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German Pages 211 [212] Year 1974
Übungen im Strafrecht von Harro Otto
w _G DE
Sammlung Göschen Band 7014
Walter de Gruyter Berlin • New York • 1974
Dr. Harro Otto, Professor für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Marburg
ISBN 3 11 004790 X © Copyright 1974 by Walter de G r u y t e r & Co., vormals G . J. Göschen'sehe Verlagshandlung, J . Gutentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, K a r l J . T r ü b n e r , Veit & Comp., 1 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ü b e r setzung, vorbehalten. Kein Teil desWerkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. P r i n t e d in G e r m a n y . Satz u n d Druck: Max Schönherr, 1 Berlin 51 Bindearbeiten: Berliner Buchbinderei Wübben 8c Co., 1 Berlin 42
Vorwort Die „Übungen im Strafrecht" sollen den um eine erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit im Strafredit Bemühten während seines Studiums begleiten. Ihr Ziel ist es, die Schwierigkeiten zu beheben, die der Anfänger hat, wenn es in der Lösung des konkreten Falles gilt, durchaus vorhandenes Wissen in Argumente umzuschlagen, dem Studenten während der einzelnen Ausbildungsabsdinitte (Übungen, Referendarexamen) die Ungewißheit darüber zu nehmen, was jeweils von ihm erwartet wird, sowie durch Einübung in die Methode der Fallösung und Ermöglichung von Selbstkontrolle dazu beizutragen, jene Ruhe und Überlegenheit zu gewinnen, die Voraussetzung für ein sinnvolles Studium sind. Im 1. Teil werden die Strafrechtsübungen in den Rahmen der juristischen Ausbildung gestellt, und das „Wie" der Fallösung wird referiert. Dem folgt im 2. Teil die Einübung. Sie ist über die bloße Kenntnisnahme hinaus auf das Mitdenken des Lesers angelegt, das durch Auswahl und Art der Lösung der Fälle motiviert werden sollte: 1. Stoff und Problematik sind von den jeweiligen Erwartungen im Gang der Ausbildung her bestimmt: In der Anfängerübung werden Kenntnisse des Allgemeinen Teils des Strafredits vorausgesetzt, exemplifiziert werden die Probleme an Tötungs- und Körperverletzungsdelikten. Die Vorgerücktenübung ist mehr auf den Besonderen Teil zugeschnitten. Der Raum für die eigene Argumentation ist erweitert. Den Klausuren aus dem Referendarexamen liegen Originaltexte zu Grunde. Sie sind insofern typisch, als sie deutlich machen, daß es nicht so sehr um etwaiges Detailwissen geht, sondern genaue Argumentation und verständige Auslegung allein weiterhelfen, auch wenn Tatbestände in Rede stehen, die nicht zum üblichen Wissen des Kandidaten gehören, oder deren Grenzen ihm plötzlich eigenartig verschwommen scheinen. — Die Hausarbeit aus dem Referendarexamen entspricht im wesentlichen
4
Vorwort
einer von 4 Prüfern im Referendarexamen mit „ausgezeichnet" bewerteten Arbeit. 2. Die „Musterlösungen" bestehen nicht nur aus dem Gutachten, sondern die f ü r den konkreten Aufbau des Falles maßgeblichen Überlegungen werden mitgeteilt und die Lösung des Falles durch Anmerkungen sowie Hinweise zur Vertiefung ergänzt. 3. Den Übungsfällen liegen — mit Ausnahme der Anfängerklausur N r . 4, die eine besonders in der Lehre umstrittene Problematik behandelt, — höchstrichterliche Entscheidungen zu Grunde. Der Vergleich mit diesen Entscheidungen soll bewußt die Stellungnahme des Lesers provozieren. 4. Das Niveau der Gutachten ist von den Erwartungen bestimmt, die — unter Berücksichtigung des Ausbildungsstandes — jeweils an eine „ausgezeichnete" Leistung gestellt werden. Daß dies keine „Traumnote" ist, wenn der Student einmal das „kleinliche Schielen" nach der „wohl gefragten Lösung" aufgibt und die ihm richtig erscheinende Lösung mit vertretbaren Argumenten begründet, hat die praktische Erprobung der Fälle gezeigt. 5. Gleichsam nebenbei soll die Beherrschung der Aufbauschemata vermittelt werden, und zwar soweit, daß der Bearbeiter auch die Freiheit gewinnt, sich u. U. von ihnen zu lösen. — Es gehört zu den bedrückendsten Erfahrungen im Referendarexamen, daß gerade Kandidaten, die bereit sind, sich mit aktuellen Lösungsentwürfen einzelner Probleme auseinanderzusetzen, an der Aufbautechnik scheitern. Dies gilt in letzter Zeit besonders für den Versuch, in Anlehnung an eine immer stärker werdende Lehrmeinung den Tatbestand der Erfolgsdelikte nicht von der Kausalität des Täters für den Erfolg her zu erfassen, sondern vom sog. Risikoerhöhungsprinzip. Die Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches sind in der Fassung des 2. StrRG, das am 1. 10. 73 in K r a f t treten sollte, angeführt, die z. Z. noch geltende Fassung ist in Klammern hinzugefügt, denn sicher erscheint es immer noch, daß die Neufassung des Allgemeinen Teils in K r a f t tritt, ob jedoch wirklich zum 1. 1. 1975, wird sich zeigen. Harro
Otto
Inhalt I. T E I L Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen A. Die Bedeutung der Strafrechtsübungen juristischen Ausbildung
im Rahmen
der
1. Übungen als Voraussetzung für das Referendarexamen 2. Aufgaben der Übung B. Die Vorbereitung
auf die Übungen im Strafrecht
. . . .
1. Kenntnisse des Sachgebiets, auf das sich die Übung erstreckt 2. Kenntnisse des Aufbaus der verschiedenen Delikte . . 3. Lektüre von Gerichtsentsdieidungen 4. Anleitungen zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen . . C. Die Übungszwecke
9 9 9 10 10 13 13 13
im einzelnen
14
1. Leistungskontrolle 2. Vertiefung des Wissens 3. Handwerklicher Umgang mit dem Reditsstoff
14 15 15
D. Allgemeine 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Grundsätze
. . .
der Fallbearbeitung
Erfassen des Sachverhalts Auslegen des Sachverhalts Prüfung strafbaren Verhaltens Subsumtion Notwendigkeitsmaxime Gutaditenstil Gliederung des Sachverhalts Darstellung eines „Theorienstreits" Vorgehen bei Beteiligung mehrerer Personen Konkurrenzen
18 . .
. . . .
E. Aufbauschemata I. Derzeit erörterte Vorschläge zum Aufbau der Erfolgsdelikte 11. Die Grenzen dieser Aufbauschemata III. Das modifizierte Aufbauschema IV. Das erfolgsqualifizierte Delikt
18 19 19 20 22 23 23 24 25 27 27 27 29 32 36
Inhalt
6 V. VI. VII. VIII. IX.
Das versuchte Erfolgsdelikt Anstiftung und Beihilfe Actio libera in causa Die Rauschtat Die Wahlfeststellung
36 37 38 39 39
F. Der Aufbau der Klausur I. Formalien II. Sachliches
40 40 41
G. Der Aufbau
42
der Hausarbeit
I. Formalien II. Sachliches
42 44 II. TEIL Einübung in die Fallbearbeitung
Anfängerklausur Nr. 1: Bierkistenfall Aufbau des vorsätzlichen und des fahrlässigen Begehungsdelikts, Anstiftung, versuchte Anstiftung. Error in persona — aberratio ictus
46
Anfängerklausur Nr. 2: Gaststättenfall Aufbau des versuchten Begehungsdelikts, Prüfung von Rechtfertigungsgründen, Aufbau des § 240 StGB. — „Notwehr gegen unbeteiligte Dritte", subjektives Rechtfertigungselement bei Fahrlässigkeitsdelikten
54
Anfängerklausur
65
Nr. 3: Notwehrfall
Aufbau des erfolgsqualifizierten Delikts sowie des unechten und echten Unterlassungsdelikts. — Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun Anfängerklausttr Nr. 4: Kassiererfall Deliktsaufbau vom Risikoerhöhungsprinzip her, Abgrenzung von vollendetem und versuchtem Delikt bei Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs, Rücktritt vom Versuch und vom vollendeten Delikt, Beihilfe. — Zurechnungszusammenhang, Risikoerhöhungsprinzip
75
Anfängerhausarbeit: Kirmesfall Deliktsaufbau bei Irrtum über tatsächliche Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. — Theorienstreit, Zusammenfallen von Tatbestands- und Verbotsirrtum, Analogie
86
Inhalt Vor gerück tenklausur Nr. 1: Selbstmordfall Verzahnung von Aufbau- und Sadiproblemen. — Sog. fehlgeschlagener Doppelselbstmord, Verhältnis der §§ 212, 216, 330 c StGB zueinander V orgerück tenklausur Nr. 2: Entführungsfall Abgrenzung von Betrug und Erpressung, Urkundenfälschung Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall Deliktsaufbau bei mittelbarer Tätersdiaft. — Inhalt des Zueignungsbegriffs, Abgrenzung der §§ 242, 246, 259 StGB Referendarklausur Nr. 2: Unzuchtsfall Erörterung und Auslegung von Tatbeständen, deren Probleme nicht allgemein bekannt sind. — Strafgrund der Teilnahme Referendarhausarbeit Zusammenwirken mehrerer Straftäter. — Vermögensstrafreditlidie Probleme im Zusammenhang mit zivilprozessualen Überlegungen
1.
TEIL
Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen A. Die Bedeutung der Strafrechtsübungen im Rahmen der juristischen Ausbildung 1. Die erfolgreiche Teilnahme an Übungen im Strafredit für Anfänger und für Vorgerückte ist in allen Bundesländern notwendige Voraussetzung für die Zulassung zum Referendarexamen. Unterschiedlich geregelt ist allerdings die Frage, welcher Übungsschein bei der Meldung zum Examen vorgelegt werden muß (nur der Übungsschein aus der Vorgerückten-Übung, wahlweise Anfänger- oder Vorgerücktenschein), und ob die erfolgreiche Teilnahme an der Anfängerübung Zulassungsvoraussetzung für die Teilnahme an der Vorgerücktenübung ist. Audi die Bestimmung dessen, was unter einer „erfolgreichen Teilnahme" an einer Übung verstanden wird (mindestens eine ausreichende Hausarbeit, mindestens zwei ausreichende schriftliche Arbeiten, mindestens je eine ausreichende Hausarbeit und Klausur), ist an den einzelnen Universitäten nicht einheitlich getroffen. Im Referendarexamen allerdings fordern die Ausbildungsordnungen aller deutschen Bundesländer die Anfertigung einer strafrechtlichen Klausur und — außer in Baden-Württemberg und Bayern — einer Hausarbeit, für deren Anfertigung sechs Wochen zur Verfügung stehen. Das Rechtsgebiet, aus dem die Hausarbeit entnommen wird, kann der Kandidat in bestimmtem Umfang selbst wählen 1 . 2. Schon aus Gründen der Einübung sollte der Student daher danach trachten, sowohl an einer Anfängerübung als auch an Einen Überblick über die A n f o r d e r u n g e n in den P r ü f u n g s o r d n u n g e n der einzelnen L ä n d e r geben: Arthur K a u f m a n n , Ethel B e h r e n d t : F a d i s t u d i e n f ü h r e r Rechtswissenschaft, 1973, S. 25 f f . 1
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen
einer Vorgerücktenübung „mit Erfolg" teilzunehmen, und zwar indem er bessere als „ausreichende" Leistungen in Hausarbeiten und Klausuren erbringt. Die Übungen im Strafrecht haben nämlich, wie auch die Übungen in den anderen Rechtsgebieten, verschiedene Aufgaben: Sie dienen der Leistungskontrolle, sollen das in Vorlesungen, Arbeitsgemeinschaften und eigener aktiver Bemühung um den Rechtsstoff erworbene Wissen vertiefen und den Verständnishorizont des angehenden Juristen durch Einübung in die Methode rechtlicher Lösung sozialer Probleme dahin erweitern, daß es ihm möglich wird, die Probleme eines Rechtsfalles im methodischen Vorgehen zu erfassen, sie anderen verständlich zu madien und selbständig einen Lösungsweg zu finden und überzeugend zu begründen2. Es bedarf nicht erst tiefgründiger Überlegungen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß die für eine Übung zur Verfügung stehende Zeit (2 Wochenstunden) und die Zahl der Teilnehmer es oft von vornherein ausschließen, den genannten Aufgaben in dem Umfang gerecht zu werden, der nötig wäre. Auf ein beschämendes Minimum sinkt der Gewinn einer Übung jedoch erst dann, wenn die Übung nur als „Sdiein-Veranstaltung" angesehen wird. Der Schein soll Nebenprodukt, nidit aber einziges Ziel der Übung sein! Die Übung soll Leistungskontrolle sein, der in ihr erteilte Schein darf aber nicht alleiniges Leistungsziel werden! — Das setzt allerdings voraus, daß der Student nicht völlig unvorbereitet in die Übung geht, d. h. frei von jeglichem Fachwissen, und daß er zu einer Mitarbeit bereit ist, die über das bloße „Erschlagen" des Scheines hinausgeht.
B. Die Vorbereitung auf die Übungen im Strafrecfat 1. Die sinnvolle Teilnahme an einer Übung im Strafrecht setzt gründliche Kenntnisse des Sachgebiets voraus, auf das sich die Übung erstreckt. Dies ist für die Anfängerübung der Allgemeine Teil, für die Vorgerücktenübung vorrangig der Beson2
Im einzelnen zu den Übungszwecken unter C.
Die Vorbereitung auf die Übungen im Strafrecht
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dere Teil des Strafrechts, da dieser herkömmlidierweise parallel zur Teilnahme an der Anfängerübung gehört wird. Das bloße Anhören der Vorlesung genügt für den Erwerb dieser Kenntnisse nicht. Die aktive Bemühung um den Lehrstoff ist unerläßlich, sei es, daß die Vorlesung mit Hilfe eines Lehrbuchs vorbereitet — besonders dort zu empfehlen, wo vorlesungsbegleitende Papiere Gang und Schwerpunkt der Vorlesung herausstellen — oder nachgearbeitet wird. Von Anfang an sollte der Student sich an den Umgang mit einem Lehrbuch gewöhnen, das er sich selbst zulegt. Benutzt er dieses neben der Vorlesung, so wird er sich einen problemorientierten Einstieg in die Materie eröffnen und leichter Verständnis gewinnen, als wenn er ein Lehrbuch isoliert Seite für Seite durchliest. — Ist bei dieser Weise der Erarbeitung des Stoffs die eigene Meinung gebildet worden, so sollte — zumindest im Bereich der Grundprobleme des Allgemeinen Teils — der kontrollierende Blick in ein anderes Lehrbuch oder einen Kommentar gewagt werden. Welche Auswahl bei den Lehrbüchern zu treffen ist, läßt sich nidit allgemeingültig sagen, zumal das Engagement und das besondere Interesse einzelner Universitätslehrer hier einen erheblichen Ausschlag geben können. Dem Studenten stehen z. Z. zur Auswahl: a)
Lehrbücher:
Baumann, Jürgen
Strafredit, Allgemeiner Teil, Ein Lehrbuch, 5. Aufl. 1968
Jescheck, Hans-Heinrich
Lehrbuch des Strafredits, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1972
Maurach, Reinhart
Deutsches Strafredit, Allgemeiner Teil, Ein Lehrbuch, 4. Aufl. 1971
Mauradi, Reinhart
Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, Ein Lehrbuch, 5. Aufl. 1969
Mezger-Blei
Strafrecht I, Allgemeiner Teil, Ein Studienbuch, 15. Aufl. 1973
Mezger-Blei
Strafrecht II, Besonderer Teil, Ein Studienbuch, 9. Aufl. 1966
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen
Schmidhäuser, Eberhard
Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 1970
Stratenwerth, Günter
Strafredit, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, 1971
Welzel, Hans
Das Deutsche Strafrecht, Eine systematische Darstellung, 11. Aufl. 1969
b) Von ausgewählten
Fällen her stellt das Straf recht dar:
Eser, Albin
c)
Juristischer Studienkreis, Strafredit I, I I , 1971 (Allgemeiner Teil)
Grundrisse:
Bockelmann, Paul
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1973
Mayer, Hellmuth Wessels, Johannes
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1967 Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1973
d) Eine sehr lesenswerte Einführung in das Strafrecht Schmidhäuser, Eberhard
e)
bietet:
Einführung in das Strafredit, 1972
Kommentare:
Dreher, Eduard
Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 34. Aufl. 1974
Kohlrausch-Lange
Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. 1961
Ladcner-Maassen
Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 8. Aufl. 1974
Leipziger Kommentar ( L K ) Strafgesetzbuch (Leipziger Kommentar), begr. v. L. Ebermayer u. a., 8. Aufl., hrsg. v. H . Jagusch, E. Mezger u. a., 1. Band, 1957, 2. Band, 1958; 9. Aufl. erscheint seit 1970 in Teilstücken Petters-Preisendanz
Strafgesetzbuch, Lehrkommentar mit Erläuterungen und Beispielen, 26. Aufl. 1970
Pfeiffer-Maul-Sdiulte
Strafgesetzbuch, Kommentar an H a n d der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969
Sdiönke-Sdiröder
Strafgesetzbuch, Kommentar, 17. Aufl. 1974
f) Zur
Wiederholung:
Kern-Sdimidhäuser
Strafrechtsfälle I, 6. Aufl. 1972
Die Vorbereitung auf die Übungen im Strafrecht
13
Blei
Prüfe Dein Wissen: Strafrecht I (Allge-
Blei
Prüfe Dein Wissen:
meiner Teil), 6. Aufl. 1970 Strafrecht II
(Bes.
Teil/I), 5. Aufl. 1970 Baumann
Strafrechtsfälle und Lösungen, A. T., 3. Aufl. 1969
2. Schon vor der Teilnahme an der Übung sollte der Student sich gründliche Kenntnisse des Aufbaus der verschiedenen Delikte angeeignet und diesen Aufbau an Beispielen geübt haben. — Nur wenn der Student dieses Wissen bereits hat, kann er schon die ersten Stunden der Übung dazu benutzen, Unsicherheiten, Unklarheiten und Problematisches in der Diskussion klären zu lassen. 3. Auch der junge Student sollte — möglichst dadurch, daß er sich eine für ihn geeignete Fachzeitschrift hält, die er regelmäßig liest, — die Lektüre von Gerichtsentscheidungen pflegen, denn diese sind zum einen auch Fall-Entscheidungen, zum anderen wird die ständige Konfrontation mit Entscheidungen anderer nicht nur das Wissen erweitern, sondern führt zwangsläufig zur kritischen Auseinandersetzung, wenn die Entscheidung in der Sicht oder Lösung der Problematik von dem bisherigen Wissen abweicht. In der Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen muß der Leser Stellung nehmen zu der Frage, was er, und nur er, für richtig hält. Dies allein sollte dem jungen Juristen aber wesentlich sein. Das Gewicht der einzelnen Argumente wird dabei am ehesten dann zutreffend abgeschätzt, wenn es nicht darum geht, eine fremde Meinung zu übernehmen, sondern — in Auseinandersetzung mit anderen — eine eigene Meinung zu bilden. 4. Ergänzend sei auf folgende Anleitungen von Strafrechtsfällen hingewiesen: Arzt, Gunther
Arzt, Gunther
zur
Bearbeitung
Die Strafreditsklausur — Eine Anleitung zur Lösung strafrechtlicher Fälle — JuS 1970 S. 511 ff, S. 567 ff, S. 620 ff, 1971 S. 24 ff, 83 ff, 136 ff, 189 ff. — Überarbeitet und erweitert als selbständige Veröffentlichung: Die Strafrechtsklausur, 1973.
14
Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen
Geerds, Friedrich
Hupe, Erich
Jescheck, Hans-Heinrich Kern, Eduard Kienapfel, Diethelm
Maurach-Gössel
Roxin-Schünemann-Haffke Schmidhäuser, Eberhard Schmidt, Eberhard
Schneider, Egon
Schramm, Theodor Welzel, Hans Wessels, Johannes
Über das strafrechtliche Gutachten, JuS 1961 S. 360 ff, 1962 S. 24 ff, S. 70 ff, S. 106 ff, S. 142 ff. Das System der allgemeinen Strafrechtslehre. — Aufbauschemen, Übersichten und Begriffsbestimmungen für die Bearbeitung praktischer Strafrechtsfälle, 1970. Lehrbuch des Strafrethts, a.a.O., S. 682 ff. Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen, 7. Aufl. 1970 Strafrechtsfälle, Anleitung, Aufbaumuster, Fallösungen, Falltechnik, 2. Aufl. 1971 Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen. — Mit Anleitung zur Fallbearbeitung und zur Subsumtion für Studenten und Referendare, 2. Aufl. 1973 Strafrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 1973 Strafrecht, a.a.O., S. 689 ff. Das Strafrechtspraktikum. Anleitung zur Bearbeitung strafrechtlicher Fälle nebst Fallsammlung, 3. Aufl. 1949 Strafrechtliche Klausuren und Hausarbeiten in den Übungen und im Referendarexamen. Anleitung und Fallsammlung, 3. Aufl. 1967 Klausurentethnik, 1969 Das deutsche Strafrecht, a.a.O., S. 560 ff. Strafrecht, a.a.O., S. 134 ff.
C. Die Übungszwecke im einzelnen 1. Leistungskontrolle — sie erstreckt sich auf zwei Bereiche: Wieweit ist der junge Jurist fähig, erworbenes Wissen zur Lö-
Die Übungszwecke im einzelnen
15
sung eines ganz konkreten Falles heranzuziehen? Wieweit gelingt es ihm, sich dabei von fremden Meinungen freizumachen und mit eigenständigen Argumenten in einer Weise, die zeigt, daß er sidi mit den Ansichten anderer kritisch auseinandersetzen kann, eine fundierte, rational nachvollziehbare Stellungnahme zu artikulieren? 2. Vertiefung des Wissens, doch kann die Informationsvermittlung nicht darauf angelegt sein, möglichst viele Details vorzuführen, sondern die kriminalpolitischen, methodologischen und dogmatischen Grundfragen des Strafrechts in Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung selbständig zu durchdenken3. Mit dem Wachsen dieses Wissens wird es möglich, die vielfältigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Rechtsinstituten und Problemstellungen zu verstehen, ihre Prämissen zu erkennen und sich der übergreifenden Zusammenhänge zwischen ihnen und in das Sozialleben hinein bewußt zu werden. So erweitert sich der Verständnishorizont beim Eindringen in den Rechtsstoff auch zum Verständnis des gesellschaftspolitischen Stellenwerts juristischer Entscheidungen. 3. Zugleich mit der Wissens- und Verständniserweiterung soll die Sicherheit im handwerklichen Umgang mit dem Rechtsstoff erworben werden. Die Methodik der Lösung rechtlicher Probleme muß auf die Sauberkeit von Begriffsbestimmungen und die Sorgfalt der einzelnen Deduktion bedacht sein. Zu beachten ist jedoch, daß es nicht darum geht, durch Anwendung irgendwelcher Techniken irgendein Ergebnis zu finden, sondern stets darum, im methodischen Vorgehen die richtige, d. h. überzeugende Lösung eines sozialen Konflikts aufzudecken. — In diesem Rahmen ist auch die Bedeutung der Subsumtionstechnik4 zu sehen. Sie ist nötiges Handwerkszeug eines jeden Juristen und die Voraussetzung für eine planvolle Fallbearbeitung — zugleich aber muß der subsumierende Jurist sich darüber klar sein, daß Subsumtion 3 Daß das gesamte strafrechtliche Studium von dieser Idee her aufzubauen ist, betont zutreffend Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, (Vorwort). 4
Dazu näher unter D 4.
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfallen
nicht Selbstzweck oder selbst bereits wissenschaftliche Methode ist, sondern nur, als planvolles Vorgehen, Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens. Sie verhindert, daß wesentliche Teile eines Tatbestandes nicht erörtert werden. Die wissenschaftliche Arbeit aber beginnt erst mit der Auseinandersetzung über Inhalt und Grenzen der einzelnen Begriffe, mit denen der Fallbearbeiter bei der Subsumtion konfrontiert ist, d. h. bei der Beantwortung der Frage, ob der im Gesetz gemeinte Sachverhalt auch wirklich der ist, der in dem zu beurteilenden Sachverhalt mitgeteilt ist. Dies ist durch bloße Deduktion oder Anwendung formaler Regeln nicht zu erfahren. Der Rechtspositivismus des 19. Jahrhunderts verkannte dieses. In dem Glauben, der Gesetzgeber habe durch sein Gesetzeswerk ein für alle Male die eindeutigen Voraussetzungen geschaffen, die im Rechtsraum auftretenden Probleme zu lösen, wurde die Rechtsanwendung und damit die gesamte Dogmatik auf die Subsumtion des konkreten Falles unter eine gegebene allgemeine Rechtsnorm beschränkt. — Die Rechtsordnung erschien als lückenloses, geschlossenes System, das eine logisch begründbare Lösung aller Fälle erlaubte. — Soweit die Subsumtion nicht ausreichte, wurden formale Regeln angewandt, die gleichsam das Reservoir logischer Grundsätze erweiterten (z. B. argumentum e contrario, argumentum a maiore ad minus). D a man glaubte, mit diesen „logischen" Mitteln und den gegebenen Rechtsnormen alle Probleme lösen zu können, stellte sich die Frage nach der Überzeugungskraft oder nach der Zeitgemäßheit einer Problemlösung gar nicht. Dieser Standpunkt ist heute im wesentlichen überwunden. Subsumtion und formale Regeln sind Hilfsmittel bei der Feststellung, ob ein bestimmter zur Beurteilung anstehender Lebenssachverhalt dem vom Gesetzgeber Gemeinten entspricht. Das „Hin- und Herwandern des Blickes" zwischen Norm und Lebenssachverhalt 5 ist gerichtet auf ein Verstehen der zwischen ihnen bestehenden Entsprechung. Das Verständnis selbst beruht auf einer analogen Denkweise, die eine doppelte Analyse soEngisdi, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, S. 15.
5
Die Übungszwecke im einzelnen
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zialer Sachverhalte voraussetzt: Zunächst gilt es, durch Deutung der einzelnen Begriffe einer Norm deren Inhalt durch Auslegung zu ermitteln, sodann ist zu prüfen, ob ein konkreter Lebenssachverhalt (soziale Konfliktsituation) jenem Sachverhalt entspricht, den der Gesetzgeber durch seine — kriminalpolitische, d. h. gesellschaftspolitische — Entscheidung in bestimmter Weise regeln •wollte. — Abweichungen des tatsächlichen Sachverhalts vom gesetzlich typisierten Sachverhalt sind in sorgfältiger Analyse zu ermitteln und auf ihre Relevanz hin zu untersuchen. Das vom Gesetzgeber Gemeinte ist jedoch nicht allein der Summe der Begriffe eines gesetzlichen Tatbestandes zu entnehmen. Diese Begriffe erhalten vielmehr erst ihren sinnvollen Inhalt vor dem Hintergrund der „soziologischen Gegebenheiten, denen die Gesetze entstammen und in die sie hineinwirken wollen" 6 . Wird dies beachtet, so ist es möglich, jenes Verständis zu erlangen, das die Voraussetzung sinnvoller Argumentation ist: Bei der Entscheidung von Streitfragen verdrängt die eigene, bewußte Stellungnahme die zufällige Übernahme irgendwelcher fremden Meinungen. Dieser Stellungnahme kann der Jurist nämlich nicht ausweichen, soll er seiner Rolle, soziale Probleme „richtig" zu entscheiden, gerecht werden. Die eigene Stellungnahme ist sogar weit häufiger erforderlich, als der junge Jurist meint. D a nämlich weder die genauen Umrisse des vom Gesetzgeber in seinen gesetzlichen Vorschriften Gemeinten noch die in jeder strafrechtlichen Problemlösung mitschwingenden allgemeinen Prämissen des Strafrechts unstreitig feststehen — geschweige denn immer konsequent verfolgt werden — , kommt es zu erheblichen Auseinandersetzungen über den Inhalt einzelner Normen, über die richtige Auslegung oder Definition einzelner Begriffe oder über die Überzeugungskraft einer Einzelfallösung bei Anwendung dieser Prämissen oder Begriffe. Dieser Streit, der allein auf unterschiedlichen Ansichten verschiedener Autoritäten über die Richtigkeit bestimmter Pro6 Arthur Kaufmann, Wozu Rechtsphilosophie heute? 1971, S. 27. — Den Genuß dieses gedankenreichen Vortrags sollte sidi der junge Jurist nicht entgehen lassen.
2 O t t o , Übungen im Strafredit
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfallen
blemlösungen beruht, wird gemeinhin im Strafredit als „Theorienstreit" bezeichnet, obwohl es allein um die Richtigkeit abweichender Meinungen und überhaupt nicht um die Tragfähigkeit irgendwelcher Theorien im begriffstechnischen Sinne geht. Will man in diesem Streit nicht den Boden unter den Füßen verlieren, so ist es wesentlich, zu erkennen, warum es zu dem Streit kommt, d. h. wo überhaupt ein Problem liegt, und warum es sich dabei um ein Problem handelt. Ist dies geschehen, so wird die eigene Stellungnahme und die Entwicklung der abweichenden Lösungsvorschläge zu dem Problem keine Schwierigkeit machen. Allein darauf kommt es an, denn der Jurist soll nicht irgendwelche fremde Meinungen zur Lösung sozialer Probleme auswendig herleiern können, sondern seine eigene Meinung überzeugend begründet — in Auseinandersetzung mit etwaigen Gegenmeinungen — vortragen und zur Basis seiner Entscheidung machen. — Natürlich kann er sich auch einer anderen Meinung anschließen, wenn er diese für richtig hält. Mit dem eigenen Vor-urteil, d. h. dem in einem bestimmten Verständnishorizont (Vorverständnis) gefaßten Urteil über die Sachgerechtigkeit der Lösung eines konkreten sozialen Konflikts, beginnt das dogmatische Denken: Die Überprüfung des Vorurteils ist der Anfang der methodischen, d. h. schrittweise rational nachvollziehbaren Begründung des Urteils. Erweist diese Uberprüfung des Vorurteils dieses als nicht haltbar, weil es z. B. nicht mit der gesetzlichen Regelung in Einklang zu bringen ist, so ist zu prüfen, ob der Argumentationsweg einen Fehler aufweist oder aber, ob bisher für richtig gehaltene Prämissen der Korrektur bedürfen und damit das Vorverständnis neu zu strukturieren ist.
D. Allgemeine Grundsätze der Fallbearbeitung 1. Erfassen des Sachverbalts Die Fallbearbeitung beginnt damit, daß der Bearbeiter den Sachverhalt sorgfältig — u. U. mehrmals — durchliest. Dabei ist besonders auf die Fragestellung am Sdiluß des Sachverhalts
Allgemeine Grundsätze der Fallbearbeitung
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zu achten: Ist das strafbare Verhalten aller oder nur einzelner der im Fall genannten Personen zu erörtern? 2. Auslegen des
Sachverhalts
Erscheint der Sachverbalt nicht eindeutig, so ist er von der allgemeinen Lebenserfahrung her auszulegen. Ganz abwegige — abstrakt mögliche — Konstellationen sind nicht zu erörtern, auf sie müßte im Text ausdrücklich verwiesen werden: Beispiel: Heißt es im Sachverhalt, A lauert dem B auf, um diesen zu berauben, so wäre eine Alternative dahin, ob A zurechnungsfähig ist oder nicht, unvertretbar. — Zwar sagt der Sachverhalt nichts über die Zurechnungsfähigkeit des A, eine derart vom Üblichen abweichende Gegebenheit müßte jedoch ausdrücklich im Text erwähnt werden.
Bleibt der Sadiverhalt auch nach der Auslegung mehrdeutig, und führen die unterschiedlichen Deutungen zu verschiedenen rechtlichen Folgerungen, so muß der Bearbeiter eine Alternativentscheidung treffen. Beispiel: A erschießt eine Katze, die wiederholt Tauben aus seinem Taubenschlag geholt hat. — Hier ist es möglich, daß es sich um eine fremde (Eigentümer ein Dritter) oder eine derelinquierte Katze gehandelt hat. — Diese Sachverhaltsalternative ist für die Frage, ob der Tatbestand der Sachbeschädigung gegeben ist („fremde Sache"), wesentlich. Daher die Alternative : a) Die Katze gehörte einem Dritten b) Die Katze gehörte niemandem.
3. Prüfung strafbaren
Verhaltens
Zu erörtern hat der Bearbeiter, ob sidi bestimmte in einem Fall genannte Personen strafbar gemacht haben oder nicht. Es ist demnach zu prüfen, ob der (oder die) Täter einzelne Straftaten, wie sie in den Paragraphen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs beschrieben sind, begangen hat (haben). a) Jeder Straftatbestand, der erwähnenswert erscheint, ist einzeln zu erörtern. Dies gilt auch dann, wenn ein Paragraph mehrere Tatbestände enthält (z. B. § 267: Herstellen und Verfälschen einer unechten Urkunde, Gebrauchen einer unechten Urkunde).
20
Anleitung zur Bearbeitung von Strafreditsfällen
b) Welche Straftatbestände vom Bearbeiter zu erörtern sind, kann nicht abstrakt für alle Fälle verbindlich festgelegt werden. Maßgeblich ist hier der Grundsatz, daß jeder Straftatbestand zu erörtern ist, der nicht abwegig erscheint, und für den ein vernünftiger Anhaltspunkt spricht. c) Die Ausführungen sind stets mit dem Straftatbestand zu beginnen, der am wahrscheinlichsten gegeben ist. Dabei ist zu beachten, daß der Grundtatbestand stets vor der Qualifikation zu prüfen ist. Grundtatbestände sind z. B.: § 223 im Verhältnis zu §§ 223a, 223b, 224, 225, 226; § 242 im Verhältnis zu § 244 oder § 249 im Verhältnis zu §§ 250, 251. Dagegen gilt hinsichtlich des Verhältnisses der lex specialis im engeren Sinne zur lex generalis, daß die speziellere Vorschrift zunächst zu prüfen ist. Beispiele solcher Spezialitätsverhältnisse sind: § 249 im Verhältnis zu §§ 240, 242; § 370 Ziff. 5 gegenüber § 242, 246; § 113 gegenüber § 240. 4. Subsumtion Da die allein wesentliche Frage die nach der Strafbarkeit einer oder mehrerer Personen ist, muß der Bearbeiter sogleich mit der Subsumtion beginnen, d. h. mit der Führung des Beweises, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person (Sachverhaltsschilderung im „Fall"), das in einem Paragraphen des Gesetzes gemeinte Verhalten ist. — Dem Bearbeiter sind zwei Sachverhalte gegeben: 1. Der Fall 2. Der im Gesetz beschriebene Sachverhalt. — Seine Aufgabe ist es, darzulegen, ob der im Fall mitgeteilte Sachverhalt dem im Gesetzeswortlaut beschriebenen entspricht. a) Niemals ist eine Fallbearbeitung mit Vorreden zu beginnen. Seien diese nun Erörterungen zivilrechtlicher Vorfragen oder Darlegungen, warum mit einem bestimmten Straftatbestand begonnen wird und nicht mit einem anderen, oder gar Ausführungen zur Mittäterschaft bzw. zum „Irrtumsproblem schlechthin". (Aufbauerwägungen sind zwar richtig, doch dürfen sie ihren Niederschlag nur im Aufbau selbst finden. Ist dieser Aufbau nicht aus sich her-
Allgemeine Grundsätze der Fallbearbeitung
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aus überzeugend, so helfen Ausführungen zur Berechtigung dieses Aufbaus auch nicht weiter.) Dies alles ist vollkommen uninteressant an dieser Stelle und sagt dem Leser gar nichts für die Lösung des Falles. Allein dort, w o z. B. ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal, sei es etwa der Begriff „fremd" in § 242 oder sonst ein Begriff, der auf zivilrechtliche Fragen hindeutet, der Klärung bedarf, dort sind diese Fragen zu erörtern. b) Um sofort zur Sache zu kommen, empfiehlt es sich, bereits im ersten Satz klarzustellen, weldie konkrete Verhaltensweise einer bestimmten, im Fall genannten Person auf ihre Strafbarkeit hin untersucht werden soll. c) Bei der Subsumtion ist ein Tatbestandsmerkmal nach dem anderen zu erörtern. Eine Häufung der Merkmale führt nur zu Ungenauigkeit und Unübersiditlichkeit. Beispiel: Sachverhalt: „A holt mit geschicktem Griff aus der Hosentasche des B dessen Portemonnaie und steckt es ein, um es zu behalten." In Betracht kommt: § 242 StGB Ausführung: Das strafbare Verhalten des A: 1. Indem A dem B das Portemonnaie aus der Tasche zog und einsteckte, könnte er sich eines Diebstahls, § 242 StGB, schuldig gemacht haben. a) Dann müßte das Portemonnaie eine fremde, bewegliche Sache sein. Daß das Portemonnaie beweglich ist, bedarf keiner eingehenden Begründung, denn es kann fortgetragen werden. — Fremd ist das Portemonnaie gleichfalls, denn Eigentümer des Portemonnaies ist der B. b) Hat A das Portemonnaie weggenommen? Als Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams durch den Täter anzusehen. Gewahrsam wiederum ist tatsächliches Herrschaftsverhältnis einer Person über die Sache, nach den Regeln des sozialen Lebens. Gewahrsam an dem Portemonnaie hatte der B, solange dieses in seiner Tache steckte. Diese Sachherrschaft brach A, als er das Portemonnaie herauszog und in die eigene Tasche steckte, denn nunmehr hatte er die tatsächliche Sachherrschaft über das Portemonnaie begründet und den B aus der
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen Sachherrschaft entsetzt. A hat demnach eine fremde bewegliche Sache weggenommen. c) Dieses muß bewußt und gewollt geschehen sein und in der Absicht, sich die fremde Sache rechtswidrig zuzueignen. — A wollte das Portemonnaie wegnehmen und sich zueignen, d. h. die umfassende Sachherrschaft des Berechtigten beseitigen und eigene umfassende Sachherrschaft begründen, um das Portemonnaie selbst zu nutzen. d) A handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. e) A hat sich demnach gemäß § 242 StGB wegen eines Diebstahls strafbar gemacht.
d) Hält der Bearbeiter sich streng an diese Grundsätze, so wird er nicht in Versuchung kommen, Unwesentliches zu erörtern. So stur es daher erscheinen mag, so sinnvoll ist es dennoch, wenn die Bearbeitung mit bestimmten Floskeln beginnt, die allerdings wechseln sollten. Z. B.: „A könnte sich des Diebstahls, § 242, schuldig gemacht haben, indem er dem B das Portemonnaie aus der Tasche zog." Oder: „Es ist zu prüfen, ob der A den Tatbestand des Diebstahls, § 242, erfüllte, indem er dem B das Portemonnaie aus der Tasche zog." Oder: „A zog dem B das Portemonnaie aus der Tasche. Damit könnte er den Tatbestand des Diebstahls, § 242, erfüllt haben." Oder: „A hat das Portemonnaie dem B aus der Tasche gezogen, er könnte sich daher wegen eines Diebstahls, § 242, strafbar gemacht haben." 5. Notwendigkeitsmaxime Bei seinen Ausführungen hat der Bearbeiter zu beachten, daß der praktische Fall weder lediglich Aufhänger für irgendwelche theoretischen Erwägungen ist, die dem Bearbeiter anläßlich der Fallbearbeitung in den Sinn kommen, noch dem Korrigenten allein an einem Ergebnis gelegen ist, mag es noch so richtig sein. Maßgeblich ist vielmehr, ob man den Ausführungen entnehmen kann, daß der Bearbeiter fähig ist, einen praktischen Fall gründlich und sinnvoll zu einem begründeten Ergebnis zu führen. Mit anderen Worten: Die Bearbeitung hat alles das und nur das zu enthalten, was zur Begründung der Lösung nötig ist. Nicht notwendige Darlegungen, schmückendes Beiwerk, schaden nur.
Allgemeine Grundsätze der Fallbearbeitung
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6. Gutachtenstil Der Bearbeiter hat ein Gutachten anzufertigen, kein Urteil. Das heißt, am Anfang der Ausführungen steht die Erwägung des Bearbeiters, welche Strafrechtsnorm durch das Verhalten einer Person verletzt sein könnte, sodann folgt die Untersuchung, ob die Strafrechtsnorm verletzt wurde, und das Ergebnis der Erörterung. Der Gutachtenstil braucht aber nicht in jedem einzelnen Punkt der Ausführungen durchgehalten zu werden. Überall dort, wo der Bearbeiter einerseits zeigen will, daß er ein Tatbestandsmerkmal oder einen Tatbestand nicht übersehen hat, andererseits jedoch die Begründung evident ist, kann der Urteilsstil verwandt werden. Gleiches gilt, wenn für einen Ausschluß der Rechtswidrigkeit oder der Schuld kein Anhaltspunkt im Sachverhalt gegeben ist (vgl. Beispiel oben D 4 c)). Gutachtenstil: Die Frage wird aufgeworfen, erörtert und beantwortet; — vgl. Beispiel oben D 4 c): Ausführungen zur Wegnahme. Urteilsstil: Die Frage wird beantwortet und kurz begründet. Wenn die Begründung evident ist, kann sie fehlen; vgl. Beispiel oben D 4 c: Ausführungen zur fremden, beweglichen Sache. 7. Gliederung des Sachverhalts Da ausschließlich die Strafbarkeit der im Fall genannten Personen interessiert, ist streng nach der Anspruchsmethode vorzugehen. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Ausführungen zu gliedern, die gleichberechtigt nebeneinander stehen, und für deren Wahl im Einzelfall allein praktische Gesichtspunkte ausschlaggebend sind, keineswegs aber zwingende Gründe sprechen. a) Werden in dem zu bearbeitenden Fall mehrere trennbare Sachverhalte geschildert, so sind diese gesondert zu behandeln (Gliederung nach Tatkomplexen). Innerhalb der einzelnen Tatkomplexe wird sodann das Verhalten der verschiedenen Personen erörtert. Vergleiche dazu: Anfängerklausur 1: Bierkistenfall. b) Erscheint eine Trennung einzelner Handlungsabschnitte
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafreditsfällen
nicht sinnvoll, weil sie nicht geeignet ist, den Fall klarer zu gliedern — z. B. es kommt nur strafwürdiges Verhalten einer einzigen Person in Betracht —, oder zieht sidi das strafbare Verhalten einer Person wie ein roter Faden durch den Fall, wobei hin und wieder Randfiguren auftaudien, so ist es richtiger, zunächst das Verhalten dieser Person zu untersuchen und sodann die Erörterung der Randfiguren anzuschließen. Vergleiche dazu: Anfängerklausur 2: Gaststättenfall. c) Maßgeblich für die Wahl im Einzelfall sind allein praktische Gesichtspunkte (Übersichtlichkeit, Möglichkeit besserer Straffung, Zusammengehöriges bleibt zusammen). Logisch zwingende Notwendigkeiten sprechen nicht für die eine oder die andere Methode. Dennoch empfiehlt es sich, vor Beginn der Ausführungen Überlegungen darüber anzustellen, welche Methode im konkreten Einzelfall praktischer ist. Schon eine klare Übersicht erleichtert die Arbeit! 8. Darstellung
eines
„Theorienstreits"
Sog. Theorienstreitigkeiten (unterschiedliche Ansichten über den Inhalt oder die Grenzen eines Begriffs o. ä.) sind nur zu erörtern, wenn der „Theorienstreit" für die Lösung des Falles erheblich ist. In einem solchen Falle hat der Bearbeiter zunächst einmal auszuführen, daß es verschiedene Möglichkeiten gibt, einen bestimmten Begriff zu interpretieren. Sodann ist darzulegen, ob die verschiedenen Ansichten im konkreten Fall zu einem unterschiedlichen Ergebnis führen. Ist das der Fall, so muß der Bearbeiter Stellung nehmen, sich für eine Meinung entscheiden und seine Ansicht begründen. Beispiel: „Die A sagt als Zeugin vor Gericht aus, der B sei in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai bei ihr gewesen, wobei sie glaubt, daß dieses der Wahrheit entspreche, während in Wirklichkeit der B erst in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai bei ihr gewesen ist." Im Rahmen der Prüfung des § 153 StGB wird der Bearbeiter sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Aussage der A „falsch" ist: E r wird darauf hinweisen, daß streitig ist, was unter einer „falschen" Aussage i. S. des § 153 zu verstehen ist:
Allgemeine Grundsätze der Fallbearbeitung
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a) Sieht man eine Aussage als falsdi an, weil sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (obj. Theorie), so ist die Aussage der A falsdi; b) Bestimmt man „falsch" subjektiv (subj. Theorie), so war die Aussage der A nicht falsch, weil sie selber glaubte, die Wahrheit zu sagen; c) Betrachtet man eine Aussage als falsch, die zustandegekommen ist, weil der Aussagende sein Wissen nicht überprüft hat (Pflichttheorie), so war die Aussage der A falsch, wenn sie nicht sorgfältig von A überdacht worden war. Sodann muß sich der Bearbeiter mit den verschiedenen Meinungen auseinandersetzen, indem er darlegt, aus welchen Gründen ihm welche Theorie am besten erscheint.
Kommen hingegen bei einer Streitfrage sämtliche „Theorien" zu demselben Ergebnis, so braucht der Verfasser die Theorien nidit im einzelnen darzulegen, sondern kann nur kurz mitteilen, daß es verschiedene „Theorien" gibt, die hier aber jeweils zu dem gleichen Ergebnis kommen. Eine Auseinandersetzung ist sodann nicht nötig. Daraus folgt: Immer dann, wenn verschiedene Lehrmeinungen, d. h. Rechtsmeinungen ein unterschiedliches Ergebnis begründen, muß der Verfasser sich für die eine und gegen die andere Meinung entscheiden. — Alternativentscheidungen über Rechtsfragen sind unzulässig! 9. Vorgehen, falls mehrere Personen beteiligt sind. Stehen die Verhaltensweisen mehrerer Personen in Frage, so ist stets mit der Person zu beginnen, die der Tatausführung am nächsten steht, d. h. am ehesten mit demjenigen, der die Tat mit eigener Hand ausführt. Sodann ist das Verhalten weiterer beteiligter Personen nacheinander zu erörtern. a) Es ist absolut unzulässig, das Verhalten mehrerer Personen zugleich zu untersuchen. Von dieser Regel gibt es nur eine einzige Ausnahme, wenn mehrere Personen nämlich im Sachverhalt wie eine einzige Person geschildert werden. Es heißt z. B.: „A und B steigen bei C ein, nehmen eine bewegliche Sache weg, entfernen sich und bringen die Sache zu einem Hehler, dem sie sie für 50,— DM verkaufen."
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen
In diesem Falle ist überhaupt nidit auszumachen, welche Einzelhandlungen A bzw. B begangen hat. Audi eine Trennung nach der subjektiven Einstellung ist nicht möglich. Hier ist es einmal erlaubt, zwei Personen zugleich zu prüfen. b) Streben mehrere Personen bei zweiaktigen Delikten (z. B. Raub, § 249 StGB) den Erfolg arbeitsteilend an, z. B. A hält den B fest, während C ihm die Brieftasche wegnimmt, so empfiehlt es sich, gleichfalls mit einer Person zu beginnen und an dem Punkte, wo das Verhalten der anderen Person aktuell wird, kurz darzulegen, daß beide Personen einen bestimmten Erfolg (die Wegnahme unter Gewaltanwendung) arbeitsteilend anstreben, und der erste Täter sich daher das Handeln des zweiten zurechnen lassen muß, um sodann kurz zu prüfen, was der zweite Täter vollbracht hat. Vergleidie dazu Referendarhausarbeit: Ausführungen zur Mittäterschaft bei Betrug und Urkundenunterdrükkung. c) Bei der Prüfung einer mittelbaren Täterschaft ist zunächst das Verhalten der ausführenden Person (Werkzeug) zu würdigen. Nach Abschluß dieser Prüfung ist darzulegen, warum der Hintermann das Werkzeug derart beherrscht hat, daß er als Täter anzusehen ist. Vgl. dazu Referendarklausur 1: Spargelfall. d) Niemals kann Anstiftung oder Beihilfe vor der Haupttat geprüft werden. Das verbietet der Grundsatz der Akzessorietät. Hat der Bearbeiter die Handlungen einer Person X erörtert, und taucht nun die Frage der Anstiftung oder Beihilfe der Person X zu Handlungen einer anderen Person Y auf, so ist die Erörterung von X abzubrechen. Nach Feststellung der Taten des Haupttäters ist sodann mit der Prüfung des Verhaltens von X fortzufahren. Stets ist mit der Prüfung der Mittäterschaft zu beginnen, wenn Mittäterschaft, Beihilfe und Anstiftung in Betracht kommen, denn die Mittäterschaft zehrt die schwächeren Formen der Teilnahme auf. e) Aus der Akzessorietät der Teilnahme ergibt sich auch, daß es nicht den Tatbestand einer Anstiftung bzw. Beihilfe
Aufbausdiemata
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an sich geben kann. Genauso, wie es keine Mittäterschaft schlechthin, sondern nur Mittäterschaft bei einem Totschlag, Mord, Raub usw. geben kann, gibt es nur Anstiftung bzw. Beihilfe zu einer Straftat (Haupttat), z. B. zum Totschlag, Mord, Raub usw. Schema für die Teilnahmeprüfung unter E VI. 10. Konkurrenzen Die Fallbearbeitung endet mit dem Abschnitt „Konkurrenzen". Hier hat der Bearbeiter geschlossen darzulegen, welche strafbaren Handlungen von den einzelnen im Fall genannten Personen begangen worden sind, und wie diese Handlungen im Verhältnis zueinander stehen: Idealkonkurrenz, Realkonkurrenz, Gesetzeskonkurrenz: (Konsumtion, Subsidiarität, Spezialität). Ausführungen zur Strafhöhe sind unstatthaft. Um über das Strafmaß entscheiden zu können, müßte der Bearbeiter den Täter kennen und sehr viel mehr wissen, als der knappe Sachverhalt sagt. In den Übungs- oder Examenssadiverhalten begegnen dem Bearbeiter nur Pappfiguren. Aus dem gleichen Grunde ist nicht zu entscheiden, ob unbenannte Strafsdiärfungs- oder -milderungsgründe vorliegen, d. h. ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist oder mildernde Umstände gegeben sind. — Einzugehen ist hingegen auf die Frage, ob ein Regelfall i. S. des § 243 StGB vorliegt.
E. Aufbauschemata I. Derzeitig erörterte Vorschläge zum Aufbau der
Erfolgsdelikte
1. Das vorsätzliche Erfolgsdelikt Die Frage des Aufbaues der einzelnen Deliktsprüfung ist leider nach wie vor umstritten. Je nachdem, ob man der „finalen" oder „kausalen" Lehre anhängt, ergeben sich weitreichende Konsequenzen für den Deliktsaufbau. a) Aufbau nach h. L. (final orientiert): aa) Tatbestand aaa) Obj. Tatbestand: Hat der Täter den Erfolg i. S. der Äquivalenztheorie verursacht? — Weitere obj. Merkmale des Tatbestands.
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafrechtsfällen
bbb) Subj. Tatbestand: Vorsatz und sonstige im Tatbestand genannte subj. Merkmale, z. B. besondere Absichten, bb) Reditfertigungsgründe. cc) Schuld. b) An aa) bb) cc)
der kausalen Handlungslehre Obj. Tatbestand Reditfertigungsgründe Schuld
orientierter
Aufbau
aaa) Vorsatz bbb) sonstige Scliuldelemente. 2. Das vorsätzliche
unechte
Unterlassungsdelikt
a) Ist ein gesetzlich mißbilligter Erfolg eingetreten? b) Hat der Täter die Abwendung dieses Erfolgs unterlassen? aa) Bestand eine objektive Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden? bb) Hätte das Eingreifen des Täters den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet? c) Hatte der Täter eine Erfolgsabwendungspflidit (Garantenstellung)? d) Rechtfertigungsgründe e) Kannte der Täter die Tatsachen, die die Erfolgsabwendungspflicht begründen? f ) Schuld 3. Das fahrlässige
Erfolgsdelikt
(h. M.)
a) Erfolg verursacht? b)
Vermeidepflichtverletzung aa) Obj. Vorhersehbarkeit bb) Obj. Sorgfaltspflichtverletzung
c) Schuld aa) Subj. Vorhersehbarkeit bb) Subj. Sorgfaltspflichtverletzung
Aufbausdiemata
4. Das fahrlässige unechte
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Unterlassungsdelikt
Wie Aufbauschema unter 2., doch unter e) heißt es: e) H ä t t e der T ä t e r die Tatsachen erkennen können, die die Erfolgsabwendungspflicht begründen?"
II. Die Grenzen dieser
Aufbauschemata
1. Jedes Aufbauschema ist ein Denkschema, d. h. es soll die Prüfung des Sachverhalts dadurch erleichtern, daß der Bearbeiter zum schrittweisen Vorgehen in einer Weise gezwungen wird, die es ihm ermöglicht, etwaige Probleme eines Falles zu erkennen und in einem vernünftigen Zusammenhang zu erörtern. Dies wird sich auch beim Niederschreiben der Erkenntnisse auswirken, doch wäre es verfehlt, stets sklavisch an das Schema gefesselt, die Sachverhaltsprüfung zu Papier zu bringen. N u r im Tatbestand jener Erfolgsdelikte, die die Herbeiführung des Erfolgs recht farblos beschreiben (z. B . „wer einen Menschen tötet"), ist das Schema — gleichgültig, welchem konkreten Schema gefolgt wird, — durchzuhalten. In den meisten Tatbeständen ist die Rechtsgutsverletzung in einem weit f a ß licheren Sinnzusammenhang beschrieben, so daß die Beschreibung der Erfolgsherbeiführung schon eine ausschließliche Argumentation von der „Kausalität" des Täters oder der Möglichkeit des Täters, einen bestimmten E r f o l g zu vermeiden, verbietet. Zum Beispiel: Heißt es im Sachverhalt: A nennt den B einen „krummen Hund", so wäre es durchaus verfehlt, die Prüfung der Frage, ob A den B beleidigt hat, mit der Erwägung zu beginnen, durch das öffnen seines Mundes und das Ingangsetzen von Schallwellen sei A kausal geworden dafür, daß das Ohr des B bestimmte Schallwellen empfangen habe usw. usf. — Gleichfalls verfehlt wäre es jedoch nach Feststellung, daß die Bezeichnung „krummer Hund" eine Minderung des sozialen Geltungsansprudis des B darstelle und daher als Beleidigung (Verletzung des Rechtsguts Ehre des B) anzusehen sei, Ausführungen darüber zu machen, daß A eine Gefahr für das Reditsgut des B dadurch begründete, daß er eine bestimmte Bewegung der Schallwellen verursachte usw. usf. Zur Vertiefung: Wie steht es in dieser Beziehung z. B. mit den Begriffen „ein-
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafreditsfällen dringen" in § 123, „wegnehmen" in § 242, „Urkunde herstellen" in § 267?
2. M i t dem final orientierten Aufbauschema w i r d m a n in den meisten Fällen recht gut zurechtkommen. Es h a t jedoch seine Grenzen: a) Beim Vorliegen eines I r r t u m s über die tatsächlichen V o r aussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ist das Schema n u r f ü r einen A n h ä n g e r der strengen Schuldtheorie ohne Ä n d e r u n g akzeptabel, denn da der Vorsatz sich im Wissen u n d Wollen des objektiven Tatbestandes erschöpft, k a n n der I r r t u m f ü r den Vorsatz nicht mehr beachtlich sein. Die abschließende Bejahung des Vorsatzes vor der P r ü f u n g des I r r t u m s ist daher kein Mangel, sondern im R a h m e n der strengen Schuldtheorie ein Vorzug. Wer sich hingegen nicht zur strengen Schuldtheorie bekennt, w i r d das Schema a b ä n d e r n müssen, u m sich den Einstieg in die Irrtumsproblematik, die d a n n im wesentlichen eine Problematik des Vorsatzes ist, offenzuhalten. E r w i r d den Vorsatz erst nach der Rechtswidrigkeit erörtern. D a s ist kein logischer Bruch in der G e d a n k e n f ü h r u n g , denn a u d i ein unvorsätzliches (z. B. fahrlässiges) Verhalten k a n n rechtswidrig sein. Vgl. dazu Anfängerhausarbeit: Kirmesfall. b) Keinen rechten P l a t z bietet das Aufbauschema f ü r die E r ö r t e r u n g der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs (Rechtswidrigkeitszusammenhangs, V e r a n t w o r t u n g s z u sammenhangs), obwohl t r o t z Ablehnung des alten Regreßverbots die Problematik nach wie v o r diskutiert wird. Beispiel: A hat dem B Gift beigebracht. Bevor das Gift wirkt, eilt er zu B, um ihn mit einem Gegenmittel zu retten. B lehnt die Rettung ab, weil er seit langem zum Selbstmord entschlossen war. B stirbt. Überlegung: Kausal für den Tod des B war A. Er hat den Tod audi (zunächst) gewollt. Seine Umkehr könnte jedoch nur dann für ihn günstige Folgen haben, wenn ihm der Tod des B nicht zuzurechnen wäre, weil der Zurechnungszusammenhang zwischen auslösendem Moment und Erfolg auf Grund des Verhaltens des B unterbrochen worden wäre.
