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German Pages 244 [260] Year 1835
Blicke auf die
Gildung unserer Zeil und auf
Wissenschaft und Kunst der Bildung.
Von
Friedrich Wilhelm Tittmann.
Leipzig, bei
G.
Reimer.
1 8 3 5.
Inhalt
1.
Von dem Wesen der Bildung.......................................
.
.
Seite 1
2.
Von dem Begriffe der Bildung unserer Zeit .....
3.
Ueber Nationalbildung und Weltbildung.......................................... 18
4.
Von der Richtung auf das Höhere................................
5.
Ernst, Strenge, Gewissen
6.
Scharfe, Nichtigkeit, Bestimmtheit, Tiefe, Klarheit
7.
Geist........................................................................................ .......
69
8.
Ausbildung der Rede..................................................
78
9.
Bildung für Kunst und Schönheit........................................
13
28
...........
.
.
55
10.
Bildung an klassischen Werken.......................................
11.
Philosophie...............................................................................114
12.
Sittliche Bildung.............................................................
13.
Von unserem öffentlichen Leben.................................
14.
Religiöse Bildung
15.
Wissenschaft und Kunst der Bildung in unserer Aeit
16.
Ergebniß............................................
.
46
86
101
136 155
.............................................................. .
164
.
174
207
1.
Von dem Wesen der Bildung. Qfin Volk, welches nur einen kleinen Theil der Erde kannte, eine höchst dürftige
Geschichte
unabsehbarem Abstande gegen
hatte,
in
unsere Zeit
Naturforschung
war,
zurück
in
von
der Welt so wenig wußte, daß es glaubte, der Himmel drehe sich um die Erde, welches von den zahllosen
Leben
erfolgreichen
Entdeckungen
Zeiten keine Ahnung hatte,
einer Stufe der
und
und
Erfindungen
dieses Volk stand
Bildung, von
welcher
die
für
das
späterer
dennoch
auf
folgenden zwei
Jahrtausende fern geblieben sind und die Zukunft, wie mich dünkt,
fern bleiben wird.
Wie groß auch der Gewinn seyn möchte von
dem, was wir vor den Griechen voraus haben, — obschon
die Bekanntschaft mit mehr Erdtheilen und mit mehr Plane ten uns nicht so viel höher stellt in der Bildung, wie man
glaubt, — Alles was wir besitzen, wird weit von der Gei stesbildung der Griechen überwogen.
Alle die Kenntnisse also, welche das gebildetste Volk der
Erde nicht hatte, und die wir vor ihm voraus
haben, kön
nen nicht das Wesen der Bildung ausmachen. Der Grad des
Besitzthums an Kenntnissen ist nicht Maßstab der Bildung weder die Ausdehnung des Kreises, noch die Vollständigkeit der Kenntniß l
2 von einem Gegenstände.
Zeder sieht,
daß
man im Besitze
solcher Kenntniß sehr wenig gebildet sein kann; ja es wird Pedantismus und Ungeschick
als
solchem Wissen
nahe liegend
um
von uns die
betrachtet. Allein wir können nicht genug thun,
Täuschung abzuwehren, welche aus der Convenienz der Zei
ten
und
aus
Glänzenden
der Vordringlichkeit
des
Aeußern
Ausführlicher
wird
hierüber
fließt.
Abschnitte dieser Schrift zu
sprechen
sein,
und
des
im letzten
nach
wir
wenn
der Quelle der Täuschungen unserer Zeit in der Ansicht von Jede Zeit hat ihre Convenienz,
ihrer eignen Bildung forschen.
welche diese oder jene Kenntniß zu einem Merkmal und ei
ner
Bedingung
der
Bildung
wie etwa eine über das
Ansicht wohl gar Fertigkeit in dung hält.
durchaus
Wesen
der
fremden
erhebt,
willkührlich
ganz irrende
Bildung
Sprachen für Bil
Civilisation oder Cultur, die doch von Bildung
nicht dem Grade nach, sondern der Art nach verschieden ist,
Verfeinerung und
Bereicherung
des
Lebens
Nahrung,
in
für
Tracht, Wohnung, Geräthe, Vergnügungen wird dung genommen, obgleich
künstlichsten und
alles dieß bis zu dem
erfolgreichsten
Maschinen,
bis
zu Dampf
maschinen und Eisenbahnen hinauf nicht Bildung ist.
tur und Glanz des äußern Menschen
Bil
Besitz der
giebt leicht
Poli
mehr
ein
Ansehn der Bildung, als alle Erhöhung des innern Werthes.
Weder Fertigkeit, noch Kenntniß, auch nicht der Besitz der Wissenschaft, noch irgenh eine Bereicherung des gehört in anderm Sinne zur Bildung, als in
durch die Persönlichkeit vervollkommnet,
veredelt
so
Lebens
fern da
und verfei
nert, das Wesen und Vermögen des Menschen erhöht wirk
Besitz selbst philosophischer Wissenschaft, wie tief und ausge dehnt er sey, verleiht nicht an , sich Anspruch auf den Titel
der Bildung, sondern nur
in
Betracht der vorausgesetzten.
3 Vervollkommnung des Geistes.
Man wird nicht jeden Pro
fessor der Philosophie oder der Mathematik oder der Geschichte
auf seine Bildung
in Beziehung
dung anrechnen, in
dem
so fern man in ihm dadurch gewonnene
Die unbedeutendste Uebung
Verfeinerung des Geistes findet.
der Musik,
Sinnes
und
aber
wohl
jede Bekanntschaft mit diesen Wissenschaften für Bil
Laien
in
preisen,
die
der
weit
so
Schönheit
sie
zur
Musik,
zum
Verständniß
für
Empfänglichkeit
und
führt,
ohne
eigene
des
tiefen
die
Kunst
Ausübung
die Ausbildung des Sinnes für Musik wird als Veredelung,
Verfeinerung und Bereicherung des Geistes zur Bildung ge
rechnet, nicht aber ohne diese Beziehung die
größte Fertig-
tigkcit des Virtuosen. Der Werth und die Bildung des Menschen ruht in der
Richtung seines
Strebens,
in
seiner
der Erhöhung
Kraft,
in der Bereicherung des Geistes, und in der aus diesem Allem
aber auch
hervorgehenden,
wieder
Veredelung und Verfeinerung alles
an
sich zu
betrachtenden
Seins und Thuns,
al
ler Züge, aller Gestaltung.
Es liegt in dem Begriffe der Veredelung,
daß sie vor
Allem enthalten ist in der Richtung des Strebens
auf das,
was in dem Menschen das Höhere, was der Charakter des
höheren Lebens, was des Menschen höhere Bestimmung ist. Das Recht
des
Höheren bedarf keiner Nachweisung.
wird mit der Benennung selbst anerkannt. sein Recht darin, daß es das
Hohe
ist,
Das Hohe
In
tung aber hat der Strebende seinen Charakter.
des Strebens
ist
hat
Schöne
das
wie
das seinige darin, daß es das Schöne ist.
strebt, das ist. er.
Es
Rich
der
Was jeder
Charakter ist nichts Anderes als Richtung
und
Niedrigkeit, nach
Wollens. Hohem,
Streben das Hohe sei,
Nach Adel.
Niedrigem
Was
ist nicht Gegenstand
zu
aber des
1 *
streben
in
dem
Zwessels;
4 jeder weiß, was oben und was unten ist.
Und doch ist
wohl vielen ein Anstoß, wenn die Forderung des
ausgesprochen wird;
nach dem Höheren
es
sich
nicht
gern
klar
macht,
Anstoß
Blicke, der
Hohe
das
daß
ein
ist
dem in bequemer Niedrigkeit sich behagenden
Strebens
es
das
einmal
Hohe ist. Hier wäre der Ort von der Bestimmung des Menschen zu sprechen, wenn nicht der Verfasser schon in
einer
frühe
ren Schrift, über die Bestimmung des Gelehrten, an welche die gegenwärtige sich überall zu gegenseitiger Ergänzung an
schließt, seine Ansicht dargelegt hätte, und daher für angemes sen finden müßte, früher Gesagtes nicht zu wiederholen, son
dern
nur
Schrift ist
das
Ergebniß
aus
der
zusammen
Stufenfolge
zu
fassen.
der zwei
Lebens, nach dem Selbst und nach dem Außen, sen worden, daß der Charakter des
In jener
Richtungen
höheren
des
nachgewie-
Lebens in
der
Verläugnung des Selbst, in der Erhebung über die Indivi
dualität, in der Vereinigung mit dem Leben
eines
höheren
Ganzen und mit dem allgemeinen Gesetze, enthalten ist,— daß schon in dem Leben der organischen
Körper die
höhere
Richtung aus der individuellen Abgeschlossenheit herausstrebt und
dieses Streben immer auf der höheren Stufe zunimmt, und daß, wo Wille ist, die Erhebung über das
ben von der Vernunft geboten wird.
individuelle Le
Es ist dort die Ver
läugnung der Individualität und der Eintritt in
Ordnung von
der
zwiefachen
eine höhere
Seite betrachtet worden:
stens daß der Einzelne sein Gefühl und sein Begehren
seinen Willen über das eigene Interesse
hinaus
er
und
auf fremde
Interessen und auf die allgemeine Ordnung und das Gesetz,
auf daS Gute, das Edle, das Schöne richtet, daß fremdes Interesse und daß das Gute und Schöne sein Interesse ist;
zweitens daß
er,
mit dem
Erkenntnißvermögen,
ganz
aus
5 dem Kreise des äußeren Lebens, wo das Interesse Bortheil liegt, sich herauszieht, und sich
innern Leben, dem Leben in der
und
der
dem
hinwendet zu
Anschauung
und
Erkennt
niß der Welt und des Gesetzes und des Schönen und Gu ten.
Das Höhere des Menschen liegt
Gesetz,
zur Anschließung an das an
Sein
des
Herausgehn
aus
Leben
das
Dieß ist
das
Richtung des
und
die
an
Ordnung,
höhere
an
Ganzen,
das
die
Außen.
und
Individualität
der
welcher
in
Strebens,
der Bestimmung
in
die
Vervollkommnung
des eignen Wesens und jeder Leistung der höchste Zweck ist. Diese Richtung ist Bildung und Sittlichkeit und Güte, mit
welchen Worten man alle rechte Richtung bezeichnen möchte. Diese Richtung ist die Erhöhung des Wesens, und so weit
der Mensch sich von ihr
entfernt,
so
weit
reiht er sich
in
die niedern Kreise des Seins, so weit verfehlt er seine Be
stimmung.
Denn der
höhern Bestimmung
hinzugeben,
sich
ist die Bestimmung deS Menschen.
So ist also die
Richtung
auf das
Höchste der Bildung des Menschen, aller intellektuellen ist
das
wie
wie
Höhere
das
Streben
nach
nung, Verfeinerung, Veredelung, die einzig
durch
Verläugnung des
das
sie die Grundlage
geistigen Bildung ist; denn
Bildungsstreben,
auf das Selbst,
selbst
in
ihr
Vervollkomm
rechte Richtung
Selbst und
seine
Ausgebung an das Gesetz und an eine höhere Ordnung ein
vervollkommnetes, höheres Selbst wieder zu gewinnen.
Alle Kraft und Sicherheit dieses höheren Strebens aber,
also die wahre Grundlage aller Bildung und aller Sittlich keit, ruht in der Innerlichkeit des Triebes zur Vervollkomm
nung, welche in Beziehung auf das ganze Thun und Sein des Menschen überhaupt Ernst und
Beziehung
auf
die
Pflicht
Strenge,
Gewissenhaftigkeit
in
besonderer
heißt.
Wie
Gewissenhaftigkeit die Grundlage aller Sittlichkeit, so ist Ernst
6 und Strenge die Grundlage aller Bildung überhaupt/, und
der Leichtsinn ist das Verderben aller Bildung , wie die Ge wissenlosigkeit das Verderben aller Sittlichkeit ist. möchte dir
Worte
Ja man
nicht unterscheiden, sondern
Strenge alles Bildungsstrebens auch
mit dem
Ernst
und
Worte Ge
wissen bezeichnen, weil es nur Ein und derselbe Trieb, und weil es dem Menschen Pflicht ist, zu streben nach Vervollkomm
nung und Veredelung des ganzen Wesens nicht nur, sondern auch alles einzelnen Thuns, jeder Handlung und jeder Rede,
in Be
und aller Gattung des Seins und der Erscheinung,
ziehung auf Wahrheit, Richtigkeit, Genauigkeit, Angemessen heit,
Schärfe im Denken und Reden nicht minder als im
Wollen und Fühlen.
Das Zweite, worauf die Bildung ruht, ist die Erhöhung und
sowohl in Hinsicht
Gewandtheit der Kraft,
Schärfe,
Klarheit
Bestimmtheit,
und
die Feinheit des
fühl
und der Gesinnung,
in
und Taktes
Urtheils als
auch
auf die
Tiefe des Denkens
und
in
dem
Ge
Hinsicht auf die
Kraft und Festigkeit des Willens, des Strebens nach dem Guten und Schönen, nach Vervollkommnung, nach Bildung.
Die Ausbildung nun
sowohl
des intellektuellen Vermögens
als auch der Kraft des Willens hat wieder gemeinschaftliche
Grundlage mit der Bildung für die höhere Strebens.
Denn auch ihre
die Strenge.
Da sich
dies
Richtung des
ist
der Emst und
in Beziehung
auf die Kraft
Grundlage
des Willens mehr von selbst vor die Augen
stellen
möchte,
so möge es hier vorzugsweise in Rücksicht auf das
intellek
tuelle Vermögen betrachtet werden. Man gebraucht das Wort Scharffi'nn, vielleicht weniger das Wort Schärfe, auch in einem Sinne,
keit
des
Denkens
nicht
wesentlich
damit
wo die Richtig
verknüpft
Ein philosophisches System wird wohl auch dann
wird.
scharffin-
7 nig genannt, wenn man glaubt, daß es von heit weit abirre.
zu dem Wesen der Schärfe, daß die dringens in den
Wahr
der
Zn einem reineren Sinne hingegen gehört
Gegenstand
Feinheit ihres Ein
zur Wahrheit führe,
daß sie
wirklich auffinde, was tief liegt, statt daß jener Scharfsinn
mehr nur auffindet, was verborgen liegt.
Jedenfalls kann
der Scharffinn seinen hohen Werth nur dann haben,
er zur Richtigkeit und Klarheit führt.
wenn
was
Sonst ist,
er
leistet, bloß ein Kunststück, oder das mißlungene Werk eines sich auszeichnenden Vermögens, das viel leisten könnte, aber nicht leistet was es kann und soll.
als ein weniger
der
Und wo
sinn irrt, da führt er nur weiter
von der
Scharf
Richtigkeit ab,
scharfsinniges Denken, eben weil
er wei
ter führt.
Was aber die Schärfe mit der Wahrheit vereinigt, was
dem Gedanken und der Rede, deren Bildung von der Bil
dung des Gedankens nicht zu sondem ist, was
allem
Ur
theile Bestimmtheit und Klarheit, was allem Thun und al ler Gestaltung Angemessenheit giebt und in Allem das Rechte finden läßt, das ist wieder die Strenge mit ihrer Genauig
keit und Gründlichkeit,
zum nnverrückten
welche sich
nicht nachlassenden Strebens setzt,
Ziele
immer bis zur Wahrheit
zu dringen, immer das Rechte zu treffen; es ist der Ernst,
welcher nur von der Auffindung der
Wahrheit, sonst
nicht
von der, wenn auch noch so ungemeinen Leistung eines her
vorragenden Vermögens befriedigt werden kann. wöhnung zur
Richtigkeit,
Strenge ist
Bestimmtheit
also die Bildung zur
und
Klarheit des
Die
Ge
Schärfe,
Denkens
und
der Rede und alles Urtheils und Taktes, so wie zur Kraft
und
Tüchtigkeit des Willens
und
des
Charakters.
Und
wiederum ist die Gewöhnung an die Schärfe des Gedankens und der Rede, so wie an Bestimmtheit
und Festigkeit des
8 Bildung zur
Willens
Strenge,
Anwendung
sie
weil
und
Uebung der Strenge ist.
Hieran zunächst schließt sich wieder der Gewinn für Bildung aus der Bereicherung an Wissen und Können.
die
Denn
zunächst erscheint als Vervollkommnung durch Kenntnisse die
Geistes, , so wie
ses, daß die Kraft und Gewandtheit des
durch die Uebung bei der Erwerbung der Kenntnisse, so auch
durch ihren Besitz erhöht, ferner daß
Beschäftigung zur Richtung Allein
auch
Geistes
mit
an sich
Höhere
allerdings
kann
Kenntniß und
Geist durch jene
der
auf das
Ausstattung des
die
Erkenntniß
Bildung
Kenntniß
keit sei,
welche den
Geist
sein,
so
Der Frage nun,
weit sie Veredelung des Geistes gewährt.
welches der Charakter der
erregt wird.
oder
der Fertig
auch
veredelt und
Werth
verfeinert,
und Bildung des Menschen erhöht, ist die von Niemand be
zweifelte Bemerkung vorauszuschicken, dem Maße höheren
alle Kenntniß in
daß
Werth für die
Bildung
hat,
als
sie
mit Erkenntniß verbunden ist.
Die Kenntniß von Thatsäch
lichem hat zum
gar keinen,
großen
Theil
nie
aber
einen
gleichen Werth wie die Erkenntniß der Gründe, des Gesetzes,
des Wesens, des Geistes , des ihrer Bedeutung für das sen von
Charakters
Ganze.
dem Allgemeinen
der Dinge und
Hiernach hat das Wis
den Vorzug
vor
der Bekannt
schaft mit dem Besonderen. Der Werth der Gegenstände des Wissens selbst aber ist
darnach zu
messen,
Bestimmung des
wie
weit sie
Menschen
ten, was für den Menschen
Alle Bildung bezieht
selbst der
Erfüllung der
nahe liegen und solches enthal
zu
erkennen
sich auf das
das
Höhere
ist.
Ganze der Persönlichkeit.
Zunächst liegt also, was den Menschen unmittelbar und seine Persönlichkeit selbst betrifft, sodann was ihn immer-nach dem
Höheren zuwendet.
Der erste
aller
Gegenstände
der
Bil-
9 die
düng ist
Gesinnung
Erfüllung
wird. sittlichen
das
Sittlichkeit, das, wodurch
und das
Handeln
die
geregelt,
die
Menschen
des
Bestimmung
seiner
Streben,
und
Würde
seiner
gesichert
Allein gerade dieses Wissen und die Ausbildung
pflegt
Gesinnung
wenigsten
am
der
Veranlassung
zu
sein, daß Jemandem Bildung beigemeffen werde, da doch in der That der Mensch keine edlere Bildung haben kann, als
Feinheit des Urtheils und Takts in chen, Zartheit und
Erkenntniß
Sittli
des
Sittlichkeit des Gefühls, der Gesinnung
und des Handelns. Abgesehn von dem Verhältnisse des
Werth
lichkeit ist der
des
Wissens
Wissens zur
nach
Sitt
Höhe seines
der
Gegenstandes zu messen.
Erkenntniß ist Aufnahme des Ge
genstandes in den Geist.
Der Geist wächst durch Erkennt
niß nach dem Maße der Größe des aufgenommenen Gegen standes.
Und wie der Geist als
Kraft
nur
eine
intensive
Größe und keine Ausdehnung hat, so ist auch in dem Be-
sitzthume des
nie
Geistes
Viele
das
als ob es zusammen genommen
wie das Eine Größere. Höhe,
eine
zusammen zu
zählen,
gleiche
ergäbe,
Größe
Nicht solche Größe ist hier, sondern
die von keiner Zahl niedrigerer Dinge
Höheren Werth
für die
nachdem er das Gute
Bildung hat der
oder das
Schöne,
erreicht wird.
Gegenstand,
und
je
je
nachdem
er Tiefe des Verständnisses der Erscheinungen der Welt, ih res Charakters und ihrer Bedeutung
enthält,
setze des Lebens und der Welt,
Natur
der
auf die
Ge
und des
Gei
stes, der Vollendung und des Göttlichen sich bezieht. Es ist die Bemerkung gemacht worden, ges Leben .vor
andern denen
mit großen Ideen
und
also die Erfüllung der Lebenskraft erhöhe.
daß
zu »Theil werde,
ihrer Ausführung
ein
lan
welche
sich
beschäftigen,
daß
Seele, von dieser Beschäftigung
die
Wenn die Lebenskraft überhaupt, wenn
10 wird dadurch gewiß auch die Geistes
körperliche Kraft, so
kraft erhöht und gestärkt. sichtspunkt für die
Hiervon hauptsächlich ist der Ge
Gegenstände der
Bildung zu
nehmen.
Nicht bloß Uebung und Gewandtheit des Verstandes kömmt
in Betrachtung, welche vielleicht auch an kleinen Gegenstän
den erreicht werden könnte, weil sie nur Schwierigkeit, nicht Größe der Gegenstände erfodert.
Aber nicht
hierauf allein
ist bei der Wahl der Gegenstände der Bildung und inson derheit des Jugendunterrichts, zu sehen, sondem vornehmlich
auf die Erhöhung der Lebenskraft des Geistes und auf die
Erhebung des Sinnes
zum Großartigen und zum Hohen,
zu jener Großartigkeit des forschenden und gestaltenden Blik-
kes wie des sittlichen Sinnes, welche nur durch den Verkehr mit Großem, Edlem, Erhabenem gewonnen wird, durch die Richtung des Sinnes auf das Höhere, auf das Großartige,
durch den Aufenthalt in einer Region höheren, reineren Cha rakters und edlerer Behandlung der menschlichen Verhältnisse,
durch die Beschäftigung mir dem, worin das Gesetz der Welt und des menschlichen Thuns, das Gute, das Schöne, das
Erhabene seinen Sitz hat, wie die Werke klassischer Vollen
dung sind, wie die Werke der Kunst, wie die Philosophie,
die Naturwissenschaft, die Geschichte des Bildungslebens des menschlichen Geschlechts.
Immer das ist am meisten Mittel aller Bildung, was
zugleich selbst höchstes Besitzthum der Bildung ist, die Rich tung des Sinnes auf das Höhere
und
namentlich auf die
eigene Vervollkommnung und die Vervollkommnung alles ein
zelnen
Thuns,
Schärfe, und
der Uebung
die
unter
erhöhte
Kraft des
Geistes mit ihrer
den Gegenständen der Erkenntniß und
vor Allem
das
Studium
und die Uebung der
Wissenschaft und der Kunst der Bildung.
Das
Nachdenken über
das Wesen der Bildung führt
11 uns überall darauf,
daß
alle Bildung etwas Gemeinsames
hat, daß alle Seiten der Bildung sich gegenseitig fördern;
denn
alle
da
Bildung
auf
die
ganze Persönlichkeit des
Menschen sich bezieht, so ist alle Bildung nur Eine.
haben schon betrachtet, wie
Wir
die Strenge und der Ernst die
Grundlage eben so wohl der Bildung für die höhere Rich tung des Strebens,
kraft sind,
als
auch der Ausbildung der Geistes
und zwar der Kraft des Willens nicht minder,
als des intellektuellen Vermögens.
Eben so ist der Einfluß
der Gegenstände, an denen der Geist sich bildet, ein gemein
schaftlicher in Hinsicht auf die Bildung für die höhere Rich tung des Strebens, auf die Ausbildung der Geisteskraft und
auf die Veredlung und Verfeinerung des Geistes durch Aus stattung mit Kenntniß und Erkenntniß. Zn allen diesen drei
Beziehungen führt zur Bildung vorzugsweise die Beschäfti
gung des Geistes mit dem, was selbst dem Ziele der Bil dung am nächsten liegt und am meisten das höhere Inter esse des Geistes enthält; die Beschäftigung mit dem, was
am meisten die Vollendung, die Schönheit, die Durchbildung,
was am meisten Schärfe, Klarheit und
Tiefe in sich trägt
und deshalb daran zu gewöhnen geeignet ist,
Vollendung sich nähernde,
also alle der
klassische Leistung, namentlich die
Beschäftigung mit der Kunst; die Beschäftigung mit dem, was am meisten Gegenstand tiefen Denkens
ist, vor Allem
mit der Philosophie. Der
gemeinschaftliche Charakter
aller
Bildung ist die
Vervollkommnung der Persönlichkeit, Veredelung und Verfeinerung.
Nur aus diesem Gesichtspunkte ist die Kraft wie
die Ausstattung des Geistes zu beurtheilen.
Nicht die Be
kanntschaft mit Werken der Kunst, selbst nicht das Ver
ständniß des Sinnes und der Schönheit dieser Werke an sich
ist das Höchste der Bildung, welche Werke
der Kunst ge-
12 ben, sondern die Veredelung des in das Schöne eingetauch
ten Sinnes,
insonderheit die Erfüllung der
Schönheit und
ihre
Richtung auf das
Seele von der
Schöne.
Und der
Ruhm der Bildung wird auch nach dem gewöhnlichen Sprach
gebrauchs so wenig von
der Stärke der geistigen Kraft als
von der Masse der Kenntnisse,
rung des
Geistes zu
Vermögen
einer
sondern
Ein
verliehen.
ausgezeichneten
der
von
Mensch,
dessen
Tüchtigkeit
Verfeine
geistiges erwachsen
wäre, überhaupt oder in dem Besitze einer Wissenschaft, kann doch ein wenig Gebildeter fein.
Sowohl die Betrachtung des Zusammenhangs aller Bil dung,
als
die Zurückführung aller Bildung auf Ver
auch
edelung der Persönlichkeit leitet uns auf das Verhältniß zwi schen innerer
und äußerer Bildung.
Aeußern hat
an sich ihren Werth,
standen und
gemißbraucht,
dorben, das
Unwesentliche an die
gesetzt, das
Werthlose
mit
Glanzes angethan, und
Jede Verfeinerung des
Denn wenn sie mißver
wenn dadurch das
einem
der
Urtheil ver
Stelle des Wesentlichen
falschen Scheine äußeren
höhere Werth des Würdigeren
verdunkelt wird, so ist dieß nicht der Verfeinerung selbst als Uebelstand beizumessen,
sondern der irrigen Ansicht.
Verfeinerung, auch des Aeußern,
höht;
Sauberkeit,
Nettigkeit,
Durch
wird stets die Würde er
Glätte, Anstand, Zierlichkeit,
Eleganz, Feinheit, Adel der Erscheinung giebt Werth. Allein die höhere Bedeutung und die
höhere Würde hat das Aeu-
ßere in seinem Zusammenhänge mit dem Innern, als dessen Schöpfung und Ausdruck, wie die höhere Schönheit des Kör
pers in dem Ausdrucke der Seele, wie die wahre Schönheit der Rede
nur
in dem
Geffchles
liegt.
Das
Ausdrucke
des
Gedankens
und des
Aeüßere verhält sich zu dem Innern,
wie der Körper zur Seele, wie die Rede zu dem Gedanken.
Durch
die
Gestaltung
kommt die Trefflichkeit
des Wesens
13 nicht allein zur Erscheinung,
sondern oft selbst zum Dasein.
Vieles des Trefflichsten hat sein Wesen nur in diesem Ver
eine der
Schönheit des
Jnnem und des Aeußem,
wie die
Anmuth der Rede, wie die Schönheit des Kunstwerks,
wie
die Liebenswürdigkeit des Menschen.
Wie als
nun
dadurch
wird,
Einzelne nur in
alles
so weit Bildung ist,
die Persönlichkeit vervollkommnet
so ist auch
das
und veredelt
Wesen der Bildung überhaupt, des
Einzelnen oder eines Volkes oder einer Zeit, daß das Ganze
des Seins, der Erscheinung, des Denkens und Thuns, ver vollkommnet,
veredelt,
erhöht worden sei,
das Ganze des Menschen, des Volkes, gen habe und zu Verständigkeit,
daß die Bildung
der Zeit durchdrun
Vernünstigkeit,
Gediegen
heit, klassischer Vollendung, Weisheit und Güte und Schön heit geworden sei;
denn dieß Alles «st die Bildung.
Richt
in einzelnen Punkten ist die wahre Bildung, sondern in dem Charakter
des
Das Ziel ist
Ganzen.
die Totalbildung,
ein Aggregat
nicht
sondern die Totalität der Bildung oder
partieller Bildung,
(wenn diese
passen,)
Worte
welche gar
nicht in einzelner Fähigkeit oder Ausstattung ist, sondern in der und
Vervollkommnung und
Thuns.
Die
Veredelung
Bildung ist
eine
des ganzen
Einheit,
eint
Seins Tota
lität.
2.
Von dem Begriffe der Bildung unserer Zeit und der Bildung der Zeit überhaupt. Was wir unsere Zeit nennen, hat einen sehr verschiedenm Umfang Zeit, die
in
nach den
verschiedenen Eigenthümlichkeiten der
Betrachtung
gezogen
werden.
Ohne weitere
13 nicht allein zur Erscheinung,
sondern oft selbst zum Dasein.
Vieles des Trefflichsten hat sein Wesen nur in diesem Ver
eine der
Schönheit des
Jnnem und des Aeußem,
wie die
Anmuth der Rede, wie die Schönheit des Kunstwerks,
wie
die Liebenswürdigkeit des Menschen.
Wie als
nun
dadurch
wird,
Einzelne nur in
alles
so weit Bildung ist,
die Persönlichkeit vervollkommnet
so ist auch
das
und veredelt
Wesen der Bildung überhaupt, des
Einzelnen oder eines Volkes oder einer Zeit, daß das Ganze
des Seins, der Erscheinung, des Denkens und Thuns, ver vollkommnet,
veredelt,
erhöht worden sei,
das Ganze des Menschen, des Volkes, gen habe und zu Verständigkeit,
daß die Bildung
der Zeit durchdrun
Vernünstigkeit,
Gediegen
heit, klassischer Vollendung, Weisheit und Güte und Schön heit geworden sei;
denn dieß Alles «st die Bildung.
Richt
in einzelnen Punkten ist die wahre Bildung, sondern in dem Charakter
des
Das Ziel ist
Ganzen.
die Totalbildung,
ein Aggregat
nicht
sondern die Totalität der Bildung oder
partieller Bildung,
(wenn diese
passen,)
Worte
welche gar
nicht in einzelner Fähigkeit oder Ausstattung ist, sondern in der und
Vervollkommnung und
Thuns.
Die
Veredelung
Bildung ist
eine
des ganzen
Einheit,
eint
Seins Tota
lität.
2.
Von dem Begriffe der Bildung unserer Zeit und der Bildung der Zeit überhaupt. Was wir unsere Zeit nennen, hat einen sehr verschiedenm Umfang Zeit, die
in
nach den
verschiedenen Eigenthümlichkeiten der
Betrachtung
gezogen
werden.
Ohne weitere
14
Wenn wir aber von dem
genwart, also gar keine Dauer.
Charakter oder der Bildung wir
von
Charakter
unserer Zeit sprechen,
insofern der
unsere Zeit
ihr
unsere Zeit nur die Ge
enthält der Begriff:
Bestimmung
Vergangenheit entgegen,
als
verschieden
ist.
Vergangenheit
der
dem
so setzen
Daher geben wir dann dem Begriffe unserer Zeit die Dauer, welche der
Charakter hat,
Und da die
den wir unserer Zeit zuschreiben.
verschiedenen Züge des
verschiedene
Dauer
haben,
so
Charakters
hat auch
der
unserer Zeit
Begriff un
serer Zeit einen verschiedenen Umfang. Sie kann über Jahr
hunderte
gerechnet
hinaus
werden,
entgegenstellen.
Menschenalter, welche
werden
wir den Geist
insofern
unserer Zeit dem des Mittelalters oder dem
des Alterthums
In anderer Beziehung ist sie jünger als ein indem ihr
Eigenschaften
beigemeffen werden,
die nächst vergangenen Jahre nicht hatten.
wir unter
unserer
Zeit
nicht
eine
Jahre, etwa ein Menschenalter begreifen;
immer verschiedenen
Zeitraum,
seit
Darum
gewisse
Anzahl
sondem stets den
welchem der
Charakter
dauert, den wir eben als das Eigenthum der Zeit betrachten. Die Bildung der Zeit unterscheidet sich von der Bildung de§ Einzelnen darin, daß sie ein vollständiges, abgeschlossenes
Ganzes ist, da hingegen der Einzelne mit seiner Bildung zu
einem großen Theile seinem Volke und seiner Zeit angehört. Was
hervor.
hier
gemeint ist,
Der Einzelne
tritt am
meisten
an
der
Sprache
kann sich wohl einen eigenthümlichen
Ausdruck, eine Eigenthümlichkeit in dem Gebrauche der Sprache bilden.
Allein das Ganze der Sprache, die immer ein gro
ßer Theil der Bildung des Menschen ist,
Einzelnen, sondern tion und der
Zeit.
gehört nicht dem
ist gemeinschaftliches Eigenthum der Na
Der Einzelne kann sich dem Charakter
der-Nation und der Zeit- der in der Sprache enthalten ist,
nicht entwinden, und da in der Sprache Geist und Bildung
15 liegt, so ist, was
der Einzelne
davon annimmt und besitzt, nicht das seinige.
Eigenthum seines Volkes und seiner Zeit,
Nicht anders ist es mit den Gewohnheiten des Lebens, nicht
anders mit der Weise des Denkens und des Sinnes, soweit Charakter durch das Ganze eines Vol
allgemeiner
sich ein
kes und einer Zeit zieht.
weit
So
das Bildungsleben
ist
nicht Einzelleben, sondern gleich dem Jnstinktleben der Zug vögel oder kunstfleißiger Insekten, wo das obgleich besondere Thun
organischer
Wesen dennoch
und zum tellurischen greift
in
das
Leben
zu
gehört,
der
Sonderleben
die Zeit besitzt, ist durchaus
ihr
in die Breite ein
vielleicht weit ein
das
Was hingegen
Einzelnen.
abgeschlossenes
nicht einem größer» Ganzen angehörig. der Zeit ist
einem Gesammtleben
Vollständiges,
außerhalb deren Anderes läge.
Eigenthum,
Denn der Moment ohne Grenze,
Nur in die Länge, nicht in
die Breite gehört die Zeit einem größer» Ganzen, und giebt es Abschnitte der Zeit.
In dem
Vorstehenden
kam
bloß
in
was gar
Frage,
nicht als Bildung des Einzelnen, sondern nur als Gesammt-
bildung der
Zeit
betrachtet werden kann, wie die Sprache,
nicht aber in wie weit ein Unterschied sei in der Anrechnung der Bildung,
je nachdem die Zeit,
sie sich selbst gegeben hierin
gleicht
die
oder
oder auch der Einzelne,
bloß ausgenommen hat.
Bildung der
Denn
Zeit mehr der Bildung des
Einzelnen; jeder Zeitabschnitt hat seinen vorhergehenden, von
welchem
er
Bildung
anzurechnen,
empfängt.
Es
anzurechnen,
aber
der Zeit
dennoch als
bloß was sie erzeugt hat,
nicht
dern Ayes, was sie besitzt. als Bildung
ist
son
Ja es ist schon dem Einzelnen was nach dem Vorstehende» nur
als Bildung seiner Zeit betrachtet werden kann.
Wenn der
Deutschedes neunzehnten Jahrhunderts eine verfeinerter« Sprache spricht
als
der Deutsche des
neunten Jahrhunderts, so ist
16 zwar die Sprache, die
er
zunächst nicht seine Bil
spricht,
dung, sondern Bildung seiner Zeit,
aber
so weit er eine feinere Sprache spricht.
Antheil an der Bildung
der Zeit ist Bildung.
Anrechnung von
gebildeter,
Noch weniger kann überhaupt in der
der Bildung
anderwärts
er ist
einen Unterschied
bestimmt
worden
ist.
Lehre, die Methode, das Beispiel,
der
machen,
daß sie
Wie sehr auch die
Geist unserer Erzie
her unsere Bildung und selbst unsere individuelle Entwicklung
bestimmt haben mag, so ist doch die Bildung, die wir uns erworben oder von außen empfangen haben, nichts desto we-
niger unser.
So gehört also zur Bildung unserer Zeit, zur Bezeich nung ihres Charakters nicht bloß, was aus ihr hervorgegan gen ist, sondern Alles, was sie hat. Nur ist nicht zu über
sehn, daß wir in dieser Beziehung nur das haben, was in
unfern Geist eindringt. wo
aber
d'e
edelsten Werke
Es hat viele Jahrhunderte gegeben,
des
Alterthums vorhanden
nicht gelesen wurden.
Jemand für Bildung jener
Diesen
Besitz wird
so
waren,
wenig
Zeiten rechnen wollen, als den
Einzelnen wegen des Besitzes einer unbenutzten Büchersamm lung für gelehrt halten.
Und nicht bloß, was wir gar nicht
gebrauchen, ist nicht Bildung für uns,
sondern wir- können
namentlich Literatur und Kunst nur so weit unsere Bildung nennen, als
ihr
Verständniß
uns
eröffnet ist.
Daß
wir
jetzt Göthe's und Mozart's Werke, daß wir Erzeugnisse des griechischen Volkes besitzen, erhöht unsere Bildung nur in so weit, als wir den Geist dieser Werke, ihre Tiefe, ihre Voll endung in
uns
aufzunehmen, als wir ihre
verstehn und zu fühlen
vermögen.
Darum
Bedeutung
zu
ist Vermehrung
und der
Wissenschaft nicht durchaus
Vermehrung der Bildung, als
ob der alte Besitzest) weit
der Werke der Kunst
die Werke bleiben, nicht verloren
gehen könne,
und immer
17 neuer hinzukomme.
Allerdings verlieren wir, was wir zu ge
brauchen oder zu verstehen aufhören, was nicht bloß, obwohl
am meisten, mit Werken geistvoller Auffassung, namentlich der Kunst, sondern auch mit Werken der Wissenschaft, inson
derheit der Philosophie, geschieht.
Deshalb darf keine Zeit sich
schlechthin ihrer Vorräthe als ihrer Bildung rühmen.
Dieß
gehört wesentlich zur Erklärung, wie die Zeiten in der Bil dung zurückgehn können.
Jene byzantinischen Jahrhunderte,
obgleich im Besitze der herrlichsten ererbten Mittel der Bildung,
waren unendlich tief in der Bildung zurückgesunken, und was sie aus der Vorzeit erhalten hatten, war für sie kaum weniger verloren, als was sie nicht mehr hatten.
Es verliert aber
auch an Einzelnem jede Zeit sogar durch die Vermehmng
des Besitzes, weil das Neue, da es am Meisten gesucht wird,
mehr oder weniger das Vorhandene verdrängt.
Die Zeit ver
liert also das Vorhandene, so weit es verdrängt wird, und
sie verliert überhaupt an Bildung, so weit der Ersatz dem Ver
lorenen nicht gleich kommen sollte.
Daher nun, weil die Zeit
nie behält, was sie hat, kommt es, daß sie zurückschreitet,
wenn sie nicht vorwärts geht.
Obgleich aber die Zeit ihre Bildung nicht bloß in dem hat, was sie selbst hervorbringt, sondem auch in dem, was sie von der Vorzeit ererbt hat, so ist doch zwischen ihrer Her vorbringung und ihrem Besitzthum ein wesentlicher Unterschied in Hinsicht auf die Beurtheilung ihres Verdienstes und ihres
Geistes und in Hinsicht auf die Erwartung, die wir aus der Gegenwart für die Zukunft zu nehmen haben.
Der Geist der
Zeit.und ihr Verdienst liegt nur in dem, was sie schafft. Was sie aus früherer Zeit aufnimmt, ist ihr bloß insofern zu
zurechnen, als die Empfänglichkeit selbst Thätigkeit ist, insofern wir ihrer Stimmung das Aufleimen und Gedeihen der Saat der Vorzeit beizumessen haben.
Nun ist es aber ferner jeder
18 Zeit mehr zuzurechnen,
wenn sie die thörichten Einfälle der
Vorfahren zur Geltung bringt,
als wenn in ihr sich weiter
verbreitet und sein Recht erlangt, was die frühere Zeit Wahres und Rechtes gefunden und in die Welt gebracht hat. Die von Andern uns mitgetheilte Wahrheit anzuerkennen und festzuhal-
ten ist nicht so Verdienst, wie es eigner Mangel ist, den Irr thum Anderer zu theilen; die Thorheit und die Sünde Anderer
pflegen und fortpflanzen und verbreiten ist eigene Schuld. Das
Verdienst der Wahrheit gehört mehr der Zeit, die sie gefunden hat, als der, die sie aufnimmt; wie der Besitz eines Vermö gens nur dem als Verdienst angerechnet werden kann, der es
erworben, nicht dem, der es ererbt hat.
Hingegen der Irr
thum und der Fehler ist der Zeit, welche ihn hegt, verbreitet und befestigt, nicht nur nicht weniger zuzurechnen,
als der,
die ihn erzeugte, sondern sogar mehr, well die Verbreitung
des Irrigen und Schlechten unter eine größere Zahl mehr von dem Geiste der Zeit zeugt, als die Entstehung bei Einzelnen.
Und wie nur an dem, was die Zeit schafft und Pflegt,
ihr Geist zu erkennen ist, nicht an dem Besitze, so ist auch
nur aus jenem die Erwartung ffc die Zukunft zu nehmen.
Nur in dem Geiste der Zeit, nur in dem, was aus ihr selbst hervorgeht, ist ihre Richtung enthalten, und aus der Richtung der Gegenwart erzeugt sich die Zukunft.
Ein Besitzthum, das
nicht von warmer Seele beftuchtet wird, enthält keinen Keim künftigen Wuchses.
3.
Ueber Nationalbildung und Weltbildnng. Wenn man die Nationalbildung preist und damit, wie es wohl geschieht,
geflissentliche Ausbildung nationaler Eigen
thümlichkeit empfehlen will, so ist dieß ein großer Irrthum,
18 Zeit mehr zuzurechnen,
wenn sie die thörichten Einfälle der
Vorfahren zur Geltung bringt,
als wenn in ihr sich weiter
verbreitet und sein Recht erlangt, was die frühere Zeit Wahres und Rechtes gefunden und in die Welt gebracht hat. Die von Andern uns mitgetheilte Wahrheit anzuerkennen und festzuhal-
ten ist nicht so Verdienst, wie es eigner Mangel ist, den Irr thum Anderer zu theilen; die Thorheit und die Sünde Anderer
pflegen und fortpflanzen und verbreiten ist eigene Schuld. Das
Verdienst der Wahrheit gehört mehr der Zeit, die sie gefunden hat, als der, die sie aufnimmt; wie der Besitz eines Vermö gens nur dem als Verdienst angerechnet werden kann, der es
erworben, nicht dem, der es ererbt hat.
Hingegen der Irr
thum und der Fehler ist der Zeit, welche ihn hegt, verbreitet und befestigt, nicht nur nicht weniger zuzurechnen,
als der,
die ihn erzeugte, sondern sogar mehr, well die Verbreitung
des Irrigen und Schlechten unter eine größere Zahl mehr von dem Geiste der Zeit zeugt, als die Entstehung bei Einzelnen.
Und wie nur an dem, was die Zeit schafft und Pflegt,
ihr Geist zu erkennen ist, nicht an dem Besitze, so ist auch
nur aus jenem die Erwartung ffc die Zukunft zu nehmen.
Nur in dem Geiste der Zeit, nur in dem, was aus ihr selbst hervorgeht, ist ihre Richtung enthalten, und aus der Richtung der Gegenwart erzeugt sich die Zukunft.
Ein Besitzthum, das
nicht von warmer Seele beftuchtet wird, enthält keinen Keim künftigen Wuchses.
3.
Ueber Nationalbildung und Weltbildnng. Wenn man die Nationalbildung preist und damit, wie es wohl geschieht,
geflissentliche Ausbildung nationaler Eigen
thümlichkeit empfehlen will, so ist dieß ein großer Irrthum,
19 dessen nähere Betrachtung zur Feststellung des Wesens und
AlleS Nationale ist, so wie alles
Zieles der Bildung gehört. Individuelle,
Beschränktheit,
Unvollkommenheit,
Entfernung
von der reinen Idee, welche darzustellen das Ziel des Strebens sein soll.
Eine Nationalität ausbilden wollen wäre geflissent
lich zur Unvollkommenheit bilden.
Das Ziel des Bildungs
strebens kann nur in der Vernunft liegen. Verständige und Vernünftige,
Nur auf das rein
auf das Schöne, auf das An
gemessene an sich kann das Streben gerichtet sein, nur auf
die Vollendung, wie wenig auch wir sie erreichen.
Alle Ab
weichung von diesem Ziel ist Unvollkommenheit, Mangelhaf
tigkeit, nach welcher nicht geflissentlich zu streben ist.
Es giebt
nur Ein, nur ein allgemeines Ziel des Bildungsstrebens, wie es nur Eine Vernunft giebt. Man denkt sich bei jenem Verlangen nach Nationalbildung
wohl dieses, daß in jeder Nation eine eigenthümliche Gattung der Anlage sei, welche entwickelt werden solle,
wie das Ziel
und die Laufbahn des Einzelnen nach seinen besonderen An
lagen bestimmt wird.
wie
Allein es ist mit den Rationen nicht
mit dm Einzelnen.
Jedes Volk muß das Ganze der
Bildung zu erstreben suchen.
Soll eine ganze Nation, wie
freilich der Einzelne kann, Verzicht thun auf Pflege der Kunst,
oder irgend eines Zweiges der Wissenschaft,
oder auf irgend
eine Seite geistiger Ausbildung? Und welchen andern Stoff
oder welche andere Richtung der Bildung möchte man dem leichten Wesen und der Beweglichkeit der Franzosen und dem
Emste der Spanier geben wollen? Oder' man denkt sich, daß die Tugmd und gute Art, welche eine Nation vorzugsweise besitze, geflissentlich von ihren
Individuen vorzugsweise zu pflegen sei. an eine volksthümliche, in
Ja man glaubt wohl
dem Volksthum gegründete,
Tu
gend, wie wir uns insbesondere noch der unlängst gehegten
2*
20 Vorstellungen von Deutschthum erinnern.
Allein die Nation
kann keine eigenthümliche Tugend und gute Sitte haben, die
nicht zu der Tugend und guten Sitte überhaupt
gehörte.
Alles Sitte und Rechte ist nicht als Nationalität, sondern als
Forderung der Vernunft, nicht von diesem Volke, sondern
von jedem Menschen zu erstreben. Ja was man sich wohl zu weilen als löbliche Volksthümlichkeit gedacht hat, ist allemal Carricatur, Verzerrung, denn die reine Sitte kann nicht anders
als für Alle sein.
Endlich ist auch nicht etwa nationale Entwickelung in dem
Sinne zu begünstigen, in welchem allerdings individuelle Ent wickelung zu wünschen ist.
Die Individualität ist der Aus
druck eigener Entwickelung des Geistes, selbstständigen Denkens, eigenthümlicher Kraft.
Ausbildung des Denkvermögens zur
Selbstständigkeit ist daher so weit Ausbildung der Individuali
tät.
