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German Pages 204 [408] Year 1800
C.
M.
WIELANDS
SÄMMTLICHE W E R K E
D R E Y UND DREYSSIGSTER
A
R
I
S
T
I
P
BAND.
r
ERSTER BAND. LEIPZIG
bey Georg Joachim Göschen, ißoo,
A R I S T I P P UND EINIGE SEINER ZEITGENOSSEN.
Omnis Aristippum
decuit color et status et res,
Tentantem
majora fere,
Sib i res
non
se
mirtoribus aequum.
r e bus
submittere.
HERAUSGEGEBEN
TD» C. M. W I E L A N D. I, E R S T E R
B A N D .
L E I P Z I G , Bby G e o r g J o a c h i m G ö s c h e V. igoo.
ARISTIPPS
E R S T E S
Atiitipp, i . B.
BRIEFE.
BUCK.
A t i s t i p p an K l e o n i d a s in C y r e n e . A l l e Götter der beiden Elemente, denen du bey unserm Abschied mein Leben so dringend empfahlst, schienen es mit einander abgeredet zu haben, die Uberfahrt deines Freundes nach K r e t a zu begünstigen. W i r hatten, w a s in diesen Meeresgründen selten ist, das schönste W e t t e r , den heitersten Himmel, die freundlichsten W i n d e ; und da ich dem alten Vater Oceanus den schuldigen Tribut schon bey einer frühern Seereise bezahlt hatte, genofs ich diefsmahl der herrlichsten aller Anschauungen so rein und ungestört, dafs mir die Stunden des ersten Tages und der ersten Hälfte einer lieblichen mondhellen Nacht zu einseinen Äugenblicken wurden. Gleichwohl — darf ich dirs gestehen, Kleonidas ? — däuchte micbs schon am Abend des zweyten T a g e s , als ob mir das majestätische, unendliche Einerley unvermerkt —
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A R I S T I P P S
B R I E F E .
lange W e i l e 2u machen anfange. Himmel und M e e r , in E i n e m unermeßlichen B l i c k v e r e i n i g t , ist vielleicht das gröfste und erhabenste B i l d , das unsre Seele fassen k a n n ; abet nichts als Himmel und M e e r und M e e r und Himmel , ist, wenigstens in die L ä n g e , keina Sache f ü r deinen Freund A r i s t i p p ; und ich glaube w i r k l i c h , dafs mir ein kleiner Sturm, mit D o n n e r und Blitz und übrigem Z u b e h ö r , b l o f s der A b w e c h s l u n g w e g e n , willkommen gewesen wäre. D u w e i f s t , dafs aufser dem nah an Kreta liegenden Inselchen G a u d o s , kein einziges Eiland z w i s c h e n C y r e n e und G o r t y n a zu sehen i s t ; iiberdiefs w o l l t e auch der Z u f a l l , dafs uns auf der ganzen Reise, aufser drey oder vier Cyprischen K o r n s c h i f f e n , und einer f ü r K o r i n t h befrachteten T y r i s c h e n P i n a s s e , die sich so nah als möglich an der K ü s t e h i e l t e n , keiö einziges F a h r z e u g begegn e t e , w o m i t w i r uns auf eine oder andre A r t hätten unterhalten können. E s fehlte mir also, w i e du siebest, nicht an M u f s e , so viele G r i l l e n z u fangen als ich w o l l t e ; und w i e w e i t es endlich mit mir gekommen seyn müsse, kannst du daraus abnehmen, dafs ich stundenlang vom Verdeck in die See hinab schaute, ob nicht irgend einer von den Fischgöttern oder G ö t t e r f i s c h e r n , w o m i t ihr D i c h t e r d e a Ocean bevölkert h a b t , aus der T i e f e herauffahren, b e y unsrer E r b l i c k u n g in sein krummes
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Horn stofsen, und die übrigen M e e r w u n d e r , seine G e s p i e l e n , zusammen rufen w e r d e , um unsre auf den W e l l e n leicht dahin gleitende B a r k e zu u m k r e i s e n , und durch m u t h w i l l i g e Spiele und N e c k e r e y e n aufzuhalten. Das S c h a u s p i e l , das w i r ihnen g a b e n , ist f r e y l i c h , seit d e r Z e i t , da das erste von P a l l a s A t h e n e selbst erbaute Schiff eine Schaar kühner Göttersöhne nach K o l c h i s t r u g , um — ein goldnes W i d d e r f e l l zu e r o b e r n , e t w a s so a l l t ä g l i c h e s f ü r diese M e e r b e w o h