Aufbauschemata
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Eingehend zur grundsätzlichen Diskussion der Problematik: Otto, Kausaldiagnose und Erfolgszurechnung im Strafrecht, Maurach-Festschrift 1972, S. 91—105; Lenckner, Probleme beim Rücktritt des Beteiligten, Gallas-Festsdir., 1973, S. 281 ff, insbes. S. 292 mit Anm. 32; Roxin, Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschr., 1973, S. 241 ff, insbes. S. 248 mit Anm. 25. — Lenckner, a.a.O., verkennt das Prinzip der Steuerbarkeit, das immer auf ein (noch) Mögliches gerichtet ist. Steuerbar ist das Verhalten auch für einen Täter nadi beendetem Versudi, wenn er noch über die Möglichkeit verfügt, die Rechtsgutsverletzung zu verhindern. Verliert er diese Möglichkeit, oder gibt er sie bewußt aus der Hand, endet seine Herrschaft über das Geschehen. Keineswegs endet die Herrschaft jedoch grundsätzlich mit der Beendigung des Versuchs. — Im übrigen vgl. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1972, § 28 I I I ; Schmidhausen Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1970, 8/54; Wessels, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1973. U m diese Fälle in den Griff zu bekommen, ist eine Modifizierung der Aufbauschemata nötig. Vgl. dazu: Anfängerklausur 4 : Kassiererfall. c) Gleidies gilt für die Fälle der Risikoverminderung durch den „Täter" Beispiel: A, der großen Zorn auf B hat, will diesen mit der Axt erschlagen. C versucht, dieses zu verhindern. Es gelingt ihm schließlich, den A zu überreden, die Sache mit einigen Ohrfeigen abzutun, denn ganz kann C den A nicht besänftigen. A versetzt dem B einige Ohrfeigen. Frage: A hat eine Körperverletzung an B begangen. § 223 StGB. — Hat C ihn hierzu angestiftet? Überlegung: Der C hat den A durch Überredung zu dieser Körperverletzung bestimmt. Ihn als Anstifter zu dieser Körperverletzung haften zu lassen, wäre jedoch grob verkehrt. Macht man sich auf Grund derartiger Überlegungen klar, daß das Essentiale für die Haftung aus einem Erfolgsdelikt nidit die „Kausalität" des Täters für den Erfolg ist, sondern die Begründung oder Erhöhung eines Risikos für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter eines anderen, so müssen diese Lösungen vom „Kausalitätsdogma" und das Bekenntnis zum
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Anleitung zur Bearbeitung von Strafreditsfällen
Risikoerhöhungsprinzip auch im Deliktsaufbau zum Ausdruck kommen. Dazu mit eingehender Literaturangabe: Otto, Mauradi-Festsdirift, a.a.O., S. 91—105. — Zur Weiterführung der Diskussion: Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 145; Stratenwerth, Gallas-Festsdir., a.a.O., S. 227 ff.
d) Werden Risikoerhöhungsprinzip und Zuredinungszusammenhang als Grundlagen der strafrechtlichen Haftung anerkannt, so ist es möglich, ein einheitliches Schema für das vorsätzliche und fahrlässige Erfolgsdelikt durch Begehen und Unterlassen zu entwerfen, das gegenüber dem finalorientierten Schema der h. M. kein neues, wohl aber ein modifiziertes Aufbauschema darstellt. III.
Das modifizierte
Aufbauschema:
Einheitliches Aufbauschema für das vorsätzliche!fahrlässige gehungs- und unechte Unterlassungsdelikt
Be-
1. Ist die im Tatbestand beschriebene Rechtsgutsbeeinträchtigung eingetreten? — Sonstige obj. Merkmale des Tatbestands? 2. Beruht der Erfolg auf der Verletzung durch X ?
einer
Vermeidepflicht
a) Verfügte X über die Möglichkeit, den Erfolg zu vermeiden? b)
Zurechnungsgrund? aa) Begehungsdelikt: Hat X eine Gefahr für das Rechtsgut begründet oder erhöht? bb) Unterlassungsdelikt:
c)
Garantenstellung des X ?
Zurechnungszusammenhang? aa) Begehungsdelikt: Realisierte sich in der Beeinträchtigung des Rechtsguts die von X begründete oder erhöhte Gefahr, die seiner Steuerbarkeit unterlag, oder eine andere Gefahr? bb) Unterlassungsdelikt: Realisierte sich in der Verletzung des Rechtsguts jene Gefahr, die X aufgrund seiner Garantenstellung abzuwenden verpflichtet war?
Aufbauschemata
d) Subjektive
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Merkmale:
aa) Vorsatzdelikt: Kannte X den Sachverhalt — mit Ausnahme etwaiger obj. Bedingungen der Strafbarkeit —, bzw. war er sich zumindest der konkreten Gefahr für das Rechtsgut bewußt? bb) Fahrlässigkeitsdelikt: Hatte X bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen? e) Pflichtbegrenzende Merkmale: Verlangte die Rechtsgesellsdiaft in dieser Situation ein anderes Verhalten vom Täter? (Sorgfaltspflichtverletzung, insbes. Prüfung von Rechtfertigungsgründen) ? aa) Obj. Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes? bb) Subj. Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes? f) g)
Täterschafts}ragen Unrechtsbewußtsein aa) Vorsatzdelikt: Bewußtsein der Sozialschädlichkeit? bb) Fahrlässigkeitsdelikt: Möglichkeit des Täters, sich der Sozialschädlichkeit des Verhaltens bewußt zu werden?
3. Schuld a) Entschuldigungsgründe, Verbotsirrtum, Zumutbarkeit. Anmerkungen zum Aufbauschema: a) Die hier vorgeschlagene Aufbaumethode versucht den Aufbau nicht von einer bestimmten Lehre her zu rechtfertigen, sondern den sachgerechtesten Weg zu weisen. Sie ist insoweit „final" orientiert, als das Wissen und Wollen der Verwirklichung der Merkmale des objektiven Tatbestandes im subjektiven Tatbestand erörtert wird (damit liegt für die Anhänger der finalen Lehre bereits der Vorsatz vor), sieht jedoch im Bewußtsein der Sozialschädlichkeit (materielles Unrechtsbewußtsein) ein Unrechtselement. Wer dem nicht folgen will, kann das Schema durch eine kleine Modifizierung seiner Überzeugung anpassen. Im übrigen gilt — und das ist am besten an den ausgearbeiteten Fallösungen im Teil 2 dieser Einführung in der Fallerarbeitung sichtbar —, daß Deliktsprüfungen, die im wesentlichen ohne Probleme 3 O t t o , Ü b u n g e n im S t r a f r e d i t
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Anleitung zur Berarbeitung von Strafrechtsfällen
sind oder ihre Problematik in einzelnen Tatbestandsmerkmalen finden, durchaus überzeugend nach dem Schema der h. M.: 1. Tatbestand a) Obj. Tatbestand b) Subj. Tatbestand, incl. Vorsatz 2.
Rechtswidrigkeit
3. Schuld dargestellt werden können. Wichtig ist nur, daß der Bearbeiter weiß, daß dieses Schema nicht der alleinige Weg zur Erkenntnis ist, sondern daß das Schema in problematisdien Fällen (Irrtumsfälle, Risikoverringerung, Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs) nicht ausreicht, sondern durch das kompliziertere, der Struktur des Delikts gemäße Schema ersetzt werden muß. b) Zu beachten ist jedoch beim Aufbauschema der h. L., daß sich hinter ihm unkenntlich jenes Problem verbirgt, das unter den Stichworten: „zweistufiger oder dreistufiger Verbrechensaufbau" bekannt geworden ist. Im Regelfall wird diese Problematik in der Fallbehandlung nicht relevant, denn gleichgültig, ob man von der Richtigkeit eines dreistufigen Verbrechensaufbaus (Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld sind je voneinander scharf zu trennende selbständige Elemente des Verbrechens) oder der eines zweistufigen Verbrechensaufbaus (Tatbestand und Rechtswidrigkeit sind zwar pädagogisch trennbar, bilden jedoch sachlich eine Einheit als Unrechtstatbestand, der mit der Schuld die beiden Elemente des Verbrechens darstellt) ausgeht, die Deliktsprüfung beginnt mit der Erörterung der Rechtsgutsverletzung (Tatbestand) und wendet sich dann der Frage zu, ob diese Verletzung pflichtwidrig geschah (Rechtswidrigkeit). In einer Fallkonstellation muß der Bearbeiter jedoch Stellung zum Deliktsaufbau beziehen, nämlich in Fällen, in denen der Täter nicht weiß, daß für sein Verhalten die objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorliegen. Hier kommt es „zum Schwur".
Aufbausdiemata
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aa) Beispiel 1: Der Förster F will den Wilderer W erschießen, weil er sich über dessen Treiben geärgert hat. Eines Tages sieht er ihn hinter einem Busch sitzen. Er reißt die Flinte hoch und schießt. W wird tödlich getroffen. — Später stellt sich heraus, daß W seinerseits den F erschießen wollte. Er hatte gerade angelegt, als F schoß. Hätte F auch nur eine Sekunde gewartet, wäre er selbst erschossen worden. bb) Beispiel 2: Der Arzt A nimmt aus Gefälligkeit an der schwangeren S eine Abtreibung vor. Nach der Abtreibung stellt sich heraus, daß diese gerechtfertigt gewesen war, weil Austragung der Leibesfrucht und Geburt die S in Lebensgefahr gebracht hätten. cc) In beiden Fällen fehlt das sog. subj. Rechtfertigungselement (Verteidigungswille bzw. Kenntnis der rechtfertigenden Lage). dd) Geht man davon aus, daß Tatbestand und Rechtswidrigkeit voneinander unabhängige Elemente sind und die Rechtswidrigkeit nur ausgeschlossen ist, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, d. h. sämtliche seiner Begriffsmerkmale gegeben sind, so muß man das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes verneinen. Ergebnis: Der Täter hat tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, er ist wegen eines vollendeten Delikts strafbar. ee) Sieht man den Unrechtstatbestand als eine Einheit aus subj. und obj. Tatbestands- und Rechtfertigungselementen, so fehlt es an einem dieser Elemente. Der Unrechtstatbestand des entsprechenden Delikts (Tötung bzw. Abtreibung) liegt nicht vor, eine Bestrafung wegen vollendeter Tötung oder Abtreibung ist nicht möglich. Da der Täter aber seinen verbrecherischen Willen in einer Ausführungshandlung manifestiert hat, liegt ein (untauglicher) Tötungs- bzw. Abtreibungsversuch vor. ff) Wer schließlich die Ansicht vertritt, subjektive Rechtfertigungselemente gebe es überhaupt nicht (obj. Unrechtslehre, bis 1930 h. L.), kommt — gleichgültig, wie
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Anleitung zur Berarbeitung von Strafrechtsfällen
er aufbaut — zu einem Freisprach, denn objektiv war das Verhalten der Täter gerechtfertigt. c) Die Entscheidung soll dem Bearbeiter nicht vorgezeichnet werden, möge er unabhängig entscheiden, welcher Verbrechensaufbau ihm am sachgerechtesten erscheint. — Den Fallösungen im 2. Teil der Anleitung liegt der zweistufige Verbrechensaufbau zugrunde. IV. Das erfolgsqualifizierte
Delikt
1. BGHSt 24 S. 213 f f : Prüfungsfolge: a) Unrechtstatbestand (inkl. Vorsatz) des Grunddelikts, b) Besonderer Erfolg mindestens fahrlässig herbeigeführt, d. h. war der Erfolg vorhersehbar für den Täter? — § 18 (§ 56 StGB a.F.) StGB. c) Schuld 2. Soweit gefordert wird, daß der besondere Erfolg auf der Realisierung der dem Grundtatbestand typischen Gefahr beruht, so daß der Grundtatbestand mehr sein muß als conditio sine qua non für den Erfolg: a) Unrechtstatbestand (inkl. Vorsatz) des Grunddelikts b) War der besondere Erfolg (mindestens) vorhersehbar für den Täter? —• § 18 (§ 56 StGB a. F.) StGB. c) Stellt sich der bes. Erfolg als Realisierung einer der Verwirklichung des Grundtatbestandes im konkreten Fall typischen Gefahr dar? d) Schuld. V. Das versuchte
Erfolgsdelikt
1. Bevor Erörterungen zur Frage gemacht werden, ob der Täter ein bestimmtes Delikt versucht hat, ist darzulegen, daß ein vollendetes Delikt nicht vorliegt. Es ist daher mit der Prüfung des vollendeten Delikts zu beginnen. Diese ist abzubrechen, nachdem feststeht, daß der obj. Tatbestand nicht erfüllt ist. In offensichtlichen Fällen kann dieses mit einem einzigen kurzen Satz geschehen. 2. Ist der obj. Tatbestand eines Delikts nicht erfüllt, so ist als erstes zu prüfen, ob der Versuch dieses Delikts überhaupt straf-
Aufbausdiemata
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bar ist. Bei Verbrechen stets, bei Vergehen nur, wenn besonders genannt. Steht fest, daß der Versuch des betreffenden Delikts strafbar ist, so beginnt die sachliche Erörterung des Versuchs. 3. Zu prüfen ist sodann, a) ob der Täter den Entschluß gefaßt hatte, ein bestimmtes Delikt zu begehen, d. h. ob er bewußt den obj. Tatbestand eines Delikts erfüllen wollte und auch evtl. geforderte subj. Einstellungen zu dem Geschehen hatte (z. B. Zueignungsabsicht, Bereicherungsabsicht usw.). — Beim unechten Unterlassungsdelikt ferner Bewußtsein der Garantenstellung erforderlich. b) H a t der Täter diesen Entsdiluß durch Handlungen betätigt, welche einen Beginn der Ausführung darstellen? c) Rechtfertigungsgründe d) Täterschaftsfragen e) Bewußtsein der Sozialschädlichkeit f ) Schuld 4. Sachgerechter ist es allerdings, die Elemente a), c), d), e) zusammengefaßt unter der Fragestellung, ob der Täter den Unrechtstatbestand eines bestimmten Delikts verwirklichen wollte, zu erörtern. — Das Auseinanderziehen der einzelnen Elemente — wie es die h. M. tut — fördert jedoch die Übersichtlichkeit. V/. Anstiftung 1.
und Beihilfe
Anstiftung a) Haupttat (Unrechtstatbestand, d. h. tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat des Haupttäters). b) Bestimmen des Haupttäters zum Tatentschluß i. S. des § 26 (§ 48 StGB a. F.) StGB. c) Vorsatz des Anstifters (besser: Kenntnis des Anstifters): aa) in bezug auf die vom Haupttäter ausgeführte Tat bb) in bezug auf das Bestimmen des Haupttäters gerade zu dieser Haupttat.
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Anleitung zur ¡Verarbeitung von Strafrechtsfällen
2. Beihilfe a) Haupttat (s. o. bei Anstiftung) b) Förderung der Haupttat durch Rat oder Tat derart, daß das Risiko für die bedrohten Rechtsgüter des Opfers erhöht wird, § 27 (§ 49 StGB a. F.) StGB. c) Vorsatz (besser: Kenntnis) aa) in bezug auf die vom Haupttäter ausgeführte Tat bb) in bezug auf die eigene Förderung gerade dieser Tat. VII. Actio libera in causa 1. Zutreffend hat H . Mayer einmal die „actio libera in causa" als den Fall einer mittelbaren Täterschaft des Täters durch sich selbst bezeichnet: Der Täter will eine bestimmte Tat begehen, versetzt sich in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit und führt jetzt die Tat aus. — In diesem Fall wird dem Täter auf Grund des verantwortlichen In-Gang-Setzens des Geschehens der Erfolg so zugerechnet, als habe er ihn vollverantwortlich verwirklicht. 2.
Deliktsaufbau: a) Zunächst ist der verwirklichte Tatbestand zu erörtern (z. B. § 212 StGB). b) Im Rahmen der Schuldprüfung ist festzustellen, daß der Täter im Zeitpunkt der Tatvornahme unzurechnungsfähig war. c) Nunmehr ist — wenn Anhaltspunkte im Sachverhalt dafür gegeben sind — die Frage nach der „actio libera in causa" aufzuwerfen, d. h. die Frage danach, ob der Täter wie ein zurechnungsfähiger Täter haftet, weil er das Geschehen vollverantwortlich in Gang gesetzt hat und sich daher auf seine Unzurechnungsfähigkeit nicht berufen kann. Liegt eine actio libera in causa auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten vor, so ist aus dem verwirklichten Tatbestand zu strafen. Ist dies nicht der Fall, so ist auf § 330a StGB einzugehen (vgl. unter VIII).
Aufbauschemata
3.
39
Anmerkung: Vieles spricht dafür, daß die „actio libera in causa" nur als vorsätzliche „actio libera in causa" erörterungswürdig ist. — Die in der Literatur erwähnte fahrlässige „actio libera in causa" ist ohne eigenständige Bedeutung. Sie wird im Rahmen der Sorgfaltspflicht bei der Prüfung des Fahrlässigkeitsdelikts abgetan, indem nämlich der Moment des sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens u. U. in den Zeitraum verlegt wird, in dem der Täter vollverantwortlich war. — Ist dies im Rahmen der Sorgfaltspflichtprüfung nicht möglich, so hilft auch die Konstruktion der „actio libera in causa" nicht.
VIII. Die Rauschtat, § 330a StGB 1. Bei der Deliktsprüfung ist nicht mit § 330a, sondern mit dem Tatbestand zu beginnen, der im Vollrausch verwirklicht wurde (z. B. §§ 223, 212, 303 StGB). 2. Nachdem in der Sdiuldprüfung festgestellt worden ist, daß der Täter z. Z. der Tat unzurechnungsfähig i. S. des § 20 StGB ( § 5 1 1 StGB a. F.) war, ist — wenn Anhaltspunkte im Sachverhalt vorliegen — auf das Vorliegen einer actio libera in causa einzugehen (dazu vgl. unter VII). 3. Sind keine Anhaltspunkte f ü r eine actio libera in causa gegeben, oder hat der Bearbeiter das Vorliegen einer actio verneint, ist nunmehr mit der Prüfung des § 330a zu beginnen, indem der Bearbeiter darlegt, der Täter habe im Vollrausch (hierfür kann er auf die oben durchgeführte Schuldprüfung verweisen) eine Straftat begangen (wiederum Verweisung nadi oben), anschließend folgt die Prüfung der übrigen Merkmale des § 330a StGB. IX. Die
Wahlfeststellung
N u r aktuell, wenn Beweiszweifel endgültig nicht ausräumbar! 1. Zunächst ist im Rahmen der gewöhnlichen Deliktsprüfung darzulegen, daß je nachdem, ob die Tatsache X oder die Tatsache Y als richtig unterstellt wird, der Täter das Delikt V oder W begangen hat. Beispiel: Im Sachverhalt heißt es: Vor der Firma B werden 3 Fernsehgeräte von einem K f z abgeladen. Während der Fahrer
40
Anleitung zur Berarbeitung von Strafrechtsfällen F und B das erste Gerät in den Laden tragen, verschwindet eines der beiden anderen Geräte. B und F bringen schnell den letzten Apparat in das Geschäft, sichern dieses und begeben sich auf die Verfolgung des Täters. Sie erwischen einige Straßen entfernt den A, der schwer an einem Fernsehgerät der Art, wie es dem B abhanden gekommen ist, schleppt. — Vor Gericht bekundet A, er habe diesen Apparat von einem Passanten für 5 0 , — D M gekauft, während manches dafür spricht, daß er selbst den Apparat weggenommen hat. Das Gericht kann nicht mit letzter Sicherheit feststellen, welcher Sachverhalt der richtige ist.
Der Bearbeiter hat nunmehr dem Leser durch sorgfältige Subsumtion zu zeigen: H a t A den Apparat selbst fortgenommen, so hat er sich eines Diebstahls, § 242 StGB, schuldig gemacht, hat er ihn angekauft, so wäre er wegen Hehlerei, § 259 StGB, strafbar. 2. Anschließend ist darzulegen, daß die beiden in Frage stehenden Delikte nicht in einem Stufenverhältnis, z. B. im Verhältnis Grundtatbestand zur Qualifikation oder Privilegierung stehen (sonst in dubio pro reo). 3. Jetzt erst ist zu prüfen, ob die Wahlfeststellung in dem konkreten Fall überhaupt zulässig ist (Theorienstreit). 4. Nachdem die Zulässigkeit der Wahlfeststellung bejaht ist, ist darzulegen, daß der Täter wegen z. B . eines Diebstahls oder einer Hehlerei in Wahlfeststellung zu bestrafen ist, wobei die Strafe unter Anwendung des Grundsatzes in dubio mitius dem mildesten Gesetz, hier § 259, zu entnehmen ist.
F. Der Aufbau der Klausur I.
Formalien:
Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Stil und Sprache der Ausführungen korrekt, klar und knapp zu halten sind, die Schrift leserlich. Es ist darauf zu achten, daß ein hinreichender Rand für Korrekturen gelassen wird (mindestens 1 /s des B o gens). Es empfiehlt sich, die Seiten nur einseitig zu beschreiben, denn für den Fall, daß der Bearbeiter größere Änderungen
Der Aufbau der Klausur
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vornehmen will, lassen sich um so leichter ganze Seiten austauschen. Die Arbeit hat auf der ersten Seite den Namen, die Studienanschrift und die Semesterzahl des Bearbeiters zu enthalten. Weiter ist die Übung, in deren Rahmen die Arbeit geschrieben wird, genau zu kennzeichnen und anzugeben, bei wem diese belegt ist, z. B.: Friedridi Müller 355 Marburg Gisselberger Straße 10 2. Semester. Übungen
im Straf recht für bei Prof. Dr.
Anfänger
X.
SS 1974 1.
Klausur
Diesen Angaben folgt der Text der Aufgabe (Fall) und anschließend das Gutachten. Die Arbeit ist zu unterschreiben. Eine Gliederung ist einer Klausur nicht vorauszustellen. II.
Sachliches:
Die Tatsache, daß eine Gliederung der Arbeit nicht voranzustellen ist, bedeutet nicht, daß eine Gliederung überflüssig ist. Mit der sorgfältigen gedanklichen Gliederung des Sachverhalts beginnt vielmehr die Arbeit an der Klausur. Sie ist Voraussetzung jeder ordentlichen Klausur. — Ist die gedankliche Gliederung erfolgt, so ist eine Lösungsskizze zu entwerfen, in der der Verf. sich über seine Ausführungen klar wird und die gröbsten Punkte kurz skizziert. Die Skizze sollte nicht länger sein als eine D I N A 4-Seite. Das größte Problem der Klausur ist nämlich das Zeitproblem. Wer zunächst eine vollständige „Kladde" anfertigt, kommt zwangsläufig in Zeitnot. Schlechte Schrift, Auslassungen und eine unvollständige Reinschrift sind die Folge. Wer sogleich nach kurzem Blick mit der „Reinschrift" beginnt, endet nicht besser. Flickwerk, Ergänzungen, Durchstreichungen, Wider-
42
Anleitung zur Berarbeitung von Strafrechtsfällen
Sprüche, kurz das Ergebnis eines gedanklichen Durcheinanders, sind unumgänglich. Richtig hingegen ist es, etwa der zur Verfügung stehenden Zeit zur Anfertigung einer Lösungsskizze zu benutzen, in der die Gedanken geordnet, Probleme skizziert und schwierige Problemlösungen auch bereits wörtlich ausgearbeitet werden. In dieser Lösungsskizze sind die Gedanken nach Personen und Handlungsabschnitten zu ordnen, die zu erörternden §§ aufzunehmen und hierbei die wesentlichen Tatbestandsmerkmale bereits aufzuzählen, wobei der Bearbeiter kenntlich macht, ob das Merkmal s. E. gegeben ist oder nicht, bzw. im Zweifelsfalle, welche Argumente für seine Lösung sprechen. Im einzelnen dazu vgl. die Falldarstellungen im Teil 2 der Anleitung.
G. Der Aufbau der Hausarbeit I.
Formalien
1. Audi die Hausarbeit enthält zunächst die Personalien des Bearbeiters, die Kennzeichnung der Übung und den Text des Falles. Es folgen sodann die Gliederung, das Literaturverzeichnis, das Gutachten — möglichst in Maschinenschrift — und die Unterschrift. 2. Die Gliederung soll dem Leser auf einen Blick erkenntlich machen, unter welchen Gesichtspunkten (§§) der Bearbeiter die Strafbarkeit welcher Personen auf Grund welcher Verhaltensweisen geprüft hat. Enthält die Gliederung weniger, so ist nichts mit ihr anzufangen, so z. B. wenn in einem Fall, in dem der A verschiedene Handlungen vorgenommen hat, lediglich die Uberschrift „Strafbare Handlungen des A" und sodann ein Dutzend §§ zu finden sind. Enthält die Gliederung mehr, z. B. eine Aufgliederung der §§ nach obj. und subj. Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld, so wird sie zu umfangreich und nimmt die Ergebnisse vorweg. 3. Im Literaturverzeichnis ist diejenige Literatur anzugeben, die der Bearbeiter in seinem Gutachten zitiert, und zwar voll-
Der Aufbau der Hausarbeit
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ständig, d. h. alle verwerteten Lehrbücher, Grundrisse, Kommentare, Monographien, Dissertationen, Aufsätze in Zeitschriften, Festschriften und sonstigen Sammelwerken, Urteilsanmerkungen, Buchbesprechungen usw., dagegen nicht Urteile. Diese sind nur in den Anmerkungen zum Text zu zitieren. Das Literaturverzeichnis ist vernünftig zu ordnen, am besten durchgängig alphabetisch nach den Verfassern. Es ist für die Zwecke der Übung nicht unbedingt erforderlich, die Literatur in der jeweils neuesten Auflage zu benutzen. Man sollte sich jedoch bemühen, möglichst mit neuesten Auflagen zu arbeiten. 4. Selbständige Schriften (Lehrbücher, Kommentare, Monographien usw.) werden zitiert: Name des Verfassers (bei Verwechslungsgefahr auch der Vorname), Titel des Werkes, Auflage, Erscheinungsjahr, z. B.: Maurach, Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, 5. Auflage 1969. Der Erscheinungsort ist nur bei gänzlich unbekannten Werken anzugeben. Die Herausgeber eines Kommentars sind vollständig anzuführen. 5. Unselbständige Beiträge (Aufsätze in Zeitschriften, Festschriften und Sammelwerken o. ä., Urteilsanmerkungen, Buchbesprechungen) werden nach Verfasser, Titel oder sonstiger Kennzeichnung und Fundstelle angeführt, z. B.: Bockelmann, Wann ist der Rücktritt vom Versuch freiwillig?, N J W 1955, 5. 1417—1421; Schmidhäuser: Uber die Wertstruktur der Notwehr, in: Festschrift für R. M. Honig, 1970, S. 185—199. 6. Im Text des Gutachtens kann sodann unter Verweisung auf die allgemeinen Angaben im Literaturverzeichnis die Literaturangabe in der Fußnote gekürzt angegeben werden: z. B.: vgl. Maurach, a.a.O., S. 437, oder Bockelmann, N J W 1955, S. 1418. Sind mehrere Schriften der gleichen Verf. zitiert, so ist bei den Einzelzitaten ein klärender Hinweis nötig, z. B.: „Maurach, Lb., S. 437"; im Gegensatz zu „Maurada, JZ 1958, S. 458". 7. Entscheidungssammlungen brauchen nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt zu werden.
44
Anleitung zur Berarbeitung von Strafrechtsfällen
8. Eingehend dazu: Leser: Vom Umgang mit juristischer Literatur, 1971. — Im übrigen vgl. in Teil 2 der Anleitung: Hausarbeit in der Anfängerübung und Hausarbeit im Referendarexamen.
II. Sachliches 1. Die Hausarbeit unterscheidet sich von einer Klausur nicht in der Art, sondern im Umfang und der Gründlichkeit sowie der Pflicht, andere Ansichten möglichst umfassend zu belegen. An eine Hausarbeit ist daher genauso heranzugehen wie an eine Klausur: Den Beginn stellt die gedankliche Gliederung dar, die in der Lösungsskizze ihren unmittelbaren Niederschlag findet. Die Lösungsskizze sollte der Bearbeiter hier ruhig mit Hilfe eines Lehrbuchs oder des Kommentars von Lackner-Maassen anfertigen. Dabei wird er bereits die wesentlichen Problempunkte erkennen. 2. Nach Anfertigung der Lösungsskizze ist die genaue Überarbeitung der Lösung mit der Literatur zu empfehlen, wobei sehr wesentlich ist, darzustellen, warum ein bestimmtes Problem vorliegt, wie Lehre und Rechtsprechung die Lösung sehen (mit Zitaten!), und sodann in kritischer Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Auffassungen die eigene Meinung zu entwickeln und zu begründen. Die bloße Bezugnahme auf die herrschende Meinung oder andere Autoritäten genügt nicht. — Ausgetragene Probleme bedürfen einer solchen eingehenden Darstellung nicht. 3. Es ist dringend davor zu warnen, die Literaturarbeit zu beginnen, bevor die Lösungsskizze vollständig fertig ist. Vor dem ziellosen Exzerpieren in der Seminarbibliothek kann nicht eindringlich genug gewarnt werden. 4. Beim Zitieren ist TU beachten: a) Zitate sind nur bei Rechtsfragen sinnvoll. — Falsch: A hätte den Erfolg vorhersehen können (BGHSt 24 S. 215). — Der B G H hat sich nicht mit dem im Fall genannten A beschäftigt. b) Die Zitate müssen so genau sein, daß der Leser die Fundstelle ohne Schwierigkeiten finden kann.
Der Aufbau der Hausarbeit
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c) Wörtliche Zitate sind möglidist zu vermeiden. Sie sind allein angebracht, wenn es auf den Wortlaut der zitierten Stelle ankommt. In einem solchen Falle ist das wörtliche Zitat in Anführungszeichen zu setzen. d) Überflüssige Zitate sind zu vermeiden. Die Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung soll so vollständig wie möglich sein. Ein Literaturverzeichnis, das lediglich zwei oder drei Werke aufweist, steht selten einer guten Arbeit voran. Es gilt jedodi der Grundsatz: Selbstverständliches braucht nicht belegt zu werden. Wo das Gesetz eindeutig ist, bedarf es keiner Literatur.
2. T E I L
Einübung in die Fallbearbeitung Anfängerklausur Nr. 1: Bierkistenfall I.
Sachverhalt
A, der sich in der Gaststätte des X grob ungebührlich benommen hatte, ist von X und einigen Gästen aus der Tür gesetzt worden. Gerade rappelt er sich an einem vor der Tür stehenden Stapel von Bierkästen wieder hoch, als B ihm zuruft: „Zeig's ihnen, knall ihnen 'nen Kasten übern K o p f ! " A ergreift daraufhin voller Rachedurst einen Bierkasten, schwenkt ihn herum und schlägt ihn dem neugierig herbeigeeilten C, der mit der Sache überhaupt nichts zu tun hat, an den K o p f . C erleidet eine Gehirnerschütterung. 1. A glaubt nämlich, auch der C habe ihn mit aus der Gastwirtschaft befördert. Als er von seinem Irrtum erfährt, ist er sehr betrübt und versichert, er habe niemals einen am Hinauswurf Unbeteiligten treffen wollen. B ist geradezu entsetzt über die Verletzung des C, mit dem er gut befreundet ist. 2. A weiß, daß C nicht zu seinen Widersachern gehört. Er wollte den X treffen, hat aber beim Ausschwenken des Kastens die Entfernung zu C falsch eingeschätzt und diesen daher versehentlich getroffen. Haben A und B sich strafbar gemacht?
II.
Überlegungen auf dem "Wege zur Fallösung
1. Der Sachverhalt enthält zwei voneinander unabhängige Varianten. Jede dieser Varianten ist daher als eigenständiger Fall zu behandeln.
Anfängerklausur Nr. 1: Bierkistenfall 2.
47
Erste Alternative:
a) Zu beginnen mit A, da dieser am tatnächsten und dem B mehr die Rolle eines Teilnehmers zuzukommen scheint. (Grundsatz der Akzessorietät!) b) In Betracht kommen bei A: §§ 223, 223a, bei B : SS 26/223, 223a StGB (§S 48/223, 223a StGB a. F.), §§ 30/223, 223a StGB ( S S 49a, 223, 223a StGB a. F.), § 230 3.
Zweite Alternative:
a) Zu erörtern bei A: §§ 223, 223a, 230 StGB — Versuchte Körperverletzung gegenüber X nicht strafbar. b) Zu erörtern bei B : Anstiftung zur Körperverletzung, falls bei A vorsätzliche Körperverletzung bejaht wird, sonst § 230 StGB.
III. A.
Lösungsskizze Erste Alternative
1.
Strafbarkeit
des A wegen
a)
§§ 223, 2 2 3 a StGB
der Verletzung
des C
Grundtatbestand: + , keine Notwehr. — Gef. Werkzeug: lebensgef. Behandlung: — : Vorsatz fehlt. 2.
Strafbarkeit
des B wegen
der
+,
Aufforderung
a) §§ 2 6 / 2 2 3 , 2 2 3 a StGB (§§ 4 8 / 2 2 3 , 2 2 3 a StGB a. F . ) : — : Vorsätzl. Tat des A liegt vor, doch wollte B nicht diese T a t des A, sondern eine andere. b) §§ 3 0 / 2 2 3 , 2 2 3 a StGB ( § § 4 9 a / 2 2 3 , 2 2 3 a StGB a. F . ) : — : Audi gefährl. Körperverletzung kein Verbredien. c)
§ 2 3 0 : + : Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen.
B.
Zweite Alternative
1.
Strafbarkeit
des A wegen
der Verletzung
des C
a) §§ 223, 2 2 3 a : — , Vorsatz fehlt, da wesentliche Abweichung des vorgestellten vom realisierten Kausalverlauf. b)
§ 230:
+.
Einübung in die Fallbearbeitung
48
2. Strafbarkeit des A wegen geplanter Verletzung des X: §§ 23/223, 223a StGB (§§ 43/223, 223a StGB a. F.): — : Versuch nicht strafbar. 3.
Strafbarkeit
des B wegen der
Aufforderung
a) Anstiftung zur Körperverletzung des A entfällt, da keine vorsätzliche Haupttat. b)
IV.
§ 230: + : Vorhersehbarkeit noch gegeben.
Gutachten
A.
Erste Alternative
I.
Strafbarkeit des A
1. Körperverletzung gegenüber C : §§ 223, 223a StGB Indem A dem C den Bierkasten an den Kopf schlug, könnte er sich einer Körperverletzung, §§ 223, 223a StGB, schuldig gemacht haben. a) Dann müßte der Schlag mit dem Bierkasten eine körperliche Mißhandlung oder eine Gesundheitsbeschädigung des C bewirkt haben. — Körperliche Mißhandlung ist jede üble unangemessene Behandlung des Körpers einer Person, welche die körperliche Unversehrtheit oder das körperliche Wohlbefinden nicht unerheblich beeinträchtigt. Der Schlag mit einem Bierkasten an den Kopf fällt zweifellos darunter. — Auch eine Gesundheitsbeschädigung liegt vor, denn eine Gehirnerschütterung ist ein krankhafter Zustand. b) Fraglich erscheint es jedoch, ob A vorsätzlich gehandelt hat. Der Vorsatz des A könnte dadurch ausgeschlossen sein, daß er nur jemanden treffen wollte, der an dem Hinauswurf beteiligt war. Dieser Irrtum ist jedoch im Rahmen des Vorsatzes unbeachtlich, denn A hatte im Augenblick der Tat den Willen, den C mit dem Bierkasten zu treffen. Diesen Willen realisierte er in der Tat. Die Frage, warum er den C treffen wollte oder nicht treffen wollte, ist für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 223 unwesentlich, weil dieser zwischen den Motiven des Täters nicht differenziert. Der A hat den Menschen körperlich ver-
Anfängerklausur N r . 1: Bierkistenfall
49
letzt, den er verletzen wollte, sein Irrtum ist ein unbeachtlidier Motivirrtum (error in persona). c) Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des A könnte durch Notwehr, § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.), ausgeschlossen sein. Der Hinauswurf des A durch X und einige Gäste stellt einen Eingriff in die Rechtsgüter des A und somit einen Angriff gegen A dar. Dieser Angriff ging jedoch nicht von C aus. Ihm gegenüber war daher eine Abwehrhandlung nicht berechtigt, denn durch Notwehr werden nur Eingriffe in Rechtsgüter eines Angreifers gerechtfertigt. — Im übrigen war der Angriff durch X und die Gäste, der wahrscheinlich nicht einmal rechtswidrig war, schon beendet, als A seinerseits zum Angriff überging. d) Der Bierkasten ist geeignet, als Mittel einer Körperverletzung gefährliche Verletzungen zu verursachen und damit als gefährliches Werkzeug i. S. des § 223a anzusehen. In dem Schlag mit dem Bierkasten könnte auch eine lebensgefährliche Handlung i. S. des § 223a gesehen werden, doch ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, daß A sich darüber im klaren war. Insoweit würde es an seinem Vorsatz scheitern. — Der Gefährlichkeit seines Werkzeugs, erhebliche Verletzungen zu verursachen, war sich A hingegen bewußt. e) A hat auch schuldhaft gehandelt. f ) Ergebnis: A hat sich einer gefährlichen Körperverletzung, §§ 223, 223a StGB, schuldig gemacht. II.
Strafbarkeit des B
1. Anstiftung zur gefährlichen 223a, 26 StGB (§ 48 StGB a.F.)
Körperverletzung,
§§ 223,
a) Die Verletzung des C durch A erfolgte durch eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat (vgl. I I ) . h) Zu prüfen ist aber, ob B den A vorsätzlich zu dieser Tat bestimmt hat. Durch die Aufforderung des B: „Zeig's ihnen, knall ihnen 'nen Kasten übern Kopf!" brachte B den A auf die Idee, mit dem Schlag auf den Hinauswurf zu reagieren. Er verursachte daher den Tatentschluß. Aber auch über die bloße Verursachung hinaus ist in diesem Zuruf eine Einwirkung auf den Willen des A 4 O t t o , Ü b u n g e n im S t r a f r e d i t
50
Einübung in die Fallbearbeitung
zu sehen, denn in der psychischen Ausnahmesituation, in der sich A befand, war er nicht in der Lage, sich abwägend mit derartigen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Das war dem B audi bewußt. Er nutzte die psychisch verkürzte Situation des A, um Einfluß auf den Willen des A zu nehmen, d. h. aber, er bestimmte ihn zu seinem Verhalten. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, kam es dem B aber nicht darauf an, daß der C verletzt wurde, sondern er ging davon aus, daß A einen von denen treffen würde, die den A aus der Gaststätte geworfen hatten. Die von A begangene Tat stimmte demnach nicht mit der von B geplanten überein. B wollte nicht, daß irgendwelche Personen verletzt wurden, sondern daß ganz bestimmte Personen zu Schaden kommen sollten. Bei den verletzten Rechtsgütern handelte es sich um höchstpersönliche Rechtsgüter, daher kann man nicht von einer Identität des verletzten Rechtsguts mit dem nach dem Plan des B zu verletzenden Rechtsgut ausgehen. — Aus der Sicht des B war die Tat, die der A beging, eine andere als die, zu der B ihn bestimmen wollte. Zu der Verletzung des C hat B den A daher nicht vorsätzlich bestimmt. 2. Eine Bestrafung nach §§ 30, 223, 223a StGB (§§ 49a, 223, 223a StGB a.F.) kommt nicht in Betracht, da die gefährliche Körperverletzung kein Verbrechen, sondern nur ein Vergehen ist. 3. B könnte sich jedoch der fahrlässigen gem. § 230 StGB schuldig gemacht haben.
Körperverletzung
a) Eine körperliche Mißhandlung und auch eine Gesundheitsbeschädigung des C liegen vor (vgl. oben I 1). b) Durch seinen Zuruf hat B auch eine Gefahr f ü r den C begründet. c) Da jedoch, wie oben ausgeführt, der A die Verletzung des C zu verantworten hat, ist zu prüfen, ob der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des B und der Verletzung des C durch die Handlungsweise des A unterbrochen worden ist. Eine solche Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs läge vor, wenn B nur Voraussetzungen geschaffen hätte, die A
Anfängerklausur Nr. 1: Bierkistenfall
51
ohne jedes Zusammenwirken mit dem B für die Verwirklichung der Körperverletzung an C benutzt hätte. Das würde selbst dann gelten, wenn in diesem Schaffen von Voraussetzungen schon erhebliche Gefahren für die Körperintegrität des C begründet gewesen wären: Wer frei verantwortlich handelnd die Herrschaft über einen derartigen Geschehensablauf übernimmt, haftet für den Erfolg und schließt zugleich vom Moment der Übernahme an andere Personen von der Haftung aus. Der hier zu entscheidende Sachverhalt liegt jedoch anders.B hat nicht nur Voraussetzungen für die Haftung des A geschaffen, sondern den Willen des A zu der Körperverletzung bestimmt. Damit fehlt es gerade an der freiwilligen, andere ausschließenden Übernahme der Herrschaft über das Geschehen durch A. Durch die Bestimmung des Willens des A wurde B Mitbeteiligter an dem Geschehen, wenn auch in untergeordneter Form. Es entlastet ihn nicht, daß der Plan nicht seinen Vorstellungen gemäß realisiert wurde. Die gefährliche Beeinflussung des Willens des A, die unmittelbar zur Verletzung des C führte, ist ihm als eigenständige Begründung eines Risikos für den Körper des C zuzurechnen. d) Die Möglichkeit einer Verletzung des C war für B auch vorhersehbar, denn daß A in seinem Erregungszustand den Anzugreifenden ruhig auswählte, war nicht zu vermuten. e) Die Gefährdung des C durch B war pflichtwidrig seitens des B. Dieser handelte auch schuldhaft. f ) Ergebnis: B ist wegen fahrlässiger Körperverletzung, § 230 StGB, zu bestrafen. B.
Zweite Alternative
I.
S t r a f b a r k e i t des A
1. Gefährliche StGB
Körperverletzung
g e g e n ü b e r C , §§ 223,
223a
a) Die objektiven Voraussetzungen des Grundtatbestandes, § 223, liegen vor, vgl. A I 1). b) Der Vorsatz des A, den C zu verletzen, könnte jedoch fehlen. A wollte den X treffen. Auf eine Körperverletzung
52
Einübung in die Fallbearbeitung
dieser Person war sein Willen gerichtet. Allein durch ein Versehen ging sein Schlag fehl. Aus der Sicht des A war es auch nicht gleichgültig, welche Person er traf, denn es kam ihm nidit darauf an, irgendeine Person zu verletzen. Aufgrund der Höchstpersönlichkeit des verletzten Rechtsguts kann vom Rechtsgut her die Verletzung des C auch nicht der des X gleichwertig sein. Die durch das Versehen verwirklichte T a t ist nidit identisch mit der von A angestrebten Tat, es liegt eine wesentliche Abweichung des realisierten von dem geplanten Kausalverlauf vor (aberratio ictus). Der Vorsatz des A, den C zu verletzen, fehlt.
2.
Fahrlässige Körperverletzung
des C, § 230 StGB
a) Der Erfolg einer Körperverletzung in der Person des C ist eingetreten (vgl. A I 1). b) Durch das Schwenken des Bierkastens begründete A eine Gefahr für den Körper des C. c) C.
Aus dieser Gefahr realisierte sich die Körperverletzung des
d) Der Erfolg war für A vorhersehbar. A handelte sorgfaltspflichtwidrig und schuldhaft. e) Ergebnis: A hat sich einer fahrlässigen Körperverletzung an C schuldig gemacht.
3.
Versuchte Körperverletzung
gegenüber X, §§ 223, 223a, 23
StGB (§ 43 StGB a.F.) Eine vollendete Körperverletzung des X liegt nicht vor. — Der Versuch einer gefährlichen Körperverletzung ist nicht strafbar, vgl. A I I 2.
II.
Strafbarkeit des B
1. Eine Bestrafung des B wegen Anstiftung des A zu der von A begangenen Körperverletzung an C scheidet aus, da die Anstiftung eine vorsätzliche Haupttat voraussetzt. A handelte jedoch bei der Körperverletzung an C nicht vorsätzlich. 2. In Betracht könnte jedoch auch hier eine fahrlässige Körperverletzung des C, § 230 StGB, kommen, die dem B als selbständige T a t zuzurechnen wäre.
Anfängerklausur Nr. 1: Bierkistenfall
53
a) Der Erfolg der Körperverletzung ist eingetreten (vgl. A I !)• b) Durch seine Aufforderung begründete B auch eine Gefahr für den Körper des A. c) Aus dieser Gefahr erwuchs die Körperverletzung des C (vgl. A II 3c). d) Problematisch erscheint es jedoch, ob dem B die Körperverletzung des C vorhersehbar war. C wurde nur deshalb an seinem Körper verletzt, weil A einem Irrtum unterlag und dadurch die Entfernung zu X falsch einschätzte. Dieser Sachverhalt liegt jedoch nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung, vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß ein derartiges Versehen bei einer stark erregten Person durchaus im Rahmen des Vorstellbaren liegt. Die Verletzung des C durch A war daher durch B vorhersehbar. e) B handelte auch sorgfaltspflichtwidrig, indem er auf den "Willen des A Einfluß nahm und dadurch die Gefahr für C begründete. f ) Entschuldigungsgründe liegen nicht vor. g) Ergebnis: B ist wegen fahrlässiger Körperverletzung des C zu bestrafen. III.
Gesamtergebnis:
1. a) b)
Erste Alternative: Der A: §§ 223, 223a StGB Der B: § 230 StGB
2. a) b)
Zweite Alternative: Der A- § 230 StGB Der B: § 230 StGB
V.
Anmerkungen
1. Der Sachverhalt ist nachgebildet der Entscheidung OLG Neustadt N J W 1964 S. 311. 2. Die Schwierigkeiten des Falles liegen in der Argumentation. Zu gern hantiert der Anfänger mit Schlagworten wie z. B. „error in
54
Einübung in die Fallbearbeitung
persona" oder „aberratio ictus", ohne sich darüber klar zu sein, daß die Verwendung derartiger Floskeln die Begründung, warum z. B. der Irrtum des C in der 1. Alternative unbeachtlich ist, nicht ersetzen kann. Die Arbeiten, in denen diese Stichworte überhaupt nicht auftaudien, sind erheblich besser, weil die Verf. nicht in die Versuchung kommen, der Begründung des Ergebnisses auszuweichen. 3. Durdrweg wurde die Problematik, daß der „error in persona" des Haupttäters eine „aberratio ictus" des Teilnehmers sein könnte, auch von den Bearbeitern nicht angesprochen, denen die Unterschiede in dieser Problematik beim Alleintäter geläufig waren. 4. Die fahrlässige Körperverletzung durdi B ließ sich zumindest in der 2. Alternative mit guten Gründen ablehnen. 5.
VI. 1.
Bearbeitungszeit: 2 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung Lies: OLG Neustadt N J W 1964 S. 311.
2. Die Problematik der aberratio ictus und des error in persona in ihrem Zusammenspiel beschäftigt die Lehre seit der berühmten Entscheidung des Preuß. Obertribunal im Fall Rose-Rosahl — veröffentlicht in GA 7 S. 332 ff. — Dazu der instruktive Aufsatz von Bemmanrt, MDR 1958 S. 817 ff.
Anfängerklausur Nr. 2: Gaststättenfall I.
Sachverhalt
Der Gaststätteninhaber G sah, wie der ihm als rabiater Schläger bekannte Gast A seine Angestellte K schlug und hinter dem Tresen zu Boden warf. G ergriff seinen Revolver und forderte den A auf, sofort aufzuhören. Als A nicht reagierte, gab G einen gezielten Schuß auf den Fußboden neben die Beine des A ab. Leider traf er aber die K ins Bein. A reagierte wiederum nicht. Als G sodann versuchte, die Polizei telefonisch zu verständigen, drang A auf ihn ein. N u n schoß G dem A mit einem wohlgezielten Schuß ins Bein. Daraufhin ließ A von G ab. H a t sich G strafbar gemacht?
Anfängerklausur Nr. 2: Gaststättenfall
II.
55
Überlegungen auf dem Wege zur Fallösung
1. Wahl der Grobgliederung des Sachverhalts nach Sachverhaltsabsdinitten oder nach Personen in diesem Fall unproblematisch: Da nur nach der Strafbarkeit einer einzigen Person gefragt ist, ist die Frage nach der Strafbarkeit des G an den Beginn der Überlegungen zu stellen, sodann sind die einzelnen Handlungsabschnitte zu erörtern. 2. Als erstes könnte die Aufforderung des G, A solle aufhören, strafrechtlich relevant sein. Sodann sind die Verletzungen zu erörtern, und zwar ist mit der Verletzung der K zu beginnen. Hier ist eine Rechtsgutverletzung eingetreten, d. h. ein objektiv faßbarer strafrechtlich relevanter Erfolg liegt vor. — In Betracht kommt eine Erörterung der §§ 223, 230 StGB. — Problematik in der Rechtfertigung! 3. Gegenüber A könnte der erste Schuß eine versuchte Körperverletzung und eine versuchte Nötigung darstellen. — Die versuchte Körperverletzung ist nicht strafbar. — Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung Aufbautechnik beachten: Im Aufbau des § 240 sind die einzelnen traditionellen Rechtfertigungsgründe vor der Verwerflichkeit zu prüfen. 4. Der gezielte Schuß in das Bein des A ist als vorsätzliche Körperverletzung und als Nötigung relevant. — Rechtfertigung durch Notwehr.
III.
Lösungsskizze
Das strafbare
Verhalten
des G
A . Die Aufforderung an A , aufzuhören: §§ 2 4 0 / 2 3 (§ 43 StGB a.F), aber § 32 (§ 53 StGB a.F.) StGB. B.
Warnschuß
1. § 223 StGB gegenüber K: — : Vorsatz fehlt. Kein Anhaltspunkt, daß G sich im Moment des Schusses der Gefahr für die K bewußt war. 2.
§ 230 StGB gegenüber
K:
a)
Erfolg eingetreten, auch vorhersehbar
b)
Rechtfertigung
56
Einübung in die Fallbearbeitung
aa) Nothilfe, § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.): Kein Rechtsgut des Angreifers betroffen bb)
Einwilligung nicht erklärt
cc) mutmaßliche Einwilligung: Kriterien letztlich aus rechtfertigendem Notstand, § 34 StGB dd) Rechtfertigender Notstand: Abwägung der Gefahrensituation: + (§ 43 StGB a.F) StGB gegenüber A: nicht straf-
3. §§ 223/23 bar 4.
§§ 240/23 (§ 43 StGB a.F.) StGB gegenüber A
a)
Entschluß: +
b)
Anfang der Ausführung: Schuß
c)
Rechtfertigung: § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.)
C.
Der Schuß in das Bein des A
1.
§223
a)
Tatbestand: +
b)
Rechtfertigung: § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.): +
2.
§ 240 StGB gleichfalls gerechtfertigt
D.
StGB gegenüber
A
Ergebnis:
G hat sich nicht strafbar gemacht.
IV.
Gutachten
Das strafbare A.
Verhalten
des G
Die Aufforderung an A, aufzuhören
1. Indem G den A mit dem Revolver in der Hand aufforderte, nicht weiter auf die K einzuschlagen, könnte er sich wegen einer Nötigung strafbar gemacht haben, § 240 StGB. — Eine vollendete Nötigung kommt allerdings nicht in Betracht, denn der von G erstrebte Erfolg trat nicht ein. 2. In der Aufforderung könnte aber eine versuchte gesehen werden, §§240/23 StGB (§ 43 StGB a.F.).
Nötigung
Anfängerklausur Nr. 2: Gaststättenfall
57
a) Der Versuch der Nötigung ist strafbar, § 240 Abs. 3. b) Dann müßte G den Entschluß gefaßt haben, den A durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Unterlassen zu bestimmen. G hat den A aufgefordert, weitere Schläge zu unterlassen. Er verlieh dieser Aufforderung Nachdruck, indem er die Pistole in der H a n d hielt. Damit bekundete er, Waffengewalt einzusetzen, falls A nicht von der K ablasse, d. h. er drohte dem A mit einem erheblichen und damit für den A empfindlichen Übel, um ihn zu einem Unterlassen zu bestimmen. c) Mit der Aufforderung begann die Drohung. Eine Ausführungshandlung liegt daher vor. d) Der Nötigungsversuch des G könnte jedoch durch Nothilfe, § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.), gerechtfertigt sein. aa) Das setzt voraus, daß G in Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs zugunsten eines Dritten gehandelt hat. Die Schläge des A stellen einen unmittelbaren rechtswidrigen Angriff gegen die K dar. bb) Die konkludent mit der Aufforderung verbundene Drohung ist als geringstes mögliches und damit erforderliches Mittel gegen die Angriffe des A anzusehen. cc) G wollte seine Angestellte K vor weiteren unmittelbar drohenden Schlägen des A schützen. G handelte somit zugunsten der K in Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff. K wünschte auch Hilfe. dd) Die Voraussetzungen der Nothilfe gem. § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.) liegen somit vor. Die versuchte Nötigung des G ist durch Nothilfe gerechtfertigt. G ist nicht gem. §§ 240, 23 StGB (§ 43 StGB a.F.) zu bestrafen. B.
Der Warnschuß
1.
Vorsätzliche Körperverletzung
der K, § 223 StGB
Durch den Schuß in das Bein der K könnte G sidi einer Körperverletzung nach § 223 StGB schuldig gemacht haben. a) Die Verletzung der K durch den von G abgegebenen Sdiuß stellt eine körperliche Mißhandlung dar: Die körper-
58
Einübung in die Fallbearbeitung
liehe Unversehrtheit der K wurde in nidit unerheblichem Maße durch G beeinträchtigt. Gleichfalls liegt eine Gesundheitsbeschädigung vor. Die Verletzung begründete einen pathologischen Zustand. b) Im Sachverhalt ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür gegeben, daß G sich wenigstens der Gefahr bewußt war, er könne die K treffen. Damit entfällt der Vorsatz, denn das Bewußtsein der konkreten Verletzungsgefahr wäre Mindestvoraussetzung auch des bedingten Vorsatzes. 2.
Fahrlässige Körperverletzung
der K, §230 StGB
a) Eine Körperverletzung der K ist eingetreten, vgl. oben la). b) Problematisch ist jedoch, ob G damit eine ihm obliegende Rechtspflicht, einen derartigen Erfolg zu vermeiden, verletzt hat (Vermeidepflichtverletzung). aa) G hätte den Erfolg vorhersehen können, denn daß ein Pistolenschuß leicht neben dem anvisierten Ziel einschlagen kann, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. bb) Die Pflicht, derartig gefährliche Schüsse zu unterlassen, würde jedoch im vorliegenden Fall entfallen, falls Gefährdung und Verletzung der K durch G gerechtfertigt wären. cc) Als Rechtfertigungsgrund kommt Nothilfe, § 32 StGB (§ 53 StGB a. F.), in Betracht. Dann müßte die Verletzung der K durch G als Verteidigungshandlung des G gegen einen rechtswidrigen gegenwärtigen Angriff anzusehen sein. Indem A die K schlug und zu Boden warf, verletzte er sie unmittelbar am Körper. Dies war rechtswidrig. Ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff des A gegen K lag vor. Gegen diesen Angriff wäre eine Verteidigungshandlung durch G zugunsten der K zulässig gewesen. Verteidigung ist aber allein die Abwehr des Angreifers durch Eingriff in dessen Rechtsgüter. Weder Notwehr noch Nothilfe rechtfertigen Eingriffe in Rechtsgüter Dritter. Durch den Schuß des G wurde jedoch die K verletzt. Dieser Eingriff in ein Rechtsgut der K ist nicht durch § 32 StGB (§ 53 StGB a. F.) gerechtfertigt.
