Briefe meines Vaters [Reprint 2019 ed.] 9783111492438, 9783111126050


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German Pages 373 [384] Year 1880

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A Monsieur Edm. Grandgaignage
Lieber Charley!
London, 25. Juni 1878
London, 20. Juli 1878
London, 4. Oktober 1878
London, 16. Oktober 1878
London, 21. Oktober 1878
London, 30. Oktober 1878
London, 10. November 1878
London, 20. November 1878
London, 25. November 1878
London, 2. Dezember 1878
London, 17. December 1878
London, 2. Januar 1879
London, 12. Januar 1879
London, 21. Januar 1879
London, 3. Februar 1879
London, 15. Februar 1879
London, 25. Februar 1879
London, 2. April 1879
London, 1. Mai 1879
London, 15. Mai 1879
London, 22. Mai 1879
London, 28. Mai 1879
London, 15. Juni 1879
London, 22. September 1879
London, 10. October 1879
London, 22. October 1879
London, 2. November 1879
London, 4. December 1879
London, 12. December 1879
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 9783111492438, 9783111126050

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Griese meines Vaters.

HcrauSgegebcn

von

Ch. A. LoehniS.

London, Trübner n. Co., 57 u. 58 Ludgatc Hill.

Straßbnrg, K. I. Trübner. 1880.

A Monsieur Edm. Grandgaignage, Directeur de PInstitut Superieur de Commerce d’Anvers.

DSsirant vous t6moigner, Monsieur, ma haute reconnaissance pour tonte la bienveillance que vous m’avez montrSe,

durant mon söjour ä. l’lnstitut, j’ai demandö, L mon pere, la pennission de faire imprimer un extrait des lettres qu’il m’a

adressöes dans le courant des deux derniires ann6es. Ces lettres (dont le contenu me semble un Supplement a

notre cours normal) ont £te pour moi une source d’instruction aussi agräable qu’utile: c’est ce qui m’a fait supposer que la

Publication ne viendrait pas mal L propos, puisqu’elle permettrait ä mes camarades d’abord, puls ensuite ä. ceux qui nous

suivront d’y puiser eux-memes L leur tour.

Mon travail personnel est presque nul: je me suis hörne ä en faire un choix et un classement ngcessaires. C’est ce

travail, Monsieur le Directeur, que je vous prie d’agröer comme un gage sincere de mon estime et de ma plus haute con-

sid£ration.

Anvers, le 14 Septembre 1880.

Ch. A. Loehnis.

Lieber Charley!

Dein Wunsch, meine Zustimmung zu geben zur Veröffentlichung eines Auszugs aus ntcirfcn Briefen an Dich, sei Dir gerne gewährt.

Du willst Deinem Lehrer eine Aufmerksamkeit und zu gleicher Zeit Deinen Altersgenossen einen Dienst erweisen, indem Du glaubst, daß letztere den Inhalt der Briefe nützlich würden verwenden können. Mir widerstreben grundsätzlich alle Doppelzwccke; to kill two birds

at a shot — solches Beginnen im Sinne tragen, erregt stets meine

Bedenken, denn das Gelingen scheint mir überwiegend Sache des

Zufalls oder Glücks.

Aber ich gebe zu, cs giebt Ausnahmen; Dein

Fall mag eine solche sein, obschon mich dünkt, daß Deinem Lehrer mit möglichster Kürze, Deinen jünger» Freunden mit größerer Aus­

führlichkeit gedient wäre.

Die rechte Mitte in der Auswahl des in

Deinen Händen befindlichen Stoffes zu halten, ist also Deine Auf­

gabe: Zur Orthographie für den Druck empfehle ich Dir die neue

„deutsche Rechtschreibung für preußische Schulen" — eine Neuerung, die zwar von vielen als Verbesserung sehr zweifelhaften Wertes ver­

rufen,

von manchen ganz verworfen wird, die aber,

trotz einiger

Mängel, worunter besonders die unmotivierte Wiedereinführung des e in den zahlreichen Verben auf icrcn hervorzuheben ist, als ein

langersehnter Fortschritt begrüßt zu werden verdient.

Sich dem­

selben principiell zu widersetzen und nichts ändern wollen bis etwas Vollkommenes, allgemeiner Zustimmung Sicheres, in Vorschlag ge­

bracht, wäre reiner Pedantismus, hieße die Entwickelung aller Schrift­

sprachen verkennen und in dem Sinne der Leute handeln, die nicht ins Wasser gehen wollen, bis sie schwimmen können.

Der für die

Einführung jenes e ersonnene anekdotenhafte Grund, ein Allerhöchster

Herr habe geäußert,

er wolle sich seine „Regierung" nicht ver­

kürzen lassen, mag so lange gelten, bis ein besserer an seine Stelle tritt.

Jüngst ist an einem süddeutschen Hofe das h dem Rat wie­

der anbefohlcn worden.

So sichst Du gegenwärtig, daß, während

in der Metropole der Intelligenz auf Regierung bestanden wird und Räte ohne h keinen Anstoß erregen, südlich von der Mainlinic der Rat nur mit h erscheinen darf,

und hast hier abermals einen Be­

weis wie, auch in Deutschland, neben dem Erhabenen und Großen das Kleinliche noch immer seinen Platz findet und in die Einigkeit

störend cingrcift.

Entledige Dich nun Deiner Aufgabe mit Umsicht und Ver­ stand.

Ich empfehle Kürze und Beschränkung auf das Wesentliche

und wünsche der Erfolg möge Deinen Erwartungen entsprechen.

London, 13. Juli 1880.

Dein treuer Vater

London, 25. Juni 1878.

Du fragst nach einer guten Literaturgeschichte? Meinen Anfor­ derungen ganz zu entsprechen müßte sie in einer verständigen Auswahl aus der Gesamtheit aller schriftlichen Denkmale, in welchen die geistige Entwickelung und Bildung des Menschengeschlechts niedergelegt ist, bestehen und auf die Auffindung und Verknüpfung leitender Jdeeen ihr Hauptaugenmerk richten. Die besten der vorhandenen find immer nur Nationalliteraturen, mit vorzugSweiser Betonung des schönwiffenschastlichen Teils; sie greifen zwar in benachbarte Gebiete hinüber, ohne es sich jedoch zur Aufgabe zu machen den Gesamtentwickelungs­ gang zu schildern und so bleibt ihnen Ausgangspunkt und Ziel stets die BolkSeigentümlichkeit. Zu den empfehlenswerten dieser Art zählen für die englische Literatur: Chambers, Cyclopaedia of English Literature, 3 ed. 1876. J. D’Israeli, Cnriosities of Literature, 1791—1813. id. Amenitiee of Literature, 1841. H. Taine, faistoire de la literature anglaiee, 1863.

Für die deutsche Literatur: A. Ko Kerstein, Grundriß der deuffchen Nationalliteratur, 4. Aust. 1845—65. Julian Schmidt, Geschichte der deuffchen Literatur im 19. Jahr­ hundert, 4. Aust. 1858. ' R. F. Prutz, Die deuffche Literatur der Gegenwart, 2. Aust. 1860. H. Kurz, Geschichte der neuesten deuffchen Literatur, 1872. Für die französische Literatur M. Villemain, iltudes de literature au moyen age, au XVIII siScle et sur la litterature contemporaine, 1857.

2 Colonel Staaf, La littirature frangaise depnis la formation de la langue juaqn't noe jonre, 1871.

Mr die italienische Literatur: Emiliani-Gindici, Storia della litteratura, 2a ed. 1855.

Für die spanische Literatur:

De los Rios, Historia critica de la literatura espafiola, 1861—67. Diese Bücher find reich an Inhalt, aber es könnte Dir doch passieren,

nachdem Du sie alle gelesen,

daß Du vor lauter Bäumen den Wald

nicht sähest. Bor solcher Zeitvergeudung möchte ich Dich bewahren und

Dir behülflich sein zur Wahl

einer Lectüre,

welche Dir die Einheit

nahelegt, zu welcher sämtliche Nationalliteraturen die gebildete Mensch­ heit verknüpfen; denn es handelt sich für Dich nicht um die Darstellung

des schöngeistigen Lebens einzelner Völker, sondern um das Verständnis der gesamten Kulturentwickelung

in ihrem nachweisbaren Zusammen­

hang «ad stetigen Fortschritt.

Deine Bekanntschaft mit den alten Sprachen reicht eben hin, Dich mit Bescheidenheit einsehen zu kaffen, daß Du auS den Originalen den

Geist der griechischen und römischen Klassiker nicht herausbuchstabieren wirst. Du weißt, daß ich den Wert deS Studiums der alten Sprachen nicht unterschätze, dennoch sehe ich für Dich in dem Mangel eingehenden

Verständnisses derselben keinen unersetzlichen Verlust,

da Du Dich um

so erfolgreicher mit den neuen Sprachen beschäftigt hast und es doch nur eine beschränkte Ansicht ist,

unter dem Altertum,

der neueren Zeit entgegengesetzt werden soll,

wenn dasselbe,

immer nur ausschließlich

die hellenische und römische Welt zu verstehen. Inder, Hebräer, Perser

und Chinesen besitzen reiche Literaturen, Schätze, welche erst allmählich durch neue Forschung und Übertragung in moderne Sprachen qufge-

deckt werden, und was die Beschäftigung mit den monumentalen Pracht­ werken Ägyptens für die Aufklärung bereits geleistet hat, wird das

bevorstehende Ausgraben von Denkmälern in Kleinasien voraussichtlich

bald vermehren.

Du bist jetzt so weit die Werke der vier Völker, um die eS sich in der neuen, nachmittelalterlichen Literatur handelt,

in den Originalen

mit Nutzen zu lesen — eS ist daher an der Zeit Dich mit dem Lesens­

werten bekannt

zu machen.

Eine vernünftige Auswahl ist für Deine

Zwecke, welche die des Gebildeten nicht des Gelehrten find, die Haupt­

sache.

Ich will versuchen Dich auf den rechten Weg

will nur hinsichtlich des Gegensatzes,

zu führen

und

oder vielmehr des Unterschiedes

3 zwischen gebildet und gelehrt noch bemerken, daß das Streben nach

allgemeiner Bildung ebenso wenig ein wiffenschastliches Verfahren ausschließt, wie das Streben nach bloßer Gelehrsamkeit es erschöpft. Auch bei den Gelehrten fängt die Wissenschaft erst da an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt,

wo versucht wird die Maffe der Erfahrung

einer Bernunsterkenntnis zu unterwerfen, wo eben nach dem Zusammen­ hang geftagt wird;

denn Sondern und Verknüpfen find zwei unzer­

trennliche Berfahrungsakte ebenso unerläßlich ist es,

in jeder wissenschaftlichen Beschäftignng: man mag wollen oder nicht, aus dem Ein­

zelnen ins Ganze zu gehen, wie aus dem Ganzen inS Einzelne, und je lebendiger diese Thätigkeiten des Geistes, wie Aus- und Einatmen der Lungen,

funktionieren,

desto beffer wird die Geistesarbeit voran­

schreiten. Daher ist denn auch wissenschaftliches Verfahren stets Sache des Einzelnen. Bekanntschaft mit der Methode verbürgt nicht ihre Anwendung.

Es geht mit den Büchern gewiffermaßen wie mit den Menschen. Wohl mag eS Dir bunt vor den Augen schwimmen und wie ein Mühl­ rad im Kopf.herumgehen,

wenn Du in einer bändereichen Bibliothek

unten englischen, deutschen, franzöfischen und italienischen Schriftstellern

eine Auswahl für Deine Lectüre treffen solltest.

Deine Gefühle wür­

den wohl denen gleichen, welche Dich beschlichen, als Du zuerst dort

unter vielen Tausenden fremder Menschen Dir selbst überlasten warst. Ich empfahl Dich einigen guten Freunden und der Kreis Deiner Be­

kannten erweitert sich allmählich. Mit Büchern verhält eS sich ähnlich;

Tüchtiger Menschen Be­ kanntschaft zu machen ist nicht immer möglich, namentlich für den Wer­ nur ist die Sache noch einfacher und leichter.

denden ; ost fehlt die Gelegenheit, häufiger noch auf der einen oder der

andern Seite die Zeit, während die besten Bücher zu jeder Stunde Dir zugänglich find;

auch bietet Dir Bekanntschaft mit guten Büchern die

beste Introduktion, einen passe-partout in die gute, verständige Gesell­

schaft aller Länder, in diejenige Umgebung, in der Du den festen Stand­ punkt findest zur Beurteilung allgemeiner Verhältniffe und der Motive, welche menschliche Handlungen bestimmen.

Von der Richtigkeit dieser

Beurteilung hängt zum großen Teil der Erfolg ab in dem von Dir

erwählten Beruf. Wie Du nun in gutem Umgang neue wünschenswerte Bekannt­ schaften anknüpfft, so führt auch der Inhalt eines guten Buche- immer

zu andern belehrenden Büchern. In beiden Fällen handelt es sich um

4 die richtige Auswahl: für einen bestimmten Zweck das zweckentsprechend«, im allgemeinen stets das gute. Was ist aber ein gute- Buch? „Quand ane lecture vous elive l’esprit et qu’elle voue inspire

des sentimente nobles et courageux, ne cherchez pas nne antre regle pour juger de l’ouvrage; il est bon, et fait de main d’ouvrier.“ Dieser Ausspruch von La Brnyere reicht hin als Maßstab für diejenigen literarischen Erzeugnisse, welche unsere GefühkSbedürfnisse befriedigen; die Beurteilung deS Inhalts derjenigen, welche unsern Verstand vor­ zugsweise oder ausschließlich in Anspruch nehmen, setzt die fernere Regel, daß ein Buch nicht des Kommentars eines dritten bedürfe; denn deS Kommentators Aufgabe ist zu ergründen und darzulegen, was der Autor habe sagen wollen — schlimm für diesen, wenn dieS selbst zu thun ihm nicht gelungen ist Zweifle nicht, daß viele Schriftsteller Worte machen ohne sich selber klar zu sein, was sie dabei denken, und glaube nur, daß Dunkel nicht Merkmal der Tiefe, und Unverständlichkeit nicht Beweis höherer Ein­ sicht! Weit mehr noch wie in der Prosa herrscht die Wortklauberei in der gebundenen Rede; vielen Poeten (und leider auch manchen Ge­ lehrten) ist es ost mehr darum zu thun bewundert, als verstanden zu werden. „Faut-il monrir madame? et, si proche du terme, Votre illustre inconstance est-elle encor si ferme Que les restes «Tun feu que j’avais cru si fort Puissent dans quatre jours se promettre ma mort? heißt es in Tite et B6r6nice, und der Schauspieler, der in seiner Rolle als Domitian die Verse zu recitieren hatte, und der keinen rechten Sinn daraus zu machen wußte, frug Corneille um Erklärung. „Je ne les entends pas trop bien non plus, dit Corneille apres les avoir examines quelque tems; mais recitez-les toujours: tel qui ne les entendra pas, les admirera.“ Verliere also keine Zeit tiefsinnig zu ergründen, was undeutlich auSgedrückt ist; es verlohnt selten der Mühe und an Verständlichem ist kein Mangel. Groß ist die Zahl der Werke von denen Carlyle sagt: „Book-paper, splendent with theories, philosophiee, sensibilities — beautiful art, not only of revealing Truth, but also of so beautifully hiding from us the want of Thought.“ Auch werde ich bei meiner Wahl der Bücher für Dich diejenigen übergehen, deren Ruhm mehr auf der Form als auf dem Gehalt be-

ruht, „qui brillent par les ornements ambitieux, ne laissant dans l’oreille que de vains brnits, et dans Fesprit que des mots.u Was Du aber auch liest, vor allem strebe nach selbständigem Urteil; es wird anfangs ein sehr unreifes, oft ganz verkehrtes sein; nach und nach wirst Du es umgestalten, vervollständigen, berichtigen; mit zuneh­ mender Erfahrung wird es wachsen, sich befestigen und dann auch ganz Dein Eigentum werden, während ein auf Autorität hin angenommenes, ungeprüftes Urteil, wie ein erlernter Glaube, nur als ein geliehenes Kapital zu betrachten ist, auf dessen dauernden Besitz Du nicht rechnen kannst. „Es geziemt dem gebildeten Manne über die Gründe der Dinge nachzudenken, die Welt im Zusammenhänge sich vorzustellen und das „Futter der vererbten Meinung" zu ersetzen mit der geistigen Nahrung selbsterworbener Weisheit." Berlaß Dich darauf, daß nur die reine Einbildung behauptet, es sei Tugend oder verdienstlich, sich in seinen Meinungen und Behauptungen immer gleich zu bleiben; das ge­ ringste Nachdenken wird Dir sagen, daß es gerade des verständigen Menschen Streben und Aufgabe sein soll, seine erworbenen Begriffe von allen Dingen immer richtiger zu gestalten. Das sicherste Verfahren zur Bildung selbständiger Ansichten ist aber stets nach den Gründen zu frugen, auf denen die Ansichten an­ derer beruhen. Um in diesem Sinne Dich nützlich mit Büchern zu be­ schäftigen, bedarfft Du einer kulturhistorischen Grundlage, indem die jedesmalige Literaturentwickelung eines Volkes oder eines Zeitabschnittes auf die maßgebenden Grundlagen und Einwirkungen der jedesmaligen religiösen, staatlichen und gesellschaftlichen Zustände zurückzuführen ist, woraus sich dann zu ergeben scheint, daß hervorragende Schriftsteller, wie historische Personen nur die Träger der herrschenden Jdeeen ihrer Zeit sind, daß überhaupt die Jdeeen, weit mehr wie die Individuen, die Geschicke der einzelnen Völker und des gesamten Menschengeschlechts bestimmen, daß aber auch jeder Idee, selbst wo sie als eine übernatür­ liche Offenbarung angenommen wird, ihre meistenteils langsame Vor­ bereitung nachzuweisen ist, ehe sie im Leben zur Herrschaft gelangt. Thomas Carlyle in „Heroes, hero-worship and the heroic in history, 1840" ist anderer Ansicht; dagegen „Montesquieu, sagt Buckle, constantly enforee's the necessity even in the case of eminent men, of subordinating their special influence to the more general influence of surrounding Society. Thue many writers had ascribed the ruin of the Roman republic to the ambition of Caesar

6 and Pompey, and particnlarily to the deep »ehernes of Caesar. Iltis Montesquieu totally denied. Acpording to bis view of history no great alteration can be effected, except by virtue of a long train of antecedents, where alone we are to seek the canse of what to a superficial eye is the work of individuale.“ Diese kulturhistorische Grundlage bietet Dir das Studium der Ge­ schichte. Me bei allem was Du unternimmst, so ist auch hier die Be­ folgung eines richtigen Princips von Wichtigkeit. Das richtige Princip für die Beschäftigung mit der Geschichte bezeichnete Montaigne 1580: Je vois ordinairement que les hommes aux faits qu’on leur propose, s’amusent plus volontiere ä en chercher la raison qu'ä en

chercher la v6rit6. Ile poueeent par deeeue lee euppoeitione; maie ile examinent eirieueement lee coneiquencee; ile laiesent les ohosee et courent aux causes. Plaieants caueeurs! Ile commencent ordi­ nairement ainsi: „Comment eet-ce que cela se fait?“ — „Mais, se fait-il?“ Faudrait-il dire. Weder Voltaire als er 1740 schrieb: „L’histoire eet le ricit des faits donnis pour vraie, au contraire de la fable, qui eet le recit des faits donnis pour faux, et Fhietoire des opinions n’eet guöre que le recueil des erreure bumaines“ noch NicbuhrS Ausspruch, der zu Anfang dieses Jahrhunderts in Deutsch­ land als eine große Umwälzung in dem üblichen Verfahren angesehen wurde: .Man muß die Geschichte als etwas Geschehenes betrachten" sagen etwas Anderes als Montaigne, und willst Du weiter zurück­ gehen, so findest Du, daß schon Aristoteles Historie „eine Erzählung des Erforschten und wirklich Wahrgenommenen" nannte. Du fragst nach dem Nutzen, welcher Dir aus der Kenntnis der Geschichte erwächst? Er besteht in der erweiterten Weltanschauung, die Du aus dem Studium der Geschichte entnimmst, in der Belehrung die Du über Deine Stellung zum Ganzen und über die höhere Bedeutung des Daseins erhältst, in der Sicherheit des Blicks und Urteils in menschlichen Angelegenheiten und in der Hinweisung auf die int Ganzen der Weltschicksale überall sichtbare Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit. Das Studium der Geschichte wird Dir die Ueberzeugung befestigen, daß die menschliche Entwickelung sich trotz aller Hemmungen und Abbeugungen, stetig in einer Richtung und nach innewohnenden Gesetzen bewegt. „Mir selbst, schreibt Gervinus (Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts), hat die Gewöhnung an die geschichtliche Betrachtung der Welt manche heißblütige Erwartungen, die andere bewegten, früh-

7 zeitig abgeschnitten und dadurch manche Täuschungen erspart; Trost und Aufrichtung hat fie mir nie versagt.

Die ungeduldigen Hoffnungen auf

rasche Erfolge lernt man zwar bei dieser Betrachtungsweise bald ab­ legen, aber man lernt auch die eitle Freude der herrschenden Parteien

an augenblicklichen Vortheilen mitleidig belächeln, man lernt zeitig deu Glauben aufgeben, daß die Dinge der Welt nach den Grillen der Ein­ zelnen liefen und nach ihrer Willkür gestaltet würden;

denn man ge­

wöhnt sich bei jener Betrachtung bald selbst in der kleinen Spanne der

nächsten Zeitgeschichte die riesige Bewegung des Jahrhunderts heraus­ zufühlen

uut)

die gewaltigen Züge,

nicht herauszubuchstabiren im

in denen die Vorsehung schreibt,

Einzelnen,

sondern zu überlesen

im

Ganzen!" Die Befähigung hierzu will aber erlernt, erworben, erarbeitet sein.

Das dauerhafteste Bauwerk ist die Pyramide — also eine breite Basis. Machtz Dich daher mit dem Boden bekannt, deren einzelne

literaturen wurzeln,

in welchem die National­

klassische und andere Werke dann

nur als Früchte, Blüten, Blätter eines großen vielverzweigten Stam­ mes erscheinen.

Gustav Klemm, Allgemeine Culturgeschichte, 1843—52 mag Dir den Boden ebnen. Klemm vertritt entgegen der Ansicht Blu­

menbachs, der das Menschengeschlecht in fünf Raffen oder Varietäten teilt: 1) die äthiopische oder schwarze (Neger); 2) die malayische oder

braune (Malayen, Polynesier und Australier); 3), die mongolische oder

gelbe (die Hauptbevölkerung Asiens

4) die amerikanische

oder

und

die Eskimos Nordamerikas);

rote (die Ureinwohner Amerikas);

5) die

kaukasische oder weiße (Europäer, Nordafrikaner und Südwest-Asiaten), die Ansicht, daß die

ganze

große Menschheit

ein Wesen sei wie der

Mensch selbst, geschieden in zwei zusammengehörige Hälften, eine aktive

und eine passive, eine männliche und eine weibliche.

allerdings, sagt er,

„Man wird mir

die durch Blumenbach, Prichard u. a. aufge­

stellten Klassifikationen entgegenhalten; ich bemerke aber, daß ich z. B. einen Unterschied

zwischen dem Mongolen und dem Neger keineswegs

leugne, ebensowenig als den des Malayen und Amerikaners, deS Papua

und

des

Eskimo.

den wesentlichsten

Alle, diese gefärbten Raffen haben aber eine jede Unterschied

vom

Kaukasier

oder

Menschen, und eine wesentliche Aehnlichkeit unter sich,

meinem

activen

nämlich die ge­

färbte Haut, die Schädelform, vor allem aber die Passivität des Geistes.

„Die Geschichte aller dieser Nationen bietet dieselben Erscheinungen

8 dar; wir finden passive Rationen über alle Theile der Erde verbreitet,

ebenso wie wir die grüne Vegetation finden nnd es scheint, daß die

pasfive Raffe noch vor der activen auf der Erde erschienen sei.

Die

activen dagegen finden wir in Afrika und Amerika z. B. nicht als ein­

der Sage als

geboren, sondern von

eingewandert bezeichnet.

Europa hätte eine solche pasfive Urbevölkerung,

Auch

deren Ueberreste fich

noch hier und da unter dem Landvolke nachweisen lassen. In den nach Norden zurückgedrängten Finnen, in den Bretons, den Iren und viel­

leicht den Slaven dürsten Reste der pasfiven Urvölker fich nachweisen

lassen, welche von den

a«S Asien gekommenen griechischen und germa­

nischen Heldenscharen unterjocht wurden.

Wir

finden überall auf Er­

den daS pasfive Urvolk in seinen Sitzen gern verharrend, ohne Streben in die Ferne, gewiffermaßen ans Klima gebunden und daher auch dem

Einfluß deffelben mehr unterworfen, in großer Anzahl beisammen;

eS

lebt harmlos und friedfertig unter dem Einfluß von Schamanen, be­ herrscht von den Oberhäuptern, die entweder dem Schooße des Volkes

selbst als Aelteste, Reichste, Weise entsprossen oder als fremde Eroberer hereingekommen waren.

„Die passiven Völker entwickeln

sich

allerdings schneller, als die

activen, etwa wie auch die Mädchen bei weitem eher fich herausbilden

als die Knaben.

Die pasfiven Völker machen schon stüh Beobachtungen

und Erfindungen, längst

vor den

activen;

allein sie waren mit dem

ersten Resultate zustieden; auS Furcht dasselbe zu verlieren, oder auS

Achtung gegen die ersten Erfinder gingen sie nicht weiter. Daher treffen wir bei den Aeghptern, den Chinesen,

Chemie, Medicin, uralter Zeit;

geblieben.

aber

Schießpulver,

Porcellan

und Schristdruck schon in

alle diese Kenntniffe find auf den untern Stufen

Ueberaus

bemerkenswerth ist namentlich

daß wir bei den passiven Nationen

finden.

den Hindu Astronomie, Nautik,

Die FelSinschristen

die Erscheinung,

schon stüh eine Art von Schrift

von Neuholland, Brasilien, Sibirien, die

Schristknoten der Radankinsulaner, Urjapaner und Reger, die Hierogly­

phen der Mexikaner und Aegypter, die Silbenschrift der Chinesen und

Japaner, der Tibetaner und Mongolen find schon auf stüher Stufe der Cultur entstanden, allein eine Fortbildung zur Buchstabenschrift fand

erst dann statt, als die acttven Nationen, Perser, Araber, Griechen und Germanen die Schrift annahmen.

Jene Hieroglyphen und Silben­

schriften haben etwas stabiles in sich, sie dienen nur dazu, daS einmal

erworbene geistige Eigenthum festzuhalten;

allein nur die Buchstaben-

9

schrist ist das Werkzeug, womit der Mensch rasch und sicher seine gei­ stigen Operationen befördern kann. Daher finden wir auch bei den passiven Nationen eine geistige Trägheit, eine Scheu vor dem Forschen, Denken, vor dem geistigen Fortschritt. Die passiven Nationen haben Gesetze, aber kein natürliches Recht, sie haben eine Seelenkunde aber keine Philosophie, sie haben Heilmittel und Kenntniß des menschlichen Körpers, dennoch aber keine Medicin, mit einem Wort, eine eigentliche lebendige Wissenschaft fehlt ihnen; der Schüler lernt fleißig, was der Lehrer ihm vorträgt, er behält und bewahrt die erlernte Weisheit gar sorgfältig, allein sie weiter zu bringen, d. h. sie genauer zu untersuchen, ihre Mängel zu verbessern, das wird er nicht wagen, ans Ehrfurcht vor dem Alten; er wird sie seinen Schülern genau so vortragen, wie sie ihm überliefert worden ist von seinem Lehrer. Er betrachtet sich als das Gefäß, nicht als den Quell der Weisheit. „Ebenso mangelt auch jenen passiven Nationen eine eigentliche freie Kunst. Sie schaffen nicht, sie ahmen nach, sie gehen in gewohntem Gleise fort, in Wiffenschast und Kunst, wie im Privatleben und im öf­ fentlichen. Sie behalten ihre Staatsform, welche die des Familien­ kreises wiederholt, sie behalten ihre alte Religion unwandelbar so lange, bis ein Eroberer ihnen eine andere aufzwingt, der sie dann abermals mit unwandelbarer Treue ergeben sind, bis äußere Umstände sie davon losreißen. So waren die Mongolen bis auf Dschingiskhan eifrige Schamanen, von da an find sie gute Buddhisten geblieben. So wurde den passiven Völkern Indiens nach und nach der Buddhismus, die Brahmanenlehre, der Islam aufgezwungen." Ich gebe Dir auch noch zu den Grundlagen gehörig: Sir John Lubbock, The Origin of Civilisation and the pri­ mitive condition of man, 1875. Mach es Dir zur Regel Geschichte und Geographie zu verbinden — nicht nur auf das was und wann und wie darfft Du Dich beschrän­ ken ohne nach dem wo, nach einer klaren Vorstellung der örtlichen so­ wohl als der sachlichen und zeitlichen Verhältniffe zu fragen. Für das Altertum hast Du treffliche englische Schulatlasse, darunter den von A. Keith Johnston, Atlas of Classical Geography, 1870; für das Mittelalter und die neue Zeit die jetzt erscheinende 3. Auflage von K. von Spruner's Handatlas für die Geschichte, bearbeitet von Th. Menke. Ausführliches über die allgemeine Geschichte der beiden Raffen,

10 in welche Klemm die Menschheit teilt, in

F. Laurent, Stüdes sur Vhistoire de Vhumanitä. 5me äd., 1868.

L’objet de mes ätudes, sagt Laurent, est de suivre les progris du genre humain vers l’unitä. Mes Stüdes sont k certains ägards, une philosophie de Vhistoire, puisque j’expose les raisons des choses. Ceci est une mauvaise recommendation aux yeux de hien de lecteurs et mSme d’äminents esprits. Les considärations gänärales sur l’histoire ont perdu de leur crädit. II est vrai qu’elles ont un äcueil, c’est d’imposer un systäme* präcongu aux faits, qu’au lieu de eher* eher dans les faits les lois qui les rägissent. Une äeole cäläbre ohez nos voisins d’Allemagne a singuliärement abusä du priviläge de la philosophie, et l’exces a produit, comme cela arrive toujours, un excäs contraire. II se trouva qu’elle n’ätait pas ä la hauteur de son ambition; par suite, Ton prit les späculations philosophiques en dägoüt. La räaetion en est venu au point qu’un matärialisme plus ou moins grossier est enseignä lk oü regnaient jadis Kant et Hegel. L’histoire du monde n’est apräs tout que Vhistoire du däveloppement de la pensäe. II y a donc des lois qui dominent les faits historiques, comme il y a des lois qui expliquent les faits de la nature. Dira-t-on que le naturaliste doit se borner k consigner ses observations sur les faits particuliers? lui interdira-t*on de s’älever k des lois gänärales? II serait tout aussi däraisonable de räduire Vhistorien ä scruter les faits, sans lui permettre de chercher les lois qui präsident ä leur manifestation. Ce serait faire de Vhistoire un recueil d’antiquitäs, avec cette diifärence qu’un cabinet de curiositäs intäresse par lui-meme, tandis que les faits historiques präsenten! le spectacle le plus däsolant, quand on ne les äclaire point par des lois gänärales. Le comte De Maistre dit que Vhistoire du genre humain ressemble k un immense champ de carnage. L’on pourrait ajouter que Vhistoire du droit des gens est un tissu de fraudes et de mensonges. Ainsi des bourreaux et des victimes, des fripons et des dupes, voilä la räalitä k laquelle on voudrait rabaisser les annales de Vhumanitä I Je proteste de toutes mes forces contre cette dägradante Conception. Quand mes ätudes n’auraient d’autre märite que de montrer k chaque page au lecteur que le monde n’est pas abandonnä k la force ni k la ruse, qu’il y a un gouvemement pro* videntiel des choses humaines, je crois que je n’aurais pas passä ma vie en vain dans le rüde labeur auquel je me suis vouä.

11

L’humanite ressemble en certain sen6 aux vieillarde, qni regrettent leur enfance ou leur jeunesse, parce que les infirmitis qni les accablent leur fönt illusion enr le bonheur dont ile ont joui dans leur jeune age. Le dogme du progres noue guirit de cee prijugie. C’eet aeulement quand l’histoire a’inapire de cette croyance, qu elle appreciera avec jnatice le paaa6 de l’humanite ainai que le präsent. II y a un progrSa individuel, il y a un progres social, maia le progris n’eat autre chose que le d6veloppement de noa facultas. Le but n’eat pas le bonheur — ni la b6atitude iternelle des Chretiens, ni le bonheur terreatre des philosophes — mais le progres meine c.-ä-d. le developpement de nos facultas physiques, intellectuelles et morales. Befreunde Dich mit diesem Buche. „Laurent, sagt Bluntschli,

ist im eminenten Sinn ein philosophischer Geschichtsschreiber, -bie äußern Ereignisse haben für ihn nur insofern ein Interesse, als in ihnen Ideen

sichtbar werden.

Sein

auf die Offenbarung

Standpunkt ist ein religiöser insofern, als er

der

göttlichen Weltbestimmung in der Geschichte

aufmerkt, nicht in dem Sinne, daß er irgend einer Offenbarungsreligion

folgt; er

ist aber vorzugsweise ein wissenschaftlich-menschlicher, indem

er alle Ideen nach ihrem Wahrheitsgehalte und nach ihrer Wirkung auf die Verbesserung der menschlichen Zustände bemißt.

Er steht auf

einer der Bergeshöhen, von welchen der Mensch entzückende Aussichten

genießt über den Reichthum menschlicher Geistesarbeit, und die locken­

den Ziele der menschlichen Gesittung in der Ferne zu schauen glaubt." Inder, Ägypter, Chinesen und Perser — jedes dieser vier Völker spielt seine Rolle in

der Entwickelung der Menschheit, aber ihre Ge­

schichten liegen für uns noch im Nebel; drei spätere haben auf unsere

Civilisation unmittelbaren Einfluß geübt und wenn auch hier noch wei­ tere Aufklärung nötig ist,

so geben doch folgende drei Werke über die

Israeliten, die Griechen und die Römer Dir anschauliche Bilder, denn in der Zeichnung ist auch auf Perspective Rücksicht genommen,

deren

Vernachlässigung frühere Schilderungen so ost entstellt:

H. G. A. v. Ewald, Geschichte des Volkes Israel. 3. Ausl., 1864/68.

George Grote, History of Greece, 1846. B. G. Niebuhr, Römische Geschichte, 1811/32. Die folgenschwersten Ereignisse, welche hierin Deine Aufmerksamkeit er­

regen,

find

der Untergang

des römischen Reichs und die gleichzeitig

rasche Verbreitung des Christentums. Es schließt sich daher paffend an:

12 E. Gibbon, History of the decline and fall of the Roman Empire. Bon 1776—178Ö geschrieben heißt es darin bezüglich der Verbreitung

deS Christentums:

The enquiry into the progress and e.stablishment of Christianity iß attended with two peculiar difficulties: the ecanty and suspiciouti materiale of eccleeiaetical history seldom enable us to dispel the dark cloud that hange over the first age of the church. The great law of impartiality too osten obliges us to reveal the imperfections of the uninspired teachers and believers of the gospel; and, to a carelesß observer, their faulte may eeem to cast a shade on the faith which they professed. But the scandal of the pious Christian, and the fallacious triumph of the Infidel, should cease as soon as they recolleot not only by whom, but likewise to whom the Divine Re­ velation was given. The theologian may indulge in the pleasing task of describing Religion as the descended from Heaven, arrayed in her native purity. A more melancholy duty is imposed on the historian. He must discover the inevitable mixture of error and corruption, which ehe contracted in a long residence upon earth, among a weak and degenerate race of beings. Our curiosity is naturally prompted to enquire by what means the Christian faith obtaincd so remarkable a victory over the established religions of the earth. To this enquiry an obvious but satisfactory answer may be returned: that it was owing to the convincing evidence of the doctrine itself, and to the ruling providence of its great author. But as truth and reason seldom find so favorable a reception in the world, and as the wisdom of Providence frequently condescends to use the passions of the human heart, and the general circumstances of mankind, as Instruments to execute its purpose; we may still be permitted, though with becoming Submis­ sion, to ask, not indeed what were the first, but what were the secondary causes of the rapid growth of the Christian Church. Dieser Auszug soll Dich veranlassen bald lesen.

Je

im Originale weiterzu­

mehr Du Dich mit Gibbon beschäftigt hast,

um so mehr

wirst Du Th. Mommsen, Römische Geschichte.

5. Ausl. 1868

schätzen, und nicht bereuen an der Hand des deutschen Geschichtsforschers einen Teil der Gegend noch einmal zu bereisen, durch welche der eng­ lische Dein Cicerone gewesen.

Mommsen schrieb 80 Jahre nach Gib-

13 hon, schöpfte aus reichern Quellen und schließt vieles noch enger an­ einander.

Es giebt auch heute noch Leute die über den Standpunkt von Bossuet nicht hinausgekommen find: ei p6n6tr6 de la pens6e que l’antiquiti n’a eu d’autre raison d’etre que de prSparer la voie au Christ, qu’il absorbe tonte Fhistoire ancienne dans celle des Juifs. Tont est rapportS au peuple de Dien; les antres nations ne figurent que comme instruments de la Providence; lenr röle se borne ä etablir Fnfiit6 materielle du monde ancien, afin de faciliter la pr6dication de l’tivangile. Dagegen findest Du in den Bildern, welche Ewald und Mommsen entwerfen, das anserwählte Volk Jehovahs nicht mehr herausgerissen aus dem gemeinsamen Kulturverbande, son­ dern als Einzelglied — als ein Zweig des großen semitischen Stammes, der anfänglich in zwei Hauptäste: Nordsemiten (Mesopotamier, Aramäer und die Bewohner Palästinas) und Südsemiten (Araber) geteilt er­ scheint — eingefügt der Kette von Nationen, welche ursprünglich in viele Bölkerstämme geteilt, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Raffen angehörig das Mittelmeer umschloß und historisch ein Ganzes ausmachte. In Herders Jdeeen zur Philosophie der Geschichte der Mensch­ heit, 1874, und in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität, 1793 bis 1797, findest Du eine Fülle von Gedanken; und in Macaul ay’s Essay on History, 1828, gute Anleitung zur Beurteilung der alten Historiker und zur Wahl moderner Geschichtsschreiber für Deine Fort­ bildung. Daß diese unter den zahlreichen vorhandenen Werken mit großer Umsicht zu treffen ist, oder vielmehr, daß alle diese Werke mit großer Umsicht zu benutzen find, geht aus Macaulay’s eigener An­ sicht über Geschichtschreibung hervor: We are acquainted with no history which approaches to onr notion of what a history ought to be — with no history which does not widely depart, either on the right hand or the lest, from the exact line. The cause may easily be assigned. This province of literature is a debatable land. It lies on the confines of two distinct territories. It is nnder the Jurisdiction of two hostile powers; and, like other districts similarly situated, it is ill defined, ill cultivated, and ill regulated. Instead of being equally shared between its two rulers, the Reason and the Imagination, it falls alternately nnder

14 the sole and absolute dominion of each. It is sometimes fiotion. It is sometimes theory. Hißtory, it bas been said, is philosophy teaching by examples. Unhappily, what the philosophy gains in soundness and depth the examples generally lose in vividness. A perfect historian must possess an Imagination sufficiently powerful to make bis narrative affecting and picturesque. Yet he must control it so absolutely as to Content himself with the materiale which he finde, and to refrain from supplying defioienoies by additione of bis own. He* must be a profound and ingenious reasoner. Yet he must possess sufficient self-command to abstain from Casting bis facts in the mould of his hypothesis. Those who can justly estimate these almost insuperable difficulties will not think it stränge that every writer should have failed, either in the narrative or in the speculative department of history. As the history of States is generally written, the greatest and most momentous revolutions seem to come upon them like super­ natural inflictions, without warning or cause. But the fact is, that such revolutions are almost always the consequences of moral changes, which have gradually passed on the mass of the Community, ^id which ordinarily proceed far before their progress is indicated by any public measure. An intime knowledge of the domestic his­ tory of nations is therefore absolutely necessary to the prognosis of political events. A narrative, defective in this respect, is as useless as a medical treatise which should pass by all the Symptoms attendant on the early stage of a disease and mention only what occurs when the patient is beyond the reach of remedies.

London, 20. Juli 1878. Des allgemeinen Wissens, für welches die Dir gesandten Bücher

gute Quellen find, bedarfst Du, um Dir ein Bild von dem Kulturzu­

stande vor dem Entstehen der Nationalliteraturen im 14. Jahrhundert zu machen; denn ohne mit dem Geiste jener Zeit vertraut zu sein, wird

Dir das Verständnis der Schriften und des Wirkens mancher Autoren

verschlossen und namentlich unerklärlich bleiben, weshalb gewisse, und

von sehr produktiven Schriftstellern oft nur vereinzelte Werke fich der Nachwelt erhalten haben, weshalb vieles, was zur Zeit des Entstehens Auffehen erregte, gegenwärtig wenig gelesen oder ganz, wenn auch nicht

immer verdientermaßen, in Vergeffenheit geraten ist.

Die Gedanken,

welche die Menschen in einem gewiffen Zeitabschnitt der Geschichte be­ wegen, geben fich überhaupt nur unvollkomnien in dem klassischen Teil

der Literatur kund, weil es den größte» Männern aller Zeiten eigen ist, daß sie die Gegensätze ihrer Epoche in sich zu einer Versöhnung gebracht haben, und je der größte der Schriftsteller zeigt ost in seinen

Werken die geringsten Spuren der Kämpfe, welche die Maffe zu seiner Zeit bewegten und welche auch er in irgend einer Form durchlebte. Die Geschichte erschließt Dir aber den Geist eines Zeitalters, und je

mehr Du in denselben eindringst und an der Voraussetzung festhälfft,

daß eS für daS Verständnis des Zusammenhanges großer Ereigniffe unerläßlich ist zu den Ursachen aufzusteigen, welche dieselben allmählich

vorbereitet haben, um so besser wirst Du imstande sein Dir ein selbst­

ständiges Urteil über den Wert der einzelnen Schriftwerke meiner Wahl fär Dich zu bilden, um |o sicherer wirst Du später selbst die geeignete

Auswahl der Lektüre zu Deiner Fortbildung treffen: nur darfft Du bei

Beurteilung vergangener Zeiten und der ihnen angehörigen Bücher nicht beständig den Maßstab unserer Zeit und des gegenwärtigen wiffenschast-

lichen Standpunktes anlegen. — Ich gebe Dir auch noch: A. v. Humboldt's KoSmos, 1844—1858, vom Verfasser selbst als Versuch bezeichnet, die Natur lebendig und in ihrer erhabenen

16 Grüße zu schildern,

in dem wellenartig wiederkehreaden Wechsel phy­

sischer Veränderlichkeit daS Beharrliche anfzuspüren, mehr wirkend durch das waS er anregt, als durch daS was er zu geben vermag. „Wer die Resultate der Naturforschung nicht in ihrem Verhältniß

zu einzelnen Stufen

der Bildung oder zu

nissen des geselligen LebenS,

den individuellen Bedürf­

sondern in ihrer großen Beziehung auf

die gesammte Menschheit betrachtet, dem bietet sich, als die erfreulichste Frucht dieser Forschung, der. Gewinn dar, durch Einsicht in den Zusam-

menhaog der Erscheinungen den Genuß der Natur vermehrt und ver­ Eine solche Veredlung ist aber daS Werk der Beobach­

edelt zu sehen.

der Zeit,

tung, der Intelligenz und

Geisteskräfte sich

reflektiern.

geschlecht dahin gearbeitet hat,

in welcher alle Richtungen der

Wie seit Jahrtausenden das Menschen­

in

dem ewig wiederkehrenden Wechsel

der Weltgestaltungen daS Beharrliche des

Gesetzes aufzufinden und so

allmälig durch die Macht der Intelligenz den weiten Erdkreis zu erobern,

welcher den uralten Stamm unseres Wissens

lehrt die Geschichte den,

durch die tiefen Schichten der Vorzeit bis zu seinen Wurzeln zu ver­

folgen weiß.

Diese Vorzeit befragen, heißt dem geheimnißvollen Gange

nachspüren, auf welchem dasselbe Bild, das früher dem innern Sinn als ein harmonisch geordnetes Ganze, Kosmos, vorschwebte, sich znletzt wie daS Ergebniß langer, mühevoll gesammelter Erfahrungen dar­

stellt. Die Geschichte hat uns die vielfach gewagten Versuche aufbewahrt,

die Welt der physischen Erscheinungen

in ihrer Vielheit zu begreifen,

eine einige, das ganze Universum

durchdringende,

schende Weltkraft zu erkennen.

Diese Versuche steigen in der klas­

bewegende,

sischen Vorzeit zu den Physiologien und Urstoff-Lehren

entmi­

der ionischen

Schule hinauf, wo bei wenig ausgedehnter Empirie, bei einem dürftigen

Material von Thatsachen,

das

ideele Bestreben, die Naturerklärungen

auS reiner Vernunsterkenntniß, vorherrschten.

einer glänzenden Erweiterung

Je mehr aber während

aller Naturwissenschaften daS Material

des sicheren empirischen Wissens anwuchs, desto mehr erkaltete allmälig der Trieb, daS Wesen

der Erscheinungen und

ihre Einheit,, als ein

Naturganzes, durch Konstruktion der Begriffe aus der Bernunsterkenntniß abzuleiten.

Mißbrauch oder irrige Richtung der Geistesarbeit, die

stets beginnt sobald, von innerer Nothwendigkeit getrieben, daS Denke»

den Stoff sinnlicher Wahrnehmungen aufnimmt, müssen der, die Intelligenz entehrenden Ansicht führen,

aber nicht zu

als sei die Gedanken­

welt, ihrer Natur nach, die Region phantastischer Truggebilde; als sei

17 der so viele Jahrhunderte hindurch gesammelte überreiche Schatz empi­ rischer Anschauung von der Philosophie, wie von einer feindlichen Macht,

bedroht. Es geziemt nicht dem Geiste unserer Zeit, jede Verallgemei­ nerung der Begriffe, jeden, auf Jnduction und Analogien gegründeten

Versuch, tiefer in die Verkettung der Natur-Erscheinungen einzudringen, als bodenlose Hypothese zu verwerfen, und unter den edlen Anlagen, mit denen die Natur den Menschen ausgestattet hat, bald die nach einem

Causal-Zusammenhang grübelnde Vernunft, bald die regsame, zu allem Entdecken und Schaffen notwendige und anregende Einbildungskraft zu

verdammen. Wie bei der Darstellung des Geschehenen in der moralischen und politischen Sphäre der Geschichtsforscher nach

menschlicher Ansicht

den Plan der Weltregierung nicht unmittelbar erspähen, an den Ideen erahnen kann,

sondern

nur

durch die sie sich offenbaren, so durch­

dringt auch den Naturforscher bei der Darstellung der kosmischen Ver­

hältnisse ein inniges Bewußtsein, daß die Zahl der welttreibenden, der gestaltenden und schaffenden Kräfte keineswegs durch das erschöpft ist,

was sich bisher aus der unmittelbaren Beobachtung und Zergliederung

der Erscheinungen ergeben hat". In demselben Sinne sagt Hausrath:

„es ist ein Vorurteil zu

meinen, nur Verstand und Empirie seien die Quellen der Wahrheit und in der Welt des Geistes sei nur das vorhanden, was begriffsmäßig zum

Ausdruck kommt.

Es ist ebenso verkehrt,

den Inhalt eines geistigen

Lebens herunterzusetzen, weil er sich in der Form einer Vision darstellt,

als es verkehrt ist, aus gleichem Grunde ihm einen specifischen Offen­ barungswerth halten

beizulegen.

Es gibt Visionen die mehr Wahrheit ent­

als die klarsten Demonstrationen" — aber ohne Verstand und

Erfahrung wirst Du den Gehalt jener Quellen nie richtig zu schätzen vermögen. Vergegenwärtigst Du Dir nun,

wie das Mittelatter den Einfluß

des klassischen Altertums bis auf vereinzelte schwache Erinnerungen aus­ getilgt hatte, so wirst Du verstehen, welche Bedeutung der Scholastik

zuzuschreiben ist : in ihr fanden sich die Grundansichten der mittelalter­ lichen Welt zusammen und die Scholastiker sind daher die Philosophen des Mittelalters, die nach der Barbarei des 6. bis 8. Jahrhunderts Vertreter einer erneuerten wiffenschastlichen Kultur und dadurch mittel­ bar philosophischer Bestrebungen wurden.

diese Bestrebungen in den Universitäten,

Ihren Mittelpuntt fanden

deren Ursprung

in jene Zeit

fällt, denn ihre Gründung reicht bis zu Anfang des 11. Jahrhunderts

18 in die vorbereitende Periode der scholastischen Richtung hinauf.

Der

wesentliche Grundcharakter dieser Richtung ist die Beschränkung der philosophischen Untersuchung auf die Theologie, denn die unterscheidende Geistesmacht jener Zeit war die Religion und damals, in ganz anderer

Weise als jetzt, war

das ganze ideale Streben der Christenheit von

Verachtung der Welt war christ­ liche Tugend ; die Flucht ins Kloster der Weg zu höherer Vollkommen­ heit; die Kleriker waren erhaben über die Laien und der Staat war der irdischen Welt abgewendet:

vornehmlich die Gemeinschaft der Laien. als das Reich des Geistes,

betrachtet.

Die Kirche wurde demnach

der Staat nur als das Reich deS Leibes

Der das geistige Leben des Mittelalters charakterisirende

Heißhunger nach Autorität war hiermit eng verbunden; er nahm die verschiedenartigsten Dinge gläubig auf und ohne zu bemerken, daß sie sich widersprachen:

das mosaische Gesetz und die christliche Dogmatik,

hellenische Philosophie und römische Jurisprudenz,

die Dekrete der

Päpste und die Rechtsgewohnheiten der germanischen Völker vertrugen sich alle miteinander in einer wunderbaren Harmonie — denn es gab damals keine historische Kritik,

welche die Zeitalter unterschied, und

keine logische Kritik, welche den Widerstreit der Principien aufzudecken

vermochte.

Die Wissenschaft war vorzngsweise das Vorrecht der Geistlichkeit

und auf allen Gebieten herrschte die Tradition,

die Autorität, so weit

sie bei dem bruchstückweisen Wissen jener Zeit eben reichte:

für die

Kirche weit mehr die Väter als die heiligen Schriften; für den Staat das Corpus Juris romani; für die Wissenschaften Aristoteles und zwar in meist durch arabische Übersetzungen, in mittelalterliches Latein,

vermittelten Überlieferungen vereinzelter Teile seiner Werke — haupt­ sächlich seiner Philosophie — oft mißverstanden, und je dunkler um so

mehr vergöttert. Mit dem-Tode des Claudius Ptolomaeus in der ersten Hälfte

des 2. Jahrhunderts n. Chr., deS letzten großen Astronomen deS Alter­ tums, war mit der politischen auch die wiflenschastliche Nacht ange­ brochen, in welcher sich die europäische Christenheit entwickelte, der Art, daß im 8. Jahrhundert die Erde wieder flach, und die Lehre von den Anttpoden kirchlich verdammt wurde. Erklärte doch Fredegius, ein Mönch und Gelehrter, der Karl d. Gr. mit einer theologischen Epistel:

„de nihilo et tenebris“ beehrte, das Nichts, aus welchem Gott die Welt geschaffen, für ein existirendes Ding und zwar aus dem höchst

19 einfachen Grunde, weil (nach Aristoteles) jedes Wort sich auf eine Sache bezieht!

So war das ganze Zeitalter beherrscht vom Wort,

vom Gedankending und von völliger Unklarheit über die Bedeutung der sinnlich gegebenen Erscheinungen, welche wie Traumbilder an dem wundergewohnten Sinne der spekulierenden Kleriker vorübergingen, die

mit Citaten aus Aristoteles nur den Mangel eigener Urteilskraft zu

ersetzen suchten. In dem Halbdunkel, in dem allein es damals dem denkenden Geiste zu forschen erlaubt war, traten die Gegensätze nicht

klar heraus und erst im 11. Jahrhundert wurde für die ganze Kultur­

entwickelung und namentlich

für die Ausbildung der Philosophie daS

Entstehen von Universitäten in Italien, Wichtigkeit, jener Bildungsanstalten,

Frankreich und England von

von denen die meisten jetzt noch,

in veränderter Form, fortblühen. Jene ersten Universitäten waren sich selbst regierende Korporationen

von Lehrern und Schülern, deren genossenschaftlicher Charakter der historische Grund für den allgemeinen Gebrauch des Wortes universitas ist.

Mit den hohen Schulen der alten Griechen

stehen sie in keinem

ununterbrochenen historischen Zusammenhänge, und bei den vorklassischen Kulturvölkern, den Ägyptern, Indern, Persern, Chinesen hatten die höhern Schulen nur sehr geringe Ähnlichkeit mit ihnen, Jünglinge aus allen Ständen wurden da herangezogen,

denn nicht

um das

er­

worbene Wissen mittelbar und unmittelbar im ganzen Volke zu ver­

breiten, sondern es handelte sich bei den alten Völkern meist um An­

stalten zur Befestigung der Macht einer herrschenden Kaste.

Eine ge­

heime Wissenschaft wurde bei ihnen gehegt und gepflegt und nur wenig ist davon auf die Nachwelt gekommen.

Die hohen Schulen der Hellenen bieten schon mehr Analogien mit den Universitäten des Mittelalters.

Schon in ihrem Ausgangspuntte

sind sie den ersten derselben ähnlich, indem hier wie dort die Schulen

dadurch entstanden, daß einzelne große Gelehrte Schüler aus allen Län­

dern um sich versammelten und

an sich fesselten.

Es waren dies die

Philosophen, die in den griechischen Republiken und Kolonien berühmte

Schulen gründeten.

Unter ihnen war Pythagoras um 580 v. Chr.

aus Samos der berühmteste, dessen Schule lange Zeit in den Städten Großgriechenlands blühte. Aus späterer Zeit sind Dir die von Platon

427—347 gestifteten Akademien und die Schule des Aristoteles

384—322 bekannt. Gelehrt wurde hier die prakttsche Philosophie, die Summe alles Wiffens, welche sich ja damals bei einem einzigen Manne

20 vereinigt denken ließ; und zwar mit vorwiegender Mckficht auf das staatliche Leben.

So wnrden diese freien philosophischen Schulen der

Hellenen, wenn auch unabhängig vom Staate entstanden und ohne be­

sondere staatliche Stellung, doch von großem politischen Einfluß, denn

für den Griechen waren zu jener Zeit Ethik und Politik ein und die­

selbe Sache,

der Einzelne hatte keine Pflichten für sich,

sondern

nur

für den Staat, dem er alles verdankte und dem er ganz sich hingab. Dies änderte sich in der makedonischen und römischen Zeit, nach­

dem der platonische Dualismus sich verbreitet hatte, in doppelter Hin­ Es waren nicht mehr einzelne Weise,

sicht.

Schar wißbegieriger Jünglinge beherrschte, verschiedene Fächer, Grammattk,

allein

eine

Rhetorik, Theologie u. s. w. wirken

Zugleich waren sie vom Staate besoldet,

nebeneinander. beamte.

deren Geist

sondern eigene Lehrer für als

Staats­

Und wie alles waS um Lohn betrieben wird, weil fast immer

einseittgen Zwecken dienend, hohe Ziele selten erstrebt, noch seltener er­

reicht,

so

verdank auch

die kassische Kunst und Wisienschaft diesen

spätern Staatsanstaltcn nicht ihren höchsten Aufschwung; aber sie haben

dennoch um die Erhaltung und Vermehrung des Wiffens

ein

großes

Verdienst, wie das Museum zu Alexandrien, daS gleich manchen andern

ähnlichen Anstalten im frühern makedonischen Reiche auch nach Ein­ führung des Christentums und nach der Teilung des römischen Reiches

fortbestand. Jedoch in den weströmischen Provinzen, wo man seit Vespasian 9—79 n. Chr. besoldete Rhetoren und feit Antoninus Pins 86—161,

zahlreiche sogenannte Kaiserschulen hatte, versanken die öffentlichen hohen Schulen seit dem 5. Jahrhundert in Vergessenheit; die Flut der Völker­ wanderung spülte sie hinweg und waS von wiffenschastlichem Geiste noch

übrig geblieben war,

ein verborgenes,

das

führte

von da an zumeist in den Klöstern

lichtscheues Dasein.

Einzelne große Kaiser verrieten

zwar ein lebhaftes Jntcreffe an der Wiffenschaft,

Karl d. Gr.,

so

namentlich

schon

der die Errichtung von Schulen in Verbindung mit den

Klöstern und Stiftern

veranlaßte;

aber von weltberühmten Schulen,

von Centralsitzen des wiffenschaftlichen Lebens, zu denen Jünglinge und Männer aller Länder und aller Stände herbeigestrümt und von denen

weltbeherrschende Ideen ausgegangen wären,

davon war damals keine

Rede. Es wurden die Klöster- und Domschulen nicht einmal die Grund­ lage der spätern Universitäten, sondern diese entstanden im Anschluß an neue Wissenschaften,

die in den Klosterschulen gar keinen Platz hatten.

21 So war es in Bologna die Jurisprudenz, die Irnerius gest, um 1190 auf Grundlage der neu aufgefundenen Schriften der römischen Juristen

lehrte;

in Paris die von Abälard 1079—1142 begründete Verbin­

dung von Philosophie und Theologie, sowie dessen neue Auslegung der heiligen Schriften; in Salerno die von Constantin, — jenem Mönch aus dem Kloster von Monte Cassino, den die Zeitgenossen den zweiten

Hippokrates nannten — gelehrte Wissenschaft der Medicin, welche im Laufe des 12. Jahrhunderts eigentliche Ausgangspunkte des Universitäts­ lebens geworden sind. Zu gleicher Zeit entstanden auch die Universitäten

von Oxford und Cambridge,

die bald nachher durch französische Ein­

wanderung stark beeinflußt wurden, wie ja auch der gleichzeitige Aufent­

halt zahlreicher Engländer in Paris

den geistigen

Verkehr zwischen

England und Frankreich unterhielt. Ganz besonders aber wurde in Spanien (seit dem zehnten Jahr-

hnndert hatten die Araber und Juden 15 Akademien

und 70 öffent­

liche Bibliotheken gegründet) die Akademie von Cordova, wo Averroes 1120—1198 und Maimonides astronomischen

Forschungen

1135—1204,

ersterer durch seine

und seine Erläuterungen zum Aristoteles,

letzterer als jüdischer Arzt und Philosoph sich hervorthaten, die Stütze

der Literatur und Wissenschaft und zwar zu einer Zeit, wo in ganz Europa das Unkraut der Astrologie und Alchimie die echten Wissen­ schaften überwucherte. Überhaupt ist der Einfluß der Araber auf die Bildung Europas nicht zu unterschätzen; ihr großes Verdienst ist es die Mathematik, die Mechanik und die Astronomie gepflegt zu haben — die

Keime aller spätern Fortschritte der Naturwissenschaften, und so wurden sie der Leitstern, welcher den menschlichen Geist durch die Verirrung und Schwärmerei finsterer Jahrhunderte sicher hindurch geleitet hat.

Ihre

Leistungen bilden gleichsam die Brücke über viele Jahrhunderte euro­ päischer Finsternis, über die hinüber ein großer Teil der geistigen Schätze der untergegangenen hellenisch-römischen Welt sich gerettet hat.

Auf die Gestaltung des europäischen Universitätslebens sind sie von großem Einfluß gewesen, jedoch haben jüdische, nicht zu verachtende Elemente mitgewirkt. Schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts redeten die

in allen

Ländern zerstreuten Juden nicht mehr hebräisch, sondern die jedesmalige

Landessprache. Nach dem Untergange der babylonischen Akademien 1040

n. Chr. wurde Spanien, später Portugal Hauptsitz jüdischer Gelehrsam­

keit, die sich in ihrer glänzendsten Periode 1040—1204 vorzugsweise

22 der arabischen Sprache bediente.

Mit der hervorgerufenen

grüßern

geistigen Thätigkeit wuchs aber auch unter den Juden der theologische Meinungsstreit und der Zank zwischen Talmudisten, Kabbalisten u. s. w. bildet ein würdiges Gegenstück zu den dialektischen Raufereien in der christlichem Theologie.

Viele der arabischen und jüdischen Werke (von

letztern allein über zehntausend Bände im brit. Museum)

liegen aber jetzt noch in wenig benutzten Manuskriptsammlungen unedirt und un­

übersetzt, edle und unedle Metalle der Förderung. Sichtung und BearWäre alles aus den Schriften der Araber, Juden,

beitung harrend.

Perser und Inder bekannt, wie seit Jahrhunderten aus denen der Griechen und Römer, so würde unzweifelhaft vieles in der Geschichte noch rätselhafte aufgeklärt werden und die einseitige Überschätzung der

sogenannten Klassiker aufhören. Bei den ersten europäischen Universitäten war es also zunächst

eine einzelne neue Wissenschaft und ein einzelner geistvoller Mann, der Tausende von Wißbegierigen heranzog,

während das bald entstehende

Zusammenleben von Lehrern und Schülern zum Ausgangspunkt wissen­ schaftlicher Korporationen wurde. Der Ruhm und der Einfluß, den solche

Männer hatten, war in jenen Jahrhunderten um so größer, je mehr

der Mangel des Buchdrucks die Lernenden an die Person des Lehrers band und die vielen öffentlichen und feierlichen Disputationen der dia­ lektischen Schlagfertigkeit mannigfaltige Gelegenheit gaben, das Erstaunen

der Zuhörer zu erregen und der Eitelkeit des Vortragenden zu schmeicheln. Ohne Berufung oder Bestätigung durch Kirche und Staat, frei

und

öffentlich, gleich den alten griechischen Philosophen, begannen diese Ge­ lehrten ihr Wirken, und wenn auch bald sich eine rechtliche Organisation

einstellte und Papst und Kaiser sich zu Schutzherren der Universitäten aufwarfen,

so blieben sie doch in ihrer Lehre,

wie in ihrer Stellung

nach außen, lange Zeit frei und selbständig. Über alle andern Wissenschaften erhaben thronte aber die Theologie. Der Art wie sie betrieben wurde

verdiente sie die Bezeichnung eines

„Bastardkindes von Vernunft und Glaube".

Selbst gebunden an die

Autorität der Kirche und der Päpste wurde sie für alle andern Wissen­

schaften wieder

eine bindende und beschränkende Autorität.

Je be­

schränkter aber.das Wissen und je mehr sich die unbegränzte Einbildungs­

kraft in ein Gebiet verstieg, für welches dem Menschen weder Sprache

noch Borstellungsvermögen gegeben sind, um so mehr wucherte die lei­

dige Disputirsucht,

der Wortstreit.

Zu großartigen Verhältnissen ent-

23 wickelte sich derselbe gegen Mitte des 12. Jahrhunderts,

als die un-

übersteiglich scheinende Kluft zwischen dem Denken und dem Sein, die

Beziehungen zwischen der erkennenden Seele und dem erkannten Gegen­ stände die Dialettiker in jene zwei berüchtigten Schulen der Nomina­

listen und Realisten trennte,

an welche sich die Namen von Ros-

cellinus und Wm. V. Champeaux knüpfen.

Besondere Wichtigkeit

erlangte dieser Streit durch die damit verknüpfte Deutung der Trinitäts­ lehre, indem die Lösung des darin von der Kirche gestellten Rätsels wie drei Personen eine sein können, die damalige Klostergelehrsamkeit ernst­

lich beschäftigte;

und

doch

hat

auch

dieser Streit einen wesentlichen

Einfluß auf die endliche Begründung der Erfahrungswissenschaften aus­ geübt, denn so bedcutnngslos er auch für unsern heutigen Standpunkt

geworden, so war er doch damals von großer Tragweite, und begründet

in dem Ansehen, in welchem für jene Zeit dasjenige stand,

was ihr

von dem System des Aristoteles bekannt war. „Ce sera“, sagt Bayle, „un sujet eternel d’etonnement pour les

personnes qui savent bien ce que c’est que philosophie, que de voir

que Tautoritd d’Aristote a et£ tellement respectee dans les ecoles que lorsqu’un disputant citait un passage

pendant quelques siecles,

de ce philosophe, celui

qui soutenait

la these n’osait point dire

„transeat“; il fallait qu’il niät le passage, ou qu’il l’expliquat k sa

maniere.“ So sehr nun auch die früher verbreitete Meinung, Aristoteles sei ein großer Naturforscher gewesen, vor der neuen Forschung gewichen

ist, so bleibt doch seine Größe als Naturphilosoph unbestritten: und sein ist das Verdienst die Jdeeenwelt Plato’s wieder der sichtbaren Welt einverleibt und ihr selbständige Existenz abgesprochen zu haben.

Das Hauptergebnis seiner umfassenden Thätigkeit ist nicht so sehr die Sammlung des Stoffes aller damals vorhandenen Wissenschaften als

vielmehr die Zusammenfassung und Verknüpfung desselben unter speku­ Die Art wie er das Gesamt­

lativen, philosophischen Gesichtspunkten.

wissen seiner Zeit in sich aufnahm und

zu einer Einheit verband ist

die Riesenarbeit seines Geistes; statt aber mit seinem Princip der Ver­

einigung empirischer Forschung mit philosophischer Behandlung, der Analytik mit der Synthetik rüstig weiter zu arbeiten, begnügten sich seine Schüler mit der deuteten Systems, als

passiver Geister.

Bewunderung und Verbreitung seines miß­ eines abgeschlossenen Baues zum Ausruhen

24 Dieser Bau war es, der in seinen Grundfesten erschüttert wurde

durch den von Roscellinue und

Champeaux geführten Streit,

welchen Theologie und Kirche jener Zeit durch Verdammung der Lehre

des erstem zu Soisson 1092 zu Gunsten des Realismus in reaktionärem

Sinne entschied. Dadurch war das Ausgehen eines freien von der kirchlichen Theologie unabhängigen Geistes aber nur verzögert. Thomas ab Aquino 1224—1274 und der fast gleichberühmte Duns Scotus gest. 1308 in Köln sind die Hauptstützen jener reali­

stischen Richtung und ersterer noch heute der angesehendste Dogmatiker

der römisch-katholischen Kirche. Er war Schüler des gelehrten und durch seine

Anwendung

der

damaligen aristotelischen Philosophie

auf die

Theologie berühmten Albertus Magnus 1193—1210 in Köln. Bon

seinen Mitstudierenden seines schweigsamen Wesens halber „der stumme Ochse" genannt, prophezeite schon damals sein Lehrer „dieser Ochse wird

einst mit seinem Gebrüll die Welt erfüllen".

Als mit Aquino und Scotus der specifisch mittelalterliche Geist seine Höhe erreicht hatte, als mit der Erniedrigung des Staates seine

Entgeistigung und Abhängigkeit von der Kirche im Princip ausgesprochen

war und Thomas Aquino

den aristotelischen Gedanken, daß der Staat wesentlich das Werk des menschlichen Geistes und der mensch­

lichen Thätigkeit sei, verdrehend zum Ausgangspunkt seiner Lehre machen

konnte, daß — wie er an den König von Cypern in den Abhandlungen über das fürstliche Regiment schrieb — „im heidnischen Altertum der Kultus auf irdische Dinge und das Gemeinwohl gerichtet, daher die Priester den Königen Unterthan gewesen; daß aber in dem neuen Gesetz

das Priestertum höher stehe, welches die Menschen zu den himmlischen Dingen anleite und daher in der christlichen Ordnung die Könige den Priestern Unterthan seien" —,

als es soweit gekommen war,

auch die Reaktion nicht mehr ferne und bald Gründe den raschen Verfall der Scholastik.

da war

bewirkten verschiedene

Die Mystik und eine gläubige Gefühlstheologie hatten fortwährend einen Gegensatz zu der scholastischen Berstandestheologic gebildet,

die sich längst klar darüber war, daß subjektive Glaubensvorstellungen, welche

von einzelnen Menschen als

unmittelbare Eingebungen

oder Offen­

barungen höherer Abstammung gepredigt und dann von der unselbst­ ständigen Menge geglaubt werden, nur jenen unsichern nicht auf innerer Überzeugung d. h. vernünftiger Einsicht beruhenden Glauben zu erwecken

vermögen, der vom Aberglauben nicht verschieden ist.

Innerhalb der

25 Scholastik selbst hatten die dialettischen Gedankenwendungen häufig auf

Folgerungen geführt, die fich mit dem Dogma nicht wohl vereinigen ließen, und es gewann allmählig die Unterscheidung zwischen philosophischen und theologischen Wahrheiten, also der Satz „es könne etwas philoso­ phisch wahr und theologisch falsch sein" — sofern weltliche und geoffen­

barte Wahrheit nichts mit einander zu schaffen hätten — eine für die Scholastik selbst bedenkliche Geltung. Dazu kamen die abweichenden Mei­ nungen, welche sich unter den Scholastikern selbst, auch über nichttheo­ logische Fragen,

bildeten;

außerdem pflanzten sich die Meinungsver­

schiedenheiten zwischen Thomas Aquino und Duns

Scotus

auf

die mächtigen Orden der Dominikaner und Franziskaner fort, und schließ­ lich erhob der Nominalismus in Wm. von Occam, gest. 1343 oder 1347 in München, sein Haupt wieder und entzog der Scholastik durch die Bestreitung der Voraussetzung

ihres

unkritischen Realismus

ihre

Hauptstütze.

Bei der wachsenden Abneigung der Nominalisten vor leeren Ab-

strattionen drangen sie zuerst auf die Notwendigkeit der Erfahrung, auf die Vermehrung der sinnlichen Grundlage der Erkenntnis, und diese

Richtung wirkte, wenigstens mittelbar, auf die Bearbeitung des empiri­ schen Naturwissens.

Auch schon da,

wo sich nur noch realistische An­

sichten geltend machten, hatte die Bekanntschaft mit der Literatur der Araber Liebe zum Naturwissen, im erfolgreichen Kampfe mit der alles absorbirenden Theologie verbreitet,

aber erst die Schule Occam’s

führte dazu die Sprache der Wissenschaft conventionel zu machen. Occam suchte durch sorgfältige Fixirung der Begriffe die wissenschaftliche Sprache von dem historisch gewordenen Typus der Ausdrücke zu befreien und

damit zahllose Zweideutigkeiten und störende Nebenbegriffe zu beseitigen. Dieser ganze Prozeß war notwendig,

wenn eine Wissenschaft entstehen

sollte, welche statt wie bisher alles aus dem Selbstbewußtsein zu schöpfen,

die Dinge reden ließ, deren Sprache oft eine ganz andere ist als die der reinen Vernunstbegriffe. Kein Wunder also, daß Occam auch in

Glaubenssachen Denkfreiheit verlangte, daß er in der Religion sich an die prattische Seite hielt,

daß er die ganze damalige Theologie

über

Bord warf, indem er die Lehrsätze des Glaubens für schlechthin unbe­

weisbar erklärte und keinen Anstand nahm zu behaupten, daß der Papst, so gut wie jeder andere Mensch,

sich irren könne und nicht über der

weltlichen Obrigkeit stehe. War aber auch der Nominalismus unfähig einen großen Fortschritt

26 in der Richtung hervorzubringen,

in welcher sich die bisherige Art zu

philosophieren bewegt hatte, so erfolgte doch mit seinem Wiedererstehen immer mehr der innere Zerfall der Scholastik,

zugleich

schaft

statt positiver Errungenschaften

schaften

ein festes,

nur

Begriffen

und

deren Herr­

auf dem Gebiete der Wissen­

durch Jahrhunderte geheiligtes System

Ausdrücken

beginnen das System selbst,

von

Der wahre Fortschritt mußte damit

gab.

in welchem die Borurteile und Grund-

irrtümcr der überlieferten Philosophie verknöchert waren, zu zertrümmern. Jedoch nicht zu verkennen ist der

große" Nutzen,

Bildungsgänge

eine

jener Zeit

durch

welcher dem ganzen

Religionsphilosophie erwuchs,

welche die Nationen des ganzen christlichen Europa in den aufgeklärten der

Begriffen

alten Philosophen

denken

lehrte,

denn

eine Schule

strengen Denkens mußte vorausgehen, ehe die kritiklose Anhäufung von Beobachtungen und Überlieferungen in ein folgenreiches Experimentieren übergehen konnte;

dabei kam es zur Erreichung des nächsten Zweckes

weniger auf die Prämissen an,

Methode des Schließens,

wie auf die Anwendung der richtigen

und nur eine scheinbare Umkehr des natür­

lichen Weges ist es, daß man ftüher lernte in richtiger Weise ableiten,

als richtige Anfänge des Schließens zu finden. einleuchten,

Es wird Dir daher

daß für ihre Zeit auch die Bande der Scholastik der gei­

stigen Entwickelung der Menschheit einen wichtigen Dienst leisteten. Wie das Theologenlatein jener Zeit, so bildeten auch die Formeln der Scho­

lastik ein gemeinsames Element geistigen Verkehrs für ganz Europa; ein vorzügliches Mittel für die Verbreitung neuer Gedanken.

es,

So kam

daß die Zeit des Wiederauflebens der Wissenschaften eine Verbin­

dung unter den Gelehrten Europas vorfand, wie sie seitdem nie wieder

ist:

dagewesen

alle bedienten sich der einen lateinischen Sprache und

alle lebten in einem Dunkel,

sichtbar,

wo auch ein schwaches Licht von weitem

daher der Ruf einer Entdeckung,

eines bedeutenden Buches,

eines wissenschaftlichen oder eines klerikalen Streites sich allgemein und

gründlich durch alle gebildeten Länder verbreitete.

„Wie wohl

war

cs

unsern

Vorfahren,

sagt Lange,

in

dem

geschlossenen Ring des sich ewig umwälzenden Himmelsgewölbe auf ihrer

ruhenden Erde,

und welche Zuckungen rief der scharfe Luftzug hervor,

der aus der Unendlichkeit hereindrang, sprengte!"

als Köpernikns diese Hülle

London, 4. Oktober 1878. Ich begann meinen letzten Brief mit der Scholastik und schloß mit Kopernikus 1473—1543. Zwischen beiden liegt eine Uebergangs-

periode in Italien,

wo Petrarca 1304—1374 als Vorkämpfer des

Humanismus auftritt, der

den Uebergang

aus dein Mittelalter zur

neuen Zeit bezeichnet. Mit diesem Mittelalter mußt Du Dich näher bekannt machen und dazu sollen dir dienen:

Henry Hallam, View of the state of Europe during the middle ages, with supplementary notes, 1848. F. Guizot, Histoire de la Civilisation en Europe depuis la chute de Fempire romain jusqu1 ä la revolution fran^aise. Es sind dies vierzehn Vorlesungen, welche Guizot als Professor der Geschichte 1828/30 in Paris gehalten hat. Als

durch Karl Martels Sieg 732 n. Chr. bei Poitiers der

Semitismus,

der in der Schlacht von Zama 202 v. Chr. den kürzern

gezogen hatte, eine abermalige Niederlage erlitt, indem Germanen im Bunde mit der römischen Kirche die Saracenen aus

Europa verdrängten,

dem westlichen

gingen gleichzeitig auch die Reste alter Bildung

unter und es begann die sogenannte „dunkle Zeit des Mittelalters",

die Mitte der „tausendjährigen Nacht",

wie viele sie, übertreibend, ge­

nannt haben. Der Uebergang aus dieser Zeit in das sogenannte Auf­ klärungszeitalter, durch die Scholastik und den Humanismus, ist zum großen Teil die Wiederanknüpfung an die damals zerstörte oder in Vergessenheit geratene Kultur des Altertums, zunächst der Römer und Griechen. Wenn Du Hallam unb Guizot fleißig gelesen hast, so wirst

Du einsehcn, daß mit dem Verfall der Scholastik das große Reforma­

tionszeitalter beginnt, in welchem die gebildete Menschheit mit sich selbst ins Gericht ging und auf staatlichem,

großen Umgestaltungen drängte.

wie auf kirchlichem Gebiete zu

28 Ich nannte Dir bereits Petrarca als den Vorkämpfer der Hu­ manität, d. h. des Strebens nach Ausbildung der den Menschen als solchen auszeichnenden ethischen und intellektuellen Eigenschaften, also nach höherer Gesittung im Gegensatz zu der mit geoffenbarten oder göttlichen Dingen ausschließlich beschäftigten Klostergelehrsamkeit. Man

begriff zu jener Zeit unter Humanismus alle Bemühungen, um eine

rein menschliche Bildung von der Art, wie ihre Züge aus den Werken der klassischen Schriftsteller des Altertums hervorleuchteten. In den Schriften der Griechen und Römer war wenig zu finden von dem welt­ flüchtigen Mönchsgeiste; um so frischer sprudelten in ihnen die Quellen

des freien Menschengeistes; wurde höher geschätzt,

der öffentliche Dienst für das Vaterland

als die fromme Jsolirung und Entsagung,

bürgerliche Freiheit höher als der Gehorsam,

die

und der Staat erschien

als das höchste Ideal des menschlichen Gesamtdaseins.

Durch die Be­

rührung mit diesem Geiste des Altertums empfing der philosophische,

weltliche,

politische Geist zur Zeit der Entstehung des Humanismus

eine neue Taufe. Je mehr die Scholastik zuletzt in die abgeschmacktesten Wortstrei­

tigkeiten sich verlor, desto entschiedener wurde in allen vorwärts stre­ benden Köpfen die Abneigung gegen sie. Die Geschmacklosigkeit, die Jlliberalität der Denkungsart, die Armut an wirklichen Kenntnissen, die sklavische Bewunderung des Aristoteles wurden mit allen Waffen des

Ernstes und Spottes

angegriffen und so durchgreifenden Ereignissen

wie der Wiedererweckung der klassischen Literatur,

der Erfindung der

Buchdruckerkunst, den großen Entdeckungen eines Galilei, Torricelli,

Kopernikus und Kepler mußten sie unterliegen. Es war aber nicht bloß die damalige Religion, jener weltflüchttge, religiös-christliche Geist des Mittelalters, sondern auch der dem öffent­ lichen Leben zugewandte derbere Geist der germanischen Bolksart der

Erkenntnis der Bedeutung des praktischen Lebens, wie es sich im Staate als Volksleben gestaltet, nicht förderlich.

„Die Germanen, sagt Guizot,

brachten uns die Idee der persönlichen Freiheit,

welche diesem Volke

Grundverschieden war das germanische Wesen von dem gallisch-romanischen aber auch in religiöser Hinsicht. Die Gal­ vor allem eigen war."

lier besaßen schon damals ein organisirtes Glaubenssystem, eine geglie­

derte Hierarchie zwischen dem einzelnen Menschen und dem Uebersinnlichen. Der Germane dagegen war in seiner Gottesverehrung ohne

menschlichen Vermittler;

Caesar schrieb: „Priester gibt es nicht und

29 auf Opfer geben sie nicht viel,

und die Seinen".

germanische Freiheitsgefühl zwar die Quelle von

nun jenes politische,

vielem Trefflichen,

sondern jeder Hausvater betet für sich

Im Verein mit dieser religiösen Selbständigkeit ist aber auch von vielem Verwerflichen und Absurden

im Gegensatz zu dem Heerden- oder Autoritätsgefühl der romanischen

Völker oft gerade da hemmend und zerstörend, beabsichtet.

wo es voranzuschreiten

Die Reformation kam aus dieser Quelle,

Absonderung und Verisolirung der deutschen Gelehrten wo jeder für sich selbst steht und sein Wesen treibt,

aber

auch

die

und Politiker, kommen

daher.

Anders in Frankreich:

II suffit, en France, sagt Mme. de Stael, qu’un homme de tel parti ait soutenu tel opinion, pour qu’il ne soit plus du bon goüt de l’adopter; et tous les moutons du meme troupeau viennent donner, les uns aprtis les autres, leurs coups de tete aux idies, qui n’en restent pas meins ce qu’elles sont. Dagegen echt germanisch ist es,

daß jeder seinem Kopf nachgeht

und jeder sucht sich selber genug zu thun, fragen.

herrschend,

erschöpfend,

sondern jeder befleißigt sich auch der Gründlichkeit,

daß es, wie Fichte sagt,

ein Ding allein wollen könne,

wollen.

ohne nach dem andern zu

In jedem ist nicht nur die Idee der persönlichen Freiheit vor­

oft so

scheint als ob der Deutsche nie

er müsse auch stets das Gegenteil dazu

Das deutsche Volk erscheint daher, mehr als irgend ein anderes,

als ein Volk von Privatmenschen — und der eigenartige deutsche Partikularismus hemmt die nationale Entwickelung, wie Du aus zahlreichen Äußerungen der Abgeordneten im Reichstag entnehmen kannst, wenn

z. B. bayerische, würtembergische, hessische oder hannoveranische Volks­

vertreter vom engern Baterlande sprechen, wo es sich um deutsche An­ So wurde es den Germanen auch schon damals

gelegenheiten handelt.

schwer den Staatsbegriff in seiner Einheit und Machtentfaltung zu er­

kennen.

Der trotzige Freiheitssinn der Individuen und Genossenschaften

nicht allein sondern auch die Selbstsucht der Mächtigen hinderte sie da­ ran, und so kam es,

daß die Neugestaltung der Politik zuerst von ro­

manischen Denkern zu einer Wissenschaft ausgebildet wurde, während die

kirchliche Reformation vornehmlich als das Werk des deutschen Geistes

und des deutschen Charakters erscheint. Dies führt uns nach Italien.

volutions d’Italie 1857

Nimm

Edgar Quinet, Les r6-

zur Hand.

Wiewohl die noch vor Petrarca vertretene Ansicht, daß die Jta-

30

(iener die unmittelbaren Nachkömmlinge der alten Römer und ihre Literatur nur die Fortsetzung der römischen sei, längst aufgegeben, so

übte doch die Erinnerung an die Sprache, die Geisteswerke und die Zustände des alten Rom fast zu allen Zeiten einen bedeutenderen Ein­ fluß auf die italienische Literatur, als dies bei den übrigen romanischen Völkern der Fall war.

Wie die Italiener die Städte und das Land

der alten Römer bewohnten, so suchten sie auch von jeher an dem Geist der Römer sich aufzurichten und zu bilden.

Früher aber noch,

als

diese Gedanken bei den Italienern zum Bewußtsein kamen, übte vom südlichen Frankreich aus die Geisteskultur der Provenzalen einen großen Einfluß auf Italien; die wandernden Sänger aus der Provence fanden

an den vielen kleinen Höfen, besonders im nördliche» Italien,

eine

gastliche Aufnahme und erweckte» in der Poesie den Nachahmungstrieb.

Seit dem Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts traten in allen Teilen Italiens, zuerst in Sicilien, dann in Toscana und im römischen Gebiete, Dichter auf, welche zwar noch im Geiste und in der Form der Provenzalen,

aber doch in einheimischer Sprache dichteten.

Bor allen hervorragend war Dante,

und

während keine der

übrigen europäischen Sprachen damals schon zur Schriftsprache gedie­ hen war, dichtete er in einem Italienisch, welches mustergültig geblie­

ben ist. Es sind daher auch die italienischen Schriftsteller, welche der Zeit­ folge nach, in der neuen Literatur zuerst an Dich herantreten, und ge­ rade hier zeigt sich Dir deutlich, daß der nachweltliche Ruhm nicht im­ mer an diejenigen Werke sich knüpft, welche die Zeitgenosien hochschätzten:

weder die Divina Comedia, noch die Birne, noch Decamerone — lite­ rarische Schätze, auf denen heute fast ausschließlich das Ansehen von Dante, Petrarca unb Boccaccio beruht, erregten in gleichem Maße die Bewunderung zu Lebzeiten der Berfasier, die auf andern Gebieten wissenschaftlicher Forschung und durch thätige Beteiligung am öffentlichen

Leben sich unter ihren Mitbürgern hervorthaten. Du darfft Dich daher nicht auf den Inhalt jener drei Bücher beschränken, sondern mußt dich mit der Lebensgeschichte der Verfaffer selbst näher bekannt machen.

Ueberhaupt muß dies Tein Bestreben fein bei den Autoren aller wich­ tigen Bücher, denn es bietet Dir den doppelten Nutzen:

einerseits die

allgemeinen Berhältniffe der Zeit und Länder, in denen die Schriftsteller

lebten, näher kennen zu lernen; andrerseits dich frühzeitig daran zu gewöhnen die Wechselwirkung herauszufühlen zwischen hervorragenden

31

Männern und ihrer Umgebung.

Freilich wird dann oft die Entschei­

dung schwer, ob der Einfluß der Zeitgenossen und Berhältnisie auf den

Mann, oder umgekehrt der größere. „Was sind wir Großen auf der Woge der Menschheit?" sagt, int Egmond,

Margarethe von Parma,

„wir glauben sie zu

und sie treibt uns auf und nieder, hin und her."

beherrschen,

Aber bedenke auch

ein Wort Hausraths: „Wie sehr man immer daran festhalte, daß die geistige Entwickelung

der Menschheit ein allgemeiner Prozeß sei, arbeiten,

an dem Millionen mit­

so ist es doch genialen Naturen gegeben, der Geschichte die

Zeiten zu kürzen und eine Arbeit,

die sonst sich in Generationen ver­

schleppt, auf den eigenen Schultern hindurchzutragen. Es gibt Apostel, und haben sie auf ihren Schultern das Werk hindurchgetragen, so sollen

die spätern Geschlechter nicht sagen, es habe Alles so kommen müssen, auch ohne Den und Jenen, dem über dem ungeheuren Kampf das Herz

gebrochen ist." Ueber die politischen und sozialen Verhältnisse zur Zeit Dante’s gibt Dir das Leben Friedrich II. geb. 1194, römisch-deutscher Kaiser

1209—1255, interessanten Aufschluß;

staufen,

dessen Haupt sieben Kronen

jenes wilden, genialen Hohen­ (die römische Kaiser-

und

die

eiserne der Lombarden,

die von Burgnnd,

Sicilien, Sardinien und Jerusalem) geziert haben.

Kühn, hochgesinnt,

deutsche Königskrone,

die

tapfer, freisinnig und tolerant gegen Andersgläubige, vereinigte er mit

diesen dem Hohenstaufischen Hause erblichen Eigenschaften treffliche An­ lagen und Kenntnisse, Liebe zu Kunst und Wissenschaft. Er verstand

sämtliche Sprachen seiner Unterthanen, Griechisch, Lateinisch, Italienisch,

Deutsch, Französisch und Arabisch, war in allen Arten ritterlicher Uebun­ gen wohlerfahren, ein Kenner der Nattlrgeschichte, über die er mehreres

schrieb, und ein Dichter zarter Liebeslieder in der von ihm bevorzugten italienischen Volkssprache und gründete in Neapel 1224 eine Landes­ universität.

In seinem Streit mit Rom beschuldigten seine Feinde ihn

der Verfasser des um jene Zeit fabelhaften Buches „de tribus impo-

storibus“ zu sein.

Mit Bezug hierauf sagt Laurent:

„L’incredulitÄ philosophique se comprend, meme dans un äge chritien; les libres penseurs form ent toujours une imperceptible mi­ tt orit 6 et Finfluence d’Aristote explique leurs egarements. Ce qui parait plus inexplicable, c’est que Fincredulit6 ait depasse le cercle de Fecole, pour envahir les hautes classes d’abord et gagner ensuite

32

jusqu’aux classes inferieures. Pour bien des lecteurs, dire qne l’incredulitä date du moyen-äge, est un blasphime. 81 blasphime 11 y a, ce 8ont les Hommes du moyen-äge qui en portent la responsabilite, car Fexpression la plus radicale de Pimpiet6, Pidie des „Trois Imposteurs“ remonte jusqu’au commencement du treizi&me siöde. Qui s’attendrait ä trouver celui que la chretient6 adore comme Fils de Dien, confondu au sein d une soci6t6 catholique par excellence, parmi les fourbes, avec Moise et Mahomet? Cependant le fait a sa raison d’ätre: c’est dans l’esprit Stroit, exclusif des religions rev616es qu’il la saut chercher. II n’y a pas d’injure que les Chretiens aient 6pargn6 au prophete arabe. Pour eux, le nom d’Imposteur est presque devenu synonyme de celui de Mahomet. Or, si le fondateur de Pune des grandes religions qui rögnent sur les ämes est un vil trompeur, qui nous garantit que les autres revdateurs n’ont egalement exploite la cridulitS humaine? 81 les Chretiens ont le droit d’accuser Mohamet d’imposture, ceux qui ne croient pas plus au christianisme qu’au mahometisme peuvent adresser la meme injure ä J6sus-Christ et ä Moise. La philosophie ne se rendra pas coupable d’un pareil outrage; eile respecte le sentiment religieux sous quelque forme qu’il se manifeste; eile ne voit point de fourberie dans la foi, quelque grossiere et imparfaite qu’on la suppose, parce qu’elle sait que la foi est un Element nScessaire de la vie humaine. On dit que Simon, chanoine de Tournai et professeur de theologie ä Paris au commencement du treizi&me siöcle, aprös avoir etabli la divinite de Christ par de solides arguments, s’6cria en pleine chaire: „0 J6sus, il ne tiendrait qu a moi de d6molir ta divinite par des raisons bien plus concluantes.“ On dit aussi que le meme Simon professa que Moise, Jesus-Christ et Mahomet etaient trois imposteurs qui avaient trompe les Juifs, les Chrdiens et les Arabes. La tradition est accompagnee de circonstances 6videmment fabuleuses; ainsi Pon raconte que Simon fut trappe de mutisme et d’imbicillite dös qu’il eut profere son horrible blasphöme. Cependant nous n’avons aucune raison de douter de la vöritö du fait que Pon impute au philosophe toumaisien. Le treiziöme siede vit un spectacle plus Strange encore, et plus affligeant pour les fideles: le trone imperial fut occupö par un incrödule. H saut se rappeler ce qu’ötait l’empire dans la doctrine du moyen-äge, pour comprendre la gravite de ce fait. L’Empereur ötait avec le Pape le chef de la chretiente:

33

ainsi le vicaire temporel du Christ ne croyait plus ä la divinite du Christ! le d^fenseur ne de FEglise repudiait FEglise comme Foeuvre de Ferreur et de la fraude! C'ätait au fond la rupture de FhumanitS avec le christianisme. Fr6d£ric II poussa-t-il Faudace jusqu’ ä traiter d’imposteur celui dont 11 etait le vicaire? II est difficile d’en douter: c’est un pape qui Faccuse publiquement d’avoir profere cette impiete. Matthieu Paris reproduit la meme accusation: „L’empereur a dit, ä peine peut - on transcrire ses paroles, que Moise, Jesus et Mahomet 6taient des charlatans qui seduisirent leurs contemporains par Fadresse et la ruse, pour s’emparer de la domination du monde." Un autre chroniqueur rapporte que Frederic voulait sonder une religion nouvelle, plus raisonable et plus parfaite que celle de Christ. La postSrite, rencherissant sur les contemporains, Fa fait auteur du fameux livre des „Trois Imposteurs", que Fon ne trouve nulle part. II parait que le livre n'a jamais exist6; mais Fidee est si bien la marque de FincridulitS, qu'on Fimpute ä tous les ennemis du christianisme depuis Fräderic jusqu’ä Spinoza." Bald leidenschaftlich, rasch und strenge, bald mild und freigebig, dabei üppig und lebensfreudig, wird Friedrich der Hohenstaufe geschil­ dert, seinem ganzen Wesen nach dem Blute seiner Mutter folgend, mehr Italiener als Deutscher. Seinem Geburtslande Italien gehörte sein Sinnen und Trachten, gehörten alle seine Gedanken und Entwürfe an; hier wollte er die Gewalt des Kaisertums feststellen, hier durch seine Gesetzgebung und Verwaltung das Muster eines wohlgeordneten Staates gründen. Deutschland, wo die schon so fest ausgebildete aristokratische feudale Verfassung die Errichtung einer schrankenlosen Königsmacht un­ möglich machte, war ihm blos durch die Mittel und Kräfte noch etwas wert, die es bot Italien zu überwinden. Gern und willig brachte er daher in den 1220 zu gunsten der geistlichen und 1232 zu gunsten der weltlichen Fürsten gegebenen Konstitutionen, durch Einräumung der Rechte der Landeshoheit derselben einen wichtigen Teil der kaiserlichen Prärogative zum Opfer, blos um damit ihre Unterstützung zur Ver­ wirklichung seiner Pläne auf Italien zu erkaufen, Rechte, welche die Grundsteine derjenigen Verfassung wurden, nach welcher an die Stelle des alten Königreichs der Deutschen, eine Menge verbündeter Staaten unter der obersten Leitung eines erwählten Kaisers traten. Friedrichs ganze Politik war aber xety dazu geeignet in Italien ein reges, geistiges Leben anzufachen, und so bereitete seine Generation 3

34 den fruchtbaren Boden, auf dem, in der folgenden, Gestalten wie Dante, Petrarca und Boccaccio entstehen konnten. Dante, eigentlich Durante Aligheri am 8. Mai 1265 (nach andern Angaben am 27. Mai 1263) geboren, 14. September 1321 in seiner Vaterstadt Florenz gestorben, war ein eifriger Politiker, hatte aber das Unglück auf der Seite der unterliegenden Partei zu stehen, auf der der Weißen gegen die Schwarzen, des Kaisers gegen den Papst, des Staates gegen die Kirche. Seine Briefe au Heinrich VII. und an die Fürsten Italiens bezweckten die Sache des Kaisers im Interesse der italienischen Nationalität zu fördern. Denselben Zweck hat sein großes Werk De Monarchia. Auch Dante strebte nach der politischen Einheit Italiens, als einziges durchschlagendes Mittel zur sittlichen Hebung des Volkes, nur wähnte er unter einem fremden Fürsten dies Ziel erreichen zu können. An die Niederlage seiner Partei knüpfte sich für ihn ein unstetes Leben, und seiner bösen Zunge hat er einen Teil wenigstens des Un­ glücks zu verdanken, welches ihn zu verfolgen schien. „II trouva des patrons illustres dans sa disgrace mais il ne sut pas toujours se conserver leur affection, car, quoiqu’il fut assez taciturne, il donnait ä sa langue en quelque rencontre un peu trop de libertß. Ä Verone Dante n’eut pas le bonheur de plaire longtems ä son patron Can de l’Escale. On ne lui cacha pas qu’on se degoütait de lui. Le grand Can lui dit un jour, c’est une chose etonnante qu’un tel qui est fou nous plaise ä tous, et se fasse aimable de tout le monde, ce que vous qui passez pour un sage ne pouvez faire. Il n’y a point lä de quoi s’itonner, repondit Dante: vous n’admireriez pas une teile chose, si vous saviez combien la conformite des esprits est la source de Tamitie.“ Für die Nachwelt besteht Dante’s Ruhni aber nicht in seinem politischen Wirken und seinen hierauf bezüglichen Schriften, sondern in seinen poetischen Schöpfungen, von denen „Vita nuova“, um 1300 er­ schienen, aus einer Sammlung Gedichte besteht, welche sich auf seine Jugendliebe zu Beatrice Portinari beziehen. Jedem dieser Gedichte ist eine Entstehungsgeschichte und genaue Analyse beigefügt. Um 1308 er­ schien „Convito“, eine Zahl von 14 Kanzonen mit gelehrten Kommen­ taren begleitet über die Philosophie, das erste Muster wissenschaftlicher Prosa im Italienischen. Beide Bücher werden wenig gelesen, um so mehr wird in unsern Tagen seine Divina Comedia, wenn nicht gelesen,

35 doch citiert. Leider hat gerade zu diesem, einer Erklärung so bedürf­ tigem Werke, Dante selbst keinen Kommentar hinterlassen, ein Mangel, den die mehr als 300 Kommentare, welche in allen civilisirten Sprachen die Nachwelt geliefert hat, nicht ersetzen. Unter diesen empfehle ich Dir die Uebersetzung des Königs Johann von Sachsen unter dem nom de plume „Philalethes“. Den Namen Comedia hat der Dichter selbst seinem Werke gegeben, teils wegen des anfänglich grauenhaften, dann aber heiter und selig schließenden Inhalts, teils weil man zur Zeit das Erhabene, das Tra­ gische, die niedern Gattungen der Poesie oder überhaupt was nicht lateinisch, sondern in der Volks- oder Vulgärsprache geschrieben war, als Comedia bezeichnete. Das Beiwort divina hat die Bewunderung späterer Zeiten hinzugefügt. Das Gedicht schildert eine Vision, in welcher der Dichter zuerst an der Hand Virgils, als Representanten der menschlichen Vernunft durch Hölle und Fegfeuer, dann in Begleitung von Beatrice, Representantin der Theologie, der Offenbarung über­ haupt, zuletzt des heiligen Bernhard durch die verschiedenen Himmel des Paradieses 'zur Anschauung des dreieinigen Gottes geleitet wird. In allen Teilen der von ihm durchwandelten Welten erwecken Gespräche mit bedeutenden, meist erst kürzlich verstorbenen Personen bald die in­ nigste Wehniut, bald grauenvolles Entsetzen und Abscheu, bald werden die Streitfragen der damaligen Philosophie und Theologie besprochen und gelöst, die bürgerlichen und sittlichen Verhältnisse Italiens, die Kirche mib der Staat in ihrer Entartung geschildert. Aber eine Menge dieser Anspielungen beziehen sich auf Verhältnisse die uns jetzt so ferne liegen und so kleinlich scheinen, daß ein lebendiges Interesse für die­ selben sich kaum empfinden läßt. So Unrecht hat daher Voltaire nicht, wenn er sagt: Le Dante qui avait 6t6 chasse de Florence par 868 ennemis, ne manque pas de les voir en enfer, et de ee moquer de leur condamnation. C’est ce qui a rendu son ouvrage interessant pour la Toscane. L’äloignement a nui ä la clarte. Les personnages ne sont pas si attachants pour le reste de l’Europe. Je ne sais Comment il est arrive qu’Agamemnon Als d’Atree, Achille aux pieds ligers, le pieux Hector, le beau Paris ont toujours plus de r£putation que le comte de Montefeltro, Guido de Polenta et Paolo Lancilotto.“ Die Unentbehrlichkeit der Kommentare und mehr noch ihre Ver­ schiedenheit schadet der Popularisirung. 1854 fjot M. Menard in Paris

36 den Drang empfunden und befriedigt eine neue französische Uebersetzung „mit Kommentar" herauSgegeben. Lire Dante, sagt er, et le lire de pris c’est presque in6vitablement desirer de le traduire, c’est entrer dans les replis de son gSnie, et apres y avoir pentitre (ce qni demande tont un effort) c’est concevoir la pensee d’y introduire les autres. Cette lecture de Dante, comme l’objet meme de son poeme, est un labyrinthe: 11 y saut un guide; on en trouve plus d’un au senil, on en essaye, on s’en dSgage bientöt; on aspire k devenir un k son tour. Tonte Version parait incompl&te, infid&le, et chacun porte en soi, selon sa maniire de sentir, le besoin d’une traduction nouvelle. Du siehst mit dem Verständnis der Divina comedia hat es seine Schwierigkeiten. Freue Dich, daß Du im stände bist sie im Original zu lesen und wenn Du sie nicht geniesbar findest, so gehe vorüber und beiße in spätern Jahren wieder an. Als Dante starb war Francesco Petrarca so alt wie Du. Geboren in Arezzo am 20. Juli 1304, starb er am 18. Juli 1374 bei Padua. Er gilt als der größte lyrische Dichter Italiens. Als solcher ist er jetzt allgemein bekannt und in vieler Munde, die weder seine Birne noch etwas anderes von ihm gelesen haben, während er von seinen Zeitgenossen mit gutem Grunde vielmehr als der größte Ge­ lehrte, Geschichtsforscher, Philosoph und lateinischer Dichter bewundert wurde, wie er ja auch selbst seinen Ruhm mehr auf seine lateinischen Schriften gründete als auf seine italienischen Birne, Sonetti e Canzoni. Petrarca ist einer der ersten und der bedeutendste unter den Medererweckern der klassischen Studien, als Vorkämpfer und Träger des Humanismus nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa und für die Entwickelung der menschlichen Kultur eine historische Größe. Seine lateinischen Werk sind die ersten in der neueren Zeit, in denen an der Stelle des verdorbenen Klosterlateins sich wieder römische Sprache findet. Und mit der ediern Sprache verband sich auch ein freierer Geist, denn nicht nur an Gelehrsamkeit und feinem Bildungssinn that er es seinen Zeitgenossen zuvor, sondern er hatte sich auch über die Vor­ urteile und den Aberglauben erhoben, und durchbrach siegreich, mitten in dunkler, wilder Zeit die Schranken der Scholastik. Jedoch auf die Nachwelt sind vorzugsweise seine italienischen Gedichte gekommen, worin er auch seine ideale Liebe zu einer provenzalischen Dame Laura und später seinen Schmerz über ihren 1348 erfolgten Tod ausspricht. Über

37 40 Jahre hat er an diesen Gedichten gearbeitet und war noch 1369 > mit Ausfeilen derselben beschäftigt. Wähne aber nicht, daß es sich in denselben nur, oder auch nur vorzugsweise, um Lauras schöne Augen handle. An bloßen Liebesliedern feilt ein Mann wie Petrarca nicht 40 Jahre lang. Ich führe nur als Beispiel an aus „A’grandi dltalia“.

Italia mia; benchST parlar eia indarno, Alle piaghe mortali, Che nel bei corpo tuo ei spesse veggio, Piacemi almen, ch’e’ mei soepir eien, quali Spera’l Tevero, e l’Arno, E’l Po, dove doglioso e grave or eeggio. Rettor del Ciel; io cheggio, Che la pieta, ehe ti condueee in terra, Ti volga al tuo diletto almo paeee. Vedi, Signor cortese, Di ehe lievi cagion ehe crudel guerra: E i cor, ehe ’ndura, e eerra Marte superbo e fero, Apri tu, Padre, e ’ntenerisci, e enoda: Ivi fa, ehe ’1 tuo vero (Qual io mi sia) per la mia lingua e’oda. Voi, cui Fortuna ha poeto in mano il freno Delle belle contrade, Di ehe nulla pieta par, ehe vi stringa; Che fan qui tante pellegrine spade? Percha T verde terreno Del barbarico eangue ei dipinga? Vano error vi lusinga: Poco vedete, e parvi veder molto; Che n cor venale amor cercate, o fede. Qual piu gente possede, Colui e piü da’ suoi nemici avvolto. 0 diluvio raccolto, Di ehe dieerti strani Per innondar i noetri dolci campi? Se dalle proprie mani Questo n’awen; or chi fia, ehe ne scampi?

38

Signor; mirate come’l tempo vola, E 8i, come la vita Fugge, e la morte n’6 sovra le spalle Voi siete or qui: pensate alle partita; Che Palma ignuda e eola Conven, ch’arrive a quel duhioso calle. Al passar questa valle Piacciavi porre gih Podio e lo sdegno, Venti contrarj alla vita serena: E quel, che’n altrui pena Tempo si spende, in qualche atto piu degno, 0 di mano, o d’ingegno, In qualche Bella lode, In qualche onesto Studio si converta: Cosi quaggib si gode, E la strada del Ciel si trova aperta .... Hier sind vor 500 Jahren Zustände geschildert, die sich in unserer Zeit wiederholt haben. Als vor 30 Jahren die Österreicher Mailand

knechteten und

diese Canzone

in einer großen patriotischen Versamm­

lung gesungen wurde, alarmirte der enthusiastische Beifall der Zuhörer in solchem Grade die Polizei,

daß

tags darauf die Sängerin

einge­

steckt wurde! Bald nachher schüttelten die Italiener das Joch der Fremd­ herrschaft ab und erlangten wonach schon Dante und Petrarca ge­ strebt hatten.

Zehn Jahre später wie Petrarca, also 1313 wurde Giovanni

Boccaccio geboren, ob in Paris oder in Florenz ist ungewiß — er starb am 21. Dezember 1375 in Certaldo.

Er zählt zu den ausge­

zeichnetsten Gelehrten seiner Zeit, zu den Beförderern einer freien Rich­

tung

in

der Wissenschaft

und einer

Gleich Petrarca widmete er

sich

größern Verbreitung

derselben.

dem Studium des Altertums im

Gegensatz zur Scholastik, nur gab er dem Griechischen,

jener dem La­

teinischen den Vorzug. Er würde ein intimer Freund Petrarcas und nachdem er dessen italienische Poesien gelesen, verbrannte er die meisten

seiner eigenen italienischen Gedichte, wurde aber von da an ein Meister in der italienischen Prosa.

Seinen literarischen Ruhm verdankte

er,

teils schon unter seinen Zeitgenossen, seinem unvergänglichen Decamerone,

einer Sammlung von hundert Erzählungen, die er der Fiametta (König

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Roberts von Neapel natürlicher Tochter) so wie der jungen Königin Johanna, die ihn in Neapel gütig aufnahm, zu Gefallen geschrieben haben soll. In diesen hundert Novellen und Geschichten schildert Boccaccio Menschen aus allen Ständen, von allen Charakteren und Altern, Ereig­ nisse aller Art, die ausgelassensten und heitersten, wie die rührendsten und tragischsten und bildet dabei die italienische Sprache zu einem bis dahin noch nicht erreichten Grade aus. An Derbheiten, Gemeinheiten und Schmutz fehlt es nicht — es ist aber nicht die Natur des Ver­ fassers, welche Dir hierin entgegentritt, sondern die seines Zeitalters in ihrer Verlumptheit und Zotenhaftigkeit. Beachte was Boccaccio selbst in seiner Conclusione sagt: Quali libri, quali parole, quali lettere son piü sante, piu degne, piü riverende, ehe quelle della divina scrittura? e si sono egli stati assai ehe, quelle perversamente intendendo, se ed altrui a perdizione hanno tratto. Ciascuna cosa in se medesima e buona ad alcuna cosa, e male adoperata puö essere nociva di molte; e cosi dico delle mie Novelle. Chi vorrä da quelle malvagio consiglio o malvagia operazion trarre, eile nol vieteranno ad alcuno, se forse in sä l’hanno, e torte e triate fieno ad averlo: e chi utilita e frutto ne vorrä, eile nol negheranno, ne sarä mai ehe altro ehe utili ed oneste sien dette o tenute, se a que tempi o a quelle persone si leggeranno, per cui e pe’quali state sono racontate. Chi ha a dir paternostri o a fare il migliaccio o la torta al suo divoto, lascile stare: eile non correranno di dietro a niuna a farsi leggere bench6 e le pinzochere altressi dicono ed anche fanno delle cosette otta per vicenda! . . . Tuttavia chi va tra queste leggendo, lasci star quelle ehe pungono, e quelle ehe dilettano legga. Esse, per non ingannare alcuna per­ sona, tutte nella fronte portan segnato quello ehe esse dentro dal loro seno nascoso tengono. Hier auch noch zwei Auszüge aus der zweiten und dritten Novelle. In ersterer erscheinen zwei Kaufleute in Paris, von denen der eine ein Jude, der andere Christ und letzterer arbeitet seit längerer Zeit schon an der Bekehrung seines Freundes. Endlich eröffnet der Jude seinen Entschluß nach Rom zu gehen, um sich das Christentum in der Nähe zu besehen. Er erregt dadurch nicht geringe Besorgnis seines christ­ lichen Freundes, der ihn vergeblich von dem Vorhaben zur Quelle hinabzusteigen, abzuhalten sucht. Von Rom zurückgekehrt erzählt der

40 Jude: Parmene male ehe Iddio dea a quanti sono; e dicoti cosi, ehe, se io ben seppi considerare, quivi niuna santitä, niuna divozione, niuna buona opera o esemplo di vita o d’altro, in alcuno ehe cherico fosse, veder mi parve; ma lassuria, avarizia e gulositä, e simile cose e piggiori (se piggiori essere possono in alcuno) mi vi parve in tanta grazia di tutti vedere, ehe io ho piu tosto quella per una fucina di diaboliche operazioni, ehe di divine. E per quello ehe io estimi, con ogni sollecitudine e con ogni ingegno e con ogni arte, mi pare ehe il vostro Pastore, e per conseguente tutti gli altri, si procaccino di riducere a nulla e di cacciare del mondo la cristiana religione, lä dove essi fondamento e sostengo esser dovrebber di quella. E perciö ehe io veggio, non quello avvenire ehe essi procacciano, ma continuamente la vostra religione aumentarsi, e piü lucida e piu chiara divenire, meritamente mi par discerner lo Spirito Santo esser d’essa, si come di vera e di santa piu ehe alcun ’altra, fondamento e sostegno. Per la quäl cosa, dove io rigido e duro stava a’tuoi conforti, e non mi volea far Cristiano, ora tutto aperto ti dico, ehe io per niuna cosa lascerei di cristian farmi.“ Gibt es eine feinere Ironie! In der dritten Novelle spricht Saladin zu Malchesedec: Va­ lente uomo, io ha da piu persone inteso ehe tu se’savissimo, e nelle cose de Dio senti molti avanti; e per ciö io saprei volentieri da te, quäle della tre Leggi tu reputi la verace, o la giudaica, o la saracina, o la cristiana? Und nun die Antwort des Giudeo: „Signor mio, la quistione la quäl voi mi fate e bella, ed a volervene dire ciö ehe io ne sento, mi vi convien dire una noveletta, quäl voi udirete. Se io non erro, 10 mi ricordo aver molte volte udito dire ehe un grande uomo e rico fu gia, il quäle infra Faltre gioje piu care ehe nel suo tesoro avesse, era uno anello bellissimo e prezioso; al quäle per lo suo valore e per la sua bellezza volendo fare onore, ed in perpetuo lasciarlo ne’suoi discendenti, ordinö ehe colui de’suoi figliuoli appo 11 quäle, si come lasciatogli da lui, fosse questo anello trovato, ehe colui s’intendesse essere il suo erede, e dovesse da tutti gli altri essere, come maggiore, onorato e reverito. Colui, al quäle da costui fu lasciato, tenne simigliante ordine ne’suoi discendenti, e cosi fece come fatto avea il suo predecessore: ed in brieve andö questo anello di mano in mano a molti successori; ed ultimamente pervenne alle

41 mani ad uno, LI quäle avea tre figliuoli belli e virtuos!, e molto al padre loro obedienti; per la quäl cosa tutti e tre parimenti gli amava. Ed i giovanni, li quali la consuetudine dello anello sapevano, si come vaghi ciascuno d’essere il piü ornato tra’suoi, ciascuno per se, come meglio sapeva, pregava il padre, il quäle era giä vecchio, ehe, quando a morte venisse, a lui quello anello lasciasse. Il valente uomo, ehe parimente tutti gli amava, ne sapeva esso medesimo eleggere a quäl piü. tosto lasciar lo volesse, pensö, avendolo a ciascun promesso, di volergli tutti e tre sodisfare: e segretamente ad uno buono maestro ne fece fare due altri, li quali si furono simiglianti al primiero, ehe esso medesimo ehe fatti gli avea fare, appena conosceva quäl si fosse il vero. E venendo a morte, segre­ tamente diede il suo a ciascun de’ figliuoli, li quali dopo la morte del padre volendo ciascuno la ereditä e sonore occupare, e l'uno negandolo all’ altro, in testamonianza di dover ciö ragionevolmente fare, ciascuno produsse fuori il suo anello. E trovatisi gli anelli si simili l’uno all’ altro, ehe quäl fosse il vero non si sapeva conoscere, si rimase la quistione quäl fosse il vero erede del padre, in pendente, ed ancor pende. E cosi vi dico, Signor mio, delle tre Leggi all! tre populi dato da Dio Padre, delle quali la quistion proponeste: ciascuno la sua ereditü, la sua vera Legge, ed io suoi comandamenti si erede avere a fare; ma chi se l’abbia, come degli anelli, ancora ne pende la quistione.11

Es ist Dir besannt wie, vierhundert Jahre später, Lessing diese Novelle in seinem „Nathan der Weise" zu verwerten gewußt hat.

London, 16. Oktober 1878.