n e r g e w o r den, dafs ein unbedeutendes F a h r z e u g , w i e das u n s r i g e , sich nicht schmeicheln durfte grofses Aufsehen b e y ihnen zu erregen ; aber dafs in d r e y langen T a g e n auch nicht ein einziges rosenarmiges M e e r m ä d c h e n mit grünen L o c k e n und milchweifsem Busen auftauchen w o l l t e , um meine des H e r u m s c h w e b e n s z w i s c h e n L u f t u n d W a s s e r müden B ü c k e auf ihrer reitzenden Gestalt ausruhen zu l a s s e n , das w a r doch w i r k l i c h zu g r a u s a r i , und b e w i e s mit den grofsen U n t e r s c h i e d , den die Götter z w i s c h e n euch Dichtern und uns andern prosaischen M e n s c h e n m a c h e n , zu meiner nicht geringen D e m ü t h i g u n g . W ä r e mein Freund Kleonidas h i e r , dacht* i c h , w a s würd* er nicht, Kraft des Vorrechts, das die N a t u r den M u s o l e p t e n , ihren G ü n s t l i n g e n , zugestanden h a t , in diesen,, für mich Unbegeisterten so leeren, Elementen sehen und hören ? Könnt' er gleich
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den Nebel, der mir die unsichtbare W e l t verbirgt, nicht von m e i n e n Augen treiben, so würde ich mich doch an s e i n e n Visionen und Entzückungen ergetzen: und im Grunde könnte mirs ja gleich viel s e y n , ob ich das alles unmittelbar mit meinen eigenen Augen, oder im Zauberspiegel der seinigen sähe. Sage dir nun selbst, ob ich nicht auf dich zürnen sollte, dafs du dich nicht erbitten liefsest, mich auf meiner Reise wenigstens nur bis nach O l y m p i a zu begleiten, w o dich ein Schauspiel erwartete, das auf dem ganzen Erdboden einzig in seiner Art ist, und durch kein anderes ersetzt werden kann, wenn es auch ein Triumfsaufzug P o s e i d o n s und A m f i t r i t e n s mit allen ihren Tritonen und Nereiden wäre. Im ganzen Ernste, Kleonidas, ich kann dir das Unrecht kaum verzeihen, das du durch deine Unerbittlichkeit noch viel mehr an dir selbst, als an deinem Aristipp begangen hast. W e r weifs ob dir die versäumte Gelegenheit in deinem ganzen Leben wieder aufstofsen wird ? und aus der W e l t zu gehen, ohne die O l y m p i s c h e n S p i e l e und den J u p i t e r d e s F i d i a s gesehen zu haben, wahrlich, da verlohnte sichs kaum der Mühe da gewesen zu seyn! — Doch, wem sag' ich das ? und w i e kann ich einen Augenblick vergessen, dafs du von einem Zauber gebunden bist, der die weder
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Gewalt über dich selbst läfat, noch Augen für einen andern Gegenstand, als die schöne Unerbittliche, deren Blicke die Nahrung deines Lebens sind ? Was ist im Himmel und auf Erden und im Reich des Oceanus, das einen von Amorn verwundeten Dichter von der süfsen Quelle seiner Schmerzen entfernen könnte? Was ist dir die schimmernde P a n e g y r i s alles dessen was die ganze Hellas Edles, Grofses und Schönes hat, ihrer auserlesensten Junglinge, ihrer berühmtesten Männ e r , ihrer reizendsten Weiber, ihrer Künstler, W e i s e n , Staatsmänner, Feldherren und Fürsten? dir, der das alles unhemerkt bey dir vorBeyzieben lassen w ü r d e , um deine Augen auf den blofsen Schatten der schönen L y c ä n i o n zu heften, wenn du sie selbst nicht erblicken könntest? Wundre dich nicht, Kleonidas, dafs ich so viel von dem Geheimnifs deines Herzens weifs, wiewohl du es, ich weifs nicht warum, so sorgfältig vor mir verborgen hast. Ein Verliebter ist so leicht zu entdecken, wie gut er sich auch zu verstecken glaubt, und die Freundschaft ist scharfsichtig. Befürchte indessen nichts von der meinigen : sie soll mir nie durch Zudringlichkeit beschwerlich fallen, aber auch nie entstehen, wenn du dich aus eigenem Drang nach ihr umsiehst. Alles was
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AIIITIIIS
B m r t .