Anfängerklausur N r . 2 : Gaststättenfall
59
dd) Audi durch die Einwilligung der K ist die Körperverletzung des G nicht gerechtfertigt. Eine ausdrückliche Einwilligung der K liegt nicht vor. ee) Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des G könnte aber durch eine mutmaßliche Einwilligung der K ausgeschlossen sein. Dies wäre dann der Fall, wenn bei objektiver Würdigung aller Umstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, daß die K in die Körperverletzung, zunächst aber in die Gefährdung durch G eingewilligt hätte. Da eine ausdrückliche Erklärung der K gerade nicht vorliegt, ist eine objektive Würdigung der Tatsituation im Moment des Schusses vorzunehmen. Allein die Kriterien, nach denen die Entscheidung zu treffen ist, können „dem Institut der mutmaßlichen Einwilligung" nicht entnommen werden. Hier ist nur anerkannt, daß ein Vergleich des geschützten und des verletzten Rechtsguts durchzuführen ist, daß die verschiedenen Interessen abzuwägen, sowie reales und mögliches Risiko einer Rechtsgutverletzung zu beachten sind. Sodann ist die Entscheidung zu treffen, die der Interessenlage des Betroffenen am ehesten entspricht, m.a.W., die Entscheidung ist nach den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstandes zu treffen. Diesem gegenüber enthält das Institut der mutmaßlichen Einwilligung nicht ein einziges Merkmal, in dem das Prinzip der Rechtfertigung, wie es im rechtfertigenden Notstand zum Ausdruck kommt, weiter konkretisiert ist. Die Anwendung des rechtfertigenden Notstandes wird vielmehr nur kaschiert. Das bedeutet aber: Nach Anerkennung des rechtfertigenden Notstandes als Rechtfertigungsgrund kommt der sog. mutmaßlichen Einwilligung keine Bedeutung mehr zu. ff) Als Rechtfertigungsgrund für die Verletzung der K durch G könnte allerdings der rechtfertigende Notstand in Betracht kommen. Voraussetzung dafür ist, daß jemand in einer gegenwärtigen, nicht mit weniger gravierenden Mitteln abwendbaren Gefahr für ein Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der
60
Einübung in die Fallbearbeitung
widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Reditsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das von ihm geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. — Der Schuß des G muß daher das geeignetste in der Situation verfügbare Mittel gewesen sein, um ein höherwertiges Interesse auf Kosten eines minder hohen Interesses zu schützen. A hat durch die Schläge eine Körperverletzung an der K begangen. Weitere schwere Körperverletzungen standen nach der Situation unmittelbar bevor. In Kollision dazu steht die Möglichkeit, durch den Warnschuß des G verletzt zu werden. Zwar traf G nur das Bein der K , doch kommt es nicht auf den letztlich eingetretenen Erfolg an, sondern maßgeblich ist die Gefahrensituation im Zeitpunkt der Abgabe des Schusses. Geht man davon aus, der Schuß hätte eine lebensgefährliche Verletzung der K zur Folge haben können, so kommt eine Rechtfertigung des G nicht in Betracht. — Trotz der geringen Anhaltspunkte im Sachverhalt kann diese Möglichkeit jedoch verneint werden. Hätte eine tödliche oder lebensgefährliche Verletzung der K nach der Situation nahegelegen, so wäre diese Möglichkeit auch dem G ins Auge gefallen. Nach dem Sachverhalt nahm G aber weder eine derartige Gefahr in Kauf, noch drängte sich ihm das Bewußtsein der Gefahr auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten auf. Es geht deshalb nicht zu weit, zu unterstellen, daß die eingetretene Verletzung der K bereits die Realisierung der äußersten in der Situation erkennbaren Gefahr darstellte, und daß G seinerseits sein möglichstes tat, um eine Verletzung der K überhaupt zu verhindern. In dieser Interessenlage konnte G sich daher für den Warnschuß entscheiden. Das Interesse der K , weiteren brutalen Körperverletzungen zu entgehen, ist auch in dieser Risikosituation höher zu bewerten als ihr Interesse, keiner Gefährdung durch einen Schuß ausgesetzt zu sein. Die Möglichkeit, durch den Warnschuß verletzt zu werden, lag recht weit entfernt. Die schweren Körperverletzungen durch A wurden bereits durchgeführt. Die Handlung des G ist daher durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt.
Anfängerklausur Nr. 2: Gaststättenfall
61
2. Versuchte Nötigung, §§ 240, 23 StGB (§ 43 StGB a. F) G könnte sich durch den auf den Fußboden gezielten Schuß, der den A jedoch nicht von weiteren Schlägen gegen K abhielt, einer versuchten Nötigung gem. §§ 240, 23 StGB (§ 43 StGB a. F.) strafbar gemacht haben. a) Eine vollendete Nötigung liegt nicht vor, denn nach Sachverhalt war die Gefahr für die K durch den Warnschuß nicht beseitigt worden. b) Der Versuch einer Nötigung ist gem. § 240 Abs. 3 StGB strafbar. c) G muß weiter den Entschluß gefaßt haben, den A zu nötigen, d. h. den A durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Unterlassen zu bestimmen. G wollte durch Abgabe eines Warnschusses den A von weiteren Schlägen gegen die K abhalten. Er wollte ihm deutlich machen, daß er bei fortgesetzter Bedrohung von der Schußwaffe auch gegen ihn Gebrauch machen würde. Darin ist eine Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Unterlassen zu sehen. d) Der Entschluß ist durch Abgabe des Warnschusses verwirklicht worden. Darin ist nach allen Theorien ein Anfang der Ausführung zu sehen, denn an der unmittelbaren Einflußnahme auf den Willen des A ist nicht zu zweifeln. e) Zu prüfen ist aber, ob die versuchte Nötigung des G rechtswidrig war. Als Rechtfertigungsgrund kommt wiederum § 32 StGB (§ 53 StGB a. F.) in Betracht. aa) Zum gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff vgl. A 2 e, aa. bb) Die Abgabe eines Warnschusses stellt bei der Gefährlichkeit des rabiaten Schlägers ein erforderliches Mittel zur Abwendung der Gefahr dar. cc) G wollte seine Angestellte K vor weiteren unmittelbar drohenden Schlägen des A schützen. G handelte somit zugunsten der K in Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff. K wünschte auch Hilfe, dd) Die Voraussetzung der Nothilfe gem. § 32 StGB (§ 53 StGB a. F.) liegen somit vor.
62
Einübung in die Fallbearbeitung
Die versuchte Nötigung des G ist daher durch Nothilfe gerechtfertigt. G ist nicht gem. §§ 240,23 StGB (§43 StGB a. F.) zu bestrafen. C.
G schießt dem A mit einem gezielten Schuß ins Bein
1.
Leichte Körperverletzung,
§ 223 StGB
G könnte sich durch einen gezielten Schuß in das Bein des A einer leichten Körperverletzung gem. § 223 StGB strafbar gemacht haben. a) G hat durch den Schuß in das Bein des A diesen in seiner körperlichen Unversehrtheit erheblich beeinträchtigt und eine Gesundheitsbeschädigung des A herbeigeführt, vgl. A 1. G hat gewußt, daß er den A durch den gezielten Schuß verletzen würde. b) Fraglich ist jedoch, ob G auch rechtswidrig gehandelt hat. Als Rechtfertigungsgrund für die Tat des G kommt Notwehr gem. § 32 StGB (§ 53 StGB a.F.) in Betracht. Dann muß G in Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf A geschossen haben, aa) A ist auf den Gastwirt eingedrungen, um diesen an dem Anruf gewaltsam zu hindern. Darin lag eine unmittelbare rechtswidrige Bedrohung der Freiheit der Willensentschließung und der körperlichen Integrität des G. G hat sich daher durch Abgabe des Schusses gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des A verteidigt, bb) Zu prüfen ist aber, ob der Schuß des G in das Bein des A erforderlich war. Als Abgrenzungskriterium für das Maß und die Art der Abwehr dienen hierbei die Stärke und die Gefährlichkeit des Angriffs. G kannte den A als rabiaten Schläger, der seine Gefährlichkeit und Brutalität durch das Niederschlagen der Angestellten K unter Beweis gestellt hatte. Auch ein vorher abgegebener Warnschuß des G hatte den A nicht von dem Angriff abhalten können. Weitere mündliche
Anfängerklausur Nr. 2: Gaststättenfall Ermahnungen oder weitere keinen hinreichenden Erfolg.
Warnschüsse versprachen
63 daher
Demzufolge stellte der Schuß in das Bein des A, der diesen an weiteren Angriffen hinderte, ein geeignetes und erforderliches Mittel dar. G handelte auch mit Verteidigungswillen. Damit sind die Voraussetzungen der Notwehr gem. § 3 2 StGB (§ 53 StGB a. F . ) erfüllt. Die T a t ist nidht rechtswidrig, und G ist nicht gem. § 2 2 3 StGB zu bestrafen. 2.
Nötigung,
§ 240
StGB
Durch den Schuß in das Bein des A könnte G sidi einer Nötigung des A schuldig gemacht haben. a) Die Verletzung hindert den A daran, seine Pläne weiter zu verfolgen. Durdi unmittelbaren körperlichen Zwang wurde A demnach zu einer Unterlassung veranlaßt. b)
Dieses Ziel strebte G bewußt an.
c) Der Tatbestand der Nötigung liegt demnach vor, doch ist die Einwirkung auf den Willen des A gleichfalls durch N o t wehr gerechtfertigt (vgl. C 1 b).
V.
Anmerkungen
1. Den Anfänger verblüfft es zunächst, daß eine weitere Erörterung eines bestimmten Verhaltens einer Person, hier z. B. Abgabe des Warnschusses durch G, unter strafrechtlichen Gesichtspunkten noch in Betracht kommt, nachdem schon festgestellt ist, daß „dieses Verhalten", hier z. B. als Verletzung der K, gerechtfertigt ist. Das beruht auf einer ungenauen Betrachtungsweise. Strafrechtlich gewürdigt wird nämlich nicht „die Abgabe des Warnschusses" als solche, sondern allein die mit der Abgabe des Warnschusses verbundene Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter. Die Wertung dieser Beeinträchtigung ist jedoch abhängig von der Position des Täters zu diesen Rechtsgütern. Daraus folgt für den Fall, daß durch eine Handlung mehrere Rechtsgüter gefährdet oder verletzt werden, daß jede der verschiedenen Rechtsgutsbeeinträchtigungen unabhängig von den anderen zu untersuchen und rechtlich zu würdigen ist. Selbstverständlich können die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen voneinander abweichen.
64
Einübung in die Fallbearbeitung
Schulbeispiel: Der Jäger J schießt auf eine wildernde fremde Katze, ohne sidi zu überzeugen, daß kein Mensch im Schußfeld ist. Der Spaziergänger S wird tödlich getroffen. Tötung der fremden Katze (§ 303) gerechtfertigt; Tötung des S als rechtswidrige fahrlässige Tötung strafbar, § 222 StGB. 2. Vertretbar wäre eine Ablehnung der Rechtfertigung der Verletzung der K durch G auf Grund zu starker Gefährdung der K nach dem Sachverhalt gewesen, weil die Angaben an dieser Stelle derart knapp sind, daß sie diese Interpretation zulassen. 3.
VI.
Bearbeitszeit: 2 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung
1. Der Sachverhalt lag einer Entscheidung des OLG Frankfurt zugrunde. — Vgl. die Gründe dieser Entscheidung — MDR 1970 S. 695 — mit dem Gutachten. 2. Gemeinhin wird die „mutmaßliche Einwilligung" noch als Rechtfertigungsgrund anerkannt, obwohl betont wird, daß der reale Wille des Berechtigten unbeachtlich ist und die Entscheidung aufgrund objektiver Wert- oder Interessenabwägung zu treffen ist. Für diese Entscheidung werden jedoch keine Kriterien, die über die des rechtfertigenden Notstands hinausgehen, genannt; vgl. ]escheck, Lehrbuch des Strafrechts, A. T., 2. Aufl. 1972, S. 285 ff.; Schmidhausen Strafrecht, A. T., 1970, S. 242 ff. 3. Zum Verhältnis des rechtfertigenden (übergesetzlichen) Notstands zu den einzelnen vertypten — konkretisierten — Rechtfertigungsgründen vgl. Noll, ZStW 77 (1965) S. 1 ff.; Stratenwerth, ZStW 68 (1956) S. 41 ff. 4. Wird bei den Rechtfertigungsgründen ein subjektives Rechtfertigungselement anerkannt (z. B. Verteidigungswille bei der Notwehr, Kenntnis von der Einwilligung, bewußte Interessenabwägung beim rechtfertigenden Notstand), so wird die Anwendung des Rechtfertigungsgrundes in Fällen unbewußter Fahrlässigkeit des Täters problematisch! Der Täter, der sich nicht einmal der Gefährdung des Rechtsgutes bewußt ist, hat keinen Anlaß, subjektiv in bestimmter Weise Stellung zu dem Geschehen zu beziehen. — Hier genügt es, daß die objektiven Voraussetzungen des Unrechtsausschlusses vorliegen. Denn bereits in dieser Situation fehlt es am Erfolgsunwert und damit an der wesentlichsten Voraussetzung der Bestrafung aus einem fahrlässigen Erfolgsdelikt. — Dazu: Stratenwerth, Strafrecht, A. T., I, 1971, Rdnr. 1193 f (S. 296).
Anfängerklausur Nr. 3: Notwehrfall
65
5. Ob die konkreten Rechtfertigungsgründe vor der „Verwerflichkeit" zu prüfen sind, ist streitig, doch gerade die entgegengesetzte Prüfungsfolge in BGHSt 5 S. 246 spricht mehr für das hier vorgeschlagene Vorgehen. Der BGH prüft nämlich die Verwerflichkeit zuerst und kommt zu dem Ergebnis, die Nötigung sei rechtswidrig. Anschließend, obwohl die Rechtswidrigkeit bereits bejaht ist, werden die verschiedenen Rechtfertigungsgründe erörtert. Dies muß Verwirrung stiften, selbst wenn der Unterschied zwischen Urteils- und Gutachtenstil beachtet wird. Aufbautechnisch sollte es aber gerade in diesem Bereich keinen Zweifel geben: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist niemals verwerflich. Mit der Bejahung eines Rechtfertigungsgrundes ist daher die Frage nach der Verwerflichkeit eines Verhaltens zwingend entschieden. Zur Mittel-Zweck-Relation erübrigen sich eingehende Ausführungen. — Im übrigen vgl. zur Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 einerseits Roxin, JuS 1964 S. 373 ff, andererseits Hansen, Die tatbestandliche Erfassung von Nötigungsunrecht, 1972. 6. Zum Zeitpunkt der „Gegenwärtigkeit" eines Angriffs vgl. BGH N J W 1973 S. 225 = MDR 1973 S. 237.
Anfängerklausur Nr. 3: Notwehrfall I.
Sachverhalt
Der Rentner A macht eines Tages einen Spaziergang am Hafen. Plötzlich stürzt B, in der H a n d eine Pistole, auf ihn zu mit dem Rufe: „Geld oder Leben!" A versetzt dem B reaktionsschnell einen Schlag mit seinem Spazierstock, und B fällt rücklings in das Hafenbecken. Dort schreit er jämmerlich um Hilfe. A könnte ihn zwar retten, indem er ihm einen in der Nähe befindlichen Rettungsring zuwirft. D a er aber der Meinung ist, um solche Strolche wie den B sei es nicht schade, tut er nichts. Auch ein herbeigeeilter Passant C sieht davon ab, dem B den Rettungsring zuzuwerfen, nachdem ihm A seine Meinung über B mitgeteilt hat. — B ertrinkt. Wie ist der Sachverhalt strafrechtlich zu beurteilen?
II.
Überlegungen auf dem "Wege zur Fallösung
1. Der Sachverhalt ist strafrechtlich zu beurteilen, d. h. gefordert wird eine umfassende strafrechtliche Würdigung des Verhaltens der 5 O t t o , Übungen im Strafrecht
66
Einübung in die Fallbearbeitung
einzelnen Personen. Da B jedoch zu Tode gekommen ist, kann er nicht mehr bestraft werden, insofern ist sein Verhalten strafrechtlich irrelevant. Dennoch wäre es hier vertretbar, mit der strafrechtlichen Würdigung des Verhaltens des B zu beginnen: Das Vergehen des A ist Reaktion auf das Verhalten des B, seine reditliche Bewertung kann daher von diesem abhängig sein. Unter Hinweis auf diesen Wert der Prüfung wäre die Erörterung des Verhaltens des B daher durchaus zu rechtfertigen. — Im vorliegenden Fall muß jedoch nicht so vorgegangen werden. Daß das Verhalten des B einen rechtswidrigen Angriff gegen Rechtsgüter des A darstellt, ist kurz und knapp begründbar. Im Rahmen der Prüfung der Notwehr bei A kann das Verhalten des B gewürdigt werden, ohne daß die Prüfung der Notwehr unübersichtlich und unangemessen weit geriete. 2. Da C erst nach den Aktionen des A in die Situation eintritt, ist im übrigen die Grobgliederung des Sachverhalts vorgezeichnet: Zunächst ist die Strafbarkeit des A, sodann die des C zu untersuchen. — Allerdings erscheint es diskussionswürdig, ob A sidi nicht an eventuellen Straftaten des C beteiligt hat. Das bedingt jedoch keine Änderung des Aufbaus, vielmehr sind die Fragen der Beteiligung des A an Straftaten des C nach der Prüfung des Verhaltens des C in einem neuen Abschnitt zu erörtern. Es ist ohne weiteres zulässig, die Prüfung des Verhaltens einer Person dort abzubrechen, wo es z. B. Akzessorietätserwägungen fordern, und später mit der Erörterung des Verhaltens dieser Person wieder fortzufahren. 3.
Im Verhalten des A sind zwei Abschnitte zu unterscheiden:
a)
der Schlag mit dem Spazierstock (§§ 212, 223 StGB),
b) das Unterlassen der Rettung durch Zuwerfen des Rettungsringes (§§ 212, 330c StGB). 4. Bei C kommt nur ein Unterlassen in Betracht (§§ 212, 330c StGB). — Sodann ist zu fragen — vorausgesetzt eine Strafbarkeit des C wird bejaht —, ob dem A das strafbare Verhalten des C als Teilnehmer oder Täter zuzurechnen ist.
III. A.
Lösungsskizze Die Strafbarkeit des A
1.
Der Schlag mit dem Stock
a)
§ 2 1 2 S t G B : — : obj. T b : +
; V o r s a t z fehlt
Anfängerklausur Nr. 3: Notwehrfall
67
b) § 226 StGB : — : aa) Obj. Tb des Grundtatbestandes, § 223 StGB, wissentlich erfüllt, aber Notwehr, §32 StGB (§ 53 StGB a. F.): rechtswidriger Angriff des B gegen Willensfreiheit und Vermögen des A. Mittel audi erforderlich! bb) Unrechtstatbestand des Grundtatbestandes liegt nicht vor 2.
Nichtwerfen des Ringes
a) Unterlassen der Rettung, § 212 StGB durch Unterlassen? aa) Rechtsgutverletzung eingetreten bb) A hatte Möglichkeit, Erfolg zu verhindern cc) Garantenstellung des A aus vorangegangenem gefährl. Tun aaa) Rechtswidrigkeit der Vortat nicht erforderlich bbb) Es genügt Gefährdung fremder Rechtsgüter, wenn Möglichkeit gegeben, Realisierung des Erfolges zu verhindern ccc) Gefahr hier jedoch nicht derart von A gesetzt, daß ihn die Risikobegründung für Leben des B zum Garanten dem B gegenüber macht. b) § 221 StGB : Keine Obhutspflicht des A gegenüber B c) § 330c StGB : + B.
Strafbarkeit des C: Unterlassen der Rettung des B
1. Weder § 212 StGB noch § 222 StGB: keine Garantenstellung 2.
5 330 c StGB : +
C. Strafbarkeit des A (Fortsetzung) 1. Teilnahme am Tötungsdelikt des C: — : keine Haupttat. — Täterschaft: — keine Tatherrschaft des A über C 2. §§ 26, 330c, StGB (48, 330c StGB a. F.) fraglich, aber selbst wenn gegeben: konsumiert durch eigene Täterschaft in Bezug auf § 330c StGB. IV.
Gutachten
A.
Die Strafbarkeit des A
1.
Der Schlag mit dem Spazierstock
68
Einübung in die Fallbearbeitung
a) Totschlag, §212 StGB Der Schlag mit dem Spazierstock durch A führte schließlich zum Tode des B. Der objektive Tatbestand des § 212 StGB liegt daher vor. — D a ß A den B jedoch töten wollte oder sich wenigstens im Moment des Schlages der Tatsache bewußt war, daß B in Lebensgefahr kommen würde (dolus eventualis), ist nach dem Sachverhalt nicht anzunehmen. Tötungsvorsatz des A ist somit nicht gegeben. b) Körperverletzung mit Todesfolge. §§ 223, 226 StGB aa) Grundtatbestand, § 223 StGB: Durch einen Schlag mit dem Spazierstock könnte A eine Körperverletzung an B begangen haben. Dann müßte A den Körper des B mißhandelt, d. h. in übler unangemessener Weise behandelt haben, derart daß das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt wurde. Ein Schlag mit einem Spazierstock, der so stark ausfällt, daß der Getroffene umfällt, beeinträchtigt ohne jeden Zweifel in übler unangemessener Weise das körperliche Wohlbefinden des Betroffenen. Eine körperliche Mißhandlung liegt daher vor. A wollte diesen Erfolg mit seinem Schlag erreichen, er handelte daher insoweit vorsätzlich. Die Körperverletzung könnte jedoch durch Notwehr, § 32 StGB (§ 53 StGB a. F.), gerechtfertigt sein. Als B auf den A zustürzte mit den Worten: „Geld oder Leben"!, brachte er zum Ausdruck, daß er den Entschluß gefaßt hatte, dem A gegen dessen Willen Geld abzunehmen, auf das er keinen Anspruch hatte. Es kann hier dahinstehen, ob dieses Verhalten auf einen Raub oder eine räuberische Erpressung gerichtet war, denn in jedem Falle hätte in dem Verhalten des B — wäre B erfolgreich gewesen — eine rechtswidrige Verletzung der Willensfreiheit und des Vermögens des A gelegen. Doch schon in dem Augenblick, als B sich vor A aufbaute, die Pistole auf ihn richtete und sein Begehren kundtat, lag eine unmittelbare Gefährdung der Willensfreiheit und des Vermögens des A vor. B hatte demnach den rechtswidrigen Angriff begonnen. Der Angriff war gegenwärtig. — Der Schlag mit dem Stock war
Anfängerklausur N r . 3 : Notwehrfall
69
als Verteidigungsmaßnahme erforderlich. Ein den B weniger betreffendes Mittel stand dem A nicht zur Verfügung. Auch angesichts der Tatsache, daß B in das Hafenbecken stürzen könnte, war es dem A nicht ansinnbar, den Angriff zu dulden. — A handelte im Bewußtsein der Verteidigungslage. Der Verteidigungswille lag demnach vor. Die Körperverletzung war durdi Notwehr gerechtfertigt, bb) Der Unrechtstatbestand des Grundtatbestandes liegt nicht vor. 2.
A wirft den Rettungsring
nicht
a)
Tötung durch Unterlassen, § 212
StGB
D a A dem B den rettenden Ring nicht zuwarf, obwohl ihm klar war, daß B ertrinken würde, könnte er sich wegen eines Totschlags durch Unterlassen, § 212 StGB, strafbar gemacht haben. aa) B ist ertrunken. Die im Tatbestand des § 212 S t G B beschriebene Reditsgutverletzung ist eingetreten, bb) A verfügte über die Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, denn hätte er den Rettungsring geworfen, so wäre B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Leben geblieben. cc) Problematisch erscheint es jedoch, ob A als Garant für das Leben des B anzusehen ist. Eine Garantenstellung könnte sich hier nur aus vorangegangenem gefährlichem Tun ergeben. D a ß der Stockschlag, aufgrund dessen B in das Wasser stürzte, lebensgefährlich für B war, bedarf keiner Diskussion. Streitig ist jedoch, ob das vorangegangene gefährliche Tun rechtswidrig sein muß, um die Verantwortlichkeit des Täters als Garanten gegenüber dem von der Gefahr Betroffenen zu begründen. Eine Differenzierung zwischen rechtswidrigem, rechtmäßigem und nicht rechtswidrigem vorangegangenem Tun ist jedoch sachwidrig. — Gerade im Falle des rechtswidrigen und strafbaren vorangegangenen Tuns wäre zu begründen, warum der Gesetzgeber mit der Pönalisierung derartigen Tuns nicht sämtliche Folgen abdecken wollte. D a müßte zunächst die Frage
70
Einübung in die Fallbearbeitung
aufgeworfen werden, warum hier eine Doppelbestrafung möglich sein sollte. Gleiches gilt, wenn das Tun z. B. rechtswidrig, aber nicht strafbar wäre. Daß eine irgendwie zivilrechtlich begründete Rechtswidrigkeit letztlich das entscheidende Argument für eine strafrechtliche Haftung sein sollte, ist im Gesamtsystem strafrechtlicher Haftung eine vollkommen willkürliche Setzung. — Es läßt sich aber auch nicht argumentieren, daß den Täter bei rechtswidrigem Verhalten besondere Pflichten träfen. Die Verletzung z. B. einer zivilrechtlichen Pflicht oder einer Verkehrsstrafnorm ist nicht geeignet, als solche bereits die Haftung wegen eines ganz anderen Unrechts zu begründen. Die mögliche Auswahl aus den Vor-Verhaltensweisen wäre willkürlich. Wenn vorangegangenes Tun überhaupt geeignet ist, eine Garantenstellung zu begründen, so kann es daher nicht darauf ankommen, ob das vorangegangene Tun rechtswidrig war oder nicht. Wesentlich ist allein, ob dieses Tun eine Gefahr für Rechtsgüter anderer begründete, denn während die Beurteilung eines Verhaltens als „rechtswidrig" die Festlegung auf einen Maßstab bedeutet, der u. U. nichts gemein hat mit dem späteren Geschehen, ist es selbstverständlich, daß ein einziges Verhalten ganz verschiedene Reditsgüter gefährden und von daher jeweils unterschiedlich bewertet werden kann. Mit der Verantwortung für die Verhinderung der Realisierung zuvor gesetzter Gefahren wird der „Vortäter" auch keineswegs willkürlich oder in unerträglicher Weise belastet. Die Haftung aus vorangegangenem gefährlichem. Tun eröffnet vielmehr die Möglichkeit, der freien Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen weiten Raum zu geben. Würde von den möglichen schädlichen Erfolgen für die anderen Rechtsgenossen her dieser Raum von vornherein begrenzt werden, so wäre eine freie Entfaltung der Persönlichkeit im sozialen Bereich kaum noch möglich. Selbst auf die Gefahr hin, daß andere in Gefahr geraten, kann dieser Raum jedoch weit gesteckt werden, wenn andererseits demjenigen, dem dieser Spielraum eingeräumt wird, die Verantwortung für die Abwendung von Erfolgen auferlegt wird, die sich aus seinem Verhalten für andere Rechtsgenossen ergeben: Der Gewährung des Freiraums entspricht
Anfängerklausur Nr. 3: Notwehrfall
71
die Übertragung der Verantwortung für Gefahren, die sich aus der Betätigung in diesem Freiraum ergeben, und die geeignet sind, den Rechtsraum anderer zu verletzen. Insoweit ist eine Begrenzung der Haftung nötig. Im vorliegenden Fall beeinträchtigt A Reditsgüter des B. Isoliert betrachtet wäre daher das Urteil begründet, daß A die ihm gesteckten Grenzen übersdiritt und Gefahren begründete, für deren Abwehr er verantwortlich war. — Zu beachten ist jedoch, daß der Schlag des A Reaktion war auf eine rechtswidrige Aktion des B gegen Rechtsgüter des A. Eine wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens kann an dieser Abhängigkeit zwischen dem Verhalten des A und dem des B nicht vorbeigehen. A verteidigt mit den ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln seinen eigenen Bereich gegen einen rechtswidrigen Einbruch des B in diesen Bereich. Er stellte den „rechtmäßigen Zustand" wieder her. Er übersdiritt dabei die ihm gesetzten Grenzen nicht. B hingegen hatte den ihm zukommenden Bereich auf Kosten des A ausgedehnt. Audi wenn er davon ausging, daß A keinen Widerstand leisten würde, hat er doch frei verantwortlich handelnd das Risiko einer audi erheblichen Abwehrreaktion des A durch seinen Angriff auf A übernommen. — Die Realisierung dieses Risikos ist dann aber in vollem Umfang dem B anzulasten, während dem A daraus keinerlei besondere Verantwortung erwachsen kann. Würde hier eine Verantwortung des A begründet werden können, so wäre einem rechtswidrigen Angreifer die Möglichkeit gegeben, einen anderen durch rechtswidrigen Eingriff in dessen Rechte zum Garanten gegenüber Rechtsgütern des Angreifers zu machen. Das kann nicht richtig sein. Das volle Risiko des rechtswidrigen Angriffs trägt der Angreifer. Er kann dem Gegner nicht eine Garantenstellung aufzwingen. Aus diesem Grunde ist es daher auch unmöglich, eine Garantenstellung in diesem Falle mit dem Argument zu begründen, der Verteidiger sei nach Abwehr des Angriffs verpflichtet, alles seinerseits Mögliche zu tun, um den Angreifer wieder in die Situation, wie sie vor dem Angriff bestand, zu bringen. Eine solche Belastung mit den Folgen der Notwehrhandlung ist unserem Recht fremd. Genau so wenig wie eine Bezahlung der
72
Einübung in die Fallbearbeitung
Heilungskosten durch den Verteidiger in Betracht kommt, haftet er auf andere Weise für die Wiederherstellung des Angreifers aufgrund seiner Verteidigungshandlung. dd) Eine Bestrafung des A wegen Tötung durch Unterlassens, § 212 StGB, entfällt demnach, weil A keine Garantenstellung gegenüber B innehat. b) Eine Bestrafung nach § 221 StGB kommt nicht in Betracht: keine Obhutspflicht des A gegenüber B. c) Unterlassene Hilfeleistung, § 330c StGB Durch das Nichtzuwerfen des Rettungsringes könnte A sich aber einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben. Dann müßte zunächst ein Unglücksfall vorliegen, d. h. ein plötzliches äußeres Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben einer Person zu bringen droht bzw. eine Situation, in der der BetroiTene ohne Hilfe anderer Rechtsgenossen in Existenznot gerät. Der Sturz in ein tiefes Wasser stellt für einen Nichtschwimmer einen Unglücksfall dar, denn ihm droht Lebensgefahr. Ob er den Unglücksfall selbst verschuldet hat oder nicht, ist dabei gleichgültig. Der Wurf des Rettungsringes war auch als Hilfeleistung erforderlich und dem A zumutbar. A brauchte mit weiteren Angriffen des B nicht mehr zu rechnen. Er war nicht befugt, sich aufgrund des rechtswidrigen Angriffs des B zu dessen Richter aufzuspielen, indem er ihn zu Tode kommen ließ. Das war dem A auch bewußt. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe liegen nicht vor. 3. Ergebnis: A hat sich der unterlassenen Hilfeleistung, § 330c StGB, schuldig gemacht. B.
Die Strafbarkeit des C
1. Ein Tötungsdelekt, sei es § 212 oder § 222 StGB, kommt nicht in Betracht, insbesondere nicht durch Unterlassen. Für eine Garantenstellung des C sind dem Sachverhalt keinerlei Hinweise zu entnehmen. 2. Dadurch, daß C nichts unternahm, um den B zu retten, könnte er sich jedoch einer unterlassenen Hilfeleistung, § 330c StGB, schuldig gemacht haben.
Anfängerklausur Nr. 3: Notwehrfall
73
a) Ein Unglücksfall lag vor (vgl. A 2c). Die Hilfeleistung durch Zuwerfen des Rettungsringes war audi erforderlidi und dem C zumutbar, da ihm keinerlei Gefahr aus der Rettungshandlung drohte. C unterließ die Hilfeleistung bewußt. Er handelte rechtswidrig und schuldhaft und ist somit nach § 330c StGB zu bestrafen. C.
Strafbarkeit des A (Fortsetzung)
1. Ein Tötungsdelikt durch A wegen der Aufforderung an C kommt nicht in Betracht. Eine mittelbare Täterschaft des A scheidet aus: Eine Überlegenheit des A über den C derart, daß dieser zum Werkzeug in der Hand des A wurde, ist nicht begründbar. — Teilnahme ist ausgeschlossen, denn es fehlt an einer rechtswidrigen Tötung durch C. Damit ist die Aufforderung in bezug auf die Verwirklichung eines Tötungsdelikts irrelevant, denn nur unter den genannten Gesichtspunkten wäre eine strafrechtliche Haftung des A wegen eines Tötungsdelikts begründbar. 2. Eine Anstiftung zur unterlassenen Hilfeleistung des C, §§ 26, 330c StGB (§§ 48, 330c StGB a. F.), durch A ist konstruktiv begründbar, obwohl es schon zweifelhaft erscheinen muß, ob die bloße Mitteilung seiner Meinung durch A ein „Bestimmen" des Willens des C ist, das immer mehr sein muß als bloße Verursachung des Tatentschlusses. Das kann letztlich jedoch dahinstehen, denn die Anstiftung zur unterlassenen Hilfeleistung würde durch die von A selbst als Täter begangene unterlassene Hilfeleistung konsumiert werden: Die Verletzung der Hilfspflicht bezieht sich in beiden Fällen auf das gleiche Opfer. D. Ergebnis: 1. A: § 330c StGB 2. C: § 330c StGB
V.
Anmerkungen
1. Wer das strafbare Verhalten des A nicht in die beiden Unterabschnitte: „Schlag mit dem Stock" und „Unterlassen der Rettung"
74
Einübung in die Fallbearbeitung
gliederte, kam nach der Ablehnung des § 212 StGB durdi den Stockschlag folgerichtig zur Prüfung des § 226 StGB. Hier machten sidi Aufbaufehler verhängnisvoll bemerkbar, denn wer nicht den Unreditstatbestand des § 223 zunächst erörterte, sondern — grob fehlerhaft! — mit der Zurechnung des Tötungserfolgs begann, endete oft bei der Bejahung des § 226, obwohl der Unrechtstatbestand des Grundtatbestandes nicht vorlag. 2. Die Fortsetzung der Erörterung der Strafbarkeit des A im Abschnitt C machte den Bearbeitern Schwierigkeiten. Diese scheinen nicht zuletzt psychologisch begründet zu sein. Es herrscht offenbar die Vorstellung, man dürfte die Prüfung der Strafbarkeit einer Person nidit unterbrechen. — Ein derartiger Grundsatz besteht jedoch nicht. 3. Die zentrale Problematik der Falles lag in der Erörterung der Garantenstellung des A. Hier war eine andere Entscheidung durchaus vertretbar. Wesentlich allein erwies sich für die Bewertung, ob es den Bearbeitern gelungen war, aufzuzeigen, warum hier ein Problem lag, und eigene Argumente für die für richtig gehaltene Entscheidung zu artikulieren. 4.
VI.
Bearbeitungszeit: 2 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung
1. Der Sachverhalt ist auf die in BGHSt 23 S. 327 f entschiedene Problematik zugeschnitten. — Vgl. die Gründe der Entscheidung mit dem Gutachten. 2. Zur Frage der Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem — rechtswidrigem oder nicht rechtswidrigem — Tun vgl. einerseits Schmidhäuser, A. T., 1970, 16/51 ff, andererseits Baumann, Lb., 5. Aufl. 1968, S. 237. Eingehender dazu, insbes. in der Auseinandersetzung miteinander: Welp: Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968, S. 209 ff, ders. Anm. zu BGHSt 23 S. 327 in JZ 1971 S. 433 ff. Schünemann: Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 313 ff. Herzberg: Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 294 ff. 3. Vgl. die in der Problemlage gleiche von Arthur Kaufmann und Hassemer zur Diskussion gestellte Fallösung in JuS 1964 S. 151 ff.
Anfängerklausur Nr. 4: Kassiererfall
75
Anfängerklausur Nr. 4: Kassiererfall I.
Sachverhalt
A ist Leiter der kleinen Filiale der X-Bank. Neben ihm sind in der Filiale die Sachbearbeiterin B und der Kassierer K beschäftigt. — Eines Tages versucht A mit der B ein Liebesverhältnis zu beginnen. B weist ihn jedodi ab. Daraufhin beschließt A, die B zu töten. Am nächsten Tag tut er Gift in den Kaffee der B. Schon bald beginnt dieses zu wirken. — Schmerzgekrümmt liegt B auf dem Fußboden und gibt nur noch unverständliche Laute von sich. — Da packt den A die Reue. Er springt der B bei und ruft dem K zu, schnell den Rettungsdienst herbeizurufen. K scheint diesem Wunsche auch Folge zu leisten, denn A hört, wie er eine Telefonnummer wählt und sodann eindringlich die Sachlage schildert. Kurz darauf versichert K dem A, der Rettungsdienst werde sogleich erscheinen. In Wirklichkeit hatte er das Gespräch nur vorgetäuscht, denn er war aus religiösen Gründen gegen eine Rettungshandlung eingestellt. Er meinte, damit würde dem göttlichen Willen entgegengearbeitet. Diese schwere Sünde wollte er nicht auf sich laden. Als A nach 15 Minuten selbst Nachfrage hält, erfährt er, daß noch kein Anruf beim Rettungsdienst erfolgt ist. Wäre der Anruf erfolgt, so wäre B gerettet worden. Nunmehr kommt die Rettung zu spät. Das Gift hatte A von C erhalten, dem er seinen Plan geschildert hatte. C hatte sich von B nämlich 1000,— DM geliehen und sah in dem Verhalten des A eine bequeme Möglichkeit, die Gläubigerin B loszuwerden. Wie ist der Fall strafrechtlich zu beurteilen?
II.
Überlegungen auf dem Wege zur Fallösung
1. Aufbautechnisdi ist zu erwägen, ob die Untersuchung mit A oder mit K zu beginnen ist. K steht dem Tod der B insofern näher, als er als letzter in den Gesdiehensablauf eingreift und diesen wesentlich
Einübung in die Fallbearbeitung
76
bestimmt. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß A durch das Vergiften des Kaffees der B jene Ursachenkette in Gang setzte, die schließlich zum Tode der B führte. Daher empfiehlt es sich, die E r örterung mit A zu beginnen, da das Verhalten des K auf dem V o r verhalten des A aufbaut. 2. Bei C kommt Teilnahme an evtl. Straftaten des A in Betracht. — Mittäterschaft scheidet aus, denn das „Wie" und „ O b " der T a t stand allein im Ermessen des A. — Eine Prüfung des Verhaltens des C ist aber erst möglich, wenn geklärt ist, welche Tatbestände A verwirklicht hat. 3. Bei A kommen in Betracht: §§ 212, 211, 212/23 (43 S t G B a. F.), 211/23 (43 S t G B a. F . ) , 229, 223, 223a S t G B . — Mit der Prüfung des § 2 1 2 ist zu beginnen. Gegenüber § 211 stellt § 2 1 2 den Grundtatbestand dar, im Verhältnis zu den übrigen Tatbeständen ist er das schwerste Delikt. 4. Bei K kommen in Betracht §§ 212, 2 1 1 . Bei C ist eine Teilnahme an den Straftaten des A zu erörtern, wobei § 28 (§ 50 S t G B a. F.) u. U . zu berücksichtigen ist. III. A.
Lösungsskizze D a s s t r a f b a r e V e r h a l t e n des A
1.
§ 212
a)
E r f o l g eingetreten
StGB
b)
A h a t t e die Möglichkeit der E r f o l g s a b w e n d u n g
c)
L e b e n s g e f a h r durch G i f t b e g r ü n d e t
d)
Zurechnungszusammenhang
zwischen
Handlung
des
A
u n d E r f o l g aber z w e i f e l h a f t : K n a h m d e m A das Geschehen aus der H a n d u n d b e s t i m m t e es selbst in v o l l e r K e n n t n i s d e r F o l g e n , i n d e m er den A über R e t t u n g täuschte. — D a m i t H a f tung des A n u r bis z u diesem Z e i t p u n k t . 2.
§§ 212/23
(43 StGB
a. F.)
StGB
a)
Versuch s t r a f b a r , § § 2 1 2 , 2 3 , 1 2 I ( 2 1 2 , 4 3 , 1 S t G B a . F . )
StGB. b)
Tötungsentschluß :
c)
A n f a n g der A u s f ü h r u n g :
+
d)
Rechtswidrigkeit :
+
+
Anfängerklausur Nr. 4: Kassiererfall
77
e) §§ 211/23 (43 StGB a. F.) StGB aa) niedrige Beweggründe : + : Motiv in keinem diskutablen Verhältnis zur Tat bb) Heimtücke : + : sowohl, wenn Heimtücke definiert als „Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit" als auch als „Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses". cc) Grausam : — : Es kam dem A nicht darauf an, daß B Schmerzen erlitt. f) Schuld : + . g) Rücktritt : aa) § 24 I 1, 1. Alt. : — : „weitere Ausführung" setzt unbeendeten Versuch voraus. bb) § 24 I 1, 2. Alt. : — : A hat Vollendung der Tat nicht verhindert. cc) § 24 I 2 : + : Tat konnte durch das Dazwischentreten des K nicht mehr von A vollendet werden. — Freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung zu verhindern, liegt bei A vor. 3.
§ 229 StGB
a)
Tatbestand: + , Rechtswidrigkeit und Sdiuld : + .
b) Rücktritt vom Delikt der Giftbeibringung nur möglich in Analogie zu §§ 158,310 StGB, denn Delikt ist vollendet. — Wenn Geschehen vom Eingreifen des K an dem A nicht mehr zurechenbar, so hätte A nach Gefahrbegründung und vor Realisierung der Gefahr, die sich als die von A gesetzte auch später nicht realisiert hat, alles zur Abwendung des Erfolges ihm Mögliche getan. Daher Analogie vertretbar. 4.
§§ 223, 223a StGB
a) § 223 : Unrechtstatbestand : + . b) § 223a: gefährliches Werkzeug : + : ehem. Mittel genügt; lebensgefährl. Behandlung : + ; hinterlistiger Überfall : + . B.
Das strafbare Verhalten des K
1. a)
§ 212 StGB Erfolg : + .
78
Einübung in die Fallbearbeitung
b) Möglichkeit, die Rechtsgutsverletzung zu vermeiden : + : Gefahr für das Leben der B erhöht, als K dem A vorspiegelte, er brauche weiter zur Rettung nichts zu unternehmen. — Gefahr realisiert : + . c) Kenntnis : + . d) Rechtswidrigkeit? Freiheit der Religionsausübung als Rechtfertigungsgrund, Art. 4 GG : — , keine Eingriffe in individuelle Rechte Dritter gestattet. e) Bewußtsein der Sozialschädlichkeit : + . f ) § 211 StGB? Heimtücke : — : K ließ den Dingen den Lauf, nutzte nicht die Gelegenheit, um B zu töten. g) Schuld : + . h) Strafausschluß, weil religiöse Uberzeugung vorlag : — . C.
Das strafbare Verhalten des C
1. §§ 211/23,27 (niedrige Beweggründe und Heimtücke — wenn Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses —, pers. Merkmale des Täters, daher:), 28 II, 212/23,27, (aber Habgier:) 28 II, 211/23,27 StGB (211/43,49,50 III, 212/43,49,50 III, 211/43,49 StGB a. F.). 2.
Rücktritt : — .
D.
Ergebnis
A. K.
§§ 223, 223 a StGB § 212 StGB
C.
§§ 211/23, 27 (211/43, 49 StGB a. F.) StGB.
IV.
Gutachten
A.
Das strafbare Verhalten des A
1.
Totschlag, § 212 StGB
Indem A der B Gift in den Kaffee tat, könnte er sich eines Totschlags, § 212 StGB, schuldig gemacht haben. a) Die B ist gestorben, der in § 212 beschriebene Erfolg ist demnach eingetreten. b) A hatte auch die Möglichkeit, diesen Erfolg zu vermeiden:
Anfängerklausur Nr. 4: Kassiererfall
79
Er hätte der B das Gift nicht zu geben brauchen. c) Die Einnahme des Giftes begründete Lebensgefahr f ü r die B. d) Zweifelhaft erscheint aber, ob sich im Tode der B die von A durch das Gift begründete Gefahr realisierte, oder aber bei wertender Betrachtungsweise der Grund f ü r den Tod der B im Verhalten des K zu sehen ist. — H ä t t e K den Rettungsdienst instruiert, so wäre die B gerettet worden. K wußte genau, daß er durch die Täuschung des A die Chancen der B, durch ärztliche Hilfe gerettet zu werden, verminderte. Er war sich audi klar darüber, daß eine wahrheitsgemäße Darstellung des Sachverhaltes dazu geführt hätte, daß A selbst beizeiten weitere Hilfsmaßnahmen eingeleitet hätte. Aufgrund seiner Täuschung erlangte K innerhalb des Geschehens eine Stellung, die der eines mittelbaren Täters gleicht. Er schloß den A vom Tatgeschehen aus und bestimmte dieses nunmehr selbst, wobei er den A darüber täuschte, daß er selbst bestimmend in das Geschehen eingriff. Durch sein Verhalten schlug er dem A die Lenkung des Geschehens aus der H a n d und übernahm sie selbst. Damit ist aber der Zurechnungszusammenhang zwischen dem von A ausgelösten Kausalverlauf und dem Erfolg unterbrochen. Das Geschehen nach dem Eingreifen des K ist dem A nicht mehr zuzuredinen. Er ist so zu behandeln, als hätte sein Verhalten zu keinem rechtserheblichen Erfolg geführt. 2. Versuchter Totschlag, §§ 212, 23 (43 StGB a. F.) StGB Durch sein Verhalten könnte der A allerdings einen versuchten Totschlag begangen haben. a) Der Versuch des Totschlags ist strafbar, §§ 212, 23, 12 Abs. 1 (212, 43, 1 StGB a. F.) StGB. b)
A hatte den Entsdiluß gefaßt, die B zu töten.
c) Er begann mit der Ausführung seines Planes, als er das Gift in den Kaffee tat. In diesem Verhalten ist eine unmittelbare Gefährdung des Lebens der B zu sehen. d)
Das Verhalten des A war rechtswidrig.
e) Es könnten sogar Qualifikationsmerkmale i. S. des § 211 vorliegen:
80
E i n ü b u n g in die Fallbearbeitung
aa) Zunächst kommen niedrige Beweggründe in Betracht, d. h. Beweggründe, die bei einer sozialethischen Wertung auf tiefster Stufe stehen, weil in ihnen zum Ausdruck kommt, daß der Täter kraß egoistisch handelt, ohne auch nur ein Minimum von Verbundenheit mit anderen zu zeigen.— Die Tötung eines anderen, nur weil dieser andere es ablehnte, ein Liebesverhältnis mit dem Täter einzugehen, ist ein derartiger Beweggrund. Der Täter ist über die konkrete Tat hinaus aufgrund seiner asozialen Gesinnung für die anderen Rechtsgenossen gefährlich. bb) Weiter könnte Heimtücke gegeben sein, d. h. wenn man der Rechtsprechung folgt, Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, bzw. wie es ein Teil der Lehre fordert, der Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses. — Auf die Verletzung des Vertrauensverhältnisses kommt es hier an, denn diese bringt die sozialethisch unerträgliche Gesinnung des Täters, die ihn vom Totschläger unterscheidet, zum Ausdruck. Ein Vertrauensverhältnis dieser Art besteht auch zwischen Kollegen, die zusammenarbeiten und zusammen K a f f e e trinken. In einem solchen Kreise vertraut man einander selbst dann, wenn es kleinere Unstimmigkeiten gegeben hat, und muß nicht darauf gefaßt sein, von einem anderen aus diesem Kreise an seinem Leben bedroht zu werden. cc) Grausam i. S. des § 211, d. h. unter bewußter Zufügung besonderer Schmerzen aus gefühlloser oder unbarmherziger Gesinnung, handelte A jedoch nicht. Ihm kam es nicht darauf an, daß B Schmerzen erlitt.
f ) A handelte auch schuldhaft. g) Zu erwägen ist aber, ob A nicht straffrei vom Mordversuch zurückgetreten ist. aa) Ein Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative kommt allerdings nicht in Betracht. A hat die weitere Ausführung der Tat nicht aufgegeben, denn da er nach seiner Vorstellung alles getan hatte, um den Erfolg herbeizuführen, bedurfte es keiner weiteren Ausführungshandlung mehr, bb) Auch die Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative kommt nicht in Betracht. A hat die Vollendung der Tat
Anfängerklausur Nr. 4: Kassiererfall
81
nicht selbst verhindert. Sein Versuch in dieser Richtung ist fehlgeschlagen. cc) In Betradit kommt jedoch § 24 Abs. 1 Satz 2. Durch das Dazwischentreten des K konnte die Tat des A nicht mehr vollendet werden. Es begann eine neue Tat, nämlich die des K. — A selbst hatte sich freiwillig und ernsthaft darum bemüht, die Vollendung zu verhindern. Er hat sich demnach Straffreiheit gem. § 24 Abs. 1 Satz 2 verdient. 3.
Giftbeibringung,
§ 229
StGB
Als A der B Gift in den Kaffee tat, den diese anschließend trank, brachte er ihr Gift bei i. S. des § 229. Dies geschah bewußt und gewollt. — Zwar wollte A die B nicht nur an der Gesundheit verletzen, sondern töten, doch ist die Gesundheitsverletzung Durchgangsstadium jeder Tötung. — A handelte rechtswidrig und schuldhaft. Zu erwägen ist aber, ob A Straffreiheit wegen eines Rüdetritts zuzubilligen ist. Ein Rücktritt vom Versuch kommt allerdings in diesem Bereich nicht in Betracht, denn das Delikt der Giftbeibringung ist vollendet. In der Sache handelt es sich bei § 229 StGB jedoch um ein Gefährdungsdelikt, und insofern wäre zu erwägen, ob nicht eine analoge Anwendung der §§ 158, 310 StGB in Betracht kommt. Als K durch Täuschung des A die Herrschaft über das Geschehen an sich riß, war ein über die Gesundheitsgefährdung und die Schmerzen hinausgehender Schaden für Gesundheit und Leben der B noch nicht eingetreten. Insofern versuchte A den Erfolg abzuwenden zu einem Zeitpunkt, als lediglich eine Gefährdung gegeben war. Der spätere Erfolg ist auch nicht auf diese Gefährdung zurückzuführen, sondern auf das Verhalten des K, der dem A die Steuerung des Verhaltens aus den Händen nahm und in voller Kenntnis der Sachlage das Geschehen selbst steuerte. — Damit sind die wesentlichen Elemente, die auch die Situation bestimmen, an die die §§ 158, 310 StGB anknüpfen (Gefahr, die sich nicht realisiert, freiwillige Abkehr des Täters von seinem Vorhaben), gegeben. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber im Bereich des § 229 einen Rücktritt ausschließen wollte, sind nicht ersichtlich, viel6 O t t o , Übungen im Strafredit
82
Einübung in die Fallbearbeitung
mehr kann unterstellt werden, daß der Gesetzgeber sich bei der Regelung der §§ 158, 310 StGB gar nicht bewußt war, daß die dort umschriebene Situation noch in anderem Zusammenhang eintreten konnte. Die analoge Anwendung der §§ 158, 310 StGB führt zur fakultativen Strafmilderung bzw. zum Strafausschluß bei A. 4.
Gefährliche Körperverletzung,
§§ 223, 223a StGB
a) Durch das Gift erlitt die B erhebliche Schmerzen. Eine körperliche Mißhandlung, d. h. eine üble unangemessene körperliche Behandlung, die das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt, und eine Gesundheitsbeschädigung, d. h. ein pathologischer Zustand, liegen vor. A handelte bewußt und gewollt, sein Verhalten war rechtswidrig. b) Als qualifizierende Merkmale der Körperverletzung i. S. des § 223a StGB können die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs, eine lebensgefährdende Behandlung und ein hinterlistiger Überfall in Betracht kommen. Gefährliche Werkzeuge sind auch diemische Mittel, die aufgrund ihrer Wirkungen zu schweren Körperschäden führen können. Das Gift war demnach ein gefährliches Werkzeug in diesem Sinne. — Da B in Lebensgefahr geriet, liegt auch eine lebensgefährdende Behandlung vor. — Schließlich ist auch ein hinterlistiger Überfall gegeben, denn A brachte der B das Gift unter bewußter Verheimlichung seiner feindlichen Absichten bei. A handelte schuldhaft. Er ist demnach wegen einer gefährlichen Körperverletzung, §§ 223, 223a StGB, strafbar. B.
Das strafbare Verhalten des K
1.
Totschlag, § 212 StGB
Als K dem A vorspiegelte, er benachrichtige den Rettungsdienst, und weitere Maßnahmen durch A seien daher überflüssig, könnte er sich eines Totschlags schuldig gemacht haben. a) Der Erfolg ist eingetreten, vgl. A 1 a). b) K hatte auch die Möglichkeit, den Tod der B zu vermeiden. — Als er den A davon abhielt, selbst Rettungsmaß-
Anfängerklausur Nr. 4 : Kassiererfall
83
nahmen zu ergreifen, begründete er eine neue Lebensgefahr für die B und erhöhte damit das schon vorhandene Risiko. Diese Gefahr realisierte sich im Tode der B, denn ein sofortiges Eingreifen des A hätte zur Rettung der B geführt. c)
K handelte bewußt und gewollt.
d) Zweifel könnten allerdings an der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des K begründet sein, denn nach einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die Religionsausübung, Art. 4 GG, weder durch das Sittengesetz noch durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG begrenzt. Allein dem grundrechtlichen Wertsystem sollen Schranken zu entnehmen sein. Wie die Bestimmung dieser Schranken vorzunehmen ist, kann jedoch dahinstehen. — Greift jemand in die individuellen Rechte eines anderen ein, so läßt sich dieses Verhalten nicht mit dem Grundrecht der Freiheit der Religionsausübung rechtfertigen. Dieses Grundrecht gibt niemandem Befugnisse, sich über die Rechte anderer hinwegzusetzen. Die weitere Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, daß gegen einen Täter, der aufgrund religiöser Überzeugung handelt, die Kriminalstrafe nicht angewendet werden könne, geht nicht in Richtung auf einen Rechtfertigungsgrund. e) K handelte auch im Bewußtsein der Sozialschädlichkeit, denn er war sich der Tatsache bewußt, daß die anderen Mitglieder der Rechtsgesellschaft sein Verhalten nicht billigen, sondern als sozialgefährlich und sozialschädlich einstufen. f ) Als qualifizierendes Mordmerkmal könnte Heimtücke vorliegen. — K ließ den Dingen jedoch ihren Lauf. Er nutzte weder die Arg- und Wehrlosigkeit von A und B aus, um die B zu töten, noch mißbrauchte er ein Vertrauensverhältnis, um gerade diesen Erfolg herbeizuführen. g)
K handelte schuldhaft.
h) Ein Strafausschluß aufgrund der Tatsache, daß K aus religiöser Überzeugung handelte, kommt nicht in Betracht. Es besteht keinerlei Anlaß, den religiösen Überzeugungstäter straffrei zu stellen.
Einübung in die Fallbearbeitung
84 C. 1.
D a s s t r a f b a r e V e r h a l t e n des C Beihilfe
zum
S t G B a. F . ) A
hat
versuchten
Mord,
§§ 211,
23, 27 ( 2 1 1 , 4 3 , 4 9
StGB
sich eines
versuchten
Mordes
schuldig
gemacht.
Die
niedrigen B e w e g g r ü n d e u n d die H e i m t ü c k e sind jedoch als p e r sönliche M e r k m a l e i m Sinne des § 2 8 Abs. 2 S t G B ( 5 0 Abs. 3 S t G B a. F . ) anzusehen. Sie sind d e m C d a h e r gem. § 2 8 A b s . 2 ( 5 0 Abs. 3 S t G B a. F . ) S t G B nicht zuzurechnen. C aber aus H a b g i e r , d. h. aus einem sozialethisch
handelte
verwerflichen
G e w i n n s t r e b e n heraus. A u c h H a b g i e r ist persönliches M e r k m a l in diesem Sinne. Dieses M e r k m a l ,
das in der P e r s o n des
A
nidit v o r l i e g t , ist bei der S t r a f e des C z u berücksichtigen. Ergebnis:
C:
§ § 2 1 1 / 2 3 , 2 7 , 2 8 Abs. 2, 2 1 2 / 2 3 , 2 7 , 2 8 Abs. 2,
2 1 1 / 2 3 , 2 7 S t G B ( § § 2 1 1 / 4 3 , 4 9 , 5 0 Abs. 3, 2 1 2 / 4 3 , 4 9 ,
50
Abs. 3, 2 1 1 / 4 3 , 4 9 S t G B a. F . ) . 2. D.
Ein
Rücktritt
kommt
in der Person
des C nicht in
Ergebnis
1.
A:
§§ 223,
223a
2.
K:
§ 212
StGB
3.
C:
§§ 211,
23, 27 ( 2 1 1 , 4 3 , 4 9 S t G B a. F . )
V.