Die Bemühungen Petrarcas und Boccaccios das Studium des Altertums, des erstem der lateinischen, des letztern vorzugsweise der griechischen Klassiker zu erwecken, unterstützt von den griechischen Gelehrten, welche schon vor dem Falle von Konstantinopel im ^.Jahr­ hundert nach Italien ausgewandert waren, trugen zu jener Zeit reiche Früchte. Der philosophische Eifer der Schüler und Nachahmer ging aber so weit das Studium der Muttersprache in Vernachlässigung zu bringen und erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts, gerade zur Zeit des tiefsten politischen, socialen und moralischen Verfalls, erhob sich wieder die nationale Poesie und erreichte in dem folgenden Jahrhundert mit Ariosto 1474—1533 und Torquato Tasso 1544 —1595 ihren höchsten Glanzpunkt. Die Prosa empfand die Vernach­ lässigung der Muttersprache noch mehr wie die Poesie; alle größern Werke wurden wieder in lateinischer Sprache geschrieben und ausge­ zeichnete Männer verschmähten es sogar sich der Volkssprache zu be­ dienen, in welcher die zahlreichen Novellen damaliger Zeit geschrieben wurden, meist Nachahmungen beä Decamerone, die sich aber vom Original durch Übermaß von Gemeinheit und Schmutz ebenso sehr wie durch Mangel an Geist unterschieden. C. Ferrari in der Vorrede zur Übersetzung des „Le Prince“ sagt: „L’histoire du 15me et du 16me si&cle en Italic est une histoire de deuil et de honte. A Borne trönait Alexandre VI, Jules II et L£on X; leurs Beides, les Borgia et les Midicis couvraient de crimes la p6ninsule; Fltalie etait douloureusement courue par les Fran^ais, les Espagnols et les Allemands: c1 etait le terrain sur lequel se vidaient, dans de sanglantes hatailles, tontes les querelles de la vieille Europe. D un cöte nous avons les splendeurs de l’art, les succes de la littirature, le progr&s de la Science; de Lautre cot6 nous voyons Faffaisseinent national, les guerres civiles, la servitude

43

etrangere, la corruption des moeurs; le patriotisme enfante les Ferrucio, les Doria, les Colonna, les Trivulzio: la tyrannie engendre Rodrigue Lenzuoli, Cesar Borgia et Alexandre Medicis. Les armes avaient etc arrachees des mains du peuple, et confiees ä des mercenaires: aucun Etat Italien ne possedait une armöe ä lui: on louait des troupes qui tantöt defendaient Venise, tantöt Milan, tantöt Florence et plus souvent le Pape. Un certain öquilibre paraissait ötabli entre les divers Etats de la peninsule, mais tous .ötaient incapables de resister ä une Invasion etrangere. Les Venitiens possödaient la moitie de la Lombardie; mais lorsque les ducs de Milan voulaient arreter le developpement de la republique serenissime, ils devaient faire appel tour a tour ä la France et aux soldats de FHelvötie. Le patrimoine pontifical s’^tait considerablement arrondi, par des moyens souvent honteux, toujours injustes: Naples ötait dispute entre la France et l’Espagne. Charles VIII et Louis XII, battus ä diverses reprises par Alphonse d’Arragon et par Ferdinand le Catholique, avaient öte moins malheureux en Lombardie; tantöt flatt^s, tantöt trahis par la cour de Rome, les Fran^ais ne pouvaient avoir en Italic qu’une domination ephemere. Alexandre VI se seit des armes spirituelles et temporelles pour constituer un royaume ä son fils: le poison, le poignard, la prison sont pour lui autant de moyens pour trouver de Fargent, ce nerf de la guerre. Jules II aprös avoir appele en Italic les Allemands, les Fran^ais et les Espagnols, afin de detruire la republique venitienne, se tourne contre ses alliös et jette ce cri, alors ridicule: Hors les barbares! Maxi­ milien I et Francois I fönt d’irreparables blessures k la nation italienne. L’empereur d’Allemagne prend d’assaut la ville eternelle et la livre au pillage; Clement II lui pardonne et le b6nit, k la condition qu’il accordera le titre de prince aux Mödicis! Les forces de FItalie s'usent en des combats inutiles: ce sont les cours d’Allemagne et de France qui disposent des principaut^s italiennes; ce sont les papes qui s’attribuent la suzerainete de toutes provinces; ils vont meme plus loin. car Alexandre VI donne de sa propre autorite ä Ferdinand et Isabelle de Castille tous les pays transatlantiques que va decouvrir Christophe Colomb. Epoque honteuse, oü Fon voit un pape s’allier avec Bajazet, Fempereur des Tures, pour combattre la France, et ou Fon voit le portrait de la Venozza, cette concubine pontificale, placö en guise de vierge dans Föglise

44 de Santa Maria - del - Populo; epoque oü Fon disait du souverain

Vendit Alexander claves, altaria, Christum Emerat ille prius, vendere jure potest et oü Pontanus peignait par cette epigraphe la vie de la Alle du Pape : Hoc tumulo dormit Lucretia nomine, sed re Thais, Alexandri filia, nupta, nurus — Epoque oü Fon faisait expier sur un Bücher ä Savonarole sa noble, Indignation contre les crimes dont etait souille le Vatican, et son d6sir de rendre ü Florence Fancienne liberte. Et pourtant c'etait ä cette meme epoque que FItalie inscrivait dans See fastes litteraires les noms de Machiavel, de Guichardin, de Nardi, de Segni, de Varchi, de Porzio, de Salviati; que cornmen$aient leurs chefs-d'oeuvre poetiques FArioste, le Berni, le Trissin, le Tasse; que Galilei revolutionnait la Science; que Christophe Colomb allait ä la dScouverte d'un nouveau monde; que Michel-Ange, Titien, Raphael, le Correge, Jules Romain et tonte cette glorieuse cohorte de genies qui firent monter si haut le renom de Fart Italien, peuplaient FItalie de taut de merveilles.“ Mache Dich mit diesem Abschnitt der italienischen Geschichte näher bekannt. In L. Ranke, die römischen Päpste, 1844—45 und E. Qu in et, les rSvolutions d’Italie 1857 findest Du Stoff Dich zum Verständnis und zur richtigen Würdigung der drei Bücher vorzubereiten, deren Verfasser der große Mann ist, auf dessen Grabmal in der Kirche Santa-Croce in Florenz Du vor einem Jahre die Inschrift: Tanto nomini nullum par elogium Nicolaus Machiavelli Obiit anno MDXXVII gelesen hast. Nicolo di Bernardo dei Machiavelli aus einem reichen florentiner Geschlecht 1449 in Florenz geboren und am 22. Juni 1527 daselbst gestorben, ist weder Schriftsteller noch Gelehrter von Beruf, sondern durch und durch Politiker — Mann der That. Aber auch als Prosaiker was Stil anbelangt, und als Geschichtsschreiber hat ihm die Nachwelt unter seinen Zeitgenossen den ersten Platz eingeräumt. Jedoch erst als

45 er dem Felde aktiver Thätigkeit entrückt war, schrieb er seine großen unsterblichen Werke: 1515 II Principe; zwischen 1518—1522 I discorsi sopra la prima deca di Tito Livio und 1532 sein Hauptwerk: Istorie fiorentine 1215—1492, welches noch heute als eins der vorzüglichsten Muster italienischer Prosa gilt.

Daß Machiavelli in seiner Jugend auch Theaterstücke und dar­ unter eine recht schlüpferige Komödie Mandragora im Stil der Nach­ ahmer des Boccaccio geschrieben hat, bricht über ihn weder alA Mensch noch als Schriftsteller den Stab. Nur die Einfalt wird nach dem Inhalt des Mandragora den Charakter des Berfassers beurteilen: nicht die schlechten Bücher verderben die guten Sitten, sondern umge­ kehrt in Zeiten großer Sittenlosigkeit entstehen die schlechten Bücher. Es gibt daher auch dieses Stück einen Maßstab zur Beurteilung der Zeit in welcher der Verfasser lebte: „Machiavelli a marehe sur les traces de Terence et de Menandre, mais il les a depasses par la licence des tableaux; et pourtant cette comedie, oü Fobscenite cötoie Fesprit et la vigueur du pinceau, avait eu Fhonneur d’etre represente sur un theatre bäti express6ment dans les appartements du Pape" — freilich des Papstes Alexander VI, des­ selben von dem es heißt, daß er mit Römerinnen bekannt war, welche die Gefälligkeit so weit trieben, sich von ihm im Kostüme der Nieder­ länderinnen, die Du jüngst auf der pariser Ausstellung in dem großen Bilde MarckarFs „Der Einzug KarFs V in Antwerpen" gesehen hast, bei Tafel mit seinen Gästen placiren zu lassen. — „On se moque tout le long de la pi&ce de la religion que FEurope professe, dont Borne est le centre et dont le si&ge papal est le tröne.“

M achiavelli war kein Proletarier unter den Scribenten; er schrieb weder Mandragora noch überhaupt des täglichen Brotes wegen. Er wollte die Zeit in ihrer Verworfenheit und Zerfahrenheit, die be­ stehenden Verhältnisse als dem Umsturz reif schildern und nichts konnte seinen Zweck mehr fördern, als die Aufführung eines Schandwerks im Vatikan unter Beifall der Kirchenhäupter. Machiavelli hatte andere Pläne als Bühnenerfolge für seine Äomödien: Die politische Einheit Italiens —

Ch’Apennin parte el mar circonda e l’Alpe. Was Dante gewollt war auch sein Ziel — was erst in unsern Tagen unter Cavour und Mitwirkung Napoleons teilweise erreicht

46

wurde, zum Teil mit Mitteln, die Machiavelli empfohlen, das hatte schon anno 1550 dieser sich zum Lebenszweck gesetzt. Dante, Savonarola, Machiavelli verfolgten dasselbe politische Ziel — nur auf verschiedenen Wegen: Dante 1265—1321 wollte den deutschen Kaiser zur Stütze der nationalen Partei herbeirufen. Savo­ narola 1452—1498 erwartete alles von der Regeneration der Kirche und von der Hülfe Frankreichs. Lies was Qu inet liv. II chap. 1 —4 darüber sagt. In H. Martin, Histoire de France heißt es: „Le dominicain Girolamo Savonarola (Ferrarais de naissance, Florentin d'adoption) se live et annonce, de la part de Dien, i Florence, ä, Rome, a Fltalie, un immense chätiment et la necessite de la patience, la nicessite de passer par des angoisses de la mort pour renäitre et relever la eite du juste. Tribun et prophite, il pritend regenerer le catholicisme en Italic en les retrempant dans leur passe, en les refoulant jusqu’au Xlllme siicle. II tonne ä, la fois contre toutes les nouveautis et contre toutes les corruptions, contre Fart paien et la Science pai'enne, contre le luxe et les voluptes, contre les idees et contre les moeurs. Sa parole eclate avec une teile puissance que Florence se convertit et quitte brusquement ses atours de Courtisane pour les volles de religieuse; les heros du nio-platonisme: Marsile Ficin, Pic de la Mirandole lui-meme, s’inclinent devant le grand ascete; une grande partie des artistes, Fra Bartolomeo en tete, se rejette de l’ecole de Leonard vers les Senti­ ments, sinon vers les formes de Giotto et du mystique Fra Angelico; la Renaissance et ses patrons, les Medicis, chancellent sous le flöt de la riaction populaire; le Vatican se trouble, surpris, comme la Babylone de Balthazar, au milieu de Forgie. Alexandre VI essaie d’imposer silence au prophite avec un chapeau de Cardinal. „Je ne veux d’autre chapeau que celui du martyre, rougi dans mon sang!“ repond publiquement Savonarola. Alexandre VI recule, saisi de stupeur: , „Cet homme, s’icrie-t-il, est un vrai serviteur de Dieu.“ Savonarola domine ä Florence: il 6 tonne, il ebranle au dehors. Mais Fltalie entiire ne se pricipite point i genoux sous le sac de cendre comme il Fy conviait; Fimpieti resiste, la conversion tarde, le deluge approche. II viendra un vengeur qui riformera par Fepee FEglise de Fltalie. Le prophite est la voix; l autre sera le bras. II viendra d’outre les monts. Ce ne sera pas FEmpereur. L’empereur est impuissant, comme le pape est maudit.

47

Ce sera le fils de Saint Louis. Le peuple des croisades, le grand peuple fidele du moyen-äge, la France, est appelee ä chätier et ä sauver Fltalie, ä „reformer Fltalie et l’Eglise“, ä „servir de ministre ä la Justice“! Illusion du genie evoquant un passe qui ne peut revenir! La France de Jeanne d’Arc, durant Fextase sublime de 1429, eut compris sans doute; la France de Louis XI ne saurait comprendre. La mission de la France du moyen-äge est finie; celle de la France moderne n'a pas commence. Et, d’ailleurs, une nation peut bien etre d^livrde par une autre nation du joug etranger, mais ne sau­ rait s’affranchir que par ses propres efforts des maux dont la source est en elle-meme. C’est la profonde erreur du cosmopolitisme catholique. Savonarola meconnait les vraies causes de la chute de Fltalie, et renouvelle, lui si patriote et si pur, les ägarements par lesquels sa patrie s’est perdue .... Machiavel s'est trompe parfois dans la pratique; jamais dans les vues generales. Les deux erreurs Capitales de Fltalie il les a toujours evitees dans la theorie. Les plus grands, les plus purs, Dante, Savonarola, ont appele Fetranger; Machiavel ne Fappelle jamais. L’Italie a reve la domination du monde par le pape; Machiavel declare que la royaute papale est Fobstacle radicale ä Findependance et a Funite de Fltalie. „La papaute est entre Fltalie du nord et celle du sud comme une pierre entre les deux levres d'une blessure qu’elle empeche de se refermer.“ Von glühender Vaterlandsliebe beseelt galt es Machiavelli nur

um die Einheit Italiens. Den Zweck gegeben, entschied über die Mittel nur der Erfolg.

Ohne Gewalt nichts zu erreichen! Erinnert das nicht

an die Blut- und Eisenpolitik unserer Tage? Gewalt von unten —

Monarchie

Gewalt von oben oder unter einem italienischen Fürsten,

oder einheitliche Republik, Herrschaft des Volkes;

diesen beiden Rich­

tungen entsprechen II Principe und I Discorsi. Ersterer ist an Lorenzo dei Medici gerichtet,

den Neffen Leo X,

auf welchen eine Partei, die eine Wiedergeburt Italiens durch einen

starken Fürsten wünschte, damals ihre bald wieder schwindende Hoffnung

setzte.

An verschiedenen Beispielen sucht Machiavelli zu zeigen,

wie

unbeschränkte Fürstenmacht gegründet und erhalten werden könne. Dieser Zweck müsse verfolgt werden, gleichviel mit welchen Mitteln; denn die Schlechtigkeit der Menschen rechtfertige jedes Mittel, wenn nur Italien,

48 welches darauf harre

von

seinen Wunden geheilt und aus der Hand

der Barbaren gerettet zu werden, endlich wieder stark und groß werde.

Die Schrift mochte wohl nur als Schlüffel dienen um sich wieder den

Eintritt zum Staatsdienst, aus dem

die Niederlage seiner Partei ihn

entfernt hatte, die Möglichkeit zum politischen Handeln zu erschließen; denn wenn irgend etwas,

so war Machiavelli Mann der That.

Er

der Cavour, der Bismarck die Zeitverhältnisse ihm nicht

hatte ganz das Zeug in sich der Moses,

seiner Zeit zu werden — nur waren

günstig und dies zeigt Dir auch hier wieder die Wechselwirkung zwischen

dem Handeln der großen Männer,

von denen man sagt,

daß sie Ge­

schichte machen, und der Gesamtentwickelung, der stetig voranschreitenden Kultur, der Bewegung im Leben der Menschheit, welche wir den „Fort­

schritt" nennen, und der die großen Männer erzieht.

In der zweiten Schrift I Discorsi, welche die bedeutendere, in­ haltreichere, aber weniger gelesene ist, beschräntt der Verfasser sich nicht auf den Inhalt der im Titel genannten Geschichtsbücher, sondern zieht

allerlei historisches Material heran um an Beispielen zu zeigen, durch

welcherlei Maßregeln und Staatsmaximen ein Staat stark und mächtig

werde. Daß Machiavelli’s Ruhm einerseits, und andrerseits sein Ver­ ruf sich aber fast ausschließlich auf den Principe gründen, dazu hat vorzugsweise der Antimachiavelli von Friedrich d. Gr. beigetragen. Wolltest Du aber Machiavelli’s politische Denkweise nur nach dem Principe beurteilen mit Hinweglassung der Discorsi und der Istorie, so würdest Du ebenso irren, als ob Du Deine Ansicht über die Lehre Jesu nach dem vierten Evangelisten ohne Rücksicht auf die Synoptiker,

bildetest.

Die polittschen Schriften Machiavelli’s

sind

natürlich nicht

als eine allgemeine Sittenlehre zu verstehen. Er war kein systematisch-

wiffenschaftlicher Geist, kein Gelehrter, nach scholastischen Begriffen nicht eimal hochgebildet.

II ne savait que peu de latin, sagt Bayle, mais

il fut au Service d’un savant homme, qui lui ayant indique plusieurs beaux endroits des anciens auteurs, lui donna lieu de les inserer dans 868 ouvrages. Um so besser verstand er aber seine Muttersprache, verstand zu beobachten und zu denken.

Ein

so gewandter Logiker er

aber war, so ließ er sich doch durch Widersprüche nicht genieren, denn

ihm, dem Manne der That,

war auch die Logik nur Mittel für die

wechselnden Bedürfnisse des Moments; er gehört zu den „men, who are osten inconsistent and they frequently, at the expense of logic, rise superior to their doctrines.“

49 Aber auch Machiavelli hatte politische Ideale, obwohl seine ganze

Lehre realistisch ist.

Immer dringt er wieder darauf, man müsse

der Polittk die Menschen und die Zustände nehmen,

in

nicht wie sie sein

sollen, sondern wie sie sind und darnach alle Maßregeln richten.

In­

des ist er der Vertreter der Nationalität als eines neuen Staats­ princips für Italien. Das polittsche Unglück Italiens sei vornehmlich der

Einwirkung des römischen Papsttums zuzuschreiben, indem der Papst nicht mächtig genug sei, um Italien unter seiner Herrschaft einigen zu können und doch nicht so schwach um nicht mit Hülfe der Fremden jeden an­ dern Fürsten an der Einigung behindern zu können. Alle seine Mittel sind daher darauf berechnet, das damals so zerbröckelte und zerklüftete

Italien unter einem Fürsten zu vereinigen. Er will sein Volk erziehen zur Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit, die ihm fehlt, damit es der frem­ den Söldner und Hülfstruppen entbehren könne und den fremden Herren vertreiben lerne.

Er will mit allen Mitteln die kleinen Tyrannen be­

seitigen und dem neuen Fürsten dienen, der an dem großen Werke der Befreiung und Einigung Italiens entschlossen arbeitet.

Daher der be­

geisterte Schluß des Principe:

.... Volendo dunque Fillustre casa vostra seguitare quelli eccellenti uomini ehe redimerono le provincie loro, e necessario innanzi a tutte le altre cose, come vero fondamento di ogni impresa, provedersi di armi proprie, perchS non si pud avere ne piü fidi nö piu veri ne migliori soldati. E beuche ciascuno di 6ssi eia buono, tutti insieme diventeranno migliori, quando si vedranno comandare dal loro principe, e da quello onorare e intrattenere. E necessario pertanto prepararsi a queste armi, per potere con la virtü italica difendersi dagli esterni .... Non si deve adunque lasciar passar qnesta occasione, acciocche la Italia vegga dopo tanto tempo apparire un suo redentore. Nö posso esprimere con quäle amore ei fasse ricevuto in tutte quelle provincie, ehe hanno patito per queste illusione esterne, con quäl sete di vendetta, con ehe ostinata fede, con ehe pietä, con ehe lacrime. Quali porte se gli serrerebbero ? quali popoli gli negherebbero l’ubbidienza? quäle invidia se gli opporrebbe? quäle Italiano gli negherebbe l’ossequio? Ad ognuno puzza questo barbaro dominio. Pigli adunque la illustre casa vostra questo assunto con quell’ animo e con quella speranza ehe si pigliano le imprese giuste, accioche sotto la sua insegna questa patria ne sia nobilitata, e sotto i suoi auspicj si verifichi quel detto del Petrarca: 4

50 Virtu contro al forore

Prenderä l’arme, e fia il combatter corto; Che Fantico valore NegF italici euer non e ancor morto.u

Jedes Mittel ist ihm gerecht,

welches diesem

nationalen Zwecke

dient. Er verzichtet auf die Ergründung der Pläne einer Hähern Welt­

leitung und hält es für nützlich, wenn die Menschen sich anstrengen,

das Zweckmäßige zu thun und dann die Hoffnung nie aufgeben, daß auch das Glück ihnen hold sein werde. In antiker Weise betrachtet er die Religion mit Borliebe von ihrer politisch wirksamen Seite und sie

erscheint ihm besonders wohlthätig, wenn sie im Dienste des Staates ist. So heißt es in den Discorsi: E veramente alcuna provincia non fü mai unita o felice, se la non viene tutta alla ubbidienza d’una republica o d’un principe, come ö awenuto alla Francia ed alla Spagna. E la cagione ehe la Italia

non sia in quel medesimo termine, ne abbia anch’ ella o una repub-

blica o un principe ehe la governi, ö solamente la Chiesa . . . Er schätzt die Klugheit der Fürsten und der Obrigkeit sehr, welche die religiösen Gefühle des Volks benutzen, um ihren Einrichtungen den

Glanz der Heiligkeit zu verleihen und gibt den Rat,

auch den Aber­

glauben nicht zu verschmähen, wenn er die Anhänglichkeit und die Ehr­ furcht der unwissenden Massen bewahren hilft.

Seine Politik ist aber

ebenso wenig von dem Recht oder von der Sittlichkeit als von

Religion bedingt.

Gesetze und Einrichtungen sind

ihm

der

nur politische

Maßregeln, deren Wert lediglich nach dem Maß ihrer Zweckmäßigkeit für die politischen Ziele zu ermessen ist, daher scheint er unempfindlich

und gleichgültig für eine moralische Beurteilung der politischen Hand­ lungen. Die Zweckmäßigkeit der Mittel ist ihm der einzig entscheidende Maßstab und die kluge Anwendung dieser Mittel gilt ihm als die preis­

würdigste Eigenschaft des Staatsmanns. Im Grunde spricht Machiavelli nur die Ansichten aus, welche in

seinem Baterlande, in seinem Zeitalter die herrschenden waren — den­ selben in einer glänzenden Prosa einen bleibenden Ausdruck gegeben zu

haben, ist sein besonderes Verdienst. Die Schlauheit und Wortbrüchig­ keit der Gewalt beizugesellen in der Regierungskunst hatte Louis XI

1461—1483

schon ausgeübt ehe Machiavelli 1515 das

berüchtigte

achzehnte Kapitel des Principe schrieb. Lies was Guizot über Louis XI sagt und vergleiche damit das

51

Urteil von Walter Scott in der Einleitung zu Quentin Durward — obschon ein Roman, enthält dies Buch manche zur Beurteilung jener Zeit intessante historische Berührungspunkte. Ich möchte Dir gerne aus dem Principe und den Discorsi noch manche Stellen anführen, aber wie ausführlich ich es auch thäte, der Zweck Dir ein treues Bild von dem Inhalt zu geben würde doch un­ erreicht bleiben, denn das Ganze will im Zusammenhang und recht auf­ merksam gelesen sein. Nur noch eine Stelle aus den Discorsi: . . . perchfc dove si delibera al tutto della salute della patria, non vi debbe cadere alcuna considerazione ne di giusto ne d’ingiusto, ne di pietoso ne di crudele, nö di laudabile ne d’ignominioso; anzi, posposto ogni altro rispetto, seguire al tutto quel partito ehe le salvi la vita e mantenghile la libertä.“

Hier spricht aus innerster Seele der Patriot, der eben im Ge­ gensatz gegen die idealen Gefilde des Kosmopolitismus sich mit den gegebenen Verhältnissen unseres Planeten beschäftigt, und insofern man einen solchen Mann als einen hartherzigen Politiker stigmatisirt — wie Dry den sagt: who neither loves nor hates — hatte Machiavelli eben kein Herz für das Unerreichbare. „Die Politik, welche man gegenwärtig kurzweg als Machiavellis­ mus zu bezeichnen pflegt und deren Wesen darin besteht, daß das po­ litische Urteil nur von dem Eintreten des gewollten Erfolgs, nicht aber durch die Beachtung der rechtlichen und sittlichen Principien bedingt sei, ist als eine aus dem Mittelalter abgeleitete Erbschaft zu betrachten. Denn der Staat, in welchem Recht gelten konnte, war damals erst zu schaffen aus dem Chaos der Verwirrungen, der Sittenlosigkeit und der Gewaltthat, in welchem ein gesellschaftliches Moralprincip überhaupt gar nicht allgemein anerkannt war. Wenn Machiavelli die Fürsten lehrte, daß sie sich ihrer Feinde in dem Werke des staatlichen Schöpfungs­ aktes einfach durch Mord entledigen sollten, so wiederholte er nur die geltende Praxis der Päpste wie Alexander Borgia und die später theo­ retisch gepredigte Lehre, welche den Fürsten- und Tyrannenmord int Interesse der Kirche als ein verdienstliches Werk anpries. Eine Staats­ moral konnte von Machiavelli nicht aufgestellt werden, weil weder der Staat der heutigen Denkweise noch auch das Bewußtsein allgemeiner staatlicher Verpflichtungen gegeben war — beides vielmehr erst geschaffen werden sollte. Die Moral war zu seiner Zeit kirchlich korrumpirt.

52

Während die mittelalterliche Kirche die Masten und den Klerus ent­

sittlicht hatte, indem sie die Autorität deS Staates erniedrigte,

entsitt­

lichte auch die lutherische Orthodoxie die Regierenden, indem sie ihnen

von der göttlichen Autorität der Obrigkeit predigte

und die Masten

durch das Gebot des blinden Gehorsams ihres politischen Gewissens

beraubte." Und nun noch ein paar Worte über den „Antimachiavelli" das

Jugendwerk Friedrich

d. Gr.

(in

seinem

26. Jahre verfaßt,

durch

Voltaire 1740

im Haag herausgegeben) von dem ich Dir bereits sagte, daß er hauptsächlich den Ruf oder Verruf des Principe beförderte,

denn sein Erscheinen machte diesen zur Mitte des achtzehnten Jahr­ hunderts mehr als je gelesen.

Dem siecles et demi aprfcs sa mort — schreibt Qu inet — Machiavel remporte une etrange victoire. Le Prince tombe entre les mains d’un jeune homme hiritier de la monarchie prussienne. Fridiric, qui se croyait encore tres 61oigne du tröne, pntreprend de le refuter. II veut confondre Machiavel, „cet avocat du crime, cet oracle de Satan“. Voltaire applaudit par avance Frederic „cet Apollon qui doit 6craser le nouveau Python“. II le presse de composer „le Catechisme de la vertu“. En effet, l’ouvrage avance. A chaque maxime du secr6taire de Florence, le prince royal oppose un axiome de Philanthropie. Les tems de la politique de Telemaque sont arriv^s. L’horreur de la guerre, de la conquete, du pouvoir absolu, le zele de la veritti, le mepris de la ruse, la religion de la libert^ vont ramener Vage d’or. Une seule chose pourrait inquieter: c’est que toutes ces vertue reposent sur le Systeme de sinteret bien entendu, et qu’ainsi la rSfutation confirme le principe de Machiavel. Comment au teste, douter de la sinc6rit6 d’un enthousiasme qui s’exprime avec tant d’abandon! Enfin, l’ouvrage est acheve; il s’imprime. Sur ces entrefaits, le prince devient roi. Jamais on ne vit changement plus rapide; sa premiere pensee est d’altirer le livre, d’y insinuer, par les mains de Voltaire, de petites maximes pieuses, religieuses, habilement hypocrites; et comme ces alt^rations ne suffirent pas encore, il met, ä d6savouer les scelirats qui impriment son Antimachiavel, Cent fois plus de machiavelisme que je n’en puis trouver dans tonte la vie du Florentin. Un peu plus tard, gräce a un melange audacieux d’h^roisme et de cynisme, ä la Science des ruses politiques et militaires, au genie de la guerre, ä Finiquite du partage de

53 Pologne, il devient le premier disciple de l’homme qu’il a commenc6 par vonloir 6 c ras er. Vergleiche hiermit was

I. E. Bluntschli

„Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und

der Politik 1867"

über Friedrich d. Gr. sagt — abermals ein Beweis wie durch ver­ schiedene Gläser gesehen, derselbe Gegenstand verschieden gefärbt erscheint:

«In Friedrichs Natur und Denkweise waren manche Elemente eines mit Machiavelli verwandten Geistes. Auch er hatte sich völlig losge­ rungen von der kirchlichen Autorität, auch sein Streben war ausschließ­ lich auf den Staat gerichtet. In seiner Seele loderte das Verlangen nach Ruhm in Hellen Flammen auf, er liebte die Macht, als eine Er­

gänzung seines Wesens,

als ein unentbehrliches Mittel um sich der

Welt zu zeigen und auf die Welt zu wirken. Rechtsformen,

insbesondere vor dem

Vor den überlieferten

hergebrachten Reichsstaatsrechte

hatte er keinerlei Respekt. Er war überzeugt, daß jeder politische Er­ folg vornehmlich von der richtigen Erwägung der vorhandenen Kräfte,

von der kalten Berechnung der zweckmäßigen Mittel abhängig sei.

So­

gar die gefährliche Kunst, seine Gesinnung zu verbergen und andere darüber zu täuschen hatte er in dem furchtbaren Kampf mit dem Vater um seine Existenz, die dieser nicht begriff und wie sie war nicht dulden

wollte, üben gelernt.

Machiavelli hatte zu seinen Betrachtungen genau

das Gebiet gewählt, in dem auch Friedrich sich wie auf seinem natür­

lichen Boden sicher und frei fühlte. Vielleicht hat gerade diese innere Verwandtschaft ihn die Gefahr der machiavellischen Lehre um so lebhafter, empfinden lassen.

Er sah

darin eine Versuchung, der wenige Fürsten widerstehen. Um so heftiger empörte sich sein sittliches Gefühl wider das verlockende Buch. Er faßte gegen den Autor,

auf dessen ruchlose Natur er aus den bösarttgen

Wirkungen der Schrift zurück schloß,

einen tödtlichen Haß.

Die Welt

von dem vergiftenden Hauche dieser Pest zu befreien, betrachtete er als die ruhmvolle Aufgabe eines politischen Denkers. Als Voltaire den Machiavelli unter den großen Männern von Florenz aufgeführt hatte,

tadelte Friedrich ihn darüber in einem Briefe vom Jahre 1738.

Ein

Jahr später vollzog er jene Aufgabe und schrieb seine „Widerlegung

Machiavellis". . . .

gerecht zu würdigen.

Friedrich kannte Machiavelli zu wenig um ihn

Er beurtheilte ihn einzig nach der Schrift über

den Fürsten und sogar drese Schrift verstand er weniger so, wie Machia-

54 velli sie gemeint hatte, als wie sie von den meisten Lesern damals auf­

Machiavelli hatte keine so schwarze Seele; wie sich der fürstliche Kritiker einbildete. Er war nicht „das moralische Ungeheuer", gefaßt wurde.

nicht „der specifische Lehrer des Verbrechens", nicht „der schändlichste und verworfenste der Menschen", nicht „der Begünstiger jeder Tyrannei". Wir sind in der Beurtheilung Machiavelli’s weitsichtiger, vielseitiger und

gerechter geworden, als der Verfasser des Antimachiavelli es gewesen ist und uns. mißfallen daher seine leidenschaftlichen Wuthausbrüche gegen den großen Florentiner. Aber wir dürfen uns nicht dadurch ver­ leiten lasten, nun ungerecht gegen die Kritik Friedrichs zu werden, und besten Gegenschrift für verfehlt und überflüssig zu erklären, weil sie die persönlichen Vorzüge ihres Gegners zu gering schätzt und durch

seine Fehler zu leidenschaftlich gereizt wird.

Der Antimachiavelli be­

hält trotz dieser Fehler einen bleibenden Werth.

Es

war nöthig

und nützlich, daß ein Staatsmann von erstem Range es unternahm, die Lehre der Politik von dem Schmutz des Lasters und der Ver­

dorbenheit zu reinigen, womit der Gedanke und die Schrift Machia­ Die schlechte Seite des Machiavellismus in

velli’s noch befleckt waren.

der Politik darf sich in unserer Zeit nicht mehr so schamlos vor der Welt zeigen, wie im sechszehnten Jahrhundert. Die offenen Verbrechen

welche damals überall Nachsicht fanden, würden heute eine allgemeine Entrüstung Hervorrufen, welcher der Mächtigste nicht

der Mächtigen,

zu widerstehen vermöchte.

Aber so lange noch auch in der modernen

praktischen Politik so viel heimlicher und listiger Machiavellismus ge­ übt wird, so lange ist die Polemik des Antimachiavel. nicht überflüssig geworden. Von höherm Werthe aber als die polenrische Kritik ist der positive

Inhalt des Antimachiavelli.

Löst man

die

bittere

und stacheliche

Schale einer theilweise übertriebenen Polemik gegen Machiavelli ab,

so findet man im Innern derselben eine köstliche und schmackhafte Frucht, welche dem politischen Geiste zu vortrefflicher Nahrung dient. Die Schrift Friedrichs von Preußen, in der Klarheit des Ausdrucks und in den Reizen der Sprache der Schrift des Florentiners eben­

bürtig, an logischer Schärfe ihr inindestens gleich, ist an fruchtbaren politischen Wahrheiten unzweifelhaft viel reicher als diese. Sie erhebt sich hoch über die Anschauungsweise seiner Zeit, wenigstens die des

europäischen Kontinents. Wenn sie auch heute noch nicht, wie sie es verdient, geschätzt wird, so liegt der Grund nicht in ihrem Unwerth,

55 sondern etwa darin,

daß die Meinungen Friedrichs den Fürsten zu

freisinnig und den Gelehrten zu fürstlich erscheinen. Es gereicht aber den Fürsten und den Staatsmännern der nächsten Jahrhunderte nach Machiavelli nicht zur Ehre, daß so viele derselben

vorzugsweise das an seinen Schriften schätzten, was darin verwerflich

war, um ihre guten Seiten aber sich wenig kümmerten.

Seine Schrift

über den Fürsten wurde viel mehr gelesen, als die wichtigeren und bessern Bemerkungen zu Livius. Gerade die Unempfindlichkeit für

sittliche Rücksichten iiiib die kalte Berechnung des Zweckmäßigen, wie sie in Italien von den Zeitgenossen Maclriavelli’s geübt wurde, galt den spätern in ganz Europa als höchste Klugheit und wahre Politik.

Für die Freiheit des Volkes, die Machiavelli als ein großes Gut vor Berderbniß zu bewahren lehrte, interessirten sich wenige, um so eifriger aber befolgten die vielen seine Räthe, wie die fürstliche Herrschaft zu

verstärken und auszubreiten sei." —

London, 21. Oktober 1878. Dante, Petrarca, Boccaccio und Machiavelli füllen die erste Ab­ teilung der italienischen Literatur meines Katalogs für Dich, den Du

überhaupt nicht nach der Zahl der Bände beurteilen mußt. Paucis est opus literis ad mentem bonam. Dein Lehrer wird Dir noch Äriosto's

„Orlando furioso“, Tas so’s „Gerusalemme liberata“ und andere empfehlen. Beschränke Dich nicht auf meine Wahl, aber mach' eS

Dir zur Regel auf anderer Empfehlung hin nur solche Bücher zu be­

achten,

die sie selbst gelesen haben und von deren Jnhglt sie Dir in

klaren Worten verständlichen Bescheid geben können. Wo dies nicht der Fall ist, verliere keine Zeit.

There are some books, sagt Disrae 11 in Coningsby, when we close them; one or two in the course of our life, difficult as it may be to analyse or ascertain the cause; our minds seem to have made a great leap. A thousand obscure things reeeive light; a multitude of indefinite feelings are determined. Our intellect grasps and grappels with all Subjects with a capacity, a flexibility and a vigour before unknown to us. It masters questions hitherto perplexing, which are not even touched or referred to in the volume just closed. What is this magic ? It is the spirit of the supreme author, by a magnetic influence blending with our sympathising intelligence, that directs and inspires it. By that mysterious sensibility we extend to questions which he has not treated, the same intellectual force which he has exercised over those which he has expounded. His genius for time remains in us. 'Tis the same with human beings as with books A great thing is a great book, but greater than all is the talk of a great man. And what is a great man? A great man is one who affects the mind of his generation.“ „Descartes disait que la lecture etait une conversation qu’on avait avec les grands hommes des siecles passes, mais une conver­ sation choisie, dans laquelle ils ne nous decouvrent que les meil-

57 leures de leurs pensees.“ Cela peut etre vrai des grands hommes, sagt Diderot; mais comme les grands hommes sont en petit nombre, on aurait tort d’etendre cette maxime ä toutes sortes de livres et ä toutes sortes de lectures. Tant de gens mediocres et tant de sots meme ont ecrit, que Von peut en general regarder une grande Col­ lection de livres dans quelque genre que ce soit, comme un recueil de memoires pour servir a l’histoire de Faveuglement et de la folie des hommes; et on pourrait mettre au-dessus de toutes les grandes bibliotheques cette inscription: „Les petites maisons de l’esprit humain." II s’ensuit de la que l’amour des livres quand il n’est pas guide par un esprit eclaire est une des passions les plus ridicules.“ Es sönnen daher auch die Leser vieler Bücher ohne verständige Wahl, wie Ariston de Chio sagt: ils peuvent etre compares aux mangeurs d’ecrevisses: pour une bouchee de chair, ils perdent leur tems sur un monceau d’ecailles. Um chronologisch voranzngehen, müssen wir die italienische Literatur verlassen, denn der mit dem 16. Jahrhundert schnell erreichten höchsten Blüte nationaler Poesie und Bildung folgte unmittelbar der Beginn des Perfalls. Das republikanische Florenz, bisher die Seele der na­ tionalen Politik, trat unter Herzog Alexandra I förmlich in die Reihe der Fürstentümer und mit dem erneuerten Eintreten der Fremdherr­ schaft, dem ausschließlichen Vorherrschen ausländischen Einflusses und dem erfolgreichen Widerstand der Kirche gegen das Eindringen der Reformation wurde jeder höhere Geistesschwung erschwert, die Forschung und die klassische Bildung erstickt, um sich erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts mit Gambettista Vico 1668—1744 wieder zu er­ heben. Nur die Naturwissenschaften erhielten sich trotz des Druckes aller der Hindernisse, welche kirchliche Verfolgung ihnen in den Weg legte und weisen im 17. Jahrhundert bedeutende Männer auf, wie Galilei 1564—1642 und Torricelli 1608—1647, die umso mehr leuchteten, je tiefer die sie umgebende Finsternis war. Nur unvollständig läßt sich aber das intellektuelle Leben jener Zeit, ausschließlich nach den damals erst aufkeimenden Nationalliteraturen beurteilen, denn alle gelehrten Werke wurden in lateinischer Sprache geschrieben: machte es doch noch im Jahre 1687 in Leipzig großes Aufsehen, als daselbst der Professor der Rechte Christian Thomasius 1655—1728, am schwarzen Brett der Universität zum erstenmale Bor-

58 träge in deutscher Sprache ankündigte: diese Neuerung galt für ein

großes Wagnis! Du darfst daher auch zur Beurteilung der Jdeeen, welche zu Machiavelli’s Zeit in Italien die gebildete Welt bewegten, Dich

nicht

auf den Inhalt der in italienischer Sprache geschriebenen Bücher be­ schränken.

So machte z. B. ein lateinisches Buch von Petrus Pom-

ponatius, Zeitgenosse Macdiavelli's und berühmter, scholastischer Frei­ geist, „von der Unsterblichkeit der Seele", welches 1516, also ein Jahr

nach dem „Principe“ erschien, großes Aufsehen. Damals war die Frage der „Unsterblichkeit" in Italien so populär, daß die Studenten einem neu auftretenden Professor,

dessen Richtung sie kennen lernen

wollten, in der ersten Stunde zuriefen,

er solle über die Seele reden,

und es scheint nicht, daß die orthodoxe Ansicht die beliebteste war, denn Pomponatius, der unter dem Schilde der Lehre von der zweifachen Wahrheit (der theologischen und der philosophischen) scharfe Angriffe gegen die Unsterblichkeit richtete, war ein sehr beliebter Docent.

Zwar

wiederholte er nur die Ansichten, welche schon 400 Jahre v. Chr. Protagoras gelehrt hatte und Du wirst sie in manchen spätern Schriften,

neu aufgeputzt wieder finden. Der Zeitfolge nach kommen wir nun von Italien nach Deutschland — von Machiavelli 1449—1527 zu Luther 1483—1546,

von dem

staatlichen auf das kirchliche Gebiet, von der Politik zur Theologie. Vorher muß ich Dich aber noch auf Luther' s Zeitgenossen

Jgnacio Loyola 1491—1556 aufmerksam machen, nicht daß ich Dir eine seiner Schriften anzuempfehlen hätte, sondern weil er der Stifter

des Ordens „der Gesellschaft Jesu", welcher sich in kurzer Zeit zu dem Range einer weltgeschichtlichen Erscheinung aufschwang und mit dessen Einfluß heute noch zu rechnen ist.

Der mindeste Teil dieser Größe

ist zwar dem Stifter znzuschreiben, denn Loyola verdankt seinen Ruhm

hauptsächlich der Weltklugheit und Kraft

seiner Nachfolger.

Weniger

über ihn persönlich als über den Orden selbst will ich Dir daher einige

Worte zur Orientierung sagen. In Paris auf der Universität verband sich Loyola am 16. Au­

gust 1534 in einer Marienkapelle auf dem Montmartre mit P. Lefevre, einem Savoyarden, F. Xaver, einem Navaresen, J. Lainez, A. Salmeron und N. Bobadilla, drei geistvollen Spaniern, und Rodriguez, einem portugiesischen Edelmanne, zur Bekehrung der Un­ gläubigen und zu einer Wallfahrt nach Jerusalem.

Da der Krieg mit

59 den Türken die Reise nach Jerusalem hinderte,

so zerstreuten sich

die

Verbündeten auf den Universitäten in Oberitalien um neue Mitglieder zu erwerben.

Loyola selbst ging

mit Leffcvre und Lainez nach Rom,

wo er seinen Plan zur Stiftung eines neuen, eigentümlich eingerichteten

Ordens 1539

zur Ausführung

Zufolge eines Traumgesichts

brachte.

nannte er denselben „Gesellschaft Jesu" und verpflichtete die Mitglieder, deren Stamm jene ersten Verbündeten bildeten, neben den Gelübden der Armut, Keuschheit und des blinden, beständigen Gehorsams gegen die Obern, noch zu dem vierten, sich in jedes Land, wohin der Papst sie als Missionäre schicken würde,

unweigerlich zu

begeben und

ihre

Aufträge mit allen Kräften und Mitteln ins Werk zu setzen. Eine be­ sondere Bulle Papst Paulas III bestätigte 27. Sept. 1540 den Orden, dessen Glieder im folgenden Jahre bei

einer Versammlung zu Rom

Loyola zum ersten General ernannten. Ungehemmte Verbreitung in der bürgerlichen Gesellschaft bei mög­

lichst festem Zusammenhänge als Drbeu war der Hauptgrundsatz der Verfassung der Gesellschaft Jesu.

Zufolge

derselben teilt sie

sich

in

mehrere Klassen oder Stände: die Novizen, welche aus den talentvollsten, gebildetsten Jünglingen und Männern ohne Rücksicht auf Geburt und

äußere Verhältnisse gewählt und zwei Jahre lang in besondern Noviziat­ häusern durch Übungen der Selbstverleugnung und des Gehorsams ge­ prüft werden, gehören noch

nicht unter die wirklichen Glieder.

Die

geringsten unter diesen sind die weltlichen Mitarbeiter oder Coadjutoren, die keine Klostergelübde leisten und daher entlassen werden können. Sie

dienen dem Orden teils

als Untergebene

und Gehülfen der Glieder

teils als Verbündete. Höher im Range stehen die Scholastiker und die geistlichen Coadjutoren, welche gelehrte Kenntnisse höherer Grade,

besitzen, feierliche Mönchsgelübde leisten und sich insbesondere zum Unter­

richt der Jugend verpflichten ^müssen.

Ihrer bedient man sich als Pro­

fessoren, Prediger, Rektoren und Lehrer, Hofmeister und Gewissensräte

in den Familien und als Gehülfen bei den Missionen.

Den

obersten

Stand machen die Professen aus, wozu nur die erfahrensten Glieder

gewählt werden, deren Weltklugheit, Kraft und Treue gegen den Orden sich vorzüglich bewährt hat. Sie leisten Profeß, indem sie neben den Mönchsgclübden sich noch zur Übernahme von Missionen aller Art ver­

bindlich machen, und dienen, wenn sie nicht in den Profeßhäusern zu­ sammenleben, als Missionäre unter den Heiden und Ketzern, als Beicht­

väter der Fürsten und als Residenten des Ordens an Orten, wo er noch

60 keine Kollegien hat, sind aber von der Verpflichtung zum Jugendunter­

richt völlig befreit. Nur die Profeffen haben eine Stimme bei der Wahl

des Ordensgenerals, der selbst Profeß gewesen sein muß und aus ihrer Mitte die Assistenten,

Provinzialen, Superioren und Rektoren wählt.

Der General bekleidet seine Würde lebenslang und hat seinen Wohnsitz in Rom, wo ihm ein Admonitor und fünf Assistenten oder Räte zur

Seite stehen, die sonst die fünf Hauptnationen Italiener, Deutsche, Fran­

zosen, Spanier und Portugiesen bei ihm repräsentierten. Schon beim Tode Loyola's 1556 zählte die Gesellschaft über 1000 Glieder in 12 Provinzen.

Die erste war Portugal,

wo Xaver und

Rodriguez 1540 auf Einladung des Königs Kollegien angelegt hatten. Nicht minder schnell ging es mit der Fortpflanzung der Gesellschaft in

den italienischen Staaten und in Spanien.

Auch im südlichen Deutsch­

land, namentlich in Oesterreich und Bayern, verbreitete der Orden sich schnell, hauptsächlich auf den Universitäten zu Wien, Prag und Ingol­

stadt.

Aber auch mit dem großen Haufen wußten die Jesuiten leicht

sich zu befreunden.

Wem die Franziskaner zu plump und gemein, die

Dominikaner als Moralisten und Inquisitoren

zu streng und finster

waren, dem sagten die gebildeten, heitern, umgänglichen Jesuiten desto

besser zu. Dieselben verfuhren bei ihrer geistlichen und politischen Wirk­ samkeit sanft, wußten die Menschen durch Nachgiebigkeit gegen deren

Eigenheiten zu gewinnen und ließen überhaupt keine Leidenschaft blicken,

sondern setzten ihre Absichten und Maßregeln bei äußerer Zurückhaltung desto unabläßlicher im Verborgenen durch. Der Geist dieser Lebenskunst

und Gewandtheit für Händel aller Art ging besonders von den staats­ klugen Grundsätzen ihres zweiten Generals J. Lainez aus, der, was die Regeln des Stifters noch düsteres und mönchisches enthielten, schickt zu

ge­

mildern und dein Zwecke des Ordens zeitgemäß anzupassen

wußte. Dieser Zweck war aber ursprünglich kein anderer als die Rettung

und Befestigung der päpstlichen Universalmonarchie gegen jeden Angriff

der Schismatiker, Fürsten und Nationalbischöfe.

Jesuiten unter dem Vorwande,

Darauf arbeiteten die

die Religion oder die Ehre Gottes zu

fördern — in majorem Bei gloriam, wie die Inschrift des Wappens

sagt — planmäßig hin und bemächtigten sich deshalb der Jugend durch Anlegung von Schulen und der Erwachsenen durch Umgang, Beichtstuhl

und Predigtamt.

Als Lainez 1565 starb, war diese Richtung und der

ihr entsprechende thatkräftige Geist bereits entschieden in das innere Leben des Ordens eingedrungen, so daß das Beispiel klösterlicher

61 Frömmelei, blieb,

welcher sich sein Nachfolger F. Borgia ergab,

und Claudius Aquaviva, aus

unwirksam

dem Geschlecht der Herzoge von

Atri, der vierte General der Jesuiten 1581—1615, wurde der Schöpfer ihrer Pädagogik. Seine Ratio et institutio studiorum Societatis Jesu

enthalten den Lehrplan der Jesuitenschulen. So verbreitete sich gleichzeitig im Süden Europas der Jesuiten­ orden, im Norden die Reformation, und die päpstlich gesinnten Fürsten, wie die Päpste selbst, erkannten und erkennen noch heute, allenthalben

in dem Orden der Gesellschaft Jesu das

wirksamste Gegenmittel gegen

den Protestantismus. Der Kampf gegen Gewissensfreiheit beschränkt sich aber nicht auf die katholische Kirche und so lange er überhaupt fort­

gesetzt wird, werden die Principien des Ordens Anhänger finden,

ost

da wo laut gegen den Stifter und seine Schüler declamirt wird. Gutes und Schlechtes findet sich auch hier gemischt, und Du mußt Dich vor einseitiger Betrachtung und daraus gezogenen irrigen Schluß­ folgerungen in diesem Falle, wie bei jeder andern Gelegenheit, hüten. Buckle sagt:

„The jesuits for at least fifty years after their Institution, rendered immense Services to civilization, partly by tempering with a secular element the more superstitious views of their great predecessors the Dominicans and Franciscans, and partly by organizing a System of education far superior to any yet seen in Europe. In no university could there be found a scheine of instruction so comprehensive as theirs; and certainly nowhere was displayed such skill in the management of youth, or such insight into the general Operation of the human mind. It must, in justice, be added, that their illustrious Society, notwithstanding its eager, and osten unprincipled, ambition, was, during a considerable period, the steady friend of Science, as well as of literature; and that it allowed to its members a freedom and a boldness of speculation which had never been permitted by any other monastic Order.“ Aber beachte auch was A. Comte sagt:

„Le genre special de corruption qui appartient ä la politique retrograde surtout, consiste dans Fhypocrisie systematique, dont eile a eu tant besoin depuis que la decomposition du regime catholicofeodal est devenue assez profonde pour ne plus comporter, chez la plupart des esprits cultives, que des convictions faibles et incompletes. Des l’origine de Tepoque revolutionäre, au seizi^me sifccle,

62 on n’a pu voir se dSvelopper, principalement dans Vordre religieux, ce Systeme d’hypocrisie de plus en plus elabore, qui consentait ais6ment, d’une maniere plus ou meins explicite, ä l’emancipation reelle de toutes les intelligences d’une certaine port6e, sous la seule condition, au meins tacite, d’aider a prolonger la soumission des masses: teile tut, Sminemment, la politique des jesuites. Ce machiavellisme theologique a dü etre radicalement ruine lorsque la propagation du mouvement philosophique Fa finalement oblige, comme on le voit aujourd’hui, ä Stendre graduellement un tel privilöge ä tous les esprits actifs. II en est risultS, en effet, cette sorte de mystification rSciproquement universelle, ou, dans les classes meme les meins cultivees, chacun reconnait la religion indispensable chez les autres, quoique superflue pour lui. Telle est, au fond, Fetrange issue definitive de trois siöeles d’une laborieuse resistance au mouvement fondamental de la raison humaine.“

Was man gegenwärtig, in gehässiger Weise „Jesuitismus" nennt, ist weit über die Grenzen des Ordens verbreitet und nicht auf die ka­ tholische Kirche beschränkt.

London, 30. Oktober 1878. Ich nannte Dir Loyola und Lainez als die Gründer des Jesuiten­

ordens — in anderm Sinne ist Luther als Stifter der Reformation

zu betrachten. Nicht in demselben Verhältnis, in welchem für die Entwickelung

der Menschheit die deutsche Reformation ein großartigeres Ereignis ist, wie die Stiftung jenes Ordens, darf Luther als Persönlichkeit über

Loyola und Lainez erhoben werden.

Die Verhältnisse ließen Luther in

jenem epochemachenden Kampfe gegen Rom die hervorragende Rolle spielen, aber die Reformation machte ihn — nicht er die Reformation.

Das Paradox verschwindet, wenn Du die geschichtliche Entwickelung aufmerksam verfolgst.

Beachte was Guizot über die Entwickelung, den

Einfluß und die Ansprüche der katholischen Kirche,

die Teilung der

geistlichen und der weltlichen Macht sagt:

L’eglise commen^ait un grand fait, la Separation du pouvoir spirituel et du pouvoir temporel. Cette Separation c’est la source de la liberte de conscience: son principe est le meine que celui qui sert de fondement ä la liberte la plus rigoureuse et la plus etendue. La Separation du temporel et du spirituel se fonde sur cette idee que la force materielle n’a ni droit ni prise sur les esprits, sur la conviction, sur la veriti. Elle dticoule de la distinction etablie entre le monde de la pensee et le monde de l’action, le monde des faits Interieurs et celui des faits extirieurs. En sorte que ce principe de la liberte de conscience pour lequel l’Europe a tant combattu, tant souffert, qui a prevalu si tard, et souvent contre le gre du clergti, ce principe etait depos6, sous le nom de Separation du temporel et du spirituel, dans le berceau de la Civilisation europSenne; et c’est l’Eglise chritienne qui, par une nScessite de sa Situation, pour se defendre alors (au Vme siede) contre la barbarie, l’y a introduit et maintenu.

64 Erst der Mißbrauch der geistigen Überlegenheit führte zur Reak­ tion. Der Widerstand gegen die äußere Macht der päpstlichen Hierarchie reicht tief ins Mittelalter zurück; er ist so alt wie die hierarchischen Ansprüche Roms. Die unbeschräntte Gewalt, welche sich die Päpste als Gottes Statthalter über alle christlichen Fürsten und Völker beilegten; der Übermut mit dem sie Könige und Kaiser in den Bann thaten,

abzusetzen versuchten und ihre Unterthanen der Eidestreue entbanden;

die herrschsüchtige Politik, mit der sie alle politischen Händel im In­ teresse ihrer Machterweiterung ausbeuteten; die ausschließliche Jurisdittion, welche sie sich über alle Personen und Güter der Geistlichkeit

in allen Ländern beilegten, dadurch den Rechtsgang hemmten und einen

großen Teil des Nationalvermögens der Teilnahme an den Staatslasten entzogen; die ungeheuren Reichtümer besonders an liegenden Gründen (in Blanqui, Economie politique ch. XIII; Une abbaye au douzi&me siede), welche die Geistlichen und Mönchsorden errungen hatten und

die jede Verbesserung der Staatsökonomie fast unmöglich machten;

die

endlosen Abgaben, welche die Päpste in allen Ländern erhoben und immerfort mehrten; der Stolz, Hochmut und Übermut der Geistlichen und Mönche, verbunden zum Teil mit großer Unwissenheit; schweifungen,

die Aus­

zu denen sie der Zwang der Ehelosigkeit verleitete und

wodurch sie sich ebenso sehr verächtlich als verhaßt machten: diese Ge­ brechen waren in verschiedenen Perioden der frühern Geschichte der

Hierarchie Gegenstand des Angriffs gewesen,

selbst schon zu der Zeit,

wo die Macht der päpstlichen Kirche noch auf ihrem Höhepuntte stand.

Die Konzilien zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts zu Pisa,

Constanz und Basel bezweckten Reformversuche, die vom Klerus selbst angeregt wurden, die die Kirchenautorität nicht beschränken, sondern nur vom Papst auf die Konzilien wieder übertragen sollten.

Der Miß­

brauch päpstlicher Gewalt, der überwiegende Einfluß der Italiener, die finanzielle Ausbeutung der andern Länder, der Verfall der Kirchenzucht und Sitte: das waren zu jener Zeit die wesentlichen Beschwerden, um welche sich die Reformtendenzen der Konzilien bewegten. Es gelang den Päpsten damals zugesagte Reformen zu vereiteln — das Übel wurde

dadurch nur vergrößert. Die allgemeine Umgestaltung des ganzen mit­

telalterlichen Lebens ließ sich nicht verhindern. neue Staatenordnung;

Bedeütung;

Es bildete sich

eine

die alten ständischen Unterschiede verloren ihre

das Rittertum verfiel militärisch

und ökonomisch:

das

Bürgertum in den Städten gelangte auf den Höhepunkt seiner mate-

65 riellen und moralischen Macht; die Erschließung neuer Meere und Länder erweiterte den ganzen Gesichtskreis der abendländischen Welt.

Zugleich erschütterte die Wiederherstellung der Wissenschaften im Huma­ nismus, durch die eben erfundene Buchdruckerkunst gefördert, das mön­

chische und kirchliche Monopol mittelalterlicher Bildung.

Die Literatur jener Zeit, namentlich die humanistische Opposition gegenüber dem Mönchtum, der religiöse Gegensatz der Mystik gegen die mittelalterliche Scholastik, die didaktische und satyrische Richtung der Volksliteratur:

dies alles zeigte, zu welcher Macht und Ausbreitung

bereits die neuen Richtungen gekommen waren.

Es handelte sich nicht

mehr um den Widerstand gegen die Hierarchie und Disciplin der Kirche, sondern es war gegen das ganze mittelalterliche Denken und Dichten

ein Gegensatz erwacht,

der das Fundament römischer Kirchenautorität

erschüttern mußte. In dieser Gährung entstand der Stteit über den Ablaß und er­ öffnete dem Augustinermönche Martin Luther, 1483—1546, seinen

Wirkungskreis, in welchem der 31. Dftober 1517 durch Anschlägen der berühmten 95 Thesen an der Schloßkirche zu Wittenberg, seinen offenen

Bruch mir der katholischen Kirche bezeichnet. 1525 in demselben Jahre,

in welchem Luther,

42 Jahre alt,

heiratete, ordinierte er zum ersten

Male einen reformatorischen Geistlichen Rorarius und begründete da­ durch die Unabhängigkeit der Weihe von den Bischöfen — schied das

Predigeramt vom Priesteramt.

Die apostolische Succession, auf welcher

in den katholischen und anglikanischen Kirchen die Gültigkeit der Ordi­ nation beruht, war hiermit gebrochen, ein Bruch, welcher die tiefe Kluft zwischen der lutherischen und der anglikanischen Kirche bildet, die zu

überbrücken alle Versuche, auch die vereinten der Altkatholiken und

Anglikaner 1875 in Bonn, gescheitert sind. Daß Luther die Reformation gemacht habe, mag etwa in dem Sinne gelten, wie man Marie Antoinette die Urheberin der französischen Re­ volution nennt. Luther war ein wackerer Kämpfer unter vielen tüch­

tigen Zeitgenossen — aber im großen Ganzen betrachtet wurde er weit mehr geschoben, als er selbst schob und namentlich ist sein Wirken vor und nach dem Reichstag zu Worms kein einheitliches. Daß andere

große Männer vor und mit ihm rüstige Werkzeuge waren,

benimmt

aber nichts an seiner großen Bedeutung für das Gelingen des Werkes;

Luther bleibt groß, ignoriere.

ohne daß man andere in den Staub ziehe oder

Ich will Dich auf einige seiner Zeitgenossen aufmerksam 5

66 machen, die mit herangezogen werden müssen, wenn Du Dir ein Bild

der deutschen Reformation machen willst. Da war vor allen Desiderius Erasmus 1467—1536, der berühm­ teste der deutschen Humanisten, der durch seinen Kampf gegen das

Mönchtum und die scholastische Barbarei

der Reformation den Weg

bahnte. Als großer Egoist zog er zwar gelehrte Muße und Ruhe des einsamen Studiums dem offenen Kampf seiner Gesinnungsgenossen vor, aber wenn auch Ängstlichkeit und Bequemlichkeit ihn vom praktischen so ging doch der Einfluß seiner Schriften über die Grenzen von Deutschland hinaus.

Handeln zurückhielten, ,

Werktätiger trat Johann Renchlin 1455—1522 auf. Er wirkte für bessere Gestaltung des Schulwesens und verfiel den bittersten An­

feindungen der Dominikaner in ftölii, als er dem rohen Vorschlag des getauften Juden Joh. Pfefferkorn, alle jüdischen Bücher aus der he­ bräischen Bibel zu verbrennen, entgegentrat. Bezeichnend für den da­ mals noch herrschenden scholastischen Geist ist es, daß in dem jenem Streite folgenden Bürgerkriege die Universitäten Paris, Löwen, Erfurt und Mainz auf Seite der Dominikaner traten.

Aufsehen machte um

jene Zeit auch das anonym erschienene aber Reuchlin zugeschriebene Buch:

Epistolae obscurorum virorum,

welches die Bornirtheit der

damaligen Scholastiker geißelte. Freund Reuchlin's und

anfangs auch mit Erasmus

befreundet,

nachher freilich bitter verfeindet, war Ulrich von Hutten 1488—1523, dessen Leben D. F. Strauß beschrieben hat.

„Das Andenken theurer

Verstorbenen, heißt es in der Vorrede, erneuert sich uns in guten wie in bösen Tagen; das einemal verlangt uns nach ihrem Rath und Bei­

stand,

das andremal nach ihrer Theilnahme an unserm Glück.

was den Einzelnen, das begegnet ebenso den Völkern:

Und

in Zeiten der

Drangsal wie der Wohlfahrt rufen sic gerne die Geister ihrer großen Todten herauf.

Die großen Männer der Nationen sind aber gemein­

hin Kämpfer, cs find diejenigen, die für das Licht gegen die Finsterniß,

für Bildung gegen Barbarei, für Freiheit gegen Despotendruck, für das Vaterland gegen den Andrang der Fremden gestritten haben;

gleich

ehrenwerth, gleich theuer den Nachlebenden, ob sie vom Siege gekrönt

worden, oder in vergeblichem Ringen untergegangen sind. Eine „Wolke von Zeugen" dieser Art um sich zu wissen, darin besteht der Adel einer Nation." Reuchlin und Hutten können nicht genannt werden ohne Franz

67 von Sickingen 1481—-1523, der reichste und mächtigste reichsunmittel­

bare Ritter jener Zeit in den Rheinlanden.

Obwohl kein Gelehrter,

neigte er sich doch den humanistischen und reformatorischen Bestrebun­ gen zu, ergriff Partei für Reuchlin in dessen Stteit mit den kölner Scholastikern, nahm Ulrich von Hutten und andere Bewegungsmänner auf seiner Ebernburg bei Kreuznach auf und bot auch Luther eine Zu­ Durch den Einfluß Hutten's wurden bei Sickingen weitge­ hende Plane angeregt, die auf eine gewaltsame Durchführung der Re­ formation und Abschaffung der geistlichen Fürstentümer, welche dem

flucht an.

Reichsadel zu gute kommen sollten,

hinausliefen.

Für diesen Zweck

hofften sie auf den Beistand der Reichsstände und des Bauernstandes, die man durch Flugschriften und dergleichen gegen Klerus und Fürsten aufzurütteln suchte. Ferner hast Du Dir noch zu merken Philipp Melanchthon 1497 bis 1560, den bekannten Freund Luthers, und ganz besonders Andreas RudolfKarlstadt 1480—1541 (eigentlichBodenstein geheißen) den Rek­

tor der Universität zu Wittenberg, den Luther selbst als seinen Lehrer und

Meister bezeichnet, der ihm auch in mancher Hinsicht Vorbild war. Schon am 26. April 1517, also ein halbes Jahr vor Luthers gleicher That, schlug Karlstadt seine 152 Thesen an, in denen er den Kirchen­

vätern gegenüber an die höhere Autorität der heiligen Schrift und, wo

diese nicht ausreiche, an die Vernunft appellirte, und beim Schluß der Disputation mit Eck im Juni 1519, also anderthalb Jahre ehe Luther

die päpstliche Bannbulle verbrannte,

hatte Karlstadt mit der Verwer­

fung der Autorität des Papstes und der Konzilien, so wie der Aner­

kennung

der heiligen Schrift als alleiniger Autorität, sich und seine

Anhänger von Rom bereits geschieden.

Daß Karlstadt weiter und auch energischer voranging wie Luther, erregte nicht nur des letztern Groll und spätere Berfolgungssucht,

son­ dern bezeichnet auch klar den Standpuntt Luthers: Karlstadt verwarf

im Unterschiede von Luther die Bilder in den Kirchen unbedingt, ließ

die Abendmahlsfeier nur als Erinnerungsmahl gelten, bestritt die leib­ liche Gegenwart Christi im Brote und Wein und behauptete auch, daß jeder Gemeinde das Recht sich zu reformiren zustehe. Diese letzte Behauptung war für Luther um so unerträglicher, als sie ihn in

offenen Konflikt mit dem entscheidenden und für die Entwickelung der neuen Lehre so wichtigen Schritte brachte,

den er 1524 gethan hatte.

Als nämlich nach dem Tode des Kurfürsten Friedrich von Sachsen,

68 sein Bruder Johann die Regierung antrat und sich für die Reforma­

tion erklärte, forderte Luther denselben auf, sich des Kirchenregimentes anzunehmen, was dieser auch that.

In Folge hiervon erlangte die durch Luther vertretene Richtung der Reformation in Sachsen vorwiegenden Einfluß durch die gesetzliche Genehmigung der Staatsgewalt, welche nun Oberhaupt der neuen Kirche

wurde und sofort ihre Gewalt (wie s. Z. Constantin) zur Unterdrückung Andersdenkender mißbrauchte;

daher die Verfolgung Karlstadts,

der

Sachsen verlassen mußte: nicht Luther sondern der Kurfürst hatte 1527—1529 eine allgemeine Kirchenvisitation angeordnet und das Kir­ chenwesen nach lutherischen Grundsätzen einrichten lassen,

denen Karl­

stadt nicht beistimmen konnte. Du siehst also, daß schon die äußere Geschichte der Anfänge der

Reformation in Deutschland es mit sich brachte, daß die neue Religion bei der fürstlichen Gewalt Schutz suchte und Unterstützung fand.

Da­

durch wurde die freie Ausbildung ihrer kirchlichen Verfassung gehemmt und dem Einfluß der weltlichen Autorität eine Stellung errungen, die wesentlich auf die Entwickelung des deutschen Protestantismus gewirkt

hat und noch nachwirkt. Luther selbst anbelangend faßte er die Reform der Kirche weit mehr von der moralischen als von der intellectuellen Seite auf — auf Abschaffung

grober Mißbräuche, nicht auf die Befreiung des Gedankens kam es ihm

an; wie s. Z. Petrus so hielt auch er am „Gesetz" und man hat im Zwingli den Paulus der Reformation genannt.

Gegensatz zu Luther,

Luthers Nachfolger haben ihn in seinen Einseitigkeiten in einem Grade

überboten, daß schon Lessing in Verzweiflung ausrief:

„Luther, Du

hast uns von dem Joch der Tradition erlöst; wer erlöst uns von dem

unerträglichern Joch des Buchstabens?"

In der Knechtschaft des Büch­

stabens war und blieb Luther und seine Zeit und sind noch heute die Lutheraner befangen.

Lies R. Hamerling „König von Sion" — ein Buch, welches in wenigen Jahren, 1876 schon die siebente Auflage erlebt hat. Mit Wahr­

heit ist der Spott gemischt den er dem graubärtigen Propheten in den Mund legt: , denn der Teufel, Der ihn plagt, ist der schwarze, der klotzige Bursche, der Buchstab'!

Ging er weiter, als man ihn gestoßen? Bei jeglichem Prügel,

Den man ihm, dem Erbosten, von Rom aus erbost in den Weg warf,

69 Strich aus der römischen Lehr' er hinweg einen Glaubensartikel, Nur zum Trotz: seit ruhig man sitzen ihn läßt auf der Wartburg, Ist es zu Ende mit seinem Latein, ist dämlich und zaghast.

Sammt dem gelehrten Genossen, dem Meister der Schule, Melanchthon. Wie zwei Fuhrmannsgäule, gespannt an den Wagen und rastend, Still vor der Schenke,

wo zecht in des Mittags Schwüle der Eigner,

Kühlung fächelnd einander mit wehenden Schweifen und ost auch

Brüderlich reibend einander die bremsengcstochenen Weichen: So am verfahrenen Karren der schüchternen Kirchenverbess'rung

Steh'n auf dcmselbigen Flecke der Martin dort und der Philipp, Harrend des heiligen Geists, und begnügen sich, einer dem andern

Brüderlich weiter zu wedeln vom Rücken die neckenden Bremsen." Aber auch verdienter Spott und Tadel eigensinniger Schwächen vermögen Luther nicht von dem Piedestal herabzustürzen,

auf welches

ihn die deutsche Nation, und mit Recht, gesetzt hat. Was Großes Luther auch immer für die Kirche oder für den christlichen Glauben gewirkt

habe, es wird unendlich überragt durch das, was er für Deutschland,

hauptsächlich mit seiner Bibelübersetzung geleistet hat, ein Werk, das er unermüdlich, in dreiundzwanzigjähriger Arbeit, bis an sein Lebensende verbesserte. Einer der fruchtbarsten Schriftsteller aller Zeiten, hat er unter anbetm geschrieben': „Auslegung der zehn Gebote", „An den

christlichen Adel deutscher Nation von des geistlichen Standes Besserung", „Ansichten in Bezug auf die Lehre von den sieben Sakramenten", „An daß sie christliche Schulen

die Rathsherren aller Städte Deutschlands,

austichten",

„Das Papstthum in Rom vom Teufel gestiftet"

Dazu kommen 89 Kirchenlieder,

ein

u. s. w.

ausgebreiteter lateinischer und

deutscher Briefwechsel und seine berühmten „Tischreden".

Aber nichts

steht an weitragendem Einfluß der Bibel gleich, für welche er die

Kanzleisprache wählte, wie sie sich im 15. Jahrhundert bei den Reichs­

tagsverhandlungen und am kaiserl. wie ant surf, sächs. Hofe ausgebildet hatte. „Ich habe keine gewisse, sonderliche eigene Sprache im Deutschen,

sagt er, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide. Ober- und Niederländer, verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Kaiser Maximilian und Kurfürst Friedrich haben im Römischen Reich die deutschen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen." So schrieb Luther in der Bibel die Sprache, in welcher nach und nach die Deutschen aller Gauen einander verstehen lernten. Seine

70 Bibel ersetzte den Mangel einer tonangebenden Hauptstadt und wurde die Quelle, aus der alle nachfolgenden bedeutenden Schriftsteller,

be­

wußt oder unbewußt, einen großen, wesentlichen Teil ihrer Sprachbil­

dung schöpften.

Bon noch weit größerer Bedeutung wurde aber durch

die nun erst ermöglichte allgemeine Verbreitung des Inhalts der christ­ lichen Urkunden, das sich an die spätere kritische Beurteilung dieses Inhalts knüpfende rege Interesse, welches das deutsche vor allen an­ dern Völkern auszeichnet.

Gegenüber diesen Errungenschaften tritt Luther's Einfluß auf die Kirchenverbesserung und die Dogmatik in den Schatten, denn hier trifft

zu, Was Alessandro Manzoni sagt: „Non si puo spiegare quanto sia grande l’autoritä d’un dotto di professione, allorche vuol dimo­ strare agli altri le cose di cui sono giä persuasi.“ Zwar wird Luther manches in die Schuhe geschoben,

was seine

Schüler und Nachfolger verschuldet haben: die heute übliche lutherische

Ansicht vom Jnspirattonsdogma „daß in den Evangelisten keine Wider­ sprüche, weil der heilige Geist durch sie geschrieben und sie also voll­

kommene Schreiber" lautet ganz anders wie das, bezüglich der Evangelien gesagt hat:

was Luther selbst

„Die Evangelisten halten in den

Mirakeln und Thaten Jesu keine Ordnung; liegt auch nicht viel daran.

Wenn ein Streit über die heilige Schrift entsteht und man kann sich nicht vergleichen, so lasse man's fahren." In der deutschen Reformation bildet Luther's Wirken

nur eine

Episode, wie diese selbst ja auch nur einen Abschnitt in dem ganzen großen Reformationszeitalter. Über den Zusammenhang der verschie­ denen reformatorischen Bestrebungen in Europa herrschen noch und ver­ breiten sich viele Unklarheiten. Hierin teilt der Unterricht in der Ge­

schichte das Loos anderer Wissenschaften, sofern nachdem das

bessere

längst gefunden, das alte der Heranwachsenden Generation noch immer Erklärlich ist dies, teilweise aus der Engherzigkeit vieler

gelehrt wird. Leute,

die als Gelehrte sich zu den Angehörigen einer Kaste rechnen

und als solche die Verbreitung neuer Ansichten nicht nur, sondern die

Verbreitung allgemeiner Bildung überhaupt scheuen, teilweise und haupt­ sächlich aber aus der Bequemlichkeit; die Schwierigkeit sich von der Ge­ wohnheit loszusagen, wächst bei fast allen Menschen mit dem Alter und so gehen viele Lehrer im Irrtum fort, weil sie ihm ihre Existenz ver­

danken und das Gelernte umzulernen ihnen eine unbequeme Sache wäre, während die Schüler selbst nicht frei von Tadel sind, denn der Masse

71 derselben ist es auch oft mehr um ihr Fortkommen als um die Wahr­

heit zu thun.

Wahrheit setzt,

So sehr auch prinzipiell jede Wissenschaft als Ziel die so verraten doch die berufsmäßigen Pfleger und Ver­

breiter mit ihren Experimenten und Argumenten gar oft. daß es ihnen nicht immer um die Wahrheit zu thun, daß vielmehr ihre Absicht und

ihnen besonders daran gelegen ist,

ihre eigene Meinung zu beweisen

— die Geschichte wird in ihren Händen eben, Theorie;

wie Macaulay klagt,

deshalb wird denn oft alles verborgen, wodurch die Wahr­

heit an den Tag kommen und die Unhaltbarkeit der Lehren sich dar­

legen könnte.

So verpflanzt sich der Irrtum mit Leichtigkeit und kehrt

immer von neuem wieder wie Ungeziefer, das man eben vertilgt zu haben meint; Du wirst ihm auf allen Gebieten des Wissens begegnen und ihn auch nur durch selbständiges Denken und Forschen überwinden.

In landläufiger aber zu beschränkter Auffassung,

läßt man

das

Reformationszeitalter mit Huß 1373—1415 und Hieronymus 1379 bis 1416 beginnen und ihm durch Luther die Krone aufsetzen. Dabei

fehlt aber der Zusammenhang, in welchem alle Resormationsbestrebungen

in den verschiedenen Ländern nur als Ausbrüche eines uralten Auto­ ritätsstreites in der christlichen Kircbe erscheinen, eines Streites, der ursprünglich unter den Klerikern allein geführt wurde, an dem sich erst

später die Laien beteiligten. Die Albigenser von den Konzilien in 1165,

1175, 1178, 1179 verdammt, die Waldenser zu Ende des zwölften Jahrhunderts (1170—1184) aufs grausamste verfolgt, John Wycliffe

1324—1387, sie alle protestirten gegen die Autorität des Papstes, be­ riefen sich, wie später Luther auf die Bibel nud Huß uud Hieronymus schlossen sich an Wycliffe an. Dasselbe Verlangen nach einer Refor­

mation in der Kirche, welches im sechszehnten Jahrhundert in Deutsch­ land lebhaft wiedererwacht war,

führte gleichzeitig in der Schweiz, in

Frankreich, in Schottland und in den Niederlanden zu Agitationen und es knüpfen sich daran die Dir bekannten Namen von Ulrich Zwingli

1484—1531, Jean Calvin 1509 —1564, John Knox 1505—1572. Weniger bekannt ist Dir wohl der Holländer Cornelis Jansen, lateinisirt Jansenius, 1585—1638, der Verfasser eines Buches „Augu­ stinus“, in welchem er,

im Gegensatz gegen die Jesuiten, die augustinischen Lehren von der Erbsünde, der gänzlichen Unfreiheit des mensch­

lichen Willens, der alleinwirkenden und heilenden Gnade und der Prädistination als die wahre Orthodoxie darstellte. Unter Louis XIV. machte der Jansenismus, ohne sich jedoch je von der katholischen Kirche

72 förmlich loszusagen, viel Aufsehen in Frankreich, entartete aber bald in gefühlsselige Schwärmerei. Anders gestaltete sich unter Henry VIEL und Mitwirkung von Thomas Cranmer 1489—1556, in England die anglikanische Kirche. „Somerset had as little principle as his coadjutor Cranmer. Of Henry, an orthodox Catholic, except that he chose to be his own Pope, and of Elizabeth, who certainly had no objeption to the theology of Borne, we need say nothing. These four persons were the great authors of the Englieh Reformation. Three of them had a direct interest in the extension of the royal prerogative. The fourth was the ready tool of any who could frighten him. It is not difficult to see from what motives, and on what plan, such persons would be inclined to remodel the Church. The scheine was merely to transfer the full cup of sorceries from the Babylonian enchantress to other hands, Spilling as little as possible by the way. The Catholic doctrines and rites were to be retained in the Church of England. But the king was to exercise the control which had formerly belonged to the Roman Pontiff. In this Henry for a time succeeded. The extraordinary force of his character, the fortunate Situation in which he stood with respect to foreign powers, and the vast resources which the suppression of the monasteries placed at his disposal, enabled him to oppress both the religious factions equally. He punished with impartial severity those who renounced the doctrines of Rome, and those who acknowledged her Jurisdiction. The basis, however, on which he attempted to establish his power was too narrow to be durable. It would have been impossible even for him long to persecute both persuasions. Even under his reign there had been insurrections on the part of the Catholics, and signs of a spirit which was likely soon to produce insurrection on the part of the Protestants. It was plainly necessary, therefore, that the Crown should form an alliance with one or with the other side. To recognise the Papal supremacy, would have been to abandon the whole design. Reluctantly and sullenly the government at last joined the Protestants. In forming this junction, its object was to procure as much aid as possible for its selfish undertaking, and to make the smallest possible concessions to the spirit of religious Innovation. From this compromise the Church of England sprang.11

73 So war um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts in ganz

Europa die kirchliche Reformation in Muß gesetzt — jedoch ihre Fort­ bildung ging nicht friedlich von Statten.

Luther und Zwingli waren

schon früher über die Lehre vom Abendmahl bitter zerfallen und alle Versuche zur Ausgleichung blieben ohne Erfolg.

Nach Luthers Tode

entstand ein noch heftigerer Streit zwischen seinen schroffen Anhängern und der Schule Melanchthons, der in der Lehre vom Abendmahl, von der Gnadenwahl und der Mitwirkung des Menschen bei der Besserung

den echten Typus der lutherischen Theorie verlassen zu haben, beschul­ digt wurde.

Diese Streitigkeiten zu schlichten ließen in Deutschland die Fürsten die sogenannte Konkordienformel aufsetzen,

promnlgirten dieselbe 1580

nebst der ungeänderten augsburgischen Konfession und deren Apologie, ingleichen die beiden Katechismen Luthers und die von Luther für den Convent zu Schmalkalden aufgesetzten Artikel als — „Symbolische Bücher" — und führten den Religionseid ein, welcher alle Geistlichen

eidlich verpflichtete,

den symbolischen Büchern gemäß zu lehren.

Na­

türlich wurde die innere Entwickelung des reformatorischen Prinzips — die freie Forschung — dadurch ungemein gehemmt und die Einheit seiner Bekenner vereitelt.

Bald reichte auch die Zunge nicht mehr aus;

die Gestaltung des religiösen Lebens wurde — zum Deckmantel poli­

tischer Machtbestrebungen benutzt — der rohen Gewalt der Waffen über­ antwortet,

und erst der den dreißigjährigen Krieg beschließende West-

phälische Friede 1648, stellte die juristische Existenz des neuen Bekennt-

niffes fest.

Dies geschah aber unter Umständen und Klauseln, welche

den innern Frieden unmöglich machten. Was Du Dir aber als das wesentliche in diesem Wirrwar zu merken hast, das ist die neue Erweckung des geistigen Lebens, nicht nur

in Deutschland sondern auch in den Nachbarstaaten, aus welcher die moderne Kultur hervorgegangen ist. weckung ging davon aus,

Und nicht nur die geistige Er­

sondern auch die sittliche Erhebung war da­

mit verbunden, die in das innerste Volksleben Europas eingedrungen ist und auf die alte Kirche selbst wesentlich zurückgewirkt hat; denn daß

auch die katholische Kirche seit dem Trienter Konzil anders geworden als sie zur Zeiten Alexander VI., Julius II. und Leo IX. war, ist nur eine Frucht des reformatorischen Geistes gewesen, von dem auch Luther ergriffen und getrieben wurde, den er aber weder hervorgerufen noch

geschaffen hat.

74 Daß Luthers Name mehr als ein anderer mit der deutschen Re­

formation verknüpft in der Geschichte fortlebt, darin teilt er das Loos vieler Heroen.

und

Auch schon im Altertum haben politische Beziehungen

vor allem der Handel Kenntnisse,

Erfindungen und Jdeeen auf

mannigfachen Wegen von Volk zu Volk strömen lassen,

und

manche

Vermittlung hat sich später traditionell an einen einzelnen Namen ge­

heftet, deren zahlreiche Träger auf ewig dem Andenken der Nachwelt entschwunden sind.

Die Hauptsache für Dich ist aber, daß Du die große

Errungenschaft der Reformation weder in dem lutherischen noch in ir­ gend einem Glaubensbekenntnisse suchest,

sondern

in

der

wachsenden

Selbständigkeit der gesamten bürgerlichen Gesellschaft in Europa. Vor­ her schrieb Rom vor, wer und was im Staate geduldet werden sollte,

was nicht. allein,

Das Glauben und Denken, das Reden und Schreiben nicht

sondern auch Arbeit, Lebensweise, Nahrung war von der römi­

schen Kirche

bestimmt.

Die Priester und Mönche waren der

lichen Gerichtsbarkeit entzogen;

bürger­

die Gesetzgebung über die Ehe lag in

den Händen einer regierenden Kaste, deren Mitgliedern die Ehelosigkeit Gebot war.

Die Schaaren der Mönche und Nonnen und ihre reichen

Klöster entzogen dem bürgerlichen Leben eine Fülle nationalen Reich,

tums und kostbarer Arbeitskraft. von diesem Bann,

Die Reformation befreite das Leben

gab die gebundenen Kräfte der Gesellschaft zurück,

führte die Geistlichen wieder auf die Grundsätze ihres natürlichen Be­ rufs zurück, hob den religiösen Unterricht und die Schule, erschütterte eine Menge von Überlieferungen, welche blos durch Trägheit und Aber­

glauben getragen waren, löste die Wissenschaft von den Fesseln priester­ licher Autorität und machte es möglich die Glaubensgerichte und Ketzer­

verfolgungen allmälig zu überwinden.

wissenschaftliche Forschung

Erst jetzt konnte die selbständige

beginnen und eine Reihe

von Disziplinen

wie die Geschichtsforschung, die Naturwissenschaften, die Philosophie nun erst, nachdem sie von der Theologie, der priesterlichen Kontrole, befreit waren, zu freier Entwickelung gelangen.

Und höher noch als alles dies

ist der innere sittliche Lebensprozeß, die Umgestaltung der ganzen Welt und Lebensanschauung anzuschlagen, den die Völker durchmachten, welche

von dem Geist der Reformation ergriffen sind.

und

durchschüttert worden

Es ist der große Prozeß der noch immer vorangeht, das ullmä-

lige Absterben

der

mittelalterlichen Ansichten

über Christentum

und

Menschheit. Das mißverstandene Christentum hatte den Menschen

abgezogen

75 von der Erde — erst mit dem Erwachen der Wissenschaften wird er

zurückgeführt.

Wo dieser Prozeß gewaltsam gestört, oder unterbrochen,

oder ganz fern gehalten worden ist,

da ist bei den Individuen so wie

bei den Völkern eine Lücke oder ein Stillstand in der Entwickelung ein­

getreten, die bei letztern wie in Spanien, Oesterreich, Rußland u. a. weder der Glanz höfischer Kultur noch die äußere politische Einheit und

Machtentfaltung verdecken kann. Dies wird Dir recht anschaulich werden aus der nachreforniatorischen, sich jetzt erst überall kräftig national ent­ wickelnden Literatur. vernünftiges

Man hörte auf Latein zu schreiben — wer etwas

mitzuteilen hatte,

wünschte auch von den weniger Ge­

lehrten verstanden 31t werden und bediente sich der Landessprache. Wie Italien allen übrigen Ländern,

reich und England,

so gingen in dieser Beziehung Frank­

voran,

Deutschland

ungeachtet des guten Beispiels,

denn in Deutschland behielt

welches Luther gegeben hatte, Latein

noch längere Zeit die Oberhand.

Erst nachdem alle protestantischen

Universitäten dem Beispiele des Thomasius gefolgt waren und die

deutsche Sprache in den akademischen Unterricht eingeführt hatten, sah sich auch in Deutschland die lateinische Gelehrsamkeit des

römischen

Klerus nicht länger dem Kampf mit der Wissenschaft gewachsen. Groß ist aber der Einfluß der Sprache auf das menschliche Den­ ken, auf die ganze Entwickelung der Menschheit.

In jedem Volke, ja

in jedem einzelnen Menschen wiederholt sich die einfache Geschichte, welche die mosaische Urkunde von Adam erzählt.

Ein Jeder hat seine

Paradieseszeit der unschuldigen Jugend; isset vom Baum der Erkenntnis und fühlt in seinem Innern den Abfall von Gott; er fühlt aber auch

in sich den Trieb, und hat die Befähigung, sich zu einem Zustand der Glückseligkeit wieder emporzuarbeiten, in welchem sein Verstand über seine Sinnlichkeit und Phantasie siegt.

Dazu befähigt ihn

das Wort

d. h. die artikulirte Sprache, welche die Enttvickelung und Verbreitung des Denkens ermöglicht und es ist die Sprache, welche — wenn sie

auch wirklich nur durch Differenzirung des thierischen Kehlkopfs ent­ standen — den Menschen vom Thiere scheidet, ihn, wie der Grieche

bezeichnend sagt, zu dem „nach Oben Schauenden" macht. Interessantes darüber in: Max Müller, Lectures on the Science of language 1866.

Nimm dazu noch Wm. v. Humboldt,

Ueber die Verschiedenheit des menschlichen

76 Sprachbaus und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts 1836. Jac. Ludw. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache 1853. (Die mit seinem Bruder Wilh. Karl gemeinsam herausgegebenen „Hausmärchen" sind Dir bekannt, ein Volksbuch Deutschlands gleich Luthers Bibel.) Aug. Schleicher, Ueber die Bedeutung der Sprache für die Na­

turgeschichte des Menschen 1865.

2. Ausl.

ick.

Die deutsche Sprache.

ick.

Die darwinsche Theorie nnd die Sprachwissenschaft.

1869.

2. Ausl.

1873. E. Littri, Histoire de la langue fran$aise 1873.

Diese Werke bieten Dir Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der Auch in der Sprachverschiedenheit

Gesamtentwickelung unserer Zeit.

zeigt sich das große ökonomische Prinzip der Arbeitsteilung,

welches

rechtverstanden ja nur Arbeitsvereinigung d. h. Zusammenwirken be­

deutet. Wenn wirklich, wie es den Anschein hat, Sprache und histo­ rische Eigenart der Nationen die natürlichen Grenzen der Staaten der Zukunft bilden, in welcher eines jeden Volkes Sprache,

Dichtung als

ein notwendiges Werden,

geistes aufzufassen wären,

Religion »nd

als die Erfüllung des Volks­

so würden in dem lebendigen Nebenein­

ander solcher Nationen, diese in der Entwickelung der Humanität ihre Bestimmung d. h. die Vorbereitung der Freiheit der Welt erfüllen —

ein ideales Streben,

welches der modernen Gesittung Ehre macht. —

London, 10. November 1878.

Bleiben wir dabei chronologisch voranzugehen, so bildet aus dem 16. und 17. Jahrhundert Luther's Bibel das einzige Werk in deut­ scher Sprache für Deinen Bücherschrank.

Wie dieses „Wort Gottes"

nach des Apostels Ermahnung „reichlich unter uns wohnen soll in aller

Weisheit" darüber hat jüngst unser Freund K— seiner Gemeinde ge­

predigt und Du magst Dir seine Worte merken:

„Solche Warnung,

sagt er, ist wahrlich auch für die heutige Christenheit noch beherzigenswerth genug und nützlich. Wir wollen gar nicht weiter reden von jener

auch jetzt noch nicht ausgerotteten Heuchelei und Scheinheiligkeit, für welche das Herr-Herr-sagen, die fromme Redensart, das Prunken mit dem Bekenntniß zu Christo in erster Linie nur Mittel ist zur Erreichung

von mitunter sehr unfrommen, selbstsüchtigen Zwecken. Wo so die Gott­ seligkeit als ein Gewerbe gilt,

da wird ja ganz selbstverständlich das

Wort Christi nicht benutzt in Weisheit, sondern in sündhafter, sträflicher

Thorheit!

Aber auch unter solchen,

Herzenssache ist,

denen ihr Christenthum wirklich

die also das Wort Jesu wirklich und reichlich unter

sich wohnen lassen wollen — auch unter solchen muß dies Wort sich nicht selten eine recht schlimme und verkehrte Behandlung gefallen lassen. Wie gar manche wenden es an, um in und mit der Bestätigung ihrer

noch einer gewissen

Frömmigkeit zugleich

auch, wenigstens nebenbei,

Eitelkeit zu fröhnen!

Sie wollen bei jeder Gelegenheit zeigen, daß sie

das Wort Christi

reichlich unter sich wohnen lassen.

Die Welt soll

wissen, daß sie eifrige und bibelfeste Christen sind; so wird dies Wort

denn überall auf den Lippen geführt und selbst im allergewöhnlichsten

Verkehr des Alltagslebens mitunter in einer Weise benutzt, die nur zu

sehr an den rohen Prahler erinnert,

welcher seinen Reichthum

zeigen

will, indem er beständig mit den Geldstücken in seiner Tasche klimpert.

Was

als

ein

mit Christo in Gott verborgenes Leben ganz still im

tiefsten Herzen wohnen sollte, das wird von solchen Christen ohne Ruh

und Rast immer wieder ans Licht gezerrt und in Rede und Geberde

78 sozusagen öffentlich ausgestellt,

ohne Rücksicht auf Ort und Zeit,

ohne

Rücksicht vor allem auf die Umgebung, welche sicherlich in den meisten

Fällen von solchen Schaustellungen nicht erbaut, sondern durch die leicht

merkbare Absicht derselben entweder verstimmt oder zum Spott gereizt

wird.

Und nun erst die leider noch immer so große Zahl derjenigen,

welche des Meisters Versicherung: „Meine Worte sind Geist und Leben" nicht zu verstehen, nicht zu würdigen vermögen!

Ihnen ist die Lehre

Jesu — und überhaupt die ganze heilige Schrift — nicht zunächst ein „Lebewort" sondern ein „Lesewort", ein großes Lehrbuch, bei welchem

sie Auskunft suchen über alle möglichen Fragen, deren Lösung der all­

weise Gott entweder uns völlig versagt hat, oder nur als Lohn gewährt für ernste, unermüdliche Geistesarbeit der menschlichen Wissenschaft. Für

wieviel müßige Grübeleien, für wieviel gewagte, der Religion zum Teil fern liegende Spekulationen hat nicht die heilige Schrift schon den Bor­ wand geben und den Stoff liefern müssen. Für die entgegengesetztesten

Meinungen über Gott und göttliche Dinge,

für die allerverschiedensten

Satzungen, Lehrformeln und religiösen Phantastereien sucht man in der Bibel scheinbare Zeugnisse und Beweisstellen zusammen, um auf Grund

derselben das Verketzern und Verdammen Andersdenkender um so er­ folgreicher betreiben zu können. So wird das Wort des Friedens zum Gegenstand widerwärtigen Gezänks, zum Kampfmittel des Eigensinns,

der Rechthaberei und des Fanatismus gemacht.

Wo aber immer dies

Wort in einer Weise behandelt wird, die seinem Wesen und Zweck nicht entspricht oder gar geradezu widerspricht,

da ist auch der lebendigste

religiöse Eifer eben doch nur ein „Eifer mit Unverstand", der

dem

Ansehen, der Verbreitung und Wirkung des Evangeliums fortwährend Eintrag thut und oft gerade da am meisten schadet,

wo er am ent­

schiedensten zu nützen glaubt." Mein nächstes Buch für Dich ist ein französisches:

„Essais“ de Michel de Montaigne 1533—1592. „II vecut ä une de ces epoques fatales dont la memoire est triste pour la France; des six rois qui pendant sa vie se succederent sur le tröne, il ne vit que les derni&res ann6es de Francois I et le commencement de Henri IV, les seules qui eussent pu le consoler des autres princes; effraye d’abord de Fagrandissement et de Finsolence des Ghiises sous Henri II, indigne bientöt de l’affreuse politique de Catherine de Medicis, qui sous Francois II „divisa pour regn eru, finit par etre teinoin des atrocites de Charles IX et de la

79 bassesse de Henri III et de toutes les horreurs de ces guerres sacrees, prepar^es depuis longtems par un cruel despotisme et des assassinats religieux; provoque d’indignation, sa voix eloquente s’el&ve contre les scelerats qui „pelotaient avec une horrible impudence les raisons divines pour avoir le pretexte de massacrer leurs freies“. Mit den großen Männern des Altertums innig vertraut, war Montaigne zugleich einer der erfahrensten und scharfsinnigsten Beo­ bachter seines Zeitalters. Er erhob sich über das politische und kirch­ liche Treiben und den Scholasticismus seiner Umgebung und eröffnete in der Geschichte der französischen Geistesthätigkeit die Reihe origineller, selbständiger Denker. Zugleich entwickelte er in seinem Stil eine Fülle des Ausdrucks, welche seine Schriften in der französischen Prosa auf dieselbe Stufe stellen, welche Frangois de Malherbe 1555—1628 in der französischen Poesie einnimmt — die nächste Stufe zur Vollend­ ung, welche Pascal 1623—1662 und Corneille 1606—1684 erreichten.

Die Essais erschienen 1580.

Montaigne sagt:

C’est icy un livre de bonne foy, lecteur. II t’avertit dez Ventree, que je ne m’y suis propose aulcune fin, que domestique et prive e: ie n’y ay eu nulle consideration de ton Service, ni de nia gloire; mes forces ne sont pas capables d’un tel dessein. Je Fai voue ä la commodite particuliere de nies parents et amis: ä ce que m’ayants perdu (ce qu’ils ont ä faire bientost) ils y puissent retrouver quelques traicts de mes conditions et humeurs, et que par ce moyen ils nourrissent plus entiere et plus vifve la cognoissance qu’ils ont eue de moy . . . ainsi lecteur je suis moy mesme la matiere de mon livre. Dieses Bestreben sich selbst zum Gegenstände seines Buches zu machen ist Montaigne oft vorgeworfen und von niemand schärfer getadelt worden, als von Pascal; vielleicht weil gerade er — ungeachtet der großen Verschiedenheit der religiösen Richtung — so viele Berührungs­ punkte in der natürlichen Anlage mit Montaigne hatte. Le sot projet que Montaigne a eu de se peindre! sagt Pascal, et cela, non pas en passant et contre ses maximes, comme il arrive ä tout le monde de faillir; mais par ses propres maximes et par un dessein premier et principal; car de dire des sottises par hazard et par faiblesse, c’est un mal ordinaire; mais d’en dire ä dessein, c’est ce qui n’est pas supportable; et d’en dire de telles que celles-lä!

80 Wie ganz anders das Urteil Voltaire’s:

„Le charmant projet que Montaigne a en de se peindre naivement, comme il a fait! car il a peint la nature hnmaine. 81 Nicole et Malebranche avaient tonjours parle d’eux-memes, ils n’auraient pas r6ussi. Mais un gentilhomme campagnard du tems de Henri TU, qni est savant dans un siede d’ignorance, philosophe parmi les fanatiques, et qni peint sous son nom nos faiblesses et nos folies, est un homme qui sera tonjours aime.u Nicole und Pascal gehörten zu den Solitaires du Port-Royal von denen de Jaucourt sagt:

„ . . . ils ont genäralement banni de leurs ecrits l’usage de parier d’eux-memes ä la premifcre personne, dans l’idee que cet usage, pour peu qu’il fut frequent ne procedait que d’un principe de vaine gloire, et de trop bonne opinion de soi-meme. Pour en marquer leur eloignement, ils Pont tourne en ridicule sous le nom d'egoisme, qui est une espece de figure inconnue ä tone les anciens rh6teurs. Pascal portait cette regle generale jusqu’ä pretendre qu’un chrdien devait Sviter de se servir du mot je, et il disait sur ce sujet que lTiumilite chritienne aniantit le moi humain, et que la civilite humaine le cache et le supprime.“ Andere werfen Montaigne seine häufigen Citate aus alten Klassikern vor. Auch für diese hat Voltaire eine treffende Zurecht­ weisung:

„Quelle injustice criante de dire que Montaigne n’a fait que commenter les anciens! Il les eite ä propos, et c’est ce que les commentateurs ne fönt pas. Il pense et ces messieurs ne pensent point. Il appuie ses pensties de celles des grands hommes de l’antiquit6; il les juge, il les combat, il converse avec eux, avec son lecteur, avec lui-meme; tonjours original dans la maniere dont il presente les objets, tonjours plein d’imagination, toujours peintre, et, ce que j’aime, toujours sachant douter. Je voudrais bien savoir d’ailleurs, s’il a pris chez les anciens tout ce qu’il a dit sur nos modes, sur nos usages, sur le Nouveau-Monde decouvert presque de son tems, sur les guerres civiles dont il etait le temoin, sur le fanatisme des deux sectes qui disolaient la France!u Mache Dich mit Montaigne’s Essais vertraut; greif nur zu, wo Du sie auffchlägst findest Du etwas anregendes. Bon wenigen Büchern läßt sich das sagen. Hier einige Beispiele:

81 Le vray champ et subiect de Fimposture sont les choses incognues: d’autant que, en premier lien, Festrangete meeme donne Credit; et puis, ‘n’estant point subiectes ä nos discours ordinaires, elles nous ostent le moyen de les combattre. A cette cause, dict Platon, est il bien plus ayse de satisfaire, parlant de la nature des dieux, que de la nature des homnies, parceque Fignorance des auditeurs preste une belle et large Carriere, et tonte liberte au maniement d’une matiere cachee. II advient de lä qu’il n'est rien creu si fermement que ce qu’on sxait le moins. — II est ordinaire de voir les bonnes intentions, si elles sont conduictes sans moderation, poulser les homnies ä des effects tres vicieux. En ce debat, par lequel la France est ä present agitöe de guerres civiles, le meilleur et le plus sain party est sans doubte celuy qui maintient et la religion et la police ancienne du pais: entre les gents de bien toutesfois qui le suyvent (car ie ne parle point de ceulx qui s’en servent de pretexte pour, ou exercer leurs vengeances particulieres, ou fournir ä leur avarice, ou suyvre la faveur des princes, mais de ceulx qui le fönt par vray zele envers leur religion, et saincte affection ä maintenir la paix et Testat de leur patrie) de ceulx cy, dis ie, il s’en veoid plusieurs que la passion poulse hors les bornes de la raison, et leur faict par fois prendre des conseils iniustes, violente et encore temeraires. — Il ne saut pas se clouer si fort ä ses humeurs et complexions: nostre principale Süffisance, c’est scavoir s’appliquer a divers usages. C’est estre, mais ce n’est pas vivre, que se tenir attache et obligS par necessite a un seul train: les plus beiles ames sont celles qui ont plus de vari6te et de souplesse. — Je veois ordinairement que les hommes, aux faicts qu’on leur propose, s’amusent plus vonlontiers ä en chercher la raison, qu’ä en chercher la verite. Ils passent par dessus les presuppositions; mais ils examinent curieusement les consequences: ils laissent les choses, et courent aux causes. Plaisants causeurs! La cognaissance des causes touche seulement celuy qui a conduicte des choses; non ä nous, qui n’en avons que la souffrance, et qui en avons l’usage parfaictement plain et accompli selon nostre besoign, sans en penetrer Forigine et Fessence; n’y le vin n’en est plus plaisant ä celuy qui en scait les facultez premieres. Au contraire, et le corps et Farne interrompent et alterent le droict qu’ils ont de l’usage du monde et

82

d’eulx mesines, y meslant l’opinion de Science: les effects nous touchent, mais les moyens, nullement. Le determiner et le distribuer appartient ä la maistrise et ä la regence; comme & la subiection et apprentissage, l’accepter. Reprenons nostre coustume. Ils commencent ordinairement ainsi: „Comment est ce que cela se faict?u „Mais, se faict-il?u faudrait-il dire. — „Je ne cherche aux livres qu’a m’y donner du plaisir par nn honneste amusement: ou si i’estudie, ie n’y cherche que la Science qui traicte de la coignoissance de moy mesme, et qui m’instruise ä bien mourir et ä bien vivre. Les difficultez, si i’en rencontre en lisant, ie n’en ronge pas mes ongles; ie les laisse la, aprez leur avoir faict une Charge ou deux. Si ie m’y plantois, ie m’y perdrois et le temps; car i’ay un esprit primsaultier; ce que ie ne veois de la premiöre Charge, ie le veois meins en m’y obstinant.“ Nun folgen feine Lieblingsschriftsteller Virgile, Lucrfcce, Catulle, Horace, Lucain, Terence, Flaute aber auch Rabelais, Boccace, Platon, Cicero. . „Quant a Cicero, les ouvrages qui me peuvent servir chez lui a mon desseing, ce sont ceulx qui traictent de la philosophie, speciale-* ment morale. Mais, ä confesser hardiment la verite, sa fa^on d’escrire me semble ennuyeuse; et toute aultre pareille faxen: car ses prefaces, definitions, partitions, etymolegies consument la plus part de son ouvrage; ce qü’il y a de vif et de mouelle est etouffi par ses bougueries d’apprets. Si i’ay employe une heure ä le lire, qui est beaucoup pour moy, et que ie ramentoive ce que i’en ay tir6 de suc et de substance, la plus part du temps ie n’y treuve que du vent; car il n’est pas encores venu aux arguments qui servent ä son propos, et aux raisons qui touchent proprement le noeud que ie cherche. Pour moy qui ne demande qu’a devenir plus sage, non plus scavant ou plus eloquent, ces ordonnances logiciennes et aristoteliques ne sont pas a propos; je veulx qu’on commence par le dernier poinct: i’entends assez que c’est que Mort et Volupte; qu’on ne s’amuse pas a les anatomiser. Je cherche des raisons bonnes et fermes, d’arrivee, qui m’instruisent ä en soutenir l’effort; ny les subtilitez grammairiennes, ny l’ingenieuse contexture de paroles et d’argumentations, n’y servent. Quant ä Cicero, ie suis du iugement commun, que, hors la Science, il n’y avait pas beaucoup d’excellence en son ame: il etait bon citoyen, d’une nature debonnaire, comme sont volontiere

83

les Hommes gras et gosseurs, tel qu’il estait; mais de mollesse, et de vanit6 ambitieuse, il en avait, sans mentir, beaucoup. Et si ie ne scais Comment l’excuser d’avoir estimS sa poesie digne d’estre mise en lumiere: ce n’est pas grande imperfection que de faire mal des vers; mais c’est imperfection de n'avoir pas senty combien ils estaient indignes de la gloire de son nom. Quant a son eloquence, eile est de tont hors de comparaison: ie crois que jamais Homme ne l’egualera. Dagegen mußt Du nun halten was er kurz vorher de la vanitti des paroles gesagt:

„Un rHetoricien du temps passe disait que son metier estait: „De choses petites, les faire paroistre et trouver grandes.“ C’est un cordonnier qui scait faire de grands souliers ä un petit pied. On luy eust faict donner le fouet en Sparte, de faire profession d’un art piperesse et mensongiere: et crois qu’Archidamus, qui en estait roy, n’ouit pas sans estonnement la reponse de Thucydides, auquel il s’enquerait qui estoit plus fort ä la luicte, ou Pericles, ou luy: „cela, feit-il, serait malaise ä verifier: car, quand ie l’ay porte par terre en luictant, il persuade ä ceulx qui l’ont vue qu’il n’est pas tombe, et il gaigne.“ Und nun. vergleiche mit diesem über 200 Jahre alten Urteile über

Cicero das moderne von Mommsen: „Als Staatsmann ohne Einsicht,

nach einander als Demokrat,

als

Ansicht und Absicht,

Aristokrat und

hat Cicero

als Werkzeug

der

Monarchie figurirt und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist.

Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regel­

mäßig

eben

abgethan: so trat er

Senatsgerichte auf,

im Prozeß des Verres

als sie bereits beseitigt waren;

gegen

so schwieg

er

die bei

der Verhandlung über das gabinische und verfocht das manilische Ge­

setz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand; und so weiter.

Gegen Scheinangriffe

war

er

gewaltig und Mauern

von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im Guten noch im Bösen, durch ihn entschieden worden

und vor allem die Hinrichtung der Catilianer schehen lassen als selber bewirkt.

hat

er

weit mehr ge­

In literarischer Hinsicht war er der

Schöpfer der lateinischen Prosa; auf seiner Stilistik ruht seine Bedeu­ tung und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als

Schriftsteller dagegen steht er vollkommen eben so tief wie als Staats-

84 mann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich versucht, in un­ endlichen Hexametern Marius’ Groß- und seine eigenen Kleinthaten be­ sungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen philosophischen

Gesprächen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat

ihm gefehlt um auch den Thukidides zu überwinden.

Er war in der

That so durchaus Pfuscher, daß es ziemlich einerlei war, welchen Acker

er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selbst sagt, überreich, an Gedanken über alle Be­ griffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hülfe weniger Bücher

rasch hätte.

einen lesbaren Aufsatz übersetzend

oder

compilirend hergestellt

Am treuesten gibt seine Correspondenz sein Bild wieder.

Man

pflegt sie interressant und geistreich zu nennen; sie ist es auch, so lange

sie das hauptstädtische oder Billen-Leben der vornehmen Welt wieder­ spiegelt;

aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist,

wie im

Exil, in Kilikien und nach der pharsalischen Schlacht, ist sie matt und

leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daß ein solcher Staatsmann und ein solcher Literat

auch als Mensch nicht anders sein konnte als von schwach überfirnißter Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nöthig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern?

Der große Schriftsteller ist doch auch

ein großer Mensch, und vor allem dem großen Redner str.ömt die Ueber­ zeugung oder die Leidenschaft

klarer und

brausender aus den Tiefen

der Brust hervor als den dürftigen Bielen, die nur zählen und nicht

sind.

Cicero hatte keine Ueberzeugung und keine Leidenschaft; er war

nichts als Advocat. Er verstand es, seine Sacherzählung anecdotenhast und pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl, doch die Sentimentalität

seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder Witzeleien meist per­

sönlicher Art das trockene Geschäft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenn gleich auch sie die freie Anmuth und den sichern Treff der vorzüglichsten Compositionen der Art z. B. der Memoiren

des Beaumarchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lectüre. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften Werthes erscheinen,

so muß der absolute Mangel politischen Sinns in den staatsrechtlichen, juristischer Deduction in den Gerichtsreden,

der pflichtvergessene

die

Sache stets über dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräßliche Gedankenöde jeden Leser der ciceronischen Reden von Herz

und Verstand empören.

Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind

es

85 wahrlich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fan­

Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im Reinen sein;

den.

der

Ciceronianismus ist ein Problem, das in der That nicht eigentlich auf­

gelöst,

sondern nur aufgehoben werden kann in dem größern Geheim­

niß der Menschennatur:

auf das Gemüth.

der Sprache und

der Wirkung der Sprache

Indem die edle lateinische Spache,

eben bevor sie

als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaßt und in seinen weitläufigen Schriften nieder­ gelegt ward, ging auf das unwürdige Gefäß etwas über von der Ge­ walt, die die Sprache ausübt, itnb von der Pietät, die sie erweckt. Man besaß keinen großen lateinischen Prosaiker; denn Caesar war wie Na­ poleon nur beiläufig Schriftsteller. War es zu verwundern, daß man

in Ermangelung eines solchen, wenigstens den Genius ehrte in dem großen Stilisten?

und

daß

der Sprache

wie Cicero selbst so

auch

Cicero’s Leser sich gewöhnten sich zu fragen nicht was, sondern wie er

geschrieben?!" Zeitgenossen Montaigne’s waren sein Freund, der damals berühmte Theologe und Kanzelredner Pierre Charron 1541—1603 und Jean

Bodin 1530—1596, in dessen Hauptwerke La Republique 1577, der

erste Versuch einer wissenschaftlichen Bearbeitung der Staatslehre ge­ macht wird.

In Deutschland folgten um jene Zeit auf Bud. Agricola 1443 —1485, der in Worms und Heidelberg in humanistischem Sinne wirkte,

Hans Sachs 1494—1576

und Joh. Fischart

1545—1589.

In

Tasso 1544—1595 und Giordano Bruno, 1600 als Ketzer verbrannt; in Spanien: Cervantes 1547

Italien

lebten Torquato

—1616 und Lopez de Vega 1562—1635; in England: Richard Hooker 1553—1600 und Wm. Shakespeare 1564—1616. Hookers 1594 erschienenes Buch „Laws of Ecclesiastical Polity“

wird noch heute, was Inhalt und Stil anbelangt, als ein Meisterwerk englischer Literatur geschätzt.

So stately and graceful is the march of his periods, sagt Hal­ lam, so various the fall of his musical cadences upon the ear, so rieh in Images, so Condensed in sentences, so grave and noble his diction, so little is there of vulgarity in his raey idiom, of pedantry in his learned phrase, that I know not whether any later writer has more admirably displayed the capacities of our language, or

86 produced passages more worthy of comparison with the splendid monuments of antiquity.“ Und über den Inhalt in Buckle: „A comparison of the „Laws of Ecclesiastical Polityu with Jewel’s „Apology of the Church of England“ which was written 30 years before it (in 1561 or 1562) shows at once the different methods these eminent writers employed. Both Hooker and Jewel were men of leaming and genius. Both of them were familiär with the Bible, the Fathers and the councils. Both of them wrote with the avowed object of defending the Church of England, and both of them were well acquainted with the ordinary weapons of theological controversy. But here the resemblance stops. The men were. very similar — their works are entirely different. Düring the 30 years which had elapsed, the English intellect had made immense progress; and the argumenta which in the time of Jewel were found perfectly satisfactory, would not have been listened to in the time of Hooker. The work of Jewel is full of quotations from the Fathers and the Councils, whose mere assertions, when they are uncontradicted by Scripture, he seems to regard as positive proofs. Hooker, though he shows much respect to the Councils, lays little stress upon the Fathers, and evidently considered that bis readers would not pay much attention to their unsupported opinions. Jewel inculcates the importance of faith; Hooker insists upon the exercise of reason. The first employs all his talents in collecting the decisions of antiquity and in deciding upon the meaning which they may be supposed to bear. The other quotes the ancients, not so much from respect for their aulhority, as with the view of illustrating his own arguments. Thue, for instance, both Hooker and Jewel assert the undoubted right of the sovereign to interfere in ecclesiastical affairs. Jewel, however, fancied that he had proved his right, when he had pointed out that it was exercised by Moses, by Joshua, by David and by Solomon. On the other hand Hooker lays down that this right exists, not because it is ancient, but because it is advisable; and because it is unjust to suppose that men who are not ecclesiastics will consent to be bound by laws which ecclesiastics alone have framed. In the same opposite spirit do these great writers conduct their defence of their own church. Jewel, like all the authors of his time, had exer­ cised his memory more than his reason; and he thinks to settle the

87 whole dispute by crowding together texts from the Bible, with the opinion of commentators upon them. But Hooker, who lived in the age of Shakespeare and Bacon, fonnd himself constrained to take views of a far more comprehensive character. His defence rests neither npon tradition nor upon commentators, nor even upon revelation; but he is Content that the pretentions of the hostile parties shall be decided by their applicability to the great exigencies of Society, and by the ease with which they adapt themselves to the generel purposes of ordinary life."