Hingegen ist die Nationalität, im Gegensatze gegen die
Individualität, nicht eigenthümliche Entwickelung, sondern ein
Gemeinschaftliches, also Gewöhnung, Verwöhnung nach fremdem Beispiel, also das Gegentheil der Entwickelung eigener
Kraft. In keiner Beziehung also ist Nationalität Gegenstand des
Strebens. Ganz ein Anderes aber ist es, daß bei der Bildung die Nationalität so weit berücksichtigt werden soll, als die An
gemessenheit zur Nationalität Bedingung des Gelingens ist, als der Zustand der Nation die Ausführbarkeit und das Be-
dürfniß bedingt.
Die Mittel und Wege der Bildung sind
allerdings nach den besonderen Umständen zu wählen, welche
zum Theil in der Nation, nicht bloß in der Nationalität, zum
Theil in der Zeit, zum Theil in einzelnen Verhältnissen liegen. Die Bildung soll aus diesem Gesichtspunkte der Nationalität gemäß sein, nicht aber auf Volksthümlichkeit gerichtet.
Die
Verschiedenheit liegt nicht in dem, wonach gestrebt werden soll,
21 nicht in dem Geiste, der zu wecken und zur Herrschaft zu bringen ist, sondern in den Mitteln und Wegen, in den Ein richtungen, welche freilich auf Ausführbarkeit und Erfolg zu
berechnen sind.
Allein auch hier ist den Forderungen der Ver
hältnisse nur zu weichen und nur so weit, als sie sich unab weisbar aufvrängen;
das Oberste ist,
daß auch bei Einrich
tungen und Mitteln die Natur der Sache, die Zweckmäßigkeit an sich vorherrsche; die Zweckmäßigkeit soll die Verhältnisse besiegen.
In dem Ziele des Bildungsstrebens hingegen kann
keine Nationalität, noch eine Zeit Verschiedenheit bringen.
Es
ist nur das Eine, die Veredelung der Persönlichkeit, welche unter allen Völkern und zu allen Zeiten dieselbe ist.
So ist
es auch recht zu verstehn, was in unserer Zeit so oft wieder
holt und mißverstanden wird,
daß jede Erscheinung nach ihrer
Stelle, nach Volk und Zeit, beurtheilt werden müsse.
Wenn
wir auch jedes nach seiner Zeit und seinem Volke zu erklären
haben, so bleibt doch immer das Schlechte schlecht.
Und ob
gleich, was sittlich sei, zum Theil von Convenienz der Völker
und Zeiten bestimmt wird, Sittlichkeit.
Die Schönheit
so bleibt doch eine unveränderliche
aber ist ewig dieselbe, wie die
Wahrheit. Mit dem Vorstehenden soll aber nicht bestritten werden,
daß die Nationalität als Bedingung der Bildung von
Wichtigkeit ist, ja daß sie zur Bildung gehört; ist eine große Individualität.
stimmtheit der Züge.
hoher
Nationalität
Das Besondere enthält die Be
Das Allgemeine, die Idee, kann nur
an dem Besonderen ausgeprägt werden;
es bedarf des Be
sonderen zu seiner Erscheinung, nur in dem Besonderen ist es
da.
So ist in der Liebenswürdigkeit immer Individualität.
Aber nicht in der Besonderheit selbst liegt das Schöne und
das Treffliche, sondern in dem Allgemeinen, der Idee, Ideal, das an dem Besonderen erscheint.
dem
22 Nun ist es aber doch auch hier wieder mit den Nationen nicht, wie mit den Einzelnen.
In der Rationalität sind die
zahllosen Individualitäten wieder zu einem Ganzen zusammen gefaßt, das sich dem Allgemeinen nähert.
Daß das Indivi
duelle Besonderheit in sich hält, liegt als nothwendig in der
Sache, in dem Begriffe, nicht so eine gemeinschaftliche Beson derheit der Jndividum einer Ration.
Denn die Nationalität
unterscheidet sich darin von der Individualität, daß sie eine
Gemeinschaft des Individuellen enthält, zugleich-Verschiedenheit
von anderen Nationen und wieder Uebereinstimmung der Ge sammtheit der Individuen der Nation in diesem Besonderen,
da hingegen in dem Individuellen nur Besonderheit ist. §emer ist die Besonderheit Bedingung der Entwickelung. Das Schaffen des Geistes erfordert eine» Boden, auf welchem er heimisch sei, wie nur in der Muttersprache das Vollkom menste geleistet werden kann.
Damit der Geist sich mit aller
Freiheit bewege, muß er sich wie in der Heimath fühlen. Nur in dem Kreise, worin
Schwung.
er bekannt ist, nimmt er kräftigeren
Dieß ist nun für Jeden das Nationale, nächst der
Gewöhnung seines engsten Kreises.
Insbesondere ist die Mut
tersprache der rechte Boden, auf welchem die Bildung erwächst. Darum
ist also die Nationalität Bedingung
freier, kräftiger Entwickelung und Schöpfung.
selbstständiger, Der Vortheil,
das Studium der Literatur, insbesondere der Poesie, des eig nen Volkes liegt in dem Eingänge, welchen sie durch die Ver
wandtschaft und Vorbildung des
Sinnes
findet,
und daß
leichter die nationale Bildung fortschreitet, weil jeder sich leich ter an dm andern anschließen und das sich aneignen und fort-
blldm kann, was seiner Art nahe ist.
Allein immer würde es
Verderben sein, vorzugsweise auf das Geringere, minder Wür dige wegen der Befteundung und Gewöhnung dm Sinn zu
richtm und ihn von der reinen Schönheit und Vollkommmheit
23 Dann wäre die Anschließung
und dem Besseren abzuziehn.
an das Nationale Ursache der Beschränktheit und der Unvoll kommenheit, wie es denn wirklich nichts giebt, was die Em
pfänglichkeit für Edleres und Höheres mehr erstickte,
als die
Befangenheit in der Gewöhnung an die Werke und das Thun der Nation, der Zeit,
Verkehr haben.
alles dessen, womit wir den engsten
Jeder ist mehr oder weniger in den Kreis
seiner Zeit, seines Volkes, seiner Umgebungen gebannt.
Also die eigenthümliche Entwickelung des Individuums und der Nation ist von nicht zu bestreitender Wichtigkeit, aber
auch in der Entwickelung der Bildung ist das allgemeine Ge setz das Höchste,
wie in der
Entwickelung des organischen
Lebens. Da nun aber die Ausprägung verschiedmer Volksthümlichkeit von mtscheidendem Einflüsse auf die Bildung ist,
so
haben wir auf die Eigenthümlichkeit unserer Zeit in dieser Be ziehung zu achten.
Die Vermehrung des Verkehrs, der Be
rührungen, der Mittheilung und Aufnahme der Leistungm der Völker unter einander macht unsere Bildung immer mehr zu
einer gemeinsamen.
Es ist eine Bemerkung Göthe'ö, daß sich
jetzt eine Weltliteratur bilde.
Ohne dieß weiter auszuführen,
spricht er nur von der allgemeineren Verbreitung der Werke jeder Nationen unter den anderen Nationen, Theilnahme, Auf
nahme, Nachahmung.
schaftlichen
Dieß führt aber weiter, zur gemein
Fortbildung, zu einem Gesammtgeiste,
zu Ver
mischung der Nationalität, zur Austilgung der Volksthüm-
lichkeit.
Darin ist nun für's erste nicht der Gewinn zu sehn, den
man wohl darin zu finden meint.
Da alle Besonderheit Un
vollkommenheit ist, so möchte man es für Gewinn betrachten, erstens daß durch Abstreifung der Besonderheiten des Nationa
len die Weltbildung sich mehr dem Allgemeinen, also den reineren
24 Formen der Vernunft, des Verständigen und des Schönen,
nähere, und zweitens daß die Fortschritte in der Bildung we
niger auf einzelne Nationen beschränkt bleiben, sondern
das
Bessere und die Vervollkommnung mehr über das Ganze des
menschlichen Geschlechts sich verbreite, und so durch gegenseitige Mittheilung der Vervollkommnung eine höhere Vollkommenheit
gemeinschaftlich erstrebt werde. Was nun zuvörderst diese Mittheilung der Bildung be trifft, so möchte wohl eine noch größere Steigerung nur rohe
ren Völkem von Vortheil
sein können.
Unter den fortge
schrittenen Völkern kann das wahrhaft Werthvolle, was wirk lich das eine Volk an Erweiterung der Wissenschaft oder hohem
Besitzthum
Bildung
der
Kunst
erstrebt,
oder
überhaupt
an
Erhöhung
der
nicht für die übrigen Völker verschlossen
bleiben; schon im Mittelalter zog sich die Philosophie und der
Geist der Poesie als Gemeingut durch die ganze gebildete Welt. Sehn wir nun aber auf das, waS jetzt der größere Verkehr
allgemeiner verbreitet, und schließen wir daraus auf die Zu kunft, so zeigt sich uns kein Gewinn.
In der Ueberzeugung,
daß unsere deutsche Philosophie hauptsächlich durch Befangen
heit in einseitiger Richtung von dem Gedeihn zu größerer Klar heit zurückgehalten
werde,
möchte man wünschen,
daß die
deutsche Nation ihre Philosophie mit der Philosophie der Fran zosen und Engländer vergliche, wie sehr man auch hierin den Deutschen den Vorzug beimessen möchte; allein dieß geschieht
nicht, bei allem Verkehr und aller Verbreitung der Sprache. Und eben so wenig findet die deutsche Philosophie in England
oder Frankreich irgend festen Boden.
Denn hier ist nicht bloß
von Bekanntschaft Einzelner mit dem Fremden und nicht bloß von Bekanntschaft mit dem Fremden die Rede, sondern davon,
daß die eine Philosophie an der andern sich schärfe.
Das ist
aber wieder eine Eigenthümlichkeit unserer starren Zeit,
daß
25 fremder Geist nicht leicht zum Wetzstein wird, daß nicht mit einander zu sprechen versteht, Schon deshalb
ist die
was verschiedenen Geistes ist.
größere Verbreitung
ohne rechte Frucht für die Bildung. —
der Erzeugnisse
Daß wir aber von
den Engländem ihre Romane und von den Franzosen ihre
Dramen erhalten und aufnehmen, können wir uns doch nicht
für Gewinn
zurechnen.
Dazu kommt, daß ja keineswegs,
wie Manche wohl rechnen mögen, nur das Bessere vorzugs-
weift von einem Volke auf das andere verpflanzt wird. Wollen wir auch in Beziehung auf bessere Zeiten des Bildungslebens
der Völker hierin ein Siegen des Besseren im Allgemeinen an erkennen, so gilt dieß doch nicht eben so von Zeiten der Ver
bildung und des Leichtsinns.
Dann wenigstens ist es wohl
mit den Völkern wie mit den Kindern,
welche schneller und
bleibender Unarten
auffassen,
und gemeine Worte
Weise der guten Sitte.
als eine
Die Gemeinheit, der Leichtsinn und
die Richtung auf das Niedrige und Bequeme hat immer viel Einschmeichelndes.
Ferner würde in der Welt nicht weniger Besonderheit und Entfernung von dem allgemein Gültigen sein, wenn auch alles Nationale ausgetilgt würde.
Die Besonderheit liegt nicht so
sehr in dem Nationalen, als in dem Individuellen.
gensatze
gegen individuelle Bildung ist
Im Ge
Nationalbildung Ge
meinsamkeit; von der Weltbildung unterscheidet sie sich dadurch,
daß sie die einzelnen Charaktere der Besonderheit auf einzelne Völker zusammendrängt, und es erzeugt sich eine von dem In dividuellen verschiedene, größere und großartigere Besonderheit,
die nationale.
In der Weltbildung würde wohl weniger Be
sonderheit und Abirrung von dem allgemein Gültigen, von dem
rein Verständigen sein, als in der Nationalbildung. Sie würde
sogar nicht bloß eben so viel individuelle Besonderheit, sondern auch, wie die Nationalität, einen Charakter herrschender Züge
26 der Besonderheit haben,
nur nicht auf ein Volk beschränkt,
sondern über die ganze gebildete Welt auSged.'lmt.
Der Cha
rakter wäre ein allgemeiner, nur nach ter Zeit verschiedener, nicht in verschiedenen Geprägen der Nationalität erscheinend.
Wenn man die Nationalbildung als einseitig betrachtet,
so
würde eine Weltbildung nicht weniger Einseitigkeit haben, und nur Eine Richtung, statt daß aus der Verschiedenheit verschie
dener Nationalität eine Vielseitigkeit in der Bildung der Ge
sammtheit der Völker hervorgeht.
Und hier zeigt sich zum zweiten, daß sogar Verlust von einer Weltbildung, von der Auflösung aller Nationalität, zu
fürchten wäre. Der Reichthum der Formen in der Erscheinung des Le
bens der Welt ist an sich, also überall, Gewinn.
auch die Ausbildung der nationalen Charaktere.
So ist es Wir haben
uns zunächst und vorzüglich an die Verschiedenheit der Spra chen zu
erinnern.
Niemand wird bezweifeln,
daß in den
Sprachen eine unendliche Bedeutsamkeit, unendlich viel Geist
liegt, und daß es ein unermeßlicher Verlust sein würde, wenn die Welt nur Eine Sprache hätte.
Nicht anders ist es mit
aller nationalen Bildung. Femer liegt zu Tage, daß die Nationalität durch die Ge walt ihrer Massen eine Bestimmtheit, Festigkeit und Kraft des Charakters und Seins enthält, jene Weltbildung aber Ver
flachung und Unkräftigkeit erzeugen würde. Endlich ist noch die Verschiedenheit der Nationalbildung
und der Weltbildung in Beziehung auf die Bildung und die Macht des Zeitgeistes zu betrachten, was sich an die oben ge machte Bemerkung über die vermehrte Mittheilung der Bildung anschließt.
Je weniger abgeschlossen die Nationen sind, je mehr
die Zeit nur ein Ganzes, Vereintes umfaßt, je mehr Gemein schaftlichkeit des Ganges der Bildung, desto mächtiger ist der
27 Zeitgeist, aber weil nichts der Zeit entgegensteht, nichts ihre Macht bricht, wie die nationale Verschiedenheit und die Tren
nung der Völker es thut.
Darum ist in unserer Zeit die Macht
des Zeitgeistes so groß geworden.
Demnach stellt sich die Er
wartung so, daß durch den allgemeinen Gang einer Weltbil
dung, da er die Macht des Zeitgeistes erhöht, die Bildung der Welt, wenn der Zeitgeist ein guter ist, gefördert werden, wenn er nicht gut ist, zurückgehen müsse.
Ob nun aber der Geist
unserer Zeit ein guter sei, oder nicht, darüber kann nur das
Ganze dieser Blätter zu einem Urtheile führen. Es folgt, daß für die Bildung Dampfschiffahrt und Ei
senbahnen und alle die Steigerung des Verkehrs, deren unsere Zeit sich rühmt, kein so sicherer Gewinn find und auch Ver lust fein können.
Fragen wir aber, was zu thun fei, so möchte sich dieß darauf beschränken, daß dem Einheimischen,
dem Nächsten,
dem Verwandten sein Recht gegeben werde, einheimische Lite
ratur gepflegt, Fremdes, Literatur und Kunst oder Sitte, nicht
um des bloßen Reizes des Fremden willen, sondern nur nach ihrem Werthe ausgenommen, am wenigsten vorzugsweise be
günstigt werde.
Allein nach der Ausbildung nationaler Züge
trachten, wäre vergeblich und Affectation, wie es auch Abwen dung von dem Rechten ist.
Das Nationale drängt sich von
selbst in die Bildung ein, am meisten durch die Sprache.
Wir
können uns immer nur das allgemein Gültige, an sich Rechte
und Verständige zum Ziele unserer Bildung fetzen. Die Natur ist es, welche der Bildung eine historische Grundlage giebt und das Besondere bestimmt, das nie gesucht, sondern nur gefun
den werden muß.
28 4.
Von der Richtung auf das Höhere. Wir haben bereits eben in der Richtung auf das höhere
Leben, in der Richtung auf Erreichung der wesentlichen, der eigentlichen Bestimmung des Menschen das Höchste der Ver
edlung des Geistes, der Persönlichkeit, das Höchste der Bildung
erkannt.
In
dieser Richtung
seine Freiheit, seine Würde.
ist das
Edle des
Menschen,
Sie ist das Prinzip des höheren
Lebens und des Bildungslebens, das Erste und Letzte der Bildung, Grund und Spitze, der Kern, aus dem die Bildung
erwächst, und selbst wieder die Blüthe der Bildung.
Es giebt
kein entscheidenderes Merkmal eines edleren Menschen, als daß mehr oder weniger bei ihm das Streben nach dem Höheren
zur beständigen Richtung, zum Triebe geworden ist.
In der
Richtung auf das Höhere ist die Sittlichkeit und die Religio
sität, denn die durchgängige Richtung auf das Höhere allein kann zur Hinneigung zu dem Höchsten, zu dem Göttlichen
führen; weil das Höchste das Göttliche ist, so ist alles Stre ben nach dem Höheren Annäherung an das Göttliche.
Die
Richtung auf das Höhere, auf die Vervollkommnung, auf die
Erreichung der höheren Bestimmung des Menschen, auf die
Erfüllung des Gesetzes, auf die Anschließung an eine höhere
Ordnung,
entspringt
aus
einem
besonderen Vermögen des
Geistes, dem Vermögen, welches die höhere Natur des Men schen enthält, wovon weiter zu sprechen wir auf den Abschnitt
von der Bildung
zur Sittlichkeit,
seine
eigentliche Stelle
»ersparen müssen.
In dem Streben nach dem Höheren ist das Bildungs streben begriffen.
Die höhere Bestimmung des Menschen ist
theils eine höhere Thätigkeit des Geistes, theils Vervollkomm
nung.
Die Entwickelung des Bildungsstrebens ist also von
28 4.
Von der Richtung auf das Höhere. Wir haben bereits eben in der Richtung auf das höhere
Leben, in der Richtung auf Erreichung der wesentlichen, der eigentlichen Bestimmung des Menschen das Höchste der Ver
edlung des Geistes, der Persönlichkeit, das Höchste der Bildung
erkannt.
In
dieser Richtung
seine Freiheit, seine Würde.
ist das
Edle des
Menschen,
Sie ist das Prinzip des höheren
Lebens und des Bildungslebens, das Erste und Letzte der Bildung, Grund und Spitze, der Kern, aus dem die Bildung
erwächst, und selbst wieder die Blüthe der Bildung.
Es giebt
kein entscheidenderes Merkmal eines edleren Menschen, als daß mehr oder weniger bei ihm das Streben nach dem Höheren
zur beständigen Richtung, zum Triebe geworden ist.
In der
Richtung auf das Höhere ist die Sittlichkeit und die Religio
sität, denn die durchgängige Richtung auf das Höhere allein kann zur Hinneigung zu dem Höchsten, zu dem Göttlichen
führen; weil das Höchste das Göttliche ist, so ist alles Stre ben nach dem Höheren Annäherung an das Göttliche.
Die
Richtung auf das Höhere, auf die Vervollkommnung, auf die
Erreichung der höheren Bestimmung des Menschen, auf die
Erfüllung des Gesetzes, auf die Anschließung an eine höhere
Ordnung,
entspringt
aus
einem
besonderen Vermögen des
Geistes, dem Vermögen, welches die höhere Natur des Men schen enthält, wovon weiter zu sprechen wir auf den Abschnitt
von der Bildung
zur Sittlichkeit,
seine
eigentliche Stelle
»ersparen müssen.
In dem Streben nach dem Höheren ist das Bildungs streben begriffen.
Die höhere Bestimmung des Menschen ist
theils eine höhere Thätigkeit des Geistes, theils Vervollkomm
nung.
Die Entwickelung des Bildungsstrebens ist also von
29 der Ausbildung der Richtung auf das Höhere überhaupt ab
hängig, folglich hangt auch die Erreichung der Bildung da
von ab. Es bedarf nicht der Ableitung, daß die Richtung des Strebens auf die Bildung, so wie selbst das Edelste der Bil.
düng, so auch der Grund der Erreichung jeder Bildung ist.
Alle Erreichung beruht auf der Kraft und dem Willen.
Die höchste Aufgabe der Bildung, der Erziehung ist da her das Sweben nach dem Höheren, und namentlich nach der
Vervollkommnung der Persönlichkeit und jeglichen Thuns zu wecken und zum Triebe zu erhöhen. Die Grundlage aller Bildung
ist die Richtung auf die Bildung und die Erkenntniß von dem We sen der Bildung. In nichts so sehr liegt die Bildungsfähigkeit, als
in der Ungenügsamkeit der Begierde nach Vervollkommnung. Der ist bildungsfähig, der keine Trefflichkeit sehen kann, ohne nach ih
rem Besitz zu verlangen und, wenn sie ihm irgend zugänglich ist, darnach zu trachten.
Keine bildendere Maxime oder Ge-
wöhnung giebt es, als mit jeder erreichbaren Bildung in Kampf zu treten und nicht eher zu ruhn, als bis sie besiegt ist.
Keine größere Hemmung der Bildungsfähigkeit, als die
Gewöhnung sich bei der Entbehrung einer Trefflichkeit leicht
zu beruhigen; entweder weil man sie weniger für einen Gegen stand der Erstrebung, als für eine angeborne Gabe, eine von selbst sich findende Eigenschaft hält, oder weil man die ent
behrte
Eigenschaft
durch
den
Besitz
anderer
auszugleichen
meint und wohl gar sich nicht für berufen hält, jede Treff
lichkeit sich anzueignen, da doch jeder Trefflichkeit Entbehrung Unvollkommenheit ist und die Vernunft uns die unerläßliche
Aufgabe stellt, nach jeder Vervollkommnung zu streben; oder
weil man nicht zu erstreben sich entschließen will, was man besitzen möchte, wie Göthe sagt: Die Höhe reizt uns, nicht
30 die Stufen;
den Gipfel im Auge wandeln wir gern auf der
Ebme.
In diesem ersten und obersten Punkte nun, der über die Bildung einer Zeit und ihren Gang, also auch über die Er
wartung von der Zukunft entscheidet, giebt der Blick auf un sere Zeit eine unselige Ansicht und Aussicht.
Wille und Noth
vereinigt ziehn unsere Zeit ab von der Richtung auf das Höhere
und michin auch von dem reinen Biltungsstreben: der Wille,
welcher einer falschen Ansicht von dem Wesen und Ziele der Bildung und der Bestimmung des Menschen folgt; die Noth, welche die Menschen in die Sklaverei der Arbeit zur Befrie
digung der vermehrten Bedürfnisse des Lebens zwingt, dahin ihren Sinn richtet, und unter diesem Joche den freieren Schwung
des Geistes
unterdrückt.
Ueberall
wendet
dem höheren Ziele der Bildung sich ab.
unsere
Zeit
von
Die Interessen und
Bedürfnisse des niederen Lebens drangen sich mit so ungeheu
rer Gewalt hervor, ihr Anspruch, daß selbst das Streben und die Ausstattung des Geistes auf ihre Förderung berechnet wer
den soll, wird so laut ausgesprochen und so willig anerkannt, daß es wohl Fortschritt der Zeit heißt, die Bildung des Gei
stes vorzugsweise auf Gewinn für das äußere Leben zu rich ten.
Denn nichts Anderes will das Prinzip' der Nützlichkeit
in der Lehre von der Erziehung und dem Unterrichte.
Es
gilt für Verdienst, in der Erziehung und dem Unterrichte das
zu suchen, was man, oft sehr irrend, als nützlich für die Zwecke des äußern Lebens betrachtet.
Fürs erste ist das Bedürfniß der Arbeit für die Erfor-
dernisse des Lebens bis zu einem hohen Punkt gesteigert worden, und es scheint immer mehr gesteigert zu werden.
Daß
zahlreiche Klassen, wie Fabrikarbeiter, bei diesen mit dem Kin
desalter beginnenden Uebermaße der Arbeit, am Geiste wie an
dem Körper verkümmern müssen, liegt vor Augen.
Dieß ist
31 am ärgsten in dem Kreise der Gegenstände, in welchem die
Hervorbringung durch
gefördert wird.
die Erfindungen
unserer Zeit so sehr
Die Arbeit wird um so wohlfeiler, je mehr
die Leistungen der Hände, mit denen der Maschinen und todter Kräfte concurriren.
So viel fehlt, daß diese bewunderten und
in der That anzustaunenden Fortschritte unserer Zeit Gewinn
für die Bildung wären. Klaffen so.
Aber es ist nicht allein mit diesen
Es ist namentlich auch da häufig so, wo die Ar
beit geistige Kraft erfordert und deshalb die Anstrengung engere
Grenzen hat.
Die Vermehrung unserer Bedürfnisse und die
aus der Concurrenz sich erzeugende verhältnißmäßige Niedrigkeit des Preises der Arbeit sind Ursachen, daß einer großen
Zahl die Beschäftigung mit dem Erwerb der nöthigen Mittel für die Bedürfnisse nicht Zeit zur Bildung übrig läßt.
dieß muß sich immer mehr verschlimmern.
Und
Denn je mehr jeder
arbeitet, desto größer ist die Concurrenz der Arbeit, desto nie
driger ihr Preis, und dadurch wird wieder jeder zu desto mehr Arbeit genöthigt.
Aber nicht blos
die Zeit der Menschen wird durch die
Nöthigung zu vermehrter Arbeit zu sehr erfüllt, sondern auch
der Sinn der Menschen richtet sich vorzugsweise auf das, wo hin die Noth am fühlbarsten drängt.
Hiermit vereinigt sich,
was sonst gerade in der Welt geschieht.
Die Erfüllung der
Seelen von dem öffentlichen Leben läßt nicht Raum für das
reine Interesse des inneren Lebens, und
die Bewegung der
Zeit gestattet dem menschlichen Geschlechte nicht die Ruhe, ohne welche das innere Leben nicht gedeiht. Und wie das Bedürfniß unsere Zeit zu übermäßiger Rich
tung auf die Angelegenheiten des äußeren Lebens nöthigt und von der höheren Richtung die Seelen zurückhält, so nimmt
auch die Ansicht und das Streben denselben Gang.
Die An-
32 sicht sowohl als das Streben geht dahin, in der Erziehung und dem Unterrichte, in der Bildung, in aller Thätigkeit die
Erreichung der Zwecke des
äußern Lebens zu suchen.
Daß
man dieß thue, dazu bekennt man sich nicht nur, sondern un sere Zeit rühmt sich dessen als eines Verdienstes.
Freilich daß
dadurch die höhere, die wahre Bildung zurückgesetzt werde, ge steht man sich nicht.
Man glaubt, dasselbe, worin man, auch
darin nur zu kurzsichtig, Nutzen für die Angelegenheiten deS
äußern Lebens sucht, sei ja
als Geistesübung nicht weniger
geeignet, für das innere Leben zu bilden.
thum.
Dieß ist aber Irr
Allerdings ist die allgemeine Geistesbildung die beste
Bildung für das Geschäft.
Allein die Berechnung der Bil
dung für das Geschäft kann am wenigsten bei denen der rechte
Weg zur Geistesbildung sein, welche nicht den Werth der Bil dung an sich, überhaupt und für das Geschäft erkennen; dieß
sind aber alle die, welche dem Prinzip der Nützlichkeit in der Bildung, in Erziehung und Unterricht folgen und die Bildung
auf das Geschäft berechnen,
denn sie könnten es sonst nicht
thun. Ferner wird stets durch ein überwiegendes Interesse das an
dere zurückgedrängt, und die Welt kann nicht zwei entgegen gesetzten Züchtungen zugleich folgen, nach dem höheren und
niederen Leben.
Darum können leicht die gepriesensten Fort
schritte unserer Zeit, unsere zahllosen und erfolgreichen Erfin
dungen, zur Hemmung der Bildung werden, indem sie als
Bildung erscheinen, die Aufmerksamkeit auf die Mittel des
äußeren Lebens vorzugsweise lenken, und das Streben von dem
geistigen Leben
Bildung
abwenden. —
nach dem Princip
Endlich
der Nützlichkeit
kann bei
den
einer
Zöglingen
wohl nicht verborgen bleiben, daß dieses Prinzip zum Grunde liegt.
Mithin werden sie auf dieses Prinzip, nicht aber dahin
gewiesen, nach der Bildung, nach der Wissenschaft um ihrcr
selbst willen zu streben, dem Zweck der Beschäftigung mit der
33 Wissenschaft in dieser Beschäftigung selbst zu suchen.
Und so
entgeht ihnen, was das erste der Bildung ist. Auf diese Weise wird nun in unserer Zeit die reinere
Richtung auf Bildung unterdrückt-
Namentlich die Richtung
auf gelehrte Bildung, an deren Stelle die bloße Geschäftsbil dung gesetzt wird.
Die Umwandelung der Universitäten aus
freieren Körperschaften in Staatsanstalten würde ein ungeheu rer Nachtheil sein, wenn damit die Idee von der Bestimmung der Universitäten für gelehrte Bildung an sich verloren ginge
und künftig nur die Bestimmung zur Geschäftsbildung, zur Bildung für die nächsten Zwecke des Staates in beschränkte rem Sinne noch darin gesehn werden sollte, womit sich dann
ein Mißverständniß über die Beschränkung der Zwecke vereini
gen würde, welche allein die Regierungen und die Volksver
treter erstreben und bezahlen sollen.
Wir würden dem Mittel
alter hierin weit nachstehn, wenn die Universitäten aus Verei nen für wissenschaftliche Bildung um ihrer selbst willen in An stalten zur nothdürftigen Abrichtung für das Geschäft sich um gestalten sollten.
So ist also die Abwendung von dem Höheren des Lebens und die Richtung auf das Niedere der Character unserer Zeit.
Fürs erste hat sie durch die Erschaffung unmäßiger Be dürfnisse sich mit Arbeit überhäuft.
Es liegt aber in der
Sache selbst, daß es das größte Hinderniß der Bildung ist,
wenn die Zeit und die Kraft der Menschen in der Herbei
schaffung der Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse des ge meinen Lebens aufgeht.
Schon von den Griechen bemerkte
Anachärsis, daß sie alle vor Beschäftigung sich nicht zur Weis heit Zeit nähmen, mit Ausnahme der Lacedämonier, mit denen
allein man ein verständiges Wort wechseln könne.
Und wie
weit stehen wir den Griechen nach!
Dabei ist der Einfluß der Arbeit auf die Bildung der 3
34 Menschen überhaupt zu betrachten.
Da der Müßiggang in der
That der Laster Anfang ist, so mag man mit Recht aus die sem Gesichtspunkte die Beschäftigung preisen.
Allein das Ge
schäft muß nicht für die Bildung, für das Leben des Geistes Zeit
und Kraft
cntziehn.
Und
gemeine Arbeit verunedelt.
Aus der Beschäftigung wird der Mensch; sie bemächtigt sich
des Geistes und der ganzen Erscheinung des Menschen.
Auf
den Gesichtern der Beschäftigten lesen wir ganz unverkennbar,
wie wenig sie gerade in Bildung begriffen sind.
Wenn wir
einen Tagelöhner eine schwere Last tragen oder einen belade
nen Karrm fahren sehen, so ist an der Miene deutlich zu erkennen, wie wenig unter solcher Arbeit Raum für ein feineres
Denken bleibt, so wie der Einfluß sichtbar ist, welchen solche Be
schäftigung auf Gemeinheit der ganzen Erscheinung, auf Un
gleichheit und Geistlosigkeit der Gesichtszüge und Unzierlichkeit deS ganzen Wesens hat.
An der Haltung des Fuhrmanns
ist offenbar, welche Unbeholfenheit sein Geschäft über sein gan
zes Wesen ausgießt, welche Steifheit davon in die Seele wie
in den Körper kömmt.
Die Gemeinheit der niederen Stände
entspringt wohl kaum so sehr aus dem Mangel an Mitteln der Bildung, als aus der Gemeinheit ihrer Arbeit.
Es ist
aber mit den Geschäften nicht anders, welche nicht mit Hand arbeit und körperlicher Anstrengung vollbracht werden, aber auf
eine trockne, todte, ideelose Weise den Geist in Anspruch neh men.
Das Alltagsgeschäft der Verwaltung, mit der Anwen
dung der Wissenschaft, mit höherem Blicke auf di« Verhält nisse und auf die Idee verbunden, wird die Bildung des Gei
stes fördern.
Ohne diese Verbindung aber,
auf den todten
Buchstaben beschränkt und die Thätigkeit des Geistes aufzehrmd, ist es nur zu sehr geeignet, den freieren Schwung des Geistes niederzudrücken, nicht nur für andere Bildung oder Bildung überhaupt, sondern auch zu diesem Geschäft.
Statt
35 daß nach einer gemeinen Ansicht Geschäftsbildung, das
heißt
Uebung im Alltagsgeschäft, als wesentliche Vorbereitung für alle, auch die höchsten, Angelegenheiten der Staatsverwaltung
betrachtet wird, sollte man sorgfältig die Geschäftsmänner be obachten, ob vielleicht ihr Geist, wie nur gar zu nahe liegt,
durch das gemeine
Geschäft verkümmert worden sei, damit
ihnen nicht zufalle, was am Meisten Geist und Idee erfordert.
Zweitens kann unsere Zeit vor Arbeit nicht zur Richtung des Sinnes auf das Höhere des Lebens kommen.
hiermit ist das Verderben der Zeit entschieden.
Und schon
Es giebt keinen
entscheidenderen Punkt in der Bildung der Menschen, als ob
sie der höheren Bestimmung sich zuwenden, oder der gemeine
ren.
Solche, die sich für Verbesserer unseres öffentlichen Un
terrichts halten, indem sie die Vorbereitung für die Geschäfte des Lebens als ausschließenden Zweck der Bildung aufstellen,
werden durch die Abwendung der Seelen von der höheren Be
stimmung des Menschen zu Gründern einer kommenden Bar barei, zu Erniedrigern des menschlichen Geschlechts.
Denn wir haben uns aus dem Obigen zu erinnern, daß die Richtung
auf Erfüllung
der höheren Bestimmung
des
Menschen nicht nur selbst das Höchste der Bildung ist, sondern
auch die Quelle aller Bildung, die Richtung auf die höhere
Bestimmung, die Richtung auf die Vervollkommnung, auf die Bildung enthält.
also
Wegen der Thatsache aber, daß un
sere Zeit des Strebens nach wahrer Vervollkommnung erman
gelt, ist theils darauf zu weisen, daß unsere Zeit offen zu dem
Prinzip der Richtung auf die materiellen Interessen, nament
lich auch in Erziehung und Unterricht $11 dem Prinzip des Nutzens für das äußere Leben sich bekennt, theils ist hier im
Voraus Beziehung zu nehmen auf die folgenden Betrachtun gen. Denn wenn wir finden, daß unsere Zeit nicht Ernst und
Strenge hat, daß sie nicht nach Schärfe des Gedankens und
3*
36 der Rede und nach Genauigkeit und Angemessenheit alles Thuns
strebt, daß sie ein Verdienst darin sucht, sich abzuwenden von
der Klassizität, deren Wesen doch die Abgemessenheit, die Ver ständigkeit, das Streben nach Vollendung ist, und unter dem
Namen einer romantischen Schule oder Weise einer Richtung sich hinzugeben, welche des Maßes, der Strenge des Gedan
kens, der Reinheit, Ausglättung und Vollendung des Werkesich überhebt,
—
wenn wir dieses finden, so haben wir auch
zugleich gefunden, daß unsere Zeit von dem rechten Streben nach Vervollkommnung sich abwendet, denn in dem, was wir
dann vermissen, ist die Vervollkommnung. Mit der Richtung auf das Höhere des Lebens entschwin det auch der Sinn für das Schöne und das Edle, der nur
auf der Höhe des geistigen Strebens sich bilden kann; es ent
schwindet das Schöne und das Edle selbst, das bei dem Voll-
kommnen, dem Reinen, dem Durchbildeten liegt. Es entschwindet damit die Begeisterung, der Enthusias
Denn von dem Geiste getrieben werden, das geistige
mus.
geben habm ist eben Begeisterung.
Die Erfüllung von dem
höheren geistigen Interesse ist das Göttliche, das in sich
zu
haben Enthusiasmus ist. Damit geht Schwung des Geistes und Wärme der Seele, Wärme des sittlichen Gefühls unter, die ohne Erfüllung von dem höheren, reineren Streben, ohne dm Sinn für das Schöne und Edle, ohne Begeisterung, ohne Enthusiasmus nicht sein können. Es entschwindet damit, und es mangelt unserer Zeit die Innerlichkeit, zu deren Erklärung einige Worte vergönnt sein
mögen.
Wie wir mit richtiger Betonung lesen können, wenn
wir auch in der Zerstreuung das Ausgesprochene nicht deutlich
oder auch gar nicht denken, was bei dem Vorlesen Jedem be gegnet,
wie der Eonkünstler in den Vortrag einm Ausdruck
37 legen kann, den er gerade jetzt nicht fühlt, so können wir auch mit Gedanken wie mit Gefühlen
verkehren,
Innerste der Seele davon berührt wird.
ohne daß das
Selbst Freude und
Schmerz kann ohne Innerlichkeit sein, ohne Tiefe, denn In nerlichkeit des Gefühls ist Tiefe.
So scheint, was unsere Zeit
schafft, den Schaffenden selbst äußerlich zu sein. Das Innerste des Bewußtseins ist nicht dabei; denn auch in dem Einzelnen
hat das Bewußtsein unendliche Abstufungen,
das Meiste thun
wir mit so wenig Bewußtsein wie der Nachtwandler, oder wie
der Schlafende, dessen Seele doch auch wiederum nicht ganz ohne Bewußtsein der Wirklichkeit ist, was daraus erhellt, daß
wir zu einer vorgesetzten Zeit erwachen.
Diese Verschiedenheit
des Bewußtseins, in welcher vielleicht der größte Unterschied zwischen dem Menschen und dem Thiere liegt,
unter den Menschen überall.
zeigt sich auch
Wenn wir bei dem Gebrauche
einer uns geläufigen Sprache, bei dem Vortrage einer Musik
lins der Gesetze, die wir beobachten, nicht bewußt werden, wenn wir bei dem Schreiben die rechten Buchstaben zeichnen, ohne im Mindesten die Aufmerksamkeit dabei zu haben, so geschieht das Geschäft doch nicht, wie man es wohl zuweilen nennt, auf
mechanische Weise. Geschäft, zu
Die Thätigkeit det Seele, die zu dem
Anwendung des Gesetzes erforderlich ist, wird
vollzogen, nur kommt sie nicht in das Bewußtsein.
Vielleicht
ist die auffallendste Erscheinung dieser Art, wenn wir über dem
Lesen oder Hören uns des Vorhandenseins einer Widerlegung durch eine vielleicht nicht ganz einfache Schlußfolge, allein nicht der Schlußfolge selbst bewußt werden, da wir nicht bei diesem Gedanken verweilen,
sondern dem Schriftsteller oder Sprecher
ohne Unterlaß weiter folgen. Haben wir dann doch die Schluß folge gezogen, ohne sie in das Bewußtsein zu bringen?
Es
scheint, als habe die Seele zuweilen schon in bewußtloser Thä tigkeit einen Satz gefaßt, wenn uns doch die Anstrengung,- ihn
38 mit Bewußtsein klar zu denken, mißlingt und wir selbst die
Aufmerksamkeit nicht darauf festzuhalten vermögen.
Vielleicht
hängt von der Verschiedenheit des Verhältnisses zwsschen dem
bewußtlosen und dem bewußten Denken Verschiedenheit Geistesvermögens ab.
des
Vielleicht ist gerade eine schnellere und
deshalb weniger mit Bewußtsein stets verbundene Geistesthä tigkeit ein Hinderniß der Aufmerksamkeit und der Geistesgegen-
wart, Grund der Zerstreutheit und mithin Grund des geringe ren Gedächtnisses, da das Gedächtniß von der Aufmerksamkeit
abhängt.
Ist vielleicht darum ein Gegensatz zwischen Gedächt
niß und Lebhaftigkeit des Geistes? Und ist diese Erscheinung, daß die Seele Thätigkeiten und ganze Reihen von Thätigkeiten
vollzieht, aber nicht in das Bewußtsein bringt, aus einer un
serer Wahrnehmung verschlossenen Theilbarkeit der Zeit zu er klären, welche mit ihrem Inhalte wahrzunehmen wir keine In
strumente haben, wie für die Theilbarkeit des Raumes und seinen Inhalt das Vergrößerungsglas?
So ist der Mangel an Innerlichkeit zu erklären, der sich namentlich in dem Mangel an Besonnenheit und in der Hastig
keit und Schnelligkeit der Bewegung zeigt, und zugleich Man
gel an Innigkeit ist.
Darum nun,
weil es unserer Zeit an
Innerlichkeit mangelt, findet man auch in der Welk nicht, was
vielleicht noch in Büchern steht.
Man findet in dem Dichter
nicht, was in seinem Werke steht, oder vielleicht wäre es noch
richtiger, zu sagen, man findet in dem Gedichte nicht, was in den Worten steht.
Und die Rede und selbst der Gedanke ist
so weit nicht mit Sicherheit als Bezeichnung des Charakters der
Zeit zu nehmen, weil sie nicht aus dem Jnnem der Zeit her vorgehn.
Hier ist lyrische und alle Poesie Lösung einer will-
kührlich gesetzten Aufgabe, nicht Ausdruck dessen, was gefühlt und gelobt worden
ist.
Der Vortrag eines poetischen oder
musikalischen Kunstwerkes gleicht auch in dem, was sich für
39 Ausdruck giebt, mehr einer Einübung des Gebrauchs der Töne
zum Ausdruck, als einer Verkündung der Seele.
Darum ist
mehr der Dichter ein Commentar über die Leerheit seines Ge dichts, als daß das Gedicht den Reichthum des Geistes des
Dichters im Gesang enthalten sollte. Und da unserer Zeit und ihrem Streben nach dem Höheren
selbst die Innerlichkeit fehlt, so entbehrt
sie auch der Stim
mung, welche für das Leben, wie für das Schaffen und die Aufnahme der Geisteswerke das Wesentlichste ist. Wir vermissen
in unserer Zeit die Stinnnung und finden nur Verstimmung.
Mit allem diesem entschwindet die Seele aus den Seelen. Seele ist Innerlichkeit und Tiefe.
Seelcnvoll ist die Leistung,
in welcher das Innerste, das Gemüth, die Seele zur Erschei
nung kömmt.
Kein Uebel ist weniger heilbar, als das in einem Hange der Zeit liegt.
Hier ist die Heilung nicht von den Menschen
zu vollbringen, sondem von der Zeit zu erwarten, Zeit ist mächtiger als der Mensch.
denn die
Also ist jeder Fehler der
Zeit selbst Grund des Mangels an Mitteln gegen diesen Fehler. Aber nichts desto weniger haben wir den Blick darauf zu rich ten, was geschehen müßte, damit die Welt auf die rechte Rich
tung des Bildungsstrebens geführt würde.
Nicht allein erfor
dert es der Werth des Gegenstandes, sondern es ist auch nicht
ohne Aussicht auf Erfolg.
Denn zwar kann nur die Natur
heilen, aber das Streben der Menschen ist wieder das Mittel,
dessen sich die Natur zur Heilung bedient, und das Streben
hängt von der Richtigkeit und Klarheit der Ansichten von dem Ziele ab.
Sodann wird das Urtheil über unsere Zeit durch die
Bettachtung dessen, was von ihr zu fordern wäre, herbeigcführt.
Denn überall ist es schwierig zu sagen, welchen Sinn
eine Zeit habe oder nicht.
Allein indem wir betrachten, was
40 die Zeit haben solle, fragt und antwortet ein Jeder bei sich
selbst, ob sie es habe oder nicht.
Das
Nächste ist,
daß
die Jugend
darauf hingewiesen
werde, in dem Leben die höhere Bestimmung des Menschen,
das reine Interesse an der Thätigkeit des Geistes, die Vervoll kommnung, die Bildung, die Wissenschaft um ihrer selbst willen
zu
suchen.
Dieß muß zuvörderst durch Belehrung über die
Bestimmung des Menschen und das Wesen der Bildung ge schehn, für's
wenn auch nicht mit tieferer Begründung, sondern
erste mehr in Hinweisung auf das Rechte und in Er
munterung.
Ferner ist es das Beispiel, das Vorbild, was
den entscheidenden Einfluß auf die Jugend übt.
Die
Welt
selbst, der Geist der Zeit, der überall vernehmbar wird, müßte
der Jugend die rechte Richtung geben.
Insbesondere müßte
Alles, was zur Erziehung gehört, jenes reinere, höhere Stre ben athmen.
An den Lehrern ist keine Eigenschaft mehr zu
suchen, als das Gepräge ächten Bildungsstrebens und wissen
schaftlichen Sinnes,
das,
in
ihrem ganzen Wesen und in
«Ihrem Unterrichte ausgedrückt,
die Zöglinge erkennend
fühlend in sich aufnehmen werben.
und
Dieß ist das Beste und
Wesentlichste, was der Lehrer in seinem Zöglinge wirken kann.
Die Jünglinge müssen ferner überall die Anerkennung und Achtung allgemeiner
wissenschaftlicher Bildung,
Geistesbildung erblicken.
allgemeiner
Sie müssen die Besitzer solcher Bil
dung in angemessener Achtung und Stellung des bürgerlichen Lebens und der Gesellschaft sehn.
Wenn die Jugend bemerkt,
daß der Besitz nicht bloß der zu bestimmten Geschäften zunächst gehörigen Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern auch der um
ihrer selbst willen, zur Bereicherung des Geistes und zur Er
höhung seiner Fähigkeit erworbenen Wissenschaft und Bildung in seinem Werthe anerkannt, und bei der Verwendung der dem
Staate sich zum Dienste darbietenden Kräfte beachtet wird, so
41 wird der junge Mann nicht bloß seinen zukünftigen Vortheil
in der Ausstattung mit diesem Besitzthum suchen, sondern dieses wird ihm auch als würdiger und zum Ziel zu setzender, sich
an
begehrungswerther Gegenstand seiner Anstrengung erschei
nen; denn Allen flößt Ehrfurcht ein, was sie von der Welt anerkannt sehn. Wird aber die nicht zu berechnende hohe Wich tigkeit übersehn, welche höhere allgemeine Geistesbildung auch
für das Geschäftsleben hat, und wird in der Geltung für das
öffentliche Leben nur die gemeine Vorbereitung für die Ge
schäfte berücksichtigt, sieht man die Stellen, welche am meisten den Besitz der Ideen erfordern, der höheren Einsicht von dem
Leben des Staats und den Mitteln das Gedeihn des öffentli
chen Lebens, des Bildungslebens, des äußern Lebens zu fördern, sieht man diese Stellen ausgefüllt von solchen,
welche
der höheren Geistesbildung entbehren, und nur jene gemeine Geschäftsbildung haben, so wird die Jugend verleitet, sich an dieser beschränkten Vorbildung zum Geschäft genügen zu lassen,
da der Werth dessen, was von der Welt vernachlässigt wird, nicht in die Augen springt. Vielleicht nirgends so sehr wie in der Lehre von der Er
ziehung und der Bildung überhaupt ist neben dem, was ge
than werden soll, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was unterlassen werden muß.