ich mir darmahlen von der deinigen verspreche, ist, dafs du deinen trautesten Jugendfreund nicht ganz vergessen, und ihm gern erlauben werdest, sich während einer Abwesenheit, deren Dauer noch unbestimmbar ist, von Zeit zu Zeit durch Briefe bey dir in Erinnerung zu bringen. Widrige'Winde zwingen mich einige Tage länger in Kreta zu verweilen, als meiner Geschäfte wegen nöthig war. Ich werde diese Zeit zu einem Ausflug nach G n o s s u s anwenden, w o , wie man sagt, die vorzüglichsten Merkwürdigkeiten dieser fabelhaften Insel beysammen sind. Wie dürft' ich mich auch jemahls wieder in Cyrene blicken lassen, wenn ich in Kreta gewesen wäre, ohne den berüchtigten L a b y r i n t h und — das G r a b des u n s t e r b l i c h e n K ö n i g s der G ö t t e c u n d M e n s c h e n gesehen zu haben?
2. An A r i t a d e s ,
seinen Vater.
N a c h einer glücklichen und gröfsten Theils angenehmen Reise befinde ich mich seit zehn Tagen in dem reichen, gewerbevollen, prächtigen und wollüstigen K o r i n t h , wo ich von dem E u p a t r i d e n 1 ) L e a r c h u s , Vermöge
Erstes
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der alten Gastfreundschaft, die seit P e r ¡ a n d e r s Zeiten zwischen unsern Familien besteht, mit der gefälligsten Freundlichkeit aufgenommen wurde. Meine erste Sorge w a r , mich der Aufträge zu erledigen, womit mein Oheim A l k e t e s mich an seine hiesigen Freunde beladen hatte; die z w e y t e , die mir zum Behuf meines Anfenthalts in Griechenland mitgegebenen Waaren auf die v o r t e i l h a f t e s t e Art zu Gelde zu machen. Die Nähe des grofsen Marktes zu Olympia kam mir zu dieser Absicht sehr zu Statten , und der Gewinn, den ich dabey gemacht, ist so beträchtlich, dafs ich — aufser der Summe, die ich f ü r das nächste Jahr nöthig haben mag, um deinem Willen gemäfs, meiner Vaterstadt und der W ü r d e , die du in unsrer Republik bekleid e s t , durch einen anständigen Aufwand Ehre zu machen —• fünf hundert Attische Minen in Golde bey meinem Wirthe hinterlegt habe, über welche ich deine Befehle erwarte. Koriiith hat sich seit den vierzig Jahren, da du den Vater des Learchus besuchtest, sehr verändert. Grofser und täglich zunehmender Reichthum in einem oligarcbischen, äufserst mild regierten und vielleicht nur zu wenig gezügelten kleinen Freystaat, zumahl in der glücklichen Lage von Korintb, die es zum Mittelpunkt des Asiatischen und Europäischen Handels bestimmt, mufs, wie mich däucht,
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alle Vorzüge, worauf es stolz ist, und alle Übel, die seinen Verfall ankündigen, nothwendig hervorbringen. Ich gestehe, dafs die Wehklagen, die ich hier, sogar in den reichsten Häusern und von verständigen alten Männern, über die immer zunehmende Üppigkeit, Verschwendung, Habsucht und Sittenverderbnifs führen höre, mir keine hohe Meinung von der W e i s h e i t der Korinther geben. W o grofser Reichthum ist, mufs nothwendig auch grofse Armuth seyn, und von beiden ist sittliche Verdorbenheit die unausbleibliche Frucht. Der Reiche erlaubt sich Alles, um grenzenlos genielsen zu können, ohne die Quelle seines Genusses zu erschöpfen; der Arme thut, wagt und duldet Alles, um reich zu werden. Dafs es so und nicht anders ist, überzeugte mich schon was ich in Cyrene sah, und Korinth hat mich darin bestätiget. Alle Gesetzgeber, Filosofen und Moralisten in der Welt können den Korinth er n nicht helfenj es giebt nur ein Mittel, das sie und ihres gleichen retten könnte, und das ist gerade das Einzige, wozu sie keine Lust zu haben scheinen. Sie müfsten k wieder so arm werden als sie vor drey hundert Jahren waren. W e r weifs aber auch, ob diefs einzige Mittel nicht schon zu spät käme 1 Doch wohin versteige ich mich ? Ich bin noch zu neu in der Welt um tiefe Blicke in
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den Znsammenhang der Dinge gethan zu haben und zu jung, um mich in so verwickelte Spekulazionen einzulassen. Die Zeit der Olympischen Spiele naht h e r a n , und ich rüste mich ungesäumt nach Pisa abzugehen, u m , wo möglich, noch auf eine leidliche Art unterzukommen, denn der Zusammenflufs von Fremden soll schon unbeschreiblich grofs seyn. Meine Ungeduld nach dem herrlichen Schauspiel, das mich dort erwartet , nimmt mit jedem Tage z u ; auch hoffe ich bey dieser in ihrer Art einzigen Gelegenheit interessante Bekanntschaften zu machen; was am Ende doch wohl der einzige wahre Vortheil ist, den ich von Olympia zurückbringen werde.
