Vormännern“ zu nehmen, zur Sprache. 740 Gerber, System, S. 490; Gerber beruft sich dabei auf die Bundesbeschlüsse von 1837 und 1845. 741 Gerber, System, S. 491. 742 Vgl. dazu Klingenberg, Vom persönlichen Recht zum Persönlichkeitsrecht. Zur Entwicklung der Urheberrechtstheorie im 19. Jahrhundert, S. 198. 743 Gierke, Landsberg-Rezension, S. 359. 737 738

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c) Drittes Buch: Die Rechte an Personen Im dritten Buch behandelt Gerber die Rechte an Personen. Im ersten Kapitel werden das eheliche Recht (§ 223 bis § 239), im zweiten das elterliche und das KindesRecht (§ 240 bis § 242) und im dritten die Vormundschaft erörtert. 744 Als allgemeine Einleitung zum Personenrecht stellt Gerber voraus, daß kein Recht „das Band der Familie fester schließt, den geistigen Werth der innigsten Familiengemeinschaft tiefer erfaßt und den Frieden der väterlichen Stätte für ehrwürdiger erachtet, als das deutsche“. 745 Auch das gegenwärtige Recht beruht für ihn zum großen Teil auf diesem hohen Stellenwert, den der „deutsche Volksgeist“ der Familie zubilligt. 746 Dem ersten und umfangreichsten Kapitel der Buches, das dem ehelichen Recht gewidmet ist, stellt Gerber unter I. einen kurzen Paragraphen über die Folgen der Mißheirat (§ 224) an die Spitze: Die Frau teilt in der Regel Namen, Stand und Domizil ihres Ehemannes, dem sie „zu folgen schuldig ist“.747 Die Standesgleichheit der Ehefrau als hauptsächlicher Inhalt des ehelichen Rechts tritt allerdings beim hohen Adel in den Fällen der fehlenden Ebenbürtigkeit nicht ein, es handelt sich dann um eine „Mißheirath“. 748 Unter II. diskutiert Gerber äußerst ausführlich den „Einfluß der Ehe auf das Vermögen“ (§ 225 bis § 239). Zwanzig Jahre später erinnerte sich Gerber, daß er bei der Bearbeitung des ehelichen Güterrechts des „Systems“ auf größere Schwierigkeiten gestoßen war als bei jedem anderen Rechtsstoff. Dies führte er v. a. darauf zurück, daß die Statuten und Gesetze hier „mannichfaltiger, willkürlicher und zusammenhangloser“ erschienen als auf jedem anderen Gebiet. Dadurch war eine dogmatisch wissenschaftliche Behandlung mit der Darstellung einheitlicher Entwicklungen als Zielsetzung erschwert, wie sie Gerber stets propagierte.749 Einleitend beschreibt er als allgemeinste Charakteristik der vermögensrechtlichen Wirkung der Ehe in Deutschland, daß sich die ehelichen Güter als Einheit in 744 Gerber, System, S. 491/492: Danach ist ein Jagdberechtigter zum Ersatz jedes durch eine Nichterfüllung seiner Pflichten hervorgerufenen Wildschadens verpflichtet. 745 Gerber, System, S. 494/495. 746 Gerber, System, S. 496. 747 Gerber, System, S.497/498; in diesem Zusammenhang erwähnt Gerber kurz das „Schlüsselrecht“, d. h. die selbständige Stellung der Frau im Hauswesen, die er jedoch nicht „in die Sphäre des Rechts hereingezogen“ sehen möchte, Gerber, System, S. 498, Fn. 5. 748 Gerber, System, S. 499. Diese hat außerdem zur Folge, daß die Kinder nicht den höheren Geburtsstand des Vaters teilen und ebenso wie die Ehefrau nur beschränkte erbrechtliche Ansprüche haben. 749 Gerber Abhandlungen, S. 341; dieser Beitrag wurde zuerst als Leipziger Decanatsprogramm im Februar 1869 veröffentlicht; anschließend erschien die Abhandlung in der „Sammlung von Abhandlungen der Mitglieder der Leipziger Juristen-Facultät“, Bd. 1 und wurde schließlich auch von Gerber als Teil II seiner „Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte“ in die „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ aufgenommen.

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der Hand des Mannes befinden, der sie verwaltet und für die Zwecke der Ehe verwendet. 750 Dieser Grundsatz galt Gerber zufolge schon im mittelalterlichen Recht, wurde allerdings durch verschiedenartige Einflüsse in lokalen und partikularen Rechtsquellen individuell abgewandelt. Gerber glaubt daher, daß die „wissenschaftliche Beherrschung“ des Gegenstands nur durch Aufstellung mehrerer Gruppen ehelicher Güterrechte bewirkt werden kann. 751 Zunächst beschreibt Gerber die Grundsätze des mittelalterlichen Rechts, wonach der Mann als Herr des Hauses das beiderseitige Vermögen in seiner Gewere vereint. Gerber führt hierzu Nachweise aus dem Sachsenspiegel an. 752 Die Frau ist durch die eheliche Vormundschaft des Mannes in der Veräußerung ihres Vermögens beschränkt. 753 Durch die äußere Vereinigung der Güter wird das Eigentum daran, wie es vor der Ehe bestand, nicht verändert. Nach Beendigung der Ehe (worunter wohl v. a. der Tod eines Ehegatten zu verstehen ist) ist die Vermögenseinheit gelöst. Das Frauengut fällt an die Witwe oder ihre Erben zurück, jedoch behält der überlebende Mann die beweglichen Güter der Frau, die überlebende Frau die Gerade754, den Mustheil 755 und was ihr als Leibzucht 756, Witthum 757 und Morgengabe 758 bestellt ist. 759 Allerdings wurde dieses einfache Verhältnis im städtischen Leben schon früh modifiziert: Die verminderten Rechte der Familie am Erbgut und die zunehmende BeGerber, System, S. 500. Gerber, System, S. 500/501. 752 Gerber, System, S. 501, Fn. 2: Sachsenspiegel I, 31 § 1: „Man und wif ne hebbet nein getveiet gut to irme live.“, Fn. 3: Sachsenspiegel I, 31 § 2: „Svenne en man wif nimmt, so nimt he in sine gewere all ir gut to rechter vormuntscap.“ 753 Gerber, System, S. 502/503. 754 Fahrhabe, die im Erbgang namentlich den Frauen zusteht, vgl. Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. IV, Sp. 255. 755 Musteil, Musteile: Die der Frau bei Auflösung der Ehe oder an dreißig Tagen nach dem Tod des Mannes zukommende Hälfte des vorhandenen Speisevorrats, vgl. Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. IX, Sp. 1063. 756 Leib(s)zucht: lebenslängliches Nutzungsrecht an einer fremden Sache, häufig für die Frau als Witwenversorgung, vgl. Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. VIII, Sp. 1121. 757 Unter Wittum versteht man eine Vermögensleistung, die nach altgermanischem Recht der Bräutigam oder dessen Familie bei der Eheschließung zu erbringen hatte, vgl. Schulze, in: HRG V, Sp. 1469 ff. 758 Morgengabe: ehebezogene Zuwendung zwischen Mann und Frau, Gabe, die je nach Rechtssystem in Funktion, Gegenstand und Übereignungsformen unterschiedlich sein kann; idR war die Morgengabe bei der Heirat ein Geschenk des Mannes an die Frau, sie konnte aber auch ein Geschenk der (verwitweten) Frau an den (zweiten) Mann oder eine gegenseitige Gabe bezeichnen; die Morgengabe konnte am Morgen nach der Hochzeit überreicht werden, es konnte sich aber auch um eine Zuwendung handeln, die bei der Eheschließung vorgenommen oder die zu diesem Zeitpunkt nur für den Fall des Vorversterbens des Zuwendenden versprochen wurde; als Zuwendung eines Ehemanns an seine Frau zu deren freien Verfügung konnte die M. insofern eine Sonderstellung einnehmen, als sie bei Vorversterben des Mannes nicht zum Nachlaß gehörte, sondern wesentlicher Bestandteil der Witwenversorgung wurde, vgl. Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. IX, Sp. 892. 759 Gerber, System, S. 503. 750 751

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deutung der Mobilien als Vermögensmasse führten hier allmählich zu einer engeren Verbindung der ehelichen Güter. 760 Zwar wiesen die einzelnen Statuten diesbezüglich Unterschiede auf, doch ist ihnen nach Gerber das Grundprinzip der deutschen „Gütereinheit“ gemeinsam, wonach „das Vermögen der Ehegatten durch den gemeinsamen ehelichen Haushalt zwar in eine innige Vereinigung gebracht und der Verfügung des Mannes unterworfen wird, aber das Eigentthum jedes Ehegatten in seinem Specialvermögen unberührt blieb.“ 761 Den Begriff Gütereinheit für dieses System verteidigte Gerber später als seine eigene Schöpfung, gegen die Kritik Roths, der die Bezeichnung auf Puchta zurückführen wollte. 762 Vom Standpunkt des gegenwärtigen Rechts seiner Zeit unterscheidet Gerber vor allem das System der Gütereinheit und als „Verunstaltung desselben“ die Gütergemeinschaft. 763 Hinsichtlich Eintritt und Dauer der Wirkungen der Ehe auf das Vermögen (§ 228) stellt Gerber kurz fest, daß die ehelichen Güterverhältnisse mit Vollzug der kirchlichen Trauung oder Vornahme des entsprechenden „Civilakts“ beginnen und mit Beendigung der Ehe durch Tod, Scheidung oder Annullierung gelöst werden. 764 Ein bestimmtes eheliches Güterrecht kann durch Vertrag der Ehegatten bei Eingehung der Ehe begründet und auch später wieder verändert werden. 765 Wenn kein Vertrag vorhanden ist, werden die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe durch das Gesetz oder Gewohnheitsrecht des Domizils des Ehemanns bestimmt. Im folgenden erörtert Gerber den Inhalt der Wirkungen der Ehe auf das Vermögen, und zwar zunächst ausführlich (§ 230–§ 236) „die Gestaltung der Gesammtheit der ehelichen Güter“. 766 Als erstes faßt Gerber noch einmal das System der Gütereinheit zusammen (§ 230–§ 232). Das gesamte vor und während der Ehe erworbene Vermögen der Frau fällt hier in die Gewere des Mannes. Jedoch kann etwas davon Gerber, System, S. 503/504. Gerber, System, S. 504/505. 762 Roth, Gütereinheit und Gütergemeinschaft, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. X, (1868), S. 170. Gerber reagiert darauf in seiner monographischen Darstellung des Gegenstands von 1857 (vgl. unten III. 3. f.): „Ich würde auf die Findung dieses Namens nicht das geringste Gewicht legen. Nur eine Bemerkung Roth’s, daß Puchta denselben zuerst gebraucht habe (Vorlesungen 1848 II. 251), veranlaßt mich zu einer kurzen Rechenschaft darüber, wie ich dazu gekommen bin. ... Ob Puchta mit der kurzen Bemerkung, die Germanisten thäten wohl, die Gütergemeinschaft zur Gütereinheit fortzubilden, wirklich an das eben geschilderte System ... gedacht hat, wird wahrscheinlich niemand mehr nachzuweisen imstande sein. Mir selbst wäre es die größte Genugtuung, wenn ich erfahren könnte, ob ich auch hier in die Spur meines unvergeßlichen Lehrers gelangt wäre.“, vgl. Gerber, Abhandlungen, S. 347. 763 Gerber, System, S. 506. 764 Gerber, System, S. 507. 765 Gerber, System, S. 507. 766 Gerber, System, S. 509. 760 761

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als Sondergut (Einhandsgut) vorbehalten werden. 767 Der Mann als Haupt der Familie hat neben diesem Recht auf Besitz und Verwaltung des Frauenguts auch die Pflicht, es mit Anwendung aller Sorgfalt zu erhalten. 768 Dabei kann er über die beweglichen Güter der Frau zu ehelichen Zwecken frei verfügen, über die unbeweglichen jedoch außer im Notfall nur mit ihrer Zustimmung. In der Gütervereinigung der Ehegatten liegt keine „Vermögenssuccession“, so daß die Frau hinsichtlich ihrer vorehelichen Obligationen Gläubigerin und Schuldnerin bleibt und sich auch während der Ehe gültig verpflichten kann. Bei Trennung der Ehe löst die Frau die von ihr eingebrachten Güter aus dem bis dahin vereinten ehelichen Vermögen heraus 769, allerdings kann sie nicht herausverlangen, was in ordnungsgemäßer Verwaltung für die Zwecke der Ehe verbraucht wurde, wohl aber, was zur Befriedigung der Gläubiger des Mannes verwendet wurde oder infolge böser Absicht bzw. sorgfaltswidrig verloren ging. 770 In den folgenden beiden Paragraphen geht Gerber auf das System der Gütergemeinschaft ein, zunächst auf die allgemeine Gütergemeinschaft (§ 233), anschließend auf die „particuläre Gütergemeinschaft“ (§ 234). Teilweise wurde (nach Gerber zu Unrecht) der äußeren Gütervereinigung willkürlich die innere Wirkung einer Eigentumsgemeinschaft an den ehelichen Gütern unterstellt, sei es durch Konstruktion des „s. g. Gesammteigenthums“ (das Gerber bereis oben in § 77 als eine „der Natur des Eigenthums widerstrebende Vorstellung“ abgelehnt hatte), sei es als „Societät“, juristische Person oder „Rechtsgemeinschaft zu ideellen Teilen“. 771 Nur bei Vorliegen eines unzweideutigen Rechtssatzes sieht Gerber eine Rechtfertigung „dieses anomalen Verhältnisses als gesetzliche Folge der Ehe“. 772 Am ehesten erscheint ihm eine juristische Konstruktion als Rechtsgemeinschaft zu ideellen Teilen möglich. Danach bildet das Vermögen beider Ehegatten eine ungetrennte Masse, an der beide zu regelmäßig gleichen Quoten beteiligt sind. 773 Die vorehelichen Schulden werden (wie auch die vom Mann während der Ehe Gerber, System, S. 513/514. Gerber, System, S. 514. 769 Gerber, System, S. 517. 770 Gerber, System, S. 518/519; hierzu existieren in vielen Statuten und Partikularrechten Abweichungen, wonach beispielsweise statt des ursprünglichen Vermögens (oftmals nach Wahl) als Entschädigung nur eine Quote der gesamten Gütermasse gewährt wird, vgl. Gerber, System, S. 519/520. 771 Gerber, System, S. 520/521; Roth, Ueber Gütereinheit und Gütergemeinschaft, in Jahrbuch d. gemeinen deutschen Rechts, hrsg. v. Bekker und Muther, Bd.3, Leipzig 1859, S.313 ff., Fn. 181, merkt dazu an, die von Runde aufgestellte und von Gerber in § 233 angenommene Definition sei nichtssagend, „da die communio ein faktisches Verhältnis ist, welchem irgend ein Rechtsverhältnis, z.B. Societät, Erbschaft zu Grund liegen muß. Auch wird durch Annahme einer mit Eingehung der Ehe eintretenden communio die Gemeinsamkeit späterer Erwerbungen nicht erklärt.“. 772 Gerber, System, S. 521. 773 Gerber, System, S. 522. 767 768

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gemachten) gemeinschaftlich, während die gemeinschaftliche Masse für Handlungen der Frau nur unter bestimmten Voraussetzungen haftet. 774 Bei Auflösung der Ehe verwandeln sich die ideellen Anteile am gemeinschaftlichen Vermögen in reelle. 775 Eine andere Art der Gütergemeinschaft beschreibt Gerber in § 234, die „particuläre Gütergemeinschaft“ (auch Errungenschaftsgemeinschaft776 genannt): Nach einer Gruppe von Partikularrechten und Statuten besteht die Rechtsgemeinschaft nur an einem Teil der ehelichen Güter, zumeist an der „s. g. Errungenschaft“ als dem während der Ehe Erworbenen. 777 Bei Auflösung der Ehe erhält die Frau dann ihr eigenes ursprüngliches Vermögen und ihre Hälfte an der gemeinschaftlichen Masse nach Befriedigung der gemeinschaftlichen Gläubiger. 778 Im folgenden Paragraphen (§ 235) erläutert Gerber kurz das gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich häufig vorgesehene System des ehemännlichen Nießbrauchs am Vermögen der Frau während der Ehe. 779 Gerade an der Frage des Nießbrauchs des Ehemanns läßt sich nachweisen, daß Gerber sich in seinem Lehrbuch um eine möglichst neutrale Darstellung des Rechts seiner Zeit bemühte. Dagegen gibt er in seinen monographischen Abhandlungen seinen persönlichen Ansichten breiteren Raum, was sich daran zeigt, daß er hier einen derartigen Nießbrauch strikt ablehnt. 780 Nach Auflösung der Ehe können die ehelichen Güterverhältnisse mit Zustimmung der Beteiligten noch für eine gewisse Zeit faktisch beibehalten werden, wie Gerber in § 236 schildert. 781 Beendet wird diese Fortsetzung der ehelichen Gü774 Gerber, System, S. 523: Z. B darf es sich nicht um eine willkürliche Verfügung der Ehefrau handeln. 775 Gerber, System, S. 524. 776 Zur Errungenschaftsgemeinschaft vgl. W. Ogris in HRG I, Sp. 1004 ff.: Eine Form der beschränkten Gütergemeinschaft, bei welcher nur der eheliche Erwerb (Errungenschaft) in das gemeinschaftliche Eigentum der Ehegatten fiel, während sonst Gütertrennung bestand. 777 Gerber, System, S. 524: Es sind dann drei Massen der ehelichen Güter zu unterscheiden: Erstens das gemeinschaftliche Vermögen, zweitens das „Propergut“ (d. h. das Eigengut) des Mannes und drittens das „Propergut“ der Frau, das während der Ehe vom Mann verwaltet wird. Für die Schulden des Mannes haften sein Propergut und die gesamte gemeinschaftliche Masse, für die der Frau während der Ehe nur ihr Propergut und für die gemeinschaftlichen Schulden neben der gemeinschaftlichen Masse das Propergut beider Ehegatten, vgl. Gerber, System, S. 525. 778 Gerber, System, S. 526. 779 Gerber, System, S. 526/527. 780 Die Theorie eines Nießbrauchs des Ehemanns verwirft Gerber, da sie seiner Ansicht nach den inneren Gehalt des ehelichen Verhältnisses in einer „fremdartigen aber sich bequem darbietenden Rechtsform verkümmern“ läßt, Gerber Abhandlungen, S. 330/331; auch an anderer Stelle läßt sich dieses Zurückstellen der persönlichen Meinung im Lehrbuch aufzeigen; so betont Gerber, daß er sich in § 231 entgegen seiner abweichenden Meinung an das positive statutarische Material halten mußte. Nach seiner persönlichen Ansicht ist es als willkürlich abzulehnen, wenn zahlreiche Statuten die Ehefrau persönlich für die Schulden des Ehemanns haften lassen, Gerber, Abhandlungen, S. 337. 781 Gerber, System, S. 528.

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terverhältnisse durch den Tod des überlebenden Ehegatten, durch Verzicht („freiwillige Entsagung“) oder unter bestimmten Umständen auf Antrag der Kinder. 782 Gerber schließt das Kapitel über das eheliche Recht mit der knappen Schilderung einzelner ehelicher Vermögensverhältnisse, so der Aussteuer (§ 237), der Morgengabe (§ 238) und des Witthums (§ 534) als einer in der Überlassung einer Wohnung als Witwensitz, einem Nießbrauch oder der Bestellung von Natural- oder Geldrenten bestehenden, regelmäßig freiwilligen Witwenversorgung durch den Ehemann, die i. d. R. bei Wiederverheiratung der Witwe endet. 783 Im zweiten Kapitel des Personenrechts untersucht Gerber „Das elterliche und Kindes-Recht“ (§§ 240–242). Bei den elterlichen Rechten konstatiert Gerber vorab ein Übergewicht des Vaters entsprechend seiner „natürlichen Stellung“ 784. Der Inhalt bestimmt sich für ihn im wesentlichen nach den Wirkungen der väterlichen Gewalt im „neuesten römischen Rechte“. 785 Daneben trifft Gerber die Feststellung, daß sich Eltern und Kinder gegenseitig zur Alimentation verpflichtet sind. 786 Im dritten Kapitel erörtert Gerber die Vormundschaft (§243 bis §247). Gerber sieht das Problem der Vormundschaft unter Gliederungsgesichtspunkten nicht als Eckpfeiler des germanistischen Systems an. 787 Neben der Vormundschaft über Minderjährige (§ 244) ist die Geschlechtsvormundschaft (§ 245 und § 246) von besonderem Interesse. Diese Vormundschaft des Vaters oder Ehemanns über die Frau war zu Gerbers Zeit noch in einigen Partikularrechten vorgesehen und stützte sich seiner Ansicht nach auf die „nie endende Wehrlosigkeit der Frauen“. 788 Insgesamt hatte diese Art der Vormundschaft im Gegensatz zur altersbedingten Vormundschaft, die nach dem Vorbild des römischen Rechts ausgebildet war, aber nur noch eine Randbedeutung. 789 d) Viertes Buch: Erbrecht Im vierten Buch schließlich wird das Erbrecht behandelt. In einer allgemeinen Einleitung (§ 248 und § 249) gibt Gerber einen Überblick über die Entwicklung des Erbrechts in Deutschland. Danach setzte sich die römische Idee der Universalsukzession schließlich in Deutschland durch. 790 Nur wenn die Hinterlassenschaft Lehnund Familienfideikommißgüter enthält, ergeben sich Besonderheiten. Gerber, System, S. 530. Gerber, System, S. 533/534. 784 Gerber, System, S. 535. 785 Gerber, System, S. 538/539, wobei dem Vater das wichtigste Recht, die Verwaltung und der Nießbrauch am Vermögen der Kinder schon nach dem älteren deutschen Vormundschaftsrecht (mundium) zustand, vgl. Fn. 2. 786 Gerber, System, S. 537. 787 Vgl. Losano, Bd. 2, S. 97. 788 Gerber, System, S. 545. 789 Vgl. auch Losano, Bd. 2, S. 97. 790 Gerber, System, S. 556. 782 783

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Gerber teilt seine Darstellung in das gemeine Erbrecht in einem ausführlichen ersten Kapitel und in das sog. „successive Erbrecht“ 791 im zweiten Kapitel. Abschnitt I (§ 250 bis § 255) des ersten Kapitels beschäftigt sich mit der gesetzlichen Erbfolge. Gerber stellt hier in den späteren Auflagen ausdrücklich fest, daß sich trotz vielerlei Modifikationen in den deutschen Rechten keineswegs aus ihnen als allgemeines Prinzip das Parentelsystem oder die Lineal-Gradual-Ordnung nachweisen läßt, wonach immer zunächst die Parentel (Linie), d. h. der durch den nächsten gemeinschaftlichen Stammvater Verbundene, in jeder Parentel aber die Nähe des Grades entscheidet. 792 Vielmehr sieht er für seine Zeit die Erbfolgeordnung des neuesten römischen Intestaterbrechts als gemeinrechtlich geltend an. Gerbers Ablehnung der germanischen Parentelordnung wurde von einigen seiner Kritiker als Auswuchs seiner auf den formellen Willen des Einzelnen zugeschnittenen Methode betrachtet, die letztlich „zu einem Individualismus im Rechte trieb, der dieses nur noch am Einzelnen unter Nichtachtung des Ganzen, in dem er lebt, in Erscheinung treten lassen will“. 793 Bei dem Problemkreis des Erwerbs der Erbschaft geht Gerber nach Erwähnung des partikularrechtlich immer noch gültigen Grundsatzes „der Todte erbt den Lebendigen“, nach dem Anfall und Erwerb der Erbschaft zusammenfallen 794, und einer Darstellung der Besonderheiten bei der Vererbung von Bauerngütern (§ 253 und § 254) kurz auf die Erbfolge der Ehegatten (§ 255) ein. Neben der Feststellung, daß nach deutschem Recht seit jeher in der „ehelichen Genossenschaft“ der Grund eines Anspruchs auf den Nachlaß des Verstorbenen gesehen wird 795, stellt Gerber vor allem heraus, daß dieses Erbrecht des Ehegatten (das die Fortdauer der Ehe bis zum Eintritt des Erbfalls voraussetzt) durch keine letztwillige Verfügung entzogen werden kann. 796 In Abschnitt II liefert Gerber eine nähere Untersuchung der vertragsmäßigen Erbfolge (§ 256 bis § 264). Hier definiert er zunächst den Erbvertrag (§ 257) als zweiseitiges unwiderrufliches Geschäft, dessen unmittelbarer Gegenstand die Beerbung eines oder beider Vertragschließender ist. 797 Dabei ist zwischen dem ErbeinsetSo bezeichnet nach der „successio ex pacto et providentia majorum“. Gerber, System 16. Auflage, S. 427. 793 Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S.100: Hirschbühl meint, auch hier einen Nachweis für die „kalten logischen Linien“ des Gerberschen Systems, von denen Bluntschli gesprochen hatte, erbringen zu können. Seine Argumentation lautet folgendermaßen: Während in der germanischen Parentelordnung die „Einheit der Sippe“ symbolhaft zum Ausdruck komme, nähmen die Römer in dem von Gerber vorgezogenen System bei ihrer Verwandtschaftsberechnung von den Familien keine Notiz, sondern zählten einfach die Zeugungen zwischen mehreren Einzelmenschen der verschiedenen Parentelen, Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 100/101. 794 Gerber, System, S. 562. 795 Gerber, System, S. 569/570. 796 Gerber, System, S. 571/572. 797 Gerber, System, S. 575. 791 792

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zungsvertrag, in dem ein Recht auf Beerbung erworben und dem Erbverzicht, in dem ein solches Recht aufgegeben wird, zu unterscheiden. Gerber geht in § 258 zunächst auf Inhalt und Errichtung des Erbeinsetzungsvertrags ein. Zur Formfrage führt er aus, daß zwar die schriftliche oder gerichtliche Errichtung zweckmäßig und partikularrechtlich häufig vorgeschrieben ist, deren Notwendigkeit aber gemeinrechtlich nicht erwiesen werden kann.798 Hinsichtlich der Wirkung (§ 259) hält Gerber vor allem fest, daß der Erbeinsetzungsvertrag für den Erblasser (Promittenten) unwiderruflich ist. 799 Was die Aufhebung (§ 260) betrifft, so kommt insbesondere ein Widerruf durch den übereinstimmenden Willen der Parteien in Frage. 800 Als besondere Anwendungsformen des Erbeinsetzungsvertrags hält Gerber die Erbeinsetzung unter Ehegatten (§ 261), die Einkindschaft (§ 262) und die Erbverbrüderung (§ 263) fest. Bei der Erläuterung der Einkindschaft verweist Gerber u. a. auf seine eigene Jenaer Habilitationsschrift „De unione prolium observationes“. 801 Nach Gerbers Darstellung bildete sich im späten Mittelalter vor allem im fränkischen Rechtskreis die sog. Einkindschaft als ein Rechtsgeschäft aus, dessen wesentlicher Zweck in der Vermeidung von Nachteilen für die Kinder aus erster Ehe besteht, wenn der mit ihnen in „fortgesetzter Gütergemeinschaft“ lebende Elternteil eine neue Ehe eingeht. 802 Hauptsächlicher Inhalt ist der Verzicht der Kinder aus erster Ehe auf das elterliche Vermögen, das in die Vermögensmasse der zweiten Ehe fließt. 803 Im Gegenzug erhalten die Kinder aus erster Ehe ein Erbrecht zugesichert, und zwar mittels der Fiktion, daß sie aus der zweiten Ehe abstammen, d.h. den Kindern aus zweiter Ehe erbrechtlich gleichgestellt sind.804 Den Mittelpunkt der Einkindschaft bildet stets ein Erbvertrag mit dem Ehegatten der zweiten Ehe auf der einen und den Kinder aus der ersten Ehe (Vorkindern) auf der anderen Seite als Vertragsparteien. 805 Die Erbverbrüderung (§ 263) schließlich, beschränkt auf die Familien des hohen Adels, die sich gegenseitig für den Fall ihres Erlöschens das Erbrecht zusichern, ist nach Gerber zu seiner Zeit als Erbeinsetzungsvertrag einzuordnen. 806 Gerber, System, S. 576/577. Gerber, System, S. 577. 800 Gerber, System, S. 579. 801 Gerber, System, S. 581, Fn. 2. 802 Gerber, System, S. 581/582. 803 Dabei bildet das abgetretene Vermögen der Kinder aus erster Ehe bei der eigentlichen Gütergemeinschaft einen Teil der gemeinsamen Masse der Ehegatten, beim System der Gütereinheit bedeutet es einen Zuwachs des von ihrem Elternteil in die zweite Ehe Eingebrachten, bzw. (wenn der Vertrag darauf gerichtet ist) einen Zuwachs des Vermögens beider Ehegatten zu gleichen Teilen, Gerber, System, S. 582, Fn. 5. 804 Gerber, System, S. 582/583: Darüber hinaus sahen die Statuten häufig noch eine weitere Gleichstellung, z. B. hinsichtlich der Alimentation, vor. 805 Gerber, System, S. 583/584. 806 Gerber, System, S. 586/587. 798 799

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Ein Erbverzicht (§ 264) kann einerseits die Aufhebung eines Erbvertrags durch Verzicht des Bedachten sein (mit der Folge der erneuten Dispositionsfreiheit des künftigen Erblassers). Er kann aber auch den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht enthalten. 807 Eine besondere Form, wie beispielsweise Beeidigung, hält Gerber nach deutschem Recht für nicht erforderlich. 808 Das erste Kapitel des Erbrechts schließt Gerber mit einem Abschnitt III (§ 265) über die testamentarische Erbfolge ab. Während das ältere deutsche Erbrecht die Zuwendung einzelner Sachen auf den Todesfall kannte, wurde später mit der Anerkennung des römischen Erbrechts auch das eigentliche römische Testament gemeinrechtlich aufgenommen. 809 Dieses wiederum wurde in der deutschen Rechtspraxis beispielsweise durch die Einführung einer Art der öffentlichen und die Zulassung wechselseitiger Testamente fortgebildet. 810 Abschließend geht Gerber auf die Funktion der Testamentsexekutoren (Testamentsvollstrecker) ein, die in der Tradition der alten Salmannen und Treuhänder stehen. 811 Im zweiten Kapitel behandelt Gerber das „successive Erbrecht“. Relativ breiten Raum nimmt hier die unter I. dargestellt Lehnserbfolge (§267 bis §273) ein. Das Thema erfreute sich eines ausgeprägten Interesses von Seiten Gerbers, wie sich bereits aus der breiten Darstellung des Lehnrechts im allgemeinen Sachenrecht ablesen läßt. Den Abschluß von Gerbers Lehrbuch bildet ein kurzer Abschnitt II über die Familienfideikommiß-Erbfolge (§ 274 und § 275). Wie bereits angesprochen, gehörte auch das Familienfideikommiß zu Gerbers besonderen Interessengebieten.812 6. Resonanz und Ergebnis Die zeitgenössischen Rezensionen von Gerbers Lehrbuch vermitteln ein wenig einheitliches Bild. Der anonyme Rezensent im „Leipziger Repertorium“ 813 enthält sich beinahe jeder Wertung und beschränkt sich auf eine neutrale Inhaltsübersicht. Zusammenfassend wird festgehalten: „Die Schrift ist in der gedrängten Form eines praktischen Lehrbuchs verfaßt, sie verwahrt sich dagegen, als ob es Zweck eines Lehrbuchs wäre, positives Recht zu geben.“ 814 Tatsächlich hatte Gerber in seiner Einleitung hervorgehoben, Autoren, die den einzigen Zweck einer systematischen Darstellung „in der Zubereitung eines zur unmittelbaren Anwendung geschickten Gerber, System, S. 587/588. Gerber, System, S. 588/589. 809 Gerber, System, S. 591. 810 Gerber, System, S. 591. 811 Gerber, System, S. 592/593. 812 Vgl. dazu noch unten III. 3. e). 813 Anonymus, in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur, Bd.25, 1849, S. 136. 814 Anonymus, in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur, Bd.25, 1849, S. 136. 807 808

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Materials“ 815 sähen, befänden sich im Irrtum, da dieser Zweck „bei der Natur unserer Rechtsquellen absolut unerreichbar“ 816 sei. Zur Begründung der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit weist Gerber, wie bereits im „Princip“, auf den Sanktionsmangel für die meisten Teile des gemeinen deutschen Privatrechts hin. Gerber ist sich durchaus bewußt, daß die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit, auch zur Ergänzung der Partikularrechte, „der bestrittenste Punkt der ganzen Lehre“ ist. 817 Der Rezensent, der die zweite Auflage des „Systems des deutschen Privatrechts“ im „Literarischen Centralblatt“ 818 bespricht, ist weit weniger zurückhaltend. Nachdem er darauf hingewiesen hat, daß sich der Verfasser bereits mit seiner Schrift „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ einen Namen gemacht bzw. „seine Stellung in der Rechtswissenschaft markirt hat“, unterstützt er zunächst die von Gerber vertretene kritische Position gegenüber der bisherigen Literatur zum deutschen Privatrecht. Der Verfasser tadele nicht zu Unrecht „die bisherigen Bestrebungen der Germanisten als zu einseitig in die formlosen Mannichfaltigkeiten des histor. Rechtsstoffes sich verlierend ... u. findet die Hauptschuld in dem Mangel einer dogmatischen Durchbildung des deutschen Privatrechtes ...“. 819 Wenn Gerber fordert, daß die einzelnen selbständig konstruierten Institute in eine äußere systematische Ordnung nach Vorbild des römischen Rechts gebracht werden sollen, so bestätigt der Rezensent, „die theoretische Bedeutung und Fruchtbarkeit jener leitenden Idee“ sei „nicht zu verkennen.“ 820 Der Rezensent bringt allerdings seine Zweifel zum Ausdruck, ob Gerber diese Aufgabe in seinem als „System“ bezeichneten Buch gelöst hat. Wer wie Gerber als „Reformator“ auftreten wolle, dem falle die „Durchführung eines Systems“, zu deren Erfolg ein „gewisser Grad von Resignation“ 821, also von Objektivität, gehört, besonders schwer. Ein System verlange die „harmonische Behandlung der einzelnen Glieder“, keines von ihnen solle als „bevorzugtes Schoßkind des Autors“ 822 einen besonderen Platz einnehmen. Der Rezensent verweist insbesondere auf die Paragraphen, die vom „wissenschaftlichen Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ und der Gewere handeln, und vertritt die These, Gerber täte besser daran, die sich gesetzten Ziele im Wege der „monographistischen Behandlung“ zu erreichen, als im Rahmen eines Systems „mehr analysierend als construierend zu verfahren und der Polemik ein Terrain zu gönnen“. 823 Tatsächlich hat Gerber im Laufe der Jahre eine Reihe seiner „Lieblingskinder“ wie z. B. Gewere, Familienfideikommiss und eheliches Güterrecht in eigenständi815 816 817 818 819 820 821 822 823

Gerber, System, S. 8. Gerber, System, S. 8. Gerber, System, S. 11, Fn. 2. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 70 f. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 70. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 71. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 71. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 71. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 71.

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gen Abhandlungen vertieft und dabei teilweise deutlich pointiertere Positionen vertreten als im „System“, wo bei aller vom Rezensenten festgestellten Polemik ein Bemühen des Autors um objektive Darstellung erkennbar ist. Abschließend lobt der Rezensent, Gerber habe, was „die Eleganz des Styls und die streng juristische Wissenschaftlichkeit in der Behandlung und Durchdringung des Stoffes“ betreffe, seinen Vorbildern Savigny und Puchta mit Erfolg nachgeeifert, könne allerdings von Puchtas Pandekten noch das „strenge Maßhalten in den einzelnen Ausführungen eines Systems“ 824 lernen. Er drückt seine Zuversicht aus, es werde „dem Verfasser bei seinem ernst-wissenschaftlichen Streben gelingen, jenen formellen Mangel zu überwinden“ 825. Gerber nahm sich diesen Ratschlag offenbar wenig zu Herzen. Die zahlreichen Neuauflagen seines Buches erschienen, wie schon festgestellt, mit minimalen inhaltlichen Änderungen, meist durch Ergänzung der Fußnoten. Die 16. und letzte von Gerber selbst bearbeitete Auflage von 1891 wurde von einem unbekannten Rezensenten im „Literarischen Centralblatt“ überaus wohlwollend kommentiert. 826 Hervorgehoben wird die hohe Zahl der bisherigen Auflagen von Gerbers Lehrbuch, die belege, daß „seit mehr als vierzig Jahren keines der zahlreichen Werke, welche diese Materie behandeln, im Stande gewesen ist, es aus der dominierenden Stellung zu verdrängen, die es sich bald nach seinem Erscheinen erobert hatte“. 827 Zwar stellt der Rezensent fest, das Buch sei seit seinem Entstehen unverändert geblieben, und „seit der 1870 erschienen zehnten Auflage haben selbst die(se) Berichtigungen und Nachträge keinen erheblichen Umfang“ 828, weist aber zur Entschuldigung sogleich auf Gerbers Stellung als sächsischer Kultusminister hin. Der Rezensent äußert seine Überzeugung, Gerber würde sonst inhaltliche Modifikationen vorgenommen haben, so bei seinen Ausführungen zum Eigentum und den dinglichen Nutzungsrechten an Rittergütern und Bauerngütern, zu Frondiensten, Näherrecht, Morgengabe und Geschlechtsvormundschaft. Auch ist nach seinem Dafürhalten die Darstellung des Lehnrechts im Verhältnis zu dessen praktischer Bedeutung zu ausführlich, die des Handelsrechts hingegen zu kurz. Dennoch sei das Werk nicht veraltet, „weder die Fluth der neuen Gesetze noch die lebhafte wissenschaftliche Bewegung auf dem germanistischen Gebiete haben ihm seine Beliebtheit zu rauben vermocht.“ 829 Es ist bemerkenswert, wie hier der Rezensent die Gunst des Publikums über die von ihm doch offenbar als wünschenwert angesehene Auseinandersetzung mit aktuelleren rechtswissenschaftlichen Fragen stellt. Für ihn beruht Gerbers Erfolg „auf seiner didaktischen Vortrefflichkeit, auf der geschickten Anordnung und Verteilung des Stoffes, auf dem richtigen Maße seines Umfanges; 824 825 826 827 828 829

Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 71. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 71. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 264 f. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 264. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 264. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 264.

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vor Allem aber auf seiner juristischen Methode“.830 Er nimmt Gerbers „nachhaltigen Erfolg“ als Beweis dafür, daß „das Bedürfnis nach einer der heutigen juristischen Denkungsweise entsprechenden Dogmatik der deutschen Rechtsbildung ein weit verbreitetes und lebhaft empfundenes ist“ und sieht sich zu der Hoffnung berechtigt, „daß das Werk noch lange Zeit diesen nützlichen Einfluß auf die Ausbildung der deutschen Juristen ausüben wird“. 831 Von der Zeit seines Erscheinens an fand Gerbers „System“ enthusiastische Befürworter, aber auch zahlreiche erbitterte Kritiker, vor allem aus dem Lager der Germanisten. Teilweise wird in späteren Darstellungen des deutschen Privatrechts das Gerbersche Lehrbuch wärmstens gelobt. So beurteilt es Gerbers Erlanger Kollege Gengler als „eine der glänzendsten germanistischen Erscheinungen der Gegenwart“. 832 Er empfiehlt das sich „durch geistvolle Auffassung, klare präcise Darstellung sowie Beschränkung des Vortrags auf das rein-praktische Material unter Fernhaltung aller in andere Wissenschaftsgebiete gehörigen Gegenstände“ auszeichnende Werk ganz besonders dem Lehrgebrauch. 833 Auch Gerbers späterer Leipziger Nachfolger Stobbe rühmt das Buch als „ausgezeichnet durch präcise Form der Darstellung, durch begriffliche juristische Construction, durch das Streben nach strenger Systematik“. 834 Im Vorwort zu seinem eigenen „Handbuch des deutschen Privatrechts“ allerdings lobt er Gerber und dessen Rivalen Beseler in einem Atemzug, verbunden mit einer versteckten Kritik. Trotz der „vollsten Verdienste, welche sich besonders v. Gerber und Beseler durch ihre Systeme erworben haben“, halte er dennoch eine „stoffhaltigere Darstellung des deutschen Privatrechts darum für geboten, weil die einheitlichere Gestaltung, welche die Rechtsinstitute in einem kürzeren Lehrbuch erhalten, oft nicht der Wirklichkeit entspricht.“ 835 Hier klingt an, daß Gerber, um die von ihm gewählte systematisch knappe Darstellung zu gewährleisten, zu inhaltlichen Kompromissen und sinnentstellenden Verkürzungen gezwungen war. Albrecht war nach der Lektüre des ihm von seinem ehemaligen Schüler zugesandten Buchs nicht restlos überzeugt, wie sich aus einem Brief an Gerber ergibt. 836 Er habe bemerkt, daß „Ihr Augenmerk hauptsächlich auf das System [Unterstreichung durch Albrecht] gerichtet ist, und Ihre Ansicht geht, soweit ich sehe, im Wesentlichen dahin, für das deutsche Recht kein [Unterstreichung durch Albrecht] eigenthümliches System ... in Anspruch zu nehmen.“ 837 Hier ist eine implizite Kritik 830 831 832 833 834 835 836 837

Anonymus in Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 264. Anonymus in Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 265. Gengler, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, Erlangen 1854, S. 40. Gengler, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, S. 40. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Bd. 1, S. 96. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Bd. 1, S. III. Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden. Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden.