Betracht
StGB
StGB
Anmerkungen
1. Der Sachverhalt ist im wesentlichen eine Abwandlung des mittlerweile in der Lehre angeregt diskutierten Falles, daß dem Täter, der einen anderen in Lebensgefahr gebracht hat, die Rettung unmöglich wird, weil das Opfer sich zum Selbstmord entschlossen zeigt. 2. Die Bearbeiter, die mit dem Verhalten des K begannen, bejahten in der Regel ein vollendetes Tötungsdelikt bei K und erörterten das Verhalten des A nur unter Versuchsgesichtspunkten. — Dies ist unrichtig, denn ob der Tod der B nicht auch dem A zuzurechnen ist, muß geprüft werden. Umgehen ließ sich das Problem nicht. 3. Wer nach dem Schema Tatbestand (A kausal für den Erfolg, V o r satz) Rechtswidrigkeit, Schuld aufbaute, hatte es schwieriger, in die Problematik hineinzukommen. — Am ehesten ließ diese sich in diesem Schema vom Vorsatz her aufrollen, indem die Frage aufgeworfen wurde, ob der Täter sich ganz regelwidrige und unvorhersehbare
Anfängerklausur Nr. 4: Kassiererfall
85
Kausalverläufe zurechnen lassen müßte. — Damit aber wird zugegeben, daß im subjektiven Bereich in Wirklichkeit objektive Feststellungen getroffen werden. Bezieht der Vorsatz sich nämlich nur auf das den Kausalverlauf auslösende Element, so lag er unstreitig vor. — Braucht der Täter sidi aber bestimmte regelwidrige Kausalverläufe nicht zuredinen zu lassen, so deshalb nicht, weil diese nicht als sein Werk erscheinen und damit der Tod der B auf einem anderen Geschehen beruht als auf dem von A in Gang gesetzten. 4. Bei K wurde in der Regel ein Totschlag durch Unterlassen erörtert (Garantenstellung: vorangegangenes Tun oder Übernahme besonderer Pflichten). Auch diese Konstruktion führte zu einem zutreffenden Ergebnis. — Richtiger war es jedoch, von einem pos. Tun auszugehen, denn durch die Täuschung des A griff K aktiv in das Geschehen ein. 5. Unsicherheiten zeigten sich bei der Behandlung der Mordqualifikationen. Es wurde verschiedentlich verkannt, daß die unterschiedlichen Definitionen einzelner Merkmale die Entscheidung darüber in sich tragen, ob ein „besonderes persönliches Merkmal" (Heimtücke: Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses) oder ein objektives Merkmal (Heimtücke : Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit) vorlag. 6. Ausführungen zur Analogie der §§ 158, 310 wurden von den Bearbeitern nicht erwartet. Die Analogie selbst steht auf arg unsicherer Basis, denn schon das Argument, die Schmerzen der B seien ein über die bloße Gefährdung der Gesundheit hinausgehender Erfolg, entzieht ihr die notwendigen Voraussetzungen. 7.
VI.
Bearbeitungszeit: 3 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung
1. Zur Diskussion über den „mißlungenen Rücktritt" vgl. Baumann, Strafrecht, A. T., 5. Aufl. 1968, S. 520; Mezger-Blei, Studienbuch I, A.T., 15. Aufl. 1973, S. 267 f.; Schröder, JuS 1962, S. 82; Schmidhäuser, Strafrecht, A. T., 1970, 15/80; Wessels, Strafrecht, A. T., 3. Aufl. 1973, S. 104. — Munoz-Conde, der die Problematik in einem Aufsatz — GA 1973 S. 33 ff — ausdrücklich thematisch macht, bekommt die Problematik nicht recht in den Griff. 2. Zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs in dieser Problemkonstellation vgl. Otto, Kausalität und Zurechnung, MaurachFestschrift, 1972, S. 95 f f ; Roxin, Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschrift, 1973, S. 241 ff, insbes. S. 292 mit Anm. 25; Lenckner, Probleme beim Rücktritt des Beteiligten,
86
Einübung in die Fallbearbeitung
Gallas-Festschrift, 1973, S. 281 f f , insbes. S. 292 mit Anm. 32. — Lenckner, a. a. O., verkennt das Prinzip der Steuerbarkeit, das immer auf ein (nodi) Mögliches gerichtet ist. Steuerbar ist das Verhalten audi für einen Täter nach beendetem Versuch, wenn er noch über die Möglichkeit verfügt, die Rechtsgutsverletzung zu verhindern. Verliert er diese Möglichkeit, oder gibt er sie bewußt aus der H a n d , endet seine Herrschaft über das Geschehen. Keineswegs endet die Herrschaft jedoch grundsätzlich mit der Beendigung des Versuchs. 3. Zur Definition der Mordqualifikationen vgl. Otto, Straftaten gegen das Leben, ZStW 83 (1971) S. 58 f f . 4. Die Entscheidung des B V e r f G zur Freiheit der Religionsausübung ist abgedruckt in: B V e r f G 32 S. 98 = N J W 1972 S. 327 = J Z 1972 5. 83 = J R 1972 S. 339. a)
Analysiere die Entscheidungsgründe.
b) D a z u mit eingehenden Nachweisen der Stellungnahmen zu diesem Urteil: Ranft, Schwinge-Festschrift, 1973, S. 111 f f .
Anfängerhausarbeit: Kirmesfall I.
Sachverhalt
Der in seiner Arbeit schwerfällige und sehr ruhige Hilfsarbeiter H hatte vor Jahren den X kennengelernt, mit dem zusammen er damals bei derselben Firma beschäftigt war. X hatte später dafür gesorgt, daß H entlassen wurde, rühmte sidi dessen oft, nannte den H öffentlich gern einen „dicken Faulenzer", hänselte und beleidigte den H , wann immer er ihn traf. An die Ehefrau des H hatte X wiederholt obszöne Aufforderungen gerichtet und sich an der Hilflosigkeit des H geweidet, der nicht wußte, wie er sich des X erwehren sollte. Am 29. 5. besuchte H mit seiner Frau die Kirmes in O. Im Festzelt trat X auf sie zu, führte anstößige Reden in bezug auf Frau H und beleidigte den H grob, als dieser ihn bat, seine Ehefrau in Ruhe zu lassen. H stürzte daraufhin auf den X los, und es wäre zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, wenn nicht andere Gäste die Streitenden getrennt hätten.
Anfängerhausarbeit:
Kirmesfall
87
H und seiner Frau war der Abend verdorben. Sie gingen aus dem Festzelt und waren im Begriff, in ihr K f z . zu steigen, als H den X aus dem Festzelt auf sich zukommen sah. H glaubte sich von X verfolgt. E r fürchtete neue Beleidigungen. Ein starker Effektstau entlud sich in einer spontanen E n t lastungsreaktion: Mit den Worten: „Jetzt kommt er auch noch nach" eilte H auf den etwa 10 m entfernten X zu. Es kam zu einem Schlagabtausch. Plötzlich zog H sein Taschenmesser (7 cm lange Klinge) und versetzte dem X zwei Stiche. X brach zusammen, er verbrachte vier Wochen im Krankenhaus. An eine Tötung des X hatte H nicht einmal gedacht. — Später stellte sidi heraus, daß X dem H gar nicht nadigehen, sondern lediglidi austreten wollte. H a t H sich strafbar gemadit?
II.
Überlegungen auf dem "Wege zur Fallösung
1. Nach der Fragestellung am Ende des Sachverhalts ist allein das strafrechtlich relevante Verhalten des H zu erörtern. 2. Es bieten sich drei Handlungsabsdinitte an: das Verhalten des H im Festzelt, der Schlagaustausch vor dem Zelt sowie die anschließenden Messerstiche. — Es ist sicher vertretbar, den Schlagaustausch und die anschließenden Messerstiche zu einem Handlungsabschnitt zusammenzuziehen, doch könnten die Messerstiche unter dem Gesichtspunkt eines Notwehr- oder Putativnotwehrexzesses bedeutsam werden. Dann würde eine Unterteilung des Sachverhalts eine bessere Darstellung der rechtlichen Probleme ermöglichen. 3.
Zu erörtern sind:
a) hinsichtlich des Verhaltens im Festzelt: §§ 223/23, 240/23 (223/43, 240/43 StGB a. F.) StGB b) bezüglich des Schlagaustausdis außerhalb des Festzelts: §§ 223, 230 StGB c) bei den Messerstichen §§ 212/23 (§ 43 StGB a. F.), 223, 223a StGB.
III.
Lösungsskizze
Das strafbare
Verhalten
des H
A . Das Verhalten im Festzelt 1. §§ 223/23 (§ 43 StGB a. F.) StGB gegenüber X : — : Versuch nicht strafbar.
Einübung in die Fallbearbeitung
88
2. $ 240/23 (§ 43 StGB a. F.) StGB gerichtet auf das Unterlassen weiterer Beleidigungen durch X : Versuch der Nötigung strafbar, Entschluß: + , Anfang der Ausführung: + , aber Notwehr, § 32 (§ 53 StGB a. F.) StGB. B.
Der Schlagaustausch vor dem Festzelt
1.
§ 223 StGB:
a)
Obj. Tb: + : Faustschläge = körperliche Mißhandlung.
b) Bewußt und gewollt handelte H, insoweit vor. c)
liegt Vorsatz
Rechtfertigung: Notwehr: — : kein Angriff durch X .
d) Irrtum über Angriff durch X = Irrtum über tatsächliche Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. — Da Fortsetzung ständiger Beleidigungen, wären Fausthiebe auch erforderlich gewesen. e) Auf Grund des Irrtums fehlte H das Bewußtsein, sich sozialschädlich zu verhalten (materielles Unrechtsbewußtsein). — Konsequenzen für Vorsatz? aa) strenge Schuldtheorie: Vorsatz: + , bb) eingeschränkte Schuldtheorie: Vorsatz: —, cc) Vorsatztheorien (strenge, eingeschr., modifizierte): Vorsatz: —. f)
Stellungnahme für modifizierte Vorsatztheorie: Vorsatz: § 223: —.
g)
Ergebnis:
2.
§ 230 StGB
a)
Erfolg eingetreten.
b)
Generelle Vorhersehbarkeit: + .
c) Sorgfaltspflichtverletzung: keine Prüfungspflicht unter den gegebenen Umständen, daher: —. C.
Die Messerstiche
1. §§ 212/23 (§ 43 StGB a.F.) fehlt.
StGB:
— : Tötungsentschluß
Anfängerhausarbeit: Kirmesfall 2.
89
§§ 223, 223a StGB
a) Grundtatbestand: obj.: + : körperlidie Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung liegen vor. b) H handelte bewußt und gewollt und insoweit Vorsatz: + . c) Rechtswidrigkeit: Notwehr: —. d) Irrtum über Notwehrlage betrifft Vorsatz nicht, da Messerstidie nicht erforderlich (zumindest grob unverhältnismäßig). e) Bewußtsein der Sozialschädlichkeit lag vor bei H . f ) Qualifikation nach § 223a: gef. Werkzeug: + . g) Sdiuldfähigkeit: § 20 (§ 51 I StGB a. F.) StGB: + : Affektstau führte nidit zu pathologischer Bewußtseinsstörung. h) Notwehrexzeß, § 33 (§ 53 III StGB a. F.) StGB, aa) § 33: —: keine Notwehrlage. bb) § 33 analog? aaa) § 33 setzt fahrlässiges Überschreiten der Grenzen der Notwehr voraus, bei Vorsatz nicht anwendbar. — Dann Analogie hier auf jeden Falle ausgeschlossen, bbb) Keine Analogie, da obj. Notwehrsituation Hauptgrund der gesetzlichen Regelung. ccc) Analogie, wo psych. Situation des Täters gleich und Opfer auch „schuld" an Situation: + . cc) Voraussetzungen des § 33: Verwirrung: —, Furcht: + : H daher entschuldigt. D.
IV.
Ergebnis: H nicht strafbar.
Gliederung
Das strafbare Verhalten des H A.
Das Verhalten im Festzelt
1.
§§ 223/23 (43 StGB a. F.) StGB?
2.
§§ 240/23 (43 StGB a. F.) StGB?
B.
Der Schlagaustausch vor dem Festzelt
1.
§ 223 StGB?
90
Einübung in die Fallbearbeitung
2.
§ 230 StGB?
C.
Die Messerstiche
1.
§§ 212/23 (43 StGB a. F.) StGB.
2.
§§ 223, 223a StGB.
D.
Ergebnis
V.
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Einübung in die Fallbearbeitung
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IV. A.
Teil,
1970
des BGH,
(zit.:
in:
Gutachten Das Verhalten des H im Festzelt
1. Versuchte Körperverletzung a. F.) StGB
an X, §§ 223¡23 (§ 43 StGB
H stürzte auf X los und -wollte ihn tätlich angreifen. Er wurde jedoch zurückgehalten. Es kam zu keiner vollendeten Körperverletzung an X . — In Betracht käme jedoch eine versuchte Körperverletzung des H an X . Die Körperverletzung ist ein Vergehen. Die Strafbarkeit des Versuchs ist in § 223 nicht ausdrücklich vorgesehen. Der V e r such der Körperverletzung ist daher nicht strafbar, §§ 223, 23, 1 2 Abs. 2 (223, 43, 1 StGB a. F.) StGB.
93
Anfängerhausarbeit: Kirmesfall 2.
Versuchte
Nötigung,
§§ 240123 ( 4 3 S t G B a. F.)
StGB
Als H auf den X losstürzte, wollte er ihn durch Sdiläge veranlassen, weitere Beleidigungen zu unterlassen. Diesen Erfolg erreichte er zwar nicht dadurch, daß er auf X einschlug, denn das Eingreifen der Umstehenden beendete den Streit, in Betracht käme jedoch eine versuchte Nötigung. Der Versuch der Nötigung ist strafbar, §§ 240 Abs. 3/23 (240 Abs. 3/43 StGB a. F.) StGB. — H hatte den Entschluß gefaßt, durch Anwendung von Gewalt — Entfaltung körperlicher Kraft zur Einwirkung auf den Körper eines anderen 1 — den X dazu zu veranlassen, weitere Beleidigungen zu unterlassen. Indem er sich auf den X stürzte, begann er mit der Ausführung der Nötigung im Sinne des § 22 StGB, denn unter Berücksichtigung seiner Vorstellung trat eine unmittelbare Gefährdung der Rechtsgüter des X ein. Zweifelhaft erscheint es jedoch, ob das Verhalten des H rechtswidrig war. — Hier könnte eine Rechtfertigung durch Notwehr, § 32 (53 StGB a. F.) StGB, in Betracht kommen. Nach dem Sachverhalt beleidigte der X den H gröblich. Er verletzte damit die Ehre des H . Ein Angriff gegen ein Rechtsgut 2 des H seitens des X lag demnach vor. Dieser Angriff war auch gegenwärtig, denn die Beleidigungen dauerten an. An der Rechtswidrigkeit des Angriffs besteht kein ernster Zweifel. — Wie sich seit geraumer Zeit gezeigt hatte, war nicht zu erwarten, daß X aufgrund verbaler Vorhalte des H mit den Beleidigungen aufhörte. Schläge durch H wären demnach ein erforderliches Mittel zur Beendigung der Beleidigungen gewesen. H wollte mit seiner Verteidigungshandlung auch seine Ehre verteidigen, die durch ihn begonnene Nötigung war demnach gerechtfertigt. 1 Allg. Ansicht, daß jedenfalls die Einwirkung auf den Körper eines anderen durch Schläge als Gewalt anzusehen ist; vgl. z. B. RGSt 64 S. 115; BGHSt 16 S. 341; SAönke-Schröder, a . a . O . , Vorbem. 6 vor § 234 mit weiteren Nachweisen. 2 RGSt 21 S. 168; BGHSt 14 S. 361; OLG Hamm NJW 1951 S. 228; sowie Schönke-Schröder, a. a. O., § 53 Rdnr. 5 mit weiteren Nachweisen.
94 B.
Einübung in die Fallbearbeitung
D e r Schlagaustausch vor dem Festzelt
1. Körperverletzung an X, § 223 StGB Indem H auf X einschlug, könnte er sich einer Körperverletzung, § 223 StGB, schuldig gemacht haben. a) Dann müßte er den Körper des X mißhandelt, d. h. in übler unangemessener Weise behandelt haben, derart, daß das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit des X beeinträchtigt wurde 3 . — Die Faustschläge des H beeinträchtigten das körperliche Wohlbefinden des X erheblich. Eine körperliche Mißhandlung liegt demnach vor. b) H wollte diesen Erfolg mit seinen Schlägen erreichen, er handelte wissentlich und insoweit vorsätzlich. c) Die Körperverletzung könnte jedoch durch Notwehr, § 32 (53 StGB a. F.) StGB, gerechtfertigt sein. Es müßte dann ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff des X vorgelegen haben. Als Angriff ist nicht nur die Verletzung, sondern schon jede von einem Menschen drohende Verletzung der Rechtsgüter eines anderen anzusehen. — Hier käme ein Angriff gegen die Ehre des H in Betracht. Als X aus dem Zelt trat, glaubte H , X wolle ihn erneut beleidigen, d. h. er ging davon aus, es läge ein Angriff des X gegen seine Ehre vor. In Wirklichkeit wollte X jedoch nur austreten, er war sich nicht einmal der Tatsache bewußt, daß H in der N ä h e war. Objektiv lag demnach kein Angriff des X vor. Dieser verletzte weder bereits ein Rechtsgut des H , noch stand solch eine Verletzung unmittelbar bevor. Maßgeblich ist jedoch hier die objektive Lage 4 . — Mangels eines Angriffs war demnach keine Notsituation gegeben. Andere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. d) N u n glaubte H freilich, von X drohten neue Beleidigungen, denen er nur durch Schläge zuvorkommen könnte. — 3
Allg. Ansicht, vgl. z. B. BGHSt 14 S. 269; OLG H a m m MDR 1958 S. 939; Lackner-Maassen, a . a . O . , § 223 Anm. 2; Schönke-Schröder, a. a. O., § 223 Rdnr. 3. 4
Allg. Ansicht, vgl. z. B. RGSt 21 S. 190, 61 S. 102; Baldus, LK, 9. Aufl., § 53 Rdnr. 49; Sdiönke-Sdiröder, a . a . O . , § 53 Rdnr. 156.
Anfängerhausarbeit:
Kirmesfall
95
Wäre diese Lagebeurteilung durch H zutreffend gewesen, so hätte in den unmittelbar bevorstehenden Beleidigungen ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff gelegen, demgegenüber H zur Notwehr berechtigt gewesen wäre. — H nahm also tatsächliche Umstände an, bei deren Vorliegen eine Notwehrlage bestanden hätte. — Er irrte über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Notwehr. e) Aufgrund eines Irrtums fehlte dem H das Bewußtsein, Unrecht zu tun, d. h. sich sozialschädlich zu verhalten. Er ging davon aus, daß sein Verhalten von der Rechtsordnung gebilligt würde. Dieser Irrtum des H könnte seinen Vorsatz, eine Körperverletzung zu begehen, ausgeschlossen haben. — Das ist allerdings nicht unstreitig. aa) Die Anhänger der strengen Schuldtheorie 5 gehen davon aus, daß der Täter, der die in einem Tatbestand beschriebene Verhaltensweise bewußt verwirklicht, vorsätzlich handelt. Vorsatz ist Wissen und Wollen des objektiven Tatbestandes, weitere Merkmale enthält der Vorsatz nicht. — Der Täter, der einen objektiven Tatbestand einer Strafrechtsnorm bewußt verwirklicht, handelt vorsätzlich. Für die vorsätzliche Tat ist ein aktuelles Unrechtsbewußtsein nicht nötig. Es genügt die Erlangbarkeit des Unrechtsbewußtseins (potentielles Unrechtsbewußtsein)6. — Ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat, gleichgültig auf welchen Umständen er beruht, kann deshalb nicht zum Vorsatzausschluß führen, sondern höchstens einen Verbotsirrtum begründen 7 , der im Rahmen der Schuld des Täters zu beachten ist: War der Irrtum des Täters vermeidbar, so kann die Strafe höchstens gemildert werden, war der Irrtum unvermeidbar, so ist von Strafe abzusehen. 5
Bockelmann, N J W 1950 S. 830 ff; Dohna, a . a . O . , S. 23; Fukuda, JZ 1958 S. 143 f f ; Hirsch, a. a . O., S. 314 ff; Armin Kaufmann, JZ 1955 S. 37 ff; Niese, DRiZ 1953 S. 20 ff; Maurach, a. a. O., S. 254 ff, 463 f; Eberhard Schmidt, SJZ 1950 Sp. 837; Welzel, Lehrb., S. 164 ff. 6
Welzel, M D R 1952 S. 589.
7
Welzel, Lehrb., S. 166.
96
Einübung in die Fallbearbeitung
Nach dieser Theorie hätte H vorsätzlich gehandelt, bb) Eine differenziertere Betrachtungsweise wählen die Anhänger der sogenannten eingeschränkten Schuldtheorie 8 . Sie unterscheiden im Bereich des Irrtums über einen Rechtfertigungsgrund zwischen dem Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes, der den Vorsatz ausschließt, und dem Irrtum über die Grenzen eines bestehenden Rechtfertigungsgrundes bzw. dem über das Vorhandensein eines von der Rechtsordnung nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes, der lediglich als Verbotsirrtum bei der Schuld berücksichtigt wird. Die einen begründen dies Ergebnis, indem sie eine Analogie bilden zum Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal im engeren Sinne 9 . Sie gehen davon aus, daß der Irrtum über ein T a t bestandsmerkmal im engeren Sinne den Vorsatz ausschließt, § 16 Abs. 1 (59 I S t G B a. F.) StGB, und vergleichen die Situation eines derart irrenden Täters mit der des Täters, der über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes irrt: Beide Täter gehen auf Grund eines Irrtums über bestimmte Fakten davon aus, daß sie sich rechtsgetreu verhalten. Das rechtfertige ihre rechtliche Gleichbehandlung. — Andere sehen die Rechtfertigungsgründe als sog. negative Tatbestandsmerkmale an mit der Konsequenz, daß dem Täter ein vorsätzliches Handeln nur in Fällen anzulasten ist, in denen er bewußt den objektiven Tatbestand eines Delikts verwirklicht und weiß, daß keine Rechtfertigungsgründe vorliegen 1 0 . Nach dieser Lehre hätte H nicht vorsätzlich gehandelt, cc) Einen grundsätzlich anderen Ausgangspunkt wählen die Vertreter der sog. Vorsatztheorie. Sie sehen im UnrechtsB G H S t 2 S. 194 ff, 3 S. 105 f f ; Engisdi, Z S t W 70 S. 5 7 6 ; Gallas, ZStW 67 S. 4 6 ; Jescheck, a . a . O . , S. 3 0 5 ; Lackner-Maassen, a . a . O . , § 59 Anm. III b; Roxin, Offene Tb., S. 119 ff; Weber, Mezger-Festsdirift, S. 189.
8
B G H S t 2 S. 194 ff; 3 S. 105 ff; Börker, J R 1960 S. 1 6 8 ; Engisch ZStW 70 S. 5 6 6 ; Gallas, ZStW 67 S. 1, 46.
8
Roxin, Offene Tb., S. 135; ders., Z S t W 76 S. 5 8 2 ; Schaffstein, Celle-Festschr., S. 1 7 5 ; Schönke-Schröder, a . a . O . , § 59 Rdnr. 21. — Dagegen zuletzt: Dreher, Heinitz-Festschrift, S. 218 f. 10
Anfängerhausarbeit:
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bewußtsein ein Element des Vorsatzes 11 . Die Vorsatzstrafe trifft den Täter, der, vor die Wahl zwischen Recht und Unrecht gestellt, sich für das Unrecht entscheidet12. Streitig ist allerdings, welche Anforderungen an dieses aktuelle Unrechtsbewußtsein zu stellen sind. aaa) Die einen 13 — sog. strenge Vorsatztheorie — gingen ursprünglich davon aus, daß ein Verhalten deshalb als rechtswidrig anzusehen sei, weil der Gesetzgeber es als rechtswidrig bezeichnet habe. Sie mußten demnach als Element des Vorsatzes das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im formellen Sinne fordern, d. h. die Kenntnis des Täters, daß sein Verhalten gegen eine Strafnorm verstößt. bbb) Diese Theorie hat in den letzten Jahren keine neuen Anhänger gefunden, und auch ihre Modifizierung in der sogen, eingeschränkten Vorsatztheorie spielt in der Diskussion kaum noch eine wesentliche Rolle 14 . Diese schränkte die strenge Vorsatztheorie nur dahingehend ein, daß der rechtsblinde und rechtsfeindliche Täter sich nicht auf das Fehlen des Unrechtsbewußtseins berufen könnte. ccc) In der aktuellen Diskussion steht heute jedoch die modifizierte Vorsatztheorie, wie sie Arthur Kaufmann 1 5 und Schmidhäuser16 begründet haben, und der letztlich auch Schröder 17 nahesteht. — Diese Theorie fordert genau wie die strenge Vorsatztheorie das aktuelle Unrechtsbewußtsein des Täters als Vorsatzelement. Unrechtsbewußtsein ist jedoch nicht das Bewußtsein der formellen Rechtswidrigkeit, sondern das Bewußtsein der materiellen Rechtswidrigkeit: Der Täter muß wissen, 11
Sdiönke-Schröder, a . a . O . , § 59 Rdnr. 81.
12
Schröder, ZStW 65 S. 196.
13
Baumann, a . a . O . , S. 420 f f ; Lang-Hinrichsen, GA 1957 S. 225; Kohlrausch-Lange, a . a . O . , § 59 Anm. V 2 ; Schröder, ZStW 65 S. 191 f; Kohlrausch-Lange, a. a. O., § 59 Anm. V 2 . 14
Vertreten von Mezger, Kohlrausch-Festschr., S. 180; Mezger, LK, § 59 Anm. 17 I b; Nowakowski, ZStW 65 S. 383. 15
Arthur Kaufmann, a. a. O., S. 143 ff.
16
Schmidhäuser, Mayer-Festschr., S. 317; ders., Lehrb., 10/60.
17
Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 59 Rdnr. 81 ff.
7 O t t o , Übungen im S t r a f r e d u
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Einübung in die Fallbearbeitung
daß sein Verhalten sozialsdiädlich ist. O b er sich darüber klar ist, daß er wegen seines Verhaltens bestraft werden kann oder nicht, ist demgegenüber unwesentlich 18 . Diese Theorie basiert auf der Voraussetzung, daß Unrecht nicht Unredit ist, weil der Gesetzgeber es als solches gekennzeichnet hat, sondern deswegen, weil es eine sozialschädliche Verhaltensweise ist, die der Gesetzgeber gegebenenfalls in seinen Normen pönalisiert. ddd) Nach diesen Theorien würde es dem H am Vorsatz fehlen, wobei es hier gleichgültig sein kann, ob damit nur die Schuld ausgeschlossen ist, weil der Vorsatz ein Sdiuldelement ist, oder bereits das Unrecht der vorsätzlichen Körperverletzung nicht vorliegt, weil der Vorsatz inklusive des Bewußtseins der Sozialschädlichkeit Bestandteil des Unrechtstatbestandes ist.
f ) Der strengen Schuldtheorie kann nicht gefolgt werden. D a sie jeden Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens als Verbotsirrtum behandelt, setzt sie z. B. den Totschläger und den in Putativnotwehr Tötenden gleich. Zwischen diesen beiden Tätern besteht jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Einstellung zur T a t ein wesentlicher Unterschied, der auch in der Wertung der T a t seinen Ausdruck finden muß 1 9 . — Darüber hinaus ist die strikte sachliche Trennung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit vom Gesetzgeber selbst keineswegs immer durchgehalten. Die Einwilligung z. B . in die Notzucht beseitigt den Tatbestand dieses Delikts, die Einwilligung in die Körperverletzung die Rechtswidrigkeit. Dies spricht sehr dafür, daß auch der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß Tatbestand und Rechtswidrigkeit zwar pädagogisch sinnvoll getrennt werden können, daß diese Trennung jedoch keinen Sachunterschied zum Ausdruck bringt, vielmehr Tatbestand und Rechtswidrigkeit Elemente des einheitlichen Unrechtstatbestandes sind. Dem kann die strenge Schuldtheorie nicht gerecht werden. — Schließlich besteht im Bereich des Nebenstrafrechts vielfach kein hinreichender Anlaß, sich über die Redit18
Sdimidhäuser, Mayer-Festschr., S. 326.
" Dreher, Heinitz-Festsdir., S. 218.
Anfängerhausarbeit:
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mäßigkeit des Verhaltens Gedanken zu madien 20 , während andererseits auch ein ganz gewöhnlicher Tatbestandsirrtum in einem Wertungsirrtum begründet sein kann. Ein solcher Wertungsirrtum braucht nicht verzeihlicher zu sein als ein Verbotsirrtum. Dennodi soll hier nadi dem Willen des Gesetzgebers der Vorsatz ausgeschlossen sein. Es kann dahinstehen, wieweit die eingeschränkte Schuldtheorie konstruktiv und in der sadilidien Trennung zwischen Tatsadienirrtum und Wertungsirrtum auf der Ebene der Reditswidrigkeit überzeugt 21 . Sie kommt zum gleichen Ergebnis wie die moderne Vorsatztheorie, der hier gefolgt werden soll: Im Verhältnis zum Fahrlässigkeitstäter erscheint der Vorsatztäter als der weit sozial schädlichere, weil er sidi der Rechtsgutsgefährdung bewußt ist und weiß, daß sein Verhalten von der Reditsgesellsdiaft als sozialschädlidi angesehen wird. Nimmt der Täter hingegen eine Situation an, in der keine Pflidit zu einem anderen Verhalten begründet wäre, so kann ihm u. U . vorgeworfen werden, daß er sidi nicht hinreichend informiert hat. Gerade dies aber ist der Unrechtsvorwurf, der den Fahrlässigkeitstäter trifft. Es besteht im Bereich des Irrtums kein Anlaß, von dieser Regel abzuweichen. g) H handelte demnach nicht vorsätzlich. Eine Bestrafung nach § 223 StGB entfällt. 2. Fahrlässige Körperverletzung an X, § 230 StGB Durdi seine Sdiläge könnte H sidi einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht haben, weil er sidi nidit hinreichend sorgfältig darüber informiert hat, ob überhaupt ein Angriff des X gegen ihn vorlag. b) Der durdi die Schläge herbeigeführte Verletzungserfolg war audi generell vorhersehbar. Fraglich ersdieint es jedoch, ob H sich sorgfaltspflichtwidrig verhalten hat. a) Die Sdiläge haben zu einer Körperverletzung bei X geführt, vgl. B l a ) . 20
Stratenwerth, a . a . O . , Rdnr. 611; vgl. auch die Kontroverse zwischen Lange, JZ 1956 S. 73 ff, JZ 1956 S. 519 ff und Welzel, JZ 1956 S. 238 ff. 21
Vgl. dazu Dreher, Heinitz-Festschr., S. 223.
100
Einübung in die Fallbearbeitung
Grundsätzlich wird man fordern müssen, daß jemand, der einen anderen hinter sich herkommen sieht, nicht gleich körperlich angreift, nur weil er befürchtet, daß dieser ihn beleidigen werde. Das gilt auch dann, wenn der Täter durch den anderen schon einmal beleidigt worden ist. — Anderes muß jedoch im vorliegenden Fall gelten: X hat den H bei jeder sich bietenden Gelegenheit beleidigt. H konnte davon ausgehen, daß X keine Gelegenheit auslassen würde, mit seinem Treiben fortzufahren. Als H den X daher auf sich zukommen sah, brauchte er nicht davon auszugehen, daß X sich diesmal anders verhalten würde. Eine besondere Wartepflicht kann hier nicht begründet werden. H hat sich demgemäß nicht sorgfaltspflichtwidrig verhalten. C. Die Messerstiche 1. Versuchter Totschlag, §§ 212/32 (43 StGB a. F.) StGB Als H auf den X einstach, könnte er einen versuchten Totschlag begangen haben. Der Totschlag ist Verbrechen, der Versuch demgemäß strafbar, §§ 212/23, 12 Abs. 1 (212/43, 1 StGB a. F.) StGB. Laut Sachverhalt hatte H jedoch an eine Tötung des X nicht einmal gedacht. Er war sich demnach nicht der Tatsache bewußt, daß er den X in Lebensgefahr bringen könnte. Damit fehlt es am Entschluß der Tötung bei H . 2. Gefährliche Körperverletzung an X, §§ 223, 223a StGB Durch die Messerstiche könnte sich H einer gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223, 223a StGB schuldig gemacht haben. a) Zunächst müßte H den Grundtatbestand des § 223 erfüllt haben. — Die Verletzung des K durch die Messerstiche stellt eine körperliche Mißhandlung dar: Die körperliche Unversehrtheit des X wurde durch H erheblich beeinträchtigt. Gleichfalls liegt eine Gesundheitsbeschädigung vor. Die Verletzung begründete einen pathologischen Zustand. b) H wollte die Verletzung des X. Er handelte wissentlich und insoweit vorsätzlich. c) Die Tat ist rechtswidrig. Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr greift auch hier nicht ein, da es an einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff seitens des X fehlt (vgl. B 1 c).
Anfängerhausarbeit: Kirmesfall
101
d) Zu prüfen ist aber, welche Bedeutung der Irrtum des H , von X an der Ehre angegriffen zu werden, in diesem Fall hat. Wie oben ausgeführt, irrte H über die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr. Dieser Irrtum würde seinen Vorsatz dann ausschließen, wenn H sich so verhalten hätte, wie es der Rechtfertigungsgrund der Notwehr ihm — im Falle eines Angriffs des X — gestattet hätte (vgl. B 1 d). Ob H sich jedoch im Rahmen des rechtlich Erlaubten gehalten hätte, wenn sein Vorstellungsbild richtig gewesen wäre, erscheint zweifelhaft. Gerechtfertigt durch Notwehr ist nur die erforderliche Verteidigung. Was erforderlich ist, bestimmt sich nach der realen Stärke des Angriffs 22 . Die Abwehr kann so weit gehen, wie es zur sofortigen Abwehr des Angriffs erforderlich ist, aber nicht weiter als unbedingt notwendig 23 . Der Angriff des X hätte hier in einer Ehrverletzung gelegen. Ausreichend zur sofortigen Beendigung dieses Angriffs waren die Faustschläge. Die Messerstiche waren nicht erforderlich, denn dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, daß X bedeutende Gegenwehr leistete oder gar für H die Gefahr bestand, von X verprügelt zu werden. — Somit hätte H , wenn sein Vorstellungsbild vom Sachverhalt richtig gewesen wäre, das Maß der erforderlichen Verteidigung überschritten. Sein Verhalten wäre selbst dann nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, wenn er sich nicht in einem Irrtum über den Angriff des X befunden hätte. e) Als H demnach auf den seit langem gehaßten Gegner einstach, konnte er nicht mehr davon ausgehen, sich im Rahmen des sozial Angemessenen zu verhalten. Ihm war bewußt, die Grenze des sozial Angemessenen zu überschreiten, d. h. er handelte im Bewußtsein der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens. Sein Irrtum ist daher nicht geeignet, den Vorsatz in irgendeiner Weise auszuschließen. 22 23
Vgl. Dreher, Komm., § 53 Anm. 4 B a; Welzel, Lehrb., S. 86.
RGSt 72 S. 58; Stratenwerth, a . a . O . , Rdnr. 445; Welzel, Lehrb. S. 86.
102
Einübung in die Fallbearbeitung
f ) Da die Körperverletzung mittels eines Messers erfolgte, liegt eine qualifizierte Körperverletzung gem. § 223a StGB vor. — Objektiv ist auch das Qualifikationsmerkmal „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" gegeben, doch insoweit fehlt es am Vorsatz des H . g) Bedenken könnten allerdings an der Schuld des H begründet sein. Aufgrund des Affektstaues könnte H in dem Zeitpunkt, als er auf X einstach, unzurechnungsfähig gewesen sein. Es könnte eine Bewußtseinsstörung i. S. des § 20 (51 Abs. 1 StGB a. F.) StGB in Betracht kommen. — Unter Bewußtseinsstörung ist jede Bewußtseinstrübung und Bewußtseinsbeeinträchtigung zu verstehen, bei der der Einfluß des normalen Bewußtseins in so starkem Maße ausgeschaltet ist, daß ein pathologischer Zustand eintritt 24 . Zu einer solchen Bewußtseinseintrübung kann es auch bei übermäßigen Affekten kommen 25 . — Die ständigen Beleidigungen durdi X könnten H in einen derartigen Zustand versetzt haben. — Der Affekt hätte dann allerdings einen solchen Grad erreicht haben müssen, daß die Entscheidung, sich gegen den X zur Wehr zu setzen, derart übergangslos zur Handlung geführt haben müßte, daß die Möglichkeit der Gegenmotivation entfallen wäre 26 . — H hat sich jedoch nicht sofort mit dem Messer auf X gestürzt, vielmehr kam es zuerst zu einem Schlagaustausch, in dessen Verlauf H zum Messer griff. Daraus läßt sich schließen, daß im Zeitpunkt der Messerstiche ein zum Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit führender Affekt bei H nicht vorlag. Es käme höchstens verminderte Zurechnungsfähigkeit i. S. des § 21 (51 Abs. 2 StGB a. F.) StGB in Betracht. h) Die Tat könnte jedoch nach § 33 (53 Abs. 3 StGB a. F.) StGB entschuldigt sein. aa) § 33 (53 Abs. 3 StGB a. F.) StGB regelt den Fall des Notwehrexzesses. Er setzt das Bestehen einer Notwehrlage 24
Schönke-Sdiröder, a. a. O., § 51 Rdnr. 4 mit weiteren Nachweisen.
25
BGHSt 6 S. 332; Petters-Preisendanz, a . a . O . , § 51 Anm. 2a; Sdiönke-Sdiröder, a. a. O., § 51 Rdnr. 3.
28
Maurach, a. a. O., S. 257.
Anfängerhausarbeit: Kirmesfall
103
voraus. Da X den H nicht angegriffen hat, liegt objektiv keine Notwehrlage vor. Eine direkte Anwendung des § 33 ist daher nicht möglich. bb) Es fragt sich aber, ob § 33 auf den Fall, daß der Täter über das Vorliegen einer Notwehrsituation irrt — sogen. Putativnotwehrexzeß — analog angewendet werden kann, aaa) Zum Teil wird die Ansicht vertreten, daß die Entschuldigung durch einen Notwehrexzeß nur bei fahrlässigem Überschreiten des Erforderlichen im Rahmen der Notwehr stattfinden kann 27 . — Wäre diese Ansicht richtig, käme in unserem Fall keine Analogie in Betracht, da H die Grenzen der Notwehr vorsätzlich überschritten hätte. Für eine derartige Einschränkung des Notwehrexzesses gibt der Gesetzeswortlaut jedoch keinen Anhaltspunkt. Dieser Ansicht ist daher nicht zu folgen. bbb) Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre sehen in der Regelung des Notwehrexzesses einen Ausfluß des Grundsatzes der Unzumutbarkeit 28 . Sie gehen davon aus, daß der Gesetzgeber auf die Erhebung des an sich nötigen Schuldvorwurfs verzichtet, weil die Tat zugleich auf Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs gerichtet und deshalb in ihrem materiellen Unreditsgehalt milder zu beurteilen sei29. Es solle, wie H . Mayer es ausdrückt, die Verantwortung des Rechtsverteidigers erleichtert werden 30 . Von diesem Ausgangspunkt her ist eine analoge Anwendung der Regelung des Notwehrexzesses auf den Fall des Putativnotwehrexzesses ausgeschlossen31. Schon an der Ähnlichkeit der 27
Baldus, LK, 9. Aufl., § 53 Rdnr. 43; Sdiönke-Sdiröder, a.a.O., § 53 Rdnr. 36; Welzel, Lehrb., S. 85.
28
Eingehend dazu Rudolphi, ZStW 78 S. 79 ff m. w. N .
29
Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, a. a. O., S. 38 ff; Rudolphi, JuS 69 S. 462. 30
31
S.
156 ff;
Lendmer,
H. Mayer, a. a. O., S. 206.
RGSt 54 S. 36 (38), 61 S. 216, 62 S. 76 (77); OGH 3 S. 121 (124); BGH NJW 1962 S. 308; Dreher, Komm., § 53 Anm. 6; Jeschedt, a.a.O., S. 370; Kohlrausch-Lange, a.a.O., § 53 Anm. X; Welzel, Lehrb., S. 89.
104
Einübung in die Fallbearbeitung
zu entscheidenden Fälle fehlt es. Der tragende Grund, der zur Regelung des Notwehrexzesses geführt hat — rechtswidriger Angriff durch das Opfer des Exzesses —, liegt im Fall des Putativnotwehrexzesses nicht vor. ccc) Anders sieht es jedoch aus, wenn man den Hauptgrund für die Regelung des Notwehrexzesses in der psydiischen Situation des Täters sieht32. Die psychische Situation des Notwehrexzeßtäters und die des Putativnotwehrexzeßtäters sind identisch. Die Regelung der Notwehrexzesse als Entsdiuldigungsgrund oder genauer als Verbot, u. U. bestehende Schuld vorzuwerfen, spricht eindeutig dafür, daß die psychische Situation des Täters hier in besonderer Weise berücksichtigt werden sollte. Dann aber wäre es unsinnig, den Notwehrexzeßtäter anders zu behandeln als den Putativnotwehrexzeßtäter 33 . Dies gilt vor allem im vorliegenden Fall, denn ein gewisses Verschulden des Opfers daran, daß es überhaupt zur Putativnotwehr kam, ist hier aufgrund der ständigen Beleidigungen des X gegeben. Daher könnte neben der psychologischen Gleichheit der Fälle auch das Nebenmotiv des Gesetzgebers, die Verantwortlichkeit des Opfers für den Angriff in gewissem Umfang klarzustellen, durchaus berücksichtigt werden. § 33 (53 Abs. 3 StGB a. F.) StGB ist daher analog im vorliegenden Falle anzuwenden, soweit seine Voraussetzungen im übrigen vorliegen. cc) H müßte dann die Grenzen der beim vorgestellten Sachverhalt notwendigen Verteidigung aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten haben. H war durch das Verhalten des X hochgradig erregt. Seine lange angestaute Wut entleerte sich in einer spontanen Entlastungsreaktion. Berücksichtigt man, daß er in seinem Wesen eher schwerfällig und von ruhigem Temperament war, so muß diese wesensfremde Reaktion eine Erklärung finden. Sicher 32
Baumann, a. a.O., S. 299; Rudolphi, JuS 69 S. 463 f. Baumann, a.a.O., S. 299; Mezger-Blei, a.a.O., S. 238; Rudolphi, JuS 69 S. 464; Stratenwerth, a. a. O., Rdnr. 662; vgl. audi Roxin, ZStW 76 S. 708 ff.
33
Anfängerhausarbeit:
Kirmesfall
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handelte H nicht aufgrund eines plötzlichen Schreckens oder aufgrund von Verwirrung. Es muß aber gesehen werden, daß er sich durch die ständig wiederholten Beleidigungen des X in einem Zustand befand, in dem er einfach um seine personalen Entfaltungsmöglichkeiten bangte. Er fühlte sich in die Enge getrieben, er sah immer dann, wenn der X auftauchte, keine Möglichkeit mehr, sich seinem ruhigen und eher schwerfälligen Wesen gemäß zu entfalten. Vergleichbar einem Tier, das immer mehr zurückgeht, bis es in den Bereich kommt, den es verteidigen muß, falls es seinen unerläßlichen Lebensraum nicht verlieren will, sah auch H sich in eine Position gedrängt, aus der heraus er zum Angriff übergehen mußte, wollte er überhaupt als Mensch existieren können. Er handelte demnach zwar nicht aufgrund eines spontanen Angstzustandes, wohl aber ist sein Verhalten noch durch Furcht im Sinne des Gesetzes zu erklären. Es war die Furcht, keinen Raum mehr für die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu haben, solange der X nicht dazu gebracht werden konnte, seine Beleidigungen einzustellen. i) H überschritt demnach die Grenzen des von ihm aufgrund seines Irrtums für erforderlich Gehaltenen aus Furcht. Er ist entschuldigt, § 33 (53 Abs. 3 StGB a. F.) StGB, analog. D. VIL
Ergebnis: H hat sich nicht strafbar gemacht. Anmerkungen
1. Die Lösungsskizze ist die Arbeitsunterlage des Bearbeiters. Sie gehört nicht in die Reinschrift der Hausarbeit. Die Reinschrift besteht aus: 1. Deckblatt 2. Sachverhalt (Fall) 3. Literaturverzeichnis 4. Gliederung 5. Gutachten. 2. Der Sachverhalt des Falles ist einer Entscheidung des B G H vom 29. Oktober 1969 — 2 StR 383/69 — entnommen. Obwohl das Schwurgericht als Vorinstanz festgestellt hatte, daß H sich von X „verfolgt glaubte", sah der B G H keinen Anlaß, die Fragen der Putativnotwehr oder des Putativnotwehrexzesses zu erörtern, denn „wie die Wiedergabe seiner Einlassung im angefochtenen Urteil zeigt,
106
Einübung in die Fallbearbeitung
hat sich der Angeklagte hierauf in der Hauptverhandlung nicht berufen." Vom Angeklagten nicht nur zu erwarten, daß er vorträgt, er habe aus bestimmten Gründen geirrt, sondern auch Ausführungen zur „Putativnotwehr" zu verlangen, scheint allerdings etwas reichlich hoch gegriffen zu sein. 3. Im Gutachten gelang es vielen Bearbeitern nicht, herauszustellen, daß die Irrtumsproblematik in diesem Bereich ein Problem der Definition des Vorsatzes ist. Die einen bejahten den Vorsatz im subjektiven Tatbestand, um ihn später — nach einer den Leser überraschenden, da in ihrer Notwendigkeit nicht mehr erkennbaren D a r stellung der „Theorien" — abzulehnen. Die anderen sahen im V o r satz ein Schuldelement, ohne ein Hindernis zu erkennen, der strengen Schuldtheorie zu folgen. In vielen Arbeiten blieb unklar, wozu hier überhaupt der „Theorienstreit" dienen sollte, und warum ein solcher Streit entstehen konnte. — Dies besonders in jenen Arbeiten, deren Verfasser sidi nicht die Mühe machten, darzulegen, worüber H irrte, sondern sogleich mit Vokabeln wie „Tatbestandsirrtum" und „Verbotsirrtum" hantierten und mit dieser Eingruppierung oft — ohne es allerdings zu merken — die Entscheidung, welcher der Meinungen zu folgen sei, präjudizierten. 4. Eine objektive Schwierigkeit ergab sich für die Bearbeiter, die den Vorsatz als Bestandteil des Unrechtstatbestandes ansahen und nun vor der Frage standen, ob ihnen die Entscheidung für die V o r satztheorie überhaupt noch offen war, da die Anhänger der modernen Vorsatztheorie das Unrechtsbewußtsein als Schuldelement einordnen. Hier gehörte Mut zur Entscheidung, doch war es im vorliegenden Falle durchaus zulässig, dieses Problem dahingestellt sein zu lassen, da der Unterschied in der Stellungnahme keine Konsequenzen für das Ergebnis des Falles hatte, eine Auseinandersetzung mit § 17 S t G B daher auch nicht erforderlich war. 5. Zum Teil wurde der Versuch gemacht, die gesamte Problematik zu umgehen, indem behauptet wurde, Angriff i. S. der Notwehr sei subjektiv zu bestimmen. Dieser Weg war unrichtig. 6.
Bearbeitungszeit: 3 Wochen.
Vorgerücktenklausur Nr. 1: Selbstmordfall I.
Sachverhalt
Den 20jährigen A und die 19jährige B verbindet seit geraumer Zeit tiefe Zuneigung. Leider zeigen die Eltern der beiden
Vorgerücktenklausur Nr. 1: Selbstmordfall
107
wenig Verständnis für das Verhältnis, sondern versuchen vielmehr, die beiden auseinanderzubringen. Voller Verzweiflung beschließen A und B aus dem Leben zu scheiden. Von ihrem gemeinsamen Freund C, der auch keinen anderen Ausweg aus der ständigen Misere sieht, leihen sie ein Kfz. Mit diesem fahren sie an einen See. A leitet mit einem Schlauch die Auspuffgase in den Wagen. Sodann gibt er kräftig Gas. Nach 50 Minuten wird B besinnungslos. A verliert die Besinnung nach 70 Minuten. Am nächsten Morgen werden A und B von einem Wanderer entdeckt, doch nur A kann durch ärztliche Mühen noch gerettet werden. Haben die Beteiligten sich strafbar gemadit?
II.
Überlegungen auf dem Wege zur Fallösung
1. Dem relevanten Geschehen am nächsten steht A. Mit der Prüfung, ob er sidi strafbar gemadit hat, ist daher zu beginnen. — Zu erörtern ist die Bedeutung des Einleitens der Auspuffgase, und zwar zunächst zu der Zeit, als B noch bei Besinnung war (§§ 216, 212 StGB) und sodann, nachdem sie die Besinnung verloren hatte (§§ 216, 212, 330c StGB). — Die Unterstützung des Selbstmords durch C ist anschließend zu beurteilen (§§ 216, 330c StGB). 2. Die Interpretation des § 216 StGB als lex specialis gegenüber § 212 StGB führt zum Vorrang der Prüfung des § 216 StGB im Rahmen der Tötungsdelikte.
III. A.
Lösungsskizze Das strafbare Verhalten des A
1. A leitet die Auspuffgase in das Wageninnere: § 216 StGB: —, keine Alleintatherrschaft des A über das Geschehen bis zur Besinnungslosigkeit der B. 2.
Änderung
der Situation
durch Besinnungslosigkeit
der B
a) § 216 StGB: —: Weiterführung des bisher gemeinsam verwirklichten Tatplanes führt nicht zu völliger Umgestaltung des sozialen Sinngehaltes des Geschehens derart, daß A die B auf ausdrücklichen Wunsch tötet. Beide suchen gemeinsam den Tod.
108
Einübung in die Fallbearbeitung
b) § 212 StGB: —: Erfolg eingetreten, aber Gefahrsetzung dem A nicht als Gefährdung der B durch A zuzurechnen, sondern als gemeinsame Verwirklichung eines straflosen Sachverhalts (Selbstmord) zu interpretieren. c) § 330c StGB: —: Hilfeleistung nidit zumutbar. B.
Das strafbare Verhalten des C
1. § 216 StGB: —: keine Tatherrschaft des C in bezug auf Tötung von B. 2. IV.
§ 330c StGB:
+.
Gutachten
A. Die Strafbarkeit des A 1. A leitet die Auspuffgase in das Wageninnere: Tötung auf Verlangen, § 216 StGB Indem A Gas gab und damit die Auspuffgase in den Wagen leitete, könnte er sich einer Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, schuldig gemacht haben. Dann müßte A die B aufgrund eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens der B getötet haben. — Nach Sachverhalt hatten A und B gemeinsam den Entschluß gefaßt, aus dem Leben zu scheiden. Durch das Einleiten der Auspuffgase in das Innere des Kraftfahrzeugs realisierten sie gemeinsam diesen Entschluß. Das bedeutet aber, daß in diesem Augenblick die im § 216 beschriebene Situation gerade nicht vorlag: § 216 geht davon aus, daß der Täter die Tatherrschaft über die Situation innehat, das Opfer dieses erkennt und den Täter bittet, seine Tatherrschaft zur Tötung des Opfers zu nutzen. Diese Abhängigkeit des Opfers vom Entschluß und seiner Inswerksetzung durch den Täter kennzeichnet den in § 216 StGB gemeinten Sachverhalt. — Solange A und B jedoch gemeinsam bei Besinnung waren, konnte keinem von beiden eine Herrschaftsposition gegenüber dem anderen zukommen. Sie übten beide Tatherrschaft aus bei der Verwirklichung eines Selbstmordes, der von ihnen gemeinsam begangen wurde. Es besteht keine Möglichkeit, durch Aufteilung der Verantwortung den einen zum Täter eines Tötungsdelikts an dem anderen zu machen.
Vorgerücktenklausur Nr. 1: Selbstmordfall 2.
Änderung
der Situation
durch Besinnungslosigkeit
109 der B
Die Lage könnte sich jedoch geändert haben, als B die Besinnung verlor. Von diesem Moment an beherrschte allein A den Tatverlauf und hatte die Entscheidungsgewalt über die weitere Durchführung der Tat inne. Zu beachten ist jedoch, daß es allein um die weitere Durchführung der gemeinsam geplanten und ins Werk gesetzten Tat ging. Zwar mag man zugestehen, daß A mit der Besinnungslosigkeit der B Herr der Tatsituation wurde, doch ersetzt dieses Zuwachsen der Tatherrsdiaft nicht die übrigen Voraussetzungen des § 216. Es ist nämlich nicht zulässig, den Entschluß der B, gemeinsam mit dem A aus dem Leben zu scheiden, im Moment der Besinnungslosigkeit dahin umzudeuten, daß sie nun von A getötet werden wollte. Nach wie vor war die Situation eine andere: Die B wollte mit A gemeinsam aus dem Leben scheiden. Auch wenn es zwischen den Beteiligten nicht erörtert worden ist, so kann nach dem Sachverhalt doch ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß für die B ein Sterben ohne den A sinnlos gewesen wäre. Dies wäre ein ganz anderer Sachverhalt gewesen als der, gemeinsam mit dem Geliebten in den Tod zu gehen. Dadurch, daß zufällig die B zuerst die Besinnung verlor und somit der A das weitere Geschehen kurzfristig allein beherrschte, änderte sich der soziale Sinngehalt des Geschehens als Verwirklichung eines Doppelselbstmordes um keinen Deut. Nach wie vor galt für beide Beteiligten, daß sie gemeinsam auf die ins Werk gesetzte Weise aus dem Leben scheiden wollten. Von einer ernstlich verlangten Tötung des einen durch den anderen, wobei der Täter der allein Entscheidende über Ob und Wie der Tat sein sollte, kann keine Rede sein, und selbst, wenn A erkannt hat, daß die B vor ihm besinnungslos wurde, hätte die Einschätzung des Sachverhalts durch ihn keinen anderen Sinn erhalten als den der Weiterführung des gemeinsamen Selbstmordplans. Eine solche Änderung des Sinngehalts des Geschehens wäre erst eingetreten, wenn A z. B. auf die Idee gekommen wäre, die eigene Tötung nicht mehr zu vollenden. Für eine derartige Änderung des Geschehensablaufs gibt der Sachverhalt jedoch keinen Anhaltspunkt.
110
Einübung in die Fallbearbeitung
A hat demnadi die B nidit aufgrund eines ernstlichen und ausdrücklichen Verlangens der B getötet. b) D a A jedoch durch das Gasgeben eine Bedingung für den Tod der B setzte, könnte er sich eines Tötungsdelikts gem. § 212 StGB schuldig gemacht haben. Der in § 212 StGB beschriebene Erfolg ist mit dem Tod der B eingetreten. — Durch das Betätigen des Gaspedals hatte A auch eine Gefahr für das Leben der B begründet. Bei der Frage, ob ihm der Erfolg aufgrund der Begründung dieses Risikos aber zuzurechnen ist, muß berücksichtigt werden, daß B in gleicher Weise an der Begründung dieser Gefahr beteiligt war. A und B wollten in einverständlichem Zusammenwirken den Selbstmord verwirklichen, d. h. gemeinschaftlich ein in der Person beider Täter strafloses Verhalten verwirklichen. Die Art und Weise der Verwirklichung dieses Tatplans entspräche einer mittäterschaftlichen Arbeitsweise, wenn der Selbstmord ein Tatbestand des Strafgesetzbuches wäre. Das Phänomen der Mittäterschaft ist jedoch überhaupt kein spezifisch juristisches Phänomen, vielmehr knüpft der Gesetzgeber an ein Phänomen des Soziallebens an, nämlich an die Eigenart des Erlebnisses einer Pluralität als Einheit. Es wird täglich im Sozialleben deutlich, daß es eine Reihe von Sachverhalten gibt, in denen mehrere Personen im Zusammenwirken miteinander einen Erfolg anstreben, der ihnen gemeinschaftlich zugerechnet wird, als wäre nur eine einzige Person vorhanden gewesen, ohne daß weiter nach dem Tatbeitrag jedes einzelnen gefragt wird. An dieses Phänomen knüpft der Gesetzgeber an, indem er zum Ausdruck bringt, daß ihm bewußt ist, daß es dieses Phänomen auch im Rahmen rechtlich relevanter Sachverhalte gibt. Unabhängig von den Kriterien im einzelnen bedeutet es jedoch eine Verfälschung des gesamten Sachverhalts, wenn man die Situation einer derartigen mittäterschaftlichen Verhaltensweise willkürlich aufspaltet und durch die Isolierung der einzelnen Personen einen Blickwinkel gewinnt, in dem es möglich wäre, jeden der Mittäter als Straftäter an dem anderen anzusehen, während ihr gemeinschaftliches Verhalten gerade auf ein straf-
Vorgerüdttenklausur Nr. 1: Selbstmordfall
111
loses Ereignis hin ausgerichtet ist. Das bedeutet allgemein: Wenn zwei Personen gemeinschaftlidi Gefahren setzen, deren Realisierung in einer Reditsgutsverletzung straflos wäre, wenn nur eine einzige Person gehandelt hätte, so gilt für die Risikozurechnung Gleiches, wenn die beiden Personen mittäterschaftlich zusammenwirken. Keinem von ihnen kann einzeln die Risikobegründung für das Leben des anderen zugeredinet werden, sie begründeten lediglich Gefahren für das eigene Leben, wenn auch in mittäterschaftlichem Zusammenwirken. Der Tatbestand des Totschlags, § 212 StGB, ist demnach nicht erfüllt. c)
Unterlassene Hilfeleistung, § 330c StGB.