Hier vor andem wird leicht Unheil
gestiftet, wo der beste Wille zu nützen glaubt.
Daß vermie
den werden muß, was geradehin von dem rechten Ziele ab
wendet, indem es eine entgegengesetzte Richtung giebt, daß der Zögling m'cht darauf gewiesen werden muß, als den wesent-
lichm Zweck seines Strebens nur sein Fortkommen in der Welt
zu suchen, folgt von selbst.
Es kann aber auch durch ent
ferntere Folge vieles, das die Bildung zu fördem bestimmt ist,
von dem rechten Ziele und namentlich von dem rechten Streben
abführen.
Insbesondere kömmt es darauf an, daß dem Zög-
42 ll'nge die rechte Aufgabe gestellt werde.
Zunächst daß der Un
terricht fasse, was am meisten das reine Interesse am Wissen zu wecken geeignet ist,
und daß die Wahl der Gegenstände die
Anerkennung dieses Zieles als des eigentlichen Zweckes des Un
terrichts und überhaupt der Bildung an sich trage.
Daher ist
für's erste zu vermeiden, daß nicht in den Unterricht sich ein
schleiche und wohl gar vorherrschend werde eine nicht hiernach berechnete Wahl der Gegenstände.
Hiernächst ist die auch fast
höchst verde-bliche Ueberhäufung mit Lehrgegmständen zu ver meiden, in welcher immer enthalten oder mit welcher verbunden ist der Vorzug des Lemens vor dem Begreifen, der Kenntniß
vor der Erkenntniß, der Masse vor der Tiefe und Höhe, der Gediegenheit des Wissens.
vor
Die hieraus hervorgehende Ge
fahr wird gesteigert durch die Einrichtung der Maturitätsprü fungen, welche entscheidenden Einfluß auf die Richtung des Strebens der Zöglinge habm.
Alle
Prüfungen, welche am
Schlüsse einer Bildungsbahn zur Nachweisung des Erfolgs der
Studien liegen, haben dieses, daß sie den Lemenden gewöhnen,
zunächst mehr das Bestehn in der Prüfung als die Bildung
des G.istes selbst sich zum Ziele des Lernens zu setzen, und vorzugsweise das zu suchen, was in der Prüfung sich geltend
macht.
Dieß kann nun aber nicht gerade das Wesentliche und
das Höchste der Bildung sein.
Wollen wir jedoch damit nicht
über die Einrichtung der Prüfungen selbst und über die noch
von andern Rücksichten abhängige Frage entscheiden,
ob Ma
turitätsprüfungen zweckmäßig und sicherer als Zeugnisse der Lchrer, ob überhaupt andere Prüfungen außer denen für die
Zulassung zu öffentlichen Geschäften zweckmäßig seien, so kön nen wir doch an dieser Stelle nicht dieses unerwogen lassen,
daß Prüfungen um so mehr ausschließend dem Streben des
Jünglings die Richtung geben, je größer die Zahl und Aus dehnung der Gegenstände ist, deren Kenntniß in der Prüfung
43 verlangt wird.
Nach diesem Maße wird der Jüngling von
Allem, was nicht dem Ziele der Prüfung zunächst liegt, ab
gezogen,
und namenllich bleibt nicht Raum für vorzügliche
Pflege dessen,
worauf individuelle Neigung und Anlage ihn
Weil er in zu vielem gut oder, richtiger, mittelmäßig
weist.
werden
soll, wird
er abgehalten, in irgend
einem Punkte
trefflich zu werden, was doch das Wesentlichere für die Bildung
ist.
Und indem er abgehalten wird, individueller Neigung und
Anlage zu folgen,
geht nicht allein das verloren, woran
am
meisten der Fortschritt hängt, sondern auch woran am meisten das reine Interesse an der Wissenschaft und der wissenschaft
lichen Beschäftigung
und
mit dem
wissenschaftlichen
Triebe
ächtes Streben nach dem Höheren überhaupt sich entwickelt.
So kann die gute Absicht der Prüfungen zum Unhell für die Bildung der Welt ausschlagen. Ein Anderes, das vermieden werden sollte, weil es das
Bildungsleben stört oder zerstört, ist die Ueberhäufung der Welt mit Arbeit. Diese aber geht hauptsächlich aus dem Luxus her
vor, aus der Vermehrung der Bedürfnisse des Lebens durch das Streben nach Eitlem und Leerem und durch die ganze Ge staltung der Zeit,
insbesondere der öffentlichen Verhältnisse.
Diese unselige Richtung der Zeit bringt nicht nur dadurch das
Elend über die Welt, daß Armuth und Dürftigkeit oder doch Mangel an Wohlhabenheit ihr stets folgt, weil der arm ist, dessen Mittel nicht dem einmal ihm nöthig gewordenen, wenn
auch an sich unnöthigen, Bedürfnisse entsprechen.
Sie hindert
auch das Bildungsleben, indem sie alle Thätigkeit für die Befriedigung
der Bedürfnisse des äußern Lebens
in Anspruch
nimmt, und die gemeine Arbeit nach unserer obigen Bemerkung
den Geist verunedelt.
Hiergegen nun im Allgemeinen giebt es
kein Mittel außer der Bekehrung der Welt.
Sie müßte dem
Streben nach Eitlem und Leerem entsagen.
Sie müßte ihre
44 Einrichtungen,
Gewohnheiten, Verhältnisse,
namentlich des
öffentlichen Lebens, umgestalten, daß sie weniger den Aufwand
ihrer Kraft ulld ihrer Thätigkeit aufzehrten.
Nur bei Einem
Punkte hat hier unsere Aufmerksamkeit zu verweilen, wo der Geist der Zeit nicht solche Gewalt hat, daß nicht jede einzelne Staatsverwaltung der besseren Ansicht folgen könnte.
Die Ue-
berhäufung der Staatsbeamten mit Geschäften ist um so ver
derblicher, je wichtiger die Stelle ist, welche sie nicht nur in dem öffentlichen Leben,
haben.
sondern auch in der gebildeten Welt
Wir stoßen hier auf den unheilvollsten Irrthum der
Zeit, welcher die Lehrjahre von den Jahren der Arbeit zu sehr trennt, als ob mit dem Ablauf der Lehrjahre die Bildung
vollendet sein müßte.
Die Bildung muß aber vielmehr durch
das ganze Leben gehn; die Geschäftsjahre müssen zugleich Lehr
jahre sein; ja das Höchste der Bildung kann erst in den spä tem Jahren erreicht werden, mit der Reife des Alters und mit der Belehrung, welche das Leben und das Geschäft giebt.
Denn es ist hierin mit der Geschäftsbildung nichts Anderes als
mit der allgemeinen Bildung des Menschen.
Auch
für das
Geschäft ist die Bildung nicht möglich, wenn der Beamten ganze Thätigkeit vom Geschäfte aufgezehrt wird.
Die allge
meine Bildung, welcher er entzogen wird, ist die wesentliche
Grundlage der Geschäftsbildung.
keine höhere Geschäftsbildung
Und die Ideen, ohne welche
ist, die in dem Geschäftskreis
selbst liegenden Ideen sind keineswegs in den eigentlichen Lehr jahren genügend auszubilden und für die praktische Anwendung
zur Reife zu bringen, sondern sie erhalten die rechte Reife und Ausbildung während des Geschäfts und mit der Uebung des Geschäfts, doch nicht durch das Geschäft allein ohne Verbin
dung mit höherem, wissenschaftlichem Studium, mit dem Stu
dium der Idee.
Doch wir haben hier nicht die Geschäftsbil
dung, sondern die Bilvung des Menschen vor Augen. Werden
45 die Staatsbeamten so sehr mit Arbeit überhäuft, daß ihnen
nicht Zeit und Kraft für ihre Ausbildung bleibt,
so geht der
Welt die Möglichkeit höherer Bildung einer für die Bildung
der Welt bedeutenden Klasse von Menschen verloren.
Es ist
nicht etwa einzuwenden, daß bei der Seltenheit der Empfänglich
keit für höheres Bildungsleben an der Zeit der Mehrzahl nicht
viel verloren sei, daß den Meisten
die Muße nicht Gewinn
für die Bildung des Geistes sein würde.
Denn immer ist
doch, was verloren wird, von unendlich hohem, nicht zu be
rechnendem Werthe, und der Staat soll nicht dem Einen, was für ihn und die Welt hoher Gewinn sein würde, darum abschnciden, weil der Andere es nicht nutzen kann. Er darf nicht
seine Maßregeln auf die Unfähigen berechnen; denn unfähig zu höherer Staatsverwaltung sind doch eigentlich
höhere
Bildung,
alle,
die für
die für Ideen unempfänglich sind.
Wäre
wirklich die Aussicht auf höhere Bildung der Staatsbeamten
so gering, daß cs für unnütz zu achten wäre, ihnen dazu Zeit zu lassen, so wäre an der Bildung der Zeit, wo nicht an der Bildung der Welt, zu verzweifeln.
der Geschäftsmänner,
Aber die Ueberhäufung
Staatsbeamten und Anderer mit Arbeit
ist eben ein Hauptgrund ihrer Unempfänglichkeit für Bildung. Daher erzeugt sich ein Sinn und Ton, welcher von dem Bil
dungsstreben abzieht, das nicht für die Aufgabe dessen betrach
tet wird,
dessen Bestimmung man nur in die Arbeit des Ge
schäfts setzt.
Und der Einfluß der Ueberhäufung der Staats
beamten mit Arbeit auf ihre Abwendung von weiterer Aus
bildung des Geistes ist nicht bloß darin gegründet, daß Zeit und Kraft entzogen wird,
sondern der Staat verkündet auch
dadurch, daß er nicht den Werth des geistigen Lebens mit seiner Bildung, sondern nur einen Werth der Geschäftsthätigkeit für
das äußere Leben anerkennt, und so wird sein Beispiel,
seine
Ansicht, die Ansicht und die Richtung der Einzelnen bestimmen.
46 Wodurch man die Bildung der jungen Männer zum Staats dienste zu fördern sucht, daß man sie als AcceWen und As sessoren in Verwaltungsstellen mit Arbeiten überhäufend zuläßt,
mag nothdürftige Abrichtung sein, aber es ist eben so sehr das
größte Hinderniß höherer Ausbildung auch für das Geschäft, abgesehen von anderen üblen Folgen, von der Gefährdung der
durch Unerfahrene bearbeiteten Geschäfte, von der Erleichterung des
Eindringms
Stellen, von
abgerichteter Mittelmäßigkeit
in wichtigere
dem Mißbrauche zu unwürdiger Ersparung an
Besoldungen.
5. Ernst, Strenge, Gewissen. Die Bedeutung des Ernstes und der Strenge hat schon
in dem ersten Abschnitte dieser Schrift eine Stelle gefunden.
In Ernst und Strenge,
als in der Innerlichkeit des Triebes
zur Vervollkommnung, haben wir dort die Grundlage aller Bildung erkannt.
Ernst und Strenge des Strebens nach der
Tüchtigkeit und Gediegenheit, nach Erreichung des Besten und Höchstem in allem einzelnen Thun wie in der Gestaltung des
ganzen Wesens, also nach Vervollkommnung, ist der Bildung, was der Sittlichkeit die Gewissenhaftigkeit ist.
Ja man möchte
immer alles Streben nach Vervollkommnung Gewissenhaftigkeit
nennen; nicht bloß in dem Sinne, daß die Vervollkommnung des eignen Seins und Thuns Pflicht ist, und der Pflicht zu
folgen das Gewissen treibt, wodurch wir wieder in das Gebiet der Sittlichkeit übergehn; sondem es ist nur Ein Trieb, der uns zur sittlichen Vollkommenheit und zu jeder andern Voll kommenheit, zur schärfsten Ausbildung des Gedankens und
46 Wodurch man die Bildung der jungen Männer zum Staats dienste zu fördern sucht, daß man sie als AcceWen und As sessoren in Verwaltungsstellen mit Arbeiten überhäufend zuläßt,
mag nothdürftige Abrichtung sein, aber es ist eben so sehr das
größte Hinderniß höherer Ausbildung auch für das Geschäft, abgesehen von anderen üblen Folgen, von der Gefährdung der
durch Unerfahrene bearbeiteten Geschäfte, von der Erleichterung des
Eindringms
Stellen, von
abgerichteter Mittelmäßigkeit
in wichtigere
dem Mißbrauche zu unwürdiger Ersparung an
Besoldungen.
5. Ernst, Strenge, Gewissen. Die Bedeutung des Ernstes und der Strenge hat schon
in dem ersten Abschnitte dieser Schrift eine Stelle gefunden.
In Ernst und Strenge,
als in der Innerlichkeit des Triebes
zur Vervollkommnung, haben wir dort die Grundlage aller Bildung erkannt.
Ernst und Strenge des Strebens nach der
Tüchtigkeit und Gediegenheit, nach Erreichung des Besten und Höchstem in allem einzelnen Thun wie in der Gestaltung des
ganzen Wesens, also nach Vervollkommnung, ist der Bildung, was der Sittlichkeit die Gewissenhaftigkeit ist.
Ja man möchte
immer alles Streben nach Vervollkommnung Gewissenhaftigkeit
nennen; nicht bloß in dem Sinne, daß die Vervollkommnung des eignen Seins und Thuns Pflicht ist, und der Pflicht zu
folgen das Gewissen treibt, wodurch wir wieder in das Gebiet der Sittlichkeit übergehn; sondem es ist nur Ein Trieb, der uns zur sittlichen Vollkommenheit und zu jeder andern Voll kommenheit, zur schärfsten Ausbildung des Gedankens und
deK Ausdrucks
wie zu
47 —
der größten sittlichen Reinheit treibt.
Oder wir sonnen sagen, daß das sittliche Streben in Allem Streben nach Vervollkommnung ist, daß in dem Streben un sere Gedanken sicher zu begründen und mit Schärfe auszubil
den und unserer Rede so wie unserem ganzen Thun Vollendung zu geben, unsere Würde ruht, daß das Soll, worauf wir das Gewissen beziehn, nicht bloß aus dem Sittengesetz, son.
dcrn aus jedem Gesetz der Vernunft und des Verstandes her
vorgeht, daß Gewissen Trieb zu Erfüllung jedes Gesetzes ist, nicht bloß des Sittengesetzes.
Schärfe des Denkens, Klarheit, Tiefe, Gründlichkeit, die Richtung auf das Höhere, die Innerlichkeit des Strebens nach
Vervollkommnung, die Gewissenhaftigkeit in dem Denken wie
in dem Handeln und Sprechen und in der Ausbildung der ganzen Persönlichkeit, die wahre Verfeinerung, die Veredelung,
alle Bildung ruht auf dem Ernste und der Strenge. Aus dem Mangel an Strenge geht alle Untüchtigkeit einer Zeit hervor, im Handeln und im Denken, in Wissenschaft und
in Kunst.
Nicht so wie bei den Einzelnen ist bei der Zeit die
Untüchtigkeit dem Unvermögen zuzuschreiben.
Die Zeit hat
immer ihre Kraft, und der Mangel an Vermögen ist bei ihr
wieder daher zu leiten, daß sie nicht die Richtung auf das Rechte nimmt, nicht für das Rechte sich anstrengt. Der Mangel an Strenge, das heißt der Leichtsinn, ist die
Quelle der Täuschung und des Irrthums. sinn findet das Unächte Eingang.
Durch den Leicht
Aus ihm fließt die Bereit-
willigkett, die Neigung, nichtswürdige, eitle Dinge für Treff
liches und Schönes, Schein für Wahcheit zu nehmen, welche Bereitwilligkeit den Unwillen leicht mehr erregen kann als die
Hervorbringung des Nichtswürdigen.
was
Der Leichtsinn ist es,
das Schlechte, entstehn und in Aufnahme kommen läßt.
48 Es ist der Leichtsinn,
was die Bequemlichkeit nährt, aus
welcher die Menschen sich oft mit Falschem und Geringem be helfen, und absichtlich dem Besseren sich verschließen und sogar
den Gipfel im Auge gern auf der Ebene wandeln,
noch lieber
aber mit zur Erde gerichtetem Haupte den Gipfel gar nicht schauen mögen.
Insbesondere in der Kunst ist diese Bequem
lichkeit die Ursache der Entfernung vom Höheren.
Sie wollen
(ins dem leichtesten und bequemsten Wege das Ziel erreichen. Darum nehmen sie nicht den Weg, der zum Würdigsten führt,
sondern sie erklären das für das würdigste Ziel, zu welch, m
der ihnen behaglichste Weg führt.
auch das Rechte sein.
Was ihnen gefällt,
soll
Was ihnen Vergnügen gewährt, darin
finden sie auch die Kunst und die Schönheit.
Was ihren Lei
stungen erreichbar ist, scheint ihnen würdiges Ziel, und was
sie geltend machen können, oder was sie geltend macht,
das
verschmähen sie nicht, da fühlen sie nicht, was leerer Schein und unwürdiger Glanz sei;
das Glänzendste soll auch das
Höchste sein, weil es am leichtesten glänzen läßt.
Am wenig
sten geben sie ein Prinzip auf, dem sie früher gefolgt sind, am wenigsten verwerfen sie eine Manier, in der sie früher gearbeitet
haben; sie müßten ja ihre frühere Leistung verdammen.
Dieß
ist die Bequemlichkeit und die Selbstsucht des Leichtsinns. Emst und Strenge hat nicht bloß in der Erfüllung der Pflicht, sondem in allem Streben Selbstverläugnung in sich, und so ver
dient alle Strenge den schwer sein zu sagen,
Namen des Gewissens.
Es möchte
ob die Verirrung mehr aus der Be
schränktheit der Intelligenz der Menschen fließe, oder aus jener zum Theil geflissentlichen Befangenheit, jenem Interesse,
das
uns der Irrthum bringt, jener Bequemlichkeit da zu bleiben, wo wir so gemächlich ruhn, oder dem Mangel an Muth, un
bekümmert um das Urtheil
und Vorurtheil der Welt,
Wahrheit und die Schönheit zu suchen und zu bekennen.
die
49
Wo der Ernst und die Strenge fehlt, da ist die'Weichlichkeit ohne Weichheit, da ist selbst die Härte ohne Strenge. Sollen wir nun die Frage beantworten, ob unsere Zeit
Ernst und Strenge besitze, so kann das Ergebniß dieser Blätter
nur dieses sein, daß es Charakter unserer Zeit sei, des Ernstes
und der Strenge zu ermangeln, daß der Leichtsinn das Zeichen unserer Zeit sei.
Es ist im wissenschaftlichen und künstlerischen
Streben unserer Zeit derselbe Mangel an Ernst und Strenge, der über das
ganze Leben sich verbreitet hat.
Schrift ist die Ausführung dieses Urtheils.
Diese ganze
Hier ist nur hin«
zuweisen auf das Ergebniß unserer Untersuchungen in Beziehung auf die Seiten der Bildung, in welchen mit nothwendiger Folge Ernst und Sttenge enthalten und zu erkennen sind, und in Be
ziehung auf die Zustände und Eigenschaften der Zeit, von denen
die Bildung des Ernstes und der Strenge abhängt. Wir haben uns zu erinnern, daß unsere Zeit ihr Streben nicht auf das Höhere des Lebens richtet, sondern sich dem Ge
meinen und Niedrigen, dem äußem Leben, ja dem Eitlen und Unwürdigen zuwendet.
Schon dieß ist die Frivolität.
Wir
werden ferner als Eigenthümlichkeiten unserer Zeit betrachten, daß sie der Schärfe des Denkens und der Rede ermangelt, daß
sie das falsche Geistreiche ohne Scharfe und Wahrheit, Glanz ohne Gediegenheit mit entschiedenem Verlust an wahrhaft Geist
reichem und an Tüchtigkeit sucht, daß sie in der Kunst und in aller Leistung von der Klassizität,
deren Wesen eben die
Sttenge ist, sich abwendet und einer Weise sich ergiebt,
in
welcher die Frivolität und die Maßlosigkeit für Verdienst gilt, gemeiner Reiz an die Stelle des Kunstinteresse tritt, daß ohne
Prüfung eine ungeheure Masse Schlechtes erzeugt und mit der leichtesten Bereitwilligkeit ausgenommen, daß das Neuere und
Modischere dem Trefflicheren vorgezogen wird, daß unsere Zeit mit einer Hastigkeit, die keine Grenzen kennt, die Verhältnisse
4
50 des Leben- umgestaltet und der Bildung einen neuen Charakter zu geben bestrebt ist, der glänzendstm Fortschritte sich sicher
haltend, ohne sich über das wahre Wesen der Bildung Klarheit zu geben, ohne Wissenschaft und Kunst der Bildung auf
dieser
Erkenntniß von
ihrem
Wesen
Mangel an Emst und Strenge.
zu gründen.
Dieß ist
Dieß ist der Charakter deS
Leichtsinns.
Ein eigenthümliches Zeichen von dem Mangel unserer Zeit an Emst und Strenge des Thuns ist dieses, daß ausgezeich. nete Fähigkeiten zurückgehn, daß den Hoffnungen, welche die ersten Proben eines Mannes zeigten, seine späteren Leistungen
nicht entsprechen.
Man wird finden, daß hervorragende Geister,
deren Bildung einer
ftüheren Zeit angehört, nach früheren
trefflichen Leistungen später nicht Gleiches geleistet haben. Und
eben so ist von solchen, die wir als Zöglinge der neuesten Zeit, unserer Zeit, betrachten mögen, zu bemerken, daß ihr Früheres,
aus der Zeit, da sie doch noch mehr strebten, ihr Besseres ist, daß sie nicht vorwärts, sondern rückwärts gehn.
aus Erschlaffung des Strebens,
Dieß ist nur
aus Mangel an Ernst und
Sttenge zu erklären, denn sonst würde ihre Kraft, ihre Fähig
keit mehr gewachsen sein.
Und wenn die Einzelnen, und so
allgemein, sich nicht zur Sttenge getrieben fühlen,
so ist es,
weil die Welt, selbst der Sttenge ermangelnd, sie nicht dazu
treibt.
Denn in nichts entscheidet die Weise der Umgebung
mehr, als in den Anforderungen, die jeder an sich selbst macht.
Indem wir bettachtm,
woraus der Leichtsinn erwächst,
finden wir zugleich den Beweis seines Daseins, wo wir seine Wurzeln entdecken.
So eng sind die Momente des Bildungslebens durchfloch
ten, daß man immer nicht leicht sagen kann, welches Ursache oder Folge sei, denn jedes ist zugleich des andern Ursache und Folge.
So ist es insonderheit mit allen Beziehungen des Ernstes
51 und der Strenge auf die andern Momente der Bildung.
Jeder
Moment der Bildung geht aus diesen Eigenschaften hervor, und jede wahre Bildung muß den Emst und die Strenge erzeugen.
Jede wahre Bildung ist Zeichen von Ernst und Strenge.
Die Richtung auf das Höhere des Lebens, nach Bervollkommnung, nach Bildung ist die Wurzel und wieder die Frucht des Ernstes und der Strenge.
Daß aber unsere Zeit diese
Richtung nicht hat, haben wir gesehen. Scharfe, Bestimmtheit und Klarheit des Gedankens und der Rede ist Folge des Ernstes und der Strenge.
Die Gewöh
nung aber an Scharfe, Bestimmtheit und Klarheit ist wiederum
Gewöhnung an Ernst und Strenge, ohne welche jene Eigen schaften nicht erworben werden können.
Und welche Zeit der
Scharfe, Bestimmtheit und Klarheit des Gedankens und der
Rede ermangelt, diese kann nicht Ernst und Strenge haben. Wir werden aber sehn, daß es unserer Zeit an Schärfe fehlt. Daß Dünkel zugleich Ursache und Folge des Leichtsinns in der Bildung ist, ergiebt sich von selbst.
Es ist aber Charakter
unserer Zeit, sich eines beispiellos mächtigen Fortschreitens in
der Bildung wie in allem Leben zu vermessen, worauf wir auch
noch zurückkehren werden.
Eben so brauchen wir unserer Zeit nicht nachzuweisen, daß sie in ungeheurer Bewegung begriffen ist, daß sie die Bewegung zu ihrem Prinzipe gemacht hat.
ja, worin sie sich groß dünkt.
Denn dieß vor Allem ist es
Aber das Prinzip der Bewegung,
und die Bewegung,- die unsere Zeit beherrscht, entzieht der Zeit die Ruhe und die Besonnenheit, womit wieder Ernst und Strenge
und Gewissenhaftigkeit entzogen werden.
Die Bewegung und
die Unruhe und die hastige Thätigkeit gestattet der Zeit nicht,
immer das höchste Ziel zu setzen, immer das Höchste vorzugs weise vor Augen zu haben.
Zur Besonnenheit kann die Welt
nicht kommen in solchem Gedränge des Lebens, wie es aus
4*
52 unserer Bewegung undHast, aus unserem Uebermaß an Geschäft
und Arbeit, und aus unserer Weise der Geselligkeit hervorgeht.
Da, wo einmal Leichtsinn ist, wird ein hohes Maß des Verkehrs, wie es unserer Zeit eigen ist, immer einer strengeren Bildung feindlich seyn.
Es wird ein Uebermaß des Einflusses
der Außenwelt entstehn, nicht bloß der Eindrücke, die jeder von außen empfängt, sondern auch der Verwöhnung, durch die
Außenwelt und durch bestimmen zu lassen.
die Rücksicht auf die Außenwelt sich Die Eindrücke, die wir empfangen, sind
nicht an sich das Uebel; es kömmt nur darauf an, der Bildung,
die wir durch sie empfangen, unseren eigenthümlichen Charakter zu geben, und ihnen nicht unbegrenzte, sondem unserer eigenen
Erkenntniß von dem Vemünftigen die höhere Gewalt zu gestatten.
Denn des äußern Einflusses kann unsere Bildung nicht entbehren; das Maß zwischen eigener Entwickelung und Aufnahme des
Fremden ist wesentlich Aufgabe des Bildungsstrebens und Bedin-
gung des Gelingens. Das Uebel ist dabei der aus dem Leichtsinn entspringende Mangel an Assimllation der aufgenommenen Ein drücke, an Ueberwältigung der empfangenen Eindrücke durch
unseren Geist. Statt daß wir das empfangene Fremde in unsere Art verwandeln sollten, lassen wir unseren Charakter zu fremder Art werden.
Dieser Leichtsinn erhält Gewalt und übt seine
Gewalt, wenn die Menschen zu viel mit andem, zu wenig in sich leben.
Der viele gesellige Verkehr in unserem Stadtleben,
mit seiner Flüchtigkeit und Flachheit, mit seinem Leichtsinn und seiner Leichtfertigkeit, worin der Salon wenig vor der Bier gesellschaft voraus haben möchte, und die vielfachen Verhältnisse,
welche das Geschäft herbeiführt, haben eine große Macht über den Menschen.
Der gesellige Verkehr ist der höchste Gewinn
für die Vervollkommnung, wenn in ihm eine gemeinschaftliche
ernste Fortbildung und Durchbildung der Ideen und der Sitte
herrscht.
Er ist Verderben, wenn er nur auf Zeitvertreib, leere
53 Unterhaltung, nichtswürdiges Vergnügen sich bezieht und eine Sucht nach diesem Zeitvertreibe erzeugt.
Vielleicht wird die
Welt durch nichts so fade als durch sades geselliges Leben. Was
aber das gesellige Leben fade macht, ist hauptsächlich die Gewöh nung an zahlreiche Gesellschaft, die sich andere Interessen seht
als das vernünftige Wort.
Und unsere Zeit sucht den Strudel
zahlreicher Gesellschaft, nicht das bildende gemeinschaftliche Denken eines Kreises, dessen Zahl zwischen der der Grazien und der der
Musen wäre.
Die vielfache Berührung menschlicher Verhältnisse und der vermehrte gesellige Verkehr hat die Gefahr einer doppelten Ver
wöhnung in sich, welche Gefahr für eine Zeit, die einmal vom Leichtsinn beherrscht wird,
gewisses Verderben ist.
gewöhnt man sich, weniger selbst zu urtheilen,
Erstens
sondern das
Urtheil der Andern zum eigenen Urtheil zu machen, theils weil
man die Masse des Eindringenden nicht zu bezwingen vermag, theils weil eine Feigheit oder eine falsche gesellige Tugend und
vom ernsten Widerstreben zurückhält.' Das Urtheil, mit welchem das Vorgetragene eingeführt wird, findet gewöhnlich auch Auf
nahme bei den Hörenden und Lesenden.
So wird unser Urtheil
verdrängt von dem Urtheil Anderer, das uns bloß den Weg für das eigne Urtheil, Bestätigung und Unterstützung des eignen
Urtheils seyn sollte.
Zweitens gewöhnt man sich, das eigne
Thun nach dem Urtheile der Welt zn bestimmen, das man an
die Stelle des Gewissens treten läßt.
Man bestimmt sich, seyn
zu wollen, was die Welt will daß man sey, nicht was die
Vernunft will.
Dadurch wird uns zur Norm, zum Gesetz,
was bloß als Unterstützung unseres Gewissens und aus frei
williger, abgemessener Nachgiebigkeit gegen das Verlangen der
Welt berücksichtigt werden sollte. Das Uebermaß geselligen Ver kehrs und geselliger Rücksichtnahme nebst der Zerstreuung durch Arbeit läßt uns nicht Zeit, allein zu seyn, in uns zu seyn;
54 es laßt unserem Gewissen keine Zeit, und damit für Ernst und
Strenge keinen Raum.
So erlangt bei unserem Verkehr das Urtheil der Welt eine
unangemessene Macht, und ihr zu widerstreben verliert sich der
Muth der Einzelnen.
Und das Uebermaß geselligen Lebens hat
zur Folge, daß mehr nach dem, was am allgemeinsten gilt — und dieß ist nicht auch das Beste — als nach dem- Besten gestrebt wird.
Daher insonderheit auch der Vorzug äußerer
Politur, die am meisten erscheint und gilt, vor der wesentlichen Bildung.
Diese Macht der äußern Einwirkung nun ist Entwöhnung von selbstständiger Entwickelung, ohne welche doch keine höhere
Bildung seyn kann; sie ist zugleich Ursache der Macht des Zeit geistes, die jetzt gewaltiger als je zu seyn scheint.
Hiernächst aber, und hiermit zugleich, ist diese Macht der
äußern Einwirkung, diese Richtung auf das was die Welt will, Entwöhnung von der Gewissenhaftigkeit, von Ernst und Strenge
der Prüfung und des Nachdenkens, eine Zerstreutheit, die uns
nicht läßt uns mit uns selbst beschäftigen.
Dadurch steigert
sich immer mehr der Leichtsinn, der selbst auch Quelle des Uebels
ist.
Immer größer wird die Entfernung von der Strenge und
der Gewissenhaftigkeit, worin Schärfe und Richtigkeit des Den
kens, wie Reinheit des Charakters ihren Sitz haben. Es ist auffallend, daß der Leichtsinn der Geister sich mit der Schwere der Zeit zu verbinden liebt; vielleicht ist es, weil die Schwere der Zeit hauptsächlich aus dem Leichtsinn sich erzeugt.
55
6. Schärfe, Richtigkeit, Bestimmtheit, Tiefe, Klarheit. Ich weiß eö nicht anders mit Einem Worte als Schärfe zu nennen, was den Gedanken, die Rede, das Gefühl, den
Willen, den Charakter, alles Thun, durch die höchste Genauigkeit
zur Vollendung ausbildet. Hier verstehn wir unter dem Worte Scharfe nicht sowohl die Eigenschaft des Gedankens, der Rede, des Thuns, sondern vorzugsweise die Gewöhnung an jene höchste Genauigkeit im
Streben, und das dadurch ausgebildete Vermögen mit dieser Genauigkeit zu denken, zu sprechen, zu fühlen, zu wollen, zu
handeln.
Aus der Schärfe fließt Richtigkeit, Bestimmtheit, Gründ
lichkeit, Tiefe, Klarheit, Vollendung.
Ausglättung,
Feinheit,
Reinheit,
Oder die Schärfe begreift alle diese Eigenschaften.
Wir werden hier immer alles dieß darunter denken, wenn wir
von Schärfe sprechen.
Daß die ächte Schärfe nicht ohne die
Richtigkeit und die Wahrheit ist, haben wir schon früher bemerkt. Es ergiebt sich von selbst, daß die Schärfe, als Gewöh
nung und Streben, ganz zusammenfließt mit Ernst und Strenge,
mit dem Streben nach Vervollkommnung und Bildung.
Man
kann die Schärfe, wie Ernst und Strenge oder das Bildungs streben, oder die Richtung auf das Höhere, vorzugsweise Bil
dung nennen. Irgend einem Vermögen, namentlich dem Denkvermögen,
ohne diese Schärfe höheren Werth beizulegen, weil es Außer ordentliches leistet, ist höchst irrig.
Alles blendende Vermögen
und Leisten ohne Schärfe ist leere Gaukelei um so mehr, je höhere Kraft entwickelt wird.
So wenig die Kunst des Denkens
56 als die Kunst der Rede ist eine Art leeren Glanzes.
Wie die
Rede nur als Ausdmck des Gedankens, so hat der Gedanke nur in der Uebereinstimmung mit der Wahrheit Werth.
Die
Untersuchung namentlich des Denkvermögens ist also in der Untersuchung der Schärfe enthalten.
In der Schärfe ist die
Höhe des Denkvermögens, der Kunst des Denkens. Die Schärfe mit ihrer Richtigkeit und Angemessenheit ist
das wahre Wesen jeder Bildung und jeder Kraft, namentlich
des Denkvermögens, daher das rechte Ziel aller Bildung und
aller Erziehung, der gelehrten Schulen und der Elementarbildung. Das Höchste, was im Bildungsleben, namentlich in der
Erziehung, zur Förderung richtigeren Denkens und zur Erhöhung
des Denkvermögens geschehen kann, ist die Gewöhnung an Strenge und Schärfe des Denkens, die Gewöhnung nie anders als mit
Schärfe zu denken, nichts gelten zu lassen, nichts aufzunehmen ohne hinreichendes Bewußtsein von der Wahrheit und ihren
Gründen.
Wie Ernst und Strenge, so hat auch die Schärfe
ihr Wesen darin, daß sie nie nachläßt.
So ist die Schärfe,
man kann auch sagen die Bildung, wesentlich der Gegensatz gegen die Welt der Vorurtheile; das Vorurtheil ist das Erzeugniß
der Gedankenlosigkeit, eine Annahme ohne Urtheil.
Unsere Zeit scheint dem gewandteren, schnelleren, kühneren, über das Nächste hinausgehenden Denker einen unverdienten Vorzug unbedingt, ohne Rücksicht auf die Nichtigkeit des Den
kens, zuzugestehn vor einem einfacheren, weniger weit dringen
den, aber das Rechte mehr treffenden Denken. gesunden Menschenverstand,
Allein was man
jetzt nicht immer mit Achtung,
nennt, verdient hoch geschätzt zu werden als Richtigkeit im
Denken, als die Gabe das Rechte zu treffen, nicht bloß in der Behandlung der Gegenstände des gemeinen Lebens, sondern
oft höherer Aufgaben.
Oft sehen wir geübte Denker in der
Wissenschaft wie sonst in die größten Ungereimtheiten fallen,
57 wie nicht selten die im feineren geselligen Leben gewandtesten Menschen die größten Verstöße gegen die Schicklichkeit machen.
Die Leichtigkeit und Gewandtheit des D.nkvermögens ohne ver
doppelte Sttenge erzeugt darum größeren Irrthum, weil sie theils durch Selbstvertrauen zum Nachlassen in der Schärfe
verleitet, theils zur Ausdehnung und Steigerung des Denkens und in Regionen führt, wo es der Verdoppelung der Strenge
bedarf.
Der Leichtigkeit ohne Ernst liegt Flüchtigkeit und Ober
flächlichkeit nahe. Also Leichtigkeit und Gewandtheit des Denkens
kann nicht ohne Richtigkeit Werth haben; die Richtigkeit aber
liegt in der Gründlichkeit, die Gründlichkeit in der Schärfe, die Schärfe in der Strenge, und die Strenge im Ernste.
Gewandt
heit ohne Schärfe ist der Charakter jener Virtuosität ohne Tiefe, welche die Art der ganzen Bildung unserer Zeit bezeichnet.
Gleich Anfangs in der Bezeichnung des Wesens der Schärfe ist berührt worden, daß sie alle Bildung ergreift, nicht bloß den Gedanken und die Rede, sondern auch das Gefühl, den
Willen, den Charakter, alles Thun, nicht bloß die Intelligenz,
sondem auch die Sittlichkeit, die äußere wie die innere Bildung. Die Schärfe im Allgemeinen bezieht sich auf alle Annäherung
an Vollendung, auf alle Uebereinstimmung mit dem, was seyn
soll, was das Rechte ist.
Ueberall stoßen wir auf den Zusammen
hang aller Bildung und auf die Förderung aller Seiten der
Bildung durch den Fortschritt in der Einen.
Die Gewöhnung
des Geistes an die Genauigkeit in der Erstrebung dessen, was
seyn soll, was das Rechte ist, in dem einen Kreise wirkt auch auf die Richtung des Strebens nach dem Rechten in allen Kreisen, der Sittlichkeit wie der Intelligenz, des Schönen wie des Guten und des Wahren.
Und die Uebung in dem einen
Kreise ist Bildung des Vermögens auch für die anderen Kreise. Schärfe des Gedankens und der Rede ist nichts Anderes, als was der Tact, der 'Geschmack, das Zartgefühl in dem Kreise
58 des Guten und des Schönen ist.
Es ist gemeinschaftlich Ver
feinerung und Veredelung, denn diese ist darin enthalten, daß
alles auf das genaueste so gestaltet werde, wie es gestaltet seyn soll.
Hier ist der Verein der Verstandesschärfe und der Ver
edelung, so wie das Verhältniß der äußern und der innern Bildung zu erkennen.
Namentlich in der Sprache.
Die Ge
nauigkeit der Sprache gehört theils der Richtigkeit des Gedankens
an, theils der Feinheit und dem Adel der Gestaltung.
Die
Zierlichkeit in der Wahl der Worte, die Eleganz des Ausdrucks, die Reinheit und Angemessenheit der Aussprache, eng an den
Inhalt der Rede sich anschließend, ist zugleich Schärfe des Thuns und Veredelung des Wesens.
Die Schärfe mit ihrer Klarheit, ihrer Gründlichkeit, ihrer Subtilität, ist zugleich der ächte Grund der Verständlichkeit des Gedachten in der Mittheilung und größerer Zugänglichkeit höherer
Wahrheit.
Sie ist der achte Grund der rechten Popularität,
also das wahre Mittel der Verbreitung höherer Bildung und der allgemeineren Verbreitung der Bildung.
Das rechte Streben
nach Verständlichkeit wissenschaftlicher Darstellung verschmilzt mit
dem Streben nach der schärfsten Ergründung der Tiefe des Gegen standes.
Denn in der Schärfe, in der Gründlichkeit, in der
Tiefe ist die Klarheit, und in der Klarheit ist die Verständlichkeit. Alle, auch die höchste, Wissenschaft wird in dem Maße verständ licher, in welchem sie bis zum Höchsten der Wahrheit dringt; die Unklarheit und mit ihr die Unverständlichkeit liegt in dem Mangel
an scharfer Ergründung. Es giebt eine Popularität der Wissenschaft, welche nur als ein Verderben für die rechte Bildung so wie für die Wissenschaft
betrachtet werden kann, weil sie nur irre führt.
Nicht nur nie
drigeren Ständen und ganz in der Wissenschaft ungebildeten Menschen ist Höheres unzugänglich und die Beschäftigung damit
irr« leitend, sondern für jeden ist zu hoch, worin er nicht bis zur
59 Klarheit und zu umsichtigem Urtheil dringen kann. Wir stehn hier bei dem wesentlichsten Puncte für die Unterscheidung ächter und
falscher Bildung.
Es ist oft besser, über einen Gegenstand gar
nicht, als unklar und unrichtig zu denken. als Unwissenheit.
Irrthum ist schlimmer
Das Ideal der Bildung des menschlichen
Geschlechts liegt weniger in der allgemeineren Verbreitung aus
gedehnteren Wissens der Einzelnen, als darin, daß der — größere oder kleinere — Kreis des Wissens eines Jeden bis zur Klarheit der Ansicht und Vollständigkeit des Urtheils durchbildet sey.
Ein
Hauptmangel der Bildung ist es, wenn unser Denken und Streben auf Gegenstände geführt wird, deren wir nicht mächtig
werden können, und in denen wir die Beschränkung unserer
Urtheilsfähigkeit nicht abzumessen vermögen.
So wird die Welt
zum Nachdenken und Urtheilen über das öffentliche Leben un
widerstehlich hingezogen.
Und diese Richtung der Welt können
wir nicht entbehren wollen für die Ausbildung des Urtheils, weil es dem Menschen nicht ziemt über die Angelegenheiten des
öffentlichen Lebens nicht zu denken, und zugleich wegen der
Macht, welche in dieser Richtung enthalten ist.
Aber eine un
versiegbare Quelle des Irrthums ist diese allgemeine Hinneigung zum Urtheil über die öffentlichen Angelegenheiten, weil der Gegen stand jenseits der Grenzen der Urtheilsfähigkeit der Meisten liegt.
Also ist verderblich diejenige Popularität der Wissenschaft, welche zu dem, was Einsicht in die Tiefe erfodert, für Viele
den Zugang zur Oberfläche, nicht aber das Verständniß der Tiefe eröffnet. Nur dadurch soll die Wissenschaft für Viele zugänglich
gemacht werden, daß ihr Tieferes allen ihren Freunden ver
ständlich gemacht wird.
Es kommt zur allgemeineren Verbreitung höherer wissen
schaftlicher Bildung nicht bloß darauf an, daß die Menschen
mehr für das Höhere empfänglich gemacht werden, sondern auch
60
—
—
darauf, daß das Höhere für die Menschen zugänglich gemacht werde. Schärfe und Klarheit ist ferner die wahre Befähigung der
Lehrer, von welcher aller Erfolg der Lehre abhängt.
Durch
sie wird der Stand der Lehrer nicht nur selbst empfänglich gemacht zur eigenen Einweihung in das Wissen, sondern auch
fähig, dem Lernenden die Weihe mitzutheilen. Klarheit,
Genauigkeit,
Bestimmtheit,
In Schärfe,
Gründlichkeit,
Tiefe,
Fenheit, Subtilität ist die einzige wesentliche Methode des
Unterrichts.
Der Lehrer, der sie besitzt, ist gewiß ein guter,
der sie nicht besitzt, gewiß ein schlechter Lehrer. So liegt also das Mittel der Verbreitung der Bildung und höherer Bildung hauptsächlich in Schärfe und Klarheit.
Sie sind der Weg zur Volksbildung, wie zu den Höhen der wissenschaftlichen Bildung.
Und ohne sie muß Volksbildung
und wissenschaftliche Bildung nothwendig zurückgehn. In ihrem
Besitz ruht wesentlich die Hoffnung für die kommende Zeit. Auf die Frage nun, wie es um die Schärfe, insonderheit des Denkens, in unserer Zeit stehe, muß der ganze Inhalt dieser
Schrift antworten.
Denn es ist Scharfe, was wir an jeder
einzelnen Seite der Bildung als ihr Höchstes finden oder vermiffcn.
Hier können wir bloß auf die folgmden Betrachtungen
und ihre Ergebnisse Hinweisen.
Wir werden zunächst in dem
folgenden Abschnitte, der auch als Ergänzung des gegenwär tigen angesehen werden kann, betrachten, wie unsere Zeit durch ein Irrlicht, das sie für Geist hält, von der Schärfe und sogar
von der Richtung auf die Schärfe weggeleitet wird, so daß sie
glaubt sich der Schärfe überheben zu können.
In dem Abschnitt«
von der Kunst der Rede in unserer Zeit werden wir Mangel an Schärfe und Verderbung der Sprachen finden.
Abwendung von
der Klassizität wird sich als ein Charakterzug und als ein Zeichen
der Zeit, und zugleich als Verzichtleistung auf Schärfe erweisen.
61 Die Philosophie unserer Zeit werden wir auf einem Puncte finden, auf welchem sich der entschiedenste Mangel an Schärfe und der
Untergang der Schärfe durch einen falschen Scharfsinn kund thut. Wir werden uns an die Unbestimmtheit der theologischen Lehren
unserer Zeit zu erinnern haben, welche nichts Anderes als Mangel an Schärfe ist. Wo immer wir Schwächen unserer Zeit entdecken
werden, da ist es Mangel an Schärfe, was zum Grunde liegt.
Wenn wir uns erinnern, wie in unserer Zeit Worte für Gedanken gelten, wie hohle Worte und Reden, leere Sätze und schiefe Ansichten günstige Aufnahme finden können, so ist dieß eben der Mangel an Schärfe.
Die Aufnahme des Unwürdigen ist es
hauptsächlich, wodurch eine Zeit ihren Mangel an Schärfe zeigt. Ein Punct findet also hier seine besondere Stelle, weil er
eben nichts Anderes als Mangel an Schärfe ist, die Erzeugung und Aufnahme des Geringen und des Schlechten in unserer
Zeit, also der Mangel an Kritik.
Kritik in diesem Sinne ist
Schärfe des Urtheils.
Daß unsere Zeit überströmt von Geringem und Schlechtem,
namentlich in der Literatur und Kunst, welche hier die Bildung überhaupt vertreten mögen, wird vielleicht von Niemand bestritten. Nun ist aber hierin der unzweideutigste Beweis von Mangel
einer Zeit an Schärfe des Denkens wie des Geschmacks.
Jene
Durchbildung des ganzen Geistes, die wir Totalbildung oder
auch in engerem Sinne vorzugsweise Bildung nennen können, die Veredelung des ganzen Wesens und insonderheit wieder die
Schärfe- wird mehr daran erkannt, daß nichts Schlechtes als daß Gutes hervorgebracht werde.
Eine Zeit, der man Schärfe
des Denkens zuschreiben soll, kann nicht so Schlechtes und so viel Schlechtes hervorbringen, dulden, aufnehmen.
In- einer
Zeit ächter Bildung könnten nicht diese Zeitblätter und Romane geschrieben und so viel gelesen werden.
Dieß ist ein Zeichen
von Stumpfheit gleich wie es abstumpfen muß.
Dieses Ueber-
62 maß des Schlechten, das unsere Zelt erzeugt, diese Ueberfüllung
der Welt mit Schlechtem, diese Aufnahme und Geltung des Schlechten, diese Erhebung des Mittelmäßigen und Geringm kann nur bei hohem Mangel an Schärfe und Gründlichkeit des Denkens wie an Ausbildung des Geschmacks sich finden.