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' K l e o n i d a s .
K a u m bin ich einige Tage in Korinth, und schon hat mir meine leichtsinnige Unbefangen' heitein Abenteuer zugezogen, welches vielleicht Folgen von Bedeutung hätte haben können, wenn mir der Zweck meiner Reise einen längern Aufenthalt erlaubte.
I|D« scherzest, Aristipp; w i e kam' ein Mann w i e Sokrates dazu, sich mit dem Unterriebt einer Hetäre abzugeb e n ? " — Du kennest ihn noch wenig, schöne L a i s , w i e ich sehe. Kein Sterblicher ist freyer von Vorurtheilen als e r , und das Geschäft seines Lebens ist, allen Arten von Personen , unbegehrt und ohne auf ihren Dank zu rechnen, Unterricht und guten Rath zu geben. Er lehrt einen Gerber besseres Leder machen , einen Tänzer gefälliger tanzen , einen Mahler geistreicher mahlen, einen Hipparchen seine Reiter und Pferde besser abrichten: warum sollte er nicht auch eine unerfabrne aber schöne uad lehrbegierige junge Hetäre zur Virtuosin in i h r e r K u n s t zu machen suchen? — „ D u erregst meine Neugier; wolltest du mir wohl das Vergnügen machen, tnir alles zu erzählen, was du von dieser sonderbaren Begebenheit noch im Gedächtnifs h a s t ? » ' — Sehr gern; ich erinnere mich noch eines jeden W o r t e s , wiewohl es schon
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über Jahr und Tag i s t , dafs sie sich zugetragen hat. Einer von den unsrigen, K l e o m b r o t o s von Ambrazien, ein junger Schwärm e r , wenn j e einer w a r , erzählte u n s , er habe so eben durch einen glücklichen Zufall Gelegenheit gehabt, das schönste Mädchen in Athen zu s e h e n , und z w a r , wie nicht jedermann sie eu sehen bekomme; denn sie sitze eben einem Mahler als Modell. Da er nicht aufhören k o n n t e , von der Schönheit dieser jungen Person als einer unaussprechlichen Sache zu reden, sagte Sokrates endlich lächelnd: wenn das ist, so könntest du uns den ganzen Tag' davon sprechen, ohne dafs wir ein W o r t mehr wüfsten als zuvor; denn von einer unaussprechlichen Sache einen Begriff durchs Ohr zu bekommen, ist unmöglich. Da w ä r e also, sagte dein nasbweiser Freund Aristipp, kein andres Mittel uns zu überzeugen, dafs Kleombrotos nicht zu viel gesagt habe, wiewohl er eigentlich Nichts gesagt b a t , als dafs wir selbst hingingen, und mit eignen Augen sähen. So gehen Wir denn T . sagte Sokrates. Kleombrotos führte uns also alle, so viel unser gerade um den Meister waren , nach der W o h nung der schönen T h e o d o t a , mit welcher er durch seinen F r e u n d , den M a h l e r , schon bekannt w a r ; wir wurden gefällig empfangen, stellten uns in bescheidener Entfernung um den Künstler h e r , und sahen — was zu
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sehen War. — W a r das Mädchen wirklich so schön? unterbrach mich Lais im Ton der vollkommensten Gleichgültigkeit. — Tn der T h a t , antwortete ich in eben dem T o n ; schön genug, dafs sie mit allen Ehren die Stelle einer von deinen drey Grazien einnehmen könnte. Schmeichler! sagte sie, indem sie inir einen leichten Schlag auf die Schulter gab ; ich unterbreche dich nicht wieder. Als der Mahler aufgehört, und die schöne Theodota sich in ein Nebengemach begeben hatte, um ihren Anzug wieder in die gewöhnliche Ordnung bringen zu lassen, warf Sokrat e s , in einem ihm ganz eigenen unnachahmlichen Mittelton zwischen Scherz und Ernst, die Frage auf: Ob w i r , die Zuschauer, der schönen Theodota für die Erlaubnifs ihre Schönheiten in einen so genauen Augensebein zu nehmen, oder Theodota nicht vielmehr u n s für die Beschauung, Dank schuldig sey? und entschied sie, nach Mafsgabe des ihr oder ihnen wahrscheinlich daraus zuwachsenden Vortheils oder Nachtheils, zu Gunsten der Zuschauer. Immittelst hatte e r , seiner Gewohnheit nach, mit seinen weit hervorragenden scharf blickenden Augen das Innere des ganzen Hauswesens ausgekundschaftet; und als Theodota wieder sichtbar ward, machte er ihr ein Kompliment über den reichen