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erkennbar, Gerber habe seinen systematischen Ansatz nicht klar und eindeutig genug beschrieben. Die inhaltlichen Anmerkungen Albrechts sind eher zurückhaltend, die meisten „Dinge, die mir während des Lesens durch den Kopf gegangen sind“, erscheinen ihm eher für die Erörterung im „mündlichen Zwigespräch“ geeignet.838 Ohnehin konnte sich Albrecht im Jahre 1848 nur mit der „ersten Abtheilung“ des „Systems“ (allgemeine Grundlagen und Sachenrecht) beschäftigen, da die „zweite Abtheilung“ (Forderungsrechte, Familien- und Erbrecht) erst in einem gesonderten Band 1849 erschien. 839 Albrecht stimmt Gerber darin zu, daß „Sie kein Freund der Beselerschen Genossenschaften sind, die sich als eine eigenständige Rechtskategorie eindrängen wollen ..., und darin, dass Sie aus der Reallast kein eigenthümliches ... dingliches Recht machen“. 840 Dagegen kritisiert er die Vernachlässigung des Immobiliarsachenrechts durch Gerber, insbesondere auch dessen fehlende Abgrenzung vom Recht der beweglichen Sachen. Es scheine ihm „unbeschadet ihres Systems auch jetzt noch angemessen, ein Immobiliarsachenrecht von dem Recht der fahrenden Habe zu trennen“. 841 Auch gebe Gerber einer neuen „Institution“, nämlich der „Einrichtung der neuen Hypothekenbücher“, eine „zu beschränkte Wirkung“, indem er sie nur im Zusammenhang mit dem Pfandrecht bespreche. Gerber hat sich diese Bedenken offenbar wenig zu Herzen genommen. Die späteren Auflagen zeigen einen unveränderten Aufbau, in dem auf das Hypothekenrecht lediglich innerhalb des Pfandrechts (§§ 150, 151) eingegangen wird. Auf die weitgehende Kritik seines ehemaligen Schülers an seinem eigenen Gewerebegriff geht Albrecht erstaunlich konziliant ein. Zwar hebt er hervor, „daß ich mich meiner Lieblingskinder gegen Sie annehmen werde, nämlich der Gewere“. Er betont aber sogleich: „Allein, wenn von einem System des heutigen d[eutschen] Rechts die Rede ist, gebe ich sie willig dahin.“ Lediglich wenn „von der Construktion des älteren Rechts die Rede ist, wäre ich auch jetzt noch geneigt, mich jenes Begriffes anzunehmen, wiewohl ich schon lange nicht mehr alles vertreten möchte, was in meinem Buche darüber steht.“ 842 Hier überrascht zum einen das Wort Konstruktion – eine Lieblingsvokabel auch von Gerber – im Zusammenhang mit dem älteren Recht, zum anderen die Tatsache, daß Albrecht offenbar einige Aussagen in seiner berühmten Monographie relativieren möchte, wenn auch nicht unbedingt durch die Gerbersche Kritik inspiriert. Diese hält er für nicht ausreichend fundiert, jedenfalls verspreche Gerber „Ihre von Grund auf akademische Ansicht (die ich aus den flüchtigen Bemerkungen in ihrem Buche noch nicht klar entnehmen kann)“ anderweitig Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden. Ab der zweiten Auflage erschienen beide Abteilungen dann jeweils in einem Band. 840 Albrecht konnte dies nur aus der fehlenden Darstellung im Sachenrecht sowie auf der kurzen Feststellung in § 74 schließen, wonach u. a. bei der Reallast ein auf eine sachenrechtliche Grundlage gestütztes Herrschafts- oder Subjektionsverhältnis kennzeichnend ist. Die Reallast als solche bespricht Gerber erst im zweiten Band bei den Forderungsrechten (§ 166 – Zustände als Entstehungsgrund für Forderungen). 841 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden. 842 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden. 838 839

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„ausführlicher zu erörtern“, worauf er, Albrecht, schon gespannt sei. 843 Tatsächlich sollte sich Gerber in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1854 erneut mit dem Thema beschäftigen, allerdings dürften seine Ausführungen Albrecht kaum befriedigt haben. 844 Insgesamt fällt die Bewertung des „Systems“ durch Albrecht in seinem Brief an seinen ehemaligen Schüler auffallend kühl und zurückhaltend aus. Landsberg hebt in seiner durchweg positiven Beurteilung von Gerbers Lehrbuch hervor, daß es Gerber bei seiner wissenschaftlichen Abstraktion leicht gelang, eine streng logische Folgerichtigkeit seines „Systems“ aufrecht zu erhalten. 845 Zugleich habe er mit seiner Systembildung einem zu dieser Zeit offenbar „peinlich empfundenen Bedürfnis nach Klarheit, Übersichtlichkeit und dogmatischer Festigkeit“ 846 abgeholfen. Es darf allerdings nicht verkannt werden, daß Gerber keineswegs der einzige war, der sich zu dieser Zeit mit der Systematisierung der Materie des deutschen Privatrechts befaßte. Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts war allgemein eine Entwicklung der Rechtswissenschaft in Richtung Systembildung zu beobachten, wenn auch nicht von allen Seiten nach einem System im materiellen Sinn. Bereits 1847 hatte Beseler den ersten Band seines dreibändigen „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ veröffentlicht. Man kann darin, wie auch in dem Titel von Gerbers Lehrbuch, eine gewisse Herausforderung erkennen. „System“ hatte man diesem Gegenstand bisher nicht zugetraut, diese Germanisten aber faßten damit ihren Gegenstand neu. 847 Diese Generation von Germanisten hatte von der Savignygeneration Techniken und Arbeitsinstrumente wie u. a. historische Gelehrtheit, Verständnis für Entwicklung, möglichste begriffliche Genauigkeit und systematischprinzipielle Durchdringung gelernt und benutzte sie wie selbstverständlich als wissenschaftliche Methode. 848 An Gerbers „System“ lobt Landsberg jedenfalls ganz besonders die „Vorzüge konstruktiver Klarheit und Großzügigkeit, Festigkeit und Übersichtlichkeit“. 849 Gleichzeitig aber macht er darauf aufmerksam, daß Gerber fast alle seiner germanistischen Kollegen zu „lärmendem (s) Einspruch(s)“ 850 herausgefordert habe. Die starke Ablehnung, die dem Buch von Seiten der meisten Germanisten entgegengebracht wurde, hatte mehrere Ursachen. Zum einen wurde schon der äußere Aufbau nach dem Pandektenschema wie auch die inhaltliche Idealisierung des römischen Rechts gewissermaßen als „Verrat“, als unerwünschte „Romanisierung“ des deutschen Privatrechts aufgefaßt. Allerdings wurde das Fünf-Bücher-Schema Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6 HStA Dresden. Gerber, Über die Gewere in den deutschrechtlichen Quellen des Mittelalters, Zeitschrift für Civilrecht und Process, Bd. 11 (1854), S. 1 ff.; aufgenommen in Abhandlungen, S. 372 ff. 845 Vgl. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784/85. 846 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. 847 Rückert, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, S.203. 848 Rückert, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, S.225. 849 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. 850 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. 843 844

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zu dieser Zeit häufig verwendet, auch wenn die Germanisten teilweise erkannten, daß es eigene Prinzipien des deutschen Privatrechts gab, die das Pandektensystem nicht zur Darstellung bringen konnte. 851 Gierke faßt die Antipathie der Germanisten gegen Gerber und sein privatrechtliches Werk später in dem berühmt gewordenen Satz zusammen, „daß dieser eigenartige Arzt mit seiner Pandektenkur die deutsche Seele im deutschen Recht tötete“ 852. Diese Behauptung ist allerdings, um v. Oertzen zu zitieren, „kein ernsthaftes wissenschaftliches Argument“ und besticht allenfalls durch griffige Polemik. 853 An anderer Stelle 854 geht jedoch Gierke auch inhaltlich mit Gerbers Lehrbuch ins Gericht. Vor der abschließenden Feststellung, „In diesem deutschen Recht ist die deutsche Seele getödtet“, analysiert er die einzelnen Mängel des Werks: Die „vielgerühmte Kürze“ erkaufe es mit „Dürftigkeit und Unvollständigkeit des Inhalts“, „die strenge Systematik mit Zerreißung und Vergewaltigung des in die Pandektenschablone eingezwängten Stoffs, die Klarheit der Begriffe und die Schärfe der juristischen Konstruktion mit romanisierender Verstümmelung der deutschen Rechtsgedanken.“ Für Gerbers Erfolg beim Publikum findet Gierke folgende Erklärung: „Natürlich war es für die große Masse der romanistisch geschulten Juristen bequem, in diesem dünnen, wasserklaren Aufguß das ganze deutsche Recht sich zu Gemüte führen zu können, ohne aus dem gewohnten Gedankengeleise herausgeschleudert zu werden.“ Immerhin anerkennt Gierke neben dem Hinweis auf den großen äußeren Erfolg von Gerbers Schrift, sie habe „anregend und fördernd“ gewirkt, indem sie Ziele vorgab, „deren Erreichung auf anderem Weg erstrebt werden muß“. 855 Häufig zitiert wird auch eine polemische Äußerung Brunners, der wie Gierke auf Gerbers „System“ die Todesmetapher anwendet. Gerber ist für ihn ein „Todtengräber germanistischer Rechtsanschauungen“, der beispielsweise die Parentelordnung in einer Anmerkung seines Systems 856 „mit gewohnter Eleganz einsargte“. 857 Mit diesen Worten erweist Brunner zwar Gerbers sprachlicher Fertigkeit eine widerwillige Referenz. Gleichzeitig läßt sich aus ihnen aber auch die Verbitterung der Germanisten ablesen. Gerbers wissenschaftlicher Antipode Bluntschli sieht ihn „noch beengt und gefangen von römischen Schulbegriffen“ und beklagt, daß er „durch seine romanisierende Formulierung in wesentlichen Beziehungen die Natur des germanischen und des modernen Rechtes eher verletzt als geschützt hat“ 858. Thieme, Deutsches Privatrecht, in HRG I, Sp. 706. Gierke, Die Historische Rechtsschule und die Germanisten, Berlin 1903, S.27. 853 v. Oertzen, Gerber, S. 218. 854 Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 92. 855 Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 92. 856 Gerber, System des deutschen Privatrechts, 9. Auflage 1867, S. 651; 16. Auflage, S. 427; vgl. dazu oben II. 5. a), insbes. Fn. 792 und Fn. 793. 857 Brunner, Das anglonormannische Erbfolgesystem, S. 7/8. 858 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, Erster Band, München, 1853, S. XIX. 851 852

14 Schmidt-Radefeldt

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Neben dem Vorwurf des „Romanisierens“ wurde von Gerbers Kritikern auch die (von seinen Anhängern hochgelobte) Kürze des „Systems“ ins Feld geführt. Während das „Opfer germanistischer Details und germanistischer Farbenfreudigkeit“ 859 wegen der dadurch erreichten gestrafften Systematik von der einen Seite befürwortet wurde, sah die andere Seite dies als unverzeihlichen Fehler an. Reyscher, der ebenfalls zu Gerbers erbittertsten literarischen Gegnern zählte, rügt die „Armuth an Inhalt“ 860 des Gerberschen Lehrbuchs. Die „Behandlung des Stoffes, wie sie dort hervortritt“, führe den Beweis der „Unzulänglichkeit und prinzipiellen Nichtigkeit“ 861 des Autors. Gerber formuliere lediglich „einige schwebende Lehrsätze“, die teilweise im Widerspruch zur aktuellen Gesetzgebung stünden. 862 Hier schwingt der häufig gegen Gerber erhobene Vorwurf mit, daß er seine dogmatische Klarheit und begriffliche Präzision mit mangelndem Realitätsbezug bezahle. Auf die vermeintlich fehlende Aktualität Gerbers zielt Reyscher ab, wenn er schreibt: „Die geistigen Errungenschaften überhaupt, so insbesondere der letzten Jahre haben wir in dem Buche des Herrn Gerber vergeblich gesucht. ... Die wesentlichen Veränderungen, welche das deutsche Recht in den letzten Jahren erfahren, sind an dem deutschen Bewußtsein des Herrn Gerber spurlos vorübergegangen“ 863. Hier klingt jedoch neben inhaltlichen Einwänden gegen das „System“ vor allem auch eine Kritik der „politischen“ Germanisten an Gerbers konservativer Haltung an, auf die noch einzugehen sein wird. Beseler enthält sich in den späteren Auflagen seines „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ einer zu expliziten Kritik an Gerbers beinahe gleichnamigen Lehrbuch, während Gerber bereits in der Vorrede zur ersten Auflage suggeriert, hinsichtlich der bisherigen mageren wissenschaftlichen Leistung der Germanisten werde durch das ein Jahr früher erschienene System Beselers „schwerlich ein Kundiger diesen Mangel gehoben sehen“. In der Einleitung schließlich versteigt sich Gerber zu der pauschalen Feststellung, zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des gemeinen deutschen Privatrechts finde sich in Beselers „System“ „statt einer wissenschaftlichen Begründung eine Sammlung unbewiesener Behauptungen und Worte“ 864. Es entspann sich allerdings auch eine inhaltlich fundiertere Kontroverse. Beseler stellt in der ersten Auflage fest, Gerber sehe in seinem „Princip“ das gemeine deutsche Privatrecht nur als Einleitung in das Studium der Partikularrechte. Nach Beselers Dafürhalten hört es damit allerdings auf, ein Recht zu sein, da ein solches ohne die Möglichkeit der unmittelbaren Anwendung nicht gedacht werden könne. 865 Gegen diesen Einwand versucht sich Gerber ab der zweiten Auflage zu verteidigen. Der In859 860 861 862 863 864 865

Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 2. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 2. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 3. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 7. Gerber, System S. 8, Fn. 8 mit Verweis auf § 4 von Beselers „System“. Beseler, System Bd. 1, 1. Auflage 1847, S. 35, Fn. 6.

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halt des deutschen Privatrechts sei vollkommen anwendbar, nämlich in der Form des Partikularrechts. Die Rücksicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit trete jedoch im System des deutschen Privatrechts zurück, da dessen Aufgabe nicht die Darstellung des geltenden Rechts eines Staates sei, sondern vielmehr, das geltende Recht aller Staaten eines Volkes aus der rein praktischen in eine höhere Sphäre der Anschauung der Volksindividualität zu bringen. Es werde demnach nicht ein Recht ohne Anwendbarkeit, sondern ein an sich anwendbares Recht ohne imperative Form dargestellt. 866 Beseler argumentiert dagegen in seiner zweiten Auflage, wenn Gerber behaupte, der Inhalt des von ihm konstruierten deutschen Privatrechts sei in Form der Partikularrechte voll anwendbar, so gebe er damit selbst zu, daß es eben kein gemeines Recht sei. Zwar möchte Beseler „die Möglichkeit, ein Rechtssystem auch nach einer anderen Rücksicht als der der Rechtsanwendung darzustellen“867, nicht bezweifeln. Es fragt sich für ihn aber, ob dadurch das nur partikularrechtlich anwendbare Recht zu einem Rechtssystem wird, „das sich selbständig über die Summe der einzelnen Particularrechte erhebt“, und das ist für ihn eindeutig zu verneinen. 868 Dieser Argumentation hatte Gerber in späteren Auflagen nichts Neues mehr entgegenzusetzen. 869 Der langanhaltende Erfolg von Gerbers Lehrbuch beim Publikum war vermutlich auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zum einen kommt der klare, präzise sprachliche Duktus, den Ihering bei seinem Freund stets rühmte, den Bedürfnissen der Leser entgegen. Hinzu kommt, daß sich Gerbers Buch im Vergleich zu den Werken seiner Kollegen nicht nur durch die sprachliche Eleganz, sondern auch durch eine für jene Zeit ungewöhnliche Kürze auszeichnete. 870 Gerber gab dem Leser knappe Regeln und Aufbauanleitungen an die Hand, mit wenigen, aber, zumindest nach Einschätzung von Landsberg 871, entscheidenden Zitaten. Es ist offenkundig, daß die Literaturhinweise bei Gerber spärlicher ausfallen als in vergleichbaren Darstellungen des deutschen Privatrechts. Allerdings ist es etwas überspitzt, wenn Kroeschell konstatiert, die Literaturangaben beschränkten sich auf Genglers Dissertation von 1843, Haubolds ‚Sächisches Privatrecht‘ sowie Hinweise auf die ‚Gewere‘ von Albrecht und die ‚Vormundschaft ‚von Kraut. 872 Es finden sich häufige Hinweise u. a. auf Runde 873 und Duncker 874, aber auch auf Reyscher 875 und Waechter. Selbstverständlich wird auch Gerbers erklärtes Vorbild 866 Gerber, System, 2. Auflage, S. 12/13, Fn. 3, 8. Auflage, S. 15, Fn. 3 mit der Formulierung „anwendbares Recht ohne imperative Form“. In der 10. Auflage, S. 15, Fn. 3 wird Beseler nicht mehr als Urheber des Einwandes genannt. 867 Beseler, System Bd. 1, 2. Auflage 1866, S. 31, Fn. 7. 868 Beseler, System Bd. 1, 2. Auflage 1866, S. 31, Fn. 7. 869 vgl. Gerber, System, 16. Auflage 1891, S. 10, Fn. 3. 870 v. Oertzen, Gerber, S. 168, Fn. 14. 871 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. 872 Kroeschell, Zielsetzungen, S. 268. 873 Runde, Deutsches eheliches Güterrecht, 1841. 874 Duncker, Die Lehre von den Reallasten in ihren Grundzügen, 1827. 875 Reyscher, Württembergisches Privatrecht.

14*

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Eichhorn 876 häufig zitiert, wobei die Feststellung, der Text wirke inhaltlich wie ein Auszug aus dem Privatrecht Eichhorns 877, überpointiert erscheint, da sich Gerber in wesentlichen Punkten wie der unmittelbaren Anwendbarkeit des deutschen Privatrechts deutlich von seinem erklärten Vorbild abhebt. Die spärlichen Literaturzitate korrelieren mit Gerbers erklärtem Ziel, das deutsche Privatrecht von historischen Details zu „entschlacken“ und gerade nicht, wie die meisten germanistischen Schriftsteller vor ihm, seine Darstellung in einer Fülle von Einzelheiten gleichsam zu „ertränken“. Daß dadurch der Zusammenhang mit der älteren juristischen Literatur vollständig abgeschnitten wurde 878, mußte Gerber in Kauf nehmen. Es entsprach sogar gerade dem Ziel seiner Methode. Die bei ihm häufig kritisierte „Dürfigkeit“ wurde auf der anderen Seite auch „durchdacht und praktisch“ 879 genannt. Gerade die für den Leser ansprechende Kürze mag zur Verbreitung und Beliebtheit des „Systems des deutschen Privatrechts“ beigetragen haben, das, wie erwähnt, siebzehn Auflagen erlebte und bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs bei manchen sogar als das vorbildlichste Lehrbuch dieses Faches galt. 880 Es liegt allerdings eine gewisse Problematik darin, vom Erfolg beim Publikum auf die Qualität eines Lehrbuchs zu schließen, wie ein Blick auf die heute überaus beliebten Druckerzeugnisse großer Repetitorien zeigt. Gierkes Feststellung, Gerber habe „auf dem Gebiete des deutschen Privatrechts positiv schöpferisch nicht gewirkt“ 881, hat durchaus eine Berechtigung. Tatsächlich hat sich von Gerbers einzelnen dogmatischen Resultaten wenig durchsetzen können. Seine Einordnung der Reallasten unter die Forderungsrechte ist ebenso überholt wie die Ablehnung des geistigen Eigentums im Urheberrecht. Selbst die unter der Gerberschen Bezeichnung „Gütereinheit“ 882 laufende Form der ehelichen Gütergemeinschaft, die unter der Bezeichnung „Verwaltungsgemeinschaft“ einst den gesetzlichen Güterstand des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 darstellte, wurde inzwischen durch Novellierung ersetzt. Dennoch hat sich Gerber gewisse Verdienste um die Dogmatik des deutschen Privatrechts erworben. Der Ruf nach konsequenter Systematik, die er unermüdlich forderte und zu realisieren versuchte, blieb gewiß nicht ohne Wirkung auf die Generationen von Juristen, die sich mit Hilfe des „Systems“ als eines der beliebtesten Lehrbücher zwischen 1849 (erste Auflage) und 1895 (postum erschienene 17. Auflage) in das deutsche Privatrecht einarbeiteten. Damit aber nahm Gerber indirekt Eichhorn, Privatrecht und Rechtsgeschichte. So aber Kroeschell, Zielsetzungen, S. 268. 878 Kroeschell, Zielsetzungen, S. 269/269. 879 Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. 880 v. Oertzen, Gerber, S. 165. 881 Gierke, Landsberg-Rezension, S. 359. 882 Der Streit mit Roth um Gerbers Urheberschaft an dieser Formulierung wurde oben unter II. 5. c) dargestellt. 876 877

II. System des deutschen Privatrechts 1848 und 1849

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auch Einfluß auf die Rechtsentwicklung, die sich schließlich im Bürgerlichen Gesetzbuch niederschlug, das durch abstrakte Begriffssprache, leidenschaftslos-neutrale Sachlichkeit und wissenschaftliche Präzision 883 geprägt ist. Selbstverständlich entsprachen Gerbers Forderungen einer allgemeinen Tendenz in der Rechtswissenschaft seiner Zeit, er war jedoch einer der Wortführer, der mit seiner Formulierungskunst dem Bedürfnis nach Systematisierung Ausdruck verlieh. Selbst ein erklärter wissenschaftlicher Opponent Gerbers wie Bluntschli erkennt an, Gerber habe „sich ein Verdienst erworben, indem er die Nothwendigkeit logischer Formulirung gezeigt und teilweise durch die That bewährt hat“. 884 Gewiß kann man festhalten, daß auch Gerber die Tendenz zu strenger dogmatischer Konstruktion, die charakteristisch für das heutige deutsche Zivilrecht ist, gefördert hat. Auch die Verbindung von deutschrechtlichen und römischrechtlichen Elementen im BGB war sicherlich im Sinne Gerbers, der selbst die Entstehung dieser Kodifikation nicht mehr erlebte. Seine Verdienste um den Aufbau eines nationalen Rechts, das durch die Zusammenarbeit von Germanisten und Romanisten geschaffen wurde, erkennt implizit sogar sein wohl größter Kritiker Gierke an, wenn er in diesem Zusammenhang die Gründung der „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“ durch Gerber und Ihering erwähnt. 885 Gerbers Ziel in seinem „System des deutschen Privatrechts“ war es, das deutsche Recht, das er selbst nicht mehr als Rechtsquelle ansah, nach römischen Ordnungsprinzipien zu systematisieren, ohne es dabei inhaltlich auszuhöhlen. Gerade dadurch wollte er deutsche Rechtsgedanken für die Gegenwart fruchtbar machen, während viele seiner Fachkollegen in diesem Ansatz die Preisgabe deutschrechtlicher Inhalte sahen. Keineswegs plädierte Gerber für die kritiklose Übernahme aller romanistischer Kategorien. Es ging ihm auch nicht nur um die Schaffung eines rein äußerlichen Systems. Im Wesentlichen beabsichtigte er eine Konstruktion, die sich am Inhalt der einzelnen Rechtsinstitute orientierte. Der Personenwille steht für Gerber als leitender Gedanke an der Spitze des Systems. Jedes Recht soll, wie er es als charakteristisch für das wissenschaftlich eine Vorbildfunktion erfüllende römische Recht ansieht, als denkbarer Inhalt des Willens einer Person aufgefaßt werden. Abgesehen von der gelegentlichen Betonung der Bedeutung des Einzelwillens steht dieser Gesichtspunkt im materiellen Teil von Gerbers Lehrbuch aber nicht erkennbar im Vordergrund. Auch scheint Gerber an manchen Stellen die Kriterien für das äußere formelle System (Pandektenaufbau) und das (ideale, von ihm in der praktischen Umsetzung wohl unerreichte) innere materielle System zu vermischen. Man kann demnach durchaus sagen, daß Gerber zwar seinen theoretischen Ansatz mit einer gewissen Überzeugungskraft formulierte, letztlich aber das postulierte hohe Niveau in der praktischen Umsetzung kaum halten konnte. Gerber selbst hat auf die bereits zitierte Feststellung Walters, seine Auffassung sei zu „theoretisch und ab883 884 885

Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 300. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, Erster Band, München, 1853, S. XVIII. Gierke, Die historische Rechtsschule und die Germanisten, S. 31 und Anm. 120.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

strakt“, deshalb entspreche ihr auch die Ausführung nicht, sondern werde „von der Natur des Stoffes von selbst in das gewöhnliche Geleise gezogen“ 886, empfindlich reagiert. In allen späteren Auflagen des „Systems“ findet sich die Bemerkung, Walters Einwand beruhe „wohl ebensowenig auf einem bestimmten Gedanken“ wie manch andere „überaus seltsame Expectoration“ in seinem Buch.887 Diese materiell inhaltslose aber polemische Entgegnung verdeutlicht, daß Gerber sich von der Feststellung getroffen fühlte. Die endgültige Hinwendung Gerbers zum öffentlichen Recht, wie auch das bereits oben zitierte Eingeständnis gegenüber Ihering, auf privatrechtlichem Gebiet gewissermaßen sein „Pulver zu früh verschossen“ zu haben („Was ich zu sagen habe, habe ich zu freigebig in compendiöser Form hinausgeschossen und meine Resultate zu leicht verzehrbaren Appetitstückchen präpariert, die nun jeder ohne Mühe verschlucken kann.“ 888) könnte als selbsterkanntes Scheitern Gerbers interpretiert werden. Die Aussage gegenüber Ihering scheint seine Gegner, die in dem „System“ ein verstümmeltes Kompendium des deutschen Rechts sahen, zu bestätigen. Auch liegt (wenn man dem Vorwurf des „Romanisierens“ folgt) das Argument nahe, wer sich die Materie, in der er arbeitet, bewußt beschneide, müsse sich nicht wundern, wenn er nichts mehr zu sagen habe. Andererseits ist Gerbers Konzentration auf das öffentliche Recht durchaus folgerichtig. Gerber hat, um mit Wilhelm zu sprechen, die rein juristische Methode der dogmatisch-produktiven Jurisprudenz im Bereich des deutschen Privatrechts ausgebildet und ansatzweise formuliert, einer weiteren Ausbildung war diese Methode nicht fähig. 889 Er hat die Methode auf die bündige Formel gebracht: „Es kam mir hauptsächlich auf die Analyse und Konstruktion des rein juristischen Elements der Rechtsinstitute an, im Gegensatze der vielen faktischen und unwesentlichen Zutaten, in welchen gerade im deutschen Rechte so oft die rechtliche Substanz verhüllt wird. Es sollte ferner eine consequente Trennung des Geschichtlichen vom Dogmatischen und besonders des Staatsrechtlichen und Politischen vom Privatrecht versucht werden.“ 890 Gerade vor dem Hintergrund des letzten Satzes war es naheliegend und von einer gewissen Konsequenz, dass Gerber, nachdem er seine Aufgabe im Bereich des deutschen Privatrechts als erfüllt ansah, die systematische Bearbeitung des Staatsrechts ins Auge faßte.

886 887 888 889 890

Walter, System, S. 19, Fn. 2. Gerber, System, 16. Auflage 1891, S. 10, Fn. 3 a. E. Gerber an Ihering, Leipzig, 26. Mai 1870 [285]. Vgl. Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 127/128. Gerber, System, S. XI.

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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III. Kleinere Schriften zum Privatrecht 1. Die lateinischen Schriften Gerbers In allen seinen lateinischen Arbeiten beschäftigte sich Gerber mit dem Themenkreis des Erbrechts im weitesten Sinne. In seiner öffentlich verteidigten Habilitationsschrift an der Universität Jena von 1844 wird die Einkindschaft erörtert. In dem Programm „De pactis hereditariis“, mit dem er sich 1862 als ordentlicher Professor an derselben Universität vorstellte, stehen die Erbverträge im Vordergrund. Die Erlanger Inauguraldissertation von 1847, ebenfalls traditionell lateinisch, behandelt gleichfalls eine erbrechtliche Thematik des Sachsenspiegels. a) De unione prolium 1844 In seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit stellt Gerber auf 32 Seiten, geordnet in sechzehn Paragraphen, die Entwicklung und die Grundsätze der Einkindschaft dar. Zunächst erwähnt er, daß sich beinahe das gesamte germanische Personen- und Sachenrecht auf zwei Fundamente stützte. Das mundium (Gerber erklärt in einer Fußnote, daß er in seiner Abhandlung diesen Ausdruck für Vormundschaft und Vogtei verwendet) und die Gewere. 891 Dies waren auch die Grundlagen der Ehe, bei der dem Ehemann an den Gütern der Ehefrau die „Gewere zu rechter Vormundschaft“ zustand. 892 Für den Ursprung des Instituts der Einkindschaft war das nach Gerber bedeutsam, da sich Schwierigkeiten bei der Aufteilung beim Tod eines Ehegatten ergaben. 893 Gerber möchte nachweisen, daß sich die Einkindschaft schon vor der Rezeption ausgebildet hatte. Dies erscheint ihm deshalb für die rechtliche Beurteilung des Instituts bedeutsam, weil er dadurch eine feste Grundlage für die rechtliche Einordnung der Einkindschaft zu gewinnen meint. 894 Gerber zitiert in § 8 eine Quelle aus dem Jahr 1296, die nach einer Ansicht eine wirkliche Einkindschaft enthält, nach anderer neuerer Ansicht eine Schenkung von Todes wegen. 895 Letzteres werde von Beseler 896 vertreten, dem Gerber dahin folgt, daß die Quelle die nach germanischem Brauch zur Güterübertragung von Todes wegen erforderliche feierliche Form habe. 897 In § 9 führt Gerber mehrere Quellen (u. a. aus dem Nordfriesischen Landrecht und dem Bamberger Recht) an, die seiner Mei891 892 893 894 895 896 897

Gerber, De unione prolium, S. 6. Gerber, De unione prolium, S. 6. Gerber, De unione prolium, S. 10. Vgl. anonyme Rezension in Krit. Jahrbücher 1845, S. 958. Gerber, De unione prolium, S. 13/14. Beseler, Lehre von den Erbverträgen Teil 1, S. 7 ff. Gerber, De unione prolium, S. 15.

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nung nach eine Einkindschaft enthalten. Allerdings ist nach anderer Auffassung in einigen von ihnen nur ein Vertrag der neuen Ehegatten ohne Rücksicht auf noch zu zeugende Kinder zu finden. 898 Der zeitgenössische Rezensent von Gerbers Arbeit konnte ihm in wesentlichen Punkten nicht folgen. Selbst wenn man unterstelle, daß die Einkindschaft schon vor der Rezeption üblich gewesen sei 899 und somit mundium und Gewere in der von Gerber aufgezeigten Weise für das Institut maßgebend gewesen seien, erhalte man immer noch keine praktische Regel für die Beurteilung der Einkindschaft in der gegenwärtigen Zeit, zumal die Gewere in dieser Form im gegenwärtigen Recht nicht mehr existiere. 900

b) Meditationes ad locum speculi juris saxonici lib. I art. L II 1847 Die „Meditationes ad locum speculi juris saxonici lib. I art. L II“ 901 legte Gerber 1847 als Inauguraldissertation in Erlangen vor. Oberflächlich hatte sich Gerber mit dem Sachsenspiegel schon anläßlich seiner ersten Veröffentlichung überhaupt, einem Artikel über die in der Sondershausener Kirchbibliothek gefundenen Handschriften, beschäftigt. Auch hatte er in Jena im Wintersemester 1846/47 eine Vorlesung über den Sachsenspiegel gehalten. 902 Nun behandelte er eine Stelle aus dem ersten Buch des Landrechts des Sachsenspiegels, die sich mit der Zustimmung der Erben zu der Veräußerung von Grundeigentum beschäftigt. 903 Diese Stelle sah Gerber als Übersetzung eines Passus der Lex Saxonum an. Die Rechtsregel als solche erschien ihm sehr befremdlich, und er setzte sich mit den dazu von Eichhorn (Deutsches Privatrecht § 105 Not. c.), Beseler (Erbverträge I, S. 19) und Pauli (Abhandlungen aus dem Lübischen Rechte I., 13.) vertretenen Auffassungen auseinander. 904 Anonyme Rezension in Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft, 1845, S. 958. Nach Erler, HRG I, Sp. 900 f. fand die Einkindschaft erst nach der Rezeption Verbreitung in weiten Teilen Deutschlands. 900 Anonyme Rezension in Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft, 1845, S. 958. 901 Gerber, Meditationes ad locum speculi juris saxonici, lib. I art. L II, Erlangen 1847. 902 Lehrveranstaltungen UA Jena GI. 903 Sachsenspiegel, Landrecht, erstes Buch, 52: Ohne Zustimmung des Erben und ohne echtes Ding darf keiner sein Grundeigen und seine Leute veräußern. Doch tauschen die Herren wohl ihre Dienstleute untereinander ohne Gericht, wenn man den Austausche beweisen und bezeugen kann. Veräußert jemand wider Recht ohne Zustimmung der Erben, so möge sich der Erbe mit Urteil dessen bemächtigen, als ob jener tot sei, der da veräußert hat, wie er nicht veräußern durfte. 904 Gerber, Meditationes, S. 11; vgl. Gerbers Zusammenfassung in System, S. 178, Fn. 2: „Daselbst sind auch die Ansichten derer zu widerlegen versucht, welche das Recht der nächsten Erben auf ein anderes ... Motiv stützen, und die Existenz einer solchen Berechtigung der Erben in der ältesten germanischen Zeit in Abrede stellen. Daß man mit einem väterlichen Gefühl für die Erben Nichts erklären kann, geht aus der Geschichte der römischen Suität hervor, welche trotz ihrer bedeutenden Wirksamkeit doch nicht entfernt zu jenem Ziele führte.“ 898 899

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c) De pactis hereditariis 1862 Das lateinische Programm „De pactis hereditariis“ von 1862 ist eine Abhandlung von knapp sieben 905 Seiten. Entgegen seinem weitgefaßten Titel handelt es sich im wesentlichen um die Besprechung des Buches „Zur Lehre von den Erbverträgen und von den gemeinschaftlichen Testamenten“ des Göttinger Professors Gustav Hartmann, das 1860 erschienen war. Das Thema lag Gerber offenbar nicht besonders am Herzen, zudem quälte er sich mit der lateinischen Abfassung. 906. Er betrachtete das Jenaer Programm als formale Routinearbeit, mit der er inhaltlich eher unzufrieden war. Gerber geht in seiner Abhandlung davon aus, daß das germanische Recht des Mittelalters weder Testament noch Erbvertrag in der zu seiner Zeit üblichen Form kannte. 907 Beseler 908 habe nachgewiesen, daß alle Stellen in den Rechtsbüchern des Mittelalters, die von Erbverträgen zu sprechen scheinen, tatsächlich anders zu verstehen seien. 909 Sodann wird auf Hasse 910 eingegangen, dem Beseler und fast alle späteren Bearbeiter des Themas gefolgt seien. Hasse habe verneint, daß diese Verträge irgendeine Verpflichtung schüfen. 911 Diese These Hasses wiederum werde gegenwärtig durch Hartmann verworfen. 912 Es folgt eine Darstellung der Theorie Hartmanns. Dieser schlage eine neue Konstruktion des Instituts vor, die von der bisher überlieferten Lehre so sehr abweiche, daß, wenn sie wahr sei, alles bisher darüber Geschriebene vollständig zurückzuweisen sei. Hartmann behaupte, daß der Erbeinsetzungsvertrag (pactum hereditarium acquisitivum) kein Rechtsgeschäft sei, das seine eigenen Bedingungen, seine eigene Natur habe, sondern stelle fest, daß er aus zwei Rechtsgeschäften zusammengesetzt sei. An erster Stelle beinhalte er das Institut des Testaments. Diesem hinzugefügt sei ein Vertrag, den Willen des Erblassers nicht zu ändern, oder aber ein Vertrag, durch den der Einsetzende auf seine spätere Testierfähigkeit verzichte. 913 Gerber äußert Zweifel, daß diese These bewiesen werden kann. 914 Die Geschichte der Erbverträge bringe nichts zutage, womit man ihr Prinzip definieren könnte. Nach seiner Überzeugung glaubten unsere Vorfahren, wann immer sie einen solchen Vertrag schlossen, daß sie ein, nicht zwei Rechtsgeschäfte abschlossen, und sie wollten, daß sich der Vertrag, das heißt die Übereinkunft, auf die Hauptsache, nämlich die Einsetzung des Erben, nicht auf einen zusätzlichen Punkt erstreckDer Text beginnt auf Seite 3, so daß sich in der Numerierung immerhin 9 Seiten ergeben. Vgl. oben Teil 1, X. 907 Gerber, De pactis hereditariis, S. 3. 908 Gerber gibt hierzu keinen konkreten Literaturnachweis. 909 Gerber, De pactis hereditariis, S. 3. 910 Auch hier wird nur angemerkt, daß es sich bei der Schrift Hasses um eine äußerst berühmte und herausragende handele. 911 Gerber, De pactis hereditariis, S. 5. 912 Gerber, De pactis hereditariis, S. 6. 913 Gerber, De pactis hereditariis, S. 6. 914 Gerber, De pactis hereditariis, S. 7. 905 906

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

te. 915 Als Beispiel zitiert Gerber ausführlich eine Stelle aus den „Weisthümern“ Jacob Grimms (T. III, p. 551). Zum Schluß führt er noch Savigny ins Feld, der zu Recht die bloße Erwartung des Erbes dem Recht, das Erbe anzutreten, gegenüberstelle. 916 Die lateinischen Arbeiten waren für Gerber, wie man seinen brieflichen Äußerungen entnehmen kann, eher akademische „Pflichtübungen“. Er entwickelte darin keine neuen bahnbrechenden Theorien, sondern beschränkte sich auf die Besprechung von Altbekanntem. Festzuhalten ist jedoch, dass er sich in allen drei lateinischen Aufsätzen mit dem Themenkreis des Erbrechts beschäftigt, einer grundlegenden germanistischen Materie, der er sich ansonsten – abgesehen von der relativ breiten Darstellung in den verschiedenen Auflagen seines Lehrbuchs und seiner ausführlichen Behandlung des Themenkomplexes Familienfideikommiß in zwei Aufsätzen – nicht in diesem Maße widmete. 2. Einzelne Miscellen, Aufsätze und Rezensionen Gerber hat diejenigen seiner Zeitschriftenbeiträge und Reden, die er selbst für relevant hielt, 1872 in zwei Bänden als „Gesammelte juristische Abhandlungen“ zusammengefaßt. Zu seinen vereinzelten sonstigen kleineren Schriften bietet die sorgfältige Bibliographie bei Losano 917 einen nahezu erschöpfenden Überblick. Losano spricht die Vermutung aus, daß einige Beiträge Gerbers bei ihm nicht verzeichnet sind und empfiehlt zur Lückenschließung die Sichtung der wichtigsten zeitgenössischen Zeitschriften. 918 Es bot sich, um einige frühe Beiträge und Rezensionen Gerbers zu finden, eine Konzentration auf die von ihm selbst genannten Zeitschriften an. In einem Brief an Mittermaier im April 1846 erwähnt Gerber einige „Recensionen, welche ich theils in der Jenaischen Litt. Zeitung theils in Schneider’s Jahrbüchern habe drucken lassen“. 919 Der wohl erste deutsche Zeitschriftenbeitrag Gerbers erschien Anfang 1844 unter der Rubrik „Miscellen“ in den „Kritischen Jahrbüchern für Deutsche Rechtswissenschaft“ 920. Unter dem Titel „Nachricht von einigen bisher unbekannten juristischen Handschriften“ setzt Gerber sich mit einigen Handschriften auseinander, die er in Gerber, De pactis hereditariis, S. 7. Gerber, De pactis hereditariis, S. 8. 917 Losano, Bd. 2, S. 275 ff. Vgl. i. ü. die Zusammenfassung im Literatur- u. Quellenverzeichnis. 918 Losano, Bd. 2, S. 274/275. 919 Gerber an Mittermaier, Jena 6. April 1846, UB Heidelberg, H.HS 2746, 7, Jelowik, S. 261/262 [121]; Gerber erwähnt bei den „Kritischen Jahrbüchern für Deutsche Rechtswissenschaft“ nie deren Begründer Emil Ludwig Richter, sondern immer nur den gegenwärtigen Herausgeber Robert Schneider, Königlich Sächsischer Appellationsrat in Dresden. Dieser veröffentlichte auch unter der Bezeichnung „Neue kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft“. Gerber spricht daher (auch später in den Anmerkungen seines „Systems“) immer nur von „Schneiders Jahrbüchern“. 920 Gerber, Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1844, S. 92. 915 916

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der kleinen Bibliothek der Stadtkirche Sondershausen fand. Es handelte sich unter anderem um eine Handschrift des Decretum Gratiani, eine Handschrift des Sachsenspiegels und ein bisher unbekanntes Landrecht. Ebenfalls nicht bei Losano verzeichnet ist die 1845 in der gleichen Zeitschrift erschienene Sammelrezension der Abhandlung „Über Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit“ des Bonner Privatdozenten Johann Friedrich Budde und der Inauguraldissertation des Giessener Professors Julius Hillebrand „Über die gänzliche und theilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre nach den deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters“. 921 Gerber verwies auf diesen Aufsatz später noch bei der Besprechung der Rechtsfähigkeit in seinem zivilrechtlichen Lehrbuch. 922 Im Jahr 1846 veröffentlichte Gerber eine Rezension zu dem Buch „Deutsche Rechtsdenkmäler in Böhmen und Mähren“ von Emil Franz Rössler, Mitglied der Prager Juristenfakultät 923. Außerdem erschien von ihm eine Besprechung der Arbeit des Berner Professors Achill Renaud „Beitrag zur Theorie der Reallasten“.924 Zu erwähnen sind aus diesen Anfangsjahren Gerbers vor allem noch die bei Losano aufgeführten umfassenden Rezensionen aus den Jahren 1844 und 1846. So hatte er das „Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts“ des Göttinger Privatdozenten Karl Wilhelm Wolff besprochen 925, wie auch die Monographie „Gesamteigentum“ des Marburger Professors Ludwig Duncker. 926 Ohne auf die Beiträge im Einzelnen detailliert einzugehen, bleibt insgesamt festzuhalten, daß sich bereits in den frühen Veröffentlichungen gewisse „Lieblingsthemen“ Gerbers herauskristallisieren. Diese vertiefte er später in seinem Lehrbuch und in gesonderten Aufsätzen, vor allem auch in der gemeinsam mit Ihering gegründeten Zeitschrift „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“. 927 Auch auf Gerbers wissenschaftliche Grundsätze lassen sich bereits aus diesen frühen Schriften einige Schlüsse ziehen. Gerber geht inhaltlich mit den von ihm zu beurteilenden Werken oft scharf ins Gericht, vor allem, wenn es seiner Meinung nach wissenschaftliche Ungenauigkeiten anzuprangern gilt. Renaud beispielsweise bezichtigt er u. a. der „unzusammenhängenden Deduktion“ und belegt dies im einzelnen an Textstellen der Arbeit. 928 Insbesondere auch Wolff bekommt seine massive Kritik zu spüren, wenn Gerber am Gerber, Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1844, S. 697 ff. Gerber, System (2. Auflage), S. 81, Fn. 5. 923 Gerber, Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1846, S. 918 ff. 924 Gerber, Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 782 ff. 925 Gerber, Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1844, S.1076 bis 1081 und S.1215 bis 1220. 926 Gerber, Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 311 ff. 927 Zu denken ist hier insbesondere an Gerbers strikte Ablehnung des Gesamteigentums in seinem Lehrbuch und seine intensive Beschäftigung mit dem Themengebiet der Reallasten. 928 Gerber, Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 790 f. 921 922