Auch in der Frauenwelt regte sich der Geist der Selbständigkeit. In den Nonnenklöstern wurde nicht nur gebetet, sondern auch argu­ mentiert, wie Du aus den Memoires de la mere Angelique, in SainteBeuve’s Port-Royal lesen kannst. So wetterleuchtete es zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts von allen Seiten. Bald folgten zündende Blitze: Bacon, Gassendi, Descartes, Keppler, Galilei.

Mache Dir aus allen Büchern die Du liest Notizen — es fesselt die Aufmerksamkeit und nur aufmerksames Lesen ist von Nutzen; träu­ merisches Lesen ist die blödsinnigste Zeitvergeudung.

London, 20. November 1878. Die am Schluß meines letzten Briefes genannten fünf berühmten Männer haben ihre Hauptwerke lateinisch geschrieben.

Sie sind zwar

in alle gebildeten Sprachen übersetzt, jedoch wirst Du sobald nicht dazu

kommen Dich eingehend mit denselben zu beschäftigen, nnd doch ist es zum Verständnis späterer und mancher der neuesten Schriften,

ja der

ganzen Denkweise unserer Zeit unerläßlich ihren Inhalt einigermaßen zu kennen.

Studiere also

einstweilen die Biographien der Verfasser.

Zu jener Zeit war die Philosophie noch keine besondere Wissenschaft, nicht ausschließliche Beschäftigung einzelner,

ihr Studium kein Beruf.

Biele sind der Ansicht, daß sie sich um so besser dabei befand. Bacon war Lebe- und Staatsmann,

Descartes Mathematiker, Gass en di

Theologe, Anatvmiker und Professor der Mathematik.

Francis Bacon, Lord Verulam, Viscount St. Albans 1561 — 1626 (nicht zu verwechseln mit Roger Bacon 1214—1294 dem englischen Mönche, der schon im 13. Jahrhundert, seiner Zeit voraus, gegen Un­ wissenheit und Sittenverderbnis der Geistlichen eiferte und in seinem 1267 erschienenen Buche Opus majus die Notwendigkeit einer Reform der Wis­ senschaften durch Studium der Sprache und der Natur empfahl) führt

in seinem 1620 erschienenen Hauptwerke Novum Organum den Grund­

satz durch, daß in aller Erkenntnis der einzige Weg zur Wahrheit die Erfahrung vermöge der experimentterenden Naturbeobachtung sei. Wenn heute Bacon’s Werke, außer von Gelehrten kaum noch ge­ lesen werden, so teilen sie darin nur das Schicksal vieler anderer, und

wenn Bacon selbst von seinem Prinzip, welches dasselbe ist das Galilei aufstellte: „Das Experiment zur Grundlage alles Forschens in der Natur zu machen" nicht wie dieser auf dem Gebiete der Wissenschaft praktische

Anwendung machte, so ist dies wohl hauptsächlich dem Umstand zuzu­ schreiben, daß Bacon als Staatsmann anders beschäftigt war. Erfolg­ reicher wie Galilei war er aber insofern,

als das ihnen gemeinsame

89 Prinzip bei seinen Landsleuten schnellern und fruchttragenderen Ein­ gang fand, als bei den Zeitgenossen und Nachkommen des berühmten Italieners. Bacon erkannte dem Democrit, um 470 v. Chr., den Preis wahrer Forschung zu und fand in ihm einen verwandten Geist, während Aristo­ teles, 384—322, die allgemeine und einzige Autorität der theolo­ gischen Philosophie des Mittelalters, ihm nur als der Urheber eines schädlichen Scheinwissens und leerer Wortweisheit erschien. Obschon aber Bacon den Democrit vorzieht, so fehlt es ihm doch nicht an Be­ rührungspunkten mit dem Stagyriten, was dadurch erklärlich, daß auch Aristoteles heute besser verstanden wird, wie zu Bacon’s Zeit. Macaulay in seinen Essais erhebt Bacon in die Wolken: „Ask a sollower of Bacon, sagt er, what the new philosophy, as it was called in the times of Charles II, has effected for manhood, and Ins answer is ready: It has lengthened life, it has mitigated pain, it has extinguished diseases, it has increased the fertility of the soil, it has given new securities to the mariner, it has furnished new arme to the warrior, it has spanned great rivers and estuaries with bridges of form unknown to our fathers, it has guided the thunderbolt innocuously from heaven to earth, it has lighted up the night with the splendour of the day, it has extended the ränge of human muscles, it has accelerated motion, it has annihilated distance, it has facilitated intercourse, correspondence, all friendly offices, all despatch of business, it has enabled man to descend to the depths of the sea, to soar into the air, to penetrate securely into the noxious recesses of the earth, to traverse the land in cars which whirl along without horses, and the ocean in ships which run 10 knots an hour against the wind. These are but a part of the fruits, and of its first fruits. For it is a philosophy which never rests, which is ndver perfect. Its law is progress. A point which yesterday was invisible is its goal to-day, and will be its starting-point to-morrow.u Andrerseits schildert und tadelt Liebig in seiner Schrift „Ueber F. Bacon v. Verulam und die Methode der Naturforschung" von sei­ nem eigenen Standpunkt der empirischen Naturforschung, Bacon’s Me­ thode nach der Seite ihrer Unfruchtbarkeit und vorurteilsvollen Befan­ genheit. Bon beiden Seiten werden Lob und Tadel wohl übermäßig zugemessen. Bacon’s Größe und Einfluß als Tonangeber des wissen­ schaftlichen Geistes seiner Nation sind aber unvergänglich, und an ihn

90 als Urheber einer neuen Richtung in der Philosophie reihen sich Hob-

bes 1588 — 1679, Locke 1632 — 1704, Berkeley 1686—1753, Hume 1711—1776 und Kant 1724—1804. In gleich zersetzender und anregender Weise wie Bacon in England,

wirkten gleichzeitig mit ihm in Frankreich:

Pierre Gassendi 1592—1655 und Rene Descartes 1596 bis 1650;

ersterer durch sein 1620 erschienenes Werk, Exercitationes

paradoxicae adversus Aristotelem und mehr noch durch sein De vita, moribus et doctrina Epicuri 1647; letzterer durch seine Meditationes de prima philosophia 1641, und Principia philosophiae 1644. Wie Bacon war beiden die Beschäftigung mit der Philosophie Lieb­

lings- nicht Brotstudium, wie jener lehnte jeder von ihnen sich an einen Philosophen des Altertums:

Gassendi an Epicur 341—270 v. Chr., den berühmten Gegner der Stoiker; Descartes an Leukippos, den Stifter der atomistischen Schule um 510 v. Chr. Bon Gassendi erschien

1654 Tychonis Brachaei,

Copernici,

Peurbachii et Regiomontani vitae, worin er nicht nur das Leben dieser Männer beschrieb,

sondern auch eine vollständige Geschichte der Astro­

nomie bis auf seine Zeit lieferte.

Sein Hauptwerk war und bleibt

aber das schon genannte De vita Epicuri, in welchem er dessen Lehre

in einer Weise entwickelte, die ihn als den Erneuerer der gegenwär­ tigen materialistischen Weltanschauung erscheinen läßt. Persönliche Freunde und Gesinnungsgenossen Gassendi’s Galilei 1564—1642 und Kepler 1571—1630.

waren

Sein Schüler war

Molare 1622—1673. Descartes Ruhm beruht weniger auf seinem philosophischen System,

als auf den dauernden Berdiensten, die er sich um die Mathematik und durch seine arithmetischen Entdeckungen erworben hat, als Schöpfer der

später von J. L. Lagrange 1736—1813 ausgebildeten analytischen Methode. Zielpuntt seines philosophischen Denkens war ihm eine feste

philosophische Privatüberzeugung, nicht die Gründung einer Schule. Er ging dabei von einem allgemeinen Zweifeln an allem bisherigen Wissen aus; stellte als das ihm einzige Unbezwcifelte den bekannten Satz: Cogito, ergo sum auf, und läßt hieraus nach üblicher metaphysischer Gedankenfabrik ein System entstehen: Alles was klar und deutlich ge­ dacht wird, muß wahr sein;

unter diesen klaren und deutlichen Ge­

danken ist die Idee Gottes als des vollkommensten Wesens, eine Idee, von welcher nur Gott selbst,

nicht der Mensch der Urheber sein kann;

91 hierauf gründet sich sein Beweis für das Dasein Gottes, und nun wird Gott, der nicht täuschen könne, rückwärts wieder als Beleg der Wahr­

heit des deutlich Gedachten benutzt.

Den Zusammenhang zwischen leib­

lichen und geistigen Erscheinungen erklärt Descartes durch die Annahme einer fortwährenden Mitwirkung Gottes, eine Auffassung, die nach ihm von Mailebranche 1638—1715 und Spinoza 1632—1677 systematisch — von ersterm in christlichkatholischem, von letzterm in jüdischfreigeistigem Sinne weitergebildet wurde. In seinen kosmologischen Betrachtungen

suchte Descartes die Bewegungen der Himmelskörper im Anschluß an die Atomlehre des Leukippos und Democrit durch Wirbel (tourbillons) zu erklären. Diese Spekulationen seiner Principia philosophiae gerie­

ten in Vergessenheit,

als die neuere Zeit mit den Alten, die ihn in­

spirierten, vertraut wurde. Ich will Dir keinen Vortrag über Metaphysik halten, im Gegenteil

Dir abraten von Beschäftigung mit rein philosophischen Systemen, alten sowohl als neuen, bis Du von der Welt mehr gesehen hast. Nur

darauf wünsche ich Dich aufmerksam zu machen, daß alle Wissenschaften,

also auch die Philosophie, aus Jnduktions- und Dedukttonsschlüffen be­ stehen, denn erst da, wo der Forscher zur Kombination fortschreitet, ver­

wertet er wissenschaftlich das gesammelte Material.

Die Jnduktton ist

ein Schluß aus zahlreichen einzelnen beobachteten Fällen auf ein allge­ meines Gesetz; die Deduttion ist ein Rückschluß aus diesem allgemeinen DaS

Gesetz auf einen einzelnen, noch nicht wirklich beobachteten Fall.

wesentliche bei der induktiven Methode ist daher die Richtigkeit der Voraussetzungen und Thatsachen der Beobachtung, während bei der de-

duttiven Methode vielmehr die Vermeidung irriger Schlüsse die Haupt­ sache — aber erst die Verbindung beider Methoden sichert den Fort­ schritt, der daher auch in allen philosophischen Systemen vergeblich gesucht wird, denen diese Verbindung mangelt.

Ein anderes ist es mit der Geschichte der Philosophie, die gleichsam den Kern in dem großen Ganzen der Kulturentwickelung bil­

det, und da hast Du Dir den Zusammenhang der speziellen Richtungen menschlicher Denkungsart zu merken. Bacon, Descartes, Gassendi griffen über die Kluft zweier Jahrtausende zurück nach den damals

verschollenen Werken des Democrit, Leukippos und Epicur, die wie­

derum nur einzelne Glieder in einer langen Kette sind, deren Anfang noch gesucht wird, und aus welcher ich Dir hier einige bedeutende Na­

men der Zeitfolge nach anführe:

92

Um 460 D. Q^r. Thales aus Milet; 580 Pythagoras von Samos ; um 570 Xenophon, Stifter der Schule von Elea in Unteritalien; 510 Leukippos; 500 Anaxagoras aus Ionien; 490 Zeno; 470 Democrit aus Abdera; 450 Empedocles aus Agrigent; 450 Parmenides der Eleat; 445—354 Xenophon; um 415 Protagoras, der erste der Sophisten; 470—399 Socrates; um 420 Euklides aus Megara; 427 — 347 Aristokles genannt Platon; 397—314 Xenokrates; um 380 Aristippos; um 350 Aristoxenes; 384—322 Aristoteles aus Stagyra; 341—270 Epikur aus Gargettos bei Athen; um 300 Euklides aus Alexandria und gleichzeitig Dikaiarchos aus Messana; 287—212 Archimedes aus Syrakus; 204—122 Polybius; 160—125 Hipparchus; 95—52 T. Lucretius Carus; 2 u. Chr.—65 Seneca; 23—79 Plinius der Ältere. Mit den Biographien dieser Männer mußt Du Dich nach und nach bekannt machen; sie zählen zu den Aposteln des Paganismus von Hellas und Rom. Im Anschluß hieran hast Du Dir noch den alexandrinischen jüdischen Gelehrten Philo (20 v. Chr. bis gegen Mitte des ersten Jahr­ hunderts, also Zeitgenossen Jesu), zu merken, welcher den heidnischen Jdeeengang seiner Zeit mit hebräischer Anschauungsweise verschmelzend, Moses, Plato und Jesus zusammenfassend, der langen Reihe von Kir­ chenvätern den Weg bahnte zum Aufbau des dogmatischen Christentnms, als der mit philosophischer Wahrheit und den Gesetzen der Natur über­ einstimmenden Offenbarungsreligion. Zur Orientierung gebe ich Dir fol­ gende Werke: Pierre Bayle 1647—1706, Dictionnaire historique et critique Urne ed. 1820. Die erste Auflage war 1696 erschienen. Manche verunglimpfen Bayle, die nicht eingestehen oder nicht wissen, wie viele ihrer eigenen guten Jdeeen sie ihm oder seinen Ausschreiben verdanken. Unbestreitbar ist es ihm hauptsächlich darum zu thun, die Unabhängigkeit moralischer und rechtlicher Überzeugungen von religiösen Glaubensmeinungen darzuthun. Seine kritischen Besprechungen der Philosophen des Altertums werden Dir willkommene Beiträge zur Geschichte der Philosophie sein. Friedrich d. G. sagt von diesem Buche: „C’est le Breviaire du bon sens et la lecture la plus utile que les personnes de tout rang et de tout etat puissent faire/ Die beiden letzten Bände sind reich an interessanten Notizen über Bayle’s Leben und Wirken. Dr. Lüning, Klassische Vorschule zur griechischen und römischen Poesie, 1861.

93 F. Überweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie, 1863/66. F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, 1873.

E. Dühring, Kritische Geschichte der Philosophie. 3. Ausl. 1878. „Die Philosophie, sagt dieser,

zielt auf die Hervorbringung des

höchsten, edelsten und demgemäß thatkräftigsten Bewußtsein von Leben und Welt.

Dies ist zugleich ihr ursprünglicher Beruf und ihr letzter

Zweck. Nur hiedurch erhebt sie den Menschen auf die ihm erreichbare Höhe des Geistes, und nur hiedurch arbeitet sie daran, die Würde des

menschlichen Daseins zu steigern.

Aus diesem Grunde hat cs ihr aber

auch niemals genügt, bloße Wissenschaft zu sein.

Sollte sic sich in ihren

bisher vorübergcgangenen Gestaltungen mit einem Maße messen lassen,

wie die ausgebildeten Wissenschaften,

so würde sic einerseits zu einge­

Ihre Geschichte würde zu einem erheblichen Theil nur verhältnismäßig dürftige Erfolge zeigen. schränkt, andrerseits aber unerfaßbar erscheinen.

Ganz anders gestaltet sich dagegen das Ergebniß der Prüfung, wenn wir des großen Unterschieds eingedenk bleiben, welcher zwischen einer

gewöhnlichen Wissenschaft und der Philosophie besteht, seit jeher bestanden

hat und der Natur der Sache nach auch in Zukunft bestehen bleiben muß." „Philosophie beruht auf deni Zusammenwirken von zwei Mächten, dem Wissen und dem Wollen.

Es

ist schwer zu sagen, welche dieser

beiden Kräfte als die ursprünglich leitende anzusehen sei. Die Weisheit

ist allerdings, wie schon das Wort sagt, vornehmlich dem Wissen zu danke». Allein der Drang, welcher zu diesem Wissen führte, war selbst schon, noch ehe er sein Ziel erreichte, eine im Dienste der Philosophie

thätige Gewalt. Die philosophische Gesinnung leitet zu dem entsprechen­ den Wissen, und das bereits errungene Wiffen wirkt seinerseits auf die Willensrichtung maßgebend und vercdlend zurück. Die Gesinnung ist

also sicherlich nicht der bedeutungslosere Bestandtheil im Wesen der Phi­ losophie." „Die Philosophie in ihrer höchsten Gestalt wendet sich an das ge­ reifte Leben. Ihre Gedanken über Leben und Welt setzen den Ernst vielseitiger Erfahrung voraus."

Wie im Bereich des spekulativen Gedankenflugs so findest Du auch auf dem Felde naturwissenschaftlicher Forschung den Zusammenhang,

welcher Galilei und Kepler mit dem Altertum verkettet.

Zur Zeit Dante’s herrschte noch die aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. datierende Weltanschauung des Ptolomaeus, dessen durch die Araber erhaltene Werke erst 1230 wieder aus dem arabischen ins la-

94 teinische übersetzt, den europäischen Gelehrten zugänglich gemacht wur­

den. Als alle Wissenschaften nur in ihren ersten und rohen Anfängen gegeben waren, konnte an ein System des Wcltgebäudes, sofern dar­ unter eine Darstellung deS innern Zusammenhanges und des wahren Grundes der äußern Erscheinungen in der Körperwelt verstanden wird, noch nicht gedacht werden; denn Meinungen über einzelne Phänomene

und Versuche, diese und jene isoliert stehende Wahrnehmung zn erklären, können keinen Anspruch auf den Namen System machen.

In den ver­

schiedenen durch vorgenannte Namenliste vertretenen philosophischen Schu­ len des Mtertums erfreute sich, teils aus Unvermögen, teils ans Mangel an Neigung, die Naturbetrachtung keiner besondern Pflege. Daher tra­

gen die für den Weltbau und Zusammenhang gegebenen Erklärungen

den Charakter einseitiger Spekulation und lasten fast ebcnsoviele ver­ Mit beni Grundirrtum,

schiedene Meinungen als Philosophen finden.

welcher Erde und Welt gleichsam identifizierte, war die Vorstellung von einer Ruhe der Erde notwendig verbunden.

Der Schein wurde für

die Wahrheit genommen,

und daß alle Gestirne und der Himmel als ein Ganzes sich um die Erde bewegten, scheint von den größten Weisen

des Altertums, selbst in der alexandrinischen Schule nicht

bezweifelt

worden zu sein. Hipparchus um 150 v. Chr. ist wahrscheinlich der erste gewesen, der die große Aufgabe der Astronomie, so weit dies damals möglich war, richtig erkannte.

Wie Herodot 484—408 als Vater der Geschichte,

Hippokrates 460—377 als Vater der Medizin, so wird Hipparchus 160—125 als Vater der Astronomie genannt, von der A. v. Hum­ boldt sagt, daß sie als Mstenschaft der Triumph mathematischer Ge­ dankenverbindung sei, auf das sichere Fundament der Gravitationslehre

und die Vervollkommnung der höher» Analysis (eines geistigen Werk­ zeugs der Forschung) gegründet, Bewegungs-Erscheinungen gemesten nach Raum und Zeit, behandelt.

Freilich hatte Hipparchus von der Gra­

vitationslehre und von der höher» Analysis noch keine Ahnung, aber

was die Sternkunde ihm, durch seine Beobachtungen verdankt, ist unschätzbar; jedoch eine einfache und allen Erscheinungen genügende Er­ klärung zu finden, getraute er sich nicht. Erst sein um 300 Jahre späterer Nachfolger Claudius Ptolomaeus um 150 u. Chr. unternahm es ein System der Bewegungen aufzu­

stellen, bei welchem aber die Grundvorstellung, die Ruhe der Erde, noch

immer zu erklären blieb.

95 Während des Mittelalters hat die Himmelskunde der Alchimie und

Astrologie einen ihrer ganz unwürdigen Handlangerdienst leisten müssen, auS dem sie erst im IG. Jahrhundert befreit wurde, als das System des Kopcrnikus 1473—1543 das ptolomäische verdrängte. Er ging von der Überzeugung aus, daß allgemeine Naturgesetze notwendig viel ein­

facher sein müßten, als die mit dieser Einfächheit unverträgliche Ruhe der Erde des ptolomäischen Systems.

Zu seiner Zeit konnte man aber

von der Rotation der übrigen Weltkörper noch nichts wissen, und auch

aus seinem System folgt sie nicht unabweisbar notwendig; sie ward nur dadurch höchst wahrscheinlich. Alle Einwürfe, welche sowohl Kopernikus selbst als seine Nachfolger, worunter namentlich Tycho Brahe

1546—1601 („die Erde,

sagt dieser,

Bewegung ungeschickte Masse;

ist eine grobe, schwere und zur

wie kann nun Kopernikns einen Stern

daraus machen und sie in der Lust herum führen?") sind vollständig

aufgelöst, gehoben und in eben so viele Beweise des Systems verwan­

delt — als echte Kennzeichen der Wahrheit. sollte übrigens nichts anderes sein,

Sein System konnte und

als eine einfache und der Natur

entsprechende Darstellung der wirklichen Bewegungen zur befriedigenden

Erklärung der scheinbaren. Auf die Ursachen dieser Bewegungen, auf die wirksamen Kräfte, ließ er sich nicht ein und ebenso verzichtete er auf eine genaue Bestimmung der Gestalt der Bahnen, welche erst spä­ tere Zeiten geben konnten, da die beobachtende Astronomie in Europa zu Kopernikus Zeiten sich noch in ihrer Kindheit befand. Inzwischen hatte 1492 Columbus, 1436—1506, die neue Welt ent­

deckt und dadurch zu kosmischen Forschungen mächtig angeregt.

Mit Hülfe des Fernrohrs machte Galilei 1564—1642 in kurzer Zeit eine Reihe der wichtigsten Entdeckungen und erklärte sich für die kopernikanische Weltordnung.

Unvorsichtiger Weise zog er 1613 in wis­

senschaftliche Verhandlungen die heilige Schrift, deren buchstäbliche Aus­

legung in Bezug auf physische Dinge er,

verwarf und 1632 sein berühmtes Buch:

als zum Absurden führend, Dialogo di Galileo Galilei

dove ne’congressi di quattro giornate si discorre de’due massimi sistemi, Tolemaico e Copernicano veröffentlichte. Statt sich der ge­ lehrten lateinischen Sprache zu bedienen, schrieb er in der allen ver­ ständlichen Landessprache, und erregte damit um so mehr den Unwillen der scholastischen Aristoteliker, als er statt sein Fallgesetz aus dem Aristo­

teles zu ziehen, der damaligen Urquelle alles Wissens, es auf eigene Forschung gründete. Seine kniefällige Meinungsabbitte vor dem Je-

96 suitenkollrgium am 22. Juni 1633 ist Dir bekannt. Sein aus den Pen­ delschwingungen abgeleitetes Fallgesetz ist der Keim des Gravitations­ gesetzes, zu welchem Kepler, 1571—1630, seinen Nachfolger Newton

hinleitete, denn die von Kepler aus den Beobachtungen Tycho’s abge­

leiteten Gesetze des Planetenlaufs — „die drei keplerschen Gesetze" — find es, auf welche fich Newton’s Entdeckungen nebst der ganzen neuen

Theorie der Planeten gründet.

LieS

M. Laplace, Exposition du Systeme du Monde, 1808, George Cuvier, Histoire des Sciences naturelles, 1841 und I. H. v. Mädlcr, Der Wunderbau dcS Weltalls, oder populäre Astronomie, 1867. „Sowohl die mannigfachen Gesichtspunkte, sagt dieser, und die große Anzahl der zu beobachtenden Gegenstände,

als auch der genaue

und nothwendige Zusammenhang der Astronomie mit vielen andern Zwei­ gen der Wiffenschaftcn, machen sie zur umfangreichsten und schwierigsten aller menschlichen Kenntnisse;

und die Größe und Erhabenheit ihres

Gegenstandes, sowie die hohe Ausbildung, welche sie namentlich in un­ sern Tagen erlangt hat, haben -ihr den Namen „Königin der Wiflenschasten" erworben. In den letzten drei Jahrzehnten hat sie als Wissen­

schaft bedeutendere Fortschritte gemacht,

als in den vergangenen drei

Jahrhunderten, und diese stehen wiederum zu den früheren drei Jahr­ tausenden in einem ganz ähnlichen Verhältniß."

London, 25. November 1878.

Die Verbreitung neuer Jdeeen bezüglich des Weltbaus griff auch umgestaltend

in die Organisation der menschlichen Gesellschaft ein;

überall schob sich alles auseinander

zu neuen Gestaltungen in Staat

und Kirche. Deutschland blutete an den Wunden, welche ihm der dreißigjährige Der Einfluß, den der Gelehrtenstand seit dem

Krieg geschlagen hatte.

sechszehnten Jahrhundert auf die allgemeine Bildung auszuüben begonnen

hatte, steigerte sich je länger desto mehr. Die Theologen gelangten durch die fortwährenden religiösen Streitigkeiten, die oft den wichtigsten Staats­ angelegenheiten gleichgestellt wurden, zu großem Ansehen an den Höfen;

nicht minder die Rechtsgelehrten,

welche allein den stets verwickelten

politischen Berhältniffen gewachsen schienen.

So wurde eine gelehrte

Erziehung für die Fürsten und den Adel unentbehrlich und es ent­

wickelte sich als Ideal aller Bildung eine Polyhistorie, die ebenso massen­ haft reich an positiven Kenntnissen, als arm an beftuchtenden und be­ lebenden Jdeeen war. Marhof,

Ein Hauptvertreter Derselben war Daniel

1639—1691,

zuletzt Professor in Kiel, der unter vielem

andern auch über deutsche Sprache und Literatur schrieb.

Erst all-

mählig entsproß diesem toten Bielwiffen ein wiffenschaftlicher Geist, und G. W. von Leibniz, 1646—1716, wird oft als Vertreter desselben genannt. Seine teils lateinisch, teils — charakteristisch für die damaligen

Zustände in Deutschland — nicht deutsch, sondern ftanzösisch geschriebenen Werke über Philosophie, Geschichte und Politik übten einen großen Ein­

fluß aus, der sich unter anderm in der Stiftung der „Berliner Akademie der Wissenschaften 1700", aussprach. Als Philosoph zeigte Leibniz sich zwar mit den Versuchen der mechanischen Naturerklärung seines Zeit­

alters

einverstanden;

meinte aber,

daß zur Erforschung der tiefern

Gründe des Mechanismus man von der Mathematik zur Methaphysik

schreiten müsse.

So entstand seine Monadenlehre.

Monaden sind ihm

7

98 die letzten einfachen Substanzen, die allem Zusammengesetzten zugrunde

liegen; sie sind das wahrhaft Seiende, alles übrige nur Erscheinungen, die aus ihnen resultieren. Jede Monade hat in sich ein inneres Princip ihrer Veränderungen, und ihr wesentliches Merkmal ist diese

innere Aktivität, die nicht durch die Einwirkungen anderer Monaden hervorgerufen, sondern nur in ihren Äußerungen gehemmt werden kann,

und die Monaden (von dem griechischen ^ovaq Einheit) sollen sich da­ durch

von den Atomen («nyiog unteilbar) unterscheiden,

daß

letztere

unbeseelt, willenlos, als körperlich ausgedehnt und als gegenseitig undurch­ dringlich aufgefaßt werden — daher der Atomismus zu einer mecha­ nischen Naturerklärung führt, während die Monadologie einen dynami­ schen Charakter hat.

So hat auch Leibniz die Zahl der Systeme ver­

mehrt ohne eine befriedigende Naturerklärung zu geben. Sie fehlt auch

heute noch — ungestillt bleibt das Verlangen nach verständlichen Be­ griffen für gelehrten Wortkram.

In England hatte Bacon der wissenschaftlichen Forschung eine neue Richtung gegeben.

In Oxford herrschte noch Scholastik, in Cam­

bridge Neuplatonismus — da trat Cromwell 1599—1658 auf, und mit ihm, während zehn Jahren 1649—1659, an die Stelle der alt­ monarchischen Staatsform in England eine republikanische.

Cromwell

führte das Schwert, Milton die Feder im Interesse der Freiheit. Wie Dante durch seine Comedia divina so ist John Milton

1608—1674 durch sein Paradise Lost als „Dichter" der Nachwelt haupt­ sächlich bekannt. Aber wie jener, so war auch dieser, unter seinen Zeit­

genossen, durch andere Schriften und eine andere Thätigkeit wichtig und für die Kulturentwickelung mitbestimmend. Bon 1639 —1649 war Milton foreign secretary.

1644 schrieb er Areopagitica, ein damals

berühmtes Werk über Preßfreiheit;

1649 The tenure of kings and

Magistrates, eine Verteidigung der Hinrichtung Charles I. Paradise lost schrieb er erst 1953, damals 57 Jahre alt, erblindet, seinen Töchtern diktierend, in drückenden Verhältnissen und erhielt von

seinem Verleger Lstr. 10 dafür! Als poettsches Kunstwerk teilt Milton1 s Paradise Lost, mit Dante1 s Comedia und Klopstock's Messias

das

Loos sehr

verschiedenartiger

Beurteilung: „What will you say, schreibt Lord Chesterfield seinem

Sohne, when I teil you truly, that I cannot possibly read our Country­ man Milton through ? I acknowledge him to have some most sublime

passages, some prodigious flashes of light; but then you must ac-

99

knowledge that light is osten followed by „darkness visible“, to use his own expression. Besides, not having the honour to be acquainted with any of the parties to his poem, except the man and the woman, the characters and Speeches of a dozen or two of angels, and of as many devils, are as much above my reach as my entertainment. Keep this secret for me: for, if it shonld be known, I should be abused by every tasteless pedant, and every solid divine, in England.“ Zeitgenosse Milton’s und politisch sein Gegner war Thomas H o b b e s 1588—1679. In seinem „Leviathan“, einer Amplifikation seiner ursprünglich unter dem Titel Elementa philosophica de cive 1642 erschienenen, später 1650 ins englische unter dem Titel Philosophical rudiments concerning government and Society übersetzten ersten Schrift, tritt Hobbes als Verteidiger der absoluten Staats- und Königs­ gewalt auf. Von größerer Wichtigkeit für seine Zeit ist er aber durch seine kleinern philosophischen Schriften gewesen. In Bezug auf die gegen ihn vom Klerus erhobene Opposition pflegte Charles II zu sagen: Hobbes is a bear against whom the church playes theil young dogs in Order to exercise them.“ Hervorragend über beide, was Einfluß auf den Entwicklungsgang der Bildung anbelangt, ist Isaac Newton 1642—1727. Auch er war Staatsmann, repräsentirte Cambridge im Parlament, trat 1696 ins Finanzministerium und wurde 1699 Münzmeister. Aber gleich seinem Vorgänger Bacon beruht, nur in höherem Grade, sein unver­ gänglicher Ruhm auf seinen wissenschaftlichen, teils englisch teils latei­ nisch geschriebenen Werken. Ihm gelang der längst vorbereitete Schritt, wenn nicht zu den Kräften selbst in der Bewegung der Himmelskörper, doch wenigstens zu dem einfachen Gesetz ihrer Wirkungen, zu gelangen, mit dem Satze: „Jeder Körper übt auf jeden andern Körper eine an­ ziehende Kraft aus, deren Quantität d. h. die Größe ihrer jedesmaligen Wirkung, sich direkt verhält wie die Masse des anziehenden Körpers und umgekehrt wie das Quadrat seines Abstandes." Diese anziehende Kraft nannte Newton Schwerkraft, AttraktionsGravitätskraft und gebrauchte diese Benennungen als gleichbedeutende, verwehrte sich aber ausdrücklich gegen jede Folgerung, die man aus diesen Namen auf die innere Natur dieser Kräfte ziehen möchte. Nicht dieses uns unbekannte innere Wesen derselben, sondern die Ge­ setze ihrer Wirkungen sind es, welche Newton aus einem einzigen obersten Princip folgerichtig entwickelte und welche, seitdem, die Grund-

100 läge der Astronomie ausmachen. So sehr auch sein religiös gestimmtes

Gemüt

und

seine

Staatsklugheit

ihn den

kirchlichen

Anschauungen

seiner Zeit bezüglich der letzten Ursache beipflichten kaffen mochten, so war jede wissenschaftliche Forschung anbelangend, in Übereinstimmung mit

Aristoteles wie unsere Zeit ihn kennt, mit Bacon, mit Gassendi und

mit Galilei,

doch

auch Newtons Wahlspruch:

„Hüte Dich vor Meta­

physik", sofern Metaphysik das Brüten der reinen Vernunft über ihren

eigenen Begriffen, ohne Bermittelung der Erfahrung bedeutet. Die Gravitätslehre war aber eine der wichttgsten Errungenschaften

des

menschlichen Geistes;

sie

brachte

die

Arbeiten

deS KopernikuS,

Galilei und Kepler und hiemit die mechanische Naturwissenschaft über­ und erwies sich epochemachend nicht nur für die

haupt zum Abschluß, Astronomie,

Denkart,

sondern

denn

von

eben nun

so sehr für die gesamte neue Bildung und an

wurden

Erfahrung

und Vernunft

als

die beiden Grundpfeiler der Wahrheit allgemein anerkannt, und aufs nachdrücklichste die Leichtgläubigkeit der Menschen von den Übergriffen

der theologischen Wunderlehre abgemahnt. „Ewig der Streiter nur ist's,

der erliegt,

doch nie der Ge­

danke!"

Bald zeigte sich der enge Zusammenhang des Studiums der Natur­ wissenschaften mit den

höchsten religiösen und philosophischen Fragen

und so steht Newton, jedenfalls der Zeit nach,

an der Spitze der be­

freienden Kämpfe, die das achtzehnte Jahrhundert zum Jahrhundert der

Aufklärung gemacht haben, und die in ihrem Verlauf den Bildungsgang veranschaulichen, den in unserer Zeit, in Folge unseres veralteten Jugend­ unterrichts, noch jeder denkende Mensch zu durchlaufen hat, um sich aus

den Beschränkungen dieses mit unverständlicher oder mißdeuteter Mythe noch immer übersättigten Unterrichts herauszuwinden. Denjenigen Menschen,

die überhaupt dazu kommen selbständig zu

denken, wird es auch heute noch gehen wie dem trefflichen Christian

Thomasius, 1655—1728, als er 1675 zu Frankfurt an der Oder als Docent austrat:

„Ich fing damals an, erzählt er selbst,

Wolken zu verjagen,

einige dunkle

welche bisher meinen Verstand verfinstert hatten.

Ich hatte mir vormals eingebildet, daß Alles, was die Herren Theolog!

insgemein defendiren lauter gute theologische Sachen seien, und daß sich ein ehrlicher Mann nach Möglichkeit in Acht nehmen müsse, daß er von

Niemand ein Ketzer oder Neuerer gescholten werde;

nachdem ich aber-

recht nachgedacht, wie die Theologie von Philosophie verschieden, lernte

101

ich daraus erkennen, daß gewöhnlich von den Theologen allerlei Dinge einmüthig vertheidigt werden, welche mit der Theologie nichts zu schaffen haben, sondern in die Sittenlehre oder Rechtsgelahrtheit gehören, und endlich, daß ein Neuerer noch lange kein Ketzer sei. Da nun das Ju­ dicium allsachte bei mir reif zu werden begunnte, merkte ich zugleich, daß ich mich an Gott versündigen würde, wenn ich mich noch länger von Andern bei der Nase würde herumführen lassen; ich that deshalb die Augen meines Gemüthes zu, damit sie der Glanz'menschlichen An­ sehens nicht verblenden solle, und gedachte nicht mehr, was für ein großer vornehmer Mann es sei, der Dieses oder Jenes geschrieben, son­ dern überlegte mir die Beweisthümer auf beiden Seiten und betrachtete, was Dieser vorgab oder Jener bestritt, und was der Eine behauptete, der Andere aber beantwortete." Es war dies derselbe Thomasius der nicht nur den ersten Anstoß zur Gründung der Universität Halle gab, sondern sich auch, der erste unter den deutschen Professoren, in seinen Borträgen der Muttersprache bediente. Das lateinische wurde um jene Zeit überall durch die National­ sprachen verdrängt, aber als Weltsprache trat an seine Stelle, unter politischem Einfluß, das französische, und so ging von Frankreich, wo die gelehrte Welt früher wie in Deutschland und England sich der Landessprache bediente, die allgemeine Berbreittmg der humanistischen neuen Welt- und Lebensanschauungen aus. Ich habe Dich schon darauf aufmerksam gemacht, daß bald nach der deutschen Reformation der Jansenismus in Frankreich eine Rolle spielte. Pendant que les Jesuites, sagt Voltaire in dem nSi6cle de Louis XIV", etablissaient leur Science moyenne et leur congruisme, Cor­ nelius Jans^nius, evSque d’Ypres, renouvelait quelques idees de Bai'us, dans un gros livre sur Saint Augustin, qui ne fut imprime qu1 apres sa mort; de Sorte qu’il devint chef de secte, sans jamais s’en douter. Presque personne ne lut ce livre, qui a caus6 tant de troubles; mais Duverger de Hauranne, abbe Saint-Cyran, ami de Jansenius, homme aussi ardent qu’ecrivain diffus et obscur, vint ä Paris, et persuada de jeunes docteurs et quelques vieilles femmes. Les jesuites demanderent ä Rome la condamnation du livre de Jansinius, comme une suite de celle de Bai'us, et Fobtinrent en 1641; mais, ä Paris, la faculte de theologie, et tout ce qui se melait de raisonner, fut partage. II ne parait pas qu’il y ait beaucoup k

102 gagner a penser avec JansEnius qne Dien commande des choses impossibles; cela n'est ni philosophique, ni consolant; mais le plaisir secret d’etre d’un parti, la haine que s’attiraient les JEsuites, l’envie de se distinguer, et 1’inquiEtude d’esprit, formErent une secte. La faculte condamna cinq propoeitions de Jansenius, ä la pluralitE des voix. Ces cinq propositions etaient extraites du livre trEs fidElement quant au sens, mais non pas quant aux propres paroles. Soixante docteuts appelErent au parlement comme d’abus, et la chambre des vocations ordonna que les parties comparaitraient. Les parties ne comparurent point; mais d'un cötE, un docteur, nommE Habert, soulevait les eeprits contre JansEnius; de l’autre le fameux Arnauld, disciple de Saint-Cyran, defendait le JansEnisme avec l’impEtuositE de son Eloquence. II haissait les Jesuites encore plus qu’il n'aimait la gräce efficacc; et il Etait encore plus hai* d’eux, comme nE d'un pEre qui, s’etant donnE au barreau, avait violemment plaide pour l’universite contre leur Etablisse­ ment. Ses parents s'Etaient acquis beaucoup de considEration dans la robe et dans 1’EpEe. Son gEnie, et les circonstances ou il se trouva, le dEterminErent ä la guerre de plume, et ä se faire chef de parti, espEce d’ambition devant qui toutes les autres disparaissent. Il combattit contre les JEsuites et contre les rEformEs, jusqu'ä Page de quatre-vingt ans. On a de lui cent quatre volumes, dont presque aucun n’est aujourd'hui au rang de ces bons livres classiques qui honorent le siede de Louis XIV et qui sont la bibliotheque des nations. Tous ses ouvrages eurent une grande vogue dans son temps, et par la rEputation de l'auteur et par la chaleur des disputes. Cette chaleur s'est attiEdie; les livres ont EtE oubliEs. Il n’est restE que ce qui appartenait simplement ä la raison, sa GEomEtrie, la Grammaire raisonnEe, la Logique, auxquels il eut beaucoup de part. Personne n'Etait nE avec un esprit plus philosophique; mais sa philosophie fut corrompue en lui par la faction qui l’entraina, et qui plongea soixante ans, dans de misErables disputes de l’Ecole, et dans les malheurs attachEs E l’opiniätretE, un esprit fait pour Eclairer les hommes. L’universite Etant partagEe sur ces cinq fameuses propositions, les Eveques le furent aussi. Quatre vingt huit Eveques de France Ecrivirent en corps a Innocent X, pour le prier de dEcider; et onze autres Ecrivirent pour le prier de n’en faire rien. Innocent X jugea; il condamna chacune des cinq propositions ä part; mais toujours

103 sans eiter les pages dont elles etaient tirees, ni ce qui les precedait et ce qui les suivait. Cette omission, qu’on n’aurait pas faite dans une affaire civile au moindre des tribunaux, fut faite et par la Karbonne, et par les Jansenistes, et par les Jesuites, et par le souverain pontife. Le fond des cinq propositions condamnees, est evidemment dans Jansenius. II n’y a qu’ä ouvrir le troisieme tome, a la page 138, edition de Paris 1641; on y lira mot ä mot: „Tout cela d^montre plainement et evidemment qu’il n’est rien de plus certain et de plus fondamental dans la doctrine de Saint Augustin, qu’il y a certains commandemens impossibles, non seulement aux infideies, aux aveugles, aux endurcis, mais aux fideles et aux justes, malgre leurs volontes et leurs efforts, selon les forces qu’ils ont; et que la gräce, qui peut rendre ces commandemens possibles, leur manque.“ On peut aussi lire, ä la page 165 „que Jesus-Christ n’est pas, selon Saint Augustin, mort pour tous les hommes“. Le Cardinal Mazarin fit recevoir unanimement la bulle du pape par l'assembläe du clergA II etait bien alors avec le pape; il n’aimait pas les Jansenistes, et il hai'ssait avec raison les factions. La paix semblait rendue ä l’Eglise de France: mais les Jansenistes ecrivirent tant de lettres, on cita tant Saint Augustin, on fit agir tant de femmes, qu’apres la bulle accept6e il y eut plus de Janse­ nistes que jamais. Un pretre de Saint-Sulpice s’avisa de refuser l’absolution ä M. de Liancourt, parce qu’on disait qu’il ne croyait pas que les cinq propositions fussent dans Jansenius, et qu’il avait dans sa maison des heretiques. Ce fut un nouveau scandale, un nouveau sujet d’ecrits. Le docteur Arnauld se signala, et dans une nouvelle lettre ä un duc et pair ou red ou immaginaire, il soutint que les propositions de Jansenius condamn6es n’etaient pas dans Jansenius, mais qu’elles se trouvaient dans Saint Augustin et dans plusieurs peres. Il ajouta que „Saint Pierre etait un juste ä qui la gräce, sans laquelle on ne peut rien, avait manque“. Il est vrai que Saint Augustin et Jean Chrysostome avaient dit la meme chose; mais les conjonctures qui changent tont, rendirent Arnauld coupable. On disait qu’il fallait mettre de l’eau dans le vin des saints peres; car ce qui est un objet si serieux pour les uns est toujours pour les autres un sujet de plaisanterie. La faculte

104

s’assembla; le chancelier Seguier y vint meme de la part du roi. Arnauld fut condamni, et exclus de la Sarbonne en 1654. La presence du chancelier parmi les thäologiens eut un air de despotisme qui deplut au public; et le soin qu’on eut de garnir la salle d’une foule de docteurs, meines mendiants, qui n’etaient pas accoutumes de s’y troilver en si grand nombre, fit dire ä Pascal dans ses Provinciales „qu’il etait plus aise de trouver des meines que des raisons“. La plupart de ces meines n’admettait point le congruisme, la Science moyenne, la gräce versatile de Molina; mais ils soutenaient une gräce süffisante ä laquelle la volonte peut consentir, et ne consent jamais; une gräce efficace ä laquelle on peut rSsister, et ä laquelle on ne resiste pas; et ils expliquaient cela clairement, en disant qu’on pouvait rSsister ä cette gräce dans le Sens divise, et non pas dans le sens compose. Si ces choses sublimes ne sont pas trop d’accord avec la raison humaine, le sentiment d’Arnauld et des Jansenistes semblait trop d’ac­ cord avec le pur calvinisme. C’etait precisement le send de la querelle des gomaristes et des arminiens. Elle divisa la Heilande comme le Jansenisme divisa la France; mais eile devint en Heilande une faction politique, plus qu’une dispute de gens oisifs; eile fit couler sur un 6chafaud le sang du pensionnaire Barneveit: violence atroce que les Hollandais detestent aujourd’hui, apres avoir ouvert les yeux sur l’absurdite de ces disputes, sur l’horreur de la persecution, et sur Theureuse nöcessite de la tolerance: ressource des sages qui gouvernent, contre l’enthousiasme passager de ceux qui argumentent. Cette dispute ne produisit en France que des mandements, des bulles, des lettres de cachet, et des brochures, parcequ’il y avait alors des querelles plus importantes. Arnauld fut donc seulement exclus de la faculte. Cette petite persecution lui attira une foule d'amis: mais lui et les Jansenistes eurent toujours contre eux l’Eglise et le pape. Une des premieres dimarches d’Alexandre VII, successeur d’Innocent X, fut de renouveler les censures contre les cinq propositions. Les eveques de France, qui avaient d6jä dress6 un formulaire, en firent encore un nouveau, dont la fin etait conxue en ces termes: „Je condamne de coeur et de beuche la doctrine des cinq propositions contenues dans le livre de Cornelius Jansenius, laquelle doctrine n’est point celle de Saint Augustin, que Jansenius a mal expliquee14.

105

II fallut depuis souscrire cette formule; et les eveques la presentörent dans leurs dioc&ses ä tous ceux qui etaient suspects. On la voulait faire eigner am religieuses de Port-Royal de Paris et de Port-Royal des Champs. Ces dem maisons etaient le sanctuaire du Jansenisme: Saint-Cyran et Arnauld les gouvernaient. Hs avaient etabli auprös du monastere de Port-Royal des Champs une maison ou s’etaient retires plusieurs savants vertueux, mais entetes, liis ensemble par la conformite des sentiments: ils y instruisaient de jeunes gens choisis. C’est de cette äcole qu’est sorti Racine, le poete de Funivers qui a le mieux connu le coeur humain. Pascal, le premier des satiriques fran^ais, car Despreaux ne fut que le second, etait intimement lie avec ces illustres et dangereux solitaires. On presenta le formulaire ä eigner am filles de Port-Royal de Paris et de Port-Royal des Champs; elles repondirent qu’elles ne pouvaient en conscience avouer, apres le pape et les eveques, que les cinq propositions fussent dans le livre de Jans6nius qu’elles n’avaient pas lu; qu’assurement on n'avait pas pris sa pensee; qu’il se pouvait faire que ces cinq propositions fussent erronees; mais que Jansenius n’avait pas tort. Un tel entetement irrita la cour. Le lieutenant civil d'Aubrai (il n’y avait point encore de lieutenant de police) alla ä Port-Royal des Champs faire sortir tous les solitaires qui s’y Etaient retires et tous les jeunes gens qu’ils elevaient. On mena$a de detruire les dem monasteres: un miracle les sauva. Mademoiselle Perrier, pensionnaire de Port-Royal de Paris, nifece du cel&bre Pascal, avait mal L un oeil: on fit ä Port-Royal la Ceremonie de baiser une epine de la couronne qu’on mit autrefois sur la tete de Jesus-Christ. Cette epine 6tait depuis quelque tems ä Port-Royal. II n’est pas trop ais6 de savoir Comment eile avait etc sauv6e et transportäe de Jerusalem au Faubourg Saint-Jacques. La malade la baisa: eile parut guerie plusieurs jours aprös. On ne manqua pas d’affirmer et d’attester qu’elle avait 6te guerie en un clin d’oeil d'une fistule lacrymale desesperee. Cette fille n’est morte qu’en 1728. Des personnes qui ont longtems vecu avec eile m’ont assur6 que sa guerison avait et6 fort longue, et c’est ce qui est bien vraisemblable; mais ce qui ne Fest gufcre, c’est que Dien, qui ne fait point de miracles pour amener L notre religion les dix-neuf vingtiemes de la terre, ä qui cette religion est ou inconnue ou en horreur, eut en effet interrompu

106

Vordre de la nature en favenr d une petite Alle, pour justifier une donzaine de religieuses qni prätendaient qne Cornelius Jansenius n’avait point 6crit une donzaine de lignes qu’on lui attribue, ou qp’il les avait echtes dans une autre Intention que celle qui lui est imputee. Le miracle eut un si grand eclat, que les Jesuites ecri virent contre lui. Un P. Annat, confesseur de Louis XIV, publia le „Rabatjoie des Jans^nistes, ä Voccasion du miracle qu’on dit etre arrive ä Port-Royal, par un docteur catholique“. Annat etait ni docteur ni docte. II crut demontrer que si une epine etait venu de Jud^e ä Paris gu6rir la petite Perrier, c’etait pour lui prouver que Jisus est mort pour tous, et non pour plusieurs: tous sifflerent le P. Annat. Les Jesuites prirent alors le parti de faire aussi des miracles de leur cöte; mais ils n’eurent point la vogue: ceux des Jansenistes etaient les seuls ä la mode alors. Ils firent encore quelques ann£es apres un miracle. II y eut ä Port-Royal une soeur Gertrude guirie d’une influre ä la Jambe. Ce prodige-lä n’eut point de succes: le tems etait passe, et soeur Gertrude n’avait point un Pascal pour oncle." Ausführliches über den Jansenismus und jene für die französische Geschichte so interessante Zeit findest Du in G. A. Sainte-Beuve „Port-Royalu 4me öd. 1878 und dient Dir dies Buch auch als Einleitung zu Pascal. Blaise Pascal, 1623—1662, war einer der frühreifen großen Geister, im Besitz de la vraie grandeur qui consiste d’avoir re$u du viel un puissant gönie, et de s’en etre servi pour s’eclairer soi-meme et les autres. Schon in seinem sechszehnten Jahre schrieb er eine Abhandlung über die Kegelschnitte, welche die Mathematiker in Erstaunen setzte, nach­ dem er im Jahre vorher Ansichten über die Schwere der Körper auf­ gestellt hatte, welche bereits die Keime jener Entdeckungen enthielten, die Newton zum größten Manne seiner Zeit machten. Ganz besondere Verdienste erwarb sich aber Pascal um die französische Nationalliteratur und sein bleibender Ruhm beruht auf seinen beiden Hauptwerken: Lettres echtes a un Provincial, welche vom Januar 1656 bis zum März 1657 erschienen und seitdem mehr als sechszig Auflagen erlebten, und „Les Pensees“ die zuerst 1669 veröffentlicht wurden. Einen ganzen Abschnitt widmet er in letztern den „Juifs consid6r6s

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par rapport ä notre religion* — ein interessanter Beleg für die da­ malige historische Bildungsstufe. Anregend wie die Pensees de Pascal an und für sich find, wirst Du den Genuß an denselben erhöhen, wenn Du sie gleichzeitig mit den Remarques de Voltaire (in zwei Abteilungen, die erstere 1728—1734, die spätere 1777) liest. „Je respecte le g6nie et Feloquence de Pascal, sagt Voltaire, mais plus que je le respecte, plus je suis persuad6 qu’il aurait lui-meme corrige beaucoup de ces Pensees, qu’il avait jetees au hasard sur le papier pour les examiner ensuite: et c’est en admirant son genie que je combats quelques-unes de ses idees.“ Der Titel „Lettres ä un ProvinciaP1 läßt nicht auf den Inhalt dieses Hauptwerkes PascaPs schließen, der nichts weniger ist als ein heftiger Angriff gegen die Jesuiten und eine schonungslose Enthüllung ihrer laxen Moral, im Gegensatz zum sittenstrengen Jansenismus. DaS Werk gilt als vollendetes Meisterstück reiner und geistreicher Prosa, und ich hoffe Du wirst es bald mit Aufmerksamkeit und Genuß lesen.

London, 2. Dezember 1878.

Berühmte Zeitgenossen Pascal’s waren in Frankreich De la Rochefaucauld und La Bruyere. Beider Schriften sind Edelsteine. De la Rochefaucauld, 1630—1680, war ein Lebemann und Schöngeist. In seinen 1655 erschienenen Reflexions ou Sentences et Maximes morales spiegeln sich die vornehme Verdorbenheit und die heuchlerische Tugend seiner Zeit. Hallam sagt über dieses populäre und seiner klassischen Prosa halber hochgeschätzte Buch: „Few books have been more highly extolled or more severely blamed than the Thoughts or Maximes of the Duke of la Rochefoucauld. They have, indeed, the greatest advantages for popularity; the production of a man lese distinguished by his high rank than by his active participation in the factions of his country at a time when they reached the limits of civil war, and by his brilliancy among the accomplished courtiers of Louis XIV; concise and energetic in expression; reduced to those short aphorisms which leave much to the reader’s acuteness, and yet save his labour; not osten obscure, and never wearisome; an evident generalization of long experience, without pedantry, without method, without deductive reasonings, yet wearing an appearance at least of profundity, they delight the intelligent though indolent man of the world, and must be read with some admiration by the philosopher. Among the books in ancient and modern times which record the conclusions of observing men on the moral qualities of their fellows, a high place should be reserved for the Memoirs of Rochefoucauld.“ Und von sich selbst sagt dieser, in seinem Portrait fait par lui-meme, (1658): „J’ai de l’esprit, et je ne fais point difficult6 de le dire; car ä quoi bon fagonner lä-dessus? Tant biaiser et tant apporter d’adoucissement pour dire les avantages que Von a, c’est, ce me semble, cacher un peu de vanite sous une modestie apparente, et se sei*vir d’une maniere bien adroite pour

109 faire croire de soi beaucoup plus de bien que l’on n’en dit. Pour moi, je suis Content qu’on ne me croie ni plus beau que je me fais, ni de meilleur humeur que je me dtipeins, ni plus spirituel et plus raisonnable que je le suis. J’ai donc de l’esprit, encore une fois, mais un esprit que la m^lancolie gäte; car, encore que je possede assez bien ma langue, que j’aie la memoire heureuse, et que je ne pense pas les choses fort confusement, j’ai pourtant une si forte application ä mon chagrin, que souvent j’exprime assez mal ce que je veux dire. La conversation des honnetes gens est un des plaisirs qui me touchent le plus. J’aime qu’elle soit serieuse, et que la morale en fasse la plus grande partie. Cependant je sais la goüter aussi lorsqu’elle est enjouee; et si je ne dis pas beaucoup de petites choses pour rire, ce n’est pas du moins que je ne connaisse pas ce que valent les bagatelles bien dites, et que je ne trouve fort divertissante cette mani&re de badiner, oü il y a certains esprits prompte et aises qui reussissent si bien. J’ecris bien en prose, je fais bien en vers; et, si j’etais sensible ä la gloire qui vient de ce cöte-lü, je pense qu’avec peu de travail je pourrais m’acqu^rir assez de reputation. J’aime la lecture en general; celle oü il se trouve quelque chose qui peut fagonner l’esprit et fortifier l’äme est celle que j’aime le plus. Sur-tout j’ai une extreme satisfaction a lire avec une personne d’esprit; car, de cette sorte, on refl^chit ä tont moment sur ce qu’on lit; et des reflexions que l’on fait il se forme une conver­ sation la plus agreable du monde et la plus utile .... L’ambition ne me travaille point. Je ne crains guere de choses, et ne crains aucunement la mort. Je suis peu sensible ä la pitie, et je voudrais ne l’y etre point du tont. Cependant il n’est rien que je ne fasse pour le Soulagement d’une personne affligee; et je crois effectivement que l’on doit tout faire jusqu’a lui temoigner meme beaucoup de compassion de son mal; car les miserables sont si sots, que cela leur fait le plus grand bien du monde: mais je tiens aussi qu’il saut se contenter d’en temoigner, et se garder soigneusement d’en avoir. C’est une passion qui n’est bonne ä rien au dedans d’une äme bien faite, qui ne sert qu a affaiblir le coeur, et qu’on doit laisser au peuple, qui, n’executant jamais rien par raison, a besoin de passions pour le porter ä faire les choses.

110

J’aime mes amis; et je les aime d’une fa$on que je ne balancerais pas un moment ä sacrifier mes interets aux leurs. J’ai de la condescendance pour eux; je souffre patiemment leur mauvaises humeurs: seulement je ne leur fais beaucoup de caresses, et je n ai pas non plus de grandes inquietudes en leur absence. Bon einem solchen Manne ist scharfe Beobachtung seiner Umge­ bung und geringe Nachsicht für ihre menschlichen Schwächen zu erwar­

ten.

Du findest beides in den Aphorismen, von denen ich Dir einige

hier anführe:

Ce que nous prenons pour des vertus n’est souvent qu’un assemblage de diverses actione et de divers interets, que la fortune ou notre Industrie savent. arranger; et ce n’est pas toujours par valeur et par chastete que les hommes sont vaillants, et que les fernmes sont chastes. La passion fait souvent un fou du plus habile homme, et rend souvent les plus sots habiles. Lee passions sont les seuls orateurs qui persuadent toujours. Elles sont comme un art de la nature, dont les regles sont infaillibles; et Fhomme le plus simple, qui a de la passion, persuade mieux que le plus eloquent qui n’en a point. La constance des sages n’est que Fart de renfermer leur agitation dans leur coeur. La philosophie triomphe aisement des maux passes et des maux a venir; mais les maux presents triomphent d’elle. Si nous n’avions point de defauts, nous ne prendrions pas tant de plaisir ä en remarquer dans les autres. Nous promettons seien nos esperances et nous tenons selon nos craintes. Pour s’etablir dans le monde, on fait tout ce que Ton peut pour y paraitre etabli. La sincerite est une ouverture de coeuri On la trouve en fort peu de gens; et celle que Fon voit d’ordinaire n’est qu’une fine dissimulation pour attirer la confiance des autres. Si on juge de l’amour par la plupart de ses effets, il ressemble plus ä la haine qu’a Famitie. L’amour de la justice n’est, en la plupart des hommes, que la crainte de souffrir Finjustice.

111 La reconciliation avec nos ennemis n’est qu’un desir de rendre notre condition meilleure, une lassitude de la guerre, et une crainte de quelque mauvais evenement. Nous nous persuadons souvent d’aimer les gens plus puissants que nous, et neanmoins c’est Finteret seul qui produit notre amitie; nous ne nous donnons pas ä eux pour le bien que nous leur voulons faire, mais pour celui que nous en voulons recevoir. Notre defiance justifie la tromperie d’autrui. Tout le monde se plaint de sa memoire, et personne ne se plaint de son jugement. Les vieillards aiment ä donner de bons preceptes, pour se consoler de n'etre plus en etat de donner de mauvais exemples. Rien n1est moins sincdre que la maniöre de demander et de donner des conseils. Celui qui en demande parait avoir une deförence respectueuse pour les sentiments de son ami, bien qu’il ne pense qu a lui faire approuver les siens, et a le rendre garant de sa conduite; et celui qui conseille, paie la confiance qu'on lui temoigne d'un z61e ardent et desinteresse, quoiqu’il ne cherche le plus souvent, dans les conseils qu’il donne, que son propre intetet ou sa gloire. La plus subtile de toutes les finesses est de savoir bien feindre de tomber dans les pifcges qu’on nous tend; et Fon n’est jamais si aisement trompä que quand on songe ä tromper les autres. Si nous resistons a nos passions, c’est plus par leur faiblesse que par notre force. On n’est jamais si ridicule par les qualites qu’on a, que par celles que Fon affecte d’avoir. II y a des gens dont tout le mSrite consiste ä dire et L faire des sottises utilement, et qui gäteraient tout s’ils changeaient de conduite. L’art de savoir bien mettre en Oeuvre de mediocres qualitis, derobe Festime, et donne souvent plus de reputation que le veritable merite. Notre merite nous attire Festime des honnetes gens, et notre etoile celle du public. Les vertus se perdent dans Finteret, comme les fleuves dans la mer. II y a diverses sortes de curiosite; Fune d’interet, qui nous

112 porte ä d6sirer d’apprendre ce qui nous peut etre utile; et l’autre d’orgueil, qui vient du desir de savoir ce que les untres ignorent. Ce qui nous fait aimer les nouvelles connaissances, n’est pas taut la lassitude que nous avons des vieilles, ou le plaisir de changer, que le d6goüt de n’etre pas assez admires de ceux qui nous oonnaissent trop, et Fespärance de Fetre davantage de ceux qui ne nous connaissent pas taut. Celui qui croit pouvoir trouver en soi-meme de quoi se passer de tont le monde, se trompe fort; mais celui qui croit qu’on ne peut se passer de lui, se trompe encore davantage. La parfaite valeur est de faire sans t&noins ce qu’on serait capable de faire devant tont le monde. II est de la reconnaissance comme de la bonne foi des marchands; eile entretient le commerce; et nous ne payons pas parcequ’il est juste de nous acquitter, mais pour trouver plus facilement des gens qui nous pretent. II n'y a point de gens qui aient plus souvent tort, que ceux qui ne peuvent souffrir d'en avoir. On ne doit pas juger du merite d’un homme par ses grandes qualites, mais pas Fusage qu’il cn sait faire. Mille gens deplaisent avec des qualites aimables; mille gens plaisent avec de moindres talents. C’est que les uns veulent paraitre ce qu’ils ne sont pas, les autres sont ce qu’ils paraissent, et enfin quelques avantages ou quelques dSsavantages que nous ayons retzus de la nature, on plait a proportion de ce qu’on suit Fair, les tons, les manieres et les sentiments qui conviennent a notre etat et ä notre figure, et on deplait ä proportion qu’on s’en eloigne. Jean de la Bruyere, 1639—1696, erscheint als ein wahrer Lebensphilosoph. Sein Hauptwunsch war ruhig mit seinen Büchern und Freunden zu leben. Sein berühmtes Buch ist betitelt: Les caracteres de Theophraste, traduit du grec, avec les caracteres ou les moenrs de ce siede, 1687. „On ne doit parier, on ne doit ecrire, sagt la Bruyere in der Borrede, que pour Finstruction; et s'il arrive que Fon plaise, il ne saut pas neanmoins s’en repentir, si cela sert a insinuer et ä faire recevoir les verites qui doivent instruire: quand donc il s’est glissä dans un livre quelques pensees ou quelques r^flexions qui n ont ni le feu, ni le tour, ni la vivacite des autres, bien qu’elles semblent

113 y etre admises pour la Variete, ponr delasser Fesprit, pour le rendre plus präsent et plus attentif ä ce qui va suivre, a meins que d’ailleurs elles ne soient sensibles, familiäres, instructives, accommodäes au simple peuple, qu’il n’est pas permis de negliger, le lecteur peut les condamner, et Fauteur les doit proscrire; voilä la regle. II y a une autre, et que j’ai interet que Fon veuille suivre, qui est de ne pas perdre mon titre de vue, et de penser toujours, et dans tonte la lecture de cet ouvrage, que ce sont les caracteres ou les moeurs de ce siede que je decris ....

Ce ne sont point au reste des maximes que j’ai voulu ecrire: elles sont comme des lois dans la morale; et j’avoue que je n’ai ni assez d’autorite, ni assez de genie, pour faire le legislateur . •.. Ceux qui fönt des maximes veulent ätre crus: je consens au contraire que Fon dise de moi que je n’ai pas quelquefois bien remarque, pourvu que Fon remarque mieux. Du hast hier eine ganz andere Sprache und, seinem Werke nach zu urteilen, an La Bruyere ein ganz anderes Geisteskind vor Dir, wie La Rochefoucauld. Zum Vergleich einige Auszüge: Bien des gens vont jusques a sentir le merite d’un manuscrit qu’on leur lit, qui ne peuvent se declarer en sa faveur, jusques ä ce qu’ils aient vu le cours qu’il aura dans le monde par Fimpression, ou quel sera son sort parmi les habiles: ils ne hasardent point leurs suffrages, et ils veulent etre portes par la foule et entraines par la multitude. Ils disent alors qu’ils ont les premiers approuvä cet ouvrage, et que le public est de leur avis. Ces gens laissent echapper les plus beiles occasions de nous convaincre qu’ils ont de la capacite et des lumiäres, qu’ils savent juger, trouver bon ce qui est bon, et meilleur ce qui est meilleur. Les sots lisent un livre, et ne l’entendent point; les esprits mediocres croient l’entendre parfaitement; les grands esprits ne l’entendent quelquefois pas tout entier, ils trouvent obscur ce qui est obscur, comme ils trouvent clair ce qui est clair. Les beaux esprits veulent trouver obscur ce qui ne Fest point, et ne pas entendre ce qui est fort intelligible. II y a des gens qui parlent un moment avant que d’avoir pense; il y en a d’autres qui ont une fade attention ä ce qu’ils disent, et avec qui Fon souffre dans la conversation de tout le tra8

114 vail de leur esprit: ils sont comme petris de phrases et de petita tours d’expression, Concertes dans leur geste et dans tont leur maintien; ils sont puristes, et ne hasardent pas le moindre mot, quand 11 devrait faire le plus bei esset du monde: rien d’heureux ne leur echappe; rien ne coule de source et avec liberte: ils parlent proprement et ennuyeusement. L’esprit de conversation consiste bien moins a en montrer beaucoup qu’ä en faire trouver aux autres: celui qui sort de votre en­ trollen Content de soi et de son esprit Fest de vous parfaitement. Les hommes n’aiment point a vous admirer; ils veulent plaire: ils cherchent moins ä etre instruits, et meine rejouis, qu’ä etre goütes et applaudis; et le plaisir le plus delicat est de faire celui d’autrui. Des gens vous promettent le secret, et ils le revelent euxmemes, et ä leur insu; ils ne remuent pas les levres, et on les entend: on lit sur leur front et dans leurs yeux; on voit au travers de leur poitrine; ils sont transparents: d’autres ne disent pas precisement une chose qui leur a ete cohfiee; mais ils parlent et agissent de maniäre qu’on Fa decouvre de soi-meme: enKn quelques-uns meprisent votre secret, de quelque consequence qu’il puisse etre: „C’est un mystere; un tel m’en a fait part, et m’a defendu de le dire,u et ils le disent. Toute revelation d’un secret est la saute de celui qui Fa confie. Dire d’un homme colere, inegal, querelleur, chagrin, pointilleux, capricieux, c’est son humeur, n’est pas Fexcuser, comme on le croit, mais avouer, sans y penser, que de si grands defauts sont irremediables. La plupart des hommes, pour arriver ä leurs Ans, sont plus capables d’un grand effort que d’une longue perseverence. Leur paresse ou leur inconstance leur fait perdre le fruit des meilleurs commencements. Ils se laissent souvent devancer par d’autres qui sont partis apr&s eux, et qui marchent lentement, mais constamment. J’ose presque assurer que les hommes savent encore mieux prendre des mesures que les suivre, resoudre ce qu’il saut faire et ce qu’il saut dire, que de faire ou de dire ce qu’il saut. On se propose fermement, dans une affaire qu’on negocie, de faire une certaine chose; et ensuite, ou par passion, ou par une intemperance de langue, ou dans la chaleur de l’entretien, c’est la premiere qui Echappe.

115 Tel autre fait la Satire de ces gens qui s’engagent par inqui6tude ou par curiosite dans de longs voyages, qui ne fönt ni memoires ni relations, qui ne portent point de tablettes, qui vont pour voir, et qui ne voient pas, ou qui sublient ce qu’ils ont ou, qui desirent seulement de connaitre de nouvelles tours ou de nouveaux cloches, et de passer des riviöres qu’on n’appelle ni la Seine ni la Loire, qui sortent de leur patrie pour y retourner, qui aiment a etre absents, qui veulent un jour etre revenus de loin: et ce satirique parle juste, et se fait ecouter. Mais quand il ajoute que les livres en apprennent plus que les voyages, et qu’il m’a fait comprendre par ses discours qu’il a une bibliotheque, je souhaite de la voir: je vais trouver cet homme, qui ine re^oit dans une maison ou dös Fescalier je tombe en faiblesse d’une odeur de maroquin noir dont les livres sont tous couverts. II a beau me crier aux oreilles, pour me rariimer, qu’ils sont dores sur tranche, ornes de filets d’or, et de la bonne edition, me nommer les meilleurs Tun apres l’autre, dire que sa galerie est remplie, k quelques endroits prös qui sont peints de maniöre qu’on les prend pour de vrais livres arranges sur des tablettes, et que l'oeil s’y trompe; ajouter qu’il ne lit jamais, qu’il ne met pas le pied dans cette galerie, qu’il y viendra pour nie faire plaisir; je le remercie de sa complaisance, et ne veux non plus que lui visiter sa tannerie, qu’il appelle bibliotheque. Auch Jacques Benigne Bossuet, 1627—1704, hast Du Dir zu merken, berühmt als ausgezeichneter Kanzelredner unter Louis XV. und Verfechter der Freiheit der Gallikanischen Kirche und des Rechtes des Königs über dieselbe gegen päpstliche Angriffe. Seine Oraisons funöbres geben eine Idee des damaligen Predigerstils, aber sein Discours sur Thistoire universelle 1681, verdient Deine besondere Beachtung zur Beurteilung des damaligen Standes historischer Forschung, denn so be­ lehrte vor zweihundert Jahren der geistreichste Prälat seiner Zeit den Thronfolger des mächtigsten Fürsten Europas. In dem Avant-propos sagt Bossuet: „Cette maniere d’histoire universelle est k l’egard des histoires de chaque pays et de chaque peuple ce qu’est une carte generale k l’egard des cartes particulieres. Dans les cartes particulieres vous voyez tout le detail d’un royaume ou d’une province en elle-meme: dans les cartes universelles vous apprenez ä situer ces parties du monde dans leur tout; vous voyez ce que Paris ou l’Ue-

116

de-France est dans le royaume, ce que le royaume est dans FEurope, et ce que FEurope est dans Funivers. Ainsi les histoires particulieres representent la suite des choses qui sont arrivies a un peuple dans tont leur detail: mais, afin de tont entendre, il saut savoir le rapport que chaque histoire peut avoir avec les autres; ce qui se fait par un abrege oü Fon voie, comme d’un coup d’oeil, tont Fordre des temps. Un tel abregS vous propose un grand spectacle. Vous voyez tone les siecles pr^c^dents se developper, pour ainsi dire, en peu d’heures devant vous: vous voyez comme les empires se succedent les uns les autres; et comme la religion, dans ses diff^rents etats, se soutient egalement depuis le commencement du monde jusqn’ä notre temps. C’est la suite de ces deux choses, je veux dire celle de la religion et celle des empires, que vous devez imprimer dans votre m6moire; et comme lä religion et le gouvernement politique sont les deux points sur lesquels roulent les choses humaines, voir ce qui regarde ces choses renferme dans un abrege, et en decouvrir par ce moyen tont l’ordre et tonte la suite, c'est comprendre dans sa pensee tont ce qu’il y a de grand parmi les hommes, et tenir, pour ainsi dire, le fil de toutes les affaires de Funivers ....

Comme mon Intention principale est de vous faire observer, dans cette suite de temps, celle de la religion et celle des grands empires; apr&s avoir fait aller ensemble, selon le cours des annees, les faits qui regardent ces deux choses, je reprendrai en particulier, avec les riflexions necessaires, premifcrement ceux qui nous fönt entendre la duree perpätuelle de la religion, et enfin ceux qui nous dScouvrent les causes des grands changements arrives dans les empires. Anderen Geistes Kind lebte zu gleicher Zeit in Holland Baruch

Spinoza, 1632—1677. Zeitgemäs hat er seine philosophischen Werke

lateinisch geschrieben

und,

wie

die meisten

philosophischen

Systeme,

zählen auch seine Schriften zu denjenigen die eines Kommentars be­

dürfen.

schon

An Kommentatoren fehlt es auch nicht. abgeraten Dich

mit

Ich habe Dir aber

philosophischen Systemen zu

Die Verfasser der meisten und in höherm Grade noch urteilen wie Cotin:

beschäftigen. ihre Schüler,

117 Qui meprise Cotin n’estime point son roi Et n’a, selon Gotin, ni Dien, ni foi, ni loi!

Wenige haben aber in gleichem Grade wie Spinoza, durch die großartige Resignation, mit welcher er die Dinge und Ereignisse nimmt, wie sie sind, und in allem, was ist und geschieht, eine Reihe von Na­ turfolgen sieht, an denen sich nichts ändern läßt und über deren Wert­ unterschiede sich zu härmen für den denkenden Menschen sich nicht der Mühe lohne, großen und nachhaltigen Einfluß geübt. Mit Nutzen wirst Du lesen was Hallam über Spinoza’s Hauptwerk „Ethica“ sagt.

London, 17. December 1878. Mit den Reformationen auf kirchlichen! Gebiete, deren Folgen in England die Errichtung der Staatskirche, während sic in Deutschland als Protestantismus, in Frankreich als Jansenismus die Gemüter er­ regten, waren auch auf staatlichem Gebiete große Bewegungen verknüpft.

Wenn, wie in der Kunst und Wissenschaft, unter Reformation auch in der Religion eine Erneuerung

des Lebens aus

dem Grunde seiner

eigensten, innersten Bedingungen verstanden wird, also die Wiederher­

stellung seiner Wahrheit und Ursprünglichkeit aus einem Zustande der Berkünstelung und Entartung, so heißen in der Politik Reformen, die­ jenigen Umwälzungen, welche ohne gewaltsamen Umsturz neues gestalten,

während den Namen Revolution die anscheinend den Lauf der Dinge unterbrechenden Erschütterungen tragen, in welchen das alte gewaltsam

zerstört und aufgegeben, zugleich aber auch eine neue Lebensgestalt vor­ bereitet wird. Unter diesen letzter» hast Du Dir zwei große Katastrophen zu merken:

die englische Revolution im 17., und die französische Re­

volution zu Ende des 18. Jahrhunderts, die beide wahrhafte Wende­ punkte im europäischen Kulturleben bezeichnen, und an welche sich mehr oder weniger die übrigen gewaltsamen Veränderungen der neuesten Zeit und der Gegenwart knüpfen. Trotz mancher äußern Ähnlichkeiten,

welche dieselben bieten, waren doch ihre Entstchungsgründe, ihr innerer Verlauf und ihre Folgen für die politische Weiterentwickelung der bei­

den Staaten, so wie ihr Einfluß auf das übrige Europa wesentlich verschieden.

Erstere mehr politisch,

letztere mehr social,

durch beide Revolutionen angeregte geistige,

dauert die

namentlich an die franzö­

sische anknüpfende social-demokratische Bewegung noch heute fort, und auch hier zeigt sich Dir die Wechselwirkung zwischen geschichtlichen That­ sachen und literarischen Erzeugnissen: „Ideen wie organische Keime fliegen

weit" aber nur der geeignete Boden bringt sie zur Entwickelung und gibt ihnen oft höhere Formen.

119 Mit der englischen Revolution

und

den Heroen

der Literatur

zur Zeit der Königin Anna bist Du durch den Schulunterricht genügend

bekannt. Eine Kritik dieser Literatur wird Dich aber noch interessieren. Du findest sie in

Francis Jeffrey, 1773—1850. 4 vol. Contributions to the Edin­ burgh Review 1844. By far the most considerable change which has taken place in the world of letters, in our days, is that by which the wits of Queen Anne’s time have been gradually brought down from the supremacy which they had enjoyed, without competition, for the best part of a Century. When we were at our studies, some twenty five years ago (about 1820) we can perfectly remember that every young man was set to read Pope, Swift, and Addison, as regularily as Virgil, Cicero, and Horace. All who had any tincture of letters were familiär with their writings and their history; allusions* to them abounded in all populär discourses and all ambitious conversation; and they and their contemporaries were universally acknowledged as our great modele of excellence, and placed without challenge at the head of our national literature. New books, even when allowed to have merit, were never thought of as fit to be placed in the same dass, but were generally read and forgotten, and passed away as the transitory meteors of a lower sky; while they remained in their brightness, and were supposed to shine with a fixed and unalterable glory. All this, however, we take it, is now pretty well altered; and in so far as persons of our antiquity can judge of the training and habits of the rising generation, those celebrated writers no longer form the manual of our studious youth, or enter necessarily into the Institution of a liberal education. Their names, indeed, are still familiär to our ears; but their writings no longer solicit our habitual notice, and their Subjects begin already to fade from our recollection. Their high Privileges and proud distinctions, at any rate, have evidently passed into other hands. It is no longer to them that the ambitious look up with envy, or the humble with admiration; nor is it in their pages that the pretenders to wit and eloquence now search for allusions that are eure to captivate, and illustrations that cannot be mistaken. In this decay of their reputation they

120 have few advocates, and no Imitators: and, from a comparison of many observations, it seems to be clearly ascertained, that they are declined considerably from „the high meridian of their glory“, and may fairly be apprehended to be „hastening to their setting“. Neither is it time alone that has wrought this obscuration; for the fame of Shakespeare still shines in undecaying brightness; and that of Bacon has been steadily advancing and gathering new honours during the whole period which has witnessed the rise and decline of bis lese vigorous successors. There are but two possible Solutions for phenomena of this sort. Our taste has either degenerated — or its old model« have been fairly surpassed: and we have ceased to admire the writers of the last Century only because they are too good for us — or because they are not good enough. Now, we confess, we are not believers in the absolute and permanent corruption of national taste; on the contrary, we think that it is, of all faculties, that which is most sure to advance and improve with time and experience; and that with the exception of those great physical or political disasters which have given a cheque to Civilisation itself, there has always been a sensible progress in this particular; and that the general taste of every successive generation is bester thun that of its predecessors. There are little capricious fluctuations, no doubt, and fits of foolish admiration or fastidiousness, which cannot be so easily accounted for; but the great movements are all progressive; and though the progress consists at one time in withholding toleration from gross faults, and at another in giving their high prerogative to great beauties, this alteration has no tendency to obstruct the general advance; but, on the contrary, is the best and the safest course in which it can be conducted. Bon größerer Tragweite wie diese belletristischen Produkte, obschon

noch mehr in Vergessenheit geraten,

sind

die Werke

der sogenannten

Deisten jener Zeit. Die Freunde nannten sie Freidenker, die Gegner,

um sie in der öffentlichen Meinung gehässig zu machen: Atheisten; doch paßt diese Bezeichnung nicht,

weise

verstanden

wird,

die

trennten und unabhängigen,

je­

sofern unter Atheismus eine Denk­

keinen von der natürlichen Stoffwelt ge­ persönlichen Gott annimmt,

wie Du aus

folgendem sehen wirst:

„Deism, schreibt D. Partrick, is the received name for a current

121 of theological thought which, though not confined to one country, or to any well defined period, had England for its principal source, and was most conspicuous in the last years of the 17th and the first half of the 18th Century. The deists, differing, widely in im­ portant mattere of belief, were yet agreed in seeking above all to establish the certainty and sufficiency of natural religion in Op­ position to the positive religions, and in tacitly or expressly denying the unique significance of a supematural revelation in the Old and New Testaments. They either ignored the Scriptures, endeavoured to prove them in the main but a helpful republication of the Evangelium aeternum, or directly impugned their divine character, their infallibility, and the validity of their evidences as a complete manifestation of the will of God. The term Deism is not only used to signify the main body of the deists1 teaching, or the tendency they represent, but has of late especially come into use as a technical term for one specific metaphysical doctrine as to the relation of God to the universe, assumed to have been characteristic of the deists, and to have distinguished them from atheists, pantheists, and theists, — the belief, namely, that the first cause of the universe is a personal God, but is not only distinct from the world but apart from it and its concerns. — The words deism and deist were treated as novelties in the polemical theology of the latter half of the lßth Century in France, but were used substantially in the same sense as they were a Cen­ tury later fri England. By the majority of those historically known as the English Deists, from Blount onwards, the name was owned and honoured. They were also occasionally called rationalists. Freethinkers was generally taken to be synonymous with deist, though obvionsly capable of a wider signification, and as coincident with esprit fort, and with libertin in the original and theological sense of the latter word. Naturalists was a name more frequently used of such as recognized no God but nature, of so-called Spinozists, atheists; but both in England and Germany, in the 18th Century, this word was more commonly and aptly in use for those who founded their religion on the lumen naturae only. The same men were not seldom assaulted under the name of theists; the later distinction between theist and deist, which stamped the latter word as excluding the belief in providence or in the immanence of

122 God, was apparently formulated in the end of the 18th Century by those rationalists who were agrieved at being identified with the naturalists. The chief names amongst the deists are those of Lord Her­ bert, 1581—1648; Blount, 1654—1693; Tindal, 1657-1733; Woolston, 1669—1733; Toland, 1670—1722; Shaftesbury, 1671—173; Bolingbroke, 1678—1751; Collins, 1676—1729; Morgan, ?—1743; and Chubb, 1679—1746. Annet, who died in 1768, and Dod well who made bis contribution to the controversy in 1742, are of lese importance. Of the ten first named, nine appear to have been born within twenty-five years of one another; and it is noteworthy that by far the greater part of the literary activity of the deists, as well as of their voluminoue opponents, falls within the same half Century. The Impulses that promoted a vein of thonght cognate to deism were active both before and since the time of its greatest notoriety. But there are many reasons to show why, in the 17th Century, men should have set themselves with a new real, in polities, law, and theology, to follow the light of nature alone, and to cast aside, to the utmost of their ability, the fetters of tradition and prescriptive right, of positive Codes, and scholastic Systems, and why in Eng­ land especially there should, amongst numerous free-thinkers, have been not a few free writers. The significance of the Copernican system, as the total overthrow of the traditional Conception of the universe, dawned on all educated men. In physics, Descartes had prepared the way for the final triumph of the mechanical explanation of the world in Newton’s system. In England the new philosophy had broken with time honoured beliess more completely than it had done even in France; Hobbes was more startling than Bacon. Locke's philosophy, as well as bis theology, served as a school for the deists. Men had become weary of Protestant scholasticism; religious wars had made peaceful thinkers seek to take the edge off dogmatic rancour; and the multiplicity of religious sects provoked distrust of the common basis on which all were founded. There was a school of distinctively latitudinarian thought in the Church of England; others not unnaturally thought it better to extend the realm of the adiaphora beyond the sphere of Protestant ritual or the details of systematic divinity. Arminianism had revived the rational side

123 of the theological method. Semi-Arians and Unitarians, thougb sufliciently distinguished from the free-thinkers by reverence for the letter of Scripture, might he held to encourage departure from the ancient landmarks. The scholarly labours of Huet, Simon, Dupin, and Clericus, of Lightfoot, Spencer, and Prideaux, of Mill and Fell, furnished new materials for controversy; and the scope of Spinoza1» Tractatus Theologico Politicus had naturally been mach more fully apprehended than ever bis Ethics could be. The success of the English Revolution permitted men to turn from the active side of political and theological controversy to speculation and theory; and curiosity was more powerful than faith. Much new formend was working. The toleration and the free press of England gave it scope. Deism was one of the results. A great part of the deistical teaching was the same from first to last; but thougb deism cannot be said to have any marked logical development, it went through a sufliciently observable chronological growth. Long ere England was ripe to welcome deistic thought, Lord Herbert earned the name „Father of Deism" by laying down the main line of religious philosophy which in various forms continued ever after to be the backbone of deistic Systems. He based bis theology on a comprehensive, if insufficient, survey of the nature, foundation, Ümits, and tests of human knowledge. And amongst the divinely implanted, original, indefeasable notitiae commune s of the human mind, he found as foremost bis five articles: — that there is one supreme God, that he is to be worshipped, that worship consists chiefly of virtue and piety, that we must repent of our sins and cease from them, and that there are rewards and punishments here and hereafter. These truths, thougb osten clouded, are found in all religions and at all times, and are the essentials of any religion — their universal prevalence being, along with their immediacy, an unmistakable mark of their verity. Thus Herbert sought to do for the religion of nature what bis friend Grotius was doing for natural law-making, a new application of the Standard of Vincentius: Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus. Herbert had hardly criticised the Christian revelation either as a whole or in its details. Blount, a man of a very different spirit, did both, and in so doing may be regarded as having inaugurated

124 the second main line of deistic procedure, that of historico-critical examination of the Old and New Testaments. Blount adopted and expanded Hobbes’ arguments against the Mosaic authorship of the Pentateuch; and, mainly in the words of Burnet's Archeologia Philosophien, he asserts the total inconsistency of the Mosaic Hexaemeron with the Copernican theory of the heavens, dwelling with emphasis on the impossibility of admitting the view developed in Genesis, that the earth is the most important pari of the universe. He assumes that the narrative was meant ethically, not physically, in order to eliminate false and polytheistic notions; and he draws attention to that double narrative in Genesis which was elsewhere so fruitfully handled. The examination of the miracles of Appollonius of Tyana, professedly founded on papers of Lord Herbert’s is meant to suggest similar considerations with regard to the miracles of Christ. Naturalistic explanations of some of these are proposed, and a mythical theory is distinctly foreshadowed when Blount dwells on the inevitable tendency of men. especially long after the event, to discover miracles attendant on the birth and death of their heroes. Blount assaults the doctrine of a mediator as irreligious; and much more pronouncedly than Herbert he dwells on the view, afterwards regarded as a special characteristic of all deists, that much or most error in religion bas been invented or knowingly maintained by sagacious men for the easier maintenance of good government, or in the interest of themselves and their dass. And when he heaps suspicion, not on Christian dogmas, but on beliess of which the resemblance to Christian tenets is sufficiently patent, the real aim is so transparent that his method seems to partake rather of the nature of literary eccentricity than of polemical artifice; yet by this disingenious indireetness he gave his argument that savour of duplicity which ever after clung to the populär Con­ ception of deism. Shaftesbury, dealing with mattere for the most part different from those usually handled by the deists, Stands almost wholly out of their ranke. But he ehowed how looeely he held the viewe he did not go out of hie way to attack, and made it plain how little weight the letter of Scripture bad for himself; and, writing with much greater power than any of the deiete, he wae held to have done more than any one of them to forward the cauee for which

125 they wrought. Founding ethics on the native and cultivable capaeitles in men to appreciate worth in men and actione, and associating the apprehension of morality with the apprehension of beauty, he makes morality wholly independent of scriptural enactment, and still more, of theological forecasting of future blies or agony. He yet insisted on religion as the crown of virtue; and, arguing that religion is inseparable from a high and holy enthusiasm for the divine plan of the universe, he sought the root of religion in feelingT not in accurate beliess or meritorious good works. The theology of those was of little account with him, he said, who in a System of dry and harren notions „pay handsome compliments to the Deityur „remove providence“, „explode devotion", and leave but „little zealy affection or warmth in what they call natural religion“. In the protest against the scheine of „judging truth by counting nosee“, Shaftesbury recognized the danger of the Standard which seemed to satisfy many deists; and in almost every respect he has more in common with those who afterwards, in Germany, annihilated the pretensions of complacent rationalism than with the rationalist» themselves. Toland, writing at first professedly without hostility to any of the received elements of the Christian faith, insisted that Christianity was not mysterious, and that the value of religion could not lie in any unintelligible element; though we cannot know the real essence of God or of any of his creatures, yet our beliess about God must be thoroughly consistent with reason. Afterwards, Toland discussed, with considerable real learning and much show of candour, the comparative evidence of the canonical and apocryphal Scriptures, and demanded a careful and complete historical examination of the grounds on which our acceptance of the New Testament canon rests. He contributed little to the solution of the probiern, but forced the Investigation of the canon alike on theologians and the reading public. Again, he sketched a view of early church history, further worked out by Semler, and surprisingly like that which, as elaborated by the Tübingen school, is still held with modifications by a large number of students of Christian antiquity. He tried to show, both from Scripture and extra-canonical literature, that the primitive church, so far from being an incorporate body of believers with the same creed and customs, really consisted of two schools, each possessing:

126

its „own gospel“ — a school of Ebionites or Judaizing Christians, and the more liberal school of Paul. These parties, consciously but amicably differing in their whole relation to the Jewish law and the outside world, were subsequently forced into a non-natural uniformity. The cogency of Toland's arguments was weakened by his manifest love of paradox. Collins, who had created much excitement by his D i s course of Free-thinking, insisted on the value and necessity of unprejudiced inquiry, published at a later stage of the deistic oontroversy the famous argument on the evidences of Christianity. Christianity is founded on Judaism; its main prop is the argument from the fulfilment of prophecy. Yet no Interpretation or re-arrange­ ment of the text of Old Testament prophecies will secure a fair and non-allegorical correspondence between these and their alleged ful­ filment in the New Testament. The inference is not expressly drawn. Collins indicates the possible extent to which the Jews may have been indebted to Chaldeans and Egyptians for their theological views, especially as great part of the Old Testament would appear to have been re-modelled by Ezra; and, after dwelling on the points in which the prophecies attributed to Daniel differ from all other Old Testa­ ment predictions, he States the greater number of the arguments still used to show that the book of Daniel deale with events past and contemporaneous, and is from the pen of a writer of the Macoabean period. Woolston, at first to all appearance working earnestly in behalf of an allegorical but believing Interpretation of the New Testament miracles, ended by assaulting, with a yet unknown violence of speech, the absurdity of accepting them as actual historical events, and did his best to overthrow the credibility of Christas principal miracles. The bitterness of his outspoken invective against the olergy, against all priestcraft and priesthood, was a new feature in deistic literature, and injured the author more than it furthered the cause. T i n d a 1 ’ s aim seems to have been a sober Statement of the whole case in favour of natural religion, with copions but moderately worded criticism of such beliess and usages in the Christian and other religions as he conceived to be either non-religious or direetly immoral and unwholesome. The work in which he endeavoured to

127

prove that true Christianity is as old as the creation, and is really but the republication of the gospel of nature, soon gained the name of the „Deist’s Bible“. Morgan criticised with great freedom the moral character of the persons and events of Old Testament history, developing the theory of conscious „accommodation“ on the part of the leaders of the Jewish church. This accommodation of truth, by altering the form and substance of it to meet the views and secure the favour of ignorant and bigoted contemporaries, Morgan attributes also to the apostles and to Jesus. He likewise expands at great lenght a theory of the origin of the Catholic Church much like that sketched by Toland, but assumes that Paul and bis party, latterly at least, were distinctly hostile to the Judaical party of their fellow-believers in Jesus as the Messiah, while the College of the original twelve apostles and their adherents viewed Paul and his followers with suspicion and dissavour. Persecution from without Morgan regards as the influence which mainly forced the antagonistic parties into the oneness of the catholic and orthodox church. A n n e t made it his special work to invalidate belief in the resurrection of Christ, and to discredit the work of Paul. Chubb, the least learnedly educated of the deists, did more than any of them, save Herbert, to round his System into a logical whole. From the New Testament he sought to show that the teaching of Christ substantially coincides with natural religion as he understood it. But his main contention is that Christianity is not a doctrine but a life, not the reception of a System of truths or facts, but a pious effort to live in accordance with (Jod's will here, in the hope of joining him hereafter. Chubb dwelle with special emphasis on the fact that Christ preached the gospel to the poor, and argues, as Tindal had done, that the gospel must therefore be accessible to all men without any need for learned study of evidences for miracles, and intelligible to the meanest capacity. Dodwell’s ingenious thesis, that Christianity is not founded on argument, was certainly not meant as an aid to faith; and, though its starting-point is different from all other deistical works, it may safely be reckoned amongst their number. Though himself Contemporary with the earlier deists, Boling broke’s principal works were posthumously published after in-

128

terest in the controversy had declined. His whole strain, in sharp contraet to that of most of his predecessors, is cynical and satirical, and suggests that most of the matters discussed were of small personal concern to himself. He gives füllest scope to the angenerous view that a vast proportion of professedly revealed truth was ingenionsly palmed oif by the more cunning on the more ignorant for the convenience of keeping the latter ander. Bat he writes with keenness and wit, and knows well how to äse the materials already osten taken advantage of by earlier deists. In the sabstance of what they received as nataral religion the deists were for the most part agreed; Herbert’s articles continaed to contain the fandamentals of their theology. Religion, thongh not identified with morality, had its most important oatcome in a faithfnl following of the eternal laws of morality, regarded as the will of God. With the virtnoas life was farther to he conjoined a hamble disposition to adore the Creator, avoiding all factitioas forme of worship as worse than aseless. The small valae attribated to all oatward and special forme of Service, and the want of any sympathetic craving for the commanion of Saints, saved the deists from attempting to foand a free-thinking charch, a creedless commanion. They seem generally to have inclined to a qaietistic accommodation to established forme of faith, till Better times came. They steadfastly soaght to eliminate the miracaloas from the theological belief, and to expel from the System of religions trath all debatable, difficalt, or mysterioas articles. They aimed at a rational and intelligible faith, professedly in Order to make religion, in all its width and depth, the heritage of every man. They regarded with as mach snspicion the notion of a „pecaliar people“ of God, as of a aniqae revelation, and insisted on the salvability of the heathen. They rejected the doctrine of the Trinity, and protested against mediatorship, atonement, and the impnted righteonsness of Christ, always laying more stress on the teaching of Christ than on the teaching of the charch aboat him; bat they repeatedly laid claim to the name of Christians or of Christian deists . . . They were not powerfal writers ; none of them was distingaished by wide and accnrate scholarship; hardly any was either a deep or comprehensive thinker. Bat thoagh they generally had the best scholarship of England against them, they were hold, acate, well-

129 informed men; they appreciated more fully than their contemporaries not a few truths now all but universally accepted. Deism deserves to be remembered as a strenuous protest against bibliolatry in every degree and against all traditionalism in theology. It sought to look not a few facts full in the face, from a new point of view and with a thoroughly modern, though unhistorical spirit. It was not a religious movement; and, though as a defiance of the accepted theology, its character was mainly theological, the deistical crusade belongs, not to the history of the church, or of dogma, but to the history of general culture. It was an attitude of mind, not a body of doctrine; its nearest parallel is probably to be found in the eclectic strivings of the Renaissance philosophy and the modernizing tendencies of cisalpine humanism. The controversy was assumed to be against prejudice, ignorance, obscurantism; what monks were to Erasmus, the clergy as such were to Woolston. Yet English deism was in many ways characteristically English. The deists were, as usually happens with the leaders of English thought, no dass of Professional men, but represented every rank in the Community. They made their appeal in the mother tongue to all men who could read and think, and sought to reduce the controversy to its most direct practical issue, making it turn as much as possible on hard facts or the data of common sense. And, with but one or two exceptions, they avoided wildness in their language as much as in the general scheine of theology they proposed. French deism, the direct progeny of the English movement was shortlived. Voltaire was to the end a deist of the school of Bolingbroke; Rousseau could have claimed kindred with the nobler deists. Diderot was for a time in sympathy with deistic thought; and the Encyclopedie was in its earlier portion an organ of deism. But as Locke’s philosophy became in France sensationalism, and as Locke’s pregnant question, reiterated by Collins, how we know that the divine power might not confer thought on matter, led the way to a dogmatic materialism, so deism soon gave way to forms of thought more directly and extremely subversive of the traditional theology. In Germany there was a native free - thinking theology nearly Contemporary with that of England, whence it was greatly developed and supplemented. The compact rational philosophy of Wolff nourished a theological rationalism which in Reimarus was wholly undistinguish9

130 able front dogmatic deism; while in the case of the historico-critical school to which Seniler belonged, the distinction is not always easily drawn, altho' these rationalists professedly recognized in Scripture a real divine revelation, minglöd with local and temporary evidence. In England, though the deists were forgotten, dheir spirit was not wholly dead. For men like Hume and Gibbon the standpoint of deism was long lest behind; yet Gibbon's famous two chapters might well have been written by a deist. Even now between scientific atheism and specnlative agnosticism on the one hand and church orthodoxy on the other, many seem to ding to a theology nearly allied to deism. Rejecting miracles and denying the infallibility of Scripture, protesting against Calvinistic views of sovereign grace and having no interest in evangelical Arminianism, the faith of such inquirers seems fairly to coincide with that of the deists. Wherever religious indifferentism is rife, the lese generous forme of deism are still alive. And even some cultured theologians, the historical repräsentatives of latitudinarianism, seem to accept the great body of what was contended for by the deists, though they have a füllet appreciation of the power of spiritual truth, and a truer insight into the ways of God with man in the history of the world. The deists displayed a singulär incapacity to understand the true condition of history; yet amongst them there were some who pointed the way to the truer, more generous Interpretation of the past. When Shaftesbury wrote that „religion is still a discipline, and progress of the soul towards perfection“ he gave birth to the same thought that was afterwards hailed in Lessing's „Erziehung des Menschenge­ schlechts" as the dawn of a fuller and a purer light on the history of religion and on the development of the spiritual life of mankind.

London, 2. Januar 1879.

Eingehendes über die Verhältnisse der sogenannten Aufklärungs­

zeit, welche der französischen Revolution vorausgeht, geben Dir:

H. Hallam, 1872.

Introduction to the

literature of Europe.

4 vol.

H. F. Buckle, History of Civilization in England. 4th ed. 1864. L. Stephen, History of English thought in the eighteenth Cen­ tury. 1876. H. Hettner, Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts.

3.

Aufl. 1872. M. Villemain, Cours de litterature fran^aise. 1840.

F. Guizot, 1876. Diese

Histoire de la Civilisation en France.

Bücher werden

Dir als

gute Vorbereitung

14me ed. dienen zum

Verständnis der Heroen der Literatur, welche als Newton’s und Pas­

cal^ Zeitgenossen und bald nach ihnen austreten; sie bieten Dir ange­

nehme Unterhaltung und solide Belehrung. Du wirst aus ihnen lernen,

daß kein großer Schriftsteller als solcher geboren wird, sondern daß er stets das Kind seiner Zeit, der ihn umgebenden politischen, socialen, ja

sogar klimatischen Verhältnisse ist, daß zwischen diesen allgemeinen Ver­

hältnissen und seinen natürlichen Anlagen unausgesetzt Wechselwirkungen

stattfinden, und daß gerade das Erkennen dieses Werdens und Wachsens,

welches jeder hervorragende Schriftsteller durch seine klare Darstellung so leicht dem Leser gestattet, der Grund unseres Gefallens an seinen Werken ist.

Du wirst aber auch bald herausfinden wie unerläßlich es

ist, in den Originalwerken selbst zu lesen und Dich nicht auf diese

Kritiker zu beschränken,

welche häufig von verschiedenen Standpunkten

widersprechende Urteile fällen. So sagt z. B. Hettner über die s. Z. be­ rühmten Junius-Briefe: „Der nicht englische Leser, der heute diese

Briefe in die Hand nimmt, kann sich leicht versucht fühlen, sie für nichts

132 als für sehr

bissige,

wild

Pasquille zu halten.

Jedoch

ist es

weiter

grausame, eine

wenn auch sehr witzige

unleugbare Thatsache,

die Engländer selbst nach wie vor diese Juniusbriefe

daß

unter die klassi­

schen Werke ihrer Literatur rechnen und sie noch heute mit der lautesten Befriedigung wieder und wieder lesen. Der glänzende Stil allein reicht

nicht hin, diese Thatsache zu erklären, so kühn und hinreißend, so be­ redt und

kunstvoll

vielmehr darin,

er

immerhin

sein mag.

Der tiefere Grund liegt

daß diese Briefe eine durchschlagende

principielle Be­

deutung haben. Sie wurzeln im Lebensnerv der englischen Verfassung; in der Verteidigung der Wahlfreiheit, der freien Presse und der freien Gerichtsbarkeit."

Dagegen lautet das Urteil von L. Stephen:

„The famons letters of Junius owe part of their reputation to the historical enigma as to their authorship: in purely literary merits, they are as inferior to Swisse concentrated satire as to Burke’s sumptuous rhetoric. The eloquence is stilted; and the invective suggests rancorous ill-will rather than virtuous Indignation. The hatred has not that dignity with which the greatest men can invest the expression of their evil passions. Yet Junius Stands high above the mere pamphleteer. His polish has in some degree, withstood the corroding influences of time. „Once for all, writes Phi­ lip Francis to Burke, I wish you would let me teach you to write English .... Why will you not allow yourself to he persuaded that polish is material to preservation ?u When we remember by whom and to whom these words were written, and on what occasion — the publication, namely, of one of Burke’s masterpieces of invective against the French Revolution — their arrogance may seem to confirm the ordinary theory as to the authorship of the letters. At any rate they express the literary doctrine of Junius. Polish was to preserve what was eise little worth preservation. For the absence of any speculative thought in Junius’ Letters is even more remarkable than in the case of Bolingbroke. Bolingbroke, at least, aims at being philosophical. Junius makes personal denunciations almost the exclusive substance of his letters. He has no affectation of theory. Avowing bis belief that a revolution might be approaching, he never invokes those principles a belief in which should inflame the populär passions, and guide men who have for the time abandoned all conventional

133 formulas. Wilkes writes to him professing bis readiness „to plunge the patriot dagger in the bosom of the tyrants of bis country“. Wilkes was a mere comedian; but one may fancy that in some populär tumult Junius could have put on a mask and taken advantage of the confusion to plunge a dagger in some hated antagonist. Each object öf bis wrath — Grafton, Bedford, Mansfield, or George III — seems for the time to occupy bis whole field of vision and stir the depths of bis malignity. But the ferocious onslaught turns generally upon some personal scandal, upon the stories that one duke bad been horsewhipped and another bad taken bis mistress to the opera; whilst constitutional principles are invoked to in jure bis enemy, rathet than defended at bis enemy’s cost. The principles are of a characteristically narrow kind. Junius strains bis powers to the utmost in Order to prove, not that all men are free and equal, that the monarchy is a delusion and the Church an imposture, but that the legal effect of expelling a member of Parliament is at most to nullify that election, and give the constituents a chance of re-electing him as they please, without disqualifying him, so as to nullify all votes given for him hereafter. On that distinction the liberty of England depends. Or again, Junius assures the livery of London that „The very being of that law, of that right, of that Constitution, for which we have been so long contending, is now at stake“. The law and the Constitution depend upon the question whether the livery will or will not adhere to the ordinary System of rotation by which the alderman next in seniority to the Lord Mayor was elected to succeed him. Wider questions are characteristically narrowed in the mode of State­ ment. Junius can only argue the great question of the liberty of the press under form of an attack upon Lord Mansfield for maintaining that a jury is judge of the facta, but not of the law. The general principle must be translated into the concrete, and be thue reduced to a Statement to which precedents are applicable, before it comes within the sphere of bis Intelligence. The letters of Junius, therefore, whatever their ability, belong rather to the historian of fact than to the historian of thought. The weapon already used by men like Swift, De Foe, or Bolingbroke, acquired fresh power in bis hands; but he contributed nothing to the development of poli-

134 tical speculation. The British Constitution is his nltimate appeal; Magna Charta and the Bill of Rights were to him what the Bible was to Chillingworth; there was no going behind them; and a man who should appeal to abstract principles would be travelling out of the record into arguments irrelevant, or, at all events, superfluous. His political principles, so far as they appear, involve a rigid adherence to precedent, and to purely technical arguments. In the letter to Wilkes, which most fully expounds his opinions, he declares that the „extermination of corruption“ is impossible, and that to propose it is to be ridiculous. He is in favour of triennial, but objects to annual, Parliaments. He opposes Parliamentary reform in its later sense, because he holds that, ifParliament could disfranchise a borough, it could disfranchise a whole kingdom, or elect itself for life. Though approving Chatham’s plan for increasing the number of county meinbers, he would not enfranchise the large towns. He would prefer to see merchants and manufacturers becoming freeholders by their industry, to making more boroughs as seats of rest and cabal. Obviously the demagogue is still tied and bound by chains of red tape. One tendency, indeed, which resulted from the peculiar conditions of the struggle has a democratic aspect. The House of Commons was at this time the object of populär distrust instead of the organ of populär will, and Junius tries to assign limits to the supremacy of the legislature, and asserts in strong language the Subordination of the House to the people. The liberty of the press is, of course, the „palladium of all the civil, political, and and religious rights of an Englishman,“ and the „right of Juries to return a general verdict, in all cases whatsoever, is an essential part of our Constitution, not to be controlled or limited by judges, not in any shape questionable to the legislature“. In short the old constitutional precedents are sacred, and the best means of preserving them is to allow Junius an unlimited right of abusing the king and his ministers, without danger of prosecution to his Printers. Granting this, no constitutional change was desirable. Junius' pet statesman was George Grenville, whose masterly portrait by Burke has made him the model and antitype of all constitutional

135 pedante. The new Impulse ae yet ehowed no eigne of a tendency to desert the old channels. The most powerful representative of populär discontent was an embodiment of personal spite, to whom the mouldy parchments of constitutional Privileges were as sacred as the laws of nature. Junius in virtue of the narrowness of bis views, has become antiquated more rapidly than almost any writer of at all equal power; and already has lese interest for modern readers than Locke or Hume.

London, 12. Januar 1879.

Die Geschichte der englischen Revolution zeigt Dir, daß es die kirchlichen Streitigkeiten waren, welche die Menschen von der Offen­

barungsreligion zur Erforschung der Bernunftreligion trieben.

Bon

allen Seiten wurden die Schranken des engen theologischen Gesichts­ kreises durchbrochen durch den freien Blick der allgemeinen Weltbildung; Gewissensfreiheit und religiöse Duldung wurden höchste sittliche und

politische Forderungen.

Nicht länger überlieferte Satzungen des Glau­

bens, sondern das Wesen und der Zweck der menschlichen Natur selbst

sollten fortan als die Quellen gelten, aus denen alle menschlichen Tu­ genden und Pflichten abzuleiten seien.

Diese Jdeeen liegen den Schriften

der englischen Deisten zugrunde,

wie denjenigen des gleichzeitigen

John Locke, 1632—1704,

so

dessen berühmtes An essay concerning

human understanding 1690, Deine Beachtung verdient.

In Frankreich blühte unterdes die Belletristik und bereitete durch Sprachveredlung

den

Boden

für

die

Aufklärungsphilosophie

unter

Louis XV. Louis XIV. starb am 1. September 1715. Fast alle Heroen des französischen Klassizismus, die seine lange Regierungszeit verherrlicht hatten: Moliäre, 1622—1673; Corneille, 1606—1684; De la Rochefaucauld, 1613—1680; Racine, 1639 — 1699; La Bruyfcre,

1639—1696;

Lafontaine,

1621—1695;

Mme de Sevigne,

1626—1696; Bossuet, 1627—1704; Bayle, 1647—1706; Boileau, 1636—1711; Fe ne Ion, 1651—1715, waren ihm vorausgegangen, und Malebranche, 1638—1715, verschied wenige Wochen nach dem Könige. Bon den Großen überlebten ihn nur die Grösten: Mon­

tesquieu, 1689—1755, und Voltaire, 1694—1778. Rousseau war bei des Königs Tode ein dreijähriger Knabe, Diderot zwei

Jahre alt.

Montesquieu und Voltaire waren beide durch längern Aufenthalt

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in England, ersterer von 1729 — 1730, letzterer von 1726—1728 mit der Geistesrichtung der Deisten daselbst, so wie mit den politischen In­ stitutionen vertraut geworden. Bon Montesquieu’s Werken hast Du fürs erste Lettres persanes 1721 und L’esprit des lois 1747 zu lesen. Bon letzterm sagt der Verfasser:

Je n’ecris point pour censurer ce qui est etabli dans quelque pays que ce soit. Chaque nation trouvera ici les raisons de ses maximes; et on en tirera naturellement cette consSquence, qu’il n’appartient de proposer des changements qu’ä ceux qui sont assez heureusement nes pour pinetrer d’un coup de g6nie toute la Con­ stitution d’un etat. II n’est pas indifferent que le peuple soit eclaire. Les prejuges des Magistrats ont commence par etre les prejuges de la nation. Dans un temps d’ignorance, on n’a aucun doute, meine lorsqu’on fait les plus grands maux; dans un temps de lumiöre, on tremble encore lorsqu’on fait les plus grands biens. On sent les abus des anciens, on en voit la correction; mais on voit encore les abus de la correction meme. On laisse le mal, si Von craint le pire; on laisse le bien, si on est en doute du mieux. On ne regarde les parties que pour juger du tout ensemble; on examine toutes les causes pour voir tous les resultats . . . Je me croirais le plus heureux des mortels, si je pouvais faire que les hommes pussent se guerir de leurs prejugis. J’appelle ici prejuges, non pas ce qui fait qu’on ignore de certaines choses, mais ce qui fait qu’on s’ignore soi-meme. C’est en cherchant ä instruire les hommes que Fon peut pratiquer cette vertu generale qui comprend Famour de toüs. L’homme, cet etre flexible, se pliant dans la societe aux pensees et aux impressions des autres, est 6galement capable de connaitre sa propre nature lorsqu’on la lui montre, et d en perdre jusqu’au sentiment lorsqu’on la lui dirobe. Je demande une gräce que je crains qu’on ne m’accorde pas: c’est de ne pas juger, par la lecture d’un moment, d’un travail de vingt annees; d’approuver ou de condamner le livre entier, et non pas quelques phrases. Es wäre unrecht dem ausdrücklichen Wunsche des Autors zuwider zu handeln; lies also das Ganze.

138 Voltaires Oeuvres compl&tes bilden eine Bibliothek für sich und die beste Lektüre zum Verständnis seiner Zeit. In erster Linie stehen Le dictionnaire philosophique und Essai sur les Moeurs. Letzteres ist eine Abhandlung, welche Voltaire 1740 für seine Freundin Mme. du Chätelet schrieb, auf deren Wunsch de prendre une idee generale des nations qui habitent et desolent la terre, und Buckle sagt von diesem Buche: This is not only one of the greatest Looks which appeared during the eighteenth Century, Lut it still remains the best on the Subject to which it refers. The mere reading it displays is immense, what however is far more admirable, is the skill with which the author connects the various facts, and makes them illustrate each other, sometimes by a single remark, sometimes only by the Order and position in which they are placed. Indeed, considered solely as a work of art, it would be difficult to praise it too highly; while as a Symptom of the times, it is important to observe, that it contains no traces of that adulation of royalty which characterized Voltaire in the period of his youth, and which is found in all the best writers during the power of Louis XIV. Bedenke, daß Voltaire zu einer Zeit schrieb, wo Preßfreiheit verpönt war, wo die für Schrift- und Redefreiheit Kämpfenden fortwährend sich mit der Bastille oder Landesverweisung bedroht, ihre Schriften den Flammen des Scheiterhaufens übergeben sahen; Zustände von denen wir uns kaum eine Vorstellung machen können und die den oft durchbrechenden Ton der Ironie und der Verbissenheit bei Voltaire und den meisten liberalen Schriftstellern seiner Zeit erklären. Das Essai ist in dem historischen Geiste verfaßt, von dem Voltaire, in einem andern Werke, sagt: Quiconque veut lire Fhistoire en citoyen et en philosophe recherchera quel a ete le vice radical et la vertu dominante d’une nation; pourquoi eile a ete puissante ou faible sur la mer; Comment et jusqu’ä quel point eile s’est enrichie depuis un siede; les registres des exportations peuvent Fapprendre. II voudra savoir Comment les arte, les manufactures, se sont etablis; il suivra leur passage et leur retour d’un pays dans un autre. Les changements dans les moeurs et dans les lois seront enfin son grand objet. On saurait ainsi Fhistoire des hommes, au lieu de savoir une faible partie de Fhistoire des rois et des cours. — Dir Auszüge aus den zahlreichen Bänden, das Ergebnis einer

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vierundsechszigjährigen unermüdlichen schriftstellerischen Thätigkeit

zu

geben, um darnach den Verfasser zu beurteilen, wäre als ob Du nach einer Handvoll Lava von dem Ausbruch eines Vulkans, oder nach einigen

Alpenrosen von der Schweizerflora Dir eine Vorstellung machen solltest. Erst während seines Aufenthaltes in England nahm Voltaire die­ sen Namen an, ein Anagram aus seinem ursprünglichen Arouet (l)e

(j)eune — Arovetlj = Voltaire. „This name, sagt Lord Brougham, is so intimately connected in the minds of all men with infidelity, in the minds of most men with irreligion, and, in the minds of all who are not well-informedr with these qualities alone, that whoever undertakes to write his life and to examine his Claims to the vast reputation which all the hostile feelings excited by him against himself have never been able to destroy, or even materially to impair, has to labour under a great load of prejudice, and can hardly expect, by any detail of particulars, to obtain for his Subject even common justice at the hands of the general reader. It becomes therefore necessary to remove a good deal of misunderstanding which, from the populär abuse of language, creates great confusion, in considering the history and weighing the merits of this extraordinary person.u Bor zehn Jahren hat D. F. Strauß der jüngst verstorbenen Prin­ zessin Alice sechs Vorträge über Voltaire

gehalten,

welche 1871 im

Druck erschienen sind, die ich Dir besonders empfehle.