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und gfänzenden Fufs, auf welchem alles bey ihr eingerichtet sey. Das Alles, setzte er hinzu, mufs dich viel Geld kosten, und ein so grofser Aufwand setzt ein grofses Vermögen voraus. D u hast ohne Zweifel ein schönes Landgut? — Keine Erdscholle, antwortete Theodota etwas schnippisch. — ,, Also vermuthlich ein Haus, das dir ansehnliche Renten a b w i r f t ? " — Aus das nicht, erwiederte sie, indem sie ein paar grofse Augen an den Mann machte, der einer Unbekannten so sonderbare Fragen vorlegte, und ihr dennoch , seines schlechten Aufzugs ungeachtet, Ehrfurcht und Zutrauen einzuflöfsen schien „ A h a ! Nun versteh ich} du bist Eigenthümerin einer grofsen Fabrik, worin eine Menge geschickter Arbeiter Geld für dich verdien e n ? " — Ich? ich besitze nichts dergleichen. — „Wovon kannst du denn einen solchen Aufwand machen ? " — Die Freygebigkeit meiner guten Freunde, erwiederte sie erröthend', und hielt inne — „ Gute Freunde? Das gesteh ich! Da hast du allerdings ein grofses Besitzthum. Ein Rudel Freunde ist freylich ein ganz andrer Reichthum als eine Herde Rinder, Schafe und Ziegen! Aber wie fängst du es an, schöne Theodota, dafs du so gute Freunde bekommst? Liäfst du es auf deiü Zufall ankommen, ob sich so ein Freund, wie eine Fliege, von ungefähr
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Buch.
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an dich s e t z t , oder gebrauchest du etwas Kunst d a z u ? " — Ich verstehe dich n i c h t ; wie kirne ich zu einer solchen Kunst ?v — „ W e n i g s t e n s so leicht als eine Spinne. Du yveifst doch w i e sie es machen, um sich ihren Unterhalt zu verschaffen? Sie weben eine Art feiner N e t z e ; die Mücken verfangen sich d a r i n , und dienen ihnen zur Speise." — Ich soll also auch so ein Netz w e b e n , meinst d u ? — ,, W a r u m n i c h t ? D u wirst dir doch nicht einbilden, dafs ein so köstliches W i l d b r e t , als gute Freunde sind, dir so ohne alle List und M ü h e , mir nichts dir nichts, in die Küche laufen w e r d e ? Siehst du n i c h t , w i e mancherley Anstalten die Jäger m a c h e n , um nur einen schlechten Hasen zu erhaschen ? Weil der Hase immer bey der Nacht auf die Weide g e h t , schaffen sie sich Hunde a n , die bey Nacht jagen; und weil er ihnen bey- Tage entlaufen würde, halten sie S p ü r h u n d e , d i e , wenn er von der Atzung in sein Lager zurückgeht, seiner Fährte folgen und ihn dort zu fangen wissen. Weil 'er so schnellfüfsig i s t , dafs er ihnen im Freyen gar bald aus den Augen k o m m t , haben sie Windspiele bey der Hand, die ihn im L a u f e n fangen; und da er ihnen auch so vielleicht noch entrinnen könnte, stellen sie überall, w o h i n er seinen Lauf nehmen k ö n n t e , Jagdnetze a u f , worein er
löß
A
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sich verwickeln a i u f s . " — D a s alles mag zur Hasenjagd sehr dienlich s e y n , sagte Theodota mit einem kleinen spöttischen' Naser ü m p f e n ; nur sehe ich nicht, w e l c h e s von diesen Mitteln m i r dienen könnte um F r e u n d e zu erjagen. — „ W a s meinst d u , Theod o t a , w e n n du dir statt eines Spürhundes jemand anschaffen k ö n n t e s t , der die Gabe hätte dir die reichen Dilettanten auszureichen und in deine Netze zu jagen ? " — In meine Netze ? W a s für Netze hätte ich d e n n ? — ,, Das fragst d u , schöne T h e o d o t a ? Eiups wenigstens g e w i f s , das auf alle F ä l l e schon w e i t r e i c h t , und von der Natur selbst gar zierlich gestrickt w u r d e ; und w i e kannst du v e r g e s s e n , dafs der in diesem schönen L e i b e eine Seele h a s t , die dich lehren könnte, w i e du die Augen brauchen mufst um die M ä n n e r durch deine Blicke zu bezaubern; w a s du reden mufst um sie aufgeräumt und fröhlich zu m a c h e n ; w i e du d e n , der dich ernstlich l i e b t , durch die Anmuth deines Betragens fest h a l t e n , und den L ü s t l i n g , der nur in deinen Keitzen schwelgen w i l l , abschrecken und entfernen sollst. Und hast du nicht auch ein Gemüth, das dich an deinem Freunde Antheil nehmen m a c h t ? D a s dich antreibt die zärtlichste Sorgfalt an i h n zu verschwenden wenn er krank i s t ; ihm die lebhafteste Theilnehmung zu zeigen w e n n
Eh si i s
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er irgend etwas rühmliches gethan hat, und mit ganzer Seele an ihm zu bangen, wenn er dir Beweise giebt, dafs auch e r es recht herzlich mit dir meine ? Ich zweifle nicht, du kannst mehr als nur l i e b k o s e n , du kannst auch l i e b e n ; und du machst dir ein Geschäft daraus, die Gewalt, die du über die Getnüther deiner Freunde hast, dazu anzuwenden , sie zu den edelsten und besten Menschen zu machen." — Ich versichre dich, (sagte Theodota, indem sie den Mund mphr als nötbig war aufthat, um uns zwey Reiben der schönsten Perlenzähne zu weisen) von dem allen ist mir nie etwas in den Sinn gekommen. — „ D a s ist mir leid für dich; denn es ist nichts weniger als gleichgültig, ob man den Menschen gehörig und seiner Natur gemäfs behandelt, oder nicht. Mit Gewalt wirst du wahrlich keinen Freund weder bekommen noch behalten; das fst ein W i l d , das sich nicht anders fangen und an die Krippe gewöhnen läfst, als dafs man ihm wohl begegnet und Vergnügen macht. Das erste also , worauf du zu sehen hast, ist., dafs du von deinen Liebhabern nichts verlangest als was sie dir leicht und mit dem wenigsten Aufwand gewähren können; t das zweyte, dafs du ihnen in eben dieser Art keine Gefälligkeit schuldig bleibest. Diefs ist ein unfehlbares Mittel zu machen, dafs sie dich immer lieber gewinnen,
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dich desto länger lieben und desto freygebiger gegen dich sind. D u weifst, warum es ihnen eigentlich bey dir zu thun ist; und es ist wohl nicht deine Meinung die Tyrannin mit ihnen zu spielen. D a s , wovor du dich hüten mufst, ist also blofs, vor lauter Gefälligkeit, dem Guten nifht zu viel zu thun. D u siehest dafs die leckerbaftesten Gerichte dem, der keine L u s t zum Essen h a t , nicht schmecken wollen, und dem Satten sogar Ekel erwecken: kannst du hingegen deinem Gaste Hunger machen, so wird ihm auch gemeine Kost willkommen s e y n . " — W a s müfst' ich denn t h u n , (sagte Theodota mit der schaafmäfsigsten Miene in einem der schönsten Gesichter) um denen die mich besuchen Hunger zu machen ? — »»Vor allen Dingen dich wohl in Acht nehmen, ihnen wenn sie satt sind nichts weiter vorzusetzen, geschweige sie noch gar nöthigen zu wollen.. Lassest du ihnen Z e i t , so wird der Appetit von selbst wiederkommen ; wenn d a aber siehest, dafs diefs der Fall ißt, so übereile dich ja nicht; locke sie durch die artigsten Manieren, die feinsten Liebkosungen: sey lebhaft, reitzend, sogar muthwillig; aber entschlüpfe ihnen immer wieder wenn sie dich zu haben meinen, und ergieb dich nicht eher, bis du gewiis bist dafs sie den höchsten W e r t h auf deine Gefälligkeit legen." — Diese L e h r e schien der jungen Person einzuleuchten.