Voraussetzung der Strafbarkeit wäre, daß A bei einem Unglücksfall die ihm zumutbare Hilfe nicht geleistet hätte. Wird als Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis angesehen, das erheblichen Schaden für Leib oder Leben einer Person zu bringen droht, so kann in der Selbstmordsituation zumindest dann kein Unglücksfall gesehen werden, wenn der Selbstmörder noch zurechnungsfähig gewesen ist, als er den Selbstmordplan ins Werk setzte. Anders hingegen, wenn man als Unglücksfall eine Situation beschreibt, in der der einzelne in seiner Existenz bedroht ist, wenn er nicht mitmenschliche Hilfe seitens der anderen Rechtsgenossen erhält. Diese Definition ist die sachgerechtere im Rahmen des § 330c. Hier kommt es nämlich nicht darauf an, die Hilfe irgendwie nach Versdiuldensgrundsätzen abzustufen, vielmehr geht es dem Gesetzgeber darum, zum Ausdruck zu bringen, daß ein Minimum mitmenschlicher Solidarität Voraussetzung des Zusammenlebens in der Rechtsgesellschaft ist und auch mit den Mitteln des Strafrechts erzwungen werden soll, unabhängig davon, wie der Hilfsbedürftige in die bedrohliche Situation geraten ist. So gesehen ist die Selbstmordsituation jedoch geradezu der klassische Fall des Unglücksfalles, denn in der Regel will der Selbstmörder nicht in erster Linie sein Leben beenden, ihm sdieint es nur unter den ihn bedrückenden Verhältnissen nicht mehr erträglich. Er ist auf eine Hilfe durch die anderen angewiesen, die die Gesamtsituation zu ändern vermögen.
112
Einübung in die Fallbearbeitung
B befand sich demnach in einer Unglückssituation. Hilfe war erforderlich. — Die Hilfeleistung war jedoch dem A in dieser Situation nicht zumutbar. Er selbst befand sich in der gleichen unglücklichen Situation. Aufgrund seiner Verbundenheit mit der B erschien ihm gerade der Selbstmord als letzter möglicher Ausweg aus den Verhältnissen, die beide bedrückten. In einer solchen Situation wäre es ein unsinniges Ansinnen der Rechtsgesellschaft, wenn man von dem einen der beiden zum Selbstmord Entschlossenen die Aufgabe des Planes fordern würde, um den anderen zu retten. Aus der Situation des Betroffenen ist das kein diskutabler Lösungsweg. Der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung, § 330c StGB, liegt daher nicht vor. B.
Das strafbare Verhalten des C
1. Tötung auf Verlangen, § 216 StGB Die Entscheidung über das Ob und Wie der Tat hielten A und B in Händen. Eine Tatherrschaftsposition dem A und der B gegenüber in bezug auf die Verwirklichung ihrer Selbstmordabsichten war dem C niemals eingeräumt. Die Hergabe des Kraftfahrzeuges erleichterte den Plan, begründete aber keine Täterposition bei C. C hat demnach die B nicht auf deren ausdrückliches Verlangen getötet. 2.
Unterlassene Hilfeleistung,
§ 330c StGB
Mit der Verwirklichung des Selbstmordplanes lag ein Unglücksfall in der Person von A und B vor (vgl. oben A 4). In dieser Situation bedurften A und B auch der Hilfe Außenstehender. Nun waren die Hilfsmöglichkeiten des C freilich beschränkt, denn er selbst verfügte nicht über die Möglichkeit, die den A und die B bedrückenden Verhältnisse zu ändern. Doch schon die Verweigerung des Kraftfahrzeugs hätte weiteren Zeitgewinn und damit die Möglichkeit der Änderung des Selbstmordplans von A und B bedeutet. Diese Hilfeleistung war dem C auch zumutbar. C leistete diese Hilfe bewußt nicht, er handelte rechtswidrig und schuldhaft, er ist demnach aus § 330c StGB zu bestrafen.
Vorgerücktenklausur Nr. 1: Selbstmordfall
V.
113
Anmerkungen
1. Unabhängig von der menschlichen Problematik eines derartigen Sachverhalts zeigt der Fall in hervorragender Weise, wie Aufbautechnik und Problemöffnung miteinander verbunden sind: a) In der Regel wurde bei A der Tatbestand der Tötung auf Verlangen bejaht, ohne daß die Bearbeiter Rechenschaft darüber abgaben, was sie berechtigte, das Einverständnis der B, mit A gemeinsam in den Tod zu gehen, in das ausdrückliche Verlangen der B, von A getötet zu werden, umzudeuten. b) Schwieriger wurde es jedoch für die Bearbeiter, die den § 216 StGB ablehnten und nun § 212 StGB erörterten. Wer nach dem Kausaldogma aufbaute, sah sich in Kürze mit einem Ergebnis konfrontiert, das kaum einem der Bearbeiter sachgerecht erschien: Der objektive Tatbestand des § 212 wurde bejaht, da A kausal war für den Tod der B. — A handelte wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich. — Rechtfertigungsgründe und Entschuldigungsgründe lagen nicht vor. — Nur wenigen gelang es, um dieses Ergebnis herumzukommen, indem sie den Gedanken der Tatherrschaft im Rahmen der Deliktsprüfung aktivierten. Allein von diesem Ausgangspunkt her waren die Argumente jedoch nicht allzu schlagkräftig, denn Tatherrschaft des A läßt sich vom Zeitpunkt der Besinnungslosigkeit der B durchaus bejahen. Mit dem dem Risikozurechnungsprinzip entsprechenden Aufbau wurde die Erörterung zwar nicht unproblematisch, der Einstieg in die Problematik geschah jedoch gleichsam selbstverständlich, und der mögliche Argumentationshorizont ließ sich leichter abstecken. 2. Wer § 216 StGB als Privilegierung des § 212 StGB interpretierte, wurde vom Aufbau her — erst nach Erörterung des Unrechtstatbestandes des Grunddelikts ist die Privilegierung zu erörtern — in die gesamte Problematik zu einem sehr frühen Zeitpunkt hineingestürzt. — Die Argumentation wurde schwieriger, als wenn zuvor der Bereich des § 216 StGB schon abgesteckt worden war. 3. Mit guten Gründen ließ sich bei C der Vorsatz, die erforderliche Hilfeleistung zu unterlassen, ablehnen. Der Sachverhalt ließ die Deutung zu, daß C sich nicht der Möglichkeit bewußt war, die Situation von A und B zu verbessern, da auch ein geringer Zeitaufschub oder das Suchen nach einer anderen Gelegenheit die Sachlage nicht grundlegend verändert hätte. 4. Bei der Frage, ob die Selbstmordsituation einen Unglücksfall darstellt oder nicht, war zu beachten, daß die h. L., die dieses ab8 O t t o , Übungen im Strafrecht
114
Einübung in die Fallbearbeitung
lehnt, und der BGH, der dieses bejaht, von verschiedenen Definitionen des Begriffs „Unglücksfall" ausgehen. 5.
VI.
Bearbeitungszeit: 2 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung
1. Der Sachverhalt entspricht weitgehend der Entscheidung BGHSt 19 S. 135 ff. — Vgl. die Entscheidungsgründe und die Anm. zu diesem Urteil von Dreher (MDR 1964 S. 337 f) mit dem Gutachten. 2. Eingehend in Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung zur Problematik des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes: Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 2. Aufl. 1967, S. 604 ff. 3. Auch in der Rechtsprechung wird die Tendenz deutlich, die Selbstmordproblematik auch dann aus dem Bereich der Tötungsdelikte zu eliminieren, wenn ein Garant die Abwendung des Selbstmords unterlassen hat. Dazu: BGH NJW 1972 S. 1207 mit Anm. von Welp, JR 1972 S. 426, und van Eis, NJW 1972 S. 1476, BayObLG JZ 1973 S. 319 mit Anm. Geilen, JZ 1973 S. 320 ff, und Bringewat, NJW 1973 S. 540. Ergänzend dazu: Kohlhaas, JR 1973 S. 53 ff. 4. Zur Problematik, ob die Selbstmordsituation einen Unglücksfall darstellt, vgl. BGHSt 6 S. 147 ff.
Vorgerücktenklausur Nr. 2: Entführungsfall I.
Sachverhalt
E las am 2 . 9 . in der „Bild-Zeitung", daß der zwölfjährige Volker entführt worden war, und daß der Entführer von den Pflegeeltern unter Androhung von Lebensgefahr für das Kind ein Lösegeld von 25 000,— D M forderte. Das brachte ihn auf den Gedanken, sidi als Entführer des Kindes auszugeben und sich in den Besitz des Lösegeldes zu setzen. Er schrieb folgenden Brief: „Volker lebt noch. Wir sind zu dritt. Gegen Zahlung der 25 000,— D M wird Volker heute abend um 20 Uhr am M-Tor in Karlsruhe übergeben. Keine Polizei! D i e Entführer."
Vorgerücktenklausur Nr. 2: Entführungsfall
115
Den Brief sandte E an die Pflegeeltern. Diese verständigten die Polizei, die den E um 2 0 Uhr am M - T o r festnahm, als er auf das Geld wartete. H a t E sidi strafbar gemacht?
II.
Überlegungen auf dem Wege zur Fallösung
1. Da nur nadi der Strafbarkeit einer Person gefragt ist, empfiehlt sich ein chronologischer Aufbau. 2. Zu beginnen ist mit dem Herstellen des Briefes, § 267 1. Alt. (3. Alt., im Absenden, falls 1. Alt. bejaht). 3. Absenden des Briefes: Zu erörtern: §§ 255, 253, 263 bzw. 255/23, 253/23, 263/23 StGB (§ 43 StGB a. F.), 241, 239a, 164, 145d. — Problem, ob Vermögensverfügung der Eltern auf Irrtum oder Drohung begründet war. — Zunächst Drohung erörtern, da im Rahmen der Drohung eine Täuschung kein besonderes Problem: Es kommt nicht darauf an, ob Täter das angedrohte Übel wirklich realisieren kann, sondern ob er das Opfer glauben machen kann, er verfüge über die Möglichkeit der Realisierung. 4. Aufbau der Erpressung mit Grundtatbestand beginnen. — Da im Zahlen des Lösegeldes eine Vermögensverfügung gelegen hätte, ist auf das Problem, ob § 255 auch vorliegt, wenn keine Verfügung i. S. des § 253 gegeben ist (§ 255 als Grundtatbestand gegenüber § 249), nicht einzugehen.
III.
Lösungsskizze
Das strafbare A.
Verhalten
des E
Das Anfertigen des Briefes
1. Urkundenfälschung, § 267 1. Alt. StGB, Gedankenerklärung: + , Beweis für rechtserhebliche Tatsachen: + , Aussteller aber nur scheinbar angegeben, da Person nicht identifizierbar im Moment des Zugangs der Urkunde. 2.
Daher keine
Urkundenfälschung.
B.
Das Absenden des Briefes
1. Räuberische Erpressung, §§ 253, endet, keine Vermögensverfügung.
255
StGB:
nicht voll-
116
Einübung in die Fallbearbeitung
2. Versuchte räuberische Erpressung, §§ 23/255 StGB (§ 43/ 255 StGB a. F.). a) Grundtatbestand: + . b) Qualifikation: + : Drohung für Leib und Leben zwar nidit wörtlich in dem Brief enthalten, wohl aber aus Gesamtumständen zu entnehmen. 3. § 241 StGB: in §§ 23/255 StGB (43/255 StGB a. F.) enthalten. 4. Versuchter Betrug, §§ 23/263 StGB (43/263 StGB a. F.): —, Verfügung hat ihren Grund in der Drohung, nicht aber in einer vermeintlich freien Entscheidung. 5.
§ 239a StGB: —: Obj. Tb.: —
6.
§ 164 StGB:
—
7. § 257 StGB: persönl. Begünstigung: —, nicht einmal abstrakte Eignung des Briefes, die wahren Entführer günstiger zu stellen. 8. § 145d StGB: —: E wollte gerade nicht vortäuschen, daß er selbst als identifizierbare Person die Entführung begangen habe. 9. Ergebnis: E: § 23/253, 255 StGB (§§ 43/253, 255 StGB a. F.).
IV.
Gutachten
Die Strafbarkeit A.
des E
Anfertigen des Briefes
1. Urkundenfälschung, § 267 StGB Durdi das Schreiben des Briefes an die Pflegeeltern könnte sich E der Herstellung einer unechten Urkunde schuldig gemadit haben, § 267, 1. Alt. StGB. Eine Urkunde ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die geeignet und bestimmt ist, für außerhalb ihrer selbst liegende rechtserhebliche Tatsachen Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen läßt.
Vorgerüdctenklausur Nr. 2: Entführungsfall
117
Der Brief enthält eine verkörperte Gedankenerklärung, die die rechtserhebliche Tatsache zum Inhalt hat, daß der entführte Volker gegen Zahlung von 25 000,— DM freigelassen wird. Problematisch erscheint es jedoch, ob dem Brief der Aussteller zu entnehmen ist. Unterzeichnet ist das Schreiben mit: „Die Entführer". Das könnte im Zusammenhang mit dem Text des Briefes darauf hindeuten, daß bestimmte konkretisierbare Personen sidi zu dem Inhalt des Schreibens bekennen, nämlich die Personen, die den Volker entführt haben. Daß deren Namen sich nicht aus dem Text ergeben, ist nicht erforderlich, wenn sie auf Grund der in dem Schreiben angegebenen Umstände für die Betroffenen identifizierbar sind. Es genügt, daß der Autor durch ein bestimmtes Verhalten gekennzeichnet ist, aufgrund dessen er individualisiert werden kann. Gerade das jedoch ist im zu entscheidenden Sachverhalt nicht der Fall. Auch wenn jegliche Unterschrift fehlen würde, ergäbe sich aus dem Inhalt des Schreibens nur, daß es von „den Entführern" stammt. Wer diese Personen jedoch sind, wird dem Leser bewußt verheimlicht. Im Moment des Zugangs des Briefes ist es daher auch den Betroffenen nicht möglich, aufgrund des mitgeteilten Sachverhalts und der bekannten Umstände den Autor zu identifizieren. Es genügt nicht, daß der Aussteller als jemand erscheint, der aufgrund des Inhalts der Urkunde etwas Bestimmtes getan hat, er muß — zumindest für die Betroffenen — unter Berücksichtigung aller Umstände identifizierbar erscheinen. Wird dieses nicht beachtet, so wird eine schriftliche Lüge zur Urkundenfälschung umgedeutet, obwohl es gerade an dem als individuelle Person feststellbaren Aussteller fehlt. Zu fordern ist demnach als Minimum der Konkretisierbarkeit des Ausstellers für Eingeweihte, daß die Kenntnis der Tat auf eine konkrete, individualisierbare Person hinweisen muß, die aufgrund des Sachverhalts dem Eingeweihten erkennbar ist. So ist es im vorliegenden Falle aber nicht. Art und Weise des Briefes und seine Unterschrift zeigen, daß die Unterschrift gerade nicht auf eine Person hinweisen soll, die sich an der Erklärung festhalten lassen will, weil sie die Absicht hat, für den Inhalt einzustehen. Es liegt daher ein Fall offener Anonymität vor.
118
Einübung in die Fallbearbeitung
2. Ergebnis: Die Herstellung des Briefes ist als Herstellung einer schriftlichen Lüge anzusehen, nicht aber als Urkundenfälschung. B.
Absenden des Briefes
1. Mit dem Absenden des Briefes könnte E sich jedoch wegen einer räuberischen Erpressung, §§ 253, 255 StGB, strafbar gemacht haben. Eine vollendete Erpressung scheidet allerdings aus, weil es nicht zur Zahlung des Geldes gekommen ist, d. h. der mit der Nötigung erstrebte Erfolg nicht eingetreten ist. 2. In Betracht kommt aber eine versuchte räuberische Erpressung, §§ 23, 253, 255 StGB (§§ 43, 253, 255 StG a. F.). Der Versuch der räuberischen Erpressung ist strafbar, da diese ein Verbrechen ist, §§ 255, 249 StGB. a) Grundtatbestand, §§ 23/253 StGB (§§ 43/253 StGB a. F.). Dann müßte E den Entschluß gefaßt haben, die Pflegeeltern durdi Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung zu nötigen und dadurch dem Vermögen der Pflegeeltern einen Nachteil zuzufügen, um sich zu Unrecht zu bereichern, aa) Als E an die Pflegeeltern schrieb: „Volker lebt noch" und ein Lösegeld von 25 000,— DM forderte, brachte er zum Ausdrude, daß Volker ohne Zahlung des Geldes nicht freigelassen würde, wobei er sehr bewußt offenließ, was weiter mit Volker geschehen würde. Doch auch, wenn seinen Zeilen die Drohung mit einer Lebensgefahr nicht unmittelbar entnommen werden konnte, so war diese bei verständiger Auslegung des Briefes aufgrund der Typik derartiger Entführungsfälle doch unausgesprochen in dem Schreiben enthalten. Der Brief enthielt demnach die Drohung mit einem empfindlichen Übel für Volker und damit für die Pflegeeltern. Nach dem Plan des E sollten die Pflegeeltern durdi diese Drohung zur Zahlung, d. h. zu einer Handlung genötigt werden, die ihrem Vermögen einen Nachteil zugefügt hätte. bb) E leitete das Ganze in die Wege, um sich rechtswidrig zu bereichern, d. h. er hatte den Entschluß gefaßt, die Eltern durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu erpressen.
Vorgerücktenklausur Nr. 2: Entführungsfall
119
cc) Mit dem Absenden des Briefes, spätestens mit dem Eingang des Briefes bei den Pflegeeltern, lag unter Berücksichtigung des Planes des E eine unmittelbare Gefährdung des Vermögens der Pflegeeltern vor. E hatte demnach mit der Ausführungshandlung begonnen. dd) E handelte rechtswidrig. — Er hat damit den Unrechtstatbestand der versuchten Erpressung erfüllt. b) Die Merkmale des qualifizierten Tatbestandes, § 255 StGB aa) Die Drohung, Volker ohne Zahlung des Lösegeldes nicht herauszugeben, enthielt eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben Volkers. Denn über die bloße Freiheitsentziehung hinaus mußten die Eltern aufgrund der Drohung befürchten, daß die Entführer sich im Falle der Nichtzahlung des Kindes durch Tötung entledigen würden. Dies schrieb E zwar nidit ausdrücklich, doch war dies im Zusammenhang mit der auch ihm bekannten Drohung der wirklichen Entführer, der erkennbare Sinn seiner eigenen Drohung. Diese dem Kind in Aussicht gestellte Gewalt stellte auch für die Pflegeeltern aufgrund ihrer engen Beziehung zu dem Kinde ein Übel dar. Daß sich die Drohung unmittelbar gegen Leib oder Leben der Pflegeeltern richtete, ist nicht erforderlich. bb) In dieser Weise hatte E den Sachverhalt auch in seinen Plan aufgenommen. cc) E handelte rechtswidrig und schuldhaft, dd) Ergebnis: E hat sich einer versuchten räuberischen Erpressung schuldig gemacht, §§ 23, 253, 255 (249) StGB (§§ 43, 253, 255 [249] StGB a. F.). 3. Bedrohung, § 241 StGB, liegt vor, ist aber tatbestandlich auch in der versuchten räuberischen Erpressung enthalten und wird daher konsumiert von dieser. 4. Das Verhalten des E könnte auch einen versuchten §§ 23, 263 StGB (§§ 43, 263 StGB a. F.), darstellen.
Betrug,
Ein vollendeter Betrug scheidet aus, weil es nicht zu einer Vermögensverfügung durch die Pflegeeltern gekommen ist. — Doch auch der versuchte Betrug ist strafbar, § 263 Abs. 2 StGB.
120
Einübung in die Fallbearbeitung
a) E h a t t e den Entschluß gefaßt, die Eltern darüber zu täuschen, d a ß er der E n t f ü h r e r des Kindes sei. b) Diese Täuschung sollte einen I r r t u m über die w a h r e n E n t f ü h r e r bei den Pflegeeltern h e r v o r r u f e n . c) Dieser I r r t u m w ä r e auch kausal gewesen f ü r eine Vermögensverfügung seitens der Pflegeeltern, w e n n diese Z a h l u n g geleistet hätten. — Es f r a g t sich aber, ob der Betrugstatbestand nidit mehr erfordert als diese rein kausale V e r k n ü p f u n g des I r r t u m s mit der Vermögensverfügung. D e r Betrug w i r d gemeinhin ein Selbstschädigungsdelikt gen a n n t . Diese Kennzeichnung w i r d seinem Wesen durchaus gerecht. Wesentlich ist dem Betrug nämlich, d a ß der T ä t e r das O p f e r in eine Situation versetzt, in der das O p f e r meint, a u f grund freien, rechtlich nicht relevant beeinflußten Entschlusses eine V e r f ü g u n g zu treffen, wobei dem O p f e r jedoch verborgen bleibt, d a ß diese V e r f ü g u n g unmittelbar zu einem Vermögensschaden des O p f e r s f ü h r t . Gerade diese Situation ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Pflegeeltern w ä r e n sich des Verfügungscharakters ihrer Handlungsweise b e w u ß t gewesen, w e n n sie das Geld gezahlt hätten. In gleicher Weise w ä r e ihnen jedoch auch die schädigende N a t u r dieser V e r f ü g u n g klar gewesen. Nicht auf G r u n d vermeintlich freien Entschlusses w ä r e es zur V e r f ü g u n g gekommen, sondern auf G r u n d eines unfreien, v o n anderer Seite beeinflußten Willens w ä r e die V e r f ü g u n g erfolgt, u n d z w a r lag nach dem Vorstellungsbild des O p f e r s der typische Fall einer Erpressung vor, da die Verf ü g u n g ihren G r u n d in einer D r o h u n g mit einem empfindlichen Übel gehabt hätte. Es ist nämlich völlig gleichgültig, ob der T ä t e r der Erpressung das angedrohte Übel realisieren k a n n oder nicht. Es k o m m t allein darauf an, d a ß der Täter dem O p f e r weismacht, er verfüge über die Realisierungsmöglichkeit. Das ist unstreitig, u n d dessen w a r sich auch der Gesetzgeber bei der Schaffung des Erpressungstatbestandes b e w u ß t . W e n n dem aber so ist, d a n n schließt die Erpressung, auch w e n n sie auf einer Täuschung über die G r u n d l a g e n der D r o h u n g beruht, tatbestandlich den Betrug aus. Bei dem nur v o r getäuschten Übel k o m m t dem Erpressungstatbestand gleichsam die Rolle einer lex specialis gegenüber dem Betrugstatbestand
Vorgerücktenklausur N r . 2 : Entführungsfall
121
zu: Verfügungen, die ihren Grund in einer Nötigungssituation haben, können nicht Verfügungen i. S. des Betrugstatbestandes sein. Diese setzen nach dem Vorstellungsbild des Opfers eine freie Entscheidung voraus. d) Der Entschluß des E war daher nicht auf die Begehung eines Betruges gerichtet. 5. Ein erpresserischer Menschenraub des E, § 239a StGB, liegt nidit vor. Der Tatbestand setzt im objektiven Teil bereits voraus, daß E selbst die Entführung begangen hat, und zwar in beiden Alternativen des § 239a Abs. 1. 6. Eine falsche Anschuldigung, § 164 StGB, liegt nicht vor, weil E nicht wider besseres Wissen einen anderen einer strafbaren Handlung gegenüber einer Behörde usw. verdächtigt hat. Weder wurde eine konkrete Person genannt, noch ein Sachverhalt übermittelt, der in bezug auf die strafbaren Handlungen über das hinausging, was den Behörden nicht schon bekannt war. 7. Auch eine persönliche Begünstigung, § 257 StGB, entfällt. Zum einen kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Brief dazu führte, die Sudie nadi den wirklichen Entführern mit geringerer Intensität zu betreiben. Zum anderen wollte E diesen Erfolg nicht, ja, es ist davon auszugehen, daß er sich dieses Erfolges gar nicht bewußt war. 8. In Betracht könnte jedoch die Vortäuschung § 145d StGB, kommen.
einer
Straftat,
Dann müßte E eine Dienststelle des Staates über die Person eines an einer Straftat Beteiligten zu täuschen gesucht haben. Indem E als Entführer auftrat, gab er vor, eine Straftat begangen zu haben. Da er sich jedodi peinlich bemühte, jeglidien Hinweis auf seine eigene Person zu vertuschen, kann von einer Täuschung über seine eigene Beteiligung an der Straftat keine Rede sein. Die Tatsache, daß die Polizei aufgrund der Tätigkeit des E mit Mehrarbeit belastet wurde, genügt zur Erfüllung des Tatbestandes nicht. Diese Mehrarbeit ist unmittelbar in der eigenen Straftat des E, versuchte räuberische Erpressung, begründet, die ihrerseits zwar wiederum auf einer Täusdiung
122
Einübung in die Fallbearbeitung
über seine Beteiligung an einer anderen Straftat beruht, der jedodi wegen ihrer Mittelbarkeit keine Eigenständigkeit mehr zukommt. 9. Ergebnis: E hat sich einer versuchten räuberischen Erpressung schuldig gemacht, §§ 23, 253, 255, (249) StGB (§§ 43, 253, 255, (249) StGB a. F.).
V.
Anmerkungen
1. Das Erkennen der Problematik der Anonymität des Ausstellers der Urkunde erforderte bereits gediegenes Wissen. Die Entscheidung, ob unechte Urkunde oder nicht, mag streitig bleiben. Herauszuarbeiten war jedodi die Problemstellung. 2. Wer die Erörterung der Vermögensdelikte mit dem Betrug begann, hatte es schwieriger in der Argumentation, wenn er die Problematik des funktionellen Zusammenhangs zwischen Irrtum und Verfügung überhaupt sah. Die Kausalität des Irrtums für die Verfügung ließ sich nicht leugnen. Wer daher nicht mehr als Kausalität des Irrtums für die Verfügung voraussetzte, kam zwangsläufig zur Idealkonkurrenz von versuchtem Betrug und versuchter Erpressung. 3. Aufbautechnisch richtig war es auch, mit der versuchten einfachen Erpressung zu beginnen und erst nach deren Bejahung die versuchte räuberische Erpressung zu erwähnen, da auf Grund der verschiedenen Interpretationen des § 255 das Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation zwischen diesen Tatbeständen nicht unstreitig ist. Dieser Interpretationsstreit konnte sich im vorliegenden Fall allerdings nicht auswirken. 4.
VI.
Bearbeitungszeit: 3 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung
1. Der Sachverhalt ist nachgebildet der Entscheidung BGH N J W 1970 S. 1855 f. 2. Zum Uberblick über die Schwierigkeit der Argumentation innerhalb der Problematik der Urkundenfälschung vgl. RGSt 11 S. 186, 38 S. 251, 26 S. 271, 40 S. 218, 46 S. 105 f, 46 S. 300, 52 S. 313, BayObLG NJW 1966 S. 748 f, BGH GA 1963 S. 17. 3. Zur Abgrenzung vpn Betrug und Erpressung vgl. außer der unter 1) genannten Entscheidung:
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall
123
a) Otto, ZStW 79 S. 59 ff, insbes. S. 94. b) Küper, Anm. zu B G H N J W 1970 S. 1855 f, in: N J W 1970 S. 2253. 4. In JuS 1972 S. 570 f führt Herzberg den Beweis, daß man dann, wenn man sich um die Erfassung des Wesens des Betruges nicht kümmert, sondern nur beziehungslos die Begriffe „Irrtum", „Vermögensverfügung" und „Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung" subsumiert, den Tatbestand des Betruges im vorliegenden Fall bejahen muß. — Das ist allerdings auch gar nicht bestreitbar, geschweige denn von irgendwem bestritten worden.
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall I.
Sachverhalt
A arbeitet auf einer Spargelplantage nahe Darmstadt als Vorarbeiter. Dabei hat er die dort mit Spargelstechen beschäftigten Arbeiterinnen zu beaufsichtigen. Ihm obliegt auch die Verteilung des wöchentlich ausgegebenen Deputatspargels, der aus sogenanntem Bruchspargel besteht, unter sich und die Arbeiterinnen. Eines Tages wird A fristlos entlassen. A begibt sich nach Darmstadt und besucht seinen Freund B, dem er früher gelegentlich etwas Deputatspargel aus seiner Zuteilung hat zukommen lassen. A erzählt B nichts von seiner Entlassung. B fragt A, ob dieser nicht mal wieder etwas Spargel für ihn habe. A sagt, das ließe sich wohl einrichten. B solle nur am folgenden Tage um 9.05 Uhr auf einen bestimmten, an der Plantage vorbeiführenden Seitenweg kommen, sein Fahrrad und einen Sack mitbringen. Er möge aber möglichst genau 9.05 Uhr kommen, damit die Arbeiterinnen, die dann wegen der Frühstückspause nicht auf dem Felde seien, nicht dächten, er, A, bekomme wieder zuviel Spargel. In Wirklichkeit war es, wie A wußte, auf der Plantage üblidi, um 8.45 Uhr für einen ca. 9.20 Uhr vorbeikommenden Dauerkunden an der angegebenen Stelle Spargel zu deponieren. B kam zu der verabredeten Zeit an und füllte die Spargel aus dem auch wirklich bereitstehenden Korb in den von ihm mit-
124
Einübung in die Fallbearbeitung
gebrachten Sack um. Dabei bemerkte er, daß es sich nicht um Bruch-, sondern um einwandfreien Spargel handelte. Es kam ihm der Verdacht, daß A den Spargel möglicherweise auf unrechtmäßige Weise erworben haben könnte. Gleichwohl lud er den Sack auf, fuhr mit dem Rad nach Darmstadt und verkaufte dort den Spargel an die Gastwirte C, D und E. Diese verbrauchten den Spargel in ihrem Gaststättenbetrieb. Haben die Beteiligten sich strafbar gemacht? II.
Überlegungen auf dem Wege zur Fallösung
1. Aufbautechnisch ist mit der Strafbarkeit des B zu beginnen. E r ist der unmittelbar Handelnde, und im Verhältnis zu A könnte er sogar Werkzeug des mittelbaren Täters A bei einem Diebstahl sein. 2. Diese Gliederung läßt sich aber nicht vollständig durchführen, weil eine Hehlerei des B nach einem eventuell von A begangenen Vermögensdelikt in Betracht kommt. — Die Prüfung des Verhaltens des B ist daher in zwei Abschnitten durchzuführen. Dazwischen ist die Strafbarkeit des A zu erörtern. 3. Zu erörtern bei B zunächst: §§ 242, 246 StGB, bei A : §§ 242, 2 6 6 StGB, sodann bei B : §§ 259, 263, 246 StGB.
III. A.
Lösungsskizze Das strafbare Verhalten des B
1. Diebstahl, § 242 StGB: —: obj. Tb.: + , aber Vorsatz bezüglich der Wegnahme fehlt. 2. Unterschlagung, § 246 StGB: —: Zueignung objektiv: + , wenn Tatbestand berichtigend ausgelegt, aber Vorsatz fehlt. B.
Das strafbare Verhalten des A
1. Diebstahl in mittelbarer Täterschaft: + : obj. Tb. von B verwirklicht, vgl. A 1, dem A zuzurechnen, da A Irrtum des B ausnutzt. — Auch Zueignungsabsicht liegt vor, da A als Schenker gegenüber B auftritt, sich insofern umfassende Sachherrschaft anmaßt und B aus dieser Herrschaftsposition etwas erhalten will und vorgeblich auch kann. 2. Untreue, § 266 StGB: —: obj. Tb.: —: kein Treueverhältnis i. S. des Gesetzes.
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall C.
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Das strafbare Verhalten des B (Fortsetzung)
3. Hehlerei, § 2i9 StGB: —: Vortat: + , aber Vorsatz: —: Verdacht reicht nicht. 4. Betrug zum Nachteil der Gastwirte: § 263 StGB: + : obj. Tb.: + , auch subj. Tb. nach Sachverhalt gegeben, wenn B sich der Tatsache bewußt war, daß er nicht „gute" Ware zum „guten" Preis übertrug. — 3 Fälle in Fortsetzungszusammenhang. 5. Unterschlagung durch das Verkaufsangebot wirte, § 246 StGB: —: obj. Tb.: —. D. 1. 2. IV. A.
an die Gast-
Ergebnis: Der A-.% 242 StGB Der B: § 263 StGB (fortges.) Gutachten Das strafbare Verhalten des B
1. Diebstahl, § 242 StGB Durch das Fortschaffen des Spargels könnte B einen Diebstahl begangen haben. a) Der Spargel war eine fremde bewegliche Sache, denn Eigentümer war nach wie vor der Plantagenbesitzer, der das Eigentum zwar auf den Kunden übertragen wollte, doch bis zur Besitznahme des Spargels durch den Kunden Eigentümer blieb. b) B müßte den Spargel weggenommen haben, d. h. fremden Gewahrsam an dem Spargel gebrochen und eigenen Gewahrsam begründet haben. — Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache, getragen von einem Herrschaftswillen, unter den Gegebenheiten des sozialen Lebens. Zunächst ist zu prüfen, ob überhaupt jemand Gewahrsam an dem Spargel hatte, als dieser neben der Straße zum Abholen bereitstand. — Sicher war eine tatsächliche Sachherrschaft in Form einer ständigen Kontrolle durch den Plantageninhaber
126
Einübung in die Fallbearbeitung
nicht mehr gegeben, nachdem der Spargel an den Seitenweg gebracht worden war. Dennoch war der ursprünglich einmal bestehende Gewahrsam des Plantageninhabers durch das Verbringen des Spargels an den Weg nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur gelockert. Die jederzeitige sofortige Zugriffsmöglichkeit verlangt der Gewahrsamsbegriff nämlich nicht, weil der Inhalt des Herrschaftsverhältnisses nach den Anschauungen des sozialen Lebens zu bestimmen ist. Bezieht man hier in die Überlegungen ein, daß der Weg an die Plantage angrenzte und daher für jeden Dritten klar sein mußte, daß der Spargel an diesen Platz zu bestimmtem Zweck von der Plantage her hingestellt worden war, dann kann nach den Anschauungen des täglichen Lebens ein Sachherrsdhaftsverhältnis des Plantageninhabers angenommen werden. Auch wenn Dritten der Zweck, zu dem der Spargel an der Straße stand, nicht ohne weiteres bekannt sein mußte, so konnte doch kein Dritter davon ausgehen, daß es sich hier um eine derelinquierte oder verlorene Sache handelte. Den Gewahrsam des Plantagenbesitzers brach B, als er den Spargel wegschaffte. Zugleich begründete er neuen und zwar eigenen Gewahrsam. — B hat demnach eine fremde bewegliche Sache weggenommen. c) Fraglich ist aber, ob B dabei vorsätzlich handelte. Zweifel könnten insofern bestehen, weil er nach der Absprache mit A davon ausgehen mußte, daß dieser den Korb an der bezeichneten Stelle niedergestellt hatte. Nach der Vorstellung des B kam also nur der A als Gewahrsamsinhaber in Betracht. Nun kam dem B beim Umfüllen des Spargels allerdings der Verdacht, daß A diesen unrechtmäßig erworben haben könnte. Dieser Verdacht führte aber nicht zu der Annahme des B, A sei nicht Gewahrsamsinhaber in bezug auf den Spargel. B glaubte vielmehr, daß eine eventuelle Vermögensentziehung des A bereits vor dem Hinstellen des Spargels abgeschlossen gewesen sei. Der Verdacht, daß A den Spargel auf unrechtmäßige Weise erworben haben könnte, brachte den B nämlich nicht auf den Gedanken, daß A ihm lediglich eine Gelegenheit zum Diebstahl verschafft habe. B ging vielmehr davon aus, daß A selbst sich den Gewahrsam an dem Spargel auf unrecht-
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall
127
mäßige Weise verschafft haben könnte, daß der Spargel jedoch nach dieser T a t in den Gewahrsam des A gelangt sei, weil dieser unmittelbare Sachherrschaft darüber begründet habe. — A u f die Idee, der Plantageninhaber könnte noch immer Gewahrsam haben, weil der Spargel sich noch in dessen H e r r sdiaftssphäre befand, kam B nicht. Wäre das Vorstellungsbild des B richtig gewesen, so hätte das Fortschaffen des Spargels keinen Gewahrsamsbruch, sondern ein „In-Empfangnehmen" des Spargels dargestellt. D e m B fehlte demnach das Bewußtsein, Gewahrsam zu brechen, er handelte nicht vorsätzlich in bezug auf die Wegnahme. 2.
Unterschlagung,
§ 246
StGB
M i t dem Fortschaffen des Spargels könnte B sich jedoch einer Unterschlagung schuldig gemacht haben. D a n n müßte er sich eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam gehabt hat, rechtswidrig zugeeignet haben. a ) V o r dem Umfüllen des Spargels aus dem K o r b in den Sack hatte B weder Besitz noch Gewahrsam an dem Spargel. Als er den Spargel umfüllte, geschah dies im Vollzug seiner Absicht, umfassende Sachherrschaft über den Spargel zu begründen. Insofern würden Zueignung und Gewahrsamsbegründung zusammenfallen. b) Es kann nun dahinstehen, ob durch berichtigende Auslegung des Gesetzes diesem zu entnehmen ist, daß eine Unterschlagung auch dann gegeben sein soll, wenn Zueignung und Gewahrsamsbegründung zusammenfallen (sog. berichtigende Auslegung des Gesetzes) oder nicht. Selbst wenn man der berichtigenden Auslegung des Gesetzes folgt, führt dies im vorliegenden Fall nicht zu der Annahme einer Unterschlagung. B hätte zwar den objektiven Tatbestand des § 2 4 6 S t G B verwirklicht, denn er hat den Plantageninhaber von der Sadiherrschaft über den Spargel ausgeschlossen und eigene umfassende Sachherrschaft über den Spargel begründet in der Absicht, diesen wirtschaftlich zu nutzen, und insofern hätte B sich eine fremde bewegliche Sache zugeeignet. B handelte aber nicht vorsätzlich. Enteignung und Aneignung müssen vom T ä t e r bewußt verwirklicht werden. Wie aber unter A 1 aus-
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Einübung in die Fallbearbeitung
geführt wurde, ging B davon aus, daß A der Inhaber der umfassenden Sadiherrschaft an dem Spargel war, und daß diese Sachherrsdiaft auf ihn übertragen werden sollte. Er stellte sich vor, die Sadiherrschaft auf Grund einverständlichen Zusammenwirkens mit dem Sachherrn übertragen zu erhalten. Die Vorstellung des B, eine Sache an sich zu bringen, die möglicherweise dem Berechtigten durch A rechtswidrig entzogen worden war, ersetzt dieses Enteignungsbewußtsein, dessen wesentlichstes Element das Bewußtsein ist, dem Berechtigten die Sachherrschaft zu entziehen, nicht: Zwar soll nach nicht unbestrittener Ansicht der Übergang einer gestohlenen Sache vom Dieb auf einen Dritten eine weitere Vertiefung des Vermögensschadens des ursprünglich Berechtigten darstellen. — Es kann jedoch dahinstehen, ob dieser Schaden jeweils real nachweisbar vorliegen muß, oder ob hier eine Fiktion der Vertiefung genügt. — Enteignung bedeutet Beseitigung der umfassenden Sachherrschaftsstellung und Anmaßung der eigenen umfassenden Sachherrschaftsstellung in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Der Angriff gegen die umfassende Sachherrschaftsstellung und die Begründung der eigenen umfassenden Sachherrschaftsposition können nicht ersetzt werden durch die eventuelle Vertiefung eines bereits zuvor eingetretenen Schadens, dem eine genau so vage Sicherung der eigenen Stellung des Täters entspricht. Die Enteignung ist mit der Begründung umfassender Sachherrschaft durch den Ersttäter abgeschlossen. Sie ist, ohne daß der Berechtigte zuvor wieder in seine Sachherrschaftsposition gelangt ist, diesem gegenüber nicht wiederholbar. Eine Strafbarkeit des B wegen Unterschlagung entfällt aus diesem Grunde. B. Das strafbare Verhalten des A 1. Diebstahl, § 242 StGB A könnte sich eines Diebstahls in mittelbarer Täterschaft schuldig gemacht haben, als er dem B die Möglichkeit eröffnete, sich den Spargel zu verschaffen. a) Das Verhalten des B erfüllte den objektiven Tatbestand des Diebstahls, vgl. A 1 a—b).
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall
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b) Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des Diebstahls durch B müßte A sich als eigene T a t zurechnen lassen, wenn er den B als Werkzeug k r a f t ihm selbst zukommender Tatherrschaft zur Wegnahme des Spargels benutzt hätte. Eine solche Tatherrschaft des A könnte im vorliegenden Fall aufgrund eines Irrtums begründet sein, denn B irrte infolge der falschen Angaben des A darüber, d a ß er eine fremde bewegliche Sache wegnahm. Zweifel an der Tatherrschaft des A könnten sich allerdings ergeben, weil B beim Umfüllen des Spargels bemerkte, d a ß es sich nicht um Bruchspargel handelte, u n d er daraus schloß, der A habe sich diesen in unredlicher Weise verschafft. Trotz dieses Verdachts wirkte jedoch der von A begründete Irrtum in der Weise weiter, d a ß B nicht imstande war, das Gesamtgeschehen und seine eigene Funktion innerhalb dieses Geschehens richtig einzuschätzen. Während er zunächst annehmen mußte, d a ß A ihm etwas von seinem Deputatspargel zukommen lassen wollte, nahm er nunmehr an, daß A den Spargel selbst unredlich erworben habe. Er ging aber davon aus, d a ß dieser Erwerb längst abgeschlossen war. Er w a r sich nicht der Tatsache bewußt, daß er selbst erst dem Berechtigten die Sachherrschaft entzog. Aufgrund des Irrtums des B beherrschte daher A, der den Sachverhalt genau kannte, das Geschehen. c) Zweifelhaft erscheint es aber, ob A die Absicht hatte, sich den Spargel rechtswidrig zuzueignen. Bedenken ergeben sich hier, weil er den Spargel dem B überließ, ohne selbst zu irgendeinem Zeitpunkt Besitz daran gehabt zu haben. Zueignung ist aber ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, d a ß er umfassende Sadiherrschaft über eine fremde Sache ausübt, weil er diese eigenmächtig nutzen will. — Z u fragen ist jedoch, ob es bei einer Weitergabe der Sache stets erforderlich ist, daß derjenige, der die Sache weitergibt, eine Position innehaben muß, aus der heraus er dem Dritten die Sache in den Arm legen kann, damit eine Zueignung zu bejahen ist, oder ob es ausreicht, daß er den Dritten anweist, die Sache an einem bestimmten O r t abzuholen. 9 O t t o , Übungen im S t r a f r e d i t
130
Einübung in die Fallbearbeitung
Das kann nicht einheitlich entschieden werden. Zu differenzieren ist vielmehr danach, ob sich das Abholen für den Dritten als Gewahrsamsübertragung durch den Täter oder als eigenmächtiger Zugriff in fremdes Vermögen begreifen läßt. Im ersten Fall ist die Konstruktion eines Diebstahl in mittelbarer Täterschaft möglich, im zweiten hingegen nicht. Glaubt der Dritte, daß der Täter die Sache für ihn am genannten Ort bereitgelegt hat, so hat er die Vorstellung, die Sache sozusagen in Empfang zu nehmen. Daß sie ihm nicht vom Täter persönlich übergeben wird, stellt sich für ihn nur als unwesentliche Modalität der Übergabe dar. — Anders hingegen, wenn der Dritte bösgläubig ist. Dann ist er sich der Tatsache bewußt, daß er in eine fremde Gewahrsamsphäre einbricht. Entscheidend ist also, ob B gutgläubig oder bösgläubig war, als er den Spargel an der verabredeten Stelle abholte. Im Moment des Umpackens des Spargels kam dem B zwar der Verdacht, daß A sich den Spargel in unredlicher Weise verschafft haben könnte. Nach wie vor war er aber der Ansicht, daß A die Ware für ihn zum Abholen bereitgelegt habe. Er nahm also gutgläubig an, den Spargel auf diese Weise von A übergeben zu erhalten. Die Vorstellung des B ging somit dahin, daß er durch das Nehmen des Spargels diesen gleichsam von A in Empfang nahm. Aus diesem Grunde ist die Sachherrschaftsposition des B dem A als eigene zuzurechnen, auch wenn die reale Sachherrschaft zugleich mit der Begründung durch B auf B übergeht. A maßte sich eine umfassende Sachherrschaftsstellung an, um über den Spargel durch den gutgläubigen B verfügen zu können. Er handelte demnach mit Zueignungsabsicht. Sein Verhalten war rechtswidrig und schuldhaft. A hat sich eines Diebstahls in mittelbarer Täterschaft schuldig gemacht. 2. Untreue, § 266 StGB Der objektive Tatbestand des § 266 setzt eine Vermögensfürsorgepflicht voraus. Da das Arbeitsverhältnis des A zur Tatzeit nicht mehr bestand und eine nachvertragliche Treuepflicht aus
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall
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dem Arbeitsverhältnis als Vorarbeiter keine selbständige Vermögensfürsorgepflidit zum Inhalt hat, liegt der objektive Tatbestand des § 266 StGB nicht vor. C. Das strafbare Verhalten des B (Fortsetzung) 3. Hehlerei, § 259 StGB B könnte eine Hehlerei begangen haben, als er den Spargel an sich nahm, obwohl er den Verdacht hatte, der A habe ihn auf unrechtmäßige Weise erworben. a) Mit dem Umfüllen des Spargels verwirklichte B einen Diebstahl als Werkzeug des A. Es fragt sich daher, ob die Begründung umfassender Sachherrschaft über den Spargel, die ja zugleich Tathandlung des Diebstahls ist, Hehlerei sei kann. Bedenken hiergegen ergeben sich aus dem Wesen der Hehlerei als einem Perpetuierungsdelikt. Die Hehlerei besteht in der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Besitzlage. Daraus folgt, daß die Vortat abgeschlossen sein muß, bevor eine Hehlerei beginnen kann. Zu erwägen ist jedoch, ob zwischen der Vollendung der „Vortat" und dem Beginn der „Nachtat" ein zeitlicher Einschnitt sein muß, oder ob es genügt, daß Vollendung der „Vortat" und Beginn der „Nachtat" ineinander übergehen können. Ein derartiger Übergang des einen in das andere liegt nämlich vor, wenn der Empfänger der Ware bei natürlicher Betrachtungsweise als derivativer Erwerber erscheint, obwohl erst durch den Empfang der Ware der Tatbestand der Vortat vollendet wird. Der Tankwart z. B., der unberechtigterweise Benzin in den Tank des Abnehmers füllt, begeht eine vollendete Unterschlagung erst in dem Augenblick, in dem das Benzin in den Tank läuft. Der Kunde, der das Benzin als „heiße Ware" erkannt hat, erscheint in solchen Fällen nicht als Beteiligter an dem Vermögensentziehungsdelikt, sondern als eine Person, die vor der Vermögenssphäre des Berechtigten steht und darauf wartet, daß ihr etwas aus dieser Sphäre herausgegeben wird. Der vorliegende Fall ist sicher mit einem derartigen Sachverhalt nicht in allen Punkten identisch. Dennoch kann es auf die Unterschiede nicht ankommen. Wie oben ausgeführt, sah B sich als der Erwerber des Spargels, d. h. als jemand, dem die
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E i n ü b u n g in die Fallbearbeitung
Sache v o m Vortäter übergeben wurde. Bei Berücksichtigung des Vorstellungsbildes des B erscheint A als Vermögensentziehungstäter, der nach dem Delikt die Sache an B weitergibt. D a ß das E n d e des Vermögensentziehungsdelikts unmittelbar in den A n f a n g der Hehlerei übergeht, ändert daran nichts, auch in diesem Fall ist bei wertender Betrachtungsweise noch ein Nacheinander von Vermögensentziehungsdelikt und Perpetuierungsdelikt erkennbar, auch wenn sich die Zäsur nicht mehr in einer Zeiteinheit ausdrücken läßt. B hat demnach eine Sache, die durch s t r a f b a r e H a n d l u n g erlangt w a r , an sich gebracht. b) B müßte den Tatbestand jedoch vorsätzlich verwirklidit haben. D a s könnte zweifelhaft sein, denn er hatte nur den Verdacht, daß A den Spargel unrechtmäßig erworben habe. Es könnte allerdings dolus eventualis bezüglich der Hehlerei vorliegen. D a s ist hier jedodi nicht der Fall. B ahnte nicht einmal, wie die S t r a f t a t durch A verwirklicht wurde. Aus der Tatsache, daß er annahm, A könne den Spargel unrechtmäßig erworben haben, ist nicht gesagt, daß er überhaupt davon ausging, daß A den Spargel durch strafbare H a n d l u n g erworben habe. Möglich w ä r e z. B . auch ein Vertragsbruch oder ähnliches gewesen. Eine derart undifferenzierte Vorstellung von der V o r t a t genügt jedoch f ü r den V o r s a t z der Hehlerei nicht. D a r a n ändert auch nichts, daß das Gesetz die Möglidikeit zu bieten scheint, den V o r s a t z aus bestimmten Umständen zu schließen. H i e r handelt es sich um eine bloße Beweisbegründungsregel, die es dem Richter erleichtert, den V o r s a t z zu begründen, wenn er selbst fest d a v o n überzeugt ist, daß Vorsatz vorliegt. Eine Bestrafung wegen Hehlerei, § 259 S t G B , ist daher nicht möglich.
4.
Betrug,
§ 263
StGB
B könnte jeweils einen Betrug z u m Nachteil der Gastwirte C , D und E begangen haben, als er ihnen den Spargel verkaufte. a) I m Verkaufsangebot ist die konkludente Behauptung zu sehen, daß der Anbietende berechtigt sei zur Eigentumsübertragung.
Referendarklausur Nr. 1: Spargelfall
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b) Nach dem Sachverhalt ist kein Anhaltspunkt für einen bösen Glauben der Gastwirte gegeben. Es ist daher davon auszugehen, daß die Gastwirte die Berechtigung des B als gegeben sahen und daher irrten. c) Die Zahlung des Kaufpreises stellt eine Vermögensverfügung dar. d) Diese Verfügung führte zu einem Schaden, denn die Gastwirte erhielten lediglich den Besitz an dem Spargel, nicht aber Eigentum, weil der Spargel abhanden gekommen war. D a ß sie den Spargel zum gleichen Preis veräußern konnten, den sie für ordnungsgemäß erworbenen Spargel erzielt hätten, ändert am Eintritt des Schadens nichts, denn dadurch wurde der zuvor begründete Schaden nur ausgeglichen. e) D a B annahm, daß A den Spargel unrechtmäßig erworben hätte, geht es nicht zu weit, zu unterstellen, daß er sich darüber im klaren war, daß er den Gastwirten nicht die reelle Ware für den Preis lieferte, weil er ihnen kein Eigentum übertragen konnte. In diesem Falle handelte er vorsätzlich und auch in der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor. (Sollte das Wissen bei B nicht vorgelegen haben, so entfällt der Tatbestand des Betruges.) f) D a Gleichartigkeit der Begehungsweise, örtliche und zeitliche Kontinuität, Gleichheit des Tatbestandes und Gesamtvorsatz — es kann unterstellt werden, daß B von Anfang an den gesamten Spargel verkaufen wollte — vorlagen, hat B sich eines fortgesetzten Betruges zum Nachteil von C, D und E schuldig gemacht. 5. Unterschlagung, § 246 StGB Mit dem Angebot an die Gastwirte könnte B eine Unterschlagung, § 246 StGB, begangen haben. Dann müßte das Angebot als Zueignung einer fremden beweglichen Sache zu interpretieren sein. Der Spargel war für B eine fremde bewegliche Sache, vgl. oben A 1 a). Zueignung ist Beseitigung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten und Begründung eigener umfassender Sachherrschaft in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nut-
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Einübung in die Fallbearbeitung
zen. Diese Sachherrsdiaft hatte B mit dem Umfüllen des Spargels erlangt. Durdi das Verkaufsangebot konnte er sie nicht noch einmal begründen, vgl. im übrigen oben A 2 b). Der objektive Tatbestand der Unterschlagung liegt nicht vor. D.
Ergebnis:
1.
A: $ 242
2.
B: § 263 StGB
V.
StGB (fortgesetzt)
Anmerkungen
1. Diejenigen Bearbeiter, die den Vorsatz als Schuldelement ansehen, mußten bei der Erörterung des Diebstahls durch B die Zueignungsabsicht bei B ablehnen. Dabei zeigte es sich, daß in bezug auf die Elemente der Zueignungsabsicht — Entziehung der umfassenden Sadiherrschaft des Berechtigten (Enteignung), Begründung eigener umfassender Sadiherrschaft durch den Täter (Aneignung), Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen — große Unsicherheit besteht. Die gängigen Floskeln: „sich die Stellung eines Eigentümers verschaffen", „se ut dominum gerere" usw., helfen hier nicht weiter. 2. Häufig wurde § 259 durch B vor einer Erörterung der Straftaten des A, d. h. vor der Feststellung der „Vortat" erörtert. Das ist ein grober Fehler, da die Hehlerei die Vortat voraussetzt. — Es scheint, daß das „Kleben an einer Person" diesen Fehler bedingt. Die Bearbeiter wagten nicht, die Prüfung des Verhaltens des B abzubrechen, um sie später, nach der Erörterung des Verhaltens des A wieder aufzunehmen. 3. Die Problematik der mittelbaren Täterschaft des A beim Diebstahl wurde wiederholt dahin ausformuliert, ob eine Zueignung an einen Dritten dem „Sich-Zueignen" gleichzustellen sei. Diese Fragestellung ist unrichtig, sie führt über den Gesetzestext hinaus. Die Frage muß dahin gestellt werden, wann eine scheinbare „Zueignung an einen Dritten" noch als Selbstzueignung zu interpretieren ist. 4. Z. T. wurde verkannt, daß die Formulierung „oder den Umständen nach annehmen muß" in § 259 lediglich eine Erleichterung für den Richter beim Nachweis des Vorsatzes darstellt, nicht jedoch eine fahrlässige Hehlerei begründen soll. 5.
Bearbeitungszeit: 5 Stunden.
Referendarklausur Nr. 2 : Unzuchtsfall
VI.
135
Hinweise zur Vertiefung
1. Zur Frage, ob eine „Vertiefung" eines durch ein Vermögensentziehungsdelikt bewirkten Schadens als Zueignung i. S. des § 246 interpretiert werden kann, d. h. ob eine Zueignung nach erfolgter Zueignung noch in Betracht kommt, vgl. BGHSt 14 S. 38 f f ; dazu Maiwald, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 261 f f ; Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 1 0 7 f f . 2. Zur berichtigenden Auslegung des § 246 vgl. Bockelmann, MDR 1953 S. 3 f f . ; Otto a . a . O . , S. 254 f f .
Referendarklausur Nr. 2: Unzuchtsfall I.
Sachverhalt
Der Polizeibeamte P fordert die in eine Wirtshaussdilägerei verwickelte A dazu auf, ihn auf die Wache zu begleiten. Die A weigert sich, klammert sich an Tischen und Stühlen fest und muß von P mit Gewalt in ein bereitstehendes Auto geschafft werden, mit dem P sie zur Wache fahren will. Unterwegs erklärt sie sich zur geschlechtlichen Hingabe bereit, wenn P sie laufen lasse. P läßt sich darauf ein, macht von dem Angebot Gebrauch und läßt dann die A frei, ohne Anzeige zu erstatten. In dem folgenden Strafverfahren stellt sich heraus, daß P zur Festnahme befugt war, aber die A macht unwiderlegt geltend, sie habe geglaubt, P sei zu ihrer Festnahme nicht berechtigt gewesen. Wie ist der Fall strafrechtlich zu beurteilen? Die Beteiligung der A an der Wirtshausschlägerei ist nicht zu prüfen.
II. 1.
Überlegungen auf dem Wege zur Fallösung Aufbautechnisdi ist zu beachten:
a) Die A fordert den P zu Handlungen auf, die strafbare Verletzungen seiner Amtspflichten sein könnten. Wie dieses Verhalten der A strafrechtlich zu würdigen ist, kann jedoch erst untersucht wer-
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Einübung in die Fallbearbeitung
den, wenn feststeht, ob P sidi wirklich strafbarer letzungen schuldig gemacht hat.
Amtspfliditver-
b) Diese Frage könnte jedoch wiederum abhängig sein davon, ob A bei der Festnahme eine Straftat begangen hat oder nicht. 2.
Demnach ist zu erörtern:
a)
A widersetzt sich der Festnahme: § 113 StGB.
b) P nimmt das Angebot der A an: §§ 174 a I N r . 1, 174 b I, 332, 347, 346, 2 5 7 StGB. c) Das Angebot der A an P : §§ 333, 26/174 a I N r . 1, 174 b I, 347, 346, 257, 332 (§§ 333, 48/174 a I N r . 1, 174 b I, 347, 346, 257, 332 StGB a. F.) StGB.
III. A.
Lösungsskizze Das strafbare Verhalten der A
1.
A widersetzt sich der
a)
§ 113 I S t G B : + , aber:
Festnahme
b)
§ 113 I V S t G B beachten.
B. Das strafbare Verhalten des P durdi Annahme des Angebots der A 1.
§ 174a I Nr. 1 StGB : +
a)
Sexuelle Handlung unter Mißbrauch seiner Stellung :
: +.
b) A ist Gefangene. Festnahme nach § 127 S t P O durch Beamten genügt, da Unterschiede auf Grund der Art der Festnahme nicht sachgerecht. c) „Anvertraut" ist auch der durch Beamten selbst Festgenommene (kriminalpolitischer Zweck der Vorschrift!) d)
Vorsatz : + .
e) Einwilligung der A keine rechtfertigende Wirkung : geschlechtliche Freiheit anvertrauter Personen soll unabhängig von deren Willen gesdiützt werden, es sei denn, das besondere Gewaltverhältnis hat überhaupt keine Bedeutung für die geschlechtlichen Beziehungen. 2.