Deren Schluß­

betrachtung lautet:

„So räthselhaft und Voltaire’s Charakter bleibt, wenn wir ihn als

Menschen für sich, uns der Mann,

als biographisches Objekt betrachten,

so klar wird

sobald wir ihn in den geschichtlichen Zusammenhang

hineinstellen, dem er angehört. Es ist uns viel leichter, anzugeben, was er gesollt und was er geleistet hat, als was er gewesen ist. Sa seltsam es klingt,

einen Mann wie Voltaire mit einem Ausdruck aus

der Sprache der Frommen zu bezeichnen, so kommt uns doch, wenn wir

ihn in seinem Jahrhundert betrachten,

unwillkürlich

die Vorstellung

eines göttlichen Rüstzeugs in den Sinn. Wenn es überhaupt dergleichen

gibt, so hat es nie ein besser zugerichtetes und leistungsfähigeres gege­ ben. Wir verstehen darunter ganz einfach und natürlich eine Geistes­ anlage,

die,

an sich schon unter den Bedingungen einer gewissen Zeit

erzeugt, sich nach deren Eigenthümlichkeiten und Bedürfnissen ausbildet, und nun den letzteren,

die sie in sich fühlt,

abzuhelfen sucht.

Je be-

140 gabter und zeitgemäß begabter ein solches Individuum ist, je vollstän­ diger es die Bildung-elemente seiner Zeit in sich ausgenommen hat und

je lebhafter es deren Bedürfniffe mitempfindet, fassender wird es wirken.

netem Maße der Fall.

desto tiefer

und um­

Das Alles war bei Voltaire in ausgezeich­

Und von hier aus ergibt sich dann auch für

seine Fehler ein anderer Gesichtspunkt. Sie erscheinen theils als natür­ liche Wirkungen seiner Zeit und ihrer Verbildung, theils sogar als Mittel

zu ihrer Umbildung.

Was die Zeit bedurfte, war nicht ein reines ru­

higes Licht, sondern ein flackerndes,

funkensprühendes Feuer.

Es war

jetzt nicht darum zu thun, eine neue Wahrheit aus den Tiefen der Na­

tur und des menschlichen Geistes heraufzuholen, sondern

die erkannte

zu verbreiten, sie für die weitesten Kreise verständlich und anziehend zu

machen, und ganz besonders alles, was ihre Ausbreitung hinderte, das Verlebte und Verrottete, Mißbräuche und Borurtheile, aus dem Wege

zu räumen.

Vortrag,

Ersteres geschieht

am

besten dnrch leichten,

letzteres durch Scherz und Spott:

unmuthigen

und wer war in beiden

ein größerer Meister afä Voltaire? Das Geschäft muß aber auf vielen

Punkten angegriffen, und die Anläufe in immer wieder anderer Art —

zur Abwechslung wohl auch einmal mit stürmischer Leidenschaft — un­ abläßlich wiederholt werden:

wer war vielgestaltiger, allgegenwärtiger,

unermüdlicher als Voltaire?

Wie wäre aber diese Beweglichkeit ohne

Reizbarkeit möglich,

wie wäre mit dem Spott und Hohn,

dem Zorn

und Haß, ein ruhiger Ernst, eine würdige Haltung vereinbar gewesen?

Ich sage nur,

daß selbst Voltaires Fehler zum Theil Mittel für sein

Wirken, ich sage nicht, daß sie darum keine persönlichen Fehler gewesen sind.

Daß sie dies in der That waren,

als solche bestraft haben.

zeigt sich darin,

daß sie sich

Unter seiner Eitelkeit, Rachsucht, Habsucht

hat Voltaire selbst am meisten gelitten.

Er lebte selten im Vollgefühl

seiner Kraft, seines Wirkens, seines Werthes; die meiste Zeit seines Le­

bens war er in der Pein um untergeordnete, oft ganz unwürdige Zwecke befangen.

Er ist,

wie wir alle, nur so weit glücklich gewesen,

als er

gut gewesen ist.

Nm so rückhaltsloser können wir nun aber, daß ihm für das,

was verwerflich an ihm war,

nachdem wir wissen, die Strafe

nicht ge­

schenkt worden ist, uns der Bewunderung seiner Geistesgaben, der An­

erkennung seiner Leistungen überlassen. graben,

Er hat sein Pfund nicht be­

sondern damit gewuchert, wie — mit seinem Vermögen.

hat gearbeitet wie

wenige,

Er

und Arbeit verdient immer Hochachtung.

141 Gewirkt aber hat er wie noch wenigere,

und da er auch für uns ge­

wirkt hat, verdient er vor vielen unsern Dank.

Er hat die Atmosphäre

des menschlichen Denkens von einer Menge fauler Dünste befreit. Manche Fessel, die das menschliche 'Leben beengte, hat er gesprengt oder doch angefeilt.

Sein Standpunkt ist wohl nicht mehr der unsrige, toir

haben Fortschritte, weit über ihn hinaus, gemacht; aber wir hätten sie so schnell und sicher nicht machen können, wenn nicht seine scharfe Axt

uns die Bahn gebrochen hätte.

geleistet haben,

Andere sind nach ihm gekommen,

was ihm nicht verliehen war;

die

Deutsche, Protestanten^

haben der Menschheit gegeben, was von dem Franzosen, auf dem Boden

des Katholizismus erwachsen, nicht verlangt werden durfte.

Wenn es

ein richtiger Instinkt des französischen Volkes gewesen ist, im Pantheon

neben Voltaire als seine ergänzende Hälfte den ihm im Leben so wider­ wärtigen Rousseau aufzustellen: so wird im Elysium unser deutscher Lessing sich nicht weigern dürfen, den ihm moralisch so wenig achtbaren,

poetisch so wenig zusagenden Dichter des „Mahomet“ als seinen fran­ zösischen Mitarbeiter anzuerkennen. Kurz, Gretchen mag an der Phy­ siognomie desjenigen, den sie so ungern in der Gesellschaft ihres Heinrich

sieht, noch so viel auszusetzen haben: Faust hat doch recht, wenn er meint, es müsse auch solche Käutze geben; und daß dem Herrn unter

den Geistern die verneinen der Schalk am wenigsten zur Last ist,

hat

er ja selbst gesagt."

Bei Voltaires Tode befand sich Friedrich d. Gr. im baierischen Erbfolgekrieg und aus dem Feldlager von Schazlar, 26. Novbr. 1778r

ist die an die AcadSmie royale des Sciences et helles lettres de Berlin gesandte Gedächtnisrede auf seinen verstorbenen Schmeichler und Schmä­

her datiert, welche Du in Voltaires sämtlichen Werken findest.

London, 21. Januar 1879.

Während Montesquieu den englischen Parlamentarismus und Vol­

taire die Jdeeen der englischen Deisten und die Entdeckungen Newton’s

der gebildeten, damals französisch sprechenden Welt des Kontinents ver­ mittelten, setzten George Berkeley, 1684—1753, und David Hume, 1711—1776, die Arbeiten von Bacon, Gassendi und Locke fort und

eröffneten neue Gedankengruben, aus denen Kant, 1724—1804, Bau­ steine zu seiner „Kritik der reinen Vernunft" brach. Um Dir diesen Zusammenhang zu vergegenwärtigen mußt Du nicht

mir auf die Lebzeiten jener Männer achten, sondern auch auf die Jah­ reszahl des Erscheinens ihrer Schriften Rücksicht nehmen, denn der eine

schreibt vielleicht zu Anfang,

der andere gegen Ende seiner Laufbahn

-as Epoche machende Hauptwerk, und auch dann bleibt noch immer zu erwägen, ob das Werk sofort bei seinem Erscheinen zündete,

oder erst

nach längerer Zeit zu Ansehen gelangte und einen weitern Kreis er­ Zu bemerken ist aber, daß einzelne herausgerissene Citate aus fruchtbaren Schriftstellern stets mit großer Vorsicht aufzunehmen

leuchtete.

und umsichtig zu beurteilen sind. aus

den

Nichts

leichter und einfältiger als

bändereichen Schriften eines Goethe

oder Voltaire wider­

Alles kommt darauf an, zu welcher unter welchen Verhältnissen, zu welchem

sprechende Ansichten zu citieren. Zeit eines langen Lebens,

Zweck, mit welcher Absicht das eine und das andere geschrieben wurde.

Tann aber auch, in Fällen wo es sich, wie gewöhnlich bei Anführung

von Autoren, um die Bekräftigung einer Behauptung oder einer Ansicht handelt,

ist immer zu bedenken,

daß diese nicht bewahrheitet werden

können durch das was irgend ein Anderer je gesagt hat, sondern auf

eigenen Füßen stehen müssen.

Derartige Citate sollten daher überhaupt

nicht als Beweise herangezogen werden, sondern nur gelten, sofern sie für ein Argument bereits eine vollendete Form bieten. Die Hauptwerke dev oben Genannten erschienen nun der Reihe nach wie folgt:

Bacon, Novum organum, 1620. Gassendi, De vita, moribus et doctrina Epicuri, 1647.

143 Locke, An essay concerning human understanding, 1690. Berkeley. A treatise concerning the principles of human knowledge, 1710. Hume, Treatise of human nature, 1739. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781. Berkeley’s „Human knowledge“ war schon zwanzig Jahre alt, als Montesquieu und Voltaire England besuchten und erst zehn Jahre später erschien Hume’s „Treatise on human natureu, nachdem der Verfasser drei Jahre in Frankreich gelebt hatte. Von George Berkeley, Bishop of Cloyne, gebe ich Dir die Ausgabe seiner Werke von A. C. Fraser 4 vol. 1871. Ein Vergleich seines berühmten Jugendwerkes mit seinem 34 Jahre spätern „Sirisu, 1744, ist von besondern: Interesse. Wie Montesquieu und Voltaire in England, so wurde auch Hume fremden Einflüssen zugänglich. 1736 drciundzwanzig Jahre alt, ging er auf drei Jahre nach Frankreich, verkehrte während seines Aufent­ haltes in La Fleche viel mit den Jesuiten und war von 1763—1765 englischer Gesandter in Paris. Hume wird gegenwärtig wenig gelesen; seine English history mehr noch wie seine Essays, obschon ich Dir nur die letztern empfehle, dar­ unter, außer dem bereits genannten, besonders Political discourses 1752. Vorher aber lies John Hill Burton: Life and correspondence of David Hume und das jüngst erschienene treffliche kleine Schriftchen: Hume by Professor Huxley, 1879. Letzteres macht Dich zugleich mit den An­ sichten dieses, die moderne Richtung vertretenden, gefeierten Naturfor­ schers bekannt. Daß Hume sein berühmtes Essay mit 26 Jahren schrieb, gilt Vielen als hinreichender Grund seine Ansichten über so wichtige Gegen­ stände für unreif zu erklären — näher liegt aber wol die Vermutung, daß Hume nur öffentlich auszusprechen wagte, was damals seine ge­ reifte Umgebung beschäftigte, ein Mut oder eine Verwegenheit, welche die Jugend stets vor dem behutsamen Alter voraus hat. „Hume, sagt Huxley, has not discussed the theological theory of the obligations of morality, but it is obviously in accordance with his view of the nature of those obligations. Under its theological aspect, morality is obedience to the will of God; and the ground for such obedience is two-fold; either we ought to obey God because He will punish us if we disobey Hirn, which is an argument based

144 on the Utility of obedience; or our obedience ought to flow from our love towards God, which is an argument based on pure feeling and for which no reason can be given. For, if any man should say that he takes no pleasure in the contemplation of the ideal of perfect holiness, or, in other words, that he does not love God, the attempt to argue him into acquiring that pleasure would be as hopeless as the endeavour to persuade* Peter Bell of the „witchery of the soft blue sky". In whichever way we look at the matter, morality is based on feeling, not on reason; though reason alone is competent to trace out the effects of our actions and thereby dictate conduct. Justice is founded on the love of one's neighbour; and goodness is a kind of beauty. The moral law, like the laws of physical nature, rests in the long run upon instinctive intuitions, and is neither more nor less „innate" and „necessary" than they are. Lome people cannot by any means be got to understand the first book of Euclid; but the truths of mathematics are no lese necessary and binding on the great mass of mankind. Lome there are who cannot feel the difference between the Sonata appassionata and Cherry Ripe; or between a grave-stone-cutter’s cherub and the Apollo Belvidere; but the canons of art are none the less acknowledged. While some there may be, who, devoid of sympathy are incapable of a sense of duty; but neither does their existence affect the foundations of morality. Such pathological deviations from true manhood are merely the halt, the lame, and the blind of the world of consciousness; and the anatomist of the mind leaves them aside, as the anatomist of the body would ignore abnormal specimens. And as there are Pascals and Mozarts, Newtons and Rafaelles, in whom the innate faculty for Science or art seems to need but a touch to spring into full vigour, and through whom the human race obtains new possibilities of knowledge and new conceptions of beauty; so there have been men of moral genius, to whom we owe ideale of duty and visions of moral perfection, which ordinary mankind could never have attained; though happily for them, they can feel the beauty of a vision, which lay beyond the reach of their dull imaginations, and count life well spent in shaping some faint image of it in the actual world."

London, 3. Februar 1879.

Epoche machendes literarisches Werk zu Anfang der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war die Encyclopedie, herausgegeben von 1751—1772, ursprünglich in siebzehn, später mit Supplement und Figuren in fünfunddreißig dicken Foliobänden, von d’Alembert, 1717—1783, und Diderot, 1713-^1784. Turgot, Holbach, Voltaire, Mailet, Toussaint, d’Argenville, Buffon, de Jaucourt sind einige der zahlreichen Mitarbeiter, die sich unter Leitung der Herausgeber die Aufgabe gestellt hatten alles wissen­ schaftliche Material der damaligen Zeit im Geiste der philosophischen Weltanschauung des achtzehnten Jahrhunderts zu bearbeiten und zur Geltung zu bringen. Der von d’Alembert und Diderot verfaßte Discours priliminaire ist ein Meisterstück von Stil und Gehalt. Er gibt eine Übersicht über die Gliederung und die verschiedenen Beziehungen aller Gebiete des menschlichen Wissens, und Tu findest ihn abgedruckt in Diderot’s sämt­ lichen Werken. „L’EncyclopSdie, sagt Voltaire, est un monument, qui honore la France; aussi fut-elle persecutee des qu’elle fut entreprise. Le dis­ cours preliminaire qui la pr6ceda Stait un vestibule d’une ordonnance magnifique et sage, qui annon^ait le palais des Sciences; mais il avertissait la Jalousie et l’ignorance de s’armer. On decria l’ouvrage avant qu’il parüt; la basse litt^rature se dSchaina; on Scrivit des libelles diffamatoires contre ceux dont le travail n’avait pas encore paru. Mais ä peine l’Encyclopedie a-t-elle et6 achev6e que TEurope en a reconnu l’utilite.“ Mit großen Schwierigkeiten hatten die Herausgeber zu kämpfen, welche ihnen der Einfluß der Jesuiten bei Hof bereitete. So wurde schon gleich nach Erscheinen des zweiten Bandes das Werk mit Beschlag 10

146 belegt und in bcni bezüglichen „arretu hieß es: „Sa Majeste a reconnu que dans ces deux volumes on a affecte d’inserer plusieurs maximes tendant ä detruire Fautorite royale, ä etablir Fesprit d’ind6pendance et de revolte, et, sous des termes obscurs et equivoques, ä clever les fondements de Ferreur, de la corruption des moeurs, de Firreligion et de Fincredulite.“ Später wurden die in Holland gedruckten Bände sogar in Paris

auf Betreiben der Dunkelmänner verbrannt.

Folgende Anekdote zeigt

Dir aber die gleichzeitige Stimmung am Hofe:

Louis XV un jour soupant ä Trianon en petite Compagnie, la conversation roula d’abord sur la chasse, et ensuite sur la poudre ä tirer. — Quelqu’un dit que la meilleure poudre se fesait avec des parties egales de salpetre, de soufre et de charbon. — Le duc de La Valltere, mieux instruit, soutint que pour faire de bonne poudre ä canon il fallait une seule partie de soufre et une de charbon, sur cinq parties de salpetre bien filtre, bien evapore, bien cristallise. II est plaisant, dit M. le duc de Nivernois, que nous nous amusions tous les jours ä tuer des perdrix dans le parc de Versailles, et quelquefois ä tuer des hommes ou ä nous faire tuer sur la frontiöre, sans savoir pricisement avec quoi Fon tue. H61as! nous en sommes reduits lä sur toutes les choses de ce monde, repondit Madame de Pompadour; je ne sais de quoi est composi le rouge que je mets sur mes joues, et on m’embarrasserait fort si on me demandait Comment on fait les bas de soie dont je suis chauss6e. (Fest dommage, dit alors le duc de La Valliöre, que sa majeste nous ait confisque nos dictionnaires encycloptidiques, qui nous ont coüte chacun cent pistoles: nous y trouverions bientot la decision de toutes nos questions. Le roi justifia sa Confiscation: il avait ete averti que les vingt et un volumes in-folio, qu'on trouvait sur la toilette de toutes les dames, etaient la chose du monde la. plus dangereuse pour le royaume de France; et il avait voulu savoir par lui-meme si la chose 6tait vraie, avant de permettre qu’on lut ce livre. Il envoya sur la fin du souper chercher un exemplaire par trois gar^ons de sa chambre, qui apporterent chacun sept volumes avec bien de la peine. On vit ä Farticle Poudre que le duc de La Valliere avait raison; et bientot madame de Pompadour apprit la difference entre

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l’ancien rouge d’Espagne, dont les dames de Madrid coloraient leurs joues, et le rouge des dames de Paris. Elle sut que les dames grecques et romaines etaient peintes avec de la pourpre qui sortait du murex, et que par consequent notre ec arlate itait la pourpre des anciens; qu’il entrait plus de safran dans le rouge d’Espagne, et plus de Cochenille dans celui de France. Elle vit comme on lui fesait ses bas au metier; et la machine de cette manoeuvre la ravit d’etonnement. Ah! le beau livre! s'ecriat-elle. Sire, vous avez donc confisque ce magasin de toutes les choses utiles pour le poss6der seul, et pour etre le seul savant de votre royaume. Ohacun se jetait sur les volumes comme les Alles de Lycomide sur les bijoux d’Ulysse; chacun y trouvait ä Finstant tout ce qu’il cherchait. Ceux qui avaient des proces etaient surpris d’y voir la decision de leurs affaires. Le roi y lut tous les droits de sa couronne. Mais vraiment, dit-il, je ne sais pourquoi on m’avait dit tant de mal de ce livre. Eh! ne voyez-vous pas, Sire, lui dit le duc de Nivernois, que c’est parce qu’il est fort hon? On ne se dSchaine contre le mediocre et le plat en aucun genre. Si les femmes cherchent ä donner du ridicule ä une nouvelle venue, il est sur qu'elle est plus jolie qu’elles. Pendant ce temps-lä on feuilletait; et le comte de Coigny dit tout haut: Sire, vous etes trop heureux qu’il se soit trouve sous votre r£gne des hommes capables de connaitre tous les arts, et de les transmettre ä la postirite. Tout est ici, depuis la maniire de faire une epingle jusqu’ä celle de fondre et de pointer vos Canons; depuis FinAniment petit jusqu’ä FinAniment grand. Remerciez Dieu d’avoir fait naitre dans votre royaume ceux qui ont servi aussi l’univers entier. — II saut que les autres peuples achetent * l’EncyclopSdie, ou qu’ils la contrefassent. Prenez tout mon bien si vous voulez; mais rendez-moi mon Encyclopedie. On dit pourtant, repartit le roi, qu’il y a bien des fautes dans cet ouvrage si necessaire et si admirable. Sire, reprit le comte de Coigny, il y avait ä votre Souper deux ragoüts manqu6s; nous n’en avons pas mange, et nous avons fait tres bonne obere. Auriez-vous voulu qu’on jetät tout le souper par la fenetre, ä cause de ces deux ragouts ? Le roi sentit la force de la raison; chacun reprit son bien: ce fut un beau jour.

148 L’envie et Pignorance ne se tinrent pas pour battues; ces deux soeurs immortelles continuärent leurs cris, leurs cabales, leurs persäcutions: Pignorance en cela est tres-savante. Qu’arriva-t-il? les etrangers firent quatre äditions de cet ouvrage frangais proscrit en France, et gagnerent environ dix-huit cent mille eens. —

Wenn auch gegenwärtig das Werk in vielen, namentlich den wissenschaftlichen Teilen veraltet und seines Volumens halber über­ haupt schwierig zu benutzen ist, so behalten doch zahlreiche Artikel, darunter alle über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse jener wichtigen Zeit, bleibenden Wert, während eine Menge Jdeeen in Tausende von Büchern übergegangen sind und noch täglich, häufig in unveränderter Form, weiter verbreitet, oft sogar als neu ausgegeben werden. Auch J. J. Rousseau, 1712—1778, war ein Mitarbeiter, jedoch nur für kurze Zeit. Weder seine Anschauungen noch.seine Lebensweise harmonierten mit dem Kreise der Encyclopädisten, deren Mittelpunkt längere Zeit das gastliche Hans des Baron Holbach war. Rousseau, der in seinem ganzen Wesen mehr deutsch als französisch war, hat im Gegensatz zu den Encyclopädisten, welche die Alleinherrschaft des Verstan­ des betonend den zahlreichen Gefühlsmotiven keine Rechnung trugen, diese wieder zur Geltung gebracht und Protest eingelegt gegen die Un­ natur der ganzen Zeitbildung. Auf Kant, Goethe und Schiller hat er — und so mittelbar auf die ganze Sturm- und Drangperiode, welche dem deutschen Klassizismus reinigend voranging — anregend gewirkt und von diesem Gesichtspunkt aus sind seine Werke zu beurteilen.

Den merkwürdigen oft gegen Rousseau citierten Discours sur les Sciences et les arts, 1750, mußt Du nicht ohne die der Gesamtaus­ gabe beigefügten Briefe lesen. In dem Briefe an Grimm, November 1751, heißt es:

„Partout Mr. Gautier me fait raisonner comme si j’avais dit que la Science est la seule source de corruption parmi les hommes; s’il a cru cela de bonne foi, j’admire la bonte qu’il a de me r6pondre. Je vois qu’on ne saurait employer un langage plus honnete que celui de notre siede; et voilä ce qui frappe Mr. Gautier: mais je vois aussi qu’on ne saurait avoir des moeurs plus corrompues; et voilä ce qui me scandalise. Pensons nous donc etre devenus gens

149 de bien parce qu’ä force des noms decens ä nos vices, nous avons appris ä n’en plus rougir?u Emile, 1750—1769, mit der Profession de foi d’un pere savoyard, und Lettres echtes de la montagne, 1764, sind wichtiger, obschoü im allgemeinen weniger gelesen wie die berüchtigten Confessions, 1766—1767, und die vielgerühmte Nouvelle Heloise, 1756 —1758. Ganz besonders hat Rousseau aber durch seinen Contrat social, 1754, auf die damalige Jugend einen großen Einfluß geübt, einen Ein­ fluß, den Napoleon I. aber wohl überschätzte, als er gegen Stanislaus Girardin sich äußerle „Sans lui la France n’aurait pas eu de r6volutionu. Wenige Bücher sind aber mehr kommentiert, excerpiert, ge­ rühmt, geschmäht und entstellt worden, wie dieser Contrat social. In den lettres de la montagne gibt Rousseau eine Analyse, aber das Werk selbst ist so kurz, daß es eines Auszugs kaum bedarf. Je ne sais pas Fart, sagt Rousseau, d’etre clair pour qui ne veut pas etre attentif. Es heißt Robespierre habe ein Exemplar des Contrat social, wie Pitt ein Exemplar des Wealth of Nations, beständig in der Tasche ge­ tragen. Manche Urteile über Rousseau, selbst in unsern Tagen, von Leuten die den Contrat wohl nie gelesen, lauten als ob seine Theorien verantwortlich seien für Robespierre’s Schreckensherrschaft, während dieser doch wohl mehr geschoben wurde, als daß er die Geschicke seiner Zeit leitete. Hätte Robespierre den Inhalt in Herz und Kopf, statt das Buch in der Tasche, gehabt, so würde er wohl anders gehandelt haben. Stimme daher nicht in Lob oder Tadel ein, ohne gelesen zu haben, ohne zu wissen was wirklich darin steht. Du wirst dann an­ derer Urteile, wie z. B. folgendes von Taine um so besser wür­ digen : Appliquez le Contrat social, si bon vous semble, mais ne Fappliquez qu’aux hommes pour lesquels on Fa fabrique. Ce fcont des hommes abstraits, qui ne sont d’aucun siede et d’aucun pays, pures entitis ecloses sous la baguette metaphysique. En effet, on les a formes en retranchant expressement toutes les diffirences qui siparent un homme d’un autre, un Frangais d’un Papon, un Anglais moderne d’un Breton comtemporain de C6sar, et Fon n’a garde que la partion commune. On a obtenu ainsi un residu prodigieusement mince, un extrait infiniment 6courte de la nature humaine, c’est-ä-

150 dire, suivant la definition du temps „un etre qui a le disir de bonheur et la facultS de raisonner“, rien de plus et rien d’autre. On a taille sur ce patron plusieurs millions d’etres absolument semblables entre eux; puls, par une eeconde simplification aussi enorme que la premiire, on les a suppose tone independants, tous 6gaux, sans passi, sans parents, saus engagements, sans traditions, sans habitudes, comme autant d’unites arithmetiques, tonte« sSparables, toutes äquivalentes, et 1 on a imaginö que, rassemblis pour la premiire fois, ils traitaient ensemble pour la premiere fois. De la nature qu’on leur a supposee et de la Situation qu'on leur a faite, on n’a pas eu de peine ä deduire leurs interets, leurs volont6s et leur contrat. Mais, de ce que le contrat leur convient, il ne s’ensuit pas qu’il convienne ä d'autres. Au contraire, il s’ensuit qu’il ne convienne pas ä d'autres, et la disconvenance sera extreme, si on l’impose ä un peuple vivant; car eile aura pour mesure l’immensiti de la distance qui sSpare une abstraction creuse, un fantöme philosophique, un simulacre vide et sans substance, de Thomme reel et complet. En tont cas il ne s’agit pas aujourd'hui d’une entite, de Thomme r6duit et mutil6 jusqu’ä n’etre plus qu’un minimum de Thomme, mais des Frangais de 1789. C’est pour eux seuls qu'on constitue; c’est donc eux seuls qu’il saut consid6rer, et, manifestement, ils sont des hommes d’une esp6ce particulifcre, ayant leur temperament propre, leurs aptitudes, leurs inclinations, leur religion, leur histoire, tonte une structure mentale et morale, structure häreditaire et profonde, liguee par la race primitive, et dans laquelle chaque grand ev6nement, chaque periode politique on littäraire, est venue, depuis vingt siecles, apporter un accroissement, une metamorphose on un pli. Tel un arbre d’espöce unique, dont le tronc, epaissi par TLge, garde dans ses couches superposees, dans ses noeuds, dans ses courbures, dans son bronchage, tous les depots de sa söve et l’empreinte des innombrables saisons qu’il a traversees. Appliquee ä un tel organisme, la definition philosophique, si banale et si vague, n’est qu’une Etiquette puerile et ne nous apprend rien. — D'autant plus que, sur ce fond tellement complique et elabor^, se dessinent des diversites et des inegalit^s extremes, toutes celles d’äge, d’education, de croyance, de classe, de fortune; et il saut en tenir compte, car elles contribuent ä faire les interets, les passions et les volontes. Pour ne

151 prendre que les plus grosses, 11 est clair, d’apris la durie moyenne de la vie, que la moitie de la population se compose d’enfants; en outre une moitie des adultes se compose de femmes. Sur vingt habitants, dix-huit sont catholiques, dont seize sont croyants, au moins par habitude et tradition. Sur ces vingt-six millions de Fran^ais, vingt-cinq millions ne lisent pas; c’est tout au plus si un million lisent; et, en matiere politique, cinq ou six cents sont competents. Quant ä la Situation de chaque classe, ä ses idäes, ä ses sentiments, ä Fespece et au degre de sa culture, il nous a fallu pour Fesquisser un gros volume. — Encore un trait, et le plus important de tous. Ces hommes si differents entre eux sont bien loin d’etre ind^pendants et de contracter entre eux pour la premiere fois. Depuis huit cent ans, eux et leurs ancetres fönt un corps de nation, et c’est gräce ä cette communaute qu’ils ont pu vivre, se propager, travailler, acquerir, s’instruire, se policer, accumuler tout Fheritage de bien-etre et de lumieres dont ils jouissent aujourd'hui. Chacun d’eux est dans cette communaute comme une cellule dans un corps organise. Sans doute le corps n’est que Fensemble des cellules; mais la cellule ne nait, ne subsiste, ne se developpe et n’atteint ses fins personnelles que par la saute du corps entier. Son premier interet est donc la prosperite de Forganisme, et toutes les petites vies par­ tielles, qu’elles le sachent ou qu’elles Fignorent, out pour besoin fondamental la Conservation de la grande vie totale dans laquelle elles sont comprises comme des notes dans un concert. — Non seulement pour elles c’est la un besoin, mais encore c’est la un devoir. Chaque individu nait endette envers FEtat, et, jusqu’ä l äge adulte, sa dette ne cesse de croitre; car c’est avec la collaboration de FEtat, sous la sauvegarde des lois, gräce ä la protection des pouvoirs publics, que ses ancetres, puis ses parents, lui ont transmis la vie, les biens, Feducation. Ses facultes, ses idees, ses sentiments, tout son etre moral et physique sont des produits auxquels la commu­ naute a contribue de pres ou de loin, au moins comme tutrice ou gardienne. A ce titre eile est sa creanciere, comme un pere n£cessiteux Fest de son fils valide; eile a droit ä des aliments, ä des Services, et, dans toutes les forces ou ressources dont il dispose, eile revendique justement une part. — Il le sait, il le sent; l’idee de la patrie s’est deposee en lui ä de grandes profondeurs, et jaillira ä l’occasion en passions ardentes, en sacrifices prolonges, en vo-

152 lontiß hiroi'ques. — Voilä les vrais Frangais, et Von voit tout de suite combien ils diffferent des monades simples, indiscernables, detachees, que les philosophes s’obstinent ä leur substituer. Hs n’ont pas ä cr6er leur association: eile existe; depuis huit siicles, il y a chez eux une chose publique. Le salut et la prosp6rit6 de cette chose, tel est leur intSret, leur besoin, leur devoir et meme leur volont6 intime. Si Ton peut ici parier d’un contrat, leur quasicontrat est fait, conclu d’avance. A tout le meins, un premier article y est stipule et domine tone les autres. II saut que FEtat ne se dissolve pas. Partant il saut qu’il y ait de pouvoirs publice. II saut qu’ils soient obSis. Il saut, s’ils sont plusieurs, qu’ils soient d6finis et pond6ris de maniöre & s’entr’aider par leur concert, au lieu de s’annuler par leur Opposition. Il saut que le regime adopti remette les affaires aux mains les plus capables de les bien conduire. Il saut que la loi n’ait pas pour objet l’avan tage de la minorite, ni de la majorite, mais de la communautä tonte enti&re. — A ce premier article, nul ne peut däroger, ni la minoritS, ni la majoriti, ni l’assemblee nommie par la nation, ni la nation, meme unanime. Elle n’a pas le droit de disposer arbitrairement de la chose commune, de la risquer ä sa fantaisie, de la subordonner ä l’application d’une thäorie ou ä sinteret d'une classe, cette classe füt-elle la plus nombreuse. Car la chose commune n’est pas ä eile, mais ä tonte la communauti passee, presente et future. Chaque ginSration n’est que la gereute temporaire et la dipositaire respon­ sable d’un patrimoine präcieux et glorieux qu’elle a re^u de la precedente ä Charge de le transmettre & la suivante. Dans cette fondation ä perpetuite ou tous les Fran^ais, depuis le premier jour de la France, ont apporte leur offrande, l’intention des innombrables bienfaiteurs n’est pas douteuse: ils ont donne sous condition, ä condition que la fondation resterait intacte et que chaque usufruitier successif n’en serait que Fadministrateur. Si Fun de ces usufruitiers, par pr6somption et leg^reti, par precipitation ou partialit6, compromet le depöt qui lui a ete commis, il fait tort ä tous ses pridecesseurs dont il frustre les sacrifices, et a tous ses successeurs dont il fraude les espirances. — Ainsi donc, qu’avant de constituer il considöre la communaute dans tonte son etendue, nonseulement dans le present, mais encore dans l’avenir, aussi loin que le regard peut porter. L’interet public saisi par cette longue vue,

153

teile eet le but auquel 11 doit snbordonner tout le reste, et 11 ne doit constituer qn’en consequence. Oligarchique, monarchiqne ou aristocratique, la Constitution n’est qu’une machine, bonne, ei eile atteint ce but, mauvaiee, ßi eile ne Tattelnt paß, et qui, pour Fatteindre, doit, comme tonte machine, varier ßelon le terrain, leß matäriaux et leß circonßtanceß. La pluß eavante eßt illegitime, la ou eile dieeout FEtat. La pluß groß eiere eßt legitime, la on eile maintient F^tat. II n’y en a pas qui eoit de droit anterieur, univerßel et abßolu. Selon le peuple, F6poque et le degre de civilieation, eelon la ßituation Interieure et exterieure, tonte« leß egalites ou inegalit6s civiles ou politiquee peuvent tour a tour etre ou cesser d’etre utiles ou nuisibles, partant mSriter que le legislateur leß detruise ou les conserve, et c’est d’aprös cette r£gle superieure et salutaire, non d’apres un contrat imaginaire et impossible, qu’il doit instituer, limiter, distribuer, au centre et aux extremites, par Fh6redit6 ou par Felection, par le Nivellement ou par le privilege, les droits du citoyen et les pouvoirs publics." Bis auf den heutigen Tag sind die Leser Rousseau’s in zwei feindliche Lager geteilt — beide geben zu. daß er im besten Französisch und reinsten Stil geschrieben; den einen erscheint dies ein besonderer Vorzug, den andern eine additionelle Gefahr für die Verbreitung seiner Schriften. Er selbst sagt: Quoi qu’il en soit, je prie les lecteurs de vouloir bien mettre ä part mon beau style, et d’examiner seulement si je raisonne bien ou mal. Zu Rousseau’s Werken stelle ich Dir die weniger gelesenen aber ebenso beachtenswerten und oft tieferen Oeuvres completes de Denis Diderot, 1713—1784, in der Ausgabe von Naigeon 1821. Andere Ausgaben sind sehr verstümmelt und es fehlen in ihnen ost die charak­ teristischen Stellen. Diese Werke erschließen Dir die Geistesrichtung der Zeit des Verfassers und die Gedankenfülle des kleinen Kreises der Eneyclopädisten, deren bedeutendster Diderot war. Gleich Rousseau wird auch Diderot sehr verschiedenartig beurteilt. „Mach' es Wenigen recht, Vielen gefallen ist schlimm" ist ihm aber gelungen. Goethe's Urteil Über ihn lautet: „Diderot ist Diderot, ein einzig Individuum; wer an ihm oder seinen Sachen mäkelt ist ein Philister, und deren sind Le­ gionen. Wissen doch die Menschen weder von Gott, noch von der Na­ tur, noch von Ihresgleichen dankbar zu empfangen, was unschätzbar ist." Und Lessing nennt den 15 Jahre älteren Diderot, mit dem er

154 persönlich befreundet war:

„den neuesten und unter den neuen un­

streitig den besten französischen Kunstrichter" und freut sich in der Vor­

rede zur zweiten Auflage von Diderot’s Theater „Gelegenheit zu haben,

seine Dankbarkeit einem

Manne

zu bezeugen,

seines Geschmacks so großen Antheil habe.

der

an der Bildung

Denn, sagt Lessing, es mag

mit diesem auch beschaffen sein, wie es will, ich bin mir doch zu wohl

bewußt,

daß er ohne Diderot1 s Muster und Lehren eine ganz andere

Richtung würde genommen haben;

schwerlich eine, wäre." —

vielleicht eine

eigenere,

aber doch

mit der am Ende mein Verstand zufriedener gewesen

London, 15. Februar 1879.

Nach vielen Schriften der Encyklopädisten und ihrer Nachfolger zu urteilen hat nichts die gebildete Welt zu jener Zeit lebhafter beschäf­ tigt als die psychologischen Ansichten von der Seele und der Fortdauer nach dem Tode. Ich habe Dich schon auf Pomponatius im 15. Jahr­ hundert aufmerksam gemacht. Er schrieb und lehrte in der lateinischen Sprache, daher nur für einen beschränkten Leserkreis und wenige Zu­ hörer verständlich; jetzt wurde die Erörterung dieser Fragen in der Konversationssprache der gebildeten Welt für jedermann verhandelt, der Augen und Ohren hatte. „Wer eine Fortdauer glaubt, der sei glücklich im Stillen, aber er hat nicht Ursache sich etwas darauf cinzubildcn. Bei Gelegenheit von Tiedge's Urania indeß machte ich die Bemerkung, daß, eben wie der Adel, so auch die Frommen eine gewisse Aristokratie bilden. Ich fand dumme Weiber, die stolz waren mit Tiedge an Unsterblichkeit zu glauben, und ich mußte es leiden, daß manche mich über diesen Punkt auf eine sehr dünkelhafte Weise examinirte." Was der Altmeister diesen Plage­ geistern „um sie zu ärgern" antwortete, magst Tu in P. Eckerm a n n „Gespräche mit Goethe" nachschlagen. Vermeide auch hier Wortklauberei und mache Dir klar, um was es sich handelt. „Peut-etre si tone les docteurs de la meine ville voulaient se rendre compte des paroles qu’ils prononcent, on ne trouverait pas deux licencies qui attachassent la meme id£e ä la meine expression. Peut-etre enfin n’est-il pas possible qu’il y ait deux hommes sur la terre qui pensent absolument de meme. Vous m’objecterez que si la chose etait ainsi, les hommes ne s’entendraient jamais. Aussi en verit£ ne s’entendent-ils guere: du meins je n’ai jamais vu de dispute dans laquelle les argumentants sussent bien positivement de quoi il s'agissait. Personne ne posa jamais Fetat de la question,

156 si ce n’est cet Hibernois qui disait: Verum est, contra sic argumentor: La chose est vraie, voici comme j’argumente contre.u Seele wird gewöhnlich dasjenige in uns genannt, was man als eine

letzte Ursache den durch einen inneren Sinn wahrnehmbaren

Zuständen des Bewußtseins, des Empfindens und Denkens, Beharrens,

Wollens u. s. w. unterlegt, wobei vorausgesetzt wird, daß das Princip ein anderes sei

als dasjenige,

auf welchem man sich die Verdauung,

den Blutumlauf und die übrigen Funktionen des durch die äußern

fünf Sinne wahrnehmbaren Organismus beruhend denkt.

Daher erhält das Wort Seele eine

von

dieser

deutung in denjenigen philosophischen Systemen, Unterschied

auS

nicht

denselben

machen,

sondern

Grundkrästen

leibliche

ableiten.

und

verschiedene Be­

welche einen solchen

Funktionen

seelische

gebrauchen

Diese

das

Wort

im menschlichen Orga-

Seele in der Bedeutung eines Inbegriffs aller

ganismus wirkenden Kräfte, erblicken in den leiblichen Prozeffen eben­ falls Thätigkeiten der Seele,

und werden dadurch

wenngleich Thätigkeiten niedern Ranges,

genötigt, nicht

nur den Pflanzen

und

übrigen

Naturprodukten bis herab zur unbelebten Materie ebenfalls ihren An­ teil an einer solchen Thätigkeit zuzugestehen,

sondern auch das allge­

meine Walten physischer Kräfte in der Natur,

Elektricität, Wärme re.

als die Teilnahme der Maffen oder der Materie an dem Leben einer universellen Weltseele aufzufaffen.

In beiden Bedeutungen ist aber die Seele

als Kraft aufgefaßt;

im ersten Falle als eine selbständige Kraft von eigentümlicher Art; im letztern Falle als die Urkraft des Alls der Dinge selbst.

Diesen beiden Ansichten tritt die materialistische

entgegen,

welche der Seelenkraft keinerlei Art von Selbständigkeit, weder für sich

allein noch im größern Zusammenhänge der Dinge zugesteht, die Seele und alle Kräfte im Weltall für Erscheinungen

sondern

an den stoff­

lichen Massen hält. Gemäß dieser Ansicht wäre das Denken ein Effekt

des Gehirns

oder der

ganzen menschlichen Organisation, in derselben

Art wie irgend ein anderes Naturereignis und

man hätte

zu sagen:

es denkt, wie man sagt: es blitzt, es hagelt.

Welche von diesen

drei

möglichen Grundansichten die richtige

sei, sucht die Psychologie zu ergründen.

Für den Psychologen ist da­

her die Seele Gegenstand erfahrungsmäßiger Beobachtung: er erforscht das Feld des inneren Sinnes, als das der Selbstbeobachtung des

157 Denkens, Erinnerns rc. im Gegensatz zu aller übrigen Erfahrung, durch die äußern fünf Sinne. According to the belief of the American Indians, sagt Müller, it is not precisely the heart, but that which is in them and makes them live, and which quits the body when they die, which is called julio. When the deceased lived well, the julio goes up on high with our gods; but when he has lived ill, the julio perishes with the body, and there is an end of it. The Greeks expressed the same idea by saying that the had lest the body. Psyche meant originally the breathing of the body, was gradually used in the sense of vital breath, and as something independent of the body; and at last, when it had assumed the meaning of the immortal part of man, it retained that character of something independent of the body, thus giving rise to the Con­ ception of a soul, not only as a being without a body, but in its very nature opposed to body.“ Was nun den innern Sinn betrifft, so wird derselbe von den Psychologen zu den Thätigkeiten des Bewußtseins, als des Wahrneh­ mungsvermögens für innere Zustände überhaupt gerechnet. Weil aber das Bewußtsein auch zugleich die Bernunfterkenntnisse mit umfaßt d. h. diejenigen, welche weder durch innere noch durch äußere Erfahrung er­ worben werden können, weil sie aller Erfahrung vorausgehen und zu­ grunde liegen, so werden dem innern Sinn alle Wahrnehmungen des Bewußtseins zugeschrieben, welche veränderliche Zustände des eigenen Innern zu erkennen geben im Gegensatz zu Bernunfterkenntnissen, welche das Ewige und Unwandelbare betreffen sollen. Zum innern Sinn, als dem auf die zeitlichen und veränderlichen Zustände der Seele gerichteten Bewußtsein, gehört demnach vornehmlich: das Gedächtnis, als das Be­ wußtsein reproduktiver Bilder vergangener Ereignisse; die Einbildungs­ kraft, als das Bewußtsein selbsterzeugter Bilder oder Träume, und das Gefühl — das intellektuelle sowohl als das pathologische — das erstere als das Bewußtsein vom Afficiertsein der Seele durch Bernunftideeen (wie beim Rechtsgefühl, Wahrheitssinn, Gewissen); das letztere als das Bewußtsein vom Afficiertsein der Seele durch Affekte und Leidenschaften (wie bei Sympathien und Antipathien, Zorn, Neid, Mitleid rc.). Den Gesetzen der innern Welt auf die Spur zu kommen ist aber eine schwierige Aufgabe, zu deren rascherer Lösung man sich ost mit oberflächlichen Bestimmungen beholfen hat, indem man den verschiedenen

158 entsprechende Vermögen substituierte.

seelischen Thätigkeiten

daß

man

Aber Du

daß dadurch im Grunde nichts anderes geschieht,

wirst begreifen,

gewissen Klassen

Ereignissen

von

legt und es ist einleuchtend,

Namen

gewisse

als bei­

daß sich mit der Annahme von Seelen­

vermögen noch immer nichts erklären läßt. Als Ergebnis einer genauern Erforschung dieser Gesetze wird in­ des

gelehrt,

daß die Thätigkeiten der Seele sich nicht allein auf

dasjenige erstrecken,

was im Bewußtsein vor

sich

geht,

sondern daß

ein noch weit größerer Teil derselben sich im Unbewußten vollzieht, daß daher die Verbindung zwischen den seelischen und leiblichen Kraftsystemen

sich nicht blos auf die

im Gehirn beschränken darf,

wenigen Orte

an

denen das Bewußtsein zur Erscheinung gelangt, sondern viel wahrschein­

so daß

licher eine völlig allgemeine ist,

alle lebendigen Organe ihre

eigentümliche Verbindung mit seelischen Trieben haben, welche belebend auf dieselben einwirken, so wie sie auch wieder von ihnen gegenwirkende Eindrücke empfangen.

der

Veränderungen

Daher jeder heftige Affekteilwechsel in der Seele leiblichen

Säfteerzeugung

so

als unmittelbare Folgen nach sich zieht,

und Säfteabsonderung

wie

jedes

Befinden

Leibes sich in den seelischen Gemeingefühlen und Stimmungen

telbar abspiegelt.

Dies

Materialismus,

natürlich

führt

der

einen

des

unmit­

zur Annahme einer Art von

wesentlich verschiedenen Charakter

trägt, je nachdem der Materie im Weltall als einer solchen schon außer

und

vor

aller Organisation

seelische Eigenschaften beigelegt

werden,

oder das seelische Leben ganz und gar und als eine Kette von Funk­ tionen oder Thätigkeiten des organischen Leibes, welche lediglich an diese

seine Organisation geknüpft seien, letztern Auffassung

angesehen wird.

rend schon früher bei Heraklit,

Weltalls

von seelenhafter Natur

dem göttlichen Wesen fei; Ausflüffe abstammen

wäh­

Pythagoras und den jonischen Philo­

sophen die erstere Ansicht ausgebildet war,

des

Begründer dieser

waren int Altertum Leukipp und Democrit,

daß aus

und,

ihr

daß nämlich die Urmaterie als

Weltseele,

eins

die menschlichen Seelen

mit als

und nach vollendetem Leben in sie, als in ihren

unsterblichen Zustand, zurückkehren. Die Stoiker erneuerten diese Lehre

und selbst Kirchenväter,

wie Tertullian huldigten ihr.

Beim Wieder­

aufleben der Wiffenschasten nach dem Mittelalter wurde sie von Para­

celsus, 1493—1541, wieder ins Leben gerufen. Dagegen nahm der sogenannte reine Materialismus der Neuzeit die Theorie der alten Atomistik wieder auf,

wie sie zuerst durch Leu-

159 kipp und Democrit, dann durch Epicur und seine Schule zur Ent­ wickelung gelangt war. Als Urheber dieses modernen Materialismus

wird oft Thomas Hobbes, 1588—1679, genannt, da nach ihm alle geistige Thätigkeit bloßer Mechanismus materieller Eindrücke des Ge­ hirns seien.

Seine dahin einschlagenden Schriften sind: Treatise on

human nature 1650 und Letter upon liberty and necessity 1654. Früher und einflußreicher ist aber wohl Gassendi, 1592—1655, dessen berühmtes Werk über Epicur schon 1647 erschienen war. Auch La-

mettrie, 1709—1751; Helvetius, 1715—1771, und Ho Ibach, 1723 —1789, gehören hierher. Diese drei sind hervorragende Namen, je nach

dem Standpunkte der Beurteiler berühmt oder berüchtigt. Bevor Du in Lob oder Tadel einstimmst über deren Schriften, worunter die am häufigsten genannten:

L’homme machine,

1748,

De l’esprit,

1758,

und Systeme de la nature, 1770, (wozu ich Dir aber noch besonders

von Lamettrie den Discours

preliminaire

zur Gesamtausgabe seiner

Oeuvres philosophiques, 1774, empfehle) laß Dich die Mühe nicht ver­

drießen, diese Bücher aufmerksam zu lesen, und hüte Dich nachzuschwätzen,

was andere sagen, die sie vielleicht nicht gelesen haben.

In Deutschland wußte sich zu jener Zeit der Materialismus am wenigsten Anhänger zu verschaffen, denn die damals herrschende LeibnizWolf'sche Schule widerstrebte ihr nicht minder als die spätere Kant'sche

und der

darauf folgende Idealismus.

hunderts hat sich

Erst seit Mitte

das Verhältnis geändert und

dieses Jahr­

es sind gerade die

Deutschen gewesen, welche die rein materialistischen Theorieen mit Eifer

verbreitet haben. Schon Goethe sagte „die Materie kann nie ohne Geist,

der Geist nie ohne Materie existiren und wirksam sein". Hier hast Du Dich aber vor Mißverständnis zu hüten, welches gar leicht aus dem teils bewußtlos aber zum großen Teil absichtlich getriebenen Mißbrauch

mit dem Worte „Materialismus" leicht entsteht.

Bemerke Dir in Be­

zug hierauf, was E. Haeckel in „Natürliche Schöpfungsgeschichte", 7. Aufl. 1879, sagt: „Unter dem Stichwort „Materialismus" werden sehr allgemein zwei

ganz verschiedene Dinge miteinander verwechselt und vermengt,

die im

Grunde gar nichts miteinander zu thun haben, nämlich der natur­ wissenschaftliche und der sittliche Materialismus ist in gewissem Sinne

mit dem

modernen Monismus d. h. die einheitliche der dualistischen

oder theologischen Naturauffassung

gegenüberstehende Weltanschauung,

160 identisch.

Denn er behauptet im Grunde weiter nichts, als daß AlleS

in der Welt mit natürlichen Dingen zugeht,

und jede Ursache

Ursache

Gesammtheit

aller uns

daß jede Wirkung

ihre Wirkung hat.

ihre

Er stellt also über die

erkennbarer Erscheinungen das Causal-Gesetz,

oder das Gesetz von dem nothwendigen Zusammenhang von Ursache und

Wirkung.

jede

wie

Dagegen verwirft er entschieden jeden Wunderglauben und

immer

geartete Vorstellung von übernatürlichen Vorgängen.

Für ihn gibt es daher eigentlich

ganzen Gebiete

in dem

menschlicher

Erkenntniß nirgends mehr eine wahre Metaphysik, sondern überall nur

Physik. Für ihn ist der unzertrennliche Zusammenhang von Stoff, Form und Kraft selbstverständlich.

Dieser wissenschaftliche Materialismus ist

auf dem ganzen großen Gebiete der anorganischen Naturwissenschaft, in der Physik und Chemie,

in

der Mineralogie und Geologie längst

so

allgemein anerkannt, daß kein Mensch mehr über seine alleinige Berech­

tigung im Zweifel ist. Ganz anders verhält es fich jedoch in der Bio­ logie,

in der organischen Naturwiffenschast,

wo man die Geltung des­

selben noch fortwährend von vielen Seiten her bestreitet, ihm aber nichts

Anderes, als das metaphysische Gespenst der Lebenskraft, oder gar nur theologische Dogmen,

entgegenhalten

Wenn

kann.

wir aber nun den

Beweis führen können,

daß die ganze erkennbare Natur nur Eine ist,

daß dieselben

ehernen,

„ewigen,

großen

in

Gesetze"

dem Leben der

Thiere und Pflanzen, wie in dem Wachsthum der Krystalle und in der Triebkraft des Wasserdampfes thätig sind, so werden wir auch auf dem gesanlmten Gebiete der Biologie,

in der Zoologie wie in der Botanik,

überall mit demselben Rechte den nlonistischen oder mechanischen Stand­

punkt festhalten,

mag

dächtigen oder nicht.

man

denselben nun als ..Materialismus" ver­

In diesem Sinne

ist

die

ganze

exactc Natur­

wissenschaft, und an ihrer Spitze das Kausalgesetz, rein „materialistisch". Man könnte sie

aber auch mit demselben Rechte rein „spiritualistisch"

nennen, wenn man nur consequent die einheitliche Betrachtung für alle Erscheinungen ohne Ausnahme durchführt. Denn eben durch diese

consequente Einheit gestaltet

sich

unser heutiger Monismus zur

Versöhnung fion Idealismus und Realismus, zur Ausgleichung des einheitigen Spiritualismus und Materialismus.

Ganz etwas Anderes als dieser naturwissenschaftliche ist der sitt­

liche oder ethische Materialismus,

der

mit dem

erstem gar nichts

gemein hat. Dieser „eigentliche" Materialismus verfolgt in seiner prak­

tischen Lebensrichtung kein anderes Ziel,

als

den möglichst raffinirten

161 Sinnengenuß. Er schwelgt in dem traurigen Wahne, daß der rein sinn­ liche Genuß dem Menschen wahre Befriedigung geben könne, und indem er diese in keiner Form der Sinnenlust finden kann,

stürzt er sich

schmachtend von einer zur andern. Die tiefe Wahrheit, daß der eigent­ liche Werth des Lebens nicht im

materiellen Genuß, sondern

in der

sittlichen That, und daß die wahre Glückseligkeit nicht in äußern Glücks­

gütern, sondern nur in tugendhaftem Lebenswandel beruht, ist jenem ethischen Materialismus unbekannt. Daher sucht man denselben auch vergebens bei solchen Naturforschern und Philosophen,

deren höchster

Genuß der geistige Naturgenuß und deren höchstes Ziel die Erkenntniß der Naturgesetze ist. Diesen Materialismus muß man in den Palästen der Kirchenfürsten und bei allen jenen Heuchlern suchen,

welche unter

der äußern Maske frommer Gottesverehrung lediglich hierarchische Ty­ rannei und materielle Ausbeutung ihrer Mitmenschen erstreben. Stumpf für den unendlichen Adel der sogenannten „rohen Materie"

und der

aus ihr entspringenden herrlichen Erscheinungswelt, unempfindlich für die unerschöpflichen Reize der Natur,

wie ohne Kenntniß von ihren

Gesetzen, verketzern dieselben die ganze Naturwissenschaft und die aus ihr entspringende Bildung als sündlichen Materialismus, während sie

selbst dem letztern in der widerlichsten Gestalt huldigen. die ganze Geschichte der unfehlbaren Päpste

von greulichen

Verbrechen,

sondern

auch

Nicht allein

mit ihrer, endlosen Kette die widerwärtige Sittenge­

schichte der Orthodoxie in allen Religionsformen liefert hierfür genügende

Beweise." Aus allem ergiebt sich aber, daß der Glaube an die Unsterblichkeit

der Seele einerlei Grund und Quelle mit dem Glauben an eine außer­ weltliche Gottheit, als Macht des Guten über das Böse, hat.

Diesem

steht die moderne naturwissenschaftliche Annahme einer bloß natürlichen

oder physikalischen Weltordnung gegenüber, und mit derselben wird ge­ wöhnlich als höchstes Ziel des menschlichen Daseins der Genuß und das Luststreben verbunden — der sogenannte Epikurismus; auch ein Stich­ wort, daher unterscheide: den, der im Geiste Epicur’s die Glückseligkeit

in dem Bewußtsein sucht, mit freiem Geiste alles der Vernunft zu unter­ werfen und bedürfnislos zu sein, von dem, der im Sinne der Römer mit Cicero

Glückseligkeit,

voluptas übersetzt und darunter nur

raffinierten Sinnengenuß versteht. Sofern aber dieser Unterschied nicht gemacht wird, und wo die rohsinnliche, römische Auffassung maßgebend bleibt, wird jeder in dem Grade als er sich von der physikalischen An­ il

162 nähme abgestoßen fühlt, der theologischen Annahme sich zugezogen fühlen, daß die physikalischen Zusammenhänge der Wesen nur einen unterge­ ordneten Teil der Zusammenhänge des Naturganzen bilden können, und daß also

das endliche Schicksal der mit der „moralischen Person" —

Seele — des Menschen verknüpft gewesenen Massenverhältnisse im Tode nicht für das Schicksal dieser Person selbst allein maßgebend sein könne, daß vielmehr diese Persönlichkeit auch

dann noch

innerhalb der allge-

meiuern und höheren Weltordnung einen Platz fortbehaupten müsse, welcher ihr durch das dem innern Sinn erkennbare Bewußtsein einer moralischen Anlage verbürgt sei. Dieser Zusammenhang des Unsterblichkeitsglaubens mit dem Be­

wußtsein einer moralischen Anlage zur Vervollkommnung der Persön>

lichkeit tritt zwar in den wenigsten Fällen als eine abstrakte Schluß­ folgerung hervor, desto häufiger aber — der Wunsch der Vater des Glaubens — als

ein frommes Verlangen der Einbildungskraft nach

einem dem Hange zu reiner Thätigkeit entsprechenden Zustande, worin die Seele weniger gebunden und endlich sei; oder auch wohl, und ge­ wöhnlich,

als

eine heimliche Besorgnis, daß die minder lobenswerten

Gesinnungen und in ihrer Gebundenheit an den Körper mitbegangenen

Thaten, der Seele auch noch im Tode nachfolgen würden. Daß sowohl

diese rätselhaft? Besorgnis,

als jenes edle Verlangen nicht blos «Hirn-

gespinste seien, dafür soll jener in abstrakten Begriffen vorstellbare, für den inneren Sinn begreifliche Zusammenhang bürgen.

Bei Schleiermacher, in seinen Reden, heißt es: „Die Art wie die meisten Menschen sich die Unsterblichkeit bilden

und ihre Sehnsucht danach erscheint mir irreligiös, dem Frömmigkeit gerade zuwider,

ja ihr Wunsch,

Geiste

der

unsterblich zu sein,

hat

keinen andern Grund, als die Abneigung gegen das was das Ziel der

Religion ist. Erinnert euch, wie diese ganz darauf hinstrebt, daß die scharf­ geschnittenen Umrisse unserer Persönlichkeit sich erweitern und sich allmälig verlieren sollen ins Unendliche,

daß wir, indem wir des Welt­

alls inne werden, auch so viel als möglich mit ihm eins werden sollen; sie aber sträuben sich hiergegen; sie wollen aus der gewohnten Beschrän­ kung nicht hinaus,

wollen nichts sein als deren Erscheinung und sind

ängstlich besorgt um ihre Persönlichkeit; also weit entfernt, daß sie sollten

die ihnen der Tod darbietet, um über dieselbe hinauszukommen, sind sie vielmehr bange, wie sie sie

die einzige Gelegenheit ergreifen wollen,

mitnehmen werden jenseits

dieses Lebens und streben höchstens nach

163 weiteren Augen und besseren Gliedmaßen. . . Das Leben was sie er­

halten wollen, ist ein nicht zu erhaltendes;

denn wenn es ihnen um

die Ewigkeit ihrer einzelnen Person zu thun ist,

warum kümmern sie

sich nicht ebenso ängstlich um das, was sie gewesen ist,

was sie sein wird? und was hilft ihnen das vorwärts, nicht rückwärts können?

als um das, wenn sie doch

Jemehr sie verlangen nach einer Unsterblich­

keit, die keine ist, und über die sie nicht einmal Herren sind sie sich zu denken — denn wer kann den Versuch bestehen, sich ein zeitförmiges

Dasein unendlich vorzustellen? — desto mehr verlieren sie von der Un­ sterblichkeit, welche sie immer haben können und verlieren das sterbliche Leben dazu,

mit Gedanken die sie vergeblich ängstigen

und quälen.

Möchten sie doch versuchen, aus Liebe zu Gott ihr Leben aufzugeben!

Möchten sie danach streben, schon hier ihre Persönlichkeit zu vernichten,

um im Einen und Allen zu leben! . . Das Ziel und der Charakter eines religiösen Lebens ist nicht jene Unsterblichkeit außer der Zeit und hinter der Zeit,

sondern die Unsterblichkeit,

zeitlichen Leben unmittelbar haben können,

die wir schon in diesem

und die eine Aufgabe ist,

in deren Lösung wir immerfort begriffen sind. Mitten in der Endlich­ keit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in jedem Augen­

blick, das ist die Unsterblichkeit der Religion." Was andere vor Schleiermacher und, mit ihm in; Grunde über­ einstimmend, was Fichte, Hegel und spätere gesagt und gelehrt haben,

findest Du ausführlich in O. Pfleiderer's Religionsphilosophie. Die­

ser schreibt: „Eine religiöse Nothwendigkeit wird für die Annahme der zeitlichen

Seelenfortdauer nicht wohl behauptet werden können, wenn ja doch die wesentliche Zweckerfnllung des Menschen in seiner religiösen Gotteinheit

schon im Diesseits wirklich da sein und auch vom Jenseits nicht wesent­ lich anders erwartet werden kann. Damit hört die Frage nach der zeit­

lichen Seelenfortdauer auf,

eine spezifisch religiöse Frage zu sein, und

fällt der Anthropologie oder Metaphysik anheim. zur Zeit,

Und hier dürste die

beim jetzigen Stand dieser Wissenschaften,

bei der Unsicher­

heit und Lückenhaftigkeit unserer Einsicht in das Verhältniß von Leib

und Seele namentlich, von irgend welcher Lösung noch weit entfernt sein. Einerseits unterliegt jeder Versuch, aus dem allgemeinen Begriff der Seele deren Unvergänglichkeit zu beweisen,

den gegründetsten Be­

denken: sollen dann alle, auch die Thierseelen, unsterblich sein? oder wo fängt andernfalls die unterscheidende Eigenthümlichkeit der mensch-

164 lichen Seelen, auf welcher ihre Unvergänglichkeit beruhen soll, an? wo­ durch unterscheiden sich z. B. die Seelen der kleinen Kinder, die nur erst vegetirendes Leben führen, von den thierischen?

Und ist nicht er­

fahrungsgemäß die Thätigkeit jeder Seele zeitlebens von ihren leiblichen Organen so wesentlich bedingt, daß wir sie ohne diese uns nicht mehr thätig denken können? und wie sollen wir uns ohne Thätigkeit ein Leben der Seele denken? Andrerseits ist es aber doch auch wieder eine

unleugbare Erfahrungsthatsache, sie sich geistig entwickelt,

daß die menschliche Seele,

je höher

desto mehr sich ein von den Einzelfunctionen

wie vom Gesammtbefinden ihres Organismus wunderbar unabhängiges Innenleben gestattet, in welchem sie, wie in einer festen Burg, ihr gei­

stiges Fürsichsein gegen ’bie Außenwelt sichert, und ubschließt und eine

höhere Geisteswelt sich aufbaut, in deren göttlicher Herrlichkeit sie sich reich und stark und frei fühlt,

also daß sie darüber die Armuth und

Schwäche des äußeren an die Sinnenwelt gebundenen Menschen gänz­ lich

vergessen kann.

Ja

es

kommen außerordentliche Zustände nicht

selten vor, wo dies Innenleben der Seele bei völliger Erschlaffung des physischen Organismus sich zu einer so intensiven Energie steigert, daß es momentan die Grenzen der räumlich-zeitlichen Sinnenwelt wunder­

bar zu durchbrechen und das räumlich oder zeitlich Ferne als unmittel­ bare Gegenwart zu schauen scheint. Ich sage nicht, daß sich aus solchen

Erscheinungen, zumal so lange sie uns noch so dunkel sind, wie bisher, ein positiver Beweis für die Möglichkeit leiblicher Seelenthätigkeit und Seelenexistenz entnehmen lasse; aber ich meine allerdings, daß die Wissenschaft, so lange sie auf diesem ganzen Gebiet noch so gar viel

Dunkelheiten zugestehen muß,

auch kein Recht habe,

die Möglichkeit

einer von ihrem materiellen Leib unabhängigen Existenz und also eine

Fortdauer der Seele zu bestreiten." Der Glaube an Unsterblichkeit findet sich, außer bei den Hebräern, bei allen bekannten Völkern der Erde, auch bei den spätern Israeliten und Juden. In Beziehung aber auf die Art und Weise der Fortdauer

wichen die Vorstellungen der Völker von je her,

und weichen sie noch

jetzt sehr von einander ab. Einerseits die Metempsychose oder Seelen­

wanderung, andrerseits ein gespenstisches oder schattenhaftes Geisterreich. Die erstere, deren Hauptsitz in Indien, zeigt sich dort als das Resultat eines philosophischen Nachdenkens

über das Weltall und seine Wesen­

ordnung. In ähnlicher Art treten ihre Spuren bei griechischen Philo­

sophen wie Empedokles,

Pythagoras und

Plato hervor,

welche sich

165 hierin an die Geheimlehren aus ägyptischen und orphischen Mysterien anschlossen. Diesen ausgebildeten Philosophemen gegenüber erscheint die

Vorstellung

eines gespenstischen Schattenreiches,

wie des Hades bei

Homer oder des nachmosaischen Scheol bei den Juden,

als die popu­

lärere und unausgebildetere Vorstellung, welche sich an den Wahn von zufällig erschienenen oder auch citierten Geistern Verstorbener anknüpste, der von den ältesten Zeiten überall als volkstümlich und einheimisch angetroffen wird. Wenn dieser populäre Geisterglaube in der Fortdauer der Seele

in der Regel nichts als ein schattenhaftes und darum trauriges Fort­ bestehen derselben sah, so enthielt die Theorie von der Seelenwanderung,

die Idee eines moralischen Kreislaufs, welchem gemäß die Seelen inner­ halb einer vorgeschriebenen Kette von Umwandlungen regelmäßig sinken und steigen,

und da in dieser Kette das Herabsinken zur Qual nach

den Graden des Bösen, das Hinauffteigen zur Glückseligkeit uach den Graden des Guten erfolgen sollte, so wurde hiermit zugleich die Idee

einer Vergeltung der Thaten im Jenseits eingeführt, welche in späterer

Zeit so sehr allein herrschender Gesichtspunkt wurde,

daß vor ihr die

Vorstellungen einer kreisförmigen Wanderung und eines trüben Schatten­

reiches allmählich zurückwichen.

Erst mit dem Christentum verloren

sich die letzten Spuren der Seelenwanderungslehre und es trat nun

neben dem bleibenden Gesichtspunkt der Vergeltung, die dem Heiden­ tum fremde Lehre von der Auferweckung der Leiber am Tage des Ge­

richts hervor, deren ersten Ursprung man nicht genau verfolgen kann, obgleich sie in dem Jdeeenkreis der ihre Leichen balsamirenden Völker zu wurzeln scheint. An die Lehre von der Auferstehung des Fleisches knüpfen sich die

hauptsächlichen Umwandlungen,

welche innerhalb des christlichen Bor­

stellungskreises die Idee der Unsterblichkeit erfahren hat. das Bedürfnis,

Zuerst rief

eine bestimmte Vorstellung von dem Zustande der ab­

geschiedenen Seelen vor dem Auferstehungstage zu fassen, die Lehre vom

Feg feuer hervor, während umgekehrt die Polemik der Reformatoren

gegen diese Lehre, als eine nicht schristgemäße, der Vorstellung von einem dem Wiedererwachen am jüngsten Tage vorhergehenden Seelenschlafe Vorschub leistete.

Andererseits konnte die Lehre von der Auferstehung

der Leiber, buchstäblich verstanden, im Lichte der modernen Wissenschaft

nicht fortbestehen, wovon die Folge war, daß diejenigen, welche noch an

ihr festzuhalten wünschten, sich bequemen mußten, ihr den Sinn unter-

166 zulegen, daß sie nur eine bildliche Vorstellung sei, unter welcher ein zukünftiges Umkleidetwerden der Seele mit einem dem gegenwärtigen

zwar ähnlichen, jedoch vollkommenern Leibe von himmlischer Natur ver­ standen werden müsse.

Endlich haben im Lauf der Zeit die herrschen­

den Vorstellungen in dieser Beziehung starke Einflüsse empfangen von den teils allegorisch,

teils im Ernste gemeinten Ausmalungen religiös

erregter Männer wie Swedenborg, John Bunyan,

Lavater re., sowie

durch Aussagen somnambuler Personen.

Als Resultat wich die Idee der mit einem Totengericht verbun­ denen Auferstehung immer mehr zurück vor der philosophischen Idee

einer höhern Ausbildung der geistigen Anlagen des Individuums in

einem zukünftigen und jenseitigen Zustande, zu welchem der gegenwärtige ein Borbereitungszustand oder die Prüfungszeit bilde, wodurch aber der

eigentliche Lebenszweck aus dem Diesseits in ein Jenseits verrückt wurde.

Noch Niemand konnt' es fassen Wie Seel' und Leib so schön zusammenpassen, So fest sich halten, als um nie zu scheiden,

Und doch den Tag sich immerfort verleiden!

London, 25. Februar 1879. Aus der an französischen Schriftstellern so reichen vorrevolutionären Zeit rnuß ich Dir noch besonders Buffon, 1707—1788, hervorheben.

Aus seinen voluminösen Werken hat M. Flourens in 2 Bänden Chefsd1 oeuvre litteraires, Paris 1864 herausgegeben, die für Deine Zwecke

genügen. Sprache und Gedanke, Stil und Inhalt sind bei Buffon in höchster Vollendung vereinigt und seine Antrittsrede in der Academie, 25 Aoüt

1753,

Quelques idSes sur le style — jener Ausgabe beigedruckt —

ist ein Meisterwerk. Zu den oft geschmähten, selten gelesenen Büchern gehört auch Lord

Chesterfield, Letters to bis son, 1815. Mit dem Leben und politischen Wirken von Philip Donner Stanhope 4th Earl of Chesterfield, 1694—1773, Dich bekannt zu machen, fehlt es Dir nicht an guten Quellen. Er hat wesentlich mit zur Einführung des neuen Kalenders beigetragen und als Lord

Lieutenant of Ireland seinem Vaterlande gute Dienste geleistet. Die Veröffentlichung der 322 Briefe, die er von 1737—1768 an seinen Sohn Stanhope schrieb, ist der Indiskretion der Witwe des letztern zu verdanken. Nach Stanhope’s $obe, 1768, stellte sich, zur Über­

raschung des Vaters, heraus, daß derselbe seit einigen Jahren heimlich

verheiratet war.

Zehn Briefe des Vaters an die Witwe sind der vier­

bändigen Ausgabe beigedruckt. Die Witwe lieferte dem

Vater die Originalbriefe aus,

behielt

aber Kopien, welche sie nach Lord Chesterfield’s Tode für Lstr. 1500

verkaufte und die 1774 zuerst gedruckt wurden. Johnson, der wegen der Herausgabe seines Dictionary mit Chester­ field in Streit geraten war, hat zwar in seinem Zorn und in seiner

eigentümlichen derben Weise von

den Briefen gesagt that they taught

the morals of a courtesan and the manners of a dancing master, aber ein weniger befangenes Urteil ist wohl das moderne:

168

The 1 etters are brillantly written — full of elegant wisdom, of keen wit, of admirable portrait-painting, of exquisite Obser­ vation and deduction. Against the Charge of an undue insistence on the external graces of männer Chesterfield has been adequately defended by Lord Stanhope. Against the osten iterated accusation of immorality, it should be remembered that the Lett er s reflected the morality of the age, and that their author only stigmatized and reduced to writing the principles of conduct by which, deliberately or unconsciously, the best and the worst of his contemporaries were governed.u Jedoch lies und urteile selbst. Hier nur einige Auszüge: By the help of history, a young man may, in some measure, acquire the experience of old age. In reading what has been done, he is apprised of what he has to do; and the more he is informed of what is past, the better he will know how to conduct himself for the future. The only way to get knowledge is to inquire and object. Remember to ask questions, / and to make your objections whenever you do not understand, or have any doubts about any thing. To a man of probity nothing is more essential than always to speak truth, and to be strictly observant of his promise. On the other hand, nothing is more infamous and dishonourable than to teil lies and break our word. None but the most depraved souls can envy other people’s happiness, or can rejoice at their misfortune. There is also a certain politeness due to your inferiors, of a different kind, ’tis true; but whoever is without it, is without goodnature. We do not need to compliment those beneath us, nor to talk of their doing us the honour etc., but we ought to treat them with benevolence and mildness. We are all of the same species, and no distinction whatever is between us, except that which arises from fortune. A good heart never reminds people of their misfor­ tune; but endeavours to alleviate, or, if possible, to make them sorget it. A mind conscious of having done right is the greatest pleasure and happiness that any man can have. All you learn, and all you can read, will be of little use, if you do not think and reason upon it yourself. One reads to know

169 other people’s thoughts; but if we take them upon trugt, without examining and comparing them with our own, it is really living upon other people’s scraps, or retailing other people’s goods. To know the thoughts of others is of use; because it suggest thoughts to one’s seif, and helps one to form a judgment; but to repeat other people’s thoughts, without considering whether they are right or wrong, is the talent only of a parrot, or at most a player. Know then, that as learning, honour, and virtue, are absolutely necessary to gain you the esteem and admiration of mankind; politeness and good-breeding are equally necessary to make you welcome and agreeable in conversation and common life. Great talents, such as honour, virtue, learning, and parts, are above the generality of the world; who neither possess them themselves, nor judge of them rightly in others: but all people are judges of the lesser ta­ lents, such as civility, affability, and an obliging, agreeable address and manners; because they feel the good effects of them, as making Society easy and pleasing. Hoc age, was a maxim among the Romans, which means, do what you are about, and do that only. A little mind is always hurried by twenty things at once; but a man of sense does but one thing at a time and resolves to excel in it; for whatever is worth doing at all, is worth doing well. Civility is particularly due to all women; and remember, that no provocation whatsoever can justify any man in not being civil to every woman; and the greatest man in England would justly be reckoned a brüte, if he were not civil to the meanest woman. It is due to their sex, and is the only protection they have against the superior strength of ours; nay, even a little flattery is allowable with women; and a man may, without any meanness, teil a woman that ehe is either handsomer or wiser than she is. Do not imagine that the knowledge which I so much recommend you, is confined in books, pleasing, useful, and necessary, as that knowledge is; but I comprehend in it the great knowledge of the world, still more necessary than that of books. In truth, they assist one another reciprocally; and no man will have either perfectly who has not both. The knowledge of the world is only to be acquired in the world, and nöt in a doset. Books alone will never teach it you; and your own observations upon mankind, when

170 compared with those which you will find in books, will help you to fix the true point. To know mankind well, requires full as mach attention and application as to know books and, it may be, more sagacity and discernment. I am, as this time, acqnainted with many elderly people who have all passed their whole lives in the great world, but with such levity and inattention, that they know no more of it now than they did at fifteen. Do not flatter yourself, therefore, with the thought that you can acquire this knowledge in the frivolous chit-chat of idle Companies; no you must go much deeper than that. You must look into people as well as at them. Nor do I call pleasures idleness, or time lost, provided they are the pleasures of a rational being; on the contrary, a certain portion of your time, employed in those pleasures, is very usefully employed. Such are public spectacles, assemblties of good Company, cheerful suppers, and even balls; but then these require attention, or eise your time is quite lost. I have always observed that the most learned people, that is, those who have read the most Latin, write the worst; and this distinguishes the Latin of a gentleman-scholar from that of a pedant. A gentleman has, probably, read no other latin than that of the Augustan age, and therefore can write no other; whereas the pedant has read much more bad Latin than good, and consequently writes so too. He looks upon the best classical books, as books for schoolboys, and consequently below him; treasures obsolete words which he meets with there, and uses them upon all occasions, to show bis reading at the expense of bis judgment. Pray let no quibbles of lawyers, no refinements of casuists, break into the plain notions of right and wrong which every man’s right reason, and plain common sense, suggest to him. To do as you would be done by, is the plain, eure, and undisputed rule of morality and justice. Stick to that, and be convinced, that whatever breaks into it in any degree, however speciously it may be turned, and however puzzling it may be to answer it, is, notwithstanding, false in itself, unjust, and criminal. The principle of vanity and pride is so strong in human nature, that it descends even to the lowest objects; and one osten sees people angling for praise, where, admitting all they say to be true (which, by the way, it seldom is), no just praise is to be caught. One man

171

affirms that he has rode post a hundred miles in six hours: probably it is a lie; but supposing it to be true, what then? Why, he is a very good post-boy, that is all. Another asserts, and probably not without oaths, that he has drunk six or eight bottles of wine at a sitting: out of charity I will believe him a liar; for if I do not, I must think him a beast. A fool squanders away, without Credit or advantage to himself, more than a man of sense spends with both. The latter employs bis money as he does his time, and never spends a Shilling of the one, nor a minute of the other, but in something that is either useful or rationally pleasing to himself or others. My first prejudice (for I do not mention the prejudices of boys and womeri, such as hobgoblins, ghosts, dreams, Spilling salt etc.) was my classical enthusiasm, which I received from the books I read. and the masters who explained them to me. I was convinced there had been no common sense nor common honesty in the world for these last fifteen hundred years; but that tliey were totally extinguished with the ancient Greek and Roman governments. Homer and Virgil could have no faults, because they were ancient; Milton and Tasso could have no merit, because they were modern. And I could almost have said, with regard to the ancients, what Cicero, very absurdly and unbecomingly for a philosopher, says with regard to Plato „Cum quo errare malim, quam cum aliis recte sentire“. Whereas now, without any extraordinary effort of genius, I have discovered, that nature was the same three thousand years ago, as it is at present; that men were but men then as well as now; that modes and customs vary osten, but that human nature is always the same. And I can no more suppose, that men were better, braver, or wiser, fifteen hundred or three thousand years ago, than I can suppose that the animals or vegetables were better than they are now. I dare assert too, in defiance of the favourers of the ancients, that Homer’s hero Achilles was both a brüte and a scoundrel, and consequently an improper character for the hero of an epic poem; he had so little regard for his country, that he would not act in defence of it, because he had quarrelled with Agamemnon about a w------e; and then afterwards, animated by private resentment only, he went about killing people basely, I will call it, because he knew himself invulnerable; and yet, invulnerable as he was, he wore the

172 strongest armour in the world; which I humbly apprehend to he a blunder; or a horse-shoe clapped to bis vulnerable heel would have been sufficient. On the other band, with Submission to the favourers of the moderns, I assert with Mr. Dryden, that the Devil is in truth the hero of Milton’s poem: bis plan, which he lays, pursues, and at last executes, being the Subject of the poem. From all which consideration I impartially conclude, that the ancients bad their excellencies and their defects, their virtues and their vices, just like the moderns: pedantry and affectation of learning clearly decide in favour of the former; vanity and ignorance, as peremptorily, in favour of the latter. Religious prejudices kept pace with my classical ones; and there was a time when I thought it impossible for the honestest man in the world to be saved, out of the pale of the church of England: not considering that matters of opinion do not depend upon the will; and that it is as natural, and as allowable, that any other man should differ in opinion from me, as that I should differ from him; and that, if we are both sincere, we are both blameless; and should consequently have mutual indulgence for each other. The next prejudices I adopted were those of the beau monde, in which, as I was determined to shine, I took wliat are commonly called the genteel vices to be necessary. I bad heard them reckoned so, and without farther enquiry, I believed it: or, at least, should have been ashamed to have denied it, for fear of exposing myself to the ridicule of those whom I considered as the models of fine gentlemen. But I am now neither ashamed nor afraid to assert, that those genteel vices, as they are falsely called, are only so many blemishes in the character of even a man of the world, and what is called a fine gentleman, and degrade him in the opinion of those very people, to whom he hopes to recommend himself by them. Nay, thia prejudice osten extends so far, that I have known people pretend to vices they had not, instead of carefully concealing those they had. Be early what, if you are not, you will when too late wish you had been. Consult your reason betimes: I do not say, that it will always prove an unerring guide; for human reason is not infaillible; but it will prove the least erring guide you can follow. Books and conversation may assist it; but adopt neither, blindly and implicitly: try both by that best rule which God has given to direct us, reason.

173 Of all the troubles, do not decline, as many people do, that of thinking. The herd of mankind can hardly he said to think; their notions are almost all adoptive; and, in general, I believe it is better that it should be so; as such common prejudices contribute more to order and quiet, than their own separate reasonings would do, uncultivated and unimproved as they are. There is a certain dignity of manners absolutely necessary, to make even the most valuable character either respected or respectable. Horse-play, romping, frequent and loud fits of laughter, jokes, waggery and indiscriminate familiarity, will sink both merit and knowledge into a degree of contempt. They compose at most a merry fellow; and a merry fellow was never yet a respectable man. A young fellow who seems to have no will of bis own, and who does everything that is asked of him, is called a very goodnatured, but at the sanie time is thought a very silly young fellow. Act wisely, upon solid principles, and from true motives; but keep them to yourself, and never talk sententiously. A man who has great knowledge, from experience and Obser­ vation, of the characters, custom, and manners* of mankind, is a being as different from, and as superior to, a man of mere book and systematical knowledge, as a well-managed horse is to an ass. Study, therefore, cultivate, and frequent, men and women; not only in their outward, and consequently guarded, but in their interior, domestic and consequently less disguised, characters and manners. Take your notions of tliings as by observation and experience you find they really are, and not as you read that they are or should be; for they never are quite what they should be. For this purpose do not Content yourself with general and common acquaintance; but whenever you can, establish yourself, with a kind of domestic familiarity, in good houses. A man who does not solidly establish, and really deserve, a character of truth, probity, good manners, and good morals, at his first setting out in the world, may impose, and shine like a meteor for a very short time, but will very soon vanish, and be extinguished with contempt. People easily pardon in young men, the common irregularities of the senses; but they do not forgive the least vice of the heart. The heart never grows better by age; I fear rather worse; always harder. A young liar will be an old

174 one; and a young knave will only be a greater knave as he grows older. But should a bad young heart, accompanied with a good head (which, by the way, very seldom is the case), really reform in a more advanced age, from a consciousness of its folly, as well as of its guilt, such a conversion would only be thought prudential and political, but never sincere. I hope in God, and I verily believe, that you want no moral virtue. But the possession of all the moral virtuos, in actu primo as the logicians call it, is not sufficient; you must have them in actu secundo too; nay that is not sufficient neither; you must have the reputation of them also. Low Company and low pleasures are always much more costly than liberal and elegant ones. The disgraceful riots of a tavern are much more expensive, as well as dishonourable, than the sometimes pardonable excesses in good Company. I must absolutely hear of no tavern scrapes and squabbles. Having mentioned the word rake, I must say a word or two more upon that Subject because young people too frequently, and always fatally, are apt to mistake that character for that of a man of pleasure; whereas, there are not in the world two characters more different. A rake is a composition of all the lowest, most ignoble, degrading and shameful vices; they all conspire to disgrace bis character, and to ruin his fortune. A dissolute, flagitious footman, or porter, makes full as good a rake as a man of the first quality. By the bye let me teil you, that in the wildest part of my youth, I never was a rake; but on the contrary, always detested and despised the character. Hatred, jealousy or envy, make most people attentive to discover the least of defects of those they do not love; they rejoice at every new discovery they make of that kind, and take care to publish it. I thank God I do not know what those three ungenerous passions are, having never feit them in my own breast; but love has just the same effect on me, except that I conceal, instead of Publishing, the defects which my attention makes me discover in those I love. The first thing necessary in writing letters of business, is ex­ treme clearness and perspicuity; every paragraph should be so clear and unambiguous, that the dullest fellow in the world may not be

175 able to mistake it, nor obliged to read it twice, in order to understand it. This necessary clearness implies a correctness, without excluding an elegancy of style. I have known many British yahoos, who, though while they were at Paris they conformed to no one French custom, as soon as they got any where eise, talked of nothing but what they did, saw and eat, at Paris. Les bienseances are a most necessary part of the knowledge of the world. They consist in the relation of persons, things, times, and place; good sense points them out, good Company perfecta them (supposing always an Intention and a desire to please) and good policy recommends them. Les bienseances are an other word for manners, and extend to every part of life. Der große Wert den Chesterfield auf gute Manieren legt und die zahlreichen Stellen in den Briefen, welche deren Aneignung anem­ pfehlen, haben die beschränkte Behauptung veranlaßt, Ausgang und Ziel dieser Briefe seien: „Les manieres, la tournure, les gräces d’un galant homme et d’un homme de couru. Die obigen wenigen Auszüge wider­ legen dies schon zur Genüge, aber Chesterfield selbst in seinem 235. Briefe pariert diesen Einwurf. Da heißt es: Having said all this (about manners), I cannot help reflecting what a formal dull fellow, or a cloistered pedant, would say, if they were to see this letter; they would look upon it with the utmost contempt, and say, that surely a father might find much better topics for advice to a son. I would admit it, if I had given you, or that you were capable of receiving, no better; but if sufficient pains have been taken to form you heart and improve your mind, and as I hope not without success, I will teil those solid gentlemen, that all these trifling things, as they think them, collectively form that pleasing je ne sais quoi, that ensemble, which they are utter strangers to both in themselves and in others. The word aimable is not known in their language, or the thing in their manners. Great usage of the world, great attention, and a great desire of pleasing, can alone give it; and it is no trifte. It is from old people’s looking upon these things as tristes, or not thinking of them at all, that so many young people are so awkward, and so illbred. Their parents, osten careless and unmindful of them, give them only the common run of education, as school, university, and

176

then travelling; without examining, and very osten without being able to judge if they did examine, what progress they make in any one of these stages. Then, they carelessly comfort themselves, and say, that their sons will do like other people’s sons; and so they do, that is commonly very ill. They correct none of the childish nasty tricks, which they get at school; nor the illiberal manners which they contract at the university; nor the frivolous and superficial pertness, which is commonly all that they acquire by their travels. As they do not teil them of these things, nobody eise can; so they go on in the practice of them, without ever hearing, or knowing, that they are unbecoming, indecent, and shocking. For, as I have osten formerly observed to you, nobody but a father can take the liberty to reprove a young fellow grown up, for those kind of inaccuracies and improprieties of behaviour. Daß Lord Chesterfield’s Sohn von den guten Ratschlägen nicht mehr profitierte, beweist daß gutes Beispiel der beste Lehrer. Der vom Vater dem Sohne beigegebene Mr. Harte war ein unglücklich ge­ wählter Mentor.

London, 2. April 1879. In Deutschland hatte zu Ende des vorigen Jahrhunderts eine trostlose Wirklichkeit politischer Zerfahrenheit die besten Köpfe der Nation in die Welt der Ideale getrieben und dadurch einen empfänglichen Bo­ den für die Verpflanzung, oft Veredlung, aber mitunter auch Entartung des reichen Gehaltes der klassischen Literaturen der Nachbarvölker, haupt­ sächlich der Engländer und Franzosen, bereitet. Durch das im 15. und 16. Jahrhundert neu angeregte Studium der Literatur und der Sprachen des klassischen Altertums war der Grund der neuen gelehrten Bildung des damaligen, die Scholastik verdrängen­ den Humanismus gelegt worden. Ganz besonders wurde dieses Studium erleichtert und befördert durch die seit Erfindung der Buchdruckerkunst erst ermöglichte Fixierung und schnellere Verbreitung neuer Gedanken. Logic, sagt Macaulay, never can be strict where books are scarce, and where Information is conveyed orally. We are all aware how frequently fallacies, which, when set down on paper, are at once detected, pass for unanswerable arguments when dexterously and volubly urged in Parliament, at the bar, or in private conversation. The reason is evident. We cannot inspect them closely enough to perceive their inaccuracy. We cannot readily compare them with each other. We lose sight of one part of the Subject before an other, which ought to be received in connection with it, comes be­ töre ns; and, as there is no immutable record of what has been admitted and of what has been denied, direct contradictions pass muster with little difficulty. Almost all the education of a Greek consisted in talking and listening. His opinions on government were picked up in the debates of the assembly. Is he wished to study metaphysics, instead of shutting himself up with a book, he walked down to the market-place to look for a sophist. So completely were men formed to these habits, that even writing acquired a conver12

178 sational air. The philosophers adopted the form of dialogue, as the

most natural mode of communicating knowledge.

Their reasonings

have the merits and the defects which belong to that species of composition, and are characterised rather by quickness and subtility than by depth and precision. Aber in Deutschland war der sich an die Alten enger anschließende Humanismus allmählich verwildert, indem der Zweck über den Mitteln

oft aus den Augen gesetzt und die Beschränkung des Begriffs der Huma uität auf

den Gesichtskreis der Philologie

bei der

Erweiterung der

Wissenschaften und der Ausbildung der Künste derart verderblich wurde, daß der einseitige Scharfsinn der Scholastiker mit seinen Kleinlichkeiten

und Beschränttheiten in den grammatischen

und kritischen der Huma­

nisten überging und diese zuletzt über dem toten Buchstaben den leben­ digen Geist der Alten verloren — Verirrungen,

welche

diesen so ent­

arteten Humanismus mit der Zeit verdächtig und nicht

selten zum

Gegenstand der Satyre machten.

Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trat dem klassi­ schen Humanismus

ein Streben nach Humanität im

philosophischen

Sinne entgegen und zwar in Betreff des Unterrichtswesens als Philan­

thropismus, dessen Vertreter Joh. B. Basedow, 1723—1790, Joach.

H. Campe, 1746—1818, und Joh. H. Pestalozzi, 1746—1827, von der Ansicht ausgingen, daß die Wissenschaft des klassischen Alter­ tums

schon lange nicht mehr den ganzen Reichtum der Bildung und

des Wissens umfasse,

daß

vielmehr die moderne Bildung mit ihren

Wissenschaften und Künsten weit über die Welt der Griechen und Römer

hinausgeschritten und demnach das ausschließliche Studium der latei­ nischen und griechischen Sprachen in den gelehrten Schulen ein

ver­

derblicher Mißbrauch sei.

Diese Ansichten, die schon Diderot in seinem „Plan d’une Universite pour le Gouvernement de Russie“ entwickelt hatte, gewannen bald bedeutenden Einfluß auf die Gestaltung des höhern Unterrichts­ wesens. Man blieb zwar allenthalben bei der Überzeugung, daß die

Kenntnis des Altertums und seiner Sprachen immer noch einen wesent­ lichen Bestandteil der gründlichen wissenschaftlichen Bildung ausmache, daß man aber auch zugleich bei dem Unterrichte die wissenschaftlichen

Schätze der Neuzeit in Geschichte,

in den Naturwiffenschaften, in der

Mathemattk, in Sprachen und Literaturen der modernen Völker zu er­

schließen habe.

Nur in den verschiedenen Fachschulen, wo keine allge-

179 meine humane Bildung, sondern eben nur Fachkenntnisse für den prak­ tischen Beruf erzielt werden sollten, ließ man den Unterricht in den alten Sprachen gänzlich fallen. Was die Philanthropisten aber auf dem Felde des Unterrichtswesens durchsetzten, gehört nur als ein einzelner Zweig zu dem allgemeinen philosophischen Humanismus der Neuzeit, wie er sich seit Anfang dieses Jahrhunderts in der deutschen Literatur in ihren höchsten dichterischen und philosophischen Erzeugnissen ausge­ prägt hat, als dessen Vorkämpfer Lessing und Herder unsterblichen Ruf genießen. An Goethes Vergleich der Geschichte der Wissenschaft mit einer großen Fuge, in welcher die Stimmen der Völker erst nach und nach zum Vorschein kommen, knüpft H. Hettner die Bemerkung, wie be­ zeichnend namentlich für die Literatur der letzten Jahrhunderte dies Gleichnis sei: „Die drei großen Culturvölker, die Engländer, Franzosen und Deutschen setzen der Reihe nach ihre Stimmen ein; und durch alle drei geht ein so durchaus einheitlicher gemeinsamer Grundton, daß nirgends ein wahrhaft lebenskräftiger Gedanke auftaucht, der nicht so­ fort das allgemeine Eigenthum der ganzeil gebildeten Welt wird." Du hast hier ein schönes Beispiel, wie sich auf großartige Weise das ökonomische Princip der „Teilung der Arbeit und Confederation der produktiven Kräfte" bewährt. Macaulay nennt Europa a great federal Community. — Of the various States the institutions, the languages, the manners, the tastes in literature, the modes of education are widely different, but their connection close enough to allow of mutual observation and improvement, yet not so close as to destroy the idioms of national opinion and feeling. The balance of moral and intellectual influence thue established between the nations of Europe is far more important than the balance of political power. Indeed, we are inclined to think that the latter is valuable principally because it tends to maintain the former. The civilized world has thus been preserved from an uniformity of character fatal to all im­ provement. Every part of it has been illuminated with light reflected from every other. Competition has produced activity where monopoly would have produced sluggishness. The number of experiments in moral Science which the speculator has an opportunity of witnessing has been increased beyond all calculation. Society and human nature, instead of being seen in a single point of view, are presented to bim under ten thousand different aspects. By observing the man-

180 nere of surrounding nations, by studying their literature, by comparing it with that of hie own country and of the ancient republics, he le enabled to correct those errors into which the most acute men must fall when they reason from a single species to a genas. He learns to distinguish what is local from what is universal; what is traneitory from what is eternal; to discriminate between exceptions and rules; to trace the operations of disturbing causes; to separate those general principles which are always true and everywhere ap­ plicable from the accidental circumstances with which, in every Community, they are blended, and with which, in an isolated Com­ munity, they are found by the most philosophical mind. Ich habe Dich bereits darauf aufmerksam gemacht, daßKant, 1724 — 1804, sich an die Engländer, namentlich an Hume anschließt. Leibniz, 1646—1717, mit Newton sowie mit den Franzosen Hassend! und Des­ cartes vertraut, war ihm in Deutschland bahnbrechend vorausgegangen. Lessing, 1729—1781; Wieland, 1733—1813; Herder, 1741—1803; Schiller, 1759—1805, und Goethe, 1749— 1832, schöpften teils mit ihm aus denselben Quellen, teils ist er ihnen Anregung und Vorbild gewesen; auch waren die Engländer und Franzosen, besonders Shakes­ peare, Voltaire, Rousseau und Diderot nicht ohne Einfluß auf Wieland, Herder, Schiller und Goethe. Befreunde Dich mit diesen Klassikern der deutschen Nation — sie sind an Gedankenreichtum unübertroffen. Mit welchen Vorkenntnissen aber zur richtigen Würdigung an sie heranzutreten ist, wird Dir deutlich werden aus Abhandlungen über einzelne Werke, wie z. B. Kuno Fischer über „Nathan den Weisen", 2. Ausl. 1872, oder über „Faust", 1878. Überhaupt wirst Du bald einsehen, daß nur derjenige, der viel mitbringt, viel aus einem gehaltvollen Buche herausholt. „It is well said, sagt Carlyle, in every object there is inexhaustible meaning; the eye sees in it what the eye bringe means of seeing. To Newton and to Newton’s dog Diamond, what a different pair of Universes; while the painting on the optical retina of both was, most likely, the same!u Kants große That ist die bis dahin dogmatische Philosophie zur kritischen erhoben zu haben. Seine „Kritik der reinen Vernunft, 1771* und „Kritik der Urtheilskraft, 1790", waren in Deutschland Erschei­ nungen von ebenso großer Bedeutung wie die „Encyclopädie" in Frankreich.

181 In der Vorrede zur 2. Auflage der „Kritik der reinen Vernunft", 1787, sagt Kant:

„Wenn es mit einer nach Maaßgabe der Kritik der reinen Ver­ nunft abgefaßten systematischen Metaphysik eben nicht schwer sein kann,

der Nachkommenschaft ein Vermächtniß zu hinterlassen, so ist dies kein für gering zu erachtendes Geschenk; man mag nun bloß auf die Cultur der Vernunft durch den sichern Gang einer Wissenschaft überhaupt,

in Vergleichung mit dem grundlosen Tappen und leichtsinnigen Herum­ schweifen derselben ohne Kritik sehen, oder auch auf bessere Zeitanwen­ die beim gewöhnlichen Dogmatism

dung einer wißbegierigen Jugend,

so frühe und viel Aufmunterung bekommt, über Dinge davon sie nichts versteht,

und darin sie,

so wie Niemand in der Welt, auch nie etwas

bequem zu vernünfteln,

oder gar auf Erfindung neuer

Gedanken und Meinungen auszugehen,

und so die Erlernung gründ­

einsehen wird,

licher Wissenschaften zu verabsäumen; am meisten aber, wenn man den unschätzbaren Vortheil in Anschlag bringt, allen Einwürfen wider Sitt­

lichkeit und Religion auf sokratische Art, nämlich durch den klärsten Beweis der Unwissenheit der Gegner, auf alle künftige Zeit ein Ende zu machen.

Denn irgcub eine Metaphysik ist immer in der Welt ge­

wesen und wird auch wohl ferner, mit ihr aber auch eine Dialektik der

reinen Vernunft, weil sie ihr natürlich ist, darin anzutreffen sein. Es ist. also die erste und wichtigste Angelegenheit der Philosophie,

einmal

für allemal ihr dadurch, daß man die Quelle der Irrthümer verstopft,

allen nachtheiligen Einfluß zu benehmen. Bei dieser wichtigen Veränderung im Felde der Wissenschaften, und dem Verluste, den speculative Vernunft an ihrem bisher eingebildeten

Besitz erleiden muß,

bleibt dennoch Alles mit der allgemeinen mensch­

lichen Angelegenheit,

und dem Nutzen,

den die Welt bisher aus den

Lehren der reinen Vernunft zog, in demselben vortheilhasten Zustande,

als es jemalen war, und der Verlust trifft nur das Monopol der

Schulen,

keineswegs aber das Interesse der Menschen.

Ich

frage den unbiegsamsten Dogmatiker, ob der Beweis von der Fortdauer unserer Seele nach dem Tode

der Einfachheit der Substanz,

aus

der von der Freiheit des Willens

ob

gegen den allgemeinen Mechanism

durch die subtilen, obzwar ohnmächtigen Unterscheidungen subjektiver und objectiver praktischer Nothwendigkeit,

oder ob der vom Dasein Gottes

aus dem Begriff eines allerrealsten Wesens (der Zufälligkeit, des Ver­

änderlichen,

und

der Nothwendigkeit eines ersten Bewegers) nachdem

182 sie von den Schulen ausgingen, jemals haben bis zum Publicum ge­

langen und

auf dessen Ueberzeugung den mindesten Einfluß haben

Ist dieses nun nicht geschehen und kann es auch, wegen der

können?

Untauglichkeit des gemeinen Menschenverstandes zu so subtiler Specu-

lation, niemals erwartet werden; hat vielmehr, was das Erstere betrifft, die jedem Menschen bemerkliche Anlage seiner Natur, durch das Zeit­ liche (als zu den Anlagen seiner ganzen Bestimmung unzugänglich) nie zufrieden gestellt werden zu können, die Hoffnung eines künftigen Lebens, in Ansehung des Zweiten die bloße klare Darstellung der Pflichten im Gegensatze aller Ansprüche der Neigungen das Bewußtsein

der Freiheit, und endlich,

was das Dritte anbelangt,

die herrliche

Ordnung, Schönheit und Vorsorge, die allerwärts in der Natur hervor­ allein den Glauben an einen weisen und

blicken,

großen Weltur­

heber, die sich aufs Publicum verbreitende Ueberzeugung, sofern sie

auf Bernunstgründen beruht, ganz allein bewirken müssen: so bleibt ja

nicht allein dieser Besitz ungestört, sondern er gewinnt vielmehr dadurch noch an Ansehen, daß die Schulen nunmehr belehrt werden, sich keine

höhere und ausgebreitetere Einsicht in einem Punkte anzumaßen, der die allgemeine menschliche Angelegenheit betrifft, als diejenige ist, zu der die große (für uns achtungswürdigste) Menge auch ebenso leicht gelangen

kann, und sich also auf die Cultur dieser allgemein faßlichen und

moralischer Absicht hinreichenden Beweisgründe Die Veränderung

Schulen,

betrifft also

allein

in

einzuschränken.

bloß die arroganten Ansprüche der

die sich gerne hierin (wie sonst mit Recht in vielen andern

Stücken) für die alleinigen Kenner und Aufbewahrer solcher Wahrheiten möchten halten lassen, von denen sie dem Publicum nur den Gebrauch mittheilen, den Schlüssel derselben aber für sich behalten. Gleichwohl ist doch auch für einen billigern Anspruch des speculativen Philosophen

gesorgt. Er bleibt immer ausschließlich Depositär, einer dem Publicum, ohne dessen Wissen, nützlichen Wissenschaft, nämlich der Kritik der Ver­

nunft;

denn die kann niemals populär werden, hat

aber

auch

nicht

nöthig es zu sein; weil, so wenig dem Volke die fein gesponnenen Argumente für nützliche Wahrheiten in den Kopf wollen, ebenso wenig kommen ihm auch die ebenso subtilen Einwürfe dagegen jemals in den Sinn; dagegen, weil die Schule, so wie jeder sich zur Speculation er­ hebende Mensch, unvermeidlich in beide geräth, jene dazu verbunden ist,

durch gründliche Untersuchung der Rechte der speculativen Vernunft ein

für allemal dem Scandal vorzubeugen, das über kurz oder lang selbst

183 dem Volke aus den Streitigkeiten aufstoßen muß, in welche sich Meta­ physiker (und als solche endlich auch wohl Geistliche) ohne Kritik un­ ausbleiblich verwickeln,

und die selbst nachher ihre Lehren verfälschen.

Durch diese, kann nun allein dem Materialism, Fatalism, Atheism, dem freigeisterischen Unglauben, der Schwärmerei, dem Aberglauben, die all­ gemein schädlich werden können, zuletzt auch dem Jdealism und Scepticism, die mehr den Schulen gefährlich sind, und schwerlich ins Publicum über­ gehen können, selbst die Wurzel abgeschnitten werden. Wenn Regierungen sich ja mit Angelegenheiten der Gelehrten zu befassen gut finden, so

würde es

ihrer weisen Vorsorge für Wissenschaften sowohl als Men­

schen weit gemäßer sein, die Freiheit einer solchen Kritik zu begünstigen,

wodurch die Vernunftbearbeitungen allein auf einen festen Fuß gebracht werden können, 'als den lächerlichen Despotismus der Schulen zu unter­ stützen,

welche

über

öffentliche Gefahr ein lautes Geschrei

erheben,

wenn man ihre Spinneweben zerreißt, von denen doch das Publicum niemals Notiz

genommen hat

und deren Verlust es also auch nie

fühlen kann." Du hast an diesem Auszug auch eine Probe Kant'schen Stils, der

oft noch viel schwerfälliger, weitschweifiger und mit gelehrten Fachaus­ drücken so überladen ist, daß dadurch der Genuß seiner Schriften sehr verkümmert und das Verständnis erschwert wird. Zur Vermittlung des

letztern empfehle ich Dir: Dr. Ludwig Grabe.

Noack, 1861.

Immanuel Kant's Auferstehung

aus

dem

Kant hat zur Beseitigung des Irrtums wesentlich beigetragen, es

sei die Aufgabe der Philosophie,

ihrer Zeit eine fertige Denkform in

klar ausgesprochenen Grundsätzen zu liefern,

halten könne,

au die sich dann jeder

ohne weiteres Nachgrübeln, während

doch

für

einen

jeden Philosophie das Resultat seines eigenen Denkens wird, welches

er für sich selbst gewinnen,

sich

nach

dem

eigentümlichen

Bedürfnis

Eigentlich gibt es ja auch gar keine Philosophie als geschlossene Wissenschaft, sondern nur zahl­ seiner inneren Natur herausarbeiten muß.

reiche Systeme philosophierender Männer, in denen die Philosophie nur als eine rationelle Methode erscheint, deren Anwendung in allen Lebens­

verhältnissen Sache jedes einzelnen ist. „Es giebt keine Spekulation die zum Wissen führt, sondern nur dies ist das Ergebnis der Kant'schen Prüfung des

Forschung" —

menschlichen Erkenntnisvermögens.

„Wenn von verschiedenen Menschen

184 ein Jeder seine eigene Welt hat, so ist zu vermuthen, daß sie träumen. Und wenn wir auf diesem Fuß die Lustbaumeister der mancherlei Ge­ dankenwelten betrachten, deren Jeglicher die seinige mit Ausschließung Anderer ruhig bewohnt; so werden wir uns bei dem Widerspruche ihrer Gesichte gedulden, bis diese Herren ausgeträumt haben. Tenn wenn sie einmal, so Gott will, völlig wachen, so werden die Philosophen zur selbigen Zeit eine gemeinschaftliche Welt bewohnen, desgleichen die Größenlehrer schon längst inne gehabt haben." Das ist Kantes Ansicht. Wenn aber gegen Kant geltend gemacht wird, daß seine Kritik sich auf der schiefen Ebene befinde, welche abwärts zum Atheismus führe, so bemerkt Noack: „sie führe nur dahin, wo die Menschheit durch Erzieh­ ung und Bildung befähigt wird, auch ohne morsche Stützen und schwan­ kende Krücken aus der Werkstätte der Einbildungskraft ein sittliches, menschenwürdiges Dasein zu führen und wo der Grundsatz gilt, daß kein anderer Atheismus zu fürchten sei, als die Freigeisterei des sitt­ lichen Leichtsinns, der keine Pflicht anerkennt. Auch ohne die Dinge, welche durch Kantes Kritik vernichtet sind, läßt sich die weltgeschichtliche Aufgabe der sittlichen Menschenbildung und die jedem Einzelnen zufal­ lende sittliche Lebensaufgabe lösen." Während der Blüthe des deutschen Klassicismus brach die unter Louis XIV bereits gärende französische Revolution aus — das größte historische Ereignis seit dem Untergang des römischen Reichs. „La noblesse hereditaire et privilegiee abolie avec le droit

d’ainesse et les substitutions, sagt Martin, Vegalite des partages fond^e dans la famille, les droits f^odaux et toutes les institutions qui s’y rattachent aneantis, Fe tat civil constitue en dehors du clerge, le droit canonique et la sanction civile des voeux religieux abolis, Vordre ecclesiastique supprime en tant que corps politique, et ses immenses proprietes vendues en detail, afin de d^mocratiser la propriete sondere, tous les Privileges de corporations, de familles et d’offices, toutes les diverses provinciales, municipales, judiciaires, fiscales, toutes les appropriations de fonctions sociales, toutes les differences d’origine entre les proprietes, toutes les conditions qui restreignent la liberte de travailler et d’acquerir, detruits, aneantis: voilä quels sont les resultats immediats et d^finitifs du 17 juin et du 4 aoüt 1789; resultats auxquels s’ajoutent bientot, dans Vordre moral, la liberte de conscience et de culte, principe de droit et non plus simple transaction entre des sectes armees, comme avait

185 ete Fedit de Nantes,

et,

dans Vordre materiel,

avec une nouvelle

division du territoire qui balaie toutes les traces de la monarchie feodale ou absolue, cette unite des poids et mesures qui est Funite economique de

la France et Fexemple offert au monde de Fap-

plication des hautes methodes scientifiques au reglement des usages de la vie.“

Aber die französische Revolution gebar auch die Theorie von der absoluten Freiheit und Gleichheit der Person, brachte in den politischen

und ökonomischen Systemen den Individualismus zur Herrschaft,

ver­

drängte die alten religiösen und historisch-rechtlichen Gesichtspunkte bei

der Beurteilung der gesellschaftlichen Einrichtungen durch Gesichtspunkte der Nützlichkeit und des sogenannten Naturrechts, und machte die per­ sönliche Freiheit des einzelnen zum Ausgangspunkt aller ökonomischen

und politischen Betrachtungen — auch hier, wie in der Philosophie, sich an die Alten anschließend:

denn schon Socrates hatte die antike An­

schauung der Hellenen, der gemäß, wie der Geist ein Stück der Natur, so der einzelne ein Stück des Staates war, umgekehrt, indem er jeden

einzelnen die Grundsätze des Denkens und Handels in seinem eigenen Geiste suchen hieß. So wurde durch ihn und in höherm Grade noch durch seinen Schüler Plato der Ethik d. h. der Sitte des Volks,

die

Moral d. h. das nach Grundsätzen handelnde Individuum gegenüber­

gestellt :

der einzelne wurde absolut,

statt wie früher nur Atom des

Staates zu sein; das tugendhafte Leben des einzelnen, nicht das Wohl­ ergehen des Staates wurde zum Endzweck des Menschen — vielen le salut publique zum Mantel des Egoismus. Vielleicht wären Socrates und Plato weniger einseitig gewesen, hätte das damalige griechische Staatsleben — Kleon herrschte zu jener

Zeit in dem Musterstaate Athen und bethörte mit der ihm geläufigen liberalen Phrase die Massen — noch bessere Geister zu befriedigen

vermocht. Der Unmuth über die Ohnmacht der besserwissenden ließ die besten des Volkes sich immer mehr der Beteiligung an öffentlichen An­

gelegenheiten entfremden,

eine Erscheinung die sich auch in modernen

Staaten — in Deutschland zu anfang dieses Jahrhunderts — wieder­

holt hat. Wurden doch durch die Verstimmung über die Zerfahrenheit des politischen und durch die Überschätzung des beschaulichen, privaten Lebens selbst Männer wie Wm. von Humboldt und Fichte zu ganz unhaltbaren, von ihnen selbst auch unter günstigern Zeitverhältnissen bald aufgegebenen,

Ansichten

über

das Wesen des Staates verleitet:

186 „der höchste Zweck des Lebens, sagt ersterer,

die Erziehung des Men­

schen zur Eigenthümlichkeit der Kraft und Bildung werde nur erreicht,

wenn der Einzelne in Freiheit und in mannigfaltigen Situationen sich

bewege;

darum

müsse

die

Zwangsanstalt des

Staates

auf

die

Sicherung von Hab und Leben sich beschränken, in Allem sonst den königlichen

Menschen frei schalten lassen," und auch für Fichte war zur Zeit, als er noch für ideales Weltbürgertum schwärmte, int Anschluß an Locke, der Staat nur

ein Mittel, eine Anstalt „Leben und Eigenthum gegen Gewalt und Raub jeder Art zu schützen" und seine Anschauungsweise ließ ihn „in dem Staate, der jedesmal auf der Höhe der Cultur stehe, das wahre Vaterland des Gebil­ deten" sehen, während es schon 1776 in den Briefen Grimms (vielleicht, wie so manches andere in diesen Briefen, aus der Feder Diderot’s) heißt:

L’erreur la plus commune aux philosophes qui ont ecrit sur Vadministration, c’est de vouloir transporter des idees abstraites, des v6rites metaphysiques, dans un ordre de choses qui en change absolument tous les rapports. Si les lois de la societe ne sont pas opposties ä celles de la nature, elles n’en sont pas moins tres-differentes. Les idees qui tiennent ä la propriete se concilieront toujours difficilement avec celles de Vordre primitif, oü tous les biens etaient en commun. Toute idee d’obligation blessera toujours plus ou moins l’idee que nous avons de la liberte naturelle. L'inigalite des conditions etonnera toujours le sentiment qui nous dit que nous naissons egaux. II est evident que, dans Fütat social, ce qui conviendrait le mieux ä l’individu n’est pas toujours ce qui convient le mieux ä VEtat. La legislation la plus heureuse serait sans doute celle oü chacun jouirait sans reserve de tous les avantages qu’il peut d6sirer; mais cette legislation est une chimere .... il saut la trouver assez juste, lorsqu’elle ofFre des dtidommagements proportionnes au joug qu elle impose. Und Burke hat sich noch weit energischer ausgesprochen in seinem berühmten Briefe über die französische Revolution:

They have „the rights of men“. Against these there can be no prescription; against these no agreement is binding: these admit no temperament, and no compromise: anything withheld from their full demand is so much of fraud or injustice. Against these their rights of men let no government look for security in the length of its continuance, or in the justice and lenity of its administration. The objections of these speculatists, if its forms do not quadrate with

187

their theories, are as valid against such an old and beneficent government, as against the most violent tyranny, or the greenest Usur­ pation. They are always at issue with governments, not on a question of abuse, but a question of competency, and a question of title. I have nothing to say to the clumsy subtilty of their political metaphysics. Le them be their amusement in the schools. But let them not break prison to bürst like a Levanter, to sweep the earth with their hurricane, and to break up the fountains of the great deep to overwhelm us. Far am I from denying in theory, full as far is my heart from withholding in practice, (if I were of power to give or to withhold) the real rights of men. In denying their false Claims of right, I do not mean to injure those wliich are real, and are such as their pretended rights would totally destroy. If civil Society be made for the advantage of man, all the advantages for which it is made become bis right. It is an Institution of beneficence; and law itself is only beneficence acting by a rule. Men have a right to live by that rule; they have a right to do justice, as between their fellows, whether their fellows are in public function or in ordiiiary occupation. They have a right to the fruits of their industry; and to the means of making their industry fruitful. They have a right to the acquisitions of their parents; to the nourishment of their offspring; to Instruction in life, and to consolation in death. Whatever each man can separately do, withouttrespassing upon others, he has a right to do for himself; and he has a right to a fair portion of all which Society, with all its combinations of skill and force, can do in bis favour. In this partnership all men have equal rights; but not to equal things. He that has but five Shillings in the partnership, has as good a right to it, as he that has five hundred pounds has to his larger proportion. But he has not a right to an equal dividend in the product of the joint stock; and as to the share of power, authority, and direction which each individual ought to have in the management of the state, that I must deny to be amongst the direct original rights of man in civil Society; for I have in my contemplation the civil social man, and no other. It is a thing to be settled by Convention. If civil Society be the offspring of Convention, that Convention must be its law. That Convention must limit and modify all the descriptions of Constitution which are formed under it. Every sort

188 of legislative, judicial, or executory power are its creatures. They can have no being in any other state of things; and how can any man claim under the conventions of civil Society, rights which do not so much as suppose its existence? rights whicli are absolutely repugnant to it ? One of the first motives to civil Society, and which becomes one of its fundamental rules, is, that no man should be judge in bis own cause. By this each person has at once divested himself of the first fundamental right of the uncovenanted man, that is, to judge for himself, and to assert his own cause. He abdicates all right to be his own governor. He inclusively, in a great measure, abandons the right of self-dcfence, the first law of nature. Men cannot enjoy the rights of an uncivil and of a civil state together. That he may obtain justice, he gives up his right of determining what it is in points the most essential to him. That he may secure some liberty, he makes a surrender in trust of the whole of it. Government is not made in virtue of natural rights, which may and do exist in total independence of it; and exist in much greater clearness, and in a much greater degree of abstract perfection: but their abstract perfection is their practical defect. By having a right to everything they want everything. Government is a contrivance of human wisdom to provide for human wants. Men have a right that these wants should be provided for by this wisdom. Among these wants is to be reckoned the want, out of civil Society, of a sufficient restraint upon their passions. Society requires not only that the passions of individuals should be subjected, but that even in the mass and body, as well as in the individuals, the inclinations of men should frequently be thwarted, their will controlled, and their passions brought into subjection. This can only be done by a power out of themselves; and not, in the exercise of its function, Subject to that will and to those passions which it is its office to bridle and subdue. In this sense the restraints on men, as well as their liberties, are to be reckoned among their rights. But as the liberties and the restrictions vary with times and circumstances, and admit of infinite modifications, they cannot be settled upon any abstract rule: and nothing is so foolish as to discuss them upon that principle. The moment you abate anything from the full rights of men,

189 each to govern himself, and Buffer any artificial, positive limitation upon those rights, from that moment the whole Organisation of government becomes a consideration of convenience. Thiß it is which makes the Constitution of a state, and the due distribution of its powers, a matter of the most delicate and complicated skill. It requires a deep knowledge of human nature and human necessities, and of the things which facilitate or obstruct the various ends, which are to be pursued by the mecanism of civil institutions. The state is to have recruits to its strength, and remedies to its distempers. What is the use of discussing a man's abstract right to food or medicine? The question is upon the method of procuring and administering them. In that deliberation I shall always advise to call in the aid of the farmer and the physician, rath er than the professor of metaphysics. The Science of constructing a Commonwealth, or renovating it, or reforming it, is, like every other experimental Science, not to be thought a priori. Nor is it a short experience that can instruct us in that practical Science; because the real effects of moral causes are not always immediate: but that which in the first instance is prejudicial may be excellent in its remoter Operation; and its excellence may arise even from the ill effects it produces in the beginning. The reverse also happens: and very plausible schemes, with very pleasing commencements, have osten shameful and lamen­ table conclusions. In States there are osten some obscure and almost latent causes, things which appear at first view of little mo­ ment, on which a very great part of its prosperity or adversity may most essentially depend. The Science of government being therefore so practical in itself, and intended for such practical purposes, a matter which requires experience, and even more experience than any person can gain in bis whole life, however sagacious and observing he may be, it is with infinite caution that any man ought to venture upon pulling down an edifice, which has answered in any tolerable degree for ages the common purposes of Society, or on building it up again, without having models and patterns of approved Utility before bis eyes.