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Buen.
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W e n n nur d u , sagte sie und lächelte den alten Herrn so holdselig an als ihr möglich w a r , w e n n nur d u mir Freunde jagen helfen w o l l t e s t ? — „ W a r u m n i c h t , w e n n du mich dazu bereden k a n n s t ? " •— D a s möchte ich w o h l g e r n , w e n n du mir nur sagen wolltest, w i e ich es machen mufs. — , , D a s ist d e i n e S a c h e ; du mufst eine Seite ausfindig machen, w o du mir beykommen k a n n s t . " — So besuche mich nur recht f l e i i s i g , lieber S o k r a t e s ! — Ich habe nur nicht viel übrige Z e i t , meine g u t e T h e o d o t a , e r w i e d e r t e S o k r a t e s , der de» Scherzens mit der albernen Puppe überdrüfsig z u werden a n f i n g ; meine häuslichen und öffentlichen Geschäfte lassen mir w e n i g müfsige Augenblicke. Auch habe ich eine hübsche Anzahl guter Freundinnen , die mich T a g und Nacht nicht von sich lassen w o l l e n , w e i l ich sie gar w i r k s a m e L i e b e s t r ä n k e und Zauberlieder l e h r e . " — E y , w a s d u s a g s t ! Verstehst du dich auch auf s o l c h e D i n g e , Sokrat e s ? — „ W i e sollt' ich n i c h t ? M e i n s t du, der Apollodor und der Antisthenes hier gehen mir um nichts und wieder nichts nie von der S e i t e ? Oder Cebes und Simmias kommen ohne ihre guten Ursachen blofs meinetwegen bis von Theben hergelaufen ? D u begreifst doch dais so w a s nicht ohne H e x e r e y und Liebestränke und Zauberschnüre möglich i s t . " — So s e y so g u t und l e i h e mir eine
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solche Schnur, damit ich sie gleich auf dich werfen Kann. — » I c h w i l l aber nicht zu dir gezogen s e y n , sagte Sokrates lächelnd, du sollst z u m i r kommen." — Von Herzen gern, wenn du mich nur annehmen willst. — „ D a s will ich w o h l , es wäre denn dafs eben eine bey mir wäre die ich lieber h a b e . " " — Hier endigte sich dieser in seiner Art einzige Soldatische Dialog; w i r empfahlen uns und gingen lachend unsres Weges. Schade, sagte L a i s , dafs so viel W i t z und L a u n e an so ein Attisches Hühnchen verschwendet w u r d e ! Ich hätte mir nie vorgestellt, dafs es eine so erzeinfältigje Hetäre in einer Stadt w i e Athen geben könnte. — D a s macht, sie ist eine geborne Athenerin, eines ehrsamen Bürger» T o c h t e r , so wohl erzogen wie du vorhin sagtest dafs die Griechischen Töchter beynah alle erzogen w ü r d e n , und blofs durch Armuth und Hang zum Müfsiggang und zur Üppigkeit verleitet, sich in eine Profession zu werfen, worin sie, ungeachtet aller M ü h e , die sich Spkrates selbst mit ihr gegeben, schwerlich jemahls eine Virtuosin zu werden die M i e n e hat. Aber weifst d u , sagte L a i s , dafs ich ganz verliebt in deinen Sokrates b i n , und grofse L u s t h a b e , dich nach Athen zu begleiten und seine Schülerin zu w e r d e n ? — Beym Anubis!