§ 174b I StGB ; +
:
a) P Beamter nach § 359 StGB, da Beamter im staatsrechtlichen Sinn. Verpflichtet zur Erforschung der strafbaren Hand-
Referendarklausur Nr. 2: Unzuditsfall
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lung der A und zu Maßnahmen, die Verdunklung der Sache zu verhüten, § 163 I StPO. b) Einwilligung keine rechtfertigende Wirkung, vgl. B 1 e). 3. § 332 StGB : + : vgl. B 2a). 4. § 347 StGB : + : vgl. B lb), c). 5. § 346 StGB : + : vgl. B 2a). 6. $257 StGB:+. 7. Konkurrenzen: a) § 347 konsumiert § 346, dieser § 257. b) §§ 174a I N r . 1,174b I, 52 StGB (§ 73 StGB a. F.). 8. Ergebnis: §§ 174a I N r . 1, 174b I, 332, 347, 52 StGB (§§ 174a I Nr. 1, 174b I, 332, 347, 73 StGB a.F.). C.
Das strafbare Verhalten der A (Fortsetzung)
2. Das Angebot im Kfz. a) § 333 StGB: obj. Tb: + , aber geforderte Absicht: —. b) §§ 26/174a I Nr. 1, 174b I StGB (§§ 48/174a I Nr. 1, 174b I StGB a.F.) : Tb: + , aber straflos, da Rechtsgutsverletzung in der Person der A nicht strafbar. c) §§ 26/332 StGB (§§ 48/332 StGB a.F.) : — : Teilnahme des Nichtbeamten in § 333 StGB insoweit abschließend geregelt. d) §§ 26/347 StGB (§§ 48/347 StGB a.F.): — : Nicht strafbar, wenn durch Begünstigten selbst erfolgt (a. A. Schuldteilnahmetheorie). — Strafgrund der Teilnahme Rechtsgutsverletzung, diese in Person des Begünstigten nicht strafbar. e) §§ 26/346 (257) StGB (§§48/346 (257) StGB a.F.): —, vgl. C 2d. 3.
Ergebnis: A : § 113 I (aber 113 IV) StGB.
IV. Gutachten A. Das strafbare Verhalten der A 1.
A widersetzt sich der Festnahme
a) Als die A sidi an Tischen und Stühlen festklammerte, so daß P sie mit Gewalt in das Auto schaffen mußte, könnte sie
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Einübung in die Fallbearbeitung
sich wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, StGB, strafbar gemacht haben.
§113
Abs. 1
P war als Beamter bei einer ordnungsgemäßen Festnahme gemäß § 127 Abs. 1 oder 2 StPO zur Vollstreckung eines Gesetzes im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB berufen. Die Vollstreckungstätigkeit stellte als Teil der amtlichen Ermittlungstätigkeit eine Amtshandlung dar. Dieser Amtshandlung widersetzte sich die A, indem sie durch Entfaltung körperlicher Kraft den P dazu zwang, körperliche Kräfte zur Überwindung des geleisteten Widerstandes einzusetzen. Ihr Verhalten ging über den bloß passiven Widerstand hinaus, indem sie sich festklammerte, so daß P den dabei geleisteten Kraftaufwand überwinden mußte. Die A war sich auch der Tatsache bewußt, daß sie dem P Widerstand leistete. Sie handelte rechtswidrig und schuldhaft. b) Es könnte jedoch eine Strafmilderung gem. § 113 Abs. 4 möglich sein. Die A macht unwiderlegt geltend, sie habe geglaubt, P sei zu ihrer Festnahme nicht berechtigt. — Die A wußte allerdings, daß sie an einer Wirtshausschlägerei beteiligt war. Sie wußte weiterhin, daß P als Polizeibeamter bei der Beendigung der Schlägerei und ihrer Aufklärung eingesetzt war. Ihr war schließlich bekannt, daß ihre Personalien nicht vorlagen. Unter diesen Umständen mußte ihr aber auch klar sein, daß die Aufklärungshandlungen des P und damit ihre Festnahme berechtigt waren. Wenn sie dennoch über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens des P irrte, so war dieser Irrtum vermeidbar. In Betracht kommt daher nur eine Strafmilderung gem. § 113 Abs. 4 Satz 1. B. Das strafbare Verhalten des P durch Annahme des Angebots der A 1. Dadurch, daß P von dem Angebot der A Gebrauch machte, könnte er sich wegen sexuellen Mißbrauchs von Gefangenen, § 174a I Nr. 1 StGB, strafbar gemacht haben. a) Als er sich auf das Angebot der A einließ, nutzte er die Machtmöglichkeiten, die ihm das durch die Festnahme der A begründete Abhängigkeitsverhältnis vermittelte, zur Erlangung
Referendarklausur Nr. 2: Unzuchtsfall
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des Geschlechtsverkehrs. Er mißbrauchte seine Stellung daher zur Vornahme sexueller Handlungen. b) Weiter ist erforderlich, daß A eine Gefangene gewesen wäre, deren Beaufsichtigung dem P anvertraut worden wäre. Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, ob P die A gem. § 127 Abs. 1 oder § 127 Abs. 2 StPO festgenommen hat. Mehr spricht für eine Festnahme nach § 127 Abs. 1. Doch auch dann ist A als Gefangene im Sinne des § 174a I Nr. 1 StGB anzusehen. § 174a I Nr. 1 StGB soll gewährleisten, daß derjenige, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen worden ist, ordnungsgemäß behandelt wird. Es kommt daher nicht darauf an, nach welcher Vorschrift der Gefangene festgenommen worden ist, denn Unterschiede auf Grund der Festnahme wären nicht sachgerecht, weil die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens unabhängig von der Art der Festnahme ist. c) Auch war die A dem P „anvertraut". Zwar deutet der Wortsinn mehr auf die Ubergabe des Gefangenen durch einen Dritten an den Täter hin. Vom Zweck der Vorschrift her wäre diese Differenzierung jedoch sachwidrig: Es muß gewährleistet sein, daß nicht nur der Gefangene, der dem Täter von einem anderen Beamten übergeben worden ist, ordnungsgemäß behandelt wird, sondern auch der von dem Täter selbst Festgenommene. d) P handelte bewußt und gewollt. e) Die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens könnte jedoch ausgeschlossen sein, weil das Angebot zum Geschlechtsverkehr von der A selbst ausging, so daß eine rechtfertigende Einwilligung der A vorliegen könnte. — Das ist hier jedoch nicht der Fall. Geschützt werden soll durch § 174a I N r . 1 StGB die in einer besonderen Abhängigkeit zum Täter stehende Person in ihrer geschlechtlichen Freiheit. Gerade weil das durch die Festnahme gegründete Abhängigkeitsverhältnis dazu verlocken kann, durch geschlechtliche Hingabe eine Verbesserung der eigenen Position zu erreichen, hat der Gesetzgeber hier Vorkehrungen getroffen. Ob die geschützte Person in die sexuelle Handlung einwilligt oder sie gar anregt, ist demgemäß gleichgültig, es sei denn, es ist offenbar, daß die Amtsstellung keine Rolle spielt. Gerade dies war hier jedoch nicht der Fall.
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Einübung in die Fallbearbeitung
P handelte schuldhaft. Er hat sich des sexuellen Mißbrauchs von Gefangenen, § 174a I N r . 1 StGB, schuldig gemacht. 2. Zugleich könnte das Verhalten des P den Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174b StGB, erfüllt haben. a) P war als Polizeibeamter Beamter im staatsrechtlichen Sinne und damit Beamter gemäß § 359 StGB. In dieser Stellung war er zur Mitwirkung bei dem Ermittlungsverfahren wegen Straftaten der A anläßlich der Wirtshausschlägerei berufen, und zwar kraft seiner Amtsstellung, § 163 I StPO. — Das Ermittlungsverfahren ist bereits Teil des Strafverfahrens. b) Er mißbrauchte die durch das Verfahren begründete Abhängigkeit der A von ihm, vgl. oben B l a . — Er handelte bewußt und gewollt, rechtswidrig (vgl. oben B l e ) und schuldhaft. 3. In dem Verhalten des P könnte weiterhin eine schwere stechlichkeit, § 332 StGB, liegen.
Be-
P ist Beamter i. S. des § 359 StGB, vgl. B 2a). Gem. § 163 Abs. 1 StPO war er verpflichtet, strafbare Handlungen zu erforschen und die keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um eine Verdunklung der Sadie zu verhüten. Das bedeutet: Im vorliegenden Fall war es Aufgabe des P, die Wirtshausschlägerei und ihre Umstände im einzelnen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten aufzuklären. Dazu gehörte auch die Feststellung der Personalien der A, nachdem diese festgenommen worden war. Als P die A vor der Feststellung dieser Personalien freiließ und keine weiteren Maßnahmen traf, um die Verdunklung der Sache zu verhüten, verletzte er seine Amtspflicht. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des P kann unterstellt werden, da P ganz offensichtlich nicht als Privatmann tätig wurde, sondern im Rahmen der Wahrnehmung seiner Dienstpflichten die Umstände der Wirtshausschlägerei erforschen sollte. Die Gewährung des Geschlechtsverkehrs ist ein Vorteil i.S. des § 332 StGB. P hat demnach als Beamter für die Verletzung einer Amtspflicht einen Vorteil angenommen. Er handelte bewußt und gewollt, rechtswidrig und schuldhaft.
Referendarklausur Nr. 2:
Unzuchtsfall
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4. Auch ein Entweicbenlassen von Gefangenen, § 347 StGB, könnte in dem Verhalten des P gesehen werden. P ist Beamter im Sinne dieser Vorschrift, vgl. B 2a. Die A war ihm auch als Gefangene zur Bewachung anvertraut, vgl. B 1 b,c. P ließ die A entweichen, als er sie freiließ. Er handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. 5. Das Entweichenlassen der A könnte eine Begünstigung im Amte darstellen, § 346 StGB. P war kraft seiner Amtsstellung zur Mitwirkung an einem Strafverfahren gegen die A berufen, vgl. B 2a. Als er die A laufen ließ, entzog er die A der Strafe. — Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, ob A sich bei der Schlägerei nach §§ 223, 223a oder gar nach § 227 StGB strafbar gemacht hat. Das kann aber auch dahinstehen, denn unzweifelhaft hatte sie den Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt verwirklicht, § 113 Abs. 1 StGB (vgl. oben A 1). Zwar ist es nach Sachverhalt doch zur Hauptverhandlung gegen die A gekommen. Eine Entziehung im Sinne des § 346 liegt jedoch bereits vor, wenn der staatliche Strafanspruch zeitweise nicht verwirklicht wird, indem das Verfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet wird. Eine solche Verzögerung kann hier unterstellt werden, da die Personalien der A nicht bekannt waren. P handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. (Sollte eine solche Verzögerung nicht feststellbar sein, so läge nur eine versuchte Begünstigung im Amte vor, die strafbar ist, da § 346 StGB ein Verbrechenstatbestand ist.) 6. Durch die Begünstigung, die im Entweichenlassen der A lag, kann P sich auch einer persönlichen Begünstigung, § 257 StGB, schuldig gemacht haben. Er müßte dann der Täterin eines Vergehens wissentlich Beistand geleistet haben, um sie der Bestrafung zu entziehen. Zum Strafanspruch vgl. B 5. Als P die A dennoch freiließ, leistete er ihr Beistand, um sie der Strafe zu entziehen. Es genügt, daß es ihm auf das Ziel, wenn auch zur Erreichung eines anderen Ziels, ankam. Er hat seines Vorteils wegen gehandelt. — Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor.
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Einübung in die Fallbearbeitung
7. Konkurrenzen: a) § 257 wird durdi § 346 konsumiert. Es mag dahinstehen, ob § 346 ein echtes oder ein unechtes Beamtendelikt ist. In jedem Falle liegt der Unrechtsgehalt des Deliktes in der Begünstigungstat. Aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, trotz der tatbestandlichen Abweichungen in § 257, eine Konsumtion anzunehmen. § 347 wiederum konsumiert § 346. Das Entweichenlassen ist ein spezifischer Fall einer Begünstigung. b) § 174a I N r . 1 und § 174b I stehen im Verhältnis der Idealkonkurrenz, weil beide im Regelfall nicht nur graduell unterschiedliche, sondern andersartige Abhängigkeitsverhältnisse schützen sollen. 8. Ergebnis: P: §§ 174a I Nr. 1, 174 b I, 332, 347, 52 StGB (§§ 174a I Nr. 1, 174b, 332, 347, 73 StGB a. F.). C.
Die Strafbarkeit der A (Forts.)
2.
Das Angebot im
Kraftfahrzeug
a) Als A dem P anbot, sie gegen die geschlechtliche Hingabe laufen zu lassen, könnte sie sich einer aktiven Bestechung schuldig gemadit haben, § 333 StGB. Die A hat einem Beamten Vorteile gewährt. Die Handlung des P aufgrund der Vorteile war auch eine Verletzung seiner Amtspflicht, vgl. B 2a, b. A wußte, daß sie einem Beamten Vorteile gewährt. Sie nahm jedoch an, daß P nicht zu ihrer Festnahme berechtigt war, d. h. verpflichtet war, sie nach der rechtswidrigen Festnahme so schnell wie möglich wieder freizulassen. In ihrem Vorstellungsbild hätte die Handlung des P daher keine Verletzung einer Amtspflicht bedeutet. Es läßt sich auch nicht argumentieren, daß eine Verletzung der Amtspflicht selbst dann vorgelegen hätte, wenn P zur Freilassung verpflichtet gewesen wäre, weil er diese Freilassung nicht aus rechtlich unanfechtbaren Gründen durchgeführt hätte. Wäre das der Fall, so wäre jede Veranlassung eines Beamten,
Referendarklausur Nr. 2: Unzuchtsfall
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tätig zu werden aufgrund versprochener oder gewährter Vorteile, bereits eine aktive Bestechung im Sinne des § 333 StGB. So weit wollte der Gesetzgeber den strafwürdigen Rahmen aber nicht ziehen. Es kommt darauf an, ob die Handlung, zu der der Täter den Beamten bestimmen will, ohne Vorteilsgewährung rechtmäßig wäre oder nicht. Nach der Vorstellung der A wäre ihre Freilassung rechtmäßig gewesen. Sie handelte demnach nicht in der Absicht, den P zu einer Verletzung seiner Amtspflichten zu bestimmen. — Der Tatbestand der aktiven Bestechung liegt nicht vor. b) Im Angebot der A an P könnte eine Anstiftung zum sexuellen Mißbrauch von Gefangenen, §§ 26,174a 1 Nr. 1 StGB (§§ 48, 174a I Nr. 1 StGB a. F.), liegen. Es mag dahinstehen, ob das bloße Auffordern bereits eine Einflußnahme auf den Willen des P war, die es berechtigt, das Verhalten der A als Bestimmen des P über ein bloßes Verursachen des Tatentsdilusses hinaus zu interpretieren. Durch § 174a I N r . 1 StGB wird die geschlechtliche Freiheit der anvertrauten Person geschützt. Sie selbst ist in ihrer Verfügung über das geschützte Rechtsgut jedoch nicht beschränkt. In ihrer Person stellt die Verfügung über die geschlechtliche Freiheit daher keine rechtswidrige Rechtsgutsverletzung dar. Strafgrund der Teilnahme ist nicht die Tatsache, daß der Teilnehmer den Täter in Schuld und Unrecht verstrickt, sondern die Rechtsgutsverletzung durch den Teilnehmer, die eine mittelbare ist, da sie unmittelbar durch den Täter erfolgt. Diese Rechtsgutsverletzung aber ist in der Person der A kein strafbares Unrecht. Aus diesem Grunde entfällt auch die Möglichkeit, die A wegen einer Teilnahme an dieser Rechtsgutsverletzung zu bestrafen. — Gleiches gilt für die Anstiftung zum sexuellen Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung des P durch A, §§ 26, 174b I StGB (§§ 48, 174b I StGB a. F.). c) Anstiftung der A zur schweren Bestechlichkeit des P, §§ 26, 332 StGB (§S 48, 332 StGB a. F.), wäre konstruierbar, doch ist die Teilnahme des Nichtbeamten in S 333 StGB abschließend geregelt, soweit der objektive Tatbestand des § 333 StGB vorliegt.
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Einübung in die Fallbearbeitung
d) Anstiftung der A zum Entweichenlassen von Gefangenen des P, 26, 347 StGB (§§ 48, 347 StGB a. F.), ist nidit strafbar, wenn sie durch den Begünstigten selbst erfolgt, da die Rechtsgutsverletzung in der Person der A, wäre sie Täter bei ihrer eigenen Befreiung, nicht strafbar wäre; gleichgültig, ob Täterin oder Teilnehmerin, im Verhalten der A kommt lediglich die vom Gesetz durdi Straflosigkeit der Selbstbefreiung anerkannte eigene Begünstigung zum Ausdruck, vgl. §§ 120, 121 StGB. D i e A bleibt daher audi wegen ihrer Teilnahme straflos. e) Anstiftung zur Begünstigung im Amte bzw. Begünstigung, S S 26, 346 (257) StGB (§§ 48, 346 [ 2 7 5 ] StGB a. F.), nicht strafbar in der Person der A, vgl. C 2 c, d). f) Ergebnis: A: § 113 Abs. 1 StGB; Möglichkeit der Strafmilderung gem. § 1 1 3 Abs. 4 Satz 1 StGB.
V.
Anmerkungen
1. Die Klausur machte den meisten Bearbeitern erhebliche Schwierigkeiten. Es zeigte sich nämlich an ihr, ob der Bearbeiter gelernt hatte, eine Vorschrift auszulegen und aus dem Hintergrund seiner Auslegung heraus zu argumentieren, oder ob er nur über die Fähigkeit verfügte, bekannte Begriffe aneinanderzureihen und zu subsumieren. 2. Das begann schon bei der Erörterung der §§ 174 a I Nr. 1, 174 b I StGB. Mehr als die Hälfte der Bearbeiter rechtfertigten das Verhalten des P mit der Einwilligung der A. Sie stellten nicht einmal die Frage nach den Grenzen der Einwilligung, sondern subsumierten den Tatbestand, bejahten unter dem Stichwort „Rechtfertigungsgründe" die Einwilligung und gingen zur Erörterung des nächsten Tatbestands über. — Daß sie damit den Anwendungsbereich des § 174 a I Nr. 1, 174 b I StGB auf gewaltsame oder durch Täuschung erreichte Unzuchtshandlungen eingeschränkt hatten, während es hier in erster Linie um einen ganz anderen Mißbrauch der Stellung geht, wurde nicht einmal geahnt. 3. Weniger offensichtlich lag die Problematik, ob P bei einem Strafverfahren i. S. des § 346 StGB mitwirkte, und ob A Gefangene i. S. des § 347 StGB war. Minimale Kenntnisse der StPO waren zur Beantwortung dieser Fragen nötig. Aber gleichgültig, wie die Antwort ausfiel, bewertet wurde,
Referendarklausur Nr. 2: Unzuchtsfall
145
ob der Bearbeiter sich überhaupt Gedanken zum Inhalt dieser Begriffe machte und diese Gedanken in haltbaren Argumenten zum Ausdruck brachte. Die Sätze: „P wirkte bei einem Strafverfahren mit", bzw. „P wirkte nicht bei einem Strafverfahren mit", oder „A war Gefangene i. S. des § 347 StGB", bzw. „A war keine Gefangene i. S. des § 347 StGB" waren — wenn sie durch keine Argumente untermauert wurden — gleich „unwertig". 4. Bei der Erörterung des § 113 machte den Bearbeitern die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung als „objektive Bedingung der Strafbarkeit" Schwierigkeiten. — Nach der Neufassung des Gesetzes ist die Konstruktion der sog. obj. Bedingung der Strafbarkeit im Rahmen des § 113 nicht mehr nötig. Die Beurteilung der Vorsatz- bzw. Irrtumsfragen ist im Gesetz geregelt. 5. Daß § 333 StGB neben dem Vorsatz eine bestimmte Absicht erfordert, nicht jedoch den Eintritt des Erfolgs („Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält"), wurde z. T. übersehen. Offenbar herrschte hier das Bewußtsein, derartige Absichten gäbe es nur bei einigen Vermögensdelikten. — Das genaue Lesen des Gesetzestextes führte jedoch bereits auf den richtigen Weg. 6. Die Straflosigkeit der A in bezug auf §§ 174 a I N r . 1, 174 b I ließ sich auch mit dem Gesichtspunkt der „notwendigen Teilnahme" begründen. — Nur diese Begründung war möglich für diejenigen Bearbeiter, die annahmen, durch die §§ 174 a I N r . 1, 174 b I werde nicht nur die geschlechtliche Freiheit der Abhängigen geschützt, sondern auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sauberkeit der öffentlichen Ämter und die Freiheit der Überordnungsverhältnisse von geschlechtlichen Einflüssen gewährleistet. 7. Unsicherheiten waren festzustellen in der Begründung der Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit der A in bezug auf §§ 26/347 StGB (§§ 48/347 StGB a. F.) und §§ 26/346 (257) StGB (§§ 48/346 [257] StGB a. F.). 8.
VI.
Bearbeitungszeit: 5 Stunden.
Hinweise zur Vertiefung
1. Zur notwendigen Teilnahme vgl. Lange: Die notwendige Teilnahme, 1940. — 2. Obwohl auch die Rspr. den Strafgrund der Teilnahme in der Teilnahme am Unrecht und damit an der strafwürdigen Rechtsgutsverletzung sieht, soll eine Anstiftung des Gefangenen zu seiner Bet o O t t o , Übungen im S t r a f r e d i t
146
Einübung in die Fallbearbeitung
freiung strafbar sein. — Dazu vgl. BGHSt 4 S. 396 ff (400), 17 S. 373 (mit abl. Anm. Deubner N J W 1962 S. 2260) einerseits, Maurach, Deutsches Strafredit, B. T., 5. Aufl. 1969, S. 656 andererseits.
Referendarhausarbeit (Bearbeitungszeit: 6 Wochen) I.
Sachverhalt
Der Prozeßagent A bestimmte seinen Freund B, gemeinschaftlich mit ihm gegen die Ehefrau des A, die von A getrennt lebte, wie folgt vorzugehen. B erwirkte gegen Frau A einen Zahlungsbefehl wegen einer erdichteten Kaufpreisforderung von DM 500,—, wobei er in der Anschrift der Frau A die Wohnung des Ehemannes A angab. Der Zahlungsbefehl wurde der Ehefrau A in der Wohnung des A zu Händen des Ehemannes zugestellt, so daß Frau A nichts davon erfuhr. Nach Ablauf der Widerspruchsfrist erwirkte B Vollstreckungsbefehl, übergab diesen dem Gerichtsvollzieher zur Vollstreckung mit der Mitteilung, daß Frau A verzogen sei und jetzt X-Straße Nr. 10 wohne. Der Gerichtsvollzieher fand in der Wohnung der Frau A DM 500,— in fünf Banknoten zu je DM 100,—. Er nahm das Geld an sich und händigte es dem B aus. B behielt heimlich eine von diesen Banknoten für sich, von den übrigen gab er zwei dem A mit der Bemerkung, die Zwangsvollstreckung habe nur DM 400,— ergeben, hiervon beanspruche er DM 200,— für seine Mitwirkung bei der Sache; hiermit war A einverstanden. Wie ist der Fall strafrechtlich zu beurteilen? II.
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Referendarhausarbeit
v. Liszt-Schmidt Maurach Merkel Mezger-Blei Mumm Nagler Neumann ders. v. Olshausen Otto ders.
149
(zitiert: Bearbeiter, LK.). 9. Aufl. herausgeg. von Baldus und Willms, 6. Lieferung: §§ 242—248 c, 1970 ; 9. Lieferung: §§ 257—262, 266—330 c, 1973 (zitiert: Bearbeiter, LK, 9. Aufl.). Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927. Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, 5. Aufl. 1969. Die Lehre vom strafbaren Betrug, 1867, Krim.Abh., II., l . A b t . Strafrecht II, Besonderer Teil, 9. Aufl. 1966. Die Wahrheitspflicht der Parteien im Zivilprozeß, in: DRpfl. 1937 S. 147 ff. Bezugsscheine als Objekte von Vermögensverbrechen, in: ZAkDR 1941 S. 294 ff. Die Lüge im Prozeß, J W 1908 S. 641 f. Die Lüge im Prozeß, II., JW 1908 S. 667 f. Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, II. Bd., 11. Aufl. 1927. Zur Abgrenzung von Diebstahl, Betrug und Erpressung bei der deliktischen Verschaffung fremder Sachen, in: ZStW 79 (1967) S. 59 ff. Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970.
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Palandt Rietzsch
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Rosenberg-Schwab Roxin Sauer Schaffstein Scheffler
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Einübung in die Fallbearbeitung
Schmidhäuser Schmidt, Richard Schönke-Schröder Sdiönke-Kuchinke Schröder
ders. Schroeder Schünemann
Schwinge-Siebert Stein-Jonas Welzel Wimmer Wieczorek Wolf, Erik
III.
Strafredit, Allgemeiner Teil, 1970. Die Lüge im Prozeß, in: D J Z 1909 S. 39 ff. Strafgesetzbuch - Kommentar, 17. Aufl. 1974. Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 9. Aufl. 1969. Ober die Abgrenzung des Diebstahls von Betrug und Erpressung, in: ZStW 60 (1941) S. 33 ff. Anm. zu einem Urteil des B G H vom 12.11. 1957, in: J R 1958 S. 106 f. Der Täter hinter dem Täter, 1965. Methodenprobleme bei der Abgrenzung von Betrug und Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, in: GA 1969 S. 46 ff. Das neue Untreuestrafredit, 1933. Kommentar zur Zivilprozeßordnung, l . B d . , 19. Aufl. 1972. Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969. Die listige Sachverschaffung auf dem schwarzen Markt, in: N J W 1948 S. 241 ff. Zivilprozeßordnung, 1960. Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Prozeßbetrug, in: J W 1938 S. 1921 ff.
Gliederung
A.
Das Verhalten des B (Erster T e i l )
I.
S t r a f t a t e n gegenüber F r a u A
1.
E r w i r k e n des Zahlungsbefehls gegen F r a u A
a)
Schwere mittelbare Falschbeurkundung gem. §§ 2 7 1 , 2 7 2 StGB
b)
Betrug gem. § 2 6 3 S t G B
2.
E r w i r k e n des Vollstreckungsbefehls gegen F r a u A
a)
Schwere mittelbare Falschbeurkundung gem. §§ 2 7 1 , 2 7 2 StGB
b)
Betrug gem. § 2 6 3 S t G B
Referendarhausarbeit
151
3. Die Pfändung der fünf Hundertmarkscheine durch den Gerichtsvollzieher a) Betrug gem. § 263 StGB aa) Durch Täuschung des Gerichtsvollziehers bb) Durch Täuschung der Frau A b) Raub in mittelbarer Täterschaft gem. § 249 StGB c) Räuberische Erpressung in mittelbarer Täterschaft gem. § 255 StGB d)
Nötigung in mittelbarer Täterschaft gem. § 240 StGB
II. Straftaten gegenüber A Mitteilung an A, die Vollstreckung habe nur 400,— DM erbracht, und Übergabe von nur zwei Hundertmarkscheinen. 1. 2.
Betrug gem. § 263 StGB Untreue gem. § 266 StGB
B.
Das Verhalten des A
I. 1.
Erwirken des Vollstreckungsbefehls Betrug in Mittäterschaft mit B gegenüber Frau A gem. §§ 25 II, 263 StGB (§§ 47, 263 StGB a. F.) Untreue gegenüber Frau A gem. § 266 StGB
2. II.
III. IV. 1. 2.
Annahme des Zahlungsbefehls Schwere mittelbare Falschbeurkundung gem. §§ 272, 271 StGB Einbehalten des Zahlungsfehls Urkundenunterdrückung gem. § 274 I Ziff. 1 StGB ö f f n e n des Umschlags, in dem sich der Zahlungsbefehl befindet Verletzung des Briefgeheimnisses gem. § 299 StGB Sachbeschädigung gem. § 303 StGB
V. Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher: Keine strafbare Handlung in mittelbarer Täterschaft gegeben. VI. Entgegennahme der zwei Hundertmarkscheine als Hehlerei gem. § 259 StGB
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Einübung in die Fallbearbeitung
C. Das Verhalten des B (Zweiter Teil) — Einbehalten des Zahlungsbefehls als Urkundenunterdrükkung in Mittäterschaft gem. §§ 25 II, 274 I Ziff. 1 StGB (§§ 47, 274 I Ziff. 1 StGB a. F.) — D.
Konkurrenzen
I.
Straftaten des B
II. IV.
Straftaten des A Gutachten
A.
Das Verhalten des B (Erster Teil)
I.
Straftaten gegenüber Frau A
1.
Erwirken des Zahlungsbefehls gegen Frau A
a) Schwere mittelbare Falschbeurkundung gem. §§ 271, 272 StGB B könnte sich durch die Erwirkung des Zahlungsbefehls wegen einer schweren mittelbaren Falsdibeurkundung nach §§ 271, 272 StGB strafbar gemacht haben1. Dann müßte er zunächst den Grundtatbestand, § 271, erfüllt haben, d. h. er müßte bewirkt haben, daß der Wahrheit zuwider für Rechte oder Rechtsverhältnisse bedeutsame Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen als abgegeben oder geschehen öffentlich beurkundet worden sind. Erforderlich ist also, daß der unrichtige Inhalt als wahr beurkundet wurde, mag die entstehende Urkunde sonst auch formell „echt" sein2. aa)
öffentliche Urkunde
Der Zahlungsbefehl, den B bei dem Rechtspfleger des Amtsgerichts erwirkt hat (§§ 689 ZPO, 19 Ziff. 1 RPflG), ist dann eine Urkunde, wenn er eine verkörperte Gedankenerklärung Alle im folgenden nidit näher bezeichneten Paragraphen sind solche des StGB. 2 O L G Hamm N J W 1969 S . 6 2 5 ; Dreher, a . a . O . , § 2 7 1 Anm. 1; Kohlrausdi-Lange, a . a . O . , § 2 7 1 Anm. I ; Lackner-Maassen, a . a . O . , § 2 7 1 Anm. 2 ; Maurach, a . a . O . , S. 4 9 3 ; Schönke-Schröder, a . a . O . , § 2 7 1 Rdnr. 1 5 ; Welzel, a . a . O . , S. 415. 1
Referendarhausarbeit
153
darstellt, die geeignet und bestimmt ist, etwas Reditserheblidies zu beweisen und den Aussteller erkennen läßt 3 , öffentlich ist die Urkunde, wenn sie von einer öffentlichen Behörde im Rahmen ihrer Amtsbefugnis aufgenommen worden ist 4 . Insoweit gilt auch im Strafrecht die Begriffsbestimmung des § 415 I ZPO 5 . Kennzeichnend für eine öffentliche Urkunde ist, daß sie für die Richtigkeit des beurkundeten Inhalts Beweis für und gegen jedermann erbringt. Dies wird aus dem § 417 Z P O geschlossen6. Ein Zahlungsbefehl verkörpert gewiß eine Gedankenerklärung. Er ist geeignet und bestimmt, etwas Reditserheblidies zu beweisen — daß nämlidi ein Herr namens B erschienen sei und gegen eine Frau A einen Zahlungsbefehl in Höhe von 500 DM erwirkt habe —, und er läßt den Aussteller erkennen. Daß der Rechtspfleger eine Behörde i. S. des § 415 Z P O ist, kann nicht bezweifelt werden. Der Zahlungsbefehl ist nach allem eine öffentliche Urkunde 7 , bb) Inhalt der Urkunde Etwas Falsches i. S. des § 271 wäre nur dann beurkundet, wenn sich aus dem Zahlungsbefehl mit Beweiskraft für und gegen jedermann ergäbe, daß B ein Anspruch in Höhe von 500 DM gegen Frau A zustehe. Ein Zahlungsbefehl ergeht, wenn die formellen Voraussetzungen der §§ 690, 691 ZPO gegeben sind. Im Mahnverfahren wird deshalb über die materielle Begründetheit der Forderung nicht entschieden, einem künftigen Rechtsstreit wird nicht vorgegriffen. Über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs sagt der Zahlungsbefehl darum gar nichts, sondern nur, daß ein bestimmter Anspruch geltend gemacht worden ist. Allein dieser Vorgang wurde beurkundet. Die Urkunde war demnach in' RGSt 6 S. 290; BGHSt 3 S. 84, 16 S.96. 4 BGHSt 3 S. 380; Kohlrausdi-Lange, a. a. O., § 271 Anm. II. 5 RGSt 71 S. 102. 6 RG JW 1933 S. 2705; RGSt 75 S.287; Schönke-Sdiröder, a.a.O., §271 Rdn. 8; Jagusch, LK, Anm. 5 f vor §267. 7 RG HRR 1932 Nr. 490.
154
Einübung in die Fallbearbeitung
haltlich nicht unrichtig. Der Tatbestand des § 271 und damit auch der des § 272 sind nicht erfüllt 8 . Nichts anderes kann für ein Protokoll über den Antrag gelten, das gem. § 702 S. 2 Z P O dann aufgenommen worden wäre, wenn B um den Zahlungsbefehl schriftlich nachgesucht hätte. b)
Betrug
gem. § 263
StGB
Es wäre aber möglich, daß A durch Erwirken des Zahlungsbefehls einen Betrug gegenüber Frau A gem. § 263 begangen hat. In Frage käme, daß B bei dem Rechtspfleger, der für den Erlaß des Zahlungsbefehls funktionell zuständig ist, durch Täuschung einen Irrtum erregt hat, auf Grund dessen dieser über das Vermögen der Frau A derart disponierte, daß bei ihr unmittelbar ein Schaden entstanden ist. aa)
Täuschungshandlung
Indem B bei dem Rechtspfleger das Gesuch auf Erlaß eines Zahlungsbefehls stellt, behauptet er, daß er von Frau A aus einem Kaufvertrag 500 DM zu fordern habe, wie sich deutlich aus den §§ 688, 690 ZPO ergibt. Darin könnte eine Täuschungshandlung durch Vorspiegeln „falscher Tatsachen" 9 liegen. Vorspiegelung „falscher Tatsachen" ist die Behauptung von Tatsachen in Kenntnis ihrer Unrichtigkeit 10 . Der Zahlungsbefehl enthält die Behauptung einer solchen Tatsache, wobei B über ihre Unrichtigkeit Bescheid weiß. Man könnte einwenden, es handle sich bei der Geltendmachung einer Forderung um eine bloße Rechtsausführung, die nicht als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren sei. Diese Bedenken sind unbegründet, da Rechtsausführungen nur dann keine Tatsachenbehauptungen sind, wenn der Sachverhalt, der diesen Ausführungen zugrunde liegt, dem Rechtspfleger klar 8
Vgl. dazu auch RGSt 39 S. 346 und Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 271 Rdn. 23. • Vgl. zur philologischen Kritik dieses Begriffs Maurach, a. a. O., S. 305. 10 RGSt 24 S. 144.
Referendarhausarbeit
155
ist; denn dann handelt es sich in der T a t nur um ein subjektives Urteil 1 1 . Dennoch ist damit das Vorliegen einer Täuschungshandlung noch nicht bejaht. Denn von einem Vorspiegeln kann man nur dann sprechen, wenn überhaupt jemand da ist, der getäuscht werden soll und getäuscht werden kann. Das Verhalten des Täuschenden muß „auf Irreführung angelegt" sein (Jagusch) 1 2 . Wegen dieser Bezogenheit der Täuschung auf den zu erregenden Irrtum ist die Frage, ob der Rechtspfleger bei Ausstellung des Zahlungsbefehls gleichsam wie ein Automat nur reagiert, nicht lediglich ein Problem des Irrtums oder der Kausalität, sondern bereits der Täuschungshandlung selbst 13 . Es muß daher untersucht werden, ob der Rechtspfleger im Mahnverfahren durch das Behaupten eines nicht bestehenden Anspruchs überhaupt getäuscht werden kann. — Diese Frage wird von Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet. Während das Reichsgericht 14 in älteren Entscheidungen in ständiger Rechtsprechung eine solche Möglichkeit schlechthin ausgeschlossen hatte, gab es — namentlich nach Erlaß des Gesetzes über die Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 29. Oktober 1933, das mit dem § 138 I Z P O n. F. die Einführung der Wahrheitspflicht in den Zivilprozeß brachte — seine Meinung auf und hielt in der Folgezeit eine Täuschung für möglich 15 . — Dem schloß sich der Bundesgerichtshof an 1 6 . Die Auffassungen in der Wissenschaft sind geteilt 17 , wenn auch diejenigen Autoren, die eine Täuschung für denkbar erachten, in der Überzahl sind. 11
Schröder, J R 1958 S. 107.
Jagusdi, L K , § 263 Anm. 2 b; Bockelmann, Eb. Schmidt-Festschrift, S. 4 4 0 ; ders., N J W 1961 S. 1935. 1 3 ebenso im Ergebnis RGSt 5 S. 322, 20 S . 2 9 2 ; B G H S t 24 S. 260. 12
14
RGSt 20 S. 392, 42 S. 410.
15
RGSt 72 S. 115, 72 S. 150.
1S
B G H S t 24 S. 260.
für Täuschungsmöglidikeit: die in Anm. 25 Genannten; dagegen: die in Anm. 19 Genannten.
17
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Einübung in die Fallbearbeitung
Für diese Frage ist zu erwägen, von welchen Voraussetzungen der Erlaß eines Zahlungsbefehls nach der Z P O abhängt. Das Gesuch muß den in § 690 Z P O genannten Voraussetzungen entsprechen, und aus seinem Inhalt darf sich nicht ergeben, daß der Anspruch überhaupt oder zur Zeit nicht begründet ist. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so wird es zurückgewiesen (§ 691 ZPO). Aus dem Verhältnis von § 690 und § 691 Z P O könnte man den Umkehrschluß ziehen, daß das Gesuch eben nur dann zurückzuweisen sei, wenn es nicht den in § 690 Z P O bezeichneten Inhalt hat oder unschlüssig ist. Dieser Gedanke wird gestützt durch den Wortlaut des § 688 I, 1 ZPO. Dort ist bestimmt, daß wegen eines Geldanspruchs auf Gesuch des Gläubigers ein Zahlungsbefehl zu erlassen ist. Daraus wäre dann zu folgern, daß es auf den Glauben des Rechtspflegers bezüglich der Angaben des Antragstellers überhaupt nicht ankomme, weil dieser ganz ohne Rücksicht darauf, was er selbst von dem geltend gemachten Anspruch hält, dem Gesuch zu entsprechen habe, wenn die Voraussetzungen der §§ 690, 691 Z P O vorliegen. So weist das Reichsgericht18 darauf hin, daß der Riditer den einseitigen Parteibehauptungen im Mahnverfahren „als solchen" keinen Glauben schenke, sondern nur denjenigen, welche vom Gegner im kontradiktorischen Verfahren nicht bestritten werden oder bewiesen sind. Daher könne der Zivilrichter auch nicht durch einseitige Parteibehauptungen getäuscht werden. In dem Urteil RGSt 42 S. 410 kommt das Gericht zu der Auffassung, daß der Zahlungsbefehl, da von einem Beweis oder auch nur einer Glaubhaftmachung des Parteivorbringens keine Rede sein könne, erlassen werde, „nicht wenn und weil der Richter den Angaben des Gesuchsstellers glaubt, sondern wenn und weil das Gesuch den formellen Vorschriften des Gesetzes über den Inhalt des Gesuches entspricht" 19 . 18
RGSt 20 S. 392. ebenso mit fast denselben Argumenten im Schrifttum Benkendorff, JW 1933 S. 2818; Frank, a . a . O . , § 2 6 3 Anm. VI 2 a; Grünhut, Rhein. Ztschr. f. Zivil- u. Prozeßrecht 13 S. 140; Koffka, ZStW 54 S . 4 8 ; Schönke-Sdiröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 53. 18
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Der Auffassung des Reichsgerichts wäre beizupflichten, wenn der Rechtspfleger dem Gesuch wirklich völlig neutral gegenüberstände und vom Gesetz gehalten wäre, sich keine Überzeugung zu bilden, sondern wie ein Automat bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Handlung auszuführen. Denn dann könnte er — in seiner Eigenschaft als Rechtspfleger wenigstens — auch nicht getäuscht werden. Dem Reichsgericht ist zuzugeben, daß der Rechtspfleger den Erlaß eines Zahlungsbefehls nicht davon abhängig machen kann, daß er den Anspruch für begründet hält, oder weil er Zweifel hat 20 . Denn diese Zweifel auszuräumen und über den Anspruch zu entscheiden, ist allein der Prozeßrichter im kontradiktorischen Verfahren berufen. Das Mahnverfahren ist kein Leistungsprozeß auf unterer Ebene. Darüber kann gar nicht gestritten werden, da Wortlaut und Sinn der §§ 688 ff ZPO insoweit nur eine Deutung zulassen. Fraglich ist allein, ob der Rechtspfleger dem Gesuch auch dann zu entsprechen hat, wenn er erkennt, daß der „Gläubiger" ihn belügt, ihm also deutlich bewußt ist, daß er als staatliches Rechtspflegeorgan nur dazu benutzt werden soll, einen Dritten zu schädigen. Damit kommt als mögliche Täuschungshandlung immer noch die Geltendmachung des Anspruchs in Betracht. Die „falsche Tatsache" wäre aber nicht das Bestehen des Anspruchs, sondern die Wahrhaftigkeit des Antragstellers. Daß Täuschungshandlung auch die Vorspiegelung solcher „inneren Tatsachen" sein kann, ist allgemein anerkannt 21 . Mit der Stellung des Antrags hätte der B dann konkludent zum Ausdruck gebracht, daß er von der Wahrheit seiner Erklärung überzeugt sei. Das folgt aus dem § 138 I ZPO, der von der Partei verlangt, daß sie keine Erklärungen wider besseres Wissen abgibt. Die Stellung dieser Vorschrift im 1. Buch, 1. Titel: Mündliche Verhandlung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Norm als all20
So auch BGHSt 24 S. 260.
21
RGSt 56 S . 2 3 1 ; Jagusch, LK, § 2 6 3 Anm. 2 a.
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gemeiner zivilprozessualer Grundsatz auch für das Mahnverfahren gilt 22 . Das Problem, um das es geht, ist also — und damit kommt man zum Ausgangspunkt der Erwägungen zurück —, ob hinter den in den §§ 690, 691 ZPO aufgeführten Bedingungen ungeschrieben, aber selbstverständlich, die Voraussetzung steht, daß der Rechtspfleger sidi nicht zum Werkzeug von Gaunern hergeben darf, wenn er deren Täuschung durchschaut. Wer die Regelung der Voraussetzungen in den §§ 688 ff ZPO uneingeschränkt als abschließend ansieht, der muß annehmen, daß der Rechtspfleger auch dann, wenn ihm noch so klar ist, daß er belogen wird, das Mahnverfahren einzuleiten habe. Folgerichtig hat sich das Reichsgericht denn auch auf diesen Standpunkt eingestellt. Möglicherweise läßt sich die Frage, was der Rechtspfleger in der oben gekennzeichneten Situation zu tun hat, aus dem neuen § 138 I ZPO beantworten, der den jahrzehntelangen Streit um die Einführung der Wahrheitspflicht für die Parteien in den deutschen Zivilprozeß abschloß23. Denn unter Berufung auf diese Vorschrift ist das Reichsgericht von seiner alten Rechtsprechung abgerückt24. Ebenso sind einige Autoren 2 5 , auch des zivilprozessualen Schrifttums, der Auffassung, daß der § 138 I ZPO die Rechtslage für die hier anstehende Frage geändert habe oder doch, daß die Möglichkeit eines Irrtums des Rechtspflegers geradewegs aus dieser Norm folge. Mumm, Dt.Rpfl. 1937 S. 148; Rosenberg-Sdiwab, a . a . O . , Scheffler, D S t R 1939 S. 206.
22
S.321;
Vgl. Schmidt, D J Z 1909 S. 39 ff; Neumann, J W 1908 S. 6 4 1 ; Hellwig, J W 1908 S. 6 6 5 ; dazu wieder Neumann, J W 1908 S. 667.
23
RGSt 72 S. 15 = J W 1938 S. 1386 m. zust. Anm. v. Schaffstein; = Z A k D R 1938 S. 440 m. krit. Anm. v. Boldt.
24
2 5 Maurach, a. a. O., S. 3 1 6 ; Rietzsch, D S t R 1934 S. 16, 1 9 ; SchönkeKuchinke, a . a . O . , S . 9 ; Welzel, a . a . O . , S. 371, 3 7 2 ; Wieczorek, a . a . O . , § 3 3 1 A I I b 2 ; zweifelnd: Mezger-Blei, a . a . O . , S. 1 9 1 ; Kohlrausch-Lange, a. a. O., § 263 Anm. 4 3 c : sie umgehen die Frage, ob nach Einführung des § 138 I Z P O der Rechtspfleger Lügen unberücksichtigt zu lassen habe, mit dem unrichtigen Hinweis, sie betreffe kein Straf-, sondern Zivilprozeßrecht.
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Die Vorschrift bestimmt, daß die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben. Man fragt sich zunächst, was diese Wahrheitspflicht mit einer Täuschung des Rechtspflegers zu tun habe. Dabei könnte man folgendes erwägen: Weil es die Pflicht des Gesuchstellers ist, die Wahrheit zu sagen, dürfte der Rechtspfleger davon ausgehen, daß er nicht belogen werde. Eine solche Argumentation wäre jedoch nicht zwingend, da der Schluß, jemand lüge nicht, weil er nicht lügen dürfe, auch im gerichtlichen Verfahren aller Lebenserfahrung widerspricht. Ebensowenig ist es angängig, aus dem § 138 I Z P O zu folgern, weil die Partei ihren angeblichen Anspruch nicht mit Hilfe unwahrer Angaben vor den Rechtspflegeorganen durchsetzen dürfe, müsse ein Verstoß gegen diese Pflicht als Betrug geahndet werden. Das wäre in der Tat die Bestrafung eines Vergehens als Vermögensdelikt, das unser Strafrecht nicht kennt, nämlich des Mißbrauchs der Rechtspflege zu unlauteren Zwecken „gleichsam durch die Hintertür" 2 6 . Man kann niemanden, der einen Rechtspfleger belügt, nur deshalb, weil einem der Mißbrauch der Rechtspflege als strafwürdig erscheint, wegen Betruges verurteilen 27 . Wenn man den Grundsatz, der in § 138 I Z P O zum Ausdruck kommt, hier fruchtbar machen will, muß man die Dinge vielmehr von der anderen Seite betrachten: Die Norm macht deutlich, welches Mittels sich der Antragsteller nicht bedienen darf: der Lüge. Wenn unsere Prozeßordnung auf der einen Seite eine derartige Beschränkung der Parteimöglichkeiten anordnet, wäre es aber ein Widerspruch, wenn auf der anderen Seite ihre berufenen Organe die Lüge, wenn sie sie als solche erkannt haben, als Mittel der Rechtsverfolgung akzeptierten. Allein in dieser Richtung vermag der § 138 I Z P O für die anstehende Frage einen Hinweis zu geben28. 26
Scheffler, DStR 1939 S.208; vgl. die ähnlichen Bedenken bei Dahm, a. a. O., S. 48. 27 Vgl. die Bedenken bei Erik Wolf, JW 1938 S. 1923. 28 Audi die Behauptung Sdiaffsteins — JW 1938 S. 1386 — geht fehl, erst die Einführung der Wahrheitspflicht habe die Bestrafung der Prozeßlüge als Betrug ermöglicht, da es die Einheit der Rechts-
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Zu einer endgültigen Entscheidung, ob der Rechtspfleger Lügen unberücksichtigt zu lassen habe, bedarf es aber zusätzlicher Erwägungen. Dabei ist erheblich, was im Mahnverfahren als bedeutsamer zu erachten ist, der Grundsatz, daß ein bestimmtes Partei verhalten notwendig das Tätigwerden des Rechtspflegers zur Folge hat 29 , oder die allgemeine Forderung, die Rechtspflege dürfe sich nicht bewußt als Hilfsorgan unlauterer Machenschaften benutzen lassen30. Das Mahnverfahren hat seiner Natur nach provisorischen Charakter. Man sollte meinen, daß gerade deshalb, weil der Schuldner sich gefahrlos jederzeit durch die Einlegung eines Widerspruchs wehren könne, welche zu einem Abstehen des Gläubigers von seiner Forderung oder zu einer mündlichen Verhandlung führte, die bloße Geltendmachung eines Anspruchs das Mahnverfahren auslösen könne. Denn schrankenlose Parteiherrschaft scheint solange angebracht, als daraus von vornherein kein Nachteil für eine Partei erwächst. Man könnte erwägen, daß der Schuldner sich doch zu Wehr setzen solle, wenn die Forderung ungerechtfertigt ist, und daß es nicht Aufgabe des Rechtspflegers sei, jemanden vor Schaden zu bewahren, den er selbst ohne Schwierigkeit abzuwenden die Möglichkeit habe. Dem muß jedoch entgegengehalten werden: So wenig der Staat die Pflicht hat, den einzelnen vor einem Schaden zu bewahren, den dieser — mangels Erhebung eines Widerspruchs oder späteren Einspruchs — seiner Schüchternheit, Dummheit oder Nachlässigkeit zuzuschreiben hat, so gewiß ist es andererseits auch nicht seine Aufgabe, sich zum Komplizen von Gaunern Ordnung nicht vertrüge, wenn strafrechtlich geahndet würde, was zivilrechtlich erlaubt sei. Denn der § 2 6 3 ahndet den Betrug, also den A n g r i f f auf fremdes Vermögen, und nicht die Lüge. M So t r o t z § 1 3 8 I Z P O Benkendorff, J W 1 9 3 3 S . 2 8 1 8 ; K o f f k a , Z S t W 5 4 S. 4 5 ; Schönke-Schröder, a . a . O . , § 2 6 3 R d n . 5 3 . 8 0 So R G S t 7 2 S. 137, 7 2 S. 1 5 0 ; Baumbach-Lauterbach, a.a.O., § 1 3 8 A n m . 1 F ; Jagusch, L K , § 2 6 3 A n m . 11 f ; Maurach, a . a . O . , S. 3 1 6 ; O t t o , Struktur, S. 2 8 0 Anm. 8 0 ; Rietzsch, D S t R 1 9 3 4 S. 1 9 ; Rosenberg-Schwab, a . a . O . , S. 3 2 1 ; Stein-Jonas, a . a . O . , § 1 3 8 A n m . I 3, § 3 3 1 Anm. II 2 (für das Versäumnisverfahren); für den Fall der bewußten Lüge t r o t z Bedenken auch Mezger-Blei, a. a. O., S. 1 9 2 .
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zu machen. Der Rechtspfleger soll sich in den Dienst der Rechtsverfolgung stellen, nicht aber dem Unrecht zum Triumph verhelfen. Man mag es wenden, wie man will: Auch das Mahnverfahren ist schon — wenngleidi vorläufig gewährter — staatlicher Rechtsschutz. Dieser Rechtsschutz aber gebührt niemandem, der ersichtlich kein Recht sucht, sondern allein unredliche Zwecke verfolgt. Überlegt man, welche scharfen Voraussetzungen in anderen Verfahrensarten an das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers gestellt werden, so sieht man das unser Prozeßrecht beherrschende Prinzip, die Rechtspflege nicht unnütz zu beschäftigen. Um wieviel mehr muß demjenigen dann aber der Rechtsschutz versagt werden, der die Rechtspflege nicht nur unnütz beschäftigen, sondern sie sogar als Handlanger seiner dunklen Machenschaften mißbrauchen will. Im übrigen zeigt der vorliegende Fall, daß der „Schuldner" keineswegs immer die Möglichkeit hat, durch Widerspruch und Einspruch die Pläne des „Gläubigers" zu durchkreuzen. Die Lüge vor dem Rechtspfleger wirkt sich meist dann erst gefährlich aus, wenn der „Gläubiger" zusätzliche Maßnahmen — wie im vorliegenden Fall — ergriffen hat, diesen Widerspruch und Einspruch zu verhindern und den Schuldner um sein Geld zu bringen oder gar einen Dritten zu prellen 31 . Da kann man dann nämlich nicht mehr geltend machen, der Zahlungsbefehl sei ja provisorisch und ganz ungefährlich, und daher sei das Prinzip der formellen Wahrheit hochzuhalten. Würde der Rechtspfleger hier die Augen vor der Lüge verschließen, dann leistete er ganz zweifellos dem Unrecht nicht nur provisorischen amtlichen Vorschub. Aus allem folgt, daß der Rechtspfleger einen Zahlungsbefehl nicht erlassen darf, obwohl die formellen Voraussetzungen gegeben sind, wenn er erkennt, daß die Behauptung der Forderung eine Lüge ist 32 . Das ist eine aus dem Wesen des Zivilprozesses folgende, zu den in den §§ 690, 691 ZPO genannten 3 1 Vgl. die Fälle (z. B. R G S t 59 S. 105), in denen zwei Personen kollusiv im Mahnverfahren einen scheinbaren Rechtsstreit führen, der auf eine Vollstreckung gerichtet ist, um einen dritten Gläubiger um seine Vollstreckungsmöglichkeit zu bringen. 8 2 Ebenso B G H S t 24 S . 2 6 1 ; dazu vgl. Giehring, G A 1973 S. 8.
11 Otto, Übungen im Strafretht
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Bedingungen für den Erlaß eines Zahlungsbefehls hinzutretende Voraussetzung. Wenn auch der § 138 I Z P O ebenfalls eine Stütze dieser Auffassung ist, wie gezeigt wurde, so scheint es doch, daß die obigen Erwägungen auch vor der Einführung der Wahrheitspflicht kein anderes Ergebnis zugelassen hätten 33 . Diesen Eindruck hatte offenbar bereits das Reidisgericht in RGSt 59 S. 105, also lange vor 1933. Dort nahm es die Möglichkeit einer Täusdiung — damals des Richters — in einem Fall an, der freilich deshalb etwas anders als der anstehende lag, weil dort zwei Leute einen Rechtsstreit im Mahnverfahren mit anschließender geplanter Vollstreckung nur zum Schein führten, um einen Vermögensgegenstand dem drohenden Zugriff eines Dritten zu entziehen. Das Reichsgericht bejahte eine Täusdiung mit der Begründung, in Wahrheit habe gar kein Rechtsstreit vorgelegen. Hätte der Richter das aber gewußt, dann hätte er nicht tätig werden dürfen, obwohl auch hier die formellen Voraussetzungen der §§ 690, 691 Z P O gegeben waren. Das Gericht wies aber ausdrücklich darauf hin, daß die Rechtslage anders geartet sei als in den vom Reichsgericht bereits entschiedenen Fällen, die dem vorliegenden Problem gleichen, und vermied mit dieser Begründung eine Plenarentscheidung34. Es erscheint, auch vom Standpunkt des Reichsgerichts aus, sehr fraglich, ob es erlaubt ist, derart zu unterscheiden. Denn im anstehenden Fall wird dem Rechtspfleger ebenfalls vorgelogen, es sei ein Schuldner da. Streng genommen liegt auch hier kein Rechtsstreit vor, denn der „Gläubiger" will das Geld nicht erstreiten, sondern mit Hilfe eines Tricks erschwindeln. Da der Rechtspfleger den Zahlungsbefehl also nicht hätte erlassen dürfen, wenn er die wahre Sachlage durchschaut hätte, kann nunmehr auch an einer Täuschungshandlung nicht länger gezweifelt werden. Denn das Verhalten des B ist geeignet und 33
RGSt 72 S. 150; vgl. dazu auch Jagusch, LK, § 263 Anm. 11 f, der von einer „Wendung zur richtigen Lösung" durch die Prozeßnovelle spricht. 34 Einen Unterschied sehen auch: Koffka, ZStW 54 S. 47 und Kohlrausch-Lange, a. a. O., § 263 Anm. IV 3 c.
