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German Pages 283 Year 1990
SCHRIFTENREIHE DES IFO-INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG Nr. 126
IFO-INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
Bundesrepublik und Binnenmarkt '92 Perspektiven für Wirtschaft und Wirtschaftspolitik
Von
Anneliese Herrmann Wolfgang Ochel und Manfred Wegner
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN · MÜNCHEN
Die Kapitel I , 2, 7 und 9 wurden von Manfred Wegner, die Kapitel 5, 6 und 8 von Wolfgang Ochel und das Kapitel 4 von Anneliese Herrmann verlaßt, das Kapitel 3 entstand in Gemeinschaftsarbeit. Die Schreibarbeiten und Gestaltung hat Katharina Hage-Maier ausgeführt. An der Vorbereitung der Statistiken hat Else Göpfert mitgearbeitet. Die Autoren möchten Wolfgang Gerstenberger, Rolf-Ulrich Sprenger, Uwe Christian Täger und Kurt Vogler-Ludwig für Zuarbeit, Kritik und zahlreiche Verbesserungsvorschläge danken.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bundesrepublik und Binnenmarkt '92 [zweiundneunzig]: Perspektiven für Wirtschaft und Wirtschaftspolitik I von Anneliese Herrmann, Wolfgang Ochel u. Manfred Wegner. IFO-Inst. für Wirtschaftsforschung. - Berlin; München: Duncker u. Humblot, 1990 (Schriftenreihe des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung; Nr. 126) ISBN 3-428-06863-7 NE: Herrmann, Anneliese [Mitverf.]; Ochel, Wolfgang [Mitverf.]; Wegner, Manfred [Mitverf.]; Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung (München): Schriftenreihe des Ifo-Instituts ...
Alle Rechte vorbehalten
© 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0445-0736 ISBN 3-428-06863-7
VORWORT Der ersten Euphorie über die Verwirklichung eines Europäischen Binnenmarktes bis 1992 ist eine Phase der Ernüchterung gefolgt. Die Durchsetzung des Binnenmarktprogramms gestaltet sich schwieriger als erwartet. Erst allmählich werden die Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik sichtbar. Die vorliegende Studie, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft durchgeführt wurde, versucht, die gesamtwirtschaftlichen, strukturellen und sozialen Auswirkungen zu erfassen. Sie untersucht darüber hinaus, welche Folgen der Europäische Binnenmarkt für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik haben könnte. Die Arbeit wurde im November 1989 abgeschlossen. Bei der Durchführung der Untersuchung wurde das Ifo-Institut von zahlreichen Personen und Institutionen unterstützt. Ihnen möchten wir an dieser Stelle danken. Besonders hervorheben möchten wir die Hilfestellung durch die Dienststellen der EG-Kommission. München, im November 1989 Prof. Dr. Karl Heinrich Oppenländer Präsident des Ifo-lnstituts für Wirtschaftsforschung, München
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung ....................... .. .................... ....................... ... . .. . 2. Neues Integrationskonzept und grundlegende Liberalisierungsbereiche . . . .
5
2.1 Neue Rahmenbedingungen und neues Integrationskonzept . .. .. . ... . .... .. . .
6
2.2 Die grundlegenden Liberalisierungsbereiche .... ... . . ... . ... .. . . .... .. .. . . .. .
10
2.2.1 Beseitigung der Grenzkontrollen und -formalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
2.2.2 Abbau von technischen Handelshemmnissen (Normen, technische Vorschriften, Prüfungs- und Zulassungsverfahren) .. .. . . . . . . . . . . . .. . . .. .. .
13
2.2.3 Liberalisierung der Dienstleistungen und Kapitalmärkte . . . . . . . . . . . . . .
15
2.2.4 Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .
18
2.2.5 Angleichung der Mehrwertsteuer und sonstiger Verbrauchsteuern
20
3. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen: Eine Wertung . ... . .. . . .. . . .. . . . ... . . .
22
3.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
3.2 Mikroökonomische Effekte . . ... .. . ... ... .. . . ... . . . . . ... . . . .. . . .. . . . . .. .. . . . . . . .
31
3 .2.1 Die Grundstruktur des mikroökonomischen Partialansatzes . . . . . . . . . .
31
3.2.2 Stufenansatz zur Quantifizierung der Wohlfahrtseffekte . . . . . . . . . . . . . .
33
3.2.2.1 Stufe 1: Direkte Vorteile des Abbaus von Handelsschranken
34
3.2.2.2 Stufe 2: Die Auswirkungen des Abbaus von Marktbarrieren auf die Produktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
3.2.2.3 Stufe 3: Die Auswirkungen der Nutzung von Größenvorteilen
39
3.2.2.4 Stufe 4: Die Auswirkungen des verstärkten Wettbewerbs . . . .
40
3.2.3 Methodische Kritik am mikroökonomischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
3.3 Makroökonomische Simulationen: ein kritischer Überblick . . . . . . . . .. .. . .. . .
47
3.3.1 Wichtige Simulationsergebnisse und gesamtwirtschaftliche Anstöße
49
3.3.2 Gesamtwirtschaftliche Folgen nach Ländern (bei unveränderter Marktpolitik) . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. . . .. .
52
3.3.3 Methodische Kritik und Gegenkritik . . . . .. .. .. . . . . . . . .. . . . . . .. . . .. .. .. .
55
3.3.4 "Konkurrierende" Simulationen der Binnenmarkt-Wirkungen . . . . . . . .
57
3.3.5 Wie plausibel sind die Gesamtergebnisse der Cecchini-Studien? . . . . .
60
3.4 Die Lücken des EG-Weißbuches und der Cecchini·Studien VII
65
4. Außenaspekte der Vollendung des EG-Binnenmarktes . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . ..
74
4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
4.2 Die Ausgangslage: Außenhandelspolitik und Protektionsgrad der EG in den achtziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
4.3 DJe Be_sei.~igung der EG-internen Handelsbarrieren und die Konsequenzen für Dnttlander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
4.3.1 Die EG-inteme Liberalisierung in einzelnen Bereichen . . . . . . . . . . . . . . .
78
4.3.2 EG-Schätzungen: Verstärkung des EG-Binnenhandels zu Lasten des Drittländerhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
4.4 Perspektiven der Außenhandelspolitik der EG nach der Realisierung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
4.5 EG-Außenhandelspolitik und die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . .
94
5. Strukturelle Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
5.1 Vom Europäischen Binnenmarkt betroffene Sektoren . ... . . . . . . .. . . . . . . . . . . ..
95
5.1.1 Der Befragungsansatz . . . . . ........ . . .. ...... . . . . . .... . ..... . .... . . . .... .
95
5.1.2 Der Ansatz des Cecchini-Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .
95
5.1.3 Der neue Ansatz der EG-Kommission . .. . . . .. . . . . . . . .. . . .. . ... . . .. . .. .
97
5.1.4 Der Ansatz von BIPE, Ifo und Prometeia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101
5.1.5 Zusammenfassung der Ergebnisse . . ... .. . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . .. . .. . .
102
5 .2 Auswirkungen auf die sektorale Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik
Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
5.3 Auswirkungen auf die regionale Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
6. Auswirkungen auf Beschäftigung und soziale Entwicklung . . .. . . .. . . . . .. .. . .
129
6.1 Gesamtwirtschaftliche Beschäftigungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
6.2 Die Arbeitskräftemobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
6.3 Die soziale Dimension des Binnenmarktes: Die Kernpunkte der Debatte . .
146
6.4 Löhne und Sozialkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156
7. Europäischer Binnenmarkt und Folgen für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
7.1 Institutionelle Ausgangsbedingungen und Formen wirtschaftspolitischer Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165
7.2 Erfordernisse und Grenzen wirtschaftspolitischer Koordinierung . . . . . . . . . . .
167
7.3 Binnenmarkt, Geld- und Währungspolitik und das EWS . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .
171
VIII
7 .3.1 Der unerwartete Erfolg des EWS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .
172
7.3.2 Währungspolitische Asymmetrie im EWS: eine dauerhafte Konstellation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178
7.3 .3 Wachsende Risiken außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte in der EG
183
7.4 Koordinierung der Haushalts- und Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
7.4.1 Abstimmung der nationalen Haushaltspolitik .. . ...... .. . . .. . . . . . . . . .. .
189
7.4.2 Angleichung der Steuerpolitik und Harmonisierung der Verbrauchsteuern ............... . ..................... . .... ................... . . . .. .
195
7.5 Mittel- und langfristige Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 8. Die Rückwirkungen des EG-Binnenmarktes auf die Wettbewerbs·, Umweltund Strukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8.1 Harmonisierung versus Wettbewerb der nationalen Regelungen . . . . . . ... . . . 209 8.2 Wettbewerbspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.2.1 Europäische Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 8.2.2 EG-Gruppen-Freistellungsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 8.2.3 Wettbewerbspolitik bezüglich staatlicher Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 8.3 Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 221 8.3.1 Auswirkungen des Binnenmarktprogramms auf die Umwelt . . .... . . . 221 8.3.2 Die Bedeutung des Binnenmarktprogramms für die Umweltpolitik 226 8.3.3 Die problemadäquate Handlungsebene der Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . 229 8.4 Strukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 8.4.1 Abbau von Subventionen . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 8.4.2 Von der sektoralen zur regionalen Strukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 8.4.3 Forschungs- und Technologiepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 8.4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 9. Die Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257
TAB ELLENVERZEICHNIS Tab. 3.1:
Inputkoeffizienten zur Berechnung der Grenzbeseitigungs- und Marktintegrationseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
Tab. 3.2:
Wohlfahrtseffekte in der Europäischen Gemeinschaft durch die Vollendung des Binnenmarktes (Alternativrechnung lA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Tab. 3.3: Die Wohlfahrtseffekte des Binnenmarktes- Ergebnisse von Alternativrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
Tab. 3.4:
Gesamtwirtschaftliche Folgen des EG-Binnenmarktes auf mittlere Sicht
51
Tab. 3.5:
Gesamtwirtschaftliche Folgen für die EG insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
Tab. 3.6:
Gesamtwirtschaftliche Folgen nach Ländern und Bereichen . . . . . . . . . . . .
54
Tab. 3.7:
Prognos-Langfristprognosen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
Tab. 3.8:
Direkte Anstöße in den Simu1ationen des CPB und der EG-Komrnission ............................................... . ................. . . . .....
60
Tab. 3.9: Gesamtwirtschaftliche Folgen der Vollendung des EG-Binnenmarktes für die EG insgesamt .. .. .. . . . . . .. . . .. . . .. . . . . .. .. . . .. . . . ... .... .. . . .. . . . ..
61
Tab. 3.10: Langfristige Auswirkungen der kanadisch-amerikanischen Freihandelszone .. . .. .. . ... .. ... . ... . ..... . .......... . .................. ... . ..... . . . . . ..
65
Tab. 3.11: Mittel- und längerfristige Wirkungen der Freihandelszone für Kanada . . . .
66
Tab. 3.12: Makroökonomische Simulationsergebnisse für die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
Tab. 3.13: Nationale Beihilfen in den EG-Ländern .. ... . . .. . . .. ... .. ..... .... .. . . . . .
72
Tab. 3.14: Projektionen für 1990 - 91 und alternative Szenarien für die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Tab. 4.1:
Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen der EG-Länder 1987 . . . .. . . . . .
77
Tab. 4.2:
Nicht-tarifäre Handelsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
Tab. 4.3:
Zur regionalen und sektoralen Verteilung von Maßnahmen zum Ausschluß von der Gemeinschaftsbehandlung, 1975 bis 1988 .. . . ... .. . . . . .
89
Tab. 5.1:
Bedeutung der Hemmnisse, die einem EG-Binnenmarkt entgegenstehen
96
Tab. 5.2:
Ennittlung der empfindlichen Wirtschaftszweige: Versuch einer Typologie . ..................................................... . ......... . . . . . .. .
99
Tab. 5.3:
Sektorale Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes X
103
Tab. 5.4:
Liste der 40 sensiblen Wirtschaftszweige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
Tab. 5.5.
Die Wettbewerbsfaltigkeil deutscher Unternehmen in sensiblen Wirtschaftszweigen an Hand verschiedener Indikatoren, 1985 - 87 . . . . . . . . . .
111
Tab. 5.6:
Beschäftigung und Wertschöpfung in sensiblen Wirtschaftszweigen nach dem Grad der Wettbewerbsfaltigkeit, 1985 . . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .
112
Tab. 5.7: Veränderung der Wettbewerbsfaltigkeil deutscher Unternehmen in sensiblen Wirtschaftszweigen an Hand verschiedener Indikatoren ( 1985 87 I 1980- 82) ......... . . . .... ............... . . . .................. . ... . . . . .
114
Tab. 5.8:
Nachfrageentwicklung und Wettbewerbsfaltigkeil der sensiblen Industriezweige in der Bundesrepublik . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116
Tab. 5.9:
Preisabweichungen für ausgewählte Finanzdienste gegenüber dem Durchschnitt der vier günstigsten Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
Tab. 6.1:
Beschäftigungseffekte des Binnenmarktprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
Tab. 6.2:
Gesamtwirtschaftliche Folgen der Vollendung des EG-Binnenmarktes in Verbindung mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
Tab. 6.3:
Produktivitätsannahmen der Simulationsrechnungen... .. . . .. . . . . . . . . . . . .
135
Tab. 6.4:
Ausländische Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft
140
Tab. 6.5:
Ausländische Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft nach Herkunftsländem, 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
Tab. 6.6:
BIP pro Kopf zu laufenden Preisen und Kaufkraftstandards .. . . . . . . . . . .
144
Tab. 6.7:
Zahl der Arbeitslosen in der EG, 1961-90 . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . .
146
Tab. 6.8:
Zahl der Erwerbstätigen in der EG, 1961-90 . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . .
147
Tab. 6.9: Lohnkosten in der EG 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
Tab. 6.10: Veränderung der Lohnkosten in der EG . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . .
159
Tab. 6.11: Personal- und Personalnebenkosten in der Industrie der EG, 1984 . . . . .
161
Tab. 7.1:
Konvergenz der Preis- und Lohnentwicklung in der EG . . . . .. . . . . . . . . . .
176
Tab. 7.2:
Leistungsbilanzen in der EG . .. . .. ... .. . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .
184
Tab. 7.3:
Handels- und Leistungsbilanz der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . .
185
Tab. 7.4:
Wachstumsgeflille in der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186
Tab. 7.5: Budgetdefizite bzw. -Überschüsse in der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 3.1: Handelsschaffende und handelsablenkende Effekte einer Zollunion . . . . .
24
Abb. 3.2: Marktgröße und Nutzung von Größenvorteilen . . ... . .. . . . . .. . . .. . . . . . . ...
26
Abb. 3.3: Mikroökonomische Handelsgewinne bei unvollkommenem Wettbewerb
27
Abb. 3.4: Mikroökonomische Auswirkungen der EG-Marktintegration . .. . . . . . . . ..
34
Abb. 3.5: Die wesentlichen makroökonomischen Mechanismen, die durch die Vollendung des Binnenmarktes ausgelöst werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
Abb. 5.1: Clusteranalyse Wettbewerbsfähigkeit . . . .. . . . . .. . . . . .. . .. . .. . . .. .. . . . . . . . . .
126
Abb. 6.1 : Entwicklung der Beschäftigung . . .. . .. .. . . .. . . .. .. . . .. .. . . . . . .. . .. . . . .. . . ..
132
Abb. 6.2: Reales BIP und Erwerbstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
Abb. 7.1: Innergemeinschaftliche Ausfuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
Abb. 7.2: Verbraucherpreise in der EG ................... . . . ................. . ...... .
174
Abb. 7.3: Ein Wachstumsvergleich: BRD und EG (12) . . . . .. . .. . .. . .. . . .. . . . . . . .. . . 206 Abb. 8.1: Problemadäquate Handlungsebenen nach Arten von Umweltproblemen . . . 232
1. E;nle;tung Europa ist in Aufbruchstimmung. Der Initiative zur "Vollendung des Europäischen Binnenmarktes" ;st bisher ein unerwartetes Echo beschieden. Seit 1988 hat das Thema auch in der Bundesrepublik eine erstaunliche Aktualität gewonnen. Das Kennwort "Europa 1992" beflügelt die Vorstellungskraft der Politiker, beschäftigt die Strategen in den Chefetagen und die Unternehmensberater und bewegt die Medien und die breite Öffentlichkeit. Der Schwung bei der Vorbereitung auf den großen Binnenmarkt ohne Grenzen wird sich fortsetzen. Die Euphorie des europäischen Aufbruchs nach einer langen Phase der Verdrossenheit und des Selbstzweifels läßt das ehrgeizige Vorhaben heute bereits wie einen irreversiblen Prozeß erscheinen. Nach der anfänglichen Begeisterung sind aber auch tiefverwurzelte Befürchtungen und Ängste sichtbar geworden. Die deutschen Gewerkschaften fUrchten den Verlust ihrer hohen Sozialstandards. Die UmweltschOtzer sehen mit der "Entfesselung der Marktkräfte" Gesundheit und Lebensqualität gefährdet. Die sozialen Randschichten fühlen sich von den Zurückgebliebenen in den weniger entwickelten Ländern und die kleineren und mittleren Betriebe von den Großunternehmen bedroht . Die Bürger sorgen sich um Kriminalität, Drogeneinfuhr und Terrorismus, die mit der Beseitigung der Grenzformalitäten zunehmen könnten. Dem Elan der ersten Jahre ist eine Phase der Ernüchterung gefolgt . Der Kurs bei der Durchsatzung der Binnenmarktaktionen ist rauher geworden. Die Liste der noch ungelösten Probleme verspricht heftige Auseinandersetzungen. Es gibt Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit und das Ausmaß einer Harmonisierung der Mehrwertsteuer und über die Abschaffung der Grenzkontrollen. Die Debatte über den Ausbau der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik (z.B . einer vorbeugenden Fusionskontrolle) und über die Absieheruns der "sozialen Dimension" hält an. Im Drängen einiger Mitgliedstaaten, den Fortgang der Binnenmarktintegration möglichst bald mit institutionellen Fortschritten bei der Währungsintegration zu verbinden, wird eine gefährliche Belastung des
Integrationsprozesses gesehen, da die Bereitschaft für echte Souveränitätsübertragungen weiterhin fehle und eine Spaltung der Gemeinschaft drohe, solange sich Großbritannien vom EWS ausschließt. Schließlich bleibt bis heute auch die Frage nach dem Grad der Offenheit der Gemeinschaft nach außen unbeantwortet und damit die Furcht vor einer "Festung Europa" bestehen. Die Liste ist ein Indiz für die vielen Risiken, die den Prozeß der Marktintegration in den kommenden Jahren ernsthaft beeinträchtigen können. Mit der Vertiefung der Diskussion und der Ausarbeitung von spezifischen Vorschlägen werden auch die Schwierigkeiten und Anpassungskosten in den betroffenen Bereichen und Regionen spürbar werden. Damit wächst die Gefahr, daß die Gesamtvorteile des Unternehmens zunehmend übersehen werden und die Widerstände bestimmter sektoraler Gruppen den Elan der marktoffenen Europäer bremsen. Ein sich potentiel.l vielleicht selbstverstärkender Integrationsprozeß könnte auf diese Weise sogar wieder abgewürgt werden. Weder das Weißbuch noch die Einheitliche Europäische Akte sind eine Garantie für das Gelingen des ehrgeizigen Planes. Der "31. Dezember 1992" ist ein politisches Datum, das juristisch nicht einklagbar ist. Das Gutachten unternimmt den Versuch, die wichtigsten Anpassungsbereiche zu identifizieren und die Debatte über die notwendigen Rahmenbedingungen und wirtschaftspolitischen Folgen einzuleiten, die mit der Vollendung des EG-Binnenmarktes verbunden sind. Im Kapitel 2 werden die Gründe und Rahmenbedingungen ausgeführt, die dem Binnenmarktprojekt eine neue Chance geben, realisiert zu werden. Das neue Integrationskonzept und die wichtigsten Liberalisierungsbereiche werden im überblick dargestellt. Der Anpassungsprozeß wird um so reibungsloser verlaufen, je größer die wirtschaftlichen Vorteile ausfallen, die mit der Vollendung des Binnenmarktes für die Verbraucher und Unternehmer ausgelöst werden. Es ist daher erforderlich, in Kapitel 3 ein nüchternes Urteil über die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen für die Gemeinschaft und die Bundesrepublik vorzulegen. 2
In dem anschließenden Kapitel 4 werden die Probleme der Außenbeziehungen und die Rolle der Bundesrepublik bei der öffnung nach außen im überblick erörtert. Die damit angeschnittenen Fragen verdienen eine Vertiefung in einem späteren Forschungsprojekt. Die Anpassungen als Folge des verschärften Wettbewerbs im großen europäischen Markt haben sektorale und regionale Implikationen, die im folgenden Kapitel 5 untersucht werden, in dem auf die potentiellen Schwachstellen der deutschen Volkswirtschaft verwiesen wird. Auf detaillierte Analysen der sektoralen und regionalen Veränderungen muß dabei verzichtet werden. Das anschließende Kapitel 6 untersucht die wichtigen Fragen der Beschäftigungswirkungen des Binnenmarktplans und die Probleme der Arbeitsmobilität und der Lohn- und Sozialkosten, die in die schwierige Debatte Ober die "soziale Dimension" einmünden. In den beiden Kapiteln 7 und 8 wird dann schließlich auf die wirtschaftspolitischen Herausforderungen fUr die Bundesrepublik eingegangen. Das Kapitel 7 analysiert die gesamtwirtschaftlichen Folgen des Binnenmarkts und die Erfordernisse und Probleme bei der Koordinierung der Geld- und Währungs- und der Finanzpolitik und geht auf die Debatte der Steuerharmonisierung ein. Das Kapitel 8 behandelt die mikroökonomischen und strukturellen Anpassungsprobleme vor allem fUr die Wettbewerbs-, Umwelt- und Strukturpolitik. Die wichtigsten Auswirkungen fUr die Bundesrepublik Deutschland werden in Kapitel 9 zusammengefaßt. Das Forschungsvorhaben kann angesichts der FUlle der aufgeworfenen Probleme nur eine GesamtObersicht bieten und nicht in die Einzelheiten eintreten. Es kann daher auch kein Leitfaden mit detaillierten Handlungsanweisungen, weder fUr die unternehmen und Verbände noch fUr die Wirtschaftspolitiker, sein. Die "stille Revolution" bzw. der "Schock" des
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verschärften internen und internationalen Wettbewerbs durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes wird vieles in Frage stellen, was gestern noch selbstverständlich war. Die Anstrengungen zur Herausbildung eines echten Binnenmarktes werden weit in die neunziger Jahre hineinreichen und viel mehr als nur die DurchsetzunQ der im Weißbuch aufgeführten Aktionen umfassen. Damit sind Veränderungen vieler Wettbewerbsbedingungen und Verhaltensweisen verbunden, die vielfach auch ohne den Europäischen Binnenmarkt unvermeidlich geworden wären. Bei der Vorbereitung auf die komplexen Anpassungsvorgänge kann der Ökonom der Wirtschaftspolitik nur einen Orientierungsrahmen geben. Die Höhe der Wohlstandsge~inne und der Anpassungskosten wird aber letztlich davon abhängen, wie rasch sich die Wirtschaften der Gemeinschaft, die Unternehmen, Sozialpartner und Verbraucher auf die neuen Rahmenbedindungen einstellen .
2. Neuea Integrationskonzept und grundlegende rungabereiche
Liberalisie-
Die Schaffung eines großen Europäischen Binnenmarktes wird von manchen als das ehrgeizigste Vorhaben seit dem Beginn der Europäischen Gemeinschaft oder zumindest als die bedeutendste Initiative in der Integrationspolitik dieser Dekade betrachtet. Das Paradoxe daran ist, daß der Binnenmarktplan im Grunde die ursprünglichen Ziele des Rom-Vertrages von 1957 wieder aufnimmt. Der Gemeinsame Markt mit seinen fünf wirtschaftlichen Grundfreiheiten 1 l sollte damals vor 30 Jahren bi~ zum Ende der zwölfjährigen Übergangszeit, also bis Ende der sechziger Jahre, verwirklicht sein. Der Gemeinsame Markt blieb jedoch unvollendet (Pelkmans 1987a). Im Kern wurde in den sechziger Jahren nur die Zollunion für Industrieprodukte geschaffen. Auf bestimmten Märkten (wie im öffentlichen Beschaffungswesen) fehlt fast jede Spur von innergemeinschaftlichem Austausch. Die Liberalisierung der Kapitalmärkte ist bereits in den frühen sechziger Jahren steckengeblieben und der Dienstleistungsmarkt größtenteils von den Integrationsbemühungen ausgespart worden. Der gemeinsame" Agrarmarkt funktioniert nur auf den Krücken administrativer Preise und kostspieliger Interventionen. Für das Stocken des ursprünglich geplanten Integrationsvorganges sind viele Gründe verantwortlich gewesen, wie z.B. - die mehrfachen Erweiterungen der ursprünglichen SechserGemeinschaft auf zwölf Mitglieder, die beträchtliche politische Energien absorbiert und hohe Reibungsverluste erzeugt haben; -die weltwirtschaftliehen Schocks der siebziger Jahre von der ölpreisexplosion bis zum Zusammenbruch der internationalen Währungsordnung (Bretton Woods) -, welche tiefe Konjunktureinbrüche und unterschiedliche nationale Abwehrreaktionen ausgelöst und zu sichtbaren Desintegrationserscheinungen in der EG geführt haben; 1) Nämlich: die Freiheit des Warenverkehrs, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit, die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und die Freiheit des Zahlungs- und Kapitalverkehrs. 5
-die allmähliche Lähmung des politischen und wirtschaftlichen Einigungswillens, nachdem die großen Pläne zur Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion gescheitert waren, und schließlich - das perfektionistisch angelegte Harmonisierungskonzept der EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, das im Dickicht der nationalen Bürokratien steckenblieb oder von der Einstimmigkeitspraxis des Ministerrats blockiert wurde. Es war also nicht verwunderlich, daß sich die Mitgliedsländer in den siebziger Jahren in mehrfacher Hinsicht auseinanderentwickelten. Eine Springflut von nichttarifären Handelshemmnissen und Kapitalverkehrskontrollen breitete sich aus und führte zu einer deutlichen Abschwächung der Integrationsdynamik und damit letztlich auch des wirtschaftlichen Wachstums . Die Wachstumsschwäche traf die Gemeinschaft vor allem deshalb stärker als andere Industrieländer, weil die europäischen Länder immer enger miteinander verflochten und so voneinander abhängig geworden waren. Die Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit vieler europäischer Industrieländer traf zusammen mit dem Auftreten neuer Konkurrenten vor allem in Asien.
2.1
Neue Rahmenbedingungen und neues Integrationskonzept
Der Euro-Pessimismus erreichte Anfang der achtziger Jahre seinen Höhepunkt. Erst nach der Überwindung der Rezession von 1981/82 setzte eine Neubesinnung ein. Die europäischen Länder fanden allmählich wieder auf den alten Weg der wirtschaftlichen Einigung zurück. Die Wiederentdeckung der ursprünglichen Integrationsidee entstammt vielen Wurzeln. Die EG-Kommission und die Gemeinschaftsländer mußten erkennen, daß die bisherigen perfektionistischen Harmonisierungsbemühungen über die Rechtssngleichung völlig unzureichend und zu langwierig waren , um auf absehbare Zeit binnenmarktähnliche Bedingungen herzustellen. Dazu kam das praktizierte Einstimmigkeitsverfah-
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ren, mit dem auch Entscheidungen technischer und zweitrangiger Art abgewOrgt wurden. Noch wichtiger war, daß sich die europäischen Industrieunternehmen Ober das wirtschaftliche ZurOckbleiben Europas im weltweiten Wettbewerbskampf und Ober die unzureichende Investitionstätigkeit europäischer Firmen ernsthaft beunruhigten. Sie zeigten sich zunehmend unzufrieden mit den kleinräumig abgeschotteten und reglementierten Märkten und der Flut neuer nichttarifärer Handelsschranken in der Gemeinschaft. Schlfeßlich kamen hinzu die oft negativen Erfahrungen mit interventionistischen und sektoral orientierten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik, die Rückwendung zu marktwirtschaftlich gesteuerten Anpassungsprozessen, die Neuentdeckung der mikroökonomisch angelegten Angebotspolitik zur Revitalisierung der Wachstumskräfte und die positiven Auswirkungen von Deregulierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen in einigen Industrieländern. Die Grundlagen fOr den Aufbruch und das neue Selbstbewußtsein in Europa waren aber bereits frOher gelegt worden. Vor allem hatte der unerwartete Erfolg des Europ61achen WAhrungaayatems (EWS) (1979) einen Neuanfang im wirtschaftlichen Einigungprozeß mit sich gebracht und vor Augen geführt, daß die Gemeinschaft aus eigener Kraft zu gemeinsamen Lösungen finden kann. Als Folge der wirtschaftspolitischen Erfahrungen der Krisenjahre und des Mitterrand-Experiments (1981/82) und der disziplinierenden Wirkung des EWS hat sich seit dem Jahre 1983 eine erstaunliche Konvergenz der wirtschaftspolitischen Prioritäten der am EWS beteiligten Länder entwickelt, die vor allem im Rückgang des Inflationsgefälles und der durchschnittlichen Inflationsrate zum Ausdruck kam. Statt mit einer divergierenden Geldund Budgetpolitik - wie in den siebziger Jahren - den erreichten Integrationsgrad zu gefährden, zogen jetzt die EGMitgliedsländer wieder am gemeinsamen Strick der Globalpolitik und setzten damit den Rahmen, in dem sich die Verbesserungen des mikroökonomischen Anpassungsprozesses entfalten konnten. Die neue Integrationsstrategie der gegenseitigen Anerkennung von nationalen Normen und Vorschriften wurde im Weiß-
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buch der EG-Kommission (1985) als allgemeines Prinzip aufgenommen . Es basiert auf dem Artikel 30 des Rom-Vertrags, der besagt, daß "mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedstaaten verboten sind". Von vielen unbemerkt ist bereits im Jahre 1979 ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes im Cassis-deDijon-Fall gefällt worden, welches dann die neue Integrationsmaxime von 1985 geprägt hat: "Wenn ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, darf es Oberall in der Gemeinschaft ungehindert verkauft werden.· Dieses Grundprinzip (Äquivalenzprinzip) der Rechtsangleichung soll also die gegenseitige Anerkennung von nationalen Vorschriften und Tatbeständen mit sich bringen, .soweit diese zu einer Diskriminierung im Austausch von Waren, Dienstleistungen und in der Mobilität von Arbeit und Kapital innerhalb der EG führen. Ausnahmen davon sollten nur durch zwingende Erfordernisse der Gesundheit, der Umwelt und der Sicherheit möglich sein und daher eine Mindestharmonisierung erforderlich machen. Das neue Integrationskonzept hat eine doppelte Logik: - soviel Rechtsangleichung wie nötig, soviel gegenseitige Anerkennung wie möglich und damit Entlastung des Entscheidungsbedarfs auf Gemeinschaftsebene und Entpolitisierung bei der Angleichuns der technischen Regelungen (Prüfverfahren, Standards u.ä.); - durch den Wegfall der Binnengrenzen (und der Grenzkontrollen als Instrument zur Segmentierung von Märkten) und den Verzicht auf vollständige Vereinheitlichung soll nicht nur der Wettbewerb zwischen Waren und Dienstleistungen verschärft, sondern auch ein Wettbewerb zwischen Regeln , Steuersystemen, Kooperationsformen und industriellen Standorten in Gang gebracht werden. In der "neuen" Integrationskonzeption wird manchmal auch die Chance gesehen, den ursprünglich zugrundeliegenden ordnungspolitischen Vorstellungen der Bundesrepublik- offene Märkte und unverfälschter Wettbewerb - in der Gemeinschaft
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zum Durchbruch zu verhelfen (Mestmäcker 1987). Anstelle des oft noch kleinräumig orientierten Verhaltens von Unternehmen und des Denkans in nationalen Kategorien der Wirtschaftspolitik soll die europäische Dimension treten und damit nicht zuletzt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EG verbessert werden. Die neuen Integrationsideen sind in den Jahren 1982-84 gereift und wurden beim Antritt der neuen EG-Kommission unter Jacques Delors im Jahre 1985 in einem detaillierten legislativen Aktionsprogramm, dem EG-WeiBbuch, niedergelegt, das 300 Einzelvorschläge (jetzt nur noch 279) enthält, die bis Ende 1992 verabschiedet werden sollen. Ungefähr 50% dieser Aufgabe sind bis Mitte 1989 vom Ministerrat erledigt worden. Das Ziel, die Vollendung des Binnenmarktes, wurde in die erste Erweiterung der Römischen Verträge aufgenommen: die Einheitliche Europäische Akte (EEA), die am 1. Juli 1987 in Kraft trat. Sie enthält nicht nur die Verpflichtung, den vollkommenen Binnenmarkt bis 1992 schrittweise zu verwirklichen, d.h. "einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital ... gewährleistet ist", sondern auch eine entscheidende institutionelle Neuerung: qualifizierte Mehrheitsentscheidungen fOr die Verabschiedung des Weißbuch-Programms. Davon ausgenommen sind die Bestimmungen Ober die Steuern, die FreizOgigkeit und die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer (Art. 100a). Sie bleiben weiterhin den Einstimmigkeitsregeln unterworfen. Mitglieder können außerdem von mehrheitlich gefaßten MinisterratsbeschlOssen abweichen, wenn "wichtige Erfordernisse" in bezug auf den Schutz der Umwelt, der Arbeitsumwelt oder aus GrOnden der Sicherheit und Ordnung dies rechtfertigen (Art. 100a). Diese Ausnahmebereiche könnten zu langwierigen Debatten und Verzögerungen führen und das Binnenmarktkonzept u.U. ernsthaft gefährden, indem sie den Mitgliedstaaten neue Möglichkeiten zum Schutz ihrer nationalen Interessen eröffnen (Pescatore 1986). Schließlich wurde mit der Verabschiedung des "Oelora-Pakets" zu Anfang des Jahres 1988 (Reformansätze fOr die Eu9
ropäische Agrarpolitik, Verdoppelung der Strukturfonds, Erschließung einerneuen Finanzierungsquelle für das Gemeinschaftsbudget) der Weg freigeräumt, um sich ohne die Querelen der Vergangenheit der zentralen Aufgabe, der Vollendung des Binnenmarktes, widmen zu können.
2.2
Die grundlegenden Liberalisierungsbereiche
Das Weißbuch der EG-Kommission von 1985 unterscheidet drei Arten von Schranken, die der Vollendung des Binnenmarktes entgegenstehen: Materielle Schranken, wie die durch Grenzkontrollen ursachten Behinderungen und Kosten;
ver-
- techniache Schranken, wie sie durch unterschiedliche Normen, Vorschriften, Zulassungsverfahren und national abgeschottete Märkte im öffentlichen Beschaffungswesen entstehen, und - steuerliche Schranken, die vor allem durch Unterschiede bei der Mehrwertsteuer und anderen Verbrauchsteuern geschaffen werden. Von der ökonomischen Wirkung her gesehen, stellt diese Typologie von Hemmnissen (EG-Kommission 1988a) eine breite Mischung mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen dar. Denkbar wäre daher auch eine Gliederung nach dem Grad der Handelsbeschränkung: - Kostenverursachende Hemmnisse, die sich überwinden lassen und - wie die Grenzformalitäten - eher eine psychologische Barriere sind, und - echte Marktzutrittsbarrieren, die den Zugang der Hitgliedsländer zu den Märkten der Nachbarn ernsthaft erschweren oder sogar verhindern und die schwerwiegende Ursachen für das Nichtvorhandensein eines Europäischen Binnenmarktes sind. Man könnte aber auch die Schranken zwischen den Mitgliedsländern unterscheiden nach dem Grad der Schwierigkeiten, um sie abzuschaffen. Die Beseitigung der technischen Vor10
schriften und der Kapitalverkehrskontrollen dUrfte dann vermutlich am leichtesten fallen und daher am schnellsten zu verwirklichen sein. Oberall dort aber, wo nationale SouverAnitAtsverzichte (bei der Steuerharmonisierung) oder lokale Traditionen und Barrieren (öffentliches Beschaffungswesen) auf dem Spiele stehen, besteht die Gefahr von langwierigen Debatten, Verzögerungen, halbherzigen und kostspieligen Ausweichlösungen. In pragmatischer Weise werden im folgenden fünf zentrale Liberalisierungsbereiche unterschieden, deren Auswirkungen in den Cecchini-Studien - mit Ausnahme der Steuerharmonisierung - untersucht worden sind: -
die Beseitigung der Grenzkontrollen, der Abbau von technischen Handelshemmnissen, die Liberalisierung der Dienstleistungen, dieöffnungder staatlichen Beschaffungsmärkte, die Angleichuns der Mehrwertsteuer und sonstiger brauchsteuern.
2.2.1
Ver-
Beseitigung der Grenzkontrollen und -formalitäten
Innergemeinschaftliche Grenzen sind für den europäischen BUrger ein sichtbares Symbol dafür, daß die Gemeinschaft unvollkommen ist. Gleichzeitig sind die innergemeinschaftlichen Grenzkontrollen und -prozeduren eines der wirksamsten Instrumente, um die nationalen Märkte voneinander abzugrenzen. Sie werden benutzt, um u.a. unterschiedliche Steuern erheben zu können , den monetären Grenzausgleich für landwirtschaftliche Güter anzuwenden , unterschiedliche Normen, Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltvorschriften zu Verkehrslizenzen und -tarife kontrollieren, nationale durchzusetzen und um Drogenhandel, Terrorismus und Kriminalität zu bekämpfen. Die Intensität solcher Kontrollen ist besonders stark für Mitgliedsländer mit mehreren, nahe beieinanderliegenden Grenzen, wie die Benelux-Länder, die Bundesrepublik und Frankreich. Das Bundesverkehrsministerium hat allein 41 verschiedene Formen der Kontrolle an den bundesrepublikani11
sehen Grenzen gezählt. Dje Kosten nach Ländern sind eine Funktion der Handelsdichte und der Kosten je Warenlieferung. Die gesamten administrativen Grenzkontrollkosten (je Warenlieferung) sind in der Vergangenheit am niedrigsten in den Benelux-Ländern (und vor allem in Belgien) und am höchsten in Italien gewesen (vgl. Ernst & Whinney 1988). Die Bundesrepublik liegt auf der Importseite in der Nähe der Benelux-Länder und auf der Exportseite etwas unter dem EGDurchschnitt (von 6 Ländern). Erstaunlich ist, daß die administrativen Schranken, insbesondere überzogene Grenzformalitäten, von der deutschen Industrie als das zweitwichtigste Hemmnis (nach den unterschiedlichen Normen) angesehen werden (Gürtler und Nerb 1988). Dabei sind in letzter Zeit die Prozeduren und die Effizienz von Grenzformalitäten stark vereinfacht worden, und weitere EDV-gestotzte Fortschritte sind zu erwarten. Das Beispiel der reduzierten Grenzformalitäten innerhalb der Benelux-Länder zeigt, daß Kontrollen weitgehend in das Landesinnere verlegt werden können, daneben aber flexible, vermutlich kostspielige interne Kontrollsysteme aus gesundheits- und sicherheitspolitischen (und eventuell fiskalischen) Gründen aufgebaut werden müssen. Die große Mehrzahl der EG-Länder besteht darauf, daß die Abschaffung der Grenzkontrollen die Voraussetzung für die Angleichuns der indirekten Steuern i.st. Außerdem spricht vieles dafür, daß erst mit der Beseitigung der Grenzkontrollen die Bedingungen gegeben sind, um den Wettbewerb der Regeln und Vorschriften über die Marktkräfte in Gang zu setzen, da sonst die nationalen Verwaltungen ständig versucht wären, sich gegen schmerzhafte Störungen und Anpassungszwänge mittels Grenzkontrollen abzuschirmen. An der Beseitigung der Grenzprozeduren wird die Ernsthaftigkeit der Mitgliedsländer zu messen sein, mit der sie die Vollendung des Binnenmarktes zu einem unwiderruflichen Prozeß machen wollen. über das Ausmaß von Grenzkontrollen und ihren Ersatz wird aber wahrscheinlich in Zukunft noch heftig diskutiert werden.
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2.2.2
Abbau von technischen Handelshemmnissen (Normen, technische Vorschriften, PrOfungs- und Zulassungsverfahren)
Unterschiedliche Normen und technische Vorschriften, mit denen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt (entweder auf freiwilliger oder rechtsverbindlicher Basis) in den einzelnen Mitgliedsländern geschOtzt werden, sind in der EG-Befragung (1987) von den Industrieunternehmen der Bundesrepublik, Frankreichs und Großbritanniens als die wichtigsten Handelshemmnisse bei der Vollendung des Binnenmarktes identifiziert worden. Rund 85 • der neuen nationalen Normen, die jährlich entstehen, werden übrigens von den Normeninstituten der Bundesrepublik (OIN), Frankreichs (AFNOR) und Großbritanniens (BSI) erstellt. Oie schädigende Wirkung der technischen Handelshemmnisse ist lange Zeit von den Politikern und Ökonomen unterschätzt worden. Seit den siebziger Jahren hat zudem die Regulierungstätigkeit aus Gründen des Verbraucher- und Umweltschutzes deutlich zugenommen. Der ehrgeizige traditionelle Ansatz der EG-Harmonisierung hat die Ausbreitung solcher nationaler Praktiken nicht aufhalten, sondern höchstens verlangsamen können. Das Versagen dieses frOheren Ansatzes bei der Beseitigung von Handelsschranken hat Anfang der achtziger Jahre zu einem weitverbreiteten Gefühl der Frustration und Enttäuschung geführt. Erst der neue Ansatz zur Harmonisierung bzw. gegenseitigen Anerkennung von Normen und technischen Vorschriften hat seit Mitte 1985 zu ermutigenden Fortschritten geführt. Der "neue Ansatz " besteht aus drei Bestandteilen (vgl. Pelkmans 1987b): - Durch gegenseitige Informationen die Ausbreitung neuer technischer Schranken zu verhindern (Informationsdirektive vom 23 . 3.1987); - die wesentlichen Erfordernisse (der Sicherheit, des Gesundheits- und Umweltschutzes) durch Mindestharmonisierung auf Gemeinschaftsebene dann festzulegen, wenn die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern 13
sehr groß, die nation~len Regulierungen also nicht gleichwertig sind, in allen anderen Fällen aber gegenseitige Anerkennung durchzusetzen; - die technische Ausgestaltung von Gemeinschaftsdirektiven weitgehend den vorhandenen privaten Standardisierungsund Normeninstitutionen (CEN und CENELEC) und damit freiwilligen Vereinbarungen der europäischen Industrie zu überlassen. Die damit verbundene Beschleunigung der europäischen Standardisierungsbemühungen wird nicht nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit (Kosteneinsparung, Qualität) verbessern. Gleichzeitig werden auch die nationalen Bürokratien entlastet und die Bedeutung und Effizienz der europäischen Normeninstitute (in denen auch die EFTA-Länder mitarbeiten) erhöht. Das "Comit6 Europ6en de la Normalisation" (CEN) hat seine Entscheidungsregeln ebenfalls auf qualifizierte Mehrheitsentscheidungen umgestellt, um langwierige Verzögerungen zu vermeiden. Die Dynamik der neuen Konzeption hat sich bereits in der Verabschiedung von 107 Rechtsakten des Weißbuchs bis Ende 1988 erwiesen, von denen 70 ~ den Bereich der technischen Handelsschranken betreffen (EG-Kommission, Halbzeitbericht, KOM (88)850). Die Vorteile des neuen Ansatzes sind nicht zu übersehen (Pelkmans 1987b). Aber die Unterscheidung bzw. die Arbeitsteilung zwischen dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von technischen Standards und Verfahren mit den Erfordernissen der Mindestharmonisierung bleibt unscharf. Nationale Unterschiede im Schutzbedürfnis der Verbraucher können nicht durch technische Institutionen unterdrückt werden. Es wird sich zeigen müssen, wieweit die neue Vielfalt vom europäischen Verbraucher als Gewinn empfunden wird und nicht als Überforderung. Verbraucherorganisationen und Testinstitute werden bei der Aufklärung des Verbrauchers europäisch werden müssen. Die Eingrenzung von Übertretungen der Harmonisierungsbestimmungen fordert außerdem effiziente Kontrollinstanzen und Sanktionsmechanismen. Denkbar ist auch, daß die Aufweichungstendenz des Art. 100a gegenüber einer strengen Gemeinschaftsdisziplin und die damit u.u. erfor-
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derliehen Auslegungsprobleme den Europäischen Gerichtshof strapazieren werden (vgl. hierzu: Bieber et al. 1988). Die Delegierung von technischen Verfahren an private Fachverbände (mit größtmöglicher Transparenz) und die Absage gegenüber dem umfassenden Harmonisierungsanspruch der EG-Kommission sind jedoch zwei Riesenschritte beim Abbau von technischen Handelsschranken (Schmitt von Sydow 1988).
2.2.3
Liberalisierung märkte
der
Dienstleistungen und
Kapital-
Die privaten Dienstleistungen sind wahrscheinlich der wichtigste Bereich bei der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes, sowohl in bezug auf ihr Gewicht als auch in bezug auf ihre Funktionen im Prozeß der Verschmelzung nationaler Märkte. Die privaten Dienstleistungen stellen heute rund 45 % des EG-Bruttoinlandsprodukts und über 40 % der gesamten Erwerbstätigen. Trotz der dominanten Stellung der Dienstleistungsproduktion ist aber der grenzüberschreitende Handel in diesem Bereich auffallend gering: er macht in der Gemeinschaft nur 33 %der Gesamtexporte und 11 %des BIP aus. Die meisten Dienstleistungsaktivitäten, wie der Verkehrssektor, die Finanzdienste und die Telekommunikations- und Ingenieurdienste, sind in den Mitgliedsländern entweder Rechtsvorschriften durch Marktzugangsbeschränkungen und oder durch Preis- und Tarifabsprachen mehr oder weniger staatlich reguliert. Sie haben die Expansion des innergemeinschaftlichen Dienstleistungshandels und damit einen zentralen dynamischen Bereich in seiner Entwicklung gebremst. Es gibt sogar statistische Hinweise dafür, daß der Anteil des innergemeinschaftlichen Oienstleistungsaustausches merklich niedriger liegt als der Anteil des innergemeinschaftliehen Warenaustausches, woraus sich ableiten läßt, daß die Dienstleistungsmärkte in der Gemeinschaft schwächer integriert sind als die Warenmärkte. Die geringere Wettbewerbsintensität im Dienstleistungsbereich geht auch aus den großen, noch bestehenden Preisunterschieden hervor, wie sie im Cecchini-Bericht belegt worden sind. 15
Die Beseitigung von Handelshemmnissen und Nieder1assungsschranken bei den Unternehmensdienstleistungen, vor allem bei den Finanzdiensten, wird eine entscheidende Rolle nicht nur bei der Schaffung eines effizienten Finanz- und Kapitalmarktes und bei der Finanzierung europäischer UnternehmenszusammenschlUsse spielen, sondern auch zur raschen Ausbreitung technischer Innovationen innerhalb der Gemeinschaft beitragen. Von einem effizienten Dienstleistungsbereich wird es letztlich auch abhängen, ob sich die Gemeinschaft im internationalen Wettbewerb insgesamt behaupten kann. Eine moderne Informationsgemeinschaft kann ohne einen flexiblen, hochqualifizierten Dienstleistungssektor nicht funktionieren (Ochel und Wegner 1987). Am weitesten zurUckg~blieben war bisher die Liberalisierung im EG-Verkehrswesen. Der Europäische Gerichtshof hat dem Ministerrat die andauernde Verletzung des EWG-Vertrages bescheinigt, nachdem das Europäische Parlament 1982 eine Untätigkeitsklage erhoben hatte. Aber auch im Banken- und Versicherungsbereich hat sich ein großer Liberalisierungsbedarf aufgestaut. Ohne einen ungehinderten Finanz- und Kapitalmarkt muß der Europäische Binnenmarkt unvollständig bleiben. Aber gerade im Geld- und Finanzbereich wird offenkundig, daß der Abbau von Diskriminierungen auf der Unternehmensebene mit der von Divergenzen in der gesamtwirtschaftlichen Politik der Mitgliedsländer einhergehen muß (vgl. Padoa-Schioppa-Bericht 1988). Die neuen Liberalisierungsbemühungen im Dienstleistungsbereich konzentrieren sich im wesentlichen auf den Straßenfern- und Luftverkehr, die Kommunikationsdienste und den Banken- und Versicherungssektor. Wie im warenproduzierenden Gewerbe soll auch hier das neue Harmonisierungskonzept angewendet werden. Weit störender als im Produktbereich könnten aber bei den meisten Dienstleistungen die vielfachen Wettbewerbsverzerrungen sein, wie sie durch Unterschiede in der Kraftfahrzeug- und Mineralölbesteuerung, der Quellenund Börsenumsatzsteuer oder durch soziale Vorschriften entstehen.
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Bei der Marktöffnung im grenzOberschreitenden Verkehr sind erste Fortschritte erzielt worden. Beim GUterfernverkehr sollen die Gemeinschaftskontingente schrittweise aufgestockt werden, so daß es ab 1993 keine mengenmäßigen Beschränkungen mehr gibt. Die Tarifbindung ist bereits Ende 1988 ausgelaufen. Ein größerer Wettbewerb wird aber noch durch das bestehende Verbot der Kabotage behindert. Im Luftverkehr sind die Kapazitätsregelungen und Preisabsprachen aufgelockert worden. Im GUterfernverkehr der Bundesrepublik wird es aber zu schmerzhaften Anpassungen und zu einem Preisdruck kommen. Die Schaffung eines gemeinsamen Verkehrsmarktes bis Ende 1992 wird eine schwierige Aufgabe bleiben (Wacker-Theodorakopoulos 1988). Entgegen vieler Befürchtungen sind seit 1987 erstaunlich mutige Schritte bei der Öffnung der Geld- und Kapitalmärkte beschlossen worden. Bis Mitte 1990 sollen sämtliche Behinderungen im innergemeinschaftlichen Geld- und Kreditverkehr abgebaut werden, und nur Irland, Griechenland, Spanien und Portugal sind übergangsfristen bis Ende 1992 zugestanden worden. Gleichzeitig gibt es aber noch Schutzklauseln beim Auftreten von ersten wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten, die eine temporäre Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen gestatten und damit die Unwiderruflichkeit von Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen in einem voll integrierten Finanzraum erneut in Frage stellen . Im Banken- und Versicherungssektor sind ebenfalls die Weichen zugunsten einer größeren Freizügigkeit vor allem bei der Niederlassung gestellt. Die Vorschläge der EG-Kommission (z.B. be i der zweiten Bankenrechts-Koordinierungsrichtlinie) orientieren sich - ähnlich wie die industriellen Normen - an drei Prinzioien: - gegenseitige Maßnahmen;
Anerkennung
bei der
Anwendung
nationaler
- Kontrolle und Beaufsichtigung der in anderen Mitgliedstaaten tätigen Finanzinstitute durch die Behörden des Herkunftslandes;
17
- Mindestharmonisierung der wichtigsten Regeln für das Aufsichts- und Meldewesen sowie für den Schutz der Einleger und Kunden. Ob die neue Minimalstrategie bei der Harmonisierung des Bankenwesens erfolgreich sein wird, läßt sich heute noch kaum absehen. Da die von den Kreditinstituten angebotene Ware "Geld" ein homogenes Gut darstellt und Finanzmärkte eine hohe Transparenz aufweisen, könnte der Harmonisierungsbedarf hier besonders groß sein, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (Sperber 1988). Aber es sieht so aus. als ob der Liberalisierungsprozeß bei den Finanzdiensten vom Druck der Internationalisierung auf den Finanzmärkten rascher als vielfach erwartet - vorangetrieben wird. Dann dürfte die vieldiskutierte globale Reziprozität der zweiten Bankenrichtlinie bei der Niederlassung von Nicht-EG-Banken in der Gemeinschaft nur ein temporäres Druckmittel zum Aushandeln multilateraler Abkommen auf den Dienstleistungsmärkten bleiben (vgl. Kap. 4).
2.2.4
Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte
Die nationalen Beschaffungsmärkte gehören trotz des hochentwickelten innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs zu den am meisten abgeschotteten Bereichen wirtschaftlicher Aktivitäte~ in der Gemeinschaft. Im Jahre 1986 sind bei einem EG-Auftragsvolumen von 530 Mrd. ECU (rd. 15 % des EG-BIP und mehr als der Umfang des innergemeinschaftlichen Handels) nur 0,14% des BIP als grenzüberschreitende Aufträge abgewickelt worden. In der Bundesrepublik waren es 4 %. Der öffentliche Bereich, der den Kraftwerkbau, das Eisenbahnwesen, den Fernmeldesektor und die Verteidigungseinkäufe betrifft, blieb also von der Öffnung des Gemeinsamen Marktes und damit vom Wettbewerb in der Gemeinschaft ausgespart, obwohl dafür seit langem gemeinschaftliche Richtlinien (für öffentliche Bauaufträge 1971 und für Lieferaufträge 1977) vorliegen. Ausgeschlossen davon sind bisher allerdings die Bereiche Energie, Verkehr, Telekommunikation und Wasserversorgung. Sie sollen jetzt in die öffentlichen Ausschreibungsverfahren ebenso einbezogen werden wie die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen durch die öffentliche Hand.