E r s t e s
Boen,
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fuhr ich etwa« unbesonnen h e r a u s , ich traue dir M u t h w i l l e n g e n u g z u , einen solchen Einf a l l , w e n n er dich a n w a n d e l t , auszuführen. Niemand kann eine gröfsere M e i n u n g von deiner Zaubermacht haben als i c h ; ich glaube dafs dir — alles mögliche möglich i s t ; und doch w o l l t e ich dir nicht r a t h e n , diese Probe an dem kaltblütigsten Acht und Sechziger, den vermuthlich der Erdboden trägt, z u m a c h e n , — falls es dich e t w a verdriefsen könnte w e n n sie fehl s c h l ü g e . — R e i t z t e mich n i c h t , Arist i p p ! versetzte s i e ; w e r w e i f s w i e wdit ich e s , trotz seiner acht und sechzig J a h r e und seiner K a l t b l ü t i g k e i t , mit Hülfe seiner eigenen T h e o r i e , b e y ihm bringen k ö n n t e ? Ich schmeichle m i r , Freund Kleonidas, durch die grofsmüthige Vertraulichkeit, w o mit ich dich an meinem neuen Verhältnifs u n d der schönen L a i s T h e i l nehmen lasse, einigen Dank von dir zu v e r d i e n e n ; und in dieser gerechten Voraussetzung könnt' ich mich leicht zu der angenehmen Arbeit entschliefsen , eine Art von T a g e b u c h über alles M e r k w ü r d i g e , w a s w ä h r e n d meines Aufenthalts in Agina vermuthlich noch begegnen -wird, für dich zu halten. F r e y l i c h w e r d ' ich w e n i g Zeit zum Schreiben haben, und grofse Arbeitsamkeit ist leider 1 auch keine meiner glänzendsten T u g e n d e n , Ich w i l l mich also
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zu nichts anheischig gemacht haben. Ich überlasse mich, w i e du w e i f s t , am liebsten, den Eingebungen des Augenblicks, und so thue ich oft mehr als ich mir selbst zugetraut hatte. Mein Wirth Eurybates, der sonst mit Somatischen Tugenden eben nicht schwer beladen ist, besitzt wenigstens E i n e , und gerade die, wodurch er sich jetzt am meisten um mich verdient machen kann, in einem hohen Grade; und das ist, die edle Tugend, seinen Freunden nicht durch übermäfsige Dienstgeflissenheit lästig zu s e y n , und sie ihrer W e g e gehen zu lassen, wenn er merkt dafs ihnen ein Gefallen damit geschieht. Ich gestehe dafs mir Anfangs ein wenig bange war, ich möchte ihn bey der schönen Lais in meinem W e g e finden. Aber nichts weniger! Man sieht ibn nie in ihrem Hause als w e n n sie grofse Gesellschaft h a t , und auch dann ist er eine ziemlich seltene Erscheinung, und oft schon wieder verschwunden, ehe man seine Gegenwart recht gewahr wurde. Auch zeigt er nicht die geringste Neugier, von meinem Verbältnifs gegen sie mehr zu wissen als andere. K u r z , es ist etwas ganz Exemplarisches, w i e wenig wir einander mit unsrer Freundschaft beschwerlich sind. — Ohne Zweifel wundert dich eine solche Gleichgül-
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tigkeit gegen eine Nachbarin, w i e es keine andere in der W e l t giebt '? Es ging mir w i e dir; ich erkundigte mich unter der Hand ein wenig nach seinem Thun und Lassen, und es entdeckte sich, als ein neues Beyspiel der Unlauterkeit aller menschlichen Tugenden, dafs — mein Freund Eurybates bis über die Obren in Liebe zu einer — Dame in Agina, der Frau eines dasigen Rathsherren , befangen ist, die ihn so künstlich bey der Nase herumzuführen w e i f s , dafs er sich ihr für das Opfer ihrer Tugend zu grenzenloser Erkenntlichkeit verbunden glaubt, während die gleifsnerisch« Spitzbübin einen geheimen Plan mit ihrem ehrenvesten und wohlweisen Gemahl angelegt h a t , ihm ihre besagte Tugend so theue-r zu verkaufen, dafs er sich für d a s , was sie ihn kostet, das schönste H a u s , die schönsten Gemählde und Statuen, die schönsten Pferde und Hun.de, und ein Halbdutzend der schönsten Tänzerinnen und Flötenspielerinnen im ganzen Achaja hätte anschaffen können; wiewohl noch viel fehlt, dafs sie die schönste Frau auch nur in Agina wäre. So spielt „ d e r G ö t t e r und der M e n s c h e n Herr» s c h e r A m o r " einem Abkömmling des grofsen Kodrus mit, mein Freund!
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An
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V o r einigen T a g e n l a n g t e ein j u n g e r Kunst* l e r a u s PaTOs auf dem L a n d s i t z e der s c h ö n e n L a i s a n , u m ihr e i n e b e y n a h e vollendete V e n u s von Pariscbem M a r m o r zu überbringen-, w e l c h e L e o n t i d e s , k u r z