Denn nicht etwa ist dieß bloß ungebildeteren Klaffen zu zuschreiben, deren Unbildung nicht als Merkmal des Charakters
des Ganzen betrachtet werden könnte.
Das Schlechte uno daS
Geringe dringt zu weit ein in unsere Bildung, in die Welt, als daß es nicht das Ganze bezeichnen sollte.
Es ist nicht
bloß daS Schlechteste und Nichtswürdigste hier in Betrachtung
zu ziehn, sondern alles Geringe und Gemeine, wie in der Kunst
jene Niedrigkeit, welche, von reiner und tiefer Schönheit fern bleibend, an gemeinerem Elemente, an Spannung und niederem
Reize sich genügen läßt.
Fürs erste findet das Schlechte und das Geringe zu viel Aufnahme und Geltung, als daß es nicht den Mangel der Zeit
an Schärfe, an Urtheil, beweisen und herbeiführen sollte.
Man
muß sich namentlich die Nichtswürdigkeit vor Augen stellen,
die in unsern Zeitblättern vorherrscht, wie darin mit dem gewissen losesten Leichtsinn solche das Wort führen, welchen alle Einsicht
abgeht, die nicht bloß der Urtheilsfähigkeit überhaupt ermangeln, sondem oft auch irgend genügender Bekanntschaft mit dem
Gegenstände.
Und dann muß man die Verbreitung, die Gel
tung, dm Einfluß dieses Nichtswürdigen erwägen.
Unsere
Unterhaltungsblätter, unsere Romane beschränken ihren Kreis
nicht auf den Pöbel, denn nicht bloß von den pöbelhaftesten dieser Blätter sprechen wir.
in der Bildung unserer Zeit.
Sie sind ein bedeutender Moment Es ist schon sehr Geringes, was
auch in den gebildetstm Kreisen unserer Zeit gelesen wird. Dürftiges herrscht auf unserm Bühnen.
Sehr
Die seelmloseste, aller
Tiefe entbehrende Musik ist allgemeine Ergötzung derer, deren
63 Geschmack doch die Bildung der Zeit bezeichnet.
Daß aber die
Begünstigung des Geringen und des Schlechten in unserer Zeit gesteigert worden ist und gesteigert wird, daß sie demnach als
ein charakteristischer Zug unserer Zeit zu betrachten ist, setzen wir als anerkannt voraus und es wird noch an andern Stellen
dieser Schrift sich zeigen. Ferner ist nicht etwa die Hervorbringung und Aufnahme des Schlechten ein Uebel, das für sich, in eigenen, den un
gebildetsten, Kreisen gesondert bestände, der Erzeugung und Auf
nahme des Guten keinen Eintrag thäte, und durch das Gute
ausgeglichen, von dem Guten bei der Abwägung der Bildung unserer Zeit wohl überwogen würde.
So ist es nicht.
Man
kann sich nicht denken, daß Griechenland solches erzeugt hätte, wie unsere Zeit erzeugt, ohne daß nicht sogleich Griechenland
herabgesetzt erschiene.
Das Verwerfliche ist nicht etwa nur kein
Gewinn und kein Ruhm, nicht gleichgültig, es ist Verlust und
Schmach.
Die Entwöhnung von Schärfe, von Strenge und
Gründlichkeit bleibt nicht innerhalb der niedrigsten Kreise. Unsere
Zeit schreibt und liest zu viel, als daß nicht das Schlechte sich
immer weiter und weiter eindrängcn sollte. Sie giebt dem Neuen
zu sehr den Vorzug, als daß das Bessere sein Recht behalten sollte.
In einer so viel schreibenden Zeit, wo die Masse des
Schlechten so sehr überwiegt, wird immer die Trefflichkeit des Besten weniger auf die Bildung des Geringeren, als die Schlecht
heit des Geringen auf die Verbildung des Besseren wirken. Dieß schon wegen der Sprache.
Denn die Sprache wird un
fehlbar von der Masse des schlechten Geschreibes verdorben.
Und
es wird nicht nur dem Besten sein Mittel des Ausdruckes ver-
dorben, sondern eine vernachlässigte Sprache bringt auch Un genauigkeit des Denkens mit sich.
Die Geltung des Schlechten
und die Erhebung des Gemeinen ist eine Fäulniß der Zeit, welche nicht nur das Thun der Gegenwart verdirbt, sondern auch, als
64 die an» schwersten und nur durch kaustische Mittel zu heilende
Krankheit, als die Zerstörung der Schärfe, des eigentlichen Lebcnsprinzips der Bildung, die Hoffnung zum Gesunden der
Zukunft verkümmert. Wo aus Mangel an Schärfe, aus Mangel an Ernst »mb Strenge das Geringe Aufnahme, Ueberschätzung und Gunst findet, wo die Mittelmäßigkeit des Mittelmäßigen und die Schlechtheit des Schlechten nicht erkannt wird, da ist
auch der Sinn für die Trefflichkeit des Trefflichen nicht offen; denn es ist derselbe Mangel an Urtheil, an Schärfe.
Wo Falsches gilt und herrscht, da findet sich für das bessere
Streben nicht nur nicht Aufnahme, sondern auch kein Ausdruck,
keine Sprache.
Denn dafür giebt es keine Sprache, keine Dar
stellung, was die Zeit nicht hat.
Lessing könnte jetzt nicht die
Schärfe und Klarheit des Gedankens und der Rede erreichen,
die er erreicht hat.
Durchaus wird, wie das Publicum, so auch
der Geist der Hervorbringenden durch die Masse des Schlechten
und Geringen verdorben, von der Schärfe abgeführt.
Was
man immer an unserer Zeit zu loben geneigt seyn mag, die
Schlechtheit erwächst nicht nur in übermächtiger Masse neben dem Guten, sondern sie drängt sich auch in das Beste selbst ein.
Wie sehr unsere Literatur verunsaubert, wie Schlechtes geleistet,
wie günstig Werthloses ausgenommen, wie wenig das Unwürdige
durch geziemenden Unwillen aus der Welt gestoßen, wie gewissenlos geschrieben, wie gedankenlos gelesen wird, kurz wie wenig unsere Zeit Schärfe hat, dieß ist nicht bloß an dem Schlechtesten, das
sie erzeugt und pflegt, zu betrachten, sondern cs ist zu beobachten, wie sehr auch an dem, was unsere Zeit Trefflichstes hat, Mangel an Schärfe und darum an Vollendung sich findet.
Und dieser
Mangel an Schärfe fällt um so mehr auf, je mehr die Zeit
allerdings in der Gewandtheit durch Uebung vorgeschritten ist.
Neben die Virtuosität und die Fortschritte unserer Zeit ist ihr
Mangel an Schärfe, Richtigkeit und Ausglättung zu stellen,
65 damit er in seiner ganzen Größe erscheine.
Der Mangel an
Schärfe aber ist bei dem Geübteren und Gewandteren eine grö
ßere Sünde und ein schlimmeres Zeichen als bei dem Ungeübt» ren. Da mit dem Vorstehenden die Art unserer Kritik bezeichnet worden ist, so ist hier der Ort, einer Eigenthümlichkeit unserer
Kritik zu gedenken, welche wieder für unsere ganze Bildung bezeichnend ist, nämlich daß, statt der Erfassung des eigentlichen Wesens der ganzen Erscheinung, eine einzelne Seite, ein ein
zelner Punkt oder eine einzelne Beziehung herausgestellt und
mit dem Ansprüche entwickelt wird, als ob damit die Beur theilung des Wesens und des Werthes selbst geleistet sey. Es soll unserer Zeit nicht abgesprochen werden, daß sie
nicht nur, da Kenntnisse und Wahrheiten doch sich aufsammeln, ungemeine Reichthümer im Vorzug vor den Vorfahren besitzt, sondern auch in der Genauigkeit der Erforschung des Einzelnen
fortgeschritten ist, wie es die lange fortgesetzte Betrachtung des
Gegenstandes mit sich bringt.
Doch kann uns auch nicht ent
gehen, daß diese genaue Durcharbeitung des Gegenstandes und
seine wiederholte, vielseitige Betrachtung ohne die rechte Schärfe sein, und so nicht zur Wahrheit, nicht zum Gewinn führen kann, wie wir vor Allem an der Wissenschaft der Wissenschaften, die am meisten über wissenschaftliche Bildung und Geistesbildung
entscheidet, wie wir an der Philosophie finden werden.
Ueber-
haupt ist es unserer Zeit eigenthümlich, wie selbst die ausgezeich
netsten Fähigkeiten, ja vielleicht sie vor andern, in die größten Verirrungen fallen und das Ziel verfehlen. Allein hier kömmt nicht einzelnes Wissen in Betrachtung,
sondern das allgemeine, allen Leistungen und Erscheinungen einer
Zeit, namentlich der Literatur und der Kunst, Gepräge der Vollendung, der Schärfe.
aufgedrückte
In dieser Beziehung
nun kann das Urtheil über die Bildung unserer Zeit von der
Verwöhnung an die Mangelhaftigkeit des Besten, was die neueste
5
66 Zeit bringt, nur durch die Zusammenhaltung mit dem Vollen detsten, mit dem Klassischen, vor Allem, mit den Werken der klassischen Völker, sich losmachen.
Die neuere Zeit hat Leistun
gen, welchen Klassizität beigemessen werden mag, und an wel
chen gebildet das Urtheil den Mangel der neuesten Zeit an Klassizität und die von klassischer Vollendung abgewendete Rich
tung unserer Zeit erkennt.
Wer aber von der Herrlichkeit der
griechischen Welt erfüllt ist, an deren klassische Vollendung das Vollendetste der neuem Zeit doch nicht reicht, wie hoch es auch in Geist und Gedanken sich erheben möge, der wird in unserer
Zeit einen für ihre gegenwärtige Bildung, ihre Richtung und
die Aussicht für die Zukunft höchst ungünstig sprechenden Mangel an Schärfe erblicken.
Nicht bloß die Höhe des Höchsten ist in
das Auge zu fassen, des Pindar oder des Plato, sondern dieses vornehmlich, daß bei den Griechen durchaus nicht, am wenig
sten in ihrer besten Zeit, so Verfehltes sich findet, wie in un serer Zeit sogar an Werken, die nicht unter das Geringe und
Verwersiiche, sondem vielleicht sogar unter das Gute gerechnet werden.
Bei ihnen findet sich eben so wenig Entstellung des
Trefflichen durch Mangel an Schärfe in Einzelnem, als Spur, daß je so ganz Verwerfliches oder auch nur Aehnliches, wie
bei uns in so großer Masse, sich erzeugt hätte.
Dort ist überall
Reinheit der Leistung, überall Schärfe und Klarheit.
Bei uns
sind überall Schlacken, von denen auch der Sorgfältigste sein
Metall nicht ganz rein halten kann, wie auch der Aufmerksamste seine Rede nicht frei zu erhalten vermag von den Mängeln der
Sprache seines Volkes und seiner Zeit.
Wer, durchdrungen von
der Reinheit und Schärfe, klassischer Werke, die Leistung unserer
Zeit betrachtet, wie das Unkraut über dem Waizen erstickend emporwächst, und wie selbst das Bessere mit einer Mangelhaftig keit, einem Ungeschick, einem Mangel an Schärfe behaftet ist,
wovon auch das Geringste des klassischen Alterthums frei blieb,
—
67
—
dem kann die jetzige Welt nicht anders erscheinen, als der Scharfe, der Klassizität, der Verständigkeit entbehrend.
Und
es wird ihm nicht bloß in Beziehung auf Literatur und Kunst so erscheinen.
Es ist Charakter der Bildung überhaupt.
In diesem Mangel an Schärfe liegt auch eine Hauptqlielle des Reichthums unserer Zeit, ihres Reichthums an dem, was
von ihr Ideen genannt wird, aber vielmehr Einfälle heißen sollte, ihres Reichthums an Verbesserungen und Hervorbringungen aller
Art.
Es ist oft nur, weil die Zeit sich keinen strengen Gebrauch
eines scharfen Verstandes dabei zumuthet, weil Verfehltes und
Unbedeutendes seine Aufnahme und eine dem Werthe nicht ent
sprechende Geltung findet. Der Reichthum unserer Zeit an Hervorbringungen aber ist
wieder hauptsächliche Ursache ihres Verderbens.
Unsere Zeit
schreibt viel zu viel, als daß sie gut schreiben könnte.
Sie liest
viel zu viel, als daß sie mit Verstand lesen könnte.
Und der
Vortheil, welchen der Bildung der Welt die Erleichterung der Verbreitung der Erzeugnisse und der Ansichten bringt, hat seine Grenze, welche nur so weit geht, als die Fähigkeit zur Kritik,
zur Schärfe des Urtheils.
Ueber diese Grenze hinaus wird von
der allgemeineren Mittheilung immer das Unverständige und Unvernünftige den Vortheil haben, weil es das Faßlichere und das mehr Begünstigte ist.
In dem vielen Lesen und Schreiben
aber, das mehr Verderben der Bildung ist, sieht unsere Zeit
ihre Bildung.
Die mehr schreibende und lesende Nation sieht
darum wie die gebildetere aus, ein Vorurtheil, welches so tief eindringt, daß wir vielleicht alle, was wir uns auch sagen
mögen, von einem falschen Scheine, der in uns entsteht, uns
nicht ganz befreien können.
Ein anderer Grund des Mangels unserer Zeit an Schärfe liegt in ihrem Verlangen nach dem Neuen, das wiederum nicht
ohne Zusanunenhang mit dem sie beherrschenden Prinzip der
5*
68 Bewegung ist.
Wo man lieber nach dem Neuen als nach dem
vorzüglicheren Alten greifen mag, da kann Schärfe weder vor handen seyn , noch sich bilden.
Wovon nun die Heilung dieser Verdorbenheit unserer Zeit,
die Heilung von der Ueberfullung mit Schlechtem, von der Unempfänglichkeit für das Rechte und für Schärfe des Urtheils und Reinheit des Geschmacks zu hoffen wäre, das ist ohne Zweifel der Ekel vor dem Schlechten, vor Allem, was nicht mit
dem Gepräge der Schärfe und des Strebens nach Vollendung
Allein dazu ist keine Hoffnung.
versehn ist.
Die Krankheit
gehört unter die am wenigsten zu heilenden, wie alle Fehler der Neigung.
Und das Mittel, wodurch sie zu heilen wäre, ist gerade
was fehlt.
Denn die Schärfe und Klarheit selbst, die uns man
gelt, ist eben das Mittel, wodurch allein das Schlechte aus gemerzt werden kann. Der Hoffnung, daß die Welt aus Ueber» druß das Verdorbene und Verderbende von sich stoßen werde,
ist nicht Raum zu geben.
Wer sich verwöhnt hat, den Gau
men mehr reizende, aber minder gesunde Speisen einer einfacheren
aber gesünderm Nahrung vorzuziehn, dem wird wohl der Ueber» druß aus Ueberfüllung kommm, aber in diesem Zustande wird
er darum nicht zum Geschmack an der einfacheren Nahrung
zurückkehren.
So zeigt es auch die Erfahrung an der Auf
nahme der Erzeugnisse der neuesten Zeit.
Es war sonst un
erhört, wie schnell und allgemein jetzt Schriftsteller zu Lieblings schriftstellern werden oder doch sich einen Namen machen.
Eben
so schnell hört man auf, an ihnen Geschmack zu finden, was
übrigens die Welt schon irre machen sollte an dem Werthe dieser Gattung der Hervorbringungen.
Allein darum greift man nicht
nach Vorzüglicherem, sondern doch wieder nur nach Neuem und Neuerem, das immer wieder nicht besser, oft noch werthloser ist. Es sey gestattet, eine Vergleichung fortzusetzen, welche nicht
durch den Gegenstand, aber durch die Gleichmäßigkeit der Erschei-
69 nung und darum durch Verbreitung der Klarheit über die vor
liegende Frage sich empfiehlt.
Der verdorbene Magen ist nicht
geeignet, gesunde Nahrung aufzunehmen, der Gaumen aber
wird in diesem Falle eher noch Pikantes und Pikanteres zulassen, als das Einfachere.
Das wahre Mittel ist, einige Zeit dem
Magen gar nichts zu geben, damit er sich erholen, Gesundheit und Kraft Herstellen könne.
Diesen Vortheil des Magens aber
hat der Geist der schreibenden und lesenden Welt nicht.
Wohl
wäre Hoffnung, daß sie gesundete, wenn sie einige Zeit hin
durch nicht schriebe und nicht läse.
Wenn ein Menschenalter
hindurch nicht gedichtet würde, so wäre Rückkehr zum Geschmack
an dem Besseren zu hoffen, da die Neuheit keine Gewalt hätte.
Da aber solche Enthaltsamkeit der Welt nicht zu erwarten ist,
da sie
immer wieder nach Anderem und nach Verderbendem
greift, so sieht man nicht, wie die Gesundheit hergestellt wer
den soll.
7.
Geist. Es giebt einen Reichthum und eine Gewalt des Geistes,
welche man von dem Vermögen der Schärfe, Wahrheit und
Tiefe zu sondern und vorzugsweise mit den Worten Geist und
Geistreich zu bezeichnen pflegt. Was wir Geist nennen, unterscheidet sich allerdings von
Schärfe, Wahrheit und Tiefe darin, daß von diesen die Erfor schung der Wahrheit schlechthin auf dem nächsten Wege der
Erkenntniß gesucht, aus dem Wesen und Verhältnissm der Gegenstände und aus Gründen gesucht wird, Geist aber immer
etwas außerhalb des einfachen die Ergründung des Gegenstandes
verfolgenden Jdeenganges Liegendes hinzufügt.
Daher-wird
hiervon vorzugsweise das Wort Geist gebraucht, weil sich hier-
69 nung und darum durch Verbreitung der Klarheit über die vor
liegende Frage sich empfiehlt.
Der verdorbene Magen ist nicht
geeignet, gesunde Nahrung aufzunehmen, der Gaumen aber
wird in diesem Falle eher noch Pikantes und Pikanteres zulassen, als das Einfachere.
Das wahre Mittel ist, einige Zeit dem
Magen gar nichts zu geben, damit er sich erholen, Gesundheit und Kraft Herstellen könne.
Diesen Vortheil des Magens aber
hat der Geist der schreibenden und lesenden Welt nicht.
Wohl
wäre Hoffnung, daß sie gesundete, wenn sie einige Zeit hin
durch nicht schriebe und nicht läse.
Wenn ein Menschenalter
hindurch nicht gedichtet würde, so wäre Rückkehr zum Geschmack
an dem Besseren zu hoffen, da die Neuheit keine Gewalt hätte.
Da aber solche Enthaltsamkeit der Welt nicht zu erwarten ist,
da sie
immer wieder nach Anderem und nach Verderbendem
greift, so sieht man nicht, wie die Gesundheit hergestellt wer
den soll.
7.
Geist. Es giebt einen Reichthum und eine Gewalt des Geistes,
welche man von dem Vermögen der Schärfe, Wahrheit und
Tiefe zu sondern und vorzugsweise mit den Worten Geist und
Geistreich zu bezeichnen pflegt. Was wir Geist nennen, unterscheidet sich allerdings von
Schärfe, Wahrheit und Tiefe darin, daß von diesen die Erfor schung der Wahrheit schlechthin auf dem nächsten Wege der
Erkenntniß gesucht, aus dem Wesen und Verhältnissm der Gegenstände und aus Gründen gesucht wird, Geist aber immer
etwas außerhalb des einfachen die Ergründung des Gegenstandes
verfolgenden Jdeenganges Liegendes hinzufügt.
Daher-wird
hiervon vorzugsweise das Wort Geist gebraucht, weil sich hier-
— 70 — durch Reichthum des Genius verkündet.
Dor Allem bezeichnen
wir mit dem Worte Geist die Verknüpfung des entfernt Lie genden, welche am meisten geeignet ist, die Lebhaftigkeit und
die Gewalt des Geistes, seine Freiheit und seinen Schwung, hervortreten zu lassen.
Er ist hierin dem Witze auf das nächste
verwandt, ja damit zusammenfallend, und mit gutem Grunde
wird beides in der französischen Sprache und in einem ftüheren
Gebrauche der deutschen Sprache mit demselben Worte bezeichnet. Aber auch nur darin unterscheidet sich Geist von der Schärfe und Tiefe des Gedankens und des Ausdrucks, daß er nicht,
wie diese, bei der Begründung des Gedankens und seinem ein
fachen Ausdmcke stehen bleibt, sondern darüber hinausgeht.
In
der Ergründung des Gegenstandes selbst aber schließt er sich
an Schärfe und Tiefe an.
Es ist hoher Irrthum zu glauben,
daß Geist von der Strenge des Verstandes sich trennen, ihren
Forderungen sich entziehen könne.
Vielmehr hat er nur in der
Wahrheit und in der Tiefe seine Seele, und die tiefste Auf
fassung des Gegenstandes ist sein Höchstes, ja seine Eigenthüm lichkeit.
Er hat seinen Werth nur darin, daß er, was die
Schärfe stets auf dem nächsten Wege sucht, die Ergründung
eines Gegenstandes, gleichsam auf Umwegen erstrebt und durch Herbeiziehung entfernt liegender Gesetze und Erscheinungen, durch Ausdehnung des Blickes auf mehr verborgen liegende Seiten
und Beziehungen des Gegenstandes, mit freierem Schwünge, das Innerste und Tiefste der Sache vor den Blick zu führen
und in erhöhter Deutlichkeit und Lebendigkeit darzustellm vermag. Zn Beziehung auf das Geistreiche herrscht ein ähnlicher Irrthum, wie in Beziehung auf die Kunst der Rede.
Wie
man gewöhnlich glaubt, daß es eine Redekunst gebe, welche verschieden
sey
von der Kunst angemessenen Ausdrucks der
Wahrheit und nicht so durchaus verwachsen mit dem Gedanken,
sondern eine von Stoff und Gedanken zu sondemde Zierde der
71 Rede, so glaubt nwn auch, das Geistreiche sey etwas für sich, ohne strengen Zusammenhang mit der Wahrheit und mit einem
Stoffe.
Aber so unzertrennlich wie die achte Kunst der Rede
von dem Gedanken ist, so unzertrennlich ist auch das Geistreiche
der Werke von der Wahrheit und von der Tiefe des Gedankens. Wie alle Trefflichkeit der Rede, so muß auch jener Reichthum und Glanz der Darstellung, den wir mit dem Worte Geist
bezeichnen, aus der Tiefe des Gedankens selbst hervorbrechen;
er ist nicht der Ergründung und wahrhaften Darstellung des Gegenstandes ftemdartig, sondern daraus erzeugt.
In dem
Geistreichen muß die größte Gediegenheit der Anschauung, die
größte Tiefe der Wahrheit seyn, nicht daß es die Darstellung als ein zur Wahrheit nicht gehöriger flüchtiger Schmuck und
Reiz umspielte.
Wenn wir verschiedenartige Gesetze des Lebens
der Welt oder Gesetze verschiedener Gattung vergleichen oder zu unserem Gegenstände verwandte Erscheinungen herbeiziehn, um
das eine durch das andere zu erläutem und daraus ein höheres
Gesetz zu erschließen, einen tieferen Blick in das Leben des Ganzen zu gewinnen, so liegt der Werth in diesem tieferen Blick, in der Erleuchtung, die aus dem Vergleiche hervorgeht,
und dieser Werth ist durch die Wahrheit bedingt.
Jedes Bild,
das wir brauchen, hat seinen Werth nur darin, daß es ein
wahres Bild der Sache, eine gelungene Bezeichnung des Gedan kens oder Gefühls ist und das Wesen der Sache vollständiger
ausdrückt als das bloße Wort es kann.
So ist in dem Geist
reichen selbst Schärfe und Tiefe und Verdeutlichung enthalten.
Und so hat die Bildung nichts Höheres als das Geistreiche. Allein ohne diesen Werth der Beziehung auf die Tiefe des
Gegenstandes und die Schärfe des Gedankens, ohne Wahrheit ist das, was man Geist zu nennen pflegt, nur leer, ja matt und fade.
Jede Combination ist werthlos, welche nicht die Ein
sicht in die Wahrheit bereichert.
Alle Gleichnisse, alle Bilder,
72 alle Gegensätze sind leer und verfehlt, die nicht zur Anschau
lichkeit und zum Verständniß etwas hinzuthun.
Aller Witz ist
nichtig und gehaltlos, der nicht mehr Klarheit oder Lebendig
keit, wenigstens dem Worte mehr Eingänglichkeit giebt. Ohne strenge Anschließung an den Gedanken, an das Ziel der Darstellung eines Gegenstandes, an die Wahrheit, sinkt
das, was man wohl auch, aber dann mit Unrecht, als Geist
und geistreich zu bezeichnen pflegt, zu weit niedrigeren Eigen schaften herunter, für die am meisten ausländische Worte passen. Es ist dann bloß pikant, frappant, amüsant, es imponirt, durch Kühnheit und Lebhaftigkeit, durch das Ungewöhnliche, durch das Schroffe selbst.
Nur Bombast und geschraubter Styl, nur
bizarr und barock ist ost, was man für Geist und gewählten
Ausdruck nimmt.
Es verliert sich wenigstens in gemeinen und
unwürdigen Reiz, ähnlich dem Geschmack der Kinder, denen das Bunteste das Liebste ist, und dem Geschmack unserer Zeit,
welche des schärfsten Stachels bedarf, um gereizt zu werden.
Wollen wir solches Geistreich nennen, so ist das Geistreiche nicht auch vom Geiste erfüllt, ja es kann aus. einem dürftigen Geiste
kommen.
Man möchte aber lieber ein Wort bilden, das zu dem
Ausdrucke Geist sich verhielte, wie Witzelei zu Witz. Aber nicht bloß ohne Werth ist das, was sich als geist
reich geltend macht, wenn ihm Schärfe und Tiefe und selbst
die Wahrheit fehlt; sondern es ist dann auch Verderben der Bildung, weil es sich selbst in seinem Unwerthe an die Stelle
des Würdigen drängt, die Richtung von dem wahren Ziele des Strebens ablenkt, für Schärfe und Richtigkeit des Denkens nicht Raum läßt, wohl gar der Wahrheit gerade entgegen tritt.
Der
Wahrheit tritt aber Alles entgegen, was sich nicht die Wahrheit zum Ziele setzt und zur unerläßlichen Bedingung. für die Wahrheit ist, ist gegen sie.
Was nicht
Die Annahme, daß etwas
Werth haben könne ohne die Wahrheit und selbst wider die
73 Wahrheit, widerspricht nicht bloß, wie anderer Irrthum, der
Wahrheit, sondern sie hebt das Recht selbst der Wahrheit auf.. Und nie kann Unächtes sich geltend machen, ohne die Geltung
des Aechten zu verkümmern, wie dem niederen Reize nur auf Kosten des höheren Raum gegeben wird.
Das Verderbliche der
Begünstigung des Geringen und Unächten wird aber gesteigert,
je mehr es über sein Wesen und seinen Werth täuscht und für ein anderes als es ist ausgenommen wird.
Denn darin liegt
der Grund der Verkennung des Rechten, dadurch wird die Welt unempfänglich für das Rechte; wo das Unächte für ächt genom men wird, da kann das Aechte nicht verstanden werden.
In gleicher Weise wie die Wahrheit wird durch das Vor drängen dessen, was sich fälschlich für Geist ausgiebt, auch die Schönheit verfehlt.
Denn auch an die Stelle des Schönen zu
treten maßt es sich an.
Alle Nachgiebigkeit gegen niederen Reiz
ist wesentlich Abwendung von der Schönheit, Verderben des Schönheitssinnes. Durch alles vorstehende wird aber der Werth der Laune
nicht aufgehoben, welche in ihrer Flüchtigkeit und Leichtigkeit, mit ihrem leichten Sinn, Tiefe und Schärfe des Gedankens
zu verschmähen scheint.
Zuerst giebt die rechte Laune sich nie
für etwas aus, was sie nicht ist, und darum kann sie nicht
zu Irrthum führen, außer wenn sie mißverstanden'wird, was
aber nicht ihr selbst zuzurechnen ist. That verwerflich seyn.
Sonst würde sie in der
Auch im Komischen ist unwürdig, was
gegen Wahrheit und Richtigkeit ist.
Die Laune muß bei aller
Schärfe des Denkens bestehn können.
Ferner aber hat die Laune
nicht allein ungeachtet, sondern auch in ihrer Leichtigkeit und Flüchtigkeit ihre Tiefe und ihre Schärfe, und hierin ruht der höhere Werth der Laune und ihrer Werke.
Ihr Werth ist darin,
daß sie aus dem Innersten, aus der Tiefe einer reichen und reinen Quelle hervorbricht.
Man muß bei einem Werke der
74 Laune immer in eine Tiefe zu sehen glauben.
In der Strenge,
mit welcher dieser Charakter der ächten Laune bewahrt wird,
liegt die Schärfe, welche überhaupt auf keine Weise dem Wesen
der Laune fehlt.
Es liegt darin die Klassizität der Laune.
Je mehr der Gedanke, um welchen die Laune spielt, mit Scharfe gedacht und ausgebildet ist, desto höher ist das Komische.
Unsere Zeit nun zeigt überall, in dem Verlangen des Publicum, wie in dem Streben der Schriftsteller und der
Künstler, eine Richtung auf das, was sie für Geist nehmen. Sie setzt ihr Verdienst darein.
Die Richtung auf das, was
romantisch genannt und dem Klassischm entgegengesetzt wird,
gehört hierher.
Und daß dieß nicht ohne Erfolg bleibt in Bezie
hung auf jene niederen Kreise des Verdienstes und des Interesse, daß unsere Zeit es nicht an Würze fehlen läßt, im Allgemeinen
nicht an Lebhaftigkeit und am Pikanten, nicht an Reichthum der Ausstattung, nicht am Sprühen von Geistesfunken, soll
hier nicht bestritten werden. Aber worin wir den höheren Werth
des Geistreichen oder das höhere Geistreiche erkannt haben, ver missen wir, und die Gefahr, die wir an dem »nächten Geist
reichen gefunden haben, sehen wir in unserer Zeit in Erfüllung
gehen.
Dieß ist schon damit nachgewiesen, daß Schärfe und
Tiefe der wesentliche Werth und die unerläßliche Bedingung des Geistreichen ist, unsere Zeit aber der Schärfe ermangelt.
Und es bestätigt sich durch jede Betrachtung dessen, was unsere Zeit sich als Geist anrechnet.
Ueberall finden wir dabei und
darüber die Gründlichkeit, die Tiefe und die Schärfe, die Schön-
heit selbst zurückgesctzt.
Ich gebe es nicht für mein Urtheil,
daß sich dieß an der Literatur, namentlich der Kritik und Poesie,
dem historischen und politischen und philosophischen Blicke des
Volkes findet, welches doch auch jetzt noch, oder gerade jetzt wieder, den ersten Rang in dem einnehmen möchte, was man
für geistreich zu nehmen pflegt.
Man findet in der neuesten
75 Literatur der Franzosen, aber nicht der Franzosen allein, nicht bloß Geist, sondem auch tiefe Blicke, aber nicht Tiefe des
Blickes.
Denn diese Tiefe ist nur in einzelnen Blicken, nicht
in der Art zu sehen.
Es ist ähnlich, wie wenn ein Blitzes
strahlen, für Momente leuchtend, nur einzelne Blicke gestattet, nicht daß bei dauerndem Lichte ein ruhender Blick den Zusam
menhang des Ganzen erschauen könnte. ist stets einseitig.
Solche Art des Blickes
Man weiß nicht, ob es mit Bewußtseyn
oder unbewußt geschieht, wenn die fähigsten Köpfe unserer Zeit irgend eine, am liebsten eine gerade jetzt weniger bemerkte und hervorgehobene Seite des Gegenstandes, irgend eine, am lieb
sten eine weniger beachtete und eine befremdende, Ansicht zu
suchen und sich anzustellen Pflegen, als ob mit dieser Fackel nun das volle Licht über den Gegenstand gegossen würde.
Und
wenn der Gegenstand und die Ansicht irgend in das Ganze eingrcifen kann, so soll es das Ansehn erhalten, als ob hier
die Angel der Bewegung der Welt, die Seele des Lebens der Welt wäre.
Auf solchem Wege muß aber gerade der Gesichts
punct verrückt, die Wahrheit verfehlt, Einseitigkeit in die An sicht gebracht werden.
Es fehlt die Gründlichkeit, welche mit
gleicher unermüdlich strenger Forschung den Gegenstand, den
Gedanken nach allen Richtungen, von allen Seiten und im
Zusammenhang« mit allen seinen Berührungen erfaßt.
Mithin
fehlt die Wahrheit, welche nicht ohne diese Gründlichkeit und
Schärfe des Gedattkms gefunden werden kann.
An das, was man für Geist giebt und nimmt, knüpft sich insbesondere die reichere Ausstattung, die Eleganz der Ma
nier, die Lebhaftigkeit des Geistes. viel Falsches.
Auch hierin hat unsere Zeit
Jene Eleganz ist häufig nicht Wahl des Besten,
nicht sorgfältige Wahl nach dem wahren Werthe, sondern Gebrauch
des Ungewöhnlichen und des Frappanten.
Gemein heißt, was
jeder braucht, matt und gering das Einfache.
Indem sie aber
76 gewähltere Ausdrücke brauchen wollen, fallen sie in Unan gemessenheit und Verworrenheit.
In der Sprache immer nur
das Gewöhnlichste zu brauchen hat die Gefahr der Mattigkeit und Gedankenlosigkeit, welche dem täglichen Gebrauche eigen ist.
Der Gebrauch des
Ungewöhnlichen und die Bildung neuen
Gebrauchs hingegen erfodert viel Schärfe, wenn nicht Fehler und Unangemessenheiten daraus folgen sollen.
Und das Stre
ben nach Reichthum der Ausstattung, ohne Schärfe, führt vom
Ziele ab.
Indem sie geistreich seyn wollen und die Art des
Geistreichen nachahmen, welches nicht auf die einfache Darstellung
des Gegenstandes sich beschränkt, sondem Verwandtes und Aehnliches anknüpst, verlieren sie das Ziel und den Gegenstand aus den Augen, und scheinen oft nicht zu wissen, wo sie sind.
Vor Allem gehört in diese Betrachtung die Sucht unserer
Zeit witzig zu seyn und Witz zu finden.
Denn auf Witz, oder
vielmehr Witzeln, kömmt das meiste hinaus, was als geistreich
immer mehr die Literatur überschwemmt, wie wir denn schon
bemerkt haben, daß Witz und Geist in einander läuft und selbst
in dem Namen.
Vielleicht scheint nicht der Erwähnung wür
dig die niedrige Witzelei gemeiner deutscher Tagesblätter, oder
die ungeheuerste Verirrung der Kunst, welche die für edleren
Reiz unempfindlich gewordene Welt mit Stacheln und Brenn nesseln reizt und so durch Verwöhnung immer unempfänglicher
macht.
Aber nicht nur nimmt diese Art einen nicht unbeträcht
lichen Raum ein, sondem sie kann selbst in den härteren Zügen ihres Aeußersten doch zur Bezeichnung und deutlicheren An
schauung dessen dienen, was allgemeiner Zug der neuesten Zeit
ist, obschon es anderwärts wmiger scharf hervortritt.
Ja das
Niedrigste dieser Art ist doch wieder Ursache des Verderbens des Besseren, denn hier geht das Verderben mehr von unten
aufwärts, und diesem Anfänge folgend werden wir bis in die
höchsten Regionen unserer Kritik, unserer Kunstleistung, unserer
77 Philosophie geführt.
Nicht bloß in Zeitblattern hat die Sucht
Auch in das Bessere ist
nach Witz die Herrschaft errungen.
diese Sucht übergegangen, und dieß vielleicht weniger durch die
Schuld der Schriftsteller, als des Publicum, welches, an diese Art der Ausstellung, an dieses Gewürz gewöhnt, mit seinem
dadurch abgestumpften Geschmack das Reinere und Einfachere matt, alltäglich, fade und unschmackhaft findet.
Das Streben
und Verlangen nach Witz, nach dem Geistreichen, ist allgemeiner
Zug unserer Zeit geworden.
Oder am besten ist es vielleicht
das Streben nach dem, was nicht einfach ist, zu nennen.
Nun
haben wir in dem ächten Geistreichen das Höchste aller Bildung
gefunden.
Allein daß unsere Zeit nicht dieses ächte hat, müßte
dem, den der Blick auf unsere Literatur und Kunst nicht über zeugte, und der es nicht aus dem Mangel unserer Zeit an
Schärfe überhaupt erschlösse, schon aus der allgemeinen Ver
breitung dieser Art deutlich werden.
Denn das ächte Geistreiche
liegt so hoch, daß es kaum in der begabtesten Zeit so allgemein
seyn kann. Was aber aus der Natur der Sache folgt, das zeigt auch
die Erfahrung in unserer Zeit, daß ^Schärfe und reine Ver ständigkeit erstickt wird durch das unächte Geistreiche und den
unächtm Witz, durch die Pflege und Geltung dessen, was man für Geist oder auch wohl Scharfsinn nimmt, was aber nur
leeres Witzspiel und falscher Schein ist.
Wo
der leere und
wohlfeile Witz gelten kann, wo das Interesse am Pikanten vor herrscht, da geht der Gedanke nicht in die Tiefe, und wenn
auch mit dem Witz tiefere Bedeutung sich verbindet, so geht doch durch sein Vorherrschen die Strenge in der Richtigkeit des Denkens und der Darstellung unter.
Von den Blitzen schla
gender aber nicht treffender Worte geblendet werden die Blicke
unempfänglich für das reine Sonnenlicht strenger Wahrheit und Bestimmtheit des Gedankens.
Sogar in Werken, die voll
78 Funken des Geistes, die mit tiefen Blicken und eigenthümlichen Wahrheiten ausgestattet sind,
wird von der Ueppigkeit des
Witzes die Wahrheit entweder wie ein zarteres Gewächs von
zu üppig wuchernder Pflanzenart erstickt, oder doch unscheinbar gemacht.
Und da das wahrhaft Geistreiche selbst auf Scharfe und
Tiefe ruht, so geht, was wirklich Geist ist, verloren über dem
Streben nach dem, was man für Geist halt. bewegende Prinzip des Geistes ist Seele.
unserer Zeit mangelt,
weil sie
Streben nicht Tiefe hat,
Endlich das
Daß aber Seele
nicht Innerlichkeit, weil ihr
haben
wir im
vierten Abschnitte
bemerkt.
Vielleicht tritt die Untüchtigkeit des Strebens und Leistens
unserer Zeit an nichts so deutlich hervor, als an der Verflachung dessen, was man Geist nennt, an der Niedrigkeit der Vor
stellungen von Geist, wovon man oft höchst dürftiges, gehalt leeres, ja unbeholfenes Witzspiel nicht unterscheidet.
Und viel
leicht hat die Zeit nichts Verderblicheres für die Bildung als diese Richtung.
abgestumpft.
Dadurch wird der Sinn für das Reinere
Dadurch muß der Sinn für das Schöne und
Erhabene verloren gehn, der Sinn für das Liebliche und das Unmuthige, das nur für frische Seelen ist.
benheit aller Bildung.
Daher Verschro
Daher die geistige Kränklichkeit und
Schwächlichkeit unserer Zeit.
8. Ausbildung -er Rede. In dem Abschnitte von der Schärfe haben wir die Spitze der Geistesbildung, die Ausbildung des Denkvermögens oder vielmehr der Kunst des Denkens betrachtet.
Neben dem Denk«
78 Funken des Geistes, die mit tiefen Blicken und eigenthümlichen Wahrheiten ausgestattet sind,
wird von der Ueppigkeit des
Witzes die Wahrheit entweder wie ein zarteres Gewächs von
zu üppig wuchernder Pflanzenart erstickt, oder doch unscheinbar gemacht.
Und da das wahrhaft Geistreiche selbst auf Scharfe und
Tiefe ruht, so geht, was wirklich Geist ist, verloren über dem
Streben nach dem, was man für Geist halt. bewegende Prinzip des Geistes ist Seele.
unserer Zeit mangelt,
weil sie
Streben nicht Tiefe hat,
Endlich das
Daß aber Seele
nicht Innerlichkeit, weil ihr
haben
wir im
vierten Abschnitte
bemerkt.
Vielleicht tritt die Untüchtigkeit des Strebens und Leistens
unserer Zeit an nichts so deutlich hervor, als an der Verflachung dessen, was man Geist nennt, an der Niedrigkeit der Vor
stellungen von Geist, wovon man oft höchst dürftiges, gehalt leeres, ja unbeholfenes Witzspiel nicht unterscheidet.
Und viel
leicht hat die Zeit nichts Verderblicheres für die Bildung als diese Richtung.
abgestumpft.
Dadurch wird der Sinn für das Reinere
Dadurch muß der Sinn für das Schöne und
Erhabene verloren gehn, der Sinn für das Liebliche und das Unmuthige, das nur für frische Seelen ist.
benheit aller Bildung.
Daher Verschro
Daher die geistige Kränklichkeit und
Schwächlichkeit unserer Zeit.
8. Ausbildung -er Rede. In dem Abschnitte von der Schärfe haben wir die Spitze der Geistesbildung, die Ausbildung des Denkvermögens oder vielmehr der Kunst des Denkens betrachtet.
Neben dem Denk«
79 vermögen, und unzertrennlich von ihm,
Rede.
steht die Kunst der
Der Gedanke und die Rede sind in einander.
Die
Rede ist die Verkörperung und Erscheinung des Gedankens, sie ist ein lautes Denken.
An der Kunst der Rede ist das Denk
vermögen einer Zeit zu erkennen.
Das sicherste Merkmal der Bildung eines Volkes und noch mehr einer Zeit ist die Ausbildung der Rede und der Sprache,
so fern man in der Sprache nicht bloß gleichgültige Zeichen, sondern auch Sinn und Bedeutung findet.
Der Griechen hohe
Bildung erkennen wir an nichts mehr als an der Rede und
an der Sprache der Nation.
Von den Römern ist als das
Höchste ihrer Bildung ihre Sprache zu betrachten; sie ist die
Größe der Literatur der Römer. Es ist schon ausgesprochen worden, daß der Styl des
Menschen der Mensch ist.
Noch weit mehr aber gilt dieß von
den Zeiten und von den Völkern.
Denn die Rede des Ein
zelnen ist nur zum Theil seine Rede, der andere Theil, nament lich die Sprache, ist die Sprache seiner Nation und seiner Zeit.
Die Befangenheit des Einzelnen in der Art seines Volkes und seiner Zeit ist bei der andem Bildung nicht so hervortretend
wie in der Bildung der Rede.
Denn nicht bloß liegt es in
der Sache, daß der Einzelne gerade in dem, was Mittheilung ist, was jeder nur durch Mittheilung sich aneignet, am meisten
durch seine Umgebungen bestimmt wird:
sondern die wesend
liche Grundlage der Rede, die Sprache, ist ja im Allgemeinen gar nicht des Einzelnen, sondern des Volkes und der Zeit.
Zwar kann der Meister der Rede auch sein Zeichen dem Gepräge
seiner Sprache beifügen, wie auf den Münzen das Zeichen des Meisters sich findet, aber der ganze Stempel ist der Stempel
seines Volkes und seiner Zeit.
Von seinem Volke und seiner
Zeit empfängt der Redende die Sprache, ein Material, das
nur sinnig zurechtgelegt, nicht in eine andere Masse verwandelt
80 werden kann.
In allem Anderen kann der Einzelne eher aus
Zeit und Nation herausgehn, als in der Sprache.
Wer seine
Ansicht und sein Urtheil ganz über die Ansicht und das Urtheil seiner Zeit zu erheben vermöchte, der kann doch nicht umhin,
in seines Volkes und seiner Zeit Sprache zu sprechen.
Zwar
ist im Denken wie im Sprech.'« der Einzelne beides', selbstständig
und wieder Erzeugniß seiner Umgebung.
Aber in dem Denken
ist die größere Selbstständigkeit, in der Sprache die größere
Abhängigkeit von Zeit und Volk.
Femer können wir uns schon
darum von der Sprache weniger als von anderem Gepräge
der Zeit los machen, weil der Gebrauch der Sprache mehr als der Gebrauch des Verstandes, ein unbewußter wird, in welcher
wir das Gewohnte unwillkührlich wiederholen. mit der Sprache der Zeit und des Volkes.
Anders ist es
Was die Zeit nicht
in der Sprache hat, hat sie gar nicht, hat sie nicht in der Bildung.
Denn darum eben ist es nicht in der Sprache, weil
es nicht in dem Gedanken, in der Bildung, in dem Volke oder
der Zeit ist.
Die Zeit bildet ihre Sprache nach dem was sie
denkt, und sie nimmt in die Sprache Alles auf, was sie denkt. Ueber die hohe Bedeutung der Kunst der Rede für die Bildung des Menschen, für die Veredelung des ganzen Wesens
müssen wir das gebildetste Volk der Erde fragen.
Bei den
Griechen war Denken, Sprechen, Deklamation, Rhythmus,
Poesie, Gesang, Musik in einem Zusammenhänge, welcher ihrer Bildung wesentlich war; Alles Theile Einer Kunst, welche den
höchsten Flug des Gedankens und die Vollendung der Rede, ohne Zweifel bis zur größten Reinheit und Verfeinerung der
Aussprache und des Tonfalls, umfaßte.
Sprache und Rede
kunst, Gedanke und Sprache und Kunst stossen in einander,
zur gegenseitigen Veredelung,
zur tüchtigen Begründung der
Kunst, wie zu Erhebung des Gedankens und der Sprache in das Reich der Schönheit.
Die Trefflichkeit ihrer Rede und
81 Sprache ist die Scharfe des Gedankens, die Feinheit des Tactes,
die Reinheit des Geschmacks, die Eleganz aller Form.
Durch
nichts mehr, als durch diese Harmonie aller Bildung, durch diese Vereinigung aller Bildung in einen Kreis, welcher in
der Scharfe des Denkens und der Rede seinen Mittelpunct hat,
ist das Leben der Griechen veredelt, durch nichts mehr ist es zu einem Kunstwerke geworden.
Hierin scheint die Musik der Griechen ihr Wesen und ihre
gerühmte Gewalt gehabt zu haben.
Bei den Griechen hatte,
wie es scheint, die Musik einen ganz andern Sinn als bei uns.
Sie ermangelte dort ohne Zweifel des Reichthums, der Fülle, der Macht, vielleicht auch des Tiefsinns, der den Messen, Symfonien und Opern der neuen, wenn auch nicht der neuesten Zeit, eigen ist.
Aber sie mag bei den Griechen eine von uns nicht
mehr zu verstehende Würde und Bedeutung gehabt haben, in
ihrer engen Verbindung mit der Rede und ihrem Rhythmus und mit der Poesie.
Sie gehörte zu der edlen Gestaltung,
welche der Rede, so wie aller Bewegung, der Griechen eigen
thümlich war, und in welcher alle Kunst sich vereinigte, an die Poesie selbst die Kunst sich anschloß, die bei uns als Tanz
kunst von so hoher Bedeutung sich weit entfernt hält.