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Für den bisher extrem hohen Protektionsgrad des öffentlichen Beschaffungswesens gibt es viele Gründe: Marktnähe und schnell verfügbare Kundendienste, die nationale Förderung strategischer Bereiche vor allem in der Hochtechnologie, der Schutz von Arbeitsplätzen, die Bevorzugung lokaler Anbieter aus politischen Gründen, unterschiedliche Normen und Zulassungsverfahren usw. Die mannigfachen Formen der EGVertragsverletzungen zu verhindern und die vielen Schlupflöcher bei der Umgehung der strengen EG~Auflagen bei der Auftragsvergabe zu umgehen, wird ein mühsamer und langwieriger Prozeß sein. Erschwerend kommt hinzu, daß das staatliche Beschaffungswesen in vielen EG-Ländern über öffentliche Unternehmen abgewickelt wird, die meist nicht unter dem Effizienz- und Gewinndruck privater Firmen stehen. Viele nationale Infrastrukturvorhaben sind ausschließlich an nationalen KostenGewinn-Kriterien orientiert und die Domäne nationaler Lieferanten. Das gilt vor allem für den Hochtechnologiebereich der Telekommunikation (Ausrüstungen und Dienste), der sowohl durch nationale Marktzugangsbarrieren, wie Normen und Zulassungsvorschriften, als auch durch die Beschaffungspraktiken von nationalen Fernmeldemonopolen eingeschränkt wird. Der Bereich der öffentlichen Beschaffungsmärkte zeigt wie kein anderer, daß Erfolge beim Abbau der früheren Marktabschottuns erst durch viele Anstrengungen möglich sein werden. Die Beseitigung der Binnengrenzen, technische Deregulierungen, ein verstärkter Wettbewerb, gemeinsame Forschungs- und Infrastrukturprogramme und die Europäisierung der Industrie und der öffentlichen Hände in der Gemeinschaft werden erst zusammengenommen fundamentale Verhaltensänderungen mit sich bringen. Vom Aufbrechen dieser bisher segmentierten Märkte werden jedoch u.U. größere Anstöße für Kosteneinsparungen und Innovationen ausgehen. als sich heute quantifizieren läßt.
19
2.2.5
AngleichunQ
der
Meh~wertsteuer
und sonstiger
Ver-
brauchsteuern Der Streit der Politiker, Ökonomen und Steuertechniker über die Notwendigkeit des Abbaus
von Steuergrenzen als
quenz des zu vollendenden Binnenmarktes hat erst begonnen.
Politisch ist
Konse-
offensichtlich
die Auseinandersetzung
des-
halb, weil hier der harte Kern im Verzicht nationaler
Sou-
veränitätsrechte zutage tritt. Die ersten Diskussionen
der
Kommissionsvorschläge durch die EG-Finanzminister seit
dem
Herbst 1988 haben
aber auch
Schwierigkeiten und
die mannigfachen
Einwände offengelegt,
technischen
die sich
nicht
mit einfachen Gegenargumenten vom Tisch wischen lassen. Die EG-Kommission hat seit
jeher auf die Eliminierung
der
Steuergrenzen gedrängt. Die Einführung des BestimmungslandPrinzips bei der indtrekten Besteuerung hat zu
Steuergren-
zen geführt, die mit der Vollendung des Binnenmarktes und der Abschaffung der Grenzkontrollen in Widerspruch stehen. Die EG-Kommission hat
die Angleichuns der
Mehrwertsteuer-
sätze innerhalb einer Bandbreite von 14 bis 20 bis 9
~
~
bzw. von 4
(für den ermäßigten Satz), die Abschaffung von
gatellsteuern und
die
Vereinfachung der
brauchsteuern vorgeschlagen. Damit quenzen für Preise
speziellen
wären nicht nur
und Realeinkommen,
sondern in
BaVer-
Konseeinigen
Ländern auch einschneidende Reformen des gesamten Steuersystems verbunden. Die Einführung eines Clearingsystems
soll
die auftretenden Unterschiede
in den Steuereinnahmen
aus-
gleichen. Obwohl die Mehrzahl der Mitgliedstaaten den
Korn-
missionsverschlag prinzipiell (noch) unterstützt, hat Großbritannien das Konzept als solches- weil zu bürokratisch und dirigistisch -
abgelehnt und
schlägt ein
gespaltenes
System für die Besteuerung der gewerblichen Güter (nach dem Bestimmungslandprinzip mit
reduzierten Kontrollen
an
der
Grenze) und für die Käufe von Privatpersonen (nach dem Ursprungslandprinzip mit einer flexiblen Anpassung der Sätze durch den Marktdruck)
vor (Parsche 1988).
Der Streit
Steuerpraktiker über die erträgliche Spannbreite der wertsteuersätze beim Kommissionskonzept, tungskosten einer
Clearingstelle, über
von Übergangslösungen
und die
20
über die die
der Mahr-
Verwal-
Ausgestaltung
Machbarkeit des
britischen
Vorschlags ist längst im Gange (Biehl 1988, Easson 1988). Er hat dazu gefOhrt, daß die EG-Kommission an modifizierten Vorschlägen arbeitet, die sich (statt an Bandbreiten) an einem Mindestsatz der Mehrwertsteuer für die meisten Waren und Dienstleistungen ausrichten und außerdem eine großzügige Spanne von o bis 9 • für eine Liste sensitiver Erzeugnisse vorsehen, die bisher höchst unterschiedlich besteuert werden. Bei den neuen Vorschlägen zu den Verbrauchsteuern hat die Kommission größere Flexibilität versprochen. Ein radikaler ökonomischer Vorschlag geht davon aus, bei der Mehrwertsteuer zum Ursprungslandprinzip überzugehen und die Unterschiede von Mehrwertsteuersätzen (wie auch andere Kosten) über die Wechselkurse auszugleichen. Das erfordert allerdings den Verzicht auf die Differenzierung der Mahrwertsteuersätze nach Warengruppen (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi 1986). Bei den speziellen Verbrauchsteuern würde der Fortfall der Grenzkontrollen eine Anpassung über den Marktdruck (um Wettbewerbsverzerrungen abzumildern) erzwingen oder eine direkte Steuererfassung beim Konsumenten (Kraftfahrzeug-, Banderolensteuer) notwendig machen. Die Skeptiker unter den Ökonomen bezweifeln allerdings, ob es in absehbarer Zeit überhaupt zum Abbau der Steuergrenzen kommen wird, da das bestehende europäische Recht und die unterschiedlichen Steuertraditionen und -zwecke kaum noch revidierbar sind.
3. Geea.twirtachaftlicha Auswirkungen: Eine Wertung 3.1
Theoretische Grundlagen
Oie Theorie des internationalen Handels hat seit Ende der siebziger Jahre einen durchgreifenden Wandel erfahren. Nach dem klassischen, auf Ricardo basierenden Ansatz entsteht Handel aufgrund der unterschiedlichen Ausstattung der einzelnen Länder mit Produktionsfaktoren. Jedes Land spezialisiert sich in den Bereichen, in denen es vergleichsweise effizient ist oder in denen es seine vorhandenen Ressourcen intensiv nutzt. Grundlegende Annahmen dieses Modells sind vollkommene Konkurrenz und konstante Skalenerträge. Empirische Untersuchungen zeigten jedoch, daß Volumen und Struktur des internationalen Handels diesem Modell bestenfalls teilweise entsprechen. Insbesondere der sich stark intensivierende Warenaustausch zwischen ähnlichen Ländern konnte damit nicht erklärt werden. Diese Unzulänglichkeit der klassischen Theorie führte zur Entwicklung von Modellen, die der Bedeutung wachsender Skalenerträge und unvollkommener Konkurrenz Rechnung tragen. Diese - späte - Einbindung von Bausteinen der Theorie der industriellen Organisation (Pelkmans 1984; Krugman 1986) in die Außenhandelstheorie wirkte auch auf die theoretische und empirische - Analyse von Zoll- und Wirtschaftsunionen zurück. Die traditionelle Zollunionstheorie, basierend auf den Modellen von Viner (1950) und Meade (1955), analysierte die Wohlfahrtseffekte einer Beseitigung von Zöllen nur unter dem Aspekt der statischen Reallokationswirkungen. Die Wohlfahrtseffekte wurden am Umfang der handelsschaffenden und handelsablenkenden Wirkungen gemessen. Ausgangspunkt dieser Analyse sind die Preissenkungen, die als Folge des Zollabbaus zwischen den Mitgliedsländern entstehen. Sie führen zu einer Intensivierung des GOteraustauschs der Partnerländer untereinander (handelsschaffender Effekt). Der Handel mit Drittländern, die kostengünstiger produzieren und preisgün22
stiger anbieten als die Zollunionspartnerländer vor der Bildung der Zollunion, wird eingeschränkt (handelsablenkender Effekt). Ist die handelsschaffende Wirkung größer als die handelsablenkende, so wird ein Gewinn an Wohlfahrt aufgrundder Zollsenkungen angenommen. Diese Zusammenhänge lassen sich in Anlehnung an Borehart (1977) wie folgt darstellen (vgl. Abb. 3.1): Im Ausgangszustand existiert ein Zoll des Inlandes auf Importe aus den Ländern I und II. Da das Inland das Produkt nicht anbietet, exportieren die Länder I und II Xz und XII. Die Gründung einer Zollunion zwischen dem Inland und Land I führt zur Abschaffung des Zolls für das Land I. Dies schiebt die Angebotskurve AI nach rechts zu Azzu. Die aggregierte Angebotskurve für Land I und Land II verschiebt sich dadurch ebenfalls nach rechts von A auf Azu. Im Inland sinkt nun der Preis von P auf pzu. Land I steigert seine Exportmenge von Xz auf XzZu. Dies ist der handelsschaffende Effekt. Land II exportiert nun weniger. Seine abgesetzte Menge sinkt von XII auf XzzZu. Dies ist der handelsablenkende Effekt. In diesem Beispiel profitieren das Inland sowie Land I von der Zollunion. Im Inland sinkt der Preis für das Gut, die Wohlfahrt der Konsumenten steigt. Durch vermehrten Export des Landes I steigt der Preis des Exportgutes in diesem Land, doch der höhere Exporterlös führt zu einem positiven Wohlfahrtseffekt. Land II muß eine Wohlfahrtsminderung in Kauf nehmen. (Der Gesamteffekt für alle drei Länder ist unbestimmt.) Dieser Effekt hängt von den Angebotselastizitäten und den Preise.lastizitäten der Nachfrage ab. Je höher die Preiselastizität der Nachfrage in den Integrationsländern ist, desto stärker ist die Intensivierung des Handels zwischen den Zollunionsmitgliedern zu Lasten des eigentlich kastengünstigeren Angebots aus Drittländern. Anfänglich wurde ein Wohlfahrtszuwachs als "normale" Reaktion angenommen. Schon Viner (1950) hat jedoch gezeigt, daß der Nettoeffekt sowohl positiv als auch negativ sein kann. Die Wahrscheinlichkeit für ein überwiegen der handelsschaffenden Wirkungen ist um so größer, je höher die Ausgangszölle, je niedriger die Importe aus Drittländern und je 23
Abb. 3.1 Handelsschaffende und handelsablenkende Effekte
p
einer Zollunion
P: Pz u: X: Xzu:
N:
AI:
All:
A:
AI Zu: Azu: XI : XI ZU : XI I : XI I ZU : XI zu -XI : XII-XIIzu:
Preis des Gutes vor Gründung der Zollunion Preis des Gutes nach Gründung der Zollunion Menge des Gutes vor Gründung der Zollunion Menge des Gutes nach Gründung der Zollunion Nachfragekurve Angebot des Landes I vor Einführg. der Zollunion Angebot des Landes II vor Einführung der Zollunion Gesamtangebot vor Einführung der Zollunion Angebot des Landes I nach Einführung der Zollunion Gesamtangebot nach Einführung der Zollunion Abgesetzte Menge des Landes I vor Einführung der Zollunion Abgesetzte Menge des Landes I nach Einführung der Zollunion Abgesetzte Menge des Landes II vor Einführung der Zollunion Abgesetzte Menge des Landes II nach Einführung der Zollunion Zunahme der Importe aus Land I durch Bildung der Zollunion Abnahme der Importe aus Land II durch Bildung der Zollunion 24
mehr das ursprUngliehe Preisniveau des Zollunionsgebietes denen der übrigen Welt gleicht. Außerdem bildet eine hohe Zahl an Zollunionsmitgliedern eine wichtige Voraussetzung für Wohlfahrtsgewinne einer Zollunion . .Oie Theorie der Zollunion hat im Laufe der Jahre viele Variationen und Erweiterungen erfahren (Pelkmans 1984), insbesondere bezüglich der Anzahl der in die Analyse einbezogenen Länder und Güter sowie durch den Übergang von partiellen zu allgemeinen Gleichgewichtsanalysen. Oie grundlegenden Annahmen, nämlich vollkommene Konkurrenz, konstante Skalenerträge, keine internationalen Faktorbewegungen, unveränderte Technologie usw., blieben jedoch unangetastet. Der größere Markt nach Vollendung einer Zoll- bzw. Wirtschaftsunion ermöglicht es, Economies of Scala zu realisieren, die vorher durch Marktsegmentierungen unterbunden waren. Größenvorteile manifestieren sich in verschiedenen Formen. Sie reichen von den technischen Größenvorteilen über Learning-by-doing-Effekte und Firmengröße bis zu den Economies eines induzierten technischen Fortschritts. In die Außenhandelstheorie wurden bisher insbesondere die Aspekte der technischen Economies of Scale und der Firmengröße eingearbeitet. Economies of Scale entstehen, wenn eine Zunahme des Inputs einen Oberproportionalen Anstieg des Outputs nach sich zieht und somit zu einem Sinken der Stückkosten führt. Unterschiedliche Größenvorteile bewirken, daß es selbst dann zu internationalem Warenaustausch kommt, wenn die Ausstattung der Länder mit Produktionsfaktoren mehr oder weniger gleich ist (Abb. 3.2). Oie erheblichen Kosten- und Preissenkungen aufgrund von Economies of Scale fUhren zu einer Steigerung der realen Nachfrage mit der Folge weiterer Wachstumsimpulse für die Wirtschaft. Oie handelsumlenkenden Effekte können somit geringer sein, die handelsschaffenden höher als ohne Economies of Scale. Theoretische Ableitungen (Pelkmans 1984) und empirische Untersuchungen (Wonnacott 1987) zeigen, daß die Wohlfahrtseffekte aufgrund der Nutzung von Economies of Scale um ein Vielfaches höher sind als bei den klassischen 25
Abb. 3.2
Marktgröße und Nutzung von Größenvorteilen Prelee
Koe111n
'
''
''
'
...... ..........
____
_".
Menge
Modellen, in denen diese dynamischen rücksichtigt werden.
Wirkungen nicht
be-
Eine Folge steigender Skalenerträge besteht in der Zunahme der Firmengrößen und in einer Abnahme der Zahl der Anbieter, d.h~ in einem wachsenden Monopolisierungsgrad der Wirtschaft. Dies bedeutet, daß die internationalen Märkte mehr nach dem Prinzip des Oligopolistischen Wettbewerbs als nach dem der vollkommenen Konkurrenz funktionieren. Von der Verstärkung des Wettbewerbs, die nach dem Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen innerhalb des Integrationsraumes zu erwarten ist, kann somit nicht eine Veränderung der Marktstrukturen in Richtung vollkommener Konkurrenz im Sinne der klassischen Theorie ausgehen. Sie kann jedoch den Folgen der integrationsbedingt zunehmenden Monopolisierung bzw. Oligopolisierung der Märkte entgegenwirken. Zwar sind auf stark konzentrierten Märkten eigene Preissetzungen möglich, wenn sich die Produkte der einzelnen Anbieter genügend voneinander unterscheiden. Die Möglichkeiten der freien Preisgestaltung werden durch starken 26
Wettbewerb jedoch eingeschränkt. Es entsteht ein Druck auf die Preise, die Monopolrenten sinken und die Realeinkommen der Konsumenten steigen. Dies deutet darauf hin. daß im Zuge eines Integrationsprozesses zusätzliche Wohlfahrtsgewinne aufgrund des verstärkten Oligopolistischen Wettbewerbs möglich sind. Venables und Smith (1986) veranschaulichen diese Effekte anhand eines einfachen Brander-KrugmanDuopol-Hodells mit konstanten Grenzkosten (g). Transportkosten gibt es nicht (Abb. 3.3). Abb. 3.3 Mögliche Handelegewinne bel unvollkommenem Wettbewerb
p,.,. Naohfrqe
,. B
p
c
D
E
• X
M•ne•
P• - Preis bei Autarkie P - Preis nach Liberalisierung g - Grenzkosten Xa - Angebotsmenge bei Autarkie X - Angebotsmenge nach Liberalisierung Vor Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen wird auf dem heimischen Harkt die Menge x• zum Preis pa abgesetzt. Nach der Handelsliberalisierung tritt ein weiterer Anbieter auf, der die gleichen Produktionsbedingungen wie der inländische Anbieter hat. Durch eine Angebotssteigerung sinkt der Preis von P• auf P. Die Konsumenten gewinnen hierdurch die Fläche 27
A + B. Die im Inland erwirtschafteten Gewinne sinken von B + C + D auf C + D + E. Da sich die beiden Firmen den heimischen Markt teilen, bietet jede Firma X/2 an. Die heimische Firma erhält den durch die Fläche C dargestellten Gewinn. D + E gehen an den ausländischen Anbieter. Da die heimische Firma durch die Handelsliberalisierung auch auf dem ausländischen Markt anbietet (der dem inländischen gleich ist), erwirtschaftet sie dort einen Gewinn von D + E. Die Nettominderung der Gewinne des inländischen Unternehmens beläuft sich auf B - E, so daß sich der Zuwachs an Wohlfahrt für die Gesamtwirtschaft auf A + E ergibt. Ist der Auslandsmarkt jedoch kleiner als der Inlandsmarkt, dann sind die Gewinne der inländischen Firmen auf dem Auslandsmarkt geringer als D + E, d.h. der Wohlfahrtsgewinn aus der Handelsliberalisierung ist für das Inland niedriger als für das Ausland. Das Inland ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Verlierer, wenn eine Steigerung seiner Exporte in das Partnerland völlig unterbleibt. Wenn Transportkosten im Modell berücksichtigt werden, kann sogar abgeleitet werden, daß beide Länder verlieren. Die Gefahr einer ungleichen Verteilung von Vorteilen aus Handelsliberalisierung bzw. Integration steht mit den überhöhten Gewinnen in Wirtschaftszweigen mit unvollkommenem Wettbewer~ in Zusammenhang. Das investierte Kapital kann hier eine höhere Rendite bringen als in anderen Anlageformen. Ein Land mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil hochprofitabler Wirtschaftszweige zieht u.u. einen höheren Nutzen aus dem internationalen Handel als ein Land, in dem Wirtschaftszweige mit niedrigeren Gewinnen dominieren. Für dieses Land kann Handelsliberalisierung zu einer Verschlechterung der Situation führen (Krugman 1987). Nachteile für alle Beteiligten können z.B. im Fall des " reziproken Dumping" eintreten: diese Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß Oligopolistische Unternehmen ihren Absati auf den Inlandsmärkten einschränken, um die Preise hoch zu halten. Zugleich verkaufen sie auf den Auslandsmärkten zu wesentlich niedrigeren Preisen und Gewinnspannen. Dabei kann es zu einem Handel ein und derselben Ware
28
kommen. Es entstehen unnötige Transportkosten und somit eine Verschwendung von Ressourcen, die den Wohlfahrtsgewinn aus einer Handelsliberalisierung zunichte machen kann, wenn diese Effekte nicht durch Gewinne aus verstärktem Wettbewerb Oberkompensiert werden (Krugman 1987). Insgesamt Oberwiegen in der theoretischen Literatur jedoch die Modelle, aus denen beim Abbau von Handelsschranken aufgrund von Skalenerträgen und verstärkter Konkurrenz Wohlfahrtszuwachse für alle Länder abgeleitet werden können (Venables, Smith 1986; Krugman 1987). Solche Ansätze sind von kanadischen Wissenschaftlern verifiziert worden (Wonnacott 1987; Cox and Harris 1985). Es konnte gezeigt werden, daß die sich aus zunehmenden Skalenerträgen und unvollkommenem Wettbewerb ergebenden Vorteile eines freien Handels zwischen den USA und Kanada beträchtlich und weit höher sind als die aufgrund traditioneller komparativer Vorteile. Diese Erwartung stützt sich insbesondere auf die Annahme, daß die Verstärkung des Wettbewerbs nach Öffnung der Grenzen zu einer Beseitigung betrieblicher Ineffizienzen ('X'inefficiencies) führt , wodurch zusätzliche Kostensenkungen möglich sind (Krugman 1987). Diese Analyse knüpft an Modelle der betrieblichen Organisation an (Leibenstein 1986; Comanor, Leibenstein 1969). Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß eine Reihe von Faktoren, z.B. die mangelnde Spezifikation der Arbeitsverträge, die Unkenntnis der Produktionsfunktion, Informationsdefizite und hohe Risiken, eine ineffiziente Organisation des Einsatzes menschlicher, physikalischer und finanzieller Ressourcen bewirkt. Bei beschränktem Wettbewerb besteht wegen hoher Gewinnmargen kein Zwang, alle Möglichkeiten der Reduzierung dieser Ineffizienzen auszuschöpfen. Eine Verschärfung des Wettbewerbs indessen, wie sie im Gefolge eines Integrationsprozesses auftreten kann, erhöht den Druck auf die Unternehmen, die "strukturellen" Mängel des Betriebes zu vermindern bzw. zu beseitigen. Effizienzsteigerungen können erzielt werden durch innerbetriebliche Anpassungsprozesse, z.B. durch Umstrukturierung zugunsten effizienterer Produktionseinheiten, Verlegung von Standorten, effektiveren Einsatz der Arbeitskräfte durch betriebliche Umorganisation, durch Ver29
besseruns der duktpalette.
Produktqualitä~
und
der Ausweitung der
Pro-
Die Frage, ob die geschilderten dynamischen Effekte des Integrationsprozesses, insbesondere die Intensivierung des Wettbewerbs, durch Impulse fOr Innovationen noch verstärkt werden, ist umstritten. Es gibt sowohl Argumente für einen engen Zusammenhang zwischen der Höhe des Monopolisierungsgrades und dem Umfang der Innovationen als auch dafür, daß ohne Wettbewerbsdruck der Antrieb für die Realisierung technischen Fortschritts abnimmt. Nach der Argumentation in der Schumpeter-Tradition können für Monopolisten die Gewinnerwa~tungen aus einer technischen Neuerung höher sein als für Firmen, die unter größerem Wettbewerbsdruck stehen. Außerdem stellen Monopolgewinne für Forschung und Entwicklung eine gute finanzielle Basis dar . Andererseits ist vorstellbar, daß bei einer Monopolstellung die Notwendigkeit von Innovationen als nicht so dringlich angesehen wird, da man sich in einer unangefochten starken Wettbewerbsposition wähnt (u.a. Arrow 1962). Weitgehende Übereinstimmung besteht hinsichtlich des indirekten Zusammenhangs zwischen Marktstruktur und Innovationen, der durch die antizipierten Gewinne aus Innovationen hergestellt wird. Bei Existenz von Monopolmacht können die antizipierten Gewinne aus technischen Neuerungen steigen, wodurch ein günstiger Einfluß auf innovatorische Aktivitäten entsteht. Ob der indirekte Zusammenhang größer oder kleiner ist als der direkte, ist jedoch ebenfalls umstritten. Auch die empirische Überprüfung der beiden Hypothesen stößt auf Probleme. Sie bestehen in Definitions- und Meßproblemen, in der Unsicherheit über die Richtung des Zusammenhangs zwischen Marktstruktur und Innovationen sowie in der Schwierigkeit, den Einfluß des Wettbewerbsgrades bzw. der Marktstruktur von anderen Faktoren, wie dem Wachstum der Märkte, zu trennen. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen von Ergas (1984), Geroski (1988) und Zimmermann (1987) lassen jedoch 30
den Schluß zu, daß die Intensivierung des Wettbewerbs Innovationstätigkeit förderlich ist.
der
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Erweiterung der klassischen Handelstheorie um Elemente der Theorie der betrieblichen Organisation und die daran anknüpfenden empirischen Untersuchungen beträchtliche Wachstums- und Wohlfahrtsgewinne als Folge des Abbaus von Handelshemmnissen erwarten lassen. Ebenso wird jedoch aufgezeigt, daß die Verteilung der Wohlfahrtsgewinne zwischen den Partnerländern unterschiedlich sein kann. Schließlich sind Anpassungskosten in Rechnung zu stellen, die um so geringer sein können, je mehr sich Integration und Spezialisierung innerhalb einzelner Industriezweige (intra-industrieller Handel) und je weniger sie sich zwischen einzelnen Industrien (inter-industrieller Handel) vollziehen (Krugman 1987).
3.2 3.2.1
Mikroökonomische Effekte Die Grundstruktur des mikroökonomischen satzes
Partialan-
Die Wirkungen, die von der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes auf Wohlfahrt und andere gesamtwirtschaftliche Indikatoren (Beschäftigung, Inflation usw.) in der Europäischen Gemeinschaft ausgehen, wurden im Rahmen einer großangelegten Studie der EG-Kommission unter Leitung von Paolo Cecchini abgeschätzt. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Wohlfahrtseffekte dadurch eintreten, daß die im Weißbuch vorgesehenen Liberalisierungsmaßnahmen als Ganzes durchgeführt werden. Oie Kostensenkungseffekte werden quantifiziert und daraus die Höhe des sich auf mehrere Jahre erstreckenden Wohlfahrtseffekts ermittelt. Zur Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen Effekte werden unabhängig voneinander zwei Ansätze verwendet. Im Rahmen eines partialen mikroökonomischen Gleichgewichtsansatzes wird untersucht, wie sich der Abbau von Marktbarrieren auf Kosten, Preise, Angebot und Nachfrage in einzelnen Wirtschaftssektoren und damit auf Konsumenten- und Produ31
Zentenrenten sowie die gesamtw1rtschaftliche Wohlfahrt auswirkt. Der makroökonomische Ansatz schätzt demgegenüber die gesamtwirtschaftlichen Effekte des Europäischen Binnenmarktes mit Hilfe ökonometrischer Simulationsmodelle (HERMESModell der EG-Kommission und INTERLINK-Modell der OECD) voraus (EG-Kommission 1988a). Beide Ansätze verwenden Informationen, die im Rahmen des Forschungsprogramms "Cost of Non-Europe" der EG-Kommission mit Hilfe von EG-weiten Unternehmensbefragungen, Sektoranalysen, methodischen Studien und internen Arbeiten der EG-Kommission ermittelt wurden (EG-Kommission 1988b). Die räumliche Untergliederung der Berechnungen unterscheidet sich in den beiden Ansätzen. Im Rahmen des mikroökonomischen Ansatzes werden die Wohlfahrts- (bzw. Wachstums-) effekte nur für die EG insgesamt vorausgeschätzt. Wie sich diese Effekte auf die einzelnen Länder verteilen, wird nicht gesagt. Demgegenüber weist der makroökonomische Ansatz die Wirkungen des EG-Binnenmarktes für einzelne (wenn auch nicht alle) Länder aus. Er gelangt zu diesen Ergebnissen, indem er die für die einzelnen Nationalstaaten der EG entwickelten HERMES- und INTERLINK-Modelle verwendet. Erst in einem zweiten Schritt werden diese Ergebnisse für die EG insgesamt hochgerechnet. Der partielie mikroökonomische Ansatz stellt die Auswirkungen der Verwirklichung des Binnenmarktes auf die einzelnen Unternehmen und Haushalte in den Mittelpunkt. Es wird gefragt, welche Kosten- und Preissenkungen aus der Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse resultieren, welche Substitutionseffekte dadurch zwischen dem EG-internen Warenaustausch und der nationalen Produktion bzw. den EG-externen Importen ausgelöst werden und wie sich diese auf das Einkommen der Konsumenten, der Produzenten und des Staates auswirken. Die im Cecchini-Bericht verwendete Methode geht weit über den traditionellen Ansatz walrasianischer Prägung zur Abschätzung der Zollunionswirkungen hinaus. Er berücksichtigt neuere Forschungsergebnisse Ober die Bedeutung unvollkommenen Wettbewerbs für die Effekte wirtschaftlicher Integra32
tion. Insbesondere wird der Erkenntnis Rechnung getragen, daß die Erzielung von Skaleneffekten sowie wettbewerbsbedingte Effizienzsteigerungen wichtige Integrationsvorteile bilden. Da allgemeine Gleichgewichtsmodelle bei unvollkommenem Wettbewerb bisher kaum entwickelt worden und auf die Europäische Gemeinschaft angewendet worden sind, macht der Cecchini-Bericht ein partiales Gleichgewichtsmodell bei unvollkommenem Wettbewerb zur Grundlage ( Jacquemi.n 1988). Er stUtzt sich dabei auf das von Smith und Venables (1988a) entwickelte Modell. Der partiale Ansatz beschränkt seine Analyse auf die Auswirkungen der Abschaffung von Handelsbarrieren auf Produktion, Außenhandel usw. einer Produktgruppe bzw. eines Sektors. Im Gegensatz zum allgemeinen Gleichgewichtsansatz werden die Interdependenzen mit anderen Produktgruppen, seien sie Substitute oder komplementäre GUter (relativer Preiseffekt), ebensowenig berUcksichtigt wie die aus einer Einkommenserhöhung resultierende allgemeine Nachfragesteigerung (Einkommenseffekt).
3.2.2
Stufenansatz fekte
zur Quantifizierung der
Wohlfahrtsef-
Bei der Abschätzung der Vorteile, die aus der Vollendung des Binnenmarktes resultieren, wurden vier Effekte (auch Stufen genannt) berUcksichtigt (vgl. auch Abb. 3.4). Stufe 1: Die Auswirkungen des Abbaus von innergemeinschaftlichen Handelsschranken (vor allem von Grenzformalitäten und Wartezeiten) auf Kosten und Preise der gehandelten Waren (direkte Vorteile). Stufe 2 : Die Auswirkungen des Abbaus von Marktbarrieren auf die Produktionskosten von gehandelten und nicht gehandelten Waren. Stufe 3: Die Auswirkungen der Nutzung von Größenvorteilen. Stufe 4: Die Auswirkungen des verstärkten Wettbewerbs (innerbetriebliche Rationalisierungsmaßnahmen, Beseitigung von Monopolstellungen).
33
Abb. 3.4: Mikroökonomische Auswirkungen der EG-Marktintegration
+
KOSTENSENKUNG ______ T ____ _ durch bessere Nutzung von Größenvorteilen
+
1 durch Rationali1 sierung und Be1 seitigung von Mol nopolstetlungen
Umfang der Produktion von Gütern und Dienstleistungen
+ -Zuwachs - = Abnahme
Quelle: Cecchini (1988), S. 121
106189
lfo-lnstitut für Wrrtschaftsforschung, München
3.2.2.1
Stufe 1: Direkte Vorteile des Abbaus von schranken
~
Handels-
Die direkten Vorteile des Abbaus von Handelsschranken sind darin zu sehen, daß mit der Aufhebung der Grenzkontrollen die Kosten durch Grenzformalitäten, wie Verwaltungskosten, Wartezeiten an den Grenzen usw., wegfallen. Davon geht ein dämpfender Effekt auf Kosten und Preise der innergemein34
schaftlieh gehandelten GUter aus. Ahnliehe Kostensenkungseffekte treten ein, wenn unterschiedliche nationale technische Vorschriften und Normen gegenseitig anerkannt werden. Dieser Effekt wir aber im Gegensatz zu dem zuerst genannten bei den Berechnungen der Kommission nicht berücksichtigt. Angaben Ober die Höhe der Kostenreduzierung infolge der Abschaffung der Grenzformalitäten liefern zwei Studien von Ernst & Whinney (1988), in welchen die staatlichen Ausgaben für innergemeinschaftliche Grenzkontrollen sowie die bei den betroffenen Unternehmen unmittelbar anfallenden Kosten empirisch ermittelt werden. Dabei werden die Unternehmen des Dienstleistungssektors ausgeklammert. Die für 65 von 166 Produktgruppen erfaßten Kosten werden hochgerechnet, so daß sich ein vollständiges Bild nach Sektoren über die Kostensenkungen durch Wegfall der Grenzkontrollen ergibt. Im Durchschnitt der erfaßten Sektoren errechnet sich eine Kostenreduzierung von 1,6 %gegenüber dem bisherigen Kostenniveau (vgl. Tab. 3.1). Die sektoralen Kostensenkungen bilden die Grundlage für die Ermittlung der Wohlfahrtseffekte. Einer Erhöhung der Konsumentenrente durch Verbilligung und Ausweitung der innergemeinschaftlichen Importe stehen eine Senkung der Produzentenrente und Verluste bei den Zolleinnahmen durch Rückgang der EG-externen Importe gegenüber. Mit Hilfe von Annahmen über die induzierten Preisreduzierungen, von Handelsdaten, von empirisch ermittelten Importelastizitäten usw . werden die Wohlfahrtseffekte auf sektoraler Ebene berechnet und später aggregiert. Das Berechnungsverfahren wird dargelegt im Cecchini-Bericht (EG-Kommission 1988a). Es stützt sich auf die Studie von Cawley, Davenport (1988). Hier findet sich auch zusätzliches Zahlenmaterial, ohne das die Berechnungen im Cecchini-Bericht nicht nachvollzogen werden können. Die Ergebnisse dieser Berechnungen zeigen, daß die direkten Vorteile der Beseitigung der Grenzkontrollen relativ gering sind. Sie belaufen sich - bezogen auf 7 Länder - auf 7 Mrd. ECU und hochgerechnet für alle 12 EG-Länder auf 9 Mrd. ECU. Das entspricht einer Steigerung des Brutteinlandsprodukts von 0,2% (vgl. Tab. 3.2).
35
Tabelle 3.1
Inputkoefftztenten zur
Be~
der Grenzbuettt..,.a- und Markttntetratt-ffekte (in II)
Wirtschaftszweig
Grenzbeseit 1gungseffekte Kostensenkungen Stufe 1(A) Stufe 2(A)
Marktintagrationseffekte Kostensenkungen Stufe 3•1 Stufe 4•1
Kostensenkungen insgesamt
Land- und Forstwirtschaft
1,9
0,8
0
0
(0)
2. 7
Feste Brennstoffe Kohle öl , Gas Stront- u. Wasserversorgung Nuk laara Brennstoffe
0, 7 --
1,1 1,4 1,3 5,8 1,8
0 0 0, 8 0 0
0 0 0 0 0
(0) (0) (0) (0) (0)
1,1 1,4 2,6 5 ,8 1,8
1,1 2,4 2,7 2,3 2,1 2,8 3,1 2,3 5,9
0 0 2,0 0,8 6,3 4,0 8,0 2,5 1,3
(0) (1,5) (2,5) (0,5) (2,5) (2,5) (5,0) (5,0) (2,5)
2,9 3,9 7,3 5,9 12,2 9,8
-
Metalle Nichtmetallische Mineralien Chemische Industrie E1sanschaff./matallarz. Ind. Hascht nenbau BOromasch1nan, ADV-Garlta Elektrotechnik StraSenfahrzeugbau Sonstiger Fahrzeugbau
0,8
1,5 2,5 1,6 1,6 0,5 0,5
1,9 1,6 1,9 1,4 1,4 1, 7 1,4 1,5 1,5
Fleischwaren H11 chprodukte Sonstige Nahrungsmittel Getränke Tabakwaren
1, 0 1,0 i,O 1, 0 1, 0
0,9 1,1 1,1 1,3 0,5
1,6 1,6 1,6 1,8 1, 8
0,5 1,5 1,5 1,5 5,0
(0,5) ( 1,5) ( 1,5) ( 1, 5) (5,0)
4 ,0 5,2 5,2 5,4 8,1
Taxt11-/Bekle1dungsgewarba Ladargewerbe Holzbe- und -Verarbeitung Papier- u.Pappeverarbe1tung Gunm1-/Kunststoffwarenharst . Sonstige vararb. Industrie Baugewerbe
2,3 2, 3 3,2 1,6 1,6 1,6
1,3 1,4 1,3 1,5 1,6 1,5 1,3
0,4 0,0 0,0 1,9 1,7 0, 0 0
1,2 1, 2 1, 6 4,0 2,4 0,8 0
(0,5) (0,5) (0,5) (2,5) (1,5) (0 , 5 ) (0)
5, 2 4,9 6,1 8,9 7,3 3,9 1,3
-
Handel Hotel- und Gastgewerbe Eisenbahn, Straßenverkehr Sch1ffahrt, Luftfahrt Sonstiger Verkehr Konmun 1kat i on Kredit1nst., Versicherungen Wohnungsvermietung Sonst.marktbez. Dienst la1stg. N1chtmarktbez. Dienstleistg. Insges8111t
1,1 1,1 4,4 6,2 1, 1 5,7 11,5 0,7 3,8 0,9 1,6
a ,o 6, 7 9,1
1,1 1, 1 4,4 6,2 1,1 5, 7 11,5 0,7 3,8 0,9
2,4
a) Incl . Skalaneffekte , die aus Produktionssteigerungen bei unveränderter Betriebsgröeanstruktur resultieren . - b) In (0) Gawichtungskoaffizianten, walehe die Starke des Wettbewerbsaffekts angeben; Kostensenkungen = Sp. 1 x Gewichtungskoaffi zient. Quelle: EG-Konmission (1988a), Tab. A3.
36
Tabelle 3.2 Wohlfahrtsaffekte 1n der Europl1act.l 0..1nachaft durdl d1e Vollendllll8 des B1111111Marktu (Altemat1vrw:hnung IA)
(in Mrd. ECU) Grenzbesei t 1gungseffekte
Wirtschaftszweig
Stufe 1
Stufe 2
Land- und Forstwirtschaft
0,4
Energ1eversorgung, Bargbau
0,2
Chenlische Industrie E1senschaff./meta11erz. Ind. Hasch i nenbau BOromaschinan, AOV-Gerlte Elektrotechnik Straßenfahrzeugbau Sonst 1gar Fahrzeugbau
Marktintegrat i onseffekta
Insgesellt
Stufe 3
Stufe 4
0,4
1,1
0,0
1,9
5,2
7' 1
0,4
12,9
1,1 0,1 1,0 0,5 0,8 0,3 1,2
1,7 0,7 1,6 1,1 1,8 1,8 0,5
7' 7 3,3 4,4 1 '7 5,3 4,5 2,6
4,6 0,4 6,2 3,6 11,0 10,0 1,4
15,0 4,6 13,3
Fleischwaren M11 chprodukta Sonstige Nahrungsmittel Getrllnke Tabakwaren
0,1 0,0 0,2 0,1 0,0
0,4 0,5 1,0 0,3 0,2
0,9 1,1 3,1 0,9 0,5
0,2 0,8 1,8 0,5 0,9
1,6 2,4 6,0 1,9 1. 7
Textil- u.Baklaidungsgewerbe Ledergewerbe Holzbe- und -Verarbeitung Papier- u. Pappeverarbeitung Gunni-/Kunststoffwarenherst. Sonstige vererb. Industrie
0,1 0,3 0,1 0,1 0,0 0,2
1,5 0,4 0,6 0,5 0,3 0,5
0,6 0,3 0,4 2,9 1,6 0,2
0,8 0,3 0,3 1,5 0,5 0,4
3,1 1,3 1,4 5,0 2,4 1,3
(6,2)
(15,4)
(42,0)
(45,2)
4,2 3,5 1,1 1,5 1,4 0,1 1,7 10,5 1,5 5,9 5,8
2,3 1,5 0,9
(Verarbeitende Industrie) Baugewerbe Handel Hote 1- und Gastgewerbe Eisenbahn, Straeanverkahr Schiffahrt, Luftfahrt Sonst i gar Verkehr K011111un i kat i on Kraditinst., Versicherungen Wohnungsvermietung sonst.marktbez. Dienst leistg. Nichtmarktbaz. Dienst Iai stg.
6,7
18,8 16,6 5,8
(108,9) 6,6 5,1 2,0 1,9 1, T 0,2 1,8 11,6 1,7 6,4 8,4
o.~
0,3 0,1 0,2 1,1 0,2 0,5 2,6
Insgasamt (7 EG-Linder)•l
6,8
58,0
60,3
45,6
170,8
Alle 12 EG-Linder in X des BIP
9 0,2
80 2,0
83 2,0
62 1,6
234 5,8
a) Bane 1ux-Llinder, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien.
Quelle:
EG-Kon~~~1ssion
(1988a), Tab. A8.
37
3.2.2.2
Stufe 2: Die Auswirkungen des Abbaus von Marktbarrieren auf die Produktionskosten
Wurden in Stufe 1 die direkten Preissenkungen der
innerge-
meinschaftlich gehandelten Güter erfaßt, so werden in Stufe 2 die Auswirkungen
des Abbaus von
Marktbarrieren auf
die
Produktionskosten, unabhängig davon, ob die Güter gehandelt werden oder nicht, abgeschätzt.
Diese wiederum dienen
als
Grundlage für die Berechnung der Wohlfahrtseffekte. Drei Effekte werden in Stufe 2 berücksichtigt: - Kostensenkungen als Folge der Verbilligung der intermediären GUter. Diese wird zurückgeführt auf preiswertere Importe von Vorleistungenaufgrund des Wegfalls der
Grenz-
kontrollen sowie auf die Erzielung von Economies of Scale bei der Herstellung von intermediären Gütern. - Kostenreduzierungen
aufgrund
von
Deregulierungen
Dienstleistungsbereich. Durch die Beseitigung von barrieren (z.B. Beschränkungen des
im
Markt-
Niederlassungsrechts)
wird der durch die Segmentierung des EG-Marktes in nationale Märkte eingeschränkte Wettbewerb
Unter dem vermehrten Wettbewerbsdruck würden sich und Preise von Dienstleistungen denen des
viele
intensiviert. Kosten
effizientesten
Anbietars annähern. - Durch die Öffnung des staatlichen Beschaffungswesens werden die Lieferanten öffentlicher Auftraggeber einer steigenden Konkurrenz durch ausländische Anbieter ausgesetzt. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten, müssen sie
Produktionsapparat modernisieren
und die
den
Produktionsko-
sten senken. Als Grundlage für die Ermittlung dieser Effekte dienen folgende von der
EG-Kommission in
Cawley, Davenport (1988), Peat Price Waterhouse (1988), INSEAD
Auftrag gegebene
Studien:
Marwick McLintock (1988) und Atkins
(1988), (1988).
Sie führen zu dem Ergebnis, daß in der Verarbeitenden Industrie die Produktionskosten um 1 bis 2
~
sinken werden.
Dienstleistungssektor werden Kostenreduzierungen von 0.7 (Wohnungsvermietung) bis
hin zu
11,5%
Versicherungen) erwartet (vgl. Tab.
38
Im %
(Kreditinstitute,
3.1). Durch den
Rück-
gang der Produktionskosten werden Wohlfahrtseffekte in Höhe von 58 Mrd. ECU (7 EG-Länder) bzw. 80 Mrd. ECU (12 EG-Länder) hervorgerufen. Diese entsprechen 2 ~ des BIP. Allein durch die Deregulierung im Dienstleistungssektor werden Wohlfahrtseffekte von 33 Mrd. ECU bzw. 46 Mrd. ECU ausgelöst, das sind 20 ~ der gesamten durch den EG-Binnenmarkt hervorgerufenen Effekte (vgl. Tab. 3.2).
3.2.2.3
Stufe 3: Die Auswirkungen der Nutzung von vorteilen
Größen-
Die EG-Kommission geht in ihrer Untersuchung über die Ermittlung der statischen Effekte hinaus und versucht, die dynamischen Effekte (Marktintegrationseffekte) der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes zu erfassen. Einen wichtigen dynamischen Effekt bildet die Erzielung von Economies of Scale. Diese resultieren zum einen aus OutputSteigerungen bei bestehender Betriebsgrößenstruktur. Oie Grundlage zur Ermittlung dieses Aspekts bildet Pratten (1988). Sie sind zum anderen das Ergebnis von Veränderungen der Betriebsgrößenstruktur und damit Ausdruck eines umfassenden Strukturwandels in einem größeren Markt . Die Methodik zur Erfassung des zweiten, weitaus bedeutenderen Effekts geht von der Beobachtung aus, daß mit der Ausweitung des Außenhandels die durchschnittliche Betriebsgröße zunimmt (Müller, Owen 1985). Ausgehend von einer Zunahme der EG-internen und der EG-externen Exporte um 25 ~ als Folge der Vollendung des EG-Binnenmarktes (Smith, Venables 1988) und unter Zugrundeleguns einer Elastizität der Betriebsgröße in bezug auf den Außenhandel von 1 (basierend auf Müller, Owen 1985), nimmt der Cecchini-Bericht an, daß die durchschnittliche Betriebsgröße im Energiesektor und in der Verarbeitenden Industrie (andere Sektoren werden vernachlässigt) um 25 ~ zunehmen wird. Diese 25 ~ bilden die Richtgröße für die Bestimmung der Betriebsgrößenänderung in 28 Sektoren, die 28 ~ der Produktion in der EG auf sich vereinigen. Bei den sektoralen Projektionen werden berücksichtigt : die sektorale Handelsausweitung, das Tempo der Ex-post-Ausweitung der durchschnittlichen Betriebsgröße , die bisher erreichte Annäherung der durchschnittlichen an 39
die optimale Betriebsgröße usw. Die sektoralen Anderungen der durchschnittlichen Betriebsgröße finden sich implizit bei Aujean (1988, Tab. 1). Aus der Zunahme der durchschnittlichen sektoralen Betriebsgrößen werden mit Hilfe empirisch ermittelter Kostenverläufe (Müller, Owen 1985) die sektoralen Kosteneinsparungen als Folge der Erzielung von Economies of Scale abgeleitet (vgl. Aujean 1988, Tab. 1). Unter der Annahme, daß in den nicht erfaßten Sektoren, die, wie gesagt, 72 % der
Produk-
tion beinhalten, keine Skalenffekte eintreten, werden diese Kostensenkungen entsprechend der sektoralen Systematik des Cecchini-Berichts zusammengefaßt (vgl. Aujean 1988, Tab.2). In Tabelle 3.1 sind beide Skaleneffekte gemeinsam ausgewiesen. Es zeigt
sich, daß
Kostensenkungen um bis
(sonstiger Fahrzeugbau) durch
zu 5,9
die Realisierung von
%
Econo-
mies of Scala erzielt werden. Unter Verwendung von InputOutput-Tabellen werden diese sektoralen Kostensenkungen in die induzierten Kostensenkungen für Endprodukte transformiert und hieraus Wohlfahrtseffekte errechnet. Tabelle zeigt, daß diese sich auf 60,3 Mrd. ECU (7 EG-Länderl
3.2 bzw .
83 Mrd. ECU (12 EG-Länder), d.h. 2% des BIP belaufen.
3.2.2"4
Stufe 4: Die Auswirkungen des verstärkten
Wettbe-
werbs Mit den Skalenerträgen ist nur ein Teil der dynamischen Effekte erfaßt. Darüber hinaus berücksichtigt der CecchiniBericht, daß mit der Verstärkung des Wettbewerbs die Effizienz in den Unternehmen gesteigert wird. Ansatzpunkte bilden
überhöhte
Lagerbestände,
überflüssiges
Personal,
veraltete Organisationsstrukturen usw. Darüber hinaus trägt die Intensivierung des Wettbewerbs zum Abbau von Monopolrenten bei. Im Gegensatz zu diesen beiden Effekten werden die Auswirkungen verstärkten Wettbewerbs auf die Innovationstätigkeit nicht in
die Berechnungen des
richts einbezogen.
40
Cecchini-Be-
Das Verfahren zur Berechnung der Wohlfahrtseffekte in Stufe 4 unterscheidet sich von dem bisherigen. Oie Effekte werden nicht direkt, sondern indirekt ermittelt, indem die Wohlfahrtseffekte der Stufe 1 mit Koeffizienten gewichtet werden. Diese Koeffizienten geben an, in welchem Maß ein Abbau von Monopolrenten in einzelnen Sektoren als Folge verstärkten Wettbewerbs zu erwarten ist. Je nach der Höhe des Konzentrationsgrades werden in Anlehnung an Smith, Venables (1988) Koeffizienten von 0,5 bis 5 zugrundegelegt. Sie spiegeln das erwartete Ausmaß der Monopolrentenreduzierung wider (vgl. Tab. 3.1). Oie Gewichtung der Wohlfahrtseffekte der Stufe 1 mit diesen Koeffizienten wird ergänzt durch die effizienzbedingten Wohlfahrtssteigerungen. Von der Intensivierung des Wettbewerbs in der Verarbeitenden Industrie, auf die sich die Berechnungen weitgehend beschränken, gehen Wohlfahrtseffekte von 42,2 Mrd. ECU (7 EG-Länder) aus. Oiese entsprechen einem Anteil am BIP von 1,6 ~ (vgl. Tab . 3. 2).
Faßt man die Wohlfahrtseffekte der vier Stufen zusammen, so ergibt sich ein Wohlfahrtseffekt von insgesamt 170,8 Mrd. ECU (7 EG-Länder) bzw. 234 Mrd. ECU (12 EG-Länder). Dieser ist gleichbedeutend, um eine Größenordnung zu haben, mit einem Anstieg des BIP um 5,8 ~- Hierbei handelt es sich um eine einmalige, sich über mehrere Jahre erstreckende Erhöhung der Wohlfahrt. Oie vorgestellte Abschätzung der Wohlfahrtseffekte bildet eine von mehreren Alternativrechnungen, die sich durch die Verwendung unterschiedlicher Methoden und Daten unterscheiden. Sie ergeben Wohlfahrtseffekte, die Zunahmen des BIP von 4,3 % bis hin zu 6,4 % entsprechen (vgl. Tab . 3.3). Zur Überprüfung der Ergebnisse des partialen Gleichgewichtsansatzes werden im Cecchini-Bericht Berechnungen der Wohlfahrtseffekte mit Hilfe eines Preiskonvergenzansatzes durchgeführt. Ausgehend von bestehenden Preisunterschieden innerhalb der EG werden die Preisanpassungen vorausgeschätzt, die sich aus dem Abbau der Grenzbarrieren, der Intensivierung des Wettbewerbs usw. ergeben. Durch Gewichtung dieser auf sektoraler Ebene ermittelten Preisrückgänge mit der Nachfrage nach Gütern der entsprechenden Sektoren las41
Tabelle 3. 3
D1e Wohlfahrtseffekte des B1nnenaarktes - Ergebn1sse von Altemat1vrechnungen in Mrd. ECU A B
in
:111
A
des BIP B
1. Stufe: Direkte Vorteile des Abbaus von Handelsschranken 2. Stufe: Senkung der Produktionskosten durch Abbau v. Handelsschr.
8
9
0,2
0,3
57
71
2,0
2,4
Grenzbeseitigungseffekte insgesamt
65
80
2,2
2,7
3. Stufe: Auswirkungen der Nutzung von Größenvorteilen 4. Stufe: Auswirkungen des verstärkten Wettbewerbs
60
61
2,0
2' 1
46
46
1,6
1 '6
Marktintegrationseffekte insgesamt: Variante I Variante II (Alternativberechnungen)
106 62
107 62
3,6 2, 1
3,7 2' 1
Gesamtsumme:
171 127
187 142
5,8 4,3
6,4 4,8
I A; I B II A; l i B
Hochrechnung: - fUr 7 Mitgliedstaaten - fUr 12 Mitgliedstaaten
127 - 187 173- 2.57
4,3 - 6,4 4,3 - 6,4
A1111rku1...: 1. Stufe: A und B basieren auf alternativen Schltzungen der Kostensenkung; Ageht von den Ergebnis-
sen der Sektorstudien und der Studien über die Kosten der Grenzfor•aliUttn aus, B oezieht darüber hinaus die Ergtbnisse der Unterneh~ensbefragungen über die Kosten von Handelsbarrieren ein. 2. Stufe: Anders als bei Awird bei 8 die Senkung der Produktionskosten il Agrar- und i1 Stahlsektor zusltz 1ieh berOch icht igt. 3. Stufe: Oie geringfügige Differenz zwischen Aund B Oe ruht auf unterschied! ichen Annah1en über die durch Output-Steigerungen erzi e1ten Econo1i es of Seal e. 4. Stufe: Keine Differenzierung nach Aund B. Variante 1: Getrennte ErlittJung der Econo1iea of Scale- und Uttbewerbseffekte nach der i1 Text dargestellten Methode. Variante II: Gewichtung der Wohlhhrtseffektt in Stufe 1 •it gutinu•en Koeffizienten für die Econo•ies of Scale- und wettbewerbsefftkte. Oie in der Tabelle i1 einzelnen aufgeschlüsselten Zahlen beziehen sich nur auf Angaben auf d1e 7 Mitgliedsltnder, die der Untersuchung weitgehend als Grundlage dienten: Belgien, Deutschland. Frankreich, Italien, Luxe1burg, Niedarlande und Vereinigtes Königreich. Auf diese Stuten entfal len 88 s des BIP der Geneinschaft. Oie Hochrechnung dieser Schitzung auf die Zwölfergueinschaft stellt eher eine Untertreibung dar, da die Yortei le für die übrigen fünf - grö8tentei ls nicht von der Studie ertaSten- Mitgliedstuten noch höher liegen.
Quelle: EG-Kommission (1988a), Tab. 10.1.1. 42
sen sich die Auswirkungen der Vollendung des Binnenmarktes grob ermitteln. Die Wohlfahrtseffekte belaufen sich nach diesem Ansatz auf 2,8 bis 4,8 • des BIP (EG-Kommission 1988a, Tab. A9).