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bestimmt, ihn glauben zu machen, er werde nicht belogen. Ihm ist ein unzutreffender Sachverhalt vorgespiegelt worden. bb)
Irrtumserregung
Bei dem Rechtspfleger wäre ein der Täuschung entsprechender Irrtum erregt worden, wenn B ihn zu der Auffassung gebracht hätte, er, B, mache die Forderung nicht bewußt wahrheitswidrig geltend. Man könnte schließen, daß der Rechtspfleger, da er den Zahlungsbefehl ja erlassen habe und dies bei Erkennen der Lüge nicht hätte tun dürfen, offenbar der Ansicht war, er werde nicht belogen. Dieser Gedankengang bedarf der Nachprüfung. Es fragt sich, ob aus der Tatsache, daß der Rechtspfleger keine Lüge hat feststellen können, folgt, daß er von B's Wahrhaftigkeit nun auch wirklich überzeugt war. Die Annahme einer solchen Uberzeugung widerstreitet der Lebenserfahrung. Wenn man jemanden nicht als Lügner entlarven kann, hält man ihn doch noch lange nicht für wahrhaftig! Vor allen Dingen dann nicht, wenn man überhaupt keine Möglichkeit hat, zu ergründen, ob man belogen wird oder nicht. Es muß daher festgestellt werden, ob die Ungewißheit des Rechtspflegers, die allein durch B's Verhalten hervorgerufen werden konnte 35 , als strafrechtlich bedeutsamer Irrtum angesehen werden kann 36 . Nach dem gängigen Sprachgebrauch ist die Ungewißheit kein Irrtum. Wer sowohl die Wahrheit des Vorgetragenen als auch das Gegenteil für möglich hält, der macht sich ja gerade keine falsche Vorstellung, weil er sich nicht entscheidet. Im herkömmlichen Begriff des Irrtums liegt mithin ein Für-wahr-Halten notwendig beschlossen. Es ist jedoch fraglich, ob der strafrechtliche Irrtumsbegriff mit dem des allgemeinen Sprachgebrauchs übereinstimmt, oder ob dort die Ungewißheit dem Irrtum gleichstehen kann. Die Frage 35 38
Ebenso Keunecke a . a . O . , S. 128—131.
Diese Frage übergeht der B G H in BGHSt 24 S. 257 ff. — Vgl. die Kritik hieran bei Giehring, G A 1973 S. 4.
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wird im zweiten Sinn entschieden von Hardwig 37 , Jagusch 38 und Schröder39, sowie von Keunecke40, während Mauradi 41 allein eine positive Fehlvorstellung genügen läßt. Schröder argumentiert, ein Irrtum auch nach dem Sprachgebrauch liege vor, wenn jemand einen bestimmten Sachverhalt für möglich halte und deshalb handle, während in Wahrheit sicher feststeht, daß die betreffenden Tatsachen nicht vorliegen. Dieses Argument scheint eher ein Kunstgriff zu sein, der lediglich Früchte trägt, wenn auch nur die Möglichkeit eines Sachverhalts vorgespiegelt wurde 42 . Denn ein Für-möglich-Halten ist in Wahrheit ja gerade die Verweigerung einer definitiven Stellungnahme, ob man eine Tatsache für gegeben hält oder nicht. Weiter hilft allein eine Besinnung auf das Wesen des Betrugstatbestandes. Der Betrüger wird bestraft, weil er bewirkt, daß der Getäuschte einen Sachverhalt nicht richtig erkennt und deshalb verfügt, bei dessen Kenntnis er eine schädigende Verfügung nicht vorgenommen hätte. Daraus folgt, daß die Ungewißheit in § 263 wenigstens dann dem Irrtum gleichzustellen ist, wenn der Getäuschte — wie hier der Rechtspfleger — selbst verpflichtet ist, zwischen positivem Wissen und Ungewißheit keinen Unterschied zu machen, sondern gleichermaßen in beiden Fällen die begehrte Handlung vorzunehmen, während er nur bei Kenntnis der Unwahrheit ein Tätigwerden hätte verweigern dürfen 43 . Deshalb ist Keunecke44 voll zuzustimmen, wenn er formuliert: „Wird durch ein auf Irreführung gerichtetes Tun eine Willensbetätigung veranlaßt, die nicht von einer positiven falschen 37
Hardwig, GA 1956 S. 13. Jagusch, LK, § 263 Anm. A III. 39 Schönke-Schröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 30. 40 Keunecke, a . a . O . , S. 131. 41 Maurach, a . a . O . , S. 311. 42 Vgl. Schröders Rembrandt-Beispiel a. a. O. 43 ähnlich Koffka, ZStW 54 S . 4 9 ; Otto, Struktur, a . a . O . , S . 2 8 0 Anm. 80. 44 Keunecke, a. a. O., S. 133. 38
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Vorstellung geleitet ist, so müssen die bloße Unkenntnis über einen Tatumstand und das Bewußtsein seiner möglichen Unwahrheit dem Irrtum gleichgesetzt werden, sofern die Vermögensverfügung bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht erfolgt wäre" 45 . Da B durch sein Verhalten bewirkt hat, daß der Reditspfleger es nicht für ausgeschlossen hielt, daß ihm die Wahrheit gesagt werde und er deshalb den Zahlungsbefehl erließ, ist im vorliegenden Fall ein Irrtum i. S. des § 263 gegeben, cc) Vermögensverfügung Damit es zum Vermögenssdiaden kommen kann, muß der Getäuschte auf Grund des Irrtums eine Vermögensverfügung getroffen haben. Diese Vermögensverfügung, die allgemein als ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 263 angesehen wird 46 , stellt den Ursachenzusammenhang zwischen der Irrtumserregung und dem Vermögenssdiaden her 47 . Daraus folgt, daß Getäuschter und Verfügender jedenfalls identisch sein müssen. Als Vermögensverfügung kommt jedes rechtlidie oder tatsächliche Verhalten des Getäuschten in Frage, das geeignet ist, einen Vermögenssdiaden unmittelbar herbeizuführen 48 , aaa) Voraussetzungen dafür, daß ein Dritter Verfügender i. S. des § 263 StGB sein kann. Bevor untersucht wird, ob eine solche Handlung des Reditspflegers durch Erlaß des Zahlungsbefehls vorliegt, muß erwogen werden, warum es auf die Vermögensverfügung einer Person, die gar nicht geschädigt ist, überhaupt ankommen kann, obwohl der Betrug nach allgemeiner Meinung ein Delikt der durch Täuschung bewirkten Selbstschädigung des Verletzten ist49. 45
A. A. Giehring, GA 1973 S. 22, der darin eine unnötige Vermengung der selbständigen Tatbestandsmerkmale Irrtum und Vermögensverfügung sieht. Er kommt denn audi zu dem Ergebnis, daß es hier an einem Irrtum fehle. 46 RGSt 49 S. 19, 64 S . 2 2 8 ; Schönke-Sdiröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 39. 47 RGSt 44 S. 243. 48 RGSt 64 S . 2 2 8 ; BGHSt 14 S. 171; Dreher, a . a . O . , § 2 6 3 Anm. 4 A ; Jagusdi, LK, § 2 6 3 Anm. 1; Schönke-Sdiröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 40.
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Denn hier kommt ja allein Frau A und nicht der Reditspfleger bzw. der Staat als Geschädigte in Betracht, da der Reditspfleger weder über eigenes noch über staatliches Vermögen disponiert. Daraus ergibt sich die Frage, ob die übliche Formel richtig ist, daß der auf Grund einer Täusdiung Verfügende mit dem Geschädigten nicht identisdi sein muß, wenn er nur tatsächlich in der Lage ist, über fremdes Vermögen zu verfügen50. Zunächst soll versucht werden, die Frage aus dem Wortlaut des § 263 zu beantworten. Dort heißt es, daß der Täter das Vermögen eines anderen dadurch beschädigen müsse, „daß er . . . einen Irrtum erregt oder unterhält". Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich nicht, wer als Getäuschter und damit Verfügender in Frage kommt, ganz sicher spricht sie keine Beschränkung derart aus, daß nur der am Ende Geschädigte der getäuschte Verfügende sein kann. Wenn demnach der Wortlaut nidit weiterhilft, so kann eine Lösung des oben bezeichneten Problems allein aus der Struktur des Betrugstatbestandes versucht werden. Kennzeichnend für den Aufbau dieses Delikts ist, daß der tatbestandsmäßige Erfolg infolge einer Vermögensdisposition des Geschädigten selbst herbeigeführt wird 51 . Entscheidend ist mithin nicht allein, daß zwischen dem erregten Irrtum und dem Schaden ein Ursachenzusammenhang besteht; vielmehr muß die Kausalität hergestellt werden durch einen „Übertragungsakt von Vermögenssubstanz derart, daß diese Vermögenssubstanz als Schaden und Vorteil identisch ist und daß sich der Übertragungsakt als Selbstschädigung des Getäuschten und nicht als Fremdschädigung durch den Täter darstellt"52. 49 Cramer, JZ 1971 S. 415; Frank, a. a. O., § 263 Anm. VI 1; Hardwig, GA 1956 S. 6; Jagusch, LK, § 2 6 3 Anm. 4; Otto, Struktur, S. 275; Sdiönke-Schröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 37. 50
RGSt 64 S. 226, 73 S.384; Kohlrausch-Lange, a . a . O . , § 2 6 3 Anm. IV 2. 51 B G H N J W 1962 S. 1212; Maurach, a . a . O . , S. 303, 312; Otto, Struktur, S. 275. 52 Hardwig, GA 1956 S. 8.
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Wesentlidi ist also, daß sidi der Täter vom Getäuschten zu dessen eigenem Nachteil etwas geben läßt 53 . Stellt man dieses Wesensmerkmal des Betruges, die durch Täuschung bewirkte Selbstschädigung, deutlich heraus, so erscheint zunächst befremdlich, daß eine Identität von Getäuschtem und Geschädigtem nicht gefordert wird. Will man sich mit dem dogmatischen Ausgangspunkt, wie er oben durch das Zitat von Hardwig gekennzeichnet wurde, nicht in Widerspruch setzen, dann muß erst einmal begründet werden, ob und wann auch die Verfügung eines getäuschten Dritten als Selbstschädigung des letztlich Verletzten, der eine Vermögenseinbuße erleidet, angesehen werden darf. Man erkennt sogleich, daß die gängige Formel, Verfügender könne in § 263 jeder sein, der die tatsächliche Möglichkeit habe, über fremdes Vermögen zu verfügen, in dieser Allgemeinheit wenigstens, nicht richtig sein kann 54 . Denn nicht jeder, der imstande ist, in fremdes Vermögen einzugreifen, steht deshalb schon im Sinne einer Selbstschädigung für den Verletzten. Wenn z. B. jemand einen Wanderer bittet, ihm „sein" Pferd von der Weide zu holen, das ihm in Wirklichkeit nicht gehört, so hat auch dieser Wanderer die „tatsächliche Möglichkeit", über das Vermögen des Eigentümers zu disponieren, gleichwohl kommt er als Verfügender im Rahmen eines Betruges deshalb nicht in Betracht, weil er als gänzlich Vermögensfremder nicht „für" den Verletzten handeln kann und will, mithin von einer Selbstschädigung nicht die Rede ist 55 . Die Formel von der tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit kann daher nicht den Anspruch erheben, die Frage, wer Verfügender in § 263 sein kann, auch nur einigermaßen befriedigend zu beantworten 56 . Insbesondere ist sie ungeeignet, zur Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl in mittelbarer Täterschaft nützliche Dienste zu leisten, wie der obige Fall zeigt 57 . 53
Gallas, Eb. Schmidt-Festschrift, S. 404. Lendcner, JZ 1966 S. 320, 321; Schröder, ZStW 60 S. 69. 55 Vgl. ähnliche Beispiele bei Schröder, ZStW 60 S. 67 ff und bei Otto, ZStW 79 S. 78. 56 Schröder, ZStW 60 S. 69. 57 Schröder, ebenda; Otto, ZStW 79 S. 78. 54
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Die Frage darf deshalb nicht lauten: Wer kann als Getäuschter bei einem Dritten einen Vermögensschaden hervorrufen? Sondern nur: Wessen Handeln wird so angesehen, als habe der Verletzte selbst gehandelt, als habe dieser sich selbst geschädigt? Das vorliegende Problem ist mithin ein Problem der Zurechnung. N u r wenn der Getäuschte gleichsam als ein „Vertreter" (im untechnischen Sinne) des Geschädigten erscheint, der in dessen Interesse einen Vermögenstransport vornimmt, ist überhaupt Betrug denkbar 58 . Wann handelt aber nun ein Getäuschter „für den Verletzten derart, als verfüge der Verletzte selbst"? Ganz sidier nur dann, wenn er auch im Interesse des Geschädigten, für dessen Vermögensbereich, handeln wollte. Es kommt also entscheidend auf die Willensrichtung des Getäuschten an 59 . Dieses eine Kriterium reicht jedoch nicht, um eine Gleichstellung des Handelns des Dritten mit dem des Verletzten in den üblichen Betrugsfällen zu rechtfertigen. Hinzukommen aber muß, daß der Verfügende zu dem Vermögenskreis des Geschädigten eine Stellung einnimmt, die ihn gleichsam als dessen Repräsentanten erscheinen läßt. Daraus folgt das Erfordernis, daß der Verfügende eine bessere Position 60 zum angegriffenen Vermögen haben muß als der Täuschende, eine Stellung, die der des wahren Vermögensinhabers gleicht — oder doch wenigstens nahekommt 61 . Die Übertragung dieser besseren Stellung wird dem Geschädigten zugerechnet, weil der Getäuschte zu seiner Vermögenssphäre gehört und aus dieser Sphäre dem Täuschenden etwas herausgeben will 62 . bbb) Stellung des Rechtspflegers zum Vermögen der Frau A An diesen Grundsätzen soll jetzt die Stellung des Reditspflegers zum Vermögen der Frau A gemessen werden. Der Rechtspfleger 58
Vgl. Schünemann, GA 1969 S. 53. BGHSt 18 S. 223. 60 Vgl. Sdhönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 46 a; Sdiröder, ZStW 60 S. 70 Anm. 41. 61 Vgl. Otto, ZStW 79 S. 84, 85, der fordert, daß sidi der Gewahrsamshüter subjektiv in dem Bereich bewegt, den der Berechtigte ihm eingeräumt hat. 62 Vgl. Sdiröder, ZStW 60 S. 70 Anm. 41. 59
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ist ein staatliches Organ, das, wenn es auch Privatpersonen Rechtsschutz gewährt und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Forderungen Hilfe leistet, als öffentlich-rechtliche Einrichtung hoheitliche Gewalt ausübt. Als ein solches Organ steht er über den Parteien und kann daher nicht einem Vermögenskreis zugerechnet werden. Er gehört weder der Herrschaftssphäre des B noch der der Frau A an. Insofern erweist sich die Benutzung getäuschter hoheitlich handelnder Organe zu unlauteren Zwecken als ein Sonderfall, der nur schwer in den oben entwickelten Zusammenhang einzuordnen ist. Sollte es sich zeigen, daß der Rechtspfleger kraft seiner hoheitlichen Funktion eine bessere Stellung zu dem Vermögen der Frau A hat als B, die es ihm ermöglicht, unmittelbar schädigend auf ihr Vermögen einzuwirken, dann könnte man so argumentieren: Freilich gehört der Rechtspfleger nicht dem Herrschaftskreis des Verletzten an. Wenn er aber meint, daß die Voraussetzungen für ein Tätigwerden vorliegen, dann kann er bewirken, daß der „Schuldner" etwas von seinem Vermögen herausgeben muß. Insofern darf man den Staat in der Person des Rechtspflegers doch als den Hüter des Vermögens des einzelnen verstehen, der es solange vor dem Zugriff eines Dritten schützt, als dieser nach dem Prozeßrecht nicht zugreifen darf, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aber diesen Schutz aufhebt und selbst mithilft, Vermögenssubstanz aus dem Bereich des Schuldners herauszuschaffen. Damit unterfiele der Rechtspfleger immer noch nicht dem Herrschaftskreis des Schuldners, er wäre aber seinerseits als ein dessen Vermögenssphäre stets Beherrschender anzusehen, der diese repräsentiert, nicht wie der Knecht den Herrschaftsbereich des Bauern, sondern wie der König den des Untertans. Betrachtet man die Dinge so, was freilich nicht ohne Schwierigkeit abgeht, weil die Theorie des Betrugs durch Täuschung eines Dritten nicht für den Fall entwickelt ist, daß der Staat gleichsam als verlängerter Arm des Geschädigten über dessen Vermögen disponiert, dann wird man die Stellung der Rechtspflegeorgane zum Vermögen des einzelnen als derart eng ansehen dürfen, daß auch, wenn diese Organe verfügen, die
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Einübung in die Fallbearbeitung
Struktur des Betrugstatbestands nicht gesprengt und das Erfordernis der Selbstschädigung nicht aufgegeben wird. Alles kommt also darauf an, ob der Rechtspfleger, wenn er den Zahlungsbefehl ausstellt, schon in das Vermögen des Schuldners zu dessen Schaden eingreifen kann. Kann er das, dann bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, den getäuschten Reditspfleger als Verfügenden i. S. des § 263 anzusehen, obwohl er ein Staatsorgan ist 63 . dd)
Vermögensschaden
Ein einmal erlassener Zahlungsbefehl kann durch einen Widerspruch binnen einer Woche (§ 692 ZPO) nach Zustellung aus der Welt geschafft werden, mit der Folge, daß eine mündliche Verhandlung anberaumt wird (§ 696 ZPO). Aus ihm ist eine Zwangsvollstreckung nicht zulässig. Daraus folgt, daß der Zahlungsbefehl dem angeblichen Gläubiger keinerlei Zugriffsmöglichkeit auf das Schuldnervermögen eröffnet. Ob er das beanspruchte Geld bekommen wird, ist so ungewiß wie zuvor. Zwar soll nicht verkannt werden, daß ein Vermögensschaden auch in der Verschlechterung einer Rechtsstellung liegen kann 64 , aber die Position des Schuldners ist durch den Erlaß des Zahlungsbefehls normalerweise keineswegs schlechter als zuvor; denn er allein hat es in der Hand, durch Einlegung des Widerspruchs den Gläubiger auf eine mündliche Verhandlung zu verweisen. Das bedeutet, daß dieser nicht besser dasteht als irgendein anderer Gläubiger, der Klage erhoben hat 6 5 . Nun könnte man allerdings einwenden, gerade im vorliegenden Fall sei nach dem Täterplan, der den Zugang des Zahlungsbefehls vereiteln soll, das Vermögen der Frau A schon mit seinem Erlaß derart gefährdet, daß man einen Vermögensschaden, zumindest nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise, annehmen müßte. Denn möglicherweise läuft der weitere Vorgang, wenn einmal der Zahlungsbefehl ergangen ist, bis zur Ebenso Otto, Struktur, S. 280 Anm. 80; Schönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 47. 64 Jagusch, LK, § 263 Anm. 5. 65 K o f f k a , Z S t W 54 S. 48.
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Vollstreckung automatisch ab, ohne daß Frau A überhaupt noch eingreifen könnte. Gewiß soll zugegeben werden, daß schon mit Erlaß des Zahlungsbefehls das Vermögen der Frau A gefährdet ist. Eine Vermögensgefährdung entspricht aber nicht in jedem Fall einem Vermögensschaden66. Darauf muß mit allem Nachdruck hingewiesen werden. Eine bedenkenlose Gleichsetzung jeder Vermögensgefährdung mit einem wirklichen Schaden verstieße gegen das verfassungsrechtlich verankerte Verbot der Analogie zuungunsten des Täters (Art. 103 II GG, § 1 StGB). Deshalb ist es nötig, mit großer Sorgfalt zu unterscheiden, wann die Vermögenslage des Schuldners durch die Gefährdung schon wirklich verschlechtert ist, und wann lediglich eine Gefährdung vorliegt, die ein erst im Gang befindlicher — aber noch nicht vollendeter — Angriff auf das Rechtsgut Vermögen immer mit sich bringt. Denn eine solche Gefährdung des Vermögens ist ja stets dann bereits gegeben, wenn der fest entschlossene Täter mit der Ausführung seines Tatplans beginnt. Und wenn der Tatplan besonders gut und die Ausführung besonders einfach ist, dann kann sogar schon mit Fassung des unbedingten Tatentschlusses die Beute so gut wie sicher in den Händen des Täters sein. Dennoch nimmt aber niemand schon zu diesem Zeitpunkt einen Schaden an; denn der Vermögensschaden in § 263 bezeichnet die Vollendung des Delikts. Eine saubere Grenzziehung ist nur dann möglich, wenn man für eine dem effektiven Schaden gleichstehende Gefährdung mit Schröder darauf abstellt, ob der Getäuschte das Geschehen bereits endgültig „aus der Hand gegeben" hat, so daß der Eintritt des Schadens nicht mehr „von seinem Zutun abhängt" 67 . Gerade das aber scheint beim Rechtspfleger der Fall zu sein, denn er hat sich jeder weiteren Einflußmöglichkeit entäußert. Eine derartige Auffassung würde jedoch die besondere Situation verkennen, die dann gegeben ist, wenn jemand ein staatliches Handeln nur dadurch erreichen kann, daß er das Tätigwerden 60
KG DStR 1937 S. 57; Lenckner, JZ 1971 S. 322; Otto, Struktur, S. 275, 280; Schönke-Schröder, a . a . O . , § 263 Rdn. 44, 100. Lenckner, JZ 1971 S. 322; Schönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 100.
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zweier Organe bewirkt. Wer zwei versdiiedene Stellen angehen muß, um zu dem erstrebten Erfolg zu gelangen, der hat dem Staat mit der ersten erfolgreichen Täuschung das Geschehen noch nicht vollständig entwunden, selbst wenn die Erlangung des Vollstreckungsbefehls ihm ebenso leicht fallen wird. Um die Vollstreckungsmöglidikeit zu bekommen, muß B ja noch den Vollstreckungsbefehl erwirken. Dazu bedarf es aber eines Antrags beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und eines besonderen mit B abgesprochenen täuschenden Verhaltens des A bei der Zustellung des Zahlungsbefehls. Hätte der Rechtspfleger selbst den Vollstreckungsbefehl zu erteilen, so könnte nach dem obigen Ansatz keinesfalls ein Schaden angenommen werden, da dem B die Erlangung des Vollstreckungsbefehls und die Vollstreckung selbst jetzt lediglich erleichtert worden sind 68 . Aus der Aufgliederung der Rechtspflegeeinrichtungen kann sich aber deshalb nichts anderes ergeben, weil der Urkundsbeamte einem Gesuch auf Erlaß des Vollstreckungsbefehls nicht notwendig entsprechen, vielmehr noch die formellen Voraussetzungen, z. B. die wirksame Zustellung des Zahlungsbefehls, prüfen muß (vgl. §§ 693 I, 699 II ZPO) und ebenfalls bei Erkennen einer bewußten Unwahrheit nicht tätig werden darf. Da also der Urkundsbeamte nach Erlaß des Zahlungsbefehls keineswegs automatisch handelte, hatte der Rechtspfleger gar nicht die Möglichkeit, in das Vermögen der Frau A derart einzugreifen, daß unmittelbar eine dem Schaden gleichstehende Vermögensgefährdung eintreten konnte 69 . Das Vermögen der Frau A hat, nach welcher Betrachtungsweise auch immer, seinen vollen Umfang und seinen vollen Wert behalten. Deshalb ist es hier nodi nicht erforderlich, auf den umfangreichen Streit um den Vermögensbegriff des § 263 einzugehen. Mit der Erwirkung des Zahlungsbefehls hat B nach allem keinen Betrug begangen. 68
Vgl. dazu Frank, a. a. O., § 263 Anm. 4; Mezger-Blei, a. a. O., S. 190. 69 BGHSt 24 S. 261; Otto, Struktur, S. 280.
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2.
Erwirken des Vollstreckungsbefehls
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gegen Frau A
a) Schwere mittelbare Falschbeurkundung gem. §§ 271, 272 StGB Es kann an die oben ( A I 1 a, bb) angestellten Erwägungen angeknüpft und sogleich festgestellt werden, daß eine mittelbare Falschbeurkundung nur dann in Betracht kommt, wenn dadurch, daß der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Amtsgerichts (S§ 689, 699 I, 2 ZPO, 19 Ziff. 1 S. 2 RPflG) den Zahlungsbefehl jetzt für vorläufig vollstreckbar erklärt hat, das Bestehen des Anspruchs als wahr beurkundet worden ist. Der Vollstreckungsbefehl beurkundet jedoch lediglich, daß die Forderung geltend gemacht, und daß während der gesetzlichen Frist kein Widerspruch erhoben worden ist. Über das Bestehen des Anspruchs schweigt er nach wie vor. Daran ändert auch die vorläufige Vollstreckbarkeit nichts, denn sie wurde nicht gewährt, weil der Urkundsbeamte die Forderung als bewiesen ansah, sondern allein, weil kein Widerspruch erhoben worden war. Auch hier hat B demnach nicht gegen SS 271, 272 verstoßen. b) Betrug gem. § 263 StGB Möglicherweise liegt in der Erwirkung des Vollstreckungsbefehls ein Betrug gegenüber Frau A. Dann müßte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle unter dem Einfluß eines durch Täuschung erregten Irrtums über das Vermögen der Frau A zu ihrem Schaden verfügt haben, aa) Täuschungshandlung. In dem Gesuch des B, den Zahlungsbefehl für vorläufig vollstreckbar zu erklären, könnte eine Täuschung liegen, und zwar durch Aufrechterhalten der Behauptung, Frau A schulde dem B 500 DM. Durch dieses Gesuch macht B weiterhin geltend, daß ihm eine Forderung in Höhe von DM 500,— gegen Frau A zustehe. Er hält damit seine Lüge aus dem Mahnverfahren aufrecht und wiederholt sie konkludent. Nun hat auch der Urkundsbeamte grundsätzlich ebensowenig wie der Rechtspfleger das Recht oder gar die Pflicht, die Er-
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Einübung in die Fallbearbeitung
teilung des Vollstreckungsbefehls von seiner Überzeugung hinsichtlich des Bestehens des Anspruchs abhängig zu machen. Aus § 699 ZPO ergibt sich, daß der Zahlungsbefehl nach Ablauf der Widerspruchsfrist für vollstreckbar zu erklären ist. Der Urkundsbeamte prüft lediglich, ob der Zahlungsbefehl wirksam zugestellt wurde, und ob es an einem fristgemäßen Widerspruch fehlt. Hier muß aber dasselbe gelten, was oben zur Überzeugungsbildung des Rechtspflegers ausgeführt wurde: Wenn der Urkundsbeamte erkennt, daß bewußt wahrheitswidrig eine Forderung geltend gemacht wird, darf er den Zahlungsbefehl nicht für vorläufig vollstreckbar erklären, sondern muß die Entscheidung dem Rechtspfleger überlassen (§ 699 II ZPO) 70 . Er entscheidet immerhin darüber, ob der Gläubiger sofort ins Vermögen des Schuldners vollstrecken kann und darf sich daher nicht in den Dienst des Unrechts stellen. Durch das Gesuch um den Erlaß des Vollstreckungsbefehls spiegelt B dem Urkundsbeamten deshalb vor, er mache nicht wider besseres Wissen eine Forderung geltend. Dieses Verhalten ist geeignet, bei dem Urkundsbeamten auf doppelte Weise einen entsprechenden Irrtum zu erregen; auf zweifache Art deshalb, weil bereits durch die Tatsache, daß der Rechtspfleger einen Zahlungsbefehl erlassen hat, bei dem Urkundsbeamten diese Ungewißheit über die Wahrhaftigkeit des B erregt wird, die dem Irrtum gleichsteht. Diese Weitergabe des Irrtums des Rechtspflegers hervorzuheben, ist deshalb wichtig, weil man sonst nicht erkennt, daß zwischen Zahlungs- und Vollstrekkungsbefehl ein Zusammenhang besteht, der einen evtl. Betrug schon mit dem Antrag auf Erlaß des Zahlungsbefehls beginnen ließe. Denn der Vollstreckungsbefehl kann nur durch eine doppelte Täuschung einmal des Rechtspflegers und zum anderen des Urkundsbeamten erwirkt werden, da es ohne den Zahlungsbefehl keinen Vollstreckungsbefehl gegeben hätte. Auch hier ist also eine Täuschungshandlung durch Vorspiegelung „falscher Tatsachen" anzunehmen. 70
D e r Rechtspfleger ist für das gesamte Mahnverfahren funktionell zuständig.
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Weiterhin könnte eine Täuschung darin liegen, daß B dem Urkundsbeamten vorspiegelt, der Zahlungsbefehl sei Frau A wirksam zugestellt worden. Der Vollstreckungsbefehl darf gem. §§ 692, 699 ZPO erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist erteilt werden. Die Widerspruchsfrist läuft nach § 692 Z P O vom Tage der Zustellung des Zahlungsbefehls an. Wenn also nicht wirksam zugestellt worden wäre, hätte auch keine Widerspruchsfrist laufen können. Der Urkundsbeamte hätte unter diesen Umständen einen Vollstreckungsbefehl verweigern müssen. Er ist deshalb gehalten, die wirksame Zustellung von Amts wegen zu prüfen 71 . Es fragt sich also, ob der Zahlungsbefehl wirksam zugestellt worden ist. Da Frau A das Schriftstück nidit übergeben wurde, kann überhaupt nur eine sog. Ersatzzustellung nach § 181 I ZPO in Frage kommen. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich aber deutlich, daß eine Ersatzzustellung nur dann zulässig ist, wenn sie „in der Wohnung" des Schuldners erfolgt, der Zahlungsbefehl also durch einen „Hausgenossen" angenommen wird. Daher ist im vorliegenden Fall an eine wirksame Zustellung nicht zu denken. Audi unter Ehegatten ist für eine zulässige Ersatzzustellung ein gemeinsamer Wohnsitz erforderlich^. Der Gesuchsteller hat jedodi mit der Zustellung des Zahlungsbefehls nichts zu tun. Sie erfolgt gem. § 693 ZPO von Amts wegen. Daher muß er bei dem Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung keine gültige Zustellung behaupten. Ob wirksam zugestellt wurde, kann er ja audi gar nicht beurteilen. Eine Täuschung über die Zustellung ist deshalb auf keinen Fall in der Beantragung des Vollstreckungsbefehls zu sehen. Es wäre aber möglich, daß der Zustellungsbeamte über die Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung getäuscht worden ist und diese scheinbar wirksame Zustellung in einer Zustellungsurkunde niedergelegt hat. Aus der Zustellungsurkunde hätte der Urkundsbeamte dann entnommen, daß eine gültige 71 72
RGSt 42 S. 411. Wieczorek, a . a . O . , § 1 8 1 Anm. B II.
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Ersatzzustellung vorgelegen habe. Die Täuschung des Urkundsbeamten wäre deshalb nur denkbar in der Weise, daß der Irrtum des Zustellungsbeamten über die Gültigkeit der Zustellung von dem Urkundsbeamten übernommen wird. Daß eine Täuschungshandlung auch dann vorliegt, wenn erst ein Dritter getäuscht wird, der seine Überzeugungsbildung nadi dem Plan des Täters an den letztlich zu Täuschenden weitergibt, ist anerkannt 73 . Nun ist es aber A und nicht B gewesen, der den Zahlungsbefehl entgegengenommen und damit — wenn er es, was wahrscheinlich ist, nicht sogar ausdrücklich behauptet hat — konkludent zu erkennen gab, seine Frau wohne mit ihm zusammen. Um den Aufbau nicht unübersichtlich zu machen, soll bereits hier erörtert werden, ob dieses Verhalten, das gewiß in der Person des A eine Täuschungshandlung darstellt, audi dem B über § 25 II StGB (§ 47 StGB a. F.) als eigenes Verhalten zugerechnet werden darf. Ohne diese Täuschung, die der A bewirkt hat, hätte B keinen Vollstreckungsbefehl erlangen können. Seine eigene Täuschung sowohl des Rechtspflegers als auch des Urkundsbeamten wäre völlig erfolglos geblieben. Zur Durchführung des gemeinsamen Tatplanes bedurfte B dringend dieses Tatbeitrages des A. Es liegt hier also ein eindeutiger Fall des bewußten und gewollten Zusammenwirkens, der arbeitsteilig bewirkten Täuschung des Urkundsbeamten vor, wobei B den Geschehnisablauf derart beherrscht, daß er jederzeit verhindern kann, daß die Vortäuschung einer wirksamen Zustellung überhaupt einen Taterfolg mit herbeiführt. Er brauchte ja nur auf das Gesuch zu verzichten. Bei dieser Sadilage bedarf es keiner Erörterung auch nur der wesentlichen Teilnahmelehren, denn alle führen hier zum selben Ergebnis: Als von B gewollter notwendiger Bestandteil des Unternehmens, den Vollstreckungsbefehl zu erwirken, ist die Täuschungshandlung des A dem B in vollem Umfang als eigene Tathandlung zuzurechnen. B spiegelt dem Urkundsbeamten also zweierlei vor: erstens, daß er die Forderung nicht wider besseres Wissen geltend 73
OLG Stuttgart NJW 1962 S.502; Mauradi, a.a.O., S. 306—307; Schönke-Sdiröder, a. a. O., § 263 Rdn. 26.
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madie, und zweitens, daß der Zahlungsbefehl wirksam zugestellt worden ist. bb) Irrtumserregung: Auf Grund der Täuschungshandlungen wird der Urkundsbeamte in einen entsprechenden doppelten Irrtum versetzt (vgl. zur Irrtumsproblematik hinsichtlich der wahrheitswidrigen Geltendmachung der Forderung oben A l b , bb). cc) Vermögensverfügung — Vermögensschaden: Infolge dieses doppelten Irrtums muß der Urkundsbeamte schädigend über das Vermögen der Frau A disponiert haben. Daß ein staatliches Rechtspflegeorgan durchaus eine derartige Stellung zum Vermögen des Geschädigten einnehmen kann, daß man ihn als Verfügenden i. S. des § 263 betrachten darf, wurde oben (A I 1 b, cc, bbb) bereits dargestellt. Auch hier müssen Vermögensbildung und Vermögensschaden im Zusammenhang erörtert werden, weil die Vermögensverfügung auch durch den hervorgerufenen Schaden definiert wird. Wenn der Urkundsbeamte den Vollstreckungsbefehl erteilt, dann eröffnet er damit dem Gläubiger die Möglichkeit, im Wege der Zwangsvollstreckung sofortige Befriedigung aus dem Schuldnervermögen zu suchen. Denn der Vollstreckungsbefehl steht nach § 700 ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Er ist ein Titel i. S. des § 794 I N r . 4 ZPO. In der Erteilung des Vollstreckungsbefehls könnte für Frau A die wirtschaftliche Verminderung ihres Vermögens liegen, da auch ein evtl. Einspruch die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht beseitigt, wie sich aus den §§ 719, 707 ZPO ergibt 74 . Im übrigen wird es regelmäßig so liegen, daß die Pfändung schon durchgeführt ist, bevor überhaupt Einspruch erhoben werden kann (§§ 795, 750 I ZPO). Nun könnte man allerdings erwägen, daß der Vollstreckungsbefehl dem B lediglich die Möglichkeit eröffnet, zu vollstrecken, eine darin liegende Gefährdung des Vermögens einem effektiven Schaden aber deshalb nicht gleichkomme, weil B, um zu dem erstrebten Geld zu gelangen, noch den Gerichtsvollzieher mit 74
Rosenberg - Sdiwab, a. a. O., S. 869.
12 O t t o , Übungen im Strafredit
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einer Vollstreckung beauftragen müsse (§ 753 ZPO). Es wäre doch denkbar, daß man das Schwergewicht des deliktischen Verhaltens des B in der letztlich bewirkten Vollstreckung sieht, die der Vollstreckungsbefehl nur ermöglichen sollte. So ist eine Vermögensgefährdung dann nicht als Schaden anzuerkennen, wenn es noch eines weiteren deliktischen Verhaltens des Täters bedarf, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen 75 . Das ergibt sich bereits aus dem Begriff der Vermögensverfügung: Denn eine Handlung führt niemals unmittelbar einen Schaden herbei, wenn sie dem Täter die Erlangung des Vermögenswertes, um den es ihm am Ende geht, nur erleichtert76. Deshalb wird man z. B. denjenigen, der sich den Wohnungsschlüssel des Nachbarn unter dem Vorwand, in dessen Abwesenheit die Blumen zu pflegen, aushändigen läßt, in Wahrheit aber das Klavier entwenden will, nicht als Betrüger, sondern, wenn er wirklich etwas entwendet, als Dieb ansehen müssen, eben weil er sich durch die Täuschung nur günstigere Voraussetzungen für den Diebstahl schuf. Es fragt sich daher, ob es nicht erlaubt ist, den Vollstreckungsbefehl gleichsam als „Schlüssel" zu betrachten, mit dessen Hilfe der B die 500 DM unter Benutzung des Gerichtsvollziehers als Werkzeug wegnimmt. Durch einen solchen Vergleich läßt sich aber nicht verbergen, daß zwischen einem sog. Trickdiebstahl und dem vorliegenden Sachverhalt doch ein entscheidender Unterschied besteht: Während ein Trickdiebstahl dem Täter auf Grund der Täuschung nur Zugang zu dem Gegenstand gewährt oder erleichtert wird, erlaubt hier der Verfügende nicht nur den Zugang, sondern er gestattet obendrein die Wegnahme der Sache. Es ist deshalb nicht dasselbe, ob der Wohnungsinhaber im obigen Beispiel dem Nachbarn den Schlüssel gibt und dieser sich dann mit dem Klavier davonmacht, oder ob er einem anderen den Schlüssel aushändigt, damit sich dieser das Klavier abhole, von dem der Schwindler behauptet hat, daß es ihm von der Ehefrau des 75
Maurach, a . a . O . , S. 313; Otto, Struktur, S. 285 f; Schröder, a . a . O . , § 263 Rdnr. 44. 78 B G H GA 1966 S . 2 1 2 ; Schröder, ZStW 60 S. 39.
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Getäuschten verkauft worden sei. Denn einmal hat der Wohnungsinhaber über das Klavier überhaupt noch nicht disponiert, sondern dem Gauner nur den Zugriff erleichtert, während er im anderen Fall das Klavier mit Aushändigung des Schlüssels bereits weggegeben hat. Derselbe Gedanke führt im anstehenden Fall zu dem Ergebnis, daß der Urkundsbeamte mehr getan hat, als dem B die Wegnahme zu erleichtern. Er hat ihm nicht nur den Weg zum Vermögen der Frau A freigegeben, sondern ihm die Genehmigung zur Wegschaffung von Bargeld oder anderen Vermögenswerten in Höhe von 500 DM erteilt. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Erlaß der Zahlungsbefehls, der dem B ebenfalls noch keine Besitzergreifung des Geldes gestattete. Daraus folgt, daß hier über das Vermögen der Frau A bereits derart disponiert worden ist, daß dieses 500 DM an Wert verloren hat; denn jetzt hängt es allein noch von dem Willen des B ab, ob er sich ungehindert in den Besitz des Geldes setzen will. Niemand kann ihn mehr am Zugriff hindern: Frau A hat keine Verteidigungsmöglichkeit mehr, und der Staat hat seine bessere Position auf B übertragen, „er hat das Geschehen aus der Hand gegeben" (Schröder)77, da der Gerichtsvollzieher, ohne jede Prüfung der materiellen Rechtslage oder auch nur der Wahrhaftigkeit des Gläubigers, tätig werden muß. Er hat zu pfänden, auch wenn er von der Unwahrhaftigkeit des Gläubigers überzeugt ist. Denn die Entscheidung, ob auf Antrag zu vollstrecken ist, liegt allein bei dem Urkundsbeamten oder im Fall des § 699 II Z P O bei dem Rechtspfleger, Personen also, die juristisch ausgebildet sind, und denen im Mahnverfahren richterliche Tätigkeit übertragen ist. Ihnen gegenüber ist der Gerichtsvollzieher ein untergeordnetes Organ, das die richterliche Entscheidung (i. w. S.), den Titel, zu respektieren hat, mag er sie auch für noch so verfehlt halten. Es wäre ein seltsames Ergebnis, wenn jeder Gerichtsvollzieher, für den das Gesetz eine dem § 699 II ZPO entsprechende Regelung nicht vorsieht, es von seinem Gutdünken abhängig machen könnte, ob aus einem Titel zu vollstrecken sei oder nicht. 77
Schönke-Schröder, a . a . O . , 5 263 Rdn. 100.
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Daher ist mit der einhelligen Rechtsprechung und dem Schrifttum die Erteilung eines Vollstreckungstitels als Verfügung über das Schuldnervermögen anzusehen, die unmittelbar schädigend wirkt 78 . dd) Kausalität zwischen den Irrtümern des Urkundsbeamten und der schädigenden Vermögensverfügung: Zwischen den beiden Irrtümern und der Vermögensverfügung des Urkundsbeamten muß ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. An einem solchen Zusammenhang fehlt es dann, wenn der Getäuschte die Verfügung auch ohne den Irrtum vorgenommen hätte 79 . Der Urkundsbeamte hätte ohne die Irrtümer den Vollstreckungsbefehl nicht erteilt. Fraglich ist jedoch, ob diese Kausalität auch dann ausreicht, wenn ein staatliches Rechtspflegeorgan auf Grund einer Täuschung eine Entscheidung getroffen hat, die einem Urteil gleichsteht. Boldt 80 ist der Auffassung, daß im Prozeß die Parteien darauf vertrauen dürften, daß der Richter Wahrheit und Lüge auseinanderzuhalten und ein der materiellen Wahrheit entsprechendes Urteil zu fällen sucht. Daher gewinne „die Lüge im Prozeß einen anderen Charakter als der Schwindel im privaten Verkehr: die Schutzlosigkeit des Gegners" sei „hier unvergleichlich größer als dort". Deshalb sei das richterliche Urteil, das einen Schaden herbeiführt, nicht die adäquate Folge der Täuschung81. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Gedanken überzeugen. Jedenfalls können sie überhaupt nur im kontradiktorischen Verfahren Bedeutung gewinnen, wo wirklich eine eingehende Prüfung des Streitstoffes durch den Richter stattfindet 82 . RGSt 59 S. 106, 72 S. 1 5 1 ; B G H S t 24 S . 2 6 1 ; Cramer, Vermögensbegriff, S. 1 6 6 ; Keunecke, a . a . O . , S. 8 ; Koffka, ZStW 54 S. 59, 6 3 ; Otto, Struktur, S. 2 8 0 ; Sdiönke-Schröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 101. 78
79
Sdiönke-Sdiröder, a. a. O., § 263 Rdn. 57.
80
Boldt, Z A k D R 1938 S. 442.
81
ähnlich Erik Wolf, J W 1938 S. 1923.
Merkwürdigerweise hält Boldt seine Erwägungen auch im Versäumnisverfahren für durchschlagend.
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Erheblich schwerer als diese Bedenken wiegen die Einwände, die Grünhut gegen die Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen Täuschung und Verfügung des RechtspflegeOrgans erhebt 83 . Grünhut macht geltend, daß die Vorstellung, ein unrichtiges Urteil sei auf eine Parteitäuschung zurückzuführen, mit der öffentlich-rechtlichen Stellung des Richters unvereinbar sei. Der Richter komme als Medium deliktischen Parteihandelns gar nicht in Betracht, weil Geltung und Wirkungskraft des Urteils allein im öffentlichen Recht begründet seien. Diese Erwägungen würden selbstverständlich für den vom Urkundsbeamten erlassenen Vollstreckungsbefehl ebenso gelten, wenn sie durchschlagend wären. So kommt Grünhut dann auch zu dem allgemeinen Schluß, „daß der auf den privaten wirtschaftlichen Vermögensverkehr zugeschnittene Betrugstatbestand nicht auf den Mißbrauch staatlicher Rechtspflegeeinrichtungen passe" 84 . Wenn Grünhut die Kausalität zwischen Täuschung und richterlicher Verfügung leugnet, so kann er dies unmöglich tun, indem er der Täuschung die Bedeutung einer conditio sine qua non für die richterliche Entscheidung abspricht. Vielmehr muß er geltend machen, daß der Richterspruch seine Begründung in sich selbst trage und so angesehen werden müsse, als sei er durch keine Partei verursacht. Grünhuts These erweist sich daher schon beim ersten Hinsehen als reine Fiktion. Die Frage ist deshalb, ob die öffentlich-rechtliche Stellung des Rechtspflegeorgans und die Tatsache, daß der Schaden letztlich durch einen hoheitlichen Akt herbeigeführt wird, zu einer solchen Fiktion zwingen. Freilich steht der Richter oder Reditspfleger über den Parteien. Dennoch spricht er nicht Recht aus sich selbst heraus, sondern auf Grund des Vorbringens der Parteien. Diese Tatsache nimmt jedoch dem Richterspruch nicht seinen hoheitlichen Charakter. Denn wenn auch der Richter, der pflichtgemäß entscheidet, niemals rechtswidrig handelt, so kann seine Entscheidung dennoch 83
Grünhut, Schweiz. ZStR 51 S. 43, 71, 72; ders., Rhein.Ztsdir.f. Zivil- u. Prozeßrecht, 1924, S. 51; vgl. auch Giehring, GA 1973 S. 25. 84 Grünhut, Schweiz. ZStR 51 S. 72.
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mit dem materiellen Recht im Widerspruch stehen. Auch die staatlichen Organe setzen sich aus Menschen zusammen, die von anderen Menschen zu Irrtümern verleitet werden können. Der Staat ist darum kein Gebilde, dessen Handeln mit den herkömmlichen Kategorien, z. B. der Kausalität, nicht erfaßt werden kann. Gegen Grünhuts Auffassung spricht aber entscheidend, daß einer bloßen Fiktion zuliebe erheblidie Strafbarkeitslücken in Kauf genommen werden müßten. Gerade die raffinierten und darum besonders gefährlichen Kriminellen, die sich nicht einmal scheuen, den Staat in den Dienst ihrer dunklen Machenschaften zu stellen, gingen straffrei aus. Betrügern im Zivil- und Denunzianten im Strafprozeß wären Tür und Tor geöffnet, ohne daß sie das Risiko einer empfindlidien Bestrafung nach § 239 85 oder § 263 eingingen. Konsequent durchgeführt, müßten Grünhuts Gedanken nicht nur in der Rechtspflege, sondern außerdem überall dort zu einer Verneinung des Betruges führen, wo staatliche Stellen getäusdit und daraufhin hoheitlich tätig werden. Bei den Riesensummen öffentlicher Gelder, die heute allenthalben verteilt werden, wäre das ein rechtspolitisch höchst unerwünschtes Ergebnis. ee) Nach allem hat B den objektiven Tatbestand eines Betruges erfüllt. ff) Zum subjektiven Tatbestand des § 263 gehören der Vorsatz und die Absicht, sidi oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. B hat den Rechtspfleger und den Urkundsbeamten wissentlich und willentlich getäuscht. Er war sich bewußt, durch die Irrtumserregung beim Urkundsbeamten eine die Frau A schädigende Vermögensverfügung herbeizuführen und hat dies auch gewollt 86 . 85 Die Rechtsprechung hat stets den als mittelbaren Täter einer Freiheitsberaubung verurteilt, der durch Täuschung einer Behörde die Festnahme oder Verurteilung eines anderen veranlaßt (RGSt 13 S. 426; BGHSt 3 S. 4, 10 S.307; LM Nr. 2 zu § 3 ) . 86
Schönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 120.
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Vermögensvorteil im Sinne des Betrugstatbestandes ist jede Erhöhung des wirtschaftlichen Werts eines Vermögens 87 . Diese muß dem Schaden entsprechen 88 . Daher ist nicht erst das erstrebte Bargeld, sondern bereits der Vollstredkungstitel als Vermögensvorteil anzusehen 89 , da er dem Gläubiger das Geld des Schuldners gleichsam schon in die Hand gibt. Diesen Vermögensvorteil, der rechtswidrig ist, da dem B auf den Titel kein Rechtsanspruch zustand 90 , hat B bei seinen Täuschungen erstrebt. Auch die „Stoffgleichheit" zwischen erstrebtem Vorteil und eingetretenem Schaden, die aus der Natur des Betrugs als eines Vermögensverschiebungsdelikts folgt, ist hier gegeben. Denn gerade in der Vermögensposition, die dem B durch den Vollstreckungsbefehl zuwächst, liegt Frau A's Schaden. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Die Tat ist dem B auch vorwerfbar. Er handelte schuldhaft. gg) B hat sich wegen eines Betruges nach § 263 strafbar gemacht. 3. Die Pfändung Gerichtsvollzieher
der fünf Hundertmarkscheine
durch
den
a) Betrug gem. § 263 StGB aa) Durch Täuschung des Gerichtsvollziehers. In der Beauftragung (im Sinne der ZPO) des Gerichtsvollziehers, bei Frau A zu vollstrecken (§§ 795, 753, 754 ZPO), und der anschließenden Pfändung (§ 808 I ZPO) könnte ein weiterer Betrug gegenüber Frau A durch Täuschung des Gerichtsvollziehers liegen. Der Gerichtsvollzieher prüft jedodi nur, ob ein wirksamer Vollstreckungstitel vorliegt (vgl. § 754 ZPO). Was er von dem RGSt 50 S .279; Mezger-Blei, a . a . O . , S. 199; Schönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 122.
87
B G H S t 6 S. 115, B G H N J W 1961 S. 6 8 5 ; O L G H a m m J M B 1 N R W 1964 S. 3 3 ; Kohlrausch-Lange, a . a . O . , § 263 Anm. V I 3 ; Welzel, a. a. O., S. 376.
88
89
RGSt 52 S. 92.
RGSt 26 Rdn. 125.
90
S. 354, 44
S. 2 0 3 ;
Schönke-Schröder,
a.a.O.,
§263
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Einübung in die Fallbearbeitung
zu vollstreckenden Anspruch hält, ist bedeutungslos. Er hat den Titel zu respektieren (siehe oben A I 2b, cc). Deshalb kommt er als Objekt einer Täuschung nicht in Betracht. bb)
Durch Täuschung der Frau A
Möglicherweise ist aber Frau A durch den in pflichtgemäßer Amtsausübung handelnden Gerichtsvollzieher, der als das Werkzeug des B anzusehen wäre, über das Bestehen einer Forderung getäuscht worden. Das könnte durch die Zustellung des Vollstreckungsbefehls geschehen sein. Es ist davon auszugehen, daß der Vollstreckungsbefehl gleichzeitig mit der Vollstreckung von dem pfändenden Gerichtsvollzieher zugestellt wurde, was übrigens im Mahnverfahren ohnehin der Regelfall ist (§§ 699 I 4, 795, 750 I ZPO). Denn die beiden Freunde werden das unnötige Risiko einer erneuten erschwindelten Ersatzzustellung nicht in Kauf genommen haben, was schon daraus erhellt, daß A als Prozeßagent dem B gewiß den einfachsten Weg gewiesen hat, um eine Vollstreckung zu erreichen91. Aber Frau A konnte durch einen Vollstreckungstitel gar nicht in den Glauben versetzt werden, dem B, den sie vielleicht gar nicht kennt, stehe wirklich eine Forderung gegen sie zu. Aber selbst wenn es doch so wäre, so hätte sie auf Grund eines derartigen Irrtums gewiß keine Vermögensverfügung getroffen: Denn erstens ist das Dulden einer Zwangsvollstreckung keine Verfügung, weil es an einem Willensakt des Verletzten, den Gewahrsam aufzugeben, fehlt 92 , der, faßt man das Erfordernis der Selbstschädigung ins Auge, unerläßlich ist; und zweitens wäre dieses Dulden nicht auf den Irrtum zurückzuführen, sondern eine Folge der staatlichen Zwangsgewalt, die Frau A gar keine andere Wahl läßt. Ein weiterer Betrug des B ist daher abzulehnen. 91
Dieser Hinweis zur Sadiverhaltsauslegung ist auch deshalb zu beachten, weil er begründet, warum auf die Prüfung weiterer strafbarer Handlungen, die evtl. in einer erneuten Ersatzzustellung — jetzt des Vollstreckungsbefehls — liegen, verzichtet werden darf. 82
RG LZ 1920 S. 717; Schröder, ZStW 60 S. 45.
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b) Raub in mittelbarer Täterschaft gem. § 249 StGB Man könnte aber erwägen, ob B durch die Vollstreckung einen Raub in mittelbarer Täterschaft begangen hat. Der objektive Tatbestand des § 249 fordert zunächst die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache. Mittel der Wegnahme sind Gewalt gegen eine Person oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. B müßte demnach das Geld „weggenommen" haben. Nun hat B selbst das Geld nicht weggenommen. Er müßte sich des Gerichtsvollziehers als eines Werkzeugs bedient haben. Die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft beruht auf der Erwägung, daß der Täter eine andere Person im Rahmen seines Tatplans für sich handeln läßt, weil dessen Handeln notwendig ist für den vom Täter erstrebten Gesamterfolg 93 . Weil der Täter den Tatablauf einschließlich der Handlungen des Werkzeugs beherrscht und für sich will, ist es erlaubt, den Tatmittler gleichsam als seinen verlängerten Arm anzusehen, aa) Gewahrsamsbruch und Gewahrsamsbegründung durch den Gerichtsvollzieher Zunächst muß untersudit werden, ob der Gerichtsvollzieher fremde bewegliche Sachen wegnimmt, und ob eine solche Wegnahme dem B zuzurechnen ist. Die Geldscheine stehen im Eigentum der Frau A und sind daher fremde bewegliche Sachen. Die Pfändung dieser Geldscheine erfolgte, indem der Gerichtsvollzieher sie in Besitz nahm (§ 808 I ZPO). Darin könnten der für die Wegnahme i. S. des § 242 und damit auch des § 249 bestimmende Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams liegen94. Ein Gewahrsamsbruch ist nur dann gegeben, wenn der Gewahrsam ohne Willen des Inhabers aufgehoben wird 95 . N u n ist es im vorliegenden Fall möglidi, daß Frau A das Geld selbst an den Gerichtsvollzieher herausgegeben hat. Dennoch war sie mit der Pfändung keineswegs einverstanden. Wenn sie 98
Sdiönke-Sdiröder, a. a. O. Vorb. zu § 47 Rdn. 15. Baldus, LK, 9. Aufl., § 249 Rdn. 2; Heimann-Trosien, LK, 9. Aufl., § 242 Rdn. 19. 95 RGSt 53 S. 337; Sdiönke-Sdiröder, a. a. O., § 242 Rdn. 29.
84
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sich gleichwohl fügte und das Geld auslieferte oder es den Gerichtsvollzieher wegnehmen ließ, so lag darin lediglich ein Dulden, weil ihr die staatliche Zwangsgewalt, die in dem Gerichtsvollzieher verkörpert ist (§ 758 I I I ZPO), gar keine Wahl ließ. Deshalb geschah die Aufhebung des Gewahrsams ohne ihren Willen, so daß ein Gewahrsamsbruch zu bejahen ist 96 . Da der Gerichtsvollzieher, als er das Geld gem. § 808 Z P O an sich nahm, neuen Gewahrsam daran begründete, könnte eine dem B zurechenbare Wegnahme vorliegen, bb) Möglichkeit einer Wegnahme i. S. der §§ 242 und 249 nach Gewahrsamseröffnung durch den getäuschten Dritten Es fragt sich jedoch, ob überhaupt noch eine i. S. des § 249 StGB tatbestandsmäßige Wegnahme durch B vorliegen kann, wenn eine dritte Person — der Urkundsbeamte nämlich —, die der Vermögenssphäre der Frau A zuzurechnen ist, getäuscht wurde und dem Betrüger die Wegschaffung der Geldscheine — durdi den Gerichtsvollzieher — gestattet hat. Denn diese in dem Vollstreckungsbefehl liegende Gestattung stellte sich — wie oben gezeigt — als die Vermögensverfügung eines Betruges dar. Dennoch wäre es unrichtig, einen Raub mit der Begründung abzulehnen, die Gewahrsamsverfügung sei bereits durch den Urkundsbeamten vollzogen worden, so daß nunmehr kein Gewahrsamsbruch in Betracht kommen könnte. Durch die Verfügung des Urkundsbeamten wurde das Vermögen der Frau A in gleicher Weise belastet, als wäre gegen Frau A eine rechtswirksame Forderung begründet worden. Es war einer anderen Person mit dieser Verfügung die Möglichkeit eingeräumt worden, mit Hilfe der von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Verfahren unmittelbaren Zugriff auf das Vermögen der Frau A zu nehmen. Diese Unmittelbarkeit der Zugriffsmöglichkeit in das Vermögen führte zur Annahme eines Vermögensschadens auf Seiten der Frau A durch die Verfügung des Urkundsbeamten. Die Sache selbst war damit jedoch nicht dem Vermögen der Frau A entzogen. Die Möglich96
Vgl. RG LZ 1922 Sp. 265; B G H Z 5 S. 366; B G H N J W 1952 S. 796; OLG Hamburg HESt 2 S. 20; — a. A. OLG Nürnberg N J W 1949 S. 877; Wimmer, N J W 1948 S. 242.