Darum
war auch bei den Griechen die Musik allgemeiner und wesent licher Gegenstand der Bildung und namentlich der Erziehung.
Um nun den Standpunct für die Kunst der Rede unserer Zeit zu nehmen, müssen wir zunächst davon ausgehn, daß die Trefflichkeit der Rede auf der Schärfe des Denkens und aller
Bildung ruht.
Wir haben dann schon den Grundzug des
Charakters der Redekunst unserer Zeit gefunden, wenn wir auf das zurückgehn, was wir über den Mangel unserer Zeit
an Schärfe und Richtigkeit des Denkens, über ihre Entfemung
von der Klassizität, über die Erfüllung der Welt von dem Schlechten und Geringen, und über den Einfluß des Ueber-
6
82 maßes am Schlechten und Geringen auf den Ton der ganzen Bildung gefunden haben.
Wie von der Ausbildung des Denk
vermögens, so ist die Schärfe auch von der Ausbildung der
Rede das Wesen.
Auf der Schärfe ruht alle Eleganz, Fein
heit, Bestimmtheit, Klarheit, Reinheit, Schönheit und Tiefe der Sprache.
Wenn wir im Vergleich nicht bloß mit den trefflichsten der Griechen und Römer, sondern mit den griechischen und römi
schen Schriftstellern der guten Zeit überhaupt unsere Rede und
unsere Sprache dürftig, unbeholfen, ungeglättet, unrein finden,
so ist zwar dieser Vorwurf nicht der neuesten Zeit eigenthümlich, allein er gehört dennoch zur Beurtheilung des Standpunctes,
den unsere Bildung in der Geschichte der Bildung des mensch
lichen Geschlechts cinnimmt, und er ist von uns nicht zu über gehn, weil er zur Beantwortung der Frage wesentlich ist, ob denn wirklich, wie unsere Zeit meint, ihre Bildung so weit über alle ftühere Bildung hervorrage, worüber kein Punct mehr ent
scheidet, als der, bei welchem wir stehn, da die Geistesbildung nichts Wesentlicheres hat, als die Kunst der Rede und die mit
ihr zusammenlaufende Kunst des Denkens.
Wollen wir aber
den Vergleich mit jenem Trefflichsten bei Seite setzen, und nur den Charakter her neuesten Zeit in Vergleich mit der näher
liegenden, namentlich mit der zunächst vergangenen, also die Richtung und den Gang unserer Zeit in Beziehung auf die
Kunst der Rede betrachten, so muß uns Mangel an Schärfe, an Richtigkeit, an Reinheit, an Bestimmtheit, an Angemessen
heit und an Klqrheit um so mehr auffallen, je mehr die Lite ratur bereichert worden und je größer die Uebung ist; denn wo weniger Uebung ist, da ist Mangel an Vollendung der Rede
weniger Zeichen von Mangel an Verstand und Geist, und darum
eher nachzusehn.
Es muß jedem auffallen, wie die Sprache
in unserer Zeit neue Unangemessenheit, Unbehülflichkeit, Steif-
83 Helt und Unrichtigkeit aufnimmt, in der nicht von Einsicht unter» stützten Vermessenheit alles zu verbessern viel, doch mit Ungeschick,
neuernd.
Nicht immer hat die Einsuhrung eines neuen Sprach
fehlers einen so tief liegenden Grund, wie etwa dieses, daß man im Deutschen, mit Uebertragung einer französischen Wen
dung, den Gedanken, daß uns etwas gefalle, mit den Worten ausdrückt, daß wir uns da oder darin gefallen.
In der That
pflegt unsere Zeit nur zu sehr sich in dem zu gefallen, was
ihr gefällt; ihr gefallt nicht nur das Falsche, sondern sie gefallt
sich auch in seiner Aufnahme und Pflege.
Immer ist in den
neuen Verunreinigungen der Sprache ein zwiefacher Zug unserer Zeit zu erkennen, Mangel an Scharfe und an Prüfung, und die Vermessenheit des Klugdünkens.
Vor allem ist die Veränderung des Prinzips der Sprach, bildung bei den Franzosen charakteristisch, welche jetzt der frü heren strengen Sprachgesetzgebung, ohne Zweifel einer Quelle
der an den Franzosen gerühmten Klarheit, aus Grundsatz den
Gehorsam verweigert.
Aber die französische Nation, der Gesetz
gebung einer Akademie sich unterwerfend, was sie jetzt so ver»
schmäht, war in so weit von dem rechten Grundsätze ausgegangen,
als der Gebrauch der Worte der genauesten Bestimmtheit bedarf,
als auf dem Streben nach Gesetzmäßigkeit und strenger Richtig keit in der Sprache, dem Spiegel der Wahrheit und Schärfe des Denkens, die Kunst der Rede beruht.
Hat je Willkühr,
sey es einer Akademie oder eines Volkes, dem Sprachgebrauche zu enge oder unangemessene Schranken gezogen, so ist so wenig wegen dieses Irrthums aus der Sprache das Prinzip der streng
sten Gesetzmäßigkeit zu bannen, als man aus dem Staate,
weil je unangemessene Gesetze gegeben worden, wird Gesetz gebung und strenge Vollziehung der Gesetze verweisen wollen. Bereicherung der Sprache und der Rede in größerer Willkühr
zu finden, ist ein großer Irrthum.
Vielmehr ist wahre Berei-
6*
84 cherung in den feineren Unterscheidungen zu finden, zu welchen Schärfe und Bestimmtheit führt, und die sich durch Vernach
lässigung der strengen Bestimmtheit verlieren.
Bereicherung
aber könnte nicht Gewinn, sondern nur Verlust seyn, wenn sie mit Hintansetzung der Schärfe und der Klarheit erreicht werden sollte, welche nicht ohne Strenge des Gebrauchs der
Sprache seyn können.
Gern wollen wir jedoch annehmen, daß
die Sprachen in unserer Zeit Bereicherungen erhalten.
Allein
wenn sie zugleich an Reinheit, Gesetzmäßigkeit, Bestimmtheit
und Genauigkeit des Gebrauchs verlieren sollten, so wäre dieß ein durch nichts zu ersetzender Verlust.
Es wäre der schlimmste
Verlust, wenn bei der Bereicherung der Sprachen die Rede zurückginge, wenn etwa die Franzosen über der Bereicherung ihrer Sprache jene Klarheit der Rede verlören, ohne welche
das Sprüchwort sagt daß nichts französisch seyn könne. Was wir vom Verfall der Sprach« bemerken gilt stets zugleich von der Kunst der Rede.
Die Rede ist nur höhere
Potenz der Sprache., Wie vor allem in Sprache und Rede die Höhe der Bil dung einer Zeit sich verkündet, so ist es vor allem Rede und
Sprache, worin der Rückschritt der Zeit, die Entweichung des
Geistes sich offenbart, wie einst bei den Griechen und den Rö mern geschah.
Tiefe und Reichthum der Bedeutung schwindet
in dem Maße, in welchem der Geist und die Intelligenz weicht.
Von Sprache und Rede vornehmlich gilt es, daß kein Still stand seyn kann, sondern nur Fortschritt oder Rückschritt, weil hier alles durch die Zeit und durch den Gebrauch herabgezogen
und verunedelt wird, wenn nicht ein neuer Geist neue und
höhere Veredelung bringt.
Wörter,
Redeweisen,
Ausdrücke
und Bllder, oft und lange gebraucht, werden gemein, und da
sie ohne das Bewußtseyn des eigentlichen vollen Sinnes an. gewendet werden, verlieren sie die ursprüngliche Bedeutung,
85 wie insbesondere die zusammengesetzten Worte eine ganz andere
Bedeutung erhalten, als die einzelnen getrennten Worte haben. Die Ausbildung der Kunst der Rede beruht auf dem Ver
kehr mit edler Rede, mit solcher, wo Strenge und Schärfe
herrscht; ihr Verderben liegt im Verkehr mit gemeiner, verdor So kann es denn nur ein verderblicher Gang
bener Rede.
seyn, den die Rede unserer Zeit nimmt, weil sie sich so sehr mit Schlechtem und Geringem erfüllt, weil sie so viel schreibt
und so viel liest, weil das Streben und Verlangen nach dem Besseren durch das Begehren nach dem Neueren erstickt wird, weil unserer Zeit die Schärfe und die Strenge und der Ernst fehlt.
Wenn man zugesteht, daß unserer Zeit höhere Poesie man gele, so ist damit auch ein Urtheil über die Kunst der Rede
unserer Zeit ausgesprochen.
der Poesie.
Denn diese hangt wesentlich an
Wo keine hohe Poesie, da ist nicht die höchste
Bildung der Rede noch der Sprache.
Bei den Römern möchte
wohl die Sprache höher stehn als nach dem Verhältniß ihrer Poesie.
Allein erstens ist zu fragen, ob nicht doch, wenn wir
namentlich ihre Sprache mit der der Griechen vergleichen, auch an der Sprache zu erkennen sey, was die Römer an Poesie
weniger hatten.
Zweitens hatten sie nicht bloß die eigene^ son
dern auch die griechische Poesie,- die sie doch wohl in das In
nere ihres Geistes aufnahmen.
Die Poesie ist das Höchste der
Kunst der Rede, welcher Satz keinem Mißverständnisse über das tiefe Wesen der Poesie unterliegen kann nach unserer Ansicht
von dem tiefen Inhalt der Rede und der Sprache.
Die Poesie
vor allem ist es, was Rede und Sprache veredelt.
Darin
schon verkündet sich der hohe Werth der Poesie, wie aller Kunst, für die Bildung, in dem Zusammenhänge mit der Bildung der
Rede und des Gedankens, des Urtheils, des Geschmacks.
86
9.
Bildung für Kunst und Schönheit. Die hohe Stelle, welche die Kunst in der Bildung ein
nimmt, ist sogleich daran zu erkennen, daß an die Bildung für die Kunst die Bildung für die Schönheit und die Bildung
für die Klassizität, für die Vollendung sich anschließt.
Die
letztere werben wir in einem besonderen Abschnitte betrachten.
Die Bildung für die Schönheit aber fassen wir füglich mit der
Bildung für die Kunst zusammen, obgleich auch die Schönheit nicht minder als die Vollendung in dem ganzen Kreise der
Bildung liegt.
Nicht bloß in dem Kunstwerke, sondem in
allem geistigen Wesen, in dem Gedanken und der Rede über haupt, wie in der Handlung und dem sittlichen Charakter ist Schönheit.
Es liegt wesentlich in dem Begriffe der Schönheit, daß, wo auch immer sie sich finde, nichts höher und herrlicher seyn
könne als sie.
Um der Schönheit etwas vorzuziehn, müßte
man annehmen, daß es etwas Schöneres gebe, als die Schön heit.
Es kann dem Sittlichen kein größeres Lob werden, als
daß eS schön sey.
Jede schöne Handlung ist sittlich, aber nicht
jede, sondem nur die sittliche Handlung nennen wir schön,
von der wir das Höchste aussagen wollen.
Das Ziel der Tugend
ist, wie Aristoteles sagt, die Schönheit.
Darum gehört die Bildung für die Schönheit zum höch sten Ziel aller Bildung.
Die Bildung für die Schönheit ist aber eine zwiefache:
Bildung zum Verständniß des Schönen, und Blldung zur Hinneigung des Sinnes nach dem Schönen. Denn nicht allgemein ist die Hinneigung des Sinnes nach
dem Schönen, wiewohl sie aus dem Wesen des Schönen nicht
86
9.
Bildung für Kunst und Schönheit. Die hohe Stelle, welche die Kunst in der Bildung ein
nimmt, ist sogleich daran zu erkennen, daß an die Bildung für die Kunst die Bildung für die Schönheit und die Bildung
für die Klassizität, für die Vollendung sich anschließt.
Die
letztere werben wir in einem besonderen Abschnitte betrachten.
Die Bildung für die Schönheit aber fassen wir füglich mit der
Bildung für die Kunst zusammen, obgleich auch die Schönheit nicht minder als die Vollendung in dem ganzen Kreise der
Bildung liegt.
Nicht bloß in dem Kunstwerke, sondem in
allem geistigen Wesen, in dem Gedanken und der Rede über haupt, wie in der Handlung und dem sittlichen Charakter ist Schönheit.
Es liegt wesentlich in dem Begriffe der Schönheit, daß, wo auch immer sie sich finde, nichts höher und herrlicher seyn
könne als sie.
Um der Schönheit etwas vorzuziehn, müßte
man annehmen, daß es etwas Schöneres gebe, als die Schön heit.
Es kann dem Sittlichen kein größeres Lob werden, als
daß eS schön sey.
Jede schöne Handlung ist sittlich, aber nicht
jede, sondem nur die sittliche Handlung nennen wir schön,
von der wir das Höchste aussagen wollen.
Das Ziel der Tugend
ist, wie Aristoteles sagt, die Schönheit.
Darum gehört die Bildung für die Schönheit zum höch sten Ziel aller Bildung.
Die Bildung für die Schönheit ist aber eine zwiefache:
Bildung zum Verständniß des Schönen, und Blldung zur Hinneigung des Sinnes nach dem Schönen. Denn nicht allgemein ist die Hinneigung des Sinnes nach
dem Schönen, wiewohl sie aus dem Wesen des Schönen nicht
bloß nach der Federung der Vernunft, sondern auch nach dem eigenthümlichen Reize des Schönen hervorgeht.
Zwar hat das
Schöne Reiz, aber nicht das Schöne allein hat Reiz.
Daher
hat die Schönheit mit andern Reizen zu kämpfen, insbesondere
in der Kunst, von deren höherem und niederem Elemente und Reize wir nachher zu sprechen haben.
So hat auch das Sitt
liche für die edle Natur den höchsten Reiz, allein diesem treten
andere, niedere aber für die Gemeinheit eindringlichere Reize entgegen.
Der Kampf der Schönheit und der Sittlichkeit mit
den gemeinen, niedrigen Reizen ist der allgemeinste und furcht
barste Kampf, den die Welt hat. Beide Arten der Bildung für die Schönheit nun, sowohl zur Hinneigung des Sinnes als zum Verständniß, gehn zu sammen mit aller Bildung überhaupt.
Denn die Hinneigung
des Sinnes nach der Schönheit gehört zur Richtung auf das
Höhere überhaupt; und auch sie ruht in der Strenge und dem
Ernste des Strebens.
Eben so ist sowohl die Schärfung des
Urtheiles, des Geschmackes, des Tactes, als auch die Gewöh
nung an Schärfe nur eine, gemeinschaftlich für die Schönheit und für alle andere Gegenstände des Urtheils.
So ist also
Ausbildung für die Schönheit Ausbildung der Persönlichkeit
überhaupt, Erhöhung der ganzen Bildung des Menschen, weil jene nicht vollbracht werden kann ohne Ausbildung dessen, was
auch Grundlage aller Bildung ist; und die Bedeutung der Bildung des Schönheitssinnes für die ganze Bildung erscheint
als eine um so höhere, wenn man erwägt, daß vor allem gerade in dem ästhetischen Urtheile, welchen Ausdruck der Sprach gebrauch wohl gestattet, Feinheit des Verständnisses liegt.
Insbesondere werden wir bei Betrachtung der sittlichen Bildung den engsten Zusammenhang dieser mit der Ausbildung des Schönheitssinnes finden, was der letzteren die höchste Em-
88
—
—
pfehlung seyn würde, wenn sie einer andem Empfehlung als durch sich selbst bedürfte.
Diese Höhe des Charakters und der Bedeutung für die Bildung nun theilt mit der Schönheit die Kunst, so weit sie
selbst die Schönheit und die Vollendung zum Charakter hat, waS aus sich selbst klar ist.
Nichts kann den Menschen mehr
veredeln, als die Beschäftigung mit dem, die Erfüllung von
dem, was in der Durchdringung von der Schönheit und in
der Erstrebung der Vollendung seinen Charakter hat.
Es giebt
nichts Geistigeres und nichts Geistbildenderes als die Kunst.
Bei der Betrachtung der sittlichm Bildung wird sich erst die volle Bedeutung der Schönheit und der Kunst für die Bildung ergeben.
Nur das möge hier besonders berücksichtigt werden,
daß in der Kunst die engste Vereinigung der Intelligenz mit dem Gemüthe, die größte Innerlichkeit des Seyns und nament
lich des Bildungslebens ist.
Aber mit der Schönheit und der Vollendung ist nicht das ganze Wesen der Kunst ausgefüllt.
Sie sind die Seele aller
wahren Kunst, aber nur die Seele, die eines Stoffes, einer
Materie zum Körper bedarf.
Denn wenn auch das, was
gemeint ist, nicht Raum erfüllt, so können wir es doch passend den Körper der Kunst nennen, so wie Schönheit und Vollen
dung ihren Geist.
Schönheit und Vollendung sind nicht für
sich, sondern an einem Stoffe, der ihr Körper ist.
Der Körper
aber hat auch seinen Reiz, sein Interesse, und, wie ungern
wir es auch gestehn mögen, auch er ist Zweck der Kunst, ob gleich die Kunst nur so weit, als sie Schönheit und Vollendung
in sich trägt, höhere Kunst ist, und nur so weit in höherem Sinne vorzugsweise Kunst genannt werden kann.
Dieser Reiz
des Körpers der Kunst ist am allgemeinsten als Spannung des Geistes zu bezeichnen, die erregt wird durch Beschäftigung der Phantasie, durch Erregung des Gefühls, durch einen Glanz
89 der Gedanken, durch den Zauber der Worte und der Bilder, durch die Macht der Töne, durch die treue Darstellung der Natur, durch das Bewundernswert^ der Künstlichkeit- selbst durch den gewaltigen Eindruck der Massen.
Nur zu sehr pflegt
dieser, wenn wir so sagen dürfen, körperliche, niedere Reiz der Kunst sich das Ansehn zu geben, als ob er aus der Schönheit
stamme.
Nicht bloß die Künstler, sondern auch die Kunst,
liebhaber gefallen sich nur zu sehr darin, das, woran sie sich
ergötzen und was sie leisten, durch Ableitung von der Schön heit zu adeln, und in das Reich der Schönheit das zu ver
setzen, was ost von der Schönheit am weitesten entfernt ist. Mir haben die Betrachtung der Schönheit an die der Kunst
angeknüpft, weil in der That die Schönheit die Seele der Kunst ist, und die Bildung für die Schönheit und für die Kunst ganz
zusammen geht.
Es ist aber ein ungeheurer Irrthum, zu
glauben, daß die ganze Kunst, mit allen den Reizen, die sie in sich faßt, und nach allen ihren Erscheinungen, durchgängig
der Schönheit angehöre. Die Kunst hat also zwei Naturen, zwei Arten des Reizes und des Interesse, zwei Elemente: ein höheres, geistiges, und
ein niederes, körperliches oder irdisches.
dieses die niedere Kunst.
Jenes ist die höhere,
Nur die höhere Kunst aber ist es,
welcher wir die hohe Würde und die hohe Bedeutung für die Bildung zugeschrieben haben.
Denn nur in dem Zusammen
hänge mit der Schönheit und der Vollendung liegt diese Würde
und diese Bedeutung der Kunst.
Auf keine Weise wollen wir
den nichtigsten aller Ansprüche begünstigen, den Anspruch einer
in gemeinem Reize sich verlierenden Kunst auf eine hohe Stelle
in der Bildung der Menschheit.
Dieser niedrigen Kunst, die
sich vorzugsweise für die Bildung
ausgeben
möchte, dieser
schöngeistischen Literatur, die sich wohl auch vorzugsweise die Literatur nennt, aller Kunst, welche von der Schönheit und
90 — der Vollendung, sollte sie auch damach streben, doch fern bleibt,
dieser Kunst gebührt so wenig die hohe Stelle in der Bildung, auf welche sie Anspruch macht, daß sie vielmehr nur darum ein wichtiger Punct für die Bildung ist, weil durch sie wahre
Kunst und wahre Bildung verdrängt wird.
Denn es ist damit,
wie wir oben von dem Einflüsse der Erzeugung und Aufnahme
des Schlechten und Gemeinen überhaupt auf das Verderben der Bildung gesehen haben.
Das Gemeine mit seiner Bequem
lichkeit, mit seinem eindringlichm, überall Zugang findenden Reize drängt sich vor, läßt für das Höhere keinen Raum, und
wendet das Streben selbst von dem Höheren ab, indem es die Neigung für sich gewinnt.
Dieß ist in der Kunst um so erfolg
reicher und verderblicher, je mehr es der gemeinen Kunst, vor
nehmlich durch ihre vorgebliche Verwandtschaft mit der Schön heit, gelingt, auch für sich den Schein edlerer Natur anzuneh
men und dadurch die Unterscheidung des wahren Wesens der höheren Kunst aufzuheben, und je wichtigerer Moment für die
Bildung die Erkenntniß und Pflege der höheren Kunst ist, welche durch jene niedere verdrängt wird. Der hohe und allgemeine Einfluß der Kunst auf die Bil
dung ist insbesondere darin gegründet, daß die Kunst so tief
in das Leben der Völker eindringt, hauptsächlich durch das, was den Völkern Vergnügung ist.
Wenn überhaupt kaum
etwas mehr von der Bildung eines Volkes und einer Zeit zeugen,
kaum etwas mehr auf die Bildung des Volkes und der Zeit wirken kann, als die Beschäftigung mit der Kunst, so gilt
dieß vor allem von den Hervorbringungen der Kunst, die am allgemeinsten Theilnahme zu erregen, die Seele zu erfüllen ver
mögen.
Der Mensch und die Zeit und das Volk hat in seinen
Vergnügungen einen sehr bedeutenden Theil
seiner Bildung
und seines Werthes. Einer wahrhaft gebildeten Zeit ist die Kunst ein Ergötzen.
91 In Verbildung begriffen ist die Zeit, welcher umgekehrt das als Kunst erscheinen und an der Stelle der Kunst seyn kann, woran
sie nur sich ergötzt.
Kaum kann es etwas Unheilvolleres geben,
als die unselige Vermählung der Kunst mit dem gemeinen Ver gnügen, in welcher barbarischen Verbindung die Kunst immer
zur Dienerschaft herabgewürdigt und nicht in ihrer eigenthüm
lichen Hoheit erkannt wird. Die Griechen sind schon darum das höchst gebildete Volk
der Welt, weil die Dramen des Aeschylus und des Sophokles, die Hymnen des Pindar, wie in früherer Zeit die homerischen Gesänge, nicht bloß unter ihnen entstanden, sondern auch zum
Leben des Volkes gehörten, Ergötzen des Volkes waren. Insonderheit das Theater hat eine hohe Bedeutung für die Bildung der Zeiten und der Völker.
Wie verschieden muß
die Zeit seyn, wo eine Antigone in religiöser Feier und Fest lichkeit dem Volke dargeboten und von dem Volke ausgenommen und in ihrer Herrlichkeit verstanden und gefühlt wird, und die
Zeit, wo man sich an dem ergötzt, was unsere Zeit darbietet.
Wie verschieden die Zeit, wo das Theater ein seltenes Fest des
Wettstreits der Kunst, eine hohe und religiöse Feier des ernsteften Kunststrebens war, und wo es zum alltäglichen Zeit vertreib wird.
Daß dort Ernst und Strenge, hier Leichtsinn
und Herabsteckung des Zieles sich zeigt, findet darin allein schon
Erklärung, daß hier Vergnügen jedes Abends seyn soll, was dort seltene Festlichkeit war.
Daher hauptsächlich kömmt es,
daß unsere Zeit zur Zerstreuung und gemeinem Ergötzen viel
zu sehr im Theater nach äußerem Glanz, Mannigfaltigkeit und Reichthum in Beschäftigung des Auges, des Ohres und der
Phantasie trachtet, als daß sie Kunstgenuß, Kunstwerth der Dichtung und der die Dichtung von neuem wieder schaffenden
Schauspielkunst suchen könnte.
Bei unserem Theater ist es
nicht genug, daß man statt der Tiefe der Kunst nur die Vir-
92 tuosität sucht, sondem ganz Aeußerliches hat den Vorzug und zehrt Interesse und Mittel auf, die Kunst selbst zurückdrängend.
Aufnahme und Pflege wahrer Kunst ist nicht mit dem Trachten nach unächtem Flitter für Vergnügen und Mode zu vereinigen. Und daß nun auch wirklich die Schauspielkunst und die dra
matische Poesie in der neuesten Zeit in Vergleich mit der zunächst vergangenen Zeit zurückgegangen sey und zurückgehe, darüber
beziehe ich mich bloß auf das Urtheil der Einsichtsvollen.
Hieran knüpft sich die ähnliche Erscheinung, die wir an
der Aufnahme der Romane sehen.
Das letzte Menschenalter
hatte auch seine Romane, die bloß Spannung der Phantasie und des Gemüths zum Ziele hatten.
Aber statt daß jetzt solche
Erzeugnisse sich in die Reihen der Kunstwerke drängen, für
bedeutende Leistungen gelten, wurde ihnen damals kein anderer Anspruch eingeräumt, als gerade zur Unterhaltung zu dienen.
Zur Kunst rechnete man nur Werke wie Wilhelm Meisters Lehrjahre, Heinrich von Ofterdingen, Titan, Franz Sternbalds
Wanderungen.
Der Vergleich dieser und mancher anderer Her
vorbringungen jener Zeit mit den am höchsten gestellten Roma nen der neuestm Zeit könnte allein schon den Stand unserer
Kunst bezeichnen.
Nicht das Urtheil eines Einzelnen ist auszusprechen, son dern es ist Beziehung auf das allgemeine Urtheil zu nehmen zu Beantwortung der Frage, welches der Standpunct der Kunst
im Allgemeinen in unserer Zeit sey, ob die Zeit sich mehr nach der höheren oder der niederen Kunst neige.
Die in unserer
Zeit Trefflichkeit auch der Kunstleistung, vielleicht gar Fort schritt sehen, mögen die großen Namen nennen, die sie den
hohen Genien der letzten Menschenalter entgegenstellen wollen. Ich will bloß dm Charakter unserer Kunst zu bezeichnen suchen,
in welchem Stand und Gang, Art unfr Ursache eines mir als
93 ungeheuer erscheinenden Verderbnisse?, gänzliche Abwendung von
hoher Kunst, zu erkennen ist.
Als eine Thatsache, die niemand läugnen wird, können
wir aufstellen, daß in der Kunst unserer Zeit das Streben von dem Klassischen sich abwendet und auf das gerichtet ist, was Vielleicht ist es möglich, so verschieden
man romantisch nennt.
auch die Ansicht von dem Romantischen seyn mag, doch einen
Begriff festzustellen, der von allen anerkannt werden kann. Zuerst ist damit die Art des Mittelalters bezeichnet worden.
Die Charakterzüge waren Christenthum, Ritterthum, Ehre, Liebe,
Galanterie.
Den Gegensatz bildete die Art der Griechen und
Römer, die man die klassische nannte.
Es war also Ursprung,
lich keine Unterscheidung, welche das ganze Reich der Kunst in
zwei Theile getheilt hätte, sondem es war nur Gegensatz zwei Nachher ist aber durch die Veranlassung
besonderer Arten.
dieses Gegensatzes der Begriff des Romantischen verändert und ausgedehnt worden.
Man sieht in dem Romantischen nicht
mehr eine bestimmte Art, sondern bloß den Gegensatz seines
Gegensatzes, des Klassischen; das Romantische ist das Nicht klassische.
Und unter dem Klassischen begreift man nicht mehr
bloß das Griechische und Römische, sondern das, worin man
den Charakter der Griechen und Römer erkennt, das, was sein Wesen in dem Streben nach Ausglättung und Vollendung hat.
In diesem Sinne ist jetzt der Begriff des Romantischen und des Klassischen zu fassen.
Dieses Romantische hat nichts gemein
mit der Romantik des Mittelalters als den Gegensatz gegen die
klassische Kunst.
Vielmehr liegt der neuesten, zur romantischen
Schule gerechneten Poesie jene Innerlichkeit und Wärme des
von Christenthum, Ritterthum, Ehre, Liebe erfüllten Gefühles meistens sehr fern. Nun ist zunächst zu fragen, was denn die Gegner des
Klassischen, denn das sind zugleich die Freunde des Roman-
94 tischen, an der Klassizität tadeln, da sie doch als ihren Cha
rakter das «Streben nach Vollendung und Schönheit anerkennen,
worin die Höhe der Kunst liegt.
Sie glauben: die Strenge
der Klassizität sey dem freieren Schwünge des Geistes entgegen; die Regel, der sie sich unterwirft, verkümmere den Reichthum der Kunst; in diesem Reichthum aber und in dem Funkensprühen des Geistes sey der wahre Werth wie das Interesse der Kunst
leistung enthalten; und so sey das Maß, die Zurückhaltung der klassischen Kunst nicht bloß
unwesentlich, sondern sogar
verwerflich.
Fürs erste aber ist es eine irrige Vorstellung, daß die Klassizität, das Streben nach Vollendung und reiner Schönheit, die Kunst durch ihre Regeln beenge, sie in eine zu enge Welt
einschließe.
Dieß liegt auf keine Weise in dem Streben nach
Vollendung und reiner Schönheit.
Vielmehr ist das Reich der
Schönheit so weit wie das der Kunst.
Es kömmt nur daraus
an, überall die Schönheit zu suchen und zu finden.
Und eben
so wenig hat das Streben nach Vollendung Regeln, welche
die Bewegung der Kunst zu sehr einengten, so daß der Geist sich nicht frei genug entfalten, nicht reich genug seine Funken
aussprühen könnte.
Nie ist in der Gesetzmäßigkeit der Schön
heit und Vollendung, nie in der Strenge der Regelmäßigkeit eine zu enge Schranke für den Geist, sondern nur in einer falschen Regel könnte dieß seyn.
Also in dem Wesen der
Klaisizität liegt die zu enge Beschränkung nicht.
Es ist nur
Irrthum, wenn man sie darin zu finden geglaubt hat.
Die
Klassizität will nicht, daß in irgend einem Kreise nicht die Kunst, sie will bloß, daß überall die Vollendung gesucht werde.
Auffallend ist es, daß man je hat in der griechischen Kunst zu enge Regel sehen können.
Dieß widerlegt jeder Blick auf das
griechische Theater, nicht bloß die alte Komödie, das Muster
der Kühnheit theatralischer Vorstellung, sondern auch auf die
—
95
Tragödie, welcher ja unser Anspruch auf Illusion ganz fremd
war, auf die handelnden Götter und personisicirten Begriffe in des Aeschylüs Prometheus, und die Eumeniden, wo auch das
Drama an verschiedenen Orten spielt, auf die Erscheinungen der Götter und Abgeschiedenen bei Euripides.
Das Phantastische
ist der Klassizität nicht weniger fähig als ein anderer Gegenstand.
Die Klassizität ist das Streben nach Vollendung und
Sie ist das Maß, die Reinigung, die Ausglättung,
Schönheit.
die Verfeinerung, die Veredelung, die Schärfe.
Sie ist das
Ergebniß des Ernstes, der Strenge, der Reinheit des Kunst
sinnes, der künstlerischen Keuschheit und Gewissenhaftigkeit, des
Strebens nach dem Höheren.
Sie ist in der Kunst, was über
haupt in dem Leben der strenge Gebrauch der Vernunft ist. Sie ist Verständigkeit und Vemünftigkeit. der Schönheit und der Klarheit.
Sie ist die Quelle
Nur in der Klassizität ist
Schönheit der Kunst, in jener romantischen Weise sind bloß
Schönheiten.
Die Klassizität aufgeben heißt also, dem Maß,
der Reinigung, der Ausglättung der Schärfe, der Vollendung,
der Schönheit entsagen; es heißt, der Verfeinerung, der Ver edelung, der Durchbildung, der Strenge, der Wahrheit, der Gewissenhaftigkeit, der Verständigkeit und Vernünftigkeit wenig stens Grenzen setzen.
Wirklich ist es auch charakteristischer Zug
unserer romantischen Kunst, daß sie meint, der höchsten Strenge
in Ausglättung und Reinigung ihrer Werke sich überheben, alles durch Geist vergüten zu tonnen.
Sie überhebt sich der
Regel des Maßes und der inneren Wahrheit, wodurch sie in dem freiesten Spielraum sich bewegend auch der Kritik über»
hoben ist.
Ein Blick auf die Werke der romantischen Schule,
namentlich Frankreichs, ist hinreichend die vorstehende Ansicht zu bestätigen.
Und es sind nicht einzelne Verirrungen; der
Vorwurf beseitigt sich nicht durch die wenn auch noch so häufig
96
und so stark ausgesprochene Mißbilligung, man kehrt doch immer wieder zu gleichem Irrweg zurück. Der Irrthum, in der Klassizität eine Beschränktheit oder
Armuth, in der romantischen Weise Reichthum und Ausdehnung des Gebietes zu sehen, ist derselbe wie jener, welcher an Geist und Geistreiches glaubt, das der Schärfe entbehren könne, dem
die Schärfe des Denkens und der Rede wohl gar entgegen sey.
Denn die Klassizität ist die Schärfe, und worin die romantische
Schule ihren Werth setzt, ist jener falsche Schein, der für Geist genommen wird.
Wie überhaupt die Schärfe keineswegs dein
Geistreichen entgegen ist, sondern vielmehr das Geistreiche seine Höhe und sein wahres Wesen in der Schärfe hat, so hat auch aller Reichthum und aller Geist der Kunstwerke in der Klassi zität nicht nur keine beengende Schranke, sondern auch die
nothwendige Sicherung seines Werthes.
Aller Reichthum, aller
Glanz der Kunst, welcher der Klassizität widerstrebt, ist ein
unwürdiger.
Nicht bloß in dem Sweben nach dem Reize dessen, was sie für geistreich hält, sondern überhaupt in dem Streben nach dem Reize unterscheidet sich die klassischen.
romantische Kunst von
der
Die romantische Kunst, oder die Kunst unserer
Zeit, neigt sich zu dem was reizt, und sucht ihren Werth in dem Reize, ohne die strenge Unterscheidung der Klassizität zwi schen höherem und niederem Reize.
Die klassische Kunst ver
schmäht nicht den Reiz an sich, nicht den niedern Reiz.
Allein
sie hat erstens die Voraussetzung, daß der Reiz nicht der Schön
heit und der Vollendung, nicht dem höheren Ziele der Kunst entgegen sey, und zweitens betrachtet sie den Reiz nie als
Wesen und Ziel der Kunst, sondern sie sieht nur in der Schön heit und der Vollendung das Ziel der höheren Kunst, und nur in der höheren Kunst das Wesen der Kunst.
Die romantische
Kunst hingegen sucht und betrachtet als wesentlich für die Kunst
97 den Reiz dessen, was den Trieb des Geistes nach Beschäftigung,
hauptsächlich nach Neuem und Anregendem befriedigen, was
Phantasie oder Gemüth beschäftigen und spannen kann, den Reiz des Frappanten, des Pikanten, des Interessanten.
Die
Ungebundenheit der Phantasie an sich, die Maßlosigkeit in der
Wahl des Stoffes und in dem Gebrauch der Mittel ist der Charakter dieser romantischen Kunst.
Hierin nun ist der Reichthum der romantischen Kunst, hierin ist die Verschiedenheit zwischen ihr und der klassischen
Kunst enthalten.
Die wesentliche Verschiedenheit ist diese, daß
die niederen, äußeren, außerhalb der Schönheit und Schärfe
und Reinheit und Vollendung liegenden Reize von der roman tischen Kunst gesucht, von der klassischen, so weit sie nicht selbst
in dem reinigenden Strome der Schönheit veredelt und gehei
ligt worden sind, verschmäht werden.
Nun liegt aber in der
Neigung zur reinen Schönheit und zur Vollendung, in der keuschen Enthaltsamkeit von niederem Reize der Unterschied der
höheren Kunst von der niederen.
Was also die romantische
Kunst für ihren Reichthum hält, giebt ihr den Stempel der niederen Kunst.
Femer, wenn in jenen niederen Reizen das Interesse nicht
nur, sondern auch das Wesen der Kunst gesucht wird, so folgt,
daß die Reizmittel immer gesteigert werden müssen.
Denn für
jeden anderen Reiz als den der Schönheit und der Wahrheit, für jeden niederen Reiz stumpft der Sinn sich ab.
Darum
muß er immer verstärkt werden, wenn er wirken soll.
Daraus
fließt es, daß unsere Zeit, je länger je mehr, eines immer schärfern Stachels bedarf, damit die Kunst Eingang sich ver schaffe, daß sie ihre Werke mit Gräuel und Scheusal, und Abscheulichem und Widerlichem, wie mit Assa fötida für die verwöhnten Gaumm, würzt, und dadurch den Sinn immer
mehr abstumpft.
98 Und weil diese Verwöhnung mit dem Sinne für allen
Reiz auch den Sinn für die Schönheit abstumpft, so ist nicht zu dmken,
daß neben der so sich
verirrenden
romantischen
Kunst die klassische Kunst bestehn und gedeihn, daß dieselbe
Zeit öder derselbe Geist für klassische und für diese romantische
Kunst zugleich empfänglich seyn und sie pflegen könne.
So ist also die Richtung unserer Zeit auf die romantische Kunst Abwendung von der höheren Kunst und von dem Höheren
der Kunst, Untergang der Kunst. Jene Erhöhung des Reizes und die Steigerung der tech nischen Ausbildung ist es aber doch, worin man einen Vorzug
der Kunst unserer Zeit sehen möchte; denn diese Eigenschaften
wollen wir unserer Zeit nicht absprechen.
Das Wesen und der
Werth unseres Fortschrittes in der technischen Ausbildung laßt sich am besten an der Musik darstellen, weil in der Musik, in
welcher auch die technische Vervollkommnung zu unserer Zeit
mehr als in irgend einer andem Klmst im Vergleich zu früheren Zeiten gesteigert worden ist, am wenigsten Streit seyn möchte
unter denen, die Einsicht besitzen.
Es ist allgemein anerkannt,
daß unsere Zeit die Virtuosität in der Musik bis zu einer über
das Frühere weit hervorragenden Stufe gesteigert, in gleichem,
vielleicht noch höherem, Maße aber das Wesen und die Tiefe dieser Kunst, die Empfänglichkeit für ihren tieferen Sinn ver loren hat, daß sie keine edle, keine große Musik erzeugt, daß
die Kunst der Musik in unserer Zeit auf eine weit niedrigere Stufe herunter gegangen ist, daß ihr Geist, daß ihr noch weit mehr Seele mangelt, daß der Zeit tiefer begeisterter Kunstsinn fehlt.
Die Virtuosität ist nicht nur gleichzeitig neben dem Ver
fall der Musik, sondern sie ist selbst Ursache des Verfalls der
Musik, indem sie das Streben auf sich zieht, durch den falschen
Schein des Werthes, den man ihr beimißt, Veranlassung zu Verkennung des Wesens der Musik und dessen, worin ihr
99 wahrer Werth liegt, veranlaßt, und dem Höheren in der Musik
die Pflege und die Nahmng raubt.
Ich weiß nicht, ob di«
Musik je wieder den Charakter der Virtuosität, der die Musik unserer Zeit bezeichnet, ablegen wird; gewiß aber kann sie nicht anders wieder zur Tiefsinnigkeit gelangen, als wenn sie den
Charakter der Virtuosität abwirft. Doch dieß gilt aber nur von der Virtuosität unserer Zeit, die aber nicht als die ächte anzuerkennen ist.
Denn es ist nur
eine falsche Virtuosität, die sich von dem Geistigen der Musik Auch das Höhere der Musik hat seine Virtuosität, die
löst.
mit dem tieferen Sinne der Musik zusammenfällt, die selbst
der Ausdruck des tieferen und tiefsten Sinnes der Musik ist. Auch diese Virtuosität ist verloren gegangen, eben weil der
Sinn für das Tiefe der Musik sich verloren hat.
Noch erzählt
man von dem Wunder des Spieles Mozart's, und wie durch sein Spiel seine Musik erst ihre volle Bedeutung erhalten habe. Und wenn es nicht erzählt würde, so läßt die unendliche Tiefe des Sinnes in den Noten auf eine gewiß entsprechende Tiefe des Ausdrucks in dem Spiele schließen.
Wer diese Musik dich
tete, wußte gewiß auch ihren Sinn im Vortrage wieder zu
geben.
Tondichtung und Vortrag
gehn immer zusammen.
Unsere Virtuosen vermögen nicht, die Seele Mozart'scher Musik in den Tönen auszusprechen, so wenig Schwierigkeit sie auch bei der Ausführung seiner Klaviermusik oder seiner Arien sehen
mögen.
Unsere Zeit ahnet nicht, daß zum Ausdrucke tieferen
Sinnes der Musik nicht nur Gefühl und Verständniß dieser Tiefe erfodert wird, sondern auch nicht weniger Uebung, Fer tigkeit, Virtuosität, als zu den Schnellläufen und Künstlich
keiten unserer Zeit. Virtuosität wird zunächst auf den Vortrag der Musik
bezogen.
Aber in aller Musik, auch in der Tonsetzung ist
etwas der Virtuosität Analoges, das man wohl auch Virtuosität
7*
100 nennen kann.
Auch hier rühmt sich unsere Zeit des Vorzugs
größerer Spannung, Lebhaftigkeit, Gewandtheit, Mannigfal
tigkeit, Künstlichkeit, größeren Reichthums, größeren Reizes. Das Hohe und Hebre älterer Musik anerkennend sieht unsere
Zeit doch im Allgemeinen in der Musik älterer Zeit, in der Einfachheit ihrer Weise Einförmigkeit, Armuth, ja Schwäche,
Mattigkeit, Leere, eine Weise, welche in neuerer Zeit nicht dargeboten werden kann, weil die neuere Zeit lebhaftere Auf reizung federt, Einförmigkeit wie Einfachheit nicht verträgt.
Diese Verschiedenheit des Charakters früherer und jetziger Musik
wollen wir zugeben, nicht aber die Bedeutung, die man ihr giebt, nicht den Vorzug, den man deshalb unserer Zeit zu schreiben möchte.
Wer mit der Empfänglichkeit für Altes, die
bei der Musik wegen der Verwöhnung an das Gangbare, an
das Modische so beschränkt ist, ohne die Täuschung der Ver
schiedenheit in der Erscheinung des Nahen und des Fernen, ohne die Befangenheit, von welcher die Betrachtung der eigenen
Zeit so wenig als die des eignen Selbst sich je ganz losmachen kann, die ältere Musik mit der neueren zu vergleichen ver
möchte, der würde wohl nicht so sehr jene Einförmigkeit und Armuth der ftüheren Musik gegen den größeren Reichthum und die größere Künstlichkeit der neueren zurückstellen.
Er würde
in der Tonsetzkunst der neueren Zeit eine Art der Virtuosität finden, von nicht höherem Werthe als die Virtuosität der neueren
Zeit im musikalischen Vortrage, einen größeren Reiz und Schmuck, von nicht höherem Werthe als die Fingerfertigkeit der neueren Virtuosität, oder wohl gar als der Reichthum im Gebrauche
vieler und verschiedener Instrumente, tiefen musikalischen Gedan
kens und Gefühls entblößt, unter dem Reichthum an Schmuck und Mitteln Armuth an Seele verbergend.
In jener älteren
einförmigen und an Mitteln armen Musik würde er mehr Natur, mehr Innerlichkeit, mehr Stimmung, mehr Ausdruck der Heiter-
101
feit wie des Ernstes, mehr Seele entdecken. Er würde int Allgemeinen das Verhältniß der ältern und der neuern Musik als dasselbe finden, wie es wohl an den Häuptern und den an der Spitze stehenden Leistungen anerkannt wird, da es doch nicht verkannt wird, wie unendlich höher Gluck steht als Rossini, wie unendlich Pergolese höher als die Urheber der neuesten Kirchenmusik. Wie alles, so hat am meisten die Musik einen gewissen Ton der Zeit, in welchem wir befangen sind, so daß unter dem Schutze dieses Tones das Seelenlose weniger als fade, ohne diesen Ton das Seelenvolle nicht als reizend erscheint. Was nun hier von der Musik gesagt worden ist, das gilt von aller Kunst, von der gesteigerten technischen Ausbildung, von der höheren Spannung und Künstlichkeit unserer Zeit. Der Charakter aller Kunst unserer Zeit ist damit so bezeichnet, daß nichts hinzuzusetzen ist, als eben die Bemerkung der An wendbarkeit des Gesagten auf alle Kunst. Ja, nicht bloß die Kunst, sondern alle Bildung unserer Zeit hat den gleichen Charakter, und ich glaube, daß die Art unserer Bildung, unseres Fortschreitens, durch nichts mehr bezeichnet wird, als durch den Charakter der Virtuosität. Deshalb werden wir darauf zurückkommen, wenn wir das Ergebniß aller unserer Betrachtungen über die Bildung unserer Zeit zusammenfassen.
10. Bildung an klassischen Werken. Damit nun der Geist zu Strenge, Emst, Schärfe, Ver ständigkeit, Reinheit und Ausglättung der Leistung, zur Klassi zität und Vollendung gebildet und zur Richtung des Strebens darauf gewöhnt werde, ist der nächste uyd sicherste Weg die
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feit wie des Ernstes, mehr Seele entdecken. Er würde int Allgemeinen das Verhältniß der ältern und der neuern Musik als dasselbe finden, wie es wohl an den Häuptern und den an der Spitze stehenden Leistungen anerkannt wird, da es doch nicht verkannt wird, wie unendlich höher Gluck steht als Rossini, wie unendlich Pergolese höher als die Urheber der neuesten Kirchenmusik. Wie alles, so hat am meisten die Musik einen gewissen Ton der Zeit, in welchem wir befangen sind, so daß unter dem Schutze dieses Tones das Seelenlose weniger als fade, ohne diesen Ton das Seelenvolle nicht als reizend erscheint. Was nun hier von der Musik gesagt worden ist, das gilt von aller Kunst, von der gesteigerten technischen Ausbildung, von der höheren Spannung und Künstlichkeit unserer Zeit. Der Charakter aller Kunst unserer Zeit ist damit so bezeichnet, daß nichts hinzuzusetzen ist, als eben die Bemerkung der An wendbarkeit des Gesagten auf alle Kunst. Ja, nicht bloß die Kunst, sondern alle Bildung unserer Zeit hat den gleichen Charakter, und ich glaube, daß die Art unserer Bildung, unseres Fortschreitens, durch nichts mehr bezeichnet wird, als durch den Charakter der Virtuosität. Deshalb werden wir darauf zurückkommen, wenn wir das Ergebniß aller unserer Betrachtungen über die Bildung unserer Zeit zusammenfassen.
10. Bildung an klassischen Werken. Damit nun der Geist zu Strenge, Emst, Schärfe, Ver ständigkeit, Reinheit und Ausglättung der Leistung, zur Klassi zität und Vollendung gebildet und zur Richtung des Strebens darauf gewöhnt werde, ist der nächste uyd sicherste Weg die
102 Beschäftigung mit solchem, worin das ist, waS der Geist sich
einbilden soll, die Beschäftigung mit Klassischem.