3.2.3
Methodische Kritik am mikroökonomischen Ansatz
Die im Cecchini-Bericht vorgelegten quantitativen Auswirkungen wurden in der Presse als erheblich überschätzt angesehen (z.B. Helmut Schmid, "Die Zeit" vom 24.6.1988) und sogar einmal die Behauptung aufgestellt, daß die durch den Binnenmarkt ausgelösten Impulse "eher bei der zweiten Stelle hinter dem Komma" 1 iegen (W. Engels, "Wi rtschaftswoche" vom 2.9.1988). Die allgemeine Kritik gegenüber solchen Potentialrechnungen richtet sich gegen den Versuch, die Gesamtwirkungen eines umfassenden Liberalisierungs- und Umstrukturierungsprogramms überhaupt quantifizieren zu wollen. In der Abschätzung solcher längerfristigen Angebotswirkungen haben sich die Wirtschaftswissenschaften schon immer schwer getan. Hinzu kommt, daß im Binnenmarktprogramm die Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung von technischen Vorschriften, Normen und Zulassungsverfahren, die Unternehmensstrategien sowie die Reaktionen der Wirtschaftspolitik auf die (vernachlässigten) Anpassungsfriktionen weitgehend unbekannt bleiben bzw. durch eine Fülle von Annahmen ersetzt werden müssen. Dies alles erschwert die Abschätzung der Wirkungen der Vollendung des Binnenmarktes erheblich. Gleichwohl bilden die Arbeiten der EGKommission einen durchaus ernst zu nehmenden Ansatz. dessen Methodik und Annahmen allerdings in einer Reihe von Punkten zu kritisieren sind. Grundsätzlich ist zu fragen, ob das Binnenmarktprogramm inhaltlich wie zeitlich realistisch ist. Wenn auch der Prozeß hin zu einem Europäischen Binnenmarkt irreversibel zu sein scheint, so ist doch zweifelhaft, ob die im Weißbuch vorgesehenen Maßnahmen vollständig realisiert werden können. Skepsis ist u.a. angebracht bezüglich des Grades der Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte in Höhe von 50 bis 65 • des gesamten Auftragsvolumens (von 15 • des EG-BIP) 43
für gemeinschaftsweite A~sschreibungen , der Steuerharmonisierung sowie der Einführung der Kapitalverkehrsfreiheit bei drohenden Zahlungsbilanzschwierigkeiten. Auch scheint der Zeitraum bis 1992 für die Realisierung des Programms knapp bemessen zu sein. Sollte das Binnenmarktprogramm inhaltlich wie zeitlich nicht wie geplant realisiert werden können, so träten seine Wirkungen nicht in vollem Umfang bzw. zeitlich verzögert ein. Zu der Abschätzung der Wirkungen des EG-Binnenmarktes durch den Cecchini-Bericht sind eine Reihe grundsätzlicher Anmerkungen zu machen: - Ein wesentlicher Kritikpunkt beinhaltet, daß lediglich die zweifellos vorhandenen Vorteile der europäischen Integration erfaßt, deren Kosten aber unterschlagen werden. Solche Kosten treten jedoch zwangsläufig auf, wenn im Zuge der Integration der Strukturwandel intensiviert wird. Ein Teil des volkswirtschaftlichen Kapitals wird entwertet, wenn Unternehmen vom Markt verdrängt werden. Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren, erleiden Einkommenseinbußen und müssen die Kosten, die mit der Suche und Aufnahme einer neuen Beschäftigung verbunden sind, tragen. Qualifikationen werden entwertet . Mittel für Umschulungsmaßnahmen müssen bereitgestellt werden . Die Auflistung der Kosten ließe sich beträchtlich erweitern (vgl. Franzmeyer 1987b). Die sicherlich schwer abzuschätzenden Kosten sind den Erträgen gegenüberzustellen, will man zu einer angemessenen Bewertung des Binnenmarktes 1992 kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Kosten häufig schon dann zu verzeichnen sind, wenn die Erträge sich noch nicht eingestellt haben. - Ein weiterer Mangel des mikroökonomischen Ansatzes ist darin zu sehen, daß die Erträge der Vollendung des EGBinnenmarktes nur für die EG insgesamt, nicht aber für einzelne Länder und Regionen ermittelt werden. Zwei Gründe dürften die Wahl eines ausschließlich globalen Ansatzes bestimmt haben. Die EG-Kommission will vermeiden, daß Widerstände gegen den EG-Binnenmarkt in Ländern aufkommen, die nur unterdurchschnittlich an den Erträgen parti44
zipieren. Außerdem hätte ein nach Ländern (und Regionen) differenzierter Ansatz erfordert, daß die Veränderungen der Arbeitsteilung innerhalb der EG als Folge des Binnenmarktes 1992 abgeschätzt werden. Dieser schwierigen Aufgabe hat sich der Cecchini-Bericht nur unvollkommen gestellt. - Innerhalb der Grenzbeseitigungseffekte (Stufe 1 und 2) soll das Hauptaugenmerk auf die Ermittlung der Wohlfahrtseffekte, die aus der Liberalisierung des Dienstleistungssektors resultieren, gelegt werden. Diese machen etwa 20 ~ der gesamten Wohlfahrtseffekte des Binnenmarktprogramms aus. Die Abschätzung der Preissenkungen durch Deregulierung erfolgt auf der Grundlage der bestehenden Preisdifferenzen für einzelne Dienstleistungen zwischen den verschiedenen EG-Ländern. Es wird unterstellt, daß diese nach Vollendung des Binnenmarktes abgebaut werden . In welchem Ausmaß dies geschehen wird, ist offen. Sicherlich lassen sich Preisdifferenzen nur insofern reduzieren, als sie auf künstlichen Handelshemmnissen beruhen. Ein nicht geringes Maß an Preisdifferenzen dürfte aber auf natürlichen Handelshemmnissen (räumliche Entfernung, Präferenzen der Konsumenten usw.) und national unterschiedlichen Kostenstrukturen basieren. Des weiteren stellt sich die Frage , inwieweit die künstlichen Marktbarrieren tatsächlich beseitigt werden. Stärkere Preisangleichungen im Bereich der Finanzdienstleistungen setzen nämlich voraus, daß die Freiheit des Kapitalverkehrs, die Niederlassungsfreiheit ausländischer Banken und Versicherungen, ein unbehinderter Austausch von Finanzdiensten über nationale Grenzen hinweg gewährleistet ist. Nun ist es keineswegs so, wie manchmal behauptet wird (Knies 1989), daß der Cecchini-Bericht von einer gänzlichen Einebnung von Preisdifferenzen ausgeht. Selbst die vollständige Durchführung des Weißbuch-Programms würde danach nicht zu vollkommenen Wettbewerbsmärkten und totaler Preisangleichuns führen. So werden z.B. die theoretisch denkbaren Preisreduktionen im Bereich der Finanzdienste (in Höhe von 21 ~) in der Durchrechnung nur zur Hälfte (10 ~ im Durchschnitt der 8 untersuchten Länder, 45
mit einem Spielraum vo~ 5 bis 15 • nach Ländern) ausgenutzt (EG-Kommission 1988a). Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die EG-Kommission von einem realistischen Grad der Preisanpassung ausgeht. Die Beantwortung dieser Frage fällt schwer. Das Unsicherheitsmoment in diesem Teil der Berechnungen dürfte relativ groß sein. - Eine wichtige Rolle in den Gesamtergebnissen des Cecchini-Berichts spielen die durch den Binnenmarkt eröffneten Möglichkeiten der Nutzung von Skalenerträgen (Stufe 3). Unzureichende Informationen über die sektoralen Betriebsgrößenstrukturen sowie die stark begrenzte Zahl relevanter Studien erschwerten die Abschätzung der Skaleneffekte beträchtlich. Die errechneten Größenordnungen bei der Ausschöpfung von Economies of Scale sind von verschiedener Seite in Zweifel gezogen worden. Die Übertragbarkeit von empirischen Ergebnissen aus den sechziger und siebzi~ ger Jahren wäre durch die Verbreitung der Anwendung computergestützter Produktionstechnik, welche die kostenoptimale Produktion auch kleinerer Losgrößen begünstigt, fragwürdig geworden. Auch hätten die Teile der Industrie, welche weltmarktorientiert produzieren, die Vorteile der Massenproduktion bereits realisiert. Die Argumente, die zugunsten der erwarteten Größenvorteile ins Feld geführt werden, beziehen sich auf bisher nicht standardisierte Produktions-, insbesondere aber Vertriebs- und Marketingformen, auf die hohen Fixkosten von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, auf die Synergieeffekte größerer Unternehmenseinheiten und auf die stärkere Zusammenfassung von Mittelbetrieben als Zulieferer. Auße.rdem ist zu berücksichtigen, daß der gemeinsame Markt die Produktspezialisierung sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit eine Marktausweitung fördern würde. Hinzu kommt, daß bei den Berechnungen des Cecchini-Berichts nur Teile der Verarbeitenden Industrie und des Energiesektors berücksichtigt werden, während andere Wirtschaftsbereiche, wie der Dienstleistungssektor, in denen ein Potential zur Nutzung von Größenvorteilen durchaus noch gegeben ist, ausgeklammert werden. Bei Abwägung der genannten Faktoren erscheinen die Wohlfahrtseffekte aus der Wahrnehmung von Economies of Scale im Cecchini-Bericht nicht überschätzt worden zu sein. 46
- Die Ermittlung des Wettbewerbseffekts in Stufe 4 geht von der durchaus plausiblen Annahme aus, daß mit der Vollendung des Binnenmarktes der Wettbewerb in der EG intensiviert wird. Mögliche gegenläufige Tendenzen, die aus marktstrategischen Reaktionen der Unternehmen und Monopolisierungstendenzen im Zuge der Erzielung von Economies of Scale resultieren, hätten jedoch diskutiert werden müssen. Zu Recht werden die Auswirkungen der Wettbewerbsintensivierung auf die Erhöhung der Unternehmenseffizienz und den Abbau von Monopolrenten in den Mittelpunkt der Berechnungen gestellt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit nicht ausgeklammert worden wären. Die indirekte Ermittlung der Wohlfahrtseffekte mit Hilfe von Koeffizienten, die den Konzentrationsgrad mit dem Monopolgrad gleichsetzen, erscheint fragwürdig. Aus der Zahl von Unternehmen kann nicht ohne weiteres auf den Monopolgrad geschlossen werden (Automobilindustrie: hoher Monopolgrad; Bekleidungsindustrie: niedriger Monopolgrad). Hier hätten Untersuchungen über die Wettbewerbssituation in einzelnen Sektoren zur Grundlage der Berechnungen gemacht werden müssen. Angesichts der Unzulänglichkeit des Berechnungsverfahrens scheinen die Ergebnisse in Stufe 4 mit einem hohen Grad an Unsicherheit behaftet zu sein.
3.3
Makroökonomische blick
Simulationen:
ein kritischer
über-
Die mikroökonomische Methode zur Ermittlung der Vorteile aus der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes hat einen wesentlichen Nachteil: sie vernachlässigt die sekundären Rückwirkungen, die von den direkten Kosteneinsparungen (primäre Schocks) ausgehen. Erst mit der Verwendung großer makroökonomischer Modelle lassen sich die dynamischen Wirkungen dieser Anstöße auf das Wachstumspotential, die Beschäftigung, das Realeinkommen, das Preisniveau, das Budgetdefizit und die Handelsbilanz usw. für jedes Land simulieren und damit gleichzeitig auch die Transmissionswir47
kungen von einem Land zum. anderen berücksichtigen. Herangezogen wurden das makrosektorale HERMES-Modell der EG-Kommission, das COMET-Modell für die Bundesrepublik und die Niederlande und das INTERLINK-Modell der OECD für die AbSchätzung der Wirkungen, die aus der Liberalisierung des Dienstleistungssektors resultieren (vgl. hierzu: Catinat. Donni and lta 1 i aner 1988). Im Unterschied zur Klassifikation des EG-Weißbuchs (1985) werden partialanalytisch die Ausgangsschocks von vier Bereichen identifiziert, die als Inputs in die Makromodelle eingeführt werden, nämlich die Auswirkungen durch - die Beseitigung trollen,
der
innergemeinschaftlichen
Grenzkon-
- die Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte, - die Liberalisierung der Finanzdienste und Kapitalmärkte. - die Angebotseffekte durch Ausnutzung von und durch den intensiveren Wettbewerb.
Größenvorteilen
Die Aggregation dieser Ergebnisse erlaubt ein Gesamturteil der makroökonomischen Wirkungen auf mittlere Sicht (5 bis 10 Jahre) für die EG(12) insgesamt sowie getrennt für die vier großen Mitgliedsländer, nämlich für die Bundesrepublik, Frankreich. Italien und Großbritannien. Die Länderergebnisse sind jedoch nicht unbedingt miteinander vergleichbar. Die Quantifizierungen geben an, wie die jeweilige Entwicklung nach einem mittelfristigen Anpassungsprozeß im Vergleich zu jener ohne die Vollendung des EG-Binnenmarktes (base-line) verlaufen würde. Die Ergebnisse sind Größenordnungen, die mit einer Unsicherheitsmarge von ± 30 ~ behaftet sind. Bei den ökonometrischen Simulationen wird unterstellt, daß die (statischen) Anstöße durch die WeißbuchMaßnahme in ihrer Gesamtheit sofort im ersten Jahr des vorgesehenen Zeitraumes 1988-92 erfolgen, während die dynamischen Folgewirkungen sich auf eine mittel- bis längerfristige Periode erstrecken. In Wirklichkeit werden sich aber auch die (statischen) Ausgangsschocks auf eine längere Implementierungsphase verteilen.
48
3.3.1
Wichtige Simulationsergebnisse und gesamtwirtschaftliche Anstöße
Den makroökonomischen Simulationen zufolge führen die Binnenmarkt-Maßnahmen zu einer beträchtlichen Senkung der Kosten und Preise und über höhere Kaufkraft für den Verbraucher und Anreize für höhere Investitionen (durch verminderte Zinsmargen nach Abbau der Kapitalmarktsegmentierung) zu einem mittelfristigen Wachstumsschub (vgl. Abb. 3.5). Auf diese Weise kann sich das reale BIP um zusätzlich 4,5 ~er höhen, d.h. das mittelfristige Wachstumspotential der EG von jährlich rund 2,5 ~könnte durch den Binnenmarkt für längere Zeit um jährlich 0,5 bis 1 ~ zunehmen. Gleichzeitig würde das Preisniveau um 6 ~sinken, sich das Budgetdefizit um gut 2 Prozentpunkte des BIP vermindern und die Handelsbilanz (wegen der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit) sich um rund 1 Prozentpunkt des BIP erhöhen können. Damit wird ein wirtschaftspolitischer Handlungsspielraum verfügbar, der durch ein Paket von Maßnahmen (Steuersenkungen, öffentliche Investitionen) größtenteils genutzt werden kann, um weitere Wachstums- und Beschäftigungseffekte zu erzeugen. Auf diese Weise könnte der Wachstumsschub von 4,5 ~ auf 7 ~ und die Zahl der zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze von 1,9 auf 5 Millionen vergrößert werden (Tab. 3.4). Die direkten Anstoßwirkungen werden auf komplexe und teilweise indirekte Weise in die Simulationsrechnungen eingeführt und dabei vier Bereiche unterschieden, nämlich die a) Grenzkontrollen: Sie verursachen direkte Kosten durch Grenzformalitäten und Verzögerungen an der Grenze (von rund 7,9 bis 8,3 Mrd. ECU) und durch die Beschäftigung von Grenzbeamten u.ä. (rund 0,5 bis 1 Mrd. ECU). Die Beseitigung von internen Grenzkontrollen würde unmittelbar die innergemeinschaftlichen Importpreise (um durchschnittlich 1,7 ~)vermindern und damit Substitutionseffekte und Terms-of-Trade-Verbesserungen auslösen. Negativ stehen ihnen Beschäftigungsverluste (privat und staatlich: rund 80 000 Arbeitsplätze) gegenüber.
49
Abb. 3.5 Die wesentlichen makroökonomischen Mechanismen, die durch die Vollendung des Binnenmarktes ausgelöst werden
Marktintegration
-----...,
I
I
t ------,
~----------Wenbewem
_______
~e~~~h~~ng_ lmp011Zunahme)
J
_____ ~e~~h~~J Beschäftogungsverluste im Beretch der Grenzkontroßen, Zunahme der Arbeitsproduktivität)
- - - - - - - f)OSitil;er Effekt - -- - -
negatiVer Effekt
Duelle: EG-Kommission. Europäische Winschaft Nr. 35, Luxemburg 1988 195188
IFO-INSTITUT für Wirftd,ahtfondlvng ~
50
cm>
Tabelle 3.4 ou.tw1rtschaft11che Folgen des EG-B1n,..,..rktea auf •1ttlere Sicht
(Veränderung in Prozentpunkten) Ohne flankierende Wirtschaftspolitik
Reales BIP Beschäftigung Beschäftigung (in 1000) Verbraucherpreise
EG(12)
BRD
Mit flankierender Wirtschaftspolitik EG(12)
4,5 1,5 1 866 -6,2
4,2 1,7 438 -6,2
7,0 4,0 5 000 -4,5
2,2 1,0
1,5 0,7
-0,4 -0,2
--------------------------- ------------- ------------- ------------BudgetOberschuB•J HandelsbilanzOberschuB•l
a) In Prozentpunkten des BIP. Quelle: EG-Kommission (1988a).
b) öffnung der staatlichen Beechaffungamlrkte: Sie führt zu Ersparnissen für die Regierung und öffentlichen Unternehmen von ungefähr 12,7 Mrd. ECU (0,5 ~ des BIP der EG), die sich auf dreifache Weise ergeben: - durch statische Effekte (Substitution nationaler Produktion durch kostengünstigere Einfuhren), - durch Wettbewerbseffekte verstärkten Wettbewerbs),
(Preissenkungen
als
Folge
- durch Umstrukturierungseffekte (Zusammenschlüsse, Ausnutzung von Größenvorteilen, Abbau von Monopolrenten u.ä.). c) Liberalisierung der Finanzdienste und KapitalmArkte: Der in der Price-Waterhouse-Studie (1988) ermittelte potentielle Rückgang der Kosten der Finanzdienste von durchschnittlich 10 ~soll sich umsetzen in - einer Senkung der kurz- und langfristigen Zinsmargen, - einer Senkung der Preise für andere Finanzdienste und 51
- einer Angleichuns der realen Zinssätze in einem freien EG-Kapitalmarkt. Die Anstoßwirkung dieser Kapitalkosten für die Verbraucher und Unternehmen würde 0,7% des EG-BIP ausmachen und zu einem realen Wachstumsschub von 1,5 Prozentpunkten (d.h. einem Drittel der Gesamtwirkung) führen. d) Angebotswirkungen: Die Aufhebung der Barrieren, die bisher den EG-Binnenmarkt segmentiert haben, verändern die Markt- und Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen, deren Auswirkungen sich als verminderte Stückkosten auf drei Ebenen niederschlagen: - durch den Abbau der nichttarifären Hemmnisse und Marktzugangsschranken, wie sie von den Sektorstudien erfaßt wurden (rund 1 % des EG-BIP), durch Ausnutzung von Größenvorteilen im Energiebereich und im Verarbeitenden Gewerbe, - durch verstärkten Wettbewerb, d.h. den Abbau von Monopolrenten und anderen ineffizienten Unternehmensverhaltens. Die von den oben erwähnten vier Bereichen ausgelösten gesamtwirtschaftlichen Folgen ergeben auf mittlere Sicht eine Vielfalt von Reaktionen, die in Tabelle 3.5 nur für einige wichtige Makroaggregate der EG-Ebene dargestellt werden.
3.3.2
Gesamtwirtschaftliche Folgen veränderter Makropolitik)
nach Ländern (bei
un-
Die Maßnahmen zur Vollendung des EG-Binnenmarktes wirken nicht gleichmäßig auf alle Mitgliedsländer, weil einmal sich die direkten Anstöße und zum anderen die indirekten ROckwirkungen von Land zu Land voneinander unterscheiden. Bei einem Vergleich zwischen den vier wichtigen EG-Ländern fallen die Unterschiede des zusätzlichen gesamtwirtschaftlichen Wachstums zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien einerseits (4,2/4,0 %) und Frankreich und Italien andererseits (5,1/5,5 %) auf. Sie sind dadurch verursacht, 52
Tabelle 3.5 Ge...twirtachaftl1cM Fol9111 fOr die EG ina....-t (nach vier Bereichen)
~ In Prozentpunkten Reales BIP Bruttoanlageinvestit. Beschllftigung Verbraucherpreise Reallohn Arbeitsproduktivität
In absol. Differenzen Beschäftigung (in Tsd) Budgetüberschußbl Handelsbil.-überschußbl
Grenz- staatl. Finanz- Ange- Insgekon- Beschaf- dienbots- samt•> trol- fungsste effekt len markt (a)+(b)+ (a) (b) (c) (d) +(c)+(d) 0,4 0,5 0,2 -1,0 0,3 0,2
0,6 0,9 0,3 -1,5 0,3 0,3
1,5 2,4 0,4 -1,4 0,4 1, 1
2,1 1,6 0,7 -2,3 1,3 1,5
4,5 5,4 1, 5 -6,2 2,2 3,0
215 0,2 0,2
356 0,3 0,1
440 1,1 0.3
859 0,6 0,5
1 866 2,2 1,0
a) Oie Spaltenergebnisse sind abgerundet und addieren sich daher nicht notwendigerweise zur Gesamtsumme. - b) In ' des BIP. Quelle: Catinat, Donni, Italianer (1988).
daß der Beitrag aus der Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte (c) im ersten Fall deutlich niedriger als für Frankreich und Italien ausfällt. Ein relativ effizienter Finanzsektor in Großbritannien und in der Bundesrepublik induziert nur einen bescheidenen Anstieg der inländischen Nachfrage. Im Gegensatz dazu würden die Unternehmensinvestitionen und der private Verbrauch in Italien und Frankreich am stärksten von der Beseitigung von Marktzugangsbarrieren im Finanzbereich profitieren (vgl. Tab. 3.6). Die Modellrechnungen gehen jedoch von einer unveränderten Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsländern aus, d.h. es gibt keine Rückkopplung zwischen der unterschiedlichen Anpassungsnotwendigkeit und -fähigkeit der betroffenen Sektoren und der Verteilung der globalen wachstumsgewinne. zum 53
Tabelle 3.6
Ga.-twirtsc:haft11che Folgen nach Lindern und Bereichen (in Prozentpunkten auf mittlere Sicht)
EG(12)
D
F
I
UK
(a) Grenzkontrollen Reales BIP Bruttoanlageinvestit. Beschäftigung Verbraucherpreise
0,37 0,47 0,17 -1,02
0,57 0,76 0,34 -1,27
0,34 0,45 0,03 -1,09
0,24 0,20 0,10 -0,68
0,31 0,29 0,20 -1,21
(b) Beschaffungaalrkte Reales BIP Bruttoanlageinvestit. Beschäftigung Verbraucherpreise
0,55 0,88 0,28 -1 , 46
0,56 1,52 0,27 -2,15
0,50 0,48 0,26 -0,42
0,39 0,31 0,20 -0,45
0,70 0,97 0,32 -2,92
(c) Finanzdienste Reales BIP Bruttoanlageinvestit. Beschliftigung Verbraucherpreise
1,46 2,42 0,36 -1,38
0,96 1,04 0,42 -0,48
1, 77 3,95 0,41 -0,86
3,01 5,00 0,45 -4,19
0,84 1,02 0,31 -0,74
(d) Angebotseffekte Reales BIP Bruttoanlageinvestit. Beschliftigung Verbraucherpreise
2,14 1,63 0,68 -2,29
2,10 1,88 0,65 -2,26
2,45 1,90 0,87 -2,53
1,82 1,41 0,64 -1,75
2,15 1,13 0,56 -2,56
Insses-t (a) + (b) + (c) + (d) Reales BIP Bruttoanlageinvestit. Beschliftigung Verbraucherpreise
4,52 5,39 1,47 -6,16
4,20 5,21 1,68 -6,16
5,05 6,79 1,57 -4,89
5,46 6,93 1,40 -7,07
4,00 3,42 1,39 -7,43
---------------------------- -------- ------- ------- ------- -------
Quelle: Catinat, Donni, Italianer (1988).
54
Beispiel könnten sich die italienischen und französischen Banken- und Versicherungsmärkte wegen unzureichender Wettbewerbsfähigkeit als Folge langjähriger Abschottung gezwungen sehen, Teilbereiche des Finanzgeschäfts den britischen und deutschen Finanzinstitutionen zu überlassen. In diesem Fall würden in der Bundesrepublik und Großbritannien höhere Wachstumsgewinne möglich werden, als aus den Simulations-· rechnungen hervorgeht. Solche Rückkopplungseffekte lassen sich nur in Gleichgewichtsmodellen berücksichtigen, in denen die Nachfrage und das Angebot von Produkten und Produktionsfaktoren auf relative Preis- und Kostenveränderungen reagieren. Trotz der unterschiedlichen Wachstumsimpulse sind die Beschäftigungseffekte in den vier Ländern erstaunlich gleichartig (und liegen zwischen Zuwächsen von 1,4 bis 1,7 Prozentpunkten). Dabei bleibt unklar, ob die Unterschiede auf die Verschiedenheiten der Ländermodelle zurückgehen (für die Bundesrepublik lag kein spezifisches HERMES-Modell vor, statt dessen wurde die COMET-Version benutzt) oder ob sich die Ähnlichkeiten durch das Kompensieren verschiedener Schocks ergeben.
3.3.3
Methodische Kritik und Gegenkritik
Gegen die Anwendung makroökonomischer Modelle zur Abschätzung von mikroökonomisch induzierten Angebotsschocks lassen sich viele grundsätzliche Einwände erheben. Die herangezogenen Modelle (HERMES, COMET, INTERLINK) sind für eine solche Anwendung nicht gebaut worden. Das EG-HERMES-Modell ist im Jahre 1987 noch unvollständig und weitgehend unerprobt und das COMET-Modell teilweise Oberholt gewesen. Die umfassende Liberalisierungsaktion der Binnenmarktinitiative dürfte die Verhaltensweisen der Unternehmen (Preisreaktionen, Investitionsverhalten, Kooperationsformen usw.) vielleicht so verändern, daß die in den Modellen enthaltenen Parameter, die auf der Basis der langjährigen Rahmenbedingungen ermittelt wurden, u.U. zu falschen Schlußfolgerungen führen. Ungewiß ist auch, ob solche Anpassungen in den Verhaltensweisen nicht auch bei den Arbeitnehmern und Gewerk55
schaften und schließlich bei den Verbrauchern auftreten werden und die früher beobachteten Reaktionen (Beschäftigungsfunktionen, Spar- und Verbraucherverhalten usw.) verändern. In der Diskussion der Cecchini-Studien wurden auch die makroökonomischen Ergebnisse der Beschäftigungswirkungen in Frage gestellt. Die ökonometrischen Simulationen sehen auf mittlere Sicht (6 Jahre) (vgl. Tab. 3.4) vor: bei neutraler Wirtschaftspolitik und einem zusätzlichen BIP-Wachstum von insgesamt 4,5 ~die Schaffung von 1,9 Millionen neuen Arbeitsplätzen (was einem Gesamtzuwachs von 1,5 Prozentpunkten entspricht) und - bei der Ausnutzung des mit dem Binnenmarkt freigesetzten wirtschaftspolitischen Spielraums einen weiteren Wachstumsschubvon 2,5 auf 7 ~und einen zusätzlichen Beschäftigungsanstieg um 2,5 ~ auf insgesamt 4 ~. d.h. rund 5 Millionen neue Arbeitsplätze. In beiden Fällen kommt es wegen der unterstellten Hypothese in den Simulationen (Anstoßwirkung aller Maßnahmen im ersten Jahr) zu einem Beschäftigungsrückgang vor allem in den beiden ersten Jahren, in denen sich die negativen Effekte durch den Abbau von Zollbeamten u.ä. und durch die Umstrukturierung konzentrieren würden. In Wirklichkeit werden sich aber auch die n.egativen Beschäftigungseffekte über einen längeren Zeitraum erstrecken. Abgesehen vom Zeitablauf muß auch in Frage gestellt werden, ob die im Cecchini-Bericht ausgewiesenen Beschäftigungswirkungen realistisch sind (vgl. Kapitel 6). Ebenso unsicher wie die Beschäftigungseffekte sind Aussagen über die Anpassungskosten des Binnenmarktprogramms. Die zunehmende Verflechtung der nationalen Märkte hat sich im bisherigen Integrationsprozeß zum großen Teil über eine Intensivierung des intra-industriellen Handels vollzogen. Man kann davon ausgehen, daß der Rationalisierungs- und Wettbewerbsdruck des vollständigen Binnenmarktes die Ausweitung des intra-industriellen Handels und der Produktdifferenzierung beschleunigt und damit die Anpassungen eher innerhalb
56
und zwischen Unternehmen und weniger zwischen Sektoren stattfinden. Damit wOrden die Kosten fOr Produktions- und Beschäftigungsanpassungen, Reorganisation und Umschulung u.u. geringer ausfallen als befOrchtet. Die empirischen Kenntnisse darOber sind leider unzureichend. Auch makroökonometrische Modelle können wenig Ober den Anpassungsprozeß zwischen Sektoren und nichts Ober die Anpassung zwischen und innerhalb von Unternehmen aussagen. Die vergleichenden Forschungsarbeiten Ober die Auswirkungen der kanadisch-amerikanischen Freihandelszone haben zu dem Schluß gefOhrt, daß nicht Makromodelle, wohl aber allgemeine Gleichgewichtsmodelle besser geeignet sind, die Produktionskosten und die sich ändernde Ressourcenverteilung auf lange Sicht zu analysieren (Laster 1987).
3.3.4
"Konkurrierende" kungen
Simulationen der
Binnenmarkt-Wir-
Die Absicht der EG-Studie lag darin, die potentiellen Wirkungen zu quantifizieren, die bei einer vollständigen und bis Ende 1992 auch tatsächlich abgewickelten Verwirklichung der im Weißbuch vorgelegten Maßnahmenpakete auftreten könnten. Ein ähnlich umfassender Versuch zur Messung der Potentialwirkungen wie in den Cecchini-Studien liegt bisher nicht vor. Erste Ergebnisse eines kanadischen Gleichgewichtsmodells für die EG (Harrison, Rutherford and Wooton 1989) kommen zu dem Schluß, daß "attempts to complete the market may turn out to be the most important impact of the EC on its membership and trading partners", ohne daß vollständige Wohlfahrtseffekte vorgelegt worden sind. Zwei zusätzliche Studien haben versucht, die erwarteten Folgen der Binnenmarkt-Initiative zu berechnen. Sie kommen daher zu wesentlich bescheideneren Ergebnissen. Der Prognos-Bericht (1988) geht davon aus, daß die geplanten Liberalisierungsmaßnahmen bis 1992 nur teilweise ergriffen werden, weil fOr lange Zeit mit zahllosen Ausnahmen und speziellen nationalen Regulierungen (z.B. im Elektrizitäts- und Kohlebereich, bei den staatlichen Beschaffungs57
märkten, der Harmonisierung der Mehrwertsteuer und beim Umwelt- und Gesundheitsscnutz) gerechnet werden muß. Im "euroreport" von Prognos vom Dezember 1988 werden die folgenden jährlichen Zuwachsraten des realen BIP vorgelegt (vg1. Tab. 3.7). Tabelle 3.7 Prognoa-Langfriatprognoaen (jährliche durchschnittliche Zuwachsraten in
~)
Zeitraum
EG( 12)
davon: BRD
Welt
1987 - 1993 1993 - 2000
2,4 2,6
2,2 2,4
3,0 3,3
Quelle: Prognos-Bericht 1988.
Es wird dabei unterstellt, daß die Anpassungsprozesse des Binnenmarktes bereits in Gang gekommen sind. Die zusätzlichen Gesamteffekte des Binnenmarktes bis zum Jahr 2000 werden auf insgesamt 3 " de.s realen BSP veranschlagt (das sind jährlich rund 0,2 ~). ohne daß hierfOr eine nähere BegrUndung geliefert wird. Der Prognos-Bericht kommt daher als ernsthafte Analyse der Binnenmarkt-Wirkungen nicht in Betracht. Eine gewichtigere Simulation der gesamtwirtschaftlichen Effekte des Binnenmarktes für die EG insgesamt hat das niederländische Zentralplanbüro (Central Planning Bureau) mit Hilfe seines Weltmodells (CPB-WM) (Bakhoven 1989) unternommen. Dabei wurde von den Cecchini-Studien ausgegangen, aber wesentliche Abschläge der direkten Anstoß-Effekte von insgesamt 40 "vorgenommen, nämlich bei den Impulsen aus - der Beseitigung der Grenzschranken:
-66
~
- der Liberalisierung der staatlichen Beschaffungsmärkte:
-50
~
- der Liberalisierung der Finanzdienste und Kapitalmärkte:
-20 "
58
- den indirekten Wirkungen der Angebotseffekte (Skalenerträge, Wettbewerb):
-47 "·
Die ZentralplanbUro-Simulationen haben außerdem die Ergebnisse der EG-Studien verschieden interpretiert (z.B. die errechneten Kostensenkungen sollen nicht allein zu verminderten Gewinnquoten führen, sondern werden als Zuwachs der Arbeits- und Kapitalproduktivität betrachtet) und weitere Elemente hinzugefügt, nämlich die Verlagerung von Unternehmen aus Drittländern in den EG-Markt und die Annahme eines konstanten Budgetdefizits (d.h. die Verwendung von höheren Steuereinnahmen zu Steuersenkungen). Die Unterschiede in den Anstößen zu den Wohlfahrtseffekten, die in den Simulationen des CPB und der EG-Kommission einbezogen wurden, gehen aus dem Vergleich in Tabelle 3.8 hervor. Die wichtigsten makroökonomischen Ergebnisse der CPB-Simulationen sind in Tabelle 3.9 angeführt. Im Vergleich zu den Ergebnissen der EG-Studien wUrde sich unter den veränderten Ausgangshypothesen der zusätzliche Wachstumsschub halbieren und der Beschäftigungszuwachs wegfallen. Dieses Resultat erscheint plausibel, wenn man eine große Skepsis gegenüber der Durchsatzung des Binnenmarktes in den vier erwähnten Bereichen unterstellt, für die es durchaus GrUnde gibt. Aber letztlich sind diese Ergebnisse mit den Simulationeil der EG-Kommission nicht vergleichbar. Die Studien der EGKommission gehen von einer vollständigen Verwirklichung des Binnenmarktprogramms aus und unternehmen den Versuch, die potentiellen Wirkungen zu quantifizieren. Die ZentralplanbUro-Studie dagegen ist an den erwarteten Folgen des Weißbuch-Programms interessiert. Die CPB-Simulationen zeigen jedoch auch, wie empfindlich die Modellergebnisse auf verschiedene Ausgangshypothesen (z.B. autonome Produktivitätszuwächse) oder unterschiedliche Modelle reagieren. So ergeben sich z.B. auch geringere Wachstumszuwächse mit dem CPB-Weltmodell, wenn es mit den ursprUngliehen (höheren) Impulsen der EG-Studie "gefUttert" wird (3,4 " statt 4,5 "). Das CPB-Weltmodell ist ein makroökonomisches Gesamtmodell, das daher auch nicht den veränderten Prozeß der Produktionsspezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den Industrieländern beschreiben kann. Die errechneten Zuwachs59
Tabelle 3.8 D1rakte AnstMe 1n den S1.ulat1onen des CPB und der
EG-~1ss1on
(ausgedrückt in • des BSP)
Wirtschaftliche Klassifizierung CPB-Annahlen: Senkung .der - Arbeitskosten - Kapitalkosten - Gewinne - Kapitalmarktzinsen - Steuern Produktionsverlagerungen EG-Annahlen: Senkung der - Arbeitskosten - Kapitalkosten - Gewinne - Kapitalmarktzinsen Exportanstieg
a)
Funktionale Klassifizierungal I
II
III
IV
0,10
0,05 0,05 0,15
0,10 0,05 0,15 0,10
0,95 0, 45 0,25
0,10 0,20
0,50
0,40 0,10
V
0,75 0,30 0,60 1,70 0,90 0,90
Insgesamt 1,20 0,45 0,55 0,10 0, 75 0 , 30 0,70 1, 70 2,00 0,10 0,90
= Beseitigung der Grenzschranken = Liberalisierung der staatlichen Beschaffungsmärkte III = Liberalisierung der Finanzdienste und Kapitalmärkte IV = Angebotswirkungen V = übrige Impulse (nur bei CPB) I
II
Quelle: Bakhoven (1989).
raten des inner- und außergemeinschaftlichen Handels beruhen ausschließlich auf den Veränderungen der relativen Preise und unterschätzen daher die handelsschaffende Wirkung der Binnenmarkt-Initiative.
3.3.5
Wie plausibel sind die Gesamtergebnisse der CecchiniStudien?
Der Versuch, die wirtschaftliche Wirkung des Europäischen Binnenmarktes zu quantifizieren, ist ein komplexes und ehrgeiziges Unterfangen. Di e Dienststellen der Kommission haben das umfangreiche Ausgangsmaterial und die Synthese der mi60
Tabelle 3.9 Gesamtwirtschaftliche Folgen der Vollendung des EG-Binnenmarktes fDr die EG insgesut (kumulative Veränderungen nach 6 Jahren in ~) ZentralplanbOro Realer privater Verbrauch Reale Unternehmensinvestit. Realer privater Wohnungsbau Reale Ausfuhren•> Reale Einfuhren•> Reales BSP
Zum Vergleich: EGKommission
2,6 2,0 3,1 7,6 7' 1 2,3
3,1 7,0 4, 7 10,5 7,2 4,5
Beschäftigung Arbeitsproduktivität
-0,1 2,4
1 ,5 3,0
Deflator des priv. Verbrauchs BSP-Deflator Lohnsatz
-1,6 -1 ,9 0,8
-6,2 -6,5 -4,0
0,0 0,1
2,2 1 '0
BudgetOberschuß in Leistungsbilanz in
~ ~
des BSPb I des BSP
a) Waren und Dienstleistungen einschließlich innergemeinschaftlicher Handel. - b) Verbesserung des Budgetdefizits. Quelle: Bakhoven (1989), Tab. B4,
s. 21.
kro- und makroökonomischen Forschungsergebnisse in allen Einzelheiten vorgelegt und dabei darauf verwiesen, daß es sich um potentielle und bedingte Annäherungen und illustrative Größenordnungen und keineswegs um die unvermeidliche Folge des Binnenmarktprogramms handelt. Es kam darauf an, vorzuführen, daß die potentiellen Ergebnisse gewichtig und nicht marginal sind. Die ersten Reaktionen auf die Cecchini-Ergebnisse in der Bundesrepublik haben die Neigung offenbart, die Berechnungen als fragwürdig und die vorgeführten Wohlstandsgewinne als Oberschätzt anzusehen. Es ist legitim, die angewandten Methoden und Hypothesen in Zweifel zu ziehen. Aber ein quali61
tatives Urteil Ober die Gesamtergebnisse sollte sich an einem Referenzmodell orientieren. Eine solche Referenz kann entweder basieren auf den Erfahrungen der Vergangenheit, z.B. den Auswirkungen des Deutschen Zollvereins (1833-54) oder der EG-Zollunion (1958-68), oder auf empirischen Forschungsergebnissen Ober Handelsliberalisierungen ähnlicher Natur. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Skepsis gegenOber den Quantifizierten Cecchini-Ergebnissen, insbesondere dem zusätzlichen Wachstumsschub, ergibt sich vermutlich daraus, daß frOhere empirische Studien Ober die Vorteile der EGZollunion nur sehr bescheidene positive Effekte finden konnten. Die zahlreichen Forschungsarbeiten kommen mehr oder weniger zu dem Schluß, daß sich die Integrationseffekte auf BIP-Gewinne von höchstens 1 % belaufen und in der Regel sogar weit darunter liegen (z.B. Balassa 1975, Mayas 1978). Balassa (1967) kommt zu dem Urteil: "By 1965 the cumulative effect of the Common Market's establishment on the GNP of the member countries would thus have reached one-half of 1 % GNP." Der Grund dafOr ist, daß diese Studien sich fast ausschließlich auf das Verarbeitende Gewerbe und auf die statischen Effekte von relativen Preisverschiebungen auf den Handelsaustausch als Folge des Zollabbaus beschränkt haben. Die damals herangezogene traditionelle Theorie der Zollunion und des freien Handels beruhte auf einem statischen Konzept und unterstellte vollkommenen Wettbewerb und konstante Skalenerträge. Damit waren dynamische Effekte zur Ermittlung von Wohlfahrtsgewinnen ausgeschlossen , obwohl man sich Ober ihre Bedeutung im Integrationsprozeß schon frOhzeitig im klaren war. Ein vor kurzem veröffentlichter Oberblick Ober die emp1r1schen Forschungsergebnisse der Handeleliberalisierung bei unvollständiger Konkurrenz kommt zu folgenden Schlußfolgerungen (J.O. Richardson 1988): - eine umfassende Handelsliberalisierung kann zu starken positiven Wohlstandseffekten fUhren, die zum beträchtlichen Teil auf die Rationalisierung der Industriestruktur und auf erhöhte Wettbewerbsfähigkeit zurOckzufOhren sind;
62
- entscheidend dafür sind das Auftreten fixer Kosten und Skalenvorteile bei damit verbundenem unvollkommenem Wettbewerb; - die Quantitative Bedeutung von Skaleneffekten, Fixkosten und unvollkommenem Wettbewerb ist am größten, wenn freier Marktzutritt und -austritt besteht; - die geschätzten Anpassungskosten sind nicht trivial und beruhen auf dem erheblichen Anpassungsdruck; dem Arbeitnehmer, Unternehmen und Handelspartner ausgesetzt sind; sie verringern sich aber auf ein Normalmaß, wenn sich der Anpassungsbedarf auf eine längere Periode von 5 bis 10 Jahren erstreckt. Schließlich gibt es einen interessanten Parallelfall für eine (bilaterale) Handelsliberalisierung: die Schaffung der kanadisch-amerikanischen Freihandelszone. Sie wird seit den sechziger Jahren diskutiert (Wonnacott and Wonnacott 1967), und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen sind seit Jahren Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsarbeiten und daher ein lohnendes Objekt für eine Gegenüberstellung mit den Ergebnissen des Cecchini-Berichts. Das kanadisch-amerikanieehe Freihandelsabkommen ist mit Jahresbeginn 1989 in Kraft getreten. Es sieht vor, sämtliche tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse im Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen Kanada und den USA innerhalb von zehn Jahren zu beseitigen. Kanada erhofft sich von der Freihandelszone große ökonomische Vorteile und ein Unterlaufen des bedrohlich zunehmenden amerikanischen Protektionismus. Die USA sehen im Abkommen eine Reaktion auf die regionale Blockbildung, wie sie von der "Festung Europa" ausgehen könnte. Die längerfristigen Auswirkungen des Freihandelsabkommens wurden seit Jahren in zahlreichen Studien der kanadischen Universitäten, der Forschungsinstitute und des Finanzministeriums erörtert. Die Ergebnisse basieren auf informellen Methoden sowie auf der Verwendung von makroökonometrischen und Gleichgewichtsmodellen. Sie kommen fast alle zu dem Schluß, daß Kanada von der bilateralen oder multilateralen
63
Handelsliberalisierung profitieren würde und zum Teil beträchtliche Wohlstandsvorteile erwarten könnte. Die Studien führen jedoch teilweise zu sehr unterschiedlichen quantitativen Ergebnissen (vgl. Tab. 3.10). Die Wohlstandsgewinne (gemessen als Realeinkommenszuwachs) schwanken zwischen 0,7 ~und fast 9 ~. Die Oberwiegende Mehrzahl der Ergebnisse liegt jedoch bei rund 3 ~. Der stärkste Effekt geht aus den Arbeiten von Harris und Cox (Harris 1984; Cox and Harris 1985) hervor (8,9 ~); ähnliche Größenordnungen finden sich aber auch in früheren Studien der Wonnacotts aus den siebziger Jahren. Diese überraschend hohen Wohlstandsgewinne wurden in den jüngsten Schätzungen des kanadischen Finanzministeriums (Department of Finance 1988) auf der Basis neuerar Daten Ober Zollsätze, nichttarifäre Handelshemmnisse und Skaleneffekte (und in Zusammenarbeit mit Harris und Cox) nach unten revidiert (vgl . Tab. 3.11). Auf längere Sicht (nach Erreichen eines neuen Gleichgewichts) würde - das reale BIP Kanadas um insgesamt 3,5 kommen der Kanadier dagegen nur um 2,5
~ ~)
(die realen und
- die Zahl der Erwerbstätigen um insgesamt 1
~
Ein-
zunehmen. 2 >
Die Ergebnisse für Kanada sind ein indirekter Nachweis dafür, daß die quantitativen Wohlfahrtsvorteile im CecchiniBericht (im Durchschnitt rund 5 ~des BIP) keineswegs übertrieben worden sind. Die im kanadisch-amerikanischen Freihandelsabkommen angestrebten Liberalisierungsmaßnahmen bleiben weit hinter den Zielen des Weißbuches zur Vervollständigung des EG-Binnenmarktes zurück. Die Ergebnisse für Kanada beschränken sich größtenteils auf den warenproduzierenden Teil und werden- in der Studie des kanadischen Finanzministeriums- als untere Grenze der möglichen langfristigen Vorteile betrachtet.
2) In einer Reihe von kanadischen Makrosimulationen wird der Beschäftigungseffekt weit höher geschätzt (200 000 bis 350 000 Arbeitsplätze).
64
Tabelle 3.10 Langfr1st1ge Ausv1rkungan der kanad1sch-. .r1kan1schen Fre1handelszone
- ein Vergleich Allgemeine Gleichgewichtsmodelle Finanzministerium Harris (1984) Harris-Cox Hamilton-Whalley
Ausgangsjahr
Skaleneffekte
Sektoren
1979/85 1976 1976 1977
ja nein ja nein
(29) 29 29 6
Analysejahre
Sektoren
1987-95 1988-2005
44 19
3,3 '
1986-95
1
3,3 '
Makroökonometrische Modelle Economic Council of Canada (Candide) Informatica (TIM) Institute for Policy Analysis (Focus)
Real einkonrnenszuwachs 2,5 ' 2,4' 8,9 ' 0,7' Realeinkonmenszuwachs
3,0 '
Quelle: Oepartment of Finance (1988); Lester (1987).
3.4
Die Lücken des EG-Weißbuches und der Cecchini-Studien
Wie zuverlässig sind die Quantifizierungen des Cecchini-Berichts? Diese Frage läßt sich schwer beantworten. Oie Größenordnungen der Wohlstandseffekte hängen - wie auch aus den Studien zur kanadisch-amerikanischen Freihandelszone hervorgeht, entscheidend davon ab, was in die Berechnungen mit einbezogen wird. Die direkten Wohlstandsgewinne durch Abbau von Handels- und Produktionshemmnissen dürften für die Gemeinschaft und auch für die Bundesrepublik insgesamt 2 • des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen. Aber mit diesen unmittelbaren Kosteneinsparungen sind die Wirkungen des Binnenmarktes keineswegs erschöpft. Andererseits kann man Zweifel hegen, ob die relativ kursorisch ermittelten dynamischen Effekte der Marktintegration in voller Höhe eintreten werden. Aber schließlich darf man auch nicht üb&rsehen, daß einige langfristige Auswirkungen und minde65
Tabelle 3.11 Mittel- und llngerfriatige Wirkungen der Freihandelszone fOr Kanada
(Ergebnisse das F1nanzm1n1star1ums) Veränderungen in Mittelfristig (1988- 1993): Reales BIP Privater Verbrauch Unternehmensinvestitionen Exporte Verbraucherpreise Beschäftigte (netto) Lllngerfristig: Realeinkommen (BSP)•l Skalenbezogener KostenrUckgangbl Reales BIP inssesamtel - Primärbereich - Verarbeitendes Gewerbe - Dienstleistungen
2 2 4 3,4 -1 +120 000 (+1
~
~)
2,5 2,1 3,5 2,1 10,6 0,9
a) Realeinkommen, die von Kanadiern verdient werden, unabhängig von ihrem Wohnort. - b) Verminderung der gesamten Produktionskosten durch Ausnutzung von Größenvorteilen im Verarbeitenden Gewerbe. - c) Reale OutputVeränderungen innerhalb der kanadischen Grenzen, d.h. auf der Basis des BIP-Konzepts. Que 11 e: Department of F i nance ( 1988) .
stens drei potentiell mögliche Liberalisierungsbereiche EG-Weißbuch ausgespart worden sind.
im
In erster Linie blieben die positiven Einflüsse des Binnenmarktes auf Innovationen und die dadurch induzierten Investitionen außer Betracht. Diese Wirkungen würden erst längerfristig auftreten und könnten beträchtlich ausfallen. Sie haben sich mit den verfOgbaren Instrumenten jedoch nicht quantifizieren lassen. Mit einer beschleunigten Innovationstätigkeit würden die Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven merklich verbessert werden. In britischen und amerikanischen Studien konnte nachgewiesen werden, daß verschärfter Wettbewerb nicht nur zu Kosten- und Preiseffekten
66
führt, sondern sich auch günstig auf die Innovationsdynamik und damit auf das Wachstum auswirkt. Die empirischen Arbeiten haben weiterhin gezeigt, daß verstärkte Innovationen nicht notwendigerweise in großen Unternehmen auftreten (Scherer 1987, Geroski 1988). Weiter sind z.B. auch die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen ausgespart geblieben, die von den zunehmenden. Direktinvestitionen aus Drittländern im EG-Raum auf die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer ausgehen. Die Vorteile der Kundennähe und die Furcht vor einer evtl. Abschottung des EG-Binnenmarktes haben bereits in den letzten Jahren vor allem japanische Unternehmen veranlaßt, Produktionsniederlassungen entweder neu aufzubauen oder aufzukaufen. In den Jahren 1987 und 1988 sind japanische Investitionen in Höhe von insgesamt rund 14,6 Mrd. $ in den EG-Ländern vorgenommen worden, davon allein 12 Mrd. $ in Großbritannien (44 ~). den Niederlanden (22 ~) und in Luxemburg (17 ~). Das sind mehr als die kumulierten japanischen Direktinvestitionen von 1951-86 in Höhe von 13,2 Mrd. $. Dem JETRO zufolge hat sich die Zahl der japanischen Firmen mit europäischen Produktionsniederlassungen seit 1983 verdoppelt und im Januar 1989 411 erreicht. Weitere Großprojekte sind bereits geplant. Selbst Frankreich und Italien sind zunehmend an japanischen Direktinvestitionen interessiert. Ähnlich wie die Schaffung des Gemeinsamen Marktes Investitionen aus den USA in den fünfziger und sechziger Jahren angeregt hat, dürfte die europäische Binnenmarktinitiative heute verstärkt sowohl japanische als auch amerikanieehe Direktinvestitionen nach Europa ziehen. Die Wirkungen dieser zusätzlichen Direktinvestitionen würden dabei nicht nur den Kapitalstock und die Beschäftigung erhöhen, sondern auch den Technologietransfer und den Wettbewerb verstärken. Makroökonomische Modellrechnungen des n i ederländischen Zentralplanbüros haben daraus einen kumulierten zusätzlichen Wachstumsbeitrag für die Gemeinschaft (nach sechs Jahren) von insgesamt 0,6 Prozentpunkten des realen BIP und einen Beschäftigungseffekt von 0,5 Prozentpunkten errechnet (Bakhoven 1989).
67
In den Sektorstudien fOr den Cecchini-Bericht sind die Liberalisierungswirkungen für wichtige, bisher geschützte Bereiche untersucht worden. Weitgehend unberücksichtigt blieb die Landwirtschaft, deren Protektionsgrad vermutlich kaum zu Obertreffen ist (Mohr 1987). In einer Reihe von Studien Ober die Protektionswirkungen der Landwirtschaftspolitik in den Industrieländern3l sind erstaunlich hohe Kosten für die Verbraucher und die Produzenten im Nichtlandwirtschaftsbereich und damit große potentielle Gewinne durch die Liberalisierung der EG-Landwirtschaftspolitik errechnet worden. Die wichtigsten langfristigen Ergebnisse für die Gemeinschaft insgesamt sind (Stoeckel 1988): - die Schaffung von zen,
3 Millionen zusätzlichen
- ein Wachstumsgewinn von Ober 1 be, - die Zunahme der industriellen Welt um 5 ~ und
~
Arbeitsplät-
im Verarbeitenden Gewer-
Ausfuhren in den Rest
der
- verminderte Transferzahlungen für die Bundesrepublik und Großbritannien (bei entsprechenden Ausfällen für Frankreich und Italien). Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (Dicke et al. 1988) hat- unter Verwendung eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells- die Wohlstandsverluste durch die Agrarprotektion sowohl in der Gemeinschaft als auch gegenüber Drittländern für die Bundesrepublik Deutschland quantifiziert. Im Vergleich zu den Ergebnissen für die Gemeinschaft sind die Folgen einer Liberalisierung der Agrarpolitik in der Bundesrepublik erstaunlich hoch: Die Abschaffung der nationalen und von der EGgewährten Agrarsubventionen 4 l (1985 fast 21 Mrd. DM, d.h. rund 70 ~ der Bruttowertschöpfung in der Landwirtschaft) würde auf mittlere Sicht zu einem gesamtDurchgeführt und koordiniert vom australischen Center for International Economics unter Beteiligung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, dem Economics Research Service of the USDA und dem Trade Policy Research Centre. 4) Simulationsannahme: Verminderung der impliziten Ad-valorem-Protektionsquote von 54~ auf Null. 3)
68
wirtschaftlichen Wachstumsgewinn von 3,3 ~ und einem zusätzlichen Beschäftigungsanstieg in der Gesamtwirtschaft von 4 ~ führen können (vgl. Tab. 3.12). Diese Ergebnisse werden gestützt durch Berechnungen des IWF, die zu ähnlichen Vorteilen kommen (Rosenblatt et al. 1989) .. Noch spektakulärer sind die Resultate bei einer vollen Liberalisierung aller Bereiche der deutschen Volkswirtschaft. Die potentiellen Gewinne einer solchen vollständigen Liberalisierungsaktion für das reale Wachstum (9 Prozentpunkte) und die Beschäftigung (10 bis 11 Prozentpunkte) kommen den Ergebnissen in einigen kanadischen Studien nahe und stützen somit auch die unvollständigen, partialanalytisch ermittelten Ergebnisse im Cecchini-Bericht. Sie stellen eine Obergrenze dar, die bei einem realistischen Liberalisierungsprogramm kaum erreicht werden kann (vgl. Hummel 1988). Tabelle 3.12 Makroökonomische Simulationsergebnisse fOr die Bundesrepublik Deutschland (Veränderungen in ~) Liberalisierung in der LandwirtGesamtSChaft wirtschaft Reales BSP Realeinkommen Realer Wechselkurs Beschäftigung, gelernt Beschäftigung, ungelernt Handelsvolumen•l Staatseinnahmen (aus direkten und indirekten Steuern)
3,3 2,5 -1 '8 4,0 3,8
9,0
6,9
5' 1
-4,7 11 '7 10,2 24,8
-2,4
-23,8
a) Aus- und Einfuhren insgesamt. Quelle: Dicke et al. 1988 (Tab. 6).