Wir leben noch mitten in dieser Bewegung, und ohne ein richtiges Verständnis der französischen Revolution bleibt Dir die Gegenwart ein Buch mit sieben Siegeln. Gewöhnlich wird die Ursache dieses Umsturzes

190

ausschließlich im innern Frankreichs,

in

den Mißständen der socialen

und fiskalen Verhältnisse gesucht, zu wenig Rücksicht genommen auf die große Veränderung, welche der politischen Machtstellung Frankreichs der siebenjährige Krieg bereitete, der mit dem Pariser Frieden, Februar 1763, so sehr zu gunsten Englands schloß.

To this time, sagt G. W. Kitchin, we owe the maritime supremacy of this country, and the spread of the english language and race to every shore. Yet, it has, too, its dark side: a world filled with pushing Englishmen could scarcely be a paradise; there are races which object to being thrusted aside; there are civilizations which English commonplace cannot supersede; the dull selfsatisfaction of the ordinary „Anglo - Saxonism“ is at least as offensive as the livelier „Chauvinisme“ of our neighbours. Dies benimmt nichts von der Wichtigkeit der Folgen jenes Krieges;

hierüber Professor Rogers:

„No war in the worlds history had such important results on the remote future as this has had. From this time France ceased to be a colonizing nation, and England occupied its place, as well as extended the settlements which it had already founded. At the beginning of the Sevenyears’ war, France was the determined rival of England in the East, and had occupied the south and north of the English plantations in the west. At the conclusion of the Sevenyears’ war, it had lost both its colonial centres. By this loss it was also deprived of one among those outlets for discontent which have been so serviceable to the governments of Western Europe. Emigration does not relieve of its population so much as it does of its dissatisfied and disaffected members. The destruction of French Colonial enterprise had no little indirect effect on the passions of the Revolution. The supremacy of England in the northern part of the New World led the Protestant inhabitants of Ireland, bowed down and impoverished by the oppressive revenue laws of England, to emigrate westwards, and to give at hörne an opportunity for the Irish Catholics to reassert themselves, and for the Americans to strengthen or recruit themselves in the war of Independence. Again, the charges of the Sevenyears’ war were so great, that the English parliament tried to help itself by taxing the colonies; the colonies met this project, after various acts of resistance, by the Declaration of Inde­ pendence ; the war of American independence found an ally in France,

191

which was eager to blot ont the memories of the Sevenyears’ war; the reaction of Republican America on Monarchical France aided those theories which developped the French revolution. On the revolution followed the Empire; the Empire induced the reaction of the Holy Alliance; from this came the Western rising of 1830, the general rising of 1848, and ultimately the doctrine of modern European politics, that, namely, of the nationalisier" Deine Lektüre teile ich Dir in drei Gruppen: die Veranlassung zur

Revolution, die Revolution selbst, und ihre Folgen. In die erste Abteilung stelle ich Dir:

H. Martin, Histoire de France, 4me ed. 1852. A. de Tocqueville, L’ancien rigime et la revolution, 5me ed. 1866. Guizot, L’histoire de France, 1872. H. Tai ne, Les origines de la France contemporaine: Fancien regime, 4me ed. 1877. F. Rocquain, Etudes sur Fancienne France, 1875. id. L’esprit revolutionnaire avant la revolution, 1878. Über das geschichtliche der Revolution selbst findest Du von ver­

schiedenen Gesichtspunkten ausführliches in:

Thiers, Histoire de la revolution fran^aise, 13me ed. 1872. H. Taine, Les origines de la France contemporaine: la revolution, 1878. E. Quinet, La revolution, 3me ed. 1865. v. Sybel,

Die Geschichte

der Revolutionszeit

1789—1800,

von

3. Aust. 1865/70.

E. Burke, Reflections on the revolution in France, 1790. Th. Carlyle, The french revolution, 1837. Lamartine's bekanntes Buch „Les Girondins" ist zu viel gelesen,

als daß ich es nicht beifügen sollte — aber betrachte

es als Roman,

nicht als Geschichtswerk.

Die Folgen der Revolution behandeln:

Thiers, Histoire du consulat et de Fempire, 1849, und als Antidote gegen seine Apotheose des Kaiserreichs mußt Du dann

P. Lanfrey, Histoire de Napoleon lesen; auch dessen früheres Essai sur la revolution fran^aise, 1860, ist noch beachtenswert. De Vaulabelle, Histoire des deux restaurations, 1874. Louis Blanc, Histoire de dix ans 1830—1840, 12me ed. 1877.

192 E. Regnault, Hißtoire de hnit ans 1840—1848, 4me 6d. 1878. G. Pag&s, Histoire de la revolution de 1848, 2de äd. 1866. Wie gesagt, wir leben noch mitten in der großen Bewegung, der

Verschiebung der Stände, welche mit der französischen Revolution be­ gann. Lies: W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, 1861.

Historisch bis in die Gegenwart führen Dich:

H. Martineau, A history of the thirty years peace 1816 to 1846. H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert,

1879. Durch die scharfe Brille der Vaterlandsliebe malt Treitschke ein Charakterbild.

Volkes.

Er schreibt im Biographenstil,

aber das Leben

eines

Die unverkennbare Einseitigkeit der Darstellung — dies gute

Recht jeder großen Leidenschaft — begründet er: „Der Erzähler deutscher Geschichte löst seine Aufgabe nur halb,

wenn er bloß den Zusammen­

hang der Ereignisse aufweist und mit Freimüthigkeit sein Urtheil sagt; er solle auch selber fühlen und in den Herzen seiner Leser zu erwecken

wissen, was viele unserer Landsleute über dem Zank und Verdruß des Augenblicks heute schon wieder verloren haben: die Freude am Vater­

lande". Zu den unmittelbaren Folgen der Revolution zählt die Teilnahme des französischen Volkes an der Staatsregierung. Aber der militärische Despotismus Napoleons I machte die Verfassung bald zu einer bloßen

Verwaltungsordnung und der spätere Konstitutionalismus in Frankreich,

wie in manchen andern Staaten, wähnte und wähnt noch heute sich im Besitz politischer Freiheit, getäuscht durch das leere Schaugerüst parla­

mentarischer Formen. Über der Verherrlichung der Freiheit des Individuums

oft vergessen, daß die Vereinzelung des Menschen,

wird zu

namentlich in der

Sorge um seine materiellen Interessen, nur der rohe Anfang der Ent­ wickelung und überall das Zeichen noch mangelnder Kultur ist, zu der zu gelangen im weitern Verlauf gute oder schlechte,

verständige oder

thörichte, jedenfalls aber irgend welche Einrichtungen getroffen werden,

durch die sich jene Vereinzelung mehr und mehr in Verbindung um­ wandelt und das Zusammenwirken als Staatsleben sich allmählich, unter

günstigen Berhältniffen als nationales, gestaltet; denn nicht Vereinzelung

zur Ausbeute des ganzen, sondern Vereinigung mit andern im ganzen

193 zum Wohl aller ist das Ziel des modernen nationalen Kulturstaates; die Form, in welcher dies geschieht, ist das wenigst wichtige, zumal sie unausgesetzt Veränderungen unterworfen bleiben muß, daher von einer mustergültigen Staatsverfassung vernünftigerweise gar keine Rede sein kann. Als eine gute Verfassung ist überhaupt, nach Holtzendorff, nur diejenige zu betrachten, welche der auf die Staatszwecke gerichteten Wirk­ samkeit der einzelnen, der Gesellschaft und der Nation freien Spielraum und geeignete Thätigkeitsformen bietet, indem die Harmonie der für die Gesamtheit notwendigen Macht mit der individuellen Freiheit und den Daseinsbedingungen fortschreitende Kultur gewahrt wird. Die Herstellung solchen Einklanges kann niemals Sache der Abstraktion sein, die von dem Grundgedanken der Teilung und Beschränkung, der feindlichen Gegenüberstellung und Auseinanderhaltung der im Staate wirkenden Kräfte geleitet, nur auf die äußere Konsequenz der Formen Bedacht nimmt. Der Mißbrauch der Macht durch die Regierungen, die Aus­ schreitungen der Parteileidenschaft und der Eigennutz des sich dem Staate entfremdenden Individualismus haben eine gemeinsame Schranke: an den aus den Staatszwecken herzuleitenden Pflichten, deren im Volks­ geiste lebendiges Bewußtsein die stärkste Garantie der Verfassung ist. Bezüglich hierauf sagt Lord Brougham in The British Con­ stitution, 1860: Laws are made; Constitutione grow, at least if they are of any value; they have roots, they bear, they ripen, they endure. Those that are fashioned resemble painted sticks planted in the ground, as I have seen in other countries what are called „trees of Liberty". They strike no root, bear no fruit, swiftly decay, and are long perieh. Nature, indeed, as Bolingbroke says, beautifully translating a fine passage of Lord Bacon „throws out altogether, and at once, the whole System of every tree, and the rudiments of all its parts; but she leaves the growth to time". It is cherished by the breeze, strengthened by the sun, expanded by the shower. Such is the course of nature; but man must work by an other and a tentative process. Having to deal with human beings, and possessing no gift of foresight, he must consult the past, and take experience for his guide, adding what has been found wanting, changing what has been found hurtful, removing what has been found cumbrous. By this safe and gradual Operation our System has been framed in the course of ages; its progress occasionally slow, sometimes for a season even 13

194 suspended; rarely eußtaining any violent check; and so little broken by forcible concussions that all its permanent improvements have been effected peaceably, and only short lived changes have been the work of force.

Ganz besonders empfehle ich Dir: Wm. Stubbs, The Constitutional History of England, 1875. „The roots of the present lie deep in the past, sagt er, and nothing in the paet iß dead to the man who would leam how the preßent comes to be what it iß. It is true, constitutional history has a point of view, an inßight, and a language of its own; it reads the exploitß and characters of men by a different light from that shed by the false glare of arms, and interprets positions and facts in worde that are voiceless to those who have only listened to the trampet of fame.u

London, 1. Mai 1879. Die Bemerkung wird Dir nicht entgangen sein, daß in fast allen Büchern von Religion die Rede ist. Unbezweifelt ist auch die Religion,

sofern sie vorzugsweise das Gemütsleben — das Reich des mystischen Empfindens und der Tradition — umfaßt, welches bei der Mehrzahl

der Menschen eine weit größere Rolle spielt als der Verstand — das Reich der Erfahrung und Forschung — eine der wichtigsten aller mensch­ lichen Angelegenheiten. Gemüt, Sinne, Gefühl üben größere Macht über den Menschen aus,

als der Verstand — und mit Recht,

sofern

der Mensch hauptsächlich aufs Leben angewiesen ist, nicht auf die Be­ trachtung. So sehr daher auch das Urteilen Sache des Verstandes sein sollte, so hat doch gewöhnlich an den Urteilen, welche die Menschen fällen,

das Herz, d. h. Gemüt, Leidenschaft, vorgefaßte Zu- oder Abneigung,

Sympathie und Antipathie, mehr Anteil als der Kopf, während die Imagination, die ost ein Wort mitredet, mitunter sogar allein spricht, als eine dunkle Werkstätte geheimer Kräfte erscheint, über deren Ver­ anlassung und Mittel, die wahren Ursachen, und wie sie im Verborgenen

wirken, die Natur ihren Schleier geworfen, den noch niemand aufge­

deckt hat. Es sind aber Gemüt und Verstand nur zwei Richtungen einer und derselben Kraft des lebendigen Menschen, und wenn man ihnen ent­ sprechend Religion und Wissenschaft von einander zu trennen und gar einander gegenüber zu setzen versucht hat, so bleibt, gemeinsam wie bei­ der Ursprung,

thun,

doch auch ihr Ziel immer dasselbe:

beiden darum zu

daß der individuelle Mensch, jeder eigene Geist — Deus in

nobis, der Kopf und Herz umschließt — Inhalt und Gehalt bekomme.

„Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen;

Die eine hält in derber Liebeslust,

196 Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust Zu den Gefilden hoher Ahnen."

Dieser Zwiespalt bedeutet im Grunde nur das — bei vielen freilich

nie eintretende — Erwachen des menschlichen Bewußtseins: das Mensch­ werden, der gutes und böses unterscheidende Zustand der Zurechnungs­ fähigkeit. Mit diesem Erwachen entsteht auch sofort das Verlangen und

wird bald dem denkenden Menschen zum Bedürfnis den Zwiespalt wie­ der zu versöhnen, sich als harmonisches, ungeteiltes Wesen, selbstbewußt zu gestalten.

Mag dem reinen Verstände als

ursprüngliches Element

der Religion das unmittelbare Gefühls- und Phantasieleben gelten, welchem

es

sich zunächst weder

in

um vernünftige Grundsätze noch um

moralische Pflichten handelt, sondern um ein mystisches,

erwärmendes

Empfinden, nicht um ein durchfichttges, klares Begreifen, und für Schleier­ macher das Gemüt die Stätte sein,

von der alle religiösen Prozesse

auSgehen, und in der sie ihren Verlauf haben, so darfst Du doch nicht

folgern, daß Religion nur und ausschließlich Gefühlssache und ftommes

Gefühl an sich schon Religion sei,

oder gar sie erschöpfe.

Die bloße

Frömmigkeit ist dem Wollen und Handeln gegenüber nur eine leidende

Seite des menschlichen Lebens, ein Hingeben, ein gefügiges sichschiebenlaffen, und selbst da, wo sie sich über die Gedankenlosigkeit erhebt, führt sie doch weder zur Selbsterkenntnis noch zur Erkenntnis Gottes und

der Welt, sondern nur zur Mystik, die zwar die Selbstsucht des mensch­

lichen Herzens zu durchbrechen vermag,

aber mit dem Versuch in der

göttlichen Liebe das Geheimnis aller Geheimniffe zu

enthüllen stets

auf bedauerliche Irrwege gerät. Die bloße Frömmigkeit, sich selbst über» taffen,

ungezügelt vom Verstände,

entartet immer

in Sentimentalität

und wohl hat Carlyle Recht:

Is not Sentimentalism twin-sister to Cant, if not one and the same with it? Is not Cant the materia prima of the Devil; from which all falsehoods, imbecilities,* abominations body themselves; from which no true thing can come? For Cant is itself properly a donbledistilled Lie; the second power of a Lie! Die über die Frömmigkeit sich erhebende Religion bedingt mit vor­ geistige, d. h. vernünftige Thätigkeit,

anschreitender Bildung eine rege,

ehe sie höhere Ansprüche befriedigt, z. B. die in der Definition Fichtes

enthaltenen, der gemäß Religion:

gegensatzes

von Ich

und Welt,

„die Versöhnung des Bewußtseins­

ein Bewußtsein Gottes,

als der Welt

197 transcendentale Einheit" und wonach die Gottesverehrung in dem Sinne

Goethes sich gestaltet,

der sich keine schönere denken konnte,

jenige, welche kein Bild bedarf;

„als die­

welche aus dem Wechselgespräch mit

der Natur in unserem Busen entspringt". Auch die Religion setzt Erkenntnis Sachen der Religion kann nicht gelten,

und Wille

was sich

voraus;

auch

in

nicht durch die ver­

nünftige Betrachtung rechtfertigen läßt. Daraus folgt aber, daß Religion

für verschiedene Klassen Menschen, und für denselben Menschen auf ver­

schiedenen Stufen seiner Entwickelung verschiedene Bedeutung hat; und daß der Streit um den Vorzug einer Gefühlsreligion vor

einer

Ber-

uunftreligion ganz bedeutungslos für jeden wird, der einsieht, daß jede

Religion vom Gefühl anfängt und zur Vernünftigkeit sich ausbildcn muß;

denn wie die reine Gefühlsreligion sich allmählich von allen auf Tradition beruhenden Satzungen des KirchenglaubenS loswindet, wird sie der reinen

Bernunftreligion immer näher rücken,

bis zum völligen Verschwinden

des Unterschiedes zwischen Laien und Priestern, bis zur Gleichheit aller in wahrer Freiheit. Der Konflikt des Glaubens und des Unglaubens ist als das eigent­

liche,

einzige

und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte be­

zeichnet worden, dem alle übrigen untergeordnet seien. Wisienschastliche Beschäftigung mit Religion wird Dir dieses Thema vorteilhaft beleuchten; dabei ist aber nichts wichtiger, als die sorgfältige Vermeidung von Be­ griffsverwirrung, welche gewöhnlich aus Unklarheit des Ausdrucks ent­

steht und nach der einen Seite zu leichtfertigen Zweifeln, nach der an­

dern zu bequemer Selbsttäuschung führt. Treffend bemerkt Professor Huxley :

„It is obvioufi, that Hume, adopting a populär confusion of ideas, uses religion as the equivalent of dogmatic theology; and therefore, he says with perfect justice, that „religion is nothing but a species of philosophyu. Here no doubt lies the root of his antagonism. The quarreis of theologians and philosophers have not been about religion but about philosophy; and philosophers not unfrequently seem to entertain the same feeling towards theologians, that sportsmen cherish towards poachers. „There cannot be two passions more nearly resembling each other than hunting and philo­ sophy“ says Hume. And philosophier hunters are given to think, that, while they pursue truth for its own sake, out of pure love for the chase (perhaps mingled with a little human weakness to be

198

thooght good ahota); and by open and legitimate methods; their theological competitore care merely to snpply the market of eatabliahmente; and disdain neither the aid of the enarea of auperatition, nor the cover of the darkneea of ignorance.“ „Religion, sagt Zeller, ist ihrem wahren Wesen nach nicht Dogma, sondern Praxis; der innerste Mittelpunkt der Religion, daS, worauf eS ihr in letzter Beziehung ankommt, liegt nicht in einer theoretischen Ueberzeugung, sondern im sittlichen und Gemüthsleben des Men­ schen: in der Beruhigung des Gefühls, der Erhebung des Herzens, der Läuterung und Kräftigung des Willens. Dazu bedarf der Fromme nun freilich gewisser Glaubensvorstellungen und Ueberzeugungen. Aber so unentbehrlich ihm diese Vorstellungen auch sind, so find sie doch immer nur etwas abgeleitetes: HülfSvorstellungen, welche zuerst die an­ schauende Phantasie schafft, indem sie die gegebenen Stoffe nach Maß­ gabe deS religiösen Bedürfnisses umbildet, deren sich dann das ver­ ständige Denken bemächtigt, um sie zu allgemeinen Begriffen und Lehr­ sätzen, zu Dogmen, zu verarbeiten. Die religiöse Bedeutung dieser Vor­ stellungen liegt daher nicht in dem, was sie unmittelbar sagen, sondern in dem, was sie für das religiöse Leben leisten, in ihrer Wirkung auf den inneren Zustand, auf das Gemüth und den Willen des Menschen." In demselben Sinne sagt Gladatone: „The principal teat of Re­ ligion ia ite power of aecnring right moral jndgment“. AlS man darüber stritt, ob die Erde sich um die Sonne drehe, oder umgekehrt, war dies ein interessantes astronomisches Problem, dessen Entscheidung wichtig für die Wissenschaft, gleichgültig aber für das Wohl der Menschheit — aber nicht gleichgültig, vielmehr für das Wohl der Gesamtheit und für die dasselbe bedingende Entwickelung des einzelnen von höchster Wichtigkeit war und ist, und bleibt für alle Zeiten, daß es keiner Macht zustehe, keiner Anmaßung gestattet werde, irgend jemanden für die Annahme der einen oder der andern Ansicht, auS irgend einem Grunde, verantwortlich zu machen. So sind auch die Fragen, wie Religionen und Religion überhaupt entstehen, sich ver­ breiten und verändern, interessante, höchst wichtige, historische und theo­ logische Probleme, von deren Lösung die Bestimmung des Grades der in jeder einzelnen Religion enthaltenen Wahrheit abhängt. „Sobald ein Menschensohn, sagt Wieland, über einen spekula­ tiven Gegenstand, der sich weder ausrechnen noch ausmessen läßt, spricht — so kann er weiter nichts thun, als seine Meinung davon sagen,

199 sagen,

wie die Sache ihm vorkommt, und

(wofern er es kann)

warum sie ihm so vorkommt. Diese seine Meinung ist dann das Re­

sultat seiner individuellen Art zu denken, seiner Empfindungen, seiner Er­

fahrungen, Wahrnehmungen, meistens auch (er mag sich deffen nun bewußt sein oder nicht) andrer vorgefaßten Meinungen, Lieblingsideen und unfrei­ williger Neigung und Tendenz der Seele nach einem gewissen Punkt, auf

den sich mehr oder weniger alle seine Vorstellungen beziehen. Alles kommt dann darauf an, wie gut er den Gegenstand kennt — ob er ihn auch nahe und lange genug und oft genug — von mehr als einer Seite — in mehr als einem Licht — erhitzter und flüchtiger,

oder kälter

und gelassener — mit mehr oder weniger Scharfsinn — Behutsamkeit — Ueberlegung — betrachtet hat. Es kann ihm begegnen aus sehr rich­ tigen GrurHsätzen zu viel zu schließen — oder es kann ihm bei dem

größten Scharfsinn, bei den nettesten Begriffen an einem einzigen Dato fehlen,

wodurch seine ganze Gedankenrechnung unrichtig wird — kurz

er kann auf unzählige Art der Wahrheit verfehlen. Genug, er hat seine

Meinung gesagt, und er glaubt Recht zu haben."

Aber nicht nur Meinungen, sondern auch das individuelle Zeugnis von Thatsachen und Ereignissen sind der Kritik vernünftiger Prüfung zu unterwerfen.

Nimm z. B. die Erscheinung, von welcher Paulus auf

dem Wege nach Damascus erzählt.

Für jede äußere Erscheinung,

sofern sie auf dem einzigen Zeugnis des Wahrnehmenden beruht, kann dieser als sicherer Zeuge doch nur von demjenigen gelten, was er wahr­

zunehmen glaubt. Mag daher bei einer objektiv äußeren Erscheinung jemand noch so sehr überzeugt sein gesehen zu haben, er bezeugt doch immer nur, was er gesehen zu haben glaubt, und die noch tägliche Er­

fahrung bezüglich des Einflusses der Einbildungskraft des erregten Men­ schen auf seine Sinne legt auch für die von Paulus verkündete Erschei­

nung des auferstandenen Jesus die Erklärung nahe, daß sie eine innere gewesen,

daß sie als eine geistige Offenbarung Christi an das höhere

Selbstbewußtsein des begeisterten Paulus aufzufassen sei.

Das Octroyren irgend einer Ansicht in diesen Dingen ist aber

unter allen Umständen ein unerträglicher Zwang — der Versuch ihn aufzulegen, führt nur zu würdelosem Konflikt, von dem Du im vorigen Jahr bei unserem Besuch in Berlin ein Beispiel erlebt hast; Oberkirchenrat einem populären,

als der

mit seiner Gemeinde nach Wahrheit

suchenden Prediger den Bescheid gab: „Sie haben sich nicht gebührend vergegenwärtigt, daß die evangelische Kirche nicht bloß eine Gemeinschaft

200 von Wahrheit Suchenden ist, solche giebt eS auch außerhalb derselben

— sondern von Glaubenden.

Die evangelische Kirche, welche keine

bloße Schule ist, weiß sich im Besitz

Wahrheit."

heilsamen

der

Run kann es zwar sein, daß nicht alles wahr ist, was ein Mensch da­ für hält, denn er kann irren; aber in allem was er sagt, sollte er wahrhaft sein; er sollte nicht täuschen! Die Übertretung dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit ist die Lüge.

Eine Lüge

aber,

sie mag innerlich

oder äußerlich sein, ist zweifacher Art: wenn man das für wahr aus­ gibt, deffen man sich doch als unwahr bewußt ist, und wenn man etwas für gewiß ausgibt, wovon man sich doch bewußt ist, innerlich ungewiß

zu sein. Vielleicht ist aber auch der Oberkirchenrat, der im Namen der evangelischen Kirche spricht, nicht zu tadeln, sofern diejenigen, welche

nicht mit ihm übereinstimmen,

als zur Protestsntischeiz Kirche ge­

hörige, sich seiner Autorität entziehen. Schon vor mehr als 40 Jahren hat Baur in Tübingen gesagt:

weiter zu forschen,

„Man wage es nur,

und lasse der protestan­

tischen Kirche ihr unveräußerliches Recht durch kein falsches Jntereffe,

am wenigsten durch die Furcht vor der Wahrheit,

beschränkt

werden,

das Recht der freien Forschung in der Schrift und über die Schrift. Wer

dieses Recht nicht anerkennt, und zwar es praktisch wahr und auftichtig

anerkennt, nicht blos in abstrakter, theoretischer Allgemeinheit, die freilich Niemand zu läugnen wagt,

Borurtheil sich losmacht,

und eben damit auch von dem thörichten

daß das Streben

nach Wahrheit (wofern es

nur redlich gemeint ist, an diese Redlichkeit aber zu glauben, sollte doch nicht

so

schwer sein,

sobald man nur nicht in jeder Bestreitung des

vermeintlich Wahren eine wesentliche Berläugnung des an sich Wahren sehen will) und die Erforschung des Wahren der Kirche zum Schaden

gereichen könne,

und daß man im Interesse der Kirche den Fortschritt

des Geistes (wie müsse,

wenn

dies möglich wäre!)

ist nicht ein Freund

wenigstens

zurückhalten

und Förderer der protestantischen Kirche,

sondern ein Feind und Zerstörer derselben,

und weiß im besten Falle

nicht, was er will." Die Auseinandersetzung des Standpunktes

der

evangelischen

und

protestantischen Kirchen bleibt natürlich Sache ihrer Angehörigen.

Wenn es aber dahin gekommen, daß eine Kirche oder ein hierar­ chisch gelüsteter Theologenstand, mit Hülfe der Staatsgewalt, die unbe­

dingte Herrschaft über die Glaubensüberzeugung oder das Gewissen des

einzelnen

oder

der Gemeinde

sich

anmaßt,

so lehrt

die

Geschichte,

201 daß eine Reaktion vor der Thüre steht; denn jeder geoffenbarte Glaube, der ewige Wahrheit sein will, hat die natürliche Mannig­ faltigkeit der menschlichen Idee in seiner Dogmenentwickelung zu durch­ laufen: die Formen des Bekenntnisses können sich der Auslegung nach­ folgender Generationen nicht'entziehen, und so wird im Lauf der Zeit das Aussehen der ursprünglichen Lehre so sehr und nnmerklich geändert, wie die Züge eines Kindes durch die Entwickelung zum Greisenalter umgestaltet werden. So lange daher eine Kirchengemeinschast in An­ maßung verharrend den Alleinbesitz unwandelbarer sittlicher Wahrheit für sich beansprucht und sich in diesem Besitztum die Aufgabe zuschreibt den Irrtum und die Lüge anderer nicht nur von ihren eigenen An­ gehörigen fern zu halten, sondern auch bei anderen auszurotten, so lange werden oft die zweideutigsten Mittel zur Erreichung dieser Ziele er­ griffen, die freilich ebenso oft das Gegenteil von den» herbeiführen, was sie bezwecken. Dies erinnert an einen Ausspruch Kants: „Geistliche weissagen gelegentlich den gänzlichen Verfall der Religion und die nahe Erscheinung des Antichrists, während dessen sie gerade das thun, was erforderlich ist, ihn einzuführen, indem sie nämlich ihrer Gemeinde nicht sittliche Grundsätze ans Herz zu legen bedacht sind, die gerade aufs Bessere führen, sondern Observanzen und historischen Glau­ ben zur wesentlichen Pflicht machen, die es indirect bewirken sollen, woraus zwar mechanische Einhelligkeit, aber keine in der moralischen Gesinnung erwachsen kann; alsdann aber über Jrreligiösität klagen, welche sie selber gemacht haben, die sie also, auch ohne besondere Wahr­ sagergabe vorher verkündigen konnten." Wenn jemand sich nicht mehr abhängig fühlt von den Gewalten, die er vordem verehrte, so sind keine Beweisführung und kein Raisonnement im Stande ihm dieses Abhängigkeitsgefühl durch Gründe aufzu­ reden oder anzudemonstrieren — „schale Gründe reizen nur zur Sathre, vermögen aber freilich eine ernste Beweiskraft zu erlangen, jedes Mal wenn der Victor sich mit dem Beile neben sie stellt". Jemand, der vor­ gibt in irgend einem Sinne Gott zu schauen und in analoger Weise fest überzeugt zu sein, daß Christus der fleischgewordene Gott, kann unmöglich unvernünftig genannt werden, so lange er diese Behauptung nur auf sich selbst bezieht, ohne sich anzumaßen diejenigen, die einge­ stehen, daß sie nicht sehen, was er zu sehen behauptet, und daß sie seine Überzeugungen nicht teilen, der Unwahrheit zu beschuldigen, sie

202 als moralisch auf niedrigerer Stufe stehend zu verdächtigen und in der öffentlichen nachdenkt,

Wer überhaupt über solche Dinge

Meinung zu schädigen.

der muß hierin auch den gewöhnlichen, bei

allen

anderen

Untersuchungen gültigen Regeln des Denkens folgend, ehrenhaftig, mutig, bescheiden, aufrichtig zu Werke gehen, willig zu lernen und zugleich be­

reit sein sich belehren zu lassen; machen» noch gestatten,

er muß weder sich

daß andere es thun;

selbst etwas vor­

er darf aber auch nicht

erwarten das Ende eines Weges zu erreichen, der in Wirklichkeit ein

endloser ist.

In bezug auf alle andern Gebiete der Untersuchung und

Forschung gilt dies Verfahren als

selbstverständlich; weshalb sollte eS

in Beziehung auf Religion anders sein,

und warum verstimmt es so

viele Mensche», wenn sie zur Einsicht gedrängt werden, daß in der That kein Unterschied besteht?

Die einzige Erklärung ist, weil einmal das

Vorurteil Wurzel gefaßt hat und von der Kirche immer, oft sogar von

der

weltlichen Obrigkeit genährt wird,

es sei für alle Menschen

Gewiffenspflicht, hinsichtlich einer mehr oder minder großen Zahl theo­ logischer Sätze korrekte Ansichten zu haben; dies Vorurteil führt dann

leicht z» dem Wahn,

daß,

sofern kaum irgend jemand im Stande ist,

zwischen dem Wahren und Falschen in diesen Sätzen entgültig zu ent­ scheiden,

irgend ein ungewöhnliches Mittel zur Lösung dieser Fragen

bestehe und bestehen müffe — ein direkter Weg zur Wahrheit! Auch hier hast Du Dich vor Mißverständnissen zu hüten,

welche

durch Trennung der menschlichen Denkthätigkeit in Vernunft und Ver­ stand leicht entstehen. In manchen philosophischen Systemen wird die Vernunft als ein höheres Vermögen sich mit dem Übersinnlichen, Unendlichen und Ewigen zu beschäftigen von dem Verstände unter­

schieden als einer niedern,

untergeordneten Fähigkeit das erfahrungs­

mäßig Gegebene zu beurteilen, die Vernunft also eine höhere Erkennt­ nis genannt.

Es gibt Dir diese Zerlegung in Teile jedoch keine be­

friedigende Erklärung, denn angenommen, daß unsere Vernunft unS in» standsetze höhere Wahrheiten durch

greifen,

ein unmittelbares Gefühl zu er­

so mangelt eS den Aussagen einer solchen Vernunft doch an

allem Werte, so lange als uns nicht zugleich mit ihr ein Werkzeug der Kritik in die Hand gegeben wird, wodurch wir die Aussagen eine- rich­

tig geleiteten und feinen Gefühls

von

den

wertlosen Aussagen

eineS

rohen oder phantastisch verwilderten Gefühls unterscheiden können. Dieses Werkzeug einer Kritik intelleftueller Gefühle,

seien dieselben nun von

ästhetischer, rechtlicher oder religiöser Natur, kann aber nicht wiederum

203 in einem bloßen Fühlen,

sondern muß in einem Denken,

nämlich

in

der Angabe von Gründen, der Billigung oder Verwerfung gewisser Ge­ fühlsweisen nach Principien bestehen, und so erscheint zuletzt der Ver­ stand nicht

als ein Gegensatz zur Vernunft, oder

ihr untergeordnet,

sondern tritt als ein wesentlicher Bestandteil, als das Herzblut derselben

in seine Rechte wieder ein.

„Wo die Weisheit Dir zu Herzen geht, daß Du gerne lernest, so wird Dich guter Rath bewahren und Verstand wird Dich behüten," sagt Salomo.

Mache Dich auch hier zuerst mit dem historischen Zusammenhang

bekannt. Auch von der Religionsgeschichte gilt wie von der allgemeinen Geschichte:

„II en est des lois pour ecrire Fhistoire comme de celles de tous les arts de Fesprit: beaucoup de priceptes et peu de grands artistes.“ Lerne von vorne herein trennen,

was nicht zusammcngehört: die

Religion von der Dogmatik; das Christentum von der Kirche; die Theo­ logen von den Priestern und Bonzen, die mit Opfer und Gebetverrich­

tungen im Wald umherirrend, nur vereinzelte Bäume sehen. Besonders

förderlich wird Dir hierbei fein:

Sir George Lewis, „An essay on the influence of authority in mattere of opinion,“ 2d ed. 1875, und nützlich die beiden Abhandlungen darüber,

welche im April und

Mai v. I. im XIX Century erschienen:

W. E. Gladstone, „The influence of authority in mattere of opinion“. Sir James F. Stephen, „Mr. Gladetone and Sir George Lewie on authority in mattere of opinion“. Allgemeines von Interesse findest Du in:

Max Müller, „Lecturee on the Science of Religion,“ 1870. „In these our daye,“ sagt er, „it ie almost impossible to epeak of religion without giving offence either on the right or on the lest. With eome, religion eeeme too sacred a Subject for scientific treatment; with others it Stands on a level with alchemy and astrology, as a mere tissue of errors or hallucinations far beneath the notice of the man of Science. In a certain sense I accept both these views, Religion is a sacred Subject and whether in its most perfect or in its most imperfect

204

form, it haß a right to our highest reverence. In this respect we might Ivarn something from those, whom we are so ready to teach. I quote from the Declaration of Principles by which the church founded by Leshub Chunder Sen professes to be guided. After atating, that no created object shall ever be worshipped, nor any man or inferior being or material object be treated as identical with God or like unto God, or as an incarnation of God, and that no prayer or hymn shall be said unto or in the name of any one except God, the Declaration continues: „No created being or object, that has been or may hereafter be worshipped by any sect shall be ridiculed or contemned in the course of the divine Service to be conducted here. „No book shall be acknowledged or received as the infallible Word of God: yet no book which has been or may hereafter be acknowledged by any sect to be infallible, shall be ridiculed or contemned. „No sect shall be vilified, ridiculed or hated.“ No one, — this I can promise — who attehds these lectures, be he Christian or Jew, Hindu orMahometan, shall hear bis ownway of serving God spoken of irreverently. But true reverence does not consist in declaring a Subject, because it is dear to us, to be unfit for free and honest inquiry: far from it! True reverence is shown in treating every Subject, however sacred, however dear to us, with perfect confidence; without fear and without favour; with tenderness and love, by all means, but, before all, with an unflinching and uncompromising loyalty to truth. On the other hand I fully admit that religion has stood in former ages and Stands also in our own age, if we look abroad, and if we look into some of the highest and some of the lowest places at hörne, on a level with alchemy and astrology. There exist superstitions, little short of fetichism; and what is worse, there exists hypocrisy, as bad as that of the Roman augurs. In practical life it would be wrong to assume a neutral position between such conflicting views. Where we see that the reverence due to religion is violated, we are bound to protest; where we see that Superstition saps the roots of faith, and hypocrisy poisons the springe of morality, we must take sides. But as students of the Science of Religion we move in a higher and more serene atmosphere. We study error, as the physiologist studies a disease, look-

205

ing for its causes, tracing its influence, speculating on possible remedies, but leaving the application of such remedies to a different dass of men, to the surgeon and the practical physician. The Student of the history of the physical Sciences is not angry with the alchemist, nor does he argue with the astrologist: he rather tries to enter into their views of things, and to discover in the errors of alchemy the seeds of chemistry and in the hallucinations of astronomy a yeaming and groping after a true knowledge of the heavenly hodies. It is the same with the student of the Science of Religion. He wants to find out what Religion is. what foundation it has in the soul of man, and what laws it follows in its historical growth. For that purpose the study of errors is to him more instructive thau the study of truth, and the smiling augur as interesting a Subject as the Roman applicant, who veiled his face in prayer, that he might be alone with his God.u Gott — ist ein großes Wort und gibt wie viele andere abstrakte Worte, Veranlassung zu manchem Hader unter den Menschen. „Un mot abstrait,u sagt de Tocqueville, est comme une boite ä double sond: on y met les idees que Von dSsire, et on les en retire sana que personne le voie.u Über das allgemeine des Gottesbewußtseins: Max Müller (Hibbert Lectures): on Indian Religion, 1878, an welche sich in diesem Jahre: Lectures on the Religion of Egypt von Le Page Renouf, anschließen werden. „I doubt whether the question, whether the human race began with monotheism or polytheism, would ever have arisen, unless it had been handed down to us as a legacy of another theory, very prevalent during the middle ages, that religion began with a primeval revelation, which primeval revelation could not be conceived at all, except as a revelation of a true and perfect religion, and therefore as monotheism. That primeval monotheism was supposed to have been preserved by the Jews only, while all other nations lest it and feil into polytheism and idolatry, from which at a later time they worked their way back again into the purer light of a religions or philosophical monotheism. It is curious to see how long it takes before any of these purely gratuitous theories are entirely annihilated. They may have been refuted again and again, the best theologians and

206 scholars may long have admitted that they have rest on no solid foundation whatsoever, yet they crop up in places where we should least expect them, in books of reference, and what is still worse, in populär school-books, and thue the tares are sown broadcast, and spring up everywhere, till they almost choke the wheat. Atheism is not the last word of Indian religion, though it seemed to be so for a time in some of1 the phases of Buddhism. The word itself, atheism, is perhaps out of place, as applied to the religion of India. The ancient Hindus bad neither the god of the Homerio Singers, nor the god of the Eleatic philosophers. Their atheism such as it was, would more correctly be called Adevism, or a denial of the old Devas .... There was a new Conception working in their mind; and the cries of despair were but the harbingers of a new birth. So it bas been, and so it always will be. There is an atheism, which is the very lifeblood of all true faith. It is the power of giving up what, in our best, our most honest moments, we know to be no longer true; it is the readiness to replace the lese perfect, however dear, however sacred it may have been to us, by the more perfect, however much it may be detested, as yet, by the world. It is the true selfsurrender, the true selfsacrifice, the truest trust in truth, the truest faith. Without that atheism religion would long ago have become a petrified hypocrisy; without that atheism no new religion, no reform, no reformation, no resuscitation would ever have been possible; without that atheism no new life is possible for any one of us. Let us look at the history of religion. How many men in all countries and all ages have been called atheists, not because they denied that there existed anything beyond the visible and the finite, or because they declared that the world, such as it was, could he explained without a cause, without a purpose, without a God, but osten because they differed only from the traditional Conception of the Deity, prevalent at the tifne and were yearning after a higher and purer Conception of God, thau what they had learnt in their childhood. In the eyes of the Brahmans, Buddha was an atheist. Now some of the Buddhist schools of philosophy were certainly atheistical, but whether Gautama Sakyamuni, the Buddha, was himself an atheist

207 is at least doubtful, and bis dental of the populär Devas would certainly not make bim so. In the eyes of bis Athenian judges, Socrates was an atheist; yet he did not even deny the Gods of Greece, but simply claimed the right to believe in something higher and more truly divine than Hephaistos and Aphrodite. In the eyes of Jews, whoever called himself the son of God was a blasphemer and whoever worshipped the God of bis fathers after „that new way“ was a heretic. The very name for the Christians among the Greeks and Romans was atheists. Nor did the same abuse of language ceaöe altogether among the Christians themselves. In the eyes of Athanasius the Arians were: „devils, antichrists, maniaes, Jews, atheists,“ and we need not wonder if Artus did not take a much more charitable view of the Athanasians. Yet both Athanasius and Artus were only striving to realize the highest ideal of Hetty, each in bis own way, Artus fearing that Gentile, Athanasius that Jewish errors might detract from its truth and majesty. Nay, even in later times, the same thoughtlessness of expression has continued in theological warfare. In the sixteenth Century, 8ervetus called Calvin a trinitarian and an atheist, while Calvin considered Servetus worthy of the stake (1553) because bis view of the Deity differed from bis own. In the next Century, to quote only one case, which has lately been more carefully examined, Vanini was condemned to have bis .tongue torn out, and to be burnt alive (1619) because, as bis own judge declared, though many considered htm an herisiarch only, he condemned htm as an atheist. As some recent writers, who ought to have known better, have joined in Grammont’s condemnation, it is but right, that we should hear, what the atheist said of God. „You ask me what God is“, he writes. „If I knew it, I should be God, for no one knows God except God himself. Though we may in a certain way discover Him in His works, like the sun through the clouds; yet we should not comprehend Him better by that means. Let us say, however, that He is the greatest good, the first Being, the whole, just, compassionate, blessed, calm; the Creator, preserver, moderator, omniscient, omnipotent; the father, king, lord, rewarder, ruler; the beginning, the end, the middle, eternal; the author, life-

208

giver, observer, the artificer, providence, the benefactor. He alone ie all in all.“ The man who wrote this was burnt as an atheist. Such was in fact the confusion of ideas during the seventeenth Century with regard to the true meaning of atheism, that so late as 1696 the Parliament of Edinburgh passed an Act „against the atheistical opinions of the Heists“ and that men, such as Spinoza and archbishop Tillotson, though they could no longer be burnt were both branded indiscriminately as atheists. Nor has even the eighteenth Century been quite free from similar blote. Many men were called atheists even then, not because they dreamt of denying the existence of God, but because they wished to purify the idea of Godhead from what seemed to them human exaggeration and human error. In our own time we have learnt too well what atheism does mean, to use the word thue lightly and thoughtlessly. Yet it is well, that whoever dares to be honest towards himself and towards others, be he layman or clergyman, should always remember what men they are who, before him, have been called blasphemers, heretics or atheists. There are moments in our life, when those, who seek most earnestly after God think, they are forsaken of God; when they hardly venture to ask themselvee, do I then believe in God or do I not? Let them not despair, and let us not judge harshly of them; their despair may be better than many creeds. Let me quote in conclusion, the words of a great divine, lately deceased, whose honesty and piety have never been questioned: „God, he says, is a great word. He who feels and understands that, will judge more mildly and more justly of those who confess that they dare not say, that they believe in God.“ Now I know perfectly well, that what I have said just now, will be misunderstood, will possibly be misinterpreted. I know I shall be accused of having defended and glorified atheism, and of having represented it as the last and highest point, which man can reach in an evolution of religious thought. Let it be so! If there are but a few who understand what I mean by honest atheism, and who know how it differs from vulgär atheism, ay, from dishonest theism, I shall feel satisfied, for I know, that to understand that distinction will osten help us in the hour of our sorest need. It

209

will teach ns that, while the old leaves, the leaves of a bright and happy spring are Lalling, and all seems wintry, frozen and dead within and aronnd ns, there is and there must he a new spring in störe for every warm and honest heart. It will teach ns, that honest doubt is the deepest spring of honest faith; and that he only, who has lost can find.“ Einen historischen Überblick über die Geschichte der einzelnen Re­ ligionen gibt Dir: Joh. Scherr, „Geschichte der Religion", 1855. „Heranswachsend aus den gestaltlosen Träumereien urzuständlicher Vorstellungsweise, liebt es die Religion mit buntesten Mythen zu spielen, wie das Kind mit farbenschimmernden Seifenblasen. Dann, gepflegt von einem eigenen Stande, dem der Priester, als der Offenbarung Ver­ mittler, nährt sie sich, beseelteren Daseins, mit den Eingebungen philo­ sophischer Speculation und versammelt um sich als edelste Dienerinnen die Künste. Die Poesie leiht ihr ihre Sprache, die Malerei ihre Farben, die Architektur ihr Richtmaaß, die Sculptur ihren Meißel, die Musik ihre Klänge. Wo jedoch die äußere Gestaltung der Religion den höchsten Grad ihres Glanzes erreicht hat, da tritt sofort ein Sinken des Inhalts ein. Die Formen vergehen; wechseln, wandeln sich: was aber bleibt, das ist der auf die Zukunft gerichtete Gedanke des Men­ schen und damit auch die religiöse Idee." Bon großem Interesse ist das jetzt erscheinende Werk:

„The Sacred Books of the East.“ Translated by various oriental scolars, and edited by F. Max Müller. Oxford. Ein Werk in 24 Bänden (wovon erst 3 gedruckt), ausgewählt aus den Buchreligionen des Orients deren Stifter: Buddha, im 6. Jahr­ hundert v. Chr., der Luther des Brahmanismus; Zoroaster, vor dem 5. Jahrhundert v. Chr.; Confucius, 551—479; Läo-tze, 565—? v. Chr., und Mohamed, 571—632 n. Chr.

The bookreligions form three groups, corresponding to the race of the early worshippers. The first is the Aryan. It includes the religion of the Brahmans, professed by the mass of the people of India; the religion of Zoroaster, a brauch of the Vedic, preserved by the Parsees, the remnant of the ancient Persian race settled at Bombay; and the religion of Buddha, the protestantism of India, a schism from the later Vedic. In the third Century B.C., Buddhism became, under king Asoka, the Indian Constantin, the state-religion. 14

210

Some centuries later it was rejected by the Hindoos, and now there is scarcely a Buddhist in India; while it has become the chief religion of China, Tibet, Siam, and Ceylon, and its members cannot comprise lese than one-third of the human race. The second group is formed by the three Semitic religions — Mosaism, with its two off-shoots Christianity and Islam; all three claim a spiritual descent from „our forefather Abraham“. The third group contains the two Chinese religions of Confucius and Läo-tze. All bookreligions, with the exception of Brahmanism, had a founder with a distinct personality. Zoroaster, Buddha, Lao-tze, Confucius, and Mohamed led noble lives and lest their words a rieh legacy to mankind. None of them professed to found a new religion, they all claimed to restore an original faith. Zoroaster spoke of the prophets who were before him: „Such sayings of ancient times hast thou revealed, 0 Ahura“ ! Buddha only claimed to be a link in the chain of wise men; Confucius said that he was „a transmitter, not a maker, believing in and loving the ancients“; Läo-tze desired to revive the faith of the earliest and purest age; Moses was „educated in all the wisdoin of the Egyptians“; Mohamed said „Follow the religion of Abraham; he was neither Jew nor Christian, but righteous, pious, and no idolater“; Jesus assures us that he came „not to destroy but to fulfil“. „There arise from time to time, says Mr. Lecky, men, who bear to the moral condition of their age much the same relations as men of genius bear to its intellectual condition. They anticipate the moral Standard of a later age.“ Näher auf das Christentum und die Gegenwart eingehend sagt: O. Pfleiderer, Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage,

1878. „Wenn diese Religionsphilosophie zeigt, theils wie dieselbe Religion

sich ihre äußere Ausdrucksformen nach Völkern und Zeiten gar ver­ schieden gestaltet, theils wieder, wie verschiedene Religionen ihr inneres Leben in ganz analogen Borstellungsformen mit ganz gleicher innerer

Gesetzmäßigkeit sich vergegenständlichen: so sollte dies, meine ich,

die

Einen zu der Einsicht bringen, daß in diesen Formen das eigentliche Leben der Religion selbst nicht besteht, und daß es also auch an ihren

unabänderlichen Bestand immer mehr gebunden sein kann; die Anderen aber daran mahnen,

daß diese Formen doch auch nirgends willkürlich

211 sie vielmehr als organische Gebilde,

daß

und zufällig entstanden sind,

des eigenartigen, religiösen

als natürliche Ausprägungen und Organe Geistes

deren

einer Gemeinschaft religiöses Leben

immer

auch

behalten und

eine gewisse

als

gemeinsame

Bedeutung für

Symbole

des

Heiligen die Achtung und Schonung auch solcher Individuen und Zeiten verdienen, die nicht mehr so unmittelbar wie die Vorzeit diese Symbol­ sprache verstehen,

sondern sich dieselbe erst in die natürliche Mutter­

sprache der Gegenwart übertragen müssen.

Religionsformen

schichtlichen

Sind auch freilich alle ge­

die Hüllen

der Religion selber,

so ist

ja doch hinwiederum unter allen diesen Hüllen wirklich Religion zu finden." Und weiter heißt es dann: „Wir werden in Naturreligionen und geschichtlichen Religionen die

beiden bestimmt unterschiedenen Hauptstufen der religiösen Geschichte

zu erkennen haben. Innerhalb der ersteren läßt sich wieder ein freilich nur sehr fließender Unterschied zwischen der rohen und ethisirten

Entwickelungsstufe der Naturreligion bemerken. Innerhalb der geschicht­ lichen Religionen unterscheiden sich Standpunkte,

wieder

als principiell verschiedene

die übrigens in der wirklichen Geschichte der Religionen

mannigfach in einander übergreifen, die Gesetzes- und die Erlösungs­

religion. Zu der ersteren gehören die Religionen des Moses, Zarathu­ stra, Confutse, Muhamed; zur letzten: der Buddhismus und das Christen­

thum.

Die Gesetzreligion

Menschheit

faßt

vorwiegend unter

das Verhältniß Gottes zur Welt und

dem Gesichtspunkt des Gegensatzes auf:

Gott ist ihr die erhabene, jenseitige Herrschermacht, Wille

dem Menschen

durch positive Offenbarung

deren unbedingter kund

gethan wird;

der Mensch unterwirft sich den göttlichen Geboten als einer gegebenen positiven Autorität,

Gehorsam

zu

welche ihm zu gebieten das Recht, und

zwingen die Macht

hat;

ihn zum

aber er weiß den göttlichen

Willen noch nicht als das an und für sich Gute und Vernünftige, als das allgemeine Wesen des Geistes, des göttlichen und des menschlichen zumal, und er weiß sich selbst noch nicht als den gottentstammten und

gottverwandten Geist und findet noch nicht in der Erfassung und Ver­ wirklichung seines göttlichen Grundes und Wesens (in der Gemeinschaft mit Gott) seine eigene höchste Freiheit und Seligkeit, seine wahre Geistes­

würde und Autonomie. Der göttliche Wille bleibt also auf diesem Standpuntt noch blos

ein äußerliches,

positives Gesetz,

eine Schranke

der

menschlichen Freiheit, seine Erfüllung oder Nichterfüllung besteht vor-

212 Wiegend im äußern Thun und Sassen und hat wesentlich äußere Güter oder Uebel als Lohn und Strafe zur Fokge.

Es

erstreckt sich

aber

dieses positive Gesetz auf die ganze äußere Lebensordnung des betreffen­

den Volks: politische Berfaffung und polizeiliche Vorschriften, Straftecht und Privatrecht, religiöses Ritual und Organisation des Priesterthums

— dies Alles gilt hier ganz ebenso gut,

wie die allgemein sittlichen

Pflichtgebote als unmittelbare göttliche durch posittve Offenbarung sanc-

tionirtc Ordnung: Gott selbst ist hier der eigentliche oberste Regent des

ihm speciell zugehörigen Staates — der „Theokratie" —, der irdische

Fürst nur sein Stellvertreter und Lehnsträger.

Natürlich daher auch,

daß diese Gesetzreligionen noch wesentlich „Bolksreligionen" sind, daß sie die nationalen Schranken noch nicht principiell aufheben,

son­

dern höchstens im Einzelnen durchbrechen, indem sie den Eintritt Frem­ der in die eigene Bolksgemeinde zulassen, oder auch in so fern erweitern, als sie die Unterwerfung ganzer Völker unter ihren nattonalen Gottes­

staat erwarten.

Der Trieb nach religiöser Propaganda und der nach

politischen Eroberungen geht hier noch ganz unmittelbar zusammen; da­ durch unterscheiden sich diese geschichtlichen Gesetzes- und Bolksreligionen

ebenso sehr- von den Naturreligionen,

welchen der Trieb der Propa-

gande gänzlich fern liegt, wie von den geschichtlichen Erlösungsreligionen, welchen zwar dieser Trieb ebenfalls wesentlich eigen ist, aber ganz ge­ schieden von politischen Eroberungstendenzen.

Auch

der Islam,

der

den Traum Israels, die Unterwerfung der Völker unter die Theokratie des Gottes Abrahams unternahm,

mit dem Schwert in der Hand zu

ist ebendarum,

weil er nur erobernd

realisiren

bekehren wußte,

weit davon entfernt, Welt- oder Menschheitsreligion in demselben Sinn

zu sein, wie der Buddhismus und das Christenthum es sind.

Nur die

Erlösungsreligionen sind auch universelle „Menschheitsreligionen"; das ist gewiß kein Zufall, sondern liegt tief im Wesen dieser Religionsstufe

begründet.

„Indem die Erlösungsreligion von Allem Aeußern und Zufälligen

auf den innersten Sinn,

das Herz des Menschen zurückgeht, und hier

in seinem eigensten Dichten und Trachten die Quelle des Unheils und des Heils, der Knechtschaft und der Freiheit findet;

indem sie in der

Loslösung der Seele von allen Fesseln der Endlichkeit im Verlieren des

natürlichen Lebens das wahre Leben des zu fich gekommenen und seiner selbst gewiß gewordenen Geistes,

brechen sieht:

das Leben im Ewigen,

in Gott an­

so hebt sie damit von selbst auch schon die religiöse Be-

213 deutung der natürlichen Unterschiede auf, welche in der Zufälligkeit der Geburt begründet sind, die Unterschiede also der Nationalität, des Stan­ des oder Kaste, des Geschlechts."

„Mein Gesetz ist ein Gesetz für Alle," sagte (600 v. Chr.) Buddha; Jesus ruft zu sich „Alle, die mühselig und beladen sind"; und Paulus sagt den Christen: ,.JHr seid allzumal Gottes'Kinder durch den Glau­ ben; hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht noch Freier, nicht

Mann noch Weib, denn Ihr seid allzumal Einer in Christo". „In der Überzeugung, daß alles, was Mensch heißt, der Erlösung vonl natürlichen Unheil ebenso sehr bedürftig wie fähig, — welche Über­

zeugung das gemeinsame Grunddogma beider Erlösungsreligionen bildet — liegt der Grund für die Möglichkeit nicht blos, für die

sondern geradezu

moralische Nothwendigkeit einer universellen Tendenz dieser

Religionen; dieser Universalismus und Humanismus ist eine so wesent­

liche Konsequenz des Princips der Geistes- oder Erlösungsreligion, daß man darin geradezu ein Kriterium und einen Gradmesser für die reine Auffassung und Verwirklichung der letzteren finden kann; wie denn nichts so deutlich das mangelhafte Verständnis der palästinensischen Urgemeinde

für das eigenthümliche Wesen des Christenthums beweist, als eben ihr

Zurückweisen des paulinischen Universalismus. „Doch nicht blos die Tendenz unbeschräntter Ausbreitung, sondern auch die Art ihrer Verbreitung ist durch das Princip der Erlösungs­

religion wesentlich bestimmt. Während für die Gesetzesreligionen, welche aus positiven Gottesgeboten eine äußere Lebensordnung der Volksge­ meinde ausrichten wollen, das Mittel der gewaltthättgen Unterwerfung der Völker und Einzelnen gar nichts Widersprechendes hat, so entspricht

dagegen dem Wesen der Erlösungsreligion offenbar nur Vas geistige Mittel der Verbreitung durch überzeugende Belehrung und anregendes

Vorbild. Denn da hier Alles auf das Herz ankömmt, da in der Sinnes­

wendung vom Zeitlichen weg auf das Ewige hin, in diesem freien, von keiner äußern Gewalt zu erzwingendem Gemüthsact jedes Einzelnen, das

entscheidende Moment der Erlösungsreligion liegt,

aus welchem dann

alles Aeußere als natürliche Folge von selbst hervorgeht: so kann diese

Religion nicht, ohne ihrem eigensten Wesen zu widersprechen, sich den Menschen durch äußere Gewalt aufdrängen wollen; Alles, was sie auf

diesem Wege erreichen könnte, bliebe ja doch immer nur ein Aeußerliches, wie das Bekennen von Lehrformeln oder das Begehen von Cultusbräuchen, worin eben ihr Wesen nicht liegt. Das, was ihr

214 Wesen ausmacht, die Erlösung der Herzen von Sünde und Furcht durch Abwendung von der Eitelkeit des Endlichen — das kann ja nur da­

durch in den Menschen hervorgebracht werden, daß in ihnen das Gefühl

von der Unseligkeit des natürlichen Lebens angeregt und der Weg zum Heil ihnen gezeigt, das höhere Leben im Ewigen ihnen als das wahre Gut

des Geistes vorbildlich dargestellt und sie dadurch zur Nachbildung des­ selben in sich selber gereizt und angetrieben werden. Diese Verkündigung

der Heilsbotschaft und Darstellung des Heilslebens ist denn auch that­

sächlich beim Buddhismus

wie

beim Christenthum

Mittel ihrer Verbreitung gewesen. seiner Geschichte allerdings nicht

von

Anfang

das

Daß das Christenthum im Verlauf immer bei diesem geistigen Mittel es

hat bewenden lassen, sondern auch die Gewalt zum Behuf der Verbrei­

tung wie der Erhaltung des Glaubens öfters nicht verschmäht hat, dies ist kein Beweis gegen das eben Ausgeführte, sondern erklärt sich einfach

daher, daß eben die Christenheit vom wahren Wesen des Christenthums

oft nur ein und noch hat,

sehr mangelhaftes und getrübtes Verständniß gehabt hat

daß insbesondere der Geist der theokratischen Gesetzes­

religion, aus welcher es hervorgegangen ist, immer wieder verunreinigend

nachwirkte und zeitweise sogar beherrschend und überwiegend durchschlägt. Steht hierin das Christenthum hinter dem Buddhismus im Nachtheil, der sich nie durch Gebrauch der Gewalt,

nicht einmal im Stand der

Vertheidigung und Nothwehr befleckt hat, so hat es dagegen vor jenem

den großen Vorzug der positiven Thatkraft und teleologischen Triebkraft voraus, was das glückliche Erbe aus seiner hebräischen Heimath ist."

In ihren Grundzügen stimmen alle Religionen überein;

entwickelt

sich

das Gefühl der Abhängigkeit

in allen

stufenweise zur bewußten

Hingabe an ein Höheres — zur Selbstaufopferung. „Es ist höchst merk­

würdig,

sagt Goethe,

ziehung beginnen.

mit welchen Lehren die Mohamedaner ihre Er­

Als Grundlage in der Religion befestigen sie ihre

Jugend zunächst in der Ueberzeugung, daß dem Menschen nichts begegnen

könne, als was ihm von einer Alles leitenden Gottheit längst bestimmt worden, und somit sind sie denn für ihr ganzes Leben ausgerüstet und beruhigt und bedürfen kaum eines Weiteren. „Ich will nicht untersuchen, Falsches,

was an dieser Lehre Wahres

Nützliches oder Schädliches sein mag;

von diesem Glauben doch gelehrt worden.

oder

aber im Grunde liegt

etwas in uns Allen, auch ohne daß es uns

Die Lehre des christlichen Glaubens:

kein Sperling

fällt vom Dach ohne den Willen Eures Vaters, ist aus derselbigen Quelle

215 hervorgegangen,

und deutet auf eine Vorsehung,

die das Kleinste im

Auge hält und ohne deren Willen und Zulassen nichts geschehen kann. „Sodann ihren Unterricht in der Philosophie beginnen die Moha-

medaner mit der Lehre: daß nichts existire, wovon sich nicht das Gegen­ theil sagen lasse; und so üben sie den Geist der Jugend, indem sie ihre Aufgaben darin bestehen lassen, von jeder aufgestellten Behauptung die

entgegengesetzte Meinung zu finden und auszusprechen, woraus eine große Gewandtheit im Denken und Reden hervorgehen muß. „Nun aber nachdem von jedem aufgestellten Satze das Gegentheil

behauptet worden, entsteht der Zweifel, welches denn von Beiden das eigentlich Wahre sei.

Im Zweifel ist aber kein Verharren, sondern er

treibt den Geist zu näherer Untersuchung und Prüfung, woraus denn,

wenn diese auf eine vollkommene Weise geschieht, die Gewißheit her­ vorgeht, welche das Ziel ist, worin der Mensch seine völlige Beruhigung findet.

Mit allen unseren Systemen sind wir nicht weiter und kann

überhaupt Niemand weiter gelangen."

London, 15. Mai 1879. Gewöhne Dich den verständigen Glauben von dem gläubigen Un­

verstände zu unterscheiden.

Steht aber doch immer schief darum; Denn Du hast kein Christenthum!

Bor mehr als achtzehnhundert Jahren hieß es seitens der Juden­

christen dem Paulus gegenüber: Steht schief nun Deine Lehre von der „Gerechtigkeit vor Gott,-

denn Du bist ein Abtrünniger vom Gesetz!

Nur konnte damals jeder wissen, was „Gesetz", wenigstens das geschrie­ bene, war — wer sagt aber heute,

ohne Widerspruch, was „Christen­

tum" ist? Christentum! Auch ein großes Wort: une boite ä double fond! „Die Kirche lehrt, was Christentum ist und jeden Zweifel löset Gottes Statthalter auf Erden," sagt der Katholik und weiset Dich nach Rom.

Tie Behauptung,

daß die römisch-katholische Ansicht auf keinem

festen Grunde beruhe,

widerlegt Monsignore T. J. Capel wie

folgt:

„It is clear that many persons do not realize the basis on which the Catholic rests his belief. To doubt wilfully any one article of faith, or to enter on the examination of any dogma with the In­ tention of suspending belief until the conclusion of such examination, would be for a Catholic a deadly sin. This will be evident if it be borne in mind that the Catholic believes the whole deposit of revelation to have been committed to the care of an organised body possessed of a divine life. He believes this living body, the Church of Christ, to be the sole Guardian, the unerring Teacher, the indefectible Witness of the Faith, and the ultimate Judge in all controversies concerning it. The Catholic believes in revelation, because God is very Truth, and cannot deceive nor be deceived; and he ac-

217 ceptß this revelation on the authority and testimony of the divine, and therefore infallible, voice of the Church. Mysteries beyond the hey of human understanding, as well as facts and doctrines which might be known by the light of mere reason, thue rest on the same Basis of certitude. In Order to be admitted into the Church the adult has to make an act of faith in this fundamental truth of her existence and authority; and once in the Church the mind, strengthened by Divine grace, forms the habit of believing in the truths of Christianity. Just as the logician examines the nature and value of the syllogism, and then without further proof uses this instrument, so the adult first examines the credentials and Claims of the Church and having admitted her Divine life, her Divine authority, and her Divine testimony, afterwards accepts her word habitually and without questioning. The Catholic faith is that a General Council cannot be convoked without the authority of the Pope, nor can its decrees and canons become the dogmas and laws of the Church until they have been approved and confirmed by the Sovereign Pontiff.11 Historische Beleuchtung dieser Frage giebt Dir: I. Friedrich, Zur ältesten Geschichte des Primates in der Kirche,

1879. „Der Schwerpunkt des christlichen Glaubens ist die Dreieinigkeits­ lehre;

die Trinität ist der Eckstein,

mit dem das Christenthum steht

und fällt: ein erhabenes Mysterium!"

so behaupten Lutheraner und

viele andere. Mein Rat für Dich: Frage wie verhält es sich mit diesem Myste­

rium? und prüfe die Antwort, welche Dir die Geschichte giebt. Die ältesten Nazarener wußten so wie die Juden nur von einem

einigen, nicht von einem dreieinigen Gott, sahen in Jesus Christus den

vom Geiste Gottes gesalbten, aber wesentlich menschlichen Messias, im heiligen Geist keine göttliche Person, sondern die Offenbarung göttlicher

und das ganze Judenchristentum, in welchem die ursprüngliche Gestalt des Christentums

Kraft und Lebensfülle in der Menschheit,

sich darstellt, hielt an der göttlichen „Monarchie" und der wesentlichen Menschheit Christi fest. Auch Paulus, der große Heidenapostel, kennt die Trinitätslehre

nicht;

nach Paulus ist Christus das himmlische, zu unserer Erlösung

ins Fleisch gekommene Urbild der Menschheit, dessen Wesen der von

218 Gott ausgehende Geist ist, der bei der Bekehrung auch den Gläubigen

eingepflanzt wird, die dadurch

ebenfalls zu Söhnen Gottes und des

ewigen göttlichen Lebens teilhaftig werden — ein Gedanke, der sich in der im 2. Jahrhundert zu Rom verbreiteten Lehre wiederfindet, daß

der Geist Gottes in Jesus mit einer menschlichen Persönlichkeit sich verbunden und letztere zu gleicher Herrlichkeit mit sich erhoben habe.

In Verbindung mit der jüdischen Engellehre gestaltete sich bei judenchristlichen Parteien diese Vorstellung auch dahin, daß Christtls

der Oberste der Erzengel, der heilige Geist seine Mutter, nach andern

seine Schwester sei, während die gnostischen Phantasien von einer inner­ göttlichen Geisterwelt, Christum zu einem aus dem Geisterreich herab-

gesttegenen „Aeon" machten,

der entweder mit dem Menschen Jesus

sich verbunden, oder nur eine scheinbare Menschheit angenommen habe. Seit dem ersten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts brach sich daneben

die

der

jüdisch-alexandrinischen,

durch Philo

angeregten Spekulation

entnommene Lehre vom göttlichen „Logos" Bahn, welche namentlich in griechisch gebildeten Kreisen eine Vermittlung des Christentums mit der

Zeitphilosophie anstrebte, denn der „Logos", welcher nach platonischer

Ansicht die von der Welt getrennte, sich aber in ihr offenbarende gött­ liche Vernunft,

wurde nach dem Vorgänge Philo’s immer bestimmter

als ein zum Zwecke der Weltschöpfung aus Gott hervorgetretenes per­

sönliches Mittelwesen gefaßt, welches als eine Art Untergott die Welt

gestalte und regiere.

Indem man nun diesen Logos in Christo Fleisch

geworden sein ließ, glaubte man das Christentum als die vollkommene

göttliche Offenbarung philosophisch zu rechtfertigen und gleichzeitig dem

Drange der gann,

frommen Vorstellung nachzugeben, welche schon früh be­

die Person Christi immer mehr in übermenschliche Regionen

hinaufzurücken und

aus

einem Menschensohn einen Gottmenschen zu

machen.

Diese Lehre,, welche seit Mitte des 2. Jahrhunderts bei den grie­ vierten Evangelium austritt,

chisch gebildeten Kirchenlehrern und im

suchte den Monotheismus bald durch strenge Subordination des Logos

unter den Vater,

bald dadurch zu retten,

daß Gott ganz abstrakt als

das über jede Bestimmung hinausliegende Sein gefaßt, alle Fülle aber

des göttlichen Lebens im göttlichen Logos konzentriert wurde. Während die ältere judenchristliche Form des Monarchianismus gegen

Ende des 2. Jahrhunderts immer mehr zurückgedrängt wurde, bestritt die offizielle Theologie der römischen Kirche bis in die ersten Jahr-

219

zehnte des 3. Jahrhunderts die Logoslehre als Zweigötterei und wahrte die Einheit Gottes

durch die Ansicht,

daß ein und dasselbe göttliche

Wesen nach seinem ewigen Sein, Vater, nach seiner Erscheinung im Fleisch Sohn genannt werde. Inzwischen wurde die in Kleinasien und Alex­ andrien allgemein angenommene Logoslehre

auch im Abendlande ver­

breitet, der Art, daß der Sohn zum Zwecke der Weltschöpfung als be­ sonderes Subjekt aus dem Vater hervorgegangen wäre, und zwar als die persönlich gewordene, innergöttliche Vernunft, um später durch An­

nahme einer menschlichen Natur die Erlösung zu vollbringen und als Vermittler die Menschheit mit Gott zu versöhnen. Bei der schon da­

mals

unter

den

schiedenheit erhielt

hohen Autoritäten bestehenden großen Meinungsver­

sich aber ein fortgebildeter Monarchianismus,

der

im Logos ebenso wie im heiligen Geist nicht besondere göttliche Sub­

jekte, sondern nur verschiedene Erscheinungsformen des göttlichen Wesens

sah, in mehr oder minder vorsichtigen Ausdrücken noch bis ins 4. Jahr­ hundert hinein. Origines hatte die ältere Logoslehre dahin weitergebildet, „den göttlichen Logos"

daß er

oder den „Sohn" als besondere Persönlichkeit

oder „Hypostase" ewig vom Vater erzeugt

Feld für Kommentatoren! Im Lauf des 3. Jahrhunderts

werden ließ — ein reiches

gewann diese Meinung die Ober­

hand und nur darüber war Streit, ob der Sohn in demselben Sinne

Gott heißen könne, wie der Vater,*ob er also diesem wesensgleich und aus dem Wesen des Vaters geboren sei oder nicht.

Für erstere An­

sicht, also für die Wesensgleichheit, welche Athanasius, Bischof von Alexandrien, gegen den Presbyter Arius verteidigte, entschied 325 die Synode von Nicaea, nicht nach Gründen, sondern auf Kommando

Constantin’s, der damals noch nicht Christ, dem aber als Kaiser darum zu thun war, in seinem Reiche Religionsspaltung und Kirchenstreit zu vermeiden. Ihn leitete derselbe Gedanke, welchem England und Ruß­

land die Staatskirchen, Preußen während einer Reihe von Herrschern die Bestrebungen verdankten, die protestantischen Setten zu einer unierten Landeskirchezu vereinigen; derselbe nicht religiöse, sondern politische Gedanke,

der das römische Papsttum, den Besitz der weltlichen Macht als Notwen­ digkeit für den Triumph der christlichen Religion festhalten läßt;

selbe Gedanke,

der­

der die Vertreibung Karlstadt's aus Sachsen verfügte,

damit Luther's Ansicht allein herrsche.

Es dauerte aber über ein halbes Jahrhundert, ehe das nicänische

220 Bekenntnis von der Wesensgleichheit des Vaters

und des Sohnes sich

Bahn brach, und die entgegengesetzte, allmählich zu der Konsequenz fort­

gebildete Ansicht, höchstens

im

daß

der Sohn nur die erst geschaffene Kreatur und

ureigentlichen Sinne „Gott" sei, weil die Ungezeugtheit,

als wesentliches Merkmal der Gottheit, nur dem Vater zukommen könne,

als arianische Ketzerei von der Kirche verflucht und von der weltlichen Obrigkeit gewaltsam verfolgt wurde. Die zu Nicaea noch nicht ausgesprochene Gleichstellung des heiligen

Geistes mit dem Vater und Sohn, als einer dritten, den beiden andern wesensgleichen göttlichen Persönlichkeit, war aber nur eine Konsequenz

der nicänischen Beschlüsse, die auf der Synode zu Konstantinopel 381, durch Beilegung göttlicher Prädikate an

den heiligen Geist angebahnt

und bald darauf zur herrschenden katholischen Lehre erhoben wurde. So

einig,

war seit Ende

des 4. Jahrhunderts

die

Kirche

darüber

daß das Eine göttliche Wesen ewig in den drei göttlichen Per­

sonen subsistiere, welche dennoch nur Ein Gott, nicht drei Götter, unter­ einander aber schlechthin wesensgleich der Substanz nach, und nur der Existenzweise nach unterschieden sein sollten.

Diese in ihren schärfsten Konsequenzen später gegen Ende des 7.

Jahrhunderts,

im

sogenannten

„Athanasischen Symbolum", dem

be­

rühmten „Quicunque“ entwickelte Lehre gab der Kirche das Rätsel auf, wie drei göttliche Jche zugleich ein einziges Ich sein können. Du verstehst Latein genug, um den Originaltext dieses Meisterstücks

mittelalterlicher Theologie zu genießen, und Du findest dasselbe mit allen

andern christlichen Glaubensbekenntnissen bis auf das neueste der Alt­ katholiken in Bonn 1875 in dem Werke von

Pli. Schaff, The Creeds of the Greek and Latin Churches, 1877. Das Mittelalter schlug alle Bedenken nieder durch die Berustmg

auf die kirchliche Autorität,

auf

welche hin man die Dreieinigkeit als

das größte Mysterium demütig glauben und anbeten müsse, konnte sich aber doch der Versuchung nicht erwehren das Geheimnis dem Denken begreiflich zu machen, wobei man bald zu völliger Dreigötterei, bald zu

der sogenannten Sabellianischen Meinung kam,

daß die drei „Hypo­

stasen" nur drei verschiedene Daseinsformen des Einen göttlichen Ich,

nicht aber drei wirkliche Individuen seien.

Letzterer Ansicht leistete die

seit Augustinus im ganzen Mittelalter herrschende Vorstellung Vorschub,

daß die Dreiheit in Gott nach Analogie des Menschengeistes zu denken

221

und auf die drei Grundunterschiede der göttlichen Macht, Weisheit und Güte zurückzuführen sei,

wenngleich man daneben immer an der For­

derung festhielt, diese Dreiheit nicht bloß als eine eigenschastliche, son­ dern als eine wirklich persönliche vorzustellen. Die {Reformation des

16. Jahrhunderts

nahm das Mysterium

der kirchlichen Trinitätslehre als das Fundament alles Christenglaubens

in ihre sämtlichen Bekenntnisschriften auf,

chung davon

und

verfolgte jede Abwei­

als greuliche Ketzerei selbst mit blutiger Gewalt: Servin

als Sabellianer mit Calvin in Streit geraten, wurde auf dessen Anstisten am 27. October 1553 in Bern verbrannt!

Am weitesten ging die lutherische Dogmatik,

denn sie verbot, und

verbietet heute noch, jeden Versuch, das große Geheimnis dem Denken annäherungsweise begreiflich zu machen, als sträfliche Selbstüberhebung

der Vernunft:

im

18. Jahrhundert wurde eine von dem Wolffianer

Darjes in Jena unternommene Demonstration der Dreieinigkeit von der dortigen theologischen Fakultät als ein vermessenes Unterfangen,

den

Schleier vom Heiligtum hinwegzureißen, verurteilt! Aber schon die Reformationszeit hatte mit der neubelebten Kritik

der überlieferten Kirchenautorität auch Zweifel

an der Wahrheit der

Dreieinigkeitslehre und erlebte die Gründung einer eigenen freilich von Lutheranern wie von Reformierten verfluchten Kirchengemeinschaft,

die

auf die Verwerfung der Trinität und auf das Bekenntnis der Einheit

Gottes gebaut war:

Unitarier, Antitrinitarier oder Socinianer, unter

deren Einfluß seit dem Ende des 17. Jahrhunderts Arminianern

und

bald

auch in

auch

unter

den

der anglicanischen Kirche unitarische

Meinungen überhand nahmen, welche der englische Deismus zur konse­

quenten Bestreitung der Trinitätslehre ausbildete. Auch der deutsche Rationalismus verwarf sie als unbiblisch und mit dem natürlichen Glauben an die Einheit des höchsten Wesens im

unausgleichlichsten Widerspruch, während

der Supernaturalismus all­

mählich zu arianischen und sabellianischen Meinungen zurückkehrte. Mit

welchen inneren Kämpfen dies aber, selbst bei Gelehrten damaliger Zeit, verbunden war,

und mit welch' beschräntten historischen Hülfsmitteln

diese damals noch arbeiteten, beweisen Dir die Sorgen, welche einem

Manne,

wie Reimarus,

1694—1767, eine an sich rein historische

Frage machte. Er betete als frommer Christ zu dem dreieinigen Gott; aber als vernünftiger Mensch wollte er sich dabei doch auch etwas denken können.

„Allein, sagt er, wenn ich mir nun drei verschiedene göttliche

222 Personen, und in der mittlere» noch überdies zwei Naturen, in der menschlichen von diesen Naturen Leib und Seele, in der letzteren Ver­

stand und Willen, und diese verschieden von dem Verstand und Willen der göttlichen Natur vorstellen, und diese drei Personen doch als ein

einfaches göttliches Wesen anrufen wollte, so vergingen mir alle Ge­

danken. Wenn ich an Gott gedachte, so waren keine Personen da, und wenn ich an eine besondere Person außer dem Vater dachte, so ver­

schwanden die übrigen Personen und Gott selbst bei mir.

So sah ich

mich endlich genöthigt, die Dreieinigkeit aus meiner Vorstellung weg­

zulassen und Gott fein natürlich als meinen Schöpfer und Wohlthäter

zp verehren."

„Qni vous dit de prier Dien et de le lauer? On loue un homme parce qu’on le croit vain; on le prie, quand on le croit faible, et qu’on espere le faire changer d’avie. Faieons notre devoir envers Dien, adorone le, soyons justes: voilä nos vrais louanges, noe vraiee priSres.“ Kant sah in der Trinität nur eine symbolische Andeutung der gött­ lichen Macht, Weisheit und Liebe, oder die schöpferische, erhaltende und

regierende Wirksamkeit Gottes. Schleiermacher redet nur von verschiedenen Daseinssormen des gött­ lichen Seins, während nach dem Vorgang Schelling's die Hegel'sche

Schule in ihr den Inbegriff alles spekulattven Gehalts des christlichen

Glaubens zusammengefaßt fand, indem man das Ansichsein des Absoluten als den Vater, sein Anderssein in der Welt als den Sohn, seine Rück­ kehr zu sich selbst im menschlichen Bewußtsein als den heilige» Geist bezeichnete. Seitdem wurde in abenteuerlichster Mischung aus dogmati-

schen Formeln und schwerzuverstehenden Phrasen eine neue spekulattv sein sollende Trinitätslehre gestaltet,

danken erdrücken,

in welcher die Worte alle Ge­

und worüber Bücher zu lesen Du kein Verlangen

haben wirst.

Das Wesen des Christentums bleibt also in etwas Anderem zu suchen.

Lies zu Deiner Aufklärung hierüber:

F. E. D. Schleiermacher, Der christliche Glaube, 1821.

L. Feuerbach, Das Wesen des Christenthums, 1841. F. C. Baur, Das Christenthum und die christliche Kirche der drei do.

ersten Jahrhunderte, 3. Aust., 1863. Die christliche Kirche vom Anfänge des vierten bis zum Ende

des sechsten Jahrhunderts, 2. Aufl., 1863.

223 E- Zeller, Borträge und Abhandlungen, 2 Bde., 1875 und 1877. A. Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte, I. Bd.,

3. Aufl.,

1879. do. II., III., IV. Bd., 2. Aufl., 1875/77. „Die neutestamentliche Geschichte, sagt dieser,

ist keineswegs wie

die alttestamentliche, Glied einer einzigen nationalen Entwickelung, son­

dern sie spielt sich auf verschiedenen Gebieten ab und greift in die ver­ Läßt die Zeit Jesu sich noch in die Grenzen der jüdischen Geschichte einschließen, so wird von da ab mit schiedensten Entwickelungen über.

jeder neuen Periode der Rahmen weiter, die Perspective großartiger...

Die heilige Geschichte ist nicht

phantasmagorisch auf den Hintergrund

der wirklichen Geschichte vom Himmel her gespiegelt worden,

sondern hat sich als ein wirkliches Stück der wirklichen Geschichte und unter den

lebendigsten Wechselwirkungen mit den gegebenen Zeitverhältnissen ent­

wickelt, wenn auch wir uns gewöhnt haben, sie losgelöst von ihrem ur­ sprünglichen Zusammenhang als einen über alle historischen Begeben­

heiten,

wie über das Leben des damaligen Geschlechts wegschreitenden

Gang der göttlichen Offenbarung zu bettachten

In der genauern

Kenntniß der Zeit und Heimath des Urchristenthums haben Orientalisten, und Palästinareisende die werthvollsten Beiträge

classische Philologen

geliefert, und so ist es gekommen, daß jetzt Vieles im Zusammenhang

zeitgeschichtlicher Vorstellungen und Verhältnisse sich darstellt, was vor­

dem als specifische Offenbarung gegolten hat. Was bei Philo, Josephus und den Rabbinen zeitgeschichtliche Theologie ist, das kann nun einmal bei den Aposteln nicht Inspiration sein.

Diese Situation ist durch die

Entwickelung der letzten Jahrzehnte gegeben, wir haben sie nicht gemacht. Nun ist es immer so gewesen, daß die ersten Versuche eine von der Zeit überholte Darstellungsweise der religiösen Grundthatsachen, durch eine entsprechendere zu ersetzen, zunächst sich dem Verdacht aussetzen das

Religiöse selbst zu

schädigen.

In diesem Stadium befinden wir uns

heute auch auf geschichtlichem Gebiet." Die Absicht und

den Drang sich über das

irdische Elend durch

metaphysische Wahrheit zu erheben, teilt das Christentum mit andern Religionen, und die Theologie sucht das religiöse Empfinden unver­ kümmert auch dem Verstände zu beweisen.

christliche Grundidee von denjenigen,

Zu diesem Zweck wird die

welche die Trinität fallen lassen,

entweder in den Glauben an einen Erlöser von dem Schuldbewußt­ sein und einen Vermittler zur Versöhnung und Vereinigung mit Gott

224 gelegt und der specifische Christenglaube, der Eckstein, mit dem das Chri­

stentum

steht oder

fällt,

wird

nach dieser Auffassung der Glaube an

Jesum Christum als diesen Erlöser und Vermittler, oder Jesus wird als das vollkommenste BorbilÜ fürs innere Seelenleben, für die ethische und moralische Entwickelung des Menschen, aufgefaßt. In beiden Fällen wird die Persönlichkeit Jesu der Schwerpunkt,

und

mit seinem Leben

und Wirken sich eingehend bekannt zu machen muß die Aufgabe eines

jeden

sein,

der mit Bewußtsein auf der Bahn humaner Bildung zur

Freiheit voranzuschreiten und in der Zeit auch geistig zu leben wünscht,

der er leiblich angchört. Wähnens

Dazu muß aber an die Stelle gefühlsseligen

religiöses Wissen,

an

die Stelle der Zuversicht die Einsicht

treten.

Pour les uns, sagt Laurent, le christianisme se resume et se confond dans Jesus-Christ, l’Homme-Dieu; c’est le Christ qui est le pain de vie dont Fhumanite se nourrit depuis dix-huit si&cles et dont eile vivra jusqu’ä la consommation des choses. Les autres considerent JSsus-Christ comme le revelateur d’une puissante religion, mais ils croient qu’il ne diff6re point par sa nature des fondateurs de toutes les religions qui gouvernent les ämes. Dans le premier Systeme, qui est celui de Forthodoxie catholique et protestante, le christianisme est un fait surnaturel; c’est Foeuvre de Dieu; les hommes n’y jouent qu’un röle passif, en recevant la foi par une grace speciale et purement gratuite, avec ou sans Fintermidiaire d’une Eglise. Dans le second Systeme, au contraire, le christianisme est Foeuvre de Fesprit humain, inspiree a la v6rit6 par Dieu, mais neanmoins imparfaite, comme tout ce qui procede d’etres imparfaits, se modifiant sans cesse et se perfectionnant avec les sentiments et les id6es des hommes. II y a, apres cela, d’infinies Varietes dans la mani&re de concevoir, soit le christianisme rev61e, soit le christia­ nisme humain. Qu’il nous suffise de rappeler les innomhrables sectes qui divisent le protestantisme, et les dissidences profondes qui ex­ istent dans le sein meme de FEglise qui se dit une et immuable par excellence. Mais nous pouvons negliger pour le moment cette contrariete d’opinions, pour nous en tenir au point de vue essentiel d’oü eile procede. II y a une question Capitale qui domine ces d6bats. JSsns-Christ est-il le Fils de Dieu, coeternel avec le Fire? L’tivangile est-il une revilation miraculeuse? le christianisme vientil de Dieu ou des hommes ? Tout ceux qui ecrivent sur le Christia-

225 nieme, comme tous ceux qui se disent chr^tiens, doivent commencer par repondre franchement ä cette question; sinon, ils restent dans le vague, et ils parlent sans s’entendre eux-memes, et partant saus profit ni pour eux ni pour les autres. Lies F. E. D. Schleiermacher, Leben Jesu, 1864. D. Schenckel, Das Charakterbild Jesu, 1864.

E. Renan, Vie de J6sus, 7me ed., 1863. „Une histoire des „Origines du Christianismeu, sagt Rünan, devrait embrasser tonte la pSriode obscure, et, si j’ose le dire, souterraine, qui s’Stend depuis les premiers commencements de cette religion jusqu’au moment oü son existence devient un fait public, notoire, evident aux yeux de tous. Une teile histoire se composerait de quatre livres. Le premier, que je präsente aujourd’hui au public traite du fait meme qui a servi de point de dSpart au culte nouveau; il est rempli tont entier par la personne sublime du fondateur. Le second traiterait des apotres et de leurs disciples immediats, ou, pour mieux dire, des revolutions que subit lapensee religieuse dans les deux premieres generations chretiennes. Je Farreterais vers Fan 100, au moment ou les derniers amis de JSsus sont morts, et ou tous les livres du Nouveau Testament sont k peu pris fixes dans la forme oü nous les lisons. Le troisieme exposerait Fütat du christianisme sous les Antonins. On Fy verrait se divelopper lentement et soutenir une guerre presque permanente contre Fempire, lequel, arrive a ce moment au plus haut degre de la perfection administrative et gouverne par des philosophes, combat, dans la secte naissante une sociite secrete et theocratique, qui le nie obstinement et le mine sans cesse. Ce livre contiendrait tonte Fitendue du 2e siede. Le quatriSme livre, enfin, montrerait les progres d^cisifs que fait le christianisme k partir des empereurs Syriens. On y verrait la savante constmction des Antonins crouler, la decadence de la Civilisation antique devenir irrevocable, le christia­ nisme profiter de sa ruine, la Syrie conquerir tout FOccident, et J6sus, en Compagnie des dieux et des sages divinises de FAsie, prendre possession d’une societe a laquelle la philosophie et l’titat purement civil ne suffisent plus. C’est alors que les idees religieuses des races groupies autour de la Mediterranee se modifient profondement; que les cultes orientaux prennent partout le dessus ; que le christia15

226

nisme, devenu une eglise tres-nombreuse, oublie totalement ses reves millßnaires, brise ses dernieres attaches avec le judaisme et passe tont entier dans le monde grec et latin. Les lüttes et le travail littäraire du 3e si&cle, lesquels se passent d6jä au grand jour, ne seraient exposes qu’en traits generaux. Je raconterais encore plus sommairement les persicutions du commencement du 4e si&cle, dernier effort de Fempire pour revenir ä ses vieux principes, lesquels d6niaient ä Fassociation religieuse toute place dans FL tat. Enfin, je me bornerai ä pressentir le changement de politique qui, sous Constantin, invertit les röles, et fait du mouvement religieux» le plus libre et le plus spontane un culte officiel, assujetti ä FEtat et pers6cuteur ä son tour." Und nach R6nan lies:

D. F. Strauß, Das Leben Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet, 2. Ausl., 1864.

Bor dreiundvierzig Jahren als Strauß sein erstes, nur für Theologen bestimmtes,

die

orthodoxe

Theologie

habe lassen können es doch

lieber

ein

der

ausdrücklich

Leben Jesu (1836) geschrieben,

Meinung,

wenn er

es

einmal

so gefährliches Buch zu schreiben,

lateinisch schreiben

sollen,

war

nicht

hätte er

damit man es wenigstens

nicht lese. Das neuere populäre Werk ist nun ebenso ausdrücklich für Nicht«

theologen geschrieben mit dem Bemühen jedem Gebildeten und Denk­

fähigen verständlich zu sein. „Unentbehrlich, aber auch unverlierbar, bleibt uns aus dem Christen­ thum dasjenige, wodurch es die Menschheit aus der sinnlichen Religion

der Griechen auf der einen Seite, der jüdischen Gesetzesreligion auf der andern, herausgehoben hat; also nach jener Seite hin der Glaube, daß

es eine geistige und sittliche Macht ist, welche die Welt beherrscht, nach

dieser die Einficht, stellen haben,

daß der Dienst dieser Macht,

nur ein geistiger und sittlicher,

in den wir uns zu

ein Dienst des Herzens

und der Gesinnung, sein kann. Schon von der letztern Einsicht übrigens

läßt sich eigentlich nicht sagen, daß sie uns aus dem bisherigen Christen­ thum bleibe; denn sie ist, in ihrer Reinheit wenigstens, noch gar nicht zur Geltung gebracht.

An

einer

Reihe

von Handlungen hängt selbst

noch die protestantische Christenheit, die nicht besser als die altjüdischen

Ceremonien sind,

und doch für wesentlich zur Seligkeit gehalten wer­

den. Und forscht man nach, woran es liegt, daß sich dergleichen Fremd-

227 artiges in die Religion Jesu eindrängen und in ihr erhalten konnte, so erkennt man als die Ursache dasselbe, was für unsere Zeit mit Recht

den Hauptanstoß an dem ganzen alten Religionswesen bildet, nämlich den Wunderwahn. So lange das Christenthum als etwas der Mensch­

heit von Außen her Gegebenes, Christus als ein vom Himmel Gekom­ mener,

seine Kirche als

eine Anstalt zur Entsündigung der Menschen

durch sein Blut betrachtet wird, das Christenthum

ist die Geistesreligion selbst ungeistig,

jüdisch gefaßt.

Erst wenn

erkannt wird,

daß im

Christenthum die Menschheit nur ihrer selbst tiefer als bis dahin be­ wußt geworden, daß Jesus nur derjenige Mensch ist, in welchem dieses

tiefere Bewußtsein zuerst als eine sein ganzes Leben und Wesen be­ stimmende Macht aufgegangen ist, daß Entsündigung eben nur im Ein­

gehen in diese Gesinnung, ihrer Aufnahme gleichsam in das eigene Blut, zu finden ist,

erst dann ist das Christenthum wirklich christlich ver­

Wem nur einmal ein Begriff davon beigebracht ist,

standen

daß die Menschheit und Alles in ihr,

auch die Religion nicht ausge­

nommen, sich geschichtlich entwickelt, dem muß auch einleuchten, daß auf

keinem Punkte innerhalb dieser Entwickelung ein schlechthin Höchstes ge­ geben sein kann, daß der Vorstellungskreis von Religionsurkunden, die

vor mehr als anderthalbtausend Jahren unter äußerst ungünstigen Bil­

dungsverhältnissen entstanden sind, nicht mehr ohne Weiteres die unsrige

sein kann, sondern daß, wenn er für uns noch eine Geltung haben soll,

erst eine Scheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen vorgenommen werden muß." K. Hase, Geschichte Jesu, 1876, kommt zu

dem Resultat, daß

nicht das

Leben Jesu als

seine Auferstehung der Eckstein der christlichen Kirche:

vielmehr

„Das Christen­

thum, nicht seinem Wesen nach als die vollkommene und an sich wahre

geschichtliche Weltmacht,

Religion,

aber seiner Erscheinung

ruht auf

der Auferstehung, d. h. das Christenthum

nach

als

ist siegreich ein­

geführt und die Kirche gegründet worden über dem Grabe des Auf­ erstandenen."

Ziehe auch noch zu Rat:

Th. Keim, Geschichte des Lebens Jesu von Nazara, und C. Wittichen, Das Leben Jesu in ursprünglicher Darstellung.

Aber beschränke Dich nicht darauf nur das zu lesen was Christen

über Jesus und das Christentum geschrieben haben, sondern mache Dich auch mit fremden Ansichten bekannt.

Des Juden

228

Dr. H. Graetze, Geschichte der Juden, 1863, bietet Dir in dem der 2. Auflage beigefügten 11. Kapitel

„Messianische Erwartungen und Ursprung des Christenthums"

Gelegenheit dazu. „Wofür haltet ihr mich? fragte Jesus die Jünger und Simon Petrus antwortete: Du selbst bist der Messias (Christus)." „Den Scharfblick des Petrus lobte Jesus, gestand seine Messianität ein,

verbot aber den Jüngern,

es zu verrathen,

noch überhaupt für

jetzt davon zu sprechen. Das war die in geheimnißvolles Dun­

kel gehüllte Geburtsstunde

des Christenthums.

Als einige

Tage später die vertrautesten Jünger, Simon Petrus und die Zebedaiden JacobuS und Johannes, schüchtern die Bemerkung an

ihn richteten:

Daß doch dem Messias wohl Elias als Vorläufer vorangehen müsse, deutete Jesus darauf hin, daß EliaS bereits in dem Täufer erschienen

sei, ohne daß man ihn erkannt habe.

Hatte Jesus diesen Gedanken

vom Anfang seines Auftretens an in tiefster Seele genährt? Oder war ihm der Gedanke erst aufgestiegen, als durch die glücklichen Erfolge des

gewonnenen Anfangs die Möglichkeit der Verwirklichung näher gerückt

schien?

Wer kann es wissen!

„Indeß so hoch die ersten Gläubigen Jesus verehrten und so sehr

sie ihn verherrlichten, so haben sie ihn doch nicht über die menschliche Sphäre hinausgehoben; ihre Begeisterung ging nicht so weit ihn als Gott

zu betrachten. Sie hielten ihn nur für einen höher begabten Menschen, der nur, weil er wie keiner vor ihm das Gesetz erfüllt hat, würdig ge­ funden wurde der Messias Gottes zu sein. Simon Pettus und die andern Jünger wollten von Jesus dazu beauftragt worden sein, zu den

Verlorenen des Hauses Israel zu gehe», um sie der Brüderlichkeit und Gemeinschaft des Gottesreichs theilhaftig zu machen. Bon dieser Thätigkeit nannten sich die Jünger Sendboten. Diese Apostel behaupteten von Jesus die Gabe empfangen zu haben Kranke zu heilen. Todte zu

erwecken, böse Geister zu vertreiben.

Die Dämonenbeschwörung, die

bei Jesus nur eine Zufälligkeit war,

machten sie zu einer stehenden

Functton und verbreiteten den von Galiläa aus mitgebrachten Glauben an die Macht des Satans und der bösen Geister, welche durch diesen Glauben erst recht Wesenhaftigkeit erhielten. Innerhalb des Judenthums

war der Dämonenglauben harmloser Natur, ohne religiöses Gepräge;

erst im Christenthum wurde er znm Glaubensarttkel erhoben,

dem

229 Hekatomben von Menschenopfer fielen.

Die ersten Christen gebrauchten

oder vielmehr mißbrauchten den Namen Jesu zu allerhand Beschwörungen und Bannungen;

alle diejenigen, welche an Jesus glaubten,

schrieben

sich die Macht zu, in seinem Namen böse Geister vertreiben, Schlangen

beschwören,

Kranke durch Händeauflegen heilen zu können,

und wenn

sie etwas tödtliches trinken, würde es ihnen nicht schaden, so sehr seien sie gefeit. Teufelsbannungcn ward allgemein ein stehendes Geschäft der

christlichen Obern;

der Aufnahme

Dämonenbeschwörung voran,

Kein Wunder,

besessen

wäre.

Heiden

die Christianer

als

eines

neuen Mitglieds

ging

eine

als wenn derselbe bis dahin vom Teufel daß die Juden,

Teufelsbeschwörer

die Nazaräer und die

und

Magier ansahen.

Doch in den ersten Jahrzehnten nach Jesu Tod wurden sie in jüdi­ schen Kreisen wenig beachtet,

obwohl sie ihren Hauptsitz in Jerusalem

hatten, wo sich die drei „Säulenapostel — Jacobus der Bruder Jesu,

Petrus

Simon

und

niedrigen Standes

Johannes Zebedai —

dem

sie

angehörten,

Wegen des

aufhielten.

entgingen

sie

der Aufmerk­

Sie bildeten eine eigene Secte und wurden wohl den Essäern

samkeit.

zugezählt, mit denen sie so viele Berührungspunkte hatten.

den sich überhaupt

vielleicht verloren haben,

Mann

wäre,

aufgetreten

tung gab

und

welcher

dem

es zu einer Höhe erhob,

wenn

Christenthum

die

Sie wür-

nicht später ein

eine

Verbrei­

ihm die Weltherrschaft

sicherte." Der spätere Mann war der Apostel Paulus.

Auf dem Boden der damaligen gelehrten heidnischen Weltanschau­

ung und mit der hebräischen Gottesidee baute sich im Geiste des Pau­ lus ein religiöses Lehrsystem auf,

das nicht bloß mit dem Pharisäis­

mus, nicht bloß mit dem Judentum überhaupt, sondern auch mit dem gesetzestreuen Judenchristentum der Urgemeinde des Jacobus in Jeru­

salem

und

mit dem

was

als „Petrinismus"

daraus hervorging in

Gegensatz trat. „Das Kreuz Christi ist für Paulus das Ende des Gesetzes, das

die Macht der Sünde über die Menschheit im Fleische Christi,

des

himmlischen Menschen, für immer ertödtet und zugleich die Herrschaft

des Gesetzes,

die sich nur so weit erstreckt als die Sündenknechtschast

gebrochen ist.

Und wie der Gekreuzigte nach Ertödtung von allem, waS

irdisch an ihm war,

in verklärter Herrlichkeit nur noch ein Leben des

Geistes lebt, so ist durch ihn auch die Menschheit überhaupt zu diesem neuen

geistigen Leben

berufen.

Der Einzelne wird nun des neuen

230 Heilswegs theilhaftig, indem er durch den Glauben an Christus in die Gemeinschaft seines Todes und seiner Auferstehung tritt. Christi Tod wird ihm zugerechnet als sein eigener Tod, wodurch er von dem GesetzeSfluch und der Sündenknechtschaft erlöst wird; der Auferstandene aber verbürgt ihm seine eigene Auferstehung und gibt ihm schon jetzt seinen Geist, den Geist der Kindschaft, ins Herz, der ihm seine Ver­ sühnung mit dem himmlischen Vater gewiß macht und daS Herz mit der Kraft zu einem heiligen, dem göttlichen Willen gemäßen Leben erfüllt. „Das ist nach Paulus der neue Weg des Heils, den Gott in dem Kreuze Christi offenbart hat, des Heils nicht aus dem Gesetz, son­ dern allein aus der Gnade. Ist aber das Gesetz als Heilsweg be­ seitigt, so fällt auch jeder Vorzug der Juden vor den Heiden weg. Wie beide gleicherweise Sünder sind, so erstreckt sich auch die Gnade gleicherweise auf beide. In Christus sind überhaupt alle bisher die Menschen von den Menschen trennenden Unterschiede aufgehoben: weder Stand, noch Geschlecht, noch Geburt kann einen Vorzug der einen vor den andern begründen." Diese Idee der „Humanität" seinen Zeitgenossen zum Bewußt­ sein zu bringen, war das Bestreben des selbsternannten Heidenapostels und darauf beruht der unvergängliche Ruhm des Paulus. Wenn die Urgemeinde an die jüdisch-nationale Erscheinung des Meisters sich hielt, so hatte Paulus die Tragweite seiner ganzen persönlichen Wirksamkeit, die weltgeschichtliche Bedeutung der von Jesus ausgegangenen religiösen Erneuerung ungleich tiefer gefaßt. Er lehrte ausdrücklich, daß der neue göttliche Geist, der den Gläubigen vom Vater verliehen werde, sie ganz von selbst antreibe zu jeder sittlichen That, ja daß dieser Geist ihnen überhaupt erst ermögliche, wonach der Mensch unter dem Gesetz vergeblich sich strecke: die wahre innerliche Erfüllung der sitt­ lichen Anforderungen des Gesetzes. So erfaßte Paulus das innerste Wesen des Christentums und stellte cs, ob auch auf dem Boden der Weltanschauung des Altertums und angelehnt an eine äußere wun­ derbare Geschichte, zuerst als die universelle, für die ganze. Mensch­ heit bestimmte Religion und zugleich als die höchste Stufe aller religiösen Enttvickelung, als die vollkommene Erlösungsreligion dar, zu welcher Heidentum und Judentum nur elementare Borberei­ tungsstufen. Näheres hierüber findest Du in:

231

F.

C.

Baur,

Paulus,

der Apostel Jesu Christi,

2. Auflage,

1866/67.

A. Hausrath, Der Apostel Paulus, 1872, 2. Ausl., auch als 3. Band

in

der „Neutestamentlichen Zeitgeschichte",

1875; und in:

A. Immer, Neutestamentliche Theologie, 1877.

London, 22. Mai 1879.

Betrachtest Du die humanisierenden Leistungen der Inder, Ägypter, Perser, Hebräer, Griechen und Römer als ein Ganzes, so wird nicht

Trinitätslehre, nicht Messiascultus, nicht Wunderglaube als das Wesen

des Christentums Dir erscheinen.

Die neue Theologie, die sich von der

theologia biblica des Mittelalters und der scholastischen Dogmatik der Kirche unterscheidet wie die heutige Chemie von der Alchemie, und deren

Anfänge bis zu Melanchthon hinaufreichen, immer bemüht klar zu machen,

hat gezeigt und ist noch

wie auch das Christentum etwas all­

mählich entstandenes ist, wie es sich entwickelt hat und weiter entwickelt. Die ursprüngliche Lehre Jesu; das Evangelium, welches Jacobus und

Petrus den Juden predigten;

die frohe Heilsbotschaft, welche Paulus

den Heiden brachte — so verschieden voneinander, galten und gelten doch alle zusammen als Christentum: in dem Sinne freilich, wie man Quellwasier, Seewasser und Kirschwasser samt und sonders Wasser

nennt.

Noch weiter auseinander geht der Inhalt des Zeugniffes von

Jesu Leben und Lehre der drei ersten Evangelien, der sogenannten

Synoptiker und des vierten, des Johannisevangeliums, und doch ge­ hören alle vier zusammen zur Grundlage des heutigen Christenglaubens, ihr Gesamtinhalt zur christlichen Orthodoxie.

Ueber diese Verschiedenheit sagt Hausrath:

„Der Synoptiker Evangelium besagte, daß der von den Propheten verheißene Messias in Jesu von Nazareth gekommen sei, Israels Sünde

getilgt habe durch sein Blut und auf de» Wolken des Himmels wieder­ kommen werde, um auf Zion sein Reich zu errichten. Die Heimfüh­ rung der Seelen nach der Welt des Lichts war nicht Jesu Werk; ihm

schienen die lachenden Ufer des Genezareth selbst schön genug, das Reich der Himmel dabei zu errichten. Aber an die Stelle dieses historischen Jesus von Nazareth ist mit dem Johannisevangelium eine Abstraktion

233 der dualistischen Zeitphilosophie getreten. Der ganzen Vorstellung von Christus, seitdem aus dem Messias des Marcus der Logos des vierten Evangelisten geworden, ward ein neuer Umfang und eine neue Stel­ lung im Bewußtsein zugewiescn, indem mit dem Namen Logos auch alle Merkmale dieses Begriffs auf Christus übertragen und diejenigen Züge des alten Bildes ausgeschieden wurden, die mit der neuen Vor­ stellung sich nicht deckten. Mit der Anwendung des Logosbegriffs auf Jesus ist an die Stelle des synoptischen Menschensohns ein Gott ge­ treten, der den Schwerpunkt seines Selbstbewußtseins in der jenseitigen Welt hat. Der Jesus der Synoptiker ist Messias, weil er wiederkommen wird in der Zukunft, um das messianische Reich aufzurichten, der Jesus des vierten Evangeliums ist es, weil er von Urbeginn bei Gott war, als Gottesgedanke am Busen des Vaters lag, und alle Geheim­ nisse der obern Welt mitzuthcilen vermochte. Die platonische jensei­ tige Welt ist an die Stelle der jüdischen kommenden getreten. Der hebräische Begriff der kommenden Heilszeit setzt eine Auferstehung der Gereckten zu diesem irdischen Reich voraus, dagegen der platonische Begriff der jenseitigen Welt schließt diese physische Auferstehung aus, da derjenige, der Antheil an der himmlischen Welt (durch den Glauben an den Logos) schon jetzt erlangt hat, damit auch befähigt ist, mit der Auflösung seiner Leiblichkeit unmittelbar in dieselbe hinüber zn gehen, ohne erst der physischen Auferstehung zu bedürfen. Aber auch die Wie­ derkunft Christi ist mit dieser neuen Logoslehre vereinbart und identifizirt mit der Ausgießung des heiligen Geistes. Die älteste Generation hatte Jesu Wiederkunft in ihren Lebzeiten erwartet, die zweite hatte bereits unbestimmte Zeiten der Heiden eingeschoben, die verstreichen würden, ehe Jesus wiederkomme, die dritte (der das Johannesevan­ gelium angehört) konnte nicht mehr fort und fort auf eine Zukunft ver­ trösten, die bis jetzt stets ausgeblieben war. Sie kehrte zum Anfang zurück und erklärte: „Jesus ist schon wiedergekommen im Geist, die Ausgießung des heiligen Geistes war seine Wiederkunft." So ist der im Geist wiedelgekommene Jesus das Prinzip der Tradition geworden, das heißt der Weiterbildung des Evangeliums. Das Medium, in dem die von oben Geborenen mit dem Logos eins werden, ist dann nicht sowohl der Glaube als die Liebe. Der frühere Gegensatz zwischen Glauben und Werken ist für den Verfasser des vierten Evangeliums gegenstandlos geworden, da das Gesetz als ein „Gesetz der Juden" ihn nicht mehr angeht. Das rechtfertigende Prinzip bei ihm ist darum

334 nicht mehr der den Werken entgegengestell.te Glaube, sondern die Liebe,

in der Glaube und Werke enthalten find." Freilich tritt allenthalben der innere Widerspruch hervor, der in

dem Begriff eines „Gottmenschen" liegt, indem das menschliche Leben zu leerem Schein wird,

Es steigert sich fühls,

wenn

richtend,

wenn es von einem Gott soll gelebt werden.

dieser Widerspruch sogar

bis zur Verletzung des Ge­

im Johannesevangelium Jesus die Augen

um zu beten,

gen Himmel

während er als Gott dieses Gebet doch

braucht,

es Kap. 11. 42 heißt „ich weiß Gott,

erhörst,

aber um

des Haufens willen,

nicht

daß du mich allezeit

der umhersteht,

sage ich es,

damit sie glauben, daß du mich gesandt hast". Es erinnert das an Polybios,

der, als in dem Streite mit den

Aetoliern der römische Oberfeldherr hören mußte,

daß er während der

Schlacht nichts gethan habe als gebetet und geopfert,

seine Landsleute

auf die politische Nützlichkeit dieses Zurschautragens

der Gottesfurcht

aufmerksam machte und sie belehrte,

daß der Staat nun einmal nicht

aus lauter klugen Leuten bestehen könne und dergleichen Ceremonien

um der Menge willen sehr zweckmäßig seien.

Die dem Logos angedichtele Allwissenheit ist es natürlich, die mit

der beschräntten menschlichen Natur des im vierten Evangelium geschil­ derten Gottmenschen immer in Konflikt gerät.

Christianity, sagt Prof. T. M. Lindsay, under the many forme which it assumes, has always implied the reconciliation of God and man through the person and work of Christ. It implies that Jesus Christ the Saviour has so brought it about that He has. established a new kingdom of God which will last, in which men have communion with God through His Spirit. Christianity is complete when the kingdom of God is fully established. „Thy kingdom comew is its aspiration. It therefore implies a moral Separation between God and man — a Separation which is overcome by the work of Christ the Mediator. The idea of reconciliation is the central thing in Christianity, the essential part in its description. God, man unable to approach God until reconciliation has been made, Christ the Me­ diator who reconciles, and His people brought again into communion with God, — all Christian doctrine rings the changes on these four fundamental ideas. Sofern aber die

intellectuelle Bewegung,

welcher

der Sturz des

römischen Weltreiches oft zugeschrieben wird, als Christentum bezeichnet

235 werden soll,

ist darunter wohl die Verallgemeinerung der Jdeeen zu

verstehen, welche zu jener Zeit die höchste Stufe der Gesamtentwicke­

lung der Menschheit, die Grundwahrheiten der Kultur einzelner hervor­ ragender Völker, namentlich der Griechen und der mit dem Buddhismus vertrauten, am Monotheismus haltenden Juden, bildeten.