In dem
Umgänge mit dem Trefflichen ist das Verständniß der Treff
lichkeit und die Neigung zur Trefflichkeit zu gewinnen. Die Kunst, deren Wesen auf die Erreichung der Voll
endung, auf Reinheit und Ausglättung der Werke gerichtet ist, hat den Vorzug, daß ihre Werke immer ein Haupttheil
des Vollendeteren sind, das eine Zeit oder ein Volk hat, und daß auf sie vorzüglich das Wort Klassisch bezogen wird.
Hier
ist aber unter der klassischen Literatur, in welcher die Bildung gesucht werden soll, weder vorzugsweise noch ausschließend die
Poesie gemeint.
Vielmehr ist hier alles Vollendetere der Lite
ratur verstanden, — denn das Klassische ist das Vollendete — in welchem Gegenstände allgemeiner Bildung es sey.
Der Gegen
stand kömmt hier nicht in Betrachtung.
Die Vollendung der
Behandlung, die Schärfe und Macht
des Gedankens, die
gelungene Ausführung, die Kunst der Rede, die Feinheit des
Sinnes, das Edle, das Große, das Hochstrebende ist zu suchen,
damit daraus die Kraft und die Veredelung und die vollkomm-
nere Art eingesaugt werde.
Wie zur Bildung der Werth des
Lehrers nicht in dem ruht, was er lehrt, sondern in dem Geiste,
den er dem Zögling einzuhauchen vermag, so ist auch in dem stummen Lehrer, dem Buche, das Wesentliche für die Bildung
der Geist, welcher darin ergossen ist und daraus sich in den
Lesenden ergießt.
Wenn zur Bildung des Geistes zwischen
zwei Werken gewählt werden soll, von denen wir nur eines
lesen sollten, so ist weder das naturwissenschaftliche noch das geschichtliche als solches vorzuziehn, sondern das, welches am meisten Geist enthält.
Vorzugsweise sprechen wir jedoch hier
von jener Gattung der Literatur, welche nicht Kenntnisse und Gelehrsamkeit im gewöhnlichen Sinne, sondem rein die Bildung
und das Spiel des Geistes zum Gegenstände und Ziele hat,
103
—
—
vor andern den Geist erscheinen zu lassen und hervorzurufen geeignet ist, und in engerem Sinne vorzugsweise Literatur
genannt wird. Es ist eine der wichtigsten Pflichten insonderheit der Schu
len, zu dem Verkehr mit dem Trefflichsten als dem Bildend sten hinzuführen, zur klassischen Literatur und zur Kunst.
Zunächst liegt die Beschäftigung mit dem Nächsten, mit dem Klassischen der Muttersprache und dann anderer neuer Literatur.
Und da es in dieser Literatur vorzüglich sich findet,
daß das Unächte, verdorbener Geschmack, der Reiz des Neuen
und Modischen sich geltend macht, daß das Edlere und Höhere, das Klassische
von
der Vordringlichkeit des
Niedrigen
und
Gemeinen zurückgedrängt wird, so ist vor allem hier durch
strenge Unterscheidung des Würdigen und des Unwürdigen die
Reinheit der Bildung zu bewahren.
Auf Schulen kann zwar
die neuere klassische Literatur nur in sehr beschränkter Weise
Gegenstand des Unterrichts seyn, wiewohl die Einweihung in das Herrlichste vaterländischer Literatur durch geistreiche Lehrer
der bildendste Unterricht seyn würde.
Allein wenn auch die
Schule die nähere Bekanntschaft mit der neueren klassischen, namentlich der poetischen,
Literatur dem Zöglinge überlassen
will, so ist es doch bei der hohen Wichtigkeit des Gegenstandes für die Bildung Aufgabe der Schule, die Richtung des Zög
lings zu leiten, damit er das Würdige von dem Unwürdigen unterscheiden lerne und nur dem Würdigen, nur dem Klaffischen
nachzustreben sich gewöhne.
Von nichts so sehr wäre Reinigung
des Geschmacks der Welt und Veredelung zu erwarten, als wenn die Erziehung es sich zur Aufgabe machte, die Verehrung
des Klassischen und den Ekel vor dem Gemeinen durch Schär fung des Urtheils zu wecken.
Die Frage nun, welches in dieser Beziehung der Geist
unserer Zeit sey, ist schon durch das beantwortet, was über
—
104
—
den Mangel unserer Zeit an Strenge und Schärfe, über das
Gedeihn des Schlechten, über den Abfall unserer Zeit von der Wir finden in diesem für die
Klassizität bemerkt worden ist.
Bildung hochwichtigen Puncte unsere Zeit auf einem weit irre führenden Wege. Insonderheit aber ist der Blick auf das Studium dessen zu richten, worin die größte Schärfe, die strengste Verständig
keit, die größte Reinheit und Vollendung, die Klassizität ist.
Und dieß ist die Welt, die allgemein und selbst von denen, welche für ihre Herrlichkeit unempfänglich sind, durch den Namen
der klafsischm als das Vollendetste anerkannt wird, was in dem
menschlichen Geschlechte sich erzeugt hat.
Die Oeffnung der
Seelen für diese Trefflichkeit, di« Zurückführung dieser Herr
lichkeit in das Leben, in den Geist der Welt würde es vor
Allem seyn, woraus eine höhere Bildung zu gewinnen wäre. Daß die griechische Literatur und Kunst und Bildung das
Vollendetste ist, was die Geschichte des menschlichen Geschlechts kennt, ist hier bloß vorauszusetzen und kann nicht dem nach
gewiesen werden, der es nicht schon gefunden hätte.
In dieser
Voraussetzung aber ist das Studium dieser Welt, der Verkehr mit dieser Welt von entscheidender Bedeutung für die Bildung eines Volkes und einer Zeit.
Wollte man entgegnen, daß ja
so viele, denen die griechische Welt verschlossen ist, gebildeter sind als andere, die sie kennen, so würde damit auch der Werth des Studium der Wissenschaft und der Kunst für die Bildung zweifelhaft zu machen seyn, denn vieler mit Wissenschaft und
Kunst nicht vertrauter Menschen Bildung verdient den Vorzug
vor der Bildung vieler Gelehrten und Künstler.
Auch daß die
Bekanntschaft mit der griechischen Literatur nicht durchaus Ver ständniß ihrer Herrlichkeit ist, hat sie mit dem Studium aller
Wissenschaft und Kunst gemein.
Die vollendetste Bildung zu
kennen ist immer das höchste Mittel der Bildung, eine höhere
105 Stufe der Bildung.
Darum gehn wir in der Bildung zurück,
wenn wir im Verständniß des klassischen Alterthums, seiner
Schönheit und seiner Größe, und in der Pflege seines Stu dium zurückgehn.
Ein Zeitalter soll sich nicht viel dünken mit
seiner Bildung, das die Herrlichkeit der griechischen Welt und den Werth ihres Studium zweifelhaft macht.
Und hinter der
griechischen weit zurückstehend ist doch an dieser Stelle neben ihr die römische wegen der Ausbildung ihrer Sprache und ihrer
Werke zu nennen.
Es wäre ein ungeheurer Rückschritt, wenn
die Welt an Erkenntniß und Gefühl von der Herrlichkeit der
alten klassischen Welt, an Durchdringung der Bildung von dem Studium, das einst an der Befreiung des Geistes den ent
scheidendsten Antheil gehabt hat und vier Jahrhunderte hindurch, in Zeiten trefflicher Fortschritte und Leistungen, die hauptsäch
lichste Grundlage der Bildung gewesen ist, verloren haben oder zu verlieren im Begriff stehen sollte.
Nicht bloß der Verlust
an unmittelbarer Bildung derer, welche selbst diese Welt kennen
lernten, kömmt in Frage, sondern auch der Verlust an dem,
was mittelbar durch ihre von dem Einathmen des klassischen
Geistes veredelten Werke auf die übrige Welt überginge. Wir haben aber solchen Verlust vorauszusetzen.
Wir sehen,
daß unsere Dichter wie unsere Philosophen den Geist der klassi
schen Alten in sich und ihre Werke aufzunehmen, die Kunst
der Griechen zu studiren nicht für nöthig finden, daß der herr schende Geschmack von der klassischen Kunst, und insonderheit
der alten, sich völlig abwendet, ja in der Verachtung der klassi
schen Kunst seinen Charakter hat, daß nicht angemessene Schätzung und also Verehrung der griechischen Kunst in der Welt sich
ausdrückt.
Ja es geht die allgemeine Richtung jetzt entschieden
auf Verdrängung des klassischen Studium namentlich in den
Schulen, wie die allgemeine Ansicht immer mehr sich von der rechten Würdigung seines Werthes zu entfernen scheint.
Freilich
166
hat die Welt darüber sich nicht deutlich gemacht, weder waS sie will, noch was sie thut.
Daß die klassischen Studien ohne
Werth seyen, will man noch so wenig denken als sagen, obschon eine Ansicht von ihrem Werthe und von ihrer Bedeutung für
die Bildung gangbar ist, nach welcher ich selbst für ihre Be
seitigung als Grundlage der Bildung stimmen würde.
Eben
so wenig will man denken oder aussprechen oder gar in Antrag
und zur Ausführung bringen, daß das klassische Studium aus
dem Unterrichte verbannt werden solle.
Wenn aber unsere Zeit
sich ihre Ansicht mit ihren Folgen klar machte, und wenn sie
den Muth hätte, sich ganz nach ihrer Neigung zu entschließen,
so würde sie aufhören, die klassischen Alten ihrer gelehrten Bil dung zum Grunde zu legen.
Was die klassischen Studien als
Grundlage der Gelehrsamkeit jetzt noch erhält, ist vielleicht nur der alte Besitz, den man nicht zu beseitigen weiß, und den
man hier als Vorurtheil betrachten kann, weil die Anerkennung seines Rechts nicht auf der Einsicht in die Gründe seines Rechts
beruht.
Die so oft der Vernunft entgegen tretende Macht des
hergebrachten Besitzes und des Vorurtheils ist zuwellen auch
die Ursache der Erhaltung des Besten, wo Einsicht nicht aus reicht.
Vieles erhält sich nicht darum, weil seine Trefflichkeit
erkannt würde,
sondern durch
die Gewalt seines Namens.
Darin liegt die vortheilhafte Seite der Trägheit der Welt, darin die Gefahr des Uebermaßes der Bewegung.
Allein wie wenig die Welt geflissentlich, wie wenig sie wissentlich sich die Verdrängung des Studium deS Klassischen
aus der Bildung und namentlich aus den gelehrten Schulen zum Ziele setzen mag, unsere Zeit ist auf dem Wege es zu thun, und es ist, insonderheit bei dem Vorherrschen des Prinzips der
Bewegung, zu fürchten, daß sie dahin gelangen werde.
Zuerst, wenn der wahre Werth der klassischen Welt nicht erkannt, wenn das klassische Studium nur nach einer sehr un-
107 würdigen Ansicht geduldet wird, so kann es nicht in seinem
Werthe, nicht in seiner Bedeutung für die Bildung bestehn,
und dann würde zweifelhaft seyn, ob das, dessen Werth nicht erkannt wird und das darum nicht seinen rechten Einfluß auf
die Bildung behaupten könnte, fortbestehn würde und sollte. Sodann wird das klassische Studium namentlich in den
Schulen verdrängt durch das Verlangen nach Ausdehnung der Gegenstände des Unterrichts und durch die Folge, daß an dem
Studium der klassischen Sprachen und Werke abgebrochen wird,
was
man
für andere Unterrichtsgegenstände gewinnen will.
Ueber diese entschiedene Richtung der Zeit auf Vermehrung der
Gegenstände der Bildung wird an einer andem Stelle zu sprechen seyn.
Hier haben wir nur dieses in das Auge zu fassen, daß
es die den klassischen Sprachen und Werken bisher bestimmte Zeit ist, welche zum Gewinn für andere Lehren beschränkt wird. Nun meine ich zwar, daß durch zweckmäßige Einrichtung und
Methode, insbesondere durch bestimmte und scharfe Richtung aller Lehre auf das Wesentliche, möglich zu machen wäre, daß
die Zöglinge der Gelehrsamkeit zugleich in einen ausgedehnteren Kreis der Bildung und wieder in ein tieferes Verständniß der
klassischen Welt als bisher eingeführt würden.
Allein wie ich
sehe daß zu Werke gegangen wird, ist vielmehr vorauszusetzen,
daß die klassischen Studien verkümmert werden ohne Gewinn der Bildung
durch die Ausdehnung des Kreises der Lehr
gegenstände. Wenn man an die Stelle deS Studium der Alten etwas Anderes setzen wollte, so müßten es Werke seyn, die man in
Klassizität ihnen gleich setzen könnte, nicht irgend ein anderes
Studium, welches es auch sey.
Denn die Beschäftigung des
Geistes mit dem Vortrefflichsten und Durchbildetsten, die Ge
wöhnung an die Trefflichkeit, ist durch nichts zu ersetzen und
doch das Wesentlichste der Bildung, daher Horaz sagt, daß
108 der erste Lehrer der Jugend ein Dichter seyn solle.
Hier liegt
die Antwort auf den Einwand, daß ja die Griechen, die wir
so hoch stellen, sich nicht an fremder, nicht an alter Sprache und Literatur gebildet haben.
Sie haben sich an der hohen
Vollendung, an der Klassizität der eigenen Sprache, Literatur
und Kunst, an der Herrschaft des Verstandes und der Zier
lichkeit in allem Leben gebildet. —
Aber nicht durch anderes
Klassische will unsere Zeit, oder kann sie, das Alte ersetzen.
Unsere Zurücksetzung der alten Literatur hängt mit der Nicht achtung und Verkennung der Klassizität zusammen.
Und es
ist nicht anderes Klassisches, woran man Geist und Gemüth,
mehr als durch die Alten, zu erhöhen, zu veredeln, zu ver vollkommnen sucht.
Mit Kenntnissen sucht man die Jugend
zu bereichern, in denen man mit Unrecht größere Anwendbarkeit für das Leben sucht, die ihren Werth für die Bildung haben,
aber auf keine Weise die unersetzliche Bildung an Klassischem, an Vollendetem, ersetzen können, und an sich gerade als Gegen stand des Schulunterrichts, und wie wir sie behandelt sehen,
zur Veredelung des Geistes weniger geeignet sind.
Aus diesem
Gesichtspuncte sind alle die Unterrichtsgegenstände ungenügend, die übrigens hoch zu achten sind.
In der Mathematik, welche
vorzugsweise zu erheben nun einmal in dem Sinne der Zeit liegt, ist weder das Schöne, noch das Gute, noch das Gesetz
des Lebens der Welt, noch Wesen, Charakter und Geist der Dinge, bloß das Zählbare und Meßbare.
Darum kann sie
weniger als jede andere Wissenschaft gleiche Veredelung des
Geistes gewähren, wie die Beschäftigung mit dem Klassischen. Die Menschengeschichte ist noch weit davon entfernt, und ich sehe keine Aussicht, daß sie weniger davon entfernt seyn werde,
die Bildung und den Werth des menschlichen Geschlechtes in
den verschiedenen Zeiten und unter den verschiedenen Völkem kennen zu lehren, einen tieferen Blick in das Wesen des mensch-
109 lichen Geschlechts zu öffnen.
Ohne dieses aber hat sie keinen
höheren Werth für die Bildung; die bloße Kenntniß von Be gebenheiten an sich ist werthlos.
Der Naturwissenschaft lege ich
hohen Werth bei, und ich verübele es der Welt sehr, daß sie Geschichte und Geographie und Mathematik strenger fodert als
Naturwissenschaft.
Allein höheren Werth, als Wissenschaft und
als Bildungsmittel, hat die Naturwissenschaft doch nur in dem, was die Schulzeit theils nicht geben kann, theils nicht giebt, in dem tieferen Blicke in das Leben der Natur und seine Gesetze.
Bloße Kenntniß von Steinen, Pflanzen und Thieren, oder von Erscheinungen in den Verhältnissen der Körperwelt gleicht an Werth der Kenntniß von den Begebenheiten der Geschichte. Die Philosophie aber kömmt, in dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft und der Lehre, als Unterrichtsgegenstand auf
Schulen kaum in Betrachtung, obgleich ein Anfang zur Aus
bildung philosophischer Ideen auf Schulen nicht außer der Mög lichkeit, sondern vielmehr im Ideale der Bildung, insonderheit
der gelehrten Bildung, liegt.
So ist also alles, was man an
die Stelle der Beschäftigung mit den Alten auf Schulen setzen
möchte, nicht nur nicht geeignet, für die Bildung das zu seyn, was nur der Verkehr mit Werken der trefflichsten Ausbildung,
mit klassischen Werken seyn kann, sondern es kann auch des halb keinen Ersatz für jene gewähren, weil das, was in ihnen höhere Bildung gewährt, für das jugendliche Alter nicht so
zugänglich ist, wie die Bildung aus den klassischen Alten, deren höchstes Verständniß zwar nur für die Reife des Geistes ist, von denen aber dennoch auch der Zögling gelehrter Schulen so viel fassen kann, daß er daraus edlere Art einsaugt.
Das ist
das Unvergleichliche der Bildung durch das Klassische, daß es jedem nach dem Maße seiner Fassungskraft sich darbietet.
Es
ist ein völlig grundloser Einwand gegen die Gründung der
gelehrten Bildung auf das klassische Studium, daß doch höheres
110 Verständniß der Alten nur wenigen zugänglich, für die andem
aber dieses Studium unfruchtbar sey.
Die Meisterschaft wird
in keinem Gegenstände auf Gymnasien erreicht werden.
Es
giebt aber keinen Gegenstand, dessen Studium auf jeder Stufe
dem Lehrling schon so viel Gewinn brachte, wie die alte klassische
Welt.
Auch
die ersten Anfänge der Bekanntschaft mit ihr
werden jedem Empfänglichen eine bildende Ahnung dieser Gedie genheit der Sprache, der Rede und des Gedankens geben, sie
werden ihn durch Großartigkeit, Kraft und Tüchtigkeit dieser
Geister und Charaktere erwärmen.
mehr zurück, als wir merken.
Gewiß läßt dieß Studium
Wie man auch über den reinen
Werth der Römertugend denken möge, so bleibt doch, daß der sehr wenig bildungsfähig seyn müßte, dem nicht das Anschaun
dieser aufopfernden Strenge der Römertugend, wie er es aus den Werken der Römer Wesens würde.
selbst
gewinnt,
Kräftigung
seines
Mit jenen Sprachen, in denen sich die zarteste
Regung der Seele nicht weniger als die höchste Feinheit des Gedankens ausdrückt, wird kein Empfänglicher ohne Frucht für
seine Bildung sich beschäftigen.
Welchem Empfänglichen wären,
nicht die Gestalten der griechischen und römischen Welt, wie er
sie bei seiner Jugendbeschäftigung mit den römischen und grie chischen Schriften in sich ausgenommen, zu Bildern der Tüch
tigkeit, der Erhabenheit und der Großartigkeit geworden! Man hat schon die Vermuthung ausgesprochen, daß einst
die Sanskrit-Literatur werde neben der klassischen als allgemei
nes Bildungsmittel ausgenommen werden, namentlich als all gemeiner Gegenstand der Gelehrtenbildung.
Nun wollen wir
dabei die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit der Vermehrung
der allgemeinen Gegenstände der Bildung oder der gelehrten Bildung außer Frage lassen, bei deren zu großer Ueberhäufung
nichts von allem gedeihen kann.
Es würde aber nur dann die
Aufnahme der Sanskrit-Literatur, wie überhaupt irgend einer
111 Literatur, unter die Bildungsmittel Gewinn seyn, wenn man in ihr wirklich, und zwar in Vergleich mit dem was wir in anderer Literatur haben, hohe Durchbildung und Vollendung,
Klassizität, Schärfe und Klarheit des Gedankens und der Rede,
eine edle Poesie, eine gründliche Philosophie fände.
Eine philo
sophische Mythologie etwa kann ihr solchen Werth nicht geben.
Man schreibt der Sanskrit-Sprache große Vollkommenheit zu,
und dann wäre ihre Kenntniß allerdings Gewinn für die Bil dung.
So viel aber darf darüber wohl auch ein Unkundiger
urtheilen, daß in dem von dieser Sprache gerühmten Reichthum an Formen und Buchstaben, wenn nicht die Formen Reichthum der Bedeutung und Erleichterung des Ausdrucks enthalten, kein
Zeichen von hoher Bildung einer Sprache enthalten ist.
Und
cs ist höhere Ausbildung der Sprache nur bei dem Volke zu
suchen, das sich eine durch Schärfe und Klarheit des Gedan
kens, durch Klassizität ausgezeichnete Literatur geschaffen hat.
Also diejenigen, welche meinen, daß in den gelehrten Schulen
das Studium der klassischen Sprachen und ihrer Literatur mehr
beschränkt werden könne und solle, damit für Ausdehnung des Gebietes anderer Kenntnisse Raum gewonnen werde, sind auf dem geraden Wege,
die trefflichste Grundlage der Bildung,
nicht bloß der Gelehrtenbildung, sondern der Menschenbildung, zu untergraben, und den herrlichsten alten Tempel zu zerstören,
um auf seinen Trümmem ein Gebäude neuer Barbarei auf zuführen.
So viel fehlt, daß der Foderung größerer Beschrän
kung des Studium der klassischen Sprachen und ihrer Literatur
Raum zu geben wäre, daß vielmehr zu verlangen ist, es solle sich in die gebildete Welt aus der unendlich reichen Quelle der
klassischen Literatur mehr als bisher Verständigkeit und Ver
edelung und Schönheit ergießen, und die klassische Literatur Gegenstand höherer Studien als bisher werden.
Daraus folgt
aber keineswegs, daß darum für diesen Zweck die Zeit der
112 Zöglinge gelehrter Schulen mehr als bisher und so weit in Anspruch genommen werden müßte,
daß andern Lehrgegen-
standen ungebührlicher Eintrag geschähe.
Es folgt nicht, daß
darum nicht auch die Bildung an andern Studien erhöht wer
den könnte.
Das Hauptsächlichste, das nöthig
ist, ist die
Hinleitung des klassischen Studium auf das, was ihnen ihren höchsten, ihren wahren Werth giebt, das tiefere Eindringen in
das Verständniß der Werke und ihrer Schönheit; die Beschäf
tigung mit den Alten muß eine solche seyn, daß dadurch ihr
Geist erfaßt und aus ihnen Bildung geschöpft werde.
Dazu
nun muß die Hoffnung von denen ausgehn, welche berufen
sind, die Tiefe der klassischen Welt zu ergründen und andern zu eröffnen, andere hinein zu führen, von den Philologen.
Von ihnen muß die Durchdringung der Welt von dem klassi schen Leben, die Veredelung der Welt durch die Erkenntniß
der klassischen Trefflichkeit ausgehn. Diesen hohen Beruf können
sie aber nur dann erfüllen, wenn ihnen selbst der Geist, nicht bloß der Buchstabe, der Literatur und Kunst, der gesammten Geistesbildung und Art der Griechen und Römer aufgeschlossen ist.
Kleinigkeitsgeist der Philologen ist nicht, wenn sie sich mit
dem Kleinsten beschäftigen; denn auch das Kleinste ist wichtig
und unentbehrlich, das zur Vollkommenheit des Verständnisses oder gar der Herstellung der Integrität jener Werke der vollen
detsten Bildung gehört.
Der Kleinigkeitsgeist der Philologen
ist, bei den Kleinigkeiten stehn zu bleiben, und nicht zu dem Wesen, zu der tieferen Bedeutung, zur Erkenntniß der Schön
heit und Vollendung der alten Welt zu dringen, nicht diese unvergleichliche Schönheit, den bewundernswürdigen Verstand, die nicht wieder erreichte Schärfe der griechischen und lateinischen
Literatur und Sprache zum eigentlichen, für die Würdigkeit des
Strebens unerläßlichen, Ziele der klassischen Studien sich und ihren Schülern und der Welt zu setzen.
113 Durch die richtige Stellung der Aufgabe wird ohne grö ßeren Zeitaufwand die Erreichung dessen gewonnen, was wir
Und bewachten wir, was jetzt geschieht, so ergiebt sich,
suchen. daß
zur Erstrebung
unseres Zweckes
keineswegs
mehr Zeit
erfoderlich ist, als schon jetzt diesen Studien gewidmet wird.
So viel Kenntniß der lateinischen Sprache als dazu nöthig ist, wird auch jetzt zum Ziele gesetzt.
Nicht ganz so viel wird in
der griechischen Sprache erreicht.
Allein das was man zu
erreichen sucht, und was von einer nicht geringen Zahl erreicht werden mag, ist doch wohl ziemlich so viel, daß auch jener
Zweck damit erstrebt werden könnte.
Denn das ist nicht gemeint,
daß die Schule schon das volle Verständniß der klassischen Lite
ratur eröffnen sollte, wovon ja jedenfalls auch nur ein nicht beträchtlicher Theil in dem Schulunterrichte durchgegangen wer
den kann.
Daher ist auch unter der auf Schulen zu gebenden
Anleitung zum tieferen Verständniß der Herrlichkeit der Alten keineswegs eine in die Tiefe selbst eindringende Belehrung, son
dern nur leichte Hindeutung gemeint.
Die Schule soll nicht
dahin führen, daß das Höchste der klassischen Literatur ver
standen worden sey, sondern nur dahin, daß der Zögling darin
das Verständniß des Höchsten zu suchen und zu finden gelernt
habe.
Wir treffen hier wieder auf den Punct, auf welchen die
Bildungslehre überall stößt, daß das Lernen sich nicht auf die Lehrjahre beschränken muß.
Je weiter die Schule selbst in den
klassischen Studien fthren kann, desto besser.
Aber das Beste
ist von dem fortgesetzten Streben der folgenden Jahre zu erwarten,
und damit die Welt aus dem klassischen Alterthum die Bildung
schöpfe, die daraus zu schöpfen ist, kömmt Alles darauf an, daß diese Studien nicht mit der Schule aufhören, sondern mit allem Ernst fortgesetzt werden, nicht bloß aus alter Anhäng
lichkeit, wenn es sonst gerade nichts zu thun giebt, sondern als
das
nun
erst recht zu beginnende Werk der Bildung.
8
114 Wird nun in gleicher Weise auch das andere Studium auf
Schulen betrieben, wird mit strenger Wahl das Unentbehrlichere,
zur wesentlichen Erleichterung des Lernens, bis zur Sicherheit eingeübt, wird, was nicht minder wesentlich zur Erleichterung des Lernens und also zur Zeitersparniß ist, nicht jeder Abschnitt
der Schulzeit unter zu viele gleichzeitig betriebene, durch die ganze Schulzeit hindurchgezogene Gegenstände versplittert, son
dern, wo es anwendbar ist, auf einzelne Gegenstände nur in einzelnen Zeitabschnitten der Schule aber desto größere Kraft
verwendet, wird überall der Unterricht auf die Hinleitung des Zöglings zu dem, was in der Lehre das eigentliche Mittel der
Bildung ist, hingeleitet, und wird durchaus davon ausgegangen,
daß der Zögling in der Schule nicht mit seiner Bildung aus diesen Lehren fertig werden, sondern mehr nur die Bildung in
dem Höheren der Wissenschaft suchen und finden lernen und das Bildungsstreben aus der Schule in das ganze Leben mit
hinüber nehmen solle, dann wird es nicht an Zeit fthlen, daß
zugleich die Bildung, welche die Welt aus jenen klassischen Werken, und die, welche sie
aus andern Studien schöpft,
erhöht werde.
11. Philosophie. Das Höchste des Wissens, die Spitze der Wissenschaft ist das Wissen vom Wissen und von dem Wesen der Welt, die
Wissenschaft, deren Aufgabe eben ist, den letzten Punct aller Erkenntniß, die höchste Erkenntniß von der Welt und dem
Geiste zu suchen, die Wissenschaft, in welcher alle Wissenschaft
ihre Wurzel hat und in welche wiederum alle Wissenschaft auf ihrem höchsten Puncte zurückkehrt.
Und wie der Geist kein
114 Wird nun in gleicher Weise auch das andere Studium auf
Schulen betrieben, wird mit strenger Wahl das Unentbehrlichere,
zur wesentlichen Erleichterung des Lernens, bis zur Sicherheit eingeübt, wird, was nicht minder wesentlich zur Erleichterung des Lernens und also zur Zeitersparniß ist, nicht jeder Abschnitt
der Schulzeit unter zu viele gleichzeitig betriebene, durch die ganze Schulzeit hindurchgezogene Gegenstände versplittert, son
dern, wo es anwendbar ist, auf einzelne Gegenstände nur in einzelnen Zeitabschnitten der Schule aber desto größere Kraft
verwendet, wird überall der Unterricht auf die Hinleitung des Zöglings zu dem, was in der Lehre das eigentliche Mittel der
Bildung ist, hingeleitet, und wird durchaus davon ausgegangen,
daß der Zögling in der Schule nicht mit seiner Bildung aus diesen Lehren fertig werden, sondern mehr nur die Bildung in
dem Höheren der Wissenschaft suchen und finden lernen und das Bildungsstreben aus der Schule in das ganze Leben mit
hinüber nehmen solle, dann wird es nicht an Zeit fthlen, daß
zugleich die Bildung, welche die Welt aus jenen klassischen Werken, und die, welche sie
aus andern Studien schöpft,
erhöht werde.
11. Philosophie. Das Höchste des Wissens, die Spitze der Wissenschaft ist das Wissen vom Wissen und von dem Wesen der Welt, die
Wissenschaft, deren Aufgabe eben ist, den letzten Punct aller Erkenntniß, die höchste Erkenntniß von der Welt und dem
Geiste zu suchen, die Wissenschaft, in welcher alle Wissenschaft
ihre Wurzel hat und in welche wiederum alle Wissenschaft auf ihrem höchsten Puncte zurückkehrt.
Und wie der Geist kein
115 höheres Besitztum hat als die Philosophie, so kann keine Uebung
die Kraft und die Fähigkeit des Geistes mehr erhöhen, als die
Beschäftigung mit der Wissenschaft, welche sich in den höchsten Regionen des Denkens, in der Vermittelung der höchsten Gege,^ sätze bewegt.
Nicht nur jede Wissenschaft kehrt in ihrer Spitze zur Philosophie zurück, als dem tiefsten Grunde alles Wissens, sondern auch alle Bildung hat ihren höchsten Punct in der
Philosophie, und dieß nicht bloß als in dem höchsten Gipfel
der Wissenschaft, welchen doch niedere Bildung nicht berührte und nicht brauchte, sondern als in dem Puncte, in welchem
alle Bildung ihre Quelle hat.
Die Philosophie grenzt mit aller
Bildung, mit Religion wie mit Poesie, mit der Bildung die wir in der Naturwissenschaft wie in der Geschichte suchen, mit der Kunst wie mit der Sittlichkeit und der Weisheit des Lebens;
oder vielmehr die Philosophie grenzt nicht bloß damit, sondem
sie erfaßt es.
Wie könnte nicht die Wissenschaft an der Spitze
aller Bildung stehn, aus welcher wir die Mee von Gott zu schöpfen haben, in
welcher das Prinzip der Sittlichkeit zu
begründen ist, und welche alle Tiefe der Erkenntniß von der
Welt und vom Geiste enthält? Es ist eine ganz richtige Ver bindung, daß man das Wort Philosophie und Philosophiren nicht bloß von jener besonderen Wissenschaft, sondem auch von
allem dem Innersten
Denkens braucht.
und Tiefsten aller Wissenschaft, alles
Ein philosophisch gebildeter Geist ist es, der
in die Tiefen aller Wissenschaft und alles Leben dringt.
Das ist nicht gemeint, daß des.Einzelnen Bildung ihr
Maß gerade immer in seinem philosophischen Wissen habe, ob schon alle Bildung auf philosophische Fragen und Philosophiren stößt, wenn auch ohne systematische Form und Uebersicht.
Die
Erweckung des Geistes, welche allein alle Aufgaben des Lebens
zu lösen vermag, ist so sehr vorherrschendes Wesen der Bildung, 8*
116 daß gegen sie kein einzelnes, vorhandenes oder fehlendes, Moment der Bildung entscheiden kann.
Aber eine Zeit oder ein Volk
kann weniger als der Einzelne überhaupt einzelne Momente der Bildung entbehren, am wenigsten ein Moment, das von so
hohem Einfluß auf die Bildung der Zeiten und der Völker
und dadurch auch der Einzelnen ist, wie die Philosophie und das Philosophiren der Zeiten und der Völker.
Zn dem Zeit
alter und dem Volke muß wurzeln und erwachsen, wovon ter
Einzelne eher sich an Blüthe und Frucht genügen lassen kann. Darum ist die Beschaffenheit der Philosophie hauptsächliches
Merkmal, sv wie Hinderniß oder Förderniß der Bildung der
Zeit, wenn auch nicht eben so der Einzelnen. Nun ist es eine schwierige Aufgabe, aus der Beschaffen
heit der Philosophie unserer Zeit nachzuweisen, daß ungeachtet der ausgezeichneten Fähigkeiten, welche in der neuesten Zeit die
Philosophie bearbeitet haben und bearbeiten, und ungeachtet in der That der Bau unserer Philosophie ein gewaltiger und mit bewundernswürdiger Kühnheit durchgeführt ist, dennoch in der heutigen Philosophie keine Förderung der Bildung des mensch
lichen Geschlechts sey.
Denn diese Ansicht kann nur bei denen
Eingang finden, welche aus dem heutigen Charakter der Phi
losophie herausgehu können und wollen.
Dieß aber ist von
jedem um so weniger zu hoffen, je mehr er sich in die neuere Philosophie hinein gedacht hat, vor allen nicht von denen, welche über Philosophie das Wort führen.
Und am schwierig
sten ist für eine Schrift, welche nicht die Philosophie zu ihrem
eigentlichen Gegenstande hat, die Aufgabe, in engem Raume die Verirrung der Philosophie einer ganzen, mit dieser Wissen
schaft sich so viel beschäftigenden, Zeit zu zeigen, was über haupt schon nicht ohne Schüchternheit - untemommen werden kann.
Gleichwohl ist von dem Nachdenken über die Bildung
unserer Zeit die Betrachtung der heutigen Philosophie und ihres
117 Einflusses auf die Bildung unzertrennlich.
Doch wird das
Vorhaben dadurch erleichtert, daß es nicht bloß auf der mitzutheilenden Ansicht von dem Charakter der neueren Philosophie
beruht.
Denn unser wesentlicher Gegenstand ist der Einfluß
b.r Philosophie auf die Bildung der Zeit.
Darüber aber ist
nicht bloß der Charakter unserer Philosophie, sondern auch die Thatsache des wirklichen Einflusses der Philosophie auf unsere
Bildung zu befragen, worauf wir spater zurückkommen werden. Die höchsten Puncte unserer Erkenntniß von dem Wesen
der Dinge und der Erkenntniß sind durchaus nur Gegensatze
oder Beziehungen, nicht etwas für sich.
So ist zum Beispiel
die Materie nur im Gegensatze oder in einer Bezieh»«^ zu einem Entgegengesetzten zu fassen.
Setzen wir als den Begriff
der Materie, daß sie den Raum erfüllt, so ist in ihr nichts als die Erfüllung des Raumes, die Beziehung auf den Raum.
Was aber die Materie an sich sey, was ihr Wesen sey, erkennen wir nicht, wir haben nichts als jene Beziehung.
Oder bezeich
nen wir die Materie, wie mich dünkt richtiger, als das, woran die Eigenschaft ist, so erkennen wir von der Materie nichts als
die Beziehung zur Eigenschaft die an oder in ihr ist.
Nehmen
wir das Jnwohnen der Eigenschaft von der Materie hinweg, so bleibt nichts zurück, obgleich die Eigenschaft der Gegensatz der Materie, das immer von der Materie Unterschiedene ist.
Also nur in ihrem Gegensatze erkennen wir die Materie, nicht in ihrem Wesen. Wenn uns, um das Höchste zum Beispiel zu nehmen, die Betrachtung der Welt auf den Begriff Gottes führt, als
dessen, in dem die Welt ihren Anfang, ihren Grund und ihr
Gesetz hat, so erkennen wir nur, daß etwas da ist, worin die
Welt Anfang, Grund und Gesetz hat, und das wir Gott nennen, nicht aber erkennen wir, was dieses Etwas für sich sey, nicht das Wesen Gottes.
Wir erkennen darum auch nicht,
118 wie Gott Grund und Gesetz der Welt ist, denn dieß kann nur
in dem Wesen, in dem was das Etwas an sich ist, enthalten seyn.
In unserem Begriffe von Gott liegt durchaus nichts
außer der Beziehung zur Welt, weil dieser Begriff lediglich aus dem Wirken Gottes, also aus der Beziehung zur Welt
hervorgeht.
Darum ist es auch vergeblich, Gott vor Erschaffung
der Welt denken zu wollen; womit nicht gesagt ist, daß Gott
nicht ohne die Welt seyn könne, was wir nicht wissen, son
dern nur daß unser Denken nicht so weit reichen kann, um zu sagen, ob Gott ohne die Welt seyn könne. Es ist mit unserem Denken der höchsten Gegenstände der
Erkenntniß im Gegensatze wie mit der Polarität, die auch nur
im Gegensatze besteht, im Zndifferenzpuncte nicht mehr ist, nicht positiv noch negativ, sondern nichts ist, nicht ist. Daß nun alle höchsten Dinge oder ersten Dinge oder alle
Anfänge nicht für sich, sondern nur nach ihren Beziehungen, in dem Gegensatze, erkannt werden tonnen, liegt in der Natur
der ersten Dinge, wie wir sie nennen wollen, und unserer Erkenntniß.
Denn alle Erkenntniß ist entweder unmittelbare
erste Wahrnehmung einer Gattung der Dinge, wie etwa die
rothe Färbe, was wir Urerkenntniß nennen mögen, oder sie ist Beziehung auf ein anderes schon Bekanntes.
Unmittelbare
erste Wahrnehmung, Urerkenntniß, kann aber in der Philosophie ihrem Wesen nach und nach dem Wesen ihrer Gegenstände nicht
seyn, weil diese nur durch Beziehung in das Denken kommen, da dieß eben mehr als Wahrnehmung ist.
Eben so wenig
können aber die ersten Dinge, die Anfänge der Erkenntniß auf ein schon Erkanntes bezogen werden, denn dann wären sie nicht
mehr die höchsten Dinge, nicht die Anfänge, da ja der Anfang
nur das seyn kann, dem kein anderes vorausgeht.
Indem
wir den Grund der Dinge, ihr Wesen, betrachten, werden wir
immer aufsteigend zu einem höheren Wesen, dem Wesen der
119 Wesen oder des Wesens geführt.
Aber das höchste Wesen, das
Urwesen erkenüen wir nicht als solches und als das, was es
für sich ist, eben weil es das höchste Wesen ist.
Denn an
schauen können wir es nicht, weil die Anschauung unmittelbar ist,
zu
jenen Gegenständen
aber nur durch die Beziehung
gelangt wird, wie zu Gott nur durch die Welt; durch Denken aber es erreichen können wir auch nicht, weil dieß nur durch Beziehung auf ein höheres Wesen geschehn könnte und dann
jenes nicht das höchste Wesen, das Urwescn, seyn würde.
Es
ist durchaus mit dem Denken des Wesens wie mit dem Denken
der Ewigkeit oder der Unendlichkeit; wir können keinen Punct
finden, über welchen hinaus nichts läge. Da nun die menschliche Erkenntniß nicht über die Bezie
hungen in den höchsten Puncten hinaus kann, so kann sie nicht bis zum Wesen der Dinge an sich, bis zum Absoluten dringen.
Denn das Wesen liegt außerhalb der Beziehungen; es ist das, was die Dinge für sich sind, ohne Beziehung auf anderes; cs ist das, was der letzte innere Grund der Eigenschaften des
Dinges ist, nicht die Aeußerung der Eigenschaften.
In diesem Sinne ist zu sagen, daß das Ding-an-sich außerhalb unserer Erkenntniß liegt, nicht in dem anderen, in
welchem man unter dem Ding-an-sich das Vorgestellte außer halb der Vorstellung versteht und nun meint, da die Vor
stellung nicht das enthalten könne, was außerhalb der Vor stellung liege, so könne in ihr nicht Erkenntniß jenes Dinges
an-sich seyn, als eines immer außerhalb der Vorstellung liegenden Gegenstandes.
Dieser Zweifel löst sich dadurch, daß im Denken
Alles nur als außer der Vorstellung seyend vorgestellt wird,
und alle Vorstellung nothwendig die Beziehung auf einen außer
ihr liegenden Gegenstand enthält, durch den eben die Vorstellung erzeugt wird.. Daher ist die Vorstellung selbst entweder Erkennt niß eines außer ihr liegenden Gegenstandes, des Dinges-an-sich
120 in diesem Sinne, oder sie ist Täuschung und ihr Gegenstand nichts.
Die Vorstellung ist gar nichts anderes, als die Wahr
nehmung einer Bestimmung des Denkens durch etwas, das
außer dem Denken ist.
Sie müßte also leer seyn, wenn ihr
nicht ein außer ihr liegender Gegenstand als Ursache des Be stimmtwerdens des Denkens entspräche.
niß des Dinges-an-sich. lung der Welt.
Dieß aber ist Erkennt
Das Denken ist nichts als Abspiege
Die in der Seele abgespiegelten Gegenstände
müssen so gewiß außerhalb der Seele seyn, als die im Spiegel
sich zeigenden Gegenstände außerhalb des Spiegels sind.
Die
Erkenntniß geschieht durch den Schluß von der Abspiegelung
auf daS Daseyn des Abgespiegeltm, und die Grundlage des Schlusses liegt in dem Wesen der Vorstellung, das eben die
Beziehung auf ein außer ihr Vorhandenes, die Bestimmung
durch ein Aeußeres ist.
Es ist mit der Erkenntniß »priori nicht
anders als mit der Erkenntniß aposteriori.
Die Erkenntniß
«priori ruht in der Nothwendigkeit, also in dem Gesetze.
Diese
Nothwendigkeit, dieses Gesetz, wird aber von dem Denken nicht gegeben, sondem als etwas außer ihm gefunden, erkannt, an
erkannt, befolgt. Weil wir nun nicht das Wesen der Dinge, nicht das Wesen des Wesens, nicht das höchste Wesen, in der Philosophie
erkennm, sondem nur Gegmsätze und Beziehungen,
welche
nicht das Wesen der Dinge-an-sich enthalten, so bleibt der
Gegmstand der Philosophie, in so fern diese das Höchste sucht, immer ein Räthsel, das nie gelöst, sondern immer nur zum
Gegenstände gemacht, immer anders gestaltet werden soll, und Verirrung der Philosophie ist es, wenn sie das Räthsel zu
lösen glaubt.
Die Verirrung unserer Philosophie ist, daß sie
durch Aufhebung der Gegensätze sich zur Erkenntniß des Ab soluten
zu
erheben
meint, der irrthumsreichste Versuch der
Erklärung des höchsten Wesens der Dinge.
121 Das Absolute als Gegensatzloses ist durchaus leer.
Das
Subject ist durchaus nur in Beziehung auf das Object, und das Object durchaus nur im Gegensatze gegen das Subject. Nehmen wir d'ese Beziehung hinweg, so haben wir weder
Subject noch Object,
sondern Nichts.
Ein Absolutes,
in
welchem Subject und Object nicht außer einander lägen, ein
Subject-Object, ist schlechthin ein Unding.
Denn der Begriff
des Subjects und des Objects ist nur dieser, daß sie außer
einander, daß sie einander gegenüber liegen.
Wohl sagt man,
der Satz, welcher die Identität der Bestimmungen ausspreche, zum Beispiel daß Seyn und Nichts dasselbe sey, enthalte in
der That eben so sie beide als unterschieden; worauf nun die ses folgt, daß durch diesen Widerspruch der Satz sich selbst
auflöse und so die Bewegung habe durch sich selbst zu ver
schwinden , daß aber eben hierdurch an ihm das Werden geschehe.
Allein eS ist offenbar, daß, wenn in demselben Satze zwei Bestimmungen zugleich als unterschieden und als nicht unter schieden gesetzt werden sollen, dieses nichts anderes heißen kann, als
daß sie als unterschieden eine andere Bedeutung haben,
und als nicht unterschieden eine andere, daher keine Identität des Unterschiedenen darin liegt, sondern von ganz verschiedenen
Bestimmungen die Rede ist, welche als unterschieden und welche als nicht unterschieden gesetzt werden.
Man kann es vergleichen mit dem Wesen alles dessen, was Pole oder Positivität und Negativität hat.
In der Pola
rität des Magnets ist allerdings der Nordpol und der Südpol
zugleich enthalten, aber nicht so, daß in der Polarität oder in dem Magnete Indifferenz wäre, sondern gerade nur in der
Differenz besteht die Polarität, und Aufhebung der Differenz wäre Aufhebung der Polarität und ergäbe Nichts.
Eben so
ist in der Elektrizität das Negative und das Positive enthalten,
allein nicht als zur Indifferenz vereinigt, sondern so, daß die
122 Elektrizität nur in dem Gegensatze deZ Positiven und Negativen
besteht.
Nicht so denkt man sich das Absolute, zu welchem
man durch Aufhebung des Gegensatzes zu gelangen glaubt.
In der Indifferenz der Entgegengesetzten werden die Entgegen gesetzten selbst aufgehoben und der Indifferenzpunct ist allemal
Null, wie bei der Polarität.
Das angebliche Absolute, die
Identität des Entgegengesetzten, ist ein völlig leerer Begriff,
Null, Nichts.
Zwar behauptet die neueste Philosophie, das
sich Widersprechende löse sich nicht in Null, in das abstracte
Nichts auf,
sondern wesentlich nur in
die Negation seines
besonderen Inhalts, so daß im Resultate wesentlich das ent
halten sey, woraus es resultire.
Allein so ist es doch nur
Negation, was darin enthalten ist, also Nichts, und wie das,
was aufgehoben worden, doch in dem, worin es aufgehoben worden, noch enthalten seyn könne, wird nicht gezeigt.
Indem
man die wesentliche Identität von der abstractm zu unter scheiden sucht, neben welcher noch der Unterschied als außer ihr seyend gelassen werde, giebt man doch zu, daß die wesentliche
Identität das Wesen selbst, aber noch keine Bestimmung ist,
folglich leer, denn ohne Bestimmung ist nur Leerheit. Vielleicht möchte man meinen, das gelte bloß von Sub
ject und Object, daß es mit der Aufhebung des Gegensatzes in Nichts zerfalle , weil die Begriffe Subject und Object nicht Wesen an sich bezeichnen, sondern nur eine bestimmte Bezie hung zweier Dinge auf einander, nämlich daß das eine als das andere vorstellend, das andere als von jenem vorgestellt
gedacht wird; anders sey es mit den Gegensätzen, deren jeder
etwas auch für sich zu denkendes bezeichnet, wie Ich imb
Nicht-Ich.