Das EG-Weißbuch über den Binnenmarkt weist trotz seiner beeindruckenden Zielpaschreibung eine Reihe von LOcken (Pelkmans 1988) auf, die sich auch in den anschließenden EG-Studien über die Folgen der Vollendung des Binnenmarktes wie69
derfinden. Eine der wichtigsten Auslassungen betrifft dabei die staatlichen Beihilfen und im weiteren auch die Rolle der öffentlichen und halbstaatlichen Unternehmen. Staatliche Interventionen innerhalb der heimischen Märkte (im Gegensatz zu den Interventionen an der Grenze) sind in zunehmendem Maße ein Instrument der Segmentierung von nationalen Märkten oder Sektoren geworden. Das wichtigste Interventionsmittel einer Industriepolitik stellen dabei die staatlichen Beihilfen (direkte Finanzhilfen und Steuererleichterungen) dar, mit denen die Anpassung durch den gemeinschaftlichen Wettbewerb verzögert oder verhindert werden soll. Oie sozialen Kosten dieser Interventionen sind hohe budgetäre Kosten und - noch beträchtlicher - die Wohlstandsverlustedurch die Verzerrung des wettbewerbliehen Allokationsprozesses. Subventionen diskriminieren die Wettbewerbsbedingungen in einem Binnenmarkt genauso wie die staatlichen Regulierungen (z.B. die Zutrittsbarrieren auf den staatlichen Beschaffungsmärkten). Trotz des allgemeinen Verbots staatlicher Beihilfen in der Gemeinschaft (Art. 92 des EWGV) und der der EG-Kommission übertragenen überwachungsrechte sind die staatlichen Beihilfen in den Mitgliedsländern vor allem zugunsten schrumpfender Industriebereiche ( z.B. Schiffbau, Stahl, Kohle, Kunstfasern) - immer mehr aus dem Ruder gelaufen. Am Subventionswettlauf haben sich alle Mitgliedsländer mehr oder minder ungehindert beteiligt, und die Bundesrepublik macht dabei keineswegs eine Ausnahme. 5 1 Zum ersten Mal liegt ein Inventar der nationalen staatlichen Hilfen für die EG-Mitgliedsländer vor, das die EG-Kommission nach längerer Verzögerung auf vergleichbarer Basis aufgestellt hat für die Bundesrepublik. In der von den deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten gemeinsam definierten (weiten) Abgrenzung ist das Subventionsvolumen der Bundesrepublik von 67 Mrd. DM im Jahre 1976 auf 118 Mrd. DM im Jahre 1985 angestiegen. Im Durchschnitt der Jahre 1981-85 lagen die Subventionen bei jährlich 107 Mrd. DM (rd. 45 Mrd. ECU), das sind 8,8 ~des BIP; davon waren rund 66 Mrd. DM Finanzhilfen mit 41 Mrd. DM Steuererleichterungen. Das gesamte Subventionsvolumen hat zwischen 1980 und 1985 um 21 ~ zugenommen.
5) Hummel (1988)
70
und jährlich aktualisieren will. Demnach sind in der EG insgesamt (ohne Spanien und Portugal) im jährlichen Durchschnitt der Jahre 1981-86 Ober 100 Mrd . ECU an Beihilfen (d.h. fast 4 ~ des BIP) für die Landwirtschaft und Industrie sowie den Energie- und Verkehrsbereich bereitgestellt worden, davon 82 Mrd. ECU an nationalen Beihilfen&> (rd. 3 • des BIP) und 22 Mrd. ECU durch die Gemeinschaft selbst (vgl. Tab. 3.13). Die Vergleichbarkeit der globalen Subventionsvolumina zwischen Ländern und die Zuverlässigkeit der verschiedenen Angaben bleibt allerdings problematisch. Die Subventionen in der EG unterscheiden sich nicht nur in ihren Formen, sondern auch in ihrer sektoralen Gliederung. So wird von deutscher Seite darauf verwiesen, daß die Subventionen vieler EG-Länder stärker sektorspezifisch ausgerichtet und damit stärker allokationsverzerrend sind als in der Bundesrepublik (Thormählen 1989). Unerläßlich ist nicht nur eine verbesserte Transparenz zwischen den Mitgliedsländern, sondern ebenso dringend wäre es, die Analyse der ökonomischen Effizienz und Folgen der verschiedenen Subventionen in Angriff zu nehmen. Wirtschaftspolitische Anstrengungen sind notwendig, um einen allmählichen Abbau dieser kostspieligen Subventionen auch im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes zu erreichen. Die Konzeption der EG-Kommission beim Abbau der Subventionen als Teil einer verschärften europäischen Wettbewerbspolitik ist bisher allzu unverbindlich geblieben. Die Gefahr ist groß, daß mit dem Verlust an wirtschaftspolitischen Einflußmöglichkeiten durch den Binnenmarkt die nationalen Regierungen der Versuchung unterliegen, sich dagegen mit versteckten Beihilfen zu wehren. Damit würden die Effizienzgewinne des Weißbuch-Programms partiell wieder verlorengehen. In einer IWF-Veröffentlichung wurden ökonometrische Modellergebnisse für die Aufhebung interventionistischer Preisre6) Als nationale Beihilfen wurden nur die staatlichen Zuwendungen an Unternehmen nach Art. 92 und 93 EWGV erfaßt, d.h. ein wesentlich engerer Subventionsbegriff als in Hummel (1988) zugrundegelegt.
71
Tabelle 3.13 Nat1onale Be1h1lfen 1n den E&-Lindem
(Jahresdurchschnitte 1981-86)
Verarbeitendes Gewerbe•l Verlinderungenbl 1981-86 in - in ECU - in nationalen Währungen
:\1
0
F
I
UK
EG(10)
3,0
4,9
16,7
3,8
6,2
+46 +7
+26 -3
+150 +67
-36 --40
+67 (-)
-
Landwirtschaft•!
9,8
12. 1
8,6
14,1
Stahl•l
8,6
58,3
71,-4
57,5
Schiffbau• I
12,3
56,6
34,2
21,6
-
InsgesaJnt in Mrd. ECU in :\1 des 8IP
19,1 2,5
16,7 2,7
27,7 5,7
9,4 1,8
82,3 3,0
-
a) In :\1 der Bruttowertschöpfung. - b) Ohne Schiffbau und Stahl, in Preisen von 1986. Quelle: EG-Kommission (1989a), Erster Bericht Ober staatliche Beihilfen in der Europäischen Gemeinschaft, BrOssel.
gulierungen in der Landwirtschaft und im Kohlenbergbau sowie für die Abschaffung protektionistischer Maßnahmen bei Eisen, Stahl, Textilien und Bekleidung und im Schiffbau in der Bundesrepublik errechnet (Lipschitz et al. 1989). Sie würden zu einer UmverteilunQ von Ressourcen führen und sowohl das Wachstum und die Beschäftigung verbessern als auch die Inflationsrate und den Leistungsbilanzüberschuß senken (Tab. 3.14).
72
Tabelle 3.14
Projekt;onen fDr 1990-91 und alternat;ve Szenar;an fDr d;e Bundesrepubl;k Deutschland (Jährliche durchschnittliche Zuwachse in • und konstanten Preisen) "Base1 i ne" Reales BIP Binnennachfrage Ausfuhren Einfuhren Leistungsbilanz ( 1991) Erwerbstätige Arbeitslosenquote Verbr.-Preis-Deflator
2,7 2,9 4,5 5,4 3,6 0,4 7,2 2,2
Alternative Szenarien (1) + (2) = ( 3) 3,0 3,4 4,2 5,5 3,4 1,0 6,1 1. 8
3,0 3,3 4,8 6,1 3,0 0,9 6,3 1 ,8
3,4 3,8 4,6 6,3 2,8 1,4 5,3 1 ,3
" Base 1 i ne " : unveränderte Wirtschaftspolitik. ( 1 ) : relative Preissenkung in der LandwirtSzenario schaft und bei Kohle. Szenario ( 2): Handelsliberalisierung bei Eisen, Stahl, Textilien u. Bekleidung und im Schiffbau. Que 11 e: Li psch i tz et a 1 . ( 1989), Tab. A64.
4. AuBenaepakte der 4.1
Vollen~ung
des EG-Binnenmarktee
Einleitung
Bei der Abschätzung der Wirkungen der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes bis 1992 kann der Außenaspekt dieses Prozesses nicht vernachlässigt werden. Die Wachstumseffekte des Binnenmarktprojekts sind angesichts der engen Verflechtung der EG-Länder mit der Weltwirtschaft in hohem Maße von einer ungestörten Entwicklung des Welthandels abhängig. Handelspolitische Vergeltungsmaßnahmen der Drittländer und damit Störungen für den Welthandel - sind jedoch zu befürchten, wenn die Beseitigung der innergemeinschaftlichen Barrieren im Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie im öffentlichen Auftragswesen nicht auch Drittländern zugute kommt und/oder wenn der direkte Protektionsgrad der EG nach außen steigt. Das handelspolitische Konfliktpotential in der EG ist groß genug, um auf den ersten Blick für die Zeit nach 1992 eine höhere Außenprotektion für wahrscheinlich zu halten. Die Vergemeinschaftung der national sehr unterschiedlichen Einfuhrkontingente, die teilweise beträchtlich voneinander abweichenden Wirtschaftsstrukturen der Mitgliedsländer infolge der Süderweiterung, die "Local-content"-Diskussion sowie die integrationsbedingte Verschärfung des Wettbewerbs sind einige Problemfelder, deren Bearbeitung mit großen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte . Die starke Einbindung der EG in die Weltwirtschaft müßte jedoch die Position derjenigen Mitgliedsländer stärken, die in protektionistischen Maßnahmen kein geeignetes Mittel zur Lösung von Strukturund Anpassungsproblemen sehen. Bezüglich der Beteiligung der Drittländer an der Verwirklichung des EG-internen Liberalisierungsprogramms verfolgt die EG-Kommission eine Strategie, die dem Meistbegünstigungsprinzip gegenüber der Anwendung von Art. 24 GATT Vorrang einräumt, d.h. Drittländern sollen die Vorteile des Gemeinsamen Marktes ebenfalls zugute kommen. In Bereichen, für die bislang keine internationalen, GATT-ähnlichen Vereinbarungen bestehen, wie etwa dem Dienstleistungsbereich, 74
wird die EG den freien Zugang zum Binnenmarkt für Drittländer von der Erfüllung des Reziprozitätskriteriums abhängig machen, bis es auch hier - die Hoffnungen richten sich auf die Uruguay-Runde - zu internationalen Obereinkünften gekommen ist. Das Problem der Rückwirkungen der Vollendung des EG-Binnenmarktes auf Drittländer stellt sich nach Regionen und Branchen in unterschiedlicher Weise. Die Handelsbeziehungen zu den europäischen LAndern (EFTA) sind heute weit enger und weniger reglementiert als z.B. diejenigen mit Japan , den asiatischen NICs und den Staatshandelsländern. Ebenso verschieden sind die Anpassungsprobleme der einzelnen Branchen.
4.2
Die Ausgangslage: Außenhandelspolitik und Protektionsgrad der EG in den achtziger Jahren
Die Zuständigkeit für die Außenhandelspolitik der EG liegt seit Ende 1969 bei der Gemeinschaft. Doch besteht nach wie vor eine Vielzahl national festgelegter protektionistischer Maßnahmen, bei denen es sich teils um "Restbestände" aus der Zeit vor der Gründung der EG, teils um neu eingeführte Maßnahmen handelt. Daneben gibt es von der Gemeinschaft zugeteilte, aber national unterschiedlich hohe Einfuhrkontingente. Von dem zur Verfügung stehenden handelspolitischen Instrumentarium spielt der Außenzoll der EG, von wenigen Ausnahmen abgesehen, praktisch keine Rolle mehr. In mehreren GATT-Runden (Dillon, Kennedy, Tokyo) ist er bis Januar 1987 auf durchschnittlich 4,5 bis 5 ~ abgesenkt worden. Der durchschnittliche Zollsatz der USA betrug zur gleichen Zeit 4,5 ~. derjenige Japans knapp 3 ~ (Oonges 1986). Nur ganz wenige Produkte werden noch mit Zöllen von über 15 ~belegt (Rhein 1985). Rund ein Drittel der Einfuhren an Industrieerzeugnissen kommt als Folge von Freihandelsabkommen (EFTA, Mittelmeerländer, AKP-Staaten) oder im Rahmen von Zollpräferenzregelungen (System der Allgemeinen Zollpräferenzen) zollfrei in den EG-Raum. 75
Wie in den meisten Regio~en der Welt hat das Instrumentarium der nichttarifären Handelshemmnisse auch in der EG-Handelspolitik erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Anteil der davon betroffenen Importe hat nach Berechnungen der UNCTAD (UNCTAD 1988) von 1981 bis 1987 um 18,5 ~ zugenommen. In den USA betrug der Anstieg 23,5 ~. In Japan war nach diesen Berechnungen ein leichter Rückgang des nichttarifären Protektionismus zu verzeichnen. Nach Schätzungen von Nogu~s et al. (Donges 1986) betrug der Anteil der mit nichttarifären Importbarrieren belegten Einfuhren von Industrieerzeugnissen im Jahre 1983 in der EG(10) 18,7 ~. in den USA 17,1 ~ und in Japan 7,7 ~. Der Problematik dieser Berechnungen muß man sich wegen der Schwierigkeiten bei der Identifizierung und Messung insbesondere technischer Handelshemmnisse bewußt sein. Nationale Elemente der Handelspolitik dominieren insbesondere in den Wirtschaftsbeziehungen zu den Staatshandelsländern sowie zu Japan, Korea, Hongkong und Taiwan. Beispiele sind die Begrenzung der japanischen Auto-Importe nach Italien auf 2500 Stück pro Jahr, in Frankreich auf einen Marktanteil von 3 ~. in Großbritannien von 11 ~. Einen überblick über die Zahl der Warenpositionen außerhalb des Agrar- und Textilbere i chs, bei denen teilweise oder in vollem Umfang einzelstaatliche mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen.gegenüber einzelnen oder allen Drittländern im Jahre 1987 bestanden, gibt Tabelle 4.1. Von der Gemeinschaft werden die Importquoten bei Textilien und Stahl geregelt. Ihre in den einzelnen Mitgliedsländern unterschiedliche Höhe ergibt sich aus einem innergemeinschaftlichen Quotenschlüssel, der im großen und ganzen die unterschiedlich hohen Importkontingente der Mitgliedsländer zur Zeit des Inkrafttretens des Welttextilabkommens widerspiegelt . Gleiches gilt für die gemeinschaftlichen Zollpräferenzen gegenüber Entwicklungsländern. Sowohl im Textilals auch im Stahlbereich wurde die Protektion laufend verstärkt. Eine wachsende Bedeutung haben die Vereinbarungen über "freiwillige" Exportbeschränkungen mit Japan (u.a. Automo76
Tabelle 4.1 MengenmASige Einfuhrbeachr4nkungen der EG-Lander 1987 (ohne Agrarprodukte und Textilien)•!
Beschränkungen gegen DrittStaatshan1änderb l delsländer Benelux-Länder Dänemark Frankreich Bundesrep. Deutschland Griechenland Irland Italien Portugal Spanien Großbritannien
18 16 109 4 33 13 158 219 295
-
98 76 125 73 87 28 527 53 541 125
a) Zahl der Warenpositionen, bei denen teilweise oder in vollem Umfang einzelstaatliche mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen gegenüber einzelnen oder allen Drittländern bestehen. - b) Ohne Staatshandelsländer. Quelle: ABL der EG, Serie C, Nr. 37 (1987) und Serie L, Nr. 217 (1987).
bile, Video und Fernsehröhren) und wichtigen Stahlexportländern (Korea, Brasilien, Japan, Spanien, Südafrika, Osteuropa) erlangt (Rhein 1985). Außerdem gehören die Verfahren über Dumping-Praktiken und gegebenenfalls die Belegung der Importe mit AntidumpingZöllen (neueste Beispiele: Schreibmaschinen aus Japan, Videokassetten aus Hongkong und Südkorea, CD-Geräte aus Japan und Südkorea) in der EG ebenso zum handelspolitischen Instrumentarium wie in anderen Ländern. Die protektionistischen Maßnahmen in diesem Bereich haben in den letzten Jahren beschleunigt zugenommen. Äußerst komplex, kaum noch durchschaubar, aber wirksam ist das EG-Schu.t zsystem für den Agrarsektor. Ein Hauptinstrument ist das variable Abschöpfungssystem. Der Agrarprotek-
11
tionismus führt immer wieder zu schweren Handelskonflikten, insbesondere mit den USA. Nach Regionen gesehen, ist der Protektionismus, gemessen an den Berechnungen von Nogu~s et al. für das Jahr 1983, gegenüber Entwicklungsländern deutlich höher als gegenOber den Industrieländern. Dies gilt vornehmlich für den Bereich der Industrieerzeugnisse, wobei der durch das Multifaserabkommen regulierte Textilwelthandel stark zu Buche schlägt. Im Agrarsektor sind die Industrieländer stärker betroffen (Tab. 4 . 2).
4.3
Die Beseitigung der EG-internen Handelsbarrieren die Konsequenzen für Drittländer
und
Die Beseitigung der noch bestehenden Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr bedeutet indirekt eine Schlechterstellung von Drittländern. Insofern ist das Projekt Binnenmarkt '92 ein Vorgang, der mit dem schrittweisen Entstehen der EG-Zollunion durch den Abbau der Binnenzölle in den Sechziger Jahren zu vergleichen ist. Die Vertiefung und Vollendung der wirtschaftlichen Integration zwischen den 12 EG-Ländern ist nach Art. 24 GATT ohne Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips zulässig, d.h. Art. 24 läßt die Bildung von Zoll- und Wirtschaftsunionen zu, mit der Gewährung gegenseitiger Vorteile, die Drittllndarn vorenthalten werden können. Die EG-Kommission verfolgt jedoch eine Strategie , die dem Meistbegünstigungsprinzip gegenüber Art. 24 GATT Vorrang einräumt. Ob sich diese Strategie durchsetzen wird, ist zur Zeit noch offen.
4.3.1
Die EG-interne chen
Liberalisierung in einzelnen
Berei-
Der Abbau von Handelshemmnissen zwischen einer begrenzten Zahl von Handelspartnern führt zu einer Verstärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen diesen Ländern zu Lasten von Drittländern. In einer wachsenden Weltwirtschaft 78
ID
...,
Nicht-tarifäre Handelsschranken
-
-
-----
-
--
----
--~--~
USA, Schweiz. Österreich, Norwegen, Finnland, Australien.
16,5 18,6 17,1 -
-
31,1 64,0 57,0
26,0 54,0 43,0
16,6 18,9 17,3
Quelle: J. Nogues, A. Olechowskl, L. A. Winters, The Exlent ol Non-taritt Barrlers to Import ol lndustrial Countries, Worid Bank SlaffWorking Papers, 789, Februar 1986, zitiert nach: J. B. Oonges, Whilher lntemational Trade Policies? Kleler Diskussionsbeiträge, Nr. 125, Oktober 1966. aus: Donges (1986)
11 EG (9); Japan,
23,5 25,1 24,2
Industrieländer Entwicklungsländer Insgesamt
USA
16,g 17,5 16,9 21,4 12,1 11,9 11 ,0 13,0 11,8
9,7 4,4 7,7
36,8 53,3 42,g
Industrieländer Entwicklungsländer Insgesamt
Japan
18,9 26,9 21,1
18,6 25,4 22,3 15,6 68,0 52,0
15,2 29,9 18,7
47,7 26,9 36,4
Industrieländer Entwicklungsländer Insgesamt
EG(9)
14,5 23,9 18,3 13,7 18,1 12,4 8,8 71,9 57,0
13,3 30,2 18,5
28,5 16,6 22,3
Industrieländer Entwicldungsländer Insgesamt
BR Deutschland
17,0 27,4 17,5 15,4 23,3 14,3
26,0 78,6 59,6
13,2 30,4 14,8
44,5 24,4 34,g
Industrieländer Entwicklungsländer Insgesamt
Großbritamien
27,4 28,6 28.1 31,3 50,1 57,1
21,9 64,6 48,4
25,0 33,0 27,4
53,3 28,1 37,8
17,1 22,5 18,6
21,0 34,3 27,1
23,3 57,2 44,8
14,5 21.3 16,1
40,5 31,2 36,1
161ndustrieländer insgesamt'' Industrieländer Entwicklungsländer Insgesamt darunter Industrieländer Frankreich Entwicklungsländer Insgesamt
Texlilien
Texlilien
Exporteure
Insgesamt
Importeure
AlleWaren Insgesamt
Industrieerzeugnisse
Anteil der betroffenen Importe in % der Gesamteinfuhr der jeweiligen Gütergruppe 1983
Agrargüter
Tabelle 4.2
I
I
ist diese Benachteiligung ~n der Regel nicht mit einem absoluten Rückgang des Handelsaustausches zwischen den Präferenzzonen und den Drittländern verbunden. Die Verschlechterung der Beziehungen ist im allgemeinen nur relativ . Die mit der Integration verbundenen Wachstumsimpulse können letztlich für die Drittländer sogar günstigere Außenhandelsergebnisse mit sich bringen (trade creation).7l Vonseiten der EG wird immer wieder betont, daß die Vollendung des Binnenmarktes auch Drittländern zugute kommen wird. Diese könnten nun anstatt auf 12 Märkten mit unterschiedlichen technischen Regelungen, Standards, Überprüfungs- und Nachweisverfahren auf einem einheitlichen Markt ohne Grenzkontrollen operieren.
Der Abbau der EG-internen Grenzkontrollen und Grenzformalitäten Von der Beseitigung der internen Grenzkontrollen und -formalitäten profitieren Drittländer dann in nennenswertem Umfang, wenn sie bisher in größerem Ausmaß nicht direkt in die einzelnen EG-Länder, für die ihre Produkte bestimmt waren , exportiert haben, sondern auf dem Umweg über ein anderes EG-Land. Letzteres dürfte - wegen der kostentreibenden Grenzformalitäten zwischen den EG-Ländern- bisher nur bei unterschiedlich hohen nationalen Importkontingenten (Textilien, Stahl, Automobile, elektronische Geräte) sinnvoll gewesen sein . Bei einem Weitertransport drohte jedoch die Unterbindung des Warenverkehrs innerhalb der EG unter Berufung auf § 115 EG-Vertrag. Wegen der größeren Bedeutung des EG-Marktes für die Mitgliedsländer (Bundesrepublik Deutschland : rd. 50~) dürften im Vergleich zu den Kosteneinsparungen für die EG-Firmen die "Gewinne" der Drittländer gering sein. Der b i sherige Kostenaufwand für Grenzkontrollen und -formalitäten ist nach Berechnungen der EG-Kommission beträchtlich. Insgesamt 7) Zu den theoretischen Aspekten der Integration vgl. Kapitel 3.1. 80
auch
bringt deren Beseitigung fUr die EG-Firmen eine Kostenersparnis von rd. 8 bis 9 Mrd. ECU (EG-Kommission 1988a). Das sind 1,7 bis 1,9 ~des innergemeinschaftlichen Warenaustausches des Jahres 1987. Diese Kostensenkung können die EGLänder im Preiswettbewerb mit Drittländern einsetzen.
Technische Regelungen und Standards In noch stärkerem Maße als von den Grenzkontrollen wird der Warenverkehr in der EG von den sog. technischen Handelshemmnissen beeinträchtigt. Als besonders hinderlich werden die national unterschiedlichen Normen und Standards in folgenden Branchen empfunden: 1. Automobile 2. Elektrotechnik 3. Maschinenbau 4. Pharmazeutika und bestimmte chemische Produkte 5. Nichtmetallische Mineralstoffe 6. Andere Verkehrsmittel 7. Nahrungsmittel und Tabakwaren 8. Lederwaren 9. Präzisionsgeräte und medizinische Ausrüstungen 10. Metallprodukte Quelle: Cecchini-Bericht 1988; Ifo-Erhebung bei 11 000 ternehmen in der EG.
Un-
Die Obersicht zeigt, daß der Handel von Investitionsgütern durch abweichende technische Vorschriften und Normen stärker betroffen ist als der von Verbrauchsgütern. Dies gilt auch fUr die Bundesrepublik Deutsch 1 and. Die Gesamtzah 1 d.e r technischen Vorschriften und Standards wird für die gesamte EG auf rd. 100 000 veranschlagt. Um diese Handelshemmnisse zu überwinden, d.h. um die Produkte entsprechend den unterschiedlichen nationalen Erfordernissen zu variieren, bedarf es eines beträchtlichen Kostenaufwands. Er besteht insbesondere in:
81
- der Vervielfachuns der Kosten für Forschung und lung;
Entwick-
-einem Verlust an wirtschaftlicher Effizienz, da die Produktionskapazitäten auf verschiedene Standards abgestellt werden müssen und Größenvorteile nicht genutzt werden können; - erhöhten Lager- und Verteilungskosten; - einer geschwächten Wettbewerbsfähigkeit der EG-Industrie auf den Weltmärkten wegen der kleinen, national zersplitterten EG-Märkte. Außerdem entstehen für die Behörden erhebliche Mehrkosten durch Doppelarbeit bei Prüfungs- und Zulassungsverfahren. Eine Schätzung des gesamtwirtschaftlichen Kostenaufwands der national unterschiedlichen technischen Normen wurde wegen der Komplexität des Sachverhalts, der großen Kostenunterschiede von Produkt zu Produkt sowie wegen der engen Verknüpfung mit anderen Handelshürden, z.B. im Telekommunikationssektor mit dem national abgeschotteten öffentlichen Beschaffungswesen, nicht vorgenommen (EG-Kommission 1988a). Zahlreiche Aussagen von Unternehmen im Rahmen einer Umfrage bei rd. 11 000 Unternehmen (Gürtler, Nerb 1988) lassen jedoch auf erhebliche Kosten schließen. Besonders hoch scheinen sie im Telekommunikationsbereich, bei Baumaterialien und bei pharmazeutischen Erzeugnissen zu sein. Für die EG-interne Beseitigung dieser Handelshemmnisse hat die EG die Strategie einer Kombination von Harmonisierung der Grundanforderungen an Sicherheit, Gesundheit und Umwelt sowie gegenseitiger Anerkennung national unterschiedlicher Normen gewählt (sog. "neuer Ansatz"), Die Bedeutung dieses Konzepts für die in die EG exportierenden Drittländer hängt davon ab, ob für alle Produkte, die heute noch technischen Schranken unterworfen sind, die "gemischte" Lösung gefunden wird, also eine Kombination von harmonisierten Grundanforderungen und gegenseitiger ~, nerkennung national unterschiedlicher Normen, oder ob für eine größere Anzahl von Produkten die Normen EG-weit harmonisiert werden. In letzterem call hätten EG-Mitgliedsländer wie Drittländer die
82
gleichen Vorteile, d.h. im gesamten EG-Raum muß nur noch eine Norm erfüllt werden. Dabei können zwar Umrüstungskosten entstehen, wenn die von nun an geltenden Regelungen bisher noch nicht erfüllt worden waren . In der gleichen Lage befinden sich jedoch auch EG-Länder, die hinter den neuen Grundanforderungen bisher zurückgeblieben sind. In den Fällen, wo national unterschiedliche Regelungen weiterhin zulässig sind, sei es mit oder ohne harmonisierte Grundanforderungen, und die die EG-Länder untereinander anerkennen, sind die Drittländer dann benachteiligt, wenn die gegenseitige Anerkennung nur für EG-Produkte gilt, das MeistbegUnstigungsprinzip unmittelbar also keine Anwendung findet, was lt. Art. 24 GATT-Vertag möglich ist. Die EGLänder sparen Kosten, weil sie nur noch eine, nämlich ihre eigene Produktvariante für den EG-Markt herstellen müssen und zugleich von einer größeren Serienproduktion profitieren, während sich für Drittländer an der bisherigen Situation nichts ändert. Wie einer Erklärung der EG-Kommission (EG-Kommission, Bulletin Nr. 10/88) zu entnehmen ist, will die EG hier dem Prinzip der Meistbegünstigung Vorrang einräumen und Drittländern den Vertrieb eines Produktes in allen EG-Ländern gestatten, wen.n dieses Produkt in einem EG-Land zugelassen ist, wenn es also den Normen wenigstens eines Mitgliedslandes entspricht. Ob sich dieses Konzept durchsetzen wird, hängt von seiner Akzeptanz in den einzelnen Mitgliedsländern ab, d.h. davon, ob man mit der Anwendung des Prinzips der Meistbegünstigung einverstanden ist oder ob man auf der Anwendung des Art. 24 GATT-Vertrag besteht. In Streitfällen wird der Europäische Gerichtshof den Sachverhalt zu klären haben. Daß diesbezüglich große Unsicherheit und auch wenig Vertrauen in die Durchsetzbarkeit der Strategie der Kommission besteht, zeigt die rasch zunehmende Zahl von Firmengründungen oder -kaufen durch Drittländer in der EG.
83
öffentliches Beschaffungswesen Die Auftragsvergabe der öffentlichen Hände in den EG-Ländern ist zum weitaus größten Teil national ausgerichtet. Obwohl das öffentliche Auftragsvolumen im gesamten EG-Raum rd. 15 • des Bruttoinlandsprodukts der EG-Staaten entsprach, entfielen auf grenzüberschreitende Aufträge bislang nur 0,14 ~ des BIP (Cecchini 1988). Die Aufhebung der Marktsegmentierungen in diesen Bereichen für Anbieter aus dem EG-Raum bedeutet ohne Anwendung des MeistbegUnstigungsprinzips eine indirekte Schlechterstellung von Drittländern. Fallstudien führten zu dem Ergebnis, daß z.B. für Heizkessel, Kraftwerksturbinen, elektrische Lokomotiven, Ausrüstungen fOr öffentliche Schaltzentren, Telefone Kostensenkungen zwischen 10 und 40 ~zu erwarten sind, allerdings verbunden mit der Verdrängung vieler Anbieter. Insgesamt werden die Kosteneinsparungen einer Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens auf alle EG-Länder auf rd. 21 Mrd. ECU geschätzt. Darüber hinaus wird aufgrund der entstehenden Skalenerträge mit einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der EG-Länder auch auf den Weltmärkten gerechnet. Ob und in welcher Form die EG Drittländer in die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens einbeziehen wird, ist gegenwärtig noch nicht erkennbar. Nur ein Teil dieses Marktes· fällt bisher unter das GATT-Regelwerk und nur hierfür wäre die EG gehalten, das Prinzip der Meistbegünstigung anzuwenden. Für den Rest wUrden Liberalisierungsschritte ähnlich wie im Bankwesen- bilateral vereinbart werden müssen.
Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs Von der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs (vgl. Kap. 2) sind ebenfalls Kosteneinsparungen für die EG-Industrie zu erwarten. Die Höhe der Kosten aufgrund der noch vorhandenen Marktbarrieren wird bei den Finanzdienstleistungen auf 22 Mrd. ECU oder 10 ~der durchschnittlichen Preise geschätzt, bei Unternehmensdienstleistungen auf 3,3 Mrd. ECU oder 3 ~ des Umsatzes, beim StraßengUterverkehr 84
auf 5 Mrd. ECU oder 5 • des Umsatzes, beim Luftverkehr auf 3 Mrd. ECU oder 10 • des Umsatzes und bei Telekommunikationsdienstleistungen auf 6 Mrd. ECU (EG-Kommission 1988a). Werden die mit der Liberalisierung entstehenden Kostensenkungen auch in Preissenkungen weitergegeben, so wird die Wettbewerbsfähigkeit der EG-Industrie dadurch zusätzlich gestärkt. Eine Beteiligung von Drittländern am Liberalisierungsprogramm des Dienstleistungsverkehrs ist vorgesehen. In der zweiten Bankenrichtlinie hat die EG hierzu ihre Vorstellungen niedergelegt: Solange es kein internationales Regelwerk für den Dienstleistungsaustausch gibt - ein solches zu erarbeiten, ist ein Themenbereich der Uruguay-Runde -, wird die EG unter Anwendung des Prinzips der bilateralen Reziprozität Drittländern eine Gleichbehandlung mit EG-Mitgliedsländern gewähren. Zeitliche Friktionen im Ablauf dieses Prozesses und vorübergehende Benachteiligungen von Drittländern sind nicht auszuschließen.
4.3.2
EG-Schätzungen: Verstärkung des EG-Binnenhandels Lasten des Drittländerhandels
zu
Aufgrund der Beseitigung der EG-internen Schranken für den Austausch von Waren und Dienstleistungen werden erhebliche Kostensenkungen für die EG-Unternehmen erwartet. Drittländer werden in weiten Bereichen von der internen Liberalisierung möglicherweise ebenfalls profitieren, doch sind Umfang und Zeitpunkt der Realisierung durchaus offen. Für die EG-Firmen schätzt die Kommission die Kostenentlastungen aufgrund des Liberaiisierungsprogramms auf 65 bis 80 Mrd. ECU oder 2,2 bis 2,7 • des Bruttosozialprodukts (EG-Kommission 1988a). Weitere Kostensenkungen werden von Skalen- und Wettbewerbseffekten erwartet. Gewiß sind bei diesen Berechnungen erhebliche Fehlermargen von ± 30 • einzukalkulieren. Aber selbst dann sind die Vorteile für die EG-Länder noch beträchtlich. Die Steigerung der innergemeinschaftlichen Importe wird allein aufgrunddes Abbaus der Grenzkontrollen und -formalitäten auf 3,7 bis 4,5 • veranschlagt, bei gleichzeitigen Absatzrückgängen von Drittländererzeugnissen 85
in der EG zwischen 2,2 und 2,6 ~ (EG-Kommission 1988a). Diese Einbußen werden noch größer, wenn die Kostensenkungen für die gesamte EG-Produktion, also nicht nur für die zwischen den EG-Ländern gehandelten Güter, berücksichtigt werden, einschließlich der aus der Liberalisierung des Dienatleistungsverkehrs und aus steigenden Skalenerträgen für Zwischenprodukte resultierenden Kosteneinsparungen. Die damit verbundene Stärkung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der EG-Firmen könnte nach den Berechnungen der Kommission zu einem Rückgang der EG-Importe aus Drittländern um weitere 5,7 bis 7,7 ~führen (EG-Kommission 1988a). Mit Sicherheit sind diese Ergebnisse überzeichnet. Nicht berücksichtigt ist nämlich zum einen, daß auch die Anbieter aus Drittländern von dem EG-internen Liberalisierungsschub profitieren werden, wenngleich in unbestimmtem und sicher geringerem Umfang als die EG-Unternehmen. Von den Kostenentlastungen für die EG-Firmen sind also Abstriche zu machen, wenn sie als Indikator für die Benachteiligung der Drittländer herangezogen werden und in die Berechnungen der voraussichtlichen handelsschaffenden bzw. handelsablenkenden Effekte eingehen sollen. Zum anderen handelt es sich bei den Berechnungen der Kommission allein um die Quantifizierung der direkten Wirkungen der Beseitigung der noch bestehenden Hemmnisse im Waren- und Dienstleistungssektor. Nicht berücksichtigt sind die dynamischen oder indirekten Effekte des Integrationsprozesses. Die Nutzung von Größenvorteilen, die Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung effizienterer Produktionsweisen und die Verschärfung des Wettbewerbs werden dem Wachstum im EG-Raum zusätzliche Impulse geben. Die EG schätzt die gesamtwirtschaftliche Wachstumswirkung der Realisierung des Binnenmarktes mittelfristig auf 4,5 ~ (EG-Kommission 1988a). Damit ist ein zusätzlicher Anstieg der Gesamtimporte in die EG von reichlich 7 ~verbunden (vgl. Tab. 3.9). Diese Importzuwachsrate dürfte eine Untergrenze darstellen. In anderen Untersuchungen über die Binnenmarkteffekte werden deutlich höhere Einkommenselastizitäten der Importe ermittelt. Bakhoven (1989) weist eine Elastizität von 3 aus (Tab. 3.9). Eine zusätzliche Steigerung der Gesamtimporte in die EG um 10 ~ und mehr im Zuge der Realisierung des Binnenmarktprogramms ist somit 86
nicht unwahrscheinlich. Es ist schwer vorstellbar, daß ter diesen Bedingungen die Einfuhren aus Drittländern rückgehen werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden ebenfalls deutlich steigen.
unzusie
4.4
der
Perspektiven der Außenhandelspolitik der EG nach Realisierung des Binnenmarktes
Alle Quantifizierungen der Auswirkungen des Binnenmarktes auf Wachstum und Außenhandel der EG wurden unter der Annahme eines unveränderten Außenschutzes vorgenommen. Ob dies eine realistische Annahme ist, muß sich zeigen. Von EG-Seite wird versichert, daß es nach 1992 eine "Festung Europa" nicht geben werde, die Außenprotektion der EG also nicht steigen wird. Die Uruguay-Runde stärke sogar die Aussichten auf einen niedrigeren EG-Außenschutz nach 1992. Diesen Verlautbarungen wird angesichtsder Konfliktherde, die sich mit der Realisierung des Binnenmarktes abzeichnen, vielfach mit Skepsis begegnet. Auch ist das außenhandelspolitische Klima zwischen EG und der übrigen Welt, insbesondere außerhalb Europas, gegenwärtig nicht dazu angetan, Bedenken zu zerstreuen. Zwischen den USA und der EG flammen immer wieder Handelsstreitigkeiten auf. Gegen Importe aus einzelnen ostasiatischen Ländern wurden in diesem Jahr mehrfach Dumpingzölle erhoben oder Dumpingprüfungsverfahren eingeleitet. Die Ursprungsregelungen für Chips und Fotokopierer wurden verschärft. Eine Tendenz zu verstärkter EG-Außenprotektion wird insbesondere als Folge der geplanten Vergemeinschaftung der gegenwärtig noch national unterschiedlichen Einfuhrquoten in Verbindung mit der Abschaffung des § 115 EWG-Vertrag befürchtet. § 115 erlaubte den EG-Ländern, für eine gewisse Zeit die Wareneinfuhr aus Mitgliedsländern zu unterbinden, wenn das Produkt seinen Ursprung in einem Drittland hatte und durch den Weiterverkauf in ein anderes EG-Land "wirtschaftliehe Schäden" entstanden wären. g 115 ist jedoch nicht mehr anwendbar, wenn die Grenzkontrollen zwischen den EG-Ländern abgeschafft sind. Daß die Vergemeinschaftung der 87
Importkontingente viel Konfliktpotential in sich birgt, zeigt die unterschiedliche Häufigkeit der Inanspruchnahme des Art. 115 durch die einzelnen EG-Länder (vgl. Tab. 4.3). Neben Irland - und neuerdings auch Spanien - sind Frankreich und Italien die EG-Länder mit den protektionistischsten Handelspraktiken. Dies zeigt auch die verschieden hohe Anzahl von Warenpositionen, die - außerhalb des Agrar- und Textilbereiches- mit mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen belegt sind (vgl. Tab. 4.1). Die EG-weite Vereinheitlichung dieser Importkontingente würde in der Tat mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem höheren mengenmäßigen Außenschutz der EG fUhren. Deshalb verfolgt die Gemeinschaft hier nicht eine Strategie der Vereinheitlichung bzw. Vergemeinschaftung der nationalen Kontingente, sondern deren Beseitigung. Sicherlich wird es nicht möglich sein, alle Einfuhrquoten ersatzlos zu streichen, wozu sich Spanien, Portugal, auch Italien, z.T. im Zusammenhang mit der Uruguay-Runde, bereit erklärt haben. Für eine ganze Reihe von Produkten wird es in einer Übergangsphase "Quoten-Aquivalente" geben müssen. FUr diese sensiblen Bereiche sind zeitlich begrenzte und degressiv gestaffelte " Entschädigungen" aus den EG-Strukturfonds vorgesehen, oder die EG versucht, mit den Hauptlieferländern freiwillige Exportselbstbeschränkungen auszuhandeln. Zu recht werden Skeptiker vermerken, daß Subventionen aus dem Regionalfonds oder freiwillige Exportselbstbeschränkungenebenfalls protektionistische Maßnahmen sind. Außerdem sind "Quoten-Aquivalente" nicht genau zu berechnen, und somit ist nicht genau feststellbar, ob letztendlich der Protektionsgrad nach Abschaffung der nationalen Importquoten nicht doch gestiegen sein wird. Eine weitere Gefahr für verstärkten EG-Außenprotektionismus geht von der erwarteten Verschärfung des Wettbewerbs im EGRaum als Folge der Realisierung des Binnenmarktes aus. Manche Unternehmen werden in Bedrängnis geraten, insbesondere in den jetzt schon geschUtzten Bereichen. FUr kritische Fälle favorisiert die Kommission anstatt der EinfUhrung bzw. Erhöhung des Außenschutzes die Gewährung zeitlich gestaffelter Subventionen. 88
Tabelle 4 . 3 Zur regionalen und Mietoralen Verteilung
z• AUNchlu8 von der 1115 bis 1188 (Art. 115 EG-Vertrag) von~
~inadlaftabehandlunt,
MaBnahmen insgesamt
1975
1977
1979
36
61
237
1981 1161
1983 159
19880:1
1985
1986
1987
125
111
118
89
0,9 0,9 43,2 0,0 0,0 31,3 15,3 0,9 5,1 2,-5
0,0 0,0 38,2 0,0 1,1 29,2 19,1 0,0 12,4 0,0
2,5 66,1 31,4
6,7 57,3 36,0
I
Verteilung nach Lindern, 1n s Banelux-Liinder Oilnemark Frankreich BR Deutschland Griechenland Irland Italien Portugal Spanien Ver.Könlgreich
16,7 0,0 42,7 0,0
27,0 0,0 32,_4 21,6
19,9 1,1 42,6 3,4
0,0 33,3
2,7 2,7
-
-
-
-
8,3
13,5
Agrarprodukte 27,7 Textilien 33,3 Andere Produkte 40,0
3,3 60,6 36,1
14,2 3,4
16,9 0,0 39,3 1,1 0,0 27,0 6,7
12,2 0,0 29,3 3,3 0,0 38,2 6,5
3,2 0,0 44,0 0,0 0,0 24,0 18,8
-
-
-
-
-
-
15,3
-
9,0
-
10,6
-
12,0
0,0 0,0 45,9 0,0 0,0 29,7 17,1 0,0 2,7 4,5
Verteilung nach Produkten, in s 1,3 74,2 24 , 5
1, 7 76,7 21,6
3,1 77,4 19,5
4,0 64,8 31,2
2,7 72,1 25,2
a) Januar bis September. Quelle: RWI-Konjunkturbrief 3 (1988); nach Angaben bei H. Dicke u.a., EG-Politik auf dem Prüfstand. Wirkungen auf Wachstum und Strukturwandel in der Bundesrepublik Deutschland. Schwerpunktstudie 1m Rahmen der Strukturberichterstattung an·den Bundesminister fUr Wirtschaft. Kiel 1986, s. 37. Angaben fOr 1986 bis 1988 eigene Auswertungen.
Auch die von Frankreich ausgelöste Debatte um den "Localcontent"-Gehalt von Waren, die im EG-Raum von ausländischen Firmen produziert werden, ist nicht geeignet, die Bedenken hinsichtlich einer protektionistischeren EG-Handelspolitik gegenüber Drittländern zu zerstreuen. Frankreich hat sich jUngst geweigert, die von Nissan in Großbritannien hergestellten Kraftfahrzeuge als EG-Erzeugnisse anzuerkennen und sie als japanische Produkte eingestuft, die auf den vereinbarten Marktanteil japanischer Autos in Frankreich anzurechnen seien. Es fordert einen EG-Anteil am Endprodukt von 80 ~. Auch Italien ist an einem höheren "Local content" interessiert. Wird der "Local content" für Erzeugnisse aus 89
Produktionsstätten auslän~ischer Firmen in der EG angehoben, so würde dies indirekt e~ne Beschränkung der Vorproduktimporte in die EG bedeuten, es wäre also eine "versteckte" Erhöhung der Außenprotektion der EG. Auch die sehr heterogene Wirtschaftsstruktur des EG-Raumes, insbesondere infolge der Süderweiterungen, ist Anlaß für Zweifel, ob die EG eine grundsätzlich liberale Handelspolitik betreiben kann (Lorenz 1988). Während die Spezialisierung zwischen den Kern-EG-Ländern schwerpunktmäßig intraindustriell verlaufen kann, wird die Intensivierung der Arbeitsteilung zwischen den südeuropäischen und den übrigen EG-Mitgliedsländern eher zwischen den einzelnen Industriezweigen stattfinden. Unterschiede im Produktivitätsniveau und der Ressourcenausstattung werden zu einer Spezialisierung der südeuropäischen Länder auf arbeitsintensive Produkte niedriger Technologiestufe führen und eine Verschärfung der Anpassungsprobleme in den entsprechenden mittelund nordeuropäischen Industriezweigen mit sich bringen (Krugman 1987). Zweifellos wird hiervon ein verstärkter protektionistischer Druck ausgehen. Bei der Einschätzung des Offenheitsgrades der künftigen EGAußenhandelspolitik dürfen die sehr unterschiedlichen außenhandelspolitischen Interessen und Traditionen der Mitgliedsländer nicht außer Betracht bleiben. Der Einfluß nationaler Lobbies in Frankreich und Italien darf nicht unterschätzt werden. In Frankreich überwiegt ohnehin die Sorge, daß das Binnenmarkt-Projekt in erster Linie zu Lasten der EG-Unternehmen gehen könne und Drittländer zu sehr davon profitieren könnten. Die jüngste gemeinsame Demarche Frankreichs, Italiens und Spaniens hinsichtlich ihrer Vorstellungen von der EG-Außenhandelspolitik im Automobilsektor ist ein Beispiel für den Einfluß der Interessenvertreter in diesen Ländern. Die Reziprozitätsforderungen der EG, wie sie zum ersten Mal in der zweiten Bankenrichtlinie erhoben wurden, haben ebenfalls Kritik ausgelöst und wurden als Indiz für eine protektionistischere Außenhandelspolitik der EG eingestuft. Dabei lagen jedoch Mißverständnisse zugrunde, an deren Ent90
stehen die EG mangela eindeutiger Aussagen zunächst nicht schuldlos war und die inzwischen weitgehend ausgeräumt werden konnten (Krenzler 1988b; EG-Kommission 1988e). zum einen will die EG die Reziprozitätsforderungen nur für die Bereiche und nur so lange bilateral erheben und in Verhandlungen durchsetzen, wo es noch keine GATT-ähnlichen internationalen Regelungen gibt, wie im Dienstleistungssektor und einigen Bereichen des öffentlichen Auftragswesens. Außerdem will sie Reziprozität nicht so verstanden wissen, daß jedes Land die gleichen Leistungen erbringt oder daß die Handelspartner identische Rechtsvorschriften schaffen sollen. Für die vom GATT abgedeckten Bereiche des internationalen Handels wird die EG nach dem- GATT-konformen globalen Reziprozitätsprinzip verfahren, d.h. für diese Bereiche wird sie nur multilateral verhandeln (Krenzler 1988b). Neben den zahlreichen Faktoren, die die Befürchtungen hinsichtlich einer "Festung Europa" als begründet erscheinen lassen, gibt es jedoch auch eine Vielzahl von Aspekten, Einflüssen und Konstellationen, die auf eine niedrigere Außenprotektion der EG nach 1992 hinwirken. Zunächst liegt die Vermeidung eines wachsenden Protektionsgrades der EG im ureigensten Interesse der Gemeinschaft. Eine steigende Außenprotektion würde unweigerlich Gegenmaßnahmen der Handelspartner zur Folge haben, mit schwerwiegenden Rückwirkungen auf das handelspolitische Klima der Weltwirtschaft. Den Mitgliedsländern dürfte auch klar sein, daß die erwarteten Wachstumseffekte des Binnenmarktes nur eintreten können, wenn eine anhaltende Expansion der Exporte gesichert ist. Oie den Anpassungskosten des Binnenmarktprojekts gegenüberstehenden Wohlfahrtsgewinne würden bei Exportbehinderungen durch die Handelspartner entsprechend gemindert. Diese Gefahr müßte die Bereitschaft der protektionistischeren Mitgliedsländer erhöhen, andere Lösungen zu finden, als auf eine "Festung Europa" zu dringen. Oie wachsende Einsicht, daß protektionistische Maßnahmen nur vorübergehend Wettbewerbsvorteile für schwache Sektoren bringen, ist ein weiterer Aspekt, der gegen eine höhere Au91
Benprotektion der EG nach 1992 spricht. Die Beispiele Stahl, Textilien und Bekleidung, Schiffbau sowie einige Zweige der Verbrauchsgüterindustrie zeigen, daß ohne eigene entschlossene Umstrukturierungsbemühungen in Richtung Diversifizierung bzw. Änderung des Produktprogramms auf Dauer die Produktion nicht gehalten werden kann. Neuare Studien, die über den komparativ/statischen Untersuchungsansatz hinausgehen und die Wirkungen von Economies of Scale und erhöhter Effizienz mit einbeziehen, konnten hohe Wachstumsgewinne aufgrund von Handelsliberalisierungen nachweisen (Harris 1984). Diese Ergebnisse sollten die Position der free traders in der EG, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, Großbritanniens, der Benelux-Länder und Dänemarks, stärken helfen. Außerdem können diese Länder bei Abstimmungen mit Qualifizierter Mehrheit protektionistische Gesetze verhindern. Die Strategie der Gemeinschaft, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des verstärkten Wettbewerbs in der EG für strukturschwache Regionen durch Mittel aus den Strukturfonds der EG, die bis 1992 verdoppelt werden sollen, abzufangen, kann ebenfalls als ein Gegengewicht gegen verstärkten protektionistischen Druck eingesetzt werden. Auf diese Weise wird sicherlich die Bereitschaft der betroffenen Länder -zunehmen, heute noch bestehende Schutzmaßnahmen nicht zu erhöhSn oder sie sogar, wie inzwischen bereits eingeleitet, abzubauen. Die Subventionen dürften selbstverständlich nur bei Quantitativer und zeitlich degressiver Staffelung gewährt 'werden. Mit vielen Handelspartnern, insbesondere in Europa (EFTA), hat die Handelsliberalisierung bereits ein so hohes Ausmaß erreicht, daß ein Zurückschrauben dieser Errungenschaften ohne schwerwiegende Folgen für das allgemeine Welthandelsklima schwer vorstellbar ist. Die gegenseitigen Anstrengungen, Zusammenarbeit und Handelsbeziehungen sogar weiter zu verstärken und auszubauen, ist als eine bedeutende Gegenkraft gegen eine wachsende EG-Außenprotektion zu sehen. Eine ähnliche Schlußfolgerung ist hinsichtlich der Handelsbeziehungen mit den osteuropäischen RGW-Staaten möglich . Hier ist aufgrund der in jüngster Zeit abgeschlossenen oder 92
in naher Zukunft abzuschließenden Handels- und Kooperationsverträge in den nächsten Jahren mit einer Verminderung der mengenmäßigen Handelsrestriktionen zu rechnen. Es zeigt . sich also, daß auch dann, wenn die Importrestrik~ tion für das eine oder andere Produkt im Rahmen der Realisierung des Binnenmarktes steigen sollte, die Außenprotektion der EG insgesamt sich nicht erhöhen muß, da in den Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Regionen, insbesondere in Europa, eine Reduzierung von Handelsbarrieren in den nächsten Jahren erwartet werden kann. Auch wird die von der EG verfolgte Strategie der Abschaffung der nationalen mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen zugunsten von zeitlich und degressiv gestaffelten "Quoten-Aquivalenten" einen positiven Beitrag zur Abwendung der Gefahr einer höheren EG-AuBenprotektion nach 1992 leisten. Daß dieses Ziel nur unter großen Schwierigkeiten zu erreichen sein wird, zeigt die jüngste Demarche Frankreichs, Italiens und Spaniens bezüglich der zu verfolgenden Außenhandelspolitik im Automobilsektor. In solchen Krisensituationen sollten die sog. free traders in der EG, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, ihren ganzen Einfluß in die Waagschale werfen, um ein Ansteigen des EG-Protektionismus zu verhindern. Sie sollten auch ausloten, ob und in welchen Bereichen durch eigene Vorleistungen, d.h. durch die Vorwegnahme einseitiger Liberalisierungsschritte, protektionistischen Tendenzen in der EG entgegengewirkt werden kann (vgl. Ifo-Institut 1989). Oie EG-Außenhandelspolitik der nächsten Jahre kann allerdings nicht unabhängig vom weltwirtschaftliehen Umfeld und vom Ausgang der Uruguay-Runde gesehen werden. Stagnierende oder gar rezessive Entwicklungen in der Weltwirtschaft erhöhen in der Regel den protektionistischen Druck. Auch ein Scheitern der Uruguay-Runde würde das welthandelspolitische Klima verschlechtern und die Position der free traders in der EG beträchtlich schwächen. So tragen letztlich die großen Wirtschaftsmärkte EG, USA und Japan gemeinsam die Verantwortung dafür, in welchem Zustand sich das Welthandelssystem nach 1992 befinden wird.