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Ende seiner Rezension schreibt: „Doch der Rezensent bricht hier ab und beendigt die unerquickliche Kritik eines Buches, das für die Wissenschaft in fast keiner Beziehung einen Fortschritt bietet ...“. 929 Es zeugt von Gerbers wissenschaftlicher Kompromißlosigkeit, daß er auch als absoluter Anfänger auf dem Gebiet der Rezension die von ihm aufgestellten Prinzipien energisch verteidigt. Wenn er im einzelnen aufschlüsselt, warum Wolff seinen Ansprüchen nicht genügt, gibt er zugleich einen Einblick in die Grundsätze, die er auch für sein eigenes wissenschaftliches Wirken aufgestellt hat. Gerber rügt, daß bei Wolff weder ein planmäßiges und systematisches Verarbeiten des Materials noch eine Entwicklung des Stoffes nach scharfen Prinzipien sichtbar sei. Dagegen finde sich auf fast jeder Seite „eine Flüchtigkeit der Behandlung, deren übler Eindruck durch die oberflächlich zusammengerafften, ohne Princip eingestreuten historischen Brocken nicht vermindert wird“. 930 Der Rezensent beschließt seine Kritik damit, daß das Buch selbst in stilistischer Hinsicht keine Empfehlung verdiene, da seiner Ausdrucksweise nicht bloß Mangel an Präzision und wissenschaftlicher Haltung zum Vorwurf gemacht werden könnten. Hier drängt sich der Schluß auf, daß Gerber seine eigenen Werke wohl weniger mit der oft herausgestellten „leichten Hand“ schrieb, sondern selbst hart an seinem Stil feilte. Als Gerber 1846 die Schrift „Gesammteigentum“ des Marburger Ordinarius Ludwig Duncker ausführlich auf vierzehn Seiten rezensiert 931, zeichnet sich bereits ab, daß er an bestimmten Thesen unbeirrbar festhalten wird.932 Er bezeichnet eingangs das Thema Gesamteigentum als „eine der interessantesten und wichtigsten Lehren des deutschen Privatrechts“ und erweist der „anerkannte(n) Auctorität“ des Verfassers 933 seinen Respekt. Allerdings gibt er bereits zu Beginn seiner Ausführungen zu bedenken, daß er die Aufstellung absoluter Rechtsbegriffe zur Charakterisierung germanistischer Verhältnisse für gewagt hält. 934 Zudem erscheint es ihm als Irrtum, nur weil es gelungen sei, für viele deutsche Rechtsverhältnisse, namentlich im reinen Obligationenrecht, römische Begriffe zu entlehnen, dies bei allen Instituten des deutschen Rechts für möglich zu halten. 935 Gerbers Ablehnung des Gesamteigentums läßt sich bereits aus dieser frühen Rezension ablesen, auch wenn sie noch nicht so pointiert ausgesprochen wird wie später in seinem Lehrbuch. Gerber, Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1844, S. 1220. Gerber, Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1844, S. 1220. 931 Gerber, Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft 1846, S.311 ff.; „Das Gesammteigenthum“ von Ludwig Duncker war bereits 1843 in Marburg erschienen. 932 Gerber, Duncker-Rezension, S. 319 ff.: Die Aufzählung der Rechtsverhältnisse, bei denen Gesamteigentum diskutiert wird, ist im „System“, S.168/169 mehr oder weniger mit der in der Rezension identisch. 933 Gerber, Duncker-Rezension, S. 311. 934 Gerber, Duncker-Rezension, S. 312. 935 Gerber, Duncker-Rezension, S. 313. 929 930

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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Am Ende dieser insgesamt für Gerbers Verhältnisse auffallend positiven Rezension (Gerber charakterisiert das Werk als „Fortschritt unserer Wissenschaft“ 936) findet sich eine Formulierung in bezug auf Gerbers Einstellung zu wissenschaftlicher Auseinandersetzung, die mit Blick auf die ihm bevorstehenden Kontroversen und Querelen von besonderem Interesse ist. „Wenn der Recensent nicht immer mit den Resultaten des Verfassers übereinstimmen konnte, so berechtigt dies noch nicht zu einem wirklichen Tadel, weil jede wissenschaftlich begründete Ueberzeugung selbst dann einen Anspruch auf Achtung genießt, wenn eine fremde Kritik sie bestreiten zu müssen glaubt.“ 937 Es bleibt allerdings zu fragen, ob Gerber später seinen eigenen Ansprüchen in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit seinen germanistischen Fachkollegen immer gerecht geworden ist. Von Gerbers späteren Rezensionen seien hier nur kurz seine Besprechungen der Werke von Stobbe und Roth 938 erwähnt, die in Zarnckes „Literarischem Centralblatt für Deutschland“ anonym erschienen, sich aber infolge ihres Inhalts und anhand von Gerbers Korrespondenz mit Zarncke relativ sicher als aus der Feder Gerbers stammend identifizieren lassen. Auf sie wird im Zusammenhang mit den Konflikten zwischen Gerber und den anderen Germanisten noch zurückzukommen sein. Als Dekan der Leipziger Juristenfakultät veröffentlichte Gerber 1869 eine Abhandlung über „Die Ordinarien der Juristenfacultät zu Leipzig“. Die Schrift wurde „Herrn Carl Georg von Wächter zur Feier seines fünfzigjährigen Professorenjubiläums“ von der Juristenfakultät dediziert. In der Einleitung geht Gerber ausführlich auf die akademischen Leistungen des Jubilars „auf allen Gebieten, welche der Beruf des wissenschaftlichen Juristen überhaupt berühren kann“, ein.939 Gerber, den im persönlichen Bereich keine besonders innige Beziehung mit Waechter verband 940, betont seinen „Stolz, Sie an der Spitze unserer Facultät zu sehen“. 941 Besonders unterstreicht Gerber, daß die akademischen Leistungen nur eine Seite von Waechters Wirken darstellen. Ebenso hebt er dessen Verdienste als Kanzler der Universität, als Präsident der Württembergischen zweiten Kammer und bei zahlreichen legislatorischen Arbeiten hervor. 942 Fast hat es den Anschein, als wolle Gerber mit diesem Lob Waechters auch sein eigenes ähnlich gelagertes Engagement für Wissenschaft, Politik und Gesetzgebung ins rechte Licht rücken. Gerber, Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 325. Gerber, Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 325. 938 Otto Stobbe, Handbuch des Deutschen Privatrechts, 1. Band, Berlin 1871, anonym besprochen von Gerber in Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 684–686; Paul Roth, System des deutschen Privatrechts, Bd. 1, 1880, anonym besprochen von Gerber in Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 490 f. 939 Gerber, Juristenfakultät, S. 3. 940 Man vergleiche beispielsweise Gerbers Klage über die mangelnde menschliche Nähe zu Waechter bereits in Tübingen oder seine abschätzigen Bemerkungen über ihn in seinen Briefen von konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, Erster Teil, Kapitel VI. und XII. 941 Gerber, Juristenfakultät, S. 5. 942 Gerber, Juristenfakultät, S. 9/10. 936 937

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Die eigentliche Schrift umfaßt die 35 kurzgefaßten Lebensläufe der bisherigen Ordinarien der Leipziger Juristenfakultät. In einer Fußnote erläutert Gerber den Begriff Ordinarius. Ursprünglich bezeichnete dieser Titel den „Inhaber der mit ständigem Lehrauftrage und bestimmtem Einkommen fundirten Lehrstelle des geistlichen Rechts“ im Gegensatz zu den „Doctores mit wechselnden Lecturae“943. Das Amt verwandelte sich jedoch bald in ein lebenslängliches, und man verstand es als „die erste, mit der ständigen Vorstandschaft der Facultät (nicht blos, wie in der Hauptsache gegenwärtig des Spruchkollegiums) ausgestattete Professur“. 944 Die Kurzlebensläufe dieser bisherigen „Vorsteher“ der Juristenfakultät beginnen mit Conrad Thus, der bald nach Gründung der Universität Leipzig in diese als erster Ordinarius der Juristen eintrat (Inskription im Winter 1411). Es finden sich bekannte Namen wie Benedict Carpzov, der 1645 zum Ordinarius der Juristenfakultät ernannt wurde. Er hatte Gerber zufolge „das seltene Glück gehabt, dass seine Schriften über ein Jahrhundert und nicht blos in Sachsen die Praxis und Wissenschaft beherrschten“. 945 Doch selbst zu diesem feierlichen Anlaß kann Gerber sich einer destruktiven Anmerkung nicht enthalten. Für ihn sei „der außerordentliche Ruhm seines Namens kein ganz verdienter, da fast alle seine Schriften den Charakter unselbständiger Compilationen hatten“. 946 Auch Gerbers Urteil beispielsweise über Carl Ferdinand Hommel, der 1756 die Position des Ordinarius übernahm, fällt nicht uneingeschränkt günstig aus, wenn von dessen „zahlreichen, mehr geistreichen als gründlichen Dissertationen“ 947 die Rede ist. Abschließend heißt es über ihn: „Manche seiner Arbeiten sind Produkte seines Witzes und seiner Neigung, gelehrte Arbeiten durch ein scherzhaftes Gewand schmackhaft zu machen“, was aus dem Mund Gerbers ein eher zweifelhaftes Lob darstellt. Am Ende der Würdigung der einzelnen Ordinarien kommt Gerber unter XXXV. relativ kurz auf Leben und Verdienste Waechters zu sprechen, dem die gesamte Darstellung gewidmet ist. Er erscheint gewissermaßen als bisheriger Schlußpunkt in der Reihe der führenden Leipziger Rechtslehrer. Darüber, daß bei Gerber Waechter gegenüber, den er persönlich, wie erwähnt, nicht übermäßig schätzte, auch ein gewisses Quantum an Neid im Spiele gewesen sein mag, kann nur spekuliert werden. Gerber beschreibt in nüchternen Worten die bisherige Vita Waechters. Die Verdienste des Jubilars, auf die er bereits in der Einleitung eingegangen ist, würdigt er kurz auf Latein – möglicherweise mit einem klassischen Zitat – „Admiratione te potius quam temporalibus laudibus, et si natura suppeditet aemulatione decoremus. Is verus honos, ea conjunctissimi cujusque pietas!“ 948 Gerber, Juristenfakultät, S. 15, Fn. Gerber, Juristenfakultät, S. 16, Fn. 945 Gerber, Juristenfakultät, S. 35. 946 Gerber, Juristenfakultät, S. 35. 947 Gerber, Juristenfakultät, S. 41. 948 Gerber, Juristenfakultät, S. 46: „Wir schmücken Dich lieber mit Bewunderung als mit zeitgebundenem Lob, und wenn es die Natur zuläßt, mit Nachahmung. Das ist die wahre Ehre, diese Treue jedes eng Verbundenen.“ 943 944

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3. Gesammelte Juristische Abhandlungen Nachdem Gerber 1871 sein Ministeramt angetreten hatte, veröffentlichte er 1872 seine im Laufe der Jahre in verschiedenen Zeitschriften erschienenen Aufsätze949 in einem Band als „Gesammelte Juristische Abhandlungen“. Bei dieser Aufsatzsammlung, die alle nach Gerbers Ansicht bedeutenden Aufsätze sowie auch drei von ihm als „zeitlos“ eingeschätzte akademischen Reden enthält, handelt es sich gewissermaßen um Gerbers wissenschaftliches „Vermächtnis“. In seinem Ministeramt blieb ihm kaum mehr Zeit zu akademischer Arbeit. Gerber bemerkt in seinem Vorwort, er habe mit dem Gedanken gespielt, seine früheren Abhandlungen „einer eingreifenden Revision zu unterziehen und dabei meine Stellung zu späteren Untersuchungen Anderer zu bestimmen“. 950 Er habe diesen Plan aber – wohl aus Zeitgründen – ebenso aufgeben müssen wie sein Vorhaben „in einem Rückblicke auf die germanistische Literatur der letzten Jahre eine Schilderung der allgemeinen Bewegung unserer Wissenschaft während dieser Zeit zu versuchen“. 951 Gerber faßte aber immerhin in den „Gesammelten Juristischen Abhandlungen“ thematisch verbundene Aufsätze zusammen und nahm Kürzungen vor. Wenn Losano anmerkt, das Arbeitsprogramm Gerbers sei konsequent aufgebaut gewesen und er habe zielgerichtet bestimmte im „System“ angesprochenen Themen in späteren monographischen Abhandlungen weiter entwickelt 952, so kann dem nicht vorbehaltslos zugestimmt werden. Gewiß konnte Gerber in seinen eigenständigen Abhandlungen bestimmte Themengebiete vertiefter und mit einer dezidierteren Stellungnahme versehen behandeln, als dies in seinem komprimierten Lehrbuch der Fall war. Die Auswahl der in Aufsätzen behandelten Themengebiete erscheint jedoch relativ willkürlich und von persönlichen Vorlieben geleitet, keineswegs läßt sich hier die systematische Abhandlung eines zuvor aufgestellten „Arbeitsprogramms“ erkennen. Vielmehr stehen die einzelnen Aufsätze relativ zusammenhanglos nebeneinander, nur selten finden sich Querverweise. Erst bei der abschließenden Edition 1872 war Gerber um eine gewisse Systematisierung bemüht und faßte innerlich verwandte Abhandlungen zusammen. Insoweit kann Gerbers bereits zitierte Aussage von 1870, er habe, was er zu sagen habe, „zu freigebig in compendiöser Form herausgeschossen und meine Resultate zu leicht verzehrbaren Appetitstückchen präparirt, die nun wirklich jeder ohne Mühe schlucken kann“ 953, durchaus auch auf seine Aufsätze bezogen werden. Mit der Zusammenfassung in den „Gesammelten juristischen Abhandlungen, wenn auch ohne die aus seiner Sicht wünschenswerten Überarbeitungen, versuchte Gerber offenbar, seine wissenschaftliche „Bilanz“ aufzuwerten. 949 Gerber spricht von den „meisten kleineren juristischen Schriften“, Gerber, Abhandlungen, Vorwort, S. V. 950 Gerber, Abhandlungen, S. V. 951 Gerber, Abhandlungen, S. V/VI. 952 Losano, Bd. 2, S. 98. 953 Gerber an Ihering, Leipzig, 26. Mai 1870 [285].

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Allerdings wurden seine Abhandlungen auch von ihm grundsätzlich eher wohlwollend gesonnen Kollegen wenig geschätzt. So bemerkte Stobbe bereits 1856 in einem Brief an Reyscher, daß „insbesondere wenige Germanisten durch die Aufsätze Gerbers befriedigt werden. Gerber hat sich mit seinem System bereits ausgeschrieben und alle neuen Abhandlungen, welche einzelne Partien seines Buchs unterstützen sollen, sind nur uralte und weitläufige Ausführungen von dem, was er früher schon besser gesagt hat.“ 954 Im Folgenden werden die Abhandlungen chronologisch nach der Entstehungszeit aufgeführt und kurz zusammengefaßt. Bei aus mehreren einzelnen Teilen zusammengesetzten Beiträgen richtet sich die Reihenfolge nach der Datierung des frühesten Teils. a) Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt (1851, 1855 und 1865) Gerber faßte seine Tübinger Antrittsrede als Kanzler von 1851 (ursprünglich betitelt: „Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft“), einen Beitrag in Schletters Jahrbüchern aus dem Jahre 1855 und seine Rede bei Übernahme des Rektorats der Universität Leipzig im Jahre 1865 unter dem Titel „Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt“ zusammen. In der Tübinger Kanzlerrede anläßlich einer akademischen Preisverleihung spricht er zunächst sein Bedauern über den Abschied seines Kanzlervorgängers aus – ohne Waechter direkt beim Namen zu nennen. Ungesagt bleibt, daß Gerber mit dieser Rede vor allem eine Replik auf die Angriffe seines Vorgängers in der Professur für deutsches Privatrecht, nämlich Reyschers, beabsichtigt. 955 Ausgehend von einer Betrachtung über das gemeinsame Band zwischen allen Wissenschaften stellt Gerber fest, ohne Anknüpfung an diese allgemeinen Grundlagen sinke „das wissenschaftliche Vermögen in seiner Richtung auf ein besonderes, begränztes Gebiet zur handwerksmäßigen Fertigkeit herab“. 956 Nach dieser Einleitung richtet Gerber die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf die Entwicklung der Rechtswissenschaft in Deutschland, die erst die Empfänglichkeit für das „Zusammenwirken(s) aller wissenschaftlichen Richtungen“ und die „unmittelbare(n) Einwirkung des deutschen Volksgeistes“ 957 ermöglicht habe. Gerber kommt auf die Rezeption des römischen Rechts im fünfzehnten Jahrhundert zu sprechen, ein Vorgang, den er mit den Versuchen der Humanisten, „die germanische Welt durch die 954 Stobbe an Reyscher, Januar 1856, Württ. LB Stuttgart, zitiert bei Scholze, Stobbe, S. 243. 955 Vgl. oben Erster Teil, Kapitel VI.; zur Auseinandersetzung zwischen Gerber und Reyscher vgl. unten, Kapitel IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten. 956 Gerber, Abhandlungen, S. 3. 957 Gerber, Abhandlungen, S. 3.

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Einführung der klassischen Bildung zu verjüngen“ 958, in eine Reihe stellt. Gerber befürwortet, daß dem deutschen Recht, „wenn seine Selbständigkeit außer Gefahr ist, fremde verjüngende Kräfte beigemischt werden“. 959 Gerade das römische Recht sieht er als besonders geeignet zu dieser Ergänzung an. Die Begründung dafür läßt überraschenderweise naturrechtliches Gedankengut bei Gerber erkennen, was man allerdings nicht überbewerten sollte. Das Recht habe „neben seiner nationalen und nothwendigen auch eine freie Seite, nach der es etwas absolut Bestimmbares ist“. 960 Insbesondere „dem römischen Volke war es beschieden, diese freie Seite in vollendeter Weise festzustellen“. 961 Gerber führt den Einfluß des römischen Rechts in Deutschland nicht auf „eine willkürliche oder klug berechnete That“, auch nicht auf „Zufall oder Irrthum“, sondern auf seine „providentielle Mission“ zurück. 962 Den Rechtszustand des Mittelalters charakterisiert Gerber als „äussere rohe Satzung“, mit der Folge, daß die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland lange Zeit hindurch nur „zerstörend und hemmend“ wirkte.963 Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen Voraussetzungen, die „dem Recht des hochgebildeten römischen Volkes“ zugrunde lagen, entsprachen nicht den „Formen des noch unentwickelten Volkslebens in Deutschland“. 964 Zudem stieß das hochentwickelte römische Recht in Deutschland auf Verständnisschwierigkeiten, weil man den „geistige(n) Entwicklungsprocess“ 965 des römischen Volkes nicht nachvollzog. Das römische Recht blieb fremd, man „wandte seine einzelnen Rechtssätze knechtisch und ohne geistige Freiheit auf die widerstrebenden Rechtsverhältnisse an“. 966 Darunter litt auch das einheimische Recht, das man ohne Verständnis für geschichtliche Zusammenhänge „in gleich äusserlicher Weise wie das römische, als ein fremd gewordenes Object“ behandelte. 967 Nach Gerbers Fazit war die Rechtswissenschaft des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts ihrer Aufgabe nicht gewachsen, sie sank „zum Handwerk einer Juristenzunft“ herab, die „wie sie sich sonst dem geistigen Leben der Nation entfremdete, ihre Beschränktheit auch in einer barbarischen Rechtssprache kund gab“. 968 Insbesondere kritisiert Gerber bei dieser Art von Wissenschaft das Fehlen einer „Idee der Entwicklung“. 969 Ende des 18. Jahrhunderts schließlich habe man „unter den Einflüssen jener frivolen Philosophie, welche statt der in der Geschichte geoffenbarten Weissheit das Trugbild eitler Verstandesreflexion bewun958 959 960 961 962 963 964 965 966 967 968 969

Gerber, Abhandlungen, S. 4. Gerber, Abhandlungen, S. 4. Gerber, Abhandlungen, S. 5. Gerber, Abhandlungen, S. 5. Gerber, Abhandlungen, S. 5/6. Gerber, Abhandlungen, S. 6/7. Gerber, Abhandlungen, S. 7. Gerber, Abhandlungen, S. 7. Gerber, Abhandlungen, S. 8. Gerber, Abhandlungen, S. 8. Gerber, Abhandlungen, S. 8. Gerber, Abhandlungen, S. 9.

15 Schmidt-Radefeldt

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

derte“, gestanden und einem „flachen Vernunft- oder Naturrechte geopfert“. 970 Aus diesen Niederungen sei die Rechtswissenschaft durch Savigny erhoben worden. Die großen Geschichtswerke von Niebuhr, Savigny und Eichhorn hatten laut Gerber durch „den Gedanken der Entwicklung und des Zusammenhangs der Rechtsgeschichte mit der Entfaltung der sittlichen Kräfte im Volke ... den Schlüssel zum Verständnis des römischen und deutschen Rechts gewonnen“. 971 Auch in der Form machten diese Arbeiten Epoche, da sie auf die „ungeheuerliche Juristensprache“ verzichteten und „jene reine edle Diction, welche durch Gewinnung des einfachen und wahren Wortes für jeden Gegenstand aus dem Reichthume des deutschen Sprachschatzes gebildet wird“ 972, verwendeten. Gerber selbst bemühte sich in seinen Werken stets um klare, leicht verständliche Formulierungen, was sicher nicht zuletzt zum Erfolg beispielsweise seines Lehrbuchs beitrug. Um der Rechtswissenschaft die „wahre – ihrer Idee entsprechende Ausbildung“ zu geben, glaubt Gerber jedoch, noch einen Schritt weiter gehen zu müssen als die genannten vorbildhaften Autoren in ihrer historischen Betrachtungsweise. Für ihn ist das Recht „nicht blos eine Thatsache, die gewusst“, sondern „zugleich eine lebendige Macht, von der die Gegenwart beherrscht werden soll“. 973 Die aus der Geschichte gewonnenen Rechtsideen sollen wiederum aus ihrer historischen Verbindung gelöst und „als lebendige Glieder eines in unserem eigenen Wollen und Empfinden begründeten Organismus erkannt werden“. Gerber sieht darin eine „productive“ Tätigkeit, ein „vollständiges Wiedererzeugen des Geschichtlichen für die unmittelbare Gegenwart“ 974. Hier findet Gerber Gelegenheit, die Bedeutung der von ihm propagierten „productiven“ konstruktiven Jurisprudenz hervorzuheben. Die Anforderungen an die Rechtswissenschaftler sind hoch und beschränken sich nicht auf die reine Wissenschaft. Es muß sich nach Gerbers Ansicht um „Naturen von dichterischem und künstlerischem Vermögen“ handeln, die „das Angeschaute nicht in mechanischer Weise überliefern, sondern als ein neues lebensvolles Gebilde“. 975 Vorausgesetzt wird eine „neue schöpferische Kraft“ 976, wie sie von Savigny und Puchta für das Gebiet des römischen Rechts ausgegangen ist. Insbesondere Puchta hat Gerber zufolge den „grossen Sieg des deutschen Geistes durch das eigenthümliche System befestigt(e), mit dem er das römische Recht durchdrungen hat“.977 Gerber leitet daraus Konsequenzen für die Bearbeitung des einheimischen Rechts ab. Es handelt sich für ihn nicht mehr um „die Abwehr jener gewaltsamen Unterdrückung des deutschen 970 971 972 973 974 975 976 977

Gerber, Abhandlungen, S. 9/10. Gerber, Abhandlungen, S. 11. Gerber, Abhandlungen, S. 11. Gerber, Abhandlungen, S. 11. Gerber, Abhandlungen, S. 11. Gerber, Abhandlungen, S. 12. Gerber, Abhandlungen, S. 12. Gerber, Abhandlungen, S. 13.

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Rechts durch ein unverstandenes, mit roher Willkür aufgedrängtes fremdes Recht“. 978 Gerber schließt hier eine Kritik gegenüber seinen wissenschaftlichen Gegnern, die bei ihm ein übertriebenes Romanisieren kritisieren, an. Die „zu ihrer Zeit vollständig berechtigte Opposition der Germanisten gegen die Romanisten“ erscheint ihm „in unseren Tagen ebenso sehr verspätet ... als eine in die Gegenwart verlegte Türkenpredigt“. 979 Gerber sieht die Aufgaben der gegenwärtigen deutschen Rechtswissenschaft darin, „den Schatz jener hohen juristischen Bildung ... auch für die Entwicklung des deutschen Rechtes dienstbar zu machen“.980 In diesem Zusammenhang verwendet er eine Formulierung, die ein bezeichnendes Licht darauf wirft, welche Rolle er dem „schöpferischen“, dem „productiven“ Rechtswissenschaftler zudenkt. Er sieht ihn dazu bestimmt, „die aus unserem eigenen Volksleben hervorgegangenen Rechtsideen in gleicher Weise auszudenken“, wie dies im römischen Recht der Fall ist, „damit sie zum Nationalen den Werth der geistigen und wissenschaftlichen Ebenbürthigkeit erwerben“ 981. Gerber schließt seinen Vortrag mit der Feststellung, man habe vom römischen Recht „das specifische juristische Denken und juristische Construiren gelernt, d. h. das juristische Beherrschen der thatsächlichen Verhältnisse des Lebens“ und so nach langen Bemühungen eine „eigenthümliche deutsche Rechtswissenschaft gewonnen“. 982 1855 veröffentlichte Gerber in Schletters „Jahrbüchern der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung“ eine „Einleitung in den gegenwärtigen Stand der deutschen Privatrechtswissenschaft“, die er ebenfalls auszugsweise in die „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ aufnahm. In seiner Darstellung beginnt er mit einer Würdigung der Leistungen Eichhorns, der bekanntermaßen durch seine rechtshistorischen Arbeiten der deutschen Privatrechtswissenschaft eine ganz neue Grundlage geschaffen habe. 983 Allerdings stand „ihre Bedeutung für die Praxis in keinem Verhältnis zu ihrem wissenschaftlichen Werthe“ 984. Die Entwicklung des modernen Rechtslebens stellte die Inhalte der „neu belebten Wissenschaft“ 985 vom deutschen Privatrecht vor ernste Probleme. Die Grundlagen des alten deutschen Rechts wie die besondere Bedeutung des Grundeigentums, der „eigenthümliche Zug nach Individualisierung in geschlossenen genossenschaftlichen Verbänden“ 986 oder das Lehnwesen wurden infrage gestellt, teilweise blieben von dem ehemals Gerber, Abhandlungen, S. 13. Gerber, Abhandlungen, S. 13. Diesen Gedanken hatte Gerber in ähnlicher Form bereits 1850 in einem Brief Mittermaier ausgedrückt, Gerber an Mittermaier, Erlangen, 2. Juni 1850, H.HS 2746, 11, Jelowik, S. 320 [163]: „Überhaupt kann ich den Unterschied zwischen Romanisten und Germanisten, wie ihn z. B. Reyscher fortdauernd im Munde hat, für die Gegenwart nicht anerkennen.“ 980 Gerber, Abhandlungen, S. 13. 981 Gerber, Abhandlungen, S. 13. 982 Gerber, Abhandlungen, S. 14. 983 Gerber, Abhandlungen, S. 16. 984 Gerber, Abhandlungen, S. 17. 985 Gerber, Abhandlungen, S. 17. 986 Gerber, Abhandlungen, S. 17. 978 979

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reichhaltigen Material nur noch „Bruchstücke“ bestehen. 987 In der Folge mußte trat das einheimische Recht gegenüber der Bedeutung des römischen Rechts verschwindend zurück, das „System des deutschen Rechtes“ vermittelte den „Anblick einer alten Rüstkammer“, in der sich lediglich „manches noch Brauchbare“ finden ließ. 988 Seit Eichhorn unternahmen zahlreiche neuere Germanisten Anstrengungen, um die zukünftige Bedeutung des deutschen Rechts zu retten.989 Teilweise sei dies versucht worden, indem man das römische Recht beseitigte. Dagegen wendet Gerber ein, daß „ein kranker Mann nicht dadurch gerettet werden kann, dass ein anderer gesunder Mann geopfert wird“ 990, auch habe sich die Wissenschaft des römischen Rechts seit Savigny und Puchta entscheidend verändert und beschränke sich nicht mehr auf die reine Interpretation des Justinianischen Gesetzbuchs. Gerber hält es für die Zukunft durchaus für möglich, dass zu einem späteren Zeitpunkt „das Privatrecht nicht mehr wie bisher zum grossen Theile aus den römischen Quellen geschöpft wird“, sondern „das fremde Recht in einer völlig nationalen Rechtsanschauung aufgegangen ist“. 991 Dies sei dann jedoch das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses und könne „unmöglich durch eine theoretische Fiction anticipirt werden“.992 Eine andere Richtung in der neueren Germanistik hält Gerber für überzeugender. Danach ist davon auszugehen, daß sich die „physiologische Beschaffenheit“ 993 – beachtlich ist hier einmal mehr das aus der Naturwissenschaft entlehnte Vokabular Gerbers – des heutigen römischen Rechts und des aus dem Mittelalter überlieferten deutschen Rechts maßgeblich unterscheiden. Einer Summe abstrakter Rechtsregeln im römischen stehen im deutschen Recht „verhältnismäßig wenige selbständig entwickelte Rechtsinstitute“ gegenüber, während der Hauptbestandteil von einer „Summe von Rechtsverhältnissen, welche aus dem deutschen Volksleben erwachsen sind“, gebildet wird. 994 Wenn sich ein Wissenschaftler nun – wie Eichhorn und seine Nachfolger – lediglich die Schilderung der „Verhältnisse in ihrem gegenwärtigen rechtlichen Bestande“ zur Aufgabe macht, ist das Ergebnis nicht „ein System von Rechtsinstituten, deren jedes in irgend einer Möglichkeit der menschlichen Willensrichtungen seinen Grund hat“. 995 Vielmehr handelt es sich um eine „systematische Darstellung von Rechtszuständen, welche zum grossen Theile dem Wechsel socialer und politischer Krisen anheim fallen und daher unmöglich die Grundlage einer unabhängigen Wissenschaft sein können“. 996 Die „reinen juristischen Princi987 988 989 990 991 992 993 994 995 996

Gerber, Abhandlungen, S. 17. Gerber, Abhandlungen, S. 18. Gerber, Abhandlungen, S. 18. Gerber, Abhandlungen, S. 18/19. Gerber, Abhandlungen, S. 19. Gerber, Abhandlungen, S. 19. Gerber, Abhandlungen, S. 19. Gerber, Abhandlungen, S. 19. Gerber, Abhandlungen, S. 20. Gerber, Abhandlungen, S. 20.

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pien“ im deutschen Recht liegen laut Gerber „zum Theil verborgen in der Verkettung faktischer Zustände“ 997. Um das deutsche Recht dem römischen „ebenbürtig“ zu machen, sollte der Rechtswissenschaftler die „in den deutschen Rechtsverhältnissen schlummernden Ideen aus ihrem geschichtlich-organischen Verbande ... lösen“ und „sie in geläuterte Rechtssätze und Rechtsinstitute verwandeln“. 998 Nur so sieht Gerber eine Möglichkeit, „die dereinstige völlige Einheit unseres Privatrechts“ 999 erfolgreich anzustreben. Für seine Kritiker, die „juristisch denken mit Romanisieren für gleichbedeutend halten“, meint er hervorheben zu müssen, daß „die Fundstätte für das Material dieser Arbeit nicht etwa das römische Recht ist“, sondern einzig „das in der Rechtsgeschichte ausgesprochene Rechtsbewußtsein des deutschen Volks“. 1000 Abschließend geht Gerber auf die Einwände ein, die Bluntschli gegen seine Methode vorgebracht hat, allerdings ohne den Schweizer Kollegen beim Namen zu nennen. 1001 Er spricht allgemein von den „gemüthlich-sinnigen Naturen“, die durch die, wie sie es ausdrücken, „kalten logischen Linien“ der Gerberschen Richtung „das schöne Bild“ zerstört sehen, „das ihre dichterische Phantasie vom deutschen Rechte entworfen hat“. 1002 Gerber konstatiert bei seinen wissenschaftlichen Antipoden ein Verkennen der „Funktion des Rechts im Verhältnis zu dem unter ihm pulsierenden organischen Leben“; aus diesem Grund „oktroyieren“ sie „ihre sentimentale Stimmung dem Rechtsbewusstsein des deutschen Volks“. 1003 Mit diesen polemischen Äußerungen, die im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Gerber und Bluntschli zu sehen sind, findet diese Abhandlung ein relativ unvermitteltes Ende. Die letzte Abhandlung Gerbers in dieser Zusammenstellung, die Leipziger Rektoratsrede, datiert zehn Jahre später, nämlich vom Jahr 1865. Gerber behandelt ein aus seiner Sicht hochaktuelles Thema, die Bedeutung der neuen Privatrechtskodifikationen für die Rechtswissenschaft. In diesem Jahr sei „in unserm engern Vaterlande ein vollständiges Privatrechtsgesetzbuch publicirt“ 1004 worden – Gerber spielt auf das Gerber, Abhandlungen, S. 20. Gerber, Abhandlungen, S. 20/21. 999 Gerber, Abhandlungen, S. 21. 1000 Gerber, Abhandlungen, S. 21. 1001 Daß sich der Abschnitt insbesondere gegen Bluntschli richtet, wird dadurch deutlich, daß Gerber Bluntschli wörtlich zitiert und zu widerlegen versucht: „Das römische Recht sei ein kahler römischer Tempel, das deutsche Recht ein ‚Dom‘ mit reicher architektonischer Verzierung; jenes habe sich nach Art der Krystalle, dieses nach Art der Pflanzen entwikkelt, – nur Schade, dass diese schönen Bilder nicht viel mehr als Träume sind; denn weder ist das, was man jetzt deutsches Privatrecht nennt, je einem Dome ähnlich gewesen, noch lässt sich seine so viel gestörte und unregelmäßige Entwicklung mit der Metamorphose der Pflanzen vergleichen“, Gerber, Abhandlungen, S. 21/22; vgl. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, S. XVII. 1002 Gerber, Abhandlungen, S. 21. 1003 Gerber, Abhandlungen, S. 22. 1004 Gerber, Abhandlungen, S. 23. 997 998

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1865 1005 an – ebenso werde in Bayern eine Privatrechtskodifikation vorbereitet. Gerber wirft in diesem Zusammenhang eine Fragestellung auf, die er als „Lebensfrage“ bezeichnet. Kann die bisherige Wissenschaft und ihr Studium im wesentlichen unverändert bleiben und muß lediglich „diese neuen grossen Erscheinungen“ in sich aufnehmen oder ist „unser seitheriges Arbeitsfeld als verödet und unfruchtbar zu verlassen und mit einem völligen Neubruchslande zu vertauschen“. 1006 Zur Beantwortung glaubt Gerber zunächst die Ziele des rechtswissenschaftlichen Unterrichts an Universitäten definieren zu müssen. Es habe eine Zeit gegeben, in der „der Begriff der Rechtswissenschaft im wesentlichen mit dem Begriff der Gesetzkenntniss zusammenfiel“. 1007 Zur Zeit des usus modernus pandectarum erschien der gesamte Rechtsstoff „wie eine kaum zu umfassende Menge von Recepten, mit denen das Rechtsleben behandelt und wol auch mishandelt wurde“, die Rechtsanwendung stellte sich als „einfache Mechanik“ dar. 1008 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts war auch in der Jurisprudenz eine „Periode der Aufklärung“ und der „Naturphilosophie“ zu verzeichnen, in der man „das Heil in der subjectivistischen Betrachtung des Naturrechts und seiner Schöpfungen“ 1009 suchte. Gerbers abschließendes Urteil zu dieser Zeit des Naturrechts lautet: „Es ist bekannt, wie gering der Erfolg dieser Strebungen gewesen ist und mit welcher vollendeten Verflachung die Jurisprudenz schliesslich aus dieser Periode hervorging.“ 1010 Nach dieser „Verirrung“ sei die entscheidende Wende vorbereitet worden, indem die Rechtswissenschaft „auf ihr allein richtiges Princip, nämlich die geschichtliche Basis“, gestellt und als „Theil der Wissenschaft vom Volksgeiste“ begriffen wurde. 1011 Die Auswirkungen des geschichtlichen Prinzips auf die Rechtswissenschaft sieht Gerber vor allem in einer Vertiefung der Erkenntnis der Rechtswirklichkeit dadurch, daß diese Erkenntnis „nicht blos in formeller Begrenzung von Begriffen und Sätzen ausläuft, sondern auch die Auffassung der letzten materiellen Motive einschließt“. 1012 Gerber stellt insbesondere eine Überlegenheit dieser „wahre(n) Wissenschaft im höchsten Sinne des Worts“, verglichen mit der „englischen Gesetz- und Präjudizienkenntniss“, fest, da sie ununterbrochen an zwei großen Zielen arbeite, zum einen, „den Reichthum geschichtlichen Werdens zu begreifen“, und zum anderen, „den im geschichtlichen Stoffe ruhenden Gedanken zu einer die Gegenwart beherrschenden Macht zu gestalten“. 1013 1005 Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen wurde am 2.1.1863 verkündet und trat am 1.3.1865 in Kraft, vgl. dazu Buschmann, Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch, in: JuS 1980, S. 553. 1006 Gerber, Abhandlungen, S. 23. 1007 Gerber, Abhandlungen, S. 24. 1008 Gerber, Abhandlungen, S. 25. 1009 Gerber, Abhandlungen, S. 25. 1010 Gerber, Abhandlungen, S. 25. 1011 Gerber, Abhandlungen, S. 26. 1012 Gerber, Abhandlungen, S. 26/27. 1013 Gerber, Abhandlungen, S. 27.

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Die deutsche Rechtswissenschaft hat so für Gerber eine auf diese Grundlagen gestützte Systematik gefunden. Durch die „reiche historische Perspektive“ erscheint für den Juristen „jedes Institut, jeder Rechtssatz der heutigen Welt ... als der letzte Ausdruck eines Gedankens, den er durch alle seine Verhüllungen bis zum ersten schattenhaften Auftreten verfolgen mag“. 1014 Man finde „in dieser rückwärts gehenden Betrachtung zugleich den leitenden Gedanken zur Formulierung seines dogmatischen Princips“. 1015 Auch die „neueste Gesetzesbestimmung“ fügt sich für Gerber in diese geschichtliche Entwicklung ein. Sie ist zwar die „zuletzt entscheidende Fassung des Rechtssatzes“, aber als solche nicht das „isolirte Gebot einer unerklärten Willkür“, sondern vielmehr die aktuelle „Erscheinungsform eines in andern Gestaltungen schon längst bekannten Gedankens“. 1016 Damit ist „Gesetzeskenntniss ... zugleich wissenschaftliche Erkenntniss“. 1017 Dies hält Gerber für die bisher richtige „Art des wissenschaftlichen Rechtsstudiums auf Universitäten“ und stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich daran durch die neuen Kodifikationen etwas ändere. 1018 Während die älteren deutschen Gesetzgebungen, die Landrechte, Constitutionen und Reformationen des 16. und 17. Jahrhunderts, niemals den gesamten Rechtsstoff normierten und so daneben der Wissenschaft ein bedeutendes Feld ließen, zielen die neuen Gesetzbücher darauf ab, „den gesammten Inhalt des privatrechtlichen Stoffs in principieller Vollständigkeit zu erschöpfen“. 1019 Gerber wirft nun die provokante Frage auf, „ob nicht damit der eigentliche Beruf der bisherigen Rechtswissenschaft erfüllt und somit auch ihr ferneres Studium bedeutungslos geworden sei“. 1020 Würde nicht „eine Einleitungsvorlesung zur Kenntniss des vorangegangenen Rechtszustandes“ 1021 genügen? Gerber betont, man dürfe nicht in das Stadium der „Verwechselung von Gesetzkenntnis und Rechtswissenschaft“ zurückfallen: „Zum Juristen wird niemand durch das Erlernen eines Gesetzbuchs“. 1022 Entscheidend ist für ihn die „innere juristische Befähigung, die Fähigkeit, juristisch zu denken“, für die er den Begriff „geistige Gymnastik“ verwendet. 1023 Nach Gerbers Ansicht ist selbst das beste Gesetz immer nur „eine unvollkommene und nur partielle Fassung des Rechtsstoffs“. 1024 Eine allein auf einem modernen Gesetzbuch basierende Lehre „würde sich damit die natürlichen Quellen, den lebendigen Brunnen abgraben“. 1025 Eine auf reine „Wortinterpretation des Gesetzes“ ge1014 1015 1016 1017 1018 1019 1020 1021 1022 1023 1024 1025

Gerber, Abhandlungen, S. 27. Gerber, Abhandlungen, S. 27. Gerber, Abhandlungen, S. 28. Gerber, Abhandlungen, S. 28. Gerber, Abhandlungen, S. 28. Gerber, Abhandlungen, S. 29. Gerber, Abhandlungen, S. 30. Gerber, Abhandlungen, S. 30. Gerber, Abhandlungen, S. 31. Gerber, Abhandlungen, S. 31. Gerber, Abhandlungen, S. 31. Gerber, Abhandlungen, S. 32.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

stützte Lehre zeuge vielleicht von Scharfsinn, der aber allein noch keine Wissenschaft ausmache, sondern im Extremfall zu „dürrer Spitzfindigkeit“ und „leerer Wortklauberei“ führen könne. 1026 Einem reinen Gesetzespositivismus erteilt Gerber hier eine entschiedene Absage. Die Vorstellung, „ein Gesetzbuch könne so vollständig angelegt und so richtig formuliert sein, dass das ganze Rechtsleben in der unendlichen Fülle und Mannigfaltigkeit seiner Gestaltungen darin gedeckt sei“ 1027, hält er für abwegig. Er bestreitet nicht, daß es „ein für sein Rechtsleben entscheidender Vorgang“ ist, wenn ein Volk sein gesamtes Recht in einer Kodifikation zum Ausdruck bringen und darin „die einzelnen Größen seiner Rechtsbildung summiren“ möchte. 1028 Diese Summe solle aber aus ihren „unverwischten Faktoren“ heraus verstanden werden. 1029 Aus diesem Grund plädiert er dafür, daß auch in Zukunft „der Lehrgang unserer jungen Juristen durch das reiche Feld unserer bisherigen wissenschaftlichen Disziplinen hindurchführen muss“. 1030 Er beantwortet daher, wie nicht anders zu erwarten, seine Ausgangsfrage im Sinne einer Beibehaltung des bisherigen Universitätsunterrichts. Zusätzliches Argumentationsmaterial zieht Gerber daraus, daß die neueren Kodifikationen immer nur „innerhalb der Grenzen particulärer Rechtsgebiete“1031 zur Anwendung kommen. Die an den Juristenfakultäten ausgebildete „Wissenschaft des gemeinen Rechts“ als „gemeinsames Arbeitsfeld“ sieht Gerber als einen „Regulator, der die einzelne Particulargestzgebung vor Entartung und Ablösung aus der großen deutschen Rechtsgemeinschaft bewahrt“, an. 1032 Der Gedanke an eine einheitliche Kodifikation für ganz Deutschland taucht bei Gerber an dieser Stelle nicht auf. Er schließt seine Rede mit dem Wunsch, es möge sich das neue Gesetzbuch, „in dessen Schöpfung wir mit Freuden einen Fortschritt unseres Rechtslebens und die erneute Sicherung des altbewährten sächsischen Rechtsschatzes erblicken, auch dem akademischen Studium und unserer Wissenschaft gegenüber als ein freundliches Geschenk erweisen.“ 1033

1026 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033

Gerber, Abhandlungen, S. 32. Gerber, Abhandlungen, S. 32. Gerber, Abhandlungen, S. 33. Gerber, Abhandlungen, S. 33. Gerber, Abhandlungen, S. 33. Gerber, Abhandlungen, S. 34. Gerber, Abhandlungen, S. 34. Gerber, Abhandlungen, S. 35.