Die Fülle hoher Gedanken von Gott und einem heiligen dem Wohl der Gesamtheit gewidmeten Leben des Einzelnen, bildeten den Grund­ ton des Griechen- und Judentums, und das Überströmen dieser Ge­ dankenfülle der Besten jener Völker in die Leerheit anderer Völker wurde durch die Universalherrschaft der Römer erleichtert, während die

Lehrthätigkeit der Apostel,

vor allen des Paulus,

die Empfänglichkeit

der Massen dafür beförderte. Daß Jdeeen, welche die Bielen lange be­ wegten, endlich in einem Bewußtsein zur Klarheit, in einem Willen zum Entschluß reifen, lehrt an zahlreichen Beispielen die Geschichte aller

Zeiten: „hat doch auch Paulus nur die neuen Jdeeen, welche von den Bielen ausgesprochen und nachgesprochen und auch in kleinen Kreisen schon verwirklicht wurden, in seiner Brust zum Entschluß reifen lassen, und den Mut gehabt sich das zum Beruf seines Lebens zu setzen, was

die Bielen nur gelegentlich thaten". verhältnisse:

Vergegenwärtige Dir jene Zeit­

„Die Menschheit war damals erschöpft von den Anstren­

gungen der Welteroberung und der Bürgerkriege, entnervt von Lastern,

die keine Furcht der Götter in Schranken hielt, heimgesucht von einer Gewaltherrschaft, die das Schwert einer Familie in die Hand gegeben

hatte, in der der Wahnsinn erblich war."

Die Idee, welche Sokrates

mit seiner Lehre von „Gott als der Vernunft dieser Welt, und die um so viel größer als unsere Vernunft, wie die Welt größer als unser

Leib" in das griechische Denken hineingebracht hatte,

war durch den

dichterischen Geist des Plato idealisiert und zum förmlichen Dualismus

ausgebildet worden, welcher nicht wie Socrates die geistige Welt in des

Menschen Brust fand, sondern den Menschen selbst und bald die ganze Welt auseinandertrieb, sie scheidend in Leib und Seele, Stoff und Form, Natur und Geist, in ein Diesseits und ein Jenseits. Dieser platonische

Dualismus erfüllte die Menschen mit einem Gefühl der Weltentfrem­ dung und mit ihm gewann der Glaube an eine Fortdauer der Seele

nach dem Tode und die Beziehung dieses Lebens auf ein anderes eine

veränderte von der

antiken Auffassung sehr

verschiedene Bedeutung.

Bald verschwand auch das alte Zutrauen durch Forschung zur Wahrheit zu gelangen — auch der Weise wähnte durch göttliche Offenbarung,

236

durch Stimmen von drüben, zur Wahrheit und Glückseligkeit zu gelan­ gen, nachdem er es auf dem Wege der Wissenschaft vergeblich gesucht

und so war das Feld geackert für den Wunderglauben, der ja nichts anderes als der großgewachsene Unglaube an die Natur, die Weltver­

achtung bedeutet, welche jener Platonismus so

erfolgreich gepredigt

hatte, daß schon bei Philo Sinnenwahrnehmung und Täuschung iden­ tische Begriffe sind, und die erste Bedingung eines wahren Wiffens für ihn der Verzicht auf die Empirie ist.

Aber auch dem gebildeten Heidentum waren der Monotheismus und die Vergeltung-lehre nicht fremd. Heißt es doch schon bei Xeno-

phanes 600 v. Chr. „Es ist ein Gott, der größte aller Götter

Und Menschen; ähnlich weder an Gestalt Noch an Verstand den Sterblichen.

Er.sieht, und denkt, und höret überall,

Durch Weisheit lenkt er Alles ohne Müh." Socrates faßt die Gottheit „als ein allmächtiges, allgütiges,

all­

weises, allwissendes Wesen" und des Kleanthee von AssoS, 260 v. Chr. herrlichen, christlicher Jdceen vollen Gesang „An den höchsten Gott" findest Du in Löning, Klassische Vorschule.

Cicero spricht vom Wiedersehen nach dem Tode, vom Zusammen­ sein der vollendeten Seelen, dem Genuß der göttlichen Herrlichkeit im

Anblick der unter dem Elysium kreisenden Gestirne, dem Tode als Ge­ richtstag, an dem über jeden das Urteil gesprochen wird und dem der Mensch darum mit Zittern entgegengeht; und für Seneca ist das zeit­

liche Leben ein bloßes Vorspiel eines bessern, der Leib die Herberge des Geistes und der Himmel die wahre Heimat. Der Tag seines To­ des ist ihm der Geburtstag der Ewigkeit und sein Leib ein Wanderzelt und eine Bürde. Es läßt sich demnach das Ergebnis der philosophischen Schulen des Altertunls zusammenfassen, als der Glaube an einen heiligen Gott,

an ein ewiges Leben und an eine Wiedervergeltung nach dem Tode. Zugleich war aber auch das Bewußtsein erwacht von der Einheit des Menschengeschlechts, die Schranken der Nationalitäten

waren ge­

fallen, von allen maßgebenden Sprachen waren nur noch die griechische

und römische geblieben, der lokale Götterkultus hatte überall an Strenge und Ansehen verloren — allgemein war das Verlangen und Sehnen nach neuem, im jüdischen Volke besonders nach der Erfüllung der alten

237 Verheißung vom „Gottesreich auf Erden".

Da faßte Jesus, bei seinem

ersten Auftreten (auch Jesus hat sich entwickelt, wie Du jüngst in der

Predigt des Pastor Val6s über den Text Luc. II. 52 gehört hast), das Sehnen seines Volkes und die Gedankenfülle seiner Zeit mit dem Geiste

der ihm vertrauten prophetischen Schriften verknüpfend,

Staat,

in den Aus­

„Ihr werdet das Reich nicht errichten wie einen

spruch zusammen:

ihr werdet nicht sagen hier ist es,

dort ist es;

es ist mitten

unter euch" — ein Reich, in welchem das Sittliche nicht eine Summe von Leistungen, sondern eine Verfassung des Gemütes — und sich an Hillel anschließend war für Jesus „Liebe deinen Nächsten wie dich

selbst und Gott über Alles" das ganze Gesetz und die Propheten. Hiermit hat er seine Religion charatterisiert, nicht als einen Glau­

ben,

sondern als ein Leben der Hingebung und Aufopferung,

es selbst gelebt hat zur Nachahmung.

wie man das Reich aufnimmt.

alles darauf an,

wie er

Freilich kommt auch heute noch

Auch damals war

klein die Zahl derer, die es zu fassen vermochten, denn zu allen Zeiten vernimmt der „natürliche Mensch" nichts von der Botschaft einer gei­

stigen Welt, auch das Geistige muß er sich stets verkörpern und geister­ haft gestalten,

den reinen Gedanken zur Mythe umbilden,

indem er

zerstreute Züge überträgt und erweitert und so auch die historische Per­

son zur mythischen umbildet,

und die Empfindung in den Mantel des

übernatürlich wunderbaren kleidet.

Gerade hierin liegt der Unterschied

zwischen dem natürlichen und dem gebildeten — nach kirchlicher Sprache, dem wiedergeborenen — Menschen, zwischen den vielen die nichts und den Wenigen die etwas davon

erkannt haben.

Die einfache Lehre

Jesu vermochte nicht das allgemeine Verlangen nach neuem zu befrie­ digen.

Jesus wurde ebenso wenig wie vor ihm Sokrates verstanden.

Die Mafien konnte nur eine Religion befriedigen, die einen universellen

Charatter hatte,

die sich in die damals herrschende dualistische Welt­

anschauung fügte,

und danach trachtete diesen Dualismus für das Ge­

müt zu versöhnen,

ihn religiös zu überwinden.

Was in dieser Be­

ziehung der Platonismus für Sokrates, das hat die christliche Dogmatik

mit Philo von Alexandrien an der Spitze, für Jesus gethan, und das Gegenteil von dem erreicht, was der Meister bezweckte.

Zum Umsturz

des römischen Reiches haben aber auch andere bewegende Kräfte mit­ gewirkt :

„The fiscal and military System of the Roman Empire, sagt Prof. T. Rogers, caused the downfall of ancient civilization. The

238 Boman army and the Roman exchequer were developments from a central despotism. The army exhausted the free growth of Italy, devonred the population of those most warlike races who were successively allowed to recruit the Roman legions; and when the Subject races, from which new blood could be introduced into the forces, were thoroughly drained, the Government was forced to enlist soldiers from those foreign hordes who were already threatening, and were soon about to overthrow the empire. Civil Society was simultaneously crushed by a prodigious weight of taxation, arbitrarily imposed, and rigorously enacted. Before the final collapse occurred, wide regions, once occupied by opulent and populous cities, were found to be destitute of inhabitants, and released from taxation on the plea that there was no population lest from which to collect a revenue. Large tracts of Asia, Southern Europe, and western Africa have never recovered from the desolating effects which were induced on them by the fiscal and military policy of Imperial Rome. A great break occurred in the history of human progress. Social development was thrown back for centuries, and in some particulars has not even yet recovered the ground on which it stood in the first Century before our present era. Not a few fragments, too, eurvive from that Imperial System which was the downfall of anoient civilization, and which will remain an Impediment to modern civilization until they are completely taken out of the societies in which they have been imbedded.“ Und so ist auch das Baufällige in manchen modernen Staaten, nicht — wie kurzsichtig oder heuchlerisch geklagt wird — der Beseitigung

überlebter Glaubenslehren,

als vielmehr dem Einfluß großer

wirt­

schaftlicher Irrtümer beizumessen. Das für Dein Verständnis der ganzen Kulturentwickelung wichtige

ist die Einsicht, religion,

daß mit der Erhebung der neuen Lehre zur Staats­

dem Ausbau der „christlichen Kirche" kräftiger Vorschub ge­

leistet wurde, deren Satzungen aber wohl zu unterscheiden sind von der Lehre Jesu und von dem Glauben der Apostel.

lifierendem Einfluß dieser Staatsakt



der

Bon wie wenig civi-

freilich

nur politischen

Zwecken seinen Ursprung verdankte — gewesen ist, geht daraus hervor,

daß gerade die Geschichte des Reichs von Constantin an, eine Her­ zählung der schamlosesten und nichtswürdigsten Ereignisse in der Ge­

schichte des ganzen Menschengeschlechts ist.

Der Ausbau der christlichen

239 Kirche war aber das mühsame Werk vieler Jahrhunderte und folgende Namen hast Du Dir zu merken unter den Baumeistern:

Unter den Griechen: Irenaeus um 170; Clemens um 190; Origines 185 — 254; Athanasius gest. 373;

Gregor von Nyssa, gest. 394; Ba­

silius 329—379; Gregor von Nazyanz, 328—390; Chrysostomus 347 —407 und unter den Lateinern:

Tertullian um 185—220;

Cyprian

200—258; Hilarius gest. 368; Ambrosius gest. 397; Hieronimus 311

oder 342—419 oder 420; Augustinus 354—430; Gregor I. 540—604. Es sind dies nicht mehr, wie die Jünger Jesu, Männer aus dem

sondern gescheite Köpfe,

Volke, ohne Bildung in Einfalt des Herzens, teils

aus

den höhern Klassen,

ausgerüstet mit allem Material der

Wissenschaft ihrer Zeit und mitunter,

vielseitiger Welterfahrung.

wie besonders Augustinus,

mit

Mit den Biographieen dieser Männer, den

größten der griechischen und lateinischen Kirchenväter, mußt Du Dich bekannt macken. Sie sind die Kommentatoren der apostolischen Über­ lieferung, beginnen ihre Thätigkeit aber erst im zweiten Jahrhundert nach der des Meisters; das geschichtlich Überlieferte philosophisch zu

durchdringen und als ein Vernunftgemäßes und Notwendiges nachzu­

weisen ist ihr

und

vieler anderer christlicher Philosophen Bestreben.

„Dabei schaltet, sagt Hausrath, der kräftige literarische Trieb durch­ weg sehr frei mit dem Überkommenen und die erregte Lust der Pro­ duktion

und

das« energische

Streben

nach

Lösung

der

spekulativen

Probleme setzt an die Stelle des Geschichtlichen rücksichtslos die eigenen philosophischen Postulate,

ohne

viel danach zu

historisch so gewesen sind oder nicht.

fragen,

ob die Dinge

Die Kirche selbst hat von den

Erzeugnissen dieser literärischen Bewegung diejenigen recipirt, die ihrem

religiösen Bedürfniß genügten und diejenigen abgelehnt,

die wesentlich

von andern geistigen Mächten als denen der apostolischen Kirche ihre

Impulse empfangen hatten, aber es war diese Auswahl mehr Sache des religiösen Taktes als eines historischen Verfahrens."

Aber auch die Kirchenväter

bei allen

ihren

sie auszeichnenden

Eigenschaften und Fähigkeiten litten an der großen Schwäche ihrer Zeit,

an dem Wunderglauben.

Unter ihnen, nicht ohne heftige Kämpfe, ge­

staltete die Kirche sich als dogmatisches Christentum, befestigte die Lehre „das kurze Erdenleben hier sei nur eine Vorbereitung zu dem wichti­ geren ewigen Leben drüben" und ging so weit, den Glauben daran mit Religion überhaupt zu identifizieren.

„Streng festzuhalten ist aber daran, daß das dogmatische Christen-

240 thum nicht das Wesen des Christenthums representirt, sondern nur die

zur Hierarchie bereits gelangte

oder darnach strebende Kirche.

Bon

diesem Gesichtspunkt aus verschwindet auch das Paradoxe in der Be­

hauptung, daß Jemand ein sehr guter Christ sein könne, ohne zu einer denn es handelt sich heutzutage nicht darum,

Kirche zu gehören;

ob

Jemand mit einem größern oder kleinern Theil der überlieferten Lehren einverstanden ist, ob er dieses oder jenes Fest, diese oder jene Kultus­

handlung in

ihrer

ursprünglichen Bedeutung

Stande ist, als vielmehr darum, religiösen Lebens,

noch

mitzubegehen im

wie sich der Gesammtcharakter seines

die Grundstimmung desselben zu dem verhält,

was

sich in der Gemeinschaft, der er angehört, von ihrem geschichtlichen Aus­ gangspunkt aus naturgemäß und stetig entwickelt hat.

Nicht das Dogma

und nicht der Kultus ist es, von dem der religiöse Charakter der Ein­ zelnen und der Religionsgesellschaften abhängt,

sondern die Gefühls­

weise, der beide zum Ausdruck dienen; nur nach dieser läßt sich daher

auch das Verhältniß des Einzelnen zur Gemeinschaft und der Gegen­ wart zur Vorzeit in letzter Beziehung beurtheilen." Über den Text: nIf they hear not Moses and the prophets, neither will they he persuaded though one rose from the dead" hat vor einigen Monaten Professor Jo wett in Oxford eine Predigt gehal­

ten, die in allen Zeitungen erschienen ist. „Es sind die religiösen Vorstellungen und Gefühle der Menschen, sagt Zeller, mit ihrem sonstigen Geistesleben und Bildungsstand aufS

innigste verflochten und dadurch bedingt;

sic können daher unmöglich

sich gleich bleiben, wenn jene sich ändern; sondern mit der Erweiterung

der Naturerkenntniß, den Fortschritten der geschichtlichen Forschung, der zunehmenden Übung unseres Denkens, mit der Aufklärung unserer Be­ griffe, der Veredlung unserer Empfindungsweise, der Vervollkommnung

unseres fittlichen Lebens muß auch die Berichtigung der religiösen Vor­ stellungen, die Läuterung der religiösen Gefühle Hand in Hand gehen,

jeder Rückschritt auf jenen Gebieten muß auch auf diese zurückwirken. Vollzieht sich

nun diese Veränderung schrittweise und bei allen Mit­

gliedern einer religiösen Gemeinschaft gleichartig,

ist ferner die ältere

Gestalt einer Religion durch keine Urkunden und Denkmäler in unzwei­

felhafter Weise bezeugt, Stelle des alten,

so schiebt sich das neue so allmählich an die

daß die Größe der eingetretenen Veränderung gar

nicht bemerkt wird. Vorstellungen, die dem veränderten Bildungsgrade nicht mehr entsprechen, werden bei Seite gelegt, Überlieferungen, welche

241 der Zeit nicht mehr zusagen

oder ihr unverständlich geworden find,

werden vergessen, allzu rohe Gebräuche werden aufgegeben, umgebildet, durch neue verdrängt; weil aber das ältere Gebäude nicht mit einem

Male abgebrochen, sondern nur nach und nach umgebaut wird, glaubt man immer noch in dem alten Hause zu wohnen.

Geht dagegen die

Veränderung des Bildungsstandes und der Weltanschauung in einem

Volke oder einem Völkerkomplex rascher und durchgreifender vor fich, werden nicht blos diese oder jene Bestimmungen des bisherigen Glau­ bens, sondern schon die allgemeinen Grundlagen desselben in Frage ge­ stellt, tritt der mythologischen und theologischen Auffassung der Erschei­

nungen der Gedanke ihrer natürlichen Erklärung mit Bewußtsein ent­

gegen, so wird der Gegensatz des Neuen gegen das Alte theils an fich schon nicht so leicht unbemerkt bleiben können, die neuen Ideen werden

sich vielmehr oft gerade erst in diesem Gegensatz zur Deutlichkeit durch­ arbeiten; theils wird es auch immer zunächst nur eine Minderzahl, nur eine geistige Aristokratie sein, die sich dem neuen mit Entschiedenheit zuwendet, während die Masse mit der Kraft einer angewöhnten und eingewurzelten Überzeugung an dem altväterlichen Glauben und den

hergebrachten Kultusformen festhält; und dies um so mehr, wenn der bisherige Glaube das Zeugniß schriftlicher Religionsurkunden für sich hat, und wenn deshalb das Verhältniß der neu auftretenden Anfichten

zu demselben sich nicht so leicht verdunkeln und vergessen läßt. In die­ sem Fall ist ein Kampf des Alten und Neuen unvermeidlich."

Professor Dahlmann schrieb an Gervinus aus Anlaß von dessen Schrift über die Mission der Deutschkatholiken: „Wie man ohne Kirche

ich lebe selbst so, obwohl ich es anders Allein wie man eine Kirche auf bloß christliche Moral bauen

leben kann, das sehe ich ein; wünschte.

könne, das sehe ich vor der Hand nicht ein. diejenigen Geistlichen,

Geheimniß seiner Geburt,

heißungen lehren, ausmachen;

Mir kommt es vor, daß

welche sich an Christus selbst halten, von dem

seiner Auferstehung und von seinen Ver­

und die gläubige Menge welche zuhört,

wenn wir andern aus- und eingehen,

die Kirche

wir bringen Zug,

aber keine Wärme hinein." Dazu bemerkt dann Strauß in dem „Nachwort als Vorwort zu:

Der

alte

und

der

neue Glaube,

1873":

„Das

ist

ganz

auch

meine Meinung bis auf den Puntt des Anderswünschens. Mr sind auf ehrliche Weise von der Kirche abgekommen, und es geht uns auch

hier außen nichts ab; wozu also bedauern, daß wir nicht mehr drinnen 16

242 Eben dies uns zum deutlichen Bewußtsein bringen,

sind?

was wir

auch ohne Kirche haben und dadurch jenem Anderswünschen vorzubeu­

gen, ist der Hauptzweck gewesen, den ich bei der Zusammenstellung und Veröffentlichung meines Bekenntnisses mir vorgesetzt hatte. Dazu ge­ hörte allerdings auch die Erinnerung an alle die Unglaublichkeiten und Widersprüche, die wir mit der Kirche hinter uns gelassen haben, an die Martern unserer Vernunft und unseres Wahrheitssinns» denen wir mit jenem Schritt entgangen sind.

nicht so gemeint,

Aber auch diese Darlegungen waren

als sollte irgend einem,

der sich in der Kirche noch

wohl fühlt, das Verbleiben in ihr verleidet werden; sondern nur uns selbst wollten wir die Gründe bestimmt und im Zusammenhänge ins

Bewußtsein rufen,

die uns zur Auseinandersetzung mit ihr bewogen

haben. Kein Streit mit Andersdenkenden, nur Verständigung mit Gleich­ denkenden war die Absicht. „Doch nicht allein das wollte ich den Gleichgesinnten zum Bewußt­

sein bringen, was wir haben, sondern auch was wir noch nicht haben.

Indem ich ihnen unsern dermaligen Besitzstand an Einsichten und An­

sichten, Anttieben und Beruhigungen vorlegte, auf die Punkte aufmerksam machen,

wollte ich sie zugleich

wo es noch fehlt,

und sie antrei­

auch in ihrem Theil unsere Mittel vermehren zu helfen. Nicht nur das Gebäude unserer Weltvorstellung hat noch seine klaffenden ben,

Lücken,

sondern noch mehr sind wir mit dem Bau unserer Pflichten

und Tugendlehre zurück. Hier habe ich mehr auf die Stellen hindeuten können, wo die Grundsteine zu legen sind, als daß ich schon im Stande

gewesen wäre,

auf etwas Fertiges hinzuweisen.

Das kommt daher,

weil wir noch immer gewohnt sind, uns praktisch an die alten Vor­ stellungen anzulehnen, die Motive unseres Handelns halb unbewußt bei ihnen zu borgen; wir müssen uns der Unhaltbarkeit jener Vorstel­

lungen deutlich bewußt werden und bleiben, um uns zu nöthigen, auf

dem Boden unserer

neuen Weltanschauung d. h.

in

dem

erkannten

Wesen des Menschen, statt in einer vermeinten übermenschlichen Offen­

barung, die festen Anhaltspuntte für unser sittliches Verhalten zu suchen

und zu finden."

Eine bündige Zusammenstellung der Hauptansichten, welche gegen­ wärtig die philosophischen und theologischen Schulen, namentlich in Deutschland, trennen, findest Du in dem ersten Teil von O. Pfleiderer's Religionsphilosophie, 1878. So arbeiten

ernste Männer verschiedener Standpuntte an dem

243 Problem, die Forderungen einer neuen Weltanschauung mit der tradi­ tionellen christlichen Frömmigkeit zu versöhnen,

und begreiflich ist es,

daß weder die mit hegelschen Redewendungen neuverzierte altkirchliche Dreieinigkeitslehre, noch eine starkvermenschlichende Fassung des Gottes­

begriffs,

noch die von dritten empfohlene einfache Rückkehr zu mittel­

alterlichen orthodoxen Bestimmungen zum Ziele führen. Wenn eine Religionslehre bei voranschreitender Kultur in offenen

Widerspruch mit dem erweiterten gesunden Menschenverstand gerät,

befriedigt sie auch nicht mehr die Gefühlsbedürfnisse der Masten.

so Die

Bande, die ein Volk mit seiner Religion verknüpfen, werden alsdann gelockert,

und es entsteht der Drang nach einer der Erkenntnis nicht

mehr fremd gegenüberstehenden Lehre, nach Grundanschauungen, die den Bedürfnissen des Gefühls sowol,

als den Anforderungen des Verstan­

des einen festen Halt geben, die Herz und Kopf gleichzeitig befriedigen, denn auch die sogenannte „vernünftige" Religion ist ja nur die der jedes­ maligen Erkenntnisstufe des Zeitalters oder Individuums entsprechende.

Die alten Götter Griechenlands blieben so lange als Symbole

unangefochten und im Leben wirksam, als sie nicht in Bildnissen aus

Gestürzt wurden sie, als

Marmor und Elfenbein dargestellt wurden.

die Idee des Christentums — dessen Grundgedanke: Das rein mensch­ liche, welches allen Völkern der Erde gemein ist — sich Bahn brach. „Eine wirkliche Stütze des sittlichen Bolksgeistes, sagt Pfleiderer,

kann ja offenbar nur d i e Religion sein,

des Volks lebt;

die auch wirklich im Geiste

eine lebendige Macht im Geiste kann aber nur das

sein, was des Geistes innerliches freies Eigenthum ist,

also eine Re­

ligion, die ihm wahrhaft Herzens- und Gewissenssache ist; dies ist aber das

gerade Gegentheil von einer durch

die verbündete Macht der

Hierarchie und Bureaukratie erzwungenen Kirchlichkeit.

eben wegen des heuchlerischen,

eigen ist,

Eine solche ist

das ihr in irgend welchem Grade stets

nicht nur keine Stütze der Gewissenhaftigkeit und Sittlichkeit

eines Volkes,

sondern geradezu das schlimmste Gift für dieselbe;

wird sich daher immer wieder für den Staat,

sie

der sich auf sie stützen

zu können meinte, als ein trügerischer Rohrstab erweisen, der im ent­ scheidenden Augenblick bricht und die Hand,

verwundet.

die sich auf ihn verließ,

Treffend hat Kant als die polittsche Folge der geistigen

Disciplin einer pfäffischen Kirche dies bezeichnet, daß „unvermerkt die Gewöhnung an Heuchelei die Redlichkeit und Treue der Unterthanen

untergräbt, sie zum Scheindienst auch in bürgerlichen Pflichten abwitzigt

244 und, wie alle fehlerhaft genommenen Principien, gerade daS Gegentheil von dem hervorbringt, was beabsichtigt war." Als aber auch die neue Religion des Geistes in ihrer Verbreitung

unter gewaltsamer Lbgeschloflenheit gegen allen geistigen Fortschritt blut­

getränkte Wege ging,

ohne die heftigsten innern Zerwürfnisse zu ver­

meiden, als sie zum dogmatischen Christentum erstarrte, da zeigte sich auch sofort die Schwäche, nicht der Religion, sondern der Dogmatik, welche der Freiheit der Erkenntnis bestimmte Schranken setzt. Überall

wo Glauben statt Einsicht, gegenüber den wichtigsten Fragen des mensch­ lichen Daseins verlangt, dieser Glaube sogar höher gestellt wird als alle

Werke der Moral,

und

daS Auflehnen des Verstandes

gegen diesen

Glauben verboten und bestraft wird, da hat das dogmatische Christen­ tum sich selbst eine Schranke aufgebaut,

herbeiführte,

mit der

es seine Zersetzung

sobald eine auf allen Gebieten nach Erkenntnis ringende

Welt, auch dieses Hindernis Hinwegzuräumen begann. Die Vorstellung eines „außerweltlichen" Gottes, welcher, mehr oder

minder als ein ins Ungeheure gesteigerter Mensch gedacht, von außen

her die Welt in Bewegung hält und, wenn er will, eingreift in ihren

Verlauf,

genügt dem heutigen Standpunkt des Erkennens nicht,

denn

die Absolutheit Gottes kann nicht als willkürliche Macht, die Ordnungen

der Welt zu durchbrechen, sondern nur als in diesen Ordnungen selbst sich bethättgend, begriffen werden.

Wo aber dennoch die Menschen davon nicht ablaffen können, sich

daS Wesen Gottes nach der Analogie des eigenen Wesens vorstellig zu machen,

glauben sie ein Recht dazu zu finden in der Annahme,

der endliche Geist eben als Geist —

Deus in nobis —

daß

die Offenbarung

des unendlichen sei.

„Does not the Black African take of sticks and old clothes what will suffice, and of these, cunningly combining them, fabricate for himself an Eidolon (Idol, or Thing seen) and name it Mumbo-Fumbo; which he.can thenceforth pray to, with upturned awestruck eye, not without hope? The white European mocks but ought rather to consider.u Denn macht man mit dem Begriff der Geistigkeit Gottes Ernst,

so bleibt nichts

übrig als

das göttliche Wesen nach Ähnlichkeit des

Menschengeistes vorzustellen, als mit Freiheit und Selbstbewustsein wir­ kend d. h. als Einzelpersönlichkeit.

Daher hat die neueste über Hegel

hinausgehende Philosophie, die Notwendigkeit anerkannt, Gott, wenn

245

er wirklich Geist sein soll, nach Analogie des Menschengeistes zu be­ greifen — und die neuere Theologie hat nach ältern Borgangen wieder darauf hingewiesen, daß der menschliche Geist nur die Offen­ barung oder das Ebenbild des göttlichen sei, der Mensch also, wenn er sich Gott denke, notwendig anthropomorphisiere, gleich wie Gott, als er den Menschen schuf, theomorphisierte d. h. ihn zu seinem Bilde schuf. Wenn nun auch das Bedürfnis einzelner Menschen nicht zum Schweigen zu bringen ist, das einen persönlichen Gott verlangt, zu dem es beten kann, zu dem der betende vertrauensvoll wie Ich und Du gegenübertritt, und die Spekulation das Recht dieses Bedürfnisses da anerkennen muß, wo es sich nicht tot reden läßt, so besteht die Spe­ kulation aber auch auf ihrem eigenen Recht, die mehr oder minder mit sinnlichen Elementen behaftete Vorstellungsform in die Form des Ge­ dankens zu erheben und stellt sich die Aufgabe den wirklichen religiösen Erfahrungsgehalt philosophisch darzustellen d. h. die Anforderungen deS Gemütes und des Verstandes, die Bedürfnisse von Kopf und Herz zu versöhnen. Dies wird aber immer nur annäherungsweise gelingen. Die zu überwindenden Schwierigkeiten hat A. Schopenhauer wie folgt bezeichnet: „An den Religionen ist eigentlich Alles Mysterium, d. h. Allegorie. Denn die Wahrheit sensu proprio dem Volke beizubringen, ist schlecht­ hin unmöglich: nur ein mythisch-allegorischer Abglanz derselben kann ihm zufallen und es erleuchten. Dieserwegen nun ist es eine ganz un­ billige Zumuthung an eine Religion, daß sie sensu proprio wahr sein solle; und daher sind in unsern Tagen sowohl Rattonalisten als Super­ rationalisten absurd, indem beide von der Voraussetzung, daß sie eS sein müsse, ausgehen, unter welcher dann Jene beweisen, daß sie es nicht sei, und diese hartnäckig behaupten, sie sei es; oder vielmehr Jene das Allegorische so zuschneiden und zurechtlegen, daß es sensu proprio wahr sein könnte, dann aber eine Plattitüde wäre; diese aber es, ohne weitere Zurichtung, als sensu proprio wahr behaupten wollen, — welches doch ohne Ketzergerichte und Scheiterhaufen gar nicht durchzusetzen ist, wie sie wissen sollten. Wirklich hingegen ist Mythus und Allegorie das eigentliche Element der Religion; und so leistet sie dem unvcrtilgbaren metaphysischen Bedürfniß des Menschen sehr wohl Genüge und vertritt die Stelle der unendlich schwer und vielleicht nie zu erreichenden reinen philosophischen Wahrheit .... Versteht man die christliche Dogmattk sensu proprio, so behält Voltaire Recht. Hingegen allegorisch genom-

246 men ist sie ein heiliger Mythos, ein Vehikel, mittelst dessen dem Volke

Wahrheiten beigebracht werden,

die ihm sonst durchans unerreichbar

wären. Sogar die Behauptung der Kirche, daß in den Dogmen der Religion die Vernunft völlig inkompetent, blind und verwerflich sei,

besagt im innersten Grunde dies, daß diese Dogmen allegorischer Natur und daher nicht nach dem Maßstab, welchen die Vernunft, die Alles bcubu proprio nimmt, allein anlegen sann, zu beurtheilen seien. Die Absurditäten im Dogma sind eben Stempel und Abzeichen deS Allego­ rischen und Mythischen, obwohl sie auch daraus entsprangen, daß zwei

so heterogene Lehren, wie die des Alten Testaments und des Neuen

Testaments, zu verknüpfen waren." Aber nicht nur Gemüt und Ver­ stand sind zu versöhnen, sondern auch die Einbildungskraft stellt ihre Auf diese hat aber die Wiffenschaft keine befriedigende Ant­ wort, sondern nur der Dichter, der das Ideal — schafft; denn etwas

Fragen.

Wirkliches zu schaffen vermag der Mensch nicht — das Schaffen ge­ hört der Natur allein an.

II n’itant pas donne L l’homme d’arriver

au but, sa gloire est d’y marcher.

Jeder der mit Bewußtsein in seiner religiösen Ausbildung zu Werke geht, wird erfahren was der Apostel Paulus sagt: „Wenn aber

kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug, wie ein Kind, und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann war, that ich ab, waS kindisch war". Jeder wird als Ausgangspunkt seiner religiösen Überzeugungen au

den religiösen Lehren halten, in denen er erzogen worden, und wird dieselben, wie er im Leben voranschreitet und so lange er eben geistig

lebt, unter dem Einfluß unzähliger Verhältnisse, modifizieren. Die Frage ob dies recht oder unrecht sei, klingt als wollte man fragen ob es recht oder unrecht sei, daß ein Kind zum Manne heranwächst.

London, 28. Mai 1879. Ich sprach Dir in meinem letzten Briefe von der neuen Weltan­

schauung.

Es ist dies die Ausbildung der Idee der Natur in ihrer

Ganzheit: das Bestreben das Weltall als ein einziges, großes, systema­ tisches Ganzes der Existenz zu durchdringen und zu begreifen — das

Geschäft der Metaphysik wie die einen,

dere sagen. Nun wird Metaphysik

der Naturphilosophie wie an­

(der Name ist zufällig entstanden,

indem

der Teil der Schriften des Aristoteles, der die Untersuchungen über die höchsten theoretischen Begriffe enthält, als „der auf die physischen Bücher folgende" uh« t« fpvaxd bezeichnet wurde) in diesem Sinne

als die Wissenschaft der Realprinzipien der Erscheinungen bezeichnet und hat es mit Begriffen zu thun, die das Knochengerüste aller theo­ retischen Erkenntnis bilden, mit den Begriffen des Seins und des Wer­ dens, der Kraft und des Stoffes, des Raums und der Zeit, und allen

Dingen, die außerhalb des Bereichs der Erfahrung liege«. Metaphysik ist demnach eine Erkenntnisweise der Vernunft, welche über die Erklä­ rung der Natur durch sinnliche Wahrnehmung mittelst unserer Ber­ standesformen hinauszugehen und Aufschluß zu geben versucht über ihren Urgrund, über das was die ganze Natur erst möglich macht.

Diese Untersuchungen sind von jeher das Gebiet gewesen, auf welchem sich die Gegensätze der philosophischen Systeme vorzugsweise begegneten

und die Geschichte der Metaphysik ist daher die Geschichte der theorettschen Spekulatton wie die einen, der menschlichen Verirrungen wie andere behaupten. Schon in den Zeiten vor Socrates hatten sich die verschiedenen

Grundansichten über die Realgründe der Erscheinungswelt beinahe voll­ ständig geltend gemacht, und die Fragen ob das reale, scheinungen zu gründe liege, eines oder vieles,

was den Er­ ob es als körperlich

oder als unkörperlich zu denken sei; ob dem, was ist, die Veränderung an sich selbst zukomme, oder ob alle Veränderung nur ein äußerer,

248 das Seiende selbst nicht berührender Schein, ob die vorliegende Natur­

ordnung ein Produkt des Zufalls oder der Notwendigkeit, Werk einer vernünftigen Intelligenz sei: hatten die Denker ebenso beschäftigt,

diese

und

oder daß

ähnliche Frager

wie voneinander getrennt.

Dic

platonische und aristotelische Philosophiern werden als die umfassendster und großartigsten Bermittelungsversuche dieser spekulativen Gegensätze

betrachtet.

Im Laufe der Zeit wurden die metaphysischen Fragen teils

die Rücksicht auf religiöse Voraussetzungen

durch

lehren der christlichen Kirche,

schen Naturerkenntnis immer verwickelter;

lichen Probleme,

und die Glaubens

teils durch die Erweiterung der empiri­ die einfachen und ursprüng­

welche die alten Denker beschäftigt hatten,

den Hintergrund, unb

man

überzeugte sich

immer mehr,

gründliche Beantwortung der auf Natur und Ursprung überhaupt bezüglichen Fragen nur gewonnen werde

traten in daß

eine

des Daseins

durch eine Erfor

schung des Wesens und der Einrichtungen unseres Erkenntnisprozesses,

eine Aufgabe, deren Lösung Kant vorzugsweise beschäftigte. In England wird,

wie Du weißt,

eine Metaphysik im Gegensatz

zur Methode der empirischen Naturforschung nicht allgemein anerkannt;

man beschränkt sich auf eine sogenannte Naturphilosophie,

die Aufgabe stellt,

welche

sich

die Resultate der einzelnen Naturwissenschaften in

grüßern Zusammenhängen zu verknüpfen,

hiernach den Plan und den

Umriß des Weltganzen zu entwerfen, ganz besonders aber, rungen der einzelnen Naturwissenschaften mit den

die Erfah­

allgemeinen innern

Thatsachen des Bewußtseins in Einklang zu setzen und zu diesem Zwecke die Grundbegriffe von Materie und Kraft, Bewegung und Veränderung, Anziehung und Abstoßung in Nähe und Ferne, Zeit und Raum, Sub­

stanz und Ursache rc.,

ihres Materials

welche die Naturwissenschaften bei Verarbeitung

als Werkzeuge

voraussetzen,

einer Kritik zu

unter­

werfen.

Der Umwandlungsprozeß einer phantastischen Natursymbolik in die

eigentliche Raturforschung,

welche

aller Naturphilosophie

vorausgehen

muß, ist nun bei manchen Völkern und bei den meisten Menschen noch gar nicht,

bei andern im Zusammenhang mit der philosophischen Bil­

dung nur langsam und allmählich eingetreten.

„Die Astronomie hatte schon längst die Grundlage ziemlich genauer Beobachtungen gewonnen,

als man die Gestirne noch immer von den

sie beherrschenden Intelligenzen in ihren Bahnen getrieben werden ließ, nur ungern astrologische Träume aufgebend,

welche die Geschicke auf

249 der Erde in unmittelbaren Zusammenhang mit den Konstellationen am Himmel erscheinen

ließen.

So hatte auch die Chemie einen

langen

und hartnäckigen Kampf mit der Alchemie zu kämpfen, ehe sie von aller Mystik sich befreien konnte und noch in unsern Tagen umkleidet man

bisweilen jedes geheimnißvolle und noch nicht hinlänglich durchforschte

Gebiet der Naturerscheinungen, wie z. B. die des animalischen Magne­ tismus, mit dem Schleier des Wunderbaren und Geisterhaften.

„Der leitende Gedanke der Naturforschung: unabänderlichen,

daß die Natur nach

in dem Wesen der Dinge selbst gegründeten Gesetzen

wirke, kann auch erst allmälig zur vollen Klarheit und allgemeinen Gül> tigkeit kommen, weil diese Gesetze unter der scheinbaren Unregelmäßig­ keit der Erscheinungen tief verhüllt sind und die Natur oft mit einer

launenhaften Freiheit zu spielen scheint, wo ihre Produtte dennoch der

gesetzmäßige Erfolg ineinander verwebter,

sich

gegenseitig

bedingender

Nothwendigkeiten sind."

Bon Wichtigkeit ist aber bei allem wissenschaftlichen Streben das Festhalten einer fördernden Methode.

Darüber hat schon Goethe sich

ausgesprochen:

„Ein Jahrhundert das sich blos auf die Analyse verlegt, und sich

vor der Synthese gleichsam fürchtet,

ist nicht auf dem rechten Wege;

denn nur beide zusammen, wie Aus- und Einathmen, machen das Le­

ben der Wissenschaft.

Eine falsche Hypothese ist besser als gar keine;

denn, daß sie falsch ist, ist gar kein Schade: aber wenn sie sich befestigt, wenn sie allgemein angenommen, zu einer Art von Glaubensbekenntniß

wird, woran Niemand zweifeln, welches Niemand untersuchen darf, dies ist eigentlich das Unheil, woran Jahrhunderte leiden.

„Die Hauptsache, woran man bei ausschließlicher Anwendung der Analyse nicht zu denken scheint,

voraussetzt.

ist,

daß jede Analyse eine Synthese

Ein Sandhaufen läßt sich nicht analysiren;

aber aus verschiedenen Theilen,

bestünde er

man setze Sand und Gold, so ist das

Waschen eine Analyse, wo das Leichte weggeschwemmt und das Schwere

zurückgehalten wird.

So beruht die neuere Chemie hauptsächlich darauf,

das zu trennen, was die Natur vereinigt hat; wir heben die Synthese

der Natur auf,

um sie in getrennten Elementen kennen

Eine große Gefahr,

in welche der Analytiker geräth,

zu

lernen.

ist deshalb die,

wenn er seine Methode da unwendet, wo keine Synthese zum Grunde liegt. Dann ist seine Arbeit ganz eigentlich ein Bemühen der Danaiden; und wir sehen hiervon die traurigsten Beispiele; denn im Grunde treibt

250 er doch eigentlich sein Geschäft, um zuletzt wieder zur Synthese zu ge­ langen.

Liegt aber bei dem Gegenstände den er behandelt,

keine zum

Grunde, so bemüht er sich vergebens sie zu entdecken; alle Beobachtungen werden ihm immer nur hinderlich,

je mehr sich ihre Zahl vermehrt.

Bor allem also sollte der Analytiker untersuchen,

oder

vielmehr

sein

Augenmerk dahin richten, ob er denn wirklich mit einer geheimnißvollen Synthese zu thun habe,

oder ob das,

womit er fich

beschäftigt,

nur

eine Aggregation sei, ein Nebeneinander, ein Miteinander, oder wie da- alles modifizirt werden könnte. Einen Argwohn dieser Art geben

diejenigen Kapitel des Wissens, mit denen es nicht vorwärts will." Auch E. v. Hartmann,

„Neukantianismus", sagt „Analyse und

Synthese gehören zusammen wie Ein- und Ausathmen, und wie beim

Schluchzen das Einathmen,

beim Seufzen das Ausathmen sich in den

Vordergrund drängt, so ist in der Kritik die Analyse, in der positiven Systematik die Synthese das hervorstechende".

Was Gladstone in bezug auf das Studium Homer’s als höchst­ wichtiges Glied für die Religionswissenschaft sagt,

ist für wissenschaft­

liche Forschungen auf allen andern Gebieten beachtenswert.

. . . What it really inculcates is not despair, bnt patience. Let Egyptology, Assyriology, Homereology, and the whole chubby and growing family of ologies work on steadily in the collection and Classification of materials, without limit, and in the Suggestion of inferences from them with no other reserve than this one important condition, that they shall not present to the world provisional and hypothetical results as accepted facts, or demonstrated conclusions. How rauch error and confusion have arisen or may arise from overleaping this barrier of reserve, there is no present occasion to consider. The office of a genuine enquirer and collector of facts, if humble, is honorable. But if he is determined to forestall the future, if the grub is resolved to play the butterfly, then, inasmuch as his future is one that never may arrive, instead of growing into a discoverer, he may eventually stand revealed as an impostor. „When the realien or positive Contents of the Homeric Poems shall have been at length collected and published, they will with a vast economy of labour gradually distil through the brains of a number of competent men, such for example as those who have theorised at large on Nature-worship, men who will have time to consider the evidence, but would not have had time to collect it.

251 Then will grow up, one by one, a body of approved results; and these, taking their proper places through the force of intellectual gravitation, will obtain their final certificates as portion s of the established knowledge of mankind.“ Für die moderne Naturphilosophie sind die Arbeiten von Char­ les Lyell, Principles of Geology, 1830, und von Charles Dar­ win, von großem Einfluß gewesen. Unter Darwin’s zahlreichen Werken hat das 1859 publizierte „On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life“ der ganzen Natur­ forschung unserer Zeit neue Anregung und Richtung gegeben. Sein 1871 erschienenes Werk „The descent of man, and selection in relation to sex“ enthält manche Gedanken, die schon Lucretius besprochen, die sich jetzt meist an den Namen von Jean Lamarck, 1744—1829, Philosophie zoologique, 1809, knüpfen, die aber schon Herder, 1744 — 1803, gelehrt hat. Zur Beurteilung des gegenwärtigen Standpunktes dieser wissen­ schaftlichen Forschungen, wirst Du mit Nutzen lesen die Reden von:

Du Bois-Reymond, am 14. August 1872 in Leipzig „Ueber die Grenzen des Naturerkennens-; Ernst Haeckel, am 18. September 1877 in München „Die heutige Entwickelungslehre im Verhältniß zur Gemeinlehre" ; Rudolf Virchow, am 22. September 1877 gleichfalls in München als Antwort auf die vorige „Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat";

so wie die im Juni 1878 in Stuttgart zur Widerlegung Birchow's er­ schienene Schrift von Ernst Haeckel, „Freie Wissenschaft und freie Lehre"; und Dr. H. Müller, „Die Hypothese in der Schule," 1879. „Die Bedenken, welche man von kirchlicher Seite gegen die Er­ gebnisse der modernen Naturforschung geltend macht, sind zwar durch­ aus berechtigt, sofern diese Ergebnisse als objectiv feststehende Wahr­ heiten verkündet und als Dogmen weiter verbreitet werden, dagegen muß jedes religiöse Bedenken, nicht nur gegen die Naturforschung selbst, sondern auch gegen die Uebermittlung ihrer Ergebnisse an die Schüler höherer Lehranstalten vollständig verschwinden, sobald die Vertreter der Religion und diejenigen der Naturwissenschaft in dem unbedingten

252 Streben nach Wahrheit übereinstimmen.

wo die Einen oder

Nur da,

die Andern von dieser obersten Richtschnur für uns Alle sich entfernen, kann Kollision und unvereinbarer Widerstreit eintreten. Der Religions­ lehrer verläßt diese Richtschnur und schädigt das Ansehen der Religion,

wenn er die Schale für den Kern gibt und die Raturanschauung

der

Zeit, welcher seine Religionsform entstammt, als unantastbares Dogma betrachtet wissen will;

wenn er den Ge­

er verläßt diese Richtschnur,

bildeten des neunzehnten Jahrhunderts zumuthet, stehende Scheibe zu betrachten,

wölbe sich

dreht,

oder

den

die Erde als

fest­

um welche das krystallene Himmelsge­

scheinbaren Umlauf der Sonne und der

Sterne um die Erde noch heute als Wirklichkeit anzunehmen, wenn er uns zumuthet,

an einen Anfang der Welt vor einigen Jahrtausenden

zu glauben oder die Entwickelung von niederen zu höheren Lebens­ uns wahrscheinlich macht und die Ent­

welche die Geologie

formen,

wickelungsgeschichte der Einzelwesen uns unmittelbar vor Augen führt, zu leugnen. Der naturwissenschaftliche Lehrer verläßt jene oberste Richt­

schnur für uns Alle und schädigt

das Ansehen der Naturwissenschaft,

wenn er irgendwelche Hypothese oder Theorie, und sei sie auch noch so

sicher begründet,

wie das Xe^ton'sche Gravitationsgesetz,

als objecttv

feststehende Wahrheit ansgibt und als Dogma verkündet, oder wenn er für irgendwelches wiffenschaftliche Ergebniß,

mag es

lichen Ueberzeugung noch so fest begründet sein,

in seiner persön­

bei seinen Schülern

einen höhern Grad von Wahrscheinlichkeit beansprucht, als sich aus den diesen bekannten Thatsachen mit Nothwendigkeit von selbst ergibt. Nur

dadurch läßt sich jede Kollision zwischen Religionslehre und Naturwissen­ schaft fern halten, daß die Lehrer beider Unterrichtsgegenstände unbe­ dingte Wahrhaftigkeit sich zur

machen,

obersten Richtschnur

ihres Unterrichts

daß also einerseits der Religionslehrer die Naturanschauung,

welche seine Lehren umkleidet, äußere Hülle,

als eine für diese ganz unwesentliche

welche mit dem Fortschritt der

menschlichen Erkenntniß

sich ändern muß, nicht bloß für sich, sondern auch seinen Schülern gegen­

über ausdrücklich anerkannt,

daß andrerseits

der

naturwissenschaftliche

Lehrer in erster Linie einen möglichst reichen Schatz auf eigene An­ gegründeten thatsächlichen Wissens als einzige zuverlässige

schauung

Grundlage für jede wissenschaftliche Erkenntniß seinen Schülern zu über­

mitteln sucht,

und für die Hypothesen und Theorien,

denselben die zahlreichen,

heiten

faßbar

macht,

durch welche er

sonst unbegreiflichen unbehaltbaren Einzel­

keine weitere

Wahrscheinlichkeit

in Anspruch

253 nimmt/ als sie durch die den Schülern bekannten Thatsachen für diese

von selbst besitzen." Daß die Naturforschung bei der Ansammlung von Thatsachen nicht

stehen bleiben kann, ist einleuchtend,

denn das Zusammentragen des

Materials soll doch nur die Vorarbeit sein zur Gestaltung eines fest­

geschloffenen Baues, dessen Errichtung noch manche kühne hypothetische

Annahme dieser oder jener Vereinigung von Gliedern vorangehen wird, ehe der Steinhaufen sich in ein wohnliches Haus verwandelt. „So lange wir mit den nächsten Natnrerscheinungen noch nicht im Reinen

sind, frommt die Erforschung des außer der Welt liegenden dem Sterb­ lichen nicht,"

sagt der ältere Plinius,

sich nicht befriedigend erklären.

d. h. so lange läßt das ganze

„Wem aber der Name Natnr durch

manche Schriften unseres Zeitalters sinnlos und niedrig geworden ist, jene allmächtige Kraft, Güte und

der denke sich statt dessen

Weisheit, nnd nenne in seiner Seele das unsichtbare Wesen, das

keine Erdensprache zu nennen vermag,

denn Gott ist Alles in seinen

Werken" — heißt es bei Herder.

Es ist die Natur, von der der Dichter sagt:

„Leben gab ihr die Fabel, die Schule hat sie entseelt, Schaffendes Leben auf3 Neu' gibt die Vernunft ihr zurück." Und nun noch ein Bach für Dich, welches in populärer Fassung

den Zweck hat, die Aufmerksamkeit auf den Zustand und die Bedeutung der Chemie, auf die Aufgaben, mit deren Lösung sich die Chemiker be­

schäftigen, und den Anteil zu lenken, den diese Wissenschaft an den Fort­ schritten der Industrie, Mechanik, Physik, Agrikultur und Physiologie

genommen hat. Es ist dies Jnstns v. Liebig's, „Chemische Briefe", 1844. „Ohne die verborgenen Fäden zu kennen, sagt in der Vorrede der

Verfasser, an welche sich die dem Leben nnd der Wiffenschast zugewach­

senen Erwartungen knüpfen,

dürfte es auch dem aufmerksamen Beob­

achter nicht gelingen, zum Verständniß der gegenwärtigen Zeit in ihrer

materiellen nnd intellectnellen Gestaltung zu gelangen. Dem gebildeten Menschen ist diese Kenntniß Bedürfniß, insofern sie die erste und wich­ tigste Bedingung der Entwickelung und Vervollkommnung seines geistigen Lebens in sich schließt; für ihn ist das Bewnßtwerden der Ursachen und Kräfte, die so vielen und reichen Erfolgen zn Grunde liegen,

an

sich schon Gewinn, weil durch das Geschehene das Bestehende erst klar

nnd das Auge für das Zukünftige empfänglich gemacht wird. Mit ihrer

254 Bekanntschaft nimmt er an der Bewegung Theil,

es verliert sich durch

sie das anscheinend Zufällige und Räthselhaste der gewonnenen Resultate

von selbst,

und in dem natürlichsten,

nothwendigsten Zusammenhänge

erscheinen ihm die neuen und gesteigerten Geistesrichtungen der Zeit. Indem er Befitz von den ihm gebotenen geistigen Gütern nimmt,

wächst ihm

der Vortheil,

sie nach

seinem Willen

er­

und Vermögen zu

seinem Nutzen zu verwenden, zur Vermehrung dieser Reichthümer bei­ zutragen, ihre Segnungen zu verbreiten und fruchtbringend für Andere

zu machen."

Im Anschluß hieran wirst Du mit Nutzen lesen:

E. Littre, La Science an point de vue philosophique, 1873.

London, 15. Juni 1879. Du hörst jetzt viel von dem Zerwürfnis zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit und ich hoffe Du wirst bald die Bedeutung dieses

leidigen, sogenannten „Streites zwischen Staat und Kirche" verstehen

lernen,

der,

so oft er auch zu Zeiten ruht,

immer unter neuen,

oft

wunderlichen Namen: gegenwärtig hier „Ritualismus", in Deutschland „Kulturkampf",

in Frankreich „Article VII de la loi de Ferry“,

in

Belgien „Liberte personelle“, wiederkehrt. Ursprünglich war, und gewöhnlich ist auch heute noch, als Kirche,

in dieser Verbindung, nur die zur Hierarchie vollständig ausgebildete römisch-katholische Kirche verstanden. Du mußt versuchen Dir ein klares Bild zu machen über Ursprung, Wachstum und Wesen dieser Hierarchie, welche, wie das Priestertuin einer jeden Religion, es als Beruf erachtet

Dolmetscher der Gottheit und Vermittler der göttlichen Gnade für die Laien zu sein.

Bei den Hebräern war das Priestertum in der Familie Aarons

erblichen.

Es gab verschiedene Priesterklasftn, deren jede ihren Vor­

und deren gemeinsames Oberhaupt der Hohepriester war. Das Priestertum innerhalb der christlichen Kirche hat sich nach diesem steher hatte,

Borbilde unter jüdischen Einflüssen allmählich gestaltet. Die Apostel selbst waren weder Priester noch Begründer einer eigentlichen Hierarchie

oder Priesterherrschast. Diese erwuchs erst aus dem Bedürfnis kirch­ licher Einheit. Die ersten Gemeindevorstände, welche Presbyter (Älteste)

oder Bischöfe (Aufseher) hießen, hatten nur die äußere Leitung der Gemeinden zu besorgen; die Lehrthätigkeit war an kein Amt geknüpft, sondern freie Geistesgabe. Neben den Presbytern finden sich schon früh­

zeitig Diakonen oder Armenpfleger. Erst seit dem zweiten Jahrhundert bildete sich ein kirchliches Lehramt, welches nun mit dem Borstehercnnt

verbunden ward. Seit Mitte desselben Jahrhunderts wurde einer der Ältesten durch den ausschließlich ihm beigelegten Namen Bischof bezeich-

256 net und zum Vorgesetzten der anderen Ältesten und Diakonen gemacht.

Jede Gemeinde bekam ihren Bischof, und die Bischöfe waren unterein­ ander gleichberechtigt. Nach der Natur der Sache erhielten aber die Bischöfe der größern Städte das Übergewicht über die Bischöfe kleiner und dieses Verhältnis verwandelte sich allmählich in eine

Gemeinden,

wirkliche Obergewalt.

die Bischöfe der größern Städte

So wurden

Bischöfe mehrerer von ihnen abhängiger Gemeinden,

denen Presbyter

oder parrochi (Pfarrer) vorstanden und es bildete sich so der bischöfliche

Zur Erhebung der bischöflichen Würde trug auch die Ver­

Sprengel.

mehrung

der

untern

Kirchendiener

(Archipresbyter,

Archidiakonen,

Ostiarier, Akoluthen u. s. w.) nicht wenig bei. Vorzüglich aber geschah dieses durch die Synoden, auf welchen die Bischöfe die gesetzgebende Gewalt übten, und durch die Kaiser, nachdem diese zur christlichen Kirche

getreten

Die Bischöfe

waren.

den Hauptstädten oder Metropolen

in

wurden nun unter dem Titel der Metropolitan- oder

der Provinzen

Erzbischöfe die Vorgesetzten der Bischöfe der Provinz. Auch wurden die Alexandrien und Antiochien

Bischöfe zu Rom,

durch den Ehrentitel

Patriarchen besonders ausgezeichnet, den man später auch den Bischöfen von Konstantinopel und Jerusalem gab. Die Wahl und Einsetzung der

die früher den Gemeinden selbst zugestanden hatte, kam nun­

Bischöfe,

mehr

in

meist

die Hände

der Kaiser.

Dagegen

wurde

die niedere

Geistlichkeit immer mehr abhängig von den Bischöfen, deren Würde und Gerechtsame die Kaiser mehrten. die Lehre,

Die Prerogativen,

die besondere Kleidung,

lichkeit erhielt,

daß ihr durch die Ordination der

natürliche Gaben mitgeteilt würden

Vorstellung vom

Veranlassung,

und

levittschen Priestertum

welche

heilige Geist und über­

endlich die Anwendung der des Alten Testaments

die christlichen Priester als einen besonderen,

weihten Stand,

den man

die Geist­

wodurch man sie auszeichnete,

gaben

Gott ge­

das Erbteil des Herrn — daher der Name

Klerus — nannte, zu betrachten und ihn von dem christlichen Volke,

der Gemeinde oder den Laien, zu unterscheiden.

Vermöge Gaben

hielt

der

sich

durch

die Priesterweihe erlangten übernatürlichen

das Priestertum

als Kirche zur Herrschaft über die

Laien, das Volk, von Gott berufen und allein zu wirksamer Verwaltung

der heiligen Handlungen befähigt. Damit war die Hierarchie gegen die Laien abgeschlossen,

welche nun alles Einflusses in der „Kirche" ver­

lustig gingen und dieser als „Staat" gegenüber gesetzt wurden. Da auch die

Kaiser,

Könige, Fürsten und Obrigkeiten Laien

waren

und

der

257 Klerus eine göttliche Ordnung, mit göttlicher Autorität bekleidet, zu sein behauptete, so war damit auch die Unterordnung des Staats und seiner Gesetze unter den Klerus gegeben und ausgesprochen, wenigstens in

allen Dingen,

welche die Kirche entweder angingen

oder vom Klerus

als kirchliche angesehen wurden. Nach zwei Seiten hin, nach Innen über die Kirche und den Klerus selbst, nach Außen über das Volk, die Laien, den Staat, bildete sich nun die Hierarchie weiter aus. Älterer Anschauung gemäß sollten alle,

welche die Weihe empfangen hatten, einander gleich sein,

schöfe

oder

und die Bi­

die Patriarchen waren nur primi inter pares,

nur dem

Range, Einfluß und der Ordnung nach, nicht nach der Qualifikation höher als die andere Geistlichkeit. Aber bereits im vierten Jahrhundert

fing man an, mehrere besondere Weihen oder Ordinationen einzuführen

und namentlich eine besondere Weihe der Bischöfe, die sich dadurch immer mehr zu eigentlichen Herren des untergeordneten Klerus erhoben und die Rechte in ihre Gewalt bekamen, welche die ganze Korporatton der Geweihten über die Laien beanspruchte, während sie selbst sich unter­

einander gleich blieben.

So war die Hierarchie eine Aristokratie, und

dieses ist sie noch gegenwärtig in der griechischen oder morgenlän­

dischen Kirche, in welcher es keinem Patriarchen oder Erzbischöfe gelang, sich zum Oberherrn der andern aufzuschwingen. In dem abendländischen oder lateinischen Teil des römischen Kaiserreichs gab es aber bei der Reichsteilung nur einen Patriarchen,

den von Rom, so daß also die Hierarchie sich hier nicht zur Aristokratte, sondern zur Monarchie entwickeln

mußte.

Die wiederholten Versuche

der Bischöfe von Rom, die sich ausschließlich Päpste nannten, sich des

Primats der ganzen christlichen Kirche zu bemächtigen, mißlangen; da­ gegen gelang es ihnen, es dahin zu bringen, daß sie im christlichen Abendlande allgemein als das Oberhaupt des Klerus und der Kirche angesehen wurden; es gelang ihnen aber nicht durchaus, daß man ihre

Obergewalt über die abendländische Kirche als eine absolute oder un­

beschränkte angesehen hätte. Die Theorie von der absoluten Gewalt des Papstes über die Kirche, ist auf die sogenannten falschen Dekretalien des Jsidorus gegründet, welche Gregor VII. und dessen Nachfolger weiter ausbildeten, und sie enthält die Sätze:

„Der römische Bischof oder Papst ist der

alleinige

Bischof der ganzen Christenheit, also der allgemeine Bischof; alle geist­ liche Gerichtsbarkeit, die gesetzgebende und vollziehende Gewalt ist allein

17

258 in seinen Händen; er allein kann Gesetze geben, sie authentisch auslegen

und von ihrer Beobachtung dispensiren; er allein kann die Bischöfe zu allgemeinen Synoden zusammenberufen, die Synoden leiten und ihren Beschlüssen Gesetzeskraft ertheilen; alle andern Erzbischöfe und Bischöfe

sind nur Stellvertreter und Bevollmächtigte von ihm, ihm zu unbedingtem

Gehorsam verpflichtet, werden von ihm eingesetzt oder abgesetzt und haben

alle ihre Rechte und Befugnisse nur von

ihm, daher er diese Rechte

erweitern oder beschränken kann, nach seinem Belieben; das ganze Kirchcngut endlich ist ein Eigenthum des Papstes und kann von ihm

nach seinem Ermessen verwendet werden". Dieses ist das sogenannte römische Hofsystem, auch Kurialsystem oder Ultramontanismus genannt. Es wurde vom römischen Stuhle zwar seit dem 11. Jahrhundert aus­ gesprochen, aber von der katholischen Kirche niemals allgemein aner­

kannt, selbst nicht von dem tridentinischen Concilium 1545 — 1563, das zwar den Grundsatz der Hierarchie festsetzte, daß die Geistlichkeit ein von Gott besonders geordneter und durch die Gaben des heiligen Geistes

fortwährend inspirierter unfehlbarer Stand sei, dem allein die gesetz­ gebende und vollziehende Gewalt in der Kirche zustehe, das aber das Verhältnis des Papstes zu den Bischöfen unerörtert ließ.

Was nun das Verhältnis der Hierarchie zur weltlichen Obrigkeit betrifft, so waren die Bischöfe und der Klerus im römischen Weltreich Unterthanen des Kaisers nicht nur, sondern dieser setzte sie ein und konnte

sie absetzen — und so ist es in der morgenländischen Kirche auch ge­

blieben. Auch im abendländischen Römerreich und in den verschiedenen Königreichen, in welche dieses zerfiel, blieben die Könige die Herren

der Bischöfe, die ihre Vasallen waren.

Selbst die Erneuerung der rö­ mischen Kaiserwürde im Abendlande änderte daran nichts, und die neuen

Kaiser behaupteten ihre Hoheit auch anfangs über die Bischöfe von Rom.

Diese aber, besonders Gregor VII, Innocenz III und Bonifacius VIII wendeten das Princip der Hierarchie und

der absoluten Gewalt des

Papstes nun auch nach Außen, gegen den Staat, und stellten die Be­

hauptung auf, der Papst sei als Statthalter Gottes auf Erden, Besitzer aller Länder der Erde;

alle Kaiser und Könige hätten ihre Würden

von ihm, müßten seinen Befehlen gehorchen und könnten von ihm ge­ richtet, abgesetzt, ihrer Länder beraubt und die Unterthanen von dem Eide der Treue gegen sie entbunden werden.

Hierdurch wurde die Theorie

von der absoluten Papstgewalt auf ihren Gipfel gebracht, und der häu­ fige Konflitt, in welchen Herrscher fortwährend mit ihren Unterthanen

259 gerieten, gab willkommene Beranlaffung, durch abwechselnde Unterstützung des einen Teils gegen den andern, in der Praxis diese Ansprüche zur

Geltung zu bringen und dadurch die Macht weiter zu befestigen.

„Es ist der tiefste Principiengegensatz, der sich denken läßt, sagt Pfleiderer, was in dem weltgeschichtlichen Kampfe zwischen römischem Papstthum und deutschem, zumal jetzt protestantisch-deutschem Kaiserthum

zur Erscheinung kommt. Rom sieht in diesem mächtigen und überwiegend protestantischen deutschen Staatswesen die Verbindung seiner beiden Erzfeinde: des freien, in Vernunft und Gewissen sich autonom wissen­

den religiös-sittlichen Geistes, der im Evangelium Christi begründet, in der deutschen Natur angelegt, im Protestantismus eine geschichtliche Macht geworden ist; und der vernünftigen Rechtsordnung der Gesellschaft,

die im nationalen Staat ihre Naturgemäßeste und sicherste Consolidirung findet. Beidem steht direct entgegen die von Rom angestrebte absolute

Welttheokratie, dieses pseudochristliche Nachbild des Hoffährtigen Juden­

traums eines weltlichen Messiasreiches, in welchem das wahre Gottes­

reich zum fleischlichen Zerrbild verkehrt und die Freiheit Aller in der vernünftigen Ordnung des Ganzen erdrückt und vernichtet ist von der Willkürherrschaft eines Einzigen. Diese priesterliche Welttheokratie kann

ebensowenig selbständige Nationalstaaten dulden als selbständige religiöse Gewissen und denkende Geister.

Zwar hat es die römische Kirche zu

allen Zeiten verstanden und geliebt, sich als die beste, ja einzig zuver­

lässige Stütze

auch

der

bürgerlichen Ordnung den Regierungen anzu­

preisen, und oft genug haben diese sich von solchen römischen Sirenen­

stimmen bethören lassen.

Es war doch immer zuletzt zu ihrem eigenen

Schaden, denn nur so lange pflegt Roms Priesterschaft eine Regierung

zu stützen, als diese ihr unbedingt zu Willen ist und sich als willfähriges Werkzeug für ihre eigenen kirchlichen und römisch-polittschen Zwecke be­

nutzen läßt; sobald eine Regierung dagegen von diesem fremden Frohndienst sich emancipiren und von ihren eigenen wahren Volks- und Staats­ interessen bestimmen lassen will, hat sie sofort an der römischen Kirche

nicht nur keine Stütze der bürgerlichen Ordnung mehr, sondern die ge­ fährlichste Gegnerin, der es unter Umständen gar nichts ausmacht, sich

auch zur Abwechslung einmal mit der Revolution zu verbinden. Jesuiten sind es gewesen, welche lange vor Rousseau schon die radikalsten Grund­

sätze über die unbeschräntte Souveränität des Volks

und sein Recht,

inoportune Regierungen durch jedes Mittel abzusetzen und zu beseitigen, eingehend ausgeführt haben.

Jesuiten sind es auch gewesen,

die mit

260

dieser Theorie blutigen Ernst gemacht haben und unter deren Mörder­ händen die der Kirche unbequemen französischen Könige Heinrich III und Heinrich IV gefallen find. Die Revolutionen, welche im Laufe des letzten Jahrhunderts gerade in den katholischen Ländern fast epidemisch wurden, hat die Hierarchie nie zu verhüten vermocht, wohl aber hatte sie dieselben indirect meist mitverschuldet, als Verbündete und Rathge­

berin einer verblendeten despotischen Regierung.

Was ist z. B. aus

Spanien geworden, diesem klassischen Lande des Bundes von Katholicis­

mus und Despotismus und ihres gemeinsamen Erzeugnisses und Werk­ zeuges

der Inquisition!

Und welchen Segen hat den Bourbonen in

Italien und Frankreich ihre unabläßliche Hingebung an den Klerus ge­

bracht? Ueberhaupt aber, was soll man von der politischen Zuverlässig­ keit einer Kirche denken, welche sowohl nach einander in demselben Lande als auch gleichzeitig in benachbarten Ländern ebenso gut den legitimen

Absolutismus wie

die Revolution

oder

die aus ihr hervorgegangene

Usurpation unterstützt und begünstigt hat, wovon die Geschichte Europas

in diesem Jahrhundert eine Reihe von Beispielen aufzuweisen hat? Ist nun

aber

schon für

römischen Clerus

von

katholische Staaten die Bundesgenossenschaft des

höchst

bedenklichem Werth,

was

werden dann

vollends protestantische oder paritätische Staaten von solchem Bündniß

zu hoffen haben? Welches Band der Gemeinschaft kann es geben zwischen

dem auf mittelalterlichem Kirchenrecht fußenden priesterlichen Universal­ staat und den auf den modernen Rechtsgrundlagen ruhenden Bolksstaaten,

welche ebenso sehr die innere Freiheit der Persönlichkeit in Gewissens­

sachen als unantastbares Heiligthum achten, wie sie für ihre bürgerlichen Gesetze die Achtung Aller verlangen; welche neben und außer der Au­ torität ihres eigenen Gesetzes keine fremde Autorität in ihrer bürger­

lichen Rechtssphäre dulden können und dürfen, geben ;

ohne sich selbst aufzu­

welche in der Pflege humaner Bildung und nationaler Vater­

landsliebe ihre edelste Aufgabe und sicherste Stärke zugleich erkennen?

„Wie sich zu diesen Principien des modernen und zumal protestan­

tischen Staats- und Kulturlebens

die

röniische Kirche heutigen Tages

verhalte, darüber hat der unfehlbare Papst in Encyklica und Syllabus von 1864 mit anerkennenswerther Offenheit die Welt aufgeklärt.

Was

er fordert ist nichts Geringeres als die Alleinherrschaft der katholischen Kirche in allen Staaten,

ihre Zwangsgewalt über die Leiber wie

die

Geister, die unbedingte Abhängigkeit der Familie, der Schule und Wissen­

schaft,

auch der äußern Politik von priesterlicher Vormundschaft,

die

261

Verwerfung der sogenannten Menschenrechte: Gewissens-, Denk- und Kulturfreiheit als eitle „Wahngebilde" (deliramenta); Forderungen, welche offenbar den vollendeten „Bruch mit dem Rechtsgefühl aller Kulturvölker und mit der entwickelten Rechtsbildung jedes Staates, wie auch seine Regierungsform heiße" enthalten. Diese vom Papst amtlich, also in seiner Eigenschaft als unfehlbarer Statthalter Gottes und Christi, ausgesprochenen Forderungen sind zwar freilich zunächst eben Ideale, aber Ideale, mit deren Realisirung es der römischen Hierarchie furcht­ barer Ernst ist, und deren praktische Tragweite man ermessen kann, wenn man bedenkt, daß sie die maßgebenden Principien für die Thätig­ keit des ganzen ungeheuern hierarchischen Organismus bis hinunter zum letzten Dorfpfarrer bilden müssen". Hase, der erfahrenste Kenner und unbefangenste Beurteiler römischer Dinge sagt: „Die römische Kirche hat als solche das Recht des Vaterlandes und der Nationalität, die nicht ausschließlich den Staat constituirt, aber doch seine Stammwurzcl ist, fast immer verkannt und möglichst beseitigt. Der Priester in echt römischer Art, welchem Volk er angehöre, muß sich das verkümmern lassen zu ausschließlich römischen Interessen. Jeder Bischof, jeder Priester, der seiner Landesregierung gesetzmäßig den Eid der Treue zu leisten hat, behält die Ausnahme vor, gewissenshalber ausgesprochen oder als Mentalreservation, soweit seine kirchliche Pflicht es gestatte. Und das ist nicht eine Pflicht für das Gottesreich, wie Christus es gegründet hat, für die ewigen Interessen der Religion: es ist die Pflicht, für das Papstthum, für alle die Rechte und Unrechte, die das päpstliche Gesetzbuch enthält, von denen allerdings viele, deren Ausübung der modernen Bildung und dem Staate der Gegenwart un­ möglich geworden ist, auch in den Schulen als abgethan betrachtet wer­ den, ohne daß doch eine bestimmte Ausscheidung derselben je gesetzlich geworden ist. Es ist Pflicht des Priesters, für alle Forderungen, die vom Vatikan aus gestellt werden, und die mitunter sehr weltlicher Art gewesen sind, einzustehen. Jede Staatsregierung, die protestantische wie die katholische, muß erwarten, bei irgend einem Zwiespalt mit dem Papstthum, sei's über Volksschulen, über die Freiheit der Wissenschaft, über die gemischten Ehen, oder insgemein über gleiches Recht der ver­ schiedenen Kirchen, wie der moderne Staat das nicht länger versagen kann, die Kleriker unter ihren Gegnern zu finden; Biele vielleicht, die es anders wünschten, aber sie hängen schutzlos vom Bischof ab, dieser

262 vom

Papst, dieser

Phantasten

find

vielleicht von den Jesuiten.

Große

Pläne oder

aus dieser Weihrauchatmosphäre hervorge­

neuerlich

gangen, eine Weltliga, als ein Bund des Adels und Klerus, sein Cen­

tralbureau im Vatikan, der mit der Bereinigung aller Kräfte der In­ telligenz,

des Geldes

und

der Volksfrömmigkeit die weltliche Herr­

schaft des heiligen Stuhles wieder aufrichten und mit Zertrümmerung

des modernen Staates zur Weltherrschaft gelangen werde." Über die Jsidorischen und andere Fälschungen, sowie über die Weiterbildung der Lehre

von

der Unfehlbarkeit des Papstes und Er­

hebung derselben zum Dogma der römisch-katholischen Kirche auf dem

letzten ökunienischen Concil zu Rom, findest Du Näheres in „Der Papst und das Concil" von Janus. „Die Zahl

deren

ist Legion,

dem Namen Janus schreiben, eine Institution lieben und

seiten

aufdecken,

Leipzig 1869.

sagen die Verfasser,

welche unter

welche nicht begreifen können,

ehren

ihre Gebrechen

und

doch

wie man

zugleich ihre Schatten­

rügen und die schädlichen Wirkungen

dieser Gebrechen geflissentlich hervorheben könne.

Nach ihrer Meinung

sollten Dinge der Art sorgfältig verschwiegen oder doch nur entschuldi­

gend

seit ist

erwähnt werden.

Für eine solche Sinnesweise

hat man schon

längerer Zeit die Bezeichnung der „Pietät" erfunden. es Pietät,

daß man

Fabeln, Unwahrheiten,

welche

Demnach

für gewisse

mit der Religion in Verbindung gebrachte Zwecke ersonnen worden sind,

oder sich in ein frommes Gewand hüllen, gerne und bereitwillig glaube; daß man die Schäden und Mißbräuche des

Verkehrtheiten

wo

nicht angeht,

dies

kirchlichen Lebens und die

in seiner Verwaltung entweder gänzlich ableugne oder, in Schutz zu nehmen und ihnen ein

möglichst

gutes Motiv oder wenigstens eine erträgliche Seite abzugewinnen suche. Der Mangel einer solchen Gesinnung hingegen wird in kirchlichen Kreisen

mit dem Borwurf der Pietätslosigkeit bestraft." In ähnlichem Sinne hatte sich schon der Kardinal und Fürstbischof

Diepenbrock in seinen Briefen an Pafiavant ausgesprochen:

„Der schroffe Gegensatz Dom Geistlichen und Laien muß gemildert,

die Mitwirkung Lehre

ins

kommen

der Gemeinden

Werk gesetzt

an

werden.

für die Gesammtheit und

der Kirchenverfassung wie an der

Nur

auf solchem Wege

kann Heil

eine Erhebung und Veredlung der

irdischen Zustände, die denn doch wohl eine durch das Christeuthum zu

lösende Aufgabe sein muß; nur in ihr kann das in unserer merkwür-

263 digen Zeit überall erwachte Drängen, Gähren und Suchen sein Ziel

und seine Beruhigung finden.

Freilich hofft die kirchliche Ultrapartei

auf dem entgegengesetzten Wege zum Ziel zu kommen. Allein ein sol­ cher Rückschritt in der Geschichte ist doch wohl eine Unmöglichkeit. Das

Mittelalter liegt einmal hinter uns, und nur eine fata morgana kann es lebhaften Phantasien als eine neue Zukunft vorspiegeln. In allen

unbefangen denkenden Menschen dämmert eine Ahnung von der Noth­ wendigkeit einer Neugestaltung der Kirche. Daß man solche Ideen öffent­ lich zur Sprache bringe, halte ich für eine Art von Liebespflicht gegen die Menschheit."

Es bleiben dies mus,

die

an

jedoch

dem Bedürfnis

nur vereinzelte Stimmen im Katholicis­

geschlossener Einheit zur Erhaltung des

Systems verhallen. Der Protestantismus hat nun zwar die

ganze Grundlage

der

Hierarchie theoretisch aufgehoben, indem er den Lehrsatz von übernatür­

lichen, durch die Weihe erteilten und fortgesetzten Gaben für einen Irr­ tum erklärte und behauptete, die Ältesten und Bischöfe zur Zeit der

Apostel seien Gemeindevorstände, aber keine Priester im jüdischen Sinne gewesen.

Aber auch

der Protestantismus

entwickelt sich und hat sein

letztes Wort noch nicht gesprochen. Nach Pfleiderer „dreht sich die große Frage des Protestantismus, die zuletzt auch den eigentlichen Kern aller kirchlichen Kämpfe der Ge­

genwart bildet, darum: Princips

ob der Protestantismus die Konsequenz seines

der unmittelbaren Heilsgewißheit des gottinnigen Gemüths

durchführen können

wird

bis zur völligen

Ueberwindung aller

und

jeder äußern Mittlerschaft? oder ob umgekehrt der Ueberrest des in der

Dogmatik nicht überwundenen Mittler- und Mittelglaubens auch wieder

die

priesterlich-hierarchische Mittlerschaft

und Vormundschaft in Kirche

und Leben als Konsequenz nach sich ziehen und die Errungenschaft der Reformatton vernichten wird? Nach jener Vollendung des protestan­ tischen Princips strebt zwar

offenbar

die allgemeine Entwicklung des

modernen Geistes hin, der auch in der Religion nicht länger sich selbst

entäußert sein will,

sondern das Recht der vernünftigen Selbstbestim­

nnd den Genuß der unmittelbaren Sclbstgewißheit, die er auf sittlichem und wissenschaftlichem Gebiet längst besitzt, auch auf religiösem mung

beansprucht. Umgekehrt aber scheint die Tendenz der protestantischen Staatskirchen genau ebenso wie die der römischen Papstkirche heute so sehr wie nur je auf Wiederherstellung und Befestigung der unbedingten hier-

264 archischen Autorität und

so

richtet und

des Meistes ge­

unbeschränkten Beherrschung

als jemals geneigt zu sein, vom starren Buch­

wenig

staben ihrer kirchlichen Satzungen und Bekenntnisse auch nur ein Jota zu Gunsten der prüfenden Vernunft und des autonomen Gewissens der Einzelnen und

der Gemeinden nachzulassen.

So lange die staatlichen

Machthaber so kurzsichtig sind, dies unprotestantische Priesterthum nicht nur gewähren zu lassen, sondern direct oder indirect seine Herrschafts­ bestrebungen noch zu unterstützen, so lange wird auch die naturgemäße

und glückliche Ueberwindung der religiösen Krisis unserer

Entwicklung

Zeit hintangehalten, und der Zwiespalt zwischen der Kirche und der Ge­ sellschaft wird immer unheilbarer und für beide Theile immer unheil­

voller werden." den Protestanten

Wenn bei

von

einer Unterordnung

lichen Macht unter die Geistlichkeit, noch nicht,

der welt­

wie in der katholischen

Kirche, öffentlich Rede ist, so darfst du nicht vergessen, daß der Prote­

stantismus noch nicht einmal das Alter der christlichen Kirche zur Zeit

der Teilung des Reichs erreicht hat, daß es noch keine 350 Jahre seit Luther den Schutz der weltlichen Macht angerufen hat.

demselben

In

Sinne

katholische Kirche kommt

wie

hierarchisch

die

fest gefügte römisch-

eine protestantische Kirche überhaupt nicht in

Betracht, sofern nur als Gegensatz gegen den römischen Katholicismus, Lutheraner, Reformierte, Methodisten, Dissenters und Hunderte kleinere

christliche werden,

Sekten

die

wie gegen

als Bekenner

untereinander

die

alte Kirche,

charakteristischen Merkmals

zum Protestantismus zusammengefaßt

mitunter feindlicher noch gegenüberstehen, und

die

in ihrer Gesamtheit

einer Kirche

entbehren,

also

des

welches eben die

hierarchische auf Unabhängigkeit von jeder Staatsgewalt basierte Gliede­

rung und das

damit verbundene Streben nach Machtstellung ist.

An

Gelüsten hiernach fehlt es freilich auch den einzelnen protestantischen Ge-

noffenschaften,

namentlich den Lutheranern und, in jüngster Zeit, den

sogenannten „Evangelischen" nicht.

bisher unter

Macht,

über Beweise

Nirgends haben dieselben sich aber

der Impotenz erhoben,

bestehenden Verhältnissen

da

ihre Verwirklichung

nicht im Gegensatz gegen die weltliche

sondern nur unter deren Schutz angestrebt werden kann.

Sie

wird daher protestantischerseits im Anschluß an d. h. Unterordnung unter

die Regierungen gesucht.

Dies führt dann zu einem Verhältnis, welches,

notgedrungen auf wechselseitiger Dienstleistung beruhend,

in den soge­

nannten Staats- oder Landeskirchen seinen Ausdruck findet, wobei sogar

265 die Ansicht vertreten ist, daß, nachdem die Regierung des „christlichen Staates" zur Einsicht gekommen, daß das dogmatische Christentum in der wissenschaftlich gebildeten nnd denkenden Welt seinen Halt verloren habe und nur noch in dem zum Denken unfähigen Pöbel wurzele, sie Philosophen suche, welche der denkenden Welt unter der Form der christlichen eine philosophische Religion bieten können, die durch den Schein des Christlichen zugleich dem Volke unanstößig sei! In Rußland und England hatten die Staatskirchen einen andern Ursprung wie in Deutschland — daher auch dort eine andere Entwick­ lung und Stellung. Über die Opposition gegen die englische Staats­ kirche genüge hier ein Auszug aus einem Vortrag von John Bright: I am afraid that amongst Nonconformists there are but few who have sufficiently studied the reasons why they are Nonconformists, and I suspect that there are still fewer amongst Conformists or Churchmen who know much of the origin and cause and the result, Bhall I say, of the great mass of Noncomformist qpinion which exists in England at this time. It would he well for the Nonconformists, especially for the young amongst them, that they should go back to the history of their fathers and the fathers of Nonconformity — that they should learn from them what great results of freedom have been achieved; that they should learn from them how much is due to them in the interests of truth, and how much they have sacrificed to conscience; and I have no doubt that they would find that in the position which they now occupy as members of the various Nonconformist bodies they have nothing to be ashamed of, but everything to justify their course and make them satisfied with the position they hold. On the other hand, if Churchmen were to study a little the same Subject they would come to the conclusion that their fathers, or those who spoke and acted in the name of their fathers, had pursued an unhappy and an unwise policy — that that policy had failed, and that now, looking back, they would regret very much those differences, and that strife arising in past times, which might have been avoided, and which, if avoided, would have lest fewer seeds of contention and discomfort and evil than now we find spread through the Society of the kingdom. Now, I may ask leave to put a question to you which I have osten put to myself: What is this Nonconformity we profess and speak of? — Well, then, to give a short answer to the question, it must be,

266 Nonconformists are those who in past times have declined, and now decline, to accept a System of religion which has been built up, not on the foundation laid by the prophets and apostles of old, but rather on a foundation laid for political purposes, mainly by monarchs and statesmen, for monarchs and statesmen bad the power to see that hardly anything could be better for them than conformity. It makes government — and government sometimes with much of evil in it — exceedingly easy, and the wheels of government in many things to run with great smoothness. It is a System under which religion may be represented by a Church, and by bishops, or by any other ecclesiastical authorities, and so represented that all the religious life of a country, all the religious profession of a country under their direction, may be consenting and silent whilst the greatest crimes and the greatest guilt ride triumphant in the State. But with regard to religion itself, as differing from politics, the general effect qf what we call conformity — that is, the agreement with religion which the State has provided for us — leads almost necessarily to torpor, and numbness, and even to death. William Penn, who was an eminent man in the small sect to which I belong two or three centuries ago, who was, as you know, the illustrious founder of the province of Pennsylvania, expressed the opinion, which I can explain, though I do not recollect the precise words in which it was conveyed. He said there was no greater mistake than to suppose that a country or people was strengthened by all the people holding one opinion whether upon religious doctrines or politics. Variation of opinion, of profession, and practice strengthened a people and government, if all were alike tolerated. Well, nothing appears to us more sensible and judicious than that, because this variety of opinion and practice, as a matter of course, would lead to Investigation and discussion, and Investigation and discussion lead no doubt to truth and to freedom. Is there anything in history which teaches us a lesson upon this question? I believe many passages in history would confirm what William Penn said, and what I now hold to be true. I will refer only to one case, or rather to two cases, which I will put in contrast — the case of France to England. Now, in France the Nonconformity of two or three centuries ago was Protestantism rebelling against and striving with the Roman Catholic religion in that country. Now, the result

267 was not as it was here, but in France by force of wars and massacres and persecutions, the Protestant religion and Nonconformity of that day were almost entirely suppressed and extinguished. From the time of Charles IX. to the period of Louis XVI., that is from the middle of the sixteenth Century to nearly the end of the eighteenth Century, we saw that in that country monarchy was absolute, the aristocracy was powerful, pampered, and profligate, and the Church for all religious purposes was torpid and corrupt. Nothing could possibly be more profligate in any country than the monarchy and the aristocracy and the Church in that period. There was no Protestantism, there was no Nonconformity there to make it impossible that things should become so bad, and the result was that the people were downtrodden to the last degree. There were sufferings which history can give but small account of; the people were downtrodden and gradually growing ripe for vengeance, and that state of things made revolution and its attendant horrors not only possible but absolutely inevitable. And revolution and its horrors came. And since that revolution, though it swept away so much that was evil, we have seen in France for nearly 100 years wars and repeated revolutions and difficulties of every kind. I have not the least doubt — if one may speak so positively of anything that is past, and of anything with which one has nothing to do — I have no doubt that if Protestantism in France bad been permitted to live even under the unfavourable conditions of Nonconformity in England, the whole state of France would have been different, the Church would have had more moderation administered in it, and the people would thue have become gradually more and more free without having had recourse to that tremendous persecution which took place nearly 100 years ago, and filled with terror and horror the minds of all civilized people on the face of the globe. Now we turn to England, and we see a different state of things. Since the Reformation we have had from the earliest period Puritans, and following them, and much like them, and part of them, their successors, the Nonconformist bodies of this country. We have had persecution enough in England, we all know. It has not vanished altogether a long time from amongst us. In the reign of Charles II., a little over two centuries ago, there were in prison in this country not lese than 4,000 persons members of the small and inconsiderable

268 eect of which I am a member. In 12 years after that time more than 8,000 were in prison, and more than 400 died in the prisons. In those days prisons were not like the prisons of our day. They were places in which men met with intolerable and disgusting conditions, and in which they suffered from maladies of a most dreadful character. Now, in the year 1686, that is not 200 years ago, it is not many lives back — I lost only the other day an old relative and connection of mine who bad lived somewhat more than 100 years, and if you take another life like that it bringe you back to the point I am referring to — in 1686 William Penn says that eince the late Ling's restoration there bad been ruined about 15,000 families, and more than 5,000 persons died „for mattere of near conscience to God who has taken it to heart.u But, whatever was done, there was something either in the English people or Constitution, or in the Protestant faith of thoee who were the persecutors, which prevented them going the length to which Church and State went in France, and therefore Nonconformity in England was not extinguished — it was only persecuted, and degraded and insulted. For the last 100 years the Nonconformists of England have taken quite a different position. They have been and are now the great advancing and reforming forces in English political life. I must not neglect to add, and we must acknowledge with thankfulness, that there are large numbers of thoee who are not Noncon­ formists who are associated with and worship with the Church of England who have constantly and honestly co-operated with Non­ conformists in all that they have done in favour of greater civil and religious freedom. But yet, for all that, we must admit, and with sorrow, that even now the people of this country are set apart somewhat in two great divisions — the Church and the Conformists on one side, the Dissenters and the Nonconformists on the other. There seems to me a stränge and painful misfortune in this to the country at large, that there should be suspicion to a great extent, dislike to a great extent, enmity I somewhat fear to some extent, between large classes of the people professing to believe and to practice the religion of Christ. Why is it so? In fact, I know not why the Church should dread Dissent, or hate Dissent, or despise Dissent. There is no difference in doctrine or in politics, or in Church rites, as such, which can justify the feelings which exist

269 too much between Churchmen and Dissenters in our country and in our time. What bas Diseent done? If I were a Churchman, I think I should sometimes ask myself that question. I have heard of an eminent Bishop who, describing a parish, said there were only two things in it to be lamented — the beerhouse and the Dissenting chapel. Now, that good Bishop believed, no doubt — well, I won’t say he believed that a Dissenting chapel was as injurious as a beerhouse, but that it interfered with the harmony of bis parish. I recollect a clergyman I once met with, some years ago, from Warwickshire, who professed to be very liberal upon this matter. He said he should not object to Dissenters going to their own place of worship if they would go to bis church in the morning. I don’t know whether he considered that that was a case of baue and antidote — but I said, „As you are so liberal, perhaps you will have no objection for the Churchmen to go occasionally to the Dissenting chapel." He said „No! that is a very different question." He feil back upon what he called bis ordere, bis apostolic Succession and it was impossible for him to make that Concession for the Dis­ senters which he thought it right that Dissenters should make to him. I must say that I was surprised that a man who was a good man, and a cultivated man, who knew a good deal of the world, should think that the two evils in the parish — the beerhouse and the Dissenting chapel — were fit to be mentioned in this männer and in such a sense. As to the bishops, one might say a good deal; but I won’t say much. I will give the opinions of two persons of great authority. In bis history of England David Hume, who was not considered in any sense a Liberal says, „So absolute was the authority of the Crown that the precious spark of liberty was quickened and preserved by the Puritans alone, and to this sect the English owe the whole freedom of their Constitution." If I go to a later time I may make an extract from Macaulay, who says: — „It is an unquestionable and a most instructive fact that the years during which the political power of the Anglican hierarchy was in the zenith were also precisely the years in which national virtue was at the lowest point." These are striking passages, and I re­ collect also that Hume in some other part says that „From the bench of bishops the Crown is accustomed to expect the greatest complaisance." Now what do we see? We have twenty-six bishops

270 and archbishops sitting in the House of Lords. We understand (or at least if we were Churchmen we should understand) that they sit there to associate religion with the great policy of the State, to give to all the world a proof that we are a Christian nation, and that the highest and neblest assembly admit any man who becomes of sufficient dignity to become a bishop as one of themselves. Now, I observe the peculiar fact, that whatever change there is in parties (one party moving from one side to the other, the Ministerialists on the right and the Opposition on lest), when there is a‘ change of Ministry the bishops always retain the same seats. And now when we have, as I cannot for a moment doubt, many excellent men on the beuch of bishops, many men who grieve in their souls at the evil policy which is adopted at times by the Government — who are grieved by the crimes which are committed — I say in their souls they have grieved for these things, and yet, so far as I have observed within the last two years, when from the whole realm of Nonconformity there has been a united and unanimous protest against certain transactions, there has, to the best of my recollection, not been one single bishop in the House of Lords who has opened bis mouth in that assembly to condemn one single act that has been committed. This shows, not that these men are not good men, but that they are in an unfortunate position for defining what is good. If it is a little transaction about the burying of a Dissenter. They feel themselves at liberty to open their mouths, some liberally and generously taking one view upon the question, others with a certain audacity, and sometimes almost with Insult, objecting to it. But when it comes to the question of the sacrifice of tens of thousands of lives in a distant country they who come down from the early Christians in true Succession sit there with all the dignity of great office about them, and not one of them opens his mouth to condemn the transaction, which in reality, and which I cannot but believe in his soul, he must emphatically condemn. I was just before asking, or was about to ask, what Dissent bad done, and what the honest and enlightened Churchman must think of it. Take England and Wales alone. Half the population, measured by those who attend places of worship, are Nonconformists. In Scotland more thau half. In Ireland the Conformists as a Church hardly exist. What has Dissent and Nonconformity done in England? Look

271

at the churches and chapels it has reared in the country. Look at the school Buildings, the ministers it Supports, the work it conducts, and we must not sorget that this great Nonconformist body does not include the great wealth of the country. Nearly all the land of the United Kingdom, within some very moderate percentage, is in the Bands of Churchmen and Conformists. They have nearly all the endowments of a religious character. But with lesser advantages the Nonconformists have done the great work they have done, and no Churchman will deny — I do not care how much he may he influenced on the ground of religion — that the Nonconformist population is at least as obedient to the law as any other portion of the people of this kingdom. If you observe their industry, their domestic virtuos, their condition as regards morals and religion, I undertake to say they will at least bear comparison in those qualities with Churchmen in the same state and rank. Now if I were a Churchman myself (and to any of us I suppose it is very much a matter of accident whether we are not Churchmen) if they bad not imprisoned my forefathers, for anything I know I might have been a Churchman. If I had I liope I should have had that sense of honour and justice to look around and see the great works of the Nonconformists, and to regard them with admiration and with honour. I would ask you to look round and see how much of what there is that is free and grand and constantly growing in what is good that is owing to Nonconformist action, self-denial, and effort, and looking round with me, let him, at any rate, if he cannot be a Nonconformist, not despise them and say that it is a great country and a noble race that would enable a portion of its population to do this ander the difficulties and the unfortunate circumstances in which they have been placed. Dazu bemerkt nun Matthew Arnold: Mr. Bright, instead of telling his Islington Nonconformists „how much of what there is free and good and great in England, and constantly growing in what is good, is owing to Nonconformist action“, will rather admonish them that the Puritan type of life exhibits a religion not true, the Claims of intellect and knowledge not satisfied, the claim of beauty not satisfied, the claim of männere not satisfied; and that if, as he says, the lower classes in this country have utterly abandoned the dogmas of Christianity, and the upper classes its practice, the cause lies

272 very much in the impossible and unlovely presentment of Christian dogmas and practice, which is offered by the most important pari of this nation, the serious middle dass, and above all by its Nonconformist portion. And as to this middle dass, far from answering the extolling description of Lord Derby of „an intelligent, keenwitted, critical and well-to-do population“, they have rather a defective type of religion, a narrow ränge of intellect and knowledge, a stunted sense of beauty, and a low Standard of manners — imperfections, for the eure of which, no means should be neglected, whether of public schools, now wanting, or of the theatre, now lest to itself and to chance, or of anything which may powerfully conduce to the communication and propagation of real intelligence, and of real beauty, and of a life really humane. Hinsichtlich der staatlichen Bestrebungen inDeutschland sagtPfleiderer: „Die Folgen davon, daß im Protestantismus an die Stelle des römischen Kirchenstaats die Staatskirche getreten war, zeigten sich bald genug. Ganz so, wie einst unter Constantin, begann auch jetzt alsbald wieder der Wettlauf der Theologen um die Gunst der Höfe; wieder wurden die Subtilitäten der dogmatischen Formeln zu Lebensfragen der Gemeinden nicht bloß, sondern der Staaten aufgebauscht; Entscheidungen in theologischen Schulcontroversen wurden durch fürstliche Dekrete mit der Kraft von Staatsgesetzen sanktionirt, dissentirende Theologen, Geist­ liche und Professoren, massenhaft abgesetzt, in Verbannung und Elend gejagt, Etliche auch hingerichtet, das Bekenntniß und der Kultus der protestantischen Länder je nach dem augenblicklichen Stand der Hof­ theologie alle paar Jahre wieder abgeändert, ja es wurde rundweg der abscheuliche, mehr als heidnische Grundsatz aufgestellt: Cujus regio, ejus religio! Luther hatte das große Wort gesprochen und gegen Papst und Kaiser vertreten, daß die Gewissen Gottes seien; das Pygmäengeschlecht seiner Kirche erklärte dies dahin, daß die Gewissen des Landesfürsten seien! Es versteht sich, daß solch' ein obrigkeitlich gezwungenes Gewissen um kein Haar besser ist, als ein priesterlich bevormundetes. Daher begreift man die Klagen ganz wohl, die fortan in der lutherischen Kirche stehend werden, daß Zucht und Sitte verfalle. Wie hätte denn christliches Leben gedeihe« können unter dem scholastischen Gezänk der Theologen um die Subti­ litäten der Concordienformel, unter dem gegenseitigen Sichverketzern der mancherlei theologischen Parteien, die nur im Buhlen um die Gunst der Fürsten und im herrschsüchtigen Benutzen ihrer jeweiligen Ber-

273 trauensstellung an einem Hofe zur Maltraitirung ihrer Gegner einig waren,

und die schon darum, weil sie für die Sünden von oben kein

Wort des Tadels zu haben wagten, auch dem Volk gegenüber nicht mit

dem Ernst der evangelischen Zucht auftreten und durchdringen konnten.

Es war sehr natürlich, daß unter solchen Umständen der sich selbst so

arg untreu gewordene Protestantismus auch der mächtigen Reaction des Papstthums immer weniger Widerstand entgegenzusetzen vermochte und die schwersten Einbußen an äußerer Ausdehnung erlitt." In dem Bestreben von der Zugehörigkeit zur Glaubensgenoffen-

schast das mehr oder minder bürgerlicher Rechte abhängig zu machen, reicht die Geistlichkeit der meisten protestantischen Sekten der katholi­

schen die Hand, gerät aber auch, wie diese, mit der weltlichen Obrig­ keit über dem Streben nach vorwiegendem Einfluß in Unterricht und

Erziehung der Jugend mitunter in Streit. Wo eine Staatsregiernng dieses jedem geistlichen Regiment natur­

gemäße Bestreben gestattet, oder gar dasselbe unterstützt, da ist natür­ lich keine Veranlaffung zum Streit. Offenbar ist dieser Streit auch viel mehr ein Streit i m Staate, als mit dem Staat, und richtiger wäre es jedenfalls von Streit zwischen Regierung und Kirche, als zwischen Staat und Kirche zu sprechen, denn oft macht ein Regierungswechsel dem heftigsten Streite dieser Art sofort ein Ende, ohne daß der Staat

sich in seinen wesentlichen Bestandteilen von Land und ßeuten verän­

dert hätte; ebenso ost giebt ein bloßer Regierungswechsel Veranlaffung zum AuSbruch des Streits, der ja im Grunde nur der unvermeidliche Konflikt ist,

in welchen zwei verschiedene, beide humanisierende Kräfte

von Zeit zn Zeit geraten müssen, die von verschiedenen Seiten, ab­ wechselnd oft, und oft, wenn auch nach einer Richtung fördernd, un­ gleichmäßig denselben Karren schieben.

Oder, um ein anderes Bild zu

wählen, Two currente may in reality work well in the eame etream,

and it must be and is the wish of every sensible person that neither

of them should be allowed to work exclusively and alone. In der Familie, in der Gemeinde, im Staate bestehen und wir­ ken diese Kräfte nnzertrennlich und find begründet in der menschlichen

Natur. Auf der einen Seite, im Gebiete des Realismus, unter dem wech­

selnden Einfluß des Tages, endlose Verhandlungen über politische, so­ ziale, wirtschaftliche Fragen — ans der andern, im Gebiet des Idealis­ mus, unermüdliche Wiederholung nnd Verbreitung von Meinnngsver18

274 schiedenhciten über die fundamentalsten religiösen Gegenstände, und weil die Grenze zwischen den beiden Lagern nie strenge gezogen werden kann,

fügt es sich,

daß gerade die eifrigsten Kontroversen die eigentlichsten,

wesentlichsten Bestandteile des Fortschritts der ganzen Civilisation sind. Denn so sehr auch schroff hervortretende Gegensätze mitunter Regierung und Kirche entfremden,

dieselben zu trennen.

sogar verfeinden,

so wenig vermögen sie doch

Regierung und Kirche verhalten sich im Staate

zum unmündigen Volke, zu der an Jahren und Einsicht kindischen Ma­ jorität,

wie Vater und Mutter in der Ehe zu den noch nicht erwach­

senen Kindern:

wo aber bei Unterricht und Erziehung der letztern die

natürlich vorwaltenden Kräfte des Verstandes auf der einen,

des Ge­

mütes auf der andern Seite sich nicht harmonisch zu einheitlicher Lei­

tung verschmelzen,

da leidet immer die ganze Familie;

denn wie auf

dem Schlachtfelde so hat auch in jedem hier geführten Autoritätskampfe

der jeweilige Sieger selbst schwere Verluste zu tragen. Überall wo der Zweck — das Gesamtwohl — in der Hitze des Streites um die Mttel zu seiner Erreichung aus den Augen verloren findest Du Regierung und Kirche um vorherrschenden Einfluß,

wird,

durch den Jugendunterricht auf die große Masse des Volkes, und diese,

ringen,

in der Knechtschaft von Aberglaube und Unwiffenheit, zwi­

schen zwei Wohlthätern schwanken: Wie jede Knechtschaft raubt auch diese ihr

Den freien Blick, das würdige zu schätzen. „Merkwürdiger Weise, sagt F. v. Holtzendorff (Die Principien der

Politik, 1879),

zeigt die Geschichte der letzten Jahrhunderte,

daß in

demselben Maße als der Glaube an ein allein berechtigtes Dogma der Kirche schwand,

der blinde Glaube an die unbedingte Bortrdfflichkeit

einzelner politischer Formen zunahm.

Das Bedürfniß zu

glauben,

daS man aus dem Gebiete deS religiösen Lebens als thöricht und un­ haltbar auszuweisen suchte, fand eine Zufluchtsstätte in Parteidoctrinen und Parteiprogrammen,

in Gründungsunternehmungen und

schen Heilsverkündigungen.

socialisti­

Ohne die realen Bedingungen deS Lebens

zu beachten, hielt die Kurzsichtigkeit dafür, daß der Gang der politischen

Dinge moralischen Ueberzeugungen unterliege, die sich die Parteien von ihrem

eigenen Rechte

Zeitgeschichte gebildet

gegenüber den haben.

angeschuldigten Thatsachen der

DaS Wesen der

politischen Unbildung

besteht gegenwärtig darin, daß man, befangen in dem CultuS des eon-

stitutionellen Formalismus, den Werth bloßer Meinungen und Gefin-

276 nungen überschätzend, die Bedingtheit der Staatshandlungen übersieht, geschichtliche Thatsachen und Erfahrungen unbeachtet läßt und da- Ver­ hältniß von Zweck und Mittel umkehrt." Bon Interesse sind die „Reden des Staatsministers Dr. Falk, ge­ halten in den Jahren 1872 bis 1879. Drei Theile, mit Einleitungen und erläuternden Anmerkungen". „Der Weg zum Frieden, sagt mit Bezug darauf Dr. C. GareiS, liegt nicht in Verträgen und nicht in schriftlichen Erklärungen, die in Briefen oder Depeschen ausgetauscht werden, sondern im Willen und in Handlungen; in Worten wird sich der Staat nie gründlich mit der Kirche auseinandersetzen können, noch auch die Kirche mit dem Staate; das menschliche Denk- und Sprechvermögen reicht nicht aus, um die Staatssouverainität und die Gewissensfreiheit nebeneinander für alle Zeiten und auf alle Verhältnisse berechnet zu „circumseribiren", und zu „definiren", diese beiden Zeitwörter int canonischen Sinne genommen." Ich gebe Dir hier auch noch die Ansicht von Prof. E. Robertson in dieser brennenden Frage: The exhaustive discussion on all political measnres, which for two centuries has been a fixed habit of Englieh public life, hae of iteelf established the principle that there are aeeignable limite to the action of the state. Not that the limite ever have been aseigned in terme, but populär eentiment has more or lese vaguely fenced off departments of conduct as sacred from the interferenoe of the law. Phrases like „the liberty of the Subject“, the „sanctity of private property“, „an Englishman’s house is his castle“, the „rights of conscience“ are the commonplaces of political discussion, and teil the state, „Thue far shalt thou go and no further“. The side on which the legitimate province of govemment has been most debated is that on which it comes in contact with religion. High ecclesiastical theories draw the lines of restriction as clearly as volontaryism, but what they exclude is state control and not state Support. The Roman Catholics, the High Church party in England, and the Free Church in Scotland, all unite in protesting against the intrusion of the secular government into spiritual affairs. This assertion of a spiritual domain lying beyond the sphere of go­ vemment, and sacred from its interference, unfortunately implies that there is another authority from which, on religions mattere, the Government ought to take its instructions. The duty of a na-

276 tional reoognition of religion — implying compulsion of the most personal character — is strongly asserted by the very persons, who denounce state control as illegitimate and tyrannical. The exclusion of the state from the spiritual domain is, in fact, not founded on any reasoned theory of the functions of government at all, hüt on the belief in a divinely appointed Order for spiritual things, which it is the duty of the state to enforce. An attempt to base this Po­ sition on general principles has, indeed, been made by Mr. Gladstone in his work on Church and State. Holding that the state is a moral person, he argues that its action must be regulated by conscience, and that its religious obligations are the same as those of the individual man. It must therefore recognize and practise a re­ ligion, and the true religion is that of the Christian Church, of which the English Establishment is a brauch. That religion, with its divinely organized System of Episcopacy, the state should en­ force in every way short of physical prosecution. It should exclude heretics from office and privilege, but it should not put them in prison. Mr. Gladstone’s book was the occasion of a controversy which doubtless had some effect on subsequent political events. Macaulay stated the Whig view on the Subject — holding that while the state may justifiably endow an established church, it may not prosecute for dissent in any way whatever. Government has principally to deal with the material wants of Society, and with the protection of life and property. While this is the main end of go­ vernment, it may pursue such secondary ends as the promotion of education and religion, the encouragement of arte etc., but the primary end must not be sacrificed to the secondary end. The state is therefore pot a moral person at all, any more thau a railwar Company or a hospital; and government is certainly not an Insti­ tution for the promotion of religion; but, if it finds it expedient, it may justly Support Presbyterianism in Scotland, Protestant Episco­ pacy in England, and Roman Catholicism in Ireland. It is needlesi to say that Macaulay makes no attempt to dehne the limits withii which the government may thue provide for the good of Society. These may be said to have been the views of Liberal politiciani and latitudinarian churchmen. On the other band the religious theory of government, as expounded in Dr. Amold's Oxford Letters 01 History, is based on the Conception that the ideal church ans

277 state are one. Here there can be no bounds to the legitimste action of the state except its conformity with religious truth. And Dr. Arnold does not hesitate to forecast an ideal state of Society in which disbelief in the Christian religion shall so outrage the moral sense of the Community that it may fittingly be put down by the strong arm of the law. The weakness of all theological speculations about government is that they are fitted only for local use. The theory of government cannot well be discussed to much purpose with a disputant who requires a series of theological propositions to be taken for granted. A more profitable line of inquiry has been followed by writers of the economical school. The most important of these is J. 8. Mill, whose essay on Liberty, together with the concluding chapters of his treatise on Political Economy, gives a tolerably complete view of the principles of government.

London, 22. September 1879.

Benutze fleißig den kleinen Bücherschrank, den ich Dir gefüllt habe; sein Inhalt, zu dem ich Dir noch als anregende Lectüre

Moriz Carriere, Die Kunst im Zusammenhang der Culturent­ wickelung und die Ideale der Menschheit.

2. Stuft.

1874.

füge, genügt als Grundlage für Deine allgemeine Bildung. Dein Beruf erheischt »och eine specielle Lectüre. Jeder Beruf bietet Ge­

legenheit zu vernünftiger Thätigkeit, die aber dauernde Befriedigung nur in dem Grade gewährt, in welchem sie nützlich auch für andere ist. Der von Dir gewählte Kaufmannstand,

Beziehungen, welches Bedürfnis

in dem lebendigen Netz von und Leistung ununterbrochen knüpfen

und lösen, eröffnet Dir ein weites, fruchtbares Feld: vorab zur Erwer­

bung der Mittel, welche in Unabhängigkeit und Wohlstand die Grund­

lage aller Cultur, dem

einzelnen

wie der Gesamtheit sichern; dem­

nächst durch allseitige Beranlaffung zu rationeller Verwendung dieser Mittel. Die Erkenntnis deS Menschen bestimmt in allen Dingen sein Thun und Laffen; und in allem, was Du unternimmst, hat die Erfahrung

den größten Einfluß; allein wie diese Erfahrungen zu machen und wie fie zu nutzen, und wie dabei die Untersuchung dessen was ist, wichtiger, als dessen waS nützt und behagt, das ist ohne Mühe nicht zu erlernen und nichts ist jämmerlicher, als die Unwissenheit handeln zu sehen, denn

ihr fehlt vorzugsweise das Unterscheidungsvermögen, welches sofort die

Fälle erkennt,

in welchen ein Erfahrungssatz unanwendbar ist, daher

ohne Präcedenzfall gehandelt werden muß.

Beachte nur stets den salo­

monischen Spruch: Qui cum sapientibus graditur, sapiens erit; amicus

stultorum similis efficietur — „der wird Unglück haben", übersetzt Luther.

Knowledge is power — bewährt sich überall.

„If we do not

take to our aid the soregone studies of men reputed intelligent and learned, we shall be always beginners“, sagt Burke. Zwar Wirst Du

279 oft von Leuten, welche die Dreistigkeit ihrer Behauptungen nicht immer auf die Gründlichkeit ihres Wissens stützen, die große Überlegenheit des

den Theoretiker rühmen

über

Praktikers

Laß Dich nicht irre

hören.

machen: Zweck aller Theorie ist aber das Streben nach einer denkenden

Einsicht in das Wesen,

die Ursachen,

Gesetze und den Zusammenhang

im' einzelnen

die Erfahrung

was

dessen,

vor Augen legt, daher der

Grundgedanke jeder theoretischen Beschäftigung die Bestimmung des Ver­ hältnisses zwischen Ursache und Wirkung.

Die Folgen, welche sich auS

einem von der Theorie festgestellten Princip ergeben, müssen aber mit

den thatsächlich

vorliegenden Erscheinungen

stets übereinstimmen;

die

der Prüfstein für jede

Vergleichung mit der Erfahrung ist daher auch

Theorie.

Sich unterscheidend von der Praxis, bezeichnet Theorie die bloße Erkenntnis

ohne

der Anwendung

die Absicht

derselben zu einem be­

stimmten Zwecke, während Praxis jedes Handeln für einen solchen Zweck

Ein zufälliges oder bewußtloses Handeln würde diesen Namen

bedeutet.

nicht verdienen, deshalb steht auch jede Praxis in einem Verhältnis zu einer mehr oder weniger ausgebildeten Theorie d. h. zu einem Wissen

die Mittel ihrer Erreichung.

die Zwecke und

über

Ein Praktiker im

wahren Sinne des Wortes sollte daher derjenige genannt werden, der die Fertigkeit der Anwendung mit der theoretischen Erkenntnis verbindet;

gewöhnlichen Leben

aber im

wirst Du

finden,

daß als Praktiker im

Gegensatz zum Theoretiker derjenige gilt und oft auch gerühmt wird, der ohne theoretische Einsicht, durch bloße Übung, Gewandtheit und Routine gelernt hat, gewisse Zwecke zu erreichen.

Du wirst jedoch be­

greifen, daß der so oft gehörte Satz: cs sei etwas in'der Theorie wahr, in der Praxis

aber falsch,

nur auf einer Begriffsverwirrung beruht,

oder auf dem Unvermögen derjenigen, die sich so ausdrücken, zu erkennen,

daß

die

Bedingungen

der Anwendung

einer Theorie auf

bestimmte

Zwecke sehr mannigfaltig und oft verwickelt sind.