93
4.5
EG-Außenhandelspolitik und die Bundesrepublik Deutschland
Die Bundesrepublik Deutschland gehört mit Großbritannien und Dänemark zu den EG-Ländern, die die Hälfte und mehr ihres Außenhandels außerhalb des EG-Raumes abwickeln. Sie kann von einer offenen, auf Verminderung von Außenschutz abzielenden EG-Handelspolitik nur profitieren. Welche Spielräume für Handels- und Wachstumssteigerungen bei Abbau von binnen- und außenwirtschaftliehen Regulierungen vorhanden sind, zeigen die Schätzergebnisse von Dicke et al. (1988) (vgl. auch Tab. 3.12). Für die Bundesrepublik wurden zusätzliche Sozialproduktsteigerungen um 9 • und Handelsausweitungen um bis zu 25 • ermittelt. Wenngleich zu berücksichtigen ist, daß diese Ergebnisse nur unter der Annahme der Deregulierung der gesamten Wirtschaft, also auch vollkommener Lohnflexibilität, erzielt wurden, und daß überdies die Fehlermargen als sehr hoch veranschlagt werden müssen (bis zu 40 • im Durchschnitt), zeigen die Schätzergebnisse doch eindeutige Tendenzen auf. An den erwarteten Wachstums- und Handelsimpulsen im Gefolge des EG-internen Liberalisierungsprozesses dürfte die Bundesrepublik aufgrund ihrer starken Wettbewerbsposition innerhalb der EG in überdurchschnittlichem Maße partizipieren. Dies wird zu merklichen Wachstumssteigerungen für Sozialprodukt und Außenhandel führen, auch wenn die Ergebnisse des Cecchini-Berichts als zu günstig eingestuft werden müssen und geringere Wachstumsimpulse inzwischen für wahrscheinlicher gehalten werden (vgl. Tab. 3.9). Diese Wachstumssteigerungenkönnen selbstverständlich nur bei ungehinderter Exportentwicklung realisiert werden. Diese ist ohne eine EG-Außenhandelspolitik, die einen Anstieg protektionistischer Tendenzen zu verhindern vermag, nicht gewährleistet. Die Bundesregierung ist daher aufgerufen, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Einflußmöglichkeiten ihren Beitrag zur Vermeidung einer "Fortress Europe" zu leisten.
5. Strukturalle Wirkungen 5.1 5.1.1
Vom Europäischen Binnenmarkt betroffene Sektoren Der Befragungsansatz
Die Frage, welche Wirtschaftszweige in besonderem Maße von der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes betroffen sein werden, ist wie folgt zu beantworten. Es sind diejenigen Zweige, die trotz EWG-Vertrag in Oberdurchschnittlichem Maße durch die bestehenden Handelsbarrieren und Marktregulierungen geschützt worden sind. Informationen Ober den Grad, in dem Industriesektoren geschützt werden, liegen für die EG insgesamt vor. Sie geben den im Durchschnitt der EGLänder bestehenden sektoralen Protektionsgrad an. Eine wenn auch nur bedingt geeignete Informationsquelle bildet die im Auftrag der EG-Kommission 1987 durchgeführte Umfrage bei mehr als 11 ooo Industrieunternehmen in allen 12 Mitgliedsländern. Die nach Branchen gegliederten Umfrageergebnisse geben an, welche Hemmnisse auf dem EG-Markt von den Unternehmen als besonders gravierend, gravierend usw. bis hin zu am wenigsten gravierend erachtet werden. In Tabelle 5.1 ist die so gebildete Rangfolge der Hemmnisse wiedergegeben. Sie zeigt, daß die sektorspezifischen Einschätzungen der Bedeutung einzelner Hemmnisse nicht unbeträchtlich voneinander abweichen. Aus der EG-Umfrage lassen sich aber die für unsere Fragestellung notwendigen Informationen nicht gewinnen. Eine Zuordnung der Sektoren nach dem Grad des Schutzes durch Handelshemmnisse und Marktbarrieren ist nicht möglich.
5.1.2
Der Ansatz des Cecchini-Berichts
Eine wenn auch nicht sehr stark disaggregierte Erfassung des Grades, in dem Wirtschaftszweige von der Vollendung des Binnenmarktes betroffen sein werden, liefert der CecchiniBericht. Als Grundlage für die Berechnung der Wohlfahrtseffekte ermittelt er die Kosten, welche durch die Handelshemmnisse und Martkbarrieren hervorgerufen wurden, die vor 95
0>
CD
1 2 3 1 1
8 4 8
8
8
6
1 1 1 3 2
3
2
Büromaschinen und EDV
Eleklroteclvlik Krahfalvzeugbau Anderer Falvzeugbau
Gummiverarbeitung Feinmechanik und Optik
Nahrungs· und Genußmillel
Insgesamt
4
7
6 3 2 8 2
1
1
2 3 3 3 1 1
2
2 3 2
3
2
2 8 6
6 5 2 3
7
5
7
7
8
8
5
7
'
6
6
5 8
7
7
8
5
7
6
5
4 4 -----
7
5
6
8
7 5 4
4
4
2
5 8 4 5 5
7
7
4
7
5
5 4 4
6
5 1
6
4
7
6
4 4 5 8
8
6
2
6
3 4 8 6 8 6
7
6 5 5 3 8 4 3
7
4
7
4 3 8 4 3
4
2 2 1 2 1 2 2 3 3 3 1 3 3 4
Untarschiadl· Ragulian.flg des Besclvänkun· Wngellm chaMwSt· GütaMIII
~
83,8
a) Ohne Spanien, fUr das keine Angaben vorliegen.
Quelle: Eurostat.
D
43,5 8,6 11,4 4,6 16,4 2,5
56,5
- in
12,0 14,2 83,9 100,0
DK
45' 1 16,4 10,9 0,7 9,1 8,0 4,0 1,1 22,5 4,8 1'2 2,0
54,9
Diraktlohn
Personalzusatzkosten - Prl1ien und Gratifikationen -Bezahlung fDr nicht gearb.Tage -Freiwillige Sozialaufwendungen -Gesetzliche Sozialabgaben - übrige Aufwendungen
13,4 94,1
B
l
12,4 86,9
F
8,9 62,5
IRL 10,7 75,4
I 11 '1
71,7
L 13,7 96,1
NL
-
18,0 2,0
39,0 12,0 7,0
62,0 47,5 5,0 9,4 8,7 19,4 5,0
52,5 30,3 1,0 11' 7 6,1 8,6 2,9
69,7
UK
56,1 58 ,7 71,3
2,4 9,0 16' 7 63,5
p
31 ,0 43,9 41,3 28,7 3,2 7' 1 10,3 1,1 11,2 9,6 5,3 10,4 0,6 8,1 2' 1 7,0 14 ,3 16,3 16,3 7,6 2,6 I, 7 2,8 7,3
69,0
--- ----
46,6 8,0 10,9 3,3 32,2 -5,8
53,4
der gesaJten Arbeitskosten je Stunde -
5,9 41 '1
GR
Personal- und Personalnabenkosten in dar Industrie dar EQII, 1984
Arbeitskosten ja Std. - in ECU - in ECU (BRD : 100)
Tabelle 6.11
relativ niedriger Produktivität zum Tragen kommen. Diese sind durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes vor allem dadurch betroffen, daß die interindustrielle Arbeitsteilung mit den südeuropäischen Ländern intensiviert wird. (Die bedeutsamere , intraindustrielle Veränderung der Arbeitsteilung mit Ländern vergleichbarer Faktorausstattung wie z.B. Frankreich betrifft arbeitsintensive Produktionsbereiche weitaus weniger.) Die Lohnkostenvorteile verschaffen diesen Ländern Wettbewerbsvorteile für arbeitsintensive Produktionen, die sie wegen des Wegfalls von Handelsbarrieren stärker ausnützen können. Arbeitsintensive Produktionsbereiche in der Bundesrepubik geraten unter Anpassungsdruck. Gleichzeitig findet hier eine Spezialisierung auf know-how-intensive Produkte statt. Der Anpassungsdruck, der von den innergemeinschaftlichen Differenzen in den Lohnstückkosten, aber auch von unterschiedlichen Arbeitszeitregelungen (Schichtarbeit , Wochenendarbeit usw.) ausgeht, stellt die Tarifpolitik in der Bundesrepublik vor zusätzliche Herausforderungen. Eine falsche Antwort könnte darin bestehen, den räumlichen Geltungsbereich von Tarifverträgen zu erweitern CEuropäisierung der Tarifpolitik), mit dem Ziel, d i e sektoralen oder unternehmensbezogenen Lohndifferenzen in der EG zu vermindern. Hierdurch würde ceteris paribus der Anpassungsdruck für arbeitsintensive Produktionen in der Bundesrepublik gemildert . Gleichzeitig würden aber den weniger entwickelten Regionen Südeuropas ihre diesbezüglichen Wettbewerbsvorteile und die daraus resultierenden Entwicklungschancen genommen. Ein anderer tarifpolitischer Ansatzpunkt könnte in einer stärkeren Differenzierung der Löhne in der Bundesrepublik nach Qualifikationen und Regionen liegen. Dadurch würden die unter Anpassungsdruck stehenden arbeitsintensiven Wirtschaftszweige, die überdurchschn i ttlich viele Arbeitskräfte mit geringer Qualifikation beschäftigen und vornehmlich in bestimmten "Krisenregionen " angesiedelt sind, kostenmäß i g entlastet. Dezentrale Elemente wären in den Lohnbildungsprozeß einzuführen. Eine stärkere Differenzierung der Löhne würde das bisherige Lohnbildungssystem in der Bundesrepu-
162
blik modifizieren. Dieses ist durch eine relativ geringe Lohndifferenzierung gekennzeichnet. Löhne werden kaum nach unten angepaßt, um wenig qualifizierten Arbeitskräften eine Beschäftigungsmöglichkeit zu eröffnen. Vielmehr wird versucht, die Produktivität der Arbeitskräfte durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und vermehrten Kapitaleinsatz so zu steigern, daß diese auch bei hohem Lohnniveau beschäftigt werden. Zusätzlich wird das Arbeitskräfteangebot durch Arbeitszeitverkürzungen verknappt. Das bestehende System hatte über einen längeren Zeitraum hinweg keine beschäftigungspolitischen Erfolge, dafür aber erhebliche Produktivitätszuwachse vorzuweisen. In welchem Maße eine stärkere Lohndifferenzierung unter Anpassungsdruck geratene Arbeitsplätze sichern kann, ist schwer zu beantworten. Sollte eine solche Tarifpolitik aber beschäftigungspolitisch erfolgreich sein, dann waren andererseits die Chancen der südeuropäischen Länder, die interindustrielle Arbeitsteilung mit der Bundesrepublik zu intensivieren, geschmälert. Mit der Europäisierung der Märkte im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes werden aber nicht nur Löhne und Gehälter, sondern auch Länge und Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Arbeitsbedingungen, Weiterbildung und andere sozialpolitische Regelungen in die Gegenüberstellung der regionalen Standortbedingungen einbezogen. Dies zeigt u.a. die Debatte um Schichtarbeit und Wochenendarbeit. Hierauf muß die Tarifpolitik reagieren. Haben sich die Tarifverhandlungen 1n anderen europäischen Ländern schon seit längerem auf ein relativ breites Themenspektrum gerichtet, so ist eine vergleichbare Entwicklung in der Bundesrepublik erst seit kürzerem zu beobachten. In Zukunft wird sich der Gegenstand von Tarifverhandlungen auch in der Bundesrepublik eher noch ausweiten und u.U. auch die betriebliche Weiterbildung mit einbeziehen.
7. Europ6iacher Binnen~rkt und Folgen fDr die Wirtschaftapolitik der Bundearepublik Deutachland
Der Kern der EG-Binnenmarktstrategie ist ausgerichtet auf die Öffnung bisher geschUtzter Märkte und den verstärkten Wettbewerb zwischen den EG-Ländern. Unvermeidliche Folge der Vollendung des Binnenmarktes ist daher ein beschleunigter Strukturwandel, aber auch die größere Chance zur Realisierung eines steileren Wachstumspfads als in den letzten fUnfzehn Jahren. Die Bewältigung des damit induzierten Strukturwandels erfordert eine verstärkte Anpassungsflexibilität der Unternehmen, der Regionen und nationalen Volkswirtschaften und eine hohe Mobilität der Produktionsfaktoren. Die Ausnutzung der mit dem Binnenmarkt sich eröffnenden Wachstums- und Beschäftigungschancen hängt zum größeren Teil davon . ab, ob und wie rasch sich die Wirtschaftspoiitik, die Unternehmen und die Sozialpartner auf diese Aufgabe einstellen und mit ihr fertig werden. Die EG-Kommission und der Padoa-Schioppa Bericht Ober "Effizienz, Stabilität und Verteilungsgerechtigkeit" (1988) warnen vor der Annahme, daß die Deregulierungs- und Liberalisierungsstrategie alleine ausreichen wUrde, um Wachstum und Beschäftigung spontan zu erhöhen. Die Studien der EGKommission (1988a) und- noch deutlicher- die Empfehlungen des Delors-Ausschusses betonen, daß die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes mit seiner mikroökonomischen Orientierung zugunsten einer effizienteren Ressourcenallokation - ergänzt und begleitet werden muß von koordinierten Anstrengungen zur Förderung der gesamtwirtschaftlichen Stabilität und des Wachstums der EG und eines besseren regionalen und sozialen Ausgleichs innerhalb der Gemeinschaft. "Der Erfolg des Binnenmarktprogrammes hängt in entscheidendem Maße von einer wesentlich engeren Koordinierung der einzelstaatlichen Wirtschaftspolitik sowie von wirksameren Gemeinschaftspolitiken ab" (Delors-Bericht 1989).
164
7.1
Institutionelle Ausgangsbedingungen und Formen schaftspolitischer Koordinierung
wirt-
Bereits der Rom-Vertrag (1957) enthält den Auftrag, die wirtschaftspolitischen Ziele durch Errichtung des Gemeinsamen MarKtes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zu erreichen (Art. 103 und 145). Die Vorschriften des Rom-Vertrags Ober Mittel und Wege zur Koordinierung der globalen Wirtschaftspolitik sind dürftig. Sie gehen Ober eine Zielbeschreibung (Art. 104) und allgemeine Prozeduren (Art. 105) nicht hinaus. In bezug auf die Koordinierungsaufgabe hat die erstmalige Revision des Rom-Vertrags in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) (1987) grundsätzlich keine Veränderungen gebracht, außer den Hinweis, "die im Rahmen des EWS gesammelten Erfahrungen bei der fOr die Weiterentwicklung der Gemeinschaft erforderlichen Konvergenz der Wirtschafts- und Währungspolitiken ... zu berücksichtigen" (Art. 102a), die Erweiterung des Zielkatalogs (Verringerung des regionalen Gefälles; Art. 130a) und die Einbeziehung des Europäischen Regional- und anderer Strukturfonds (Ausrichtungs- und Garantiefonds fOr die Landwirtschaft, Europäischer Sozialfonds) in die Gemeinschaftspolitik (Art. 130c und d). Die globale Wirtschaftspolitik, d.h. im wesentlichen die Geld- und Finanzpolitik, bleibt also im Verantwortungsbereich der nationalen Regierungen. Die EEA hat diese Zustä~ digkeiten eher noch restriktiver ausgelegt, indem sie im Art. 102a ausdrUcklieh betont, daß d1e Mitgliedstaaten die "bestehenden Zuständigkeiten respektieren" und das Verfahren der Vertragsänderung von Art. 236 mit nationaler Ratifizierung durch den Gesetzgeber aller zwölf Mitgliedsländer herangezogen werden muß, "sofern die weitere Entwicklung im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik institutionelle Veränderungen erforderlich macht." Obwohl die Verwirklichung des Binnenmarktes den Druck auf die gesamtwirtschaftliche Koordinierung verstärken wird, dUrfte- aller Wahrscheinlichkeit nach- diese Zusammenarbeit bis Ende 1992 unterhalb der Schwelle institutioneller Veränderungen bleiben. Die Hoffnung auf die Fortsetzung der traditionellen Form der "konsuellen" Abstimmung der Wirtschaftspolitik 165
grOndet sich damit auf eine "Schönwetter-Veranstaltung", d.h. auf die friktionslose Abwicklung des Binnenmarktprogramms und gOnstige internationale Rahmenbedingungen ohne das Auftreten ernsthafter Krisen. Die Abstimmung der Wirtschaftspolitik innerhalb der EG findet auf vielen Stufen statt, die nicht notwendigerweise einen Souveränitätsverzicht erfordern. Oie häufigste Form ist die der gegenseitigen Information und Konsultationen. In den EG-Gremien (Ministerrat, Ausschuß der Ständigen Vertreter und UnterausschOsse) und Beratungsgruppen (Wirtschafts-, Währungsausschuß, Koordinierungsgruppe usw.) fließt ein ständiger Strom von Informationen Ober die Absichten und Pläne der Mitgliedsländer zusammen und formt die Meinungsbildung und tatsächliche Orientierung der Budget-, Währungs- und Geldpolitik der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft durch die Herausbildung eines Konsenses, ohne daß es zu formellen BeschlOssen kommt (vgl. Wegner 1989c). Den Koordinierungserfordernissen, die Ober den Informationsaustausch und die gegenseitigen Konsultationen hinausgehen, kann man prinzipiell auf drei Wegen nachkommen: - durch den marktwirtschaftliehen Anpassungszwang, wie er in offenen Märkten und bei mobilen Ressourcen Ober den Wettbewerb zwischen den Standort- und Investitionsbedingungen entsteht und damit den Spielraum der nationalen Wirtschaftspolitik einengt; - durch die Schrittmacherrolle eines Mitgliedstaates, bei dem sich die Teilnehmerländer bestimmten Spielregeln und der AnfOhrerrolle eines Mitglieds freiwillig unterordnen, um damit die Effizienz und Glaubwürdigkeit ihrer Wirtschaftspolitik zu erhöhen; - durch die institutionell-formelle Ex-ante-Koordinierung wichtiger gesamtwirtschaftlicher Instrumente (der Geld-, Währungs-, Steuer- und Finanzpolitik) entweder über vereinbarte Regeln oder über diskretionäre Entscheidungen . In der wirtschaftspolitischen Diskussion (z.B. Sesters 1989) wird manchmal der irrige Eindruck erweckt, als ob sich bei der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes 166
nur zwei Strategien scharf gegenüberstehen: der (falsche) institutionell-interventionistische Ansatz mit einer "verordneten" Koordinierung der Wirtschaftspolitik oder der (richtige) marktwirtschaftliche Ansatz des System- und Politikwettbewerbs Ober die Einsicht der nationalen Wirtschaftspolitiker in das Notwendige. Auf dem europäischen Integrationsweg werden viele unterschiedliche Mischformen der wirtschaftlichen Koordinierung zusammenwirken, die notwendigerweise Ober die Prozeduren der OECD-Koordinierung hinausgehen. Gegenstand der Koordinierung sind die gesamtwirtschaftliche Geld-, Währungs- und Finanzpolitik und die Angebotspolitik, aber auch die Lohnpolitik der Sozialpartner. Wie in der Vergangenheit dürften die Fortschritte dabei ungleichgewichtig verlaufen und so politische und wirtschaftliche Spannungen entstehen. Notwendig wird sein, dem Funktionieren der bereits vorhandenen Gemeinschaftsinistitutionen und der komplexen Mischung von etablierten Regeln und diskretionären Entscheidungen Rechnung zu tragen und neue Kooperationsformen zu entwickeln und einzuüben. 7.2
Erfordernisse und Grenzen wirtschaftspolitischer Koordinierung
Mit dem geplanten Abbau der internen Grenzkontrollen, Handelsschranken und Marktzugangsbarrieren wird in der· EG nicht nur der Wettbewerb zwischen Unternehmen verschärft, sondern u.U. auch der Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften und Staaten sowie ihren institutionellen, sozialen und steuerlichen Regelungssystemen und damit der Wettbewerb zwischen den Standort- und Investitionsbedirrgungen intensiviert. Der Trend eines verstärkten System- und Politikwettbewerbs als Ergebnis der wachsenden Globalisierung und Internationalisierung Ober den Handelsaustausch, die Direktinvestitionen und Kapitalbewegungen usw. erhält durch die Entstehung des Binnenmarktes einen neuen Schub. Mit dem verschärften System- und Politikwettbewerb werden sich aber die Koordinierungsprobleme für die makroökonomische Politiksteuerung in der Gemeinschaft nicht von selbst erledigen. 167
In der Debatte Ober die Notwendigkeit und die Grenzen wirtschaftspolitischer Koordinierung wird die These vertreten, daß öffentliche GUter bei Fehlen einer internationalen (oder europäischen) Regierung tendenziell "unterproduziert" werden und daß sich bei der Nutzung von Kollektivgütern die Neigung zum "Trittbrettfahrer" entwickelt (Kindleberger 1986). Strittig ist, welche Aktivitäten auf die Liste der internationalen öffentlichen GUter gehören und daher koordiniert werden sollen und auf welche Weise ihre Bereitstellung gesichert werden soll (mittels Verträgen und Regeln oder durch diskretionäre Entscheidungen). Oie meisten internationalen Ökonomen würden zu den öffentlichen internationalen GUtern zählen: ein offenes Handelssystem, eine stabile Währungsordnung, Rechtssicherheit beim Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit, die Aufrechterhaltung einer Wettbewerbsordnung (zur Verhinderung von Monopolmacht und Kartellen), der Schutz der Umwelt und schießlieh ganz allgemein die Sicherung von Ordnung und Frieden zwischen souveränen Nationen. Umstritten ist in der theoretischen und praktischen Diskussion die Frage nach dem Umfang und der Intensität der makroökonomischen Koordinierung, die vor allem in Krisenzeiten oder bei der Abwehr von heftigen exogen Schocks gefordert ist. Wirtschaftspolitische Koordinierung ist in der Regel der Ausdruck eines permanenten Lernprozesses der Beteiligten Regierungen, Sozialpartner, Interessengruppen usw. -, die das wirtschaftliche Geschehen beeinflussen oder bestimmen. Der fortwährende Abstimmungsprozeß über Märkte und Institutionen wird in der Europäischen Gemeinschaft dadurch erleichtert, daß ihre Mitgliedsländer durch enge kulturelle und wirtschaftliche Bindungen miteinander verknüpft sind und zusammen gemeinsame Prinzipien und GrundOberzeugungen teilen. Im Gegensatz zu den siebziger und frühen achtziger Jahren hat sich in den letzten Jahren eine Annäherung der wirtschaftspolitischen Prioritäten zwischen den EG-Ländern, vor allem in der Verteidigung einer größtmöglichen Preisstabilität vollzogen, die erstaunlich ist und in ihrer Tragweite z.T. noch nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen wurde. Oie Verpflichtungen im Europäischen Währungssystem haben nicht nur dazu geführt, daß der gegenseitige Informa168
tionsbedarf zunimmt, sondern auch die Autonomie und der Aktionsspielraum der nationalen Wirtschaftspolitik freiwillig und unfreiwillig weiter eingeschränkt wurde. Wegen der Schwierigkeiten bei der Ex-ante-Abstimmung der gesamtwirtschaftlichen Politik haben sich aber die Aktivitäten des EG-Ministerrates immer mehr auf die mikroökonomische Politik und die Festleguns von Rahmenprogrammen und Direktiven konzentriert (wie z.B. der Binnenmarktplan), die in einer mittel- und längerfristigen Perspektive verwirklicht werden sollen, ohne dabei die nationalen Instrumente zu ihrer Implementierung festzulegen. Einige der Binnenmarktentscheidungen, wie die Steuerangleichung, die Abschaffung der Grenzbarrieren usw., werden aller Wahrscheinlichkeit nach erst in den letzten Jahren des Binnenmarktprogramms oder sogar noch später fallen. Damit könnte in der Gemeinschaft in den nächsten fünf oder zehn Jahren vielfach der Eindruck einer "verwirrenden Unordnung " entstehen, da die verschiedenen nationalen Regelungen noch fortbestehen und erst allmählich durch gemeinschaftliche Regelungen oder durch den Markt erzwungene Angleichungen ersetzt werden . überall dort, wo es zu keiner raschen Einigung auf umstrittenen Gebieten kommt, wird also der "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" (F. von Hayek) seine Signalwirkung für Handlungsbedarf und seine Druckwirkung für wirtschaftspolitische Aktionen ausüben, falls sie für das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sind. Aber auch hier wird der Ermessensspielraum für die Wirtschaftspolitiker relativ groß bleiben. In der Übergangsphase wird es darauf ankommen, Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit für die private Wirtschaft durch vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Regierungen und EG-Kommission herzustellen und schockartige Veränderungen zu vermeiden . Intensität und Wirksamkeit bei der Koordinierung der Geldund Währungspolitik haben mit der Schaffung des Europäischen Währungssystems und vor allem seit 1983 erstaunlich zugenommen. Dafür sind eine Reihe von Ursachen verantwortlich, die nicht von vorneherein vorgesehen waren (vgl. Kap.7.3). Abgesehen von der weiter anhaltenden Diskussion Ober den Beitritt Großbritanniens zum EWS wird auch die Oe169
batte über die Koordinierung der makroökonomischen Wirtschaftspolitik in der EG kontrovers geführt. Einmal wird die These verfochten, daß eine "verbindliche - von Mehrheitsentscheidungen getragene - Ex-ante-Koordinierung der Haushaltspolitik mit der gemeinschaftlichen Geldpolitik im vorgeschlagenen Ausmaß für sachlich weder nötig noch wünschenswert" erachtet wird (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi 1989). Mit dem Hinweis auf die USA und Kanada und die fehlende parlamentarische Kontrolle lehnt auch die britische Regierung jeglichen Transfer von Kontrollbefugnissen über die Finanzpolitik auf gemeinschaftliche Instanzen ab und weigert sich gleichzeitig, die Anpassungszwänge des EWS zu akzeptieren. Zum anderen verweist die EG-Kommission in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht für 1989-90 auf die zunehmenden Divergenzen und Ungleichgewichte in der Gemeinschaft. Der Delors-Bericht (1989) erläutert, daß der Binnenmarkt "durch eine erhebliche Verstärkung der wirtschaftlichen Interdependenzen zwischen den Mitgliedstaaten den Spielraum für eine unabhängige Wirtschaftspolitik reduzieren" wird und daher eine "effektivere Koordinierung der Wirtschaftspolitik zwischen den einzelnen Entscheidungsträgern notwendig sein" wird. In dieser Auseinandersetzung kann es nicht um die Verteidigung extremer - oft ideologisch geprägter - Positionen gehen. Das Ausmaß der wirtschaftspolitischen Koordinierung auf Gemeinschaftsebene sollte sich von den folgenden Grundsatzfragen leiten lassen: -Auf welche Bereiche der globalen Wirtschaftspolitik sollte sich die Ex-ante-Koordinierung in der Gemeinschaft zweckmäßigerweise in der Übergangsperiode erstrecken? - Wieweit und unter welchen Bedingungen kann man sich auf die Korrekturen divergenter Entwicklungstrends, insbesondere der Budget- und Steuerpolitik, durch die Marktkräfte verlassen? Wie effizient könnte eine pragmatische Koordinierung der Makropolitik zwischen Staaten mit souveränen Parlamenten und Regierungen aussehen und auf welche Weise könnte der gemeinsame Lernprozeß in der europäischen Offentlichkeit vertieft werden? 170
Angesichts der unzureichenden empirischen Kenntnisse über die ROckkopplungseffekte globaler Maßnahmen der Geld- und Finanzpolitik in einer Phase grundlegender Veränderungen und im Hinblick auf die praktischen Grenzen von Koordinierungsaktivitäten (Wegner 1987) kann es sich bei der gesamtwirtschaftlichen Abstimmung in der EG nur um ein Minimalprogramm handeln. Es sollte nicht darauf ausgerichtet sein, die gefährlichen Illusionen einer theoretisch optimalen und perfektionistischen KoorQinierung (Feinabstimmung) zu wekken, sondern den ordnungspolitischen Rahmen für die wirtschaftliche Grundorientierung festlegen, die Fehler abrupter Kursänderungen vermeiden helfen, den strukturellen Anpassungsprozeß erleichtern und die Erfahrungen bei der wirtschaftspolitischen Abstimmung allmählich ausweiten. Oie auftretenden Probleme der wirtschaftspolitischen Koordinierung sollen am Beispiel der Geld-, Währungs- und Finanzpolitik im Hinblick auf die Bundesrepublik und ihrer Interessen abgehandelt werden.
7.3
Binnenmarkt, Geld- und Währungspolitik und das EWS
Ein funktionsfähiger Wettbewerb setzt ein funktionierendes Geldsystem voraus, da nur so die vielfältigen Entscheidungen der Unternehmen und Haushalte über den Marktmechanismus koordiniert werden können. Das gilt für nationale Wirtschaftsräume ebenso wie für den immer stärker zusammenwachsenden Europäischen Binnenmarkt. Das EWS stellt den Versuch dar, die schädlichen Wirkungen heftiger und anhaltender Wechselkursschwankungen oder von Wettbewerbsverfälschungen durch eine "Beggar-your-nei ghbour "-Po 1 i t i k mi tte 1s der Wechselkurse einzuschränken. ~ng miteinander verflochtene Wirtschaftsräume profitieren daher von stabilen oder möglichst vorhersahbaren Wechselkursrelationen. Ausführliche ökonometrische Untersuchungen haben den Verdacht bestätigt, daß größere Währungsstabilität den Außenhandel begünstigt bzw. die mit flexiblen Wechselkursen zugenommenen Unsicherheiten negative Wirkungen auf den Handelsaustausch und die Ressourcenallokation ausgeübt haben (Peree and Steinherr 1987, Hardy and Herrmann 1988). 171
Der Zusammenhang zwischen Wechselkursstabilität und Außenhandel kann sogar am Verlauf des innergemeinschaftlichen Handels beobachtet werden. Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems hat der Anteil des innergemeinschaftlichen Handels in den meisten EG-Ländern stagniert oder ist sogar rOckläufig gewesen, wenn man von der Nachholwirkung in den neuen Beitrittsländern absieht. Diese Trendumkehr ist zum Teil allerdings auch das Ergebnis der Umlenkung der Exporte in die OPEC- und sUdamerikanischen Entwicklungsländer, wobei der Anpassungsprozeß des ersten ölpreisschocks um 1977/78 beendet gewesen sein dOrfte. Der Anteil der innergemeinschaftlichen Exporte am Gesamthandel steigt erst wieder seit Anfang der achtziger Jahre, d.h. der IntraHandel nimmt seither - wie in den Sechziger Jahren - wieder deutlich rascher zu als der Extra-Handel, nämlich dann, als die innergemeinschaftlichen Wechselkursbeziehungen wieder stabiler wurden (vgl. Abb.7.1). Der innergemeinschaftliche Exportanteil lag bereits fOr die Sechser-Gemeinschaft im Jahre 1972 bei gut 50 ~ und ist fOr die erweiterte EG von 51 ~ in der Periode 1981-83 auf 60 ~ im Jahre 1988 angestiegen. Die Intra-Exporte der Gemeinschaft dUrften von 1987 bis 1990 real um jährlich 7,2 • zunehmen.
7. 3. 1. Der unerwartete Erfo 1g des EWS Die zunehmende Stabilität der Wechselkurse im EWS ist Ergebnis einer doppelten Konvergenz, nämlich:
das
- der Annäherung in den wirtschaftspolitischen Präferenzen der Teilnehmerländer zugunsten der Geldwertstabilität (vgl. Abb. 7.2) und - der wachsenden Konvergenz der nominalen Entwicklungstrends bei der Geldversorgung und den Lohnkosten, was auf die zunehmende Effizienz bei der Koordinierung der nationalen Geldpolitik und bei der Lohnanpassung hinweist. Die gesamtwirtschaftliche Konvergenz wichtiger Bestimmungsfaktoren fOr eine glaubhafte Politik der Wechselkursstabilisierung wird erst seit 1983 sichtbar, als mit der radikalen Kehrtwende er französischen Wirtschaftspolitik nach 172
Abb.7.1
Innergemeinschaftliche Ausfuhren AnteUe am Geeamthandelln t.
--
••
.... ':":' __
-.-~
--
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35 25~~~~~+-~~~~+-~~~~4-~~~~4-~~~
1866 -
-
1870 IRD
ea-
1875 · - · Fruk,..oll
-
Grollll'llwl.
·· Italien
- - Niederlende
·· Ieigien
11e 1113 Eal10), ab 1114 EG(12)
Quelle• OECD Forelgn Trade ltallltloe
Warenausfuhren, Volumen Jährliche ZUwachsraten
~
"
~
Sr--------------------------~
-4L-----L---------~----------~-----------L----~
1884-87
187s.-81
-lntra-EGI
L'SSS:I Extra-EGI
Quelle• Euroetat
173
I
1887-90
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Abb. 7.2
Verbraucherpreise in der EG Jillrflclle ZUWIICII.,.aC.n ln
~
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······-;,...... ...
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1878 1INIO 11181 11182 1883 1884 11185 1INI8 1H7 1H8 1H8 8A-Oeulloftlanct Nlo•rlucto
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1878 1878 1INIO 11181 11182 1883 1884 11185 1INI8 1H7 1H8 1888
-- ..........
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Quellln: OECO unll ECI•KG,.,.IIeloa
174
-
E8
I
dem verunglückten Mitterrand-Experiment von 1981/82 die Verpflichtungen des EWS ernst genommen worden sind. Das bemerkenswerte Ergebnis dieser Veränderungen läßt sich ablesen an: - den immer seltener auftretenden Wechselkursanpassungen im EWS: die Realignments haben seit 1985 an Zahl und Gewicht rapide abgenommen, und seit Januar 1987 ist· keine Wechselkurskorrektur mehr vorgenommen worden (obwohl sich seit 1986 große Leistungsbilanz-Ungleichgewichte aufgebaut haben); die Wechselkursschwankungen der EWS-Währungen sind dabei sowohl gegenüber der Vor-EWS-Periode als auch gegenüber den wichtigsten frei floatenden Währungen deutlich zurückgegangen; - einer erstaunlichen Annäherung der Lohnkosten- und Inflationstrends im EWS, worin sich der stabilitätspolitische Grundkonsens ausdrückt. Trotzdem sind in den letzten Jahren noch immer einige Divergenzen in der Entwicklung der Preis- und Lohnstückkosten zwischen der Bundesrepublik und den übrigen EWS-Ländern aufgetreten; die Unterschiede sind allerdings deutlich geringer im Vergleich zu den Nicht-EWS-Ländern (vgl. Tab. 7.1). Das Funktionieren des EWS, d.h. die relative Wechselkursstabilisierung und erfolgreiche Koordinierung der Geldpolitik, beruht auf einem "impliziten Kontrakt", der sich zwischen der "D-Mark-Zone" unter der Anführerschaft der D-Hark als Anker- und Interventionswährung und den übrigen Teilnehmerländernherausgebildet hat, die ihre Geldpolitik dem stabilitätspolitischen Vorbild unterordnen. Die asymmetrische Währungs- und Anpassungspolitik im EWS ist nicht Ausdruck einer hegemonialen Marktmacht der Bundesrepublik, wie die Stellung der USA im Bretton-Woods-System, sondern auf den Vorteilen der Wechselkursanbindung für die Stabilitätspolitik der währungsschwachen EWS-Teilnehmer (Stabilitätsimport und Glaubwürdigkeitsgewinn) begründet (Wagner 1989b). Die Vollendung des Binnenmarktes ist keineswegs mit einer unwiderruflichen Festschreibung der Wechselkurse verknüpft oder gar von der Schaffung einer einheitlichen Währung ab175
Tabelle 7.1 Konvergenz der Preis- und Lohnentwicklung in der EG (jährliche durchschnittliche Veränderung in
D
EWS ohne D
EWS
~)
NichtEWS
EG(12)
Preise des privaten Verbrauchs 1960-73 1973-81
3,6 5,0
4,8 12,9
4,4 10,2
5,3 18,9
4,6 12,3
1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989* 1990*
4,7 3,2 2,4 2,1 -0,2 0,6 1 ,2 3,5 3,0
12,4 10,4 8,2 6,5 3,5 3,3 3,3 4,3 3,9
9,6 8,0 6,2 5,0 2,2 2,4 2,6 4,0 3,6
13,4 10,2 10,0 8,6 7,9 6,5 6,8 7,2 7,4
10,5 8,5 7. 1 5,9 3,6 3,4 3,6 4,8 4,5
1960-73 1973-81
4,8 4, 7
5,5 13,5
5,3 10,5
5,1 19,4
5,2 12,6
1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989* 1990*
3,1 0,6 0,8 1 '6 2,3 1 '7 -0,0 -0,7 1,3
12,0 9,9 5,7 5,3 3,4 3,3 2,7 3,3 3,2
8,9 6,7 4,0 4. 1 3,1 2,8 1,8 1. 9 2,5
9,8 9,3 8,9 7,5 8,1 7,0 8,0 11,4 9,0
9,1 7,3 5,2 4,9 4,3 3,8 3,3 4,2 4. 1
Nominale LohnstOckkosten
* Prognosen Quelle: Europäische Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 1988-1989, Nr. 38, November 1988; Europäische Wirtschaft, Suppl. A, Nr. 10, Oktober 1989.
hängig. Es ist eher damit
zu rechnen, daß mit der
marktintegration und dem Abbau unterschiedlicher
BinnenBarrieren
auch Kosten-, Ertrags- und Produktivitätsunterschiede
zwi-
schen den
sich
Mitgliedsländern hervortreten
nicht leicht mit den internen Preis- und chanismen überwinden
lassen.
176
In
dieser
werden, die
LohnanpassungsmeÜbergangsperiode
werden also die nationalen Währungen nebeneinander fortbestehen und damit weiterhin höhere Transaktions- und Informationskosten fOr die Wirtschaftssubjekte im Binnenmarkt entstehen. Mit der Vollendung des Binnenmarktes nimmt aber auch der Zwang zu, die währungspolitische Konvergenz und Kooperation zwischen den Mitgliedsländern zu intensivieren. Dieser Zwang ergibt sich aus der politischen Bereitschaft, den Prozeß der monetären Integration in Richtung einer Wirtschafts- und Währungsunion voranzutreiben (vgl. den Beschluß des Madrider Gipfels vom Juni 1989), aber auch aus der Logik der Kapitalmarktliberalisierung im Binnenmarktplan. Am 1. Juli 1990 werden alle noch bestehenden Wechselkurs- und Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben sein und damit ein integrierter europäischer Finanzmarkt entstehen. Allerdings sind übergangsfristen fOr Irland, Griechenland (bis Ende 1992) und Spanien, Portugal (bis Ende 1995) ebenso wie Schutzklauseln fOr den Fall von Währungsstörungen vorgesehen, die eine vorObergehende WiedereinfOhrung von Kapitalverkehrskontrollen erlauben und damit neue Unsicherheiten Ober die GlaubwOrdigkeit der verfolgten Liberalisierungspolitik wecken können. Manche Skeptiker sehen daher in der angestrebten Freiheit des Kapitalverkehrs - insoweit sie Oberhaupt Realität wOrde- nur eine "Schönwetterveranstaltung" (Kloten und Bofinger 1988). In der neueren Integrationstheorie wird nachgewiesen (Krugman 1987), daß man nicht gleichzeitig stabile Wechselkur.se, volle Kapitalmarktliberalisierung, freien Warenhandel und autonome Währungspolitik haben kann. Dieses " inkonsistente Quartett" (Padoa-Schioppa 1988) erfordert beim heutigen Integrationsstand und mit der Herausbildung eines integrierten Kapitalmarktes in der EG auch die Implementierung einer zunehmend konvergenten und schließlich gemeinsamen Währungspolitik. Bei den obigen Argumenten ist einzuwenden, daß einmal die Wechselkurse in der Übergangsperiode des Binnenmarktes kaum stabil bleiben dOrften und zum anderen die BefOrchtungen spekulativer Kapitalbewegungen durch die Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen in Frankreich und Italien vermutlich Obertrieben sind (Driffill 1988). Störungsfälle lassen 177
sich bei Verlust der wirtschaftspolitischen Glaubwürdigkeit oder bei exogenen Schocks allerdings nicht ausschließen. Die bisher vollzogenen Schritte zur Lockerung der Kapitelverkehrskontrollen haben jedoch die Glaubwürdigkeit der Wechselkurspolitik in den EWS-Teilnehmerländern eher erhöht. 7.3.2
Währungspolitische Asymmetrie im EWS: eine dauerhafte Konstellation?
Die eigentliche Bewährungsprobe für den Konvergenz- und Koordinierungszwang der nächsten Jahre liegt wohl darin, daß sich die fm EWS herausgebildete Asymmetrie verstärken wird, wenn mit dem uneingeschränkt freien Kapitalverkehr der Anpassungszwang für die nationale Geld- und Zinspolitik über die Märkte zunimmt. Es war diese Asymmetrie, welche den unerwarteten Erfolg des EWS seit 1983 zum großen Teil erklären kann , obwohl die ursprünglichen Intentionen der EWSGründer auf eine symmetrisch wirkende Währungsordnung angelegt waren. Strategisch wurde die Asymmetrie dadurch möglich, daß die übrigen Teilnehmerländer zunehmend die Rolle der D-Mark als "Anker" für ihre Geld- und Interventionspolitik und damit die Anführerrolle der (unabhängigen) Bundesbank in der Geld- und Währungspolitik des EWS-Raumes akzeptiert haben. Technisch hat sich die asymmetrische Geld- und Währungspolitik im EWS durch den wachsenden Einsatz intramarginaler Interventionen und die zunehmende Verwendung der D-Mark als Reserve- und Interventionswährung ergeben (Gros and Thygesen 1988, Wagner 1989a,b). Die Weiterentwicklung des EWS hat also dazu geführt, daß die Bundesbank mit ihrer Geldmengen- und Zinspolitik den Stabilitätsstandard im EWS festlegt und damit eine gewisse geldpolitische Autonomie behält (die allerdings durch die Abhängigkeit gegenüber der wichtigsten internationalen Währung , dem US-Dollar, begrenzt wird). Die übrigen EWS-Länder haben sich mit der Politik des "tying their hands" (Giavazzi and Pagano 1988) an die Geldpolitik der Bundesbank- auch durch höhere .Realzinsen - angepaßt und die Interventionsverpflichtungen zur Aufrechterhaltung ihrer Wechselkurse übernommen. Gleichzei178
tig wurden allerdings von Frankreich und Italien Kapitalverkehrskontrollen zur Abwehr von spekulativen Kapitalbewegungen aufrechterhalten, die sich aber nur sehr vorübergehend als wirksam erwiesen haben. Mit der asymmetrischen Anpassungspolitik ist das EWS dem Funktionieren des Bretton-Woods-Systems immer ähnlicher geworden. Dabei hat die Bundesrepublik die Rolle der USA im internationalen Währungssystem übernommen, ohne deren relatives politisches und ökonomisches Gewicht zu besitzen. Die Bundesbank hat die Anführer- und Ankerrolle nicht angestrebt, sie ist ihr auf Grund ihrer Glaubwürdigkeit in der Stabilitätspolitik zugewachsen. Damit hat sie ihr währungspolitisches Prestige erh~ht, aber auch eine verantwortungsvolle Bürde übernommen, die nicht immer voll gewürdigt worden ist. Die Akzeptanz der EWS-Asymmetrie beruht aber im wesentlichen darauf, daß der Anti-Inflationspolitik allgemein immer größere Priorität eingeräumt worden ist und die Länder mit bisher hohen Inflationsraten, wie Frankreich, durch ihre EWS-Zugehörigkeit Glaubwürdigkeit importiert haben, also von der Stabilitäts- und Leitwährungsfunktion der D-Mark profitiert haben. Die Bundesbank hat dabei keineswegs einen einseitigen Führungsanpruch durchzusetzen versucht, sondern mit ihrer Geldpolitik die Anpassungsprobleme der Partnerländer mit berücksichtigt und mehrfach Abweichungen von den festgesetzten Geldmengenzielen zugelassen . Der asymmetrisehe Anpassungszwang für die währungsschwachen Länder ist jedoch unvermeidlich (de Boissieu 1989). Die Abhängigkeit der übrigen Teilnehmerländer von der Stabilitäts- und Geldpolitik der Bundesrepublik ist allerdings zum einen durch Wechselkursanpassungen und Kapitalverkehrskontrollen und zum anderen durch die Bereitschaft zur währungspolitischen Kooperation und die Basel/Nyborg-Vereinbarungen von 1988 (zur teilweisen Gemeinschaftsfinanzierung von intramarginalen Interventionen) deutlich abgeschwächt worden. Trotzdem ist der Verlust an währungspolitischer Autonomie von den währungsschwachen Ländern als unbequem und zeitweilig als politisch unerträglich empfunden worden. Die Pre179
mierministerin Thatcher hat vor e1n1ger Zeit den Beitritt zum EWS mit dem Argument abgelehnt, daß die Abhängigkeit von der DM-Zone den Wachstumsspielraum der britischen Wirtschaft einengen würde. Ähnliche Vorwürfe einer einseitigen Verteilung der Anpassungs- und Interventionslasten zuungunsten der währungsschwachen Länder und wegen eines angeblich deflationären Bias im EWS durch die Schrittmacherrolle einer wach-s tumsschwachen Bundesrepublik (Wagner 1989b) sind allerdings mit den kräftigen Expansionsraten seit 1988 zunehmend verstummt. Frankreich, Italien und Spanien drängen jedoch weiterhin auf eine institutionelle Weiterentwicklung des EWS in Richtung einer Europäischen Zentralbank, um auf diese Weise das politische Dilemma der währungspolitischen Abhängigkeit von der Bundesrepublik zu überwinden. Es ist verständlich, daß die Partnerländer der Bundesrepublik auf mehr Einfluß und auf eine gemeinsame europäische Geld- und· Währungspolitik drängen. Die deutsche Seite kann darauf verweisen, daß vorerst auf die Ankerfunktion der 0-Mark nicht verzichtet werden kann, weil man sonst die Glaubwürdigkeit der Stabilitätspolitik in der EG insgesamt aufs Spiel setzen würde. Aber dieses Argument darf die Bundesrepublik nicht dazu verleiten, sich gegen eine Weiterentwicklung des EWS nur deshalb zu stemmen, w~il die jetzige Funktionsweise der deutschen Währungspolitik eine Reihe von Vorteilen gewährt. Der augenblickliche Status quo der währungspolitischen Kooperation läßt sich nicht unbegrenzt verlängern . Die Erfahrungen mit der vollständigen Liberalisierung der Kapitalmärkte werden neue Ausgangsbedingungen schaffen und den Prozeß der monetären Integration in den neunziger Jahren weiter vorantreiben . Der Bundesrepublik kann nicht daran gelegen sein, die Bürde der Leitwährung im EWS auf Dauer alleine zu tragen. Frankreich ist dabei, in die Rolle eines Hartwährungslandes hineinzuwachsen, braucht aber immer noch einen realen Zinsunterschied, um das Gefälle in der stabilitätspolitischen Glaubwürdigkeit auszugleichen. Aber es ist denkbar, daß die französische Währungspolitik in nächster Zukunft zu einem gleichwertigen Partner wird, wenn z.B . die Banqua de France mit dem Status einer größeren Unabhängigkeit die Weichen für weitere Fortschritte auf dem Weg zur 180
Wirtschafts- und Währungsunion stellen würde. Das eventuelle Fernbleiben Großbritanniens im EWS-Verbund braucht der (informellen) Einübung einer stärkeren währungspolitischen Kooperation in einer europäischen Kerngruppe nicht im Wege zu stehen. Eine solche funktionale Einübung ist jedoch unumgänglich, wenn der institutionelle Sprung in die Wäh~ rungsunion in nächster oder ferner Zukunft gewagt werden soll. Der Oelors-Bericht zur Verwirklichung einer und Währungsunion sieht drei Stufen vor:
Wirtschafts-
-die erste Stufe (Einleitungsphase), die am 1. Juli 1990 in Kraft treten soll, beinhaltet den Beitritt aller Mitgliedsländerzum EWS-Wechselkursmechanismus, die Abschaffung aller noch bestehenden Devisen- und Kapitalmarktkontrollen und eine engere Zusammenarbeit der Zentralbankgouverneure; -die zweite Stufe (übergangsphase) soll erste Kompetenzübertragungen auf ein Europäisches Zentralbanksystem einleiten und den Prozeß der makroökonomischen und budgetpolitischen Koordinierung verstärken und - die dritte Stufe (Endphase) würde dann schließlich zu einer unwiderruflichen Festschreibung der EWS-Wechselkurse und damit zur Etablierung einer einheitlichen Gemeinschaftswährung und EG~Zentralbank führen. Oie beiden letzten Stufen, für die noch kein festes Datum feststeht, würden institutionelle Veränderungen bringen, die mit der möglichst schnellen Einberufung einer EG-Regierungskonferenz und der Ausarbeitung neuer EG-Vertragsbestimmungen bis zum Jahr 1993 vorbereitet werden sollen. über den Eintritt in die erste Stufe und die damit verbundenen Maßnahmen dürften keine grundsätzlichen Widerstände zu erwarten sein. Deutliche Meinungsunterschiede zeichnen sich allerdings ab bei den Vorschlägen über einen automatischen Übergang in die folgenden Stufen, über die Notwendigkeit eines festen Zeitplans sowie die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Übertragung von monetären Souveränitätsrechten auf eine unabhängige EG-Zentralbankinstitution. Ebenso bestehen vor allem in der Bundesrepublik die Zweifel 181
über die Glaubwürdigkeit fort, daß die Stabilität des Geldwertes in allen Mitgliedsländern sichergestellt werden kann. Oie britische Regierung hat im November 1989 einen schrittweisen "evolutionären Ansatz für die Wirtschafts- und Währungsunion" vorgelegt. Der Vorschlag geht von einer Phase I aus, in der die Bedingungen eines freien Waren- und Oienatleistungsverkehrs und der vollen FreizOgkeit von Kapital und Arbeitskräften verwirklicht sind und in der auch Großbritannien dem Wechselkursmechanismus des EWS beigetreten ist, nachdem die britische Inflationsrate merklich verringert werden konnte. Oie Veränderungen, die durch den Wettbewerb freigesetzt werden, würden allerdings "erst nach vielen Jahren abgeschlossen" sein. Statt sich dem Ziel einer WWU entsprechend dem Oelors-Bericht mit unnötigen Verfassungs- und institutionellen Änderungen zu nähern, sollen - nach britischen Vorstellungen - die miteinander konkurrierenden Währungspolitiken einen evolutionärenund pragmatischen Weg finden, um eine spätere Währungsunion zu bilden. Dieser Plan ist sowohl eine Absage gegenüber der Festleguns eines Zeitplans als Druckmittel für monetäre Fortschritte als a~ch gegenüber dem frühen Aufbau irgendwelcher zentraler EG-Institutionen. In den Mittelpunkt sollen die nationalen Währungsbehörden gestellt werden. Verbindliche Regeln für die Abstimmung der Haushaltspolitik werden als strittig und unnötig angesehen. Der oparationelle Kern des britischen Memorandums entpricht dem gegenwärtigen, asymmetrisch funktionierenden EWS, in dem u.U. die Führungsrolle der 0Mark als Ankerwährung durch andere nationale Währungen ergänzt werden könnte. Der britische Plan ist solange unglaubwürdig, als Großbritannien selbst dem EWS-Wechselkursmechanismus nicht beigetreten ist. Es ist vorherzusehen, daß die Auseinandersetzungen zwischen dem "romanischem Lager", das sich für rasche Fortschritte in der institutionellen Annäherung und einer parallelen Weiterentwicklung der monetären Integration im Rahmen des Binnenmarktprogramms einsetzt, und dem "nordischen Lager", 182
das für vorsichtige Schritte im Ausbau des EWS in Funktion der Konvergenzfortschritte plädiert, anhalten werden. Zu den Meinungsverschiedenheiten Ober den Nutzen und das Endziel der wwu treten die Ungewißheiten, ob und wie rasch die in der EG zunehmenden Ungleichgewichte in der Entwicklung der Leistungsbilanzen und Haushaltsbudgets bei größtmöglicher Wechselkursstabilität durchgehalten werden können. Bevor darOber und Ober das notwendige Tempo anderer Anpassungsvorgänge keine größere Sicherheit besteht, wäre es verfrüht, die Erwartung zu nähren, daß man im jetzigen Zeitpunkt einer effizienten Geldpolitik und unwiderruflich fixen Wechselkursen mit institutionellen Vorkehrungen näher kommt, ohne dabei politische, wirtschaftliche und soziale Spannungen zu erzeugen. Die Schaffung einer Währungsunion erfordert g.roße Investitionen in die Glaubwürdigkeit europäischer Institutionen, die schnell verspielt und später um so schwerer ZUrückzugewinnen wäre. 7.3.3
Wachsende Risiken außenwirtschaftlicher wichte in der EG
Ungleichge-
Das erfolgreiche Funktionieren des EWS ist einhergegangen mit der Entstehung zunehmender außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen den EWS-Ländern. Dabei weisen die Bundesrepublik, Belgien und Irland wachsende überschOsse und Frankreich, Italien und Dänemark Defizite auf. Für manchen Beobachter ist die Größe der Handesbilanz-Ungleichgewichte innerhalb des EWS ein zusätzlicher Indikator für die Bewertung des erreichten Konvergenz- bzw. Divergenzgrades. Ein solches Urteil muß jedoch eingeschränkt werden. Bilaterale Handelsbilanz-Ungleichgewichtsper se sind nicht die Ursache potentieller Spannungen. Das Problem ergibt sich vielmehr daraus, daß die Ungleichgewichte vor allem auf die rasch wachsenden Überschüsse der Bundesrepublik zurückgehen. Ihr gesamter Leistungsbilanzüberschuß machte 1988 gut 4% des BIP aus (1983: 0,8 %) und dürfte aller Voraussicht nach weiter wachsen. Sie hat ihre Handels- und Leistungsbilanz gegenüber den EG-Ländern innerhalb von fünf Jahren um jeweils 50 Mrd. DM verbessert. Die Leistungsbilanz der Gemeinschaft insgesamt ist dagegen 1988 fast ausgeglichen gewesen (Tab. 7.2). 183
Tabelle 7.2 Leistungsbilanzen in der EG {in ~ des BIP)
Durchschnitt 1985-87
1988
1989*
1990*
EWS-Länder mit Oberschüssen•l davon: BRD mit Defi z i tenb l
1 '3 3,1 3,5 -0,3
1 ,3 3,5 4,1 -0,6
1 '5 4,3 5,3 -0,9
1. 7 4,7 5,8 -0,9
Ni·cht-EWS-Länderc l davon: Großbrit. Spanien Portugal
-0,1 -0,4 1 '2 2,5
-2,6 -3,2 -1,1 -1,4
-3,7 -4,1 -2,9 -2,8
-3,5 -3,3 -4 -3,4
-
-
------------------------------EG{12)
I
1 '0
------- ------- -------
I
0,3
I
0,1
I
0,2
a) Belgien, Luxemburg, Bundesrepublik Deutschland, Irland, Niederlande. - b) Frankreich, Italien, Dänemark. c) Einschließlich Griechenland. * Prognosen.