Allein um nichts weniger wird nicht nur jeder
Gegensatz durch die Aufhebung der Differenz, durch das Setzen
der Identität zu Nichts, sondern auch die Entgegengesetzten
werden dadurch vernichtet.
Ich und Nicht-Ich kann eben so
123 wenig ohne Differenz seyn, als Subject und Object.
Und so
geht es hinauf durch alle Gegensätze der höchsten Dinge.
Für
Geist und Natur, Begriff und Ding, Seyn und Erscheinung,
Allgemeines und Besonderes, ist Aufhebung der Differenz Ver
nichtung.
So führt auch der Versuch Gott und die Welt als
Eins, die Welt als die Erscheinung oder Entwickelung Gottes zu denken nur zum Nicht-Daseyn Gottes.
hebt die Gottheit und das Göttliche auf.
Der Pantheismus Der Begriff Gottes
enthält, daß er außerhalb der Welt sey, der Begriff der Welt, daß sie Gott nicht in sich habe. Dieses nun, daß man da, wo die menschliche Erkenntniß
nicht über die Beziehungen und Gegensätze hinausgehn kann, durch Aufhebung des Gegensatzes in der Identität das Absolute
zu finden meint, hat zur Folge, daß man in diesem Absoluten das Mesen sucht, daß man das Wesen des Wesens zu erkennen, das unauflösliche Räthsel zu lösen glaubt und so ein System der Welt und des Geistes aus lauter Irrthum aufbaut.
Es
ist nicht ein einzeln stehender Irrthum, sondern durch die ganze
Philosophie zieht sich der Irrthum, der die Gegenstände der
höchsten Erkenntniß für das nimmt, was sie nicht sind, Bezie hung für Wesen.
Das Absolute durch Aufhebung des Gegensatzes zu suchen
ist unsere Philosophie durch die Untersuchung des Verhältnisses zwischen den Dingen und der Erkenntniß veranlaßt worden. Es ist sonderbar, daß diese Untersuchung, deren Zweck eben
dieser ist, die Bestimmungen über das Ding an sich und über das Denken streng aus einander zu halten, vielmehr zur Ver
mischung dieser Bestimmungen geführt hat, weil man über den Gegenstand der Frage hinausgegangen ist, welche bloß das Wesen der Erkenntniß begreift.
Das Wesen der Erkenntniß, das Verhältniß zwischen der Vorstellung und dem An-sich der Dinge ist, wie schon berührt
124 worden, eine Abspiegelung der Dinge an sich in der Vorstellung, und der Beweis, daß das An-sich der Dinge der Gegenstand
der Erkenntniß ist, liegt darin, daß der Vorstellung Wesen
dieses ist, das Vorgestellte als außerhalb der Vorstellung und des Vorstellenden liegend zu denken, die Vorstellung als bestimmt
durch das Vorgestellte durch das Ding an sich, durch das außer der Vorstellung und dem Vorstellenden Liegende,
als außer
dem Ich Realität habend, wonach die Vorstellung entweder
Erkenntniß des Dinges-an-sich oder durchaus leer seyn muß. Indem man nun aber dieses nicht erkannte und vielmehr zu
finden glaubte, daß die Vorstellung nicht durch das Ding-an-sich
bestimmt werden könne, und da gleichwohl ein Causalitatsverhältniß zwischen der Vorstellung und dem Vorgestellten Statt
finden mußte, so setzte man umgekehrt die Ursache des Dinges, als Gegenstandes der Vorstellung, in die Vorstellung.
Statt
daß jene Ansicht, welche die Vorstellung durch das Ding bestimmt werden läßt, das Seyn und das Wesen von der Vorstellung streng gesondert hält, wird durch die Ableitung des Vorgestelltcn
aus der Vorstellung beides vermischt, das Seyn in die Vor
stellung gelegt.
Dieses Verhältniß kann schon daran klar wer
den, daß Seyn, Daseyn, Werden, Ding, Substanz, Causalität, Leben zu Gegenständen der Logik der neuern Philosophie
geworden sind, daß die Metaphysik in der Logik aufgeht, von welcher man erklärt, daß sie sich durch die ganze Philosophie ziehe.
Es liegt aber zu Tage, daß so das Ding-an-sich ver
nichtet wird, denn Ding-an-sich kann nicht seyn, was sein« Ursache in der Vorstellung hat.
Kant blieb dabei stehn, daß
das Ding an sich nicht Gegenstand der Erkenntniß sey; eine spätere Philosophie hebt die Möglichkeit eines Dinges an sich auf. Auf diesem Wege ist man dahin gekommen, daß man die beiden Theile der Philosophie in einander fließen läßt, welche
streng aus einander zu halten, oder erst aus einander zu setzen,
125 die eigentliche Aufgabe ist, die Untersuchung der Erkenntniß und die Erforschung des Wesens der Dinge.
Die Untersuchung hat ihren Anfang in dem Verhältnisse zwischen der Vorstellung des Einzelnen und dem, was darin
vorgestellt wird.
Diese Vorstellung des Einzelnen verliert sich
aber aus der Philosophie, ohne daß man recht sieht, was aus ihr wird.
Da doch die Vorstellung jedes Einzelnen nicht die
Causalität der Welt seyn kann, so findet nur unsere Philosophie
nicht sie, sondern den Geist überhaupt, die Vernunft, die Idee,
Und dieß müssen
den Begriff als die Ursache der Wirklichkeit.
wir, als neu ausgebildet, für den Charakter der Philosophie unserer Zeit nehmen, wie diese selbst es dafür nimmt, obgleich
cs in früherer Zeit, namentlich in Spinoza, wurzelt. Das Wesen der Dinge und die Wirklichkeit wird aus einer
Thätigkeit des Begriffs oder der Idee abgeleitet.
Darum heißt
auch die Idee Substanz und Subject, wiewohl wieder Prozeß,
welcher Widerspruch, daß dasselbe Substanz und Prozeß genannt
wird, hinreichend zeigen könnte, wie sehr dieser Lehre der Boden
mangelt.
Es kann aber die Idee weder Substanz noch thätig
seyn, also nicht Ursache, sondern nur Grund. Wie wir auch das Ideelle und das Reale fassen mögen,
immer bleibt der Gegensatz
zwischen Idee
und Wirklichkeit.
Die Idee ist nicht für sich wirklich, sondem dadurch, daß sie
an oder in dem Wirklichen ist.
In dem Ideellen liegt das
Verhältniß des Grundes; das der Ursachlichkeit liegt nur in
dem Realen.
Nicht allein hat nur das Reale eine Ursache,
sondern es kann auch nur das Reale Ursache seyn. ist in der Thätigkeit.
dem Wirklichen; das Wirkliche ist das Wirkende.
des Wirklichen ist die Substanz. Wirken, die Thätigkeit.
Causalitat
Causalität und Thätigkeit ist nur in
Das Wesen
Nicht ohne Substanz ist das
Die Eigenschaft oder Art der Sub
stanz ist nicht an sich Ursache der Wirkung, nicht als Ideelles,
126 was die Art an sich ist, sondern dadurch daß sie an der Sub
stanz ist, verwirklicht ist.
Die elektrische Erscheinung hat ihren
Grund in der Elektrizität, aber ihre Ursache in dem elektrischen Dinge, in dem Wirklichen; sagen wir, daß die Elektrizität die Ursache sey, so verstehn wir darunter nicht die Elektrizität an
sich, als Abstractum, sondern das Vorhandenseyn der Elektri
zität in
dem
elektrischen Gegenstände.
Die Handlung des
Menschen hat ihren Grund in der Idee, aber die Thätigkeit ist nicht der Idee, sondern des Menschen.
Es ist nicht als Einwand zu entgegnen, daß auch die Substanz nicht für sich Ursache seyn kann, weil die Substanz
nichts für sich, sondern nur der Träger des Accidens ist.
Uns
kömmt es bloß darauf an, daß Ursächlichkeit nicht ohne Sub stanz seyn kann, weil sie nur in dem Wirklichen liegt, die
Wirklichkeit aber nicht ohne Substanz ist. Die Idee ist immer in oder an einem Andern, in oder
an einem wirklich Seymden.
Darum ist die Idee nicht Sub
stanz, da die Substanz eben das ist, was nicht an einem Andem ist, sondem woran das Accidens ist.
Denken wir uns die Idee
als das Erzeugniß und Besitzthum der Intelligenz, in der
höchsten Stelle als die Idee Gottes, so kann sie doch nicht anders als in einem intelligenten Wesen gedacht werden.
Eine
absolute Idee giebt es nicht in dem Sinne, daß sie für sich sey, sondern sie ist in Gott; dann ist also immer nicht die
Idee die Ursache der Welt, sondern das Wesen, dem sie in-
wohnt, Gott.
Denken wir uns aber unter Idee etwas, das
in dem Objecte ist, in dem Objecte gleichsam seinen Leib hat,
wie es in der That ist, wenn wir die Welt als Entwickelung der Idee, die Natur als die Idee in ihrem Andersseyn betrachten, so ist offenbar, daß dieses dem Wirklichen Anhängende nicht eher
als das Wirkliche, nicht die Ursache des Wirklichen seyn kann;
es ist selbst nur mit dem Wirklichen.
127 Allerdings hat die neuere Philosophie den Zweifel nicht ganz unbemerkt gelassen, welcher ihre Lehre von der Idee als dem Subject-Object und als der Einheit des Ideellen und des Realen als sich selbst widersprechend treffe. Die Antwort, welche sie darauf giebt, ist nun der wesentliche Punct, wo ihre Wahrheit zu erkennen seyn muß. Sie betrachtet diesen Wider spruch als bloße Ansicht des Verstandes und als aufgehoben durch die concrete Einheit, die in der Idee fty. In dieser sollen Subject und Object einen ganz andern Sinn haben, als in der Abstraction des Verstandes. Worauf es nun aber ankäme, das bleibt die neuere Philosophie uns schuldig, zu zeigen, wel ches dieser andere Sinn sey, was das Subject anderes sey, als von welchem das Object gedacht wird, das Object anderes, als was von dem Subjecte gedacht wird. Es wäre zu zeigen, was denn der Inhalt, das Product der Einheit des Ideellen
und des Realen sey. Auch hierauf ist die Antwort in der neueren Philosophie zu vermissen. Man sieht kein anderes Ergebniß dieser Einheit, als entweder die bloße Verneinung beider Entgegengesetzten, das Nichts (wie denn wirklich das Seyn der neuesten Philosophie gleich Nichts ist), oder als Rea lität eben die Welt, in welchem letztem Falle wir zur Erklä rung der Welt zuletzt wieder auf die Welt gewiesen wären, und so nach langem Wege wieder auf die Stelle kämen, von welcher wir ausgegangen waren, und nur wieder sähen, was wir vorher auch sahen. Die jetzige Philosophie verwirft die von ihr so genannte Verstandesphilosophie, weil der Verstand die Gegensätze nur in der Abstraction auffasse und nicht bis zur Identität des Sub jectes und Objectes, des Geistes und der Welt, und nicht bis zur concreten Einheit vordringe, welche in der Idee sey. Vielmehr aber ist die Abstraction, welche man dem Verstände
vorwirft, das Wesen.alles Denkens, der Weg zu dm höchsten
128 uns zugänglichen Ideen, das, worin unser ganzes Wissen liegt,
nach dessen Aufhebung nichts bleibt.
Die Verkennung dieses
Wesens der Abstraction ist die Quelle aller Verirrung der Phi-
losophie.
Jene Gegensätze gehn nicht aus der Abstraktion des
Verstandes hervor, sie werden von dem Verstände gefunden und
sind die Grenze unserer Erkenntniß, welche gar nicht ein von dem Verstände zu sonderndes Vermögen hat.
Es giebt nur
Eine Intelligenz, und wir werden durch nichts berechtigt, nicht
alle Intelligenz unter dem Worte Verstand zu begreifen.
Nicht
dem Verstände ist ihre Abstraction vorzuwerfen, sondern der Philosophie,
welche die Differenz des Verschiedenen aufhebt,
ist ihre Abstraction vorzuwerfen, da sie von den Begriffen des
Unterschiedenen abstrahirt, und dadurch zur Inhaltslosigkeit führt. Durch die gesuchte Jdmtität des Entgegengesetzten, durch die Erklärung der Welt und des Gedankens aus einem objec
tiven Denken, ist unsere Philosophie zu einem Gedankenspiele
von unabsehbarer Verwirrung und endloser Breite geworden, indem sie, was auf zwei ganz verschiedenen, durch eine nie
aufzuhebende Linie getrennten Seiten liegt, die Vorstellung oder
Erkenntniß und das Wesen der Dinge, in beide Seiten legt und immer von der einen Seite auf die andere springt.
Jenes
unabsehbare Gewebe des Irrthums in dem unendlich weiten
Gedankenspiele der Aufhebung der Differenz des Unterschiedenen geht von dem Puncte aus, daß das an und für sich Seyende
gewußter Begriff sey.
So hat man den Satz, daß Seyn und
Nichts dasselbe sey, darauf gegründet, daß das Nichts sey, und dieses darauf, daß es gedacht werde, welche Folgerung
schon darum ungültig ist, weil nicht das Nichts als ein Seyendes, sondern dieses gedacht wird, daß ein Seyendes nicht sey.
Diese Verwirrung, diese Vermischung des zu Trennenden,
diese endlose Breite erzeugt mit der Unklarheit der Lehre zugleich
129
eine Verwöhnung im Mangel an der Schärfe, welche doch das Ziel aller Bildung und vor allem der philosophischen Bildung ist. Nun hängt aber ferner von der Schärfe des Vortrags die Verständlichkeit der Lehre ab.
Denn nicht das Tiefsinnige
ist wahrhaft schwer zu begreifen, sondern das, was unklar und nicht scharf gedacht ist.
Und da wiederum von der Ver
ständlichkeit der Lehre ihr Eingang und ihre Verbreitung ab hängt, so
ist mit der Schärfe und der Verständlichkeit der
Philosophie die Verbreitung
philosophischer Einsicht und
ihr
Einfluß auf die Bildung der Welt durch die Art der neueren Philosophie abgeschnitten.
Ja die Gewalt der Unverständlichkeit
neuerer Philosophie und die Gewalt der Verwöhnung an ihre Weise und ihren Ausdruck hindert auch wieder das Verständniß des Verständlichen und der Philosophie überhaupt.
Wir wür
den Aristoteles mehr verstehn, wenn nicht unsere jetzige Philo sophie wäre.
Die Deutschen doch vor andem, wenn auch nicht
sie allein, besitzen, wie Göthe sagt, die Gabe die Wissenschaften unzugänglich zu machen.
Darüber wird es gut seyn, hier an
die Worte zu erinnern, welche neuerlich der berühmteste der lebenden Philosophen in seiner an Cousin's Schrift über fran zösische und deutsche Philosophie geknüpften Erklärung über die
neueste Philosophie ausgesprochen hat, daß die Deutschen sich immer mehr in Gedanken und Worten von dem allgemein Verständlichen entfernt haben, daß ihre Philosophie nur zur Noth in Deutschland verständlich sey, daß der Grad der Ent
fernung von der Verständlichkeit zuletzt beinahe zum Maßstabe philosophischer Meisterschaft geworden sey, — nicht weniger, als was hier gesagt worden ist. Allein es könnte geftagt werden, ob denn der so kunstvoll gegliederte, gewaltige, riesenmäßige, hoch über das Denken des
gewöhnlichen Verstandes emporschwebende Bau unserer Philo
sophie nicht jedenfalls als außerordentliche, anstaunenswerth« 9
130 Leistung ein Ruhm unserer Zeit sey.
Denkfertigkeit und Ge
wandtheit unserer Philosophie im Gebrauche der von ihr ein
mal angenommenen Formeln, und das Ungemeine ihrer Leistung will ich gern anerkennen, eine ausgezeichnete Virtuosität der Spekulation.
Aber eben auch nur Virtuosität kann ich darin
sehn, jene Virtuosität, mit welcher wir als dem Charakter aber
keineswegs einem Ruhme unserer Zeit die heutige Kunst bezeichnet haben, und die ganze heutige Bildung bezeichnen werden.
In solchem Zustande kann die Philosophie nicht jene Stär kung der Lebmskraft deS Geistes, nicht jene Großartigkeit des wissenschaftlichen Blickes und alles Denkens sowohl als des
sittlichen Sinnes gewähren, in welcher wir das Höchste der wissenschaftlichen Bildung gesehn haben, und zu welcher vor
allem das Studium der tiefsten Wissenschaft führen sollte.
In
solchem Zustande kann sie nicht Eingang in die allgemeine Bildung der Zeit haben. Und daß sse ihn nicht hat, das ist die allein schon für
unsere Frage entscheidende Thatsache, auf welche mich beziehend
ich das Einverständniß auch derer zu erwarten habe, welche meiner Ansicht von dem Wesen unserer Philosophie sonst nicht beistimmen möchten.
Bei uns ist die Philosophie nicht, wie
es seyn soll und bei den Griechen war, allgemein als Grund
lage aller höheren wissenschaftlichen Bildung und damit über haupt aller höheren Bildung anerkannt und gepflegt.
Statt
daß sie bei den Griechen allgemeiner Gegenstand der höheren Bildung, die Spitze der Bildung, die wir gelehrte Bildung nennen würden, aber zugleich allen Gebildeten und sich Bil
denden zugänglich, Gymnastik, ja Athletik deS Dmkvermögens war, ist sie bei uns ein Gegmstand für Wenige.
Selten werden
solche, die nicht auf einer Universität studirt haben, mit der Philosophie irgend vertraut seyn.
Verhaltnißmäßig sehr klein
scheint die Zahl derer zu seyn, welche über eine oberflächliche,
131 in Universitätsvorlesungen gemachte Bekanntschaft mit einem
System der Philosophie hinausgingen, durch tieferes Studium in das Innere, bis zu wahrer Erkenntniß zu dringen suchten,
durch eigenes Denken sich eine eigene Ansicht bildeten.
Die
große Mehrzahl läßt entweder die Philosophie ganz bei Seite liegen, oder sie macht sich doch damit nur so weit bekannt,
daß sie von keinem Einfluß auf das Ganze der geistigen Bil
dung, am wenigsten Grundlage der ganzen und insonderheit der wissenschaftlichen Bildung seyn könnte.
Und wie die Phi
losophie beschaffen ist, kann sie auch ihren Jüngern nicht zur Wurzel ihrer gesammten Bildung werden, nicht die Quelle
klarer Ansicht von dm höchsten Puncten der Erkenntniß, am
wenigsten eine Gewöhnung an Scharfe, Klarheit und vollen
detere Durchbildung alles Leistens, was das Ziel aller Bildung ist.
Da nun ferner die Philosophie unserer Zeit einen überaus
großen Zeitaufwand und ein beträchtliches Denkvermögen erfo-
dert, um bis zu einem Puncte begriffen zu werden, wo sie erst anfängt, wirklich höhere Geistesbildung zu enthalten, und
da unterhalb dieses Punctes aller Nutzen des philosophischen Studium höchst zweifelhaft ist, so ist in der That nur die Wahl,
entweder die Philosophie ganz bei Seite liegen zu lassen, oder
durch
einen langen, unerquicklichen, dürren Weg, mit Auf
opferung eines hohen Maßes von Kraft und Zeit nach einem
Ziele höchst zweifelhaften Gewinns zu streben.
Nicht mit Un
recht wählt die Mehrzahl das Erstere, obschon das nicht die
rechte höhere Bildung ist, welche der Philosophie entbehren zu
können glaubt, so wie das nicht die rechte Philosophie, die sich nicht allen Gebildeten zugänglich und begehrenswerth machen kann.
Doch vielleicht ist es noch als ein Glück zu betrachtm, daß die Philosophie unserer Zeit keinen Einfluß auf die all
gemeine Bildung gewinnen kann.
Und vielleicht hat die neueste 9*
132 Zeit, wenigstens in Deutschland, keinen erfreulicheren Fortschritt,
als wenn wirklich etwa dieft Philosophie nicht fortschreiten sollte. Fragen wir nun, was zu wünschen und was zu thun
sey, auf welchem Wege ein anderer Gang der Philosophie und
Begründung der Bildung in der Philosophie erreicht werden könne und solle, so ergiebt sich fürs erste aus dem Vorher
gehenden, daß der an sich zu wünschenden und zum Ziel zu
setzenden allgemeineren Vorbereitung des philosophischen Stu dium und seinem Eingänge in die allgemeine Bildung eine
Umgestaltung der Wissenschaft voraus gehn muß, wobei die Frage dahingestellt bleiben kann , ob nicht Einsicht und Ver
langen der übrigen gebildeten Welt beitragen könne, die Phi
losophen zu einer anderen Richtung zu bestimmen.
Damit aber die Philosophie auf dm rechten Weg komme, ist das Nächste dieses, daß die Zeit ihre Philosophie richtig beurtheilen lerne.
Dazu ist wiederum erfoderlich, daß die Welt
auf eine andere Philosophie und
ein anderes Philosophiren,
außerhalb nicht nur der neuesten, sondem selbst der neuen Phi losophie geleitet werde.
Zum richtigen Urtheilen gehört vor
nehmlich, daß der Urtheilende außerhalb des zu Beurtheilenden stebe.
Dieß ist die Stelle zum Stehn, die der Bewegende
außerhalb des zu bewegenden Gegenstandes
Stelle außerhalb ist durch eine
braucht.
Diese
wissenschaftliche Bildung zu
gewinnen, welche jenseits der jetzigen Philosophie liegt, nament lich durch die Vergleichung mit einer andern philosophischen Lehre.
Das Urtheil, das nur an Einer Lehre gebildet ist, bleibt ein seitig, und die Einseitigkeit ist um so mehr irre leitend, je mehr
die Lehre in einem das Ganze umschließendm streng gegliederten Systeme befangen ist.
Ferner lernen wir wohl ein einzelnes
neueres philosophisches System an einem anderen neueren phi
losophischen Systeme prüfen.
Allein es bedarf nicht bloß der
Prüfung dieses oder jenes einzelnen Systemes, sondern der
t33 Untersuchung und Beurtheilung der heutigen, und nicht bloß
der neuesten, sondern auch der neueren Philosophie überhaupt. Damm ist zur größerm Freiheit des Standpunctes und Un
befangenheit des Urtheils so weit möglich zurückzugehn, zunächst auf Kant, zuletzt bis zu den Griechen.
Die Erfahrung lehrt
hinreichend, daß die neuere Philosophie, wenn sie bloß in dem
einmal genommenen Gange bleibt, nicht leicht sich von der
Befangenheit in ihren Grundirrthümern wird lösen
können.
Sieht man auch, daß etwas fehle, so wird doch dieser Weg
für den rechten und nut noch Ein Schritt zum Gipfel für nöthig gehalten; und schon seit einer langen Reihe von Jahren und Systemen glaubt man so eben diesen letzten Schritt zu thun.
Wenn für ersprießlich betrachtet wird, daß die Philosophie
auf die Griechen MÜckgehn möchte, so ist damit nicht gemeint, daß bei der Lehre der Griechen stehn geblieben, die griechische
Philosophie als etwas Abgeschlossenes und Vollendetes
aus
genommen und nach dem Buchstaben, den Sätzen, die wir dort finden, die Philosophie als beendigt betrachtet werden solle, sondern es soll, wie vor allem wissenschaftlichen Studium das philosophische es erheischt, die Philosophie immer neu sich bilden und gestalten, wobei, was die griechische Philosophie Vorzüg
liches gehabt und geleistet hat, mitwirken soll.
Die ältere Phi
losophie soll nicht das letzte Ziel seyn, aber eine wahre Philosophie kann nicht etwa auf der jetzigen fortgebaut werden, sondern sie ist nur dadurch zu gewinnen, daß die jetzige wieder weggelegt
wird.
Zum Alten ist zurückzukehren, well, wenn man auf dem
Abwege weiter geht, man sich nur weiter vom Ziele entfernt. Mit vielfachem Mißverständnisse wird in unserer Zeit so
häufig ausgesprochen, daß das Alte nie wieder zurückkehren
könne und es zurückzuführen vergebliches und irriges Streben sey.
Von
dem Geiste
und der Richtung des menschlichen
Strebens ist dieß in jedem Falle nicht zu sagen, nicht von dem
134 Wesen des Charakters der Zeiten.
Wäre dieß, so müßte, wenn
die Zeit in der Tugend zurückgebt, keine Hoffnung für die
Zukunft bleiben, da es nur Eine Tugend giebt, also der Ver lust der Tugend ein unwiederbringlicher wäre.
Nur von For
men kann jener Satz gelten; doch auch hier wird nur nicht
gerade dasselbe, weil die Bedingungen fehlen, wohl aber oft der Charakter der Formen und vielleicht auch Aehnlichkeit der
Gestaltung wieder kommen.
Und noch ist jener Satz mehr nur
auf Einrichtungen des Lebens anzuwenden, auf Sitte und Gewöhnung und Formen des öffentlichen Lebens.
Wissenschaft
und Kunst, obgleich nicht ohne Abhängigkeit von Zeit und
Raum, soll doch das Streben nicht nach Zeit und Raum begren
zen; hier soll keine andere Richtung seyn als auf daS Beste.
Darum kann und soll in Wissenschaft und Kunst auf das Alte zurückgegangen werden.
Die Antike
und die Malerei des
sechszehnten Jahrhunderts sind das höchste Studium ftr den
Jünger dieser Kunst, und die Richtung auf die klassische Welt
hat
feit einigen Jahrhunderten
über die Bildung
Europa-
entschieden. So sind Plato und Aristoteles nicht zu verabsäumende, reiche und herrliche Quellen für den, der Philosophie schöpfen
will; beide die wahre Grenze und Richtung des Philosophirens erkennend; Plato der philosophischen Darstellung mit dem tief
sten Blick und der geistreichsten Bchandlung eine unerreichbare
Vollendung gebend, und die philosophische Lehre zu einem Kunst
werke gestaltend, das um so weniger leer ist, je mehr es dem
Spiele gleicht; Aristoteles in unmdlicher Fülle und mit hoher Schärfe die Bedeutung der ersten Dinge und der Formen der
Erkenntniß ergründend.
Plato's Werke sind zu betrachten und
zu studiren nicht etwa bloß als eine geistreiche die Philosophie
betreffend Rede, sondern als in sich fassend tiefe philosophische
Lehre und Weisheit, als Meisterwerke der Philosophie. Aristoteles
135 ist nicht bloß vor allen andem geeignet, zur Ausbildung der
Schärfe
und Bestimmtheit und Richtigkeit
in
dem Denken
überhaupt und insonderheit in der Philosophie zu führen; er ist auch eine unerschöpflich reiche Quelle philosophischer Lehre,
und es ist großer Irrthum zu glauben, daß, was in ihm zu brauchen seyn möchte, in der neueren Philosophie verwendet,
ausgenommen und weiter ausgebildet worden, also abgethan und jetzt besonders zu studiren nicht mehr oder höchstens für den,
der das ganze Gebiet der Phildsophie ermessen will, der Mühe werth sey.
Zunächst aber ist für den Standpunct, welcher uns
auf sie geführt hat, der hohe Werth beider, daß sie sich weni ger von der Wahrheit entfernen als unsere Philosophie.
Des
halb ist das Studium der Werke des Aristoteles und des Plato vorzüglich geeignet, die feste Stelle zu geben, von welcher aus
wir zu einem unbefangenen Urtheile über die neuere Philosophie gelangen können.
Keineswegs ist das Verhältniß dieser Philo
sophie zu der unsrigen ein solches, daß diese nicht nöthig hätte, sich mit jener weiter zu beschäftigen.
Es ist so viel in den
Griechen, daß wir entweder sie Niederkämpfen, oder ihnen Gewalt
über uns einräumen müssen.
Ob die Philosophen sich ihres
Studium entbrechen können, ist nicht in Frage zu ziehn.
Aber
auch ein allgemeineres Studium des Plato und des Aristoteles wäre zu wünschen.
Freilich möchten des letzteren metaphysische
und logische Schriften aus mehreren Gründen und schon wegen
des Umfangs bei dem gegenwärtigen Stande unserer griechischen und philosophischen Studien Wenigen zugänglich seyn, und
wir wollen uns ja überall enthalten zu viel zu fodern, damit nicht nichts geschehe.
Ich scheue mich deshalb nicht, aus
zusprechen, was vielleicht manchen wunderlich scheint, daß ein
Auszug aus Aristoteles, eine Zusammenstellung einer Ueber sicht seiner Philosophie mit seinen eigenen Worten nicht zu ver schmähen seyn möchte; und es ist zu behaupten, daß der Gebrauch
136 einer solchen Auswahl, als Ersatz des sonst ganz Unzugäng lichen, bei keinem Schriftsteller zweckmäßiger seyn möchte als
bei Aristoteles, so wie bei keinem unthunlicher als bei Plato.
12. Sittliche Bilduttg. Die Bildung zur Sittlichkeit ist eine zwiefache,
erstens
zur Wahrnehmung und Anerkennung des Sittlichen durch Ver stand und Gefühl, und zweitens zur Bestimmung des Willens
für das Sittliche.
Denn die Erkenntniß des Sittlichen und die Anerkennung des Rechtes des Vernunftgesetzes genügt nicht.
Es bedarf noch
besonders der Bestimmung zur Befolgung des Gesetzes.
Wenn wir auch das Prinzip der Tugmd gefunden und
aus diesem wieder, was gut oder böse sey, gezeigt habm,
wenn es uns auch fest steht, daß der Mensch soll, was das Gesetz vorschreibt, so bleibt doch noch der letzte Grund der
Bestimmung zur Beobachtung des Gesetzes übrig, der Gründ,
aus welchem der Mensch
nicht, obgleich die Foderung des
Sittengesetzes anerkennmd, dennoch lieber einem widerstrebenden
Triebe, dem Reize des Vortheils und der Lust folgen will. Wie vielleicht niemand so gut ist, daß er nicht zuweilen im einzelnen Falle sich entschlösse, dem Sittmgesetze nicht zu folgen, das er anerkannt hat, nicht bloß aus Schwäche des
Widerstandes der Vemunft gegen den Trieb, sondem weil ihm die Verpflichtung zur Befolgung der anerkannten Verpflichtung nicht deutlich genug ist; so ist auch vielleicht niemand so böse,
daß er durchaus nicht in der Erkenntniß und Anerkennung des
Sittmgesetzes eine Nöchigung zu seiner ^Befolgung fände, daß er sich entschlösse, das Sittengesetz überhaupt nicht zu hören,
136 einer solchen Auswahl, als Ersatz des sonst ganz Unzugäng lichen, bei keinem Schriftsteller zweckmäßiger seyn möchte als
bei Aristoteles, so wie bei keinem unthunlicher als bei Plato.
12. Sittliche Bilduttg. Die Bildung zur Sittlichkeit ist eine zwiefache,
erstens
zur Wahrnehmung und Anerkennung des Sittlichen durch Ver stand und Gefühl, und zweitens zur Bestimmung des Willens
für das Sittliche.
Denn die Erkenntniß des Sittlichen und die Anerkennung des Rechtes des Vernunftgesetzes genügt nicht.
Es bedarf noch
besonders der Bestimmung zur Befolgung des Gesetzes.
Wenn wir auch das Prinzip der Tugmd gefunden und
aus diesem wieder, was gut oder böse sey, gezeigt habm,
wenn es uns auch fest steht, daß der Mensch soll, was das Gesetz vorschreibt, so bleibt doch noch der letzte Grund der
Bestimmung zur Beobachtung des Gesetzes übrig, der Gründ,
aus welchem der Mensch
nicht, obgleich die Foderung des
Sittengesetzes anerkennmd, dennoch lieber einem widerstrebenden
Triebe, dem Reize des Vortheils und der Lust folgen will. Wie vielleicht niemand so gut ist, daß er nicht zuweilen im einzelnen Falle sich entschlösse, dem Sittmgesetze nicht zu folgen, das er anerkannt hat, nicht bloß aus Schwäche des
Widerstandes der Vemunft gegen den Trieb, sondem weil ihm die Verpflichtung zur Befolgung der anerkannten Verpflichtung nicht deutlich genug ist; so ist auch vielleicht niemand so böse,
daß er durchaus nicht in der Erkenntniß und Anerkennung des
Sittmgesetzes eine Nöchigung zu seiner ^Befolgung fände, daß er sich entschlösse, das Sittengesetz überhaupt nicht zu hören,
137 sondern böse seyn zu wollen.
Und den Meisten mag wohl in
der Anerkennung des Sittengesetzes auch die Anerkennung seiner
nöthigenden Gewalt, die Bestimmung zu seiner Befolgung zu liegen, Anerkennung der Pflicht und Anerkennung der un erläßlichen Nothwendigkeit der Erfüllung der Pflicht eins zu
seyn scheinen.
Allein es ist in der That nicht eins.
Es könnte
jemand anerkennen, daß er dieses soll, und er könnte dennoch nichts sehn oder nichts in sich haben, was ihn bestimmte, zu
thun was er soll; eben so wie man wohl die Nöthigung zur
Erfüllung der Rechtspflicht nicht in dieser selbst, sondern höch stens in der moralischen Pflicht, sonst auch nur in der äußeren
Nothwendigkeit sieht, wie es nur Wenige giebt, die nicht den
Abgaben an den Staat, wo sie es bequem können, sich entziehn, obgleich sie
ihre Verbindlichkeit dazu
nicht läugnen.
Wie nun der Mensch im einzelnen Falle sich des Gesetzes über
heben zu können glaubt, so könnte er auch alles Gesetzes sich
überheben wollen.
Und wollte man auch diesen Fall bei Seite
liegen lassen, in der Voraussetzung, daß er nicht vorkomme, so ist doch darum nicht minder zu Erforschung des Grundes
der sittlichen Bildung und zur Begründung des Uttheils über die sittliche Bildung einer Zeit und über den zu erwartenden
weiteren Gang der Bildung zu untersuchen, was das sey, das überhaupt den Menschen zur Beobachtung des Gesetzes bestimmt,
sey es eines einzelnen oder alles Gesetzes. Die Bestimmung des Willens kann nicht ihren höchsten
Punct in einer Erkmntniß haben.
Das Höchste der Erkenntniß
vom Sittlichen ist dieses, daß es eine Foderung der Vernunft
sey, daß es seyn solle, und daß in der Erfüllung dessen was
seyn soll, in der Befolgung des Gesetzes die Vemünftigkeit liege.
Aber die Wahl zwischen der Vernünftigkeit und der Un-
vernünftigkeit bleibt zurück.
Ganz gleich wie mit der Bestimmung für das Sittliche
138 ist es mit der Bestimmung für das Schöne und für alles Gesetz, Es kann jemand, und es geschieht nur zu oft, das Eine für
das Schönere anerkennen und doch das Andere wählen, das
für ihn einen größeren Reiz hat. Das Vermögm, sich für die Beobachtung des Gesetzes
zu bestimmen, nach dem zu streben, was das Gesetz will, — sey es das Gesetz der Schönheit, oder der Sittlichkeit, oder
überhaupt irgend ein Gesetz, — ist nicht das Vermögen des
Willens oder Begehrms an sich, sondern ein Vermögen der Bestimmung des Willens und des Begehrens nach dem Gesetz. Es ist höher als das Willensvermögen.
Die Richtung auf die
Erfüllung des Gesetzes gehört zusammen, oder kann als gleich-
bedeutmd betrachtet werden, mit der Richtung auf die Anschlie
ßung an eine höhere Ordnung, auf die Erstrebung der höheren Bestimmung des Menschen; es ist überhaupt die Richtung auf das Höhere.
Dieß ist das höhere Vermögm des Geistes, wek-
ches die höhere Natur des Menschen enthält.
Dieß ist das
Vermögen, welches das Gewissen als Trieb in sich hat.
Es
ist ein Vermögm, durch welches das geistige Leben des Men schen dem Weltgeiste angehört,
das Vermögen der Richtung
auf das Göttliche, der Religiosität wie der Sittlichkeit.
Es würde angemessen seyn, dieses Vermögen des Menschen, das Vermögen der Bestimmung der Richtung auf das Höhere
und namentlich auf das Gesetz, in Beziehung auf Sittlichkeit wie auf Schönheit, Vernunft zu nennen, die Vernunft also
durchaus auf den Willm zu beziehm, die Erkenntniß aber des
Gesetzes und alles Höheren dem Verstände, der Intelligenz zuzutheilen.
Will man aber, wie man thut, daS Vermögm
der Erkenntniß des Gesetzes ohne Rücksicht auf seine Befolgung,
Vernunft nennen, so könnte das Vermögen der Bestimmung
nach dem Vernunftgesetze werden.
Vernunft
der Bemnnft
genannt
139 Also ruht die eigene Bestimmung des Menschen zur Be folgung des Sittengesetzes in nichts Anderem, als in dem, was
wir als das Prinzip der Bildung erkannt haben, in der Rich tung auf das Höhere, auf die Erfüllung der höheren, der
wahren Bestimmung des Menschen, welche Richtung nicht bloß als Grundlage der Bildung und der Sittlichkeit, sondern auch als das Wesen der Bildung und der Sittlichkeit betrachtet werden
kann.
Das Wesen der Sittlichkeit ist, daß der Mensch strebe,
Handlung, Wille, Gesinnung in Einklang mit dem Sitten gesetz zu bringen, wie das Wesen der Bildung überhaupt ist,
daß der Mensch strebe, seine Bestimmung und immer seine
höchste Bestimmung zu erfüllen, daß er nach dem Höheren strebe.
Und wie überhaupt der Bildung Höchstes ist, daß das Stre
ben nach dem Höheren Trieb sey, so ist auch das Höchste der Sittlichkeit, daß das Gesetz aus Trieb, nicht bloß aus An erkennung befolgt werde. So hat nun Sittlichkeit und Bildung überhaupt nur ein gemeinschaftliches Wesen in der Richtung auf Erfüllung der Bestimmung, in der Richtung auf das Höhere überhaupt und
auf das Sittengesetz insonderheit.
Betrachten wir das Ver
hältniß zwischen Sittlichkeit und Bildung, so ist das Nächste, daß uns die Sittlichkeit als in der Bildung, dem Allgemeine
ren, enthalten erscheint.
Man kann aber auch alle Richtung
auf das Höhere Sittlichkeit nennen, und in diesem Sinne ist
wiederum die Sittlichkeit die Gmndlage und das Wesen der Bildung selbst.
Denn in der Erfüllung seiner Bestimmung, in
der Erreichung des Höchsten, das erreichbar ist, in seiner Bil dung sieht der Sittliche und der Gebildete seine Aufgabe und
sein Gesetz, und die Lösung seiner Aufgabe und die Erfüllung
seines Gesetzes ist ihm Pflicht.
Sittlichkeit also ist dir Spitze der Bildung, das Aiel und das Höchste der Bildung und die Grundlage aller Bildung.
140 DaS ist die Hoheit der Sittlichkeit, daß sie Grundlage der Bildung, daß in ihr die wahre Wurzel der Bildung ist.
Das
ist chr höchstes Recht, daß in der Lehre von der sittlichen Bil dung vorzugsweise zu zeigen ist, wie der Geist dazu komme, sich zur Richtung auf das Höhere, zur Bildung zu bestimmen..
Bei diesem Verhältnisse nun zwischen Sittlichkeit und aller Bildung ist auch die Erstrebung der Sittlichkeit und der Bil dung überhaupt eine gemeinsame.
Es ist dieselbe Richtung und
dasselbe Streben, deshalb ist Ausbildung der einen Seite zu gleich Ausbildung der andern.
Die Gewöhnung zur Richtung
auf das Höhere, auf das höhere Leben, ist Gewöhnung zur Richtung eben so wohl auf das Schöne und auf das reine
Interesse an der Thätigkeit des Geistes und namentlich der Wissenschaft, als auch auf die Sittlichkeit.
Daher ist die Aus
bildung jenes Vermögens der Bestimmung für das Höhere die gemeinsame Grundlage aller Bildung überhaupt und der Sitt
lichkeit insbesondere, und da jede Art wahrer Bildung Aus bildung jenes Vermögens ist, so ist sie Ausbildung der Grund
lage der Sittlichkeit. Das Gewissen selbst ist nichts anderes als der auf Errei
chung des Guten, des Rechten überhaupt, auf Reinigung, Veredelung und Vervollkommnung alles Thuns und alles Seyns
gerichtete Trieb, und wir brauchen das Wort GewissenhaftiAkeit selbst nicht einmal auf das Sittliche zu beschranken, weil
jede Art der Vervollkommnung und der Vollkommenheit doch Pflicht ist.
Die Strenge aber ist die gemeinschaftliche Spitze,
die gemeinschafüiche Kraft des Bildungsstrebens und der Gewissen
haftigkeit. Also ist das Bildungsstreben und die Strmge, welche der Mensch durch das Bildungsstreben sich aneignet, welche
allein der Bildung Gediegenheit giebt, zugleich als Gewissen
haftigkeit der Grund aller Tugend, oder das Wesen der Tugend, wenn wir sie nicht vorzugsweise die Tugmd nmnen wollen.
141 Folglich ist die Befestigung der Strenge in aller Bildung über haupt zugleich Bildung zur Sittlichkeit.
Dieß wird besonders klar, wenn wir als die höchste Auf gabe aller Bildung das Erheben des Menschen über seine In dividualität, das Erheben zur Aufopferung seines Seyns und
Lebens an das Leben der Außenwelt und an das Gesetz in das Auge fassen und die Natur der einzelnen Tugenden betrachten,
welche alle in dem Triebe zu Erfüllung des Gesetzes und, so viel das Verhältniß zur Außenwelt betrifft, in der Aneignung
des fremden Interesse als des eignen beruht.
So ist die höchste
der Tugenden, die Liebe, so ist die Uneigennützigkeit, die Wohl-
thatigkeit, die Gerechtigkeit, die Milde, die Demuth. Aller Bildung und allem Bildungsstreben, zur Schön
heit und zur Wissenschaft wie zur Sittlichkeit sind alle Züge des Charakters gemeinschaftlich, der Ernst, die Strenge, die
Tiefe, die Gewöhnung an den Vorzug des höherm Interesse
vor dem niederen, die Selbstverleugnung, so wie in der Bil dung und dem Bildungsstreben überhaupt die Ehre, die Würde, der Adel, die Tugend des Menschen liegt.
Am meisten ist der Zusammmhang zwischen der Bildung
für die Schönheit und der Bildung zur Sittlichkeit in der Aus
bildung jenes Vermögens zur Bestimmung für daö Höhere klar.
Richt nur nimmt die Spitze jeder Tugend den Charakter der
Schönheit an, sondern alle Tugend und überhaupt die Tugend erscheint selbst als Schönheit.
Tugend.
Die Schönheit ist das Ziel der
Und die Gewöhnung des Geistes an die Richtung
auf das Schöne ist Gewöhnung an die Richtung auf das Höhere
überhaupt, Gewöhnung an Streben nach dem Edlen, also an Sittlichkeit des Willens.
Auch der Schönheitssinn ist ein dop
pelter und die Bildung für die Schönheit eine zwiefache, theils das Schöne zu empfinden und zu verstehn, theils nach dem
142 Schönen zu streben, es als das Höhere allem anderen, jedem
Reize und jedem Interesse vorzuziehn.
Ferner ist
aber wiederum die Bildung zur Sittlichkeit
nicht bloß Bildung des Willens; sie begreift auch die Erkennt
niß des Sittlichen.
So ist die sittliche Bildung von der in
tellektuellen nicht geschieden, und in der intellectuellen Bildung ist Gedanke und Gefühl nicht auseinander liegend.
Denn das
Finden des Sittlichen geschieht gemeinschaftlich durch Gedanke und Gefühl.
Allerdings ist nicht ein durchgängig gleichmäßiges Ver
hältniß beider Seiten der sittlichen Bildung.
Es kann die eine
Seite mehr als die andere, mithin so weit ohne die andere,
ausgebildet oder vernachlässigt seyn.
Der in der Erkenntniß
des Sittlichen wie überhaupt zum Urtheilen feiner gebildete
Geist kann weniger fest in dem sittlichen Willen seyn.
Und
da so häufig schärfere Erkenntniß fehlt, so ist es erfreulich, daß
die Sittlichkeit nicht durchaus von der intellectuellen Bildung abhängt, daß der rechte Wille mit dem den rechten Willen gern
begleitenden richtigen Gefühle, durch einen Jnstinct, leicht das
Rechte finden kann.
Allein nichts desto weniger erheischt die
höhere sittliche Bildung Md die Sicherheit der Sittlichkeit Ver einigung der klaren Erkenntniß und zarten Gefühles für die
Sittlichkeit mit dem sittlichen Willen.
Wie nun in Hinsicht auf die Richtung des Willens, eben so wird auch in Hinsicht auf die Erkenntniß des Rechten die
BlldMg zur Sittlichkeit mit der allgemeinen Bildung gemein sam vollbracht.
Dieß scheint in so weit nicht der Erwähnung
zu bedürfen, als daS Erkenntnißvermögen im Menschen nur eines ist.
Doch haben wir uns dabei der besonderen Natur
der sittlichen Erkenntniß zu erinnern, welche gleich der Erkennt niß
oder Wahrnehmung
des
Schönen,
der aufmerksamsten
Beobachtung und der feinsten Unterjcheidung bedarf, woraus
143 sich wieder die Bedeutung der Schärfe des Denkens als über haupt der wesentlichen Grundlage aller Bildung ergiebt.
Es
ist klar, daß die Bildung zur Schärfe des Erkenntnißvermögens die Feinheit und Zartheit des Gedankens und des Gefühles ausbildet, wodurch das Sittllche,
wird.
wie alles Rechte gefunden
Insbesondere ist hier das Verhältniß zwischen dem Ge
fühle und dem Gedanken, in Hinsicht auf die Sittlichkeit wie
auf die Schönheit zu erwähnen.
Gedanke und Gefühl sind im
Sittlichen unzertrennlich und auf keine Weise gegen einander
abzugrenzen.
Die Läuterung des Gefühls ist Erkenntniß, und
gewiß wird das Vermögen der Erkenntniß im Sittlichen durch daS Gefühl erhöht.
Gefühl hat zwei Bedeutungen, deren keine von unserer
Betrachtung ausgeschlossen ist.
Zunächst liegt uns, was man
auch Tact nennen mag oder Geschmack, ein Urtheil, das nicht
auf deutlichem Denken, nicht auf klarem Bewußtseyn der Gründe
ruht, sey es, daß es gar nicht auf Erkenntniß aus Gründen zurückgeführt werden könne, oder daß es nur jetzt nicht daraus hervorgegangen sey; wie wir oft urtheilen ohne uns vor der
Hand den Grund angeben zu können, nicht bloß wo rein der
Geschmack entscheidet, sondern auch wo wir Gründe haben kön
nen, und in der Sittlichkeit wie in der Kunst läuft Urtheil
des Geschmacks und aus Gründen meistens in einander.
Daß
nun diese Art des Gefühles immer zur Erkenntniß gehört, ist nicht zweifelhaft.
Aber auch jene Gefühle, welche einem eigen
thümlichen Seelenvermögen gehören, jene Gefühle, welche das
Gemüth ausmachen, sind keineswegs ohne Zusammenhang mit der Erkenntniß.
Sie ruhen nicht bloß auf Vorstellungen, son
dern auch auf Urtheilen; und nicht nur wird dieses Gefühl
durch die Erkenntniß gebildet, sondern theils geht es dem Ur theile ost voraus, weil daS Gemüth eine noch lebhaftere und leichtere oder eine eigenthümliche Bewegung hat, theils wird
144 die Seele durch das Fühlen des Gemüths zum urtheilenden Gefühl erregt.
Und so wird auch das Gefühl im letztem Sinne,
das Gefühl des Gemüths, Quelle oder Führer der sittlichen
Erkenntniß. Also auch Bildung des Gemüthes, Bildung zu Wärme
und Lebhaftigkeit des Gefühls ist durch die Bildung des Geistes überhaupt, in der Erkenntniß wie in der Gewöhnung zur Rich tung auf das Höhere zu suchen.
Der Bildung des Gemüthes
ist keine besondere Stelle anzuweisen.
Sie wird mit der Bil
dung zur Sittlichkeit, zum Zartgefühl, zur Scharfe des Auf
fassens und Unterscheidens, mit der Ausbildung deS Schön
heitssinnes vollbracht.
Außer dem Leben selbst giebt es keine
andere Bildung als diese zur Erregbarkeit des Gefühls, die
wir Gemüth nennen. Wiederum tritt bei dem Verhältnisse der Ausbildung des
Erkenntnißvermögens überhaupt zu der Ausbildung des Ver mögens, das Sittliche durch Denken und Fühlen zu finden, vornehmlich das Gemeinsame der Bildung zum Schönen und zum Sittlichen hervor.
Das Sittliche und das Schöne ver
hält sich wie zwei Sprachen.
Wer seinen Ausdruck in der
einen Sprache reinigt und veredelt, dessen Rede wird auch in der andem Sprache reiner und edler.
In Beziehung auf das
Sittliche und auf das Schöne ist mehr als anderwärts Gefühl
und Urtheil, Gemüth und Erkenntnißvermögen in unzertrenn lichem Verein.
Die Feinheit des Tactes, welche zum Finden
des Sittlichen erfodert wird, ist nur noch dem Schönheitssinne in gleicher Weise eigen. Die Werke des Geschmacks haben gleiche Regel und gleichen Charakter wie die Sittlichkeit: das Maß,
die Feinheit, die Zartheit, die Besonnenheit, den Anstand, die Ausglättung, die Veredelung.
Folglich ist die Bildung des
Sinnes für die Schönheit zugleich Bildung zur Sitüichkeit,
in der Richtung auf beides, in der Erwärmung für beides,
—
145
—
in zartsinnigem Verständniß, welches für beides zugleich aus gebildet wird. In diesem Zusammenhang« der Ausbildung des Schön
heitssinnes und des Geschmacks mit der sittlichen Bildung, sowohl was das Streben als was die Erkenntniß betrifft, liegt nun der hohe Werth der Kunst für die Sittlichkeit.
Freilich
eine Kunst, welche sich von der Schönheit, von der Klassizität, von der Strenge entfernt, kann nicht Sittlichkeit erzeugen.
Ihre Frivolität wird vielmehr in die sittliche Richtung verder bend übergehn.
Eine Kunst, welche dem Vergnügen in dem
gewöhnlichen Sinne und gemeiner Unterhaltung und Ergötzung
dient, kann nicht zur Sittlichkeit führen, wie sie aber auch nicht
zur Schönheit führt.
Beimischung sittlicher Ansicht, wohl gar
sittlicher Lehren in Kunstwerke ist der Kunst fremd und ihrer
so wenig als der Sittlichkeit würdig. Aus diesem Zusammenhänge der Sittlichkeit mit der Schön heit und der Kunst folgt nun auch, daß die ästhetische Bildung
keinem Stande zu verschließen ist.
klar,
daß
Es ist wohl durch sich selbst
hiermit nicht nur nicht etwa das Lesen unserer
gewöhnlichen Romane, sondern auch nicht das Hinaufschrauben
derer, welche nur eine sehr beschränkte Bildung empfangen können, zu solchen Dingen empfohlen werden soll, wo sie weder
die rechte Wahl treffen, noch, wenn sie sie getroffen hätten, doch das Bildende aufzunehmen vermögen würden.
Es ist aber
zu erinnern, daß ästhetische Bildung überall liegt, in allem
Seyn und Thun, daß sie mit Sauberkeit und Nettigkeit und
Zierlichkeit alles Gestaltens anfängt, daß sie an alle Ausbildung der Rede und zu Unterst der Aussprache sich anschließt, daß
allezeit mit Richtigkeit, Genauigkeit und Schärfe des Ausdrucks
Wahl und Geschmack sich verbindet.
Wahl und Geschmack sollte
nirgends fehlen und bei allem berücksichtigt werden, was vor
die Seelen der Zöglinge gebracht wird.
Darin freilich könnte
10
146 leicht gefehlt werden, wenn man ohne die feinste Unterscheidung,
ohne die Gabe den Geschmack überall anzuwenden, nach Gegen ständen ästhetischer Bildung suchen wollte; und es könnte leicht zu Mißverständniß und zu Mißgriffen Anlaß geben, wenn die Berücksichtigung ästhetischer Blldung bei der Erziehung allgemein
Allein nichts desto weniger bleibt
vorgeschrieben werden sollte.
es gewiß, daß in richtigem Sinne ästhetische Bildung ein we
sentlicher Bestandtheil aller Bildung und insonderheit der sitt lichen ist.
Fassen wir nun in das Auge, worauf nach dem Vor stehenden die Bildung zur Sittlichkeit beruht, und betrachten
wir aus diesem Gesichtspuncte die Art und das Streben unserer
Zeit, so finden wir, daß unsere Zeit die Elemente der sittlichen Bildung nicht fördert noch in sich trägt, sondern zu zerstören
im Begriff und sogar beflissen ist, daß sie einen Charakter an genommen
hat,
welcher nur immer tieferes Verderben der
Zukunft vorzubereiten droht.
Hier kann der Stand unserer
sittlichen Bildung nicht vollständig betrachtet werden, sondern
nur in entscheidenden Puncten, und in denen vorzüglich unsere
Zeit ihre Eigenthümlichkeit und ihre Neigung hat und ihre
Zukunft verkündet.
Zm Einzelnen ist sittliche Bildung schwer
aufzufassen, zu beschreiben und zu beurtheilen.
Hier muß doch
jeder selbst gesehn und gefühlt haben; Beweis läßt sich dem Läugnenden nicht geben,
da
einzelne Züge nicht der ganze
Charakter sind und selbst der einzelne Zug einer Zeit die All
gemeinheit bezeichnen soll; und der wahre innere Werth oder
Unwerth entspricht oft so wenig der äußeren Erscheinung.
Die
Züge, die ich erwähnen werde, kann ich als allgemein an erkannt und beklagt voraussetzen; nur das Ergebniß in Bezie
hung auf das Ganze der sittlichen Bildung unserer Zeit und auf die Erwartungen für die Zukunft habe ich zu verantworten.
Unsere Zeit ermangelt der Richtung auf das Höhere, worin
147 doch die Tugend liegt.
Sie richtet ihr Streben auf das äußere
Leben, auf die materiellen Interessen, wie fle eS nennt, auf das Nützliche und die Bildung für das Nützliche, worunter
sie den Nutzen für das äußere Leben versteht, und diese Rich tung in der Erziehung halt sie sogar für ihren Fortschritt.
An die Richtung auf Erstrebung dessen, was man für Bedürfniß
hält, knüpft sich, bei immer weiterer Ausdehnung der Vor
stellung von dem Bedürfnisse, das Verlangen und Trachten nach solchem, was nur Luxus und Tand ist, nach Eitlem,
Leerem, nach gemeinem Vergnügen und Genuß.
Indem diese
Richtung von dem Streben nach der höheren Bestimmung, nach dem reineren Interesse des Geistes abzieht, zerstört sie mit
dem Streben nach dem Höheren die erste Gmndlage der Sitt lichkeit, das Wesen der Sittlichkeit.
Unserer Zeit fehlt die Strenge in der Richtung auf die
Bildung, welche in dem Sittlichen die Gewissenhaftigkeit ist.
Ihr fehlt der Emst.
In ihrem Leichtsinn der Abwendung von
dem Höheren, in der Frivolität ihres Trachtens, in der Ent wöhnung von Schärfe des Denkens, von Reinheit des Ge schmacks, von Klassizität kann sie nicht zu Emst und Strenge
kommen. Durch Abwendung von dem Edlen in der Kunst entzieht sie sich der Richtung auf das Edle im Leben, auf die Sitt
lichkeit.
Indem sie die Kunst nicht auf die Schönheit richtet,
verliert sie das trefflichste Mittel der Erregung des Triebes zu
aller Schönheit, welche auch der Tugend Gipfel ist.
Ohne
Schärfe des Urtheils, ohne Strenge kann sie die Zartheit deS Sinnes und Gefühls nicht ausbilden, durch welche wir das Sittliche finden.
Die Zeit, welche alles Alte und Bestehende geringschatzt und wegwerfen möchte, welche die hastige Umgestaltung des
Bestehenden zu ihrem Geschäfte macht, wirft mit der Achtung
10*
148 für das Bestehende und das Alte zugleich den Sinn für Ach Unsere Zeit ist arm am
tung, für Ehrfurcht überhaupt ab.
Gefühl der Achtung, sie kennt kaum mehr das Gefühl der Ehrfurcht.
Das Gefühl der Achtung aber ist die Wurzel alles
taffen, was die Vernunft als Pflicht gegen Andere gebietet,
die Wurzel des Gefühls für Andere.
Ohne das Gefühl der
Achtung ist der Sinn für reinere Liebe nicht auszubilden, in welcher die höchste Schönheit der Sittlichkeit ist.
In dem Ge
fühle der Ehrfurcht, das unserer Zeit mangelt, ist nicht bloß der Adel des Sinnes in Beziehung auf das Verhältniß mit
den Menschen enthalten.
Die Ehrfurcht für den Menschen
kann nicht weggetilgt werden, ohne daß die Ehrfurcht für ehr würdige Verhältnisse, für das Gesetz, auch das der Vernunft, und für das Göttliche verloren ginge.
Aus der Ehrfurcht deS
Kindes für dm Vater entwickelt sich seine Ehrfurcht für das
Ehrwürdige, für das Gebot, für die Pflicht, für das Recht und für Gott.
Es ist Gewinn, worin unsere Zeit eine Eigenthümlichkeit hat und ein Verdienst sucht, wenn den Mmschen der unan
gemessene Nimbus der Verhältnisse abgestreift wird, welcher den wahren Werth der Dinge zu sehn verhindert.
Allein es ist der
größte Verlust, wenn ohne Grenze den Verhältnissen die Ach tung entzogen wird, möge nun die Ursache in dem Unwerthe
derer, von welchen die Verhältnisse zu vertreten sind, oder in
dem Leichtsinne der andern liegen.
Nicht bloß der Werth der
Menschen, sondern auch die Bedeutsamkeit ihres Wirkens und ihrer Bestimmung für das Leben des Staates und des Volkes
erheischt Ehrfurcht.
Und nie geht Ehrfurcht und Achtung bloß
für den einzelnen Gegenstand verloren, der sie fodert, sondern es ist stets zugleich Verlust an der Fähigkeit für Ehrfurcht und
Achtung.
An Ehrfurcht und Achtung knüpft sich die Scheu, welche
149 nicht bloß
bei der Jugend und überhaupt so weit die Ver-
nünftigkeit nicht ausgebildet ist, die Stelle der Gewissenhaftig
keit ersetzen mi'ß, sondern auch selbst der Kern ist, aus dem die Gewissenhaftigkeit erwachsen muß.
Die Scheu vor dem Denn beides hat
Ehrwürdigen wird zur Gewissenhaftigkeit.
einen gemeinschaftlichen Charakter, das Streben dem zu genü
gen was gefodert wird, was seyn soll.
Die rechte Gesetzgebung
für das Soll liegt in dem Gewissen.
Da dieses aber Ausbil
dung, der Vernunft, des eignen Urtheils erfodert, so muß bei
Kindern, und nicht bloß bei ihnen, die Scheu vor andern das Gewissen, das fremde Urtheil die Stelle des eignen vertreten.
Bei Kindern, welche für die Vernunftgründe nicht empfänglich sind, kömmt es nur darauf an, daß sie das Soll erkennen
und anerkennen; was sie aber sollen, liegt für sie nicht in ihrer
Vemunft, sondem in dem fremden Gebote.
Es ist aber all
gemeine Bemerkung, daß unserer Jugend das Gefühl der Hoch achtung, der Ehrfurcht und der Scheu so wie der Gehorsam mangelt, also die Wurzel der Erziehung zur Sittlichkeit.
Nicht bloß der Jugend fehlt der Gehorsam in unserer Zeit. Und der Gehorsam ist nicht bloß als Befolgung menschlichen Gebotes zu fassen, sondem sein Wesen fällt zusammen mit der
Gewöhnung an die Unterwerfung unter das, was seyn soll, überhaupt.
Der Gehorsam bildet ferner zur Bescheidenheit und
zur Demuth, wie er aus Bescheidenheit und Demuth fließt, welche wiedemm Quelle der Tugendhaftigkeit ist, die vorzüg
lichste Wurzel
Erscheinung
reineren
sittlichen Sinnes,
die unmittelbarste
der Selbstverläugnung, der Echebung über die
Individualität.
Ueber bett Mangel unserer Zeit an Demuth aber
ist kaum die Zeit selbst zweifelhaft; sie will nicht demüthig seyn. Unsere Zeit schleift gewiß manche Untugend ab, insbeson
dere die als roher, als barbarisch sich darstellt.
Vielleicht wäre
mancher Zweifel gegen dieses Verdienst unserer Zeit zu erheben.
150 Es wäre zu bemerken, daß die Abstreifung der Rohheit früherer Jahrhunderte doch nicht das Werk unserer Zeit, sondern das
des achtzehnten Jahrhunderts ist, dessen hohem Werthe nicht
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen unserer Zeit Vorwurf ist. Man könnte auch sogar an dem Ruhme unserer Zeit weniger
barbarisch zu seyn, zweifelhaft werden, wenn man etwa auf den jetzigen Kampf in Spanien blickt.
Doch wir wollen Ver-
dienst unserer Zeit in diesem Puncte voraussetzen, und nur
durch zwei Bemerkungen den wahren Werth dieses Verdienstes klar zu machen suchen.
Fürs erste, wie hoch immer der Gewinn
von der Abschleifung der Rohheit angeschlagen werden möge, und obwohl die Rohheit immer das roheste bleibt, so hat man sich doch bei dem Vergleiche verschiedenartiger Untugenden sehr
vor Irrthum zu hüten, wenn rohere Untugend abgeschliffmer Sündhaftigkeit entgegensteht.
In dem Urtheile über Sittlich,
feit und Unsittlichkeit lassen wir uns gar zu sehr tauschen, das für bedeutender zu halten, was
mehr in die Augen springt,
als anderes, was mehr das Wesen von Gut oder Böse in sich hält.
Zweitens ist die Tugend nicht bloß etwas Vernei-
nendes, nicht bloß nicht vorhandene Untugend, gleichwie die
Schönheit nicht bloß Verneinung der Häßlichkeit ist.
Tugend
haft ist nicht, was nicht böse, sondem was gut ist.
Die Tu
gend ist eine Trefflichkeit, eine Schönheit des Charakters, ein
Werk der Richtung
auf das Höhere, der Anschließung des
WillmS an die höhere Ordnung und das Gesetz, der Ueber
windung der Individualität, was in strengerem Sinne vor zugsweise die Tugendhaftigkeit jist, woraus das Wesm jeder einzelnen Tugend fließt, der Gewissenhaftigkeit, des Zartsinns,
der Wahrhaftigkeit, der Redlichkeit, der Offenheit, der Festig keit, der Selbstachtung, der Achtung des Andern, der Gerech.
tigkeit, der Güte, der Müde, der Liebe.
Diese positive Tugend
ist das Höhere der Sittlichkeit, höher als das, was bloß nicht
151 Untugmd, nicht Unsittlichkeit und oft nur Abschleifung des
Betragens und Gewohnheit, mehr von außen angenommene
Gewohnheit ist, nicht, wie die wahre Tugend, dem inneren, eigenen Wesen entquillt.
Nun springt es allerdings mehr in
die Augen, mit einer Untugend behaftet zu seyn, als eine
Tugend oder vielmehr als Tugend zu haben, und Untugmden
zu meiden scheint dringender und über Sittlichkeit oder Unsitt lichkeit entscheidender zu seyn als sich zu Tugenden zu gewöhnen.
Allein dieß letztere ist Täuschung.
Wollte man Reinheit von
Untugendm und Besitz von Tugenden vergleichen, so könnte man ja nach jener Stufenfolge auch entgegnen, so gut wie man sagen könne, daß der Unwerth dessen größer sey, der
Untugend an sich trage als dessen, der nicht Tugend habe, so gut könne man auch sagen, daß der Werth dessen der größere sey, der Tugend habe, als dessen, der bloß nicht mit Untu
gmd behaftet sey.
Allein vielmehr ist beides nicht gegen ein
ander zu vergleichen.
Las rechte Uttheil über die Sittlichkeit
eines Menschen oder einer Zeit ist nicht aus der Abzählung
und Abwägung von Tugendm und Untugmden zu nehmen. Die Sittllchkeit liegt nur in Einem, in der Einen Tugend, dem sittlichen Sinne, der Richtung aus das Sittliche und Edle,
der Kraft und Zartheit in der Sittlichkeit, dem sittlichen Triebe.
Diese Tugend zu besitzen oder zu entbehren ist Sittlichkeit oder Unsittlichkeit.
Die Tugmdm und die Untugenden kommen in
das Urtheil über die Sittlichkeit nur als Merkmale des Daseyns
oder Mangels jener Einen Tugend.
Also was hier hat erinnert
werden sollen, ist dieses, daß man sich bei Vergleichung der Sittlichkeit verschiedener Zeiten gegen Täuschung aus der Ab
schleifung von Untugmden, namentlich roherer Sitte, zu wahren und nicht aus dm Augen zu laffm hat, daß über den sittlichen
Werth nur jene eine Tugmd entscheidet. Eine eigenthümliche und die am meisten hervorragende
152 Seite der Sittlichkeit unserer Zeit ist noch besonders zu betrachten. Es ist mit Freudigkeit unserer Zeit nachzurühmen, daß sie von lebhaftem Streben nach dem Rechte erfüllt ist, daß sie nicht
nur in einer dem Rechte angemesseneren Gestaltung der Ver hältnisse, sondern auch in dem allgemeinen Verlangen nach dem
Rechte gewaltig fortgeschritten ist und, wie wir hoffen dürfen, fortschreitet.
Vielleicht sollten wir hier, wo wir diese Erschei
nung als sittlichen Zug betrachten, zu unterscheiden suchen, wie weit dieses Streben nach dem Rechte darauf ausgehe, daß dm Andern ihr Recht zu Theil werde, oder wie viel jeder in dem
allgemeinen Rechte, in der Rechtsverfassung oder dem Prin zipe, wonach er verlangt, vielleicht ihm selbst unbewußt, nur sein Recht oder sein Interesse suche, um zu geschweigen, daß
mancher in der Aufhebung der Bevorzugung des Andern wohl
nicht so sehr die Ausgleichung des Rechtes, sondern die Begrün dung eigener Bevorzugung suchen möchte.
Sittlichen Werth
kann freilich das Sweben nach Gleichmachung des Rechtes nicht
haben, deren Absicht nicht auf die Gelangung aller zu ihrem
Rechte, sondern auf die Gelangung des Strebenden zu seinem
Rechte, wo nicht zu einem Vortheil, gerichtet ist.
Doch wir
wollen bei Seite liegen lassen, was hieran unrein seyn könnte,
und wir wollen uns der Erscheinung eines achten Sinnes für das Recht erfreuen, die doch wohl nach Ausscheidung
Schlacken zurückbleiben möchte.
der
Allein es ist doch der wahre
Werth des erhöhten Rechtssinnes unserer Zeit näher zu betrachten. Fürs erste wird wohl nicht leicht von jemand angenommm wer
den, unsere Zeit zeichne sich darin aus, daß jeder dem andern sein Recht geben, niemanden bevortheilen wolle.
Was man
von unserer Zeit als Rechtssinn rühmen mag, ist das Begeh ren nach einem angemessenen Rechtszustande, in öffentlichen
und bürgerlichen Verhältnissen.
Die Tugend des Rechtssinnes
aber liegt in der Gewissenhaftigkeit, in der strengen Wachsam-
153 feit über dem eignen Thun, Wollen und Urtheilen.
Nicht das
ist die rechte Tugend, zu begehren, daß das Recht geschehe,
sondern das, vor dem eigenen Unrecht Schau zu tragen.
zeigt sich von neuem Zweideutigkeit des Charakters
So
unseres
Was aber auch immer als ächter Rechtssinn
Rechtssinnes.
gerühmt werden möchte, bedarf noch weiterer Prüfung.
Der
Rechtssinn vor andern Tugenden erheischt Zartheit und Inner
lichkeit und Trieb, damit er wahren Werth habe.
Alle Tugend,
welche weniger aus dem Innersten des Herzens als aus einer
Gewöhnung der Vorstellung hervorgeht, welche nicht zum Triebe geworden ist, welche mehr dem Buchstaben der Pflicht als dem
Geiste des Gewissens folgt, hat leicht eine eigenthümliche Härte
und Starrheit.
Am meisten findet sich nun an dem Rechtssinn
solche Härte und Starrheit, so wie die Beschränkung auf den Buchstaben.
Es ist dem Rechte eigenthümlich, an den Buch
staben gewiesen zu seyn.
Daher geschieht es leicht, daß auch
der rechtliche Wille mehr den Charakter buchstäblicher Befolgung
des Gesetzes, nach einem Gefühle der Nothwendigkeit oder einer
Gewöhnung, als den Geist freier Bestimmung nach innerem Triebe annimmt.
Es geschieht leicht, daß der Rechtssinn nur
aus Anerkennung der Macht des Rechtes, mehr als einer äu ßeren Macht, verlangt, daß das Recht geschehe, nicht weil ihn
seine Seele triebe zu begehren, daß immer das Rechte geschehe.
An den Buchstaben der Pflicht gewöhnt ermangelt der Rechts sinn leicht der Beweglichkeit des Sinnes und der Feinheit des
Tactes für die zahllosen und durch keinen Buchstaben unter
ein Gesetz zu bringenden Collisionen der Bestimmungen des Willens und Begehrens.
Es ist nicht einmal wahr, daß das
Recht das höchste Gesetz und unbedingt zu befolgen sey.
Jeder
würde sich dazu verstehn, so fern er es könnte, das Recht zu
beugen, wenn daraus dem Berechtigten ein höchst unbedeutender oder kein Nachthell, anderen aber ein hoher Vortheil erwüchse.
154 Und da des Rechtes Wesen ist hart zu seyn, und da nament lich bei der Richtung Unserer Zeit das Ziel des Rechtssinnes ist den Besitz zu entsetzen, so kann leicht der Rechtssinn ein
Hinderniß seyn, daß nicht gleichmäßig Weichheit, Güte, Milde
und Liebe und die Demuth sich ausbilden.
Wir sehn oft die
Menschen an dem Buchstaben des Rechtes in solcher Weise hängen, daß wir kein Zutrauen zu ihrer Empfänglichkeit für
den Geist und die Schönheit aller Tugend fassen können.
Sich
selbst scheinen sie mit dem Gesetz durch Erfüllung des Buch stabens absinden zu wollen, und in ihren Urtheilen über andere ist es, als ob sie gern einen lieblosen, harten Sinn durch will
kommene Gelegenheit der Anwendung eines verdammenden Ge setzes befriedigten.
So ist es nicht unbedenklich, wenn eine
Zeit vorzugsweise an das Recht sich hängt, das man wieder
den Buchstaben der Sittlichkeit nennen könnte.
Der Rechtssinn
selbst bedarf der Heiligung durch die Bereinigung mit Güte, Wärme, Selbstverläugnung und Aufopferung.
Wie nun nach diesen Gesichtspunctm der Rechtssinn unserer
Zeit beschaffen sey, darüber möchte ich nicht urtheilen.
Nur
daran war hier zu erinnern, aus welchen Gesichtspuncten der
Werth des Rechtssinnes zu beurtheilm ist, und daß das Prinzip
der Bewegung, wozu unsere Zeit sich bekennt ohne sich das Maß klar zu machen, daß das Geschäft der Auflösung des
Bestehendm und die Hastigkeit des Thuns nicht günstig seyn kann für die Bildung zur Liebe und zur Milde und zur De
muth , daß es die Ruhe nicht entstehn läßt, ohne welche Jnner-
üchkeit und sittliche Tiefe nicht "seyn kann. Bor allem ist bei Beurtheüung der Sittlichkeit nie zu
vergessen, daß hohe Tugmd nur da ist, wo die Richtung des
Willens auf Befolgung des Sittmgesetzes nicht bloß in dem Grundsätze sondem auch in dem Triebe ruht, und daß es auch eine seelenlose Tugmd giebt.
155
13.
Von unserem öffentlichen Leben. Die Bildung einer Zeit, so wie eines Volkes, hat einen
Theil ihres Charakters in den Einrichtungen, Gebrauchen und Gewohnheiten des Lebens, in den Formen, in der Gestaltung
der häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse, der Verhältnisse in der Familie, der Verhältnisse des geselligen Lebens, der
Verhältnisse zwischen den verschiedenen Ständm, zwischen der Regierung und dem Volke.
Die Gestaltung dieser Verhältnisse,
die Form, enthalt die Ansicht der Welt vom Recht und von menschlichen Verhältnissen überhaupt, den Geist und Sinn der
Zeit, den Charakter des gesellschaftlichen Lebens des Menschen» geschlechts, das menschliche Leben. lichkeit.
In den Sitten liegt Sitt
Diese Formen sind nicht nur das Gepräge, sondern
auch die Erscheinung des Geistes; an ihnen ist nicht nur die Bildung zu erkennen, sondern sie werden auch Ursache der Bil
dung, denn diese Formen und Gewohnheiten werden durch die
Ansicht und Behandlung menschlicher Verhältnisse, die sie ent halten, der eindringlichste Unterricht über das Wesen der Ver hältnisse.
Der Eindruck der Formen, Gebräuche, Sitten und
Gewohnheiten ist mächtiger als alle Belehrung. Allein auch nur so weit sind Formen ein Moment für die Bildung, als sie dm Geist, die Ansicht von den Verhältnissen und die Behandlung der Verhältnisse erkmnen lassen und die
Bildung derer bestimmen, welche in dem Anblicke dieser Formm erzogen werden.
Nun kann aber nicht durchaus aus dm For
men auf den jetzigen Geist, noch auf den zu erwartenden Gang der Bildung geschlossen werden; sie.sind daher nicht durchaus Merkmal noch Ursache der Bildung. Zn den Formen vor allem tritt die Macht der Unvemunst
und der Unbeholfenheit in den menschlichen und vomehmlich den
156 — öffentlichen
Mächte.
Angelegenheiten
hervor,
diese
furchtbarste
aller
Erstens vertragen die Formen und Einrichtungen des
Lebens durchaus nicht reine Vernünftigkeit, das heißt die Ge staltung, welche die Natur der Sache an sich erfodert, ist nicht
ausführbar oder nicht zuträglich.
So ist die Ungleichheit der
Stände und sogar ihres Rechts und ihrer Ansprüche wie ihrer Verhältnisse unvermeidlich und Bedingung einer reicheren Ent wickelung des Lebens und der Bildung.
Ohne die Noth un
serer niederen Stände und ohne die Sklaverei der Alten, die ich doch deshalb so wenig preisen will als den vielleicht noch weit beklagenswercheren Druck unserer niederen Stände, würde
die Welt im Reichthum des Lebens und selbst in der Bildung nicht geworden seyn was sie ist.
Niemand will jetzt eine Wer--
fassung, in welcher alle Bürger, oder alle Einwohner, gleiches
Stimmrecht hätten.
Niemand will jetzt eine Wahlmonarchie
einer erblichen vorgezogen wissen-.
Zweitens stehn die Formen oft mit dem Geiste nicht inUebereinstimmung, schon darum, weil die unbehülflicheren For
men nicht so schnell in der Umgestaltung folgen können, wenn der beweglichere Geist sich verändert.
Die Beschleunigung oder
Verzögerung der Umgestaltung der Formm hängt auch keines
wegs bloß von der Vernünftigkeit der Zeit ab, welche unan
gemessene Formen nicht tragen möchte, sondern auch von zu fälligen Verhältnissen, insonderheit von dem natürlichen Wechsel der Bewegung und des Stillstandes im öffentlichen Leben, und
es fehlt viel, daß die mehr neuernde Zeit darum auch immer die vernünftigere wäre; die eine Zeit ändert nicht, wo selbst die minder Einsichtigen die Zweckmäßigkeit der Aenderung ein
sehn, die andere ändert auch da, wo die Einsichtigen an der Zweckmäßigkeit der Aenderung zweifeln.
Daher ist oft unter Formen, die wir weniger bMgen können, das Verhältniß selbst nach seinem Geiste ein besseres, und wie-
157 dermn unter angemesseneren Formen das Verhältniß selbst doch weniger der Vernunft und der Sittlichkeit entsprechend.
So
weit sind dann die Formen nicht, oder nur mit großer Be
schränkung Merkmale der Bildung der Zeit, denn sie sind es nur so weit, als sie den Geist in sich tragen.
Keineswegs ist
namentlich von den Formen des öffentlichen Lebens unbeschränkt auf höheren oder tieferen Stand der Bildung der Zeit zu schließen. Unter unangemesseneren Formen ist in dem öffentlichen wie im
Privatleben leicht nicht nur mehr Gedeihn, mehr Wohlseyn, sondern auch besserer Sinn. Vielleicht rühmt sich unsere Zeit keines Gewinnes für das
Leben und die Bildung mehr, als des Fortschrittes in Hinsicht auf die Verhältnisse des öffentlichen Lebens.
Es kömmt dabei
dreierlei in Betrachtung, die politischen Ideen, die politische Tugend und die Gestaltung der öffentlichen Verhältnisse.
Die Ausbildung
und Ausbreitung
reinerer,
gemäßer Ansichten von den Angelegenheiten
des
vernunft öffentlichen
Lebens, insbesondere von Recht und Formen im öffentlichen
Leben, ist an sich ein hoher Gewinn für die Bildung, ohne Rücksicht auf den Eingang, den sie in der Gestaltung der Wirk
lichkeit finden.
Run wird zwar niemand behaupten wollen,
daß in dem Zeitraume, welchen wir unsere Zeit nennen mögen,
die Wissenschaft des Staatsrechts und der Staatskunst eine
neue Grundlage erhalten, eine wesentliche neue Ansicht von dem Rechtsverhältnisse zwischen der Regierung und dem Volke sich erzeugt habe, gleichwie in der Kühnheit der Anfoderung an das
wirkliche Leben der vierte August des Jahres 1789 von der
neuesten Zeit nicht übertroffen worden ist. Die politischen Ideen, welche jetzt die neuen heißen, sind der Vergangenheit entkeimt.
Allein unserer Zeit eigenthümlich, und mit Recht ihr Ruhm, ist die weitere vielfache Ausbildung dieser Ideen, ihre allgemeine
Verbreitung, allgemeine und rege Beschäftigung der Welt mit
158 diesen Ideen, Schritte zu ihrer Verwirklichung in den Staaten. Dieß ist das Hervorragendste, was unsere Zeit hat.
Doch ist
nicht aus den Augen zu verlieren, daß auch hierin Werth und Verdienst der Zeit an Bedingungen, Voraussetzungen, Beschrän
kungen geknüpft ist.
Wenn wir den Gewinn aus der Ver
breitung politischer Ideen nicht als unbedingt bewachten, so bedarf es nicht erst der Verwahrung gegen eine Verwechselung
mit der Meinung derer, welche einen Vortheil darin sehn, daß das Volk in Dummheit erhalten werde.
Dieß kann insbeson
dere an dieser Stelle nicht gemeint seyn, da wir bloß den Gesichtspunct der Bildung fassen.
Die Verbreitung jeder wah
ren Einsicht ist Gewinn, ist Bildung.
Allein die Beschränkung
ist diese, daß die allgemeinere Verbreitung politischer Ideen und der lebhafteren Beschäftigung mit ihnen nur so weit Gewinn
seyn kann, als wirklich ein richtigeres Verständniß der Ideen sich verbreitet, und als sie mit Einsicht auf die Erscheinungen des wirklichen Lebens angewendet werden, welche Anwendung
der Hauptgegenstand jener allgemeinen Beschäftigung mit der
Politik ist. bildung.
Denn sonst ist es nicht Bildung, sondern Ver
Nun ist aber die Verirrung nirgends näher und un
heilbringender, nirgends verbildender, als in der Politik. Kein Urtheil kann schwieriger seyn, als über die Angele genheiten des öffentlichen Lebens.
Jede Frage der Verwaltung
erfodert gründliche Kenntniß der Verhältnisse sowohl als den Besitz ausgebildeter Ideen, Uebung der Umsicht und des Tactes
in Behandlung der Collision der zahllosen entgegengesetzten Rück sichten , und nicht minder die in den öffentlichen Angelegenheiten so sehr gefährdete Unbefangenheit des Blickes.
Der höchste
Gegenstand aber der Politik und unseres Politisirens, die Lehre
von den Formen der Verfassung und der Verwaltung, ruht
wesentlich
in der Ausgleichung
entgegenstehender Rücksichten,
für welche es keinen höheren Standpunct zur sicheren Lösung,
159 worin die entgegenstehmden Rücksichten aufgingen, sondem zuletzt nur einen Tact giebt das Rechte zu treffen.
So ist nament
lich die Frage, welche vorzugsweise der politische Gegenstand
unserer Zeit und auch der Hauptpunct der Politik ist, die Frage von den Garantien, wo die Aufgabe ist, die Staatsgewalt, welche doch nur Eine seyn kann, so zu gestalten, daß sie so
viel möglich Macht habe das Rechte auszuführen, und doch
wieder so wenig als möglich Macht das Unrecht auszuführen,
und wo es darauf ankömmt, daß das Recht der Vertretung des allgemeinen Willens keinem an sich verschlossen, der Zugang
selbst aber doch nur dem eröffnet sey, der die meiste Intelligenz und den reinsten Willen besitzt.
Theorie,
Die schon an sich, in der
vorhandene Schwierigkeit jeder politischen Aufgabe
wächst aber in der Anwendung auf bestimmte Fälle der Wirk lichkeit, weil diese wieder die Zahl der sich kreuzenden Rück
sichten vermehrt.
Neben
der philosophischen und historischm
Grundlage des politischen Urtheils, neben dem Besitz Heller und
das Ganze umfassender politischer Ideen, so wie gründlicher Kenntniß der Verhältnisse, ist noch Uebung des Tactes im
Urtheil für die politische Bildung wesentlich.
Unserer Zeit
Eigenthümlichkeit ist aber, nicht von solcher Grundlage aus zugehn, sondern ohne alle Vorbereitung, ohne Ahnung, welche
Grundlage erfoderlich sey, sich an der Beurtheilung der ein zelnen vorliegenden Fragen zu versuchen. so wenig unterrichtet,
Niemand fühlt sich
niemand so beschränkt, daß er nicht
glaubte, die Regierungen in allem meistern zu können, überall zu sehn, worauf im Allgemeinen und in vorliegenden Fällen das Wohl der Staaten und der Welt beruhe.
Wo kaum das
gründlichste Studium ausreichen kann, um das Rechte zu finden,
da glaubt ohne alle Vorbildung, ohne alle philosophische und
historische Grundlage, und in der so allgemeinen Befangenheit von Parteiung, Interesse, Vorurtheil, Leidenschaftlichkeit, doch
160 ein jeder urtheilen zu können, in unserer Zeit, wo man selbst um für den Druck zu schreiben, nicht für nothwendig hält,
sich auch nur von seiner Kenntniß des Thatsächlichen, viel weniger von seiner Vorbildung, Rechenschaft zu geben.
Un
gründlichkeit des Urtheilens ist überall und wird leicht herrschend, wo das allgemeine Interesse zu allgemeinem Urtheilen veranlaßt.
Am schlimmsten aber ist es mit der Politik, wo so sehr die
Interessen des Lebens eingreifen, und durch Befangenheit nicht bloß das Urtheil, sondern auch der Sinn verdorbm wird, Härte
und Anmaßlichkeit und Schroffheit und Bitterkeit hervortreten.
So wird also die allgemeine Beschäftigung mit der Politik zur Ursache ungründlichen allgemeinen Urcheils, zur Geltung gelan
genden Irrthums.
Vielleicht geht es zum Theil gerade von
der allgemeinen Beschäftigung unserer Zeit mit der Politik aus,
wenn sie zu ungründlichem, unbefugtem, unüberlegtem Urthei len überhaupt und zu der Anmaßlichkeit sich verwöhnt, welche
bei dem nie fehlt, der zu urtheilen pflegt ohne zu ahnen, daß
zum Urtheile eine andere Begründung erfoderlich seyn könnte, als die bei ihm ist.
Nun ist aber aller Irrthum in der Politik vor anderem
unheilvoll, obgleich immer jeder Theil nur den Irrthum als gefährlich betrachtet, den er zu sehr glaubt und bekämpft.
So
sieht die Partei des Stillstandes im öffentlichm Leben nicht,
daß ihr System zuverlässig Fäulniß, dadurch Gährung und hierdurch wieder das Hervortreten des Uebermaßes der Bewe
gung erzeugt.
Und die Partei der Bewegung erkennt nicht die
Gefahr des Uebermaßes der Bewegung und jedes Fehlgriffs in der Umwälzung.
Aller Irrthum in der Politik, er liege auf
welcher Seite es auch sey, gefährdet nicht bloß das öffentliche
Leben mit Störung seines Ganges, mit Einfühmng des Un rechten, mit Verderbniß des politischen Geistes, mit Erschüt
terungen.
Er stört eben so wohl das Leben der Einzelnen,
161 aus welchem er Ruhe und Stille und Behaglichkeit und Zu friedenheit hinwegnimmt.
Wir werden in dem letzten Abschnitte
dieser Schrift auf Vortheil und Nachtheil der heftigerm Bewe gung unserer Zeit zurückkommen.
Hiernach ist nun zu urtheilen, wie weit die allgemeine Verbreitung politischer Ideen und die allgemeine Beschäftigung unserer Zeit mit den öffentlichen Angelegenheiten Gewinn f6c
die Bildung sey, wie weit aus ihr Läuterung der politischen
Ansicht hervorgegangen, wie weit sie politische Tugend sey.
Doch auch hier können wir bloß den Gesichtspunct für das
Urtheil uns klar machen.
Gewinn und Verlust gegen einander
abwägen und die Summe zieh«, ist kaum möglich, am wenig sten in der Zeit, die beurtheilt werden soll. Gewiß hat unsere Zeit bei allen Verirrungm dennoch große
Fortschritte in der politischen Ansicht gemacht.
Aber wer möchte
Gewinn aus Berichtigung und Verlust aus Verfälschung der
Ansicht vergleichen? Wer möchte das Gewicht auch nur des einen Irrthums oder der einen Verirrung bestimmen, wenn die Zeit es für eine leichte Sache hält über die öffentlichen Angelegen heiten zu urtheilen und sie umzugestalten? Daß die allgemeine
Beschäftigung unserer Zeit mit der Politik entscheidenden Ein fluß auf das öffentliche Leben hat, ist gewiß.
Allein wie weit
dieser Einfluß wirklich ein wohlthätiger sey, ist immer erst zu untersuchen.
Und wenn die Zeit Gutes hervorgebracht hat, so
bleibt doch zu fragen, ob das Verdimst dem Uebermaße der Bewegung der Zeit und der allgemeinen Beschäftigung mit der Politik zuzuschreiben sey, ob nicht ohne dieses Trefflicheres sich
entwickelt haben würde, wie etwa, ob nicht einst die ruhigere
Entwickelung der heutigen Verfassung Englands Tüchtigeres erzeugt habe, als die Hastigkeit unserer Zeit erzeugen wird.
Die lebhafte Beschäftigung unserer Zeit mit den öffent
lichen Angelegenheiten ist nur so weit Gewinn und Verdienst,
11
162 als mit ihr wirklich Reinigung der politischen Ansicht und wie
der politische Tugend sich vereint.
Ueber sie ist also bloß aus
dem zu urtheilen, was wir in den letzteren Beziehungen unserer
Zeit zuschreiben. Es ist in Betreff der politischen Tugend zu wiederholen,
daß unserer Zeit in der That in Folge ihrer politischen Rich
tung eine Lebhaftigkeit des Verlangens, daß das Recht geltend
gemacht werde, beigemessen werden könne.
Dieß ist nun eben
so wohl Gewinn für die sittliche Bildung, als Grundlage der Einführung guter Verfassung und Verwaltung in die Wirk
lichkeit.
Allein es ist doch damit so wenig die politische Tugmd
vollendet, als die Güte der Gestaltung der öffentlichen Ver hältnisse vollbracht. Bereits ist bemerkt worden, daß der Rechts
sinn sein Wesen mehr in der Gewissenhaftigkeit, nicht selbst Unrecht zu thun, als in dem Verlangen habe, dem Unrecht
gewehrt zu sehn, und daß in jenem unserer Zeit noch nicht Fortschritt zugeschrieben worden ist.
Zum Wesen der politischen
Tugend aber gehört Selbstverläugnung und Aufopferung, ver
bunden mit Mäßigung des Sinnes und mit Besonnenheit, wie mit Klarheit der Erkenntniß.
Und auch diese Eigenschaften
werden unserer Zeit nicht nachgerühmt. Ferner ist die Güte der Verfassung und Verwaltung eben
falls noch nicht gesichert durch jene Erweckung des Sinnes für das Recht, so weit er nicht vom Gefühl des Unwillens über das Unrecht Anderer oder der Verhältnisse aufsteigend geläutert ist bis zur wahren, von aller egoistischer Rücksicht befreiten
Politischen Tugend, so weit er nicht mit gründlicher Einsicht
in das Recht und die Angemessenheit der Formen verbunden ist, so weit sich nicht damit ein feiner Tact das Rechte zu
finden vereint.
Die neue Gestaltung der Staatsformen, das constitutio-
nelle Leben, kann zwar, wohin es dringt, nicht ohne Gewinn
163 bleiben, selbst dann, wenn es in der Gegenwart nicht so von
politischer Einsicht und Tugend unterstützt werden sollte, wie
nöchig ist, wenn es zum rechten Gedeihn des öffentlichen Lebens führen soll.
So weit wir den neuen Formen Angemessenheit
beilegen, ist davon auszugehn, daß, wenn auch das Beste nur
von der Vereinigung der rechten Form und des rechten Geistes zu erwarten ist, doch auch die rechte Form, ungeachtet man
gelhafter Ausbildung der Einsicht und des Willens, für sich ihr Gutes schafft, gleichwie Einsicht und guter Wille auch ohne
angemessene Form.
Auch ist der Gewinn sicher, daß auch ohne
Voraussetzung höherer Weisheit unserer Zeit doch ihre Bewe gung und ihr Umgestalten, als eine Revision der bestehenden Verhältnisse, wenigstens auf die Oberfläche herauf gekommene und
jedem sichtbar gewordene Gebrechen mit hinwegnimmt.
Als Revision des Bestehenden haben meistens die Umgestaltun
gen den größten und sichersten Werth.
Eine minder einsichtige
Zeit wird auf diesem Wege leicht verbessern, was eine einsichts
vollere geschaffen hat. Doch die wesentlichste Erwartung von dem konstitutionellen
Leben, die wir für die Zukunft bilden mögen, ist diese, daß
es geeignet sey, jene Bedingungen wachsenden Gedeihns des öffentlichen Lebens, Einsicht, Tact, Geschick, politischen Sinn und politische Tugend auszubilden.
Daß in dem Wesen der
constitutionesten Verfassungen Grund zu dieser Hoffnung liegt,
ist klar.
Ob sie aber wirklich in Erfüllung gehn werde, ist
doch noch eine Frage an die Zukunft.
Bis jetzt ist die Ant
wort der Erfahrung nicht nur nicht sichernd, sondern auch nicht viel versprechend.
Za man könnte fürchten, daß in der nächsten
Zeit noch nicht der Zweifel sich lösen werde, oh die Völker, die Menschen, je die Mündigkeit zu einem konstitutionellen Leben,
ob sie je die Mündigkeit zu einem vernunftgemäßen öffentlichen
Leben überhaupt erreichen werden, — welcher Zweifel jedoch 11»
164 nicht abhalten muß, nach dem Ziele zu strebm, das man für
das rechte, für das vernunftgemäße erkannt.
Der Blick fällt,
wenn wir die Erfahrung über die Ausbildung der Welt zum konstitutionellen Leben in der neuesten Zeit fragen wollen, zu
nächst auf Frankreich.
Wer aber dahin sieht, möchte kaum
Hoffnungen für das constitutionelle Leben fassen und in andem wecken zu könnm meinen.
Möchte man doch fast glauben, daß
jetzt auch England den ftüher so ruhig und trefflich angebildeten Tact verloren habe oder verlieren werde, daß es vielleicht in
der Fähigkeit zu einem constitutionellen Leben, die es hatte,
zurückgehn könne.
Und wenn wir betrachten, daß überhaupt
die Spannung der Welt und die Unverträglichkeit der Stre-
bungen immer mehr zunimmt, so werden sich unsere Hoffnungen immer mehr vermindem.
Damit Verständiges und Vernünf
tiges sich bllde, bedarf es der Ruhe und Mäßigung.
So hat
die Verfassung und der politische Geist der Engländer sich gebildet.
Uebrigens folgen wir nur der Meinung der Zeit selbst, wenn wir die Entwickelung eines constitutionellen Staatslebms als Charakter und festen Gewinn unserer Zeit voraussetzen, und
von dieser Voraussetzung aus das öffentliche Leben der Zeit betrachten.
Freilich könnte noch die Frage aufgeworfen werden,
ob denn wirklich das constitutionelle Leben so weit sich verbreite und verbreiten werde, daß es mit Recht als Charakter unserer Zeit betrachtet werben könne, und ob auch gewiß dauern werde,
was sich jetzt eingerichtet hat.
14. Religiöse Bildung. Mangel unserer Zeit an religiöser Bildung wird ziemlich allgemein von den einen bekannt, von den andem den Zeit-
164 nicht abhalten muß, nach dem Ziele zu strebm, das man für
das rechte, für das vernunftgemäße erkannt.
Der Blick fällt,
wenn wir die Erfahrung über die Ausbildung der