Nicht in Abrede zu stellen ist, daß es eine Menge abstrakter Theo­ rien giebt, die man falsch nennt, sofern sie nicht sofort praktisch zu ver­ wenden

sind,

aber

auch

diese

falschen Theorien,

selbst wenn sie in

ihren Voraussetzungen willkürlich, allem Thatsächlichen widersprechend,

verfahren,

können sich als nützlich erweisen,

sofern nämlich eine solche

reine, noch nicht Lurch Erfahrung bewahrheitete Theorie in dem, was

sie zur bloßen Erklärung eines beschränkten Kreises von Erscheinungen leistet,

vollkommen

wahr

ausfallen

und dennoch im großen Ganzen,

280 sofern ihr Ziel die praktische Anwendung ist, irren kann. Diese beiden Bestandteile wissenschaftlicher Untersuchungen sind daher auseinander zu halten, um gegen die Theorie überhaupt nicht ungerecht zu werden. Alles auf die Routine der Geschäftsführung bezügliche: Bekannt­ schaft mit den Produktions- und Cönsumtionsverhältnisien der verschie­ denen Weltteile, mit den polittschen Institutionen und Bevolkerungsverhältniffen der einzelnen Länder, mit den Transport-, Post- und Telegrapheneinrichtungen, welche sie verbinden, mit den fiskalischen und Zollgesetzen, welche sie gegeneinander abschließen; ferner mit dem Ver­ sicherungswesen, sowie allgemeine Waarenkenntnis der Rohprodutte und der Hauptfabrikate — alles dies zählt zum Abc Deines Berufs. Und dazu kommt auch noch allgemeine Kenntnis der Gesetze desjenigen Staates, dessen Bürger Du durch Geburt oder Wahl Deines commerciellen Domicils bist. „It is incumbent upon every man, sagt Black­ stone, to be acquainted with those laws at least with which he is immediately concerned, lest he incur the censure, as well as inconvenience, of living in Society without knowing the obligations which it lays him ander. But it ought to have peculiar attractions for men of liberal education and respectable rank. These advantages are given them, not for the benefit of themselves only, but also of the public: and yet they cannot, in any scene of life, discharge properly their duty either to the public or themselves without some degree of knowledge in the laws“. Als das bündigste, die allgemeinen Rechtsprincipien sowohl, als speciell die englische Gesetzgebung umfassende Werk empfehle ich Dir: James Stephen, New Commentaries on the laws of England, 7. ed. 1874. Das wesentliche besteht aber noch in etwas anderem, und Turgot hat dies in seinem „tiloge de Gournay“, der ein tüchtiger Kaufmann war,

wie folgt bezeichnet: „DScouvrir les causes et les effets de cette multitude de revolutions et de leurs Variations continuelles, remonter aux ressorts simples dont Faction, toujours combinSe et quelquefois d6guis6e par les circonstances locales, dirige toutes les operations du commerce; reconnaitre ces lois uniques et primitives, fondäes sur la nature meme, par lesquelles toutes les valeurs existant dans le commerce so balancent entre elles et se fixen! ä ane valeur determinee, comme les corps abandonn^s ä leur propre pesanteur s’arrangent d’eux-

281 meines suivant Vordre de leur gravit6 specifique; saisir ces rapports compliquSs par lesquels le commerce s’enchaine avec toutes les branches de Veconomie politique; apercevoir la dependance reciproque du commerce et de Vagriculture, Vinfluence de Tun et de l’autre sur les richesses, sur la population et sur la force des 6tats, leur liaison intime avec les lois et les moeurs et toutes les op6rations du gouvernement, surtout avec la dispensation des finances; peser les secours que le commerce reyoit de la marine militaire et ceux qu’il lui rend, les changements, qu’il produit dans les interets respectifs des Etats et le poids qu’il met dans la balance politique; enfin demeler, dans les hazards des evenements et dans les principes d’administration adoptes par les differentes nations, les v^ritabies causes de leur progrfcs ou de leur decadence dans le commerce, c'est Fenvisager en homme de hon sens." Überhaupt Dich

beim Lernen

darauf beschränken wollen,

wovon

Du schon jetzt die sofortige Nutzanwendung einsiehst, wäre ganz verkehrt. Nimm Dir vielmehr auch für Deinen Beruf als Richtschnur das Ver­

fahren Liebig's, der in seinen sätze handelte,

chemischen Vorträgen nach dem Grund­

seinen Schülern überhaupt Chemie, ohne jede Rücksicht

auf specielle Anwendung zu lehren, diese jedem selbst überlassend. Dem

sich praktischer Einsicht rühmenden, gedankenlosen Utilitarismus, der in Fachschulen den Unterricht auf das für

schränken. und

zu

verhindern wünscht,

den Beruf

notwendige zu be­

daß der Schüler Zeit verliere

und mit Dingen seinen Kopf beschwere, von denen er im spätern Leben, in seinem künftigen Berns,

nie eine praktische Anwendung

zu machen

Gelegenheit und Aussicht hätte, trat Liebig entschieden entgegen:

„von

einer Wissenschaft oder für einen Beruf nur das lernen wollen, wovon man direkten Nutzen ziehen könnte,

als

wenn Einer

wollte,

die

von

einer Sprache

sei ebenso vergeblich und sinnlos,

sich nur solche Worte aneignen

er bei passender Gelegenheit

zu einem bestimmten Zwecke

anbringen zu können glaubt; ein solcher Linguist sei sofort stumm, sobald

er in ein wirkliches Gespräch verwickelt werde". Bor einen;

allem

will

der

Kaufmann Reichtum erwerben,

sagen die

vor allem muß der Kaufmann Geld und Credit haben, sagen

andere; vor allem soll der Kaufmann ehrlich und zuverlässig sein u. s. w. und

so

hat jeder in erster Linie einen guten Rat für Dich, der aber

mehr die Resultate als die Mittel ins Auge faßt.

Was ist Reichtum?

was Geld? was Credit?

Als ob nicht jeder

282

glaubt das zu wissen! Aber wie verschieden find die Anfichten über Reichtum; wie wenige verstehen mit Geld umzugehen, mit Credit zu wirtschaften; wie viele verwechseln in der Anwendung was die Theorie aufs schärfste scheidet: Kapital, Credit und Geld; Preis und Wert; Forderungsrechte und Baarschast — und zwar nur weil sie fich den Urrterschied theoretisch nicht klar gemacht, oder durch Erfahrung noch nicht gelernt haben! Und wie drückend sind gewöhnlich die Bedingungen, unter denen diese Erfahrung ohne Theorie erkauft wird! Nicht nur zum richtigen Verständnis abstracter Begriffe, ihreS Einflusses auf die zahlreichen, fich daran knüpfenden wirtschaftlichen Fragen und deren unausgesetzte Wechselwirkung, befähigt Dich ein­ gehende Beschäftigung mit „Political Economy“, sondern auch zu der in Deinem Beruf besonders wichtigen, richtigen Beurteilung des Wol­ lens und Handelns derjenigen Personen, mit denen Deine Berufs­ thätigkeit Dich in Verkehr bringt. Und wenn hier die Erfahrung als die beste Lehrmeisterin mit Recht gepriesen wird, so liegt doch gerade in dem Übergang von der Erfahrung zum Urteil, von der Erkenntnis zur Anwendung die große Schwierigkeit, welche natürliche Schwach­ heiten: Einbildungskraft, Ungeduld, Borschnelligkeit, Selbstzufriedenheit, Gedankenform, Vorurteil, Bequemlichkeit, Leichtsinn, Veränderlichkeit, und wie sie alle heißen mögen, unausgesetzt in den Weg legen. Es wird Dir daher die Theorie doch nicht nur eine Krücke, sondern oft auch eine Leuchte auf dem Wege sein. Eng mit der Nationalökonomie verbunden sind die von der mo­ dernen Socialwissenschast behandelten Fragen. AuS den zahlreichen Schriften dieser beiden Wissenschaften eine paffende Wahl für Dich zn treffen, soll uns jetzt beschäftigen. Adam Smith, 1723—1790, wird gewöhnlich als der Vater der Nationalökonomisten oder Volkswirtschastslehrer angeführt. Auf ihn ist David Hume, 1711—1776, der schon 1740 in freundschaftliches Verhältnis zu Smith getreten war, von Einfluß, und in mancher Beziehung Vorbild für ihn gewesen. Unter Hume’s Essays, auf die ich Dich schon aufmerksam gemacht habe, enthalten die 1752 erschienenen Political Discourses die Grundgedanken des späteren Smith scheu Hauptwerkes. In Burton’s Life of D. Hume heißt eS von diesen Essays: „They are the cradle of political economy: and much as that Science has been investigated and expounded in later times, the® earliest, shortest, and simplest developments of its principles are

283 still read with delight even by those who are mastere of all the literature of this great Subject“ und das Urteil Lord Brougham’s lautet: The essays of Mr. Hume gave the first clear refutation to the errors which had so long prevailed in commercial policy, and the first philosophical as well as practical exposition of those sound principles, which ought to be the guide of statesmen in their arrangements, as well as of philosophers in their speculations upon this important Subject“. Aber auch ausländischem Einfluß ist 8rnith nicht fremd geblieben. Bon 1764—1766 war er auf dem Continent, anderthalb Jahre in Toulouse, dann in Ghent und Paris. Hier machte er 1766 die Be­ kanntschaft von Gournay, Quesnay, Turgot, Helvetius u. a. Vincent de Gournay, 1712—1759, fils de negociant, sagt Dupont de Nemours, et ayant ete longtems negociant lui-meme, avait reconnu que les fabriques et le commerce ne pouvaient fleurir que par la liberte et par la concurrence qui degoutent des entreprises inconsiderees, et menent aux speculations raisonnables; qui prSviennent les monopoles, qui restreignent ä Favantage du commerce les gains particuliers des commer^ants, qui aiguisent Findustrie, qui simplifient les machines, qui diminuent les frais onereux de transport et de magasinage, qui fönt baisser le taux de sinteret; et d’oü il arrive que les productions de la terre sont ä la premi&re main achetees le plus eher qu’il soit possible au profit des cultivateurs, et revendues en detail le meilleur marche qu’il soit possible au profit des consommateurs, pour leurs besoins et leurs jouissances. II en conclut qu’il ne fallait jamais rangonner ni reglementer le commerce et en tira cet axiome: „laissez faire et laissez passer“. Weitere interessante Mitteilungen findest Du in den „Oeuvres de Turgot“. Francois Quesnay, 1694—1774, Der Urheber des berühmten physiokratischen Systems, schrieb 1758 sein Tableau economique und 1768 das größere Werk Physiocratie. Les physioerates, sagt Garnier, partirent de ce principe que la materialite est le caractere fondamentale de la richesse, et en vinrent ä mesurer la valeur et Futilite du travail par la quantitä meme de matiere brüte dont ils parvenaient a se saisir. Cette maniere de voir a pour premier esset d’exclure du domaine de l’economie poli-

284

tique d’innombrable quantite de Services que les hommes se rendent entre eux. C’est ainsi qu’ils furent conduits ä n’accorder le caractire de productivite qu’ä 1’Industrie agricole, et de traiter de steriles les autres Industries, tont en proclamant, par un accroc ä leur logique et pour ne pas meconnaitre la verite qui leur apparaissait sous d'autres aspects, que Findustrie manufacturiere, que le commerce, que les professions liberales sont essentiellement utiles. Ils appelaient produit net cette portion des recoltes de l’agrieulture qui excedent le remboursement des frais de culture et Fin­ geret des avances qu’elle exige, et d^montraient que plus les travaux seraient libres, que plus leur concurrence serait active, et plus il s’ensuivrait dans la culture un nouveau degre de perfection, dans ses frais une economie progressive, qui, rendant le produit net plus considirable, procureraient par lui de plus grands moyens de de­ ponier, de jouir, de vivre, pour tous ceux qui ne sont pas cultivateurs. Cette erreur s'explique au debut de la Science; mais il ne saut pas oublier qu’ils combattaient la theorie mercantile qui faisait consieter la richesse uniquement dans les metaux precieux et exaltait les avantages du commerce exterieur. greuitb VON Gournay und Quesnay war der nachmalige Minister Anne Robert Jacques Turgot, 1727—1781. ©eine Von Eugene Daire mit interessanter Einleitung und den Notes de Dupont de Ne­ mours herausgegebenen Oeuvres de Turgot, nouvelle Edition, 1844 geben Dir eine ausführliche Darlegung des Systems von Quesnay. nach dessen Werk „la phyeiocratie“, welches Necker in seiner Schrift „de Fadministration des finances de la Franceu widerlegte. Turgot’s berühmte Abhandlung „R6flexions sur la formation et la distribution des richesses ist Vorn Jahre 1767, also neun Jahre früher als Adam Smith’s Wealth of Nations. Turgot und seine Freunde wollten im wesentlichen die Abschaffung der Feudalrechte und des Zunftzwanges, die Herbeiziehung des Adels und der Geistlichkeit zu den Abgaben, die Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit und der Klöster, die Emancipation der Protestanten, die Freiheit des Ge­ wissens und der Presse, die Verbesserung des Gerichtswesens, die Her­ beiziehung der wissenschaftlichen Männer zur Verwaltung und die Be­ gründung eines umfassenden Systems des öffentlichen Unterrichts. Du siehst, daß diese beabsichtigten Reformen ganz eigentlich das Werk be­ zeichnen, welches später die Revolution ausführte, und wohl mochte mau

285

in Regierungskreisen die Berufung eines Mannes zur Teilnahme au der Staatsleitung fürchten, der als philosophischer oder theoretischer Neuerer galt. Doch bald wußte Ludwig XVI. sich nicht mehr zu helfen. 1774 erhielt Turgot das Marinedepartement, und bald nachher, an des berüchtigten Terray Stelle, die Verwaltung der Finanzen. Da aber Adel, Geistlichkeit, Parlament und alle, die Opfer bringen sollten, sich zum Widerstände rüsteten, so vermochte Turgot nur wenige Verbesse­ rungen durchzuführen — die Verwerfung seiner beabsichtigten Reform öffnete der Revolution die Thüre. Mit Adam Smith’s Enquiry into the nature and causes of the Wealth of Nations, 1776 bist Du bekannt. Aber laß das ergänzende Werk, sein Theory of Moral Sentiments, 1759, nicht unbeachtet, so wie was Buckle darüber sagt: To understand the philosophy of this, by far the greatest of all the Scotch thinkers, both works must be taken together, and considered as one; since they are, in reality, the two divisions of a single Subject. In the Moral Sentiments, he investigates the sympathetic part of human nature; in the Wealth of Nations,, he investigates the selfish part. And as all of us are sympathetic as well as selfish; in other words, as all of us look without as well as within, and as this Classification is a primary and exhaustive division of our motives to action, it is evident, that if Adam Smith had completely accomplished his vast design, he would at once have raised the study of human nature to a Science, leavfng nothing for subsequent inquiries except to ascertain the minor springe of affairs, all of which would find their place in this general scheine, and be deemed subordinate to it. In his attempt to perform this prodigious task, and to traverse the enormous field which he saw lying before him, he soon perceived that an inductive Investigation was impossible, because it would require the labour of many lives even to assemble the materiale from which the generalization was to be made. Mpved by this reflection, and, probably, moved still more by the intellectual habits which prevailed around him, he resolved on adopting the deductive method instead of the inductive; but, in seeking for the premisses from which he was to reason, and on which his structure was to be built, he resorted to a peculiar artifice, which is perfectly valid, and which he had an undoubted right

286 to employ, though, to make it available, requires euch delicate tact, and involvea so many refinements, that extremely few writers have need it with effect on social questions either before or since. The plan to which I allude is, that when any Subject becomee unmanageable by the inductive method, whether from the impossibility of experimenting upon it, or from its extreme natural complexity, or from the presence of immense aud bewildering details collected around it, we may, in all such cases, make an imaginary Separation of inseparable facta; aud reason upon trains of events which have no real aud independant existence, and which are nowhere to be found except in the mind of the inquirer. A result obtained in this way, cannot be strictly true; but if we have reasoned accurately, it will be as near truth as were the premisses from which we started. To make it perfectly true, we mußt confront it with other results, which we have arrived at in a similar way, and from the same Subject. These separate inferences may be eventually coordinated into a single System; so that, while each inference contains only an imperfect truth, the whole of the infe­ rences, when put together, will contain perfect truth. Such hypothetical argumenta are evidently based upon an in­ tentional suppression of facts; and the artifice is necessary, because, without the suppression, the facts would be unmanageable. Each argument leads to a conclusion which approximates to truth; hence, whenever the premisses are so comprehensive as almost to exhaust the facts to ‘which they refer, the conclusion will be so near to oomplete truth as to be of the greatest value, even before it is coordinated with other conclusions drawn from the same department of inquiry. Geometry exhibits the most perfect example of this logical stratagem. The object of the geometrician is, to generalize the laws of space; in other words, to ascertain the necessary aud universal relations of its various parts. Inasmuch, however, as space would have no parts unless it were divided, the geometrician is forced to assume such a division; and he takes the simplest possible form cf it, a division by lines. Now, a line considered as a fact, that ir, as it is found in the actual world, must always have two qualitier, length and breadth. However slight these qualities may be, everv line has them both. But if the geometrician took both into consi-

287 deration, he would find himself in the presence of a probiern too complicated for the ressources of the human understanding to deal with; or, at all events, too complicated for the present resources of our knowledge. He, therefore, by a scientific artifice, deliberately strikes off one of these qualities, and asserts that a line is length without breadth. He knowa that the assertion is false, but he also knows that it is necessary. For, if you deny it, he can prove nothing. If you insist upon his letting into bis premisses the idea of breadth, he is unable to proceed, and the whole fabric of geometry falls to the ground. Since, however, the breadth of the faintest line is so slight as to be incapable of measurement, except by an Instrument used under the microscope, it follows that the assumption, that there can be lines without breadth, is so nearly true, that our senses, when unassisted by art, cannot detect the error. Formerly, and until the Invention of the micrometer, in the seventeenth Century, it was impossible to detect it at all. Hence, the conclusions of the geometrician approximate so closely to truth, that we are justified in accepting them as true. The flaw is too minute to be perceived. But that there is a flaw, appears to me certain. It appears certain, that whenever something is kept back in the pre­ misses, something must be wanting in the conclusions. In all such cases, the field of inquiry has not been entirely covered; and part of the preliminary facts being suppressed, it must, I think, be admitted, that complete truth is unattainable, and that no probiern in geometry has yet been exhaustively solved. That is, so far as the facts are concerned. Geometry, considered in the most elevated männer, rests on ideas, and from that point of view is impregnable, unless the axioms can be overthrown. But if geometricians will insist on having definitions as well as axioms, they gain, no doubt, increased clearness, but they lose something in accuracy. I apprehend that without definitions, geometry could not be a Science of space, but would be a Science of magnitudes, ideally conceived, and consequently as pure as raticiocination could make it. This does not touch the question as to the empirical origin of the axioms. Still, the amazing triumphs effected in this brauch of mathematics, show how powerful a weapon that form of deduction is, which proceeds by an artificial Separation of facts, in themselves inseparable. So little, however, is the philosophy of the method

288 understood, that when, late in the eighteenth Century, political economy assumed a scientific form, many persons, who were otherwise well instructed, reproached its cultivators with their hardheartedness ; euch objectors being unable to see, that the Science could not be constmcted if it were necessary to take in the whole ränge of generous and benevolent affections. The political economist aime at discovering the laws of wealth, which are far too complicated to be etudied under every aspect. He, therefore, selects one of those aspects, and generalizes the laws as they are exhibited in the selfish pari of human nature. And he is right in doing so, simply because men, in the pursuit of wealth, consider their own gratification offener than the gratification of others. Hence, he, like the geometrician, bloss out one pari of his premisses, in Order that he may manipulate the remaining part with greater ease. But we must always remember, that political economy, though a profound and beautiful Science, is only a Science of one department of life, and is founded upon a Suppression of some of the facts in which all large societies abound. It suppresses, or, what comes to the same thing, it ignores, many high and magnanimous feelings which we could ill aford to lose. We are not, therefore, to allow its conclusions to override all other conclusions. We may accept them in Science, and yet reject them in practice. Thue the political economist, when confining himself to his own department, says, with good reason, that it is both absurd and mischievous for government to undertake to supply the working classes with employment. This assertion, he, as a po­ litical economist. can prove; and yet, notwithstanding its scientific truth, it may be practically right for a government to do the exact opposite. It may be right for a government to supply the employ­ ment, when the people are so ignorant as to demand it, and when, at the same time, they are so powerful as to plunge the country into anarchy if the demand is refused. Here, the view of the politician takes in all the premisses of which the political economist had only faken in a portion. In the same way, as a matter of economic Science, it is wrong for any one to relieve the poor; since nothing is bester established, than that to relieve poverty increases it, by encouraging improvidence. But, in spite of this, the antagonistic principle of sympathy will come into play, and will, in some minds, operate with such force, as to make it advisable, that he who

289

feels it should give alms, because, if he abstains from giving them, the violence which he does to bis own nature may inflict more mischief on himself, than hie bestowal of charity would inflict on the general intereete of Society. In hie two great works, Adam Smith first lays down certain ideas, and from them he marches on to the facts of the external world. And in each work he reasons from only part of his premisses; supplying the other part in the other work. None of ns are exclusively selfish, and none of us are exclusively sympathetic. But Adam Smith separates in speculation qualities which are inseparable in reality. In his Moral Sentiments, he ascribes our actione to sympathy; in his Wealth of Nations, he ascribes them to selfishness. A short view of these two works will prove the existence of this fundamental difference, and will enable us to perceive that each is supplementary to the other; so that, in order to understand either, it is necessary to study both." Die Kritik Buckle’s ist eingehend.

Unterlasse nicht, Dich mit der

interessanten Analyse, welche er giebt, bekannt zu machen und sie mit Anderer Urteilen zu vergleichen. Besonders empfehle ich Dir zu diesem Zweck:

Lord Brougham, A. Smith with an analysis of his great work, 1845. „When ethical speculations, sagt Lord Brougham — which may include everything that concerns the rights, as well as the duties of citizens, all that regards their good government, all the branches of jurisprudence, all the principles that govern the production and distribution of wealth, the employment and protection of labour, the progress of population, the defence of the state, the education of its inhabitants; in a word, political Science, including as one of its main branches political economy — when ethical speculations bad made so great progress (Butler, Hutchinson, Berkeley) it was natural that this important Subject should also engage the attention of scientific men; and we find accordingly, that in the early part of the eighteenth Century the attention of the learned and, in some but a moderate degree, of statesmen also, was directed to these inquiries. Some able works had touched in the preceding Century upon the Subjects of money and trade. Sound and useful ideas upon these were to he found scattered through the writings 19

290

of Mr. Locke. But at a rauch earlier period, Mr. Min, both in 1621 and 1664, had combatted successfully, as far as reasoning went, without any success in making converts, the old and mischievous, but natural fallacy, that the precious metals are the constituents of wealth. Soon after Min's second work „The increase of .foreign tradeu, Sir Wm. Betty still further illustrated the error of those, who are afraid of an unfavorable balance of trade, and exposed the evil policy of regulating the rate of interest by law. A few years before Sir Wm. Petty’s most celebrated work, bis „Anatomy of Ire­ land", appeared Sir Josiah Child’s „Discourse of Trade" 1668, in which, with some errors on the Subject of interest, he laid down many sound views of trade, the principle of population, and the absurdity of laws against forestalling and regrating. In 1681 he published his „Philopatris" which shows the injurious effects of monopolies of every kind, and explains clearly the nature of money. But Sir Dudley North’s „Discourse“ published in 1691, took as clear and even as full a view of the true doctrines of commerce and exchange as any modern treatise; building its deductions upon the fundamental principle which lies at the root of all these doctrines, that, as to trade, the whole world is one country, of which the natives of each state severally are citizens or Subjects; that no lawd can regulate prices; and that whatever injures any one member of the great Community injures the whole. John St. Mill’s Urteil lautet: „The most characteristic quality of the „Wealth of Nations, and the one in which it most differs from some other works which have equalled and even surpassed it as mere expositions of the general principles of the Subject, is that it invariably associates the principles with their applications. This of itself implies a much wider ränge of ideas and of topics, than are included in Political Economy, considered as a brauch of abstract speculation. For practical purposes, Political Economy is inseparably intertwined with many other brauches of social philosophy. Except on matters of mere detail, there are perhaps no practical questions, even among those which approach nearest to the character of purely economical questions, which admit of being decided on economical premises alone. And it is because Adam Smith never loses sight of this truth, because, in his applications of Poli-

291 tical Economy, he perpetually appeals to other and osten far larger considerations than pure Political Economy affords — that he gives that wellgrounded feeling of command over the principles of the Subject for purposes of practice, owing to which the „Wealth of Nations“ alone among treatises on Political 'Economy, has not only been populär with general readers, but has impressed itself strongly on the minds of men of the world and of legislators. Was er selbst unter Political Economy verstanden, darüber hat Smith sich klar, wie folgt, ausgesprochen: „Political economy, considered as a brauch of the Science of a statesman or a legislator, proposes two distinct Objects: first to provide a plentiful revenue or subsistence for the people, or, more properly, to enable them to provide such a revenue or sub­ sistence for themselves; and secondly, to supply the state or Com­ monwealth with a revenue sufficient for the public Services. It proposes to enrich both the people and the sovereign.“ Du mußt dies stets im Auge behalten bei der Beurteilung der ihm folgenden sogenannten „Schule der abstrakten Wissenschaft", deren Vertreter, so sehr sie auch nach verschiedenen Richtungen, ost weit, auseinandergeheu, doch alle Adam Smith gerne Vater nennen. Den Franzosen und dem Contineyt überhaupt hat J. B. Say, 1767—1832, in seinem Traiti d’iconomie politique, ou simple exposition de la mani&re dont se form ent, se distribuent et se consomment les richesses, 1803, Smith’s Wealth of Nations verdollmetscht und systematisiert, und die ihm eigentümliche Dreiteilung hat seinem Werke vielfach, nicht nur unter Franzosen, den Ruf der Grundlage einer neuen Wissenschaft von der Produktion, der Verteilung und (Konsumtion der Wirthschastsgüter verschafft. Aber schon Rossi, sich an Turgot und Smith anschließend sagt in seinem Cours d’economie politique, 1835: „Nous avons etudie la Science dans ses grandes divisions, la production et la distribution de la richesse, et si nous ne nous sommes pas occupes ä part d'une troisieme brauche qui est designSe dans les livres sous le nom de consommation, c’est que pour nous cette brauche rentre dans les deux autres. Ce qu’on appelle consom­ mation productive n’est autre que Temploi du Capital; la consom­ mation qu’on a voulu appeller improductive, l’impöt, rentre directe-

292 ment dans la distribution de la richesse; le reste appartient ä VhygiSne

et ä la morale.“ Vergleiche mit dem „Wealth of Nations“ einige der Werke über

Nationalökonomie der Hauptvertreter dieser

Wissenschaft bei andern

Nationen: Bei den Franzosen: Jos. Garnier, Traitti d’^conomie politique, 7me ed., 1872. Bei den Deutschen: Ch. H. Rau, Lehrbuch der politischen Oekonomie, 5. Stuft., 1851. Bei den Italienern: Marco Minghetti, Dell’ economia publica e delle sue attinenze colla morale e col diritto, 1859.

Bei den Amerikanern:

H. C. Carey, Principles of political economy, 1837—1840. Adam Smith hat das Verdienst aus langjähriger Erfahrung und Beobachtung ein großes Material zusammengetragen, die Aufmerksamkeit

seiner Zeitgenossen, welche David Hume schon auf eine Menge grober Irrtümer bezüglich herrschender Ansichten über Ursachen, Wirkungen und

Wechselwirkungen im wirtschaftlichen Leben gelenkt hatte,

gefesselt und

viele dieser Irrtümer berichtigt zu haben. Dem Unvollständigen seiner Beobachtungen, nicht dem Mangelhaften seiner Logik, sind die Irrtümer

zuzuschreiben, welche ihm geblieben, welche eine spätere Kritik ihm nach­

gewiesen, und deren noch jetzt häufige Wiederkehr,

in Lehre und An­

wendung, unausgesetzte Widerlegung erheischt. Die Behauptung z. B., daß Dinge, welche den höchsten Gebrauchs­ wert haben,

ohne Tauschwert sein können und umgekehrt, beruht bei

Adam Smith und seinen Nachbetern lediglich auf der unzuläßlichen,

Vergleichung ungleicher Größen. „Wenn ich von dem Tauschwerth eines

Dinges d. h. von der Fähigkeit für dasselbe einen Preis zu erlangen rede — sagt Brentano — so habe ich nothwendig bei diesem Vergleiche

stets ein gewisses Quantum dieses Dinges im Sinne,

eine feste abge­

Wenn Adam Smith dagegen sagt: „Nichts sei nütz­ licher als Wasier; aber es läßt sich damit kaum irgend etwas eintauschen"

grenzte Größe.

so hat er da, wo er von dem Nutzen des Wassers spricht das Wasser

im Allgemeinen, also eine ganz unbestimmte Größe, da hingegen wo er von dessen Tauschfähigkeit spricht, nothwendig eine fest abgegrenzte Größe vor Augen.

Er vergleicht also

ganz disparate Größen mit einander.

Hätte er da, wo er vom Nutzen des Wassers spricht, sich gleichfalls eine

293 feste Größe vergegenwärtigt, also z. B. ein Liter Wasser, so würde seine Bemerkung, daß nichts nützlicher sei als ein Liter Wasser, nur für den

Fall richtig sein, daß eben nur ein Liter Wasser vorhanden ist und von diesem einen Liter Wasser die Möglichkeit, sich das Leben zu erhalten, abhängt. In diesem Falle würde er aber finden, daß der Tauschwerth

des einen Liters Wasser ebenso groß wäre,

wie sein Gebrauchswerth,

daß in diesem Falle alle Diamanten willig gegeben werden, um den einen Liter Wasser zu erhalten. In allen andern Fällen, in denen eine

relativ unbegrenzte Anzahl Liter Wasser vorhanden ist, in

denen

Tauschwerth von einem Liter Wasser daher gleich Null ist,

der

hätte er

aber auch sagen müssen, daß der Gebrauchswerth von einem Liter Wasser d. h. die Bedeutung, welche einem Liter Wasser für die Befriedigung

der Bedürfnisse beigelegt wird,

gleich Null ist,

da jeder Liter Wasser

durch eine relativ (d. h. im Verhältniß zum vorhandenen Bedürfnisse)

unbegrenzte Anzahl Liter Wasser ersetzt werden kann.

In denselben

Fehler verfällt Adam Smith bei seinen Bemerkungen über den Diamanten. Könnte jeder einzelne Diamant durch andere Diamanten in derselben relativ unbegrenzten Menge wie ein Liter Wasser durch andere Liter

Wasser ersetzt werden, so wäre sein Gebrauchswerth d. h. die Bedeutung, welche ihm die Menschen für die Befriedigung ihres Bedürfnisses, vor Andern zu glänzen, beilegen, gleich Null und eben dem entsprechend sein

Tauschwerth. Da aber die Diamanten sehr selten sind, und um so seltener je größer ihr Umfang und ihre Pracht, legen ihnen die Menschen große

Bedeutung bei für die Befriedigung ihres Bedürfnisses, vor Andern zu glänzen, und um so größer, je größer dieser ihr Umfang, und diese ihre Pracht. Es steigt also in demselben Maße der Gebrauchswerth des

einzelnen Diamanten und

dem

entsprechend sein Tauschwerth.

Hätte

A. Smith sich vorgestellt, es gelte die Gesammtheit des vorhandenen Wassers einzutauschen und hätte er den Tauschwerth der Gesammtheit

der vorhandenen Diamanten verglichen, so hätte er zugestehen müssen, daß unter Annahme dieser Vorstellung diese Tauschwerthe in demselben

Verhältniß zu einander stehen würden,

betreffenden Gesammtheiten,

meßlich groß,

daß

daß

wie die Gebrauchswerthe der

der Tauschwerth des Wassers

der der Diamanten

uner­

äußerst gering sein würde.

A. Smith beging den Fehler, daß er nicht die nöthige Unterscheidung machte zwischen dem abstracten Gebrauchswerth eines Gutes im Allge­

meinen und dem konkreten Gebrauchswerthe einer bestimmten Menge desselben; daß er im Augenblicke, wo er von jenem abstracten Ge-

294

brauchSwerthe redete, nicht daran dachte, daß vom Tauschwerth immer nur mit Rücksicht auf eine begrenzte Menge die Rede sein kann und daß er den abstracten Gebrauchswerth eines Gutes an sich d. h. einer unbegrenzten Menge desselben, mit dem Tauschwerth einer begrenzten Menge desselben Gutes verglich." Ebenso unhaltbar erweiset sich A. Smith’s Einteilung der Arbeit in produktive und unproduktive, wobei sich deutlich der Einfluß von Gournay und Quesnay zeigt deren irrtümliche Grundideeen Smith nur erweitert, statt sich von ihnen loszusagen. Schon 1804 hat Lord Brougham in der Edinburgh Review diesen Irrtum aufgedeckt; er wird aber noch täglich wiederholt, und durch Schrift und Lehre ver­ breitet. Bemerke Dir daher was Brougham in seinem Essay sagt, welches schließt: The terms productive and unproductive are, in the argument of some of the Economists, and in parts of Dr. Smith’s reasonings, so qualified, as to render the question a dispute about words, or at most about arrangement. But this is not the case with many branches of both these theories, and especially with the position examined in the text. The author actually remarks how much richer England would now be, had ehe not waged such and such wäre. So might we estimate how many more coats we should have, had we always gone naked. The remarks here stated, may with equal justice be applied to a circumstance in the Theory of the Balance of Trade. In stating the proportion of exports to Imports, it has justly been observed, that no notice can ever be taken, in Custom-house accounts, of money remitted for subsidies, or for the payment of our troops and fleets abroad. But it has very inaccurately been added, that these sums are so much actually sent out of the country without an equivalent. In säet, the equivalent is great and obvious, although of a nature which cannot be stated in figures among the Imports. The equivalent is all the success gained by our foreign warfare and foreign policy — the aggrandisement and security of the State, and the power of carrying on that commerce, without which there would be neither exports nor Imports to calculate and compare. Nachfolger unter seinen Landsleuten in der von ihm popularisierten Wissenschaft hat Adam Smith in: David Ricardo, 1772—1823; Jeremy Bentham, 1748— 1832; Thomas Robert Malthus, 1766 —1834; Thomas

295 Moore, 1780—1852; Robert Owen, 1771—1858; Francis Palgrave, 1788—1861 ; John Ramsay Mc Culloch, 1789—1864; John Stuart Mill, 1806—1873, und andern gefunden. Unter Mill's verschiedenen Werken— seine merkwürdige, bald nach seinem Tode erschienene Autobiography mußt Du lesen — wird Dir The Principles of Political Economy, 1848, von Nutzen sein. Mill faßt das Wesentliche seiner Vorgänger zusammen und ist heilte hier erste Autorität. Zu den für Dich beachtenswerten Büchern zählen auch: A. Blanqui, Histoire de Feconomie politique, 4me 6d., 1860. P. Rossi, Cours d’^conomie politique, professe au College de France, 1851. M. Chevalier, Cours d’economie politique, fait au College de France, 1866. Wm. Roscher, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 10. Aufl., 1873. Lies dann auch den etwas wortreichen, mitunter sophistischen, aber oft citierten: FredSric Bastiat, 1801—1850, Oeuvres completes, 2de ed., 1862; namentlich den 6. Band: „Harmonies economiques“; so wie E. Dühring, Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus, 3. Aufl., 1879. Ganz besonders empfehle ich Dir noch zu Deiner fleißigen, aber umsichtigen Benutzung, denn der Standpunkt der Herausgeber ist kein unparteiischer — Dictionnaire de Feconomie politique de Ch. Coquelin & Guillaumin, 4me ed., 1873. Du findest in demselben die wichtigsten Werke aller Nationen ver­ zeichnet. den gegenwärtigen Standpunkt der Wissenschaft selbst, ihre Mittel und Ziele eingehend besprochen. Große Meinungsverschiedenheit, die schon bei der Definition und Begrenzung der Wissenschaft beginnt, darf Dich nicht abschrecken. So­ gar darüber ist unter den Franzosen Streit, ob economie politique eine Wissenschaft oder eine Kunst sei. L’art consiste dans une serie de preceptes ou de regles a suivre;

296 la Science, dans la connaissance de certains phenomänes ou de certains rapports observes et räveles. II ne s’agit pas d'examiner lequel des deux, de Part ou de la Science, est superieur ä F autre; ils peuvent avoir des märites egaux, chacun ä sa place; il s’agit uniquement de montier en quoi ils different quant a leur objet et leur mani&re de procäder. L’art conseille, prescrit, dirige; la Science observe, expose, explique. Quand un astronome observe et decrit le cours des astres, il fait de la Science; mais quand, ses obscrvations une fois faites, il en deduit des rägles applicables ä la navigation, il fait de Fart. Il peut avoir egalement raison dans les deux cas; mais son objet est diffSrent, aussi bien que sa maniöre de proceder. Ainsi, observer et dScrire des phänomenes räels, voilä la Science; dicter des preceptes, prescrire des rägles, voilä, Fart. Mr. Rossi avait bien saisi cette distinction, quoiqu'il en ait fait abus, en la confondant mal a propos avec celle que Fon fait assez communäment entre la thSorie et la pratique. A proprement parier, dit-il, la Science n'a pas de>but. Des qu’on s'occupe de Femploi qu’on peut en faire, du parti qu’on peut en tirer, on sort de la Science et on tombe dans Fart. La Science, en toutes choses, n’est que la possession de la verite, la connaissance r6flechie des rapports qui dScoulent de la nature des choses .... Voilä bien sous une autre forme la pensee de M. Destutt de Tracy: „un art est la collection des maximes ou preceptes pratiques dont Fobservation conduit ä faire avec succes une chose quelle qu'elle seit; et une science consiste dans les verites qui räsultent de Fexamen d’un sujet quelconque.“ Il ne saut donc pas häsiter ä dire, que, dans son etat actuel, Fäconomie politique est ä la fois Fun et Fautre; c’est-ä-dire que, dans la direction des travaux et des etudes economiques, on donne encore aujourd’hui un nom commun ä des choses qui pourraient et devraient etre distinctes. Il est sensible, en effet, que dans les travaux des maitres, dans les traites generaux composes depuis Adam Smith, il se rencontre un träs grand nombre d'observations vraiment scientifiques, c’est-ä-dire qui n'ont pas d'autre objet que de faire connaitre ce qui se passe ou ce qui est. Ou peut meme dire que lä les obscrvations de ce genre dominent. Mais les avis, les preceptes, les regles ä suivre s'y rencontrent aussi tres-frequemment. L’art s'y mele donc constamment avec la science. Mais c'est bien autre chose dans la foule de ces traites speciaux, ou de ces

297 dissertations particulifcres, qui ont pour objet de resoudre certaines questions relatives ä Findustrie, au commerce, ou ä Fadministration econoi^ique des 6täte; questions d’impot, de Credit, de finance, de commerce exterieur, etc. etc. Lä c’est toujours Fart qui domine. Les conseils, les preceptes, les regles ä suivre, toutes ces choses qui appartiennent essentiellement au domaine de Fart s’y pressent les unes sur les autres, tandis que les observations vraiment scientifiques y apparaissent ä peine de loin en loin. Et cependant tout cela porte encore indifferemment le nom d’Economie politique. Kein Wunder, daß die Definitionen der Wissenschaft selbst sehr verschieden lauten! Adam Smith’s eigene Definition habe ich Dir schon angeführt. Ihm war es um Verhaltungsregeln fürs praktische Leben zu thun, nicht um ein allgemein gültiges abstraktes System. Sein Herausgeber und Kommentator Mc Culloch sagt: Political economy is now most commonly defined „the Science of the laws which regulate the production, distribution, and consumption of those articles or products that have exchangeable value, and are, at the same time, necessary, useful or agreable to man. When thue understood, it obviously embraces most of the^ investigations into which Dr. Smith has entered“. Nach J. 8. Mill: „The Conception of Political Economy as a brauch of Science is extremely modern; but the Subject with which its enquiries are conversant has in all ages necessarily constituted one of the chief practical interests of mankind, and, in some, a most unduly engrossing one. That Subject is Wealth. Writers on Political Eco­ nomy profess to teach or to investigate, the nature of Wealth, and the laws of its production and distribution: including, directly or remotely, the Operation of all the causes, by which the condition of mankind, or of any Society of human beings, in respect to this universal object of human desire, is made prosperous or the reverse. Not that any treatise on Political Economy can discuss or even enumerate all these causes; but it undertakes to set forth as much as is known of the laws and principles according to which they operate.“ Nach dem London Economist Juli 1878: „Political Economy is the Economy of Society; a Science com-

298 bining the results of our observations on the nature and functions of the different parts of the social body. But observation without Combination is of no avail; it is the power of understandisg the meaning of the daily facts which pass under the observation alike of the man of Science and the most ignorant labourer which marks the difference between the two.“ Nach Jean B. Say: „L’objet de F6conomie politique semble avoir 6te restreint jusqu’ici ä la connaissance des lois qui prisident ä la formation, ä la distribution et ä la consommation des richesses. C’est ainsi que moi-meme je Fai consideree dans mon Traitä d’economie politique . .. cependant, on peut voir dans cet ouvrage meme que cette Science tient ä tont dans la societe, qu’elle se trouve embrasser le Systeme social tont entier. C’est la Science des intirets de la soci6t6, et comme toutes les Sciences v6ritables, eile est fondee sur Fexperience, dont les r£sultats, groupes et ränges methodiquement, sont devenus des principes, des värites generales.“ Nach De Sismondi: „Le bien-ötre physique de Fhomme, autant qu’il peut Ztre Fouvrage de son gouvernement, est Fobjet de Feconomie politique.“ Nach P. Rossi: „L’6conomie politique est purement et simplement la Science de la richesse.“ Nach J. Garnier: „L’iconomie politique que nous avons propose d’appeler plus simplement Fticohomie, est de toutes les Sciences celle qui se rend plus specialement et plus directement compte. de la phyBiologie et de FOrganisation ou de l’iconomie de la societe humaine, des besoins particuliers et commune des hommes, des moyens gen6raux de les satisfaire, des maux qui affligent le corps social dans Fordre du travail, de leurs causes et des rem&des qu’on y peut apporter.“ Nach W. Roscher: „Wir Verstehen unter Nationalökonomie, Volkswirthschaftslehre, die Lehre Von den Entwickelungsgesetzen der Bolkswirthschast, des wirthschastlichen Volkslebens. Sie knüpft sich, wie alle Wissenschaften Vom Volksleben, einerseits an die Betrachtnng des einzelnen Menschen an; sie erweitert sich auf der andern Seite zur Erforschung der ganzen Menschheit."

299 Nach F. v. Holtzendorff:

„Die Bolkswirthschastslehre laßt sich auf die Grundsätze beschrän­ ken, von denen Erzeugung, Verbrauch und Bertheilung der materiellen

Güter in der staatlich organisirten Gesellschaft beherrscht werden,

ent­

weder unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen im menschlichen Verkehr bestehenden Wirksamkeit oder des ihnen gegenüber gebotenen Verhaltens

der Staatsgewalt." Geht es aber erst an die Definitionen abstrakter Begriffe, wie Ar­

beit, Kapital, Reichtum, Konkurrenz, Produzenten, Konsumenten re., so

artet die Meinungsverschiedenheit in Konfusion aus. Über produktive und unproduktive Arbeit habe ich Dich schon un­

Dunoyer im Dictionnaire: On ne peut pas dire que le travail du professeur, du juge, du comedien, du chanteur ne s’attache ä rien, ni qu’il n’en reste rien: il s’attache aux hommes sur qui il s’opire et il en reste les modifications utiles et durables, qu’il leur a fait subir; de meme que le travail du fileur, du tisserand, du teinturier, se rialise dans les choses qui le subissent et y laisse les formes, la figure, les couleurs qu’il leur a imprimees. On ne peut pas dire que les valeurs realisees dans les hommes, que la capacitS, l’industrie, les talents, qu’on leur a communiques ne sont pas susceptibles de se vendre; ce qui ne se vend pas, au meins dans les pays assez civilises pour n’avoir plus d’esclaves, ce sont les hommes dans lesquels l’industrie humaine les a developpes, mais quant aux talents que ces hommes possedent, ils sont trfcs-susceptibles de se vendre, et ils sont, en effet, continuellement vendus; non pas je le reconnais volontiere en nature et en euxmemes, mais sous la forme des Services, du travail, de Fenseignement qu’on emploie d’ordinaire ä les inculquer ä autrui. On ne peut pas dire davantage que les valeurs que le travail parvient ä fixer dans les hommes ne sont pas de nature ä s’accumuler: il est aussi aise de multiplier en nous-memes les modi­ fications utiles dont nous sommes susceptibles que de multiplier dans les choses qui nous entourent les modifications utiles, qu’elles peuvent recevoir. On ne peut pas dire non plus qu’il y a du dtisavantage ä les multiplier: ce qu’on ne pourrait multiplier sans desavantage

terhalten. Über materielle und immaterielle Güter schreibt Ch.

300

ce sont les frais necessaires pour obtenir une espece quelconque de produits; mais quant aux produits eux-memes, on ne pent sürement pas dire qu’il y ait du d£savantage ä les accroitre: on ne voit pas plus les honimes se plaindre d’avoir trop d'industrie, de goüt, d'Ima­ gination, de savoir, de vertu, qu'on ne les voit se plaindre de poss6der trop d'utilites de quelque autre espece. On ne peut pas dire que la depense faite pour obtenir ces produits est improductive. Ce qui serait improductif, ce seraient les frais, que I on serait inutilement pour les cr6er; mais quant aux frais necessaires pour cela, ils ne sont pas improductifs, puisqu’il en peut resulter une v£ritable richesse, et une richesse sup6rieure ä ses frais de production: il n'est sürement pas rare que des talents acquis vaillent plus que la depense faite pour les acquerir; il n’est pas impossible qu’un gouvernement fasse naitre par une administration active, ferme, eclairee de la justice, des habitudes sociales d'un prix infiniment superieur ä la depense qu’il saut faire pour obtenir un si precieux resultat. On ne peut pas dire, enfin, que ces produits n’ajoutent rien au Capital national: ils Faugmentent aussi reellement que peuvent le faire des produits de tonte autre espece. Un Capital de connaissances ou de bonnes habitudes ne vaut pas moins qu’un Ca­ pital d'argent ou de tonte autre espece de valeurs. Une nation n’a pas seulement des besoins physiques a satisfaire: il est dans sa nature d’eprouver beaucoup de besoins intellectuels et moraux, et pour peu qu’elle ait de Culture, eile placera la vertu, Finstruction, le goüt au rang de ses richesses les plus reelles et les plus pricieuses. Ensuite ces choses, qui sont de vraies richesses par elles-memes, par les plaisirs purs et eleves qu’elles procurent sont en outre des moyens absolument indispensables pour obtenir cette autre espece de valeurs, que nous parvenons ä fixer dans les objets materiels. Il ne suffit pas, en effet, pour creer celles-ci, de posseder des ateliers, des outils, des rnachines, des denrees, des monnaies: il saut des forces, de la sante, de la Science, du goüt, de Fimagination, de bonnes habitudes privees et sociales, et les hommes qui travaillent ä la criation et aux perfectionnements de ces produits peuvent, ä juste titre, etre consideres comme producteurs des richesses improprement dites materielles, tout aussi bien que ceux qui travaillent directement ä les creer. Il est sensible, en un mot, que si une na-

301 tion accroit son Capital en etendant ses cultures, en ameliorant ses terres, en perfectionnant ses usines, ses Instruments, ses bestiaux, eile Faccroit ä plus forte raison, en se perfectionnant elle-meme, eile qui est la force par excellence, la force qui dirige et fait valoir toutes les autres. Le moyen apres cela qu’on veuille bien nous le dire de soutenir que les hommes qui emploient directement leur activite a la culture de leurs semblables creent des produits qui s’6 vanouissent en naissant! La verite, pour ces travailleurs comme pour tous, c’est que dans VOeuvre de la production, il n’y a que leur travail qui s’evanouisse, et que, quant ä leurs produits, ils sont aussi reels que. ceux des classes les plus manifestement productrices, Que peut-on faire de mieux, en esset, pour accroitre le Capital d’une nation, que d'y multiplier le nombre des hommes sains, vigoureux, adroits, instruits, vertueux, exerces ä bien agir et ä bien vivre ? Quelle richesse, meme alors qu'il ne s’agirait que de bien exploiter le monde materiel, pourrait paraitre superieure ä celle-la? Quelle richesse .est plus capable d’en faire naitre d'autres? Or, voici precisement celle que produisent toutes les classes de travailleurs qui agissent directement sur l’homme, a la difference de celles qui ne travaillent pour lui qu’en agissant sur les choses. Un gouvernement, quand il est ce qu'il doit etre, est un producteur d’hommes soumis ä Vordre public et rompus ä la pratique de la justice; un v6ritable moraliste est un producteur d’hommes moraux; un hon instituteur est un producteur d’hommes instruits et eclairis; un artiste digne de ce nom est un producteur d'hommes de goüt et d’ämey d’hommes exerces ä sentir tont ce qui est hon et beau; un maitre d'escrime, d’6quitation, de gymnastique est un producteur d’hommes hardis, agiles, robustes; un medecin est un producteur d’hommes bien portants. Ou bien, si I on veut, ces divers travailleurs sont,. suivant la nature de Fart qu’ils exercent, des producteurs de santer de force, d’agilite, de courage, d’instruction, de goüt, de moralite, de sociabilite; toutes choses que l’on compte bien acquerir lorsque Fon consent ä payer les Services destines a les faire naitre, et tous Services dont le prix est pour ainsi dire cotti, ayant par consequent une valeur venale, et formant la portion la plus pr^cieuse et la plus feconde des forces productives de la societe. „La nomenclature, sagt Coquelin, a son importance, puisquey

302

ei eile ne sait pas la doctrine, eile sert du meins ä la rendre accesßible ä ceux qui ne la possfedent pas. Rien de plus föcheux, d’ailleurs, que ces discussions saus cesse renouvelees sur Femploi des mots. Elles fatiguent inutilement des esprits qui pourraient faire de leurs facultas un meilleur usage. Elles tendent meme ä discrSditer la Science aux yeux de ceux qui ne la suivent que de loin,u — und schlägt dann vermittelnd vor: „Les richesses ne se produisent pas toutes seules, disons-nous, elles sont le rSsultat d’un effort humain ou de plusieurs eflforts combinSs. Pourquoi donc, au lieu de mettre saus cesse en avant le rSsultat, ne pas vous attacher plutöt ä la combinaison des efforts humains qui le produisent? Pour­ quoi ne pas annoncer hautement, ouvertement, dans vos formales, que c’est cette combinaison des travaux humains qui fait Fobjet de vos Stüdes, puisqu’aprSs il n’y a que cela que puisse formet un objet d’Studes serieux? II semble toujours, ä lire ces dSfinitions tolles qu’on les donne, que la matiere agisse et procede d’elle-meme, saus que Fhornme y soit pour rien. Ce ne sont, il est vrai, que des apparences; mais ces apparences sont fächeuses; elles ont donne lien & bien des mSprises; elles ont fait dire souvent, par les hommes Strangers ä la Science, que Feconomiste est exclusivement livrS au culte de la matiSre, tandis qu’au fond c'est Fhornme, et Fhornme seul, qui est Fobjet constant de ses travaux. „Outre que ces formules sont par elles-memes vicieuses, elles sont devenues la source d’interminables discussions, aussi fastidieuses dans leur dSveloppement que stSriles dans leur rSsultat. De ce que FSconomie politique avait pour objet FStude de la richesse, on en a conclu, avec une certaine apparence de raison, que son premier besoin devait etre de dSfinir et de caractSriser la richesse; car Com­ ment, a-t-on dit, raisonner pertinemment sur la richesse, si on ne sait pas bien ce que c'est; et, se fondant sur ce raisonnement spScieux, chaque Sconomiste s'est fait un devoir de placer en tete deson ouvrage une interminable dissertation sur cet intSressant sujet. Ile se sont perdus, ä Fenvi des uns des autres, dans des discus­ sions et des distinctions saus fin, sur FutilitS, premier attribut de la richesse, sur la valeur qui en fait le complSment, sur la nature de cette valeur, sur les conditions de sa crSation, de son existence, de son Stendue, etc. — Ainsi la Science s'est hSrisSe d’abstractions; vSritable Spouvantail pour ceux qui ne la connaissent pas

303 encore; objet de degoüt meme pour ceux qui la cultivent depuis longtemps. „Le pis de tont cela, c’est qu’apres tant de longues dissertations on n’a pu riussir encore k s’entendre; est-ce la valeur en usage ou la valeur en echange qui constitue la richesse? J.-B. Say dit: oui, M. Rossi dit: non, et chacun d'eux a ses proselytes. Depuis un demi-siecle que le d6bat dure, il ne parait guöre plus avance qu’au premier Jour. Dans les termes oü ce d6bat est engage, il n’y a pas de raison pour qu'il finisse; car, ainsi qu’on Ta vu, il y a de bons arguments ä faire valoir des deux cöt6s, les uns ayant pour eux la raison des choses, les autres la raison des mots. Il saut bien s’entendre, r6pöte-t-on chaque fois qu’on s’y engage; saus doute: mais y arrive-t-on par ce moyen? Non, puisque les discussions se renouvellent sans cesse. Il n’y a pas de raisons, d’ailleurs, si Von ne sort pas de la voie ou Fon se trouve, pour qu’elles ne se prolongent pas ainsi jusqu’ä la fin des temps. „Que doivent penser cependant de ces discussions interminables les homines etrangers ä l’economie politique ou qui ne la connaissent qu’a demi? Ce qu’ils doivent penser, et ce qu’ils pensent en esset, c’est que rien n’est fixe ni constant dans une Science ou Fon se dispute encore sur le point de depart meme, sur ce qui est ou parait etre le fondement de tont le teste. Ainsi, ce n’est pas assez d’avoir effarouche ces hommes par des definitions insaisissables, incoherentes, inacceptables; ce n’est pas assez de les avoir rebutes, en leur oKraut, aux abords meme de la Science, comnqe pour leur en interdire l’entree, une interminable serie d’ab straction s arides; il a fallu encore que Fon ebranlät d’avance leur foi dans les verites dont on avait ä les instruire, en disputant sans fin, de maitre k maitre sur ce qu’on leur presente soi-meme comme le fondement essentiel de ces meines verites. Qu’on s’etonne apr&s cela que la Science economique n’ait pas fait de plus grands progres dans les esprits. Ce dont il saut s’etonner plutöt, c’est qu’avec de si mauvaises conditions de propagation eile ait encore trouve tant d’adeptes.“ „Es giebt immer weniger begabte Menschen, sagt Goethe, die am Eingelernten festhalten, am Herkömmlichen, am Gewohnten. Auf diese Weise bildet sich eine sogenannte Schule und in derselben eine Sprache, in der man sich nach seiner Art versteht, sie deswegen aber nicht ab­ legen kann, ob sich gleich das Bezeichnete durch Erfahrung längst der-

304 ändert hat.

Mehrere Männer dieser Art regieren alsdann das wissen­

schaftliche Gildewesen,

welches,

wie ein Handwerk,

daS sich von der

Kunst entfernt, immer schlechter wird, je mehr man das eigenthümliche Schauen und das unmittelbare Denken vernachlässigt.

„Da jedoch dergleichen Personen von Jugend auf in solchen Glau­ bensbekenntnissen

unterrichtet sind und im Vertrauen auf ihre Lehrer

das mühsam Erworbene in Beschränktheit und Gewohnheit hartnäckig behaupten, so läßt sich Vieles zu ihrer Entschuldigung sagen. finde ja keinen Unwillen gegen sie.

Und man

Derjenige aber, der anders dentt,

der vorwärts will, mache sich deutlich, daß nur ein ruhiges, folgerechtes

Gegenwirken die Hindernisse, die sie in den Weg legen, doch endlich überwinden könne und müsse."

obgleich spät,

London, 10. October 1879. Du wirst Dich bald überzeugen, daß Political Economy als Wissen­ schaft erst im Entstehen ist. Ebenso gewöhnlich wie verkehrt und un­ wissenschaftlich ist es bei Wirkungen, die fast immer von sehr zusam­ mengesetzten Ursachen herrühren, alles auf ein vermeintes Princip re­ ducieren und aus einer Ursache erklären zu wollen, was immer das Resultat von vielen ist. Es ist freilich die kürzeste und bequemste Art, sich aus der Sache zu ziehen, aber man verfehlt auch die Wahrheit fast immer auf diesem Wege. Unter den modernen Wirtschaftslehrern wirken nun zwei Haupt­ schulen, von denen die eine sich in der engen Begrenzung, welche Adam Smith in seinem Wealth of Nations der menschlichen Natur untergelegt hat, bewegt, während die andere aus dem Bereich seiner Theory of moral sentiments mehr oder weniger Material zur Erwei­ terung dieser Grenzen heranzieht. Die erste Klasse findet sich hauptsächlich in England und verliert sich entweder in reine Interessenvertretung des mobilen Kapitals (Man­ chesterschule) oder in unfruchtbare Abstraktionen. So heißt es im Syllabus of a course of lectures on political economy by the London Society for the extension of University teaching, January 1879: „Political Economy is the Science which investigates the nature of wealth — its production, exchange and distribution. The tendency of Political Economy is to show that wealth is increased by the denationalisation of communities. In so far, therefore, as wealth is the object of a nation’s ambition, its inhabitants will tend to become „citizens of the world.“ „By wealth we understand all material Objects useful to man and desired by him. In this definition men are not included. This may be considered somewhat arbitrary, for brave men are the truest wealth of a country, but every Science has a right to use those 20

306

definitions which experience has shown to be the most convenient for the investigation of the Subject. The chemist’s definition of an acid would be widely different from the populär use of the term. Therefore in learning a Science we must very carefully find out in each case what an author means by the word he is using; and this is especially necessary in all political, social or philosophical studies, because in the treatment of these Subjects familiär terms are osten used in senses slightly different to their ordinary meaning. And the very slightness of the difference of meaning causes the greater danger of mistaking it.“ Das Recht zu definieren und die Grenzen des zu behandelnden

Gegenstandes zu bestimmen,

läßt sich keinem Lehrer absprechen.

Was

ohne das geistige Band!

Nicht

fruchten aber die Teile in der Hand,

um logische Schlußfolgerungen aus aufgestellten Prämissen handelt es sich, sondern um die Gültigkeit der Voraussetzungen. Wolltest Du Dich mit ersterm

begnügen,

Scholastiker verfallen,

und

unbestimmter,

so würdest Du nur in den alten Irrtum der der in der ungeprüften Annahme unerwiesener

oft falscher Grundprincipien bestand,

und in der

Schlußfolgerung aus Voraussetzungen, ohne deren Haltbarkeit durch eine

geeignete vorhergehende Kritik festzusetzen. Ganze erklären will,

schäftigen.

Jede Wissenschaft,

die

das

muß sich natürlich eingehend mit den Teilen be­

Auch willkürliche,

der Wirklichkeit nicht entsprechende Ein­

teilungen, können, wie Buckle cs in Bezug auf Smith dargelegt hat,

zweckmäßig müheri,

und

fördernd sein,

so lange umr die Schüler diesem Be-

die Erklärung allgemeiner Erscheinungen zu vermitteln,

keine

größere Wichtigkeit beilegen als der Meister selbst, und sofern man dar­

auf verzichtet aus derartigen Untersuchungen hervorgehende rein wissen­ schaftliche Systeme zum Leitfaden

fürs praktische Leben zu machen.

Manche Theorieen und Systeme machen dem Scharfsinn der Verfasser Ehre, ohne dem Fortschritt der Erkenntnis zu dienen, ja sie wirken so­ gar hemmend und schädlich, wenn sie mehr als billig Beifall finden.

„Man wird bemerken können, daß ein guter Kopf nur desto mehr Kunst anwendet, je weniger Data vor ihm liegen; daß er, gleichsam seine Herrschaft zu zeigen, selbst aus den vorliegenden Datis nur wenige Günstlinge herauswählt, die ihm schmeicheln; daß er die übrigen so zu

ordnen versteht, wie sie ihm nicht geradezu widersprechen, und daß er die feindseligen zuletzt so zu verwickeln, zu umspinnen und bei Seite zu bringen weiß, daß wirklich nunmehr das Ganze nicht mehr einer frei-

307 wirkenden Republik, sondern einem despotischen Hofe ähnlich wird. Einem Manne, der so viel Verdienst hat, kann es an Verehrern und Schülern

nicht fehlen,

die ein solches Gewebe historisch kennen lernen und be­

wundern und in so fern es möglich ist, sich die Borstellungsart ihreMeisters

eigen

machen.

Von

manchen

was ein witziger Kopf von einem

dieser Systembauer gilt aber

großen Naturlehrer sagte: er

wäre

ein großer Mann gewesen, wenn er weniger erfunden hätte." Wie ost hörst Du, als Ergebnis allgemein gültiger Grundsätze der

ökonomischen Wissenschaft, von der Pflicht der Regierung „die Interessen der großen Masse der Konsumenten gegen den Druck einer kleinen An­

zahl Produzenten (die sogenannten Arbeiter gegen die Kapitalisten) zu schützen, wobei letztere als selbstsüchtige Schutzzöllner, erstere als wohl­

wollende Freihändler figurieren; und Du hast die Autorität von John Bright dafür, daß Napoleon bei den Verhandlungen über den Traktat von

1860

gegen Cobden

geäußert habe:

„The protectionists are a

drilled, organized army; the great body of the Consumers an unor-

ganized mob, and the organized army is superior to the unorganized

mob“.

Und doch sagt Garnier ausdrücklich:

Assurement les economistes n’ont pas la pretention d’etablir en principe cette absurdite que le genre humain est partage en deux classes distinctes: Tune ne s’occupant que de produire, l autre que de consommer. Mais il ne s’agit pas de diviser le genre humain; il s’agit de l’etudier sous deux aspects tr&s-diff^rents: toutes les Sciences procedent par des classifications analognes, et il est Evident que relativement ä tout produit, ä tout Service, celui qui cr6e le produit, qui rend le Service est tout ä fait distinct de celui qui se procure le produit ou le Service de les utiliser. Die zweite Klasse national-ökonomischer Schulen findet in Frank­

reich und Italien ihre Hauptvertreter; seit längerer Zeit aber sind durch vorwiegend politische Interessen in Frankreich diese wissenschaftlichen For­ schungen in den Hintergrund getreten.

Interessante Aufschlüsse geben

Dir die Schriften zweier Freunde:

Charles Comte, Traite de legislation, 2d ed., 1835. Ch. Dunoyer , De la liberte du travail, 1845. In Deutschland schwankt man zwischen beiden Klassen. „Das materielle Gut, sagt Schaeffle, ist der objective Haupt­ begriff der Volkswirthschaftslehre. Ich trage — entgegen meiner früheren Auffassung — kein Bedenken zu behaupten, daß auch die Bevöl-

308 terung — insoweit als sie eine für die sociale Lebensarbeit zugerichtete

also Borrath

Summe von Nerven», Muskeln» und Vegetativgeweben,

verstofflicher Borräthe socialer Spannkraft ist — den wirthschaftlichen Gütern selbst beigezählt werden muß." Über den gegenwärtigen Standpunkt und die Ziele der Wirtschafts­

lehre im allgemeinen,

und

besonders in Deutschland giebt Dir daS

Wisienswerte: Adolf Held, Grundriß für Vorlesungen über Nationalökonomie,

2. Aust., 1878. Deine Aufgabe ist auch hier Dir ein unparteiisches Urteil zu wahren, selbständig zu prüfen, nicht »achzubeten sondern zu untersuchen und zu

vergleichen;

um so mehr,

als diesen ökonomischen Systemen noch der

der sie zu einer wirklichen Mffenschast stempelt,

Zusammenhang fehlt,

und als gerade Dein Beruf Dir die beste Gelegenheit bietet zur An­ legung des allein richtigen Maßstabes der Erfahrung.

Du wirst bald

im stände sein bezüglich der zahlreichen wissenschaftlichen Werke, oberflächlichen Ansicht,

Systemgeist,

der zu Gunsten einer

einer Lieblingsvorstellung alles,

dasselbe Gehäuse zwängt, Thatsachen einzurichten,

den

vorgefaßten

was paßt und nicht paßt, in

anstatt die Behausung nach dem Maße der

die darin wohnen sollen,

systematischen Sinn zu

unterscheiden,

von dem echten

der sich

in der Beherr­

schung der Teile durch die auf das Ganze bezüglichen Thatsachen

und

Kräfte kNndgiebt.

Es handelt sich für Dich nicht darum für irgend ein System Partei zu ergreifen, sondern mit Umsicht Dich auch auf diesem Felde mit dem

bekannt zu machen,

was in der gebildeten Welt vorgeht,

sofern

diese

Vorgänge direkt oder indirekt von Einfluß auf herrschende Ansichten und

somit aufs praktische Leben sind und stets daran fcstzuhalten,

daß es

bei allen wiffenschastlichen d. h. vernünftigen Untersuchungen nicht nur

darauf ankommt die einzelnen Erscheinungen zu kennen und in ihren einseitigen Wirkungen zu verfolgen, sondern ebensosehr ihren ursächlichen Zusammenhang zu

erkennen.

Je eingehender Du Dich mit den ge­

nannten Schriften der verschiedenen Schulen

beschäftig:

hast,

um so

bester bist Du zur Würdigung des Werkes vorbereitet, welches ich nächst Adam Smith’s „Wealth of Nations“,

zeichne.

als das wichtigste für Dich be­

Es ist dies:

Friedrich List's, Nationales System der politischen Oekonomie, 1841.

309 Die neue Ausgabe Don 1878 enthält, als Anhang, bic interessanten Briefe, welche H. C. Carey von Philadelphia aus, vor zwei Jahren

an die „Times“ in London geschrieben hat, nachdem das Blatt ihn irr­ tümlich tot geglaubt und scharf angegriffen hatte. Friedrich List, 1789 — 1846, tritt historisch an die Frage heran

und dabei kommen ihm seine vielseitige, eingehende Bekanntschaft mit den wirtschaftlichen Verhältnissen in Europa und die während mehr­ jährigen Aufenthalts, von 1825—1830, in den Bereinigten Staaten von Nordamerika gesammelten und dort praktisch verwerteten Kenntnisse sehr

zu statten.

Er ist kein reiner Theoretiker,

ebenso wenig wie Smith und Ri­

cardo; er konstruiert kein geschlossenes System aus einer begrenzten Anzahl von Axiomen, sondern er untersucht wie bei den verschiedenen Völkern, welche sich in Handel und Industrie ausgezeichnet haben, Acker­

bau, Industrie und Handel sich entwickelt haben, wie gegenwärttge Zu­ stände allmählich entstanden sind, und findet, daß verschiedene, auf kli-

mattsch und politisch abgegrenzten Länderteilen sich selbständig entwickelnde

Völker, diese Entwickelung am besten unter jenen Verschiedenheiten an­ gepaßten Einrichtungen und Vorkehrungen gefördert haben. „Die Geschichte lehrt uns, sagt List, daß überall und zu jeder Zeit Intelligenz, Moralität und Thätigkeit der Bürger mit dem Wohl­ stand der Nation in gleichem Verhältniß gestanden, die Reichthümer mit

diesen Eigenschaften zu- oder abgenommen haben; allein nirgends haben

Arbeitsamkeit und Sparsamkeit,

Erfindungs- und Unternehmungsgeist

der Individuen Bedeutendes zu Stande gebracht, wo sie nicht durch die

bürgerliche Freiheit, die öffentlichen Jnstituttonen und Gesetze, durch die

Staatsadministrationen und durch die äußere Polittk, vor allem aber

durch die Einheit und Macht der Nation unterstützt gewesen sind. „Die Geschichte lehrt, daß die Künste und Gewerbe von Stadt zu

Stadt, von Land zu Land gewandert find.

Verfolgt und unterdrückt

in der Heimath, flüchteten sie nach Städten und Ländern,

Freiheit, Schutz und Unterstützung gewährten.

die ihnen

So wanderten sie auS

Griechenland und Asien nach Italien, von da nach Deutschland, Flan­ dern und Brabant, von da nach Holland und England. Ueberall war

es der Unverstand und die Despotte, wodurch sie verjagt wurden, der Geist der Freiheit und des Schutzes, welcher sie anzog. Ohne die Thor­

heit der Continetttalregierungen wäre England schwerlich zur Gewerbs­

suprematie gelangt.

Erscheint es aber mehr der Weisheit angemessen,

310 daß wir warten, bis andere Nationen thöricht genug find, ihre Gewerbe zu vertreiben und fie zu nöthigen, bei uns Unterkunft zu finden, oder

daß wir, ohne das Eintreten solcher Zufälle abzuwarten, fie durch Vor­ theile, die wir ihnen bieten, einladen, sich bei uns niederzulassen?

daß der Mnd den Samen aus

die Erfahrung lehrt,

ist wahr,

Gegend in die andere trägt,

Es

einer

und daß auf diese Weise öde Heiden in

dichte Wälder verwandelt worden sind; wäre es aber darum weise, wenn der Forstmann zuwarten wollte, bis der Wind im Lauf von Jahrhun­ derten diese Culturverbesserung bewirkt?

Wäre es thöricht,

wenn er

durch Besamung oder Strecken dieses Ziel im Verlauf weniger Jahr­ zehnte zu erreichen sucht? Die Geschichte lehrt uns, daß ganze Nationen

mit Erfolg gethan haben, was wir diesen Forstmann thun sehen.

„Die Geschichte lehrt uns,

wie Nationen,

die mit allen zur Er-

strebnng des höchsten Grades von Reichthum und Macht erforderlichen

Mitteln von der Natur ausgestattet sind, ohne mit ihrem Bestreben in

Widerspruch zu gerathen,

nach Maßgabe ihrer Fortschritte

mit ihren

Systemen wechseln können und müssen, indem sie durch freien Han­

del mit weiter vorgerückten Nationen sich aus der Barbarei erheben

und ihren Ackerbau emporbringen, hierauf durch Beschränkungen das Aufkommen ihrer Manufacturen, ihrer Fischereien, ihrer Schifffahrt und ihres auswärttgen Handels befördern und endlich, auf der höchsten Stufe

des Reichthums und der Macht angelangt, durch allmählige Rückkehr zum Princip des freien Handels und der freien Concurrenz

auf den eigenen, wie auf den fremden Märkten, ihre Landwirthe, Ma-

nufaeturisten und Kaufleute gegen Indolenz bewahren und sie anspornen, das erlangte Uebergewicht zu behaupten." Hier noch einige Auszüge aus seinem Werke:

„Der ganze

gesellschaftliche Zustand

einer Nation

ist

nach dem

Princip der Theilung der Arbeit und der Conföderation

der productiven Kräfte zu beurtheilen.

die Nadel,

Was in der Nadelfabrik

das ist in der großen Gesellschaft,

die man Nation nennt,

der Nationalwohlstand. Die höchste Theilung der Geschäfte in der Nation

ist

die

der geistigen und

wechselseitig.

der materiellen.

Beide bedingen sich

Je mehr die geistigen Producenten zur Beförderung der

Moralität, Religiosität, Aufklärung, Kenntnißvermehrung und Verbrei­ tung der Freiheit und politischen Vervollkommnung, der Sicherheit der

Personen und des Eigenthums im Innern, Macht der Nation nach Außen beitragen,

der Selbstständigkeit und desto größer wird die ma-

311 terielle Production sein; je mehr die materiellen Producenten an Gütern

produciren, um so mehr wird die geistige Production befördert werden

können. „Die höchste Theilung der Geschäfte und die höchste Conföderation

der productiven Kräfte

bei

der materiellen Production ist

Agrikultur und der M a n u f a c t u r.

die

der

Beide bedingen sich wech­

selseitig. „Wie bei der Nadelfabrik, so beruht bei der Nation die Produktivität jedes Individuums, jedes einzelnen Produktionszweigs und zuletzt des

Ganzen darauf, daß die Thätigkeit aller Individuen in richtigem Ver­ hältniß zu einander stehe. Wir nennen dies Verhältniß das Gleichge­ wicht oder die Harmonie der productiven Kräfte. Eine Nation kann zu viele Philosophen, Philologen und Literaten, und zu wenige Tech­

niker, Kaufleute und Seeleute besitzen.

vorgerückten, gelehrten Bildung,

Dies ist die Folge einer weit

die aber nicht durch eine weit vorge­

rückte Manufacturkrast und durch ausgebreiteten innern und auswärtigen Handel unterstützt ist; es ist dies, als ob in einer Nadelfabrik weit mehr Nadelköpfe als Nadelspitzen fabricirt würden. Die überflüssigen Nadel­ köpfe in einer solchen Nation sind: eine Masse nutzloser Bücher, spitz­

findige Systeme und gelehrte Zänkereien, wodurch der Geist der Nation mehr verfinstert als gebildet, von nützlichen Beschäftigungen abgezogen, folglich die productive Kraft derselben fast eben so in ihren Fortschritten

gehemmt wird, als wenn sie zu viele Priester und zu wenige Lehrer der Jugend, zu viele Soldaten und zu wenige Politiker, zu viele Administra­

toren und zu wenige Richter und Vertheidiger des Rechts besäße. „Eine Nation, die bloß Agrikultur treibt, ist ein Individuum, dem

in seiner materiellen Production ein Arm fehlt.

Der Handel ist bloß

Vermittler zwischen der Agrikultur- und Manufacturkrast und zwischen ihren besondern Zweigen.

Eine Nation, die Agriculturproducte gegen

fremde Manufacturwaaren eintauscht, ist ein Individuum mit einem Arm, das durch einen fremden Arm unterstützt wird.

Diese Unter­

stützung ist ihr nützlich, aber nicht so nützlich, als wenn sie selbst zwei

Arme besäße, schon darum nicht, weil ihre Thätigkeit von fremder Will­ kür abhängig ist. Im Besitz einer eigenen Manufacturkrast kann sie so

viel Lebensmittel und Rohstoffe produciren, als die eigenen Manufacturen consumiren, von fremden Manufacturen abhängig, kann sie nur so viel Surplus produciren, als fremde Nationen nicht selbst zu produciren ver­

mögen und als sie vom Ausland kaufen müssen.

312 „Wie unter den verschiedenen Gegenden eines und desselben Lan­

des, so besteht Theilung der Arbeit und Conföderation der productiven Kräfte unter den verschiedenen Nationen der Erde.

Jene wird

durch

den innern oder nationalen, diese durch den internationalen Handel ver­

mittelt.

aber

internationale Conföderation der productiven Kräfte ist

Die

eine sehr unvollkommene,

insofern

als sie häufig durch Kriege-

politische Maßregeln, Handelskrisen rc. unterbrochen wird.

Obwohl die

höchste, indem dadurch die verschiedenen Völker der Erde unter sich in Verbindung gesetzt werden, ist sie doch in Beziehung auf die Wohlfahrt

der einzelnen in der Civilisation schon weit vorgerückten Nationen die wenigst bedeutende, was die Schule mit dem Satz anerkennt,

daß der

innere Markt einer Nation ohne Vergleichung bedeutender sei, als der auswärtige.

Daraus folgt,

daß es im Interesse jeder großen Nation

liegt, die nationale Conföderation der productiven Kräfte zum Haupt­

gegenstand ihrer Bestrebungen zu machen und derselben die internatio­ nalen unterzuordnen.

„Beide, die internationale wie die nationale Theilung der Arbeit ist großentheils durch das Clima und die Natur überhaupt bedingt. „Den Unterschied zwischen der Theorie der productiven Kräfte und

der Theorie der Werthe, werden Beispiele aus der Privatökonomie am

besten erläutern. „Wenn von zwei Familienvätern, die zugleich Gutsbesitzer sind, jeder

jährlich Thlr. 1000 erspart und jeder fünf Söhne besitzt, der eine aber seine Ersparnisse auf Zinsen

legt

und

seine Söhne zu harter Arbeit

anhält, während der andere seine Ersparnisse dazu verwendet, zwei seiner

Söhne zu rationellen Landwirthen auszubilden, je

nach

ihren

die drei übrigen aber

besonderen Fähigkeiten Gewerbe erlernen zu lassen,

handelt jener nach der Theorie der Werthe,

so

dieser nach der Theorie

der productiven Kräfte. Bei seinem Tode mag jener an Tauschwerthen

weit reicher sein als dieser, ductiven Kräften.

anders aber verhält es sich mit den pro­

Der Grundbesitz des einen wird in zwei Theile ge­

theilt werden, und jeder Theil wird mit Hülfe einer verbesserten Wirth­

schaft so viel Reinertrag gewähren, wie zuvor das Ganze, während die übrigen drei Söhne

in

ihren Geschicklichkeiten reiche Nahrungsquellen

erworben haben. Der Grundbesitz des andern wird in fünf Theile ge­ theilt werden, und jeder Theil wird ebenso schlecht bewirthschaftet wer­

den, wie früher das Ganze. verschiedenartiger

Geisteskräfte

In der und

einen Familie wird eine Masse

Talente geweckt und

ausgebildet

313 werden, die sich von Generation zu Generation vermehren; jede folgende Generation wird mehr Kraft besitzen, materiellen Reichthum zu erwerben, als die vorangegangenen, während in der andern Familie die Dumm­

heit und Armuth mit der Verminderung der Antheile am Grundbesitz

steigen muß.

So vermehrt der Sclavenbesitzer durch die Sclavenzucht

die Summe seiner Tauschwerthe, aber er ruinirt die productive Kraft

künftiger Generationen. Aller Aufwand auf den Unterricht der Jugend, auf die Pflegung des Rechts, auf die Vertheidigung der Nation u. s. w. ist eine Zerstörung von Werthen zn Gunsten der productiven Kraft. Der

größte Theil der Consumtion einer Nation geht auf die Erziehung der künftigen Generation, auf die Pflege der künftigen Nationalproductivkrast. „Nur eine Nation, die alle Arten von Manufacturwaaren zu den

billigsten Preisen producirt,

kann mit den Völkern aller Zonen und

aller Culturstufen Handelsverbindungen anknüpfcn,

kann alle Bedürf­

nisse befriedigen oder in Ermangelung derselben neue hervorrufen, kann

Rohstoffe und Lebensmittel jeder Art im Tausch entgegennehmen. Rur

eine solche Nation kann Schiffe mit einer Mannigfaltigkeit von Gegen­

ständen befrachten, wie sie ein entfernter und von innern Manufactur­ waaren entblößter Markt verlangt.

Nur wenn die Ausfuhrfrachten für

sich schon die Reise vergüten, kann man die Schiffe mit minder werth­ vollen Rückfrachten belasten. Die bedeutendsten Einfuhrartikel der

Nationen der gemäßigten Zone bestehen in den Producten der heißen Zone: in Zucker, Caffee, Baumwolle,

Tabak, Thee, Färbestoffc, Ge­

würzen und überhaupt in denjenigen Artikeln, die man unter bcni Namen der Colonialwaaren begreift.

Bei weitem der größte Theil dieser Pro-

ducte wird mit Manufacturwaaren bezahlt.

In diesem Verkehr liegt

größtentheils die Ursache der Jndustriefortschritte in den Manufactur-

ländern der gemäßigten Zone und der Civilisations- und Prvductionsfortschritte in den Ländern der heißen Zone.

Es ist dies die Theilung

der Arbeit und die Tonföderation der productiven Kräfte in der höchsten Ausdehnung, wie sie im Alterthum noch nicht bestand

und wie sie erst durch die Holländer und Engländer aufgekommen ist. „Kommen Handel und Industrie irgendwo auf, so darf man gewiß sein, daß die Freiheit nicht ferne steht; entfaltet die Freiheit ihr Panier,

so ist dies

ein sicheres Zeichen,

ihren Einzug halten

wird.

daß früher oder später die Industrie

Denn nichts ist so naturgemäß, als daß

der Mensch, nachdem er materiellen und geistigen Reichthum erworben, auch nach Garantien strebt, um

diese Errungenschaften auf die Nach-

314 kommen zu vererben,

oder daß er, nachdem er der Freiheit theilhaftig

geworden, alle seine Kräfte aufbietet, um seine physischen und geistigen

Zustände zu verbessern.

dem Beispiel Venedigs,

„Aus

insofern es in unsern Tagen als

Beweis gegen die beschränkende Handelspolitik benutzt wird, kann nichts mehr und nichts weniger gefolgert werden, als daß eine einzelne Stadt oder ein kleiner Staat, großen Staaten und Reichen gegenüber, dieses

und behaupten kann, und daß eine

System nicht mit Erfolg aufstellen

vermittelst Beschränkung

zur Manufactur- und

Handelssuprematie ge­

langte Macht, nachdem sie ihre Zwecke erreicht hat, mit Vortheil wieder

zum Princip der Handelsfreiheit zurückkehrt.

Nicht also die Einfüh­

rung der Beschränkungen, sondern ihre Beibehaltung, nachdem der

Grund ihrer Einführung

längst aufgehört hatte,

ist den Benetianeru

schädlich gewesen.

„Die Hansestädte gründeten ihren Handel nicht auf die Production und Consumtion, Landes,

auf die Agricultur uub die Manufakturen desjenigen

die Kaufleute

dem

angehörten.

Sie hatten

versäumt, den

Ackerbau ihres eigenen Vaterlandes zu begünstigen, während der Acker­

bau fremder Länder durch ihren Handel bedeutend gehoben ward;

sie

fanden es bequemer, die Manufacturen in Belgien zu kaufen, als Ma-

im eigenen Lande anzulegen;

nufacturen

von

die

Polen,

Schafzucht

sie beförderten den Ackerbau

England,

von

und die Manufacturen Belgiens.

Schweden

die

Eisenproduction

von

Sie thaten Jahrhunderte

lang, was die Theoretiker unserer Tage den Nationen zu thun rathen:

sie

kauften

waren.

da,

wo die Waaren am wohlfeilsten zu haben

Als aber die Länder, wo sie kauften, und die Länder, wo sie

verkauften, sie von ihren Märkten ausschlossen, war weder ihre innere

Agricultur,

noch

ihr inneres Manufacturwesen so weit entwickelt, daß

ihr überflüssiges Handelscapital

wanderte

also

darin

Unterkunft finden konnte;

nach Holland und England und

es

vergrößerte somit die

Industrie, den Reichthum und die Macht ihrer Feinde.

Ein Beweis,

daß die sich selbst überlasiene Privatindustrie nicht immer die Wohlfahrt

und Macht der Nationen befördert.

„Bei ihrem einseitigen Streben nach materiellem Reichthum hatten

diese Städte die Beförderung

ihrer politischen Interessen gänzlich ver­

nachlässigt.

„Les lois ne peuvent pas creer des richesses sagt Say.

Freilich

nicht, aber sie schaffen productive Kraft, die wichtiger ist als Reichthum;

315 daher auch

die Prosperität einer Nation nicht um so größer ist, je

mehr sie Reichthümer d. h. Tauschwerthe aufhäuft, sondern je mehr sie

ihre productiven Kräfte entwickelt hat.

Es darf also auch der aus­

wärtige Handel einer Nation nicht wie der des einzelnen Kaufmannes

einzig und allein nach der Theorie der Werthe d. h. mit alleiniger Rück­ sicht auf den augenblicklichen Gewinn

materieller Güter beurtheilt

werden; die Nation muß dabei alle jene Verhältnisse ins Auge fassen, wodurch ihre jetzige und künftige Existenz, Prosperität und Macht

bedingt sind.

Die Nation

muß materielle Güter aufopfern und ent­

behren, um geistige oder gesellschaftliche Kräfte zu erwerben,

auf gegenwärtige Vortheile verzichten,

um sich zukünftige zu

sie muß sichern.

Wenn nun eine nack allen Zweigen ausgebildete Manufacturkraft Grund­ bedingung alles höhern Aufschwunges der Civilisation, der materiellen

Prosperität und der politischen Macht jeder Nation ist; wenn es wahr ist, daß unter den gegenwärtigen Weltverhältnissen eine junge unbe­

schützte Manufacturkraft unmöglich aufkommen kann bei freier Concur-

renz mit einer längst erstarkten, namentlich wo, wie Henry Brougham im Parlament erklärte, das Princip herrscht it is well worth while to

incur a lose on the exportation of englieh manufacturee in order to etifle in the cradle the foreign manufacturee: wie will man dann

unternehmen, mit Argumenten,

die blos der Theorie der Werthe ent­

nommen find, beweisen zu wollen, daß eine Nation ebenso gut wie der

einzelne Kaufmann ihre Waaren

da kaufen

müsse,

wo

sie am wohl­

feilsten zu haben seien? daß man thöricht handle, etwas selbst zu fabri-

ciren, was man wohlfeiler im Auslande haben könne? daß man die Industrie der Nation der Sorgfalt der Individuen anheimstellen müsse?

daß Schutzzölle Monopole

seien, welche den gewerbtreibenden Indivi­

duen auf Kosten der Nation ertheilt würden? „Es ist wahr,

daß die Schutzzölle im Anfang

die Manufactur-

waaren vertheuern; aber es ist ebenso wahr und sogar von der Schule zugestanden, daß sie im Laufe der Zeit bei einer zu Aufbringung einer vollständigen Manufacturkraft befähigten Nation wohlfeiler im Jnlande

fabricirt, als von außen eingeführt werden können.

Wird daher durch

die Schutzzölle ein Opfer an Werthen gebracht, so wird daffelbe durch

einer Productivkraft vergütet, die der Nation für die Zukunft eine unendlich größere Summe von materiellen Gütern sichert.

die Erwerbung

„Durch industrielle Jndependenz und die damit Hand in Hand die Mittel zum aus-

gehende innere Prosperität erwirbt die Nation

316 vermehrt sie ihre

wärtigen Handel, zur Erweiterung ihrer Schifffahrt,

Eivilisation, vervollkommnet sie ihre Institutionen im Innern, stärkt sie ihre Macht nach Außen. „@o handelt eine zur Emporbringung einer Mauufacturkrast beru­

fene Nation, indem sie das Schutzsystem ergreift, ganz im Geiste jenes Grundbesitzers,

der mit Aufopferung von materiellen

Werthen

einen

Theil seiner Kinder ein productives Gewerbe erlernen läßt.

bei Fleiß, Geschicklichkeit und Spar­

„Wer etwa nicht weiß, daß

samkeit jeder Industriezweig im Laufe der Zeit gewinnreich werden muß;

wer nicht weiß, daß in einer im Ackerbau und in der Cultur überhaupt

schon vorgerückten Nation bei angemessenem Schutze junge Fabriken, wie unvollkommen und theuer im Anfang ihre Erzeugnisse sein mögen, durch Übung, Erfahrung und innere Concurrenz bald dahin gelangen, es in jeder Beziehung

den

alten

etwa unbekannt wäre,

wem

Jabrikationszweiges

Fabriken

des Auslandes gleich zu thun;

daß das Gedeihen jedes besondern das Gedeihen

durch

vieler

anderer

Fabrikationszweige bedingt ist und bis zu welchem Grade eine Nation alle ihre productiven Kräfte auszubilden vermag, wenn sie be­

harrlich dafür Sorge trägt, dustrie da fortsetzen

daß jede Generation das Werk der In­

kann, wo

es die früheren Generationen gelassen

haben, der studire die Geschichte der englischen Industrie. „Unter Georg I. war es den englischen Staatsmännern längst klar geworden, worauf die Größe der Nation beruhe.

„Es ist einleuchtend,"

lassen die Minister bei Eröffnung des Parlaments von 1721 dem König sagen,

„es

ist einleuchtend,

daß

nichts so sehr zur Beförderung des

öffentlichen Wohlstandes beiträgt, als die Ausfuhr von Manufac-

turwaaren und die Einfuhr fremder Rohstoffe.

„Das Schutzsystem, insofern es das einzige Mittel ist, die in der Eivilisation

weit vorgerückten Staaten gleichzustellen mit der vorherr­

schenden Nation, welche von der Natur kein ewiges Manufacturmonopol empfangen, sondern vor andern nur einen Vorsprung an Zeit gewonnen hat — das Schutzsystem erscheint,

aus diesem Gesichtspunkt betrachtet,

als das wichtigste Beförderungsmittel der endlichen Union der Völker: der Universalrepublik im Sinne Heinrichs IV., ein Verein der Nationen der Erde, wodurch sie den Rechtszustand unter sich anerkennen und auf

die Selbsthülfe Verzicht leisten.

Erst dann würde die wahre Handels­

freiheit bestehen, aber der Zustand kann erst erreicht werden, wenn viele

Nattonalitäten sich auf eine möglichst gleiche Stufe der Industrie und

317 Civilisation, der politischen Bildung und Macht emporschwingen.

Auf

diesem Standpunkt erscheint die Nationalökonomie als diejenige Wissen-

schast, welche mit Anerkennung der bestehenden Jnteresien und der in­ dividuellen Zustände der Nationen, lehrt, auf welche Weise jede einzelne Nation auf diejenige Stufe der ökonomischen Ausbildung gehoben werden

auf welcher die Einigung mit andern gleichgebildeten und mäch­

kann,

tigen Nationen, folglich

die Handelsfreiheit,

ihr möglich

und nützlich

sein wird.

„Das Argument der Schule, daß bei hohem Tagelohn im Ackerbau die Fabriken nicht im natürlichen Verlauf der Dinge, sondern nur wie

Treibhauspflanzen

gedeihen, hat Amerika nur theilweise begründet ge­

funden, nämlich bloß in Beziehung auf diejenigen Fabrikate und Manufacturwaaren, die, gering an Volumen und Gewicht im Verhältniß zu

ihrem Werth, größtentheils vermittelst Handarbeit producirt werden, nicht

aber bei

denen,

auf

deren Preis der Tagelohn weniger influirt und

wodurch Maschinen, durch Wasserkraft, wohlfeile Rohstoffe und Lebens­ mittel, durch Überfluß an wohlfeilem Brenn- und Baumaterial, durch geringe Staatsabgaben und erhöhte Arbeitskräfte der Nachtheil des höhern

Tagelohns ausgewogen wird. „In Ansehung der Schutzzölle ist hauptsächlich zu unterscheiden, ob

eine Nation

aus

dem Zustande der freien Concurrenz in das Schutz­

system oder ob sie aus dem Prohibitivsystem in das gemäßigte Schutz­

system

übergehen will:

dort müssen die Zölle im Anfang niedrig ge­

stellt werden und allmählig steigen, hier müssen sie im Anfang hochge­

stellt werden und allmählig fallen. „Immer sind Manufakturen und Fabriken Pflanzen von langsamem

Wachsthum, und jeder Zollschutz, welcher früher bestandene Handelsver­

bindungen plötzlich abbricht, muß nachtheilig für die Natton wirken, zu deren Gunsten er eingeführt wird.

Die Zölle dürfen nur steigen in dem

Verhältniß, in welchem die Capitale, die Gewerbsgeschicklichkeit und der

Unternehmungsgeist im Innern wachsen oder von Außen zufließen, in dem Verhältniß, in welchem die Nation ihre früheren exportirten Über­ schüsse an Rohstoffen und Urproducten selbst zu verarbeiten im Stande ist.

Bon besonderem Nutzen aber ist es, daß die Skala der steigenden

Einfuhrzölle zum Voraus bestimmt werde, Technikern und Arbeitern,

von Außen werde.

damit den Capitalisten, den

die sich in der Nation bilden,

oder welche

herbeigezogen werden können, eine sichere Prämie geboten

Unerläßlich

ist es,

diese Zölle

unverbrüchlich ein-

318 zuhalten und sie nicht vor der Zeit zu vermindern, weil schon die

Furcht vor dem Bruch des Versprechens

die Wirkung jener Prämien­

ausstellung größtentheils vernichten würde. „Wie weit die Einfuhrzölle bei dem Übergang aus der freien Koneurrenz in das Schutzsystem steigen

gang aus dem

und wie weit sie bei dem Über­

Prohibitivsystem in das gemäßigte Schutzsystem fallen

können, darüber läßt sich theoretisch nichts bestimmen: dies kommt auf

die besonderen Verhältnisse,

sowie

auf die Wechselverhältnisse an, in

welchen die minder vorgerückte zu der mehrvorgerückten Nation steht.

„Wenn die Schule behauptet, daß die Schutzzölle den inländischen

Fabrikanten zum Nachtheil der inländischen Konsumenten ein Monopol

einräumen, so führt sie damit nur einen falschen Fechterstreich.

Denn

da jedem Individuum in der Nation freisteht, an den Vortheilen des der innern Industrie gesicherten inländischeil Marktes Theil zu nehmen, so ist dies jedenfalls kein Privatmonopol,

sondern ein Vorrecht, daß

allen Angehörigen unserer Nation, den Angehörigen fremder Nationen gegenüber,

eingeräumt wird, und das um so rechtmäßiger ist, als die

Angehörigen fremder Nationen bei

sich

selbst das nämliche Monopol

besitzen und unsere Angehörigen ihnen dadurch nur gleichgestellt werden.

Es ist weder ein Vorrecht zum ausschließlichen Vortheil der Producenten, noch zum ausschließlichen Nachtheil der Konsumenten. Denn wenn die Producenten

im Anfang höhere Preise stellen, so

haben sie großes

Nisiko und jene außerordentlichen Verluste und Aufopferungen zu be­

streiten,

die

mit allen Anfängen in der Fabrikation verbunden sind.

Daß aber diese außergewöhnlichen Preise nicht zur Ungebühr steigen

und

sich nicht verewigen,

eintretende

dagegen sind Konsumenten durch die später

innere Koncurrenz sicher gestellt, welche in der Regel die

Preise immer tiefer drückt, als sie bei freier Koncurrenz des Auslandes sich gestellt hätten.

Müssen auch die Agriculturisten, welche die haupt­

sächlichen Konsumenten der Manufacturisten sind, höhere Preise be­

zahlen, so wird ihnen dieser Nachtheil durch vermehrte Nachfrage nach

Agriculturproducten und dadurch erhöhte Preise reichlich ersetzt. „Schutzmaßregeln sind aber nur zum Zweck der Förderung und

Beschützung der innern Manufacturkrast und nur bei Nationen zu recht­

fertigen, welche durch ein ausgedehntes, wohlabgerundetes Territorium, durch große Bevölkerung, durch den Besitz natürlicher Hülfsquellen, durch einen weit vorgerückten Ackerbau, durch einen hohen Grad von Civilisation

und politischer Ausbildung berufen sind, mit den

319 ersten Agticulturmanufacturhandelsnationen, mit den größten See- und Landmächten gleichen Rang zu behaupten.

„Schutz wird gewährt entweder durch gänzliche Prohibition ge­ wisser Manufacturartikel, oder durch Zölle, die ganz oder doch theilweise

einer Prohibition gleichkommen, oder durch mäßige Einfuhrzölle. Keine dieser Beschützungsarten ist absolut gut oder verwerflich, und es kommt auf die besonderen Verhältnisse der Nation und den Stand ihrer In­ dustrie an, welche von ihnen die anwendbare sei. „Was

in

der Privatökonomie Weisheit sei", sagt Adam Smith,

„könne in der Oekonomie großer Nationen schwerlich zur Thorheit werden. Jedes Individuum, indem es sein Interesse verfolge, befördere dadurch

nothwendigerweise auch die Interessen der Gesellschaft. jedes Individuum,

indem

es

seine Lokalverhältnisse

Offenbar sei

am besten kenne

und seinem Geschäft die meiste Aufmerksamkeit widme, weit besser im Stande zu beurtheilen, wie seine Capitale aufs zweckmäßigste zu ver­ Derjenige, wel­ unterfange, dem Volke Vorschriften zu geben, wie cs seine

wenden seien, als der Staatsmann oder Gesetzgeber. cher sich

Capitale zu verwenden habe, unterziehe sich nicht allein einer vergeb­ lichen Mühe, er maße sich auch eine Autorität au, die einzig dem Pro­

ducenten zustehe, und die am allerwenigsten solchen Personen anvertraut werden

könne,

glaubten."

welche

einer so schwierigen Aufgabe gewachsen zu sein

Hieraus folgert Adam Smith: „Die Handelsbeschränkungen

zum Behufe der Beförderung der innern Industrie seien eitel Thorheit; jede Nation, wie jedes Individuum müsse die Waaren da kaufen dürfen,

wo sie am wohlfeilsten zu haben seien; um zum höchsten Grade von Na­ tionalwohlstand zu gelangen, habe man nur den Grundsatz des laissez

aller, laisser passer zu befolgen." Smith und Say vergleichen eine Nation, die ihre Industrie durch Schutzzölle befördern wolle, einem Schneider der seine eigenen Schuhe verfertigen und einem Schuhmacher, der an seiner Hausthüre einen Zoll anlegen wollte, um seinen Wohl­ stand zu befördern.

Wie in allen Irrthümern der Schule geht auch in

diesem Thomas Cooper in seinem gegen das amerikanische Schutzsystem

gerichteten Lectures on political economy bis zum Extrem.

„Die po­

sei ziemlich gleichbedeutend mit der Privatökonomie aller Individuen, die Politik sei kein wesentlicher Be­ litische Oekonomie, meint er,

standtheil der politischen Oekonomie; Thorheit sei es, zu glauben, die Gesellschaft sei etwas ganz anderes, als die Individuen, aus welchen

sie bestehe.

Jedes Individuum

wisse am besten, wie es

seine Arbeit

320

und seine Capitale zu verwenden habe. Der Reichthum der Gesellschaft sei nichts anderes, als das Aggregat des Reichthum- aller Individuen, und wenn jedeS Individuum am besten für sich selbst sorge, so müsse dasjenige Volk am reichsten sein, bei welchem jedes Individuum am meisten sich selbst überlassen sei." „Allerdings", ruft Cooper aus, „kein Seehandel ist einen Seekrieg werth, die Kaufleute mögen sich selbst schützen." ..So kommt die Schule, die damit angefangen hatte, die Nattonalität und die Nationalinteressen zu ignoriren, am Ende dahin, ihre Existenz gänzlich in Abrede zu stellen und die Individuen auch hinsichtlich ihrer Vertheidigung auf ihre individuellen Kräfte zu verweisen. „Wie? die Weisheit der Privatökonomie sei auch Weisheit in der Nationalökonomie? Liegt es in der Natur des Individuums, auf die Bedürfnisse künftiger Jahrhunderte Bedacht zu nehmen, wie dies in der Natur der Nation und des Staates liegt? Man betrachte nur die erste Anlage einer amerikanischen Stadt; jedes Individuum sich selbst über­ lassen, würde nur für seine eigenen Bedürfnisse oder höchstens für die seiner nächsten Nachbarn sorgen, alle Individuen, zu einer Gesellschaft vereinigt, sorgen für die Bequemlichkeit und die Bedürfnisse der ent­ fernten Generationen; sie unterwerfen die lebende Generation zu diesem Behuf Entbehrungen und Aufopferungen, die kein Vernünftiger von den Individuen erwarten könnte. Kann ferner das Individuum in Führung seiner Privatökonomie Bedacht nehmen auf die Vertheidigung des Landes, auf die öffentliche Sicherheit, auf alle die tausend Zwecke, die es nur mit Hülfe der gesummten Gesellschaft zu erreichen vermag? Fordert nicht die Nation, daß die Individuen ihre Freiheit diesen Zwecken gemäß beschränken? Fordert sie nicht sogar, daß sie ihr einen Theil ihres Erwerbs, einen Theil ihrer geistigen und körperlichen Arbeit, ja ihr Leben selbst zum Opfer bringen? Erst muß man, wie Cooper, alle Begriffe von Staat und Nation ausrotten, bevor sich dieser Satz durchführen läßt. „Nein! in der Nationalökonomie kann Weisheit sein, was in der Privatökonomie Thorheit wäre, und umgekehrt, ans dem ganz einfachen Grunde, weil ein Schneider keine Nation und eine Nation kein Schneider ist; weil eine Familie etwas ganz anderes ist, als ein Verein von Mil­ lionen Familien, ein Haus etwas ganz anderes als ein großes Natio­ nalterritorium. Auch fördert nicht immer das Individuum, indem es

321 sein eigenes Interesse am besten kennt und wahrnimmt, bei freier Wirk­

samkeit die Interessen der Gesellschaft.

„Am sichtbarsten war der Vortheil, welcher der englischen Manufactursuprematie durch die Continentalkriege zuging, wenn England auf

dem Continent Armeecorps unterhielt oder Subsidien bezahlte.

Dieser

ganze Aufwand ging dann in der Form von englischen Fabrikaten nach dem Schauplatz des Krieges, wo diese Einfuhren mächtig dazu bei­ trugen, den ohnehin schon schwer leidenden Manufacturisten des fremden Landes nicderzudrücken und den fremden Markt der englischen Manufacturindustrie zu

erobern; er wirkte

ganz wie eine zu Gunsten der

englischen und zum Nachtheil der fremden Fabrikation ausgesetzte Aus­

fuhrprämie.

„Es kann für eine Nation

in ökonomischer wie in politischer Be­

ziehung kein schädlicheres Verhältniß

geben,

als wenn ihre Seestädte

mehr mit dem Auslande als mit ihr selbst sympathisiren.

und

„Dazu führt aber die Verkehrtheit, die Interessen der Manufactur der Agricultur den. Ansprüchen des Handels auf ganz freie Be­

wegung preiszugeben, nach derjenigen Theorie, die überall nur die Werthe im Auge, nirgends die Kräfte berücksichtigt und die ganze Welt nur als eine

einzige und untheilbare Republik der Kaufleute betrachtet.

Schule sieht nicht,

Die

daß der Kaufmann seinen Zweck, Gewinnung von

Werthen durch Tausch, auch auf Kosten der Agriculturisten und Manu­ facturisten, auf Kosten der productiven Kräfte, ja der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Nation selbst, erreichen kann. Ihm ist es gleichgültig, und nach der Natur seines Geschäftes und Bestrebens kann

er sich auch wohl nicht darum kümmern, in welcher Weise die von ihm

importirten oder exportirten Waaren auf die Moralität, den Wohlstand und die Macht der Nation wirken. Er importirt Gifte wie Heilstoffe. Ganze Nationen entnervt er durch Opium und gebrannte Waffer. Ob er durch seine Jmportationen und Einschwärzungen Hunderttausenden Beschäftigung und Unterhalt verschaffe, oder ob sie dadurch an den

Bettelstab gebracht werden, geht ihn als Geschäftsmann nichts an, wenn nur seine Bilanz dadurch gewinnt.

Suchen dann die Brodlosgewordenen

durch Auswanderung dem Elend im Vaterland zu entrinnen, so gewinnt er noch Tauschwerthe vermittelst ihrer Fortschaffung.

Im Krieg versorgt

er den Feind mit Waffen und Munition. Er würde, wäre es möglich, Äcker und Wiesen ins Ausland verkaufen, und hätte er das Letzte Stück Landes abgesetzt, sich auf sein Schiff setzen und sich selbst exportiren. 21

322 „Es ist somit klar, daß die Interessen des Individuums und das Interesse des Handels einer ganzen Station verschiedene Dinge sind."

Nach Friedrich List giebt es also Entwicklungsstufen des nationalen

Volkslebens, für auch

in

welche

commercieller

das unbedingte laisser faire, laisser passer

Beziehung

nicht

paßt.

Die

Vertreter

dieses

Systems und namentlich die Anhänger der Manchester-Schule sind nicht

ohne Erfolg

bemüht

gewesen,

und möchten

selbst jetzt noch, List als

humanisierenden Bestrebungen entgegenwirkend, als einen Theoretiker in Verruf bringen, der

meinen Kultur,

ein

gegen das Interesse der voranschreitenden allge­

unhaltbares,

beschränktes Nationalshstem

zu ver­

fechten sucht.

L’id6e de la nationalite, que List invoque pour masquer les accrocs qu’il est obligi de faire ä sa propre logique en proclamant le libre-echange entre Etats allemands, est un veritable leurre; car c’est une question insoluble que celle de savoir ce qu’est un 6tat allemand. La Pologne prussienne, la Pologne autrichienne, la Hongrie, le Tyrol, le Luxembourg, la Prusse rhinane, le Schleswig-Holstein, sont-ils des 6 täte allemands ? Oü commence, oü finit la nationalite allemande? Et qu’est-ce seulement que la nationalite prussienne, la nationalite autrichienne, en dehors ou en dedans de la nationalite allemande? Ce mot de nationalite a quelque chose de fantastique et de mystique au delä du Rhin, que le parlement de Francfort, issue de cette id6e, n’a pas meme su esquisser; et c’est gräce ä cette tournure des esprits et aux preoccupations politiques que List a pu prendre cette base de son Systeme“, schreibt Joseph Garnier im Dictionnaire. Aber Friedrich List hat doch mit seinem Wort „Nationalität"

eine klangvolle Saite berührt: Sadowa und Sedan haben dem Phan­ tastischen und Mystischen ein Ende gemacht und das „Nationale System der politischen Ökonomie" wird seit einigen Jahren in Deutsch­

land mehr gelesen und besser verstanden.

London, 22. October 1879.

Bei der Beurteilung der beiden Werke:

„Wealth of Nations“

und „Nationales System der politischen Oekonomie"

Du die Zeitverhältnisse, in 1776 und 1841,

denen sie geschrieben,

darfst

also die der Jahre

und namentlich nicht unberücksichtigt lassen,

Verfassern nichts ferner lag als das Suchen nach

daß den

„absolut gültigen

Naturgesetzen" der wirtschaftlichen Thätigkeit. Smith unterschätzt weder den Ackerbau noch den Handel, aber die

Manufakturindustrie ist sein Hauptthema: Die Arbeit als Quelle aller

gesetzt,

Werte schritts.

ist ihm Arbeitsteilung

der mächtigste Hebel des Fort­

List entwickelt den Grundgedanken, daß die Kraft, Reichtümer

zu schaffen,

unendlich wichtiger sei,

als der Reichtum selbst: mit der

Teilung der Arbeit müsse die Konfederation

produktiven Kräfte

der

Hand in Hand gehen.

Machtstellung für den Staat — the security of the state — ist Warum aber ist sie

wichtiger als Reichtum, hatte schon Smith gesagt. wichtiger?

Darauf antwortet List:

„weil die Macht der Nation eine

Kraft ist, neue productive Hülfsquellen zu eröffnen, und weil die pro­

ductiven Kräfte der Baum sind, an welchem die Reichthümer wachsen, und weil der Baum, Frucht selbst.

welcher die Frucht trägt,

Macht ist

werthvoller ist als die

wichtiger als Reichthum,

weil eine Nation

vermittelst der Macht nicht nur sich neue productive Quellen eröffnet,

sondern sich auch im Besitz der alten und ihrer früher erlangten Reich­

thümer behauptet,

und weil das Gegentheil von Macht,

alles, was wir besitzen, nicht nur den Reichthum,

die Unmacht,

sondern auch unsere

producttven Kräfte, unsere Cultur, unsere Freiheit, ja unsere National-

selbständigkeit in die Hände derer gibt, sind,

die uns an Macht überlegen

wie solches hinlänglich aus der Geschichte der italienischen Re­

publiken, des Hansabundes, der Belgier,

der Portugiesen erhellt."

der Holländer, der Spanier,

324 Einen und denselben Zweck verfolgen Smith und List: jeder wünscht

der Nation, für welche er schrieb, bezüglich ihres wirtschaftlichen Lebens

guten Rat zu erteilen. Adam Smith schrieb für England, welches damals zwar schon die erste Stelle unter den Manufaktur- und Handel treibenden Nationen einnahm, aber durch Beibehaltung eines überlebten Systems hoher Eingangszölle auf Rohstoffe und namentlich auf Lebens­

mittel, und mehr noch durch ein unhaltbares Kolonialsystem (erklärte doch noch im Jahre 1770 im Parlament der große Chatham,

ruhigt durch die ersten Fabrikversuche der Neuengländer,

beun­

man solle

nicht zugeben, daß in den Kolonieen auch nur ein Hufnagel fabriciert werde) seiner fernern Entwickelung Schranken setzte.

Friedrich List

schrieb für Deutschland und für die Ber. Staaten von Nordamerika (Outlinea of a new System of political economy, Philadelphia 1827),

denen zu ihrer rascheren nationalen Entwickelung ein ausgedehnteres Manufakturindustriewesen Bedürfnis war. Ungeachtet der Übereinstimmung des Zieles — Hebung der Manu­

fakturindustrickraft — mußten die Wege den entsprechenden, gegebenen Berhältniffen gemäß verschiedene sein: für England und seine Kolonieen Aufhebung bestehender drückender Beschränkungen; für Deutschland und die Ber. Staaten geeigneter Schutz der aufkeimenden Manufakturindustrie, für welche in diesen beiden Ländern die Grundbedingungen — ein ausge­ dehntes Territorium, eine große Bevölkerung, Besitz natürlicher Hülfsquellen, ein weit vorgerückter Ackerbau, ein hoher Grad von Civilisation und der hierin begründete Beruf zu politischer nationaler Ausbildung — in

Amerika in höherm Grade noch wie in Deutschland — vorhanden waren. England ließ den guten Rat,

welchen Smith gegeben hatte, zu

lange unbeachtet und hatte dies durch den Verlust seiner nordamerika­

nischen Kolonieen zu büßen, denn die Monopolisierung aller Gewerbs­ industrie von Seiten deS Mutterlandes ist eine der Hauptursachen der

amerikanischen Revolution gewesen;

die Besteuerung und die Theetaxc

gaben nur Veranlassung zum Ausbruch.

Der spätere wirtschaftliche

Erfolg Englands, namentlich seit Mitte dieses Jahrhunderts, nach ver­

späteter Annahme der von Smith schon empfohlenen Hauptmaßregeln

hat häufig zu dem irrigen Schluß verleitet, daß gleiche Maßregeln auch

in andern Fälle» gleichwirksam sich erweisen würden,

und die soge­

nannten „Schulen" sind bemüht gewesen, und teilweise noch beschäftigt für die Behauptung der Allgeineingültigkeit Beweise beizubringen. Gerne

hätten die „Schulen" die Ansichten von Friedrich List totgeschwiegen

325 Das war aber nicht möglich, und wenn auch einige Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes die revolutionäre Bewegung in Deutsch­ land die politischen Jntcreffen

ausschließlich in Anspruch nahm, so

traten doch bald nachher wirtschaftliche Fragen wieder in den Vorder­ grund und seit 1860 sind seine Ansichten namentlich da zur Geltung gekommen, wo es mit der nationalen Entwickelung im modernen Sinne, mit der Volkszusammengehörigkeit „nach Sprache, Sitte und Geschichte"

Ernst genommen wird. Weshalb das Jahr 1860 einen Wendepunkt bezeichnet, und wie sich hieran noch verschiedene intereffante Tagesfragen knüpfen, darüber

noch ein paar Worte zu Deiner Orientierung.

In den Jahren 1843 und 1844, die Verwirklichung

als man in England ernstlich

der 8rnith'schen Ratschläge betrieb,

empfahl Ri­

cardo:

1) not to enter into any negociations with foreign Powers which would make any contemplated alteration of the tariff of the United Kingdom contingent on the alterations of the tariffs of other countries. 2) The great object of relieving the commercial intercourse between this country and foreign nations from all injurious restrictions will be best promoted by regulating our own customs duties as may be most suitable to the financial and commercial interests of this country, without reference to the amount of duties which foreign Powers may think it expedient for their own interest to levy on british goods. Diese Politik wurde bald darauf vom englischen Gouvernement als

„Free trade policy" befolgt, bis zum Abschluß des Handelsvertrags mit Frankreich in 1860.

In Frankreich hatte seit längerer Zeit das Interesse des Ganzen sowohl als der Industrie selbst eine Erniedrigung der hohen meist pro»

hibitiven Schutzzölle erheischt,

weil die inländische Konkurrenz allein

sich nicht hinreichend erwies die französischen Fabrikanten,

namentlich

in der Baumwoll- und Wollindustrie zur wünschenswerten Verbesserung veralteter Methoden anzutreiben.

Eine wesentliche Reduttion der Ein­

gangszölle auf Manufafturwaaren und Rohmaterial schien das geeig­

netste und nächstliegende Mittel die Fabrikanten zu drängen in ihrem

Produktionsverfahren mit der Zeit voranzuschreiten. Napoleon, der in dieser Beziehung das wohlverstandene Interesse des Landes, ganz so

326 Wie eS Friedrich List schon 1841 bezeichnet hatte, richtig beurteilte, bei

der auf allgemeinem Stimmrecht beruhenden Volksvertretung aber, wo so

ost beschränktes Verständnis und

häufig mißverstandenes Privat-

interesie den Ausschlag giebt, auf Widerspruch stieß, griff um so bereit­ williger zu dem ihm von Cobden angebotenen Mittel eines Handels­

vertrags mit England, als deffen Abschluß, nach damaliger Konstitution, der Genehmigung der franzöfischen Kammern nicht bedurfte, und engerer Anschluß an England damals in die napoleonische Politik paßte. List hatte aber schon 1841 geschrieben: „Hätte Frankreich im Jahre 1815

die englische Concurrenz zugelassen,

und Nordamerika,

so

hätte

es auch

wie Deutschland,

Rußland

dasselbe Schicksal erfahren:

der

größte Theil seiner während des Krieges aufgekommenen Fabriken wäre

zu Grunde gegangen.

Wenn wir der Meinung sind,

system sei Frankreich seit 1815 nützlich gewesen,

das Prohibitiv­

so wollen wir damit

weder seine Fehler noch seine Uebertreibungen in Schutz nehmen, noch die

Möglichkeit und Nothwendigkeit

Fehlerhaft war es,

seiner Beibehaltung

behaupten.

daß Frankreich die Einfuhr von Rohstoffen und

Agriculturproducten (Roheisen, Steinkohle, Wolle, Baumwolle, Getreide, Vieh) durch Einfuhrzölle beschränkte; fehlerhaft wäre es, wenn Frank­ reich, nachdem seine Manufacturkrast hinreichend erstarkt ist, nicht nach und nach zum

Zulaffung

gemäßigten Schutzzoll überginge,

einer

beschränkten Concurrenz,

wenn es

nicht durch

seine Manufacturisten zur

Nacheiferung anzuspornen trachten würde." Dieser Traktat von 1860, der keine Zölle über 30% (also in den

meisten Fällen noch ganz prohibitiv) gestattete, gab nun freilich — ab­ weichend von den Rioaräo'schen Grundsätzen — zu der Deutung Anlaß,

als habe England durch finanzielle Opfer von Frankreich die Erlaubnis

erkauft englische Manufakturwaaren einzuführen.

zu

niedrigern Zöllen als bisher

Andere Nationen glaubten nichts befferes thun zu können

als, dem Beispiel Frankreichs folgend, hohe Zölle einzuführen,

welche,

auf ein oder die andere Weise abzukaufen, die Engländer bereit sein

würden.