-
Quelle: EG-Kommission, Europäische Nr. 10, Oktober 1989.
Wirtschaft,
-
Suppl. A,
In der öffentlichen Diskussion über die außenwirtschaftliehen Oberschüsse der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Gemeinschaft werden oft einige wichtige Fakten übersehen {vgl. Tab. 7.3): - Der Handelsbilanzüberschuß der Bundesrepublik wird durch ein beträchtliches Defizit in der Dienstleistungs- und Übertragungsbilanz in Höhe von fast 20 Mrd. DM , und zwar vor allem gegenüber den EWS-Ländern {Tourismus), vermindert; - der deutsche Leistungsbilanzüberschuß im EWS ist erst seit 1986 {insbesondere gegenüber Frankreich und Belgien und seit 1988 gegenüber Italien) entstanden; - der Leistungsbilanzüberschuß gegenüber den Nicht-EWS-Ländern {weitgehend Großbritannien) ist im Jahre 1988 ebenso hoch ausgefallen wie gegenüber den EWS-Ländern {rd. 28 Mrd. DM, das sind jeweils ein Drittel des gesamten Leistungsbilanzüberschusses von 85 Mrd. DM in 1988). 184
Tabelle 7. 3 Handele- und Leistungsbilanz der Bundearapublik Deutachland (in Mrd. DM} Hande 1sbi 1anz• > gegenOber NichtEWS EG EWS
Leistungsbilanz gegenOber NichtEGbl EWS EWS
1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985
612 1010 919 1515 71 1 12,9 15,5
41 1 013 114 716 1114 10,5 12,5
1013 1013 11 13 2313 1815 23,4 28,0
-911 -517 -612 -213 -9,4 -3,7 -0,5
318 013 -018 513 9,6 6,7 10,1
1985 1986 1987 1988
15,5 29,4 36,4 46,8
24,0 27,3 37,2
53,4 63,8 84,0
-0,5 1418 22,0 27,5
7 '6C) 17,0 20,0 28,0
-914 -1013 -1314 -318 -5,3 -1 '6 2,1
------- ------- ------- --------------- ------- ------15, 7C) 31, 1c l -0,4C) 24,8 33,7 44,7
-
b) Einschließlich a) Einschließlich Transithandel. EG-Institutionen (Differenz zwischen EWS und Nicht-EWS). c) Ab 1985 einschließlich Spanien und Portugal.
-
Quelle: Deutsche Bundesbank (1989). Die relativ gleichstarken Leistungsbilanzüberschüsse geg~n über den EWS- und Nicht-EWS-Ländern sind auch ein Argument gegen die These, daß die Bundesrepublik Deutschland einseitig vom EWS profitiert hat. "The Germans are able to get better terms of trade in return for something the others value but which costs the Germans nothing" (Melitz 1988). Einige Untersuchungen haben nachzuweisen versucht, daß die Exportgewinne und LeistungsbilanzüberschUsse gegenüber den EWS-Ländern zum großen Teil darauf zurückzuführen sind, daß das Wachstums- und Konjunkturgefälle zwischen den EWS-überschußländern und den restlichen EWS-Ländern nicht ausgereicht hat, um die Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse zu verhindern. Aus der Tabelle 7.4 kann man ein merkliches Gefälle der realen Binnennachfrage zwischen der Bundesrepu185
Tabelle 7.4 Wachstumsgefalle in der EG (jährliche durchschnittliche Zuwachsraten BRD
Rest EWS• l
übrige EGb l
in~)
EG(12)
1973-78 1978-83 1983-87 1987-89
2,0 0,8 2,3 3,1
reale Binnennachfrage 1,9 1 ,3 1 '5 1 '0 2,9 3,5 5,6 3,8
1,8 1 '2 3,0 4,1
1973-78 1978-83 1983-87 1987-89
2,0 1 '3 2,2 3,6
reales BIP 2,6 1 '7 1,8 1 '0 3,0 2,3 3,6 3,7
2,2 1. 5 2,5 3,6
a) Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg, b) Großbritannien, Spanien, PortuDänemark, Irland. gal, Griechenland.
-
Quelle: OECD; EG-Kommission; Ifo-Institut.
blik und den übrigen EWS-Ländern für den Zeitraum 1978-83 und wiederum in den letzten zwei Jahren von 1987 bis 1989 ablesen. Hinzu kommen auch deutliche Unterschiede in den Preis- und Einkommenselastizitäten für die Bundesrepublik, Frankreich und Italien bei der ökonometrischen Schätzung von Ausfuhr- und Einfuhrgleichungen (Vona and Bini-Smaghi 1988, Bini-Smaghi and Vona 1988). Danach werden die Handelsbilanzen am stärksten von der relativen Nachfrage der EWS-Länder und der übrigen OECD-Länder beeinflußt und weniger von relativen Preisverschiebungen über Wechselkursveränderungen. Da die positiven Einflüsse auf die Verbesserung der Handelsbilanzen der EWS-Länder wegen der Dollarabwertung und der sich abschwächenden Nachfrage der USA nachgelassen haben, schlagen seit Mitte der achtziger Jahre die Unterschiede zwischen den EWS-Ländern durch. Vor allem hat das langsamere Wachstum der internen Nachfrage in der Bundesrepublik zu einem steigenden Handelsbilanzüberschuß geführt. 186
Für die Bundesrepublik und ihre EG-Partner stellt sich also die Frage, ob und auf welche Weise diese innergemeinschaftlichen Ungleichgewichte korrigiert werden müssen oder ob die Leistungsbilanzüberschüsse und Kapitalexporte in den nächsten Jahren durchgehalten werden können. Außer Zweifel steht, daß die Nachfrageausweitung in einigen EG-Ländern; wie z.B.in Großbritannien, rascher verlaufen ist, als dort mit einem inflationsfreien Wachstum und dem außenwirtschaftliehen Gleichgewicht verträglich war. Die absehbare Wachstumsabschwächung in diesen Ländern wird also auch die Defizite vermindern. Unübersehbar ist aber außerdem, daß die Bundesrepublik zur Zeit von einer allgemeinen Modernisierungs- und Erweiterungswelle profitiert, mit der sich die EG-Länder auf den Europäischen Binnenmarkt vorbereiten. Denkbar ist auch, daß die Bundesrepublik im Übergang auf den großen Binnenmarkt zum langfristigen Kapitalgeberland zugunsten der schwächer entwickelten Länder in der EG wird und so zum sozialen und regionalen Ausgleich und Aufholprozeß beiträgt. Dieser strukturelle Kapitalabfluß ließe sich rechtfertigen mit den demografischen Unterschieden, dem hohen Sparvolumen der deutschen Haushalte und den anhaltenden Realzinsunterschieden in der Gemeinschaft. Gegen die Höhe des aktuellen Leistungsbilanzüberschusses sprechen gewichtige Argumente. Die Bundesrepublik trägt mit dem anhaltenden Leistungsbilanzüberschuß dazu bei, die Lükke zwischen Investitionen und Sparen in einigen Ländern zu schließen, obwohl sie selbst die inländischen Investitionen verstärken müßte, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Solche Beschäftigungspotentiale lägen z.B. in den Dienstleistungsbereichen, die weniger außenwirtschaftlich ausgerichtet sind. Eher besteht die Gefahr einer Verzerrung der Produktionsstruktur in Richtung eines weiter zunehmenden Exportanteils, weil die preisliche Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors durch eine reale Abwertung der D-Mark (seit Anfang 1988 um 6 ~) begünstigt wurde. Die deutsche Handelsbilanz hat sich selbst bei Gütergruppen verbessert, die nicht zu den traditionellen Ausfuhrspezialitäten der deutschen Wirtschaft zählen (Gerstenberger 1989).
187
Es gibt also durchaus Argumente für eine rechtzeitige Korrektur der Wechselkurse im EWS-Verbund, soweit sie von den Teilnehmerländern akzeptiert würde. Damit ist allerdings noch nicht das Problem der Oberschüsse gegenüber den NichtEWS-Ländern gelöst. Dringlich und machbar wäre es daher vielmehr, den außenwirtschaftliehen Ungleichgewichten durch das Vorziehen von Liberalisierungsmaßnahmen zu begegnen, die im Rahmen der GATT-Runde und der Binnenmarkt-Vorbereitungen (im Bereich der Energieversorgung, Dienstleistungen und öffentlichen Beschaffungsmärkte) vorgesehen sind (vgl. Ifo-Institut 1989b). Die Entstehung von außenwirtschaftliehen Ungleichgewichten macht das Dilemma deutlich, das sich in der Gemeinschaft ergibt, wenn sich das reale Wachstum auseinanderentwickelt und nominale Wechselkursanpassungen mehr und mehr entfallen. In der jetzigen Phase müßte entweder in der Bundesrepublik die reale inländische Nachfrage zuungunsten des Außenbeitrags gestärkt oder das Wachstum in den übrigen EGLändern verlangsamt oder die Leistungsbilanzungleichgewichte vorerst toleriert werden in der Hoffnung, daß sie schrittweise zurückgeführt werden können. Auf jeden Fall entsteht ein makroökonomischer Koordinierungsbedarf, für den - zumindest auf kurzer Sicht - Instrumente nur in begrenztem Ausmaß zur Verfügung stehen.
7.4
Koordinierung der Haushalts- und Steuerpolitik
Die weitgehend nicht-institutionelle Abstimmung der Geldund Währungspolitik im Rahmen des EWS hat sich bisher als erstaunlich effizient erwiesen. Ihr Nutzen für die Koordinierung der Geldpolitik wird daher nach anfänglicher Skepsis heute auch nicht mehr in Frage gestellt, wenn man von der Weigerung der britischen Regierung absieht, sich den EWS-Verpflichtungen zu unterwerfen, weil "die Zeit dafür (noch) nicht reif ist". Die theoretische und politische Diskussion über die Koordinierungserfordernisse des Europäischen Binnenmarktes ist vor allem anhand zweier Fragestellungen entbrannt:
188
-ob und wie die Budgetpolitik einer zu unterwerfen ist und
Ex-ante-Koordinierung
- wieweit eine Harmonisierung der indirekten Steuern und der Verbrauchsteuern bei Abschaffung der Grenzkontrollen für das Funktionieren eines Binnenmarktes unerläßlich ist. Die Vollendung des Binnenmarktes ist ein Teilstück auf dem Wege zu einer Wirtschafts- und Währungsunion, für die im nächsten Jahrzehnt vermutlich die entscheidenden Weichen gestellt werden. Diese Ansicht wird jedoch nicht von allen Mitgliedsländern mit der gleichen Überzeugung und keinesfalls von der britischen Premierministerin Thatcher geteilt. Die Debatte über die Koordinierung der Finanzpolitik sollte in einer längerfristigen Perspektive auch die Angleichung der unterschiedlichen Fiskal- und Steuersysteme mit einbeziehen, da diese zumindest auf mittlere und längere Sicht entscheidende Wi rkungen auf die Angebotsseite und die Standortbedingungen der EG-Länder, z.B. für die Investitionen, das Sparverhalten und Leistungsanreize der Unternehmen und Haushalte usw., haben werden. 7.4.1
Abstimmung der nationalen Haushaltspolitik
Die ersten Bemühungen in Richtung einer engeren monetären Integration in den frühen siebziger Jahren und die damit verbundene Koordinierung der Budgetpolitik fanden ihren instrumentellen Niederschlag in der Konvergenz-Entscheidung von 1974 . Sie legte eine Reihe von prozeduralen Vereinbarungen (Informations- und Konsultationsverfahren, Festlegung von wirtschaftspolitischen Leitlinien, periodische Wirtschaftsberichte für den Rat) fest, um die Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung und der Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft zu stärken. Sie bestand im wesentlichen aus dem Versuch, einen Rahmen für die allgemeine Orientierung der Wirtschaftspolitik zu liefern und die nationale Haushaltspolitik über die Festlegung von quantitativen Richtlinien über den Umfang und die Finanzierung nationaler Haushaltsdefizite und Ober den Anstieg der staatlichen Ausgaben und Einnahmen der EG-Länder zu koordinieren. 189
Die Erfolge mit dieser relativ extensiven - aber kaum verbindlichen Koordinierungsmaschinerie waren insgesamt, aber vor allem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, ziemlich unbefriedigend. Die GrUnde fOr den Mißerfolg einer engeren budgetpolitischen Koordinierung waren vielfältig: die Wirkungen der beiden ölschocks und die divergierenden Reaktionen der Mitgliedstaaten, die Schwierigkeiten einer Einflußnahme auf die parlamentarischen Entscheidungen im Budget- und Steuerbereich, die Bevorzugung einer monetlren Steuerung anstelle keynesianischer Fiskalpolitik (Caesar 1987, Wagner 1989c) und schließlich die Enttäuschung in der Bunqesrepublik Ober die Ergebnisse der ehrgeizig angelegten Konzertierten Aktion des Bonner Gipfels von 1978. Die unzureichenden Erfahrungen mit der Konvergenzentscheidung von 1974 gründen sich nicht zuletzt auf eine "grundlegende konstitutionelle Schwäche" (Schmidhuber 1988) des Abstimmungsverfahrens, da der Rat Ober die gemeinechaftlichen wirtschaftspolitischen Leitlinien beschließt, fOr die er auf nationaler Ebene Verantwortung trägt. Es war daher angesichts der fehlenden Kompetenzen und SanktionaMechanismen nicht verwunderlich, daß die wirtschaftspolitischen Leitlinien meist bereits im Vorfeld der Beratungen entschärft wurden und vielfach nur eine formelle Kompatibi11tät aufwiesen. Vor allem die quantitativen Leitlinien der Budgetpolitik blieben in der Regel ohne jede Konsequenz und Wirkung, da sie weder die nationalen Parlamente noch die Öffentlichkeit erreichten. In den frohen achtziger Jahren begann sich allerdings allmählich die wirtschaftspolitische Oberzeugung durchzusetzen, daß die inzwischen massiv angestiegenen Haushaltsdefizite verringert werden mUßten, um die negativen Wirkungen auf den Privatsektor und die steigende Zinsbelastung zu vermeiden. Diese Anstrengungen haben in den EG-Ländern zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen geführt (Tab. 7.5): - e1n1ge wenige Länder haben seit der zweiten Hälfte achtziger Jahre einen Oberschuß des Staatshaushaltes zielt (Großbritannien, Dänemark und Luxemburg);
190
der er-
Tabelle 7.5 Budgetdefizite bzw. -OberachOaae in der EQ (in !111 des BIP) 1970
1980
1985
1988
1990*
Großbritannien Dänemark
3,0 4. 1
-3,4 -3,3
-2,7 -2,0
0,8 0,2
1•1 0,7
Frankreich BR Deutschland Spanien
0,9 0,2 0,7
0,0 -2,9 -2,6
-2,8 -1. 1 -7,0
-1 ,4 -2' 1 -3,2
-1. 1 -0,4 -2,4
-1.2 -2,2 -4,3
-4,0 -9,0 -12,7 0,0 -8,5 0,0
-4,8 -8,6 -11 • 1 -10,1 -12,5 -13,5
-4,9 -6,5 -3,7 -6,5 -10,6 -14,9
-4,2 -5,7 -1,5 -6,1 -9,8 -20,0
-5,2
-3,6
-2,9
Niederlande Belgien Irland Portugal Italien Griechenland
-
-3,1 n.v.
------- ----------------------EG(12) 5,0 -1 '1 *
------- ------- -------
Prognose.
Quelle: EG-Kommission, Mitteilung an den Rat KOM(89)333, 29. Juni 1989, und Mitteilung an den Rat KOM(89)497 vom 18.10.1989 (Jahreswirtschaftsbericht 1989-990).
- Frankreich und die Bundesrepublik konnten ihre Budgetdefizite merklich unter den EG-Durchschnitt zurückfü_hren; das Defizit Spaniens liegt knapp darunter; - alle übrigen EG-Länder (insbesondere Italien und Griechenland) weisen noch immer beunruhigend hohe Staatsdefizite auf. Die jüngsten Indikatoren und Informationen lassen erwarten, daß sich die budgetpolitischen Divergenzen innerhalb der EG noch ausweiten werden. Das Funktionieren des EWS und die relative Stabilität der Wechselkurse hat vorgeführt, daß solche Divergenzen in der staatlichen Kreditaufnahme für längere Zeit fortbestehen können, wie z.B. in Italien. In Ländern mit hohen Defiziten 191
können solche Abweichungen gerechtfertigt sein durch eine hohe investive Verwendung der öffentlichen Mittel, durch höhere Realzinsen und durch die Glaubwürdigkeit der Gesamtpolitik des Landes. Die EWS-Regeln verbieten nicht die Finanzierung von Haushaltsdefiziten Ober die nationale Geldschöpfung, die in einer europäischen Währungsunion entfallen soll. Erst bei Verbot einer monetären Finanzierung von nationalen Defiziten würde der Disziplinierungszwang über den Wettbewerb ein konvergierendes Finanzgebaren aller Mitgliedstaaten erfordern. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi (1989) hat daraus gefolgert, daß eine Währungsunion prinzipiell keine formelle und verbindliche Abstimmung und Harmonisierung der Finanzpolitik notwendig macht und damit auch keinen Transfer von nationaler Finanzautonomie auf gemeinschaftliche Organe. Damit werden die Erfordernisse bei der "Einübung in stabilitätspolitischer Finanzpolitik" auf die Obergangsphase zur WWU verlagert, in der durch freiwillige Maßnahmen eine "solide" Finanzpolitik sichergestellt werden soll, ohne daß dabei die Kriterien und Indikatoren für eine Kompatibilität zwischen der Geld- und Budgetpolitik innerhalb eines Landes und zwischen den Mitgliedstaaten bisher klar geworden sind. Die Bedeutung einer verstärkten budgetpolitischen Koordinierung im Delors-Bericht (1989) wird mit den Gefahren unkoordinierter, divergierender nationaler Haushaltspolitik wie folgt begründet: der Geldpolitik allein kann die Anpassung an eine gleichgewichtige Entwicklung im realen und finanziellen Bereich nicht überlassen werden (Bsp. USA); da ein zentral gesteuerter Gemeinschaftshaushalt in den nächsten zwanzig Jahren wegen seines geringen Gewichts (z.Zt. etwas über 1 %des EG-BIP) für "zyklische Anpassungen" ausfällt, muß in die gesamtwirtschaftliche Abstimmung (policy mix) die nationale Finanzpolitik einbezogen werden; -eine anhaltende staatliche Verschuldung würde letztlich die monetäre Stabilität und die Aufrechterhaltung stabiler Wechselkurse untergraben, das durchschnittliche Zinsniveau nach oben drücken und die Risiken eines "crowding out" privater Investitionen erhöhen;
192
- die disziplintarenden EinflUsse der Marktkräfte wUrden die staatlichen Kreditnehmer nur sehr langsam zur Umkehr zwingen und oft nur sehr abrupt wirken; die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, daß es einer Zeitspanne von 5 bis 10 Jahren bedarf, um den Kurs der Finanzpolitik zu ändern. über das notwendige und mögliche Ausmaß und die Mittel einer (jährlichen) Abstimmung der Finanzpolitik kann man geteilter Meinung sein. Der Delors-Bericht (1989) stellt lapidar fest, daß "vor allem fUr die Finanzpolitik die Konvergenzentscheidung von 1974 keine wirkliche Grundlage für die Koordinierung gebracht" hat. Die EG-Finanzminister haben im November 1989 Vorschläge zur Verbesserung der Wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinierung verabschiedet, die bereits die Vorstufe für die weitaus engere Kooperation in der WWU ab Mitte 1990 einleiten. Die EG-Kommission schlägt in ihrer Mitteilung an den Rat (KOM(89)333 vom 29. Juni 1989) die folgenden mittelfristigen Leitlinien für die Koordinierung der Budgetpolitik vor: - die nichtmonetäre Finanzierung von staatlichen Defiziten; -die Konsolidierung und Verminderung der Defizite vor allem dadurch, daß laufende Ausgaben nicht mehr über Kreditaufnahmen finanziert werden; - das Vermeiden negativer Auswirkungen von staatlichen Ausgaben; - die Suche nach Ausgaben- und Einnahmestrukturen, welche die Angebotsbedingungen für ein anhaltendes Wachstum begünstigen. Konkret beinhalten diese Prinzipien eine zurUckhaltende Budgetpolitik in der Gemeinschaft und eine entschiedene Verminderung der Haushaltsdefizite in Italien, Griechenland und Portugal. Aber die Hartnäckigkeit von Haushaltsdefiziten im Fall der USA und Italiens sollte vor der Illusion warnen, bei der Koordinierung der Budgetpolitik rasche und dramatische Erfolge erreichen zu können. Budgetpolitische Entscheidungen 193
von nationalen Regierungen und Parlamenten sind Teil von Prozeduren, die von Land zu Land sowohl zeitlich wie auch institutionell sehr unterschiedlich sind (vgl. hierzu z.B. Pechman 1989). Sie alle sind Gegenstand komplizierter innenpolitischer Verteilungskompromisse, die sich nur sehr marginal im europäischen Zusammenhang beeinflussen, geschweige korrigieren lassen, auch wenn das Ziel der Koordinierungsanstrengungen nur die Haushaltsaggregate und nicht die funktionale oder institutionelle Aufteilung betrifft. Erschwerend kommt hinzu, daß die Analyse der Wirkungszusammenhänge und RUckwirkungen in stark integrierten Güter- und Kapitalmärkten theoretisch wie empirisch große Schwierigkeiten aufwirft. Hier sind noch umfangreiche Forschungsaufgaben und vergleichende Analysen zu leisten. Die Koordinierungsbemühungen bei der Haushaltspolitik soll-· ten sich auf einen mittelfristigen Orientierungsrahmen ausrichten, um so die Erwartungen der Marktteilnehmer zu stabilisieren. Jede Form von budgetpolitischer Feinabstimmung dürfte unter den gegenwärtigen institutionellen Beschränkungen kontraproduktiv sein. Das Ziel der Haushaltskoordinierung sollte sein, in allen Mitgliedstaaten strenge Grenzen für die Staatsverschuldung durchzusetzen , um damit auch wieder den Spielraum für den Einsatz der Fiskalpolitik bei einem evtl. kumulativen Abschwung zurückzugewinnen. Die Glaubwürdigkeit der Geld- und Stabilitätspolitik muß mit der Stetigkeit und Verläßlichkeit der Finanzpolitik Hand in Hand gehen. Angesichts der bereits erzielten Konsolidierungserfolge dürfte auf die Bundesrepublik bei der Konvergenz der globalen Haushaltsaggregate vorerst kein besonderer Koordinierungsbedarf zukommen. Die Bundesrepublik lag 1988 bei der staatlichen Kreditaufnahme (unter 1 • des BIP) und bei der staatlichen Verschuldungsquote (rund 44 ~des BIP) deutlich unter dem EG-Durchschnitt (3,3 ~ bzw. 60 %). Trotzdem wäre im finanzpolitischen Kurs der Bundesrepublik eine größere Stetigkeit als in den letzten Jahren wünschenswert. Weniger günstig ist die gesamtwirtschaftliche Abgabenquote (41,6% des BIP), bei der die Bundesrepublik eine mittlere Position (EG-Durchschnitt 40,1 ~)einnimmt, wobei die Abgaben- und 194
Steuerquote seit 1982 schrittweise abnimmt (Deutsche Bundesbank 1989). Großbritannien, Italien, die USA und Japan weisen jedoch eine weit geringere Belastung auf. Oie Unternehmen und auch die Mehrzahl der deutschen Forschungsinstitute drängen allerdings auf eine umfassende Reform des Steuersystems, insbesondere der Unternehmensbesteuerung, worüber es aber voneinander abweichende Argumente gibt (Leibfritz und Parsehe 1988, Seidel u.a.1989). Der sich mit der Schaffung des Binnenmarktes ergebende Wettbewerb der Steuersysteme ist ein Grund mehr, diesen Prozeß durch eine "sanfte" Abstimmung von Steuerreformplänen im Gemeinschaftsrahmen zu erleichtern, um so eine größere Steuerneutralität zu erreichen.
7.4.2
Angleichung der Steuerpolitik und Harmonisierung der Verbrauchsteuern
Auf drei Gebieten des Binnenmarktprojekts wird es vermutlich große und langwierige Schwierigkeiten geben, um die angestrebten Maßnahmen auch tatsächlich durchzusetzen: bei der Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte, der Abschaffung der Grenzkontrollen und bei der Beseitigung der Steuerschranken. Alle drei Bereiche berühren im Kern den Verzicht auf staatliche Hoheitsrechte, entweder auf nationaler oder lokaler Ebene. Steuern gehören seit jeher zur ureigensten Domäne nationaler Parlamente. Die Struktur und die Höhe der Steuersätze weisen in der Gemeinschaft große Verschiedenheiten auf. Als Erfolg der Harmonisierungsbemühungen muß die allgemeine Einführung des Mehrwertsteuersystems in der Gemeinschaft angesehen werden. Die Diskussion um diese Harmonisierung macht deutlich , wie langwierig der Prozeß der SteuerangleichunQ abläuft. Das Thema der Steuerharmonisierung beleuchtet aber auch den Kern der allgemeinen Debatte "Koordinierung versus Wettbewerb der Regelungssysteme". Sie wird auf internationaler und europäischer Ebene über die Frage geführt, ob die Finanz- und Steuerpolitik harmonisiert werden muß oder ob die Angleichung dem Wettbewerb der Steuersysteme Oberlassen werden kann. Die jeweiligen Argumente der beiden Lager und 195
der mögliche Konflikt können nommen werden (Frey 1989).
der folgenden Obersicht
ent-
Internationale HaiWifl1a1arung oder stauanl8ttbaverb?
Wirtschaftliche Exte rnali täten "reine" öffentliehe Güter und Umverteil ung
Pol itische Externalitliten
•oll•tiodigo Rücksichtnahme der Regierung
j
Hanmonisierung
private Güter keine umverteilung
j
koioo Honoooioiof d 11 h rung er or er c
---------------- ------------------- ------------------keine Rücksichtnahme
Konflikt zwischen Hannonisierung u. Steuerwettbewerb
Steuerwettbewerb
Quelle: Frey (1989).
Die bisherige Rechtfertigung für die Harmonisierung der Steuerpolitik basiert auf der Annahme, daß die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und die Umverteilung von Einkommen über die Besteuerung Auswirkungen auf die Nachbarländer haben und damit wirtschaftliche Externalitäten auftreten (z.B. Spillovar-Effekte durch unterschiedliche Kapitalbesteuerung). Ebenso wurde angenommen, daß Regierungen und Politiker stets um das Wohl ihrer Bürger besorgt sind und deren Präferenzen berücksichtigen. In diesem Fall würde eine Harmonisierung (Angleichung) der Steuerpolitik die Effizienz der Ressourcenallokation verbessern. Im Gegensatz zu diesem "Harmonisierungslager" hat sich mit der modernen "Public Choice"- Theorie ein "Wettbewerbslager" gebildet, das einmal den privaten Charakter von öffentlich angebotenen Gütern und die Einflußmöglichkeiten von Interessengruppen bei der staatlichen Umverteilungspolitik unterstreicht und zum anderen das wohlwollende Verhalten von Regierungen und ein perfektes Funktionieren der parlamentarischen Demokratie bezweifelt. In diesem Falle würde der Wettbewerb zwischen Steuersystemen zu optimaleren Wohlfahrtsergebnissen für die Bürger führen. Gleichzeitig würde dann aber 196
auch eine von Land zu Land verschiedene Politik der staatlichen Umverteiluns und Sozialfürsorge beeinträchtigt, wenn nicht überhaupt unmöglich. Ungehemmter Wettbewerb der Steuersysteme hätte soziale Wirkungen und Wanderungen zu Folge, die mit anderen Mitteln wieder kompensiert werden müßten. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Lagern engt jedoch die Fragestellung und Lösungsmöglichkeiten allzu stark ein. Auch der Konfliktfall, in dem öffentliche Güter und nicht anpassungsfähige (oder "autoritäre") Regierungen gleichzeitig existieren, ist weniger dramatisch und weniger häufig, als vielfach angenommen wird. Von beiden kann in der politischen Realität und bei immer enger zusammenwachsenden Wirtschaften nicht einfach abgesehen werden. Aber Regierungen und Bürokratien müssen nicht (wie es die Public-choiceTheorie postuliert) notwendigerweise auf die Erweiterung ihres Einflusses und die Ausbeutung des Steuerzahlers aus sein. öffentliche Güter können in private Eigentumsrechte (property rights) übergeführt und damit vertraglichen Regeln und marktwirtschaftliehen Verteilungsmechanismen (über Preise und Gebühren) unterworfen werden, statt bürokratischen oder diskretionären Entscheidungen ausgesetzt zu sein. Harmonisierungsbemühungen (die zeitraubend und kostspielig sein können) sollten sich auf Regeln und nicht auf Ergebnisse konzentrieren. Das Argument der steuerlichen Belastung muß die staatlichen Gegenleistungen (funktionierende staatliche Aufgabenerfüllung und Infrastrukturangebetel berücksichtigen. Der Wettbewerb zwischen Steuersystemen könnte zu schwerwiegenden Steuerverlusten und zu einer Unterversorgung an öffentlichen Gütern führen, wenn ein Wettlauf zwischen den Ländern um die niedrigste Steuerbelastung zustande käme. Diese Bemerkungen über die Voraussetzungen eines "Wettbewerbs der Institutionen" zeigen nur, daß es mit einer Schwarz-Weiß-Darstellung nicht getan ist, wenn man nach optimalen Lösungen in der Steuerharmonisierungsdebatte sucht. Die beiden oben skizzierten Lager finden sich natürlich auch in der Auseinandersetzung über die Angleichung der Mehrwert- und Verbrauchsteuern, wie sie mit den urprünglichen Vorschlägen der EG-Kommission in Gang gekommen ist (vgl. Kap. 2.2.5).
197
Auch in der Bundesrepublik wird die These vertreten, daß eine Harmonisierung der indirekten Steuern durch den Ministerrat weder nötig noch wOnschenswert ist, wenn die Steuergrenzen fallen sollen. Bei Obergang zum UrsprungslandPrinzip und Anwendung des Vorumsatzabzugs (Besteuerung der Differenz zwischen Umsatz und Vorleistungen) wOrden die unterschiede im Niveau der Mehrwertsteuersätze durch Wechselkursanpassungen ausgeglichen und im übrigen der Wettbewerb für die Angleichung der unterschiedlichen Strukturen der Sätze sorgen (Boss 1989). Gegen eine reine Wettbewerbslösung hat sich Sinn gewandt (Sinn 1989). Da InvestitionsgUter durch die Mehrwertsteuer nicht belastet werden, wUrde mit dem Übergang zum Ursprungsland-Prinzip und der Abschaffung der Grenzkontrollen in einem Niedrigsteuerland wie der Bundesrepublik die Konsumgüterproduktion begOnstigt, in einem Hochsteuerland dagegen die InvestitionsgOterproduktion. Entweder käme es zu einer DM-Aufwertung oder zu einer relativen Preis- und Lohnanhebung, auf jeden Fall aber zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsposition der InvestitionsgOterindustrie, .die in der Bundesrepublik eine wichtige Stellung einnimmt. Um eine solche künstlich induzierte Umorientierung in der Produktions-Spezialisierung durch Steuerunterschiede zu vermeiden, wäre die Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze unumgänglich. Das Gewicht des Argumentes- relative Preisverschiebung zuungunsten der deutschen Investitionsgüterindustrie- sollte in einer Studie auf seine empirische Relevanz untersucht werden. Die EG-Kommission - und auch die Bundesregierung - hält eine kollektiv vereinbarte Annäherung der Steuersätze für notwendig, weil es sonst zu beträchtlichen steuerbedingten Verlagerungen der Handels- und Dienstleistungsströme und damit zu Wettbewerbsverzerrungen vor allem zwischen Ländern mit großen Mehrwertsteuer-Unterschieden käme, wie z.B. zwischen der Bundesrepublik, Dänemark und Irland, wo der Normalsatz z.Zt. zwischen 14 ~und 22 bzw. 25 ~ liegt. Den zahlreichen Bedenken gegenüber der ursprUnglieh vorgeschlagenen Bandbreite (von 14 bis 20 ~ beim Normalsatz und von 4 bis 9 ~ beim ermäßigten Satz) und dem aufwendigen Clearing198
System ist die EG-Kommission mit neuen und weitaus flexibleren Vorschlägen entgegengekommen. Sie sind in einer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament erst in Umrissen vorgestellt worden (KOM(89) 260 vom 14. Juni 1989) und enthalten im wesentlichen die folgenden Neuerungen: - eine Obergangsphase bis zum endgUltigen Inkrafttreten der Reform am 1. Januar 1993, um die technischen und budgetären Anpassungen zu erleichtern; - den Ersatz der Bandbreiten für den Normalsatz durch einen Mindestsatz (von vermutlich 15 ~) und die Angleichuns der Unterschiede über die Marktkräfte; der ermäßigte Satz sollte weiterhin zwischen 4 bis 9 ~ liegen, eine begrenzte Liste mit sensitiven Erzeugnissen würde jedoch eine flexible Anwendung (einschl. Nullsätze) erlauben; - statt einheitlicher Sätze ein flexibleres Vorgehen bei den Verbrauchsteuern auf Alkohol, Tabak und Mineralölerzeugnissen, bei denen die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten besonders groß sind; - die Einrichtung eines an Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der Handelsströme ausgerichteten Ausgleichsverfahrens statt eines komplizierten auf Einzeldaten von Unternehmen basierenden Clearing-Systems, damit die Mehrwertsteuer-Einnahmen auch weiterhin dem Staat zukommen, in dem der Endverbrauch stattfindet (vgl. hierzu auch Parsehe u.a. 1988). Es hat den Anschein, als würden die neuen Vorschläge der EG-Kommission eine pragmatische Mischung aus dem Prinzip der vorherigen Angleichuns und dem Wettbewerbsdruck darstellen, wobei u.U. Korrekturen in der Übergangsperiode möglich sind. Vorläufig haben sich die Mitgliedsländer darauf geeinigt, das derzeitige System der Steuerbefreiung im Ursprungsland und der Besteuerung im Bestimmungsland für eine begrenzte Periode beizubehalten. Die Kompromisse gehen offensichtlich auf Kosten einer Beibehaltung von fiskalischen Schranken und Kontrollen im Binnenmarktraum, die auch bei Verlagerung in das Landesinnere kostenaufwendig(er?) sind. Ebenso würden Verlagerungen von Käufen durch die Endverbraucher in einigen Grenzregionen nicht ausbleiben. Das 199
Gesamtpaket dürfte daher weiterhin auf den Widerstand von Ländern stoßen, die eine hohe Steuerbelastung aufweisen und fürchten müssen, daß Ober den Marktdruck eine Tendenz zur Steuersenkung ausgelöst und damit eine radikale Steuerreform notwendig würde. Die Bundesrepublik müßte sich die Frage stellen, ob sie diesen Widerständen (Einstimmigkeitsprinzip) durch eine Anhebung ihrer niedrigen Mehrwertsteuersätze begegnen soll, die dann allerdings durch niedrigere Einkommensteuern kompensiert werden müßte. Die Unterschiede in der direkten und indirekten Steuerbelastung zwischen den EG-Ländern sind beträchtlich. Die geplante Angleichung der Verbrauchsteuern (Mehrwert- und spezielle Verbrauchsteuern) würde in einigen Ländern nicht nur zu starken Preisverschiebungen (z.B. bei Autos, Nahrungsund Genußmitteln) führen, sondern auch Folgen für die staatlichen Haushalte haben. Einige EG-Länder (Dänemark, Irland, aber auch Frankreich) müßten mit erheblichen NettoMindereinnahmen, andere dagegen (Spanien, Luxemburg) mit Netto-Mehreinnahmen rechnen. Der Ausgleich könnte Ober Erhöhungen bzw. Senkungen der speziellen Abgaben und Staatsausgaben oder durch Veränderungen der Staatsverschuldung oder auch durch Anpassungen der direkten Steuern (Einkommen-, Unternehmen- und Vermögensteuern) erfolgen. Die dynamischen Effekte einer solchen steuerlichen Umstrukturierung wOrden bei Berücksichtigung der internationalen Interdependenzen insbesondere von länderspezifischen Unterschieden in der Spar- und Investitionsneigung und dementsprechend davon abhängen, ob ein Land jeweils einen Oberschuß oder ein Defizit in der Leistungsbilanz aufweist (Frenkel, Razin and Symansky 1989). Viele Argumente sprechen dafür, daß eine allmähliche Angleichung der Mehrwert- (und auch der Verbrauchsteuer-) Sätze und der Obergang zum Ursprungsland-Prinzip als Folge der Abschaffung der Grenzkontrollen unvermeidlich ist. Die Beibehaltung des Bestimmungslandprinzips aus Angst vor Steuereinbußen und Steuerreformen würde interne Kontrollprozeduren erfordern, die im Widerspruch zur Philosophie des Binnenmarktes stUnden. Das Tempo und Ausmaß der Angleichung sollte aber weniger durch Ex-ante-Entscheidungen 200
am Anfang des Prozesses festgelegt, sondern durch die Marktkräfte bestimmt werden. Etwaige Steuerausfälle bzw. Mehreinnahmen durch den Obergang zum Ursprungslandprinzip könnten durch einen europäischen Finanzausgleich mit Hilfe eines Makro-Clearing (Parsche u.a. 1988) - statt Ober das bürokratisch-administrative Verfahren einer zentralen Clearing-Stelle entsprechend dem ersten EG-Kommissionsvorschlag - kompensiert werden. Die Vorbereitung auf den Europäischen Binnenmarkt hat sich bisher auf Anstrengungen zur Angleichung der Verbrauchersteuern im weiteren Sinne konzentriert. Die Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung ist im Zielkatalog des EG-Weißbuchs noch ausgespart geblieben. Der Versuch einer Annäherung der Kapitalertragsbesteuerung (Quellensteuer) im Zusammenhang mit der geplanten Liberalisierung des Kapitalverkehrs ist im Jahre 1989 vorerst (?) gescheitert. Aber bereits die Rückwirkungen der MehrwertsteuerangleichunQ auf die Staatseinnahmen und die Veränderung der Steuerstruktur zeigen, daß sich die Harmonisierungsprobleme nur vordergründig auf einen Teilbereich beschränken lassen. Die Bemühungen im Bereich der Unternehmenssteuern laufen allerdings weiter, wie z.B. der Vorentwurf einer EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Gewinnermittlungsvorschriften und die Arbeiten zum Statut einer europäischen Aktiengesellschaft zeigen. Denkbar ist jedoch, daß sich im Hinblick auf den Standortwettbewerb und die Schaffung eines europäischen Finanzmarktes rasch ein Druck auf einseitige Anpassungen {z.B. die Abschaffung der Börsenumsatzsteuer in der Bundesrepublik) oder gemeinsame Koordinierungsbemühungen auch außerhalb des Bereichs der Verbrauchsteuern ergeben könnte. Die Erfahrungen mit den beiden amerikanischen Steuerreformen von 1981 und 1986 haben die theoretischen und empirischen Lücken bei der Wirkungsanalyse von Steuern in offenen Volkswirtschaften mit freien Kapitalmärkten offenbart. "Perhaps the most important gap concerns the failure of most current theory and empirical work on the incidence and effects of taxes to take into account the effects of world economic interdependence" (Aaron 1987). 201
Die Globalisierung und Internationalisierung des Kapitalverkehrs hat die Transmissionswirkungen von isolierten nationalen Maßnahmen grundlegend verändert und damit auch den Grad der wirtschaftspolitischen Interdependenz in der EG verstärkt. Die Reaktionen auf den Versuch, eine Quellensteuer auf Kapitalertrage in der Bundesrepublik einzuführen, hat nicht nur starke Kapitalabflüsse induziert und zur Schwächung der D-Mark beigetragen, sondern auch die Attraktionskraft des Finanzplatzes Deutschland und die Glaubwürdigkeit in die Stetigkeit der deutschen Wirtschaftspolitik beeinträchtigt. Die Rückwirkungen lassen den Schluß zu, daß steu.erliche Reformen nicht isoliert und hektisch, sondern allmählich und unter Einbeziehung des Gesamtzusammenhanges der Steuerbelastung und des globalen Steuergefälles unternommen werden sollten. Das deutsche Quellensteuer-"Experiment" ist ein weiteres Beispiel dafür, daß Steuerentschei·dungen zuvOrderst nationalen wahltaktischen Überlegungen folgen und nur unter massivem Druck die Erfordernisse der europäischen Steuerharmonisierung berücksichtigen. Daraus kann abgeleitet werden, daß eine realistische Angleichung der Steuern im Rahmen des Binnenmarktprojekts sich auf längere Zeiträume einrichten muß. Das enthebt aber weder den nationalen Gesetzgeber noch die Wirtschaftsforschung der Pflicht, die gedanklichen und empirischen Vorbereitungen für e~nen optimalen Weg möglichst frühzeitig und im europäischen Rahmen einzuleiten.
7.5
Mittel- und langfristige Wirtschaftspolitik
Die Anpassungsprozesse, die durch die Binnenmarktentscheidungen in Gang gesetzt werden, verlaufen um so reibungsloser, je stärker und anhaltender das gesamtwirtschaftliche Wachstum in den kommenden Jahren ausfallen wird. Nur dann werden die Umstrukturierungs- und Rationalisierungsvorgänge möglichst reibungslos für die Arbeitnehmer und betroffenen Unternehmen ablaufen und die Unternehmen genügend Sicherheit für ihre Innovations- und Investitionsentscheidungen erhalten. Die erwarteten Wohlstandseffekte des Binnenmarktes wOrden sicherlich in einer depressiven Konjunkturphase kaum mehr wahrgenommen oder sogar durch defensive Verhal202
tensweisen, wie z.B. durch einen verstärkten Außenprotektionismus oder Abwehrreaktionen der Gewerkschaften, konterkariert werden. Der Geld- und Finanzpolitik fällt daher in den nächsten Jahren die verantwdrtungsvolle Aufgabe zu, den gesamtwirtsChaftlichen Rahmen ·fur ein möglichst störungsfreies Wachstum und einen kräftigen Beschäftigungsanstieg und fUr die Abwehr von exogenen Schocks sicherzustellen. Gleichzeitig muß auch verhindert werden, daß die nationalen Maßnahmen zur Eindämmung von Inflationserwartungen, wie sie in einigen EG-Ländern bereits auftreten, zu Oberreaktionen fUhren bzw. verzögert ausfallen in der Erwartung, daß die Partnerländer oder die Gemeinschaft dafUr eintreten. Die wirtschaftspolitische Aufgabe der nächsten Jahre wird darin bestehen, den sich seit 1985 verstärkenden wachstumsprozeß in der EG weiterzufUhren und durch kräftige Zuwächse der staatlichen und privaten Investitionen fUr eine Ausweitung der Produktionskapazitäten und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu sorgen. Oie Binnenmarktinitiative ist ein wichtiger Bestandteil der Anstrengungen, um die strukturellen und angebotspolitischen Rahmenbedingungen fUr die europäische Wirtschaft zu verbessern, die auf mittlere Sicht und im EG-Ourchschnitt um mindestens 3 bis 3,5 ~ wachsen mUßte. Die EG-Kommission hat berechnet, daß jährlich ein Prozentpunkt der Investitionen bereits der Vorbereitung auf den Binnenmarkt zugeschrieben werden kann. Ein anhaltendes kräftiges Wachstum kann ohne Inflationsspannungen nur mit einer zurUckhaltenden Lohnentwicklung erreicht werden, um so die notwendige Rentabilitätsmarge sicherzustellen. Eine hohe Investitionsquote schließt die Ausgaben fUr den Schutz der Umwelt mit ein. Oie Lohnpolitik muß von einer aktiven Weiterbildungspolitik vor allem auch in der Bundesrepublik begleitet sein, deren Vorsprung in der internationalen Wettbewerbsflhigkeit sich auf eine hochspezialisierte und anpassungsfähige Facharbeiterschaft stUtzt. Oie Rechtfertigung fUr einen mittelfristigen Orientierungsrahmen als Ausgangspunkt fUr die KoordinierungsbemUhungen in der Gemeinschaft sollte nicht an den mittelfristigen Wirtschaftsprogrammen anknUpfen, wie sie noch in der Konvergenz-Entscheidung von 1974 etabliert wurden. Sie haben 203
weder- wie ursprünglich erwartet- die Koordinierungsgrundlagen verbessert und zu einer größeren Konsistenz der nationalen Zielvorstellungen und Wirtschaftspolitik geführt noch die schwierigen Strukturanpassungen der siebziger Jahre erleichtern helfen. Dafür waren ihre Vorschläge zu vage oder haben nicht die Zustimmung der Mitgliedstaaten gefunden, wie z.B. das 5. mittelfristige Programm für 1981-85, das wegen eines Vorwortes der EG-Kommission nie verabschiedet worden ist. Von der Ausarbeitung weiterer mittelfristiger Programme sollte daher abgesehen werden. Eine solche formale Änderung darf allerdings nicht interpretiert werden als Verzicht auf die Formulierung mittelfristiger Strategien, wie sie z.B. mit der "kooperativen Wachtstumsstragie für mehr Beschäftigung" vorgelegt worden ist. Die Schwierigkeiten bei der Abstimmung von wirtschaftspolitischen Zielen, insbesondere des wirtschaftlichen Wachstums, innerhalb der Gemeinschaft kann anhand der Debatte über die Lokemotivfunktion der Bundesrepublik in den achtziger Jahren belegt werden. Sie hat eine prozeßpolitische (konzertierte Konjunkturankurbelung über die Finanzpolitik) und eine ordnungspolitische Dimension. Die Debatte hat sich am Bonner Gipfel von 1978 entzündet, das einzige Beispiel einer großangelegten, diskretionären internationalen Koordinierungsaktion. Die Debatte wurde in den achtziger Jahren auf europäischer Ebene weitergeführt, als eine Reihe von Kritikern der Bundesrepublik einen überzogen restriktiven Kurs der Finanzpolitik vorgeworfen haben, wodurch die EG im realen Wachstum gegenüber den USA und Japan zurückgeblieben wäre (Oudiz 1985, Blanchard et al. 1986, de Grauwe 1987, Wyplosz 1988). Die internationale Politikdebatte mit Hilfe spieltheoretischer Ansätze und makroökonometrischer Weltmodelle hat bis heute noch zu keiner zufriedenstellenden empirischen Klärung darüber geführt, ob ein koordiniertes Vorgehen mit differenzierten Budgetimpulsen überhaupt zu eindeutigen Vorteilen führt und wie groß die so erzielten Koordinierungsgewinne für die einzelnen Länder sind. Hinzu kommen die schwerfälligen Prozeduren und politischen Hindernisse eines diskretionären Vergehens, das- wie im Falle der Bonner Aktion - eine mehrjährige Vorbereitungs- und Abwicklungsperiode erfordert hat (Putnam and Henning 1986). 204
Solange die Unkenntnis der Wirkungen fiskalpolitischer Maßnahmen und die institutionellen Beschränkungen fortbestehen, kann mit dem effizienten Einsatz der Finanzpolitik zur konjunkturellen Steuerung in nächster Zeit kaum gerechnet werden. Hierbei können auch budgetäre und andere makroökonomische Indikatoren als quasi-automatische Steuerungs- und Koordinierungsinstrumente kaum weiterhelfen, weil sie letztlich nur partielle Aussagen machen. Sie können im besten Falle die Diagnose von gesamtwirtschaftlichen Divergenzen verbessern helfen. Das wirtschaftspolitische Drängen zugunsten eines "expansiveren" Kurses der Finanzpolitik in der Bundesrepublik ist auf internationaler wie auf europäischer Ebene seit 1988 verstummt. Dazu haben die relativ hohen Wachstumsraten der Bundesrepublik beigetragen, die ohne kurzfristige Ankurbelung der Binnennachfrage (aber nicht ohne eine Verbesserung der außenwirtschaftliehen Bedingungen) zustande kamen. Angesichts der bevorstehenden Steuerentlastung im Jahre 1990, der hohen Kapazitätsauslastuns und der sichtbaren Preiserhöhungen dürften zusätzliche Stimulierungsmaßnahmen nicht opportun sein. In der Entwicklung der realen Binnennachfrage und des realen BIP bestehen in den achtziger Jahren deutliche Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und den übrigen EG-Ländern (Tab. 7.4 und Abb. 7.3). Dafür werden höhere Stabilitäts-Präferenzen und eine schrumpfende Bevölkerung in der Bundesrepublik angeführt. Für einen französischen Beobachter (de Boissieu 1989) liegt in der anhaltenden Auseinanderentwicklung der demografischen Strukturen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik das größte Hindernis für eine stärkere Koordinierung. Ohne ein anhaltend langsameres Wachstum der Bundesrepublik würde aber ein Aufholprozeß der übrigen Länder unmöglich werden. Die Kritik am Kurs der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik ist nur dann gerechtfertigt, wenn er restriktiver ausfallen würde, als zur Verteidigung des gewünschten Stabilitätspfades notwendig wäre, oder wenn das mögliche Wachtsumspotential nicht voll ausgeschöpft würde. Zutreffender ist die Kritik des IWF gegenüber dem Zögern der Bundesrepublik beim Abbau von Subven-
205
Abb. 7.3
Ein Wachstumsvergleich: BRD und EG Jährliche Zuwachsraten in %
Reale Ausfuhren
Reale AusrüstungsInvestitionen
19 7·3 -81
(Waren)
--
1988-90
BRD
1981-84
1988 - 90
Restliche EG
Quelle: EG-Kommission, IFO-Institut
206
G
tionen, Marktbarrieren und Regulierungen (Lipschitz et al. 1989). Die Bundesrepublik könnte bei der vorzeitigen Beseitigung dieser Hemmnisse im Rahmen des Binnenmarktprojektes und der Uruguay-Runde eine Schrittmacherfunktion ausüben, die auch fUr sie vorteilhaft wäre. Diese Anführerrolle ist um so eher zu rechtfertigen, als damit auch ein Beitrag zum. Abbau der hohen Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber den EG-Ländern verbunden wäre. In der gegenwärtigen Integrationsphase muß sich die Einübung der Koordinierungsaufgabe in der Gemeinschaft weitgehend auf die Herausbildung eines umfassenden Konsenses über die gemeinsamen Ziele und die marktwirtschaftliche Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung stützen. Dabei sind Erfahrungen, Vorbilder und Überredung nützlich, notwendiger aber ist ein langwieriger Lernprozeß, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen und die breite Öffentlichkeit beteiligt sein sollten. Der soziale Dialog der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf Gemeinschaftsebene ist eine der Möglichkeiten, um das Verständnis für die schwierigen Anpassungsvorgänge bei der Verschmelzung der Märkte zu fördern. Aber mehr denn je stoßen die Entscheidungen in der Gemeinschaft auf das Unverständnis und den Unmut der breiten Öffentlichkeit, weil entweder die getroffenen Maßnahmen immer technischer oder die Zusammenhänge und Rückwirkungen für den Bürger immer weniger einsichtig werden. Die Öffentlichkeit wird zudem mit widersprüchlichen und hastigen Wertungen aus einzelstaatlicher Sicht überschwemmt, die nur in seltenen Fällen eine gemeinschaftliche Einordnung erlauben. Der europäische Integrationsweg sollte von einer permanenten öffentlichen Diskussion begleitet sein, die eine Urteilsbildung auf europäischer Ebene möglich macht. Ein ständiges und unabhängiges Sachverständigen-Gremium auf Gemeinschaftsebene, nach dem Muster des deutschen Sachverständigen-Rates, könnte die Aufgabe einer möglichst fachlichen und neutralen Funktion des Anregers für die Diskussion von wichtigen Integrationsthemen übernehmen und dabei sowohl das Europäische Parlament, die EG-Kommission wie die Mitgliedstaaten beraten. Seine Aufgaben sollten jedoch 207
nicht an den kurzfristigen und konjunkturellen Problemen ausgerichtet sein, sondern die mittel- und längerfristigen Optionen auf dem Weg in die Wirtschafts- und Währungsunion aufzeigen und bewerten. Seine spezifische Funktion sollte es sein, die vielfachen Zusammenhänge zwischen der Binnenmarktintegration und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, den Bedingungen für eine europäische Währungsordnung und den Implikationen der wirtschaftspolitischen Koordinierung, dem Standortwettbewerb und der Angleichuns der Steuersysteme zu beleuchten und mögliche Lösungen im Falle von Konflikten und unterschiedlichen nationalen Präferenzen zu untersuchen. Das Gremium sollte sich nicht an der Tagespolitik und der praktischen Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik beteiligen, sondern zur ordnungspolitischen Grundsatzdiskussion beitragen. Die EG-Kommission könnte einem solchen Gremium die Ausarbeitung von grundlegenden Gutachten übertragen, die bisher von Ad-hoc-Sachverständigengruppen mit unterschiedlicher Besetzung und in der Regel nur für Teilbereiche erstellt worden sind. Der Integrationsprozeß in Europa ist ein Vorgang, der fast alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens beeinflußt. Er sollte daher in diesem Gesamtzusammenhang untersucht und diskutiert und von der Öffentlichkeit als Gesamtheit verstanden werden.