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keit, die Sache dem Vermögen zu entziehen, ist nicht identisch mit dem Entzug der Sache. Da der Gewahrsamsbruch die Überwindung eines tatsächlichen Widerstandes voraussetzt und gleichgültig ist, ob der Widerstand Leistende diesen Widerstand mit Recht leistet oder nicht, können von hierher keine Bedenken gegen die Wegnahme des Geldes geltend gemacht werden. Duldete Frau A die Wegnahme, weil sie sich der staatlichen Zwangsgewalt fügte, so erfolgte die Wegnahme unter Anwendung von Gewalt. Da der Gerichtsvollzieher nicht wußte, daß die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung erschlichen waren, wäre es möglich, ihn als Werkzeug des B anzusehen. Auch die Zueignungsabsicht läge bei B vor, und die Zueignung wäre auch rechtswidrig, denn nach materiellem Recht hatte B keinen Anspruch auf das Geld, cc) Rechtswidrigkeit Zweifel daran, daß der Unreditstatbestand des Raubes mit der Wegnahmehandlung des Gerichtsvollziehers erfüllt ist, ergeben sich jedoch aus der Tatsache, daß die formellen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorlagen und der Gerichtsvollzieher zu einer materiell-rechtlichen Prüfung des Sachverhalts nicht verpflichtet ist, noch über die Möglichkeit verfügt, diese durchzuführen. Die Erschleichung des Vollstreckungstitels wurde als Vermögensschaden interpretiert, weil der Besitz dieser Rechtsposition dem Täter den unmittelbaren Zugriff auf das Vermögen der Frau A eröffnete. Diese unmittelbare Zugriifsmöglichkeit war gerade deshalb gegeben, weil die Vollstreckungshandlung ihren Rechtsgrund in der formellen Rechtswidrigkeit des Titels findet und daher mit einem weiteren Prüfungsverfahren nicht belastet ist. Die Rechtssicherheit wird dem materiellen Vermögensschutz insoweit vorangestellt. Mit dem vollstreckbaren Titel in der Hand stellt die Wegnahme des Geldes daher eine rechtlich zulässige und keine rechtswidrige Vermögensminderung dar. Auch die Konzeption der mittelbaren Täterschaft vermag daran nichts zu ändern. Der Rückgriff auf die materielle Rechtslage ist bewußt abgeschnitten, um der Effektivität des Verfah-
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rens wegen. Dann ist es aber unzulässig, über die Konstruktion der mittelbaren Täterschaft wiederum die materielle Rechtslage durchschlagen zu lassen. Selbst wenn daher in der Pfändung der Geldscheine die Wegnahme einer fremden beweglichen Sadie zu sehen ist, die B sich rechtswidrig aneignen will, so ist der Unrechtstatbestand des Raubes nicht erfüllt. Die Wegnahme ist gerechtfertigt, weil sie auf Grund eines vollstreckbaren Titels erfolgt. Der Gerichtsvollzieher führt die „Wegnahme" durch, weil sie von der Rechtsordnung unter diesen Umständen zugelassen wird, und zwar obwohl auch dem Gesetzgeber klar war, daß im Einzelfall die materiell-rechtliche Grundlage der Vollstreckung zweifelhaft sein kann. Dennoch sollte dies auf die Vollstreckbarkeit des Titels keinen Einfluß haben. Solange der rechtswirksame Titel daher nicht beseitigt ist, sind die mit seinem Vollzug verbundenen Maßnahmen gleichfalls gerechtfertigt. Das Ganze ist so anzusehen, als hätte jemand eine ihm zustehende Forderung realisiert, denn mit Rechtskraft des Titels ist der Titel in bezug auf das Vermögen des Geschädigten einer rechtswirksamen Forderung gleichzusetzen97. Der Gerichtsvollzieher, der den Gewahrsam des Schuldners in rechtmäßiger Ausübung kraft hoheitlicher Gewalt bricht, kann nicht als Werkzeug eines Räubers angesehen werden, weil die Rechtsordnung ihm seine Machtmöglichkeit einräumt auch auf das Risiko hin, daß die materiell-rechtliche Grundlage erschlichen wurde. c) Räuberische Erpressung, § 255 in mittelbarer Täterschaft Der B könnte Frau A gegenüber eine räuberische Erpressung gem. § 255 in mittelbarer Täterschaft durch den Gerichtsvollzieher begangen haben. — Dann müßte zunächst der Unrechtstatbestand des § 253 erfüllt sein. Der Sachverhalt sagt nicht, unter welchen Umständen die Pfändung stattgefunden hat. Man muß von dem Normalfall ausgehen, daß der Gerichtsvollzieher bei der Zustellung des Vollstreckungsbefehls und der anschließenden Pfändung (§ 750 I ZPO) die Frau A zu Hause angetroffen hat. "
Eingehend dazu Otto, Struktur, S. 301 f.
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aa) Drohung mit einem empfindlichen Übel Es erscheint denkbar, daß der Gerichtsvollzieher Frau A durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, nämlich mit der Anwendung von Gewalt, zu einer Duldung der Zwangsvollstreckung genötigt hat. Der Vorgang wird sich jedoch so abgespielt haben, daß der Gerichtsvollzieher unter Vorlegung des Titels zur Vollstreckung schritt und Frau A sidi nadi einigen erfolglosen Gegenvorstellungen fügte. Eine Drohung braucht aber nicht besonders ausgesprochen zu werden. Da der Gerichtsvollzieher befugt ist, eventuellen Widerstand gegen seine Vollstreckungshandlungen mit Gewalt zu brechen, wobei er sogar die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane in Ansprudi nehmen kann (§ 758 III ZPO), steht schon hinter seinem zum Ausdruck gebrachten Willen, 500 DM zu pfänden, konkludent die Drohung, notfalls auch mit staatlicher Zwangsgewalt diesen Willen durchzusetzen. Daß die Gewalt, die jeden körperlichen Widerstand bricht, für den Betroffenen ein empfindlidies Übel ist, kann nicht bezweifelt werden. bb) Begriff des „Duldens" i. S. des § 253 Die Drohung mit der Gewalt zwang Frau A, sidi der Pfändung zu fügen, sie geschehen zu lassen, da Widerstand ohne jede Erfolgsaussicht war. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob ein bloßes Gesdiehenlassen dem Tatbestandsmerkmal „Dulden" i. S. des § 253 unterfällt. Die Meinungen in Rechtsprechung und Wissenschaft sind geteilt. Während die eine Auffassung 98 , die sidi eng an den Wortlaut der Vorschrift hält, ein Hinnehmen der Wegnahme genügen läßt, fordert die andere Ansicht", daß sidi das Verhalten des Genötigten als Vermögensverfügung, die stets einen Willensakt • 8 BGHSt 14 S. 390; OLG Hamburg HESt 2 S. 318; Binding, a. a. O., S. 376; Lackner, LK, 9. Aufl., §253 Rdn. 11; Wimmer, NJW 1948 S. 244. M RG JW 1934 S. 488; OLG Braunschweig Nds.Rpfl. 1948 S. 183; Kohlrausch-Lange, a. a. O., § 253 Anm. IV; Maurach, a. a. O., S. 234; Otto, ZStW 79 S. 86 ff; ders., Struktur, S. 298; Sauer, a. a. O., S. 112; Schönke-Schröder, a.a.O., §253 Rdn. 8; Schröder, ZStW60 S.95; Welzel, a.a.O., S.381.
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enthält, darstellt, weil die Erpressung wie der Betrug ein Vermögensverschiebungsdelikt sei. Im bloßen Unterwerfen unter die durch den Gerichtsvollzieher ausgeübte Hoheitsgewalt könnte eine derartige Verfügung nicht gesehen werden. cc) Daß die Erpressung, genau wie der Betrug, eine Vermögensverfügung voraussetzt, wenn dem Delikt nicht jede Kontur genommen werden soll, haben Schröder und Otto 100 überzeugend nachgewiesen. Der Meinungsstreit braucht hier jedoch nicht erneut in vollem Umfang ausgebreitet zu werden, denn auch die Gegenmeinung führt letztlich im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis. Gleichgültig, ob in der „Duldung der Zwangsvollstreckung" eine Verfügung zu sehen ist oder nicht, und unabhängig von der Frage, ob §§ 253, 255 eine „Vermögensverfügung" voraussetzen, findet die „Nötigung zur Duldung der Zwangsvollstreckung" ihren Rechtsgrund jedenfalls in der formellen Rechtsgültigkeit des Titels. Die vom Gerichtsvollzieher vollzogenen Akte sind von der Rechtsordnung — unabhängig von ihrer materiellen Grundlage — gewollte Akte. Sie sind gerechtfertigt. d) Nötigung in mittelbarer Täterschaft, § 240 StGB Aus den unter c) genannten Gründen stellt die „Nötigung zur Duldung der Zwangsvollstreckung" keine rechtswidrige Nötigung i. S. des § 240 dar. II.
Straftaten gegenüber A
Mitteilung an A, die Vollstreckung habe nur 400 DM erbracht, und Übergabe von nur zwei Hundertmarkscheinen. 1.
Betrug gem. § 263 StGB
Von den 500 DM, die die Zwangsvollstreckung erbracht hatte, behielt B heimlich einen Hundertmarkschein für sich und übergab dem A 200 DM mit der Bemerkung, die Zwangsvollstrekkung habe nur 400 DM ergeben, hiervon beanspruche er 200 DM, womit A einverstanden war. 100
Schröder, ZStW 60 Struktur, S. 305.
S. 93 f f ;
Otto,
ZStW 79
S. 86 ff;
ders.,
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In diesem ganzen Vorgang könnte ein Betrug des B seinem Freunde A gegenüber liegen. a) Täuschungshandlung — Irrtumserregung B täuschte dem A vor, der Gerichtsvollzieher habe ihm nur 400 DM ausgehändigt. Darin ist ganz sicher das Vorspiegeln einer „falschen Tatsache" zu sehen. Auf Grund dieser Täuschungshandlung wurde bei A auch ein entsprechender Irrtum erregt, da er seinem Freund offenbar Glauben schenkte. b) Vermögensverfügung — Vermögensschaden Auf Grund dieses Irrtums müßte A eine ihn unmittelbar selbst schädigende Vermögensverfügung getroffen haben. aa)
Nichtgeltendmachen einer Forderung
Als Vermögensverfügung käme die Nichtgeltendmachung einer Forderung gegenüber B in Betracht. Da die Vermögensverfügung jedes rechtliche oder tatsächliche Verhalten ist, das den Bestand des Vermögens verringert 101 , liegt auch in einem Unterlassen eine Verfügung, wenn der Getäuschte ohne den Irrtum gehandelt und den Schaden abgewendet hätte 102 . Da rechtsbeständige Forderungen ganz sicher zum Vermögen gehören, ist das Nichtgeltendmachen einer solchen Forderung als Vermögensverfügung zu betrachten 103 . Es muß daher gefragt werden, ob A eine Forderung dem B gegenüber zustand, die er unterlassen hätte, geltend zu machen. Von irgendwelchen Abreden über die Beuteteilung vor Beginn des Unternehmens ist im Sachverhalt nicht die Rede. Ausdrücklich ist auch gewiß nidits Genaues vereinbart, sonst würde B nach Erlangung des Geldes nidit besonders betonen, daß er 200 DM „beanspruche", und A hätte nicht erklärt, daß er „einverstanden" sei. 101
RGSt RGSt S. 836. 103 RGSt Grünhut, 102
64 S. 228; Jagusch, LK, §263 Anm. 4. 70 S.227; BayObLGSt 12 S.103; OLG Köln NJW 1967 24 S. 410, 60 S.421; OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975; JW 1932 S. 2434.
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Nun hat aber B „heimlich" eine Banknote für sich behalten. Er war sich also darüber im klaren, daß A die Hälfte der Beute fordern würde; und ihm war bewußt, daß dem A diese Hälfte an sidi auch zustehe und es nidit von seinem guten Willen allein abhänge, wieviel dieser zu fordern habe. Man darf daher annehmen, daß zwischen den beiden Freunden schon bei Beginn des Unternehmens eine Beuteteilung nach gleichen Anteilen als selbstverständlich stillschweigend vorausgesetzt worden ist. Im übrigen wäre dies eine Frage, die der tatrichterlidien Aufklärung bedürfte. Danach barung könnte 50 DM
hätten A aus einer solchen stillschweigenden Verein250 DM zugestanden. Seine Vermögensverfügung daher nur in der unterlassenen Forderung weiterer liegen.
bb) Niditgeltendmadien einer nicht rechtsbeständigen derung
For-
Diese „Forderung" war aber nicht rechtsbeständig. Denn eine Abrede hinsichtlich der Beuteteilung ist gem. § 138 BGB nichtig, weil sie den guten Sitten widerspricht. Es ist zu prüfen, ob eine derartige sittenwidrige Forderung überhaupt zum Vermögen des A gerechnet werden kann, aaa) Theorien zum Vermögensbegriff im § 263 StGB Die Lehre vom streng juristischen Vermögensbegriff, als deren maßgebliche Vertreter Merkel und Binding zu nennen sind 104 , sieht als Vermögensbestand die Summe der Vermögensrechte einer Person an. Nach dieser Auffassung gehören nur die Werte, die „unter dem Schutz der Rechtsordnung betätigt oder in einem geordneten Verfahren verwirklicht werden können" 105 , zum Vermögen. Wenn man den juristischen Vermögensbegriff für angemessen hält, so kommt man sogleich zu dem Ergebnis, daß ihm eine Erwartung auf gleichmäßige Teilung einer Diebesbeute ganz sicher nicht unterfällt. 104
Binding, a.a.O., S. 238, 241, 341—343; Merkel, a.a.O., S.99; vgl. audi Gerland, a. a. O., S. 560; Hirsdiberg, a. a. O., S. 326. 105 RGSt 66 S. 285.
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Gegen den juristischen Vermögensbegriff spricht aber, daß er die Vielfalt der Vermögensbeziehungen der Menschen untereinander nicht annähernd erfassen kann, wenn er nur Vermögenswerte Rechte erfaßt. Es gibt vielerlei Positionen im vor- und außerrechtlichen Bereich, die von der Rechtsgemeinschaft durchaus als Vermögen gewertet werden 106 . Auf der anderen Seite muß die juristische Vermögenslehre Rechte als Vermögensbestandteile betrachten, die zwar an sich Vermögensrechte sind, in dem konkreten Fall aber keinerlei wirtschaftliche Substanz haben. Der Fehler der nur juristischen Vermögenstheorie liegt darin, daß sie einen ganz eindeutig auf wirtschaftlichem Gebiet liegenden Begriff nicht auch an wirtschaftlichen Kategorien, z. B. am Geldwert, mißt. Sie wird heute in ihrer reinen Form auch nicht mehr vertreten. Das Reichsgericht lehnte sie schon im 16. Bd. der amtlichen Sammlung 107 und mit besonders eingehender Begründung im 44. Bd. 108 zugunsten der wirtschaftlichen Theorie ab. Demgegenüber stellt der wirtschaftliche Vermögensbegriff, dem das überwiegende Schrifttum 109 und die Rechtsprechung 110 , zum Teil mit Abweichungen in Richtung auf eine juristischwirtschaftliche Vermittlungslehre 111 , anhängen, f ü r die Zuordnung zum Vermögen vor allem darauf ab, ob der Gegenstand f ü r den Betroffenen einen wirtschaftlichen Wert hat. Vermögen wird daher definiert als „die Gesamtheit der einer Person zustehenden wirtschaftlichen Werte" 1 1 2 . 108
Maurach, a. a. O., S. 320, 321; Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 60. 107 RGSt 16 S. 1 (Vereinigte Strafsenate). 108
RGSt 44 S. 230 (Vereinigte Strafsenate). Frank, a . a . O . , § 2 6 3 Anm. V ; v. Liszt-Schmidt, a . a . O . , S. 668; Mauradi, a . a . O . , S. 320; Mezger-Blei, a . a . O . , S. 192; v. Olshausen, a . a . O . , § 2 6 3 Anm. 18 I.
109
110 RGSt 66 S. 285; BGHSt 1 S. 264, 3 S. 99, 16 S. 220; OLG Hamburg N J W 1966 S. 1526; OLG Köln M D R 1972 S. 884 f. 111 Cramer, JuS 1966 S. 473; ders., Vermögensbegriff, S. 90 ff; Foth, GA 1966 S. 40; Gallas, Eb. Schmidt-Festschrift, S. 407 ff; Lenckner, JZ 1967 S. 107; Welzel, a. a. O., S. 372 f. 112 Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 58.
13 O t t o , Übungen im Strafredit
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Diese Lehre verdient jedenfalls vor der juristischen Vermögenstheorie den Vorzug, weil sie entscheidend auf den das Vermögen kennzeichnenden Begriff des Wertes abstellt und daher den Bedürfnissen des modernen Wirtschaftsverkehrs besser entspricht. Ob sie ganz auf reditliche Gesichtspunkte verzichten kann, wird sich zeigen. Der sog. personale Vermögensbegriff113 steht dem wirtschaftlichen näher als dem juristischen. Denn auch er stellt den Wert in den Mittelpunkt der Betrachtungen, fragt aber nicht, ob das Vermögen durch die Verfügung objektiv, sondern, ob es für den Verletzten an Wert verloren hat. Zunächst ist zu prüfen, ob die Erwartung des A, den vereinbarten Beuteanteil zu erhalten, überhaupt, für ihn selbst oder nach objektiven Maßstäben, einen wirtschaftlichen Wert darstellt. bbb) Vermögenswert einer nicht rechtsbeständigen Forderung Für die Ermittlung des Wertes nichtiger Forderungen ist es unerheblich, ob Sachen, die durch eine unerlaubte Handlung erlangt worden sind, zum Vermögen gehören. Denn solche „bemakelten" Gegenstände hat man, man kann sie benutzen, an einen Gutgläubigen oder Hehler verkaufen usw.; eine nichtige Forderung ist zunächst ein Nichts, sie gewinnt erst wirtschaftliche Bedeutung unter dem Gesichtspunkt ihrer Durchsetzbarkeit oder ihrer sonstigen Verwertung. Da aber die Realisierbarkeit einer Forderung in hohem Maße davon abhängt, ob sie auch im Klagewege verfolgt werden kann, hat die fehlende Billigung der Rechtsordnung — anders als bei einem körperlichen Gegenstand — eine unmittelbare Auswirkung auf ihren wirtschaftlichen Wert 114 . Daher ist der Schluß, wenn schon der rechtswidrige Besitz ein Vermögenswert sei, müsse es sich bei rechtswidrigen Forderungen ebenso verhalten, keineswegs zwingend. Die reichsgerichtliche Judikatur, die in späteren Entscheidungen durch unerBodcelmann, Kohlrausdi-Festschr., S. 245, 2 4 8 ; ders., J Z 1952 S. 4 6 4 ; Gallas, Gleispadi-Festschr., S. 5 6 ; Hardwig, G A 1956 S. 17 ff; Otto, Struktur, S. 34 ff.
113
114
Otto, Struktur, S. 50.
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laubte Handlung erlangte Sachen zum Vermögen rechnete 115 , beantwortet aus diesem Grunde die hier wesentliche Frage nicht. Diese Rechtsprechung ist vom O G H 1 1 6 und vom BGH 1 1 7 aufgegeben worden. Während der O G H sich mit der Behauptung begnügte, eine Unterscheidung zwischen rechtswidrigem Besitz und rechtswidriger Forderung sei nicht gerechtfertigt 118 , da derartige Ansprüche auch einen wirtschaftlichen Wert hätten, wenn nur mit ihrer Erfüllung geredinet werden könne, versuchte der B G H in seiner Entscheidung, die ebenfalls den Anspruch auf den vereinbarten Beuteanteil betraf, dasselbe Ergebnis genauer zu begründen. Mit dem Hinweis, im Strafrecht sei der wirtschaftliche Vermögensbegriff maßgebend, behauptet der BGH, für den Wert einer Forderung sei „bei wirtschaftlicher Betrachtung" ihre Klagbarkeit kein entscheidendes Merkmal 1 1 9 . Es zeigt sich hier, zu welchen erheblichen Mißverständnissen die handliche Formel der wirtschaftlichen Betrachtungsweise führen kann. Verleitet sie doch zu der Annahme, sie schlösse eine Betrachtung unter rechtlichen Gesichtspunkten notwendig aus. Es liegt aber im Wesen der Forderung — wie oben gezeigt wurde —, daß ihr Wert allein durch die Möglichkeit ihrer Erfüllung bestimmt wird. Ob man aber eine Forderung realisieren kann, hängt — auch und gerade nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise — wesentlich davon ab, ob dies notfalls auch gegen den Willen des Schuldners im Wege der Klage geschehen kann. Zu fragen ist daher allein, ob eine nichtige Forderung trotz fehlender Klagbarkeit einen wirtschaftlichen Wert haben kann. Der B G H hält dies mit der Erwägung f ü r möglich, „namentlich die Persönlichkeit des Schuldners sowie dessen Zahlungsfähigkeit und das Verhältnis beider Parteien zueinander können 115 118 117 118 119
RGSt 44 S. 230. OGHSt 2 S. 201, 2 S. 259. BGHSt 2 S. 367. OGHSt 2 S. 201. BGHSt 2 S. 367.
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dabei von Bedeutung sein" 120 . Weiter meint das Gericht, die Tatsache, daß ein Teil des beanspruchten Geldes bezahlt worden ist, deute auf den wirtschaftlichen Wert auch der Restforderung hin 121 . Diese Gedanken finden sich zuerst bei Grünhut 122 , der schon 1932 für den wirtschaftlichen Wert einer Forderung Zahlungsfähigkeit, Zahlungswilligkeit und gesellschaftliche Bindungen des Schuldners als „entscheidend" bezeichnet hat. ccc) Eigene Stellungnahme Zunächst wird geprüft, ob die Zahlungsfähigkeit, die im anstehenden Fall ja gegeben ist, da B vom Gerichtsvollzieher 500 DM erhielt, wirklich die vom B G H behauptete Bedeutung hat. Es zeigt sich sogleich, daß sie den Wert einer Forderung allein negativ abzugrenzen vermag: Ein Anspruch, dem ein zahlungsunfähiger Schuldner gegenübersteht, ist so gut wie wertlos. Umgekehrt wird eine Hoffnung noch nicht zum Vermögenswert, nur weil der „Schuldner" Geld hat, wenn er überhaupt nicht daran denkt zu leisten und dazu auch nicht angehalten werden kann. Möglicherweise ist die Aussicht auf einen bestimmten Beuteanteil aber dann etwas wert, wenn der „Verpflichtete" zur Leistung entschlossen ist. Eine solche Auffassung wäre gewiß nicht unbedenklich, denn es verwundert doch, daß das Vermögen eines Menschen durch die jeweilige innere Einstellung, durch den gerade vorhandenen guten Willen einer anderen Person bestimmbar sein könne. Aber selbst wenn man sich einmal über diese Bedenken hinwegsetzte, so spricht gerade das Merkmal der Zahlungswilligkeit in den hier interessierenden Fällen nicht für, sondern gegen den wirtschaftlichen Wert nichtiger Forderungen. Denn wenn der eine Kriminelle den anderen übervorteilt, so zeigt er damit, daß er nicht zahlen will 123 . 120
Ebenda; vgl. auch S. 368: Bestehen „anderweitiger Bindungen". BGHSt 2 S. 368. 122 Grünhut, JW 1932 S. 2434. 123 So auch Lenckner, JZ 1967 S. 109, nadi dem eine nichtige Forderung jedenfalls dann keinen Vermögenswert hat, wenn der Täuschende gerade durch sein Verhalten zeigt, daß er zur Erfüllung nicht bereit ist. 121
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Maßgeblich ist aber, welchen Wert die Erwartung im Zeitpunkt der Täuschung hat, denn der Vermögensschaden soll ja erst durch den Betrug verursacht sein. Ob der „Verpflichtete" früher einmal leisten wollte, ist ohne jede Bedeutung 124 . Deshalb kann man auch nicht — wie der B G H es tut 1 2 5 — aus der Tatsache, daß wenigstens etwas geleistet wurde, auf den wirtschaftlichen Wert der Forderung schließen, da es nicht auf das ankommt, was bezahlt, sondern auf das, was unter Zuhilfenahme einer Täuschung vorenthalten worden ist. Es bliebe dann noch der Hinweis auf das „persönliche Verhältnis der Parteien". Wenn ein Freund den anderen hereinlegt, so zeigt sich darin, daß diese Freundschaft wirtschaftlich für den Betroffenen wertlos war. Deshalb kann der B G H unmöglich Beziehungen wie Freundschaft u. ä. im Auge haben. Unter Umständen meint das Gericht denn auch etwas anderes: die aus dem Verhältnis der Beteiligten zueinander folgende Möglichkeit, die Forderung auch ohne Zuhilfenahme der staatlichen Rechtspflegeorgane durchzusetzen. Als vornehmstes Mittel einer solchen Eintreibung von „Ansprüchen" unter Kriminellen kommt die Gewalt in Betracht. Der B G H müßte demnach auch alles das zum Vermögen eines Menschen rechnen, was er durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt in seinen Besitz bringen könnte. Auf eine Formel gebracht, würde das bedeuten: Der stärkste und rücksichtsloseste Verbrecher wäre allemal auch der reichste. Daran aber zeigt sich, daß Gallas 1 2 6 recht hat, wenn er ausführt, daß sich der Gegensatz zwischen dem wirtschaftlichen und dem juristischen Vermögensbegriff gar nicht rein durchführen lasse; denn der „Begriff des Vermögens gehört nicht einer amoralischen Welt bloßer Machtbeziehungen, sondern einer von vornherein auf Ordnungswerte bezogenen sozialen Wirklichkeit an" 1 2 7 . Lendtner, J Z 1967 S. 109. B G H S t 2 S. 368. 1 2 8 Gallas, Eb. Sdimidt-Festsdir., S. 407; ebenso Cramer, Vermögensbegriff, S. 226. 1 2 7 Gallas, Eb. Schmidt-Festschrift, S. 408: das Beispiel, die Möglichkeit, die Obstbäume des verreisten Nachbarn unbemerkt abzu124
125
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Einübung in die Fallbearbeitung
Deshalb kann es nicht auf das Merkmal der rein tatsächlichen Durchsetzbarkeit ankommen. Otto 1 2 8 weist darauf hin, daß der Wille des Zivilgesetzgebers außer Kraft gesetzt werde, wenn reine Machtpositionen, denen der Zivilgesetzgeber die Anerkennung ausdrücklich versagen wollte, hier als Rechtspositionen anerkannt würden. Wenn aber die Durchsetzbarkeit mit rechtswidrigen Erzwingungsmitteln ausscheidet, bleibt gerade unter Kriminellen so gut wie gar keine Möglichkeit mehr, den Beuteanteil zu erlangen. Denn solche Leute sind für gesellschaftliche Druckmittel meist unempfindlich, wenn es um Geld geht. Es besteht also ein erheblicher Unterschied, ob sich zwei Gauner übervorteilen, oder ob jemand einem Dritten eine nicht rechtsbeständige Forderung abträgt, mit deren Erfüllung ohne weiteres gerechnet werden konnte, z. B. eine Spielschuld unter Ehrenmännern oder eine Forderung aus einem Grundstücksgeschäft, bei dem aus steuerlichen Gründen ein zu niedriger Kaufpreis beurkundet worden ist 129 . Nach allem zeigt sich, daß die Ansicht Grünhuts und des BGH, auch wenn man den wirtschaftlichen Vermögensbegriff zugrunde legt, nicht befriedigt. Daran ändern auch die rechtspolitischen Argumente nichts, die der B G H zur Stützung seiner Auffassung vorbringt 130 . Selbst wenn man dem B G H ein Strafbedürfnis wegen der „Pflichtverletzung des Täters", der „von ihm betätigten Gesinnung" und der „zutage getretenen Gefährlichkeit für die allgemeine Rechtsordnung" zugibt, so können solche Erwägungen allein noch keine Verurteilung wegen Betruges rechtfertigen. ernten, sei kein Vermögenswert des hierzu bereits fest Entschlossenen. 128 Otto, Struktur, S. 49 ff. 129 Das sind die Fälle, die Schröder (Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 263 Rdn. 70 d) im Auge hat, wenn er es ablehnt, den Vermögenswert nichtiger Forderungen generell zu verneinen. 130 BGHSt 2 S. 368.
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Der Anspruch auf „gerechte" Beuteteilung darf — wenn der Partner nicht leisten will — nicht als Vermögenswert angesehen werden 131 . Deshalb ist im Nithtgeltendmachen eines solchen „Anspruchs" keine Vermögensverfügung des A zu sehen. B hat daher keinen weiteren Betrug begangen.
2. Untreue gem. § 266 StGB B könnte sich aber durch das Verheimlichen des wahren Erlöses einer Untreue seinem Freund A gegenüber schuldig gemacht haben. Im anstehenden Fall kann überhaupt nur eine Bestrafung nach dem selbständigen Treubruchtatbestand in Erwägung gezogen werden. Möglicherweise hat B die ihm „kraft eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen", zum Schaden des A verletzt. Nun reicht für den § 266 ein allgemein geartetes Treueverhältnis nidit aus, sondern eine selbständige Vermögensfürsorgepflicht132 muß typischer und wesentlicher Inhalt des Treueverhältnisses sein133. Diese in Rechtsprechung und Wissenschaft herrschende Auslegung ist geboten, um zu verhindern, daß der Treubruchtatbestand zu einem völlig unbestimmten Vermögensdelikt wird, das z. B. den Vertragsbruch schlechthin für strafbar erklärt 134 . Ob man bei dem einverständlichen Zusammenwirken zweier Krimineller überhaupt eine Vermögensfürsorgepflicht annehmen kann, ist schon sehr zweifelhaft 135 . Ebenso im Ergebnis Cramer, Vermögensbegriff, S. 92; Foth, GA 1966 S. 45—46; Kohlrausch-Lange, a.a.O., § 2 6 3 Anm. V l c ; Lenckner, JZ 1967 S. 109—110; Maurach, a.a.O., S. 327; Otto, Struktur, S. 52; Welzel, a.a.O., S. 373. 132 RGSt 69 S. 55; BGHSt 3 S. 239, 13 S . 3 1 5 ; Mauradi, a.a.O., S. 344; Schwinge-Siebert, a.a.O., S. 33. 133 BGHSt 1 S. 189, BGH 1 StR 492/66 v. 2 2 . 1 1 . 1 9 6 6 bei Daliinger, MDR 1967 S. 174; Hübner, LK, 9. Aufl., § 2 6 6 R d n . 4 1 ; SchönkeSdiröder, a. a. O., § 266 Rdn. 22. 1 M Mauradi, a. a. O., S. 342. 135 dafür: BGHSt 8 S. 254; Bruns, Mezger-Festschr., S. 344 f f ; ders., N J W 1954 S. 858; ders., N J W 1956 S. 151; Hübner, LK, 9. Aufl., § 2 6 6 Rdn. 45; — dagegen: RGSt 70 S . 9 ; Sauer, a.a.O., S. 1 1 9 ; Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 266 Rdn. 32. 131
200
Einübung in die Fallbearbeitung
Es erscheint bedenklich, daß die Rechtsordnung dem einzelnen ansinnen sollte, fürsorgerisch Vermögensinteressen wahrzunehmen, die sie andererseits gerade mißbilligt 136 . Man mag hierüber aber audi geteilter Meinung sein, so liegt es doch auf der Hand, daß im vorliegenden Fall dem B keinerlei selbständige Vermögensfürsorgepflicht traf. Er konnte nicht innerhalb eines gewissen Spielraums mit einiger Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und Verantwortlichkeit 137 für das Vermögen des A tätig werden. Er hatte lediglich vereinbarungsgemäß die Beute zu teilen. Mangels einer solchen Pflicht kann B aus § 266 nicht bestraft werden. B.
Verhalten des A
I.
Erwirken des Vollstreckungsbefehls
1. Betrug in Mittäterschaft gegenüber Frau A gem. §§ 25 II, 263 StGB (§§ 47, 263 StGB a. F.) Der A könnte durch die Erwirkung des Vollstreckungsbefehls einen Betrug zusammen mit B in Mittäterschaft seiner Frau gegenüber begangen haben. Er müßte dann die strafbare Handlung mit B gem. § 25 II (§ 47 StGB a. F.) ausgeführt haben. a) Mittäterschaft Im vorliegenden Fall hat A den B bestimmt, „gemeinsam mit ihm gegen seine Frau vorzugehen". Er ist also Träger des Tatentschlusses, er will die Tat nidit für den B, sondern gemeinsam mit diesem auch für sidi selbst. Daß diese Willensrichtung des A audi dem B deutlich bewußt war, zeigt sich darin, daß B von „seiner Mitwirkung" spricht und als selbstverständlich davon ausgeht, daß A eigentlich die Hälfte der Beute gebühre. Im übrigen hat A nicht nur eine conditio sine qua non für den Betrugserfolg gesetzt, sondern durdi die Entgegennahme des Zahlungsbefehls und durdi seine Unterdrückung sogar selbst den Tatbestand des § 263 verwirklicht, indem er über den 136 137
Vgl. BGHSt 20 S. 146. Hübner, LK, 9. Aufl., § 2 6 6 Rdn. 18 u. 19.
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201
Zustellungsbeamten den Urkundsbeamten darüber täuschte, daß seine Frau bei ihm lebe, daß ihr also wirksam zugestellt worden sei. Das ganze Unternehmen ist von A auch final gesteuert worden, der einverständlich mit B zusammenwirkte. Dieser kurze Blick genügt, um festzustellen, daß der A nach sämtlichen Teilnahmelehren, selbst nach der formal-objektiven Theorie, als Mittäter eines Betruges anzusehen ist. Denn er hatte den Willen zur eigenen Tat und wollte dem B nicht lediglich Hilfe leisten; er verwirklichte selbst das Tatbestandsmerkmal der Täuschung, und er hatte die finale Tatherrschaft138. b) Antragserfordernis Gem. § 263 IV ist ein Betrug gegen einen Angehörigen nur auf Antrag zu verfolgen. Da der Betrug ein Vermögensdelikt ist, richtet er sich bei Auseinanderfallen von Getäuschtem und Geschädigtem allein gegen den letzteren als den Träger des angegriffenen Reditsguts139, also im vorliegenden Fall gegen Frau A. Da sie als Ehefrau Angehörige des A ist140 und ihr als der Verletzten das Antragsrecht zusteht, muß sie in der Form des § 158 II StPO binnen drei Monaten, §§ 77, 77b StGB (§ 61 StGB a. F.), Strafantrag gegen ihren Mann stellen. 2. Untreue gegenüber Frau A gem. § 266 StGB Durdi die Erwirkung des Zahlungs- und Vollstreckungsbefehls hat A möglidierweise den § 266 verletzt. Dabei wird ihm das Verhalten des B als eigenes zugerechnet. Auch hier erscheint allein eine Subsumtion unter den Treubruditatbestand denkbar. Eine selbständige Vermögensfürsorgepflicht des A seiner Frau gegenüber könnte sich aus dem Gesetz ergeben. Gem. § 1353 BGB sind die Ehegatten einander zur ehelidien Lebensgemein138
Eingehend zur Konstruktion der Mittäterschaft nadi den verschiedenen Theorien: Roxin, a . a . O . , S. 34 ff; Sdiroeder, a . a . O . , S. 35 ff. 139 RGSt 74 S. 168; Schönke-Sdiröder, a . a . O . , § 2 6 3 Rdn. 147. 140 Vgl. § 11 I StGB (§ 52 II StGB a.F.).
202
Einübung in die Fallbearbeitung
sdiaft verpflichtet, woraus folgt, daß jeder Ehegatte das Vermögen des anderen vor Schulden zu bewahren hat 141 . Eine solche Garantenpflicht i. S. der unechten Unterlassungsdelikte 142 steht aber noch keineswegs der selbständigen Vermögensfürsorgepflicht gleich, die für den Treubruchtatbestand gefordert werden muß. Sie ergibt sidi für den vorliegenden Fall insbesondere auch nidit aus der Unterhaltsverpflichtung der Ehegatten 143 . Zwar hat das Reichsgericht144 ausgeführt, die eheliche Lebensgemeinschaft begründe ein Treueverhältnis, als dessen wesentliche Pflicht die Wahrnehmung der Vermögensinteressen des anderen Ehegatten erscheinen könne. Das Gericht mußte jedoch einen ganz anderen Fall als den vorliegenden entscheiden: Dort hatte eine Ehefrau ihren wegen Geistesschwäche entmündigten Mann, der mit ihr zusammenlebte, geschädigt. Bei derartigen besonderen Umständen ist es allerdings gerechtfertigt, aus der Ehe eine selbständige Vermögensfürsorgepflicht zu folgern. Es wäre aber ein Fehlschluß, dieselbe Pflicht auch dann anzunehmen, wenn beide Partner voll geschäftsfähig sind und durch ihre Trennung zum Ausdruck gebracht haben, daß jeder seine Angelegenheiten selbst regeln will. Denn gerade der Begriff Lebensgemeinschaft läßt erkennen, daß sich die Pflichten der Gatten nur unter Erwägung aller Umstände, unter denen die jeweilige Ehe geführt wird, ermitteln lassen. Aus diesem Grunde hat ein Ehemann zu dem Vermögen seiner von ihm getrennt lebenden Frau gar kein Verhältnis mehr, das es ihm gestattete, mit einer gewissen Selbständigkeit ihre Vermögensinteressen wahrzunehmen. Infolgedessen kann die Rechtsordnung ihm auch keine derartige Pflicht ansinnen. A ist also nicht wegen Untreue strafbar. 141
RGSt 64 S. 278; Palandt-Lauterbach, a . a . O . , Einf. vor § 1 3 5 3 Ziff. 1. 142 Das RG a. a. O. brauchte die Schadensabwendungspflicht für die Bestrafung eines Ehegatten wegen Brandstiftung durch Unterlassen. 143 Vgl. z. B. § 1361 BGB. 144 RGSt 70 S. 207.
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II.
203
Annahme des Zahlungsbefehls:
Schwere mittelbare Falschbeurkundung gem. §§ 272, 271 StGB Durch die Annahme des Zahlungsbefehls könnte A sich einer schweren mittelbaren Falschbeurkundung schuldig gemacht haben. Gem. § 190 ZPO ist von dem Zustellungsbeamten über die Zustellung eine Urkunde aufzunehmen. Sie hat nach § 191 Ziff. 4 ZPO die Bezeichnung der Person, an die zugestellt worden ist, zu enthalten, wobei, wenn gem. § 181 ZPO zugestellt wird, der Grund, durch den diese Zustellungsart gerechtfertigt ist, in der Urkunde, die eine öffentliche Urkunde i. S. des § 415 ZPO ist145, angegeben werden muß. Es wäre denkbar, daß der Umstand, der im vorliegenden Fall die Ersatzzustellung rechtfertigte — nämlidi das Zusammenleben der Ehegatten —, mit öffentlichem Glauben, also mit Beweiskraft für und gegen jedermann beurkundet worden ist. Nur im Falle des Zusammenlebens der Ehegatten hätte der Zahlungsbefehl nach § 181 ZPO zugestellt werden dürfen. Deshalb fragen die Zustellungsbeamten gewöhnlich auch, ob der Empfänger wirklich „Hausgenosse" sei. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob daraus schon folgt, daß dieses Zusammenleben nun auch als „Tatsache" beurkundet wurde. Dieses Problem läßt sich nicht mit der aus § 415 ZPO hergeleiteten Urkundendefinition und der in § 417 ZPO bestimmten Beweiskraft lösen. Denn in den schwierigen Fällen geht es fast niemals um die Frage, ob eine öffentliche Urkunde mit Beweiskraft für und gegen jedermann vorliegt; denn das ist — wie auch hier — meist der Fall. Die Zweifel entstehen regelmäßig erst, wenn geprüft wird, was denn nun der bewiesene Inhalt dieser öffentlichen Urkunde sei. Wissenschaft und Praxis haben es bisher nicht vermocht, dem insoweit völlig unbestimmten Tatbestand des § 271 Konturen zu geben. Die Folge ist eine z. T. willkürlich anmutende 145
Stein-Jonas, a. a. O., § 191 Anm. I.
204
Einübung in die Fallbearbeitung
Kasuistik in der Rechtsprechung146 und große Unsicherheit im Schrifttum 147 . Von einem Zusammenleben der Ehegatten steht in der Zustellungsurkunde nichts. Wenn audi der die Ersatzzustellung rechtfertigende Grund in der Urkunde angegeben werden muß, so ist der Status Ehemann Reditfertigungsgrund genug. Es genügt daher, wenn der Zustellungsbeamte in die Urkunde aufnimmt, daß die Empfangsberechtigte abwesend war und deshalb an den Ehemann zugestellt worden ist 148 . Daß dahinter letztlich die Vorstellung steht, die Schuldnerin wohne auch bei ihrem Gatten, hat zumindest in der Urkunde selbst keinen sichtbaren Ausdruck gefunden. Man würde den Anwendungsbereich des § 271 StGB über Gebühr ausdehnen, wenn auch die angenommenen Voraussetzungen, denen der Urkundeninhalt seine Existenz verdankt, als beurkundet gelten sollten. Das angenommene Zusammenleben der Ehegatten war deshalb Grund dafür, daß die Urkunde diesen Inhalt erhielt, es war aber nicht der Inhalt selbst. Darum ist im anstehenden Fall weder beurkundet worden, daß die Ehegatten „Hausgenossen" sind, noch daß die Zustellung wirksam erfolgt ist. Urkundeninhalt ist allein, daß der Zahlungsbefehl im Wege der Ersatzzustellung an den Ehemann übergeben worden ist. Danach ist nichts Unrichtiges beurkundet worden, so daß der Tatbestand des § 271 StGB entfällt. I I I . Einbehalten des Zahlungsbefehls Urkundenunterdrückung gem. § 274 I Ziff. 1 StGB A könnte sich durch Unterdrücken des Zahlungsbefehls eines Verstoßes gegen § 274 I Ziff. 1 StGB schuldig gemacht haben. 146 Ygj ¿ig unterschiedliche Beurteilung hinsichtlich der Personalien in Geriditsprotokollen (z. B. RGSt 46 S. 112) und Urteilen (z.B. RGSt 41 S. 201) einerseits — und in Strafvollzugsprotokollen (BGH LM Nr. 7 zu § 271) andererseits. 147
Vgl. z. B. Maurach, a. a. O., S. 493, 494 und Schönke-Sdiröder, a . a . O . , § 2 7 1 Rdn. 22, 23; w o sich keine Kriterien finden, sondern nur Kasuistik wiedergegeben wird. 148 Wieczorek, a. a. O., § 191 B II d; B G H LM Nr. 1 zu § 181 ZPO; OLG Karlsruhe OLGE 2 S. 424.
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205
Der Zahlungsbefehl „gehörte" dem A nicht, unabhängig davon, ob man unter „gehören" eine dingliche Berechtigung versteht 149 oder aber mit der überwiegenden Meinung darunter das Recht begreift, diese Urkunde im Rechtsverkehr zu benutzen 150 . Als Unterdrücken i. S. dieser Vorschrift muß jedes Verhalten angesehen werden, welches die Benutzung der Urkunde im Rechtsverkehr durch den Berechtigten unmöglich macht 151 . Es könnte im vorliegenden Fall in dem Niditweiterleiten des Zahlungsbefehls an Frau A bestehen. Das Niditweiterleiten ist aber ein bloßes Nichtstun, ein Unterlassen. Will man auch ein solches Unterlassen als ein Unterdrücken ansehen, so ist es notwendig, eine Rechtspflicht zum "Weiterleiten zu konstruieren. 1.
Rechtspflicbt zum Weiterleiten
Eine Ersatzzustellung ist in der ZPO einer direkten Zustellung an den Adressaten völlig gleichgestellt. Das Reichsgericht152 weist darauf hin, daß diese Gleichstellung hinsichtlich der Wirkungen niemals gerechtfertigt wäre, wenn das Gesetz nicht davon ausginge, daß das Schriftstück auch an den Adressaten gelange. Eine solche Annahme entbehre aber der rechtlichen Grundlage, wenn den Entgegennehmenden nicht auch die Rechtspflicht träfe, das Schriftstück weiterzuleiten. Wer ein Schriftstück für einen anderen entgegennimmt, gibt damit zu erkennen, daß er es in die Hände desjenigen gelangen 149
RGSt 33 S. 290.
Maurach, a . a . O . , S . 4 9 1 ; Tröndle, L K , 9. Aufl., § 2 7 4 Rdn. 5 ; Sdiönke-Schröder, a . a . O . , § 2 7 4 Rdn. 5 ; ähnl. B G H S t 6 S. 2 5 4 — die jedoch als „Berechtigten" nur den Beweisberechtigten anerkennen, was zu eng ist, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Die Erlangung eines Zahlungsbefehls hat für den Adressaten nämlich weniger die Bedeutung, ein Beweismittel in die H a n d zu bekommen, als vielmehr eine amtliche Mitteilung zu erhalten, die ihn in den Stand setzt, rechtzeitig zur Abwendung eines Schadens die geeigneten Schritte zu unternehmen (vgl. RGSt 20 S. 414). 150
1 5 1 Sdiönke-Sdiröder, a . a . O . , § 2 7 4 Rdn. 9 ; RGSt 20 S . 4 1 5 , wo auch das Verheimlichen zutreffend als unter Wortlaut und Zweck des § 274 fallend angesehen wird. 152
RGSt 49 S. 145.
206
Einübung in die Fallbearbeitung
lassen wolle, für den es bestimmt ist. Denn anderenfalls hätte ihm der Zustellungsbeamte die Urkunde gar nidit ausgehändigt. Mit diesem Verhalten ist A die Verpflichtung eingegangen, auch für den mit einer Zustellung erstrebten Erfolg, nämlich die Aushändigung an Frau A, zu sorgen. Wenn er diese Pflicht nicht auf sich nehmen wollte, hätte er die Entgegennahme ablehnen müssen. Aus diesem Grunde ist dem Gedankengang des Reidisgeridits zuzustimmen. Deshalb ist es im vorliegenden Fall nicht notwendig, eine Rechtspflicht zum Weiterleiten aus der ehelichen Lebensgemeinschaft, aus vorangegangenem gefährdendem Tun oder gar aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu begründen. A hat mithin den objektiven Tatbestand des § 274 I Ziff. 1 verwirklicht. 2.
Vorsatz und
Benachteiligungsabsicht
A hat auch wissentlich und willentlich gehandelt. Die Urkundenunterdrückung muß in der Absicht ausgeführt worden sein, einem anderen Nachteile zuzufügen. Nachteil i. S. des § 271 I Ziff. 1 ist gerade der Schaden, der dem Berechtigten daraus erwächst, daß er die Urkunde im Rechtsverkehr nicht nutzen kann 153 . Ob Absicht im § 274 Beweggrund154 oder lediglich direkten Vorsatz bedeutet155, mag dahinstehen, da es A gerade um den Nachteil ging, den seine Frau dadurch erlitt, daß sie den Zahlungsbefehl nicht in die Hand bekam. Daß A neben dieser Benachteiligungsabsicht auch seinen eigenen Vorteil verfolgte, spielt für die Absicht keine Rolle 158 . Mauradi, a . a . O . , S. 491; Schönke-Sdiröder, a . a . O . , § 274 Rdn. 16. 154 RGSt 59 S. 18; Frank, a . a . O . , § 274 Anm. I 3; v. Hippel, a . a . O . , S. 348 Anm. 10; Kohlrausdi-Lange, a . a . O . , § 2 7 4 Anm. III. 155 So RG H R R 1936 Nr. 1026; BGH LM Nr. 1 zu § 274; Tröndle, LK, 9.Aufl., § 2 7 4 Rdn. 21; Schönke-Schröder, a . a . O . , § 2 7 4 Rdn. 15. 153
156 So schon RGSt 10 S.391; im übrigen vgl. OLG Celle N J W 1966 S. 558; BayObLG N J W 1968 S. 1897.
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Da A auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, ist er wegen einer Urkundenunterdrückung strafbar. IV. ö f f n e n des Umschlags, in dem sich der Zahlungsbefehl befindet 1.
Verletzung des Briefgeheimnisses gem. § 299 StGB
a) Der Sachverhalt sagt nicht, ob A den verschlossenen Umschlag geöffnet hat, in dem sich der Zahlungsbefehl befand. Weil das jedoch gut möglich ist, da A gewiß sehen wollte, ob der von B und ihm verfolgte Plan bisher Erfolg hatte, muß alternativ entschieden werden. Wenn A den Umschlag geöffnet hat, dann sind die Voraussetzungen des objektiven und des subjektiven Tatbestands des § 299 erfüllt. Das Eröffnen hätte unbefugt, d. h. rechtswidrig sein müssen157. Die Ehe gibt keinem Gatten das Recht, die an den anderen gerichteten Briefe zu öffnen 158 . Die Rechtswidrigkeit könnte aber durch Einwilligung in die Eröffnung durdi den Gatten ausgeschlossen sein. Eine solche Einwilligung, die bei normalen Beziehungen auch stillschweigend erteilt sein kann 159 , ist im vorliegenden Fall mit Sicherheit zu verneinen. Da auch Schuldausschließungsgründe nicht vorliegen, hat A — nur — bei dieser Fallgestaltung gegen § 299 verstoßen. b ) Straf antragsrecht A könnte nur verfolgt werden, wenn Strafantrag gestellt würde (§ 299 II). Zweifelhaft ist, ob das Amtsgericht, Frau A oder beide antragsberechtigt sind. Während eine Meinung es für maßgebend hält, wer Eigentümer des Schriftstücks sei160, stellen andere auf die Verfügungsberechtigung ab 161 . Eine dritte Meinung schließlich gibt dem157
Mösl, LK, 9. Aufl., § 299 Rdn. 6. Mösl, LK, 9. Aufl., § 299 Rdn. 6; Schönke-Sdiröder, a. a. O., § 299 Rdn. 7. 158 Mösl, LK, 9. Aufl., § 299 Rdn. 6. 160 Olshausen, a. a. O., § 299 Anm. 8. 161 Mösl. LK. 9. Aufl.. Rdn. 10. 158
208
Einübung in die Fallbearbeitung
jenigen das Antragsredit, „dem das Recht am Inhalt des Briefes zusteht" 162 . Dieser dritten Auffassung scheint deshalb der Vorzug zu gebühren, da sie allein berücksichtigt, daß ein verschlossenes Schriftstück das Briefgeheimnis des Absenders wie auch des Empfängers enthält 163 . 2.
Sachbeschädigung gem. § 303 StGB
Die in der Eröffnung des Umschlags liegende, ebenfalls nur auf Antrag (des Eigentümers) zu verfolgende Sachbeschädigung steht in Gesetzeskonkurrenz zu § 299 und tritt zurück 164 . V.
Vollstreckung durch den
Gerichtsvollzieher:
Strafbare Handlungen des A in mittelbarer Täterschaft durch den Gerichtsvollzieher kommen genausowenig in Betracht wie derartige Taten des B, vgl. dazu oben A I a, b, c, d. VI. Entgegennahme der zwei Hundertmarkscheine H e h l e r e i gem. § 2 5 9 S t G B
als
A nimmt zwei Hundertmarkscheine als seinen Beuteanteil von B entgegen. Damit hat er möglicherweise eine Hehlerei begangen. Die zwei Hundertmarkscheine sind durch einen Sachbetrug erlangt. A könnte sie an sidi gebracht haben. Es fragt sich jedoch, ob ein Mittäter der strafbaren Vortat bei der Beuteteilung überhaupt noch eine Hehlerei begehen kann. Diese Frage wird von der Rechtsprechung und Lehre einheitlich verneint 165 . Beim Sachbetrug verhält es sich ebenso wie bei der Unterschlagung und beim Diebstahl: Der Täter bringt die Sache in seine vollständige Verfügungsgewalt. Kennzeichnend f ü r das 162
Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 299 Rdn. 10. Für den vorliegenden Fall will Mösl, LK, 9. Aufl., § 299 Rdn. 10 nur den Empfänger als Antragsberechtigten ansehen; ebenso RG LZ 14 S. 195 und KG LZ 16 S. 1269. 164 Mösl, LK, 9. Aufl., § 299 Rdn. 9. 163
185
RGSt 34 S. 304, 73 S. 324; BGHSt 7 S. 137; Mauradi, a . a . O . , S. 376; Otto, Struktur, S. 323 f; Ruß, LK, 9. Aufl., § 2 5 9 Rdn. 31; Welzel, a. a. O., S. 399.
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209
Ansichbringen des § 259 ist die wissentlich-eigennützige Aufrechterhaltung einer widerrechtlidi geschaffenen Vermögenslage 1 6 6 dergestalt, daß der Täter eine unmittelbare, selbständige Herrschaftsmacht über die Sache begründet 167 . Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, daß täterschaftliche Beteiligung an der Vortat Hehlerei schlechthin ausschließt. Denn was sich bereits in der umfassenden Verfügungsgewalt befindet, kann dorthin nicht mehr überführt werden. Man könnte erwägen, ob alles dies für einen Mittäter nicht gelte, der an der Sacherlangung nicht eigenhändig beteiligt war. Weil dem Mittäter die ganze Tatausführung mit allen Handlungen des Tatgenossen als eigene zugerechnet wird, geht dieser Einwand jedoch fehl. Denn für die Herrenstellung zur Sache ist es nicht entscheidend, wer von zwei Mittätern die Sache in die Hände bekommen hat, wenn dieser vorläufige Zustand auf einverständlichem Wollen und Zusammenwirken beruht. A hat demnach keine Hehlerei begangen. C.
Verhalten des B (Zweiter Teil)
Einbehalten des Zahlungsbefehls als Urkundenunterdrüdsung in Mittäterschaft gem. §§ 25 I I , 274 I 1 StGB (§§ 47, 274 I S t G B a. F.) B könnte Mittäter der von A begangenen Urkundenunterdrückung sein. Es käme allein eine Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen in Betracht. Dann müßte dem B die Rechtspflicht obgelegen haben, für die Weiterleitung des Zahlungsbefehls an Frau A zu sorgen. Es erscheint denkbar, daß B aus vorangegangenem gefährdendem Tun eine Garantenstellung innegehabt hat, aus der die Pflicht folgte, Frau A eine Erlangung des Zahlungsbefehls zu ermöglichen. Dadurch, daß B durch deliktisches Verhalten (Beginn des Betrugs, vgl. oben A I 2b, aa)) den Zahlungsbefehl erwirkte und mit A absprach, daß dieser ihn annehmen und zurückhalten sollte, hat B das Vermögen der Frau A gefährdet, da ihr 166
Maurach, a . a . O . , S. 3 6 3 ; Otto, Struktur, S. 320 ff.
RGSt 56 S. 3 3 5 ; BGHSt 5 S. 4 9 ; eingehend in Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lehren: Otto, Struktur, S. 236 ff, 320 ff.
167
14 O t t o , Ü b u n g e n im S t r a f r e c h t
210
Einübung in die Fallbearbeitung
gerade die Urkundenposition entzogen zu werden drohte, derer sie bedurfte, um einen Schaden abzuwenden. Deshalb traf den B eine edite Erfolgsabwendungspflicht, der er nicht nachgekommen ist168. Da der Betrug nur gelingen konnte, wenn A den Zahlungsbefehl unterdrückte, muß auch hier ein arbeitsteiliges Zusammenwirken auf Grund eines gemeinsamen Tatentschlusses angenommen werden. B ist deshalb wegen einer in Mittäterschaft begangenen Urkundenunterdrückung strafbar. D. I.
Konkurrenzen Straftaten des B
B hat einen Betrug und eine Urkundenunterdrückung durch Unterlassung begangen. Zwischen dem Betrug und der Urkundenunterdrückung könnte Realkonkurrenz gem. § 53 StGB (§ 74 StGB a. F.) bestehen. Dafür wäre Voraussetzung, daß diese beiden Straftatbestände durch zwei selbständige Handlungen verwirklicht worden sind. Ob eine Mehrheit oder eine Einheit von Handlungen vorliegt, darüber entscheidet die natürliche Betrachtungsweise169. B's Betrugshandlungen lagen in der Erwirkung von Zahlungsund Vollstreckungsbefehl. Die Urkundenunterdrückung hat er dadurch begangen, daß er einen Erfolg nicht abgewendet, die dazu nötigen Handlungen nicht vorgenommen hat. Wenn auch zwischen diesen beiden Verhaltensweisen ein Zusammenhang bestand, und wenn auch mit ihnen auf Grund desselben Entschlusses derselbe Zweck verfolgt wurde, so sind 168 Es kann daher dahinstehen, ob nur rechtswidriges oder rechtmäßiges voraufgegangenes gefährliches Tun eine Garantenpflidit begründet — dazu vgl. einerseits Schmidhäuser, a . a . O . , S. 539; andererseits Baumann, a. a. O., S. 237 ff —, oder ob das wesentliche Kriterium dieser Garantenstellung in einer den eigenen Handlungsraum überschreitenden Gefährdung fremder Rechtsgüter liegt, deren Realisierung dem Täter vermeidbar ist, so Otto,Maurach-Festschrift, S. 102.
»» Sdiönke-Schröder, a. a. O., § 74 Rdn. 5.
Referendarhausarbeit
211
sie dennoch nach natürlicher Betrachtungsweise selbständig170. Ergebnis: §§ 263, 274, 25 II, 53 StGB (§§ 263, 274, 47, 74 StGB a. F.). II.
Straftaten des A
Weil A und B den Betrug und die Urkundenunterdrückung als Mittäter ausgeführt haben, gilt für A insoweit dasselbe Ergebnis wie für B. Darüber hinaus hat A jedoch durch eine weitere selbständige Handlung u. U. (vgl. oben B IV) eine Verletzung des Briefgeheimnisses begangen. Ergebnis: §§ 263, 274, 25 II, 299, 53 StGB (§§ 263, 274, 47, 299, 74 StGB a. F.).
170
Dazu, daß Einheit von Entschluß und Zweck Tatmehrheit nicht ausschließt, vgl. RGSt 56 S. 59; Schönke-Schröder, a. a. O., § 74 Rdn. 4.
w
Walter de Gruyter Berlin-New York
DE
G Heinz
Zipf
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