Aber nicht nur andere Nationen handelten demgemäß,

son­

dern in Folge der anhaltenden Depression in Handel und Industrie,

seit 1873, begann ein jetzt noch wachsender Teil deS englischen Volkes

selbst die Abschaffung vo» Eingangszöllen, ohne dafür von andern Na­

tionen auf dem Wege der Reciprocität eine Gegenleistung erlangt zu haben, als einen Mißgriff der englischen Handelspolitik seit 1842 zu

beklagen.

Dies hat in den letzten Jahren den Streit zwischen Schutz-

327 Zöllnern und Freihändlern neu angefacht, in welchem der Federkrieg mit um so größerer Erbitterung geführt wird, je größer die Unkenntnis der

Sache, um die es sich eigentlich handelt, oder je entschiedener das Be­

streben auf der einen oder der andern Seite vorwattet, die Verfolgung einseitiger Zwecke in den Mantel wissenschaftlich sein sollender Erör­ terungen einzukleiden.

„Freihandel" und „Schutzzoll" werden als

Schlagwörter von politischen Parteiführern in einen Gegensatz gebracht,

der ohne alle Berechtigung ist,

der dazu dient der urteilslosen Menge

Sand in die Augen zu streuen und nur Unheil und Verwirrung an­

Freihandel an sich d. h. absolute internationale Handelsfreiheit ist ebensowenig unter allen Verhältnissen zweckdienlich d. h. das Gesamt­

richtet.

wohl eines besondern Staates fördernd, wie politische oder sociale Un­

beschränktheit des Einzelwillens

ohne Rücksicht auf die

allgemeinen

Kulturverhältnisse des betteffenden Volkes — werden doch auch in den politisch freiesten Staaten, dem Privateigentum, dem freien Verfügungs­

recht, manche Schranken im öffentlichen Interesse auferlegt. Aber überall,

wo die internationale Freiheit des Handels znr Frage kommt, wirst Du auf eine durch das Wort Freiheit veranlaßte Begriffsverwechselung stoßen, die schon große Irrtümer verursacht hat. „Man spricht von Handelsfreiheit, sagt List, wie von der religiösen und der bürgerlichen Freiheit.

Die Freunde und Wortführer der Freiheit überhaupt halten

sich für verpflichtet, die Freiheit in allen ihren Formen zu vertheidigen, und so ist auch die Handelsfreiheit populär geworden,

ohne daß man

zwischen der Freiheit des innern Handels und der des inter­ nationalen Handels unterschieden hätte, während doch beide nach

Wesen und Wirkung himmelweit von einander verschieden sind.

Denn

wenn die Beschränkungen des innern Handels nur in wenigen Fällen mit der individuellen Freiheit der Bürger verträglich sind, so kann im

auswärttgen Handel der

höchste Grad

der individuellen Freiheit mit

einem hohen Grad von Beschränkung bestehen. Ja, es ist sogar möglich,

daß der höchste Grad von Freiheit des internationalen Handels natio­ nale Knechtschaft zur Folge hat."

Wenn Du Dich aber nur einigermaßen aufmerksam mit den Dir empfohlenen Schriften beschäftigt hast, so wird Dir klar sein, daß der unbedingte internationale Freihandel als einzig vernünftiges System nur unter gewissen von der Schule angenommenen Voraus­ setzungen gelten kann. Wenn alle civilisierten Staaten Glieder eines großen Gemeinwesens

328 Wären;

wenn der Satz, den J. B. Say aufstellt:

rapport k la nation voisine,

„Une nation, par

est dans le meine cas qu’une province

par rapport ä une autre province, qu’une ville par rapport aux campagnes; eile est interessee ä les voir prosperer, et assuree de pro­

fiter de leur opulence“ ein ebenso richtiges „Axiom" wäre,

wie diese

Behauptung der Wirklichkeit widerspricht; wenn alle Menschen, als Bür­

ger dieses einen Weltstaates, ein gemeinsames Interesse verbände, wenn

sie gemeinsame politische Zwecke verfolgten und gemeinsam die dadurch bedingten Lasten trügen, dann freilich wäre ein Abschluß gegen einander durch Zollschranken eine ebenso große Absurdität,

als wollte

derselbe

Souverain eine Provinz von der andern durch solche Schranken trennen.

In unsern aktuellen staatlichen Verhältnissen handelt es sich aber nicht um Normalmenschen,

nicht um ideale Weltbürger,

wirkliche Engländer, Deutsche, Franzosen,

sich nicht nur in kosmopolitisch commercieller,

ost sehr intensiver politischer,

sondern um

Russen, Amerikaner rc.,

die

sondern in nationaler,

nach Machtstellung d. h. Erhebung über

ihre Nachbarn, strebender Konkurrenz bewegen, und wenn hier an die betreffenden Regierungen eine Entscheidung über Zölle und Besteuerung

herantritt, so können in erster Linie Rücksichten auf allgemeines Men­

schenwohl

nicht maßgebend

sein.

Das unmittelbare,

den in

direkte,

Aussicht genommenen politischen Zielen entsprechende Wohl der Staats­

angehörigen, also das Staatsinteresse, nicht ausschließlich das Interesse des Haudelsstandes, wird den Ausschlag geben.

Jede derartige Maß­

regel ist also mit Berücksichtigung bestehender Verhältnisse und sichteter Ziele und Zwecke zu beurteilen.

Darauf

wollen

beab-

gewöhnlich

die abstrakten Freihändler keine Rücksicht nehmen; sie konstruieren ihr Handelssystem — als ob der Mensch des Handels wegen,

der Handel des Menschen

wegen bestände — aus Axiomen,

und nicht

die

reinen spekulativen, abstrakten Wissenschaft ihr Dasein verdanken, wollen ihre Schlußfolgerungen auf Verhältnisse

anwenden,

der

und

zu denen

ihre Voraussetzungen nicht passen.

„Wir sind weit entfernt," sagt List, „die Theorie der kosmopoli­ tischen Oekonomie, wie sie von der Schule ausgebildet worden ist, zu verwerfen; nur sind wir der Meinung, daß auch die politische Oeko­ nomie oder das, was Say „economie publique“ nennt, wissenschaftlich auszubilden, und daß es immer besser sei, die Dinge bei ihrem rechten

Namen zu nennen, als ihnen Benennungen zu geben, die mit der Be­ deutung der Worte im Widerspruch stehen.

Will man den Gesetzen der

329 Logik und der Natur der Dinge getreu bleiben, so muß man der Pri­ vatökonomie die Gesellschaftsökonomie gegenüberstellen und in der letz-

die politische oder Nationalökonomie,

tern unterscheiden:

welche

von dem Begriff und der Natur der Nationalität ausgehend lehrt, wie eine gegebene Nation bei der gegenwärtigen Weltlage und bei ihren

besondern Nationalverhältnissen ihre ökonomischen Zustände behaupten

und verbessern kann — von der kosmopolitischen oder Weltöko­ nomie, welche von der.Voraussetzung ausgeht, daß alle Nationen der Erde nur eine einzige unter sich in ewigem Frieden lebende Gesellschaft bilden.

„Setzt man, wie die Schule verlangt,

eine Universalunion,

oder

eine Conföderation allev Nationen als Garantie des ewigen Friedens voraus,

so

erscheint das Princip der internationalen Handelsfreiheit

als vollkommen gerechffertigt.

Je weniger jedes Individuum in Ver­

folgung seiner Wohlfahrtszwecke beschränkt, je größer die Zahl und der Reichthum deren ist, mit welchen es in freiem Verkehr steht, je größer

der Raum ist, auf welchen sich seine individuelle Thätigkeit zu erstrecken vermag, nm so leichter wird es ihm sein, die ihm von der Natur ver­ liehenen Eigenschaften, die erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten

und die ihm zu Gebot stehenden Naturkräfte zur Vermehrung seiner

Wohlfahrt zu benutzen. Wie mit den Individuen, so verhält es sich mit Gemeinheiten, Provinzen und Ländern. Nur ein Thor könnte behaup­ ten, die Handelsunion sei den Ver. Staaten von Nordamerika, den Pro­

vinzen Frankreichs, den deutschen Bundesstaaten nicht so zuträglich wie die Provinzialdouanen. In der Vereinigung der drei Königreiche (Groß­

britannien und Irland)

besitzt

die Welt ein großes unwiderlegliches

Beispiel von den unermeßlichen Wirkungen der Handelsfteihcit zwischen Vereintesten Völkern.

Man denke sich nun alle Nationen der Erde auf

gleiche Weise vereinigt, Stande sein,

und die lebhafteste Phantasie wird nicht im

sich die Summe von Wohlfahrt und Glück vorzustellen,

die daraus dem menschlichen Geschlecht erwachsen müßte. „Aber die Schule hat einen Zustand, der erst werden soll, als wirk­ Sie setzt die Existenz einer Universalunion und des ewigen Friedens voraus und folgert daraus die großen Vor­ lich bestehend angenommen.

theile der Handelsfreiheit.

mit der Ursache.

Auf diese Weise verwechselt sie die Wirkung Zwischen den bereits vereinigten Provinzen und

Staaten besteht der ewige Friede; aus dieser Vereinigung ist die Han­ delsvereinigung derselben erwachsen, und in Folge des unter ihnen be-

330

stehenden Friedens ist ihnen die Handelsvereinigung so nützlich gewor­ den. Alle Beispiele, welche die Geschichte uns aufzuweisen hat, find solche, wobei die politische Bereinigung vorangegangen und die Handelsvereinignng gefolgt ist. Sie kennt kein einziges, wo diese vorangegangen und jene daraus erwachsen wäre." Mit der Konkurrenz zwischen Nationen verhält es sich aber gewiffermaßen wie mit der Privatkonkurrenz. Bezüglich dieser sagt Coquelin: „Le grand mobile de l’industrie« est sinteret p er­ sönne 1, qui est d’ailleurs le mobile essentiel de toutes les actions humaines. II en re suite la concurrence, qu’on peut considerer comme le supreme regulateur du monde industriel. Mais la con­ currence a 868 conditions et ses limites. L’action de concurrence suppose le rägne de la justice et du droit; eile suppose que, dans tonte Operation d’ichange, les contractants seront libres d’accepter ou de refuser les conditions qu’on leur propose, et meme de s’adresser ailleurs si tel est leur bon plaisir; eile suppose l’absence de la contrainte, de la fraude, de la violence dans les transactions humaines. Mais vü les mauvaises passions des hommes, qui ne se laissent que trop facilement empörter ä la violence et ä Pinjustice, quand sinteret personnel les y pousse et qu’ils ont pour eux la force, la justice et le droit ne peuvent guere privaloir dans les transactions humaines, qu’autant qu’il existe au-dessus des individus un pouvoir superieur, qui tienne entre eux la balance et qui ait en meme temps la force et la volonte de reprimer tous leurs ecarts: c’est le pouvoir politique, dont Pintervention, ainsi comprise, est toujours nticessaire. Mais ces pouvoirs politiques sont exerces aussi par des hommes qui ne sont pas meine exempts que les autres des mau* vaises passions qu’ils sont charges de contenir. Trouver un gouvernement qui fasse respecter la justice autour de lui et qui la respecte scrupuleusement, c’est le probleme poli­ tique, mais ce probleme n’est pas encore resolu. Ainsi le Systeme industriel (du laisser faire et de la libre concurrence) malgre son admirable structure et les principes regulateurs dont il se trouve doue, forc6 qu’il est de s’appuyer ä Pordre politique, qui ne jouit pas des meines avantages, se trouve encore entachi d’un grand nombre de d6sordres partiels.“ Wenn also im Privatverkehr die freie Konkurrenz nur unter Be­ schränkung und strenger Überwachung durch eine äußere Gewalt, als

331 Triebfeder des Handels und der Industrie zulässig und,

bei der Un­

vollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen, selbst dann kaum er­ träglich erscheint, so darf es nicht Wunder nehmen, daß die keineswegs

auf Waarenfabrikation und Güteraustausch beschränkte Konkurrenz zwi­ schen Nationen,

welche keiner analogen zwingenden äußern Macht un­

terworfen sich fühlen noch je zu unterwerfen sein werden, von Zeit zu Zeit in offene Fehde ausartet, daß also Kriege d. h. Entscheidungen durch Waffengewalt unvermeidlich sind, so lange überhaupt von natio­

naler Entwickelung d. h. politischer Abgeschlossenheit der Nationen die Rede ist.

Nun giebt es freilich eine Menge Menschen, deren Gutmütig­

keit im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Einsicht steht, die sich,

ohne

näher zu untersuchen, zu dem Wahn verleiten lassen, durch allgemeinen

Freihandel werde der so wünschenswerte allgemeine Weltfriede

ange­

bahnt, durch das System der Schutzzölle die Erreichung dieses ersehnten Zieles hinausgeschoben.

verwechselt.

Offenbar werden hier Ursache und Wirkung

Nicht der Freihandel verhindert Kriege, in welchen Na­

tionen, denen der Handel und namentlich der auswärtige Handel nicht

die Hauptsache ist, gewöhnlich andere als Handelszwecke verfolgen, son­

dern nachdem, sei es durch Krieg oder durch unblutigen Vertrag, in welchem der Stärkere oder Klügere gesiegt d. h. den Vorteil, die Be­ festigung oder Erweiterung seiner Machtstellung errungen hat, die Ein­

fügung eines Landesteils in ein lebensfähiges Staatsganzes statt­ gefunden hat und dadurch auch die Interessen der Bewohner solidarisch geworden sind, hört die Veranlassung zum ökonomischen Abschluß durch Zollschranken auf und der Freihandel ergiebt sich von selbst.

Freihändler sowohl als Schutzzöllner beschränken sich zu sehr, wenn sie unberücksichtigt lassen, daß von dem Staatsbürger noch andere Ziele

in Aussicht genommen werden, als die von den Nationalökonomen ab­ strakt d. h. ohne Rücksicht auf Nebenumstände behandelte Güterproduk­

tion und der internationale Handel. An Schriften wie die von Rühle von Lilienstern, „Vom Kriege", 1814, fehlt es weder in Deutschland noch in andern Staaten, und wenn der Handelsstand und die Wirtschaftslehrer sie nicht beachten, so benimmt

dies nichts an ihrem nachwirkenden Einfluß auf die Bolksstimmung. In dieser Schrift widerlegt der Verfasser die Lehre vom ewigen Frie­ den und namentlich die ihr zu

gründe liegende Fiktion vom Natur­

zustände durch Beweisgründe der historischen Staats- und Rechtslehre; er beweist die unzerstörbare, segensreiche Notwendigkeit des Krieges,

332

der die Völker für den Frieden erziehe, und stellt seinem Jahrhundert: die Aufgabe, die Heere zu nationalisieren — nicht mehr Söldnerheere,, nicht Konskription, sondern das Volk in Waffen. Jeder Tropfen Bluts in einem freien Staate müsse mit dem Eisen des Krieges versetzt sein;

das Heer dürfe nicht als die Waffe des Staates begriffen werden, als

ein totes Werkzeug, das man zur Zeit der Not aus dem Winkel her­ vorhole, sondern als der bewaffnete Arm des Staates, als ein mit seinem eigenen Leben eng verbundenes lebendiges Glied des Gemeinwesens. Alle Institutionen des Staates, alle Wissenschaft und Gesinnung müsse

kriegerisch und friedlich zugleich sein; nur dann blieben die erhaltenden

sittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Mut, Gehorsam und Ehr­

gefühl.

Das Volksheer solle ein Mittel sittlicher Bolkserziehung sein,

die alten Tugenden der Nation, Mut, Treue, Pflichtgefühl zu ent­ wickeln, ihre natürlichen Schwächen, Eigensinn, Partikularismus, Ver­ schwommenheit zu bekämpfen.

bendig werden

Der Staat solle dadurch wahrhaft le­

und mit seiner begeisternden Majestät in jedes Haus

eintreten. Rühle schrieb 1814 für hie deutsche Nation, die schon damals werden wollte. Er war Oberst in der preußischen Armee; aber auch Phi­

losophen wenden sich dieser Ansicht zu; so findest Du in: F. A. Trendelenburg, „Naturrecht auf dem Grunde der Ethik", 2. Aufl., 1868. „Im Frieden erzeugt sich die Moral des wohlverstandenen und wohlberechneten Interesses und jene nationalökonomische Ansicht, welche die productive Energie des Eigennutzes auch für das dem Ganzen Er­

sprießliche hält. — Indem der Krieg jenen thätigen Muth, welchen das

Menschenleben in verschiedenen Graden und in mannigfaltigster Gestalt zu allein Guten und Bedeutenden fordert,

bis zur letzten Spannung

hervortreibt, in Gefahren und Mühseligkeiten erprobt und stählt, und in dem gewaltigsten Ausdruck zur allgemeinen Empfindung bringt, hebt

er den Geist und stärkt er den Charakter der Nation,

imb in edlem

Sinn geführt, hat er in wetten Kreisen einen belebenden Einfluß. — Der Friede verweichlicht, aber der Krieg erzeugt Mäuner; der Friede

mit seinem Glück und Genuß

macht übermüthig;

aber der Krieg

sonnen und gemeinsinnig." Derartigen über Güterproduktion und Waarenaustausch

be­

hinaus­

zu tragen, auch bei der Entscheidung über die Regulierung der Wirtschaftsverhältnisse einer Nation. Be-

gehenden Jdeeen ist Rechnung

333 hauptet in Antwort hierauf der Wirtschaftslehrer, daß ihm diese Fragen fern liegen und es sich ihm nur um die wissenschaftliche Erörterung eines besonderen Teiles des Volkslebens handle, so trennt er sich vom Freihändler nicht weniger wie vom Schutzzöllner, die beide nicht nur abstrakte Erörterungen, sondern auch die Anwendung ihrer Principien verlangen, sich also mit dem Politiker verständigen müssen. Auch der rein kaufmännische Standpunkt ist kein unparteiischer. „Der Kaufmann, nach Adam Smith, ist in seinen Interessen an kein besonderes Land gekettet. Es ist ihm fast gleichgültig, von welchem Punkte aus er seine Handelsunternehmungen betreibt; eine leichte Ur­ sache zur Unzufriedenheit mag ihn veranlassen, von einem Lande in das andere zu ziehen und sein ganzes Capital und damit alle Industrie, die dadurch genährt wird, mit sich fortzunehmen. Kein Theil seines Capitals kann als einem besondern Lande angehörig betrachtet werden, so lange es nicht durch Anlegung von Gebäuden u. s. w. demselben gleichsam einverleibt worden ist." Ebenso freihändlerisch, wie frei von jedem Gefühl staatlicher Verantwortlichkeit und polittscher Einsicht, ist die Äußerung jenes Kaufmanns bezüglich der Tragweite eines neuen Zollgesetzes: „es kümmert mich nicht, denn ich gebe mein Geschäft auf" t Als ob nicht alle Klassen der Staatsangehörigen beeinflußt würden durch das Vorwärts- oder Rückwärtsschreiten eines jeden einzelnen! Die reine Wissenschaft mag Behauptungen wie die von Say unb seinen Nachbetern aufstellen — Rien de plus trompeur que l’avantage qu’une nation croit retirer d’un empi&tement sur le domaine d’autrui, de la conquete d’une province ou d’une colonie sur une puissance rivale . . . Tout ce qui fait la force de la Grande-Bretagne est dans la Grande-Bretagne; eile a ete plus forte en perdant l’Amärique; eile le sera davantage quand eile aura perdu les Grandes-Indesu — aber selbst der ungebildete Teil des Volkes fühlt bald heraus, dass Deklamationen keine Argumente, Behauptungen keine Beweise sind. Viel­ leicht würde auch Say heute anders sprechen. R. Griffen in Essays on Finance, 1872, bezüglich der Kosten des deutsch-französischen Krieges sagt: „The cession of territory is a real loss, and its acquisition a real gain, without any drawback in either case so far as the material resources and taxpaying powers are concerned. France lost and Germany gained in a most distinct and measurable degree by the= transfer of the two provinces from the one to the other."

334 Willst Du Dir ein selbständiges Urteil über den Kern des gegen­

wärtigen Streites zwischen Freihandel und Schutzzoll bilden, so mache' Dich auch hier mit dem Thatsächlichen bekannt. Nimm als gute Seetüre1

hierfür

die Artikel über Agricnlture,

Cornlaws,

Banking,

Finance,.

Free trade in der neuen, jetzt erscheinenden neunten Auflage der Encyclopaedia Britannien.

Themata ausführlich,

Sie behandeln nicht nur die einzelnen

sondern geben

Dir auch die bezügliche neueste

Literatur.

Im Allgemeinen läßt sich wohl sagen, daß die Basis jedes gesun­ den Zollsystems keine andere ist, als das klare Verständnis seitens der betreffenden Regierung, der wahren Interessen des Volkes und Landes,

für

welche die Zollgesetze bestimmt sind.

Daher muß ihrer Abfaffung

eine erschöpfende Erwägung aller Verhältnisse

des betreffenden Landes

vorausgehen, den Fähigkeiten, dem Bildungsgrade und auch den politi­ schen Tendenzen der Bevölkerung,

getragen werden.

sogar

ihren

Vorurteilen Rechnung

Keine leichte Aufgabe wirst Tu sagen, und doch ist

nur derjenige urteilsfähig der sie löst.

Ein Vergleich

in einer ex­

anderen Nationen zeigt England

mit

ceptionellen Stellung.

Vor

allem

wichtig

sind für jedes Land seine

geographische Lage und die damit verbundenen klimatischen Berhältniffe. Wie

tiefeingreifend

diese

die Entwickelung des ganzen Volksleben

in

sind, veranschaulicht ein Blick auf die geographische Verschiedenheit zwi­

schen Nordamerika und Deutschland.

Nach Holtzendorff

„ist

an

eine

Unterwerfung der Bereinigten Staaten unter irgend ein anderes Staats­ wesen der alten oder neuen Welt, an eine Verringerung ihrer Grenzen

durch gewaltsames Eingreifen, jüngsten Bürgerkrieges von

selbst

in der traurigsten

keiner Seite

gedacht

Periode

worden.

des

Die nord­

amerikanische Union repräsentirt politisch einen ganzen Welttheil. Neben

ihr sind alle übrigen Gemeinwesen desselben Kontinents mit ihrer dünnen

Bevölkerungsziffer politisch nur als Kleinstaaten, trotz der weitesten Aus­ dehnung im territorialen Sinne, zu betrachten. Die Interessen der Ver­ theidigung nach Außen erfordert nur so viel Truppen, als zur Schonung bedrohter Ansiedler gegen unruhige Jndianerhorden erforderlich sind. Ein plötzlicher Überfall durch europäische Mächte gehört, vom Stand­

punkt der jetzigen Entwickelung betrachtet, zu den Undenkbarkeiten. Eben­

sowenig hat die Union ein Interesse,

in die territorialen Fragen der

europäischen Staatenwelt einzugreifen.

„Dieser denkbar günstigsten Stellung nach Außen ist als Gegenstück

335 Deutschland gegenüber Seiten,

fochtene.

gegen Dänen,

zu

stellen.

Seine Begrenzung ist

nach

allen

Slaven und Romanen eine streitige und ange­

Der Reihe nach Schauplatz für kämpfende Armeen aller eu­

ropäischen Großmächte und Frieden stiftender Kongresse,

Verbindungs­

glied zwischen allen großen

inne

politischen Interessen,

zwischen drei großen Militärstaaten,

mitte

würde Deutschland,

liegend

wie die Ge­

schichte vergangener Zeiten erweist, ohne unzweideutige Darstellung seiner Machtfülle,

außer Stande sein,

die gewünschte Ruhe als Lohn einer

Verzichtleistung auf äußern Einfluß zu genießen.

In der ihm ange­

wiesenen Lage hat Deutschland nur die Wahl: entweder verachtet und dem Angriff ausgesetzt zu sein, oder allen seinen Nachbarstaaten die Überzeugung von seiner auf dem Schlachtfelde überlegenen, mindestens aber vollkommen ebenbürtigen Macht zu gewähren."

Betrachtest Du nun England, so bietet geographisch seine insulare Lage

nicht

nur

militärisch eine bedeutende Schutzwehr,

sondern das

Meer gewährt auch gleichzeitig die größte Erleichterung des friedlichen

Verkehrs im Lande selbst wie mit dem Auslande, während klimatisch, unter dem Einfluß des Golfstroms,

England das von der Natur be­

vorzugteste aller Länder unter gleichen Breitegraden, dem Gedeihen der Pflanzen- und Tierwelt günstig

und

reichen, kräftigen Menschenschlags ist.

daher

die Heimat eines

zahl­

Politisch erfreut England sich

seit Generationen dehnbarer Institutionen, welche selbst die civilisiertesten Nationen nachzuahmen streben.

„In one important respect England differs essentially from other countries. Her Constitution is to a large extent unwritten, using the word in much the same sense as when we speak of unwritten law. Its rules can be found in no written document, but depend, as so much of English law does, ou precedent modified by a Con­ stant process of Interpretation. Many rules of the Constitution have in fact a purely legal history, that is to say, they have been developed by the law Courts, as parts of the general body of the common law. Others have in a similar way been developed by the practice of Parliament. Both Houses, in fact, have exhibited the same spirit of adherence to precedent, coupled with a power of modifying precedent to suit circumstances, which distinguish the judicial tribunals. In a constitutional crisis the House of Commons appoints a committee to „search its Journals for precedentsu just as the Court of Queen’s Bench would examine the records of its own decisions.

336 And just as the law, while professing to remain the same, ie in process of constant change, so, too, the unwritten Constitution ie, without any acknowledgement of the fact, constantly taking up new ground. In contrast with this mohility is the written Constitution of the United States, a truly formidable apparatus against change, and in fact, only fifteen constitutional amendments have been passed from 1789 to the present day. In the same period, the unwritten Con­ stitution of England has made a most marked advance. The american Constitution of 1789 was a faithful copy, so far as it was possible to make one out of the materials in band, of the Contem­ porary Constitution of England. Allowing for the more democratic character of the constituencies, the Organisation of the supreme power in the United States is nearer the English type of the last Century, is less modern in fact, than is the English Constitution of the present day.

Zu einer Bevölkerung von 34,000,000 auf 121,115 ^Miles sind auf 8,870,000 UM. Kolonieen mehr als 253,000,000 Unterthanen hinzu­ zurechnen. Bon Generation zu Generation vergrößert sich der Umfang dieses Kolonialbesitzes und gleichzeitig, ungeachtet starker Auswanderung, die Einwohnerzahl des Mutterlandes. Schon zu Anfang dieses Jahrhunderts deutete die wachsende In­ dustrie darauf hin, daß in naher Zukunft die Bevölkerung von Groß­ britannien und Irland sich nicht ohne bedeutende regelmäßige Einfuhr von Lebensmitteln, namentlich Getreide und Bieh, werde erhalten können. Für die Abschaffung der die landbesitzende Aristokratie begünstigenden Getreidezölle wurde daher gleichzeitig wie für die Reduktion der die Manufakturindustrie hemmenden Eingangszölle auf Rohstoffe, sowie die Aufhebung aller Ausfuhrzölle als im Interesse der Masse des Volkes — wie es schon damals hieß „der großen Zahl der Konsumenten" — agitiert, namentlich seitens der Fabrikanten, welchen zunächst der doppelte Vorteil billigerer Rohmaterialien und niedrigerer Arbeitslöhne, in Folge billigerer Lebensmittel aus den in Aussicht genommenen Veränderungen erwachsen mußte. Diese Veränderungen wurden durch die Vorschläge angebahnt, welche Sir Bobert Peel machte, als England, nach Jahrhunderte langem prohibitivem Schutzzoll und rücksichtslos aussaugendem Kolonialsystem, 1842 zum Freihandel überging.

337 ES handelte sich damals hauptsächlich um Vermehrung der Staats­

einnahmen und Peel sah die einzige mögliche Quelle in der Wieder­ Die Einkommensteuer war 1798 zuerst eingeführt und bis 1802 beibehalten worden. 1803 wurde

einführung der verhaßten Einkommensteuer.

sie aber schon wieder herangezogen und erst 1816, damals hieß es für Die jetzt von Peel vorgeschlagenen 7d per Letr.

immer, abgeschafft.

oder ca. 3 % auf alle jährlichen Einkommen von über Lstr. 150 sollten ca. Letr. 4,000,000 einbringen. Die große Abneigung gegen diese Steuer, namentlich gegen die Art ihrer bis auf den heutigen Tag bei­ behaltenen, aber fortwährend stark angefochtenen Erhebung, welche keinen Unterschied zwischen dem sichern Einkommen deS Grundbesitzers und

Rentners

und dem

prekären Erwerb, als Resultat persönlicher An­

strengung, macht, während nach Recht und Billigkeit die Steuerlast dem

kapitalisierten Tageswerte der betreffenden Einkommen entsprechend, ver­

bunden mit der Leistungsfähigkeit des Besteuerten, verteilt werden sollte,

war die Opposition gegen die Einkommensteuer nur zu vermindern dnrch Zugeständniffe nach einer andern Seite hin, und dazu bot die lang­ ersehnte Zollreduktion die beste Gelegenheit: also Reduktion der Ge­ treidezölle, Abschaffung der Ausfuhrzölle, namentlich auf Kohlen, und Er­

niedrigung der Einfuhrzölle auf 750 von den damals noch 1200 besteuerten Artikeln, und zwar der Art, daß alle Rohmaterialien unter jenen 750

Artikeln entweder frei oder höchstens mit 5 %, halbfabrizierte Waaren

mit 12%, fabrizierte Waaren mit 20 % vom Werte besteuert würden.

Obschon

die

hierdurch

entstehende Einnahmeverminderung nur

Letr. 270,000 in Aussicht stellte gegen Letr. 4,000,000 Vermehrung

durch die Einkommensteuer, fand sich für die Gesetzesvorlage doch eine Majorität im Parlament,

in Erwartung späterer größerer Erfolge, zu deren Erlangung die Freihandelsagitatoren, denen es damals haupt­ sächlich um gänzliche Abschaffung der Getreidezölle zu thun war, und die unter dem Namen anticornlaw-league Propaganda machten, sich zu

erneuerten Anstrengungen ermuntern ließen. Ihr Erfolg zeigte sich im Jahre 1845 als von den zu der Zeit noch 813 besteuerten Artikeln, die Einfuhrzölle auf 430 Artikel,

hauptsächlich

fabrizierte

Waaren — darunter aber auch noch Rohseide, Hanf, Flachs. Erze,

Droguen,

Farbstoffe und Guano — ganz

abgeschafft wurden:

zu­

sammen repräsentierten auch diese Zölle nur eine Einnahme von Letr. 320,000, während der eine Artikel rohe Baumwolle, zu jener

Zeit noch mit 5 %

besteuert, Letr. 680,000 einbrachte; 22

aber auch

338 dieser für England wichtigste aller fremden Rohstoffe, wurde jetzt frei eingelassen. Zur gänzlichen Abschaffung der Getreidezölle geschah aber erst im Jahre 1846 der entscheidende Schritt, indem daS Gesetz von diesem Jahre, welches die Einfuhrzölle auf Weizen zu 10/ per qtr., wenn der Preis unter 48/; auf Gerste 5/, wenn der Preis unter 26/; auf Hafer 4/, wenn der Preis unter 18/ — mit entsprechend niedrigern Zöllen bei Preissteigerungen fixierte, die Schlußverordnung enthielt, daß nach drei Jahren — am 1. Februar 1849 — auch diese Zölle aufhören und alles fremde Getreide zu 1/ per qtr. (ein Registrationszoll der 1860 durch bloßes Zollreglement auch beseitigt wurde) zugelaffen werde. 1846 fielen auch die Zölle auf Seiden-, Wollen- und Baumwoll-Manu­ fakturen, und bald nachher, unter Gladstone’s Finanzverwaltung, alle übrigen Einfuhrzölle (von denen namentlich die auf fabrizierte Waaren die Erhebungskosten nicht mehr deckten) — bis auf die sogenannten revenue (im Unterschiede von protective) duties auf Kaffee, Thee,

Tabak, Wein und Spirituosen. Auch wurden 1849 die beschränkenden Navigationsgesetze aufgehoben. Der kurzsichtigen Opposition der interessierten Landeigentümer gegen die Aufhebung der Getreidezölle trat Sir Robert Peel mit dem Aus­ spruch entgegen: the prosperity of the manufacturing classes are of more interest to the landed interest than any protective lawa — auch wurde diese Opposition sehr geschwächt, nachdem die durch Miß­ raten der Kartoffelernte, 1847—48, in Irland auSgebrochene Hungers­ not den Beweis geliefert hatte, daß, ohne Änderung der bestehenden feudalen Bodenverteilung, das Land selbst die erforderlichen Nahrungs­ mittel für seine rasch wachsende Bevölkerung nicht mehr aufbringen konnte. Hinsichtlich der englischen Zölle magst Du Dir noch bemerken, daß das erste aller Zollgesetze (unter Eduard I.) einen Ausfuhr­ zoll auf Wolle, Felle und Leder auferlegte — Stapelartikel (staple commodities) genannt, weil sie an des Königs staple valuiert wurden. Erst später wurden Einfuhrzölle eingeführt und die gegenwärtig gül­ tige» Bestimmungen sind in folgenden Akten enthalten: The cnstoms consolidation Act 1853 — The supplemental customs consolidation Act 1855 — The customs Tarifs Act 1855 — The customs Tarifs amendment Act 1860 — The customs amendment Act 1867 — The customs and Inland Revenue Act 1870 — The customs Revenue Act 1872 — The customs and Inland revenue Act 1873.

339 Bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts war England vorzugsweise auf den Ackerbau und die Viehzucht beschränkt, sein Hauptexportartikel

Wolle.

Erst die Ansiedlung zahlreicher, durch Religionsverfolgung von

dem Kontinent vertriebener wohlhabender und intelligenter Fabrikanten und Arbeiter aller Art verpflanzten ausgedehntere Manufakturindustrie

nach England, wo die Regierung nicht nur Gewissensfreiheit, sondern durch prohibitive Maßregeln gegenüber den Kolonieen und hohe Einfuhr­

zölle die einheimische Industrie nach jeder Seite schützte. Diese ent­ wickelte sich mit raschen Schritten und war schon auf eine bedeutende Höhe, int Vergleich mit andern Nationen, gestiegen, als ihr durch die 1767 von Hargreaves erfundene spinning-jenny, durch die 30 Jahre

später eingcführten Verbesserungen von Arkwright und durch die bald darauf erfolgte Anwendung der Dampfkraft ein neuer großer Impuls

Das Fortbestehen von Einfuhrzöllen auf fabrizierte

gegeben wurde.

Waaren, namentlich in der Eisen-, Baumwoll- und Wollindustrie wurde

voit nun an ganz überflüssig, um so dringender das Verlangen nach freier Einfuhr von Rohstoffen und Lebensmitteln.

friedigt und gleichzeitig

auch

Nachdem dieses be­

auf alle Fabrikate die Zölle abgeschafft

waren, knüpfte sich an diese Maßregel die wohl erklärliche, aber unbe­ gründete und nicht realisierte Hoffnung, daß auch die Kontinentalstaaten und besonders das sich industriell rasch entwickelnde Nord-Amerika dieser

Freiheitsbewegung folgen und ihre Zölle abschaffen würden.

Umso

mehr war dies wünschenswert für England, als bei der voraussicht­ lichen Überproduktion, die Ausdehnung der Absatzquellen für englische Fabrikerzeugni ffe auf fremden Märkten über kurz oder lang eine Lebens­ frage für die

englische Industrie und das ganze englische Wirtschafts­

leben werden mußte. So wenig sind die englischen Manufakturfabrikate durch fremde Konkurrenz bisher berührt worden, daß selbst jetzt nach 35 Jahren

Freihandel England mit Einschluß aller Luxusartikel (Seide und Woll­

stoffe) nur 11%,

nach manchen Berechnungen nur 9%, fabrizierter

Waaren ca. Lstr. 39,000,000

importiert, während unter dem Total-

Export über 90 % englische fabrizierte Waaren ca. Lstr. 250,000,000 figurieren. So sehr also auch die Abschaffung der Einfuhrzölle auf Ge­ treide durch die Not geboten und auf Rohstoffe geeignet war, die Ent­ wicklung der englischen Industrie und des Handels zu fördern, eben so gering ist der Einfluß, welchen auf beide die Abschaffung der Einfuhr­

zölle auf fabrizierte Waaren, gehabt hat, und so lange England, wie

340

bisher, imstande bleibt, billiger — NB. bei gleicher Qualitätsbeschaf­ fenheit — wie andere zu fabrizieren» ist eS gleichgültig, ob Eingangs­ zölle bestehen oder nicht; daher denn auch die meisten englischen Fabri­ kanten, welche fremde Kouknrrenz nicht zu fürchten haben, ebenso wie alle englischen Kaufleute dem unbedingten Freihandel das Wort reden und sich der Ansicht keineswegs verschließen, daß Eingangszölle auf englische Fabrikate in andern Ländern, in erster Linie als ein Nachteil für England zu betrachten find. So heißt eS denn auch jetzt hier in maßgebenden Kreisen: The adoptiern of protectionist principlea in civilized and indus­ trial communities is undoubtedly an injury to such other communities as have adopted free trade principles, because it curtails their market and introduces an uncertainty as to whether the produce of their labour will find a aale. For us to regain custom which bas been diverted from us there is one eure course to pursue, and that is to underbid everybody eise. When this country is able to do so ehe will always be enabled to recover the ground she may have temporarily lost.

Da nun England den verzweigtesten und einträglichsten Handel mit seinen Kolonieen treibt, so erscheint auch die Erhaltung und der Ausbau sowie die eventuelle Erweiterung des kolonialen Besitzes, also die Politik, welche gegenwärtig unter Imperialism verstanden wird, von großer Wichtigkeit vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus, um so mehr als andere große Fabrikstaaten sich durch Schutzzölle nicht nur abschließen, sondern mit voranschreitcnder Leistungsfähigkeit ihre Fabri­ kate auf neutralen Märkten und in den freihändlerischen englischen Ko­ lonieen selbst erfolgreich benutzen, gegen England zu konkurrieren, d. h. wirtschaftlichen Krieg zu führen. Es verfährt die Freihandelspolitik gewiffermaßen wie die katholische Kirche: Freiheit fordernd vom Staate wo sie beschränkt und verfolgt ist; Freiheit im Staate, wo sie ihre Kräfte thätig und mit Erfolg gegen Konkurrenten zu gebrauchen imstande sich fühlt; Freiheit gegen den Staat, wo sie zum Siege gelaugt ist — sucht doch oft durch Unterver­ kaufen, selbst mit Verlust, eine Handelsgesellschaft ihre Gegnerin im freien Verkehr wirtschaftlich zu zerstören, während der Ausspruch Henry Brougham’s 1815 im Parlament: „that it was well worth while to incur a loss on the exportation of english manufactures in

341 order to stille in the cradle the foreign manufactures“ ein Glaubens­ artikel hiesiger freihändlerischer Dogmatik geworden ist. Die englische Kolonialpolitik anbelangend, herrscht aber, wie in der englischen Politik überhaupt, bedauerliches Schwanken: No one now Claims that the mother country has the right, still less that in self-defence she is bound, to restrict and hamper the trade of the colony for her own benefit; nor are there now found many to advocate the differential duties in favour of colonial produce, which the ancient „colonial System“ rendered all but necessary. Many, indeed, go to an opposite extreme, and argue that for both sides it would be better that the interdependent relation should be totally sundered, and each colony, as soon as possible, lest to shift for itself. The trade of neither party, it is alleged, gains anything by the maintenance of the connection; the European state is exposed to needless risk in time of war by her responsibility to her scattered dependencies, and to additional expense in providing against that risk; while the colonies are liable to be dragged into wars with which they have no concern. The good-will arising from the sense of common origin would, it is said, amply maintain all the mutual advantages enjoyed under the present System, and would secure a virtual confederacy. The democratic experiments some of our colonies have been freely permitted to carry out, and their trade legislation, divergent from that of England, the incorporative federation of contiguous colonies, and the withdrawal of royal troops from Canada, are by many regarded as actual steps taken in the direction of an eventual Separation. To another dass of theorizers.it appears that a „personal union“, the entire legislative independence of the colonies with allegiance to the sovereign of the old country, would better secure the well-being of the several parts of the empire thue constituted; while again others contend that the interest of England and of her possessions abroad, and the cause of freedom and civilization throughout the world, would gain if the bonds of relation were yet more closely drawn together, and if provision could be made for the representation of the Colonies in the imperial parliament. It may be a matter of doubt, sagt Lord John Russell, whether or not to build up a colonial empire; but it is evident that if Great Britain gives up her supremacy from a niggardly spirit of parsi-

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mony, or from a craven feeling of helplessness, other Powere willl Boon look on the Empire, not with the regard due to an equal ast ehe once was, bnt with jealouey of the height ehe once held andl withont the fear ehe once inspired. To build np an empire exten-ding over every eea, swaying many divers races, and combining; many forme of religion, requires courage and capacity. To allow such an empire to fall to pieces is a task which may be performed by the poor in intellect and the pusillanimons in condnct. Die sich auch hier gegeuüberstehenden Ansichten der Schule werde« wie folgt formuliert: Tho one led by Mr. Goldwin Smith preaches what might be called the doctrine of disintegration or the disruption, by a gradual and amicable process, of the British Colonial Empire and its subsequent distribution into a number of new nationalities. The other school deems the aim of British colonization to coneist in extending, assimilating, and consolidating the Empire into a larger but still homogeneous and harmonious whole.

Eingehendes hierüber findest Du in: J. C. R. Golomb, The defence of Great and Greater Britain, 1879. Wäre England politisch von seinem großen Kolonialbesitz getrennt, so würden jedenfalls manche der jetzt im Mutterlande bestehenden wirt­ schaftlichen und socialen Verhältnisse eine radikale Änderung erfahren, indem die 34,000,000 Bewohner sich ökonomisch ganz anders einzu­ richten hätten. Beinahe die Hälfte derselben ist für ihre Ernährung auf das Ausland und die Kolonieen angewiesen. Die erforderlichen Nahrungsmittel betragen durchschnittlich über 40 % der jährlichen Total­ einfuhren, eine Summe von ca. Letr. 160,000,000, welche nur durch entsprechende Ausfuhr von Fabrikerzeugnissen gedeckt werden kann; im Verhältnis daher, wie für diese der Absatz stockt, schwinden für einen Teil der Einwohner mit der gewohnten Beschäftigung zu deren Her­ stellung die Mittel des Lebensunterhaltes — als Folge hiervon: allge­ meine Herabsetzung der Lebensbedürfnisse, wo dies möglich, oder ent­ sprechende Bolksverminderung durch Elend und Auswanderung: letztere freiwillige, oder durch die Regierung im allgemeinen Interesse zu regulieren. Die jährlichen Einfuhren verteilen sich durchschnittlich für die drei Jahre 1874—76 wie folgt:

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% Rohmaterial zum Fabrikgebrauch . . . . Latr. 140,000,000 38 „ 29,000,000 8 Teilweise fabrizierte Artikel „ 39,000,000 11 Fabrizierte Waaren „ 160,000,000 41*/g Lebensmittel, Wein und Spirituosen einbegriffen Diverse andere Artikel „ 4,000,000 l'/r

Latr. 372,000,000 100 Lebensmittel und Rohstoffe belaufen sich also auf ca. Latr. 300,000,000 jährlich, deren England nicht entbehren kann. Daß unter solchen Um­ ständen das Freihandelssystem für England nicht nur das richttge, son­ dern das einzig mögliche, durch die Verhältniffe gebotene ist, und daß an seine Verbreitung und die Verhinderung, daß andere Staaten bil­ ligere und bessere Fabrikerzeugnisse liefern — was natürlich nur dann erreichbar, wenn England in der Fabrikation unausgesetzt voranschreitet, oder wenn es ihm gelingt andere Staaten in ihrem Boranschreiten zurück­ zuhalten — die wichtigsten Landesinteressen sich knüpfen, darin stimmen Theorie und Erfahrung überein.

London, 2. November 1879.

Die Fragen, ob ein Land wohl oder übel daran thue durch Schutz­ zölle eine einheimische Manufakturindustrie hervorzurufen, ob es ratsam bestehende Zölle zu ermäßigen oder, dem Beispiele Englands folgend, ganz abzuschaffen, lassen fich nicht allgemein gültig — nicht nach „un­ wandelbaren Principien" der gegenwärtigen ökonomischen Wissenschaft, was sehr bequem und einfach wäre — beantworten; das Urteil darüber kann fich in jedem speciellen Falle nur aus genauer Prüfung und Ver­ gleichung bestehender, mit den wissenschaftlichen Axiomen selten über­ einstimmender, fast immer komplizierter Verhältnisse ergeben. Bemerkenswert ist es, daß in England trotz des gepriesenen freien Verkehrs und freien internationalen Handels, der Handel in Grund und Boden, dem begehrtesten nnd wertvollsten aller Wirtschaftsgüter, größeren Beschränkungen unterworfen ist als in irgend einem andern Lande, und daß diese Unfteiheit des Handels in Land gerade hier oft von denjenigen verteidigt wird, welche dem Freihandel und seiner all­ gemeinen Verbreitung das Wort reden, und zwar verteidigt mit Argu­ menten, deren man sich in andern Ländern zur Befürwortung des Schutzzollsystems bedient. So heißt es bezüglich des Vorschlags die Kleinackerwirtschaft in England und namentlich in Irland zu befördern: „On political grounds an increaae in the numbers of small owners of land is desirable. The conservatism of the French peaeants is a lesson too plain to be disregarded. It is hardly worth while, however, to enter upon an elaborate examination of the conditions and results of peasant proprietorship in France, Belgium, Germany and other countries. There is extreme difficulty in obtaining complete and accurate Information upon which to found a comparison; and if such Information were accessible, it would still be most doubtful whether the experiment could be successfully reproduced in a country like England, with a history of its own,

345

and with economic and social characteristice differing from those of cvery Continental Community.“ Als ob das hier in Bezug auf die Betreibung des Ackerbaus in England Gesagte für andere Länder bei Beurteilung der für sie zweck­

mäßig erachteten Manufakturindustrie und Handelssysteme nicht ebenso gültig wäre!

Jedes Land muß nach seinen eigenartigen Verhältnissen,

nach seiner geschichtlichen Entwickelung beurteilt und

dabei

auch

die

Staatszwecke berücksichtigt werden, wie sich dieselben im Bewußtsein

eines nationalen und historisch geschlossenen Volkswesens darstellen, welches ein näheres Recht der Staatsangehörigen der Staatsgewalt ge­ genüber voraussetzt und das Weltbürgertum erst in zweiter Linie gel­ ten läßt. Übrigens ist zu erwähnen,

daß von verschiedenen Standpunkten

der „Freihandel in Land" auch in England in verschiedenem Licht er­ scheint, und daß auch hier mit diesem Wort, unbewußt und absichtlich,

viel Begriffsverwirrung getrieben wird.

Während auf der einen Seite

die gegenwärtigen Landeigentümer sich gegen jede Staatscinmischung in die feudalen Vererbungsrechte von Grundeigentum mit allen Kräften

wehren, behaupten auf der andern Seite, mit Recht, die Theoretiker und Neuerer, daß der freie Handel in Land erst durch neue, das

bisherige Monopol der Grundbesitzer beschränkende

oder

aufhebendc

Gesetze einzuführen sei. Wie dem aber auch sei, so viel steht fest, daß von jedem, der für

irgend ein anderes Land den Abklatsch englischer Einrichtungen empfiehlt,

vorausgesetzt werden muß, daß er mit den Verhältnissen beider Länder vertraut sei und sie übereinstimmend gefunden habe. Schon der nordamerikanischc Oberrichter Baldwin meinte, wie die meisten englischen Manufakturwaaren, so sei auch die englische Freihan­

delslehre, nicht sowohl für den innern Gebrauch als für den Export fabriziert. Die wissenschaftliche Ansicht, daß der unbedingte internationale „Freihandel" zu den vielen zwar nützlichen aber abstrakten Theorieen

„reiner Wissenschaft" zu zählen sei, kommt indes'allmählich auch zum Bewußtsein außerwissenschaftlicher Kreise und wird sich verbreiten im

Verhältnis wie die Einsicht zunimmt, daß der ausländische Handel für ein bevölkertes überhaupt zur Manufakturindustrie und nationaler

Entwickelung reifes Land, wie groß er auch immer sein mag. doch nur — auch in England — eine untergeordnete Rolle spielt, im Vergleich mit dem enormen Umfang des täglichen Verkehrs der Bewohner unter-

346 einander, mit dem Binnenhandel.

Daß dies so oft verkannt und

der aus dem ausländischen, sogenannten Welthandel erwachsende Vor­ teil überschätzt wird, hat seinen Grund teils darin, daß über diesen

Teil der kommerziellen Thätigkeit ausführliche Statistiks vorliegen, wäh­ rend bezüglich deS Binnenhandels an statistischem Material bedauerlicher Mangel ist, teils in der Rührigkeit mit welcher all das vorhandene, nur

den auswärtigen Handel betreffende statistische Material, in der Wirtschastslehre und der Tagespresie verarbeitet und dem großen Publikum zugänglich gemacht wird, welches bezüglich der weit größern Ausdehnung

des allseits verzweigten Binnenhandels ohne alle Belehrung und daher in oft sehr irrigen Ansichten befangen bleibt.

In England beläuft der

ausländische Handel sich auf die große Summe von über Lstr. 700,000,000

(Export und Import) und doch wird hier der den« Lande aus diesem foreign trade erwachsende Vorteil nach den besten Autoritäten Lord Derby, Gladstone und E. Gissen auf nur 6 ä 8% von dem des Bin­ nenhandels (hörne trade) geschätzt. Freilich ist nicht in Abrede zu stellen, daß mit Verlust des aus­

ländischen Handels (wozu hier auch der Kolonialhandel zu rechnen) ein großer Teil deS englischen Binnenverkehrs verloren gehen würde; haupt­ sächlich aber aus dem Grunde, weil die Bevölkerung deS Landes be­ reits so angewachsen ist, daß der heimatliche Boden zu ihrer Ernäh­

rung nicht mehr hinreicht.

Um so mehr Grund also für eine engere

Verbindung der Kolonieen mit dem Mutterlande. Wenn Irland mit England und Schottland unzertrennlich vereinigt, warum soll nicht für Australien, Canada und andern Kolonieen ein ähnlicher modus vivendi in imperio gesunden werden? Bemerkenswert ist es, daß in jüngster Zeit die Hauptvertreter der nationalökonomischen Wiffenschast sich entschieden gegen alle übe» eilte Anwendung abstrakter Theorieen aussprechen. So sagte z. B. schor

vor einiger Zeit (im Maiheft deS XIX Century) in einem Artikel über Indien bezüglich der Abschaffung des Einfuhrzolles von 5% auf Baum-

wollwaaren, Mr. Henry Fawcett, profeeeor of political economr in Cambridge und Parlamentsmitglied: „In considering questions of taxation nothing can be more unwise, than to conclude that that particnlar tax must be the her,

"which is most in accord with the principles of economic Science The tastes, the habits, and the wiehes of the people on whom th« tax is to be imposed ought to be most carefully considered, and 1

347

believe it will not be denied that of all the taxes which are levied in India, there are none to which the people of that country feel so little objection as the Import dutiee on cotton goods.u Ganz entschieden und allgemein spricht sich Wm. Bagehot aus: No intellectual attempt can be more absurd than to attempt to apply the conclusions of our Political Economy to the lives of nations at a non - commercial stage of their existence. A great military nation, based on slavery, like the Romans; a nation bound by fixed customs like so many Oriental nations; tribes in a state of barbarism — are not guided principally by the commercial spirit. The money-getting element is a most subordinate one in their minds; its effects are very subordinate ones in their lives, as the commer­ cial element is all but necessary to considerable combinations of men, that element will almost always have effects, and usually im­ portant effects, in the destiny of these combinations. But only in communities where the commercial element is the greatest element, will these effects be the greatest. In so far as nations are occupied in „buying and selling1*, in so far will Political Economy, the ex­ clusive theory of men’s buying and selling, come out right, and be true of them. According to our modern Conception, Political Economy is a convenient series of deductions from assumed axioms which are never quite true, which in many times and countries would be utterly untrue, but which are sufficiently near to the principal conditions of the modern world to make it useful to consider them by themselves. At the commencement Political Economists indulged in happy visions; they thought the attainment of truth far easier than we have since found it to be. They were engaged in a most valuable preliminary work, one which is essential to the Conception of the phenomena of wealth in euch an age as this, or in any age in which free industry has made much progress; but alter this pre­ liminary work is finished there is a long and tedious time to be spent in comparing the assumptions we have made in it with the facts which we see, and in adding the corrections which that comparison suggests; and only at the end of this dull task can we leave mere reasoning and come to life and practice. Aber auch in England nehmen die politischen Parteien in Äezuz auf Freihandel Stellung.

348 Charakteristisch find in dieser Beziehung die Äußerungen von Earl Granville, dem Leiter der Opposition im Oberhause, bezüglich deS Be­ dauerns, welches Lord Salisbury ausgesprochen über die gänzliche Ab­ schaffung der Eingangszölle:

Lord Salisbury as a free trader deplored the walle of protection which he found surrounding most of the countries of the world, and then suddenly and apparently to the astonishment of hie hearers, he expresses the deepest regret at the complete männer in which Sir R. Peel and his successors had adopted free trade as far as we were concerned, instead of retaining the duties on a number of articles which might have enabled us to haggle with foreign Govern­ ments, varying as we went along our own import duties according to the fancies and prejudices of the States with which we were dealing. Now, the noble marquis is, I am eure, very anxious, as he stated, to persuade foreign countries to reduce their tariffs, and he finde, no doubt, a difficulty in dealing with statesmen who believe that to reduce a duty is to confer a benefit upon us and not upon the inhabitants of their own country. But has he reflected upon the immense difficulty which language such as his, and such as the much stronger expressions used by the first legal adviser of the Crown in the House of Commons, throws in the way of our diplomatic agents when endeavouring to obtain a reduction? Secretaries of State and First Law Officers of the Crown cannot make public Speeches exclusively for hörne consumption — they get published abroad; and is it not certain that a Protectionist foreign statesman will say „I believe the reduction of duties is dangerous to the In­ dustries of my country, but I am also convinced that they have proved to be so even for those of Great Britain, for do I not find some of the most important personages of your Government expressing extreme regret that for 30 years the freedom of your commerce has been complete? Either it has been an advan tage or it has not, and it is perfectly impossible that it should be an advantage if your ablest men are of opinion that it would have been wise to exclude our goods because we did not admit yours.“ Daß ein neuer Staat,

welcher wie die Bereinigten Staaten von

Nordamerika nach der Stellung einer Großmacht strebt, oder eine Ko­

lonie,

die wie Australien vom Mutterlande zu politischer Selbständig­

keit gedrängt wird,

selbst nach „Principien der ökonomischen Wissen-

349 schast" berechtigt, ja quasi gezwungen sei, die einheimische Indu­ strie durch Eingangszölle zu schützen, hat schon John St. Mill be­ hauptet : „The only case in which on mere principles of political economy, protective dnties can be defensible, is when they are impoeed temporarily (especially in a young and rising n a t i o n) in hopes of naturalizing a foreign industry, in itself perfectly suitable to the circumstances of the country. The superiority of one country over another in a brauch of production, osten arises only from having begun it sooner. There may he no inherent advantage on one part, or disadvantage on the other, but only a present superi­ ority of acquired skill and experience. A country which has this skill and experience yet to acquire, may in other respects be better adapted to the production than those which are earlier in the field: and besides it is a just remark of Mr. Rae, that nothing has a greater tendency to promote improvements in any brauch of pro­ duction, than its trial under a new set of conditions. But it cannot be expected that individuale should, at their own risks, or rather to their certain löse, introduce a new manufacture, and bear the burthen of carrying it on until the producers have been educated up to the level of those with whom the processes are traditional. A protecting duty, continued for a reasonable time, will sometimes be the least inconvenient mode in which the nation can tax itself for the Support of such an experiment. But the protection should be confined to cases in which there is good ground of assurance that the industry which it fosters will after a time be able to dispense with it; nor should the domestic producers ever be allowed to expect that it will be continued to them beyond the time necessary for a fair trial of what they are capable of accomplishing.u Mill kommt hier am Schluß, fast wörtlich, zu derselben Ansicht die Friedrich List vertreten hat: „Die Jndustriegeschichte der Nationen, und keine auf anschaulichere Weise als die von England, beweist, daß der Uebergang aus dem rohen Zustand zur Viehzucht, von der Viehzucht zur Agricultur und von der Agricultur zu den ersten Anfängen in den Manufacturen und in der Schifffahrt am schnellsten und Vortheilhaftesten durch den freie« Handel mit weiter vorgerückten Städten und Ländern bewerkstelligt wird; daß aber eine vollständige Manufacturkraft, eine bedeu-

350 tenbe Schifffahrt und ein großartiger auswärtiger Handel nur vermit-leist Einfchreitung der Staatsgewalt zu erlangen find. „Je weniger die Agrikultur sich anSgebildet hat und je mehr der auswärtige Handel Gelegenheit bietet, den Ueberfluß von einheimischen Agriculturproducten und Rohstoffen gegen fremde Mannfacturwaare» zu vertauschen, je mehr dabei die Nation noch in Barbarei versunken ist und einer absolut monarchischen RegierungSform und Gesetzgebung bedarf, um so förderlicher wird der freie Handel d. h. die Ausfuhr von Agriculturproducten und die Einfuhr von Manufacturwaaren, ihrem Wohlstand und ihrer Civilisation sein. Je mehr im Gegentheil die Agrikultur einer Nation, ihre Gewerbe und ihre socialen, politischen und bürgerlichen Zustände überhaupt entwickelt sind, um so weniger wird sie von dem Tausch einheimischer Agriculturproducte und Rohstoffe gegen fremde Manufacturwaaren für Berbefferung ihrer gesellschaftlichen Zustände Nutzen ziehen können, um so größere Nachcheile wird sie von der glücklichen Concurrenz einer ausländischen und ihr überlegenen Manufacturkraft empfinden. Einzig bei Nationen der letzter« Art, nämlich bei denjenigen, welche alle erforderlichen geistigen und materielle» Eigenschaften und Mittel besitzen, um eine eigene Manufacturkrast zu pflanzen und dadurch den höchsten Grad von Civilisation und Bildung, von materiellem Wohlstand und politischer Macht zu er­ streben, welche aber durch die Concurrenz einer bereits weiter vorge­ rückten auswärtigen Manufacturkraft in ihren Fortschritten aufgehalten werden — nur bei solchen ist die Handelsbeschränkung zum Zweck der Pflanzung und Beschützung einer eigenen Manufacturkraft zu rechtfer­ tigen, und auch bei ihnen ist sie es nur so lange, bis die Manufacturkraft zureichend erstarkt ist, um die fremde Concurrenz nicht mehr fürchten zu dürfen, und von da an nur in so weit, alS nöthig ist, um die inländische Manufacturkraft in ihren Wurzeln zu beschützen." Hätte List von Mill abgeschrieben, so wäre das bedeutungslos, sofern es nichts an der Sache selbst ändern würde, aber List schrieb 1341, Mill 1848. Die Folgen der Anwendung dieses Princips im großen Maßstab zeigt die Entwickelung der Baumwollindustrie in den Ber. Staaten: 1791 wurde die erste Baumwollspinnerei in Rhode Island errichtet. 1804 bestanden 16 Spinnereien mit 8000 Spindeln, 1810 zählte man 102 Spinnereien mit 80000 Spindeln. Bis zum Jahre 1810 war der Zoll auf Baumwollenwaaren 15%, wurde dann auf 27Vz% er-

351 höht und ist seit 1824 auf 25°/o geblieben. Unter diesem Schutz hatte sich die Zahl der Spindeln im Jahre 1869 auf 6 763000 vermehrt und betrug 1875 über 9 540000, eine Manufacturkraft die nicht nur hinreicht den gegenwärtigen Bedarf der Bevölkerung zu decken, sondern auch für den Export zu fabrizieren — es ist damit aber auch, nach List und Mill, der Zeitpunkt eingetreten für eine Ermäßigung, even­ tuelle Abschaffung des Zolles, was natürlich dort ebenso wie s. Z. in England ohne Gefahr vor fremder Konkurrenz wird geschehen können. Ähnliche Verhältnisse weisen die Wollindustrie und die in ihren vielen Verzweigungen noch wichtigere Eisenindustrie auf; beide, wie die Baumwollindustrie durch Schutzzölle- ins Leben gerufen. Aber wichtigeres noch bei weitem als die Blüte dieser Jndustrieen verdanken die Ber. Staaten ihrem zeitgemäßen Schutzzollsystem. Der Antagonis­ mus zwischen dem Norden und dem Süden, welcher 1860 in den Civil­ krieg ausartete, war nur der alte Streit zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern — zwischen Manufaktur und Ackerbau — einer höhern und einer niedern Stufe der Gesittung und wie überall der Ackerbauer Cain, den Viehzüchter Abel in natürlicher Kulturentwickelung überwindet, so siegt auch stets, wenn die Zeit reif für den Kampf der Entscheidung, eine noch höhere Stufe wirtschaftlicher Entwickelung: die Manufaktur­ industrie über den Ackerbau. Die Niederlage des Südens in jenem blutigen Kriege hatte zur unmittelbaren Folge die Abschaffung der Sklaverei, besiegelte das Band der Union und machte diese unwider­ ruflich zu einem Ackerbaumanufakturhandelsstaate. Ohne diesen Sieg und den dadurch bedingten großen wirtschaftlichen und humanen Fort­ schritt würden die Ber. Staaten, in Norden und Süden getrennt, an Machtstellung eine untergeordnete Rolle spielen und aller damit ver­ knüpfter Kultur verlustig gehen, und den Worten, welche jüngst General Grant, nach der Rückkehr von seiner zweijährigen Weltreise, in Kali­ fornien an seine Mitbürger richtete, hätte die Veranlassung gefehlt:

nI always feit that the reception accorded to me was a tribute to my country. The United States are now held in a different estimation from what they were a quarter of a Century ago, when people believed that we were not a nation, but merely a confederation held together by ropes which would break upon the slightest friction. Foreigners have now discovered this to be a great mistake, and find that we are a nation, a strong, intelligent, and brave people, knowing our rights, and both capable and determined on all occasions

352 and at all hazards to maintain them against domeetic or foreign enemies. The resources of the United States enable ns to postpone for many generations the consideration of the question how our Po­ pulation is to he sustained.“ Tharakteristisch für den Mann, die Zeit und das Land ist eS, daß

Washington am Tage seiner Inauguration zum Präsidenten einen Rock von inländischem Tuche trug „um, wie ein Journal jenes Tages sagte, in der einfachen und ausdrucksvollen Weise, die diesem großen Manne

eigen ist, allen seinen Nachfolgern und allen künftigen Gesetzgebern eine unvergeßliche Lehre zu geben, auf welche Weise die Wohlfahrt des Lan­ de- zu befördern fei." Du wirst einsehen, daß in der Nationalökonomie, sofern sie es mit

der Anwendung der Theorie zu thun hat,

die wirtschaftlichen Fragen

von den politischen nicht zu trennen sind;

sie sind ihnen sogar unter­

geordnet und dies hat seinen guten Grund in der menschlichen Natur,

der gemäß die überwiegend große Masse der Menschen noch von andern Trieben geleitet wird, als dem einfachen Wunsch billig zu produzieren

und viel zu konsumieren,

daher auch diejenigen,

welche glauben,

daß

alle tiefen und Großes leistenden Leidenschaften auf den Eindruck des Gewinnes oder Verlustes zurückzuführen seien,

jener Zuschauer,

welcher sich

ebenso sehr irren,

Othello's Wut aus

wie

dem Verlust deS

Taschentuchs erklärte. Du wirst ferner einsehen, daß politische Einheit, wenigstens Über­

einstimmung politischer Zwecke, eine Vorbedingung ist für das kommer­ zielle Zusammenwirken in unbedingtem Freihandel,

auch

und

daß deshalb

die neuesten von Frankreich ausgehenden Bestrebungen zur Her­

beiführung

eines Zollvereins zwischen Frankreich,

Schweiz, Italien und Spanien bodenlos find.

Holland.

Belgien,

Solche Pläne befinden

sich im Widerspruch mit der Tendenz unserer Zeit, die auf den poli­

tischen Anschluß der schwachen nicht naturwüchsigen Staaten an mäch­

tige Nachbarn gerichtet ist.

Nachdem kleinere,

wahlverwandte Nachbarstaaten,

ihrer Bevölkerung nach

die ihre selbständige Existenz nur der

Eifersucht der Großmächte verdanken, oder schwachbevölkerte Territorien ohne festen politischen Zusammenhang ihren naturgemäßen Anschluß an wirkliche Nationen gefunden haben, fallen auch die trennenden Zoll­

schranken.

Eine ganz andere Basis wie jene von Frankreich in Aus­

sicht genommene,

würde ein Zollverein zwischen England

und seinen

353 Kolonieen, ein Zollverein zwischen dem deutschen Reiche und Holland mit seinen Kolonieen haben.

Ein der politischen Einheit vorhergehender Zollverein mag in Aus­ sicht genommene politische Einverleibung beschleunigen, wenn als Grunde bedingung

harmonisierende,

verschmelzbare Teile gegeben sind — der

Versuch, auf diese Weise antagonistische Elemente zu bloßen Handels­ zwecken auf die Dauer zu vereinigen, wird aber immer scheitern an dem mächtigern politischen Gegendruck. In Europa sind derartige territoriale

Veränderungen, so sehr sie auch teils aus einem Hähern Gesichtspunkte,

der nationalen Staatenbildung, gerechtfertigt, teils als Mittel der Selbst­ erhaltung geboten scheinen, der mannigfachen dadurch berührten wirk­ lichen oder eingebildeten fremden Interessen halber,

Gewalt der Waffen zu erreichen.

nur selten

ohne

Unter diesen Umständen werden in

Deutschland und andern Großstaaten die Lehren eines Rühle v. Lilien­ stern noch für lange Zeit nicht durch rein wissenschaftliche Wirtschaft-lehren verdrängt werden. Mit Bezug hierauf wird Dich interessieren was schon List über die Schweiz und Holland gesagt hat:

„Die Schweiz betreffend, ist zu bemerken, daß sie keine Nation, wenigstens keine normalmäßige Nation, sondern nur ein Konglomerat Denn die normalmäßige Nation besitzt eine gemeinschaftliche Sprache und Literatur, ein mit mannigfaltigen natürlichen Hülfsquellen ausgestattetes,' ausgedehntes und wohl arronvon Municipalitäten bildet.

dirtes Territorium und eine große Bevölkerung. Ackerbau, Mauufacturen, Handel und Schifffahrt sind in ihr gleichmäßig ausgebildet; Künste und Wissenschaften, Unterrichtsanstalten und allgemeine Bildung stehen bei ihr auf gleicher Höhe mit der materiellen Production; sie besitzt eine zureichende See- und Landmacht, um ihre Selbstständigkeit

und Jndependenz zu vertheidigen und

schützen.

ihren

auswärtigen Handel zu

Ihr wohnt die Kraft bei, auf die Cultur minder vorgerückter

Rationen zu wirken

und mit dem Ueberschuß ihrer Bevölkerung und

ihrer geistigen und materiellen Capitale Colonien zu gründen und neue

Nationen zu zeugen. „Dagegen bei der Schweiz,

ohne Seeküste eingekammert zwischen

drei großen Nationen, fällt bei ihr alles Streben nach Emporbringung einer eigenen Schifffahrt, eines unmittelbaren Handels mit den Ländern der heißen Zone, alle Rücksicht auf die Bildung einer Seemacht und

auf die Anlegung oder Akquisition von Colonien weg.

Den Grund zu 23

854 übrigens sehr bescheidenen Wohlstand legte die

ihrem gegenwärtigen,

Schweiz schon zur Zeit,

als sie noch

dentschen Reich

dem

angehörte.

Seit jener Zeit ist sie von inneren Kriegen so ziemlich verschont ge­

blieben,

haben die Capitale von Generation zu Generation sich ver­

mehren können, da sie

von ihren Municipalregierungen mit Abgaben

fast gar nicht in Anspruch genommen wurden.

Inmitten der Bran­

dungen deS Despotismus, 4es Fanatismus, der Kriege und Revolutionen, von welchen Europa in den letzte» Jahrhunderten bewegt war, bot die

Schweiz allen, die ihre Capitalien und ihre Talente flüchten wollten, ein Asyl und acquirirte so bedeutende Mittel von außen.

Deutschland

hat sich nie streng gegen die Schweiz abgeschloffen, und ein großer Theil

ihrer Manufacturproducte hat von jeher dorthin Abfluß gewonnen. Ihre Industrie war übrigens nie eine nationale,

eine die Gegenstände des

allgemeinen Verbrauchs umfassende, sondern größtentheilS Luxusindustrie, deren Produkte leicht in die benachbarten Länder einzuschwärzen, oder

nach ferneren Weltgegende» zu transportiren

sind.

Sodann ist daS

Land für den Zwischenhandel ungemein günstig gelegen und theilweise

privilegirt.

Schon die gute Gelegenheit, die-Sprachen, die Gesetze, die

Einrichtungen und Berhältniffe der drei angrenzenden Nationen kennen

zu lernen, mußte den Schweizern im Zwischenhandel und in jeder an­ dern Beziehung ansehnliche Vortheile gewähren.

ligiöse Freiheit

und

allgemeiner

Bürgerliche

Unterricht nährten

und re­

Rührigkeit und

Unternehmungsgeist, die bei der großen Beschränktheit des innern Acker­

baus

und der innern Nahrungsquellen die Schweizer nach

Ländern trieben,

wo sie durch Kriegsdienst,

werbe jeder Art sich Vermögen sammelten,

lande zurückzubringen.

fremden

durch Ge­

um es nach ihrem Vater­

Wenn unter so besondern Umständen sich ma­

terielle und geistige Capitale anhäusten,

aufzubringen, wenn

durch Handel,

um einige Luxusgewerbzweige

diese Gewerbe ohne Schutzzoll durch Absatz

nach

außen sich erhalten konnten, so ist doch daraus nicht zu schließen, daß große Nationen unter ganz

befolgen können.

andern Berhältniffen eine ähnliche Politik

In ihren geringen Abgaben besitzt die Schweiz einen

Vortheil, den große Nationen nur dann bieten könnten, die Schweiz, sich in Municipalitäten auflösten,

wenn sie, wie

somit ihre Nationalität

fremden Angriffen bloSstellten.

»Holland

ist nach seiner geographischen Lage,

wie nach seinen

Handels- und Jndustrieverhältniffen und nach Abstammung und Sprache seiner Bewohner, eine deutsche, in Zeiten deutscher Rationalzerwürfnisse

355 von Deutschland abgetrennte Provinz, ohne deren Wiedereiuverleibung in den deutschen Bund, Deutschland einem Hause zu vergleichen ist,

deffeu Thüre einem Fremden gehört. Holland gehört so gut zu Deutsch­ land wie die Bretagne und die Normandie zu Frankreich gehören, und so lange Holland ein eigenes selbständiges Reich bilden will, kann Deutsch­

land so wenig zn Selbständigkeit und Macht kommen,

als Frankreich

hätte dazu gelangen können, wenn jene Provinzen in den Händen der Engländer geblieben wären. Daß Hollands Handelsmacht gesunken ist, daran ist die Unbedeutenheit seines Landes schuld. Auch wird und muß Holland, der Prosperität seiner Colonien ungeachtet, fortan sinken, weil das Land zu schwach ist, um die unermeßlichen Kosten einer bedeutenden

Land-

und Seemacht aufzubringen.

Dnrch die Bestrebungen,

seine

Nationalität zu behaupten, wird Holland, jener Colonialprosperität ungeachtet, tiefer und tiefer in Schulden versinken. Gleichwohl ist und bleibt es ein von England abhängiges Land,

verstärkt eS durch seine

scheinbare Jndependenz nur die englische Suprematie.

der geheime Grund,

Dies ist auch

weshalb England auf dem Wiener Congreß die

Wiederherstellung der holländischenScheinindependenz in Schutz genommen hat.

Es verhält sich damit ganz wie mit den Hansestädten.

Auf der

Seite Englands aber ist Holland ein Schildknappe der englischen Flotte; Deutschland einverleibt, ist eS der Führer der deutschen Seemacht. In seiner gegenwärtigen Lage kann Holland seinen Colouialbesitz bei weitem nicht so gut ausbcuten,

als wenn es einen Bestandtheil des deutsche»

Bundes bilden würde, schon darum nicht, weil es an den zur Coloni­ sation erforderliche» Elementen, an Menschen und geistigen Kräften zu

schwach ist.

Außerdem ist die Ausbeutung seiner Colonien, in so weit

sie bisher effectuirt worden, zuni größten Theil von der deutschen Gut-

müthigkeit oder vielmehr von der Unbekanntschaft der Deutsche» mit ihren eigenen Nationalhandelsintereffen abhängig; denn da alle andern Nationen ihre» Colonien und den ihnen unterworfenen Ländern ihren

eigenen Colonialwaarenmarkt vorzugsweise einränmen, so

bleibt den

Holländern für ihren Ueberfluß an dergleichen Waaren nur der deutsche

Markt. Sobald nun die Deutschen zur Einsicht gelangen, daß diejenigen,

welche ihnen Colonialwaaren liefern, sich auch dazu verstehen müssen, ihnen vorzugsweise ihre Manufacturwaarcn abzunehmen, so wird es de» Deutschen auch klar sein, daß sie es in ihrer Gewalt haben,

Holland

zum Anschluß an den Zollverein zu zwingen. Diese Vereinigung würde beiden Ländern zum größten Vortheil gereichen. Deutschland würde

356

Holland die Mittel liefern, nicht nur seine (Kolonien ungleich besser a«Szubeuten als jetzt, sondern auch neue (Kolonien anzulegen und zu er­ werben. Deutschland würde die holländische und hanseatische Schifffahrt vorzugsweise begünstigen und den holländischen Colonialpröducten be­ sondere Vortheile auf den deutschen Märkten einräumen. Holland und die Hansestädte dagegen würden vorzugsweise deutsche Fabrikate auSführen und ihren Capitalüberfluß vorzugsweise den Fabriken und dem Ackerbau des innern Deutschlands zuwenden. „Holland, wie es von seiner Höhe als Handelsmacht herabgesunken ist, weil eS — die bloße Fraktion einer Nation — sich als ein Ganzes geltend machen wollte, weil es in der Unterdrückung und Schwächung der productiven Kräfte Deutschlands seinen Vortheil suchte, statt seine Größe auf die Prosperität der hintergelegenen Länder zu basiren, mit welchen jeder Uferstaat steht oder fällt — weil es in der Trennung von der deutschen Nation, statt in der Bereinigung mit derselben groß zu werden suchte — Holland kann nur durch die deutsche Union und in der engsten Verbindung mit derselben seinen alten Flor wieder er­ langen. Nur durch diesen Verein ist eine Agriculturmanufacturhaudels Nationalität erster Größe zu stiften. „Deutschlands Jntereffe fordert demnach, daß es entweder von Holland zu Gunsten seiner Manufacturproduction einen Differenzzoll erlange, wodurch ihm der ausschließliche Manufacturproductenmarkt in Holland und seinen Colonien gesichert wird; oder — im Weigerungs­ fälle — daß es selbst in Ansehung der Colonialwaareneinfuhr zu Gunsten der Produkte von Mittel- und Südamerika und. den freien Märkten von Westindien einen Differenzzoll einführe. Auch läge in der letzten Maaßregel daS wirksamste Mittel, Holland zum Anschluß an den deutschen Zollverein Motive zu geben."

London, 4. December 1879. Mit dem Streit über Schutzzoll und Freihandel geht Hand in Hand die Diskussion über einfache und doppelte Währung. Da in einem Staate oder in einem zu wirtschaftlichem Leben ver­ einigten Staatenverbande nur eine Waare wirklich als Geld d. h. als allgemeines Tauschmittel und Preismaß

benutzt werden kann, weil

nur dann die Preise aller andern Waaren direkt vergleichbar sind, so sollten auch in einem solchen Staate nur Münzen eines Metalls Wäh­

rung d. h. gesetzliche Zahlungsmittel sein. Die Doppelwährung hat Bequemlichkeiten, die aber nicht Borteile

genannt werde» können, denn sie verschwinden gegen die großen Nach­ teile, welche im internationalen Verkehr durch die periodische Ausfuhr

der Münzen desjenigen Metalls entstehen, das zeitweise auf dem inter­

nationalen Markte teurer ist, als "nach lokalen gesetzlichen Wertbestim­

mungen. Eine internationale Doppelwährung könnte nur unter Anschluß

aller Staaten ohne Ausnahme und unter einer — unmöglichen —

Garantie unverbrüchlichen Zusammenhaltens, wirksam sein; aber selbst die von einer solchen in Aussicht gestellten Vorteile gleichzeitiger Be­

nutzung beider Metalle zu einem gemeinnützlichen Zwecke und größerer Unabhängigkeit von den Wechseln in den produzierten Mengen des einen

oder andern Metalls wird auch erreicht, wenn ein Teil der Staaten Gold, der andere Silberwährung hat; denn der Zweck des internatio­ nalen Handels ist der Produkten- und Waarenaustausch, nicht der Geld­

handel, so einträglich dieser sich auch mitunter für den Einzelnen er­ weisen mag.

Abgesehen von den Nachteilen und Ungelegenheiten, welche

aus der Doppelwährung den Staaten erwachsen (es sei nur -bcS störenden Einflusses des Papiergeldes, wie jüngst in Italien erwähnt) ist auch noch auf die demoralisierende Ungerechtigkeit hinzuweisen, welche bei der

Doppelwährung in allen Fällen den Schuldner, worunter der Staat mit

358 seinen Anleihen selbst einbegriffen,

durch

die Option seine Verpflich­

tungen jederzeit in dem momentan billigen Metall zu erfüllen, vor dem

Gläubiger bevorzugt.

Die Frage, ob Goldwährung oder Silberwährung vorzu­ ziehen sei, ist nicht principiell zu gunsten des einen oder des andern Metalls zu entscheiden, sondern hängt von den wirtschaftlichen Berhältniffen der Bevölkerung ab, für welche sie in Aussicht genommen wird. Ist das Land reich genug

und große Wertsummen kommen häufig im

Verkehr vor, so verdient die Goldwährung den Vorzug, weil Gold fast

alle genieinsanien Vorzüge der edlen Metalle in höherem Grade besitzt wie Silber, weil

bei Gold die Aufrechterhaltung deS Münzfußes in

Folge der Abnutzung weniger kostspielig ist wie bei Silber, und weil bei Einführung der Goldwährung daS Silber als Scheidemünze zweckmäßige Verwendung findet, während bei der Silberwähruug das Gold nicht bequem verwendet werden kann. Wichtiger als die Entscheidung für daS eine oder daS andere der

beiden Metalle ist aber, daß nach getroffener Wahl man unverbrüchlich bei dem einen bleibe, denn nichts hemmt mehr den soliden Unter­ nehmungsgeist, den auf jede Weise zu fördern daS allgemeine Jntereffe

erheischt,

als Ungewißheit und Furcht vor Veränderungen in Anord­

nungen und-Gesetzen für daS wirtschaftliche Leben, in welches nichts so tief und allseitig eingreift, wie daS gesetzlich gültige Wertmaß.

Verderblicher und demoralisierender wie alles

andere find die,

durch die Möglichkeit derartiger Veränderungen, den, unter solchen Ber-

anlaffungen, sich leicht bildenden finanziellen Cliquen, gebotenen und von ihnen eifrig ansgebeuteten Gelegenheiten auf die Beschlußnahmen der je­

weiligen Regierungen mit allen erdenklichen Mitteln bestimmenden Ein­

fluß zu üben. Zahlreich sind die an Umfang und Gehalt sehr verschiedenen Ab­

handlungen über Geld, Münzwesen und Währung und fast jeder Tag

bringt in neuer Fassung oft recht alte, und diese oft die besten, Ge­

danken.

Lies vor allem:

Charles, Ist Lord Liverpool, A treatise on the coins of the Realm in a lotter to the hing, 1805. Es ist dies ein seit Jahren vergriffenes, aber gerade jetzt von den Direktoren der Bank of England neu herausgegebenes, für jeden, der

in diesen Fragen sich ein Urteil bilden will, unentbehrliches Werk, um so mehr, als auf den in demselben enthaltenen Vorschlägen die spätere

359

englische Gesetzgebung, der Bank-act von 1844, und somit das ganze gegenwärtige hiesige Geld- und Münzsystem beruhen. Many writers of acknowledged abilities, sagt Lord Liverpool, have treated of the principles of Coinage, and have certainly thrown great light on the Subject; but they have founded their Systems too much on principles merely speculative, and have not sufficiently adverted to many facts, with which the history of this and many other countries would have furnished tliem. By these they would have learnt to correct the errors they have sometimes committed, and they would have applied their principles with more certainty, and better success. It cannot be denied, that in all the affairs of life, particularly such as relate to the private concerns of a whole people, experience is the surest guide. In such transactions there are little circumstances, with which the merely speculative man is wholly unacquainted. ♦ These can be learnt only from experience; and, if proper attention be not paid to them, they will occasionally defeat the advantages expected to be derived from the wisest System founded on speculation alone. There is no circumstance that more clearly proves and illustrates the truth of this principle: „That Co ins, which are to be the principal (Standard) measure of property, can be made of one metal o n 1 yu, than the practice, which has long prevailed in several commercial states and countries on the continent, of making foreign bills, exceeding a certain amount, payable in what is usually called Bank-Money. These states are Subject, no lese than others, to the inconvenience of having their coins of different metals, ill-constructed with respect to their rela­ tive value, and of having them frequently very defeotive. But being generally of small extent of territory, they are exposed also to another -and still greater inconvenience: from being surrounded by many other countries, there is a constant influx of the Coins of all the neighbouring states into them, particularly if their commercial transactions are of great extent; so that their general currency consists of a mixture of their own Coins, and of those of the neighbouring countries, however ill-regulated or defective they may be. If bills of exchange were therefore to be paid in this mixed and imperfect currency, the uncertainty of the value of any snm, for which these bills might be drawn, would not only produce great embarrassment

360

in all mercantile dealings, but it would render the exchange always very much against euch a state or country; for the merchants of all nations are indnced, from motives of prudence, rather to undervalue the Coins of every state, with which they have any commercial intercourse. To provide against this evil, the governments of Venice, Genoa, Amsterdam and Hamburgh, and some others, have introduced a System, well adapted for their purpose. They have formed banks of deposit. The regulations of these different banks are various; but the general principle, on which they are all founded, is as follows. The directors or managers of these banks give recepisses, receipts or notes, in return for gold or silver Bullion, or Coins considered as Bullion, and sometimes for other Objects of value, plaoed by individuale in their custody; or they give them Credit in their books to the amount of the value thereof, with a right of transferring the same. • These receipts and this right of making transfers, in some countries called Bank-Money, are regulated by, and therefore represent, some one of the national Coins current in each of these States, exactly according to the Standard of their respective Mints; and they are understood therefore to retain, on this account, a certain and undisputed value; and as they are substantielly worth more than the defective Coins in currency, they osten bear, in reference to them, a premium, or what is called an Agio: this Agio is occasionally increased or diminished, in proportion to the scarcity and demand for these receipts or transfers. As it is required by the laws of these states, that foreign Bills of exchange in general, and some­ times other bills of a certain amount, should be paid only in this Bank-Money, it has gradually become the fixed Standard or measure, according to which great mercantile payments are principally made. The inferior branches of traffic within those countries are lest to be carried on in the Coins which are commonly current, whatever may be their intrinsic value.... It appears not only from the clearest deduction of reason, and by the concurrent opinion of the most eminent writers, but by the evidence, which long experience in this kingdom has afforded, to be a certain and incontrovertible principle, that Coins, which are to be the principal measure of property, can be made but of one metal only. The Coins made of other metals may be useful, and even

361 necessary; but they must fake their value, and pass in cnrrency, according to the rate or value given to them by the Sovereign, with reference to that sort of Coin, which is the principal measure of property, that is, of the Standard Coins. Hinsichtlich

der

Wahl

des

für ein Land paffenden Metalls,

ob

Gold oder Silber, heißt es:

Mr. Locke has said, that Gold is not the Money of the world and measure of commerce, nor fit to be so. It is difficult to determine what Mr. Locke means, when he asserts that Gold is not fit to be the money of the world. Gold as a metal, is equally homogeneous, equally divisible into exact portions or parts, and not more consumable, or more Subject to decay, than Silver; Gold has some of these qualities even in a higher degree than Silver. Mr. Locke must mean therefore, that Gold is, on account of its value, not fit to be the money of the world, or the measure of property and commerce. It cannot, I think, be doubted, that the metal, of which this principal measure of property is made, should correspond with the wealth and commerce of the country for which it is intended. Coins should be made of metals more or less valuable, in proportion to the wealth and commerce of the country, in which they are to be the measure of property.

In very poor countries Coins have been, and still are, principally made of Copper; and sometimes even of less valuable materiale.

In countries advanced to a certain degree of commerce and opulence, Silver is the metal of which Coins are principally made. In very rieh countries, and especially in those where great and extensive commerce is carried on, Gold is the most proper metal, of which this principal measure of property, and this Instrument of commerce, should be made: in such countries Gold will in practice become the principal measure of property, and the Instrument of commerce, with the general consent of the people, not only without the Support of law, but in spite of almost any law that may be enacted to the contrary; for the principal purchases and exchanges cannot there be made, with any convenience, in Coins of a less valuable metal. Paper currency should only be employed, where payment in Coins becomes inconvenient.

362 Und ausführlicher in bezug auf den Mißbrauch des Papiergeldes heißt es weiter:

It haß been a common artifice, practised by those who have written on Paper currenoy, to confonnd Paper Credit with Paper currency, and even the higher eorte of Paper currency with the in­ ferior sortß, euch ae immediately interfere with the nee of the Coine of the realm. Paper Credit ie not only highly convenient and beneficial, but ie even abeolutely neceeeary, in carrying on the trade of a great commercial country. But Paper currency ie a very undefined term, as ueed by epeculative writere. To find argumenta in ite eupport; at least to the extent to which it ie at present carried, they have been obliged to connect it with Paper Credit; eo that the principlee, on which the uee of Paper Credit ie truly founded, may be brought in eupport of a great emieeion of Paper currency.... The eort of Paper currency to which I principally Object, ie that which interferee with the uee of the Coine of the realm, more eepecially in the payment of labourere and artificere, of the eailor and eoldier, and in the emaller branchee of the retail trade. It ie certain that the principlee, on which epeculative writere would juetify the emieeion of Paper currency, would leave it almoet without limitation. The ableet writer on thie eubject, Dr. Adam Smith, appeare however eeneible, that there must be some limitation. That adopted by him ie, „that the whole Paper currency of every kind, which can eaeily circulate in any country, never can exceed the value of the Gold and Silver, of which it euppliee the place; or which (the commerce being euppoeed the eame) would circulate there, if there wae no Paper Money.u From thie paeeage it may be inferred, that even in thie writer’e opinion Paper currency may be ieeued to eo great an extent, ae to take the place of all the Gold and Silver Coine neceeeary for carrying on the commerce of the kingdom, though it cannot eaeily be carried to a greater. But later writere pay no attention to the moderation, with which thie master of political economy hae eupported hie eyetem: and ae they are not eatified with the opinion thue given, we may preeume they mean, that Paper currency may be made to repreeent, according to the eyetem of the well-known Mr. Law, even immovable property; that ie, a portion at leaet of the lande and buildings of the kingdom, and ae euch eent into circulation. It eeame to have been diecovered

363

of late years in this country, that, by a new sort of alchemy, Coins of Gold and Kilver, and almost every other ßort of property, may be converted into Paper; and that the precious metals had better be exported to serve as Capital, to foreign countries, where no such discovery has yet been made. But this new sort of fictitious Capi­ tal, thue introduced within the kingdom, has contributed more than any other circumstance to what is called over-trading; that is, rash and inconsiderate speculations, and what is almost a necessary consequence, unworthy artifices to Support the Credit of adventurers already ruined, as well as other evils, which tend to corrupt the morals of the trading part of the Community, and to shake the Cre­ dit on which not enly Paper currency, but the internal commerce of the kingdom is founded. In every commercial System, Capital is certainly a necessary ingredient: but the prosperity of the British commerce dopende not singly on Capital; it dopende still more on the good faith, honour, and punctuality of British merchants, for which they are so justly celebrated.u

Lord Liverpool Vertritt aufs entschiedenste die einfache Währung, und niemand sollte ohne Kenntnis aller von ihm angeführten Thatsachen in dieser Frage ein Urteil sich anmaßen. Auch ein Auszug aus der Times wird Dich interessieren: Is anything could give force to the arguments so osten presented, it would be the subsequent experience of other countries which have failed to adopt in their monetary Systems the principle of a single Standard metal, or have made an imperfect application of the principle. France adopted a bi-metallic law at the beginning of the Cen­ tury through fear of losing the gold it had in circulation. But the gold kept leaving it, and by the time of the Australian and Californian gold discoveries it was almost bare of gold. Then came a change, silver leaving France as gold became abundant and cheap, gold taking its place. Lately there has been a third change, gold again leaving and silver flowing back — a* change which has been partially arrested, but only at the cost of the still more doubtful expedient of suspending the free coinage of silver by arbitrary legal enactment. While in England we have had no change, France has been subjected to all these difficulties, and now has a more difficult probiern than ever to face, having on its bände a mass of

864 silver coin, current as fall legal tender, which, it hardly dares to demonetize, yet being afraid to restore the bi-metallic law and so permit a flood of new silver to displace the gold. Germany, again, having halted in its advanoe to a single gold Standard — the result apparently of choosing the wrong metal, as silver would have been more oonvenient than gold to a country in the economic position of Germany — also finds itself in much the Position of France, with a stock of silver it hardly dares to seil and yet afraid to apply rightly the principle of mono-metallism by falling back on silver. The United States, again, are in a similar predicament through not leaving untouched the arrangements made for resnming speoie payments on a gold Standard, which have answered perfectly. Holland is a fourth country which is in difficulties. It has meddled arbitrarily several times, giving up gold for silver in 1847 in consequence of a dreaded abundance of gold, stopping the coinage of silver a few years ago in consequence of the dreaded abundance of silver, and now in doubt what the next pteps will be in working the System with which it has arbitrarily interfered. From all such vaccillations and interferences, which thrust npon Governments a most unwelcome and dangerous business, England has been happily free, and in time our neighbours will make the discovery that the best course for them is to follow our exemple.

London, 12. December 1879.

„Wenn

schon

bei

der Nationalökonomie,

Entwickelungsgeschichte sich

an

der verschiedenen Systeme

knüpft,

die Namen weil

sagt Dühring, die

der persönliche» Urheber

eine Gesammtlehre

oder ein

allgemein anerkanntes System, eine begründete Wissenschaft noch nicht vorhanden ist,

so gilt dies noch mehr von der umfassenderen Gesell­

schaftslehre, die weit über die materiellen Interessen hinausreicht,

und hierbei kommt daher der individuelle Charakter und die Sitten der sich

mit Berbefferungsentwürfen

für die menschliche Gesellschaft befas­

senden Individuen wesentlich in Betracht, denn es nimmt sich wunder­ lich

aus,

wenn ein

lüderlicher

und schamloser Schriftsteller, welcher

noch nicht einmal dem geringe» sittlichen Fond der alten Gesellschaft zu

genügen vermochte, seine Corruptheit zur Norm einer neuen Gesellschaft erheben will."

Darin liegt viel Wahres,

darfst Du

jedoch

nicht so weit gehen

in allen Fällen den Wert eines Buches nach dem moralischen Lebens­

wandel seien

Es

seines Berfasiers,

handelt sich

das, waS darin

oder gar nach seinen orthodoxen Ansichten,

oder staatliche,

politische oder sociale, zu bemessen.

bei den Büchern,

die wissenschaftlich sein wollen, um

es kirchliche

steht.

In

bezug

hierauf bemerke Dir

ein Wort

Goethe's in den Anmerkungen zu „Rameau's Neffe".

„Die Grundsätze, wonach Talente zu beurtheilen sind, werden nicht mit unS geboren, der Zufall überliefert sie nicht; durch Uebung und

Studium allein können wir dazu gelangen; aber sittliche Handlungen zu beurtheilen, dazu giebt Jedem sein eigene- Gewissen den vollständigsten

Maaßstab, und Jeder findet es sondern

behaglich,

an einem andern anzulegen.

diesen nicht an fich selbst,

Deshalb

fieht man besonders

Literatoren, die ihren Gegnern vor dem Publicum schaden wollen, ihnen moralische Mängel,

Vergehungen,

muthmaßliche Abfichten und wahr­

scheinliche Folgen ihrer Handlungen vorwerfen".

366 LlS Einleitung zu dieser Gesellschaftslehre oder sogenannten Social-

wiffenschast empfehle ich Dir

Louis Bey band, stades sur les reformateurs ou socialistes

modernes, 7me cd. 1864. So eifrig Reybaud auch gegen Auguste Comte zu Felde zieht,

teilweise auS den von Dühring herangezogenen Gründen, so unterlaß doch nicht auS dessen „Cours de philosophie positive“, 1830/42, den

4. Band zu studieren, der über die

Partie dogmatique de la philosophie sociale (1839) handelt. Ferner empfehle ich Dir:

Herbert Spencer’s: Essays Scientific, Political and Speculative 1858—1863; Descriptive Sociology 1874, und Principles of Sociology 1879. Hüte Dich beim Lesen derartiger Schriften in verschiedenen Sprachen vor der unsinnigen Verwechslung gleichlautender,

aber verschiedenes

bezeichnender Wörter, wie z. B. Communism und Commune.

Gerade

in bezug hierauf sagt

Mrs. Fawcett: Communism has no connection with the doings of the Commune at Paris in 1871, the french word meaning „township“ or „Corporation“. In every town and village there is corporate property called „Les biens communaux“, and this property is vested in the Corporation or „commune“. The similarity however of the french word for Corporation to ours for expressing the dootrine of Community of goods, has led to a great amount of misconception and confusion, even among writers who are generally careful and well informed. The revolution of the Commune in Paris was entirely political; it propounded no new economic theories. It arose from a joint effort of many sections of extreme politicians who were agreed in nothing but in demanding the establishment of 1) a democratic republic and 2) the communal, or corporate independence of Paris. Only about seyen of the seventy members of the Communal Government were communists in the economic sense, and these seyen were among the most thoughtful and least violent of the party to which they belonged.“ In

neuester Zeit wird

die Soeialwiffenschast am

eifrigsten

in

Deutschland gepflegt: Karl Marx, Das Kapital, Kritik der politischen Oekonomie, 1878.

367 Albert E. F. Schaeffle, Bail und Leben des socialen Körpers,

namentlich der dritte Band: Kapitalismus und Socialismus.

2. Aufl. 1878, und Franz Mehring, Die dentsche Socialdemokratte, 2. Aufl., 1878, werden Dir genügen.

Einzelne beachtenswerte Artikel bringt auch das „Jahrbuch" von

F. v. Holtzendorf und L. Brentano; auch die Abhandlungen von Gustav Schmoller über Rechts- und Volkswirtschaft, sowie über

sociale Fragen verdienen Deine Aufmerksamkeit. Sei aber bei allen Schriften, welche Parteiintereflen dienen, miß­ trauisch gegen kurze Auszüge und Anführung von Autoritäten. Geraten

ist es dann immer, in den Originalen selbst nachzusehen, namentlich wenn es sich um Übersetzungen handelt. Ein Beispiel reicht hin: F. Mehring in seinem oben angeführten Werke teilt mit: „Die von Karl Marx wenige Wochen nach Lassälle’s Tode für die

internattonale Arbeiteraffociation auf einem londoner Meeting, ver­ vornehmlich die große Thatsache,

faßte Jnauguraladresse behandelt

daß das Elend der Arbeiterclaffen in den Jahren von 1848—64 sich

nicht vermindert habe, obgleich gerade diese Periode in den Annalen der Geschichte beispiellos dastehe in Bezug auf die Entwicklung der In­

dustrie und des Handels.

Wie immer, exemplicirt Marx hier auf Eng­

land; der Höhepuntt der Adresse ist eine Aeußerung Gladetone’s, den Marx in einer Budgetrede vom 16. April 1863 voll „milder Ent­

zückung" ausrufcn läßt: „In den Jahren 1842—1852 hat sich das steuerpflichtige Einkommen des Landes um 6% vermehrt, in den acht

Jahren von 1853—1861

hat cs im Verhältniß zum Einkommen des

Jahres 1853 mit 20% zugenommen.

Diese Thatsache ist so staunens-

werth, daß sie beinahe unglaublich ist... Diese berauschende Ver­

mehrung von Reichthum und Macht, ftigt Mr. Gladstone hinzu,

ist ganz und

gar auf die besitzend en Klassen beschränkt."

Dies Citat ist der große Knalleffect der Jnauguraladresse; es hat eine weite Berühmtheit erlangt und ist bis auf den heutigen Tag von De­

magogen jeglichen Kalibers

benutzt worden als schlagender Beleg für

das rettungslose Verkommen der Arbeiterclasse bei Fortdauer der heuttgen gesellschaftlichen und staatlichen Zustände....

„Nach dem Hervorheben jener ein rapides Wachsthum des steuerpflichttgen Einkommens in England constatirenden Zahlen hat aber Gladstone nicht hinzugefügt, was Marx ihn hinzufügen läßt,

sondern

368 nach Hansard’s Ausgabe der Parlament-debatten folgende-: hält sich die Sache, geht.

„So ver­

wa- die allgemeine Annahme der Anhäufung an­

Aber waS mich angeht, so muß ich sagen, daß ich mit Schmerz

rnib mit großer Besorgniß auf diese- außerordentliche und beinahe be­ rauschende Wachsthum sehen würde,

wenn ich glauben müßte,

daß es

auf diejenige Klaffe von Personen beschränkt sei, die als in angenehmen

Verhältnissen

befindlich zu bezeichnen ist.

Die Zahlen, welche ich an­

geführt habe, nehmen wenig oder gar keine Kenntniß von der Lage der­ jenigen, welche keine Einkommensteuer bezahlen, oder mit andern Wor­

ten:

obwohl fie zur Kenntniß

der Wahrheit im Allgemeinen hinrei­

chend genau find, nehmen sie keine Kenntniß vom Eigenthum der Ar-

beiterbevölkernng und von

der Zunahme

Indirekt ist allerdings die

des Eigenthums

derselben.

bloße Zunahme deS Kapitals von

dem

äußersten Bortheil für die Arbeiterklaffe, weil diese Zunahme die Waare

verbilligt, welche in dem ganzen Productionsproceß mit der Arbeit un­

mittelbar in Concurrenz kommt. Aber außerdem, kann man mit Sicherheit

behaupte», sind der Maffe des Volks unmittelbarere und größere Vor­ theile zu Theil geworden.

Es

Troste-,

zu

weniger

arm geworden sind.

erwägen,

ist eine Sache tiefen und unschätzbaren

daß während

die Reichen reicher,

die Armen

Ich will mich nicht unterfangen, zu be­

stimmen, ob die weite Kluft, welche die äußersten Enden von Reichthum und Armuth trennt,

weniger oder mehr weit als in früherer Zeit ge­

worden ist. Aber wenn wir die Durchschnittslage des britischen

Arbeiters

betrachten,

sei er Bauer oder Bergmann,

gelernter oder

ungelernter Arbeiter, so wissen wir aus mannigfachen und un­

zweifelhaften Zeugnissen, daß in den letzten zwanzig Jah­

ren

eine

derartige Vermehrung

stattgefunden

der

hat,

seiner Mittel zum Leben

daß wir sie beinahe für beispiellos in

Geschichte jeglichen Landes

und jeglichen Zeitalters

erklären können." An

dje Wirtschaftslehre

und

die

sogenannte

Socialwiffenschast

schließen sich die Werke über „Völkerrecht" an. Ich gebe Dir folgende:

Hugo Grotius, Le droit de la guerre et de la paix, 1625. übersetzt mit interessanter Vorrede von P. Pradier-Fodäte.

On ne eaurait dire, sagt Rousseau, combien le d6faut de ne se

pas faire des notions exactes de l’autorite souveraine a jete l’obscu-

rit6 sur les decisione des auteurs en mattere de

droit politique,

quand ils ont voulu juger des droits respectifs des rois et des peuples

369

sur les principes qu’ils avaient etablis. Chacun pent voir, dans les chapitres III et IV du premier livre de Grotius, Comment ce savant homme et son traducteur Barbeyrac s’enchevetrent, s’embarrasBent dans leurs sophismes, crainte d’en dire trop ou de n’en pas dire assez seien leurs vues, et de choquer les intSrets qu’ils avaient L concilier. Grotius, refugie en France, m6content de sa patrie, et voulant faire sa cour ä Louis XIII, ä, qui son livre est dedie, n’epargne rien pour depouiller les peuples de tous leurs droits et pour en revetir les rois avec tont Tart possible. C’eüt bien et6 aussi le goüt de Barbeyrac, qui dediait sa traduction au roi d’Angleterre Georges I. Mais malheureusement Fexpulsion de Jacques II, qu'il appelle abdication, le for$ait a se tenir sur la räserve, ä gauchir, ä tergiverser, pour ne pas faire de Guillaume un usurpateur. Si ces deux ecrivains avaient adopte les vrais principes, toutes les difficultes 6taient leväes, et ils eussent et6 toujours consäquents; mais ils auraient tristement dit la v6rit6, et n'auraient fait leur cour qu’au peuple. Or, la verite ne möne point ä la fortune, et le peuple ne donne ni ambassades, ni chaires, ni pensions.

Vattel, Le droit des gens, ou Principes de la loi naturelle appliquee ä la conduite et aux affaires des nations et des souverains, 1758, gleichfalls herausgegeben von P. Pradier-Fodere; er sagt in dem avantpropos: „Peut-6tre sera-t-il quelquefois utile de rappeler aux g£närations trompäes par le succes ephemere de la force, Fßternelle virit6 du droit.u C. F. de Martens, Precis du droit des gens moderne de FEurope. Nouvelle Edition par Cb. Verg6, 1858, und A.

W.

Heffter,

Das

europäische

Völkerrecht der

Gegenwart,

5. Aufl., 1867. Zum großen Teil beschäftigen diese Schriften sich noch mit der

Lehre von dem „europäischen Gleichgewicht."

The theory of the Balance of Power, sagt H. Reeve, has exercised a preponderating influence over the policy of European statesmen for more than two hundred years, from the treaty of West­ phalia until the middle of the present Century. The principle is expressed by FSnelon in his „Examen de conscience sur les devoirs de la royaute“:

370 „Quand une puissance monte k un point, que toutes les autres puissances voisines ensemble ne peuvent plus lui r6sister, toutes ces autres sont en droit de se liguer pour pr6venir cet accroissement, aprös lequel 11 ne serait plus temps de d6fendre la liberti commune ......... Cette attention k maintenir une espfcce d’6galit6 et d’6quilibre entre les nations voisines est ce qui en assure le repos commun. A cet egard, toutes les nations voisines et li6es par le commerce fönt un grand corps et une esp6ce de communaut6. Par exemple, la chr6tiente fait une espice de r6publique g6nerale, qui a ses int6r£ts, ses craintes, ses pr6cautions k observer: tone les membres, qui composent ce grand corps, se doivent les uns aux autres pour le bien commun, et se doivent encore k eux-memes, pour la suretS da la patrie, de prevenir tout progres de quelqu’un des membres qui renverserait Tequilibre, et qui se tournerait k la ruine inävitable de tous les autres membres du meme corps. Tout ce qui change ou altere ce syst6me g6neral de fEurope est trop dangereux, et traine apres soi des maux infinis. „Toutes les nations voisines sont tellement li6es par leurs intSrets les unes aux autres, et au gros de l’Europe, que les moindres progrfes particuliers peuvent älterer ce Systeme general qui fait 1’6quilibre, et qui peut seul faire la sürete publique. Otez une pierre d’une voute, tout Fedifice tombe, parce que toutes les pierres se soutiennent en se contre-poussant“. Whatever may be the value of these philantropic principles, history reminds us that when they were most loudly professed they were most frequently violated. But even down to our own times this theory has not been without an important influence; for the Crimean war of 1854 was undertaken by England and France for no other object than to maintain the Balance of Power in Eastern Europe, and to prevent the aggrandisement of Russia by the dismemberment of the Ottoman Empire and the conquest of Constantinople. Nevertheless there is, perhaps, no principle of political Science, long and universally accepted by the wisest statesmen, on which modern opinion has within the last twenty years, undergone a greater change; and this change of opinion is not merely speculative, it has regulated and controlled the policy of the most powerful states, and of none more than of Great Britain, in her dealings with the Continent of Europe. Before the Crimean war the

371

theory of the Balance of Power was believed to be so firmly established, both by reason and experience, that it was laid down, in the forcible words of Earl Grey, „that the poorest peasant in Eng­ land is interested in the balance of power, and that this country ought to interfere whenever that balance appeared to be really in danger.“ Within the last fifteen years (written in 1875) political changes of extraordinary magnitude have been brought about in Europe by force of arm s and by revolutions. In former tim es such changes would certainly have led to a general war, on the principle that it was essential to maintain the relative strength and independence of states, and to Support the fabric of European policy. But, under the policy of non-intervention, the effects of these contests have been conüned to the states which were directly engaged in them; and the other powers of Europe have maintained a cautious neutrality, which has probably not lessened their own strength, and which has saved the world from a general conflagration. But the recognition of certain mutual obligations and principles of public law is the fundamental condition of Civilisation itself. Nothing can be more injurious to Society than that the states of Europe should exist without alliances, without mutual confidence, without a common System based on the principles of justice and of peace, the weak living in dread of the strong, the strong armed to the teeth against each other. We trust that before another great catastrophe arises from this state of disguised hostility, a truer balance of power may be established by a return to sounder principles; for peace can never be secure unless it is protected by the concurrence of the leading nations of the world, and by their determination to oppose a combined resistance to those who have no object but their own aggrandisement and ambition. Das neue System hat die Karte Europas

schon wesentlich ver­

ändert: Der italienische Krieg von 1859 brachte Savoyen

und Nizza an

Frankreich. Der Krieg mit Dänemark in 1864 vereinigte Holstein, Lauenburg und Schleswig mit Preußen. Der Krieg mit Österreich in 1866 machte ein einiges Italien und

gab ihm Venedig und die Lombardei zurück.

372 Der Krieg von 1870 mit Frankreich besiegelte die Ausscheidung Österreichs aus Deutschland, gründete das Deutsche Reich und eroberte ihm die vor zweihundert Jahren geraubten Provinzen Elsaß und Lothringen. Ans dem Kriege von 1878 mit der Türkei fiel an Österreich

Bosnien und Herzegovina, an England Cypern, und gründlich wurde der türkische Staatenverband gelockert, eine leichte Beute neuer Raub­ anfälle. Während so die kontinentalen Großmächte unter energischer Mit­ wirkung Englands mit Verschiebung und Erweiterung ihrer Grenzen beschäftigt, ist England, selbst unbehindert, darauf bedacht gewesen sein Kolonialreich zu erweitern, durch Annexion der Eiji Islands, des Transvaal (eines Frankreich an Flächenraum übertreffenden, fruchtbaren TerritorinmS), durch Operationen gegen die Zulus nnd gegen Afghanistan, von denen die letztern noch nicht beendet. „The Zulu war, sagt Lord Beaconsfield, has occurred and we have endeavoured to extract from its occurrence the most advantageous consequences for this country: security of our colonial fellow-subjects, and the civilizing expansion of our commercial relations.“ Zum Schluß noch eine Specialität für Deinen Beruf: P. Leroy-Beaulieu, Traiti de la Science des finances, 1876. Der Verfasser, der Schwiegersohn des dieser Tage, 28. November, gestorbenen Michel Chevalier definiert den von ihm behandelten Ge­ genstand : „C’est la Science des revepus publics et de la mise en oeuvre de ces revenus. Les revenus publics sont la substance meine des finances; les rfcgles pour la gestion des derniers, les proc6dis d’emprunt, d’amortissement etc., en sont la mise en oeuvre et constituent ce que nous pourrions appeler la partie extirieure des financesu und Du findest in seinem Werke die Schriften über Finanzwiffenschaft von C. H. Rau, 1869; L. v. Stein, 1871; und A. Wagner, 1872, berücksichtigt, so wie ausführliche Abhandlungen über „Besteuerung". Die überreichen Auszüge aus einzelnen Büchern, sollen Dir den Gang nach den Quellen nicht ersparen, vielmehr Dich dahin treiben. Und nun genug von Büchern. Zu viel schon, wirst Du vielleicht sagen und nicht abzusehen vermeinen, wo die Zeit herzunehmen, Dich ein­ gehend auch nur mit einem Teil derselben zu beschäftigen. Vertraue

373 dem Spruch: Time is elastic, and nobody knows how much may be put into it until they try. Der Erfolg in Deinem, wie in jedem andern Beruf,

hängt von

vielen Zufälligkeiten d. h. von Verhältnissen ab, welche sich der Beur­

teilung entziehen — hauptsächlich aber von Deiner Befähigung, wo­ zu ich namentlich Charakter rechne d. h. Freiheit und Vorurteilslosig­

keit der Gesinnung, woraus sich die Fähigkeit crgiebt, zu wissen was Du willst; von Deinem Fleiß und von Deiner Ausdauer: entschiedenes Bestreben in all Deinem Denken und Thun d. h. Wille und Fähig­

keit mit Energie unmittelbare Zwecke zu verfolgen, also Festigkeit in der Entschließung und Beweglichkeit in der Ausführung des Beschlossenen. Laß „age quod agisu Dein Wahlspruch sein.

Deine Befähigung schließt richtiges Urteil ein über Verhältnisse

und Menschen,

und jenes ist am besten in regem Verkehr mit diesen

zu erwerben. Die Bücher, für welche ich Dein Interesse angeregt habe, sollen dazu beitragen Dir die Anknüpfung und Unterhaltung dieses per­ sönlichen Verkehrs zu vermitteln, der nur da fruchtbringend,

wo der

Gedankenaustausch leicht und lebendig.

„Zwar ist's mit der Gedankenfabrik, Wie mit einem Webermeisterstück, Wo ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schießen,

Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:

Der Philosoph, der tritt herein, Und beweist euch, es müßt' so sein,

Das Erst' wär so, das Zweite so, Und wenn das Erst' und Zweit' nicht wär', Das Dritt' und Viert' wär nimnrermehr; Das preisen die Schüler aller Orten,

Sind aber keine Weber geworden." Werde Du ein Weber.

fehlbares Mittel: labora!

Es giebt nur einen sichern Weg, ein un­

Berichtigungen. 48 Z 10 V- u. statt eimal 51 3 o. intessante 4 87 Keppler u. 103 8 o. plainement 115 4 o. sublient 115 4 ou o. 115 5 o. nouveaux 122 2 o. agrieved 4 126 11. copions 127 10 o. lenght 151 22 out o. 191 2 developped o. 193 13 u. are 225 0. ou 20 255 7 o. personelle

l. einmal. interessante. Kepler.

II

pleinement. oublient. vu. nouvelles. aggrieved. copious. length. ont. developed. ere. OU. personnelle.

UaiverstlLtS-Buchdruckerei von Earl @corgl in Bonn.