8. Die ROckwirkungen des EG-Binne~rktea auf die werbs-, Umwelt- und Strukturpolitik
8.1
Harmonisierung versus Wettbewerb der nationalen lungen
Wettbe-
Rege-
Die Märkte der Europäischen Gemeinschaft sind durch Segmentierungen gekennzeichnet. Die Segmentierung von Märkten bedeutet, daß die Partei einer Marktseite nicht mit allen Parteien der anderen Marktseite kontraktieren kann, sondern in ihrer Vertragswahl eingeschränkt ist. Segmentierungen haben ihre Ursache in Grenzbarrieren, Markteintrittsschranken, mengenmäßigen Beschränkungen und Marktverzerrungen. Es ist das Anliegen des Binnenmarktprogramms, Segmentierungen abzubauen. Dabei stellt sich die grundsätzliche Frage, ob dies durch EG-weite Ex-ante-Harmonisierung oder durch einen Wettbewerb der nationalen Regelungen angestrebt werden soll. Harmonisierung ist auf Rechtsangleichung gerichtet, mit dem Ziel, die Unterschiede zwischen den Regelungen der einzelnen EG-Länder zu beseitigen. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen und Handelsumlenkungen vermieden werden. Soweit nationale Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Errichtung oder dem Funktionieren des Binnenmarktes entgegenstehen, sollen sie gemäß Artikel 100a EWG-Vertrag harmonisiert werden. Dabei soll die Kommission in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau ausgehen. (Gleichzeitig wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, bei Geltendmachung besonderer Schutzinteressen auf den Gebieten Arbeitsumwelt, Umwelt, öffentliche Ordnung und Sicherheit, Gesundheit, Kultur und gewerbliches/kommerzielles Eigentum nationale, schärfere Regeln beizubehalten oder zu ergreifen. Im letzteren Fall müssen sie die Bestätigung der Kommission abwarten, die prüft, ob die Bestimmungen kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und keine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Diese Ermessensfrage wird teilweise nur vom Europäischen Gerichtshof zu beantworten sein.) Zur Angleichung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften können neben 209
Richtlinien, die der Umsetzung in innerstaatliches Recht bedürfen, Verordnungen erlassen werden. Diese sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in den einzelnen Mitgliedstaaten. Das Harmonisierungskonzept der EG mit seiner Kombination aus hohen Mindeststandards und nationalen Optionsmöglichkeiten für höhere Anforderungen auf wichtigen Gebieten beinhaltet Zielkonflikte. Nationale, schärfere Regeln können den innergemeinschaftlichen Handel behindern und damit den Bestrebungen nach mehr Marktintegration entgegenstehen. Auch legt der EWG-Vertrag nicht eindeutig fest, in welchen Bereichen eine Rechtsangleichung erfolgen soll und in welchen die gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen Normen und Vorschriften ausreicht. Hier sollte der Grundsatz gelten, daß nationale Rechtsvorschriften, sofern sie keine Auswirkungen auf die Wohlfahrt der anderen EG-Länder haben, gemeinsamen Regelungen vorzuziehen sind. Nationale Regelungen haben u.a. den Vorteil, daß sie die von Land zu Land unterschiedlichen Knappheiten und Präferenzen berücksichtigen können (Dicke 1989b). In einigen Fällen ist eine Zentralisierung der Regelungskompetenz auf EG-Organe jedoch unabweisbar: Hier sind zu nennen: - Gesundheits- und Sicherheitsnormen, die allen europäischen Bürgern ein gleich hohes Maß an Gesundheitsschutz und Sicherheit bieten sollen. Umweltpolitische Regelungen, sofern sie auf die Vermeidung grenzOberschreitender negativer Externalitäten der Produktion und des Konsums gerichtet sind (z.B. bei der Luft- und Gewässerverschmutzung). Vor ihnen kann sich ein Mitgliedsland im Alleingang nicht schützen. - Wettbewerbspolitische Maßnahmen; eine national orientierte und praktizierte Wettbewerbspolitik stößt in einem gemeinsamen Markt an ihre Grenzen. Sie muß vielmehr auf den europäischen Wettbewerb abzielen. Es ist sinnvoll eine europäische Fusionskontrolle zu etablieren. - Ebenso kann eine nationale Forschungspolitik an ihre Grenzen stoßen. Deshalb kann die Förderung von Gemein-
210
Schaftsprojekten im Bereich von Forschung und Entwicklung sinnvoll sein (Donges 1989b, Siebert 1989). - Eine Harmonisierung der Normen dürfte auch dann unabdingbar sein, wenn es um Grundsatzprobleme technischer Kompatibilität geht. Dies trifft vor allem für den Bereich der Informations- und der Telekommunikationstechnologie zu und hier für die koordinierte Einführung des ISDN sowie die Weiterentwicklung und NeuerarbeitunQ von Normen (Franzmeyer 1987a). Bis Mitte der achtziger Jahre hat in der EG das Prinzip der vollständigen Harmonisierung vorgeherrscht. Die Erfahrungen zeigen, daß Ergebnisse auf dem Gebiet der vollständigen Harmonisierung nur mühsam erzielt wurden. Auch handelte es sich häufig nur um Kompromisse auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners, die zudem nur schwer revidiert werden konnten. Aus diesen Gründen setzte sich die Überzeugung durch, daß die Harmonisierung in weiten Bereichen durch einen Wettbewerb der nationalen Regelungen ersetzt werden müsse. Dieser Grundgedanke ist vom Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes übernommen worden. Danach soll eine Ware oder Dienstleistung, die in einem Mitgliedsland rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, überall in der Gemeinschaft ungehindert angeboten und verkauft werden dürfen, d.h. ohne in den anderen Ländern die dortigen Prüfund Zulassungsverfahren durchlaufen zu müssen. Mit der Anwendung des Ursprungslandprinzips werden die Regelungen des Bestimmungslandes somit nicht verpflichtend. Konkret ist vorgesehen, daß alle nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes relevant sind und für die bis Ende 1992 keine Harmonisierung erfolgt ist, erfaßt und als den Vorschriften der anderen Mitgliedsländer gleichwertig anerkannt werden (Dicke 1989a). Inwieweit das Ursprungslandprinzip nicht nur für Marktzugangsregelungen von Produkten, sondern von Unternehmen des Dienstleistungssektors gelten kann, ist eine offene Frage. 211
Die Anwendung des Ursprungslandprinzips hätte zur Folge, daß Unternehmen des Ursprungslandes sich nach den Bestimmungen des Ursprungslandes im Bestimmungsland betätigen und auch dort niederlassen können. Die Zulassung wird also nach den Regeln des Heimatlandes kontrolliert (Siebert 1989). Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nationaler Regelungen führt zu einem Wettbewerb der Regelwerke. Verbraucher präferieren Güter, die durch Steuern und institutionelle Regelungen kostenmäßig wenig belastet sind. Unternehmen wandern an Standorte mit für sie günstigen Rahmenbedingungen. Von dem Wettbewerb der Standorte geht Druck zur Angleichung der unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften, Normen, Standards, Prüfungs- und Zulassungsverfahren, Steuersätze usw. aus. Völlige Gleichheit der institutionellen Rahmenbedingungen wird es allerdings nicht geben, da) um das Beispiel produktionsbezogener Umweltschutzauflagen zu nennen, es von Land zu Land unterschiedliche Knappheiten bei der nationalen Umwelt sowie unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der Qualität der Umwelt gibt. Das Ursprunglandprinzip mit einem Wettbewerb der nationalen Regelungen versagt, wenn grenzüberschreitende Externalitäten involviert sind. Beispiele sind die Umwelt- und Wettbewerbspolitik. Wie oben ausgeführt, ist in diesen Fällen eine Harmonisierung der nationalen Regelungen, die sich allerdings auf wesentliche Festlegungen beschränken sollte, angezeigt.
8.2
Wettbewerbspolitik
Durch die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes wird der Wettbewerb in der EG auf verschiedene Weise beeinflußt. Der Abbau der noch bestehenden Handelshemmnisse bis Ende 1992 läßt ein weiteres Zusammenwachsen der räumlichen Teilmärkte erwarten, von dem zusätzliche Wettbewerbsimpulse ausgehen werden. Auf der anderen Seite wird häufig die Auffassung vertreten, daß die grenzüberschreitenden Zusammenschlüsse und Kooperationen zunehmen. Damit wird sicherlich der aktuelle oder potentielle Wettbewerb im künftigen Bin212
nenmarkt tangiert werden. Der Anstieg der grenzüberschreitenden Zusammenschlüsse wird durch die Statistik des Bundeskartellamts bestätigt. Danach stiegen die meldepflichtigen Zusammenschlüsse innerhalb der EG von 89 (1984) auf 191 (1988) und von Drittländern in die EG hinein von 96 (1984) auf 168 (1988) an (Kartte 1989; Jacquemin, Buigues, Ilzkovitz 1989). Mit der fortschreitenden Realisierung des Binnenmarktes wird die europäische Wettbewerbspolitik ständig an Bedeutung gewinnen. Die 1957 beschlossenen Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages (Art. 85 und 86) reichen nicht aus, um das Wettbewerbsgeschehen und hier insbesondere die Konzentrations- und Kooperationsvorgänge von gemeinschaftsweiter Bedeutung einer wettbewerbsrechtlichen Kontrolle zu unterziehen. Die größte Lücke im System des europäischen Wettbewerbsrechts ist wohl dabei das Fehlen einer europäischen Fusionskontrolle und die davon ausgehende Rechtsunsicherheit für größere Unternehmen (mit grenzüberschreitenden Wettbewerbsaktivitäten). Aber auch die Gruppenfreistellungsverordnungen sowie die unzureichende Kontrolle der staatlichen Beihilfen verdienen künftig größere Aufmerksamkeit als bisher.
8.2.1
Europäische Fusionskontrolle
Die Bemühungen der EG-Kommission um eine umfassende Regelung der Kontrolle von UnternehmenszusammenschlOssen gehen bereits auf das Jahr 1973 zurück, ohne daß ihr bisher Erfolg beschieden war. Das Binnenmarktprojekt hat jedoch das politische Umfeld für die Einführung einer Fusionskontrolle nachhaltig verbessert. Regierung, Parteien und Verbände in der Bundesrepublik begrüßen grundsätzlich eine Fusionskontrolle auch auf Gemeinschaftsebene. Die Überlegungen und Verhandlungen über den Inhalt einer europäischen Fusionskontrolle sind in letzter Zeit zügig vorangeschritten. Sie finden ihren Ausdruck in verschiedenen Verordnungsvorschlägen der EG-Kommission. Im folgenden soll der Vorschlag vom März 1989 näher dargestellt und diskutiert werden. Von diesem unterscheidet sich der jüngste Entwurf für eine Europä213
ische Fusionskontrolle vom 18.9.1989 in seiner grundsätzlichen Ausrichtung nicht wesentlich, auch wenn der Interpretationsspielraum fOr industriepolitische Überlegungen erweitert worden ist (Handelsblatt vom 29./30.9.1989). Einen strittigen Punkt bei den Verhandlungen über die EGFusionskontrolle bildet die Frage, was unter einer Fusion von "gemeinschaftsweiter Bedeutung" zu verstehen sei. Mit dieser Definition werden diejenigen Zusammenschlußvorhaben, die der europäischen Regelung unterliegen sollen, von denjenigen abgegrenzt, die weiterhin in nationaler Zuständigkeit verbleiben. Im Verordnungsentwurf vom März 1989 wird der Anwendungsbereich ("Aufgreifkriterien") für ein EGPrüfungsverfahren wie folgt gefaßt: Die Untergrenze des summierten Weltumsatzes aller am Zusammensschluß beteiligten Unternehmen soll mindestens 2 Mrd. ECU (in der Übergangszeit bis zum 1. Januar 1993 sogar 5 Mrd. ECU) betragen. Außerdem müssen mindestens 33 ~ des gemeinschaftsweiten Umsatzes in verschiedenen Mitgliedstaaten erzielt werden. Durch Veränderung der Aufgreifkriterien gegenüber dem Verordnungsvorschlag vom 19. Dezember 1988 ist erreicht worden, daß die Zuständigkeit nationaler Kartellbehörden wieder erweitert wurde. Damit wurde dem Anliegen des Bundeswirtschaftsministeriums (Handelsblatt vom 2./3.9. 1988) und des Bundeskartellamts (1989) zumindest in der Tendenz entsprochen, während die Monopolkommission (1989) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BOI 1989) eine relativ starke EG-Kompetenz befOrworten. Richtungsweisendes Kriterium für die Beurteilung von UnternehmenszusammenschlOssen ist die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben. Das soll nach einer widerlegbaren Vermutung nicht der Fall sein, wenn der maßgebliche Marktanteil der beteiligten Unternehmen weniger als 20 ~ im Gemeinsamen Markt beträgt . Falls die (formalen) Untersagungsvoraussetzungen zutreffen, kann die Fusion gleichwohl genehmigt werden, wenn sie zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung, zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts oder zur Verbesserung der Wettbewerbsstruktur im Gemeinsamen Markt unter an214
gemessener Berücksichtigung des internationalen Wettbewerbs sowie der Interessen der Verbraucher beiträgt und dadurch die mit ihnen verbundenen Nachteile für den Wettbewerb Obertroffen werden. Der Verordnungsentwurf der Kommission genügt dem Kriterium einer zielgerichteten Wettbewerbsorientierung der europäischen Fusionskontrolle insgesamt nicht. Die Genehmigungsgründe für die Zulassung einer Fusion, die den wirksamen und freien Wettbewerb behindert, sind zu weit gefaßt und erlauben fast jede Art von Zusammenschluß . Der wettbewerbliehe Referenzrahmen wird hier in einem nicht mehr vertretbaren Maße zugunsten von technologie- und industriepolitischen Zielsetzungen verlassen. Die Genehmigungsmöglichkeiten sollten enger gefaßt werden. Die Monopolkommission (1989) z.B. schlägt vor, nur bei Vorliegen von erheblichen Rationalisierungsvorteilen eine Genehmigung zu erteilen. Dabei müßten Vorteile im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Effizienz die mit ihnen verbundenen Nachteile für den Wettbewerb übertreffen und an die Marktgegenseite weitergegeben werden. Unabhängig davon, welche Genehmigungsgründe akzeptiert werden, sollten die Beurteilung der wettbewerbliehen Auswirkungen von Zusammenschlüssen und die Abwägung der möglicherweise vorhandenen Erlaubnisgründe nicht in einer Hand liegen. Ansonsten besteht die Gefahr, daß die beiden Kriterien nicht unabhängig voneinander geprüft werden. Wünschenswert wäre eine institutionelle Zweistufigkeit mit einem Europäischen Kartellamt (für die Untersagungsentscheidung) und der EG-Kommission (für die politische Genehmigungsprüfung) (so auch Monopolkommission 1989). Der Errichtung eines solchen Ansatzes stehen aber politische und möglicherweise auch EG-rechtliche Hindernisse im Wege. wenn schon eine echte institutionelle Zweistufigkeit nicht machbar ist, dann sollte entweder ein deutlich zweistufig gestaltetes Kommissionsverfahren vorgesehen werden. Oder es sollte innerhalb der Kommission eine institutionell möglichst stark abgesicherte Aufgabentrennung gewährleistet werden (Krakowski 1989).
215
Die europäische Fusionskontrolle sollte präventiv ausgestaltet werden, d.h. den Vollzug einer Fusion erst nach Anmeldung und Prüfung zulassen. Das Verfahren (Stand 30.11. 1988) sieht vor, daß die Entscheidung, ob ein Zusammenschluß in den Anwendungsbereich fällt, innerhalb eines Monats gefällt wird. Für die Untersagungs- und Genehmigungsprüfung sind Fristen von einem bzw. vier Monaten vorgesehen (Monopolkommission 1989). Zu den bisher ungelösten Fragen gehört die Abgrenzung zwischen EG- und nationalen Zuständigkeiten. Die Monopolkommission (1989), Vertreter der Wissenschaft (Krakowski 1989) und der BOI sprechen sich strikt gegen eine Doppelkontrolle aus. Danach können von der EG-Kommission auch die nicht untersagten Zusammenschlüsse von den nationalen Kartellbehörden nicht mehr aufgegriffen werden. Für eine Exklusivität der Zuständigkeiten spricht, daß die ansonsten betroffenen Unternehmen mit erheblichem bürokratischen Aufwand und Rechtsunsicherheit belastet wären. Auch würden in der EG Fusionen mit "gemeinschaftsweiter Bedeutung" wettbewerbspolitisch nicht nach einheitlichen Kriterien beurteilt, da die nationalen Kartellbehörden - sofern es sie gibt - sich von unterschiedlichen Prinzipien leiten lassen. Nach Meinung der Monopolkommission (1989) bedingt die Ausschließlichkeit der EG-Fusionskontrolle gegenüber nationalen Regelungen grundsätzlich inhaltlich begründete Entscheidungen einer EG-Wettbewerbsbehörde. Lediglich Fälle, in denen die Untersagensvoraussetzungen eindeutig nicht vorliegen, können ohne förmliche Entscheidung abgeschlossen werden. Auch das Bundeskartellamt hält eine Doppelkontrolle für mißlich. Die Kommission sollte sich darauf beschränken, nur grenzüberschreitende "Elefantenhochzeiten" prüfen. Alle anderen Anmeldungen von Zusammenschlüssen europaweiter Bedeutung sollten von vornherein an die nationalen Kartellbehörden gehen und von diesen nach Gemeinschaftsrecht entschieden werden. Auf diese Weise ließe sich eine Ooppelkontrolle, zunächst nach europäischem und anschließend nach nationalem Recht vermeiden (Bundeskartellamt 1989). 216
Entgegen den vorgestellten Meinungen hält das Bundeswirtschaftsministerium die Ausschließlichkeit der EG-Fusionskontrolle in den Fällen für nicht gerechtfertigt, welche die Kommission nicht untersagt, weil keine Marktbeherrschung vorliegt. Würde keine zusätzliche Prüfung nach deutschem Recht vorgenommen, so würde es angesichts der Unterschiede zwischen EG- und nationalem Recht zu einer ungleichen Behandlung zwischen größeren und klei"neren Fusionen kommen. Nach Meinung Schlechts (1989) wäre es ungerecht, die größeren Fusionen nach einer vielfach nur oberflächlichen Prüfung aufgrund einer im Zweifel doch etwas nachsichtigeren EG-Rechtsanwendung endgültig durchlaufen zu lassen und die kleineren Fusionen dem strengeren deutschen Verfahren zu unterwerfen. So richtig dieses Argument für sich sein mag, widerspricht es doch der Philosophie des Binnenmarktes~ Diese verlangt Gleichbehandlung gleicher Fusionstatbestände und verbietet den Rückzug auf abweichende nationale Rechtspositionen. Es bleibt nur der Weg, die Prinzipien des allgemein anerkannten deutschen Wettbewerbsrechts möglichst weitgehend in das europäische Fusionskontrollrecht aufzunehmen. Umstritten ist schließlich das Verhältnis der geplanten Verordnung über die europäische Fusionskontrolle zu den geltenden EG-Wettbewerbsartikeln: Art. 85 (Kartellverbot) und Art. 86 (Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen). Hier müßte wohl sichergestellt werden, daß unter die europäische Fusionskontrolle fallende Zusammenschlüsse nicht prarallel nochmals nach den EG-Wettbewerbsartikeln einer Prüfung unterzogen werden.
8.2.2
EG-Gruppen-Freistellungsverordnung
Mit der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes nehmen Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen, Kooperations- und Franchisevereinbarungen usw . im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu. Damit unterliegen solche Absprachen, die nach deutschem Recht nur einer Mißbrauchskontrolle unterliegen, dem generellen weitreichenden Kartellverbot gemäß Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag. Diese Bestimmung 217
verbietet alle wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geneigt sind und eine Verhinderung, Einsehrankung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Da nun eine Reihe von Vereinbarungen für die Entwicklung des Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft sowie des Handels zwischen den Mitgliedstaaten keine hohe Wirkungsintensität aufweisen und außerdem zur Verwirklichung der allgemeinen Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft beitragen, werden .Gruppen-Freistellungsverordnungen von der EG-Kommission erlassen (Bunte, Sauter 1988). Deren Zweck ist es, abstrakt umschriebene wettbewerbsbeschränktende Vereinbarungen generell vom Kartellverbot auszunehmen, wodurch Einzelfreistellungen vom Kartellverbot aufgrundvon individuellen Anmeldungen überflüssig werden. Bisher sind von der Kommission Freistellungsverordnungen für Vereinbarungen Ober Spezialisierung, Alleinvertrieb und Alleinbezug, Patentlizenzen, Vertrieb und Kundendienst im Kraftfahrzeugsektor, Forschung und Entwicklung, technologisches Know-how sowie Franchise erlassen worden (Skaupy 1989). Auch in anderen Bereichen könnte durch Gruppenfrefstellungsverordnungen Rechtssicherheit geschaffen werden . So z.B. im Versicherungswesen, das in allen Ländern einer Fachaufsicht unterliegt .
8.2.3
Wettbewerbspolitik bezüglich staatlicher Beihilfen
In ihrem Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes bekräftigt die EG-Kommission, die Gemeinschaftsdisziplin für staatliche Beihilfen konsequent zur Geltung zu bringen. In der Tat setzt der Binnenmarkt als einheitlicher Wettbewerbsraum auch eine hohe Wettbewerbsneutralität der gemeinschaftsweiten Beihilfenpraxis voraus. Schärfere Anforderungen müssen an die Beihilfenaufsicht und die Ausgestaltung des EG-eigenen Beihilfensystems gestellt werden. Grundlage für die Beihilfenaufsicht ist der Art. 92 EWGVertrag, nach dem staatliche Beihilfen, gleich welcher Art, die durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produk218
tionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Von dem grundsätzlichen Verbot sind allerdings recht umfangreiche
Ausnahmen
aus
wirtschaftlichen
und
sozialen
Gründen zugelassen. Es ist Aufgabe der Kommission, die
Bei~
hilfenpolitik der Mitgliedstaaten in diesem Sinne zu überwachen. Stellt die Kommission nach Unterrichtung über die bestehenden und geplanten Beihilfen
fest, daß diese
nicht
mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind oder daß sie bräuchlich angewandt werden,
so entscheidet
betreffende Staat sie binnen einer bestimmten Frist heben oder umzugestalten hat (Krämer 1986). Trotz scheinbar
klarer Grundprinzipien
miß-
sie, daß
der
aufzu-
der EG-Politik
diesem Bereich (Postulate der Transparenz, Befristung, gressivität, Zweckorientierung) konnte die
in De-
gemeinschaftli-
che Beihilfenaufsicht die vom Vertrag her gebotene Wettbewerbsneutralität von staatlichen Beihilfen nur unzureichend durchsetzen. In zu starkem Maße war die Aufsicht der
poli-
tischen Einflußnahme durch die Mitgliedsländer ausgesetzt (Franzmeyer 1987a). In jüngerer Zeit legt die EG-Kommission allerdings strengere Maßstäbe bei der Beihilfenaufsicht an. Dies zeigt sich u.a. in der kritischen Haltung gegenüber nationalen Beihilfen für Unternehmen des Straßenfahrzeugbaus in der Bundesrepublik, die zunehmend unter dem Argument der Verbesserung der Infrastruktur bestimmter Wirtschaftsräume gewährt wurden, sowie in der Initiative der EG-Kommission vom Juli 1989, die nationalen Beihilfen stärker zu kontrollieren (Financial Times vom 27.7.1989). Sollte die EG-Kommission diese Haltung beibehalten können, so dürften sich hieraus Rückwirkungen auf die deutsche Subvendie
Vergabe
staatlicher Beihilfen kritischer zu überprüfen und
tionspolitik
ergeben.
Sie
wäre
gezwungen,
gegebe-
nenfalls einzuschränken. 8.2.4
Zusammenfassung
Der europäischen
Fusionskontrolle kommt
in der
künftigen
EG-Wettbewerbspolitik zweifelsohne eine dominierende
Stel-
lung zu , da in ihrer Grundkonzeption u.a. über das Verhält-
219
nis zu den nationalen (Wettbewerbs-)Rechten entschieden wird. Die Einrichtung einer unabhängigen europäischen Wettbewerbsbehörde zur Bewältigung des Verfahrensablaufs könnte dazu dienen, in diesem Prüfungsverfahren etwaigen industriepolitischen Zielvorstellungen schon von vornherein zu begegnen. Oie politische Entscheidungsprüfung ist der EGKommission vorzubehalten. Unbedingt sollte der wettbewerbsorientierte Ansatz für die europäische Fusionskontrolle gewahrt und industriepolitischen Zielvorstellungen über Marktstrukturen begegnet werden. Dem regulierenden Phänomen des (innovativen) Wettbewerbs sollte in jedem Fall Beachtung geschenkt werden. Die von der EG verabschiedeten Freistellungsverordnungen haben zur Rechtssicherheit insbesondere von grenzüberschreitenden Lizenz- und Kooperationsaktivitäten beigetragen. Allerdings kann nicht übersehen werden, daß die sehr liberalen Freiräume für mögliche wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden vor allem von Großunternehmen genutzt werden. Aus diesem Moment heraus wäre es zu begrüßen, wenn bei zukünftigen Freistellungsverordnungen bzw. -bekanntmachungen dem typischen Wettbewerbsverhalten kleiner und mittlerer Unternehmen besser Rechnung getragen würde. Die bisher sehr enge Verzahnung zwischen Wettbewerbs- und Subventionspolitik bei der meist industriepolitisch motivierten Gewährung von Beihilfen hat in der Vergangenheit dazu geführt, daß die davon berührten Branchen und Unternehmen nur sehr kurzfristig wirkende Wettbewerbsvorteile verbuchen konnten. Aus diesem Grund sollte im Zuge der Entwicklung einer europäischen Wettbewerbsordnung verstärkt darauf geachtet werden, daß unter dem Primat einer dynamisch orientierten Wettbewerbsordnung den nationalen Alleingängen der Subventionsgewährung mehr und mehr die Rechtsgrundlage entzogen wird. Die strengere EG-Beihilfenaufsicht gegenüber nationalen Beihilfesystemen müßte stärker als bisher Beachtung finden, auch wenn industrielle Partikularinteressen davon betroffen werden. Im Zuge der Vollendung des EG-Binnenmarktes soll der EG-Kommission ein stärkeres Untersagungsrecht eingeräumt werden, um der europäischen Wettbewerbsdynamik mehr Freiraum als bisher zu gewähren. 220
8.3
Umweltpolitik
Das Programm zur Vollendung des Binnenmarktes ist primär auf wirtschaftliche Ziele wie die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, die Erhöhung der Beschäftigung usw. ausgerichtet. Umweltgesichtspunkte sind weitgehend ausgeklammert worden. So wird in dem Cecchini-Bericht das Bruttoinlandsprodukt als alleiniger Wohlstandsindikator herangezogen. Oie Auswirkungen des Binnenmarktprogramms auf die Umwelt werden nicht untersucht. Es werden keine Antworten auf die Frage gegeben, wie die durch den Binnenmarkt hervorgerufenen Umweltprobleme vermieden werden können. Umweltpolitik wird nicht in ausreichendem Maße als Bestandteil der Wirtschaftspolitik verstanden. Lediglich in der Einheitlichen Europäischen Akte wird der EG-Umweltpolitik zum ersten Mal eine rechtliche Grundlage gegeben. Um das Binnenmarktprogramm einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen, ist von der EG-Kommission eine Task Force "EG-Binnenmarkt und Umweltschutz" eingesetzt worden. Ihre Hauptaufgaben liegen in der Abschätzung der voraussichtlichen Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Umwelt sowie der Analyse der umweltpolitischen Herausforderungen durch den Binnenmarkt.
8.3.1
Auswirkungen des Binnenmarktprogramms auf die Umwelt
Von der Vollendung des Binnenmarktes wird die Umwelt auf zweifache Weise beeinflußt. Zum einen wirken sich die Liberalisierungs- und Harmonisierungsmaßnahmen des Binnenmarktprogramms direkt auf die Umwelt aus. Zum anderen lösen sie Wachstums- und Strukturwandlungseffekte aus, die mit ökologischen Folgewirkungen verbunden sind (indirekte Effekte) (zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. Sprenger 1989). Einen wichtigen Schritt in Richtung EG-Binnenmarkt stellt die Aufhebung der Grenzkontrollen innerhalb der Gemeinschaft dar. Grenzkontrollen bilden z.Z. nicht nur ein Hemmnis im Waren- und Personenverkehr, sondern erfüllen auch wichtige Funktionen für den nationalen Umwelt- und Verbrau221
cherschutz. Gegenwärtig wird u.a. die Ein- und Ausfuhr von Abfällen, radioaktiven Stoffen, gefährdeten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, verbotenen Lebensmitteln, Pflanzen und Tieren sowie umweltbelastenden Produkten, für die an der Grenze eine Ausgleichsabgabe erhoben wird (z.B. unverbleites Benzin oder Altöl), kontrolliert. Auch die derzeitige europäische Ordnung der Abfalltransporte stellt hauptsächlich auf Grenzkontrollen ab. Mit ihrer Abschaffung fallen Grenzkontrollen als Instrumente des Umwelt- und Verbraucherschutzes in Zukunft aus. Bei der Abschätzung der daraus resultierenden Umweltwirkungen ist zu berücksichtigen, daß die bisherigen Grenzkontrollen nicht sonderlich wirksam waren, wie z.B. an dem illegalen Import geschützter wildlebender Tier- und Pflanzenarten, an illegalen Giftmülltransporten und an Schwächen des bisherigen Kontrollsystems für radioaktive Stoffe (Fall Transnuklear) zu erseh6n ist. Außerdem ist in Rechnung zu stellen, daß unter Umständen wirksamere Schutzvorkehrungen an anderer Stelle die Grenzkontrollen ersetzen. Ein globales Urteil über die Umwelteffekte des Abbaus von Grenzkontrollen verbietet sich deshalb zur Zeit. Einen weiteren Liberalisierungsbereich bildet die Beseitigung von technischen Handelshemmnissen. Diese resultieren aus technischen Normen und Vorschriften, mit denen die Mitgliedstaaten (meist unterschiedlich) festlegen, welche Anforderungen bestimmte Produkte aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen oder zum Schutz der Umwelt und der Verbraucher erfüllen müssen. Als Mischstrategie zwischen vollständiger Harmonisierung und Ursprungslandprinzip wird die Gemeinschaft in Zukunft für umfassende Produktbereiche nur noch wesentliche Schutzanforderungen festlegen. Sofern keine Regelung erlassen wird, ist die gegenseitige Anerkennung der nationalen Vorschriften vorgesehen. Die Beurteilung der potentiellen Umwelteffekte des Abbaus technischer Handelshemmnisse hängt davon ab, in welchen Bereichen und auf welchem Schutzniveau eine Mindestharmonisierung mit Umweltschutzbezug erfolgt. Das Beispiel der bisherigen EG-Katalysatorregelungen läßt dabei befürchten, daß häufig nicht das national erforderliche oder wünschenswerte hohe Schutzniveau bei Harmonisierungsaktivitäten erreicht wird. 222
Die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens wird, sofern sich die Vergabe von Bau- und Lieferaufträgen am "niedrigsten Preis" ausrichtet, dazu führen, daß ein bestimmtes Auftragsvolumen preisgUnstiger abgewickelt werden kann. FUr den Fall, daß die Einsparung von Haushaltsmittel~ in den Staatshaushalten fUr eine Erhöhung der öffentlichen Nachfrage nach Umweltschutzgütern verwendet ·wird, können mit gegebenen Mitteln mehr Umweltschutzprojekte realisiert werden. Orientiert sich dagegen die Auftragsvergabe am "wirtschaftlich günstigsten" Angebot und wird dabei die umweltfreundlichkeit als Kriterium explizit berücks i chtigt, so entfällt zwar der zuerst genannte Effekt (zumindest teilweise), dafür aber verursachen die umweltfreundlichen Produkte und Materialien weniger Umweltbelastungen. Es sprechen somit gute Gründe dafür, daß eine öffnung des staatlichen Beschaffungswesens sich positiv auf die ' Umwelt auswirkt. Im Bereich der Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte ist insbesondere der Verkehrssektor von großer Bedeutung. Die Liberalisierungsmaßnahmen in diesem Bereich sind in Abschnitt 5.2 dargelegt worden. Besonders betroffen ist der Straßengüterverkehr. Die verkehrs- und umweltpolitischen Auswirkungen sind in einer Studie der Gesellschaft zur Förderung der Verkehrswissenschaft an der Universität MOnster, der Planco Consulting und der TH Aachen unter Zugrundeleguns folgender (z.T. aber schon überholter) Annahmen abgeschätzt worden : Angleichung der Kfz-Steuer und der Mineralölstauer auf EG-Durchschnitt; bei technischen und Sozialvorschriften (z.B. Arbeitszeitbestimmungen) für deutsche Unternehmen geringe Anderungen, allerdings EG-weit strenge Vorschriften, Kontrollen und Sanktionen; Aufhebung bestehender quantitativer Beschränkungen und freie Preisbildung. Danach ist mit Zunahmen des Straßengüterverkehrs von nur 1 % bis 5 % (auf einzelnen Straßenabschnitten) zu rechnen. Entsprechend halten sich die Zunahme des Energieverbrauchs und die Verschlechterung der Umweltqualität in engen Grenzen. Bei der Auswertung dieser Ergebnisse ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Ausweitung der Verkehrsleistungen durch die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts und die Inten-
223
sivierung der innergemeinschaftlichen Austauschbeziehungen nicht mit berücksichtigt wurden. Die negativen Umweltwirkungen dürften also größer sein (Wicke 1988). Die Schaffung eines Binnenmarktes für Energie würde die Umweltbelastungen in erheblichem Maße verändern. Sofern die Durchleitungspflicht im Stromsektor realisiert und die Subventionaregelungen und die Verstromungsgesetze bzw. der Jahrhundertvertrag revidiert würden, wären sowohl Absatzeinbußen der deutschen EVUs als auch Kapazitätsreduzierungen im Steinkohlebergbau unvermeidlich. Der von der Elektrizitätswirtschaft und dem Steinkohlebergbau in der Bundesrepublik ausgehende Schadstoffanfall würde zurückgehen. An seine Stelle würden die mit dem Betrieb von Kernkraftwerken im Ausland verbundenen Umweltschäden treten. Beträchtliche Umweltwirkungen gehen schließlich von der geplanten Harmonisierung von Bemessungsgrundlagen und Steuersätzen bei den Verbrauchsteuern und sonstigen indirekten Steuern aus. Besonders relevant ist die Harmonisierung der Mineralölsteuer, die auch den Abbau sektoraler Steuervergünstigungen in verschiedenen Ländern einschließt. Der neueste Kommissionsvorschlag sieht für Mineralölprodukte einen Mindesteteuersatz bzw. eine Steuerbandbreite für diese vor. Die geplante Spreizung der Steuersätze für Benzin und Diesel nach den Vorschlägen der EG-Kommission hätte z.B. für die Bundesrepublik zur Folge, daß sich Benzin verteuerte, Diesel dagegen verbilligte. Umweltpolitisch bedeutsam erscheint auch die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, weder neue Verbrauchsteuern einzuführen noch die Sätze bereits bestehender Verbrauchsteuern zu erhöhen. Aus umweltpolitischer Sicht ist die geplante Steuerharmonisierung wie folgt zu bewerten: - Die zur Förderung des Waren- und Personenverkehrs vorgesehene steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoffen erscheint umweltpolitisch kontraproduktiv. Sie stellt eine kaum zu rechtfertigende, einseitige Bevorzugung von Diesel-Pkw zu ungunsten von "Benzinern" mit Katalysator dar. Die Entlastung des gewerblichen Güterverkehrs würde
224
außerdem die Wettbewerbsposition der Deutschen Bundesbahn weiter schwächen und würde eine zusätzliche Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße anregen. - Bei zu niedrigen Mindesteteuersätzen bzw. zu engen Margen bestünde des weiteren die Gefahr, daß eine aus umweltpolitischer Sicht notwendige Differenzierung und Verteuerung des Energieverbrauchs ausgeschlossen wird. - Auch ist darauf hinzuweisen, daß Verbrauchsteuern als klassisches Instrument einer pretialen Lenkung der Nutzung bzw. Belastung von Umweltressourcen unverzichtbar sind. Insofern ist eine Abschaffung bzw. Nichtzulassung ökonomischer Regelungsmechanismen, deren Notwendigkeit ansonsten für die Vollendung des Binnenmarktes immer wieder betont wird, ausgerechnet im Umweltbereich schwer verständlich. - Schließlich erfordert der komplementäre Einsatz von KfzSteuern, Straßenbenutzungsgebühren und dgl. zur Mineralölstauer ein Gesamtkonzept. Dieses ist bisher noch nicht vorgelegt worden. Neben den direkten ruft das Binnenmarktprogramm indirekte Umwelteffekte hervor. Mit der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes ist ein Wachstumsschub verbunden, der nach den Berechnungen des Cecchini-Berichts in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts von 4,2 ~ führt (ohne flankierende Wirtschaftspolitik). Wenn es richtig ist, daß das wirtschaftliche Wachstum die eigentliche Ursache der Umweltbeanspruchung ist, so führt das Binnenmarktprogramm zu zusätzlichen Umweltbelastungen. Allerdings hat die teilweise zu beobachtende, allmähliche Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung zur Folge, daß die Menge der emittierten Schadstoffe langsamer steigt als das Bruttoinlandsprodukt (Ifo-Institut 1989). Die Umweltbelastungen des Binnenmarktprogramms hängen des weiteren von dem induzierten sektoralen Strukturwandel ab. Besonders hohe Schadstoffemissionen gehen in der Bundesrepublik von der Elektrizitätswirtschaft, dem Bergbau, der Chemischen Industrie, der Industrie der Steine und Erden 225
sowie der Zellstoff- und Papiererzeugung aus. Berücksichtigt man neben den direkten auch die indirekten Schadstoffemissionen, so sind der Elektrizitätswirtschaft, der Chemischen Industrie, der Industrie der Steine und Erden, der Stahlindustrie, der Nahrungs- und Genuamittelindustrie und als einzigem Dienstleistungssektor dem Sonstigen Verkehr relativ hohe Schadstoffmengen zuzurechnen (RWI 1987). Wie sich aus den Untersuchungen in Kapitel 5 ergibt, sind von den besonders schadstoffintensiven Wirtschaftsbereichen die Industrie der Steine und Erden, die Zellstoff- und Papiererzeugung und die Stahlindustrie von der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes nicht in besonderem Maße betroffen. Auf die übrigen betroffenen Sektoren dürfte sich der Binnenmarkt in der Bundesrepublik wie folgt auswirken: die Produktionsanteile der Elektrizitätswirtschaft, des Bergbaus und der Nahrungs- und Genuamittelindustrie dürften abnehmen, die Chemische Industrie wird ihre Stellung halten können, während der Straßenverkehr und die Luftfahrt an Bedeutung gewinnen werden. Der mit der Realisierung des Binnenmarktes verbundene sektorale Strukturwandel dürfte somit nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Umwelt führen.
8.3.2
Die Bedeutung weltpolitik
des Binnenmarktprogramms für die
Um-
Von dem primär wirtschaftlich orientierten Binnenmarktprogramm gehen - wie gezeigt wurde - überwiegend negative Wirkungen auf die Umwelt aus. Weder im WeiBbuch noch in der Einheitlichen Europäischen Akte sind aber spezifische Maßnahmen vorgesehen, um diese zu verhindern oder abzumildern. Gleichwohl wird durch die Einheitliche Europäische Akte die allgemeine Bedeutung der Umweltpolitik in der EG erhöht. Es wird ein rechtliches Mandat für eine gemeinschaftliche Umweltpolitik geschaffen. Bis dahin mußte die Gemeinschaft ohne eigentlichen "Verfassungsauftrag " Umweltpolitik betreiben. Im EWG-Vertrag von 1957 kommen Begriffe wie "Umwelt", "Umweltpolitik" o.ä. nicht vor. Die EG-Ratsrichtlinien und die Aktionsprogramme für den Umweltschutz konnten sich daher nur auf die allgemeinen Handlungsaufträge der Art. 100 und 235 EWG-Vertrag stützen. In beiden Fällen war 226
Einstimmigkeit im Ministerrat erforderlich, was das Zustandekommen einer europäischen Umweltpolitik beträchtlich erschwerte (Binswanger, Meiners 1988). Oie Einheitliche Europäische Akte schafft aber nicht nur den rechtlichen Rahmen, sondern stellt- zusammen mit dem Weißbuch und dem vierten Aktionsprogramm für den Umweltschutz- die EG-Umweltpolitik insgesamt auf eine neue inhaltliche Grundlage. Durch die Einführung eines eigenen Umwelttitels in den EWG-Vertrag (Art. 130) wurde dafür gesorgt, daß der Umweltschutz zu einem eigenständigen Ziel und Umweltpolitik zu einer originären Aufgabe der EG wird. Gleichzeitig wurden mit der Verankerung des Vorsorge- und Verursacherprinzips inhaltliche Richtlinien für eine fortschrittliche EG-Umweltpolitik vorgegeben. Für den nationalen Handlungsspielraum ist die Subsidiaritätsklausel von Bedeutung. Primär verbleibt die Umweltschutzaufgabe bei den Mitgliedstaaten. Die Gemeinschaft wird umweltpolitisch (nur) insoweit tätig, als die umweltpolitischen Ziele der EG besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können (vgl. Abschnitt 8.3.3). Nach Art . 130s EWG-Vertrag gilt für Entscheidungen des Ministerrats über die europäische Umweltpolitik das Einstimmigkeitsprinzip. Allerdings ist für die Umweltpolitik auch Art. 100a EWG-Vertrag relevant. Danach wird über Maßnahmen zur Angleichuns der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt. Dies bezieht sich auch auf umweltpolitische Vorschriften. Art. 100a gewährt der Gemeinschaft insbesondere ein Mandat zur Harmonisierung von umweltschutzbezogenen Produktregelungen. Zwar eröffnet Art. 100a Abs. 4 EWG-Vertrag ein Schlupfloch für nationale Alleingänge. Inwieweit schärfere nationale Produktregelungen von den Mitgliedstaaten neu eingeführt werden können, ist jedoch zweifelhaft. In jedem Fall sind sie an die vom Europäischen Gerichtshof nach Art. 30, 36 EWG-Vertrag entwickelten Anforderungen an die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelung gebunden. Für die konkrete Umweltpolitik hat das Nebeneinander beider Regelungen folgende Kons$quenzen: die vornehm227
lieh produktbezogenen Umweltschutzmaßnahmen können aufgrund des Mehrheitsprinzips prinzipiell leichter beschlossen werden und haben deshalb eine kurz- und mittelfristig höhere Relevanz als die emissions- und immissionsbedeutsamen umweltpolitischen Entscheidungen nach Art. 130 EWG-Vertrag (Wicke 1988). Neben der Einheitlichen Europäischen Akte ist, wie schon erwähnt, das Weißbuch von umweltpolitischer Relevanz. Es enthält eine Reihe von umweltpolitischen Harmonisierungsvorschlägen: die Beseitigung von materiellen Hemmnissen durch veterinär- und pflanzenschutzbezogene Grenzkontrollen sowie die Beseitigung von technischen Handelshemmnissen in bezug auf umweltrelevante Produktnormen bei Kraftfahrzeugen, Bauprodukten, Lebensmitteln sowie chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen. Diese Harmonisierungsmaßnahmen stellen die Möglichkeiten für nationale produktbezogene Umweltschutzregelungen in Frage. Daneben sieht das We i ßbuch die Beseitigung von Steuerschranken durch Harmonisierung bzw. Annäherung von Bemessungsgrundlagen bzw. Tarifen bei spezifischen Verbrauchsteuern vor. Die geplanten steuerlichen Harmonisierungsmaßnahmen berühren einmal die aus umweltpolitischen Gründen von manchen Mitgliedstaaten gewählte Art der Mineralölbesteuerung, zum anderen die Erhebung sonstiger indirekter Steuern bzw. Abgaben mit umweltpolitischen Anreiz- und/oder Finanzierungsfunktionen. Allerdings hat die Kommission inzwischen ihr ursprüngliches Konzept der Festlegung fester Sätze bei den spezifischen Verbrauchsteuern, d.h. auch bei der Mineralölsteuer , zugunsten von Mindeststeuersätzen bzw . Margen aufgegeben . Insofern besteht weiterhin eine begrenzte Möglichkeit für eine umweltpolitisch ausgerichtete nationale Gestaltung der indirekten Steuern. Schließlich werden die Konturen der europäischen Umweltpolitik durch das Vierte Aktionsprogramm für den Umweltschutz (1987-1992), in dem die Frage nach den geeigneten Instrumenten der Umweltpolitik aufgegriffen wird, bestimmt. Es unterstreicht die Notwendigkeit, je nach Art des Umweltproblems sowie den gegebenen wi rtschaft 1 ichen, __ recht 1 i chen und administrativen Rahmenbedingungen geeignete umweltpoliti228
sehe Instrumente einzusetzen. Dabei ist ein InstrumentenMix aus traditionellen regulativen Maßnahmen und ökonomischen Anreizinstrumenten angezeigt.
8.3.3
Die problemadäquate Handlungsebene der Umweltpolitik
Die zentrale Frage für die Gestaltung der Umweltpolitik in der Gemeinschaft ist die nach der problemadäquaten Handlungsebene: d.h. in welchen Situationen bzw. Fällen sind umweltpolitische Entscheidungen in bezugauf Ziele und/oder Instrumente (besser) auf Gemeinschaftsebene, auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten oder auf regionaler Ebene zu treffen (Schneider, Sprenger 1989). Das in Art. 130r Abs. 4 EWG-Vertrag formulierte Subsidiaritätsprinzip definiert die Aufteilung der umweltpolitischen Kompetenzen zwischen diesen Ebenen, läßt allerdings einen erheblichen Auslegungsspielraum. Danach liegt die primäre Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz bei der jeweils kleinsten (untersten) regionalen Einheit in der politischen Hierarchie. Die EG wird dagegen bei grenzOberschreitenden Umweltproblemen tätig, denen nur auf der Gemeinschaftsebene adäquat begegnet werden kann. Eine regionale Umweltpolitik setzt die Festlegung regional unterschiedlicher Umweltqualitätsnormen voraus. Oie Ausrichtung an gemeinschaftsweiten Grundnormen (z.B. Immissionsgrenzwerten) wäre dagegen nicht sinnvoll. Die einheitliche Behandlung von Regionen mit andersartigen Ökosystemen sowie unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten würde zu unerwünschten ökonomischen und ökologischen Konsequenzen führen. Orientierten sich die gemeinschaftsweiten Grundnormen an den ökonomischen Entwicklungsinteressen der wirtschaftlich fortgeschrittenen und emissionsintensiven Regionen, so würde die noch verbliebene ökologische Substanz aufs Spiel gesetzt. Richteten sie sich dagegen am besonderen Schutzbedürfnis gefährdeter Pflanzen- und Tierarten aus, so würde die wirtschaftliche Entwicklung in den fortgeschrittenen Regionen behindert.
229
Die Notwendigkeit der Er'haltung unterschiedlich ausgestatteter und funktionsorientierter Regionen impliziert somit regional unterschiedliche Umweltqualitätsanforderungen und damit eine regionale Abstufung der Schutzintensität. Eine solche Regionalisierung von Umweltqualitätsnormen liefe darauf hinaus, daß je nach Gebietstypus und Schutzbedürfnis abgestufte Umweltqualitätsnormen gemeinschaftsweit festzulegen wären und die Regionen unter der vorgegebenen Klassifikation von Gebietstypen zu wählen hätten. Sofern aus wissenschaftlichen und/oder politischen Gründen regional dif ferenzierte Schutzziele nicht festgelegt werden können, sollte die Anwendung von Regulierungen in bezugauf Emissionsquellen vorgesehen werden. Dabei bieten sich verschiedene Instrumente an: Umweltverträglichkeitsprüfungen und Genehmigungsauflagen für bestimmte Anlagen, Prüf- und Notifizierungsverfahren für das Invarkehrbringen neuer Produkte, Chemikalien usw., Emissionsgrenzwerte, die sich beispielsweise am Stand der Technik orientieren. Bei dem Versuch, die räumlich differenzierten Umweltqualitätsnormen zu erreichen, kann es trotz entsprechender regionaler Maßnahmen zu Zielverfehlungen kommen, wenn beispielsweise die regionale Immissionssituation durch weiträumigen Schadstofftransport aus anderen Regionen negativ beeinflußt wird und/oder mobile Emissionsquellen (z.B. Kraft- und Luftfahrzeuge) oder aber importierte Produkte, die bei der Verwendung oder bei der Beseitigung Umweltbelastungen verursachen, zu einer Verletzung der Umweltqualitätsnormen führen. Hier muß die EG umweltpolitische Maßnahmen ergreifen, um derartige grenzüberschreitende Schadstofftransporte aufgrundstationärer und/oder mobiler Emissionsquellen zu begrenzen . Zur Vermeidung grenzüberschreitender Schadstofftransporte, die von stationären Emissionsquellen ausgehen, sind auf der Basis von Schadstoffausbreitungsrechnungen Diffusionsnormen aufzustellen. Als gemeinschaftliches Instrument bieten sich vor allem Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Industrieanlagen von überregionaler Bedeutung an . Falls mehrere stationäre Emissionsquellen einer Region in bezug auf den gleichen Schadstoff grenzüberschreitende Belastungen verur-
230
sachen, sind keine starren, anlagespezifischen Emissionsgrenzwerte, sondern flexible Kompensationslösungen der Branchenverträge anzustreben. Ein umweltpolitischer Handlungsbedarf der Gemeinschaft geht auch von gehandelten Produkten aus, bei deren Verwendung. und Beseitigung Umweltbelastungen auftreten. Durch produktbezogene Umweltschutzmaßnahmen müssen Herstellung und Verbrauch dieser Produkte beeinflußt werden. Die Aufgabe einer gemeinschaftsweiten Harmonisierung von Produktnormen resultiert daraus, daß unterschiedliche nationale Umweltschutzvorschriften für Produkte den internationalen Handel behindern. Die Belieferung verschiedener Märkte mit unterschiedlichen Normen ist mit Kosten der Informationsbeschaffung über die jeweiligen nationalen Bestimmungen verbunden. Außerdem reduzieren die notwendigen Produktdifferenzierungen infolge der Normen den Kostenvorteil einer Produktion in hohen Stückzahlen. zur Vermeidung derartiger Nachteile hat die Gemeinschaft inzwischen für eine Vielzahl von gemeinschaftsweit behandelten Gütern einheitliche Grundnormen zumeist in Form von Emissionsgrenzwerten festgelegt, so z.B. für Kraftfahrzeuge, Bauprodukte, Haushaltsgeräte, Lebensmittel und chemische Erzeugnisse. Aus umweltpolitischen Erwägungen kann es sinnvoll sein, in stärker belasteten Ländern strengere produktbezogene Umweltschutznormen zu verankern. Häufig lassen sich nur so die regional differenzierten Umweltqualitätsziele einhalten. Anhand von zwei wichtigen Bereichen ist das Verhältnis von gemeinschaftsweiten und nationalen Regelungen diskutiert worden. Die Aufstellung von gemeinschaftsweiten Mindestanforderungen mit Ergänzung durch strengere nationale Normen (soweit erforderlich) bilden die problemadäquaten Handlungsebenen, wobei bilaterale Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaatenoder mit Dritten diese ergänzen können. Auch für die meisten anderen Arten von Umweltproblemen ist dieses Handlungsmuster adäquat (vgl. Abb. 8.1 sowie Schneider, Sprenger 1989).
231
Abb. 8.1
~ e
s
s
o-inschaftsweite Regelungen ausMindestschließ- anforderungen lieh
Nationale bzw. re- 81latarale gionale Ragelungen Vereinbarungen zw i sehen auserglnMitgliedschließzend staatan oder lieh mit Dritten
Globale lllnweltprobl(z. 8. Treibhauseffekt, Ozonprobl&Me, tropische Regenwlldar, Artenschutz)
X
X
X
GranzUberschreitende Umweltbelastungen durch Produktionsanlagen oder sonstige Anlagen (EG)
X
X
X
GrenzOberschreitende lÄIIWeltbelastungen durch mobila Emissionsquellen (z. B. Fahrzeuge, Flugzeuge) (EG)
X
X
X
GranzUberschreitende Abfalltransporte und -beseitigung (EG)
X
X
X
Gesundheitsrelevante lbweltqual1tltsziele
X
X
Schutzziele in bezug auf Tiere, Pflanzen, Biotope, Landschaft
X
X
X
Errichtung von Produktionsund sonst 1gen An 1agen ohne grenzUberschr. Wirkung
X
Invarkehrbringen von umweltrelevanten Chemikalien u.a.
X
X
X
Invarkehrbringen von Lebensmitteln
X
X
X
lbweltrelevante Produktionen mit Marktsteuerung durch EG (z.B. Landwirtschaft)
X
X
Quelle: Schneider, Sprenger (1989).