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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b) Über die Gewere in den deutschrechtlichen Quellen des Mittelalters (1854) Gerber griff das Thema Gewere 1854 in einer Abhandlung auf. 1034 Das wurde von Ihering begrüßt, der anmerkte, nach der Darstellung in seinem Privatrecht sei Gerber verpflichtet gewesen, seine Ansichten ausführlicher mitzuteilen. Gerbers Idee habe für ihn stets etwas „Verführerisches“ gehabt, und er würde sich „aus juristischem Interesse außerordentlich freuen, wenn Sie die Richtigkeit Ihrer Auffassung darthun würden“. 1035 Bei allem Lob schwingt hier die Kritik mit, die bisherigen Ausführungen Gerbers seien zu spärlich gewesen, wie sie sich auch in dem bereits zitierten Brief Albrechts an seinen ehemaligen Schüler ausdrückt.1036 Eine neue Untersuchung muß Gerbers Meinung nach zunächst das Material darlegen, aus dem die verschiedenen Theorien entwickelt wurden. Er nimmt vorweg, daß möglicherweise ein negatives Resultat zu erwarten ist, daß nämlich geprüft werden muß, ob in den Materialien, den Rechtsbüchern des Mittelalters, überhaupt ein derartiges Rechtsinstitut enthalten ist. 1037 Nach einer ausführlichen Analyse der Quellen behandelt Gerber die daraus entwickelten Theorien. An erster Stelle steht hier für ihn die Beschäftigung mit seinem Leipziger Lehrer Albrecht. Dieser hatte mit seinem Hauptwerk über die „Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts“ seinen Ruf in der Gelehrtenwelt begründet. 1038 Es handelte sich dabei um die „erste klassische Monographie der deutschrechtsgeschichtlichen Literatur“. 1039 Die Ehrfurcht vor der wissenschaftlichen Leistung seines Lehrers hindert Gerber nicht daran, das Werk einer Kritik in einigen grundsätzlichen Punkten zu unterziehen. Albrecht gehe in seiner berühmten Schrift zu Recht davon aus, daß Gewere zunächst soviel wie Besitz bedeute. 1040 Er werfe nun die Frage auf, wie Gewere zu der Bedeutung von Besitz kam. 1041 An dieser Frage kritisiert Gerber, sie setze voraus, daß Albrecht von einem bereits festgestellten Begriff der Gewere ausgegangen sei und diesen nun mit der Bedeutung als Besitz in Übereinstimmung zu bringen versuchte. Das ist für Gerber aber gerade nicht der Fall, vielmehr soll die Beantwortung der Frage erst auf den wahren Begriff der Gewere führen. 1042 Gerber sieht bei Albrecht eine Induzierung des Ergebnisses, die er vermeiden will. 1034 Gerber, Zeitschrift für Civilrecht und Process, Bd. 11 (1854), S. 1 ff.; aufgenommen in Abhandlungen, S. 372 ff. 1035 Ihering an Gerber, ohne Angabe von Ort und Datum [21]. 1036 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6, HStA Dresden. 1037 Gerber, Abhandlungen, S. 375 ff. 1038 Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht, S. 234. 1039 Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht, S. 234. 1040 Gerber, Abhandlungen, S. 407. 1041 Albrecht, Gewere, S. 9. 1042 Gerber, Abhandlungen, S. 407.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Den Ideengang von Albrechts Untersuchung beherrsche als etymologischer Ausgangspunkt das Wort „wehren“, was nach der Grimm’schen Forschung nicht haltbar sei. 1043 Neben weiteren Bedenken wendet Gerber gegen die Schrift Albrechts ein, er berufe sich zum Beweis seiner Abstraktionen über die Gewere vielfach auf Stellen, die gar nicht von der Gewere handeln, ein wissenschaftlich nicht begründbares Verfahren. 1044 Vor allem richtet sich Gerbers Kritik gegen den Begriff Albrechts von der Gewere als dem Recht zur gerichtlichen Vertretung einer Sache. „Nach ihm lässt das deutsche Recht das Eigenthum u. s. w. fast ohne Wirkungsfähigkeit liegen; es bedarf, um thatkräftig zu werden, der Zutheilung eines in der Luft schwebenden Wesens, Vertretungsrecht, Gewere, und diese Zutheilung hängt meist von gewissen formalen Voraussetzungen ab.“ 1045 Für Gerber erscheint das alles nicht vertretbar. Er versucht hier im Ergebnis, das romanistische System abstrakter Rechtsinstitute gegenüber Albrechts Versuch zu behaupten, ein Abbild des in der Realität aufweisbaren Zusammenhangs des mittelalterlichen deutschen Rechts zu geben. 1046 Allerdings beschränkt er sich auf eine Kritik der Theorien Albrechts und der nachfolgenden germanistischen Literatur, auf die Albrechts Buch eine so „zwingende Macht“ ausübte, „dass jede Betrachtung, die sich der trüben Vermittlung der Gewere entledigte und unmittelbar der Sache selbst gewidmet war“, Gefahr lief, „für eine ungründliche, in das innere Verständnis nicht eindringende gehalten zu werden“. 1047 Gerber schließt es aus, materielle Rechtsprinzipien über die Gewere aufzustellen. Albrecht selbst hatte, wie bereits zitiert 1048, schon 1848 in einem Brief an Gerber zugestanden, er wolle sein „Lieblingskind – die Gewere willig Preis geben“, wenn ein System des heutigen deutschen Rechts dargestellt werden solle. 1049 Er führte weiter aus, wenn von der „Construktion des älteren Rechts“ die Rede sei, so sei er „auch jetzt noch geneigt, mich jenes Begriffs anzunehmen, weil wohl ich schon lange nicht alles vertreten möchte, was in meinem Buche steht“. 1050 1043 Gerber, Abhandlungen, S.407. Zur sprachlichen Herleitung des Wortes „Gewere“ führte die insbesondere von Jakob Grimm vertretene Ansicht das technisch verwendete Substantiv gewere, gewer, were, althochdeutsch giweri auf das Verbum wern (gotisch wasjan, althochdeutsch werjan), d. h. „einkleiden“ zurück und setzte es etymologisch wie sachlich mit lateinisch vestire, investire in Verbindung, vgl. Ogris in HRG I, Sp. 1658. 1044 Gerber, Abhandlungen, S. 409. 1045 Gerber, Abhandlungen, S. 411 [/412]. 1046 Vgl. Kroeschell, Zielsetzung, S. 274/275. 1047 Gerber, Abhandlungen, S. 415/416. 1048 Vgl. oben, Zweiter Teil II. 6. 1049 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6, HStA Dresden. 1050 Albrecht an Gerber, Leipzig, den 26.12.1848, NL Gerber Nr. 6, HStA Dresden, vgl. oben unter II. bei der Darstellung des „Systems“.

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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Gerber selbst sagte von seiner Abhandlung über die Gewere, sie sei „mehr negativ, das Positive darin ist unsicher, wie es nach der Natur der Quellen nicht anders sein kann“. 1051 Er hatte sich auf eine Kritik der bestehenden Theorien beschränkt, ohne selbst eine befriedigende neue zu erarbeiten. Insgesamt verspürte er große Unsicherheit hinsichtlich der Qualität dieser Arbeit, nachdem sich Scheurl ungünstig über das Manuskript geäußert hatte. Er bat daher Ihering um den „Freundschaftsdienst“ einer objektiven Beurteilung vor der Veröffentlichung. 1052 Man müsse dabei folgendes bedenken: „1) daß es sich überhaupt um nichts Wirkliches handelt, sondern nur um etwas Eingebildetes. 2) daß daher auch von einer „Geschichte“ der Germanen keine Rede sein kann. 3) daß die angeführten positiven Urkunden gerade die Nichtigkeit zeigen sollen. 4) daß das Ganze nur polemisch = kritisch sein konnte.“ 1053 Ihering, der nur den „Eindruck ..., den Ihre Abhandlung auf einen Laien gemacht hat“, wiedergeben konnte, äußerte sich befriedigt, „was das Formelle der Deduction, den Gang, den Sie einschlagen“, betraf. 1054 Ansonsten wiederholt er seine Einschätzung: „Ihre Ansicht, die ich aus Ihrem deutschen Privatrecht kannte, hatte von jeher etwas Anziehendes und Plausibles für mich, weil sie mir der niedern Stufe der juristischen Ausbildung, die wir unsern Altvordern doch einmal zuweisen müssen, durchaus adäquat zu sein schien, und es erklärte, wie das Wort Gewere zu den unendlich verschiedenen Anwendungen und Bedeutungen kommen konnte, welches letzteres undenkbar sein würde, wenn wir es hier mit einem wirklichen Rechtsinstitut zu thun hätten.“ 1055 Er schließt mit der beruhigenden Versicherung, daß der in Gerbers Abhandlung unternommene Beweis nur ein negativer sein konnte. Gerber hatte nach seiner eigenen Einschätzung mit seiner Abhandlung zur Entwicklung des Gewerebegriffs nichts Positives beigetragen und kam nach 1854 – abgesehen von einigen Umformulierungen und Ergänzung der Fußnoten in seinem Lehrbuch – nicht mehr auf das Thema zurück. c) Themenkreis Autonomie: „Ueber den Begriff der Autonomie“ (1854) „Nachträgliche Erörterungen zur Lehre von der Autonomie“ (1859) In zwei Aufsätzen behandelte Gerber in den folgenden Jahren den Autonomiebegriff, 1854 im „Archiv für die civilistische Praxis“ und 1859 in Gerbers und Iherings „Jahrbüchern“. 1056 Gerber an Ihering, [ ohne Ortsangabe] 14. Juli 1853 [ 22]. Gerber an Ihering, Tübingen, 12. October 1853 [ 26]. 1053 Gerber an Ihering, Tübingen, 12. October 1853 [ 26]. 1054 Ihering an Gerber, Gießen, 16. October 1853 [27]. 1055 Ihering an Gerber, Gießen, 16. October 1853 [27]. 1056 Beide Aufsätze wurden unter dem Titel „Ueber den Begriff der Autonomie“ in die „Gesammelten Juristischen Abhandlungen“ aufgenommen, dort S. 36 bis 99. 1051 1052

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Bereits im ersten Aufsatz von 1854 wendet sich Gerber von der Auffassung der Autonomie als Rechtsquelle ab. Er gesteht zwar zu, daß bisher die Autonomie auch von ihm in § 29 seines Buches in diesem Sinne aufgefaßt worden sei 1057, ebenso wie von Thöl 1058 und Beseler 1059 (der allerdings die Autonomie sehr weit, auch auf Korporationen im weiteren Sinn, ausdehne). Nach einer erneuten Prüfung kommt Gerber zu dem Schluß, „die Idee der Autonomie als einer Selbstgesetzgebung“ sei auch im Recht seiner Zeit „durchaus unhaltbar“. 1060 Gerber beschreibt die Institute, mit denen der Adel seine Standesinteressen sichert: Familienfideikommiß, Stammgut und Erbverbrüderung. Bei diesen charakteristischen Dispositionen ergibt sich für ihn unzweifelhaft, daß sie nicht die Natur von rechtserzeugenden Akten, sondern lediglich die von Rechtsgeschäften haben. 1061 Es wird durch sie kein Rechtssatz hervorgebracht, sondern immer nur ein Rechtsverhältnis. 1062 Auch die anschließende Untersuchung der Autonomie bei Gemeinden und anderen Korporationen ergibt, daß sich in den neuen Gemeindeordnungen an keiner Stelle die Gewalt findet, Rechtssätze hervorzubringen, sondern überall nur eine „mehr oder weniger unabhängige Befugnis zum Abschluss von Rechtsgeschäften“ 1063. Was die Autonomie bei Behörden betrifft, so stellt Gerber fest, administrative Anordnungen könnten nicht als Rechtssätze behandelt werden, es seien vielmehr „Akte, die dem eigentlichen Rechtsgebiete überhaupt gar nicht angehören“. 1064 Als Resultat seiner Untersuchung hält Gerber somit fest, „dass der Begriff der Autonomie als einer besonderen Rechtsquelle nicht begründet ist“. 1065. In dieser Auffassung wurde er brieflich von Ihering bestärkt. Dieser stimmte ihm „im Ergebnis ebenfalls bei: die Autonomie gehört zu den Rechtsgeschäften, nicht zu den Rechtsquellen“. 1066 Allerdings sei vom Standpunkt des römischen Rechts aus gesehen die entgegengesetzte Ansicht eine Notwendigkeit gewesen. Gerber habe sich hier „als wahren Germanisten bestätigt, indem Du uns von diesem spezifisch römischen Gesichtspunkt frei gemacht hast“. 1067 Dagegen sah Maurer in seiner ausführlichen Rezension von Gerbers Aufsatz 1068 – man muss hier eher von einem „Gegenaufsatz“ sprechen – den Verfasser Gerber, Abhandlungen, S. 38. Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, § 49. 1059 Beseler, System des deutschen Privatrechts, § 26–28. 1060 Gerber, Abhandlungen, S. 50. 1061 Gerber, Abhandlungen, S. 52. 1062 Gerber, Abhandlungen, S. 52. 1063 Gerber, Abhandlungen, S. 59. 1064 Gerber, Abhandlungen, S. 62. 1065 Gerber, Abhandlungen, S. 63. 1066 Ihering an Gerber, Gießen, 12. Februar 1854 [32]. 1067 Ihering an Gerber, Gießen, 12. Februar 1854 [32]. 1068 Maurer, Ueber den Begriff der Autonomie, in: Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1855, S. 229 ff. 1057 1058

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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völlig im römischen Recht verhaftet: „Herr G scheint nämlich ohne weiters von der Ansicht auszugehen, daß das röm. Recht nicht etwa bloß, was niemand bezweifelt, ein eminent vernünftiges, sondern daß dasselbe geradezu das allein vernünftige sei.“ 1069 Er hält es aus germanistischer Perspektive für „räthlich, die verschiedenen Zeiten etwas schärfer auseinanderzuhalten, und die Stellung der Gemeinden und sonstigen Corporationen gegenüber der des Adels etwas weniger zurücktreten zu lassen, als Hr. Gerber dieß gethan hat“. 1070 Mit seiner Kritik Gerbers geht es Maurer, wie er vorgibt, vor allem darum, „jedem Versuche zu einem Rückfall in längst verjährte Irrthümer, zumal in höchst praktischen Fragen, sofort entgegenzutreten“. 1071 Davon unbeirrt stellte Gerber in seinem Aufsatz über die Autonomie aus dem Jahre 1859 im wesentlichen eine Ergänzung seiner Ausführungen hinsichtlich der Autonomie des hohen und des ebenfalls reichsunmittelbaren niederen Adels 1072 in den Vordergrund. In den späteren Auflagen des Systems wird die Auffassung von der Autonomie als Rechtsquelle ebenfalls abgelehnt. Wie bereits erwähnt, versieht Gerber in der Überschrift den Begriff mit einem Fragezeichen 1073 und verweist zur Begründung auf seinen Aufsatz von 1854. Als Gegner dieser Ansicht nennt er Maurer, Zöpfl, Jolly und Hermann 1074, mit deren Theorien er sich in seiner Abhandlung von 1859 beschäftigt. Daß Gerber sich relativ ausführlich mit dem Fragenkreis der Autonomie auseinandersetzte, kommt nicht von ungefähr. Das Thema „Autonomie des juristischen Denkens“ beschäftigte die Rechtswissenschaft das ganze 19. Jahrhundert hindurch. 1075 Als Standort des Problems ortete man die sog. „Theorie der Rechtsquellen“, wie sie spätestens seit Savigny hieß. 1076 Die Ergiebigkeit der unter den damaligen Wissenschaftlern geführten Diskussion beruht, wenn man der Einschätzung von Rückert folgt, auf der heute oft kritisierten Vermischung empirisch-kausaler, ethisch-politischer und rechtlicher Probleme in der Frage „Rechtsquelle“.1077 Gerbers Abhandlungen zur Autonomie stellen jedoch keinen wesentlichen Beitrag zu dieser Diskussion dar, da sie sich im wesentlichen auf eine konsequente Ablehnung der Autonomie als Rechtsquelle beschränken. Bereits im „Princip“ hatte Gerber die „Natur der Sache“ Reyschers (mit der der praktischen Autonomie der Juristen eine Richtung auf die „Gesellschaft“ gegeben werden sollte 1078) als „die vollkomMaurer, Autonomie, in: Krit. Überschau, S. 237/238. Maurer, Autonomie, in: Krit. Überschau, S. 235. 1071 Maurer, Autonomie, in: Krit. Überschau, S. 269. 1072 Gerber, Abhandlungen, S. 66. 1073 Gerber, System, 16. Auflage, S. 44. 1074 Gerber, System, 16. Auflage, S. 45, Fn. 2. 1075 Vgl. insbesondere Rückert, Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive zur Fragestellung „Autonomie des Rechts im 19. Jahrhundert?“. 1076 Rückert, Autonomie, S. 58. 1077 Rückert, Autonomie, S. 58. 1078 Rückert, Autonomie, S. 66. 1069 1070

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

menste Verseichtigung“ der Rechtswissenschaft und ein „haltloses Raisonnement“ gescholten. 1079 In die gleiche Richtung tendiert seine im „System“ geäußerte Kritik an Beselers Volksrecht als „pathologische Charakteristik der Rechtsquelle“.1080 d) „Bemerkungen zur Beurtheilung genossenschaftlicher Verhältnisse“ (1855) In einem Aufsatz aus dem Jahr 1855 1081 beschäftigt sich Gerber mit den Genossenschaften. Er hält fest, es sei in neuerer Zeit die Beobachtung gemacht worden, daß im „deutschen Rechtsleben“ 1082 eine Reihe von genossenschaftlichen Verhältnissen erzeugt seien, deren rechtliche Behandlung sich allein anhand der römischen Begriffe „universitas“ und „communio“ als schwierig erweise.1083 Die Abgrenzung dieser Begriffe, die für ihn die beiden Extreme darstellen, trifft Gerber folgendermaßen. Bei der universitas verschwinden die jeweiligen Träger hinter der Persönlichkeit der Gesamheit, während bei der communio trotz der Verbindung mehrer zu einer Gemeinschaft die Einzelpersönlichkeiten bestehen bleiben. 1084 Da aber „der reiche Associationstrieb des deutschen Lebens ... eine Reihe von Verbindungen geschaffen“ 1085 habe, die unter keinen der beiden Begriffe subsumiert werden könnten, sei ein Institut mit dem technischen Namen „Genossenschaft“ begründet worden. Gerber stellt dazu fest, daß diese Lehre der neuesten Periode der Rechtswissenschaften angehöre – „hauptsächlichster Urheber und Vertreter“ 1086 sei Beseler. Im folgenden referiert Gerber die seiner Ansicht nach wesentlichen Punkte von Beselers Genossenschaftslehre. Sie stütze sich weniger auf positive Rechtsquellen „als vielmehr auf die angeblichen Bedürfnisse unseres modernen Rechts- und VerkehrsGerber, Princip, S. 310 ff. Gerber, System, 10. Auflage, S. 75/76, § 30 Fn. 1: „Was Beseler, System des deutschen Privr. S. 130 ff. g. (und schon früher in seinem Volksrecht und Juristenrecht) unter Juristenrecht versteht, ist nicht sowohl eine eigenthümliche Rechtsquelle, als vielmehr ein besonders qualificirter Theil des Gewohnheitsrechts, nämlich derjenige, bei welchen ‚begünstigt durch die Lässigkeit der Gesetzgebung“ der Juristenstand eine ausschließliche Macht über das Recht erworben und den Einfluß des Volks verdrängt hat. Es ist nicht eine juristische, sondern pathologische Charakteristik der Rechtsquelle.“ In der 8. Auflage hatte Gerber diesen letzten abschätzigen Satz noch durch ein in Klammern gesetztes „(ich möchte sagen) pathologische Charakteristik“ abgeschwächt. Vgl. zum Ganzen auch Rückert, Autonomie, S.66, der folgert, daß für Gerber demnach auch das Pendant Volksrecht in die Pathologie fällt. 1081 Zuerst veröffentlicht in Zeitschrift für Civilrecht und Process N. F. Bd. 12 (1855), S. 193 ff.; Gesammelte Abhandlungen S. 188–212. 1082 Gerber, Abhandlungen, S. 188. 1083 Gerber, Abhandlungen, S. 188. 1084 Gerber, Abhandlungen, S. 188. 1085 Gerber, Abhandlungen, S. 188. 1086 Gerber, Abhandlungen, S. 189: Gerber verweist auf Beseler, Volksrecht und Juristenrecht 1843, S. 158 ff. sowie auf Beseler, System, Bd. I (1847), S. 349 ff. 1079 1080

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lebens“ und ziele somit auf den „schöpferischen Beruf der Wissenschaft“. 1087 Nach der neuesten Ansicht Beselers seien die Genossenschaften nicht als selbständiges Institut zwischen die juristischen Personen und die „Communionsverhältnisse“ zu stellen, wie dies teilweise vertreten werde. Vielmehr wolle er den Begriff der Korporationen umgestalten und materiell so erweitern, dass er auch bisher nicht zu den Korporationen gerechnete genossenschaftliche Verhältnisse umfasse. Gerber betont, daß er die gesamte Genossenschaftslehre, die „einigen neueren Germanisten zur Lieblingssache geworden“ 1088 sei, als völlig unhaltbar ansieht. Er weist darauf hin, daß er diese Überzeugung schon zehn Jahre zuvor vertreten habe. 1089 Später habe dies auch Thöl „in einer für jeden Unbefangenen entscheidenden Weise“ dargestellt. 1090 Gerber führt gegen die Ansicht Beselers aus, „die Übertragung der Persönlichkeit auf ein Wesen, das nicht ein Mensch ist“, sei „unter allen Umständen ein künstlicher Akt, eine Fiction“. 1091 Bezeichnend ist, was Gerber gegen eine solchen juristischen Kunstgriff einzuwenden hat: Er möchte das „Recht, eine solche Fiction vorzunehmen“, nicht dem „Privatwillen“ überlassen, „sondern in die höhere sanctionierende Gewalt des Staates, in seine rechtschaffene Autorität“ legen, sofern die Fiktion nicht bereits durch einen ausdrücklichen Rechtssatz festgelegt ist. 1092 Gerbers Kritik an der germanistischen Genossenschaftslehre im Bereich des Privatrechts entspricht seine Ablehnung des genossenschaftlichen Staatsdenken Beselers und Bährs. 1093 Dieser Ablehnung liegt nicht nur Gerbers immer wieder betonte Sorge vor einer Vermischung des öffentlichen Rechts und des Privatrechts zugrunde, sondern auch die Idee eines ‚monolithischen Anstaltsstaats‘.1094 Siebzehn Jahre nach dem ersten Erscheinen dieses Aufsatzes nahm Gerber eine differenziertere Position zur Frage der genossenschaftlichen Verhältnisse ein und gestand seinen Erörterungen nur noch „das Interesse eines Zeugnisses über den damaligen Stand der wissenschaftlichen Bewegung“ zu. 1095 Teils durch das Deutsche Handelsgesetzbuch (an dem er selbst mitgewirkt hatte), teilweise auch durch die darauf bezogenen Reichs- und Partikulargesetze habe die rechtliche Einordnung der Gerber, Abhandlungen, S. 189. Gerber, Abhandlungen, S. 190. 1089 Gerber verweist hier auf einen Aufsatz in der Neuen Jenaer Literaturzeitung 1844, S. 1215 ff. (es handelt sich um den zweiten Teil seiner Rezension des „Lehrbuchs des gemeinen deutschen Privatrechts von Karl Wilhelm Wolff) und auf sein System § 49, § 222 Nr. 1. 1090 Gerber, Abhandlungen, S. 190, mit Verweis auf Thöl, Volksrecht, Juristenrecht, 1846, S. 18 ff. 1091 Gerber, Abhandlungen, S. 190. 1092 Gerber, Abhandlungen, S. 191. 1093 Auf diesen Aspekt kann im Rahmen dieser privatrechtlich orientierten Arbeit nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu u. a. Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871–1918), Frankfurt 1997, S. 29. 1094 Vgl. Stolleis, Band 2, S. 335. 1095 Gerber, Abhandlungen, S. 212. 1087 1088

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Genossenschaft eine veränderte Bedeutung erfahren. 1096 Gerber lässt allerdings offen, welche Konsequenzen sich daraus genau ergeben und macht keinerlei Ausführungen zur aktuellen Betrachtungsweise. e) Themenkreis Familienfideikommiss „Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiss“ (1857), „Die Familienstiftung in der Function des Familienfideikommisses“(1858), „Zur Lehre von den Lehns- und Familienfideikommiss-Schulden“ (1854) Das Thema Familienfideikommiß übte auf Gerber eine besondere Anziehungskraft aus. Er widmete ihm drei Aufsätze, die er später auch in die gesammelten juristischen Abhandlungen übernahm: „Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiss“ 1097, „Die Familienstiftung in der Function des Familienfideikommisses“ 1098 sowie „Zur Lehre von den Lehns- und Familienfideikommiss-Schulden“ 1099. In dem Aufsatz „Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiss“ von 1857 gibt Gerber gleich zu Beginn eine Erklärung, weshalb er sich so intensiv mit dem Familienfideikommiß beschäftigte. Für ihn gehört das Institut „ohne Zweifel zu den interessanteren Erscheinungen, welche das neuere deutsche, oder besser germanische Rechtsleben hervorgebracht hat.“ Sein besonderer Reiz liegt darin, „dass es einen höchst eigenthümlichen Gedanken von sittlicher und gesellschaftlicher Berechtigung zur Geltung bringt; sodann aber auch in der Art und Weise, wie es jenen Gedanken durch eine völlig entsprechende Structur zu realisieren weiss.“1100 Für Gerber lohnt es sich, nach der eigentlichen Idee zu fragen, welche der im Familienfideikommiß enthaltenen Erweiterung der Möglichkeit, Willensakte mit einer über den Tod hinaus wirkenden Kraft vorzunehmen, zu Grunde liegt. 1101 Gerber sieht das Recht des Familienfideikommisses als eine Forderung der privatrechtlichen Freiheit. Der Errichter betrachtet sein Vermögen als den „realen Ausdruck seiner Persönlichkeit“ und möchte erreichen „dass es nicht schon in der übernächsten Generation zerstreut sei“. 1102 Diese rein subjektive Betrachtung kann nach Gerber Gerber, Abhandlungen, S. 212. Zuerst veröffentlicht in Gerbers und Iherings Jahrbüchern, Bd. 1 (1857), S. 53 ff.; Gesammelte juristische Abhandlungen, S. 100 ff. 1098 Zuerst veröffentlicht in Gerbers und Iherings Jahrbüchern, Bd. 2 (1858), S. 351 ff. 1099 Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift für Civilrecht und Process, Bd. 11 (1854), S. 183 ff.; Gesammelte juristische Abhandlungen, S. 159 ff. Diese Abhandlung bezieht sich allerdings nur entfernt auf das Familienfideikommiß als solches. 1100 Gerber, Abhandlungen, S. 100. 1101 Gerber, Abhandlungen, S. 100/101. 1102 Gerber, Abhandlungen, S. 101: Gerber zieht das Institut beinahe auf eine metaphysische Ebene, wenn er postuliert, der Errichter wolle „gewissermaßen nach vollbrachter Arbeit, das Mass der menschlichen Zeitgrenze überschreitend, mit allen zukünftigen Gliedern seiner Familie in unmittelbaren Verkehr treten, sie die Ungeborenen rufen, so dass seine Stimme nach Jahrhunderten noch in ihrer Ursprünglichkeit vernommen wird“. 1096 1097

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ein Institut nicht rechtfertigen, das der privatrechtlichen Freiheit einen so unbegrenzten Spielraum gewährt, wenn es nicht durch seine praktischen Wirkungen selbst gerechtfertigt wird. 1103 Am Beispiel eines größeren ländlichen Grundstücks als Stiftungsobjekt werden sodann die angestrebten praktischen Wirkungen erläutert. 1104 Die Verwandschaft des Familienfideikommisses mit der Stiftung besteht nach Gerber darin, daß ein Vermögen für unangreifbar erklärt und der Befriedigung bestimmter Interessen der Zukunft gewidmet wird. Die Verschiedenheit liegt in folgendem Gesichtspunkt. Bei der Familienstiftung wird eine juristische Person geschaffen, ihr gehört das Vermögen, die Bedachten sind nur Gläubiger. Dagegen sind beim Familienfideikommiß die Nachfolger selbst die Eigentümer des gestifteten Guts.1105 Im allgemeinen wird nach Gerber die Idee des Familienfideikommisses nur einseitig und äusserlich aufgefaßt, indem man als Zweck „die Erhaltung des Namens und des Glanzes der Familie“ bezeichnet. Dazu aber würde auch eine Familienstiftung ausreichen. Zu berücksichtigen ist vor allem der viel tiefere Gedanke einer Schöpfung, geprägt von der Persönlichkeit des Stifters, die „den Zusammenhang vergangener und künftiger Geschlechter in der sichtbarsten Weise vermitteln soll“. 1106 Die Verkennung dieser Idee des Familienfideikommisses ist Gerber zufolge einer der Gründe für starke Ablehnung, die dem Institut vor allem in neuerer Zeit entgegenschlug. 1107 Auch aus einem demokratischen Streben nach Vernichtung des Adels und seiner Grundlagen wurde es angegriffen. Jedoch erschöpft sich für Gerber das Institut nicht beim Adel, sondern bringt einen Gedanken von allgemein menschlicher Berechtigung zur Geltung. 1108 Im folgenden setzt sich Gerber mit dem „gewichtigeren“ Einwand, der vor dem Hintergrund der objektiven Freiheit des Eigentums vorgetragen wird, auseinander. Nach dem von Ihering 1109 entwickelten Argument führte das Familienfideikommiß zu der Macht, „den absoluten Charakter des Eigenthums für alle Zeiten zu schwächen, das Grundeigenthum in eine völlige Erstarrung zu versetzen und der Zukunft für alle Zeiten eine unnatürliche Fessel anzulegen“. 1103 Gerber, Abhandlungen, S. 102; Gerber zieht einen pathetischen Vergleich: „So ist das Vaterland mit allen seinen äusseren Denkzeichen gewissermaßen selbst ein grosses Fideikommiss, gestiftet und immer fortgesetzt für die Gesammtfamilie des Volkes.“ 1104 Gerber, Abhandlungen, S. 103: „So kann und soll unser Institut im Leben wirken; es repräsentirt eine eigenthümliche Form des in unserer Zeit so wichtig befundenen Princips der Socialität, es organisirt die ergänzende Gemeinschaft der Generationen einer Familie.“ 1105 Gerber, Abhandlungen, S. 104: Zur Charakterisierung von Letzterem wird ein Vergleich mit dem organischen Leben der Natur bemüht: Das Familienvermögen ist „keine todte Masse, die, einmal geschaffen, immer dieselbe bleibt, sondern ein lebendiger Baum, der unter der sorgsamen Pflege der Nachfolger fort und fort mit der Familie wächst und gedeiht.“ 1106 Gerber, Abhandlungen, S. 105. 1107 Gerber, Abhandlungen, S. 105/106. 1108 Gerber, Abhandlungen, S. 106. 1109 Ihering, Geist des römischen Rechts, 2. Band, S. 238.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Gerber hielte diesen Einwand für in vollem Maße begründet, wenn die Befugnis, Familienfideikommisse zu errichten, ohne eine Beschränkung hinsichtlich der Art und Größe des zu bindenden Vermögens freigestellt wäre. Dies ist aber, wie seiner Ansicht nach allgemein bekannt ist, nicht der Fall. 1110 In der durch das Familienfideikommiß angestrebten Unveräußerlichkeit liegt für Gerber keine „inhaltslose, bloss bevormundende Beschränkung“, sondern vielmehr „nur die Form eines wahrhaft positiven Gedankens, der Erhaltung der Continuität des Familienbewusstseins“. 1111 Auch hat das Grundeigentum in Deutschland niemals als ein Recht von schrankenloser Freiheit gegolten, es ist stets durch einen Zusatz politischer oder sittlicher Pflichten besonderer Art gebunden gewesen. 1112 Gerber beschäftigt sich im folgenden kurz mit der anderen Ausgestaltung des Fideikommisses in England. 1113 Unter 2. schildert Gerber auf sieben Seiten die geschichtliche Entwicklung des Instituts in Deutschland, vom Stammgutprinzip des Mittelalters, wonach ohne Einwilligung der Erben eine Veräußerung von Grundeigentum unzulässig war, über die Anknüpfung an das fideicommissum familiae im 16. Jahrhundert bis zur Ausbildung des Instituts in seiner eigentümlichen Form im Laufe des 17. Jahrhunderts. 1114 Unter Gliederungsziffer 3. versucht Gerber, die Unterschiede des deutschen Instituts gegenüber dem römischen Familienfideikommiß herauszuarbeiten. 1115 Da das deutsche Familienfideikommiß aus einer Kombination sehr verschiedenartiger Elemente hervorgegangen ist, erscheint es Gerber erforderlich, das innere Verhältnis dieser Elemente zu definieren, um feststellen, ob sie zu einem wirklich einheitlichen Ganzen verwachsen sind und den eigentlichen Schwerpunkte des Instituts zu bestimmen. 1116 Zunächst wird die bereits erwähnte Ähnlichkeit mit der Stiftung behandelt. Deren Idee ist für Gerber ein „äusserst wirksames materielles Motiv, aber sie bildet nicht den Kernpunkt der formellen juristischen Construktion“.1117 Anschließend erinnert Gerber daran, daß die frühere Rechtswissenschaft das Familienfideikommiß als eine Art des „successiven Vermächtnisses“ auffaßte. Gerber sieht darin aber nur ein Moment in der Entwicklungsgeschichte des Instituts. Das Recht aus dem sukzessiven Vermächtnis bleibt ein erbrechtliches, während es sich 1110 1111 1112 1113 1114 1115 1116 1117

Gerber, Abhandlungen, S. 106/107. Gerber, Abhandlungen, S. 107. Gerber, Abhandlungen, S. 107. Gerber, Abhandlungen, S. 107/108. Gerber, Abhandlungen, S. 108–115. Gerber, Abhandlungen, S. 115 ff. Gerber, Abhandlungen, S. 116. Gerber, Abhandlungen, S. 117.

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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beim deutschen Familienfideikommiß nach seiner Überzeugung nicht um ein erbrechtliches, sondern um ein sachenrechtliches Institut handelt.1118 Als drittes Element wird das Stammgut erwähnt, in dem Gerber das leitende Motiv der neuen Bildung des Familienfideikommisses sieht. Die richtige Konstruktion des Familienfideikommisses ist für Gerber aus einer Verbindung dieser verschiedenen Elemente zu gewinnen. Es ist ein sachenrechtliches Institut, eine Art des Eigentums. Dazu tritt als subjektives Element die Abhängigkeit von einer als ununterbrochen wirksam gedachten Stiftung hinzu. 1119 Es muß nach Gerber möglich sein, subjektive Momente in den Begriff des Eigentums aufzunehmen. Das deutsche Recht hat beim Grundeigentum schon immer eine Verbindung des Sachenrechts mit persönlichen Motiven der verschiedensten Art zugelassen, und zwar als wirkliche Verschmelzung mit dem Eigentumsbegriff. 1120 Zum Erlöschen des Familienfideikommisses stellt Gerber fest, daß es sich von selbst in freies Eigentum verwandelt, wenn außer dem letzten Besitzer niemand mehr vorhanden ist, der zu den durch die Stiftung bedachten Personen gehört. Dabei hat diese Verwandlung nicht den Charakter eines besonderen Rechtserwerbes von Seiten des Besitzers, er erhält kein neues Recht, denn er war bereits Eigentümer. 1121 In Abschnitt 4. sieht es Gerber als charakteristisch für das Institut des Familienfideikommisses an, daß hier die „grösste Mannichfaltigkeit in der Gestaltung und Anordnung der leitenden Ideen zulässig“ ist. 1122 Er zählt jedoch die zu erfüllenden allgemeinen Voraussetzungen auf: „1) dass das Objekt der Stiftung ein grösseres ländliches Grundstück, 2) dass nur der Mannesstamm zur Succession berufen ist.“1123 Entgegen seiner Darstellung im „System“ 1124 betrachtet er hier „die Zulassung von Geldcapitalien als Objekt des Fideikommisses ... als der Idee desselben nicht ganz entsprechend“. 1125 Es zeigt sich einmal mehr, daß Gerber in seinen Aufsätzen stärker die Linie seiner eigenen Meinung verfolgte, während er sich in seinem Lehrbuch eher bemühte, eine Zusammenfassung des allgemein Anerkannten zu liefern. Unter 5. untersucht Gerber, ob der Begriff des Familienfideikommisses im gemeinen Recht tatsächlich Realität besitzt, d.h. ob er in einem anerkannten Rechtsinstitut Gerber, Abhandlungen, S. 118. Gerber, Abhandlungen, S. 119. 1120 Gerber, Abhandlungen, S. 120; Gerber verweist hier auf § 78 und § 80 I seines Systems, also die Modifikationen des Inhalts des Eigentums sowie das Eigentum an Bauerngütern. 1121 Aber der „tendenziöse Inhalt dieses Eigenthums“, die Idee der Stiftung von dem es beherrscht war, zieht sich zurück, und es bleibt nur das einfache und absolute Recht übrig, Gerber, Abhandlungen, S. 122. An dieser Stelle weicht Gerber auffallend von dem von ihm aufgestellten Postulat der strengen juritischen Konstruktion ab. 1122 Gerber, Abhandlungen, S. 123. 1123 Gerber, Abhandlungen, S. 123. 1124 Gerber, System, S. 187: „Gegenstand des Fideikommisses kann nur eine dauernde fruchttragende Sache, also Grundstücke oder Capitalien sein“. 1125 Gerber, Abhandlungen, S. 123. 1118 1119

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

ausgeprägt ist. Jedenfalls existiert kein diesbezügliches gemeinrechtliches Gesetz, und die neueren Partikulargesetze setzen das Institut als ein bereits fertiges voraus. 1126 Nach Gerber beruht das Familienfideikommiß auf einem gemeinen Gewohnheitsrecht, in Verbindung mit der tiefgreifenden Wirksamkeit der „Doctrin“. 1127 In diesem Zusammenhang übt Gerber Kritik an Walter 1128, der die Befugnis zur Errichtung eines Familienfideikommisses davon abhängig macht, daß ein dies ausdrücklich gestattendes Partikulargesetz vorliegt, da sich hier der Privatwille zu einem Gesetz erhebe. 1129 Hierin erkennt Gerber die von ihm inzwischen abgelehnte frühere Auffassung, „welche die sogenannte Autonomie als eine auf bestimmte Sphären beschränkte gesetzgebende Gewalt betrachtete“ 1130. Für ihn ist das deutsche Familienfideikommiß im Gegensatz dazu ein wirkliches Rechtsinstitut. Die zu gewinnende rechtliche Form kann viel besser durch Anwendung eines Rechtsinstituts garantiert werden, als wenn man sie in einem vagen, unbestimmbaren Gesetzgebungsrechte suchen muß. 1131 Gerber sieht das Familienfideikommiß als objektiv bestehendes Rechtsinstitut, also kann auch der Akt, durch den es im einzelnen Falle begründet wird, kein anderer als ein einfaches Rechtsgeschäft, eine einfache Disposition sein. 1132 Die Natur dieser Disposition kann nur durch eine Betrachtung der einzelnen juristischen Erfolge, die hervorgebracht werden sollen, bestimmt werden. Erstens: Der Constituent will ein bestimmtes Grundstück, über das er zu disponieren befugt ist, für unveräußerlich erklären, mit dem Ziel, daß es einer bestimmten Familie als gestiftetes Stammgut erhalten bleibe. 1133 Zweitens: Dieser sachenrechtliche Akt genügt aber nicht, um dem Willen des Stifters einen vollen rechtlichen Ausdruck zu verleihen. Es ist ein weiterer Akt erforderlich, durch den das Anrecht auf dieses so begründete Eigentum subjektiv formuliert wird, nämlich eine „Berufung der Nachkommen in einer bestimmten Ordnung zur Succession in das gestiftete Vermögen“. 1134 Die Frage, ob der Errichtungsakt hinsichtlich der Berufung der Nachfolger ein Geschäft unter Lebenden oder von Todes wegen sei, beantwortet Gerber im Sinne der letzteren Möglichkeit. Der Stifter nimmt eine Erbeinsetzung vor. Das Geschäft wird regelmäßig in die Form einer letztwilligen Verfügung – Testament oder Erbvertrag – gekleidet. 1135 Mit Rücksicht auf den sachenrechtlichen Erfolg ist eine beGerber, Abhandlungen, S. 127. Gerber, Abhandlungen, S. 128. 1128 Walter, System des gemeinen deutschen Privatrechts § 470, 4, unter Berufung auf Maurenbrecher, Deutsches Privatrecht I § 218, 18. Walter gibt aber den Hinweis: Anderer Meinung sind allerdings fast alle Rechtslehrer, welche diese Befugnis aus der allgemeinen Dispositionsfreiheit herleiten. Er verweist neben Eichhorn, § 368 Nr. II, auch auf Gerber, § 84. 1129 Gerber, Abhandlungen, S. 128/129. 1130 Gerber, Abhandlungen, S. 129. 1131 Gerber, Abhandlungen, S. 131. 1132 Gerber, Abhandlungen, S. 131. 1133 Gerber, Abhandlungen, S. 131. 1134 Gerber, Abhandlungen, S. 132, kursive Hervorhebung durch Gerber. 1135 Gerber, Abhandlungen, S. 133. 1126 1127

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sondere Publizität und mithin eine spezifische Form der Errichtung notwendig, damit öffentlich auf das beschränkte Eigentum aufmerksam gemacht wird. Die Errichtung wird nicht bloß gerichtlich verlautbart, gerichtlich bestätigt und in öffentliche Grundbücher eingetragen, sondern durch die zuständige Gerichtsbehörde auch öffentlich bekannt gemacht. 1136 Das Familienfideikommiß setzt einen bestimmten Stiftungsakt voraus und kann nicht stillschweigend durch Observanz (örtlich begrenztes Gewohneitsrecht, Herkommen) entstehen. 1137 Unter 6. beantwortet Gerber die Frage, ob die Befugnis zur Errichtung auf einen bestimmten gesellschaftlichen Kreis, den Adel, beschränkt ist, negativ. Die Erhaltung der Familienindividualität in der Geschichte auf der Grundlage des Stammguts kann aber auch bei nichtadeligen Familien gewollt und erstrebt werden. 1138 Es besteht jedenfalls keine rechtliche Schranke: Fideikommisse des Bürgerstands sind Gerber zufolge, wenn auch vereinzelt, immer schon vorgenommen und anerkannt worden. 1139 Unter 7. betont Gerber, daß Aufhebung des Familienfideikommisses durch bloße Verfügung der Interessenten nicht denkbar ist. Die Besonderheit besteht ja gerade in dem Ausschluß der Dispositionsbefugnis im Interesse der Stiftungsidee.1140 Unter 8. wirft Gerber, nachdem er sich zuvor mit der Konstruktion der juristischen Natur der Familienfideikommisse beschäftigt hat, abschließend einen Blick auf die neueren Partikulargesetzgebungen, die seine Resultate teilweise bestätigen, teilweise aber auch abweichen. 1141 Ihering, dem Gerber den ersten Aufsatz zum Familienfideikommiß im Entwurf geschickt hatte, zeigte sich „ganz glücklich, daß eine solche Abhandlung unser erstes Heft zieren wird“. 1142 Überschwenglich äußert er seine Ansicht, sie sei „vortrefflich gelungen, es sind Parthieen darin z. B. die ersten Seiten, die, was Gedanke wie Form anbetrifft, zu dem Besten gehören, was ich je gelesen“. 1143 Auch die von Gerber angesprochene Meinungsverschiedenheit der beiden Freunde bezogen auf Gerber, Abhandlungen, S. 134. Gerber, Abhandlungen, S. 135. 1138 Gerber, Abhandlungen, S. 137: Ein Unterschied besteht insoweit, als beim Adel ein „Familienfideikonmmiß des deutschen Rechts mit ausschließlicher Berechtigung des Mannesstammes vermuthet“ wird, während bei Nichtadeligen der „Nachweis eines hierauf speciell gerichteten Willens erforderlich ist“. 1139 Gerber, Abhandlungen, S. 137. 1140 Gerber, Abhandlungen, S.138: Eine Auflösung durch Willkür wäre nur durch „die Summe der Verzichte Derjenigen herzustellen, welche jemals zum Genusse gelangen können“, so daß dadurch „jedes denkbare Subjekt des Genusses hinweggeräumt und somit vorzeitig die Wirkung der Stiftung erschöpft“ wäre. Selbst dann stellt sich das Problem der Rechte Ungeborener. Dennoch ist laut Gerber in einigen neueren Partikulargesetzen die Möglichkeit der willkürlichen Auflösung eröffnet. 1141 Gerber, Abhandlungen, S. 140 ff. 1142 Ihering an Gerber, ohne Angabe von Ort und Datum [49]. 1143 Ihering an Gerber, ohne Angabe von Ort und Datum [49]. 1136 1137

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die Freiheit des Eigentums 1144 kann dieses begeisterte Urteil nicht trüben: „Was unsere Differenz anbetrifft ..., so gibst auch Du zu, daß das Familienfideikommiß nicht schlechthin und ohne alle Beschränkungen praktisch denkbar ist, daß es also die Freiheit des Eigenthums total vernichten könnte, wenn jeder jedes Grundstück in der Weise binden könnte. Damit bin ich zufrieden“. 1145 Aus Gerbers Antwort an Ihering 1146 geht hervor, daß er den partikularrechtlichen Anhang erst nachträglich anfügte, was sich auf die innere Geschlossenheit der Abhandlung auswirkte. Es handelt sich, noch vor den Abhandlungen über das Güterrecht der Ehegatten und über die Gewere, um die umfangreichste der in den „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ als wesentlich zusammengefaßten monographischen Darstellungen. Ein Jahr später griff Gerber das Thema im zweiten Band der „Jahrbücher“ mit dem Aufsatz „Die Familienstiftung in der Function des Familienfideikommisses“ 1147 auf. Er bezeichnet die Ausführungen in einer Fußnote als „Nachtrag zu meiner Abhandlung über die Familienfideikommisse“. 1148 Angeregt wurde er dazu durch einen praktischen Rechtsfall, den er ebenfalls in der Fußnote kurz darstellt. 1149 Unter 1. stellt Gerber fest, daß sich die Familienstiftungen von den allgemeinen wohltätigen Stiftungen unterscheiden, indem sie den „Genuss eines gestifteten Vermögens nur dem Vortheile individuell durch die Angehörigkeit zu einem Geschlechte bestimmter Personen zuwenden“. 1150 Dabei stellt er vor allem das Fehlen eines öffentlichen Interesses heraus. 1151 Außerdem haben die Familienmitglieder die Befugnis, die Stiftung zu ergänzen, mit anderen Worten, nachzustiften. Eine solche Ergänzung darf allerdings nur im Sinne des Stifters geschehen1152, ihre Legitimation läßt sich nach Gerber auf Gewohnheitsrecht stützen. 1153 Diese Ergänzungen oder Nachstiftungen sind für Gerber einfache Rechtsgeschäfte. Es sind Dispositionen Gerber, Abhandlungen, S. 106 ff. Ihering an Gerber, ohne Angabe von Ort und Datum [49]. 1146 Gerber an Ihering, Tübingen, 16. October 1855 [50]. 1147 In Gerbers und Iherings Jahrbüchern, Bd. 2, S. 351 ff., Gesammelte Abhandlungen, S. 144 ff. 1148 Gerber, Abhandlungen, S. 144, Fn. 1149 Gerber, Abhandlungen, S. 144, Fn.: Anfang des 16. Jahrhunderts hatte ein Mitglied der adeligen Familie v. T. ein Capital gewidmet, „um damit anzufahren für seine Gevettern eine Stiftung“. Der Fond sollte administriert und die Renten von den Agnaten unter die „armen Vettern“ alljährlich verteilt werden. Außerdem sollten die Agnaten beschließen dürfen, „wie sie es mit dem Gelde halten wollen und was noth thut.“ Je seltener der Fall der Dürftigkeit in der Familie vorkam, um so mehr wuchs der Stiftungsfond an. Im 17. Jahrhundert beschloß man, zwei Drittel der Einkünfte an sämtliche Agnaten nach Maßgabe der Lebensjahre zu verteilen. Später entstanden verschiedene Bedenken und Streitigkeiten. 1150 Gerber, Abhandlungen, S. 144/145. 1151 Gerber, Abhandlungen, S. 145/146. 1152 Gerber, Abhandlungen, S. 146. 1153 Gerber, Abhandlungen, S. 147. 1144 1145

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über ein in besonderer Weise der Gewalt des Verfügenden unterworfenes Vermögen, deren juristische Natur laut Gerber der der Stiftung gleicht.1154 Unter 2. arbeitet Gerber die Unterschiede zwischen dem Familienfideikommiß und der Familienstiftung heraus. 1155 Er sieht im tatsächlichen Bereich nur noch einen „feine(r)n geistige(r)n Unterschied zwischen den beiden Verhältnissen. Juristisch allerdings möchte er beide Institute durchaus getrennt sehen.1156 Es folgt eine Kritik an Roth 1157, der die Familienstiftung ein „modificirtes Familienfideikommiss“ nennt. 1158 Dies kann unter bestimmten Umständen tatsächlich richtig sein, juristisch betrachtet ist diese Auffassung für Gerber abzulehnen. Die eigentliche Familienstiftung ist immer ein selbständiges Rechtssubjekt, eine juristische Person. Ihr allein gehört das Vermögen, während die berechtigten Familienmitglieder nur die Rolle von Gläubigern haben, ihr Recht an dem gestifteten Vermögen nur ein persönliches Rentenrecht ist. Ganz anders dagegen das Familienfideikommiß, dessen juristischer Charakter darin besteht, daß die Berufenen selbst sukzessive Eigentümer des gestifteten Vermögens sind. Ihr Recht ist ein wirklich sachenrechtliches, wenn auch ein besonders qualifiziertes. 1159 Unter 3. erläutert Gerber, daß das Subjekt des Vermögens einer Familienstiftung eine juristische Person ist. 1160 Die teilweise erhobene Behauptung, die Familie selbst sei das Subjekt dieses Vermögens, denn sie sei schon an und für sich eine juristische Person, lehnt er ab. Es gibt für ihn auf der Basis der vorgetragenen Tatsachen nicht den entferntesten Hinweis, daß die Familie als Rechtssubjekt zu behandeln sei. 1161 Vielmehr sieht er in ihr eine „auf der Thatsache der Blutsverwandtschaft beruhende Einheit von Menschen“. 1162 Gerber betrachtet das Recht des durch die Stiftung Bedachten als ein gewöhnliches Forderungsrecht, und als causa „die in der juristischen Persönlichkeit der Stiftung personificirte Liberalität des Stifters“. 1163 Unter 4. beschäftigt sich Gerber mit der Frage, ob durch die Zuschreibung des Eigentums an eine juristische Person das gestiftete Vermögen der Familie entfremdet werde. 1164 Er kommt zu dem Schluß, daß die juristische Persönlichkeit, der das Eigentum zugeschrieben wird, es dem Vermögen der Familienangehörigen nicht ent1154 Gerber, Abhandlungen, S. 149: Gerber hält es daher für „unrichtig, auf das Rechtsgeschäft der Nachstiftung den Ausdruck „Autonomie“ in der Bedeutung gesetzgebender Thätigkeit anzuwenden, wie solcher ja überhaupt keine Berechtigung hat“. 1155 Gerber, Abhandlungen, S. 149 ff. 1156 Gerber, Abhandlungen, S. 150. 1157 Roth in Jahrbücher für Dogmatik Bd.1, S. 202, zitiert bei Gerber, Abhandlungen, S.150. 1158 Gerber, Abhandlungen, S. 150/151. 1159 Gerber, Abhandlungen, S. 151. 1160 Gerber, Abhandlungen, S. 152. 1161 Gerber, Abhandlungen, S. 153. 1162 Gerber, Abhandlungen, S. 154. 1163 Gerber, Abhandlungen, S. 156. 1164 Gerber, Abhandlungen, S. 156.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

fremdet. Diese juristische Person ist für Gerber „eine Kapsel, in der ein Theil des Vermögens der Letzteren [d. h. der Familienmitglieder] aufbewahrt wird; sie ist nicht um ihrer selbst willen da, hat keinen materiellen Existenzgrund, sondern ist nur ein lediglich formelles Mittel der juristischen Construction“.1165 Das Bild von der „Kapsel“, bei dem es sich keineswegs um einen Rechtsbegriff handelt, muß im Zusammenhang mit der von Gerber unermüdlich eingeforderten juristischen Konstruktion befremden. Hier wird, wie bereits bei seinen Ausführungen zum Erlöschen der Familienfideikommisses 1166 einmal mehr deutlich, dass Gerber nicht immer den von ihm selbst aufgestellten Anforderungen gerecht wird. Als Schlußfolgerung hält Gerber eine zweifache juristische Auffassung der Familienstiftung für notwendig, einmal als juristische Person, zum anderen als in besonderer Weise konstituiertes Vermögens der einzelnen gegenwärtig und zukünftig vorhandenen Glieder der bedachten Familie. 1167 Ein unbekannter Rezensent faßte diesen Aufsatz Gerbers in „Schletters Jahrbüchern“ kurz zusammen, allerdings ohne eigene inhaltliche Anmerkungen zu machen. 1168 Nur im weitesten Sinn auf das Thema Familienfideikommiß bezogen, eher beim Lehnrecht oder sogar beim Obligationenrecht einzuordnen, ist ein Aufsatz Gerbers, der schon im Jahre 1854 erschien, von ihm in seiner Aufsatzsammlung jedoch an das Ende der Beiträge zum Themenkreis Familienfideikommiß gerückt wird: „Zur Lehre von den Lehns- und Familienfideikommiss-Schulden“ 1169. Gerber beschäftigt sich hier vorrangig mit den Lehnsschulden und ihrer geschichtlichen Entwicklung. Zwar betont er, daß die Untersuchung im wesentlichen auch für die Familienkommissschulden gilt 1170, diese werden jedoch ausdrücklich erst in einem späteren Teil der Abhandlung erwähnt. 1171 Insgesamt stellt sich die Frage, warum Gerber sich so intensiv mit dem umstrittenen Institut Familienfideikommiß auseinandersetzte. Immerhin handelt es sich um eine typische Domäne der „germanistischen“ Germanisten. Allein, daß Gerber ein erklärter Anhänger des Adels und vielleicht feudaler Strukturen überhaupt war, bietet dafür keine ausreichende Erklärung, zumal er immer wieder betont, daß das Institut auch für bürgerliche Familien Anwendung findet. Allerdings hat sich Gerber mit besonderer Vorliebe der speziellen Problematik großer Adelsfamilien zugewandt. So erschien 1858 das „Hausgesetz im Geschlechte der Grafen und Herren Gerber, Abhandlungen, S. 157. Vgl. oben. 1167 Gerber, Abhandlungen, S. 158. 1168 Anonymus, Die Familienstiftung in der Function des Familienfideicommisses, in: Schletters Jahrbücher 1859, S. 324 f. 1169 Gerber, Zeitschrift für Civilrecht und Process, Bd.11 (1 854), S.183 ff., Gesammelte Abhandlungen, S. 159 ff. 1170 Gerber, Abhandlungen, S. 167. 1171 Gerber, Abhandlungen, S. 170. 1165 1166

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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von Giech“, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Gerber. 1172 Gerber, der nach seiner Erklärung weder an der Abfassung des Hausgesetzes noch seiner ebenfalls abgedruckten Motive beteiligt war 1173, stellt fest, daß er in dem hier geschaffenen juristischen Apparat „den praktischen Ausdruck der Gedanken finde, welche ich in einer früheren Abhandlung über das deutsche Familienfideikommiß als den charakteristischen Inhalt dieses Instituts aufstellte“.1174 Man kann sicher festhalten, daß es der zu Beginn des ersten Aufsatzes herausgearbeitete Gesichtspunkt der Kontinuität des Familienbewußtseins als Leitgedanke war, der zutiefst Gerbers konservativer Grundeinstellung entsprach und ihn zu einer so vertieften Beschäftigung mit dem Familienfideikommiß veranlaßte. Jedenfalls ging es ihm unter anderem darum, die Dispositionen des Adels mit dem formulierten objektiven Recht in Einklang zu bringen. Tatsächlich haben Gerbers Beiträge zum Thema Familienfideikommiß einen gewissen Beitrag dazu geleistet, daß die Formen, in denen der Adel seinem Streben nach Erhaltung der Familienindividualität Ausdruck gab – Fideikommiss, Majorat, Stammgut usw. – von der Wissenschaft zu festen objektiven Rechtsinstituten ausgearbeitet wurden. 1175 Ein weiterer Ansatzpunkt, um das besondere Interesse, das Gerber dem Familienfideikommiß entgegenbrachte, zu erklären, ist die Bedeutung, die hier – von Gerber selbst immer wieder betont – dem Willenselement, einem Gerberschen Schlüsselbegriff, zukommt. Entscheidendes Kriterium ist der Wille des Stifters. Das Familienfideikommiß enthält als Charakteristikum, von Gerber selbst an die Spitze seiner Ausführungen gestellt, die Möglichkeit, Willensakte mit einer über den Tod hinaus wirkenden Kraft vorzunehmen. 1176 Dies mag der entscheidende Ausgangspunkt gewesen sein, der Gerber zur wiederholten Beschäftigung mit diesem Institut reizte. Der Gesichtspunkt der „Verewigung des unveränderlichen Ur-Willens des Stifters“ 1177 wird von Gerber beinahe metaphysisch überhöht: „Beim Familienfideikommisse (wird) für alle zukünftig Berufenen der stiftende Wille immer als gegenwärtig gedacht, der bei jedem Falle des Eintritts eines neuen Berechtigten als unmittelbar wirkend erscheint.“ 1178 1172 Der geschichtliche Teil dieser Arbeit wurde im selben Jahr selbständig veröffentlicht: „Abriß der Geschichte der Grafen und Herren von Giech“, Tübingen 1858; vgl. Bibliographie bei Losano, Nr. 25 und 26, Losano, Bd. 2, S. 281. 1173 Gerber, Hausgesetz im Geschlechte der Grafen und Herren von Giech, S. VI, Anm., zitiert bei Losano, Bd. 2, S. 281. 1174 Gerber, Hausgesetz im Geschlechte der Grafen und Herren von Giech, S. IV, zitiert bei Losano, Bd. 2, S. 281. 1175 Vgl. dazu v. Oertzen, Gerber, S. 227: Demnach sind alle Dispositionen, die sich innerhalb dieser Institute halten, bloße Rechtsgeschäfte, darüber hinausgehende Verfügungen aber können Rechtswirksamkeit nicht beanspruchen. 1176 Gerber, Abhandlungen, S. 100/101. 1177 Bayer, Sukzession und Freiheit, S. 138. 1178 Gerber 1857, S. 53, 71; zitiert bei Bayer, S. 138.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Zu fragen bleibt, welche Bedeutung Gerber für die Lehre vom Familienfideikommiß gehabt hat. Man kann seinen spezifischen Beitrag als Befürworter dieses Instituts, wie dies Bayer herausgearbeitet hat, in der „Verknüpfung der Familienfideikommisse mit der nationalen Kultur als objektiver Rechtfertigung“ 1179 sehen. Gerber wird als der hervortretende Fideikommißbefürworter in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts angesehen. 1180 Dabei wird vor allem hervorgehoben, Gerber habe vehement bestritten, daß das Familienfideikommiß die alleinige Aufgabe habe, dem politischen Zweck einer lebenskräftigen Aristokratie zu dienen1181 (obwohl die Stärkung der Position des Adels mit Sicherheit Gerbers grundsätzlichem gesellschaftspolitischem Anliegen entsprach). Gerber hat aber zugleich immer auf die reiche Willensanlage des Menschen abgestellt, die dazu führe, daß dem Fideikommiß auch objektiv der Gedanke einer Schöpfung zugrunde liege, die die Individualität einer Familie in der Geschichte trage und den Zusammenhang vergangener und künftiger Generationen vermittle.

f) Themenkreis eheliches Güterrecht „Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte“(1857) „Erörterungen zur Lehre vom deutschen ehelichen Güterrechte“ (1868) Einem anderen Gebiet, das thematisch nicht allzu weit vom Familienfideikommiß entfernt ist, wandte sich Gerber in zwei Aufsätzen zu: dem ehelichen Güterrecht. 1857 wurden seine „Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschen Rechte“ in den „Jahrbüchern“ publiziert. 1182 Elf Jahre später, 1868, erschienen im ersten Band der Sammlung von Abhandlungen der Mitglieder der Juristenfakultät zu Leipzig Gerbers „Erörterungen zur Lehre vom deutschen ehelichen Güterrechte“. 1183 In seinen gesammelten juristischen Abhandlungen faßte Gerber die beiden Aufsätze unverändert zusammen. 1184 Den früheren Beitrag leitet Gerber mit der Bemerkung ein, kein Gegenstand des Privatrechts sei in den deutschen Rechtsquellen so häufig berücksichtigt wie das Güterrecht der Ehegatten. 1185 Er sieht das als natürlich an, da auf diesem Gebiet ein besonderes Bedürfnis nach Normierung besteht. Bayer, Sukzession und Freiheit, S. 333. Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland, Frankfurt 1992, S. 543. 1181 Eckert, Familienfideikommisse, S. 543. 1182 Gerber’s und Ihering’s Jahrbücher, Bd. 1, 1857, S. 239 ff. 1183 Sammlung von Abhandlungen der Mitglieder der Juristenfakultät zu Leipzig, Alexander Edelmann, Leipzig 1868, S. 289–330. Im Jahr darauf wurde diese Abhandlung als Leipziger Dekanatsprogramm vom Februar 1869 noch einmal als Neudruck publiziert. 1184 Gerber, Abhandlungen, S. 311–371. 1185 Gerber, Abhandlungen, S. 311. 1179 1180

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Besonders bei Auflösung der Ehe durch Tod eines Ehegatten stellen sich vielfältige Fragen, v. a. auch, was die Stellung des überlebenden Ehegatten gegenüber Erbansprüchen der Kinder und sonstiger Verwandter betrifft. 1186 Die deutschen Rechtsquellen lassen diesbezüglich kein allgemeines Prinzip erkennen. Zudem behandeln die früheren Rechtsquellen meist nur das eheliche Vermögen im Fall der Trennung. 1187 Vom 16. Jahrhundert an enthalten die Gesetzgebungen allerdings auch Bestimmungen über das Güterrecht während des Bestehens der Ehe. 1188 Die Rechtslehre entwickelte nicht ein herrschendes Institut, sondern mehrere gleichberechtigte Gruppen. So wurde von den früheren Schriftstellern zwischen den Statuten der Gütergetrenntheit (modifiziertes Dotalsystem) und denen der Gütergemeinschaft mit ihren jeweiligen Varianten unterschieden. 1189 Dabei wurde letztere als das eigentlich deutsche System bezeichnet, eine Aussage, die Gerber in Zweifel zieht und auf eine „falsch germanisirende Doctrin im Kampfe mit der romanisierenden Jurisprudenz“ zurückführt. 1190 Gerber sieht eine Notwendigkeit zur Abkehr von diesem „unrichtigen Schematismus der zwei Gegensätze“ durch Rückkehr zu dem System, das für ihn „ohne Zweifel das eigentlich deutsche“ ist und das er Gütereinheit nennt. 1191 Dieses System hat allerdings bisher noch keine hinreichende Ausbildung erhalten. Seine positiven Elemente können nach Gerber im Gegensatz zur Gütergemeinschaft umfassender entwickelt werden. Diese wird noch immer häufig als das Rechtsinstitut angesehen, in dem die „sittliche Idee der Ehe, wie sie im Bewusstsein des deutschen Volks lebe“, ihren Ausdruck finde. 1192 In dieser Ansicht liegt für Gerber neben erheblichen Irrtümern ein Kern von Wahrheit. 1193 Die vollendete Lebensgemeinschaft ist für ihn eine „sittlich-freie“, die keineswegs die selbständige Persönlichkeit der Gatten vernichtet und sie nicht in „eine Person“ verwandelt, sondern nur eine „unwandelbare Einigung derselben im Wollen und Handeln“ begründet. 1194 Der „eigennützige Gedanke des Sondervermögens“ kann nach Gerber hier keinen Raum finden, da es nicht Aufgabe des Rechts sein kann, „dies Resultat in plumper Zudringlichkeit durch eine Zwangseinrichtung festzustellen, aus jenem edeln Gedanken die rohe Consequenz einer mechanischen Eigenthumstheilung bei der Ehe zu ziehen“, wie dies nach seinem Dafürhalten die Gütergemeinschaft tut. 1195 Für Gerber liegt darin etwas Verletzendes und Beschä1186 1187 1188 1189 1190 1191 1192 1193 1194 1195

Gerber, Abhandlungen, S. 311. Gerber, Abhandlungen, S. 312. Gerber, Abhandlungen, S. 313. Gerber, Abhandlungen, S. 313. Gerber, Abhandlungen, S. 313. Gerber, Abhandlungen, S. 313/314. Gerber, Abhandlungen, S. 314. Gerber, Abhandlungen, S. 315. Gerber, Abhandlungen, S. 315/316. Gerber, Abhandlungen, S. 317.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

mendes, wenn sinngemäß angekündigt wird: „sobald du heirathest, verlierst Du die Hälfte deines Vermögens, gewinnst aber die Hälfte des Vermögens deines Gatten.“ Dieser Eindruck wird zwar gemildert, wenn man als Wesen der Gütergemeinschaft nicht ein „Communionsverhältnis zu ideellen Theilen“, sondern Gesamteigentum annimmt, wonach jeder Ehegatte Eigentümer des ganzen Vermögens wird. Gerber wiederholt jedoch an dieser Stelle, daß er den Begriff des Gesamteigentums für juristisch und wissenschaftlich nicht haltbar hält. Dasselbe gilt von der Fiktion der Ehe als juristischer Person, mit der die Gütergemeinschaft gerettet werden soll. 1196 In praktischer Hinsicht konzediert Gerber zwar, daß die Gütergemeinschaft die Vermögensverhältnisse der Ehegatten in einfacher Weise ordnet. Seiner Ansicht nach enthält aber die als einfach gerühmte „bevormundende Willkür des Gesetzes“ zugleich eine Persönlichkeitsverletzung. 1197 Bemerkenswerterweise argumentiert der Dogmatiker Gerber hier vorrangig nicht mit juristischen, sondern mit moralischen Kriterien. Er beanstandet außerdem die Ungerechtigkeit der Gütergemeinschaft in Fällen, in denen nur ein Ehegatte reich oder erwerbsfähig ist. 1198 Bei der sogenannten „particulären Gütergemeinschaft“ kommt Gerber unter Übergehung der sog. „Mobiliargemeinschaft“ gleich zur Errungenschaftsgemeinschaft, die er für wichtiger erachtet. 1199 Gerber lobt, daß hier keine „unmotivierte Vermischung des Vermögens“ stattfinde, da jeder Gatte auch in der Ehe sein Vermögen behält und dieses erhalten wird. 1200 Es existieren demnach drei Massen in einem gegenseitigen „Abrechnungsverhältnis“: das Sondergut des Mannes, das Sondergut der Frau und das gemeinsame Gut, das jedem Ehegatten zur Hälfte gehört. 1201 Bei Auflösung der Ehe kann demnach eine gerechte Teilung erfolgen. In seiner Wertung sieht Gerber die Grundgedanken dieses Systems zwar als richtig an, sie sind für ihn jedoch zur Karikatur verbildet. Er hält es für einen „unwürdigen“ Gedanken, die eheliche Lebensgemeinschaft als Erwerbsgemeinschaft darzustellen und fragt, ob man für die „sittliche Einheit“ der Ehegatten überhaupt eine privatrechtliche Formel verlangen kann. 1202 Auch hier ist der Vorrang, den Gerber moralischen Kategorien vor der Dogmatik einräumt, erstaunlich. Entscheidender Gesichtspunkt ist für ihn zudem, daß die Errungenschaftsgemeinschaft als Produkt „jener späteren Doctorenjurisprudenz, welGerber, Abhandlungen, S. 317. Gerber, Abhandlungen, S. 318. 1198 Gerber, Abhandlungen, S. 318. 1199 Gerber, Abhandlungen, S. 319: Dabei hält Gerber die in Württemberg geltende Errungenschaftsgemeinschaft für am konsequentesten ausgebildet; vgl. aber Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. III, Sp. 268: Errungenschaftsgemeinschaft, 1809 BadLR, 1504a. 1200 Gerber, Abhandlungen, S. 319: Zugleich aber gilt der Grundsatz, daß die beiderseitigen Güter der Ehe dienen sollen, weshalb man eine „Gemeinschaft der Früchte des Vermögens und Dessen ..., was die Gatten in der Ehe durch ihre Arbeit errungen haben“ annimmt, gewissermaßen als „materielle Unterlage der ehelichen Gemeinschaft“. 1201 Gerber, Abhandlungen, S. 320. 1202 Gerber, Abhandlungen, S. 320. 1196 1197

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che uns mit den Erbverträgen, der sinnlosen Vervielfältigung des Retracts, und ähnlichen Bildungen beschenkt hat“ erscheint und dem sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert, nicht dem „reinen deutschen Rechte“ angehört.1203 Außerdem rügt Gerber die erforderliche Einmischung der Behörden und die Notwendigkeit einer wenig vertrauensfördernden „dreifachen Buchführung“ in der Ehe. 1204 Auch hält er es für ungerecht, alles während der Ehe Erworbene zu gleichen Teilen unter die Ehegatten zu verteilen. Dies geht für ihn allenfalls in den „niedern Arbeitsständen, bei denen die Frau nicht minder als der Mann auf Erwerb ausgeht“ an, nicht aber in Kreisen „in denen der Mann durch seine Geschäftsthätigkeit und sein geistiges Capital allein der erwerbende Theil ist.“ 1205 Als Gegensatz zu dem von ihm im Ergebnis abgelehnten System der Errungenschaftsgemeinschaft, bzw. der Gütergemeinschaft im allgemeinen entwickelt Gerber nun das Prinzip der Gütereinheit. In diesem Zusammenhang untersucht Gerber die verschiedenen Regelungen im deutschen und im römischen Recht. Während das römische Recht die ehelichen Lasten allein dem Mann aufbürdet und die Frau allein mit ihrer dos (Mitgift) einen Beitrag zum ehelichen Aufwand leistet, läßt das deutsche Recht die Frau mit ihrem ganzen Vermögen an den Aufgaben der Ehe teilnehmen. 1206 Gerber sieht es in diesem Zusammenhang als „undeutsch“ und „doctrinär“ an, daß im System der modernen Errungenschaftsgemeinschaft, in dem von dem während der Ehe gezogenen Gewinn die ehelichen Lasten berechnet werden, „ein Gebiet der ehelichen Gemeinschaft im Gegensatz zu den Sondergebieten der einzelnen Gatten herausgekünstelt“ wird. 1207 Es ist bemerkenswert, daß sich Gerber an dieser Stelle gegen jede artifizielle „Konstruktion“ wendet und sie als nicht vereinbar mit dem Charakter des deutschen Rechts ansieht. Nach Gerber ist es die Intention der Frau, am gesamten inneren und äußeren Leben ihres Mannes teilzunehmen und demnach auch ihre Vermögensmacht ganz und ungeteilt „dem ihr eigenes Interesse einschliessenden Bedürfniss des Gatten“ zu unterwerfen. 1208 Daß die Frau hier eine untergeordnete Rolle spielt, bezeichnet Gerber als „sich von selbst ergebende Folge der Stellung, welche die Natur dem Manne im Verhältnis zur Frau anweist“. 1209 Keinesfalls entspräche es dem natürlichen Verhält1203 Gerber, Abhandlungen, S. 322: Bemerkenswert ist, daß Gerber in diesem Zusammenhang die Ausführungen seines wissenschaftlichen Gegners Bluntschli zur Errungengemeinschaft ausdrücklich lobt, Gerber, Abhandlungen, Fn. S. 321 a. E. mit Verweis auf Bluntschli, Deutsches Privatrecht, S. 207. 1204 Gerber, Abhandlungen, S. 322. 1205 Gerber, Abhandlungen, S. 323. Dieses und andere der hier zahlreich angeführten wörtlichen Zitate gibt in anschaulicher Weise Gerbers Gesellschaftsbild, das seiner juristischen Arbeit zugrunde liegt, wider. 1206 Gerber, Abhandlungen, S. 325/326: Die Frau als „Genossin“ des Mannes in vielerlei Hinsicht teilt hier auch seine Berufs- und Standesstellung. 1207 Gerber, Abhandlungen, S. 327. 1208 Gerber, Abhandlungen, S. 327/328. 1209 Gerber, Abhandlungen, S. 328.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

nis der Ehegatten, wenn die Frau ihr Vermögen für sich behielte und selbständig verwaltete. 1210 Im folgenden versucht Gerber, das Prinzip der Gütervereinigung juristisch zu fassen. Es handelt sich dabei um keine Rechtsveränderung, jeder Ehegatte bleibt auch in der Ehe Eigentümer seiner Güter. In den privatrechtlichen Genossenschaftsverhältnissen gibt es keine Formel für dieses „sittliche(s) Postulat des ehelichen Lebens“. 1211Juristisch sieht Gerber die Stellung des Mannes gegenüber dem Frauengut als die eines „stellvertretenden Verwalters eines fremden Vermögens für einen allgemein bestimmten Zweck“. 1212 Im Gegensatz zu anderen Procuratoren (Vertretern) ist diese Vollmacht jedoch höchst umfassend. 1213 Das Recht des Mannes am Frauengut hat keinesfalls die Natur einer dinglichen Berechtigung. Es handelt sich um ein Forderungsrecht auf Besitz, Verwaltung und zu einem gewissen Grad auch Verfügung über die Güter der Frau. 1214 Die Theorie eines Nießbrauchs des Ehemanns verwirft Gerber, da sie seiner Ansicht nach den inneren Gehalt des ehelichen Verhältnisses in einer „fremdartigen aber sich bequem darbietenden Rechtsform verkümmern“ läßt. 1215 Gerber sieht nach alledem gute Gründe, die unter seiner Verwaltung eingetretene Vermögensmehrung dem Ehemann zuzusprechen. Eine Verletzung der Interessen der Frau befürchtet Gerber nicht, zumal es sich bei den Festsetzungen des ehelichen Güterrechts immer nur um „Durchschnittsregeln“ handeln kann. 1216 Als Korrektiv bieten sich besondere ehevertragliche Regelungen wie die Festschreibung eines Sonderguts an, mit denen in Sonderfällen die gesetzliche Regelung modifiziert werden kann. 1217 Der Grundgedanke von Gerbers Ehegütersystem besteht darin, daß die Ehe nichts an den Vermögensverhältnissen der Ehegatten ändert. 1218 Allerdings hat der Ehemann besondere Befugnisse hinsichtlich des vorehelichen und während der Ehe erGerber, Abhandlungen, S. 328. Gerber, Abhandlungen, S. 329. 1212 Gerber, Abhandlungen, S. 329/330. 1213 Gerber, Abhandlungen, S. 330. 1214 Gerber, Abhandlungen, S. 330. 1215 Gerber, Abhandlungen, S. 330/331: In einigen seltenen Fällen können die Früchte des weiblichen Vermögens einen Überschuß über die Bedürfnisse der Ehe, eine wirkliche Errungenschaft hervorbringen. Gerber stellt die Frage, ob dieser Überschuß gesetzlich der Frau zugeschrieben werden soll. Aus praktischen Gesichtspunkten ist für ihn diese Frage zu verneinen: Der Mann bestimmt die ehelichen Bedürfnisse und damit indirekt auch die Frage des Überschusses. Zudem findet nicht in allen Ehen eine genaue Buchführung statt, Gerber, Abhandlungen, S. 331/332. 1216 Gerber, Abhandlungen, S. 333: Die von ihm dargelegten Prinzipien berücksichtigen zudem seiner Meinung nach am ehesten „die natürliche und sittliche Gestaltung des ehelichen Verhältnisses“. 1217 Gerber, Abhandlungen, S. 334: Daneben kommt ein umfassendes und unentziehbares Erbrecht des überlebenden Ehegatten und eventuell ein Nießbrauch an anderen Teilen des Erbes infrage. 1218 Gerber, Abhandlungen, S. 334. 1210 1211

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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worbenen Vermögens seiner Frau. Im Rahmen seiner Verwaltungskompetenz kann er alle Rechtsgeschäfte zur ordnungsgemäßen Erhaltung dieses Vermögens vornehmen. Regelmäßig ist ihm sogar die freie Veräußerung der beweglichen Gegenstände gestattet (eine Befugnis, die Gerber eingeschränkt sehen will), die Veräußerung von Immobilien hingegen nur mit Zustimmung der Ehefrau. 1219 Weiter gehört zu den Verwaltungsrechten die Prozeßvertretung der Frau. 1220 Die Sicherheit für die Erhaltung des Frauenguts und dessen Wiedererlangung im Trennungsfall besteht für die Frau zum einen darin, daß sie immer noch Eigentümerin ist. Zum anderen hat sie ein Pfandrecht am Vermögen des Mannes bzw. kann zur Sicherung der Ansprüche, die durch die Fortdauer ihres Eigentums nicht gedeckt sind (wie beispielsweise der Ersatzanspruch bei Überschreitung des Verwaltungsrechts des Mannes), eine Hypothek in das öffentliche Grundbuch eintragen lassen. 1221 Eine Verfügungsgewalt hat der Mann nur hinsichtlich der Früchte des Frauenguts.1222 Was die rechtliche Stellung der Frau betrifft, so ist sie, obwohl sie ihr Vermögen zur Verwaltung an den Mann übergeben hat, dennoch nicht handlungsunfähig. Sie kann gültig Rechtsgeschäfte aller Art abschließen, testieren und veräußern. Geschäfte mit Wirkung auf das Vermögen in der Hand des Ehemanns können allerdings, außer bei seiner ausdrücklichen Einwilligung, erst ausgeführt werden, wenn das Vermögen wieder von Rechten des Mannes frei geworden ist. 1223 Im Bereich des „inneren Hauswesens“ kann die Frau den Mann aufgrund eines in der Natur des ehelichen Verhältnisses liegenden Vertretungsverhältnisses (nicht aufgrund stillschweigenden Mandats) unabhängig von seinem Willen verpflichten. 1224 Voreheliche Schulden der Frau müssen auch während der Ehe aus dem Frauengut getilgt werden, nicht dagegen die von ihr während der Ehe ohne Einwilligung des Mannes gemachten. Wenn die Ehegatten gemeinsam kontrahieren, werden sie wie mehrere gemeinsame Schuldner verpflichtet, ohne daß das eheliche Güterrecht eine Wirkung hätte. 1225 In seinem Aufsatz von 1868 faßt Gerber im wesentlichen nur die in seinem Lehrbuch und vor allem der Abhandlung von 1857 getroffenen Feststellungen zusammen. Zum Ausgangspunkt nimmt er einige generelle Ausführungen zur deutschen Gerber, Abhandlungen, S. 335. Gerber, Abhandlungen, S. 335. 1221 Gerber, Abhandlungen, S. 336: Als letzten Schritt kann die Frau unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. Konkurs des Mannes, Scheidung von Tisch und Bett) gerichtlich die Entziehung der Verwaltung eintragen lassen. Zusätzliche Sicherheit bietet die Erstellung eines Inventars bei Eingehung der Ehe. 1222 Gerber, Abhandlungen, S. 336. Diese darf er sogar zur Bezahlung seiner (vorehelichen oder ehelichen) Schulden verwenden. Dagegen ist es nach Gerber als willkürlich abzulehnen, wenn zahlreiche Statuten die Ehefrau persönlich für die Schulden des Ehemanns haften lassen. Gerber betont an dieser Stelle, daß er sich in § 231 seines „Systems“ entgegen seiner abweichenden Meinung an das positive statutarische Material halten mußte (vgl. oben S. 200, Fn. 780), Gerber, Abhandlungen, S. 337. 1223 Gerber, Abhandlungen, S. 338. 1224 Gerber, Abhandlungen, S. 339. 1225 Gerber, Abhandlungen, S. 340. 1219 1220

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Privatrechtswissenschaft, wie sie sich in seinen programmatischen Schriften finden. Auf dieser Grundlage versucht Gerber zur dogmatisch korrekten Darstellung des deutschen ehelichen Güterrechts zu finden. 1226 Gerber erscheint es notwendig, „den eigentlichen Grundgedanken des deutschen Rechts zu gewinnen und zu dogmatischer Klarheit zu bringen, wie er sich in den ältesten und bedeutendsten Beurkundungen desselben ausspricht und im Zusammenhang mit dem ganzen sonstigen Rechtssysteme gerechtfertigt erscheint“.1227 Er hält es für allgemein anerkannt, daß das System der Gütereinheit in „unserem wichtigsten deutschen Rechtsbuche“, nämlich im Sachsenspiegel, zum Ausdruck gebracht wurde. 1228 Im folgenden wandelt sich der Aufsatz zu einer Rezension von Martitz’ Schrift „Das eheliche Güterrecht des Sachsenspiegels und der verwandten Rechtsquellen“ 1229. Dieser Autor vertritt entgegen Gerber die Ansicht, daß das Recht des Sachsenspiegels einer Kulturperiode angehört, die schon zur Zeit seiner Abfassung wenigstens teilweise überwunden war. 1230 Gerber bemüht sich um eine Widerlegung dieser Argumentation. Gegen Ende schließt er noch die Besprechung eines Aufsatzes von Hänel 1231 an, der es sich zur Aufgabe gesetzt habe, eine Gruppe von Rechten des Sächsischen Kreises der Herrschaft des Gütereinheitssystems zu entziehen.1232 Zum Schluß spricht Gerber das Problem an, daß die fränkischen und süddeutschen Rechte mit ihrem sog. „System der gesammten Hand und Verfangenschaft“ schon in ihrer Anlage in entschiedenem Gegensatz zu der von ihm selbst verfochtenen „Gütereinheit“ stehen. 1233 Gerber kündigt an, er werde darauf in einer späteren Abhandlung eingehen. Dies ist jedoch nicht geschehen, da kein dritter Aufsatz zu diesem Themenkreis erschien. Lediglich in seinem Lehrbuch nahm Gerber ab der zehnten Auflage 1234 kurz zu diesem Problem Stellung. Gerbers intensive Beschäftigung mit dem ehelichen Güterrecht, die zur dogmatischen Ausarbeitung des Systems der Gütereinheit führte, wurde zu seinen dauerhaftesten Verdiensten auf zivilrechtlichem Gebiet gezählt. Gerber selbst rechnete die 1226 Gerber, Abhandlungen, S. 343. Dies sieht er dadurch erschwert, daß keine der diesbezüglichen Rechtsquellen, nämlich der zahlreichen Statuten, zentrale Prinzipien aufstellt, sondern sie vielmehr kasuistisch die Einzelheiten bei Auflösung der Ehe regeln. Der Einzelfall wurde dabei als „isolirtes Objekt praktischer Regulirung“ aufgefaßt, Gerber, Abhandlungen, S.344. 1227 Gerber, Abhandlungen, S. 346. 1228 Gerber, Abhandlungen, S. 348; hierbei verweist er auf die neueste Schrift zu diesem Themenkreis, Schröder, Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland. 1229 Martitz, Das eheliche Güterrecht des Sachsenspiegels und der verwandten Rechtsquellen, 1867. 1230 Gerber, Abhandlungen, S. 352 mit Verweis auf Martitz, a. a. O., S. 240. 1231 Hänel, Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Bd. I, S. 273 ff. 1232 Gerber, Abhandlungen, S. 364. 1233 Gerber, Abhandlungen, S. 371. 1234 Gerber, System, 10. Auflage, § 136, Note 8.

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ehelichen Güterrechte zu den „gelungeneren Partieen“ seines Lehrbuchs 1235, was unterstreicht, daß er sich in dieser Materie besondere Kompetenz zutraute. Landsberg hebt hervor, daß Gerber das von ihm erst in den Vordergrund gestellte und mit technischem Namen belegte System der sog. Gütereinheit als die dogmatisch zentrale Figur des ehelichen Güterrechts ausbildete, und zwar als Gegensatz zu der vollständigen oder teilweisen Gütergemeinschaft. 1236 Dieses Gerbersche System sei dann „als das für die Gegenwart brauchbarste der einheimischen Rechtssysteme von dem deutschen bürgerlichen Gesetzbuche zum ordentlichen gesetzlichen Güterstandssystem erklärt worden“. 1237 Nach dem Urteil v. Oertzens entfaltete Gerber die Gütereinheit „mit klarem Blick für die tatsächlichen Bedürfnisse und unter eingehender Berücksichtigung der ökonomisch-sozialen Hintergründe der Rechtsentwicklung ... aus den Rechtsbüchern des späten Mittelalters“. 1238 Selbst Kritiker Gerbers betonten, von den zivilrechtlichen Schöpfungen Gerbers habe einzig sein System der Gütereinheit eine „praktische Bedeutung und einen gewissen inneren Wert“. 1239 Tatsächlich verdrängte das von Gerber vorgeschlagene und danach vehement verteidigte System die traditionelle germanistische Lehre1240 und wurde, wie bereits erwähnt, in das BGB von 1900 aufgenommen. Zwar trug der ursprüngliche gesetzliche Güterstand des BGB nicht die Gerbersche Bezeichnung „Gütereinheit“. Es handelte sich ohnehin um einen merkwürdig falschen Begriff für einen „Begriffsjuristen“ wie Gerber. Jedoch sahen die §§ 1363 ff. BGB (alte Fassung) den Güterstand der eheherrlichen Nutzung und Verwaltung vor. Bei dieser Verwaltungsgemeinschaft oblag dem Ehemann (wie von Gerber beschrieben) bei eigentumsmäßiger Trennung neben der Verwaltung seines eigenen Vermögens auch die Verwaltung des Frauengutes. 1241 Dieses patriarchalische Familienbild, das auch Gerbers Sichtweise prägte (vgl. sein oben bereits zitierter Hinweis auf die untergeordnete Rolle der Frau als „sich von selbst ergebende Folge der Stellung, welche die Natur dem Manne im Verhältnis zur Frau anweist“ 1242), erschien in Zeiten zunehmender Gleichberechtigung überholt. Aus diesem Grund wurde an der Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichem Güterstand nur bis 1953 festgehalten. 1243 Nach einer Übergangszeit, in der die Gütertrennung als gesetzlicher Güterstand galt 1244, wurde nach Inkrafttreten des 1235 1236 1237 1238 1239 1240 1241 1242 1243 1244

Vgl. Gerber an Ihering, Tübingen, 16. October 1855 [50]. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 785. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 785. v. Oertzen, Gerber, S. 229/230. Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 102. Losano, Bd. 2, S. 97. Ogris in HRG V, Verwaltungsgemeinschaft, Sp. 877 ff. Gerber, Abhandlungen, S. 328. Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, S. 469. Gernhuber/Coester-Waltjen, S. 469.

17 Schmidt-Radefeldt

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Gleichberechtigungsgesetzes am 18.7.1959 die Zugewinngemeinschaft als gesetzlicher Güterstand eingeführt. g) Themenkreis Reallasten: „Zur Theorie der Reallasten“ (1858) „Reallast oder Realschuld?“ (1863) Das Thema der Reallasten, für das sich bereits sein Lehrer Mittermaier näher interessiert hatte 1245, der sie schließlich als dingliches Forderungsrecht einordnete 1246, beschäftigte Gerber über einen längeren Zeitraum. Bereits 1846 verfaßte er eine Rezension zu Renauds „Beitrag zur Theorie der Reallasten“. 1247 Dort war insbesondere die rechtliche Natur des Instituts neu beleuchtet worden. Die Auffassung Renauds, wonach die Reallastberechtigung ein mit Immobiliareigenschaft versehenes dingliches Recht auf einen Teil des periodischen Ertrags eines bestimmten Grundstücks sei 1248, lehnte Gerber als durchweg verfehlt ab. 1249 Vertieft griff Gerber, wie erwähnt, das Thema in zwei Beiträgen in den „Jahrbüchern“ 1858 und 1863 auf, 1250 die er später in den gesammelten juristischen Abhandlungen unter dem Titel „Zur Theorie der Reallasten“ zusammenfaßte. 1251 Ausgehend von der scheinbaren Unversöhnlichkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Ansichten über die Reallasten (wobei die Reallasten teils dem Schuld-, teils dem Sachenrecht zugeordnet wurden) stellt Gerber zunächst fest, daß der Geist des Privatrechts seiner Zeit von dem mittelalterlichen vollkommen verschieden ist. 1252 Er schildert die sozio-ökonomischen Gegebenheiten des Mittelalters als einen Zustand der Gebundenheit, weshalb auch das mittelalterliche Privatrecht eine gebundene Güterwelt voraussetzte. 1253 Dem gegenüber sieht er das Privatrecht seiner Zeit nach seiner Grundthese als ein System freier Willensmöglichkeiten. 1254 1245 Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts §§ 153 ff.; Hirschbühl weist darauf hin, daß Mittermaier auch in seiner Vorrede zu J. Scholz III „Das Schäfereirecht“, Braunschweig 1837, S. XVIII, das Fehlen einer befriedigenden Theorie der Reallasten und der ehelichen Gütergemeinschaft rügte, vgl. Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 99, Fn. 53. 1246 Mittermaier, Privatrecht, § 325. 1247 Gerber, Kritische Jahrbücher für Deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 782 ff. 1248 Gerber, Renaud-Rezension, Kritische Jahrbücher für Deutsche Rechtswissenschaft, S. 783. 1249 Gerber, Renaud-Rezension, Kritische Jahrbücher für Deutsche Rechtswissenschaft, S. 786. 1250 Gerber in Gerbers und Iherings Jahrbüchern, Bd. 2 (1858), S. 35 ff. und Bd. 6 (1863), S. 266 ff. 1251 Gerber, Abhandlungen, S. 213 ff. 1252 Gerber, Abhandlungen, S. 213. 1253 Gerber, Abhandlungen, S. 214. 1254 Gerber, Abhandlungen, S. 216.

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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Getreu seiner Methode untersucht er, „ob sich nicht auch in der Fülle jener gebundenen Zustände des Mittelalters ein juristischer Gedanke von allgemeiner Construierbarkeit entdecken lässt“. 1255 Er beabsichtigt, aus dem mittelalterlichen ökonomisch-politischen Zustand, in dem die Reallast angesiedelt ist (während das römische Recht kein entsprechendes Rechtsgebilde kannte 1256), den juristischen Gedanken herauszuarbeiten, „der völlig unabhängig von jenen zum Theil überwundenen Zuständen auch zukünftig als Inhalt eines Personenwillens gelten kann, – ein Rechtsinstitut, das auch in der Sphäre unserer veränderten Interessenverhältnisse Anwendung finden kann“. 1257 Damit strebt Gerber eine praktische Brauchbarmachung der alten Rechtsgedanken für die Gegenwart an, wobei er jeden Schritt auf diesem Gedankenweg durch die Beziehung auf die vergangenen und gegenwärtigen sozialen Verhältnisse zu rechtfertigen sucht. 1258 Die Kritik Hirschbühls, Gerbers „formale Begriffskonstruktion“ werde dem „inneren Band zwischen persönlicher Schuld und ihrem haftungsbedingten Anknüpfen an ein Grundstück“ nicht gerecht und zerstöre den „Kerngedanke(n) des deutschen Rechtsgebildes“, ja mit dieser „schroffen Einordnung der Reallasten in die Forderungsrechte, bloß um der messerscharfen logischen Folgerichtigkeit seines Systems keinen Abbruch zu tun“, laufe dieses System „Gefahr, unwahr zu werden, weil es dem deutschen Rechtsempfinden nicht den ihm gemäßen Ausdruck verleiht“ 1259, erscheint demnach überspitzt. In Gerbers ostentativer Bemühung um Berücksichtigung der sozio-ökonomischen Hintergründe zeigt sich, daß er sich der Gefahren einer rein formalen Begriffskonstruktion, wie sie ihm vorgeworfen wurde, durchaus bewußt war. Allerdings gelang es ihm dennoch nur selten, dieser Gefahr auszuweichen, die bloße Erwähnung außerrechtlicher Elemente führt ihn noch nicht zu ihrer tatsächlichen Berücksichtigung in seinen Rechtskonstruktionen. Gerbers Zeitgenosse Roth bestritt, daß die Einordnung der Reallast als eine durch den Besitz eines Grundstücks bedingte Obligation zuerst von Gerber aufgestellt wurde. 1260 In Wirklichkeit habe dieser sie von Seuffert 1261 und Puchta 1262 übernommen. Immerhin beziehen sich aber diejenigen, die sich dieser Auffassung anschließen 1263, in der Regel auf Gerber, was sogar Roth zugesteht. Die von Gerber verfochtene Einordnung der Reallast ins Schuldrecht stimmt zwar nicht mit der des späteren BGB überein, das die Reallast in §§ 1105 dem Sa1255 Gerber, Abhandlungen, S. 218: Dabei betont er einmal mehr, daß seine Methode „auch das System des deutschen Privatrechts nach einem einheitlichen specifisch juristischen Principe, d. h. wissenschaftlich zu beherrschen, strebt“. 1256 Gerber, Abhandlungen, S. 230. 1257 Gerber, Abhandlungen, S. 220. 1258 Vgl. v. Oertzen, Gerber, S. 228. 1259 Hirschbühl, Rechtslehre Gerbers, S. 100. 1260 Roth, System des Deutschen Privatrechts, Bd. 3, § 284, S. 466, Fn. 14. 1261 Seuffert, Baurecht (1819), S. 73, zitiert bei Roth. 1262 Puchta, Vorlesungen (1847), § 178, zitiert bei Roth. 1263 Z. B Stobbe, Handbuch des Deutschen Privatrechts, Bd. 2 § 101, Fn. 8.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

chenrecht eingliedert. Auch Gerber war klar, daß die besondere Dauer das Recht von den meisten Obligationen unterschied, er sah darin jedoch nur eine „Modification“ des Obligationsbegriffs. 1264 Die Rolle, die das Grundstück bei der Reallast spielt, sah Gerber nur als eine „ganz äusserliche, nicht mit seiner materiellen physischen Beschaffenheit zusammenhängende“, woraus er einen „offenbare(n) Gegensatz dieser Art der ‚Belastung‘ mit einer Belastung durch dingliche Rechte“ folgerte. 1265 Ein mit einem Servitut behaftetes Grundstück beispielsweise ist „selbst das unmittelbare Objekt der Berechtigung, es dient dem Servitutinhaber mit seiner Substanz“. 1266 Dagegen ist für Gerber bei der Reallast keineswegs wie bei dem dinglichen Recht die Substanz des Grundstücks selbst ergriffen. 1267 Den praktischen Vorteil der Reallast sieht Gerber in „einer ungemeinen, durch kein anderes Mittel dieser Art erzielbaren Sicherheit“.1268 Allerdings ist er sich, vor dem Hintergrund des Bestrebens seiner Zeit, Grund und Boden frei zu machen, zugleich der Problematik ihrer Eigenschaft als „ewige Last“ bewußt, weshalb er es als möglich ansieht, die Dauer der Reallast zu beschränken. 1269 Im zweiten Teil seiner Abhandlung, die wie erwähnt 1863 als selbständiger Aufsatz erschienen war, bespricht Gerber einen Aufsatz Meiboms zur Reallastenlehre. 1270 Der Titel von Gerbers Aufsatz – Reallast oder Realschuld – suggeriert dabei bereits die von Gerber bevorzugte Einordnung der Reallast ins Schuldrecht. Letztlich konnte sich Gerber mit dieser Auffassung jedoch nicht durchsetzen. Die Wirkung seiner Abhandlungen zum Thema Reallasten blieb gering. h) „Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“ (1859 und 1863) Gerber widmete dem Themenkreis Verlagsvertrag und Nachdruckgesetzgebung zwei eigenständige Darstellungen. Die erste erschien 1859 in den „Jahrbüchern“ 1271, die zweite stellte 1863 seine Antrittsvorlesung in Leipzig dar. 1272 Zusammengefaßt erschienen sie in den gesammelten juristischen Abhandlungen unter dem Titel „Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“. 1273 In diesen Aufsätzen steigt Gerber, wie bereits mehrfach erwähnt, viel vertiefter in die Materie ein, als ihm dies in seinem Lehrbuch möglich ist. 1264 1265 1266 1267 1268 1269 1270 1271 1272 1273

Gerber, Abhandlungen, S. 222. Gerber, Abhandlungen, S. 231. Gerber, Abhandlungen, S. 231. Gerber, Abhandlungen, S. 231/232. Gerber, Abhandlungen, S. 237. Gerber, Abhandlungen, S. 241/242. Meibom in Jahrbuch d. gemeinen deutschen Rechts, Bd. 4, S. 442 ff. Gerber in Gerber’s und Ihering’s Jahrbüchern, Bd. 3 (1859), S. 359 ff. Vgl. oben, Erster Teil, Kapitel XI. Gerber, Abhandlungen, S. 261 ff.

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In dem Aufsatz von 1859 setzt er sich mit den verschiedenen zur Problematik des geistigen Eigentums vertretenen Auffassungen auseinander. Dabei nimmt er mit der Feststellung, er meine „mit aller Bestimmtheit das literarische Eigenthum zu jenen Erscheinungen rechnen zu müssen, in denen trotz allen scheinbaren Lebens der Keim eines baldigen Todes erkannt werden muss“, seine Ablehnung dieses Begriffs vorweg. 1274 Damit stand Gerber in der im Laufe des 19. Jahrhunderts ausführlich geführten Diskussion um den Begriff des „geistigen Eigentums“ keineswegs allein. 1275 Zumindest gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich derjenige, der als Wissenschaftler die Formel „geistiges Eigentum“ gebrauchte, wie Wadle es ausdrückt, „dem Verdacht aus, den Ansprüchen der Zivilrechtswissenschaft nicht zu genügen; in der Wortwahl sah man allzu schnell den Beweis mangelnder Begriffsschärfe“. 1276 Dieser Vorwurf scheint genau auf der Linie von Gerbers Argumentation. Immerhin war 1859 zur Zeit der Entstehung des Aufsatzes die herrschende Meinung noch nicht so eindeutig, vielmehr war die Diskussion in vollem Gange. 1277 Nach einer Erörterung der Thesen von Jolly 1278, O. Wächter, Walter und Bluntschli 1279 zu diesem Themenkomplex 1280 stellt er es sich als Aufgabe, nachzuweisen, „dass das ursprüngliche Recht des Autors kein eigenes selbständiges subjektives Recht sei, von welchen der Schutz gegen Nachdruck nur als abgeleitete Consequenz erscheine“ 1281. Die Gegenmeinung beruht seiner Ansicht nach auf einem „falsch geleiteten Gefühl juristischer Aesthetik“. 1282 Für Gerber hat ein Autor mit der Veröffentlichung bzw. der Übergabe des Manuskripts zum Druck „seinen geistigen Inhalt zum Gemeingute des allgemeinen Publikums gemacht“. 1283 Folglich hat jeder Käufer eines Exemplars „an diesem die vollen Dispositionsrechte des Eigenthümers“. 1284 Die Interessen des Autors aber werden rechtlich durch Nachdruckverbote geschützt. 1285 Dadurch wird der einzelne Autor bzw. dessen Verleger nur bezüglich des ökonomischen Werts seiner geistigen Arbeit Gerber, Abhandlungen, S. 263. Wadle, Geistiges Eigentum, S. 3, stellt fest, im Laufe des 19. Jahrhunderts habe „eine langwierige Diskussion den Begriff ‚Geistiges Eigentum‘ verdrängt. 1276 Wadle, Geistiges Eigentum, S. 6. 1277 Wadle, Geistiges Eigentum, S. 330/331 spricht davon, daß die breit angelegte Diskussion zwischen Reflextheorie, Monopoltheorie, Verlagstheorie und Lehre vom Persönlichkeitsrecht seit 1850 zum Theorienstreit hochgespielt wurde. 1278 Dieser war, wie auch Gerber, ein Vertreter der sog. „Reflextheorie“, vgl. dazu im Einzelnen unten. 1279 Bluntschli vertrat die sog. Lehre vom Persönlichkeitsrecht, verwendete diesen Begriff allerdings selbst nicht, vgl. Klingenberg, Urheberrechtstheorie, S. 197 ff., insbesondere S. 199. 1280 Gerber, Abhandlungen, S. 263–266. 1281 Gerber, Abhandlungen, S. 266. 1282 Gerber, Abhandlungen, S. 266. 1283 Gerber, Abhandlungen, S. 270. 1284 Gerber, Abhandlungen, S. 270. 1285 Gerber, Abhandlungen, S. 271. 1274 1275

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abgesichert, keinesfalls aber führt dieser Schutz zu der Begründung eines permanenten, subjektiven Rechts. 1286 Gerber sähe es als unnatürlich an, in der Konsequenz auch „die blosse geistige Conception zur Basis eines bereits fertigen, subjektiven Rechtes zu machen“. 1287 Der Verlagsvertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft mit den entsprechenden wechselseitigen Verpflichtungen 1288 und der Schutz gegen Nachdruck sind für Gerber vom Standpunkt der juristischen Konstruktion streng voneinander zu unterscheiden. 1289 Gerbers Aufsatz wurde von einem anonymen Rezensenten in „Schletters Jahrbüchern“ zusammengefaßt, ohne eine Kritik zu äußern. 1290 Gerber stand Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Auffassung, der Urheberrechtsschutz sei nur Reflexwirkung von Verbotsnormen, ein subjektives Recht existiere nicht, bereits ziemlich allein. 1291 Diese sog. Reflextheorie, die sich in positivistischem Ansatz damit begnügte, das Recht des Urhebers als Folge des gesetzlichen Verbots zu verstehen, war vor Gerber bereits von Jolly (1825) und Maurenbrecher (1855) vertreten worden. 1292 Die meisten Stimmen gaben zu dieser Zeit einer zivilrechtlichen Konstruktion des Urheberrechts den Vorzug. Ende des 18. Jahrhunderts hatte die herrschende Meinung das Wesen des Urheberrechts in einem naturrechtlich begründeten geistigen Eigentum gesehen 1293, und auch noch im 19. Jahrhundert fand die Lehre vom geistigen Eigentum eine beachtliche Anhängerzahl1294, die jedoch, wie bereits oben dargestellt, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ständig abnahm. Aus der Kritik an der Lehre vom geistigen Eigentum entwickelte sich eine Doktrin, die als Theorie vom Persönlichkeitsrecht bezeichnet wird, und bei deren Entstehung und Entwicklung ein Bogen von Kant bis Gierke geschlagen werden kann. 1295 Nachdem im Urheberrecht die Entscheidung zugunsten eines gesetzlichen Schutzes gefallen war 1296, wurde der Streit der Autoren um die Begründbarkeit – sei es durch die Reflextheorie, die Lehre vom geistigen Eigentum oder durch Theorie vom Persönlichkeitsrecht – weitgehend gegenstandslos. 1297 Gerber sah bei seiner 1863 entstandenen Leipziger Antrittsvorlesung zum Thema Urheberrecht den Streit aber offenbar noch als aktuell an. Gerber, Abhandlungen, S. 276. Gerber, Abhandlungen, S. 278. 1288 Gerber, Abhandlungen, S. 282. 1289 Gerber, Abhandlungen, S. 286. 1290 Anonymus, Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers, in: Schletters Jahrbücher 1860, S. 116. 1291 Dölemeyer/Klippel, Theorie des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrecht, S. 213. 1292 Vgl. dazu im einzelnen Wadle, Geistiges Eigentum, S. 330. 1293 Vgl. Klingenberg, Urheberrechtstheorie, S. 183. 1294 Vgl. Klingenberg, Urheberrechtstheorie, S. 184. 1295 Vgl. Klingenberg, Urheberrechtstheorie, S. 184. 1296 1870/1871 Norddeutscher Bund/Deutsches Reich: Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, an Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, vgl. dazu Wadle, Geistiges Eigentum, S. 598. 1297 Vgl. Wadle, Gesetzlicher Schutz, S. 152. 1286 1287

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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Er stellt einleitend fest, das Ziel eines Schriftstellers bestehe primär in seiner „sittlichen Aufgabe“. 1298 Daneben gebe es aber auch ein ökonomisches Interesse, da er der „wesentliche Producent“ der zu den „wichtigsten Handelswaren“ zählenden Bücher sei. Aus diesem Grund bedingt sich der Autor im Verlagsvertrag für eine bestimmte Auflage ein Honorar aus und behält sich vor, nach dem Vergriffensein der ersten Auflage eine weitere gegen ein neues Honorar zu veröffentlichen. 1299 Der Nachdrucker nun, der „den Markt mit einer oft noch größeren Zahl billigerer Exemplare überfüllt“, stört diese Kalkulation und verletzt darüber hinaus auch die Interessen des Verlegers. 1300 In einem geschichtlichen Exkurs macht Gerber deutlich, daß das Problem begreiflicherweise erst seit Erfindung der Buchdruckerkunst auftrat. Es war zu jeder Zeit anerkannt, daß durch Nachdruck „die Interessen [Hervorhebung durch Gerber] des Autors und des eigentlichen Verlegers empfindlich verletzt werden“. 1301 Zur Feststellung, daß eine „strafbare und verfolgbare Rechtsverletzung“ [Hervorhebung durch Gerber] vorliegt, bedarf es für Gerber jedoch eines „ausdrücklichen Ausspruchs der Gesetzgebung“. 1302 Gerber belegt, daß sich in der Geschichte dafür nur wenige Beispiele finden lassen. Es bestand zwar auch die Möglichkeit, daß man sich Privilegien verschaffte, was jedoch hinsichtlich der Durchsetzung auf Reichsebene nur eine sehr zweifelhafte Garantie darstellte. 1303 Die Rechtswissenschaft versuchte nach Gerbers Darstellung, dem Problem mit verschiedenen Ansätzen gerecht zu werden. In der Literatur des 18. Jahrhunderts wurde vor allem auf die Vergleichbarkeit des unerlaubten Nachdrucks mit Diebstahl und Raub abgestellt. In der juristischen Betrachtung entwickelte sich daraus die Theorie des literarischen Eigentums, „indem man den Nachdruck als eine Entwendung eben dieses Eigenthums ansah“. 1304 Gerber sieht hier das Problem, daß es sich bei dem geistigen Eigentum nicht „um das Recht an dem körperlichen Manuscripte, sondern um das Recht an dem geistigen Inhalt desselben, an den Gedanken“ 1305 handelt. Der Gedanke aber kann für ihn nicht Gegenstand des Eigentums sein, es ist in jedem Fall eine „gewisse Veräußerlichung“ erforderlich. 1306 Die Anhänger der Theorie vom literarischen Eigentum postulierten daher als „Objekt des literarischen Eigenthums die Idee in der bestimmten Form, welche sie in den einzelnen Schriften erhalten hat“. 1307 1298 1299 1300 1301 1302 1303 1304 1305 1306 1307

Gerber, Abhandlungen, S. 298. Gerber, Abhandlungen, S. 298. Gerber, Abhandlungen, S. 299. Gerber, Abhandlungen, S. 300. Gerber, Abhandlungen, S. 300. Gerber, Abhandlungen, S. 301. Gerber, Abhandlungen, S. 302. Gerber, Abhandlungen, S. 303. Gerber, Abhandlungen, S. 303. Gerber, Abhandlungen, S. 304.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Im folgenden arbeitet Gerber den Inhalt des geistigen Eigentums durch Vergleich mit dem Eigentum an körperlichen Gegenständen heraus. Entscheidend sind Dispositionsrechte bzw. „Befugnisse der Ausschließung Anderer“. Gerber stellt (wie bereits in seinem Aufsatz von 1859) fest, daß solche praktisch nicht mehr existieren, nachdem ein Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde: „Man kann das literarische Plagiat zwar wohl vor dem Forum der literarischen Ehre, nicht aber auch vor dem Forum des bürgerlichen Gerichts rügen“. 1308 Er versucht, durch einige kuriose Beispiele deutlich zu machen, daß die Konstruktion des geistigen Eigentums nicht praktikabel ist. 1309 Abgesehen von diesen „Absurditäten harmloser Natur“ 1310 gebe es jedoch eine keineswegs harmlose Konsequenz des literarischen Eigentums. Es müßte folgerichtig wie das normale Eigentum zeitlich unbegrenzt sein, was Gerber als unberechtigt ablehnt. Zwar hält er es für gerecht, dem Autor zu dessen Lebenszeit die ausschließliche Disposition über sein Geistesprodukt zu sichern.1311 Postum aber sind für ihn die Werke der „grossen Geister unserer Literatur ... vor Allem der Nation bestimmt“. 1312 Gerber kommt zu dem Schluß, daß die Konstruktion des geistigen Eigentums keine angemessene Lösung ist, mit der die Rechtwissenschaft „auch ohne die Hülfe der Gesetzgebung einen Schutz der literarischen Arbeit gegen das schnöde Gewerbe des Nachdruckers“ 1313 gewähren könne. Auch den Versuch, die Rechtswidrigkeit des Nachdrucks „aus dem erweiterten Begriff der Injurie oder des Rechts der Persönlichkeit“ abzuleiten, lehnt er ebenso ab wie ein „selbständiges Rechtsinstitut, das Autorrecht oder Verlagsrecht“, ohne dies näher auszuführen. 1314 Alle diese Theorien betrachtet er als vom Standpunkt der Praxis aus ziemlich überflüssig, da sie versuchten, von der Jurisprudenz die Antwort auf eine Frage zu erhalten, die nur die Gesetzgebung zu erteilen vermochte. 1315 Gerber, Abhandlungen, S. 304. Gerber, Abhandlungen, S. 305: Eine Ehefrau im System der Gütergemeinschaft beispielsweise würde sofort Miteigentümerin des geistigen Inhalts der Schriften ihres Mannes. Der Finder eines derelinquierten Manuskripts würde „durch Occupation Eigenthümer ... und dürfte als Schriftsteller auftreten.“ 1310 Gerber, Abhandlungen, S. 306. 1311 Gerber, Abhandlungen, S. 307. 1312 Gerber, Abhandlungen, S. 307; Gerber malt sich aus, die Erben Schillers oder Goethes könnten „die Werke ihrer grossen Ahnherren vielleicht aus religiösen oder anderen Bedenken durch Versagung weiterer Verlagsrechte ganz oder theilweise ... unterdrücken.“ Da die meisten Bücher das Leben ihrer Autoren nicht überdauern, wäre die Frage tatsächlich nur bei „wirklich grossen Nationalwerken“ relevant. Bei diesen aber tritt für ihn das „Anrecht der Nation ... mit einem unnatürlichen Privatrecht einzelner Individuen in grellen Widerspruch.“, vgl. Gerber, Abhandlungen, S. 308. 1313 Gerber, Abhandlungen, S. 309. 1314 Gerber, Abhandlungen, S. 309. 1315 Gerber, Abhandlungen, S. 309. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist, daß beispielsweise auch Beseler es rundweg für unzulässig erklärte, aus dem Begriff der Injuria ein Nachdruckverbot abzuleiten, sofern das Recht des Urhebers nicht durch positives Recht, mit1308 1309

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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Durch diese wurde mittlerweile Gerber zufolge sowohl dem Schriftsteller und Verleger als auch den Erben ausreichend Schutz gewährt. Dies geschah in der einfachen juristischen Form, daß die nicht autorisierte Vervielfältigung von Werken der Literatur und Kunst für strafbares Unrecht erklärt wurde. 1316 Der Deutsche Bund faßte diesbezüglich zahlreiche Beschlüsse, namentlich 1832, 18371317 und 1845, die durch Partikulargesetze ergänzt wurden. Infolge des gesetzlichen Schutzes besteht für Gerber kein Bedürfnis mehr nach weiteren theoretischen Konstruktionen. 1318 In dieser Schlußfolgerung zeigt sich deutlich ein gesetzespositivistischer Ansatz Gerbers. Ein interessanter Aspekt ist, daß 1862, also ein Jahr vor Gerbers Leipziger Antrittsrede, Sachsen in der Bundesversammlung (dem als ständigen Gesandten-Kongress in Frankfurt tagenden einzigen Organ des deutschen Bundes) einen Antrag zur Vereinheitlichung des Urheberrechts in Deutschland eingebracht hatte.1319 Bei seiner Erwähnung der Beschlüsse des deutschen Bundes als einer „legislatorischen That“ 1320 geht Gerber auf diesen Antrag, bei dessen Begründung insbesondere auch auf die Bedeutung von Leipzig als „Hauptsitz des deutschen Buchhandels und als Sitz des Centralorgans desselben“ 1321 verwiesen worden war, nicht ein. Allerdings merkt er bei der Veröffentlichung seiner Rede in den „Gesammelten juristischen Abhandlungen“ im Jahre 1872 in einer Fußnote an, inzwischen hätten die durch die Beschlüsse noch nicht völlig beantworteten Fragen eine „Befriedigung gefunden durch das Bundesgesetz vom 11. Juni 1870“ 1322. Gemeint ist das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, an Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken“, das am 16. April 1871 auch für das ganze Deutsche Reich in Kraft getreten war. 1323 Gerbers Widerstand gegen die Formel vom geistigen Eigentum fand auch bei den Diskussionen in der ADHGB-Kommission von 1857 ihren Ausdruck. Gerber spricht nur vom „sogenannten“ geistigen Eigentum und macht deutlich, er habe in diesem Zusammenhang „diesen wissenschaftlich höchst bedenklichen Ausdruck nur aus dem Grunde nicht beanstandet ... weil ich ihn für eine populäre und unpräjudicirliche Zusammenstellung mehrerer sehr verschiedenartiger Dinge sehe, für die es im Allgemeinen keinen anderen Ausdruck giebt“. 1324 hin Gesetz, anerkannt sei, vgl. Wadle, Geistiges Eigentum, S. 142 mit Verweis auf Beseler, System, 2. Auflage 1866, S. 323 f. 1316 Gerber, Abhandlungen, S. 310. 1317 Vgl. Wadle, Geistiges Eigentum, S. 223, der in dem Bundesbeschluß von 1837 einen „Markstein für die Geschichte des Urheberrechts in Deutschland“ sieht. 1318 Gerber, Abhandlungen, S. 310. 1319 Vgl. Wadle, Geistiges Eigentum, S. 309. 1320 Gerber, Abhandlungen, S. 310. 1321 Vgl. Wadle, Geistiges Eigentum, S. 310. 1322 Gerber, Abhandlungen, S. 310. 1323 Dazu Wadle, Geistiges Eigentum, S. 598. 1324 Protokolle zur Entstehung des ADHGB, 16. Sitzung am 20. März 1857: Art. 4 Nr. 6 (geistiges Eigentum), S. 290/291.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Gerber ist nach Jolly und Maurenbrecher als der wohl prominenteste Vertreter der Reflextheorie anzusehen, die sich allerdings bald überholt hatte. Immerhin wurde Gerbers schmaler Beitrag zur Geschichte des Urheberrechtsschutzes als so bedeutend eingeordnet, daß sein Aufsatz von 1859 noch im Jahr 1992 in der schweizerischen Zeitschrift „Archiv für Urheber- Film- Funk- und Theaterrecht“ nachgedruckt wurde. 1325 i) „Bemerkungen zum ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuchs“ (1871) Das Interesse Gerbers für das Handelsrecht hatte sich seit seiner Teilnahme an der ADHGB-Kommission von 1857 bis 1861 verstärkt. Auch wenn er seine Pläne zur Ausarbeitung eines Kommentars aus kollegialer Rücksichtnahme nicht verwirklichte 1326, verarbeitete er seine Kommissionserfahrung neben den Einarbeitungen in sein Lehrbuch auch monographisch. 1871 erschien sein Abhandlung „Bemerkungen zum ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuchs“ als Leipziger Dekanatsprogramm veröffentlicht, der Aufsatz wurde später unter dem Titel „Ueber Handelsgebräuche“ in die „Gesammelten Juristischen Abhandlungen“ aufgenommen.1327 Gerber bespricht hier den Artikel, mit dem das ADHGB eingeleitet wird: „In Handelssachen kommen, insoweit dieses Gesetzbuch keine Bestimmungen enthält, die Handelsbräuche und in deren Ermangelung das allgemeine bürgerliche Recht zur Anwendung.“ Damit ist zunächst einmal festgeschrieben, daß es dem Gesetzbuch gegenüber kein derogierendes Handelsgewohnheitsrecht geben soll. Im Handelsgesetzbuch hat für Gerber ein solcher „Ausschluß der derogatorischen Kraft des Gewohnheitsrechts“ 1328 seine Berechtigung. Es wird dadurch den Bedürfnissen des Handelsverkehrs entsprochen und vor allem die Rechtseinheit für ganz Deutschland auf dem Gebiet des Handelrechts hergestellt, die durch gewohnheitsrechtliche Bildungen bedroht sei. 1329 In Fragen, die durch das Handelsgesetzbuch nicht geregelt sind, erkennt der Artikel dagegen ausdrücklich die Geltung des Handelsgewohnheitsrechts an. 1330 Über Regeln zur Bestimmung der Art der Entstehung, Erkenntnismittel und Beweis des Gewohnheitsrechts enthält der Artikel keine Vorgabe. Diese müssen nach 1325 Vgl. UFITA (Archiv für Urheber- Film- Funk- und Theaterrecht) 119 (1992), S. 55–81; Hinweis darauf bei Manfred Rehbinder/Erich Pahud, Urheberrechtsschutz und strafrechtliche Inhaltskontrolle, Zur rechtshistorischen Entwicklung einer Grundsatzfrage, UFITA 136 (1998), S. 283, Fn. 30. 1326 Gerbers Jenaer Kollege v. Hahn, der auch Mitglied der ADHGB-Kommission gewesen war, hatte bereits einen Handelsgesetzbuch-Kommentar ausgearbeitet, vgl. oben Erster Teil, Kapitel X. 1327 Gerber, Abhandlungen, S. 427 ff. 1328 Gerber, Bemerkungen, S. 5; Abhandlungen, S. 428. 1329 Gerber, Bemerkungen, S. 5; Abhandlungen, S. 429. 1330 Gerber, Bemerkungen, S. 6; Abhandlungen, S. 429.

III. Kleinere Schriften zum Privatrecht

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Gerber dem jeweiligen Recht entnommen werden, „dessen örtlichem Herrschaftgebiet ein behauptetes Handelsgewohnheitsrecht überhaupt angehört“. 1331 Gerber widerspricht der von Hahn und Goldschmidt 1332 vertretenen Ansicht, daß statt dessen für diese Fragen des Gewohnheitsrechts „die von der gemeinrechtlichen Doctrin entwickelten Grundsätze Anwendung“ 1333 finden müßten. Eine Begründung dafür läßt sich nach Gerbers Ansicht auch nicht aus dem Protokoll der Sitzungen ableiten, das „gerade in diesem Punkte ... besonders unglücklich ausgefallen und daher wenig brauchbar“ ist. 1334 Anschließend stellt Gerber die Frage, wie der Artikel in den Ländern wie Österreich und Sachsen zu verstehen ist, in denen „das Gewohnheitsrecht ganz aus der Reihe der Rechtquellen gestrichen ist“. 1335 In diesen Ländern ist für ihn „das Handelsgewohnheitsrecht als ergänzende Rechtsquelle ein vom Handelsgesetzbuch gemachtes Geschenk“. 1336 Sodann kommt Gerber zur Klärung des in dem Artikel verwendeten Begriffs „Handelsgebräuche“. Goldschmidt und Hahn vertreten die Ansicht, damit werde lediglich das Handelsgewohnheitsrecht bezeichnet. 1337 Nach anderer Ansicht ist davon zusätzlich noch etwas anderes umfaßt, dem Gerber die vorläufige Benennung „Gebrauch“ gibt. 1338 Das kaufmännische Geschäftsleben eines Handelsplatzes zwingt „mit innerer Nothwendigkeit zu einer gewissen Uebereinstimmung erprobter Geschäftsformen und einer Gleichheit des geschäftlichen Verfahrens“. 1339 In rechtlicher Hinsicht besteht für Gerber ein deutlicher Unterschied zwischen dem Gewohnheitsrechtssatz als „objectiver Rechtsnorm“ und einer durch „Gebrauch“, bzw. „Usance“ eingeführten Regel. Letztere gilt als „Bestandteil des concreten Rechtsverhältnisses selbst, weil ihr Inhalt als eine Ergänzung des Willens der Parteien vorausgesetzt“ wird. Der Handelsgebrauch ist somit nach Gerber ein „Mittel der Auslegung des Parteiwillens“. 1340 Gerber, Bemerkungen, S. 7; Abhandlungen, S. 430. Zu Leben und Werk von Goldschmidt vgl. Weyhe, Levin Goldschmidt, Ein Gelehrtenleben in Deutschland, Berlin 1996. 1333 Gerber, Bemerkungen, S. 7; Abhandlungen, S. 430. 1334 Gerber, Bemerkungen, S. 8; Abhandlungen, S. 431. 1335 Gerber, Bemerkungen, S. 9; Abhandlungen, S. 432. 1336 Gerber, Bemerkungen, S. 9; Abhandlungen, S. 432. 1337 Gerber hatte diese Ansicht bereits 1864 in der Rezension von Goldschmidts „Handbuch des Handelsrechts“ mit folgender Begründung kritisiert: „Der Verfasser hat uns nicht überzeugt, wenn er S. 253 meint, daß der Ausdruck des Handelsgesetzbuchs „Handelsgebräuche“ nur das Gewohnheitsrecht und nicht auch die Usance im Sinne bloß thatsächlicher Übungen bezeichnen wolle; wie sehr die Bearbeiter des Gesetzbuchs über die Doppelbedeutung des Wortes klar gewesen, beweist die Ausführung in den Protocollen S.11, S. 5 ff., aus der sich klar ergiebt, daß man den Versuch der Sonderung der beiden Elemente mit vollem Bewußtsein abgelehnt hat.“, Literarisches Centralblatt für Deutschland 1864, Sp.593. Die Rezension erschien anonym, kann aber Gerber zugeschrieben werden, wie sich aus seinem Brief an den Herausgeber Zarncke vom 7. Juni 1864 ergibt. 1338 Gerber, Bemerkungen, S. 10; Abhandlungen, S. 433. 1339 Gerber, Bemerkungen, S. 11; Abhandlungen, S. 433/434. 1340 Gerber, Bemerkungen, S. 12; Abhandlungen, S. 434. 1331 1332

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

In praktischer Hinsicht gibt es für Gerber eine enge Verwandtschaft der Wirkung von Gewohnheitsrecht und Gebrauch. Es ist daher „natürlich, daß eine Gesetzgebung, welche das erstere regelt, gleichzeitig auch eine Ordnung für letzteren aufstellt“. 1341 Bewußt habe der Gesetzgeber nicht den Ausdruck „Handelsgewohnheitsrecht“ verwendet, obwohl dieser „in seiner scharfen wissenschaftlichen Bedeutung in voller Uebung“ sei, sondern einen viel umfassenderen, nämlich „Handelsgebräuche“. 1342 Damit sollte der Schutz der Kodifikation auch gegen eine indirekte Beeinträchtigung durch Handelsgebräuche sichergestellt werden. 1343 Diese Sichtweise wird für Gerber durch die Protokolle bestätigt, aus denen sich ablesen läßt, „dass die Majorität das umfassendere Wort mit klarer Erkenntniss seiner Doppelbedeutung gewollt hat“. 1344 Den Einwand Goldschmidts, Artikel 1 solle das Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen zueinander bestimmen und da nur das Handelsgewohnheitsrecht eine solche Rechtsquelle sei, nicht aber der Handelsgebrauch, könne hier nur das Handelsgewohnheitsrecht gemeint sein 1345, lehnt Gerber ab. Zwar muß der Dogmatiker Gerber zugestehen, die Anordnung des Gesetzes sei tatsächlich unlogisch, indem sie zwei verschiedene Dinge, nämlich „das Verbot der derogierenden Kraft des Gewohnheitsrechts und das Verbot einer Ergänzung des Parteiwillens durch dem Gesetze widersprechende Handelsgebräuche zusammengefasst und einer gemeinsamen, aber nur zum Theil passenden Rubrik unterstellt“ habe.1346 Trotzdem aber gilt für ihn, „was das Gesetz in dieser unlogischen Form wirklich bestimmt“. 1347 Inhalt des Artikels 1 ist demnach die Bestimmung der Grenzlinien „sowohl des Gewohnheitsrechts als der Usance unter einer Beides zusammenfassenden Bezeichnung“ 1348. Gerbers Ausführungen zum Handelsrecht erscheinen sehr punktuell und waren auch – abgesehen von den verhältnismäßig ausführlichen Überarbeitungen seines Lehrbuchs in diesem Bereich – ein einmaliges Ereignis. Fast scheint es, als habe Gerber mit diesem Aufsatz, nachdem er den Plan eines handelsrechtlichen Kommentars früh begraben hatte, seiner Arbeit für das ADHGB ein Denkmal und zugleich einen Schlußpunkt setzen wollen, ehe er endgültig in die Politik wechselte.

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten Im Hintergrund des bereits angesprochenen wissenschaftlichen Disputs Gerbers mit den meisten seiner germanistischen Fachkollegen standen unvereinbare politi1341 1342 1343 1344 1345 1346 1347 1348

Gerber, Bemerkungen, S. 14; Abhandlungen, S. 436. Gerber, Bemerkungen, S. 15; Abhandlungen, S. 437. Gerber, Bemerkungen, S. 16; Abhandlungen, S. 437. Gerber, Bemerkungen, S. 17; Abhandlungen, S. 438. Gerber, Bemerkungen, S. 18; Abhandlungen, S. 438. Gerber, Bemerkungen, S. 18; Abhandlungen, S. 439. Gerber, Bemerkungen, S. 18; Abhandlungen, S. 439. Gerber, Bemerkungen, S. 20; Abhandlungen, S. 440.

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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sche Positionen. Der Streit zwischen Romanisten und Germanisten beinhaltete auch politischen Zündstoff, er wurde durch die Verstrickung von Wissenschaft und Politik erst wirklich entfacht. Die Auseinandersetzung basierte vor allem auf dem Konflikt zwischen dem heranwachsenden Nationalgefühl, das mit dem deutschen Recht identifiziert wurde, und der restaurativen Tradition auf juristischem Gebiet, verkörpert durch das römische Recht. 1349 Zugespitzt handelte es sich um eine Konfrontation von Liberalismus und monarchischem Konservatismus. 1350 Das römische Recht stand dabei für eine politisch konservative bzw. restaurative Richtung. Gierke konstatiert, „daß die Einleitung der romanistischen Reaktion innerhalb der germanistischen Rechtswissenschaft mit der politischen Reaktion zusammenfiel“ und der Führer dieser Richtung eben Gerber gewesen sei. 1351 Nach Kern 1352 kann man an der parlamentarischen Entwicklung von 1831 mit dem Schwerpunkt 1848 bis zum Deutschen Reich von 1871 unter dem Gesichtspunkt der Schulenzugehörigkeit folgendes Bild nachzeichnen. Während die Linksliberalen und Demokraten vernunftrechtlich bestimmt sind, herrscht bei den Germanisten der historischen Schule eine konstitutionelle Einstellung vor. Die Romanisten sind in der Regel konservativ – dies läßt sich aber mit Sicherheit auch von Gerber behaupten. Wegen seiner Orientierung am römischrechtlichen Strukturen wurde Gerber von den Germanisten stark angefeindet. Sein „System“ war, wie bereits geschildert, „dem lärmenden Einspruch fast aller germanistischen Kollegen ausgesetzt“ 1353. Auf einen Nenner gebracht wird diese Kritik durch den erwähnten berühmten Satz Gierkes: „In diesem deutschen Recht ist die deutsche Seele getödtet.“1354 Von Beseler wurde Gerber als Vertreter der „mit den Romanisten innerlich verbundenen, stets mit ihnen coquettierenden Germanisten“ 1355 kritisiert. Gerber vereinigt in sich sowohl germanistische als auch romanistische Elemente. Systematisch sind Romanisten und Germanisten konsequent nicht nur in zwei, sondern in vier Gruppen aufzuteilen 1356: Die Begriffe romanistisch und germanistisch bezeichnen zum einen die behandelte Materie, nämlich römisches oder deutsches Recht. Danach ist Gerber als Germanist einzuordnen. Andererseits rekurrieren diese Begriffe auch auf die Methode der Stoffbearbeitung. Da Gerber mit dem römischrechtlichen Instrumentarium arbeitet, ist er in dieser Hinsicht ein Romanist. Zusammenfassend kann Gerber, der das materielle deutsche Recht durch römische Methode zu erfassen suchte, nach dieser von Kern geprägten Kategorisierung als romanisierender Germanist bezeichnet werden. 1349 1350 1351 1352 1353 1354 1355 1356

Losano, Bd. 2, S. 38. Wilhelm, Juristische Methodenlehre, S. 125. Gierke, Historische Rechtsschule, S. 26/27. Kern, Juristische Germanistik, S. 29. Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Text, S. 784. Gierke, Privatrecht, S. 92. Zitiert bei Kern, Losano-Rezension, ZNR 8 (1986), S. 85. Kern, Juristische Germanistik, S. 17.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Dies gilt um so mehr, als Gerber, wie oben mehrfach angesprochen, von der begrifflichen Vorrangigkeit des römischen Rechts ausging. 1357 Dem römischen Recht aber war, wie gesagt, nach allgemeiner Auffassung eine konservative politische Tendenz immanent. 1358 Auch in dieser Hinsicht war die Position Gerbers für die politisch gegen die Restauration eintretenden Germanisten, wie insbesondere Reyscher, ein Dorn im Auge. Reyschers Intentionen hatten maßgeblich zu der teilweise unerwünschten Politisierung des ersten Germanistentags 1846 in Frankfurt beigetragen, an dem auch Gerber als Sekretär der juristischen Abteilung teilnahm. Mit „wahrem Vergnügen“ 1359 erinnerte Gerber sich der „kräftigen Worte“ Mittermaiers in Frankfurt, mit denen dieser „die Anmaßung des Herrn Reyscher“ zurückwies. Dabei war er sich der aus seiner Perspektive gefährlichen Anziehungskraft der Position Reyschers wohl bewußt: „Da aber solche Leute auf den Beifall der Menge speculieren, so kann es doch nicht fehlen, daß sich ihnen eine kleine Partei anschließt, die sich leicht vergrößern kann, wenn nicht bald ein Damm gesetzt wird. Es ist ein Unglück der Germanisten, daß Forschungen und Meinungen derselben so oft von der radicalen Partei als Zugeständnisse für sich angesehen werden ...“ 1360 Nach Gerbers Ansicht sollte, wer sich wie Reyscher dermaßen einer Politisierung verschrieb, „wenigstens die Wissenschaft freiwillig aufgeben, ehe man ihn gewaltsam ausscheidet“. 1361 Gerber nahm hier gewissermaßen Reyschers Schicksal in Tübingen vorweg. Der Konflikt zwischen Reyscher und Gerber war von einer Auseinandersetzung auf wissenschaftlichem und politischem Gebiet zu polemischen persönlichen Angriffen eskaliert. In wissenschaftlicher Hinsicht hatte Gerber, wie bereits erwähnt, schon 1846 in seinem „Princip“ von Reyscher vertretene Positionen kritisiert. Die Ansicht Reyschers über das Prinzip des deutschen Privatrechts enthalte, genau betrachtet, „nichts anderes als die Grundlage der Theorie Rundes, nämlich die Natur der Sache oder das hypothetische Vernunftrecht“. Dieses Prinzip aber würde die „vollkommenste Verseichtigung der Wissenschaft“ herbeiführen. 1362 Die dahinter stehenden Überlegungen beurteilt Gerber als „oberflächlich und haltlos“. Es sei eine „Täuschung, wenn man glauben wollte, daß der Verteidiger der Natur der Sache in diesem Sinne auf positivem Rechtsboden steht“. 1363 Reyscher habe sich über diese alte Natur der Sache nicht zu erheben vermocht. Als Beleg dafür zitiert Gerber eine Passage aus einem Aufsatz Reyschers in der Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft. 1364 Gerber bezichtigt seinen Gegenspieler des Irrtums Vgl. dazu auch Schikorski, S. 124. Vgl. auch Losano, Bd. 2, S. 48. 1359 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1847, H.HS 2746, 10; Jelowik, S. 296 [146]. 1360 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1847, H.HS 2746, 10; Jelowik, S. 296 [146]. 1361 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1847, H.HS 2746, 10; Jelowik, S. 296 [146]. 1362 Gerber, Princip, S. 310. 1363 Gerber, Princip, S. 311. 1364 „Was Natur, Vernunft oder Geschichte als nothwendig erweisen, ist nicht weniger wahr, als das s. g. positive Recht, aber der Unterschied findet allerdings statt, daß das gesetzliche 1357 1358

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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und stellt fest, Reyscher verwechsele „auf eine wunderbare Weise“ überall „die Motive zur Bildung des Rechts mit den Grundlagen des bestehenden Rechts“.1365 In wissenschaftlicher Hinsicht basierte die Auseinandersetzung auf zwei inkompatiblen Ansätzen: Auf der einen Seite stand Reyschers Bestreben, durch das Prinzip der Natur der Sache den „Verhältnissen des wirklichen Lebens“ gerecht zu werden, auf der anderen Gerbers Bemühung um formale Struktur und Begriffsklarheit, was ihm wiederum von Reyscher den bereits erwähnten Vorwurf der „Armuth an Inhalt“ 1366 eintrug. Hinzu kam, daß Reyscher eine vehemente Abgrenzung der Germanisten von den Romanisten betrieb, auch wenn sein Schlußwort in Frankfurt in dieser Frage noch weniger kämpferisch erscheint. Gerber hingegen sprach sich 1850 in der Vorrede zur zweiten Auflage seines „Systems“ gegen den seiner Ansicht nach überflüssigen Streit aus. Er beklagte „die unglückliche Entdeckung eines Gegensatzes zwischen Germanisten und Romanisten in Bezug auf die Behandlung des Rechts in der Gegenwart“. 1367 Vor allem wehrte er sich gegen die politischen Implikationen: „Nicht genug, daß er [der Gegensatz] auf dem Gebiet der Wissenschaft geltend gemacht wurde: es fehlte auch nicht an Solchen, welche ihn in das Bereich des öffentlichen Lebens hinüber trugen, und hier sollte den Germanisten schon ihrem Namen nach das Loos der Popularität zufallen.“ 1368 Seiner Ansicht nach war der Gegensatz in der Gegenwart längst überwunden, er gehörte für ihn in die Zeit des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts.1369 Es gebe „heutezutage keinen wahrhaft gebildeten Juristen, der dem deutschen Rechte in seiner eigenthümlichen Sphäre die gebührende Anerkennung versagte“, und ebenso wenig werde „jetzt ein Denkender die Bedeutung des römischen Rechts für das deutsche Volk verkennen“. 1370 Gerber stimmte daher vordergründig versöhnliche, für seine Gegner aber dennoch provozierende Töne an. Es müsse vermieden werden, daß die Juristen in Parteien geschieden und die Kräfte „auf das ganz unfruchtbare Feld eines persönlichen Kampfes“ geleitet würden.1371 Für seine späte Stellungnahme wurde Gerber mit dem Vorwurf des Opportunismus konfrontiert. Er habe, obwohl er die gesamte Polemik zwischen Germanisten und Romanisten verfolgt habe, erst 1850 Farbe bekannt, als sich der Sieg der ReRecht und ebenso das Gewohnheitsrecht in ihrer Form schon den Grund ihrer Verbindlichkeit haben, während die Verbindlichkeit des materiellen Rechts aus der Verbindlichkeit seines Inhalts nachzuweisen ist“, zitiert bei Gerber, Princip, S. 311. 1365 Gerber, Princip S. 312. 1366 Reyscher, Rückblick ZDR (13, 1. Heft, März 1851), S. 2. 1367 Gerber, Vorrede 2. Auflage System, S. XVII. 1368 Gerber, Vorrede 2. Auflage System, S. XVII. 1369 Gerber, Vorrede 2. Auflage System, S. XVIII. 1370 Gerber, Vorrede 2. Auflage System, S. XVIII. 1371 Gerber, Vorrede 2. Auflage System, S. XVIII.

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

stauration deutlich abgezeichnet hatte. 1372 Damit habe er sich den Regierungen empfohlen. 1373 In diese Richtung argumentierte auch Reyscher in einem Aufsatz in der Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft im März 1851.1374 Er trieb hier die persönlichen Angriffe gegen Gerber auf die Spitze. Dabei konnte er sich des Einverständnisses anderer führender Germanisten sicher sein. So schrieb Beseler an Reyscher: „Es ist mir namentlich sehr erfreulich gewesen, daß sie eingangs den Gerber einmal ordentlich gegerbt haben.“ 1375 Mit Blick auf Gerbers Anwesenheit beim ersten Germanistentag stellte Reyscher die Frage, ob „Herr Gerber als Theilnehmer an jener ersten Versammlung und als Sekretär der juristischen Sektion“ sich nicht habe „überzeugen können, daß eine Feindseligkeit gegen die Romanisten nicht beabsichtigt worden?“ 1376 Reyscher stellte zugleich in den Raum, wenn bei den Diskussionen in Frankfurt und später auch in Lübeck „ein Vorblick in eine bessere Zukunft des Vaterlands sich aufthun wollte – was hat der deutsche Doktrinarismus dagegen einzuwenden?“ 1377 Es folgte die Bezichtigung Gerbers als politischer Opportunist: „Jedenfalls, wenn Herr Gerber Einwendungen zu machen hatte, so wäre es schicklicher gewesen, sie zu rechter Zeit und am rechten Orte vorzubringen statt jetzt durch eine nachträgliche Denunziation!“1378 In direkter Replik auf Gerbers Dictum von der „unglückseligen Entdeckung eines Gegensatzes zwischen Germanisten und Romanisten“ und der Anklage, daß dieser von manchen in den Bereich des öffentlichen Lebens hinübergetragen werde, stellte Reyscher fest: „Wir wissen nicht, was Herr Gerber bei dieser kindischen Anklage gedacht haben mag, nehmen aber den ersten Theil des Bezüchts, den behaupteten Gegensatz zweier Schulen, vollständig auf uns.“ 1379 Man könne „nur wünschen, daß dieser Gegensatz so klar und so entschieden als möglich hervortrete“, denn „die Aufklärung der Gegensätze“ sei „das beste Mittel zu ihrer Versöhnung“ 1380. Im übrigen erinnerte Reyscher daran, daß Gerber selbst ein „Professor juris germanici“ sei, der „ein Buch über deutsches Recht der Öffentlichkeit übergeben“ habe. 1381 Reyscher bezichtigte den Erlanger Professor, einen „Tendenzprozeß“ gegen „die Germanisten und den Zeitgeist zugleich“1382 zu führen. Um die restaurative Gesinnung Gerbers anzuprangern, fragte er rhetorisch: „Glauben Sie im Ernste, daß 1372 1373 1374 1375 1376 1377 1378 1379 1380 1381 1382

Losano, Bd. 2, S. 47. Rückert, Reyscher, S. 180. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 1. Beseler an Reyscher, Berlin, 10. Mai 1851, zitiert nach Rückert, S. 396, Anhang h). Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 5. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 6. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 6. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 2. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 2. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 2. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 6.

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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das gemeine deutsche Recht nothgelitten hätte, wäre eine deutsche Gesammtverfassung mit gemeinsamer Gesetzgebung usw. zu Stande gekommen? Und wenn Sie etwa die Aufhebung der Adelsprivilegien, des Lehenswesens, der bäuerlichen Lasten usw. beklagen; was bewegt Sie denn, in diesen Resten des Mittelalters den Kern des deutschen Rechts zu sehen?“ 1383 Zum Schluß sprach Reyscher mit Blick auf die „Volksgunst“ (nach der die Germanisten Gerbers Ansicht zufolge zu sehr strebten) an die Adresse seines wissenschaftlichen und politischen Antipoden folgende Empfehlung aus. „Unserer Meinung nach würde die Abrechnung in letzterer Beziehung [d.h. bezogen auf die Volksgunst] bei allen Theilen sehr kurz ausfallen und wir möchten selbst Herrn Gerber, wenn er in diesem Punkte empfindlich ist, lieber rathen, seine jungen Kräfte der Wissenschaft, als dem ungewissen Erfolg auf der politischen arena anzuvertrauen.“ 1384 Die Ironie des Schicksals wollte es, daß Gerber noch im selben Jahr nicht nur fachlicher Nachfolger Reyschers in Tübingen wurde. Er erhielt noch dazu die Stellung eines Vizekanzlers und später Kanzlers, die durch die Virilstimme in der ersten Kammer der württembergischen Ständeversammlung auch mit politischem Einfluß verbunden war. Während Gerbers Verhältnis zu Reyscher wohl zeitlebens unversöhnlich blieb, fand mit anderen germanistischen Widersachern im Laufe der Zeit eine gewisse Annäherung statt, was allerdings auf das zivilrechtliche Werk Gerbers keine Auswirkung mehr hatte. Georg Beseler 1385 zählte ursprünglich zu Gerbers entschiedenen wissenschaftlichen Gegnern. Wenn Gerber auf den Beginn seiner Laufbahn zurückblickte, machte er in seiner Wissenschaft „zwei Parteien“ aus: „die eine bestand aus Antiquaren und Antiquitätensammlern, die andere eigentlich Ton angebende bestand aus Männern, welche durch ihre Wissenschaft einer gewissen politischen Richtung dienen wollten und diesem äußerlichen Zweck die Wissenschaft zum Opfer brachten.“ 1386 Zu dieser „Klasse“ der politischen Germanisten gehörte für Gerber insbesondere Beseler, über den er voller Entrüstung feststellte: „Sein hohler Pathos, sein prahlendes Gerede bei sehr geringen wissenschaftlichen Verdiensten war mir tief zuwider“. 1387 Bei der bereits zitierten Klage über Reyscher (gegenüber seinem ehemaligen Mentor Mittermaier) nach dem Frankfurter Germanistentag bezog er ausdrücklich auch Beseler in seine Kritik mit ein: „Durch solche Männer (zu denen auch Beseler zu zählen ist) wird unsere Stellung verthan.“ 1388 Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 6. Reyscher, ZDR 13, 1851, S. 8. 1385 Zu Beseler vgl. Kern, Georg Beseler, Leben und Werk, Berlin 1982. 1386 Gerber an Ihering, Tübingen, 9. November 1856 [67]. 1387 Gerber an Ihering, Tübingen, 9. November 1856 [67]. 1388 Gerber an Mittermaier, Erlangen, 13. Juli 1848, UB Heidelberg H.HS 2746/10; Jelowik, S. 296 [146]. 1383 1384

18 Schmidt-Radefeldt

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

Die wissenschaftliche Kluft zwischen Gerber und Beseler ergibt sich aus einer Gegenüberstellung ihrer fast zeitgleich erschienenen privatrechtlichen „Systeme“. 1847 erschien der erste Band von Beselers dreibändigem „System des gemeinen deutschen Privatrechts“, 1848 und 1849 die erste Auflage von Gerbers „System des deutschen Privatrechts“ in zwei Abteilungen. Zur unterschiedlichen Konzeption der beiden Wissenschaftler wurde angemerkt, Beseler setze Gerbers „Begriffsspielerei“ nach romanistischem Vorbild eine mehr „plastische und anschauliche Begrifflichkeit“ entgegen. 1389 Direkte Angriffe Gerbers auf das kurz zuvor erschienene Werk von Beseler sind in seinem „System“ nur einige wenige zu finden. Wenn Gerber in der Vorrede klagt, es habe für die von ihm angestrebte Richtung der Wissenschaft bisher wenig Vorarbeiten in den bisherigen Leistungen der Germanisten gegeben, kann er sich einen despektierlichen Hinweis auf das System Beselers, durch das „schwerlich ein Kundiger diesen Mangel gehoben sehen“ 1390 werde, nicht versagen. Schon in seinem Erstlingswerk, „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ hatte er sich gegen Beselers (in seiner 1843 erschienenen Schrift „Volksrecht und Juristenrecht“ verfochtene) Ansicht von der Möglichkeit eines Konflikts des positiven („Juristen-“)Rechts mit dem Volksrecht ausgesprochen 1391: Nach einem ausdrücklichen Bekenntnis zur Rechtsentstehungslehre der historischen Schule als der allein richtigen Ansicht bezeichnet er es – ohne Beseler ausdrücklich beim Namen zu nennen – als einen wesentlichen Irrtum, „wenn ein neuerer Schriftsteller diesen eben geschilderten organischen Entwicklungsproceß nur als den idealen gelten lassen will, von dem aber die Rechtserzeugung des Volkes in Wirklichkeit häufig abweiche, indem so viele äußere Ereignisse möglich seien, welche unter den gegebenen Umständen ihre Herrschaft geltend machten und auf die Gestaltung des positiven Rechts einwirkten, so daß es wenigstens zufällig sei, ob und in wie weit demselben der Charakter eines Volksrechts bewahrt bleibe“. 1392 Ein solcher Einfluß könne nach Meinung des Schriftstellers sofort mit bindender Kraft auftreten, etwa beim Erlaß schlechter Gesetze oder schlechtem Gewohnheitsrecht, das nicht der Rechtsüberzeugung des Volkes, sondern nur der dauernden Übung entspreche. Wäre diese Ansicht richtig, so könnte man nach Gerber „nicht mehr von einer gegenwärtigen Aeußerung einer Rechtsüberzeugung des Volks reden“, da ein Großteil der geltenden positiven Gesetze und Gewohnheitsrechte in einem häufig durch Zufälligkeiten motivierten Entwicklungsprozeß entstanden zu sein scheine. 1393 Die Möglichkeit der Einwirkung von Zufällen sei jedoch bei keiner organischen Entwicklung ausgeschlossen. Das Zufällige werde aber „allmählich von der assimilirenden Thätigkeit des Volks mit dem organisch Entstandenen verein1389 1390 1391 1392 1393

Kern, Beseler, S. 478 mit Verweis auf Döhring, Geschichte Rechtspflege, S. 347. Gerber, System, Vorrede, S. XVII. Gerber, Princip, S. 269 ff.; vgl. dazu auch Hespe, Entwicklung Staatszwecklehre, S. 53. Gerber, Princip, S. 269/270. Gerber, Princip, S. 270.

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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bart“. 1394 Und so werde „stets auch eine Gesetzgebung, welche ursprünglich in mancher Beziehung dem von Beseler so genannten Volksrechte nicht entsprechen sollte, sich allmählich mit dem letzteren vereinbaren.“ Dies müsse aber auch bei dem durch eine unorganische Tätigkeit der Juristen produzierten Recht der Fall sein, wie der Schriftsteller selbst durch sein Bestreben eingestehe, „solche Elemente abzustoßen und mit dem eigentlichen s. g. Volksrechte zu vereinigen“. 1395 Abschließend macht Gerber auf das Problem der Zeitgebundenheit des Rechts aufmerksam. Man muß sich vor dem Irrtum hüten, „diejenigen Rechts elemente, welche unseren Ansprüchen nach dem Maßstabe einer heutigen Kritik nicht genügen, sogleich als schlechte zu bezeichnen“. Als Maßstab für die Beurteilung des Wertes eines Rechts können nur die Besonderheiten eines Volks oder einer Zeit, was Gebräuche und Ansichten betrifft, dienen. Ohnehin liegen für ihn die Begriffe „organisch entstanden“ und „Billigung verdienend“ auf ganz verschiedenen Gebieten. 1396 Gerbers Auseinandersetzung mit Beseler fällt hier, bei aller sachlichen Kritik, auffallend gemäßigt aus. Fast schien er sich zu scheuen, den Namen seines Kontrahenten überhaupt auszusprechen (obwohl von Anfang an klar ist, von wem die Rede sein soll). Allerdings war zu diesem Zeitpunkt Gerbers Konflikt mit den politischen Germanisten erst im Keim angelegt. Auf dem Höhepunkt dieses Streits fällte er, wie gezeigt, allerdings nur in Privatbriefen, nicht in öffentlichen Schriften, ein wesentlich harscheres Urteil über Beseler. Auch findet sich beispielsweise in der 10. Auflage von Gerbers „System“, wenn auch in einer Fußnote versteckt, eine vehemente Argumentation gegen Beselers „Juristenrecht“ als Rechtsquelle. Es handele sich nicht um eine „juristische, sondern pathologische Charakteristik der Rechtsquelle“. 1397 Ebenso polemisierte Gerber in seiner Abhandlung „Bemerkungen zur Beurtheilung genossenschaftlicher Verhältnisse“ von 1855 1398 heftig gegen Beselers Genossenschaftslehre. 1399 Auch Beseler sparte seinerseits nicht an harten Worten, wie das bereits zitierte Lob an Reyscher, er habe erfreulicherweise „den Gerber einmal ordentlich gegerbt“ 1400, eindrucksvoll belegt. Mit der Zeit nahm das gegenseitige Ressentiment der beiden Germanisten, gefördert durch persönliche Begegnungen, jedoch ab. So berichtete Gerber 1860, als er sich anläßlich des fünfzigjährigen Universitätsjubiläums in Berlin aufhielt, daß er sich mit Beseler „gut vertrage“, ja sogar glaube „wir würden uns bei längerem Zusammensein zueinander finden“. 1401 In diesem Zusam1394 1395 1396 1397 1398 1399 1400 1401

18*

Gerber, Princip, S. 270/271. Gerber, Princip, S. 271. Gerber, Princip, S. 271/272. Gerber, System, 10. Auflage, S. 75/76, § 30 Fn. 1, vgl. dazu bereits oben S. 276. Gerber, Abhandlungen S. 188–212. Gerber, Abhandlungen S. 188–212, insbesondere S. 190, vgl. oben III 3 d. Beseler an Reyscher, Berlin, 10. Mai 1851, zitiert nach Rückert, S. 396, Anhang h). Gerber an Ihering, Berlin, 14. October 1860 [139].

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menhang bemerkenswert ist, daß es bereits 1856 zu einer persönlichen Annäherung zwischen Beseler und Ihering gekommen war 1402, auf die Gerber jedoch äußerst empfindlich reagierte. In seinem Antwortbrief an Ihering findet sich neben der bereits zitierten negativen Charakterisierung Beselers („hohler Pathos, ... prahlendes Gerede bei sehr geringen wissenschaftlichen Verdiensten“) die kategorische Feststellung, er könne „an eine Verständigung mit diesen Leuten nicht denken“. 1403 Dennoch fand zwischen Gerber und Beseler eine Aussöhnung, ja die Anknüpfung beinahe freundschaftlicher Beziehungen statt, als sich die beiden Juristen anläßlich der Teilnahme Gerbers am konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes in Berlin 1871 begegneten. 1404 Mit Johann Caspar Bluntschli 1405 führte Gerber eine ähnlich polemische wissenschaftliche Auseinandersetzung wie zuvor mit Reyscher. 1853 griff Bluntschli Gerber im Vorwort zu seinem Buch „Deutsches Privatrecht“ offen an. Die Kritik wird mit einem halbherzigen Lob eingeleitet. Gerber habe darin ganz recht, daß er auf das Bedürfnis des modernen deutschen Privatrechts nach einer „klaren Bestimmtheit in der Formulierung seiner Gedanken“ energisch hingewiesen habe. 1406 Dann aber holt Bluntschli zum Schlag gegen den romanisierenden Germanisten aus: Die scharfe Formulierung sei für sich genommen allerdings kein „so grosses Gut, dass der Mangel derselben schwerer empfunden würde als eine falsche Anwendung wahrer Grundsätze“. 1407 Noch weniger aber sei sie so wertvoll, „dass wir den kalten logischen Linien den geistigen Gehalt unseres Rechtsbewusstseins hinopfern dürfen“. 1408 Erläuternd führt Bluntschli zur Einzigartigkeit des deutschen Rechts aus, die römische Rechtsform unterscheide sich von der germanischen wie der römische Tempel von dem gothischen Dom. Gerber wurde hier also einmal mehr beschuldigt, durch sein Postulat einer streng logischen, am römischen Recht geschulten Systematik die germanistische „Rechtsseele“ verletzt und das urwüchsige deutsche Recht in eine römische Schablone gepreßt zu haben. 1402 Ihering an Gerber, Gießen, 29. Oktober 1856 [66 a]: Ihering berichtet, wie er bei einem Aufenthalt in Greifswald Beseler nähergekommen sei. Namentlich erwähnt er „eine Unterhaltung mit ihm von mehreren Stunden, und wenngleich eine wissenschaftliche Annäherung dadurch nicht erreicht wurde, so ist es doch die persönliche, und auch schon darauf lege ich Gewicht“. 1403 Gerber an Ihering, Tübingen, 9. November 1856 [67]. 1404 Vgl. oben Erster Teil, Kapitel XII. 1405 Johann Caspar Bluntschli (1808 bis 1881), geboren in Zürich, war seit 1833 Professor an der Universität Zürich, mußte seine Heimat jedoch 1847 aus politischen Gründen verlassen. 1848 erhielt er eine Professur für Staats- und Völkerrecht in München und schließlich 1861 in Heidelberg als Nachfolger Robert von Mohls. Er war Mitbegründer des Internationalen Instituts für Völkerrecht in Gent (1873) und mehrfach Präsident des deutschen Juristentages. Bekannt wurde er auch als Schöpfer der 1853 in Kraft getretenen Kodifikation des Züricher Privatrechts. Vgl. zu ihm im einzelnen Döhring, S. 377, Losano, Bd. 2, S. 342. 1406 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, S. XVII. 1407 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, S. XVIII. 1408 Bluntschli, Deutsches Privatrecht, S. XVII.

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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Seine Verteidigung ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Im Vorwort zur fünften Auflage seines „Systems des Deutschen Privatrechts“ ging er zum Gegenangriff auf den Münchner Ordinarius über. Der Beginn erscheint noch einigermaßen sachlich. Über die von Bluntschli erneut aufgeworfenen Streitfrage hinsichtlich des Herrschaftsverhältnisses von deutschem und römischen Recht wolle er sich nicht äußern. Was ihm jedoch Anlaß zu einer Bemerkung gebe, sei „die seltsame Täuschung, in der sich Derselbe in Bezug auf die Rolle befindet, die er mir in jenem Streit zutheilt. Ich soll der ‚Romanist‘ sein, der das deutsche Recht in römische Schulbegriffe einzwängt, im Gegensatze der Germanisten ‚mit der frisch und hell ins Leben hineinsehenden Geisteskraft‘.“ 1409 Dagegen macht Gerber geltend, die von ihm angestrebte Herauslösung des juristischen Elements aus dem reichen germanistischen Material finde nicht nach im voraus festgelegten Schema statt, wie ihm das Bluntschli vorwerfe 1410, ohne allerdings letztlich klarzustellen, wie er die von ihm propagierte Methode realisiert. Zum Schluß der Vorrede schießt Gerber einen gezielten Giftpfeil auf seinen Kontrahenten ab. Dieser befinde sich „im vollen Gegenteile zu dem wissenschaftlichen Ziele, dem ich nachstrebe. Aber es möge mir erlaubt sein, diesen Gegensatz mit seinem wahren Namen zu bezeichnen. Er heißt nicht: Romanismus und Germanismus, sondern: Jurisprudenz und ein unter der erborgten Flagge der Nationalität fahrender Dilettantismus“. 1411 Mittels dieser Schlußpointe, in der nach der treffenden Feststellung von Losano die wissenschaftlichen und politischen Werturteile unlösbar miteinander verstrickt wurden 1412, versuchte Gerber nicht allein Bluntschli, sondern die politischen Germanisten insgesamt zu treffen. 1413 Ihering mußte nach eigenem Bekunden laut lachen, als er den Schlußsatz las. Er bezeichnet gegenüber Gerber die Vorrede als ihm „aus der Seele geschrieben“. 1414 Zwar habe Gerber Bluntschli „schwer getroffen, aber in einer Weise, die er verdient, und die Dir Niemand verargen kann. Es ist überraschend, wie der Mann, nachdem Du ihn auf den vorangehenden beiden Seiten in einer äußerst liebenswürdigen Weise behandelt hast, schließlich seinen Hieb abkriegt ...“ 1415 In den Lebenserinnerungen Bluntschlis 1416 sind kaum Hintergrundinformationen zum Konflikt mit Gerber zu finden. An einer Stelle äußert Bluntschli völlig neutral: Gerber, System, 5. Auflage, S. XXVIII. Vgl. Losano, Bd. 2, S. 51. 1411 Gerber, System, 5. Auflage, S. XXX. 1412 Losano, Bd. 2, S. 52. 1413 In den späteren Auflagen schwächte Gerber den rhetorischen Pathos etwas ab, wohl weil sich die nationale Tendenz inzwischen, auch von Gerber befürwortet, durchgesetzt hatte (vgl. Losano Bd.2, S.52). Es ist jetzt nur noch vom Gegensatz nicht zwischen Romanismus und Germanismus, sondern zwischen „Jurisprudenz und Dilettantismus“ die Rede. 1414 Ihering an Gerber, Gießen, 18. Juli 1855 [45]. 1415 Ihering an Gerber, Gießen, 18. Juli 1855 [45]. 1416 Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, Nördlingen, 1884. 1409 1410

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„Mein Lehrbuch fand zwar eine gute Aufnahme, aber es wurde doch weit weniger beachtet, als das von Gerber, der mehr der romanistischen und formalistischen Richtung folgte.“ 1417 Auf das ebenfalls in Bluntschlis Biographie zu findende Zitat seines Studienfreunds Heimsoeth, Vorsitzender der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB, leider führten in der Kommission „die romanistisch engen, mit blossen Schulbegriffen operierenden Professoren Thöl und Gerber das große Wort“, wohingegen Bluntschli und Beseler „als Vertreter des germanistischen und modernen Rechtsgedankens“ nicht vertreten seien 1418, wurde bereits im Kontext von Gerbers Mitgliedschaft in der ADHGB-Kommission hingewiesen. 1419 Zu einer ersten persönlichen Begegnung mit Gerber kam es nach Bluntschlis Erinnerungen erst 1877 bei der Feier zum 400jährigen Jubiläum der Universität Tübingen. Bluntschli vermerkt: „Mein Sitz bei dem Festessen, an dem 240 Personen teilnahmen, war an dem Königstisch neben Gerber, dem ich zum erstenmal persönlich begegnete. Er hat etwas Gefälliges und Kluges, machte mir aber den Eindruck eines Hofmannes, nicht eines Statsmanns.“ 1420 In dieser Charakterisierung liegt bei allem vordergründigen Wohlwollen eine boshafte Spitze verborgen: Der sächsische Kultusminister vermittelt das Bild eines Günstlings der Krone. Insgesamt hatte zu diesem Zeitpunkt, bedingt durch die politischen Entwicklungen in Deutschland, der Konflikt Gerbers mit den Germanisten seine Schärfe längst verloren. Abschließend betrachtet zeugt es allerdings von einer gewissen Zwiespältigkeit in Gerbers Wesen, daß er, dessen „verbindliche Art“ 1421 stets gerühmt wurde, der als harmonischer und ausgleichender Charakter galt und in seinen Briefen das Bild eines unter kollegialen Zerwürfnissen Leidenden zeigt, andererseits bereitwillig jede Herausforderung von Seiten der Germanisten annahm und in die Gegenoffensive ging. Gerber ist dabei im Grunde als der eigentliche Herausforderer zu sehen, da er bereits durch sein „Princip“ seine Laufbahn mit einem „Generalangriff“ begonnen hatte. Auch als sich die Auseinandersetzung mit den politischen Germanisten durch Zeitablauf längst erledigt hatte, sah sich Gerber Anfeindungen aus den Reihen seiner Fachkollegen ausgesetzt. So klagte er 1871 gegenüber Ihering: „In meiner speciellen Wissenschaft habe ich fort und fort mit principiellen Gegnern zu kämpfen. Kaum ist Bluntschli’s und Beseler’s ‚organisches Phrasenthum‘ überwunden, so ist es jetzt die Partei der Realisten, welche das Feld behauptet und gegen die meiner Ansicht nach für das deutsche Recht nothwendige Richtung der construirenden Dogmatik Front macht.“ 1422 1417 1418 1419 1420 1421 1422

Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, Teil 2/1, S. 141. Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, Teil 2/1, S. 286/287. Vgl. oben, Erster Teil, Kapitel VII. Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, Teil 3, S. 414. Beschorner, Lebensbilder, S. 107. Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290].

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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An der Spitze dieser Bewegung machte Gerber den Münchner Germanisten Paul v. Roth 1423 aus, in gewissem Sinn auch den damals noch in Breslau lehrenden Otto Stobbe. Diese Gruppe geniere sich nicht, „die von uns errungenen Resultate sich neben bei stillschweigend anzueignen“. Gleichzeitig aber verwerfe man „die selbst erst benutzte Arbeit und proklamirt einen längst überwundenen Partikularismus des Rechts als das einzig wissenschaftlich Richtige“.1424 Vor diesem Hintergrund dieser 1871 geäußerten Bedenken mutet es überraschend an, daß Gerber dem ersten Band von Stobbes „Handbuch des deutschen Privatrechts“, der 1871 erschien, eine insgesamt ausgesprochen positive Anzeige in Zarnckes „Literarischem Centralblatt für Deutschland“ widmete.1425 Insgesamt verspürte Gerber jedenfalls Stobbe gegenüber deutlich weniger Ressentiments als dies bei seiner Einstellung zu Roth der Fall war. Zu Beginn der Rezension von Stobbes „Handbuch“ stellt Gerber fest, es rufe verständlicherweise großes Interesse und hohe Erwartungen hervor, wenn „ein in seinem Fache anerkannter Schriftsteller, welcher sich durch eine Reihe wichtiger Einzeluntersuchungen verdient gemacht hat, die Summe seiner wissenschaftlichen Ueberzeugungen in der Bearbeitungen eines Handbuches zusammen faßt“. 1426 Die Erwartungen richteten sich an einen Autor, der „die Art seiner wissenschaftlichen Arbeit in so constanter Weise ausgeprägt hat“ und der gewöhnlich „die ruhige und leidenschaftslose Darlegung eines reichen Quellenmaterials“ und dessen unbefangene und gründliche Würdigung“ 1427 biete. Der erste Band des Handbuchs enthält für Gerber „im Wesentlichen dasjenige, was man als Inhalt eines sogenannten allgemeinen Theils vorauszusetzen gewohnt ist“. 1428 Lobend vermerkt Gerber bei Stobbe „die volle wissenschaftliche Unbefangenheit und das tendenzlose Streben nach Wahrheit“. Es finde sich „keine Spur von übertriebenem Germanisieren, vielmehr bei aller Wahrung der Bedeutung und Würde des deutschen Rechts die bereitwillige Abrechnung mit der Stellung, welche das römische Recht nun einmal in unserem Rechtsleben gewonnen hat.“ 1429 Gerber konstatiert anerkennend, es stimmten „die Gedanken des Verf.’s über die Systematik des deutschen Privatrechts ... ganz mit den eigenen Ueberzeugungen des Rec. zusammen“.1430 Stobbes Darstellung der Lehre von der Autonomie findet allerdings Gerbers „entschiedene ... Entgegnung, da der Verf. diese Lehre in einer der Ansicht des Rec, 1423 Zu Roth: Landsberg, Geschichte Rechtswissenschaft, Noten, S.372; Gagnér in HRG IV, Sp. 1160 ff.; vgl. Teil 1, S. 53. 1424 Gerber an Ihering, Leipzig, 10. März 1871 [290]. 1425 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 684–686: Die Rezension ist nicht mit vollem Namen gezeichnet, Gerber ist jedoch bereits durch das Kürzel G–r am Ende als Urheber auszumachen. 1426 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 684. 1427 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 685. 1428 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 685. 1429 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 685. 1430 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 685.

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durchweg entgegenstehenden Weise behandelt“ 1431, ohne daß Gerber dies näher begründet. Als „sehr gelungen“ charakterisiert Gerber u. a. auch „die ausführliche und besonnene Darstellung der Lehre von den juristischen Personen“. 1432 Insgesamt faßt sich Gerber äußerst kurz, „um die Grenzen einer Anzeige in diesem Blatte nicht zu überschreiten“. 1433 Er schließt „mit dem Ausdruck seiner aufrichtigen Freude, daß... viele wichtige Grundanschauungen, welche er selbst seit Jahren vertreten hat, durch einen unserer bedeutendsten Germanisten Bekräftigung und Bestätigung gefunden haben“. 1434 Die ganze Besprechung ist geprägt von einer Beschwörung der Gemeinsamkeiten Gerbers mit Stobbe, so als wolle Gerber deutlich machen, daß er unter den Germanisten nicht allein stehe. Daß er auch Stobbe einem ihm feindlichen „Lager“ zuordnete, gestand Gerber, wie oben erwähnt, nur privat ein. Als 1880 der erste Band des „Systems des deutschen Privatrechts“ von Roth erschien, hatte Gerber den Eindruck, dieses Buch erkläre seiner eigenen wissenschaftlichen Methode „den Krieg“: „... und daß es ... ich bin, dem sein literarischer Angriff gilt, kann keinem Zweifel unterliegen.“ 1435 Gerber hielt sich demnach für „berechtigt ..., eine Lanze für meine Sache einzulegen ..., zumal es jetzt nur noch wenige Juristen gibt, die eine solche Frage im geistigen Zusammenhange der letzten vier Generationen zu bearbeiten [?] verstehen.“ 1436 Aus diesem Grund wollte er das Buch in Zarnckes „Literarischen Centralblatt für Deutschland“ rezensieren. Wegen seiner persönlichen Voreingenommenheit stellte er die Entscheidung darüber jedoch dem Herausgeber anheim: „Obschon ich weiß, daß mein Name nicht genannt wird, möchte ich aber doch, daß der Abdruck erst geschieht, wenn Sie sich damit einverstanden erklärt haben ...“ 1437. Zarncke erteilte offenbar rasch sein Einverständnis, denn bereits am 10. April 1880 erschien im „Centralblatt“ eine anonyme Rezension von Roths Buch, die unverkennbar die Handschrift Gerbers trägt. Ausführlich trägt der Rezensent zunächst seine Grundgedanken zur Wissenschaft des deutschen Privatrechts vor. 1438 Seiner Ansicht nach entspricht es ebenso dem naGerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 685. Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 686. 1433 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 686. 1434 Gerber, Literarisches Centralblatt Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 686. 1435 Gerber an Zarncke, Dresden, 14. März 1880, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249 [nach der Numerierung von Losano Brief Nr. 35]. 1436 Gerber an Zarncke, Dresden, 14. März 1880, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249. 1437 Gerber an Zarncke, Dresden, 14. März 1880, UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249. 1438 Gerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 490: „Die Wissenschaft des deutschen Privatrechts, wie sie ziemlich übereinstimmend seit mehr als einem Jahrhundert aufgefaßt wurde, beruhte auf dem Gedanken, daß das deutsche Recht gegenüber dem römischen Rechte als eine einheitliche Masse betrachtet und behandelt werden müsse. Zwar hat man niemals die vielfachen Gegensätze verkannt, welche zu allen Zeiten innerhalb der Masse hervortraten, aber sie erschienen doch nicht als bedeutend genug, um die Annahme eines Grundcharakters dieses Rechtsstoffes gegenüber dem fremden Rechte aufzuheben. 1431 1432

IV. Die Konflikte zwischen Gerber und den Germanisten

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tionalen Rechtsgefühl als auch dem Bedürfnis der Rechtspraxis, „wenn man eine Wissenschaft construierte, welche die Erforschung und Ausbildung der einheitlichen Grundideen des deutschen Rechts sich zur Aufgabe stellte, unbeirrt durch die Thatsache, daß die so gewonnenen Ergebnisse in hunderten von particularen und localen Gesetzgebungen einen anderen Ausdruck gefunden hätten.“1439 Das Hauptziel, nämlich die wissenschaftliche Ausbildung des nationalen deutschen Rechtsstoffes, hält Gerber mittlerweile für im wesentlichen erreicht (wohl nicht zuletzt auch durch sein eigenes „System des deutschen Privatrechts“). Den meisten Germanisten sei allerdings nicht verborgen geblieben, „daß das Ergebnis dieser Wissenschaft einen abnormen Charakter habe, indem es keinen Anspruch auf sofortige Rechtsanwendung stellen könne ...“ 1440. In neuerer Zeit seien „häufiger und energischer“ Versuche unternommen worden, „dieser Wissenschaft des deutschen Privatrechts deshalb zu Leibe zu gehen, indem man darauf hinwies, daß Deutschland niemals ein völlig einheitliches Recht gehabt hätte, daß das Mittelalter vielmehr recht eigentlich das Bild entschiedener Gegensätze der Stammesrechte aufzeige, und daß es wissenschaftlich allein berechtigt sei, die Rechtssätze der verschiedenen Statutargruppen in ihrer Wirklichkeit nachzuweisen und neben einander zu stellen.“ 1441 Dabei werde „im Eifer des Gefechtes“ verkannt, daß sich diese beiden wissenschaftlichen Aufgaben gegenseitig gar nicht ausschließen. 1442 Insbesondere der Verfasser des vorliegenden Buchs gehöre „zu den hauptsächlichen Gegnern des deutschen Privatrechts in dem angegebenen Sinne“ und spreche entschieden aus, daß er diesbezüglich mit der bisherigen Methode „breche“. 1443 Nachdem Gerber mehr als die Hälfte der Abhandlung für die Abrechnung mit der neuen wissenschaftlichen Richtung, die er gegen sein Werk gerichtet sieht, genutzt hat, kommt er nun also zur eigentlichen Rezension. Er fällt, wie nicht anders zu erwarten, ein einigermaßen vernichtendes Urteil über das Buch. So zitiert er beispielhaft einen Satz, in dem sich seiner Ansicht nach eine „Summe von Unklarheiten“ finden lassen. 1444 Zwar müsse man dem Verfasser für die geleistete „geschichtliGerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 490. Gerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 490. 1441 Gerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 490/491. 1442 Gerber, Centralblatt Nr.15 vom 10. April 1880, Sp.491: Vielmehr vertrügen sie sich recht wohl nebeneinander, wie ja auch in der Kunst neben der photographischen Aufnahme das idealisierende Portrait seine Berechtigung behalte. 1443 Gerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 491. 1444 Gerber, Centralblatt Nr.15 vom 10. April 1880, Sp.491: „Für jedes Rechtsinstitut will der Verf. demnach die Grundsätze zusammenstellen, welche in dem Rechtsgebiet des preußischen, des sächsischen, des bayerischen, österreichischen und anderer Rechte zu finden sind, und er bedenkt sich auch nicht, diesen das französische Recht beizufügen. ‚Wir gewinnen damit‘, sagt der Verf., „allerdings nur ein theoretisches Hülfsmittel, aber ein solches von dem Rang, welchen das römische Recht für die römischrechtlichen Institute der Codification einnimmt, es ist die 1439 1440

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2. Teil: Das Werk C. F. v. Gerbers

che(n) Uebersicht und umfassende(n) Repertorisierung der Rechtsquellen“ dankbar sein, die Zusammenstellung könne für denjenigen, „welcher sich rasch über den Stand des neben einander in Deutschland geltenden Gesetzesrechts orientieren will, ein willkommener und zuverlässiger Führer sein.“ Jedoch seien in dem Buch (was aus dem Munde Gerbers eine besonders harsche Kritik bedeutet) wissenschaftliche Ausführungen selten. Wenn der Verfasser von mehreren Ansichten einer den Vorzug gebe „so thut er dies meist nur, indem er behauptet, sie sei die richtige, oder sie sei jetzt allgemein anerkannt, und citiert dabei ein oder mehrere bekannte Bücher.“ 1445 Unter dem Deckmantel der Anonymität schreckt Gerber nicht davor zurück, den Münchener Professor wissenschaftlich zu diskreditieren. Er schließt seine Ausführungen mit dem „Bekenntniß“, daß „dieses Aneinanderreihen von Sätzen, welche oft nur den Eindruck von Excerpten machen, doch nicht ganz den Vorstellungen entspricht“, welche er bisher von den Ansprüchen der Rechtswissenschaft gehabt habe. 1446 Insgesamt läßt sich das hier angedeutete wissenschaftliche Konfliktpotential jedoch in keiner Weise mit der Brisanz der früheren Auseinandersetzungen zwischen Gerber und den politischen Germanisten vergleichen. Gerade gegenüber Stobbe überwand Gerber bald seine Bedenken und sorgte, wie erwähnt, nur ein Jahr später für dessen Berufung zu seinem Nachfolger in Leipzig.

mittelbare Rechtsquelle für die deutschrechtlichen Institute der codificierten Rechte und der Landesrechte in dem gemeinrechtlichen Rechtsgebiete.“ 1445 Gerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 491. 1446 Gerber, Centralblatt Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 491/492.

Dritter Teil

Ergebnisse I. Das facettenreiche Leben Carl Friedrich v. Gerbers (1823–1891) weckt bereits auf den ersten Blick die Erwartung, daß es sich bei ihm um eine Juristenpersönlichkeit des 19. Jahrhunderts handelt, mit der sich eine eingehendere Beschäftigung lohnt. Neben den zahlreichen akademischen Stationen (Leipzig, Heidelberg, Jena, Erlangen, Tübingen und schließlich erneut Jena und Leipzig) ist es vor allem die Tatsache, daß Gerber in äußerst unterschiedlichen Bereichen eine beträchtliche Wirkung entfaltete, die zu dieser Einschätzung beiträgt. Seine Laufbahn als Wissenschaftler wurde ergänzt und später gänzlich abgelöst durch eine politische Karriere, die nach seiner langjährigen Tätigkeit als Kultusminister in Dresden in der Position eines Vorsitzenden des Gesamtministeriums ihren Höhepunkt fand. Episodenweise war Gerber auch gesetzgeberisch tätig, als Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB zwischen 1857 und 1861 sowie als sächsischer Abgeordneter beim konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867. Im Gegensatz zu der beherzten Art, mit der Gerber in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von Anfang an keiner Kontroverse aus dem Wege ging, zeigte er in seiner Tätigkeit als Politiker und Gremienmitglied eine Tendenz zu diplomatischem Taktieren und war um Ausgleich bemüht. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Lebensbereiche Gerbers seine zutiefst konservative monarchistische Grundeinstellung. II. Bei der Analyse von Gerbers Werk drängt sich der Schluß auf, daß er auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts seinem eigenen wissenschaftlichen Anspruch kaum gerecht wurde. Diese These läßt sich mit Blick auf Gerbers Theorie zur unmittelbaren Anwendbarkeit des deutschen Privatrechts (1.), seinen Wissenschaftsbegriff (2.) und schließlich der Wirkung seines privatrechtlichen Werkes (3.) resümierend belegen. 1. Indem Gerber die unmittelbare Anwendbarkeit des gemeinen deutschen Privatrechts bestritt, erregte er zwar schon als junger Wissenschaftler beträchtliches Aufsehen, stellte aber langfristig sein eigenes wissenschaftliches Arbeitsfeld in Frage. Bereits in seinem Erstlingswerk „Das wissenschaftliche Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts“ vertrat der Fünfundzwanzigjährige die seinerzeit provozierende These von der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit des gemeinen deut-

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3. Teil: Ergebnisse

schen Privatrechts. Aus seiner eigenen Argumentation ergaben sich für Gerber nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten, die langfristig Folgen für sein privatrechtliches Werk nach sich zogen. Das bleibende Verdienst des Werks liegt in der Zusammenstellung einer umfangreichen Materialsammlung im ersten Teil, die über teilweise längst vergessene Juristen informiert. Dagegen bildet der dritte Teil, inhaltlich, wenn auch nicht quantitativ, den absoluten Schwerpunkt von Gerbers „Prinzip“. Gerber unternimmt hier den Versuch einer Antwort auf eine der Grundfragen der germanistischen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert: Die Frage nach dem, wie er es formuliert, „wissenschaftlichen Princip“ des gemeinen deutschen Privatrechts. Das deutsche Privatrecht mußte nicht nur seinem Gegenstand nach gegenüber dem römischen Privatrecht abgegrenzt werden. Es mußte auch generell geklärt werden, ob es für das zusammengesetzte deutsche Rechtsgebiet überhaupt ein „gemeines“, d. h. einheitliches deutsches Privatrecht gab oder nur partikuläre Rechtssätze. Gerber definiert das heutige gemeine deutsche Privatrecht als „Darstellung der gegenwärtigen Äußerungen der Rechtsüberzeugung des deutschen Volkes auf dem Gebiete des Privatrechts“. Die Aussage erscheint auf den ersten Blick eher phrasenhaft und bedarf einer weiteren Interpretation; der wissenschaftliche Neuigkeitswert gegenüber der „Volksgeistlehre“ der Historischen Rechtsschule ist nicht unmittelbar festzustellen. Für die Frage der Anwendbarkeit bietet die Formulierung keine ergiebige Antwort. Gerber hat jedoch bereits zu Beginn seiner Ausführungen zum „praktischen Wert des gemeinen deutschen Privatrechts“ diesem jede unmittelbare Anwendbarkeit abgesprochen; es soll nicht einmal subsidiär zur Anwendung kommen. In der Preisgabe des Anspruchs auf unmittelbare Anwendbarkeit liegt, wie Gerber selbst unterstreicht, der Kern der Eigenständigkeit seines Ansatzes. Zugleich manifestiert sich hier aber auch seine Abkehr von der Historischen Rechtsschule, die Zugehörigkeit zu ihr gerät bei Gerber zum bloßen „Lippenbekenntnis“. Die Frage drängt sich auf, welchem Zweck als dem der Anwendung das in einem von Gerber beschriebenen anspruchsvollen Verfahren gewonnene gemeine deutsche Privatrecht dienen sollte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Gerbers eigene Kritik im Grundlagenteil gegenüber dem wissenschaftlichen Ansatz eines früheren Germanisten (Pütter): „Ein Recht, das nur als gemeines gedacht werden kann, ist kein gemeines“. Gerber nimmt hier gewissermaßen die Kritik an sich selbst vorweg. Er leugnete die praktische Anwendbarkeit und erklärte andererseits, daß es kein anderes gemeines Recht als praktisch gemeines Recht gäbe. Entsprechend wenig überzeugend fiel Gerbers Antwort auf die Frage nach dem Zweck des gemeinen deutschen Privatrechts aus. Als „Nebenprodukt“ sollte es eine wissenschaftliche Einleitung in das

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Studium der Partikularrechte geben. Den Hauptzweck sah Gerber indes in folgendem Gesichtspunkt: Das Volk habe einen Anspruch darauf, daß man ihm seine geistigen Errungenschaften auf dem Gebiet des Rechts durch wissenschaftliche Bearbeitung zum Bewußtsein bringt. Zur Frage, ob das gemeine deutsche Privatrecht auch der Vorbereitung auf ein deutsches Gesetzbuch dienen sollte, finden sich bei Gerber widersprüchliche Aussagen. Jedenfalls zur Zeit der Entstehung seines ersten Buches hielt er die Möglichkeit einer gesamtdeutschen Kodifikation für völlig ausgeschlossen. Daher wollte er das zu konstruierende gemeine deutsche Privatrecht nicht als direkte Vorbereitung dazu sehen. Insgesamt fiel Gerbers Ergebnis gegenüber dem hohen Anspruch im Titel seines ersten Buches zurück. Sein wissenschaftliches Prinzip ist phrasenhaft und schwer faßbar. Etwas anderes galt allerdings für seine Aussage zur mangelnden Anwendbarkeit des gemeinen deutschen Privatrechts. Diese war konkret und wirkte als seinerzeit gewagte Außenseitermeinung polarisierend auf die juristische Öffentlichkeit. Indem Gerber dem deutschen Privatrecht nur den Wert einer wissenschaftlichen Abstraktion zugestand, hat er allerdings, um Gierke zu zitieren, „im Wesentlichen nicht aufgebaut, sondern lediglich zerstört“. Eigene fruchtbare Gedanken sind demgegenüber kaum auszumachen; Gerbers „Prinzip“ ist nicht eindeutig und positiv formuliert. Der „destruktive“ Ansatz hat sich langfristig auf Gerbers Beschäftigung mit dem deutschen Privatrecht ausgewirkt und beschränkte von Anfang an sein eigenes wissenschaftliches Wirkungsfeld. In Gerbers Briefen an Ihering ist die Rede von mangelnder Produktivität, vom „dringenden Bedürfnis, das Privatrecht zu verlassen“ und der „wahren Sehnsucht, im Staatsrecht etwas zu schreiben“. Es kann daher als Eingeständnis seines Scheiterns gewertet werden, daß Gerber sich relativ früh vom Privatrecht ab- und dem öffentlichen Recht zuwandte. 2. Gerbers wissenschaftlicher Anspruch zielte stets auf die konstruktive Systematisierung der germanistischen Rechtsstoffe; er konnte jedoch insbesondere in seinem Hauptwerk dem von ihm postulierten Systemgedanken selbst kaum genügen. Gerber nahm für sich das Primat ausschließlicher Wissenschaftlichkeit in Anspruch, wobei er seinen Opponenten teilweise mit polemischer Überheblichkeit begegnete. Illustriert wird dies beispielsweise durch seine Beschreibung der Differenzen mit seinem Germanistenkollegen Bluntschli: Es handele sich nicht um „Romanismus und Germanismus, sondern Jurisprudenz und einen unter der erborgten Flagge der Nationalität fahrenden Dilettantismus“. Gerber wollte das materielle deutsche Recht durch romanistische Methode erfassen wollte und kann daher als er als „romanisierender Germanist“ bezeichnet werden. Im Zusammenhang damit steht der häufig zitierte Vorwurf seiner wissenschaftlichen Kritiker, er habe „im deutschen Recht die deutsche Seele getötet“ (Gierke). Das

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römische Recht besaß für Gerber Vorbildcharakter, weil es ein vollendetes System abstrakter Rechtsnormen darstellt. Gerber wollte aus dem fragmentarischen deutschen Rechtsstoff durch das Instrument juristischer Konstruktion objektive Rechtsprinzipien extrahieren, um dadurch einen höheren Abstraktionsgrad zu erreichen. Durch die Gründung der gemeinsamen Zeitschrift „Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts“ schufen sich Gerber und Ihering ein Forum zur gemeinsamen Veröffentlichung von romanistischem und germanistischem Material, das ihrer Ansicht folgend nach einheitlicher Methode zu behandeln war. Das Gründungsjahr der Zeitschrift (1856) wird als maßgeblicher Zeitpunkt für die Ablösung der historischen Rechtsschule durch Begriffsjurisprudenz und Positivismus angesehen. Gerbers Ziel war es, die Jurisprudenz als „exakte“ Wissenschaft wie eine Naturwissenschaft zu behandeln. Dem entsprach auch seine Terminologie: „Analyse und Construktion des rein juristischen Elements der Rechtsinstitute“. In der Ablösung des Rechts von seiner gesellschaftlichen Basis sah Gerber entgegen aller Kritik nicht die Gefahr, rein formallogische Kategorien ohne selbständigen Erkenntniswert zu schaffen. Im Gegensatz zu Ihering blieb Gerber in seinem ganzen wissenschaftlichen Schaffen dem begriffsjuristischen Ansatz treu. Der Zeitpunkt, in dem Gerber seine methodischen Ideen erstmals ausführlicher veröffentlichte – 1848 in der Vorrede zu seinem Lehrbuch „System des deutschen Privatrechts“ – erscheint nicht unbedeutend. Gerber konnte den Rückzug auf das „rein juristische Element“ auch als Abwehrmöglichkeit gegen die rechtspolitischen Forderungen dieser Zeit nutzen und bot sich später als „Germanist der Reaktionszeit“ an. Zu den Kernpunkten von Gerbers wissenschaftlichem Anliegen gehörte die strikte Trennung von Rechtsgeschichte und Dogmatik. Gerber überhöhte den Wert einer systematischen Behandlung der germanistischen Rechtsstoffe, ohne exakt zu formulieren, nach welchen Regeln seine Methode tatsächlich funktionieren sollte. Es ist eine deutliche Diskrepanz zwischen dem von Gerber propagierten und dem tatsächlich verwirklichten System festzustellen. Zwar realisierte er das von ihm geplante „äußere System“, indem er den deutschrechtlichen Stoff nach dem Muster des Puchtaschen Pandektenlehrbuchs anordnete. Dies wurde jedoch bereits von zahlreichen germanistischen Autoren seiner Zeit praktiziert. Auch waren sich spätestens seit Savigny alle bedeutenden Rechtswissenschaftler in der Einschätzung des Wertes eines wissenschaftlichen Systems einig. Gerber stellte darüber hinaus ein „inneres System“ in den Vordergrund. Als Anknüpfungspunkt und oberste Maxime seines konstruktiven Verfahrens wollte er (wohl in Zuspitzung eines auf Puchta zurückgehenden Gedankens) den gesamten Rechtsstoff als den möglichen Ausdruck des Personenwillens verstanden wissen. Allerdings findet dieser Ansatz im materiellen Teil seines Lehrbuches kaum Nie-

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derschlag. Nur vereinzelt wird einmal auf den Einzelwillen verwiesen, ohne daß ein „roter Faden“ auszumachen wäre. An manchen Stellen vermischen sich bei Gerber auch die Kriterien für das formelle, an den Pandekten orientierte System und das materielle, von Gerber idealisierte, aber in der Umsetzung wohl nicht erreichte System. Auch in Gerbers Aufsätzen zum Themenkreis Familienfideikommiss und eheliches Güterrecht, weicht er teilweise explizit von seiner konstruktiven Methode ab. Man kann daher sagen, dass Gerber zwar seinen theoretischen Ansatz mit einer gewissen Überzeugungskraft formulierte, letztlich aber das postulierte hohe Niveau in der Umsetzung in seinem wissenschaftlichen Werk nicht aufrechterhalten konnte. Gerbers spätere Konzentration auf das Gebiet des öffentlichen Rechts erscheint daher durchaus folgerichtig. Im Bereich des deutschen Privatrechts hatte er seine „rein juristische Methode“ der dogmatisch-produktiven Jurisprudenz propagiert und in seinem Lehrbuch ansatzweise formuliert – einer weiteren Ausbildung war diese Methode indes nicht fähig. 3. Gerbers wissenschaftliches Wirken hatte auf die Entwicklung des Privatrechts, insbesondere das Entstehen des BGB, inhaltlich nur unmaßgeblichen Einfluß; seine systematischen Postulate und methodischen Ansätze haben jedoch dazu beigetragen, das Bewußtsein seiner Zeitgenossen für eine stärkere Abstrahierung des deutschen Rechts zu schärfen. Gerbers privatrechtliches Hauptwerk, das „System des deutschen Privatrechts“ gehörte zu seinen Lebzeiten zu den am meisten verbreiteten Lehrbüchern in diesem Bereich und erlebte sechzehn Auflagen, die 17. Auflage erschien postum. Trotz dieses großen Zuspruchs von Seiten der Leserschaft war das Buch starker Kritik seitens der meisten Germanisten seiner Zeit ausgesetzt. Sie mißbilligten Gerbers Idealisierung des römischen Rechts als Grundlage seiner Bearbeitung und beanstandeten, das Lehrbuch erkaufe seine vielgerühmte Kürze mit „Dürftigkeit und Unvollständigkeit des Inhalts“ und „romanisierender Verstümmelung der deutschen Rechtsgedanken“ (Gierke). Andererseits dürften gerade seine Kürze und die hervorragende sprachliche Formulierung viel zur Verbreitung des „Systems“ beigetragen haben. In Gerbers Talent zur Verknappung und prägnanten Formulierung liegt aber zugleich eine gewisse Gefahr: Seine zugespitzten Formulierungen erwecken oft nur den Anschein logischer Folgerichtigkeit, was letztlich auch zu einer Überschätzung seiner „systematischen Tugenden“ führte. Die inhaltliche Nachwirkung seiner privatrechtlichen Arbeiten scheint das harsche Urteil, Gerber habe auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts schöpferisch nicht gewirkt, zu bestätigen. Seine privatrechtlichen Positionen haben jedenfalls im BGB, dessen Inkrafttreten er nicht mehr erlebte, keinen nennenswerten Niederschlag gefunden.

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So konnte sich seine Einordnung der Reallasten ins Schuldrecht ebensowenig durchsetzen wie das Herausstreichen der Bedeutung der Familienfideikommisse oder die Ablehnung der Parentelordnung. Nicht einmal die auf Gerber zurückgehende, damals gebräuchliche Bezeichnung „Gütereinheit“ im ehelichen Güterrecht fand sich im BGB wieder, auch wenn hier noch am ehesten ein Einfluss Gerbers feststellbar war. Gerbers Thesen zum Urheberrecht konnten wohl schon zum Zeitpunkt ihrer Formulierung als überholt gelten. Gerber selbst hat trotz des äußeren Erfolgs immer wieder Unzufriedenheit über sein privatrechtliches Werk ausgedrückt: „Was ich zu sagen habe, habe ich zu freigebig in compendiöser Form hinausgeschossen und meine Resultate zu leicht verzehrbaren Appetitstückchen präparirt, die nun jeder ohne Mühe verschlucken kann ...“ Bemerkenswert ist, daß das Reichsgericht in seinen Entscheidungen Gerber kaum zitierte. Ein akademischer Schüler Gerbers ist auf dem Gebiet des Privatrechts nicht auszumachen; auch sein Leipziger Lehrstuhlnachfolger Otto Stobbe läßt sich hier nicht nennen, der von Kultusminister Gerber immerhin selbst berufen wurde. Zuschreiben kann man Gerber aber einen gewissen formalen Einfluss auf die deutsche Privatrechtswissenschaft. Seine permanente Forderung nach einer stärkeren logischen Gliederung und begrifflichen Systematisierung und Abstrahierung kam den Bedürfnissen der sich entwickelnden Verkehrsgesellschaft im 19. Jahrhundert entgegen. Mit seinem zur damaligen Zeit sehr verbreiteten Lehrbuch konnte er zudem auf die künftigen Meinungsträger der juristischen Fachwelt Einfluss nehmen. Dabei plädierte er stets für eine stärkere abstrakt-dogmatische Orientierung zur Bewältigung der jeweils aktuellen Anforderungen an das Recht. Diese Forderungen haben sein Wirken im materiell-rechtlichen Bereich letztlich überdauert. Es bleibt festzuhalten, dass sich Gerbers Bedeutung für die deutsche Privatrechtswissenschaft nicht in der negativen Verkörperung eines „Begriffsjuristen“ erschöpft. Noch weniger sollte man ihn jedoch zur Leitfigur einer bahnbrechend neuen dogmatischen Richtung hochstilisieren, da er seinen eigenen methodischen Ansprüchen allenfalls ansatzweise gerecht wurde.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Schriften Carl Friedrich v. Gerbers a) Bibliographie von Losano (Zusammenfassung) De unione prolium observationes, Jena 1844 Rezension zu Karl Wilhelm Wolff, „Jurisprudenz, Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts. Erster Band. Das deutsche Privatrecht mit Ausschluß des Lehn- und Handelsrechts“, Göttingen 1843, in: Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung v. 8. November 1844, Nr. 269, S. 1076 Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung v. 9. November 1844, Nr. 270, S. 1077 ff. Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung v. 11. November 1844, Nr. 271, S. 1081 Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung v. 19. Dezember 1844, Nr. 304, S. 1215 ff. Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung v. 20. Dezember 1844, Nr. 305, S. 1217 ff. Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts. Eine germanistische Abhandlung, Jena 1846 Rezension zu Ludwig Duncker, „Das Gesammteigenthum“, Marburg 1843, in: Kritische Jahrbücher für die Deutsche Rechtswissenschaft, Leipzig 1846, S. 311 ff. Meditationes ad locum Speculi juris Saxonici Lib. I Art. L II, Erlangen 1847 System des Deutschen Privatrechts, 1. Auflage, Erste Abtheilung, Jena 1848, Zweite Abtheilung, Jena 1849 2. Auflage 1850 3. Auflage 1852 4. Auflage 1853 5. Auflage 1855 6. Auflage nicht auffindbar 7. Auflage 1860 8. Auflage 1863 9. Auflage 1867 10. Auflage 1870 11. Auflage 1873 12. Auflage 1875 13. Auflage 1878 14. Auflage 1882 15. Auflage 1886 16. Auflage 1891 17. Auflage 1895 (postum, neubearbeitet von Konrad Cosack)

19 Schmidt-Radefeldt

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft. Eine Akademische Rede, Tübingen 1851 (später aufgenommen in Gerbers gesammelte juristische Abhandlungen als Teil des Aufsatzes Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt) Über öffentliche Rechte, Tübingen 1852 (zwei posthume Neudrucke: Tübingen 1913 und Darmstadt 1968) Votum über den Gräflich Aldenburg-Bentick’schen Successionsstreit aus privatrechtlichem Standpunkte. Mit einigen Zusätzen herausgegeben, Berlin 1854 Ueber den Begriff der Autonomie, in: Archiv für die civilistische Praxis XXXVII, Erstes Heft, 1854, S. 35 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen als erster Teil des Aufsatzes Ueber den Begriff der Autonomie) Ueber die Gewere in den deutschen Rechtsquellen des Mittelalters, in: Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, Neue Folge, XI, Gießen 1854, S. 1 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Zur Lehre von den Lehns- und Familienfideikommiß-Schulden, in: Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, Neue Folge, XI, Gießen 1854, S. 183 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Bemerkungen zur Beurtheilung genossenschaftlicher Verhältnisse, in: Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, Neue Folge, XI, Gießen 1855, S. 193 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) A. Rechtswissenschaft. I. Deutsches Privatrecht, Einleitung, in: Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von H. Th. Schletter, I, Erlangen 1855, S. 97 ff. Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiß, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, I, 1857, S. 53 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, I, 1857, S. 239 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen als erster Teil des Aufsatzes Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte) Abriß der Geschichte der Grafen und Herren von Giech. Besonderer Abdruck aus dem „Hausgesetz im Geschlechte der Grafen und Herren von Giech nebst Motiven. Mit einem Vorwort herausgegeben von C. F. Gerber, Kanzler der Universität Tübingen, Tübingen 1858 Die Familienstiftung in der Function des Familienfideikommisses, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, II, 1858, S. 351 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Zur Theorie der Reallasten in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, II, 1858, S. 35 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen als erster Teil des Aufsatzes Zur Theorie der Reallasten)

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Ueber die Rechte des Schriftstellers und Verlegers, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, III, 1859, S. 359 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen als erster Teil des Aufsatzes Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers) De Pactis hereditariis, Jena 1862 Reallast oder Realschuld, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, VI, 1863, S. 266 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen als zweiter Teil des Aufsatzes Zur Theorie der Reallasten) Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, 1. Auflage, Leipzig 1865, 2. Auflage Leipzig 1869 Ueber die Theilbarkeit deutscher Staatsgebiete, in: Zeitschrift für Deutsches Staatsrecht und Deutsche Verfassungsgeschichte, II, 1865, S. 5 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Erörterungen zur Lehre vom deutschen ehelichen Güterrechte, in: Sammlung von Abhandlungen der Mitglieder der Juristenfacultät zu Leipzig, Erster Band, Leipzig 1868, S. 289 ff. (später erschienen als selbständige Veröffentlichung, Leipzig 1869, aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen als zweiter Teil des Aufsatzes Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte) Vorwort in: Vorlesungen über das in dem Königreiche Sachsen geltende Privatrecht von Bernhard Gottlob Schmidt. Nach dessen Tode herausgegeben. Erster Band, Leipzig 1869 Bemerkungen zum ersten Artikel des deutschen Handelsgesetzbuchs, in: Die juristische Facultät verkündigt die Feier des Andenkens an Dr. Christian Friedrich Kees, Leipzig 1871 (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Ueber Privilegienhoheit und Dispensationsgewalt im modernen Staate, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, XXVIII, 1871, S. 430 ff. (später aufgenommen in Gerbers Gesammelte juristische Abhandlungen) Gesammelte juristische Abhandlungen, 2 Bde., Jena 1872 b) Von Losano nicht berücksichtigte kleinere Schriften und Rezensionen Gerbers Nachrichten von einigen bisher unbekannten juristischen Handschriften, unter „Miscellen“ in: Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1844, S. 92 Rezension von Johann Friedrich Budde, „Über Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit“ und Julius Hillebrand, „Über die gänzliche und theilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre nach den deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters, in: Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1844, S. 697 ff. Rezension von Emil Franz Rössler, „Deutsche Rechtsdenkmäler in Böhmen und Mähren“, in: Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1846, S. 918 ff. Rezension von Achill Renaud, „Beiträge zur Theorie der Reallasten“, in: Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1846, S. 782 ff. Rezension von Levin Goldschmidt, „Handbuch des Handelsrechts“, in: Literarisches Centralblatt für Deutschland 1864, Sp. 593 19*

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Rezension von Otto Stobbe, „Handbuch des Deutschen Privatrechts“ Band 1, Berlin 1871, anonym besprochen in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, Nr. 27 vom 8. Juli 1871, Sp. 684 ff. Rezension von Paul Roth, „System des deutschen Privatrechts“, Band 1, 1880, anonym besprochen in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, Nr. 15 vom 10. April 1880, Sp. 490 f. 2. Ungedruckte Quellen a) Unveröffentlichte Briefe Carl Friedrich von Gerbers an Mittermaier

UB Heidelberg H.HS 2746 1–14 Sondershausen, 14. Januar 1843 Sondershausen, 9. Juli 1843 Ebeleben bei Sondershausen, 31. März 1844 Jena, 16. Mai 1844 Jena, 16. August 1844 Jena, 3. März 1845 Jena, 6. April 1846 Jena, 17. Juni 1846 Erlangen, 14. Juni 1847 Erlangen, 13. Juli 1847 Erlangen, 6. April 1850 Erlangen, 2. Juni 1850 Tübingen, 21. April 1853 Tübingen, 26. April 1853

(Mittlerweile veröffentlicht durch Lieselotte Jelowik [Hrsg.], Briefe deutscher und Schweizer Germanisten an Karl Josef Anton Mittermaier, herausgegeben und bearbeitet von Lieselotte Jelowik, Frankfurt/M. 2001) an Danz

UB Jena NL Danz 2.29 a–d; 2.100, 101 Berlin, 8. April 1867 Leipzig, 20. April 1867 Leipzig, 2. Juli 1867 Leipzig, 25. März 1869 Leipzig, 19. März 1866 Leipzig, 18. April 1867

an Hugo Mohl

UB Tübingen, Md 613 289 Tübingen, 25. März 1854

an Goppelt

UB Tübingen Mi VII 34 Tübingen, 4. Januar 1857

an Zarncke

UB Leipzig, NL Zarncke Nr. 249 (vgl. Losano, Bd.2, S. 294/295: 65 Mitteilungen Gerbers, teilweise nicht eigenhändige Formulare bzw. nicht zuzuordnende Anmerkungen) insbes. Gerber an Zarncke, Leipzig, 7. Juni 1864 (Nr. 2)

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Gerber an Zarncke, Dresden, 14. März 1880 (Nr. 35) Nachlaß Gerbers

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Saal II, Schr. 14 Briefe Gerbers an seine Frau vom konstituierenden Reichtag des Norddeutschen Bundes, Abschriften von Hand und Register von Marie v. Gerber (Nr. 340) Briefe Gerbers an G. v. Rümelin/Vater (Nr. 341) 4 Briefe Gerbers, deren Adressaten nicht zu ermitteln sind (Nr. 350) Briefe an Gerber, u. a. von Fein, Hahn, Laband, Rümelin, Scheurl, Stahl, Stobbe, Wach, Wächter und Windscheid (Einzelheiten bei Losano, Bd. 2, S. 300, 301)

Landesbibliothek Dresden

einzelne Briefe Gerbers, v. a. amtlicher Natur (Einzelheiten bei Losano, Bd. 2, S. 296) b) Sonstige ungedruckte Quellen

Universitätsarchiv Heidelberg Akten über Gerber H II 111/38 Universitätsarchiv Jena Acta academica betreffend die Anstellung ordentlicher Professoren, ordentlicher Honorar- und außerordentlicher Professoren 1846–1857 BA 411 Gesuch des Dr. jur. Carl Gerber aus Sondershausen um Ertheilung der venia legendi, Brief Guyet vom 24. Mai 1844 Bestand K, 372 Acta Facultatis Außerordentl. Professoren Juli 1846/1847 Bestand K, 373 Acta academia 1861–1875 BA 412 Bestand G I: Lehrveranstaltungen Rechnungsmanuale bei der akademischen Quästur Jena Hörerzahlen WS 1845/46 G Abt. I 094 Hörerzahlen SS 1862 G Abt. I 157 Universitätsarchiv Erlangen Personalakte Carl Friedrich v. Gerber UAE A 2/1 Nr. G 18 Universitätsarchiv Tübingen Akten betr. Dr. von Gerber, Kanzler und ordentlicher Professor an der juristischen Fakultät 1851–1862, UA Tübingen 126/201 Universitätsarchiv Leipzig Kartei zu Matrikel 1809–69 (Auszug) Alphabetische Studentenliste 1825–69/Rektor B 53 (Auszug) Zeugnisprotokolle, 8. Sept. 1841 (Auszug) Matrikel (Rektor) 1839–44 M 2 (Auszug) Mögliche Personalakte Gerbers ist, wie die gesamte Registratur der Juristenfakultät, durch den Krieg verlorengegangen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Hauptstaatsarchiv Dresden Akten des Ministeriums für Volksbildung Nr. 10198 Acta, die Juristen-Fakultät zu Leipzig betr. 1832–1899 3. Gedruckte Quellen a) Veröffentlichte Briefe Carl Friedrich von Gerbers an Mittermaier

Festgabe der Deutschen Juristenzeitung 1909, Sp. 996 bis 1001 Sondershausen, 9. Juli 1843 Ebeleben, 31. März 1844 Jena, 16. August 1844 Jena, 3. März 1845 (in Auszügen)

an Ihering Verzeichnis der Briefe zwischen Ihering und Gerber November 1849 – Oktober 1872, Losano, Bd. 1, S. XIII ff. an Gerbers Frau Helene Briefe vom konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, herausgegeben von Marie von Gerber, in: Hellmut Kretzschmar (Hrsg.), Neues Archiv für Sächsische Geschichte, 60 (II), 1939, S. 244 ff.

b) Sonstige gedruckte Quellen Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Von der Eröffnungs-Sitzung am 24. Februar und der Ersten bis zur Fünfunddreißigsten und Schluß-Sitzung am 17. April 1867 (Parl. Verh. 20), Berlin 1867 Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen HandelsgesetzBuches, Bd. 1 bis Bd. 11, herausgegeben von Werner Schubert, Frankfurt 1984

4. Rezensionen zu Arbeiten Gerbers zu: „De unione prolium“ Anonymus, in: Kritische Jahrbücher für die deutsche Rechtswissenschaft 1845, S. 958 zu: „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ Anonymus, in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur“ 1846, Heft 36, S. 361 ff. zu: „System des deutschen Privatrechts“ Anonymus, in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur, Bd. 25 1849, S. 136

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Anonymus, in: Literarisches Centralblatt 1850, Sp. 70 f. zur 2. Auflage Anonymus, in: Literarisches Centralblatt 1891, Sp. 264 f. zur 16. Auflage zu: „Über öffentliche Rechte“ Anonymus, in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, 1852, Sp. 620 f. zu: „Ueber den Begriff der Autonomie“ Maurer, Ueber den Begriff der Autonomie, in: Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1855, S. 229 ff. zu: „Die Familienstiftung in der Function des Familienfideicommisses“ Anonymus, in: Schletters Jahrbücher 1859, Bd. 5, S. 324 f. zu: „Ueber die Natur der Rechte des Schriftstellers und Verlegers“ Anonymus, in: Schletters Jahrbücher 1860, Bd. 6, S. 116 5. Schriften über Gerber Augsburger Allgemeine Zeitung, 1871, S. 5154: Sachsen: Ernennung v. Gerbers zum Cultusminister Beschorner, Hans, Karl Friedrich von Gerber, ADB 49, S. 291 ff. — Carl von Gerber, in: Sächsische Lebensbilder, Bd. 1, Dresden 1931, S. 87 ff. Dresdener Nachrichten, Donnerstag, 24. Dezember 1891, S. 1: Nachruf Günther, Johannes, Lebensskizzen der Professoren der Universität Jena, Jena 1858, S. 163 ff. Köbler, Gerhard, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997, S. 186 f. Koehler, B., Karl Friedrich Wilhelm von Gerber, in: HRG I, Sp. 1530 ff. Maak, Heinrich, Carl Friedrich Wilhelm von Gerber, in: NDB 6, S. 251 ff. Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen, ein biographisches Lexikon, von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, Artikel von Pauly, S. 229 f. Whistling, Karl, Einige Leipziger Erinnerungen an Excellenz v. Gerber, in: Beilage zum Leipziger Tageblatt vom 24. Dezember 1891, S. 1 Wittern, Renate (Hrsg.), Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1743–1960, Teil 1: Theologische Fakultät, juristische Fakultät, bearb. v. Eva Wedel-Schaper/Christoph Hafner/Astrid Ley (Erlanger Forschungen, Sonderreihe Bd. 5), Erlangen 1993, S. 116 f. 6. Literatur Albrecht, Wilhelm Eduard, Die Gewere als Grundlage des älteren Deutschen Sachenrechts, Königsberg 1828 Angermann, Erich/Mohl, Robert von, 1799–1875. Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962 Bärsch, Claus-Ekkehard, Der Gerber-Laband’sche Positivismus, in: Staat und Recht 1972, S. 43 ff.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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20 Schmidt-Radefeldt

Personenverzeichnis Albrecht, Wilhelm Eduard 21 f. (19), 77, 80 f., 101, 145, 182, 188, 206 ff. (840), 211, 233 f. Bähr, Otto 63 (310), 82 (495), 239 Bekker, Ernst Immanuel 102 (662), 171 (548), 198 (771) Bennigsen, Rudolf v. 88, 97 (620) Beseler, Georg 34, 42, 51, 61, 86, 89 (548), 94, 102, 123 (152), 147 f., 155, 167 f. (508, 515), 187 (681), 206 ff., 210 f. (866), 215 f., 217, 236, 238 f. (1080,1086), 239, 264 (1315), 269, 272 ff., 278 Bethmann-Hollweg, Moritz August von 89, 94 f. Beyer, Georg 110 f. (28), 150 Binding, Karl 104 Bismarck, Otto von 89 ff., 93 f., 98 (634), 100 Bloedau, Helene von 47 Bloedau, Karl von 34 Bloedau, Rosalie von 34 Bluntschli, Johann Caspar 51, 63 (311), 78 (458), 155, 201 (793), 209, 213, 229 (1001), 253 (1203), 261 (1279), 276 ff. (1405) Braun, Alexander Karl Herrmann 89 (550) Brunner, Heinrich 209 Bruns, Karl Georg 70, 86, 89 Carpzov, Benedict 104 Chambon, Eduard Egmund Josef 63 Conring, Hermann 56, 110 (26) Danz, August Heinrich Emil 71, 74 f. (416), 98 f. Danz, W. A. F. 119 (110,113) Deurer, Ernst Ferdinand Friedrich 63 (312)

Duncker, Ludwig 189 (694), 211, 219 f. Duncker, Max 89 (551) Eichhorn, Karl Friedrich 34, 110, 116 (85), 119 ff., 138, 142 f., 146 f., 149, 154, 162, 191 (718), 212, 216, 226 ff., 244 (1128) Estor, Johann Georg 111 (38), 164 (488) Falck 125 (163) Feuerbach, Paul Johann Anselm 118 (100), 120 Fein, Eduard 45 (175), 59, 70 Fichard, Johann 130 Gagnér, Sten 150, 155, 171, 173 Gaupp, Ernst Theodor 122 (137), 151 (385) Gemmingen, Louis von 75 (425, 426) Gerber, Carl Ludwig Hermann 19 ff.,23, 27, 63, 71 Gerber, Carl Ludwig 47, 67 Gerber, Clara 34 Gerber, Ernst Ludwig 18 Gerber, Friedrich Wilhelm 18 f., 27, 46 Gerber, Helene 87 Gerber, Ludwig Friedemann 19 Gerber, Luise 34, 39 Gerber, Marie 47, 87 Gerber, Richard 34 Gerber, Wilhelmine Friederike 19, 46 Gierke, Otto von 16 f. (9), 102, 148, 155, 157, 159, 194, 209, 212 f., 262, 269, 285, 287 Goethe, Johann Wolfgang 57 (254), 162, 264 (1312) Goldschmidt, Levin 267 f. (1332, 1337) Goppelt 48 f. Grimm, Dieter 170 Grimm, Jacob 218, 234

Personenverzeichnis

307

Guyet, Karl Julius 28, 30 f. (85,86), 107

Nössig, C. G. 119 (115)

Hänel, Gustav Friedrich 21 f., 80, 256 Hahn, Friedrich von 73 (404), 75, 266 f. (1326) Heineccius 111 (33) Hillebrand, Julius 179 (608), 187 (681), 219 Hirschbühl, Helmut 154, 157, 167, 259 Homeyer, Carl Gustav 56 Hufeland, G. 117 f. (91), 120

Oertzen, Peter von 151, 164 (486), 170, 209, 257 Ortloff, Friedrich 30 (84), 107

Ihering, Rudolf von 15, 34 ff., 39 ff., 43, 45, 47 f., 51 f., 54 f., 56 ff., 69 ff., 72, 75, 85, 98, 101, 159, 169, 182, 191, 211, 213 f., 219, 233, 235 f., 241, 245 f. 276 ff., 285 f. Jelowiek, Lieselotte 24 (42) Kern, Bernd-Rüdiger 17, 127 (178), 136 (262), 155 (424), 167 (508), 168 (515), 269 f., 274 (1389) Kraut, Wilhelm Theodor 147, 187 (681), 211 Kroeschell, Karl 149, 155, 172 (548), 211 Krüll, F. X. von 119 (118) Laband, Paul 82 f. (495, 496), 103 (669) Landsberg, Ernst 16, 61, 65, 148 ff., 155, 208, 211, 257 Lasker, Eduard 88 (541) Leist, Burkard Wilhelm 75 (422, 423) Losano, Mario G. 15, 56, 66 f., 158, 165, 191 (713), 218 f., 223, 277 Maurenbrecher, Romeo 21, 80, 117 (97), 122 f., 262, 266 Meibom, Viktor Reinhard 101 (654,655), 260 Mittermaier, Carl Joseph Anton 23 ff., 31, 41 ff., 107, 120 f. (130), 160, 172, 218, 258, 273 Mohl, Hugo von 44 Mohl, Robert von 44 (168), 78, 276 (1405) Mylius, F. H. 113 (56)

Phillips, Georg 122 (138) Pöggeler, Ulrich 136 (266), 150, 156, 158 Posse, A. F. H. 117 (96, 97) Puchta, Georg Friedrich 21 f., 60, 136 (262, 266), 149, 151 f. (397), 157 (442), 162 f. (480), 165 f. (492, 493, 502, 503, 504), 167 (508), 168 (515), 173 f. (563), 177, 181 (627), 197 (762), 205, 226, 228, 259, 286 Pütter, Johann Stephan 110, 112 f. (45), 156 Renaud, Achill 219, 258 Reyscher, August Ludwig 36 ff. (119), 43 f., 59, 61, 113 (53), 122 ff. (153,156), 128 f., 134 (247), 142 ff. (317, 329, 336, 337), 154, 160, 177, 210, 224, 227 (979), 237, 270 ff. Roth, Paul Rudolf von 63 f. (311), 82 f. (495,496), 197 f. (762,771), 221 (938), 247, 259, 279 f. Rudloff, G. A. 113 ff. (58) Rückert, Joachim 165 (493), 237 f. Runde, Justus Friedrich 110 (113), 116 f. (82,86), 118, 143 f. (329) Savigny, Friedrich Karl von 22 (25), 61, 94, 123, 131, 162, 166 f. (502), 173 f., 205, 218, 226, 228, 237, 286 Savigny, Karl Friedrich von 94 (591) Scheuerl, Christoph Gottlieb Adolf 35 (115), 63 Schlosser, Hans 16, 115 (75), 149 f. Schroeder, Klaus-Peter 130 (216), 149, 158 Schröder, Jan 174 (560, 563), 254 (1258) Selchow, Joh. Henr. Christ. 112 f. (51) Simson, Eduard 95 (602) Sohm, Rudolph 104 (683)

308

Personenverzeichnis

Stobbe, Otto 101 f. (653), 104, 147 f., 152, 156, 187 (680), 221 (938), 224, 279 f., 282, 288 Tafinger, W. G. 115 ff., (71, 75) Thieme, Hans 149 Thöl, Johann Heinrich 35, 50 f. (209), 147, 162, 236, 239, 278 Thomasius, Christian 110 Türk, K. 121 (136) Ulrich, L. J. 118 (102)

Waechter, Karl Georg von 37 f., 45 (173), 63, 80, 82, 86, 95 ff., 124 (161), 129, 137, 155, 221 f. (940), 224 Walter, Ferdinand 146 f. (349), 158, 213, 244 (1128), 261 Windscheid, Bernhard 67 (347), 104 Zachariae, Heinrich Albert 78 (460), 95 Zarncke, Friedrich 54, 57 (254), 82 f., 221, 279 f. Zasius, Ulrich 130 (216) Zöpfl, Heinrich 237