232
8.4
Strukturpolitik
Durch die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes werden nicht nur die Wettbewerbs- und die Umweltpolitik, sondern auch die Strukturpolitik vor veränderte Anforderungen gestellt. Diese resultieren aber nicht daher, daß das Binnenmarktprogrammdie deutsche Wirtschaft zu einschneidenden Anpassungen zwingen würde, die einen besonderen strukturpolitischen Handlungsbedarf auslösen. Wie in Kapitel 5 dargelegt wurde, weist die Verarbeitende Industrie der Bundesrepublik eine günstige Wettbewerbsposition auf und wird durch den Binnenmarkt eher begünstigt als benachteiligt. Unter Anpassungsdruck werden lediglich einige "traditionelle" Industriezweige geraten, die aber unabhängig von den Liberalisierungsmaßnahmen des Binnenmarktprogramms schon einer starken Auslandskonkurrenz ausgesetzt waren. Sorgen bereitet nur die ungünstige Wettbewerbslage der Hersteller von Büromaschinen und Datenverarbeitungsgeräten, die in einer Informationsgesellschaft von strategisch wichtiger Bedeutung ist. Durch ausbildungs-und forschungspolitische Maßnahmen sollte die Wettbewerbsposition verbessert werden. Im Dienstleistungsbereich wird der Wettbewerb in starkem Maße zunehmen. Die meisten Dienstleistungsunternehmen dürften aber im Wettbewerb mit Anbietern aus den anderen EG-Ländern bestehen können. Lediglich das Straßenverkehrsgewerbe wird seine Kapazitäten erheblich abbauen müssen. Schließlich könnte der Binnenmarkt für Energie zu Kapazitätsreduzierungen bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen und im Steinkohlebergbau führen. Die regionalwirtschaftlichen Konsequenzen des Binnenmarktprogramms sind bisher nicht in befriedigender Weise untersucht worden. Die wenigen vorliegenden Arbeiten erwecken aber nicht den Eindruck, als daß durch die Vollendung des Binnenmarktes "Problemregionen" in der Bundesrepublik entstehen würden, denen durch gezielte regionalpolitische Maßnahmen geholfen werden müßte. Dies schließt allerdings nicht aus , daß in Zukunft die regionalen Disparitäten in der Bundesrepublik zunehmen werden.
233
Die Feststellung, daß keine einschneidenden sektoralen und regionalen Anpassungserfordernisse mft der Vollendung des Binnenmarktes verbunden sein dUrften, bedeutet nicht, daß die einzelnen Unternehmen nicht vor beträchtlichen Herausforderungen stehen. Die Intensivierung des Wettbewerbs innerhalb der EG erfordert von ihnen, ihre Unternehmensstrategie zu überdenken. Es müssen neue Märkte erschlossen, neue Produkte eingeführt sowie neue Produktions- und Organisationsverfahren angewandt werden. Durch die Schaffung adäQuater Rahmenbedingungen kann die staatliche Wirtschaftspolitik die Wirtschaft dabei unterstützen, im europäischen Wettbewerb zu bestehen. Ein besonderer Handlungsbedarf ist aber nur in der Bereitstellung von Informationen über die Chancen und Risiken des Binnenmarktes für kleine und mittlere Unternehmen zu sehen. Rufen die strukturellen Anpassungserfordernisse keinen größeren wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf hervor, so stellen die ordnungspolitischen Zielvorstellungen des Sinnenmarktprogramms veränderte Anforderungen an die Strukturpolitik. Mit den Liberalisierungsschritten des Binnenmarktprogramms, die auf einen unbehinderten Wett.bewerb in der EG abzielen, sind Höhe und Zusammensetzung der derzeitigen Subventionsgewährung unvereinbar. Bestehende Subventionen dürfen nur unter sehr restriktiven Bedingungen gewährt werden. Sektorale und regionale Anpassungsnotwendigkeiten, die aus der Schaffung des Binnenmarktes resultieren, dürfen nicht durch die Gewährung von Beihilfen beseitigt werden. Ansonsten würden die Wirkungen des Binnenmarktprogramms nicht zum Tragen kommen. Die nationale Subventionspolitik würde die Liberalisierungsmaßnahmen des Weißbuchs konterkarieren. Mit dem Binnenmarktprogramm verändert sich des weiteren die Handlungsebene der Strukturpolitik. Oie regionale Strukturpolitik, welche zunehmend an die Stelle der sektoralen Strukturpolitik treten sollte, wird in einem gemeinsamen Markt zunehmend von Brüssel aus erfolgen müssen. zumindest sollte die EG-Kommission die Richtlinienkompetenz erhalten und Kontrollfunktionen ausüben. Auch fOr andere Politikbereiche wie die Forschungs- und Technologiepolitik zeichnet
234
sich eine - wenn auch nicht immer überzeugende rung der Kompetenzen nach BrOssel hin ab.
8.4.1
Verlage-
Abpau von Subventionen
Wie sich aus dem ersten Beihilfen-Bericht der EG-Kommission ergibt, belief sich der Gesamtbetrag an Beihilfen in der EG im Durchschnitt der Jahre 1981-86 auf Ober 100 Mrd. ECU, d.h. fast 4 ~des BIP. Die Bundesrepublik liegt mit ihrem Beihilfevolumen von 19,1 Mrd. ECU hinter Italien an zweiter Stelle. Mit einem Anteil der Subventionen am BIP von 2,5 ~ nimmt sie eine mittlere Position unterhalb des EG-Durchschnitts von 3,0 ~ein (vgl. Abschnitt 3.4 und Tab. 3.13). Legt man wie die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute einen umfassenderen Subventionsbegriff als die EG-Kommission zugrunde, so errechnen sich für die Bundesrepublik im Durchschnitt der Jahre 1981-85 Subventionen in Höhe von 45 Mrd. ECU, das sind 8,8 ~ des BIP. Zwischen 1981 und 1985 hat das Subventionsvolumen um 21 ~ zugenommen. Hierin drUckt sich der Subventionswettlauf aus, an dem sich alle Mitgliedsländer der EG mehr oder minder beteiligt haben (Hummel 1988). Auf die Notwendigkeit eines Subventionsabbaus ist immer wieder mit Nachdruck hingewiesen worden. Fundamentales oder temporäres Marktversagen, mit dem staatlichen Interventionen begründet werden, sei häufig nicht in dem unterstellten Maße vorzufinden. Auch ließen sich politisch definierte Versorgungs- und Verteilungsziele über den Marktmechanismus vielfach besser als über staatliche Eingriffe realisieren. Tatsächlich dienten die staatlichen Hilfen Oberwiegend dazu, die Einkommen der Erwerbstätigen in den begünstigten Wirtschaftszweigen zu sichern. Sie hätten den Charakter von Erhaltungssubventionen. Der Subventionsabbau sollte auf einer Überprüfung der Beihilfen im Einzelfall beruhen. Hilfen an Unternehmen, die unter Anpassungsdruck stehen, mit dem Ziel, die sozialen Folgen des Schrumpfungsprozesses abzufedern, sollten nur sehr restriktiv gewährt werden. Sie sollten an die Selbstbeteiligung der Unternehmen und Einkommenseinbußen bei den Beschäftigten gekoppelt sein sowie 235
zeitlich befristet und degressiv ausgestaltet werden stenberger 1988).
(Ger-
Dem Bekenntnis zum Subventionsabbau haben aber weder die Regierungen der Mitgliedstaaten noch die EG-Kommission wirksame Taten folgen lassen. Dabei werden der EG-Kommission durch den Artikel 92 EWG-Vertrag weitreichende Kompetenzen zur Kontrolle von Beihilfen eingeräumt. Danach sind Subventionen, die den Wettbewerb verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, nicht zulässig (vgl. auch Abschnitt 8.2.4). Diese Vorschrift hat sich jedoch als wenig wirksam erwiesen. Zum einen haben die Mitgliedstaaten entgegen ihrer Verpflichtung die Beihilfen nicht notifiziert. Zum anderen hat die EG-Kommission von den im Artikel 92 Abs. 3 EWG-Vertrag zugelassenen Möglichkeiten zur Subventionsgewährung großzügigen Gebrauch gemacht (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft 1986). In der letzten Zeit vermittelt die Kommission den Eindruck, die nationalen Beihilfen strengeren Regeln unterwerfen und insgesamt einschränken zu wollen. Die Grundlage für diese veränderte Haltung bildet weniger das Weißbuch, das die Beihilfenproblematik weitgehend ausklammert, als vielmehr die Philosophie des Binnenmarktprogramms als ein Liberalisierungs- und Deregulierungsprogramm, mit dem die wettbewerbsverfälschende Subventionspraxis nicht im Einklang steht. Ziel der Kommission ist es, die Beihilfenkontrolle zu intensivieren. Die Kommission beabsichtigt, alle neuen Beihilferegelungen oder Änderungen bestehender Regelungen notifizieren zu lassen und bei der Genehmigung neuer Beihilfen strengere Maßstäbe anzulegen. Darüber hinaus will sie wichtige bestehende Beihilferegelungen kritisch überprüfen, die von ihrer Natur oder ihrem Volumen her den Wettbewerb und den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen. Dazu zählen insbesondere Exportbeihilfen, allgemeine Investitionsbeihilfen und Beihilfen für staatliche Unternehmen. Verstöße gegen das Beihilfenverbot sollen zunehmend dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden. Schließlich will die Kommission jährlich einen Beihilfenbericht vorlegen (Brittan 1989; EG-Kommission 1989). 236
Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem Subventionsabbau in den Mitgliedsländern und auf Gemeinschaftsebene fragt es sich, ob den Intentionen der EG-Kommission ein andauernder Erfolg beschieden sein wird. Die wenigen Formulierungen im Weißbuch zur Subventionsproblematik lassen den Verdacht aufkommen, daß die Kommission statt eines wirklichen Abbaus von Subventionen nur einen Umbau, nämlich die Hinlenkung der Beihilfen von nicht Oberlebensfähigen Branchen zu wettbewerbsstarken Zukunftsindustrien anstrebt. Sollte dieser Verdacht aber unbegrUndet sein, so sollte die Kommission ein verbindliches Programm verabschieden, das sich das Ziel setzt, bestehende Beihilfen stufenweise abzubauen und neue Subventionen möglichst zu unterbinden. Ein solcher Abbauplan wUrde nicht nur die staatlichen Intentionen verbindlicher machen, sondern auch die Rechtssicherheit der begUnstigten Unternehmen erhöhen. Sie wUrden erfahren, wann mit einer Beendigung der Finanzhilfen und SteuerbegUnstigungen zu rechnen ist (Thormählen 1989).
8.4.2
Von der sektoralen zur regionalen Strukturpolitik
Neben dem generellen Abbau von Subventionen ist eine Verlagerung von der sektoralen hin zur regionalen Wirtschaftsförderung angezeigt. Wie sich aus der Strukturberichterstattung 1983 des Ifo-Instituts ergibt, hat die Wirtschaftsförderung in der Bundesrepublik eine starke se~tora le Komponente. Gemessen an den Finanzhilfen und SteuervergUnstigungen je Erwerbstätigen waren am meisten begUnstigt die Bundesbahn, der Bergbau, der Luft- und Raumfahrzeugbau, der Schiffbau, die Land- und Forstwirtschaft sowie die Schiffahrt. Die drei zuerst genannten Bereiche dUrften durch das Binnenmarktprogramm direkt oder indirekt negativ betroffen sein und möglicherweise einen zusätzlichen Subventionsbedarf geltend machen. Andere Sektoren wie der StraßengUterverkehr könnten sich dem anschließen wollen. Angesichts der Oberwiegend negativen Erfahrungen mit der sektoralen Wirtschaftsförderung sollte diesem Anliegen begegnet werden. Staatliche Hilfen haben- wie die Erfahrung zeigt - Oberwiegend den Charakter von Erhaltungssubventio237
nen gehabt, den sektoralen Anpassungsnotwendigkeiten dagegen kaum Rechnung getragen. Sie dienten in erster Linie dazu, daß die Einkommen der Erwerbstätigen in den begünstigten Wirtschaftszweigen mit der Einkommensentwicklung in den übrigen Sektoren schritthalten konnten. Wegen dieser in der Strukturberichterstattung 1983 des Ifo-Instituts dargelegten Grundsatzproblematik staatlicher Interventionen müssen diese Konsequenzen staatlicher Hilfe stets erwartet werden. Eine Akzentverlagerung weg von der sektoralen hin zur regionalen Förderung sowie zur Förderung der Mobilität der Arbeitskräfte (Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen) erscheint deshalb angebracht. Eine Kombination von weniger Hilfe für die angeschlagenen Unternehmen, mehr Mobilitätshilfe für die vom Beschäftigtenabbau betroffenen Arbeitnehmer sowie mehr Mittel für die betroffene Region zur Anlockung neuer Unternehmen erscheint eine erfolgversprechendere Strategie zu sein als die bisher praktizierte (Gerstenberger 1984). Eine uneingeschränkt positive Bewertung der Regionalpolitik in der derzeitigen Ausprägung ist damit jedoch nicht verbunden. Die flächendeckende Abgrenzung der Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe un~ der Ausweis zusätzlicher Fördergebiete durch die Bundesländer bewirken, daß das Fördergefäl.le nicht ausgeprägt genug ist, um ausreichende Anreize für Neuansiedlungen in Problemgebieten zu bewirken. Ein unerwünschter Nebeneffekt der breiten Förderkulisse ist die Mitnahme von Subventionen. Um die regionalpolitische Hilfe für Krisenregionen wirksamer zu gestalten, ist eine Verstärkung des Fördergefälles und eine Verringerung der Fördergebiete notwendig. Die EingrenzunQ der Förderkulisse setzt Mittel frei, durch welche die Förderintensität in den verbleibenden Regionen erhöht werden könnte (Gerstenberger 1988). Die auch bei rein nationaler Betrachtung grundsätzlich notwendige Verringerung der Fördergebiete wird durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes noch zusätzliche Impulse erhalten. Die Zielsetzung der Regionalpolitik wird sich verändern. Die Regionalpolitik wird zunehmend weniger auf den Ausgleich des regionalen Wirtschaftsgefälles inner238
halb eines Landes und immer mehr auf die Nivellierung der regionalen Unterschiede innerhalb der EG ausgerichtet sein. Dies impliziert eine Verlagerung von regionalpolitischen Kompetenzen nach BrUssel. Die EG-Kommission wird zumindest die Richtlinien der Regionalpolitik entwickeln müssen, auch wenn die Durchführung vorerst noch Aufgabe der Mitgliedstaaten der EG bleiben sollte. Auch für eine europäische Regionalpolitik wird der Grundsatz gelten müssen, die Zahl der Fördergebiete klein zu halten, damit der Mitteleinsatz auf die wirklichen Problemregionen konzentriert werden kann (Padoa-Schioppa 1988). Dies aber wird zur Folge haben, daß einige der bisherigen Fördergebiete in der Bundesrepublik zugunsten von Problemregionen in Südeuropa, Irland usw. aus dem Förderkatalog der EG herausfallen werden. Es wird zu einer erheblichen Verringerung der Zahl der Fördergebiete in der Bundesrepublik kommen. Dies wird den Widerstand der betroffenen Regionen hervorrufen.
8.4.3
Forschungs- und Technologiepolitik
Das Ziel, eine europäische Technologiegemeinschaft zu schaffen, wurde schon zu einem Zeitpunkt formuliert, als die Diskussion um die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes noch nicht begonnen hatte. Ausgangspunkte waren die immer spürbarer werdende technologische Herausforderung Europas durch die USA und Japan sowie die Erkenntnis, daß Europa angesichtsder Zersplitterung seiner FuE-Aktivitäten dieser Herausforderung nur unzureichend begegnen könne. Durch die SOl-Initiative und das Eurosklerose-Bewußtsein erhielt die Diskussion um die Technologiegemeinschaft zusätzlichen Auftrieb. So war es keine Frage, daß sowohl das Weißbuch als auch die Einheitliche Europäische Akte den Aufbau einer europäischen Technologiegemeinschaft anstreben. Damit sind der Gemeinschaft erstmals umfassende forschungs- und technologiepolitische Kompetenzen übertragen worden. In Art. 24 EEA setzt sich die Gemeinschaft das Ziel, die wissenschaftlichen und techn.ischen Grundlagen der europäischen Industrie zu starken und die Entwicklung ihrer in239
ternationalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Dies soll mittels eines mehrjährigen Rahmenprogramms sowie spezieller, aktionsbezogener Programme geschehen. Das zweite Technologierahmenprogramm (1987-91) deckt ein breites Forschungsspektrum ab, das von den Informations- und Kommunikationstechnologien (ESPRIT, RACE) Ober die Biotechnologie bis hin zu den modernen Werkstoffen reicht. Mit dem Rahmenprogramm soll die technologische Zusammenarbeit auf EG-Ebene gefördert werden. 50 ~ der Gesamtausgaben eines Projektes werden von der Gemeinschaft, die andere Hälfte von den Projektteilnehmern finanziert. Der Grundsatz der Beteiligung von mindestens zwei Industrieunternehmen aus unterschiedlichen EG-Ländern soll den innergemeinschaftlichen Technologietransfer erleichtern. Es wird prinzipiell nur die "vorwettbewerbliche" Forschung gefördert (Holeschovsky, Janning u.a. 1988). Neben dem Technologierahmenprogramm fördert die EG marktnahe Projekte. Hierzu zählen u.a. das Airbusprojekt, die europäische Raumfahrtagentur und Eureka. Konzeptionell unterscheiden sich diese Projekte von den Technologieprogrammen der Gemeinschaft in mehrfacher Hinsicht. Sie sind - um das Beispiel Eureka zu nehmen - auf die Entwicklung marktreifer Produkte gerichtet (keine vorwettbewerbliehe Forschung). Die Initiative zu den Projekten geht von den Unternehmen aus (n1cht von der Kommission). Diese stellen auch die finanziellen Mittel bereit, während die Gemeinschaft sich nur subsidiär an der Finanzierung beteiligt. Und schließlich erstrecken sich die Projekte auch auf Nicht-EG-Länder ( Deubner 1987). Die Europäisierung der Forschungs- und Technologiepolitik ist unterschiedlich bewertet worden. Von Jacquemin (1987) wird die Zusammenarbeit von Unternehmen verschiedener Nationalität im FuE-Bereich Oberwiegend positiv gesehen. Sie fOhre zu mehr Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, vermeide die Verschwendung von Ressourcen und sorge für eine wirksamere Verbreitung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (1986) kritisiert dagegen die Forschungskooperation auf EG-Ebene. Kooperative Forschung 240
und Entwicklung sei der einzelunternehmerischen Forschung und Entwicklung nicht immer überlegen. Außerdem könne von gewinnorientierten Unternehmen nicht erwartet werden, daß sie in Forschung und Entwicklung zusammenarbeiten, ohne auf die Auswi rk.ungen Rücksicht zu nehmen, die davon für ihre Stellung im Wettbewerb untereinander zu erwarten sind. Schließlich verleite eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Forschung dazu, bei der wirtschaftlichen Verwertung dieser Ergebnisse nicht in Konkurrenzbeziehungen zu treten. Der zweite Haupteinwand gegenüber der FuE-Politik der EG beinhaltet, daß sie Großprojekte wie Großunternehmen begünstigt. Mit Großprojekten wird zwar einerseits der Wettbewerb im Weltmaßstab intensiviert, sofern zuvor monopolistische oder Oligopolistische Marktstrukturen gegeben waren. Andererseits wird der innergemeinschaftliche Wettbewerb aber eher reduziert. Hinzu kommt, daß es insbesondere Großunternehmen sind, die überhaupt als Kooperationspartner in Frage kommen und damit die öffentlichen Mittel auf sich ziehen, obwohl sie der übrigen Wirtschaft, die diese Mittel indirekt mit aufbringt, an Finanzkraft ohnehin weit überlegen sind (Franzmeyer 1987b). Die Frage nach der adäquaten Handlungsebene der FuE-Politik sollte aber z.Z. nicht überbewertet werden. Die für die gemeinschaftliche FuE-Förderung zur Verfügung stehenden Mittel hatten bisher eine an den entsprechenden nationalen Budgets eher zu vernachlässigende Größenordnung und werden dies auch auf absehbare Zeit haben. Nach Berechnungen von Franzmeyer (1987a) machten allein die öffentlichen und privaten FuE-Aufwendungen in der Bundesrepublik im Jahre 1986 das Vierzehnfache der EG-Forschungsmittel (gesamte Verpflichtungen im EG-Haushalt sowis von der Gemeinschaft im Wege der Kofinanzierung kontrollierte nationale Forschungsaufwendungen) aus.
8.4.4
Zusammenfassung
Durch die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes dürften keine Anpassungserfordernisse in der Bundesrepublik hervor241
gerufen werden, die einen größeren strukturpolitischen Handlungsbedarf erfordern würden. Oie ordnungspolitischen Vorstellungen des Binnenmarktprogramms stellen aber neue Anforderungen an die Strukturpolitik. Oie mit dem Binnenmarktprogramm bezweckte Intensivierung des Wettbewerbs in der EG macht einen nachhaltigen Subventionsabbau erforderlich. Außerdem ist eine Umorientierung von der sektoralen hin zur regionalen Strukturpolitik vorzunehmen. Gleichzeitig wird die Regionalpolitik ihre Zielsetzung verändern. Sie wird zunehmend weniger auf den Ausgleich des regionalen Wirtschaftsgefälles in der Bundesrepublik und immer mehr auf die Nivellierung der regionalen Unterschiede innerhalb der EG ausgerichtet sein. Dies impliziert eine Verlagerung von regionalpolitischen Kompetenzen nach Brüssel. Die Zahl der Fördergebiete in der Bundesrepublik wird erheblich verringert werden. Auch im Bereich der Forschungs- und Entwicklungspolitik ist eine- grundsätzlich nicht unproblematische- Europäisierung zu beobachten. Wegen der geringen Quantitativen Bedeutung der FuE-Programme der EG wird die deutsche FuE-Politik von dieser Entwicklung aber bisher kaum tangiert. Allerdings gehen von den europäischen Programmen synchronisierende Effekte auf die deutschen FuE-Programme aus.
9. Die Auewirkungen dee Europaiechen Binnenmarktee auf Bundearepublik Deutechland: ein Fazit
die
Ein Gesamturteil Uber die Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Bundesrepublik Deutschland fällt nicht leicht. Es gibt durchaus Skeptiker, die damit rechnen, daß die möglichen Integrationsgewinne sich nur partiell oder nur sehr langfristig verwirklichen lassen, weil die Regierungen auf einige der Souver4nitätsbastionen, wie die Steuerhoheit und die Grenzkontrollen, nicht verzichten wollen oder sich Verzögerungen und grundsatzliehe Widerstände ergeben, die auch die Industrie und die Finanzmärkte davon abhalten werden, die europäische Dimension eines großen Marktes letztlich ernst zu nehmen. Mit der Schaffung des EG-Binnenmarktes wird der europäische Wettbewerb intensiver, und der Strukturwandel in den Mitgliedstaaten wird beschleunigt ablaufen. Die verstärkten Anpassungszwänge erfordern eine größere Flexibilität und Mobilität der Unternehmen und fUhren zu einem Verlust an nationaler Autonomie und damit vielleicht zu einer größeren Enthaltsamkeit des Staates. Die Ausnutzung der mit dem Binnenmarkt möglichen Wachstums- und Beschäftigungsimpulse hängt nicht zuletzt davon ab, ob und wie rasch sich die Wirtschaftspolitik, die Unternehmen und die Sozialpartner auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen und mit den auftretenden Anpassungsproblemen fertig werden. Aber vor allem wird der Erfolg des "Unternehmen Binnenmarkt 1992" davon bestimmt, ob das geplante Programm zügig und glaubhaft abgewickelt wird, denn nur dann wird sich die private Wirtschaft dauerhaft darauf einstellen. Die Aufbruchstimmung, die in den letzten Jahren eingesetzt hat, ist noch ungebrochen. Die Vorbereitungen in den Unternehmen der EG-Länder (aber auch in den EFTA-Staaten) haben sich eher beschleunigt. In den vier Jahren seit Veröffentlichung des EG-Weißbuches bis Mitte 1989 sind vorzeigbare Fortschritte erzielt worden, wie der vierte Bericht der EGKommission zur Durchführung des Weißbuches (Juni 1989) ausweist:
243
-von den geplanten 284 Vorschlägen liegen auf dem Tisch;
mehr als 80
~
- rund die Hälfte der Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen und Empfehlungen sind vom Ministerrat verabschiedet worden. Als "besorgniserregend" bezeichnet die Kommission aber die Verzögerungen auf dem Gebiet des freien Personenverkehrs und der Steuerharmonisierung, wo Einstimmigkeit erforderlich ist. Ebenso stehen die wichtigsten Entscheidungen zur Aufhebung der Grenzkontrollen noch aus. Schwer wiegt auch, daß die Umsetzung der Gemeinschaftsmaßnahmen in nationales Recht nur zähflüssig vorankommt. Eine termingerechte Erfüllung des Binnenmarktplans erfordert eine Beschleunigung des Entscheidungsprozesses auf nationaler sowie gemeinschaftlicher Ebene. Weder dOrfen es sich die Regierungen leisten, ihr Prestige und die eingesetzten Energien aufs Spiel zu setzen, noch dOrfen die Unternehmen ihre Vorbereitungen aufschieben, um so mehr, als sich die Konkurrenten aus den Drittländern auf die Herausforderungen des Binnenmarktplanes intensiv vorbereiten. Aber erst gegen Ende 1990 wird man realistischer darOber urteilen können, ob das Datum 1993 eingehalten werden kann. Der Versuch, die Gesamtwirkungen zu quantifizieren, die sich aus der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes ergeben, bleibt ein ehrgeiziges Unterfangen. Jeder solcher Versuche, die Folgen eines umfassenden Angebotsschocks für eine Gruppe unterschiedlicher Länder abzuschätzen, bewegt sich vermutlich an der Grenze der Leistungsfähigkeit ökonomischer Analysen und ökonometrischer Modellsimulationen. Trotzdem sind die Cecchini- bzw. Emerson-Studien eine bemerkenswerte Fundgrube makro- und mikroökonomischer Erkenntnisse, die bisher noch nicht vorgelegen haben und sich im großen und ganzen gegenseitig abstOtzen. Die Arbeiten der EG-Kommission beruhen auf einem durchaus ernstzunehmenden Ansatz, dessen Methodik und Annahmen allerdings teilweise fraglich bleiben müssen. Bei der Bewertung von globalen Schätzungen der Wachstumsund Beschäftigungswirkungen dürfen die möglichen Fehlermar244
gen (± 30 ~) und die Ausgangsbedingungen der Berechnungen nicht übersehen werden. Die Cecchini/Emerson-studien unternehmen den Versuch, die potentiellen Wirkungen bei vollständiger Durchsatzung des Binnenmarktprogramms nach Ablauf einer mittleren Frist von sechs Jahren zu quantifizieren. Der mögliche zusätzliche Wachstumsschub in der Größenordnung von insgesamt rund 5 ~ des BIP (bzw. von rund 210 Mrd. ECU in Preisen von 1985) könnte das Potentialwachstum der Gemeinschaft - je nach der Länge der Anpassungsperiode - um jährlich rund 0,5 bis 1 Prozentpunkte erhöhen. Etwas darunter liegende Schätzungen - in der Größenordnung von rund 150 Mrd. ECU - wurden bereits vorher ermittelt (Pelkmans and Winters 1988). Ergebnisse von Wachstumsgewinnen, die weit darüber liegen, wurden vor kurzem bekannt, konnten aber in der vorliegenden Untersuchung nicht mehr berücksichtigt werden (Baldwin 1989). Oie im Cecchini-Bericht geschätzte Beschleunigung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums ist durchaus wahrscheinlich, und zwar um so mehr, wenn man einige wichtige Anstöße (verstärkte Innovationen und Forschungsanstrengungen, die Wirkungen des Abbaus von Subventionen, der Steuerharmonisierung und des verminderten Außenschutzes als Folge der Uruguay-Runde) in das Urteil mit einbezieht. Sie sind in den Cecchini-Studien unberücksichtigt geblieben bzw. konnten nicht quantifiziert werden, könnten aber durchaus mit der Entstehung des Binnenmarktes verbunden sein. Die fehlende Quantifizierung dieser wichtigen Bereiche erlaubt den Schluß, daß die mittleren Ergebnisse der Cecchini-Studien eher am unteren Rand der potentiellen Wirkungen liegen. Mit wesentlich größeren Vorbehalten müssen dagegen die länder- und sektorspezifischen Berechnungen betrachtet werden. Berechtigt ist die Frage, ob und inwieweit die im CecchiniBericht erwarteten Wirkungen als Teil der Vorbereitung auf den Binnenmarkt bereits in der gegenwärtigen Wachstumsphase vorweggenommen werden. In den drei Jahren seit 1987 ist das gesamtwirtschaftliche Wachstum der EG von jahresdurchschnittlich rund 2 ~ im Zeitraum 1973 bis 1986 auf 3,3 % gestiegen. Im jährlichen Durchschnitt nahmen seitdem die realen Anlageinvestitionen jährlich um 9,4 ~. die realen innergemeinschaftlichen Ausfuhren um 6 bis 7 ~und die Zahl 245
der Erwerbstätigen um 1,3 • zu. Das reale BIP-Wachstum dürfte auch 1990 noch um rund 3 • wachsen. Ifo-Umfragen bei den Industrieunternehmen bestätigen, daß ein Teil des gegenwärtigen Investitionsbooms in der Bundesrepublik auf die Binnenmarktreaktionen der Unternehmen zurückgeht. Berechnungen der Dienststellen der EG-Kommission kommen zur vorsichtigen Schlußfolgerung, daß seit 1988 jährlich rund ein Prozentpunkt der privaten Investitionen auf die Vorbereitungen zum Binnenmarkt zurückgeführt werden kann, das ist ein zusätzlicher Wachstumsanstoß von jährlich weniger als einem Viertel eines Prozentpunkts. Nicht eingeschlossen sind hier die möglichen Wirkungen des Abbaus der Grenzkontrollen und der Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte, die erst viel später durchge.setzt und bemerkbar sein werden. Wie wird die Bundesrepublik in dem verschärften Wettbewerb auf den Märkten und dem sich verstärkenden Politik- und Systemwettbewerb abschneiden? Ist die deutsche Wirtschaft durch ihre Wettbewerbskraft, Industriestruktur und Erfahrungen besser gerüstet als ihre Partnerländer in der EG? Werden ihr institutionelles Entscheidungsgefüge und ihr soziales System besser mit den erzwungenen Anpassungen fertig werden? Im Lichte der Cecchini-Studien nimmt die Bundesrepublik Deutschland bei den vom Binnenmarkt ausgelösten Wachstumsund Beschäftigungseffekten eine leicht unterdurchschnittliche Stellung ein. Für die Plausibilität dieser Ergebnisse der ökonometrischen Simulationen spricht, daß hier die meisten Liberalisierungvorteile, vor allem bei den Finanzdiensten, bereits ausgeschöpft erscheinen. Auch kann man die Bundesrepublik als eine reife Volkswirtschaft sehen, die sich nur schwerfällig verändert, sich mit ihrer Neigung zur Verteidigung von sozialen Besitzständen gegenüber den Herausforderungen des Binnenmarktes eher defensiv verhält und die unter schwerwiegenden Wettbewerbs- und Standortnachteilen leidet bzw. zu leiden vorgibt. In einer IWF-Studie (Lipschitz et al. 1989) Ober die Bundesrepublik mit dem Untertitel "Adjustment in a Surplus Country" findet sich das folgende Urteil: "Myriad rigidities and disincentives af-
246
fecting the labor market, agriculture, mining, shipbuilding, iron and steel, textiles, commercial aircraft, insurance, retail trade, telecommunications, and professional services, couplad with government policies on taxes, subs i dies and trade restrictions, play a significant role in stifling the growth of output, investment, and employment, and reducing the responsiveness of the economy to market signals". Trotzdem gibt es gute Gründe, den Ergebnissen der EG-Simulationsberechnungen und den oft oberflächlichen negativen Urteilen mancher ausländischer Beobachter Ober die deutsche Wirtschaft zu widersprechen. Zum ersten sind die Unterschiede der makroökonometrischen Simulationen nach Ländern nicht groß genug, um daraus Schlüsse auf eine Rangordnung der relativen Gewinner des EG-Binnenmarktes zu ziehen. Daß der für die Bundesrepublik ermittelte zusätzliche Wachstumsgewinn von insgesamt 4,2 Prozentpunkten hinter dem für den EG-Ourchschnitt von 4,5 Prozentpunkten zurückbleibt, wird zum größten Teil auf einen unterdurchschnittlichen Zinsrückgang als Folge der Liberalisierung der Finanzdienste zurückgeführt. Oie Folgen einer veränderten Arbeitsteilung zwischen den Partnerländern sind aber bei den Deregulierungswirkungen von Finanzdiensten nicht einbezogen worden. Es ist durchaus möglich, daß das deutsche Banken- und Versicherungsgewerbe seine Wettbewerbsfähigkeit steigern und das grenzOberschreitende Angebot merklich ausweiten kann . Entscheidender für die Beurteilung der Chancen der Bundesrepublik dürfte aber sein, daß wichtige Auswirkungen des Binnenmarktes im Cecchini-Bericht und in den anderen Studien vernachlässigt oder ausgeklammert worden sind. Mit dem Entstehen des Binnenmarktes ist ein Innovations- und Investitionsschub verbunden , von dem die deutsche Wirtschaft und ihre hochentwickelte Investitionsgüterindustrie mehr als die anderer EG-Länder profitieren wird. Vieles spricht dafür , daß die kräftige Investitionsneigung der Unternehmen anhalten wird, wenn der Prozeß der Binnenmarktintegration weiter vorangetrieben wird.
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Ein Teil der Anpassungsprobleme geht aus den sektoralen Auswirkungen der Binnenmarktrealisierung hervor. Die Auswertung der vorliegenden sektoralen Analysen unter Einschluß der Ifo-Untersuchungen über die Folgen des Binnenmarktes für die deutsche Wirtschaft führt zu folgenden Schlußfolgerungen: - Vom Binnenmarktprojekt werden vor allem jene Branchen betroffen, die bisher vom internationalen Wettbewerb aufgrund nichttarifärer Handelshemmnisse, staatlicher Regulierungen und Marktzutrittsbarrieren abgeschirmt und durch Subventionen und Zulassungsbedingungen geschützt waren, nämlich: Bereiche der Verarbeitenden Industrie, der Energiesektor, Teile des Verkehrsgewerbes, der Telekommunikationssektor, die Finanzdienste und einige unternehmensbezogene Dienstleistungen. - Die EG-Kommissionsstudien haben sich bei der Berechnung der sektoralen "Kosten des Nicht-Europa" wohlweislich auf die Gemeinschaft insgesamt beschränkt, um der Debatte über etwaige Umverteilungsforderungen der sektoralen und regionalen "Verlierer" in den Mitgliedsländern aus dem Wege zu gehen. Letztlich sind die Wirkungen von Wettbewerbsprozessen, wie sie vom Binnenmarktprojekt ausgelöst werden, nicht prognostizierbar. -Ganz allgemein gesehen geht die deutsche Industrie mit einer relativ starken Wettbewerbsfähigkeit in den Binnenmarkt hinein. Aber auch hier wird es neben relativen Gewinnern auch Verlierer geben . Mit Hilfe von verschiedenen Kriterien wurden im Verarbeitenden Gewerbe 43 Industriezweige ermittelt, welche die Vollendung des EG-Binnenmarktes vermutlich am stärksten spüren werden. Anhand von Außenhandels- und Spezialisierungsindikatoren wurden diese Industriezweige nach der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie klassifiziert (Gerstenberger j989). - Die eindeutigen Stärken der deutschen Industrie im Binnenmarkt liegen im gesamten Maschinenbau und in der Automobilindustrie. Eine vergleichsweise hohe Wettbewerbsfähigkeit weisen darüber hinaus die Industriezweige Kesselund Behälterbau, Elektro-Haushaltsgerate und Schienenfahrzeuge auf.
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- Zu den ausgesprochen wettbewerbsschwachen Branchen in der Bundesrepublik gehören: Teile der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, die Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie sowie die Schmuck- und Teppichherstellung. Höchst beunruhigende Schwachstellen zeigen sich bei den Büromaschinen und ADV-Geraten, deren Wettbewerbssituation sich sogar verschlechtert hat. - Anpassungsprobleme dürften sich auch für die Hersteller von Fernmeldegeräten und medizinischen Geräten, für das Brauereigewerbe, den Schiffbau und die pharmazeutische Industrie ergeben. Insgesamt gesehen kann die deutsche Industrie dem Binnenmarkt mit relativer Wettbewerbsstärke und Gelassenheit entgegensehen. Diese Einschätzung geht auch aus den Unternehmensbefragungen über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt hervor. Bereits in der Sondererhebung der EG-Komm1ssion Ober die Sinnenmarktwirkungen von 1987 (Gürtler und Nerb 1988) wurden die Chancen durch die deutschen Industrieunternehmen vorwiegend positiv eingeschätzt . Die Umfrage des DIHT vom FrOhjahr 1989 spiegelt ebenfalls eine relativ große Zuversicht der deutschen Unternehmer wider, die der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes überwiegend mit "'selbstbewußter Wettbewerbsstärke" entgegensehen. Insgesamt rechnen 25 ~mit positiven Wirkungen, 58~ mit keinen Auswirkungen und nur 17 ~ befürchten negative Folgen. Die eigentliche Herausforderung für das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik Deutschland wird weniger in der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes, sondern weiterhin in der technologischen StärkeJapansund teilweise auch der USA liegen. Stärker als die Industrie werden aber einzelne Dienstleistungsbereiche von der Vollendung des Binnenmarktes betroffen werden. Viele Dienstleistungen waren vom europäischen Wettbewerb bisher durch Marktzugangsregelungen u.a. abgeschottet. Die zahlreichen Beschränkungen (nichttarifäre Handelshemmnisse, Niederlassungsregeln, unterschiedliche 249
Steuer- und Rechtssysteme) haben dazu beigetragen, daß sich der Dienstleistungshandel der EG-Länder merklich langsamer als der Warenhandel entwickelt hat. Der granzUberschreitende Wettbewerb dUrfte sich verstärken und in der Bundesrepublik vor allem das Straßentransportgewerbe, die Telekommunikationsdienste, die Finanzdienste und bestimmte unternehmensbezogene Dienstleistungen vor neue Herausforderungen stellen . Eine insgesamt eher schwache Wettbewerbsposition weist das Straßentransportgewerbe auf. Die Ubrigen Dienatleistungsbereiche dUrften im Wettbewerb bestehen können und nur in gewissen Teilbereichen unter Anpassungsdruck geraten, wie die Stellung der Bundesrepublik als Finanzplatz zeigt. Im Cecchini-Bericht wird allein ein Drittel des gesamten Wachstumseffektes aus der Schaffung eines großen Finanzmarktes in Europa erwartet, was vermutlich eine Obergrenze darstellt. Trotzdem darf die Rolle und Bedeutung eines effizienten Geld- und Kapitalmarktes fUr die Herausbildung des Europäischen Binnenmarktes nicht unterschätzt werden. Die kUrzlieh entfachte Debatte Uber den Finanzplatz Bundesrepublik hat die Stärken des deutschen Standorts (das leistungsfähige Universalbanken-System, ein weitflächiges Bankennetz und hochentwickelter Bankenservice, das Vertrauen in die stabile D-Mark) offengelegt, gleichzeitig aber auch auf die vorhandenen Schwächen verwiesen. Der RUckstand gegenüber der internationalen Konkurrenz zeigt sich im Deregulierungsstand und -tempo (z.B.im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien), in der technischen Ausrüstung und der AufsplitterunQ der Börsenplätze innerhalb der Bundesrepublik, dem unzureichenden Aktienmarkt und den steuerlichen Behinderungen (Pöhl 1989, von Rosen 1989) . Die erforderlichen Schritte zur Stärkung der Attraktivität des deutschen Finanzplatzes müssen rasch erfolgen, um nicht den Anschluß zu verlieren. Zur Bewältigung der Anpassungsprobleme verfügt die Bundesrepublik über sehr qualifizierte Arbeitskräfte, ein hochmotiviertes Management und ein leistungsfähiges Ausbildungssystem. Die deutsche Industrie kann sich auf einen breiten Exportsektor und auf langjährige Erfahrungen im Exportge250
schäft stützen, das von hochwertigen Qualitätsstandards, einem ausgebauten Kunden- und service-Netz und einem spezialisierten Produktangebot getragen wird. Die Produktionspalette ist weit gestreut und die Marktstruktur mit einem relativ hohen Anteil von exportorientierten Klein- und Mittelbetrieben vielleicht besser als anderswo gemischt. Hintu kommen die zentrale Lage in Europa und eine entwickelte Infrastruktur, der soziale Friede und die oft vorbildlichen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, die eine Reihe von negativen Einflußfaktoren (hohe Lohnkosten, niedrige Arbeitszeit und wenig flexible arbeitsrechtliche Regelungen u.ä.) kompensieren können (vgl. die Ifo-Befragung Ober langfristige Standortfaktoren 1989). Die grundsätzlichen Ziele des Europäischen Binnenmarktes werden in der Bundesrepublik sowohl von der breiten Bevölkerung als auch von den Unternehmern sowie den Gewerkschaften prinzipiell begrüßt und unterstützt. Die Debatte Ober weitere Arbeitszeitverkürzungen nach 1990 könnte allerdings zum Testfall für die Konsensfähigkeit der Sozialpartner in der Bundesrepublik werden. Die Sozialpartner wären gut beraten, die Durchsatzung neuer Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen auf die Zeit nach 1993 zu verschieben, bis mehr Klarheit Ober die Anforderungen bei der Anpassung an den großen Binnenmarkt besteht. Die Bundesrepublik kann sich auf gesamtwirtschaftliche und institutionelle Stärken und nicht zuletzt auf die Glaubwürdigkeit einer relativ erfolgreichen Stabilisierungspolitik stützen. Diese Glaubwürdigkeit hat die Ankerfunktion der DMark im EWS begründet und damit die Voraussetzung für die erstaunliche Wechselkursstabilität in der Gemeinschaft geschaffen, von der auch die deutsche Exportwirtschaft profitiert. Die Bundesrepublik muß aber auch Schrittmacherfunktion bei der Durchsatzung des Binnenmarktprogramms übernehmen. Dazu muß sie rascher als die übrigen Länder das Liberalisierungsprogramm erfüllen und damit dem Vorwurf begegnen, daß die deutsche Wirtschaftspolitik asymmetrisch sei: überzeugend und vorbildlich in der Stabilisierungsfunktion und zögerlich und rOckständig bei der Verwirklichung einer glaubhaften Angebotspolitik. Eine beschleunigte Deregulierung wichtiger Bereiche (Verkehr, Finanzdienste, Telekommu251
nikation usw.) und ein Abbau von Subventionen wird um so dringlicher, als die hohen überschOsse in der deutschen Leistungsbilanz bei nachlassender konjunktureller Dynamik in den Partnerländern zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen werden und sogar die Kohäsion im EWS gefährden könnten. Es wird also nicht genügen, die Verantwortung für die Durchsatzung der Preisstabilität im EWS zu tragen. Die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik muß auch den Nachholbedarf an Flexibilisierung, Anpassung, Subventionsabbau und sozialen und steuerlichen Reformen erfüllen. Damit würde sie nicht nur zu ihren ursprünglichen ordnungspolitischen Vorstellungen der offenen Märkte und des unverfälschten Wettbewerbs zurückkehren, sondern auch sich selbst nützen. Oie Schrittmacherrolle muß die Bundesrepublik daher im eigenen wie im europäischen Interesse übernehmen, wofür sie auf Grund ihrer Stärken auch gerüstet wäre. Für die Bundesrepublik Deutschland ist die "sanfte Revolution" des Sinnenmarktprojekts eine einmalige Chance, ihre Wirtschaft auch international auf die neunziger Jahre vorzubereiten. Die Angebots- und Anpassungspolitik in der EG setzt auf eine intensive Deregulierung von Märkten, die bisher unterschiedlichen nationalen Beschränkungen unterworfen waren. Die höhere Effizienz der privatwirtschaftliehen Aktivitäten und eine größere Entscheidungsfreiheit des Bürgers wird erkauft durch den Verlust an staatlichen Einflußmöglichkeiten. Die mikroökonomische Steuerung soll also in der Gemeinschaft weitgehend den Marktkräften überlassen und nur durch allgemeine Rahmenbedingungen eingegrenzt werden. Ein radikales und forciertes ordnungspolitisches Deregulierungskonzept, wie es sich am meisten mit den Zielvorstellungen der Thatcher-Regierung deckt, wird allerdings nicht den allgemeinen Konsens in der Gemeinschaft finden, da die Ausgangsbedingungen, Erfahrungen und ordnungspolit i schen Ziele der Mitgliedstaaten und ihre Anpassungskapazitäten noch immer voneinander abweichen. Einige der EG-Länder möchten sich einer solchen Radikalkur nicht unterwerfen, weil sie bei verminderten staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten und beschleunigter Anpassung das Auseinanderbrechen 252
ihres sozialen Gefüges fürchten. Andere sehen sich vom Konzentrationsprozeß der Wirtschaft oder von der wirtschaftlichen Dominanz währungsstarker Mitgliedsländer bedroht. Darüber hinaus ist es fraglich, ob die Mitgliedstaaten in einer anhaltenden Periode der Wachstumsschwäche oder Rezession die Aushöhlung ihres wirtschaftspolitischen Handlungsspielraums durch den Politikwettbewerb widerstandslos hinnehmen werden. Die Mitgliedstaaten haben sich bereits in der Einheitlichen Europäischen Akte mit Ausnahmeregelungen und Rückzugsmöglichkeiten gewappnet, um so gegen das Entstehen von ungleichen Risiken und Kosten bei der Vollendung des Binnenmarktes gerüstet zu sein. Der diskrete Versuch, die nationalen - und verschiedentlich nur formal bestehenden - Souveränitätsrechte durch einen verstärkten Systemwettbewerb auszuhöhlen, könnte auf energischen Widerstand stoßen. Nationale Regierungen werden dazu neigen, im Konflikt- und Krisenfall um ihr überleben zu kämpfen und daher diskretionäre Politik einzusetzen, statt den wirtschaftlichen Ablauf vereinbarten Spielregeln oder dem Druck der "anonymen" Marktkräfte zu überlassen. Der ROCkzug des Staates darf nicht notwendigerweise mit der völligen Aufgabe der staatlichen Einflußmöglichkeiten auf Gemeinschaftsebene gleichgesetzt werden. Ein Teil der wirtschaftspolitischen Kompetenzen wird von der nationalen auf die Gemeinschaftsebene OberfUhrt werden. Konsens besteht mehr oder weniger darüber, daß die Wirtschaftspolitik zusätzlich zur Handels- und Agrarpolitik zumindest in drei Bereichen teilweise "europäisiert" wird, d. h. gemeinschaftlichen Regeln und Entscheidungen folgen muß: - in der Wettbewerbspolitik, um das Entstehen von marktbeherrschenden Positionen und wettbewerbsverzerrenden Praktiken zu verhindern; in der Umweltpolitik, um in wichtigen Bereichen der Gefährdung oder Verschlechterung der Umwelt- und Lebensqualität entgegenzutreten; - in der Regionalpolitik, um das bestehende Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen in der EG abzubauen und damit 253
auch die soziale Akzeptanz bei der Durchsatzung des nenmarktes zu vergrößern.
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Eine gemeinschaftliche Regionalpolitik kann allerdings nur subsidiär den Prozeß der Annäherung fördern und sich dabei auf die Verdoppelung des Strukturfonds und die vielfältigen Anleihemechanismen stUtzen. Entscheidend für den Aufholprozeß der schwächeren Regionen und Länder wird sein, durch eine glaubhafte Wirtschaftspolitik und durch attraktive Standortbedingungen wirksame Anreize für ein hohes Wachstum und den Kapital- und Technologietransfer zu schaffen. Andererseits dürfte die Sozialpolitik noch längere Zeit weitgehend auf nationaler Ebene konzipiert und implementiert werden. Soziale Fortschritte könnten in Ländern mit hohen Sozialstandards vielleicht verlangsamt und in Ländern mit schwach ausgebauten Sozialsystemen beschleunigt werden. Es muß jedoch fraglich bleiben, ob der längerfristige Angleichungsvorgang durch gemeinschaftliche Eingriffe wesentlich beschleunigt werden kann. Auch die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik dürfte vorerst weiterhin den nationalen Regierungen vorbehalten bleiben. Angesichts der wachsenden Handels- und Marktverflechtung und der hohen Mobilität der Produktionsfaktoren könnte aber die Einsicht unter den Mitgliedstaaten zunehmen, die makroökonomische Politik enger als bisher zu koordinieren. Im Bereich der Geld- und Währungspolitik wird die Kohäsion des EWS und die erreichte Effizienz der wirtschaftspolitischen Kooperation ab Mitte 1990 mit der Herstellung der vollen Kapitalmarktmobilität auf die Probe gestellt werden. Einige Länder befürchten, daß damit die bisherige Stabilität der Wechselkurse und Finanzmärkte gefährdet wird und bestehen auf institutionellen Vorkehrungen für ein Mehr an gemeinschaftlicher Geld- und Währungspolitik. Die bisher asymmetrische Funktionsweise des EWS hat seit 1983 eine rasche Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung bewirkt. Oie Annäherung in der Wirtschaftspolitik blieb allerdings weitgehend auf den monetären Bereich beschränkt . Noch
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agiert die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten relativ autonom. Aber auf Dauer wird das Entstehen eines europäischen Finanzraums und die Glaubwürdigkeit möglichst stabiler Wechselkurse in der EG dazu führen, die Budget- und Steuerpolitik in die Koordinierungsanstrengungen mit einzubeziehen. Es ist noch nicht klar, ob dazu die kürzlich von den EG-Finanzministern verabschiedete Neufassung der Konvergenz-Richtlinie von 1974 ausreicht, die als Tei·l der 1. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) eine multilaterale Überwachung der gesamten Wirtschaftspolitik mit Hilfe des Währungsausschusses im Ministerrat vorsieht. Oie Realisierung des Binnenmarktprojekts und die Fortschritte in der 1. Stufe der WWU ab 1990 brauchen ein Mindestmaß an wirtschaftspolitischer Koordinierung, solidarischem Verhalten und gemeinschaftlichen Entscheidungen. Für die Durchführung des Binnenmarktprogramms dUrften die gegenwärtigen institutionellen Vorkehrungen u.U. ausreichen. Aber die Dynamik der Binnenmarktinitiative wird den Bedarf an Koordinierung der Wirtschaftspolitik erhöhen und die Mischung, in der Marktkräfte, Regeln und institutionelle Vorkehrungen in der Gemeinschaft dabei zusammenwirken, zugunsten letzterer verändern. Oie wachsenden Interdependenzen werden die Mitgliedsländer noch stärker zwingen, die Rückwirkungen der Politik der Nachbarländer in die Formulierung und Durchsatzung der eigenen Wirtschaftspolitik einzubeziehen. Oie Bereitschaft zu einer Ex-ante-Koordinierung der Makropolitik auf freiwilliger Basis könnte zunehmen. Oie sanfte und informelle Form der Überredung, auf die sich bisher der Abstimmungsbedarf der Stabilisierungspolitik gestützt hat, dürfte längerfristig an Grenzen stoßen. Dem erfolgreichen Vorbild eines Vorreiters ordnen sich die Partner freiwillig nur dann unter, wenn die Vorteile eindeutig ausfallen und die Konjunkturentwicklung günstig verläuft, nicht jedoch in Perioden ernsthafter Spannungen und Krisen. Wenn es um den Verzicht echter nationaler Souveränitäten, wie bei der Durchsatzung einer konvergenteren Politik der Haushaltssanierung und bei Reformen des Steuersystems, geht, wird die Koordinierungsaufgabe noch schwieriger. Zur Oberwindung von Interessengegensätzen und Konflikten bei der wirtschaftspolitischen Koordinierung wird 255
letztlich gemeinschaftlichen Institutionen, die mit echten Entscheidungskompetenzen auszustatten sind, eine größere Bedeutung zukommen müssen. Sie in krisenfreien Zeiten aufzubauen und zu erproben, entspräche der politischen Vernunft, falls man die Ziele der europäischen Einigungsbestrebungen tatsächlich ernst nimmt. Bereits das Minimum an gemeinschaftlicher Politik, wie die Wettbewerbs-, Umwelt- und Regionalpolitik und die Koordinierung der Geld- und Finanzpolitik, erfordern gemeinsame Vorstellungen über die wirtschaftspolitischen Ziele und Prioritäten, über das Tempo ihrer Durchsatzung und über die dafür einzusetzenden Instrumente. Oie für eine Abwägung der Präferenzen, Kosten und Verteilungswirkungen notwendige politisch-demokratische Struktur ist in der Gemeinschaft falls überhaupt- nur rudimentär vorhanden. Oie eigentlichen Gefahren für die Verwirklichung des Binnenmarktplans könnten also möglicherweise nicht im wirtschaftlichen Bereich, sondern in der Unterschätzung der politischen Legitimationsprobleme innerhalb der Gemeinschaft liegen. Es ist denkbar, daß erst die Defizite in der demokratischen Legitimation durch stärkere Kontroll- und Mitspracherechte des Europlisehen Parlaments ausgefüllt werden müssen, bevor die we i ttragenden Pläne zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ernsthaft angepackt werden können. Oie mikroökonomisch orientierte Binnenmarktinitiative 1992 wird Ungleichgewichte schaffen, die als Anstoß für eine engere Kooperation auf vielen anderen Ebenen wirkt. So wird die mit dem Binnenmarkt verbundene Realisierung eines europäischen Finanzmarktes schrittweise die monetäre Integration vorantreiben. Freie Kapitalmärkte könnten zu einer beschleunigten Steuerharmonisierung und zu einer Annäherung der Sozialpolitik führen. Erfolge bei den internen Deregulierungs- und Liberalis i erungsaktionen könnten auch den Abbau von externen Handelshemmnissen im Rahmen der UruguayRunde voranbringen. Gemeinsames und konvergierendes Handeln in der Wirtschaftspolitik würde vielleicht auch zu Fortschritten beim Ausbau demokratischer Kontroll- und Entscheidungsorgane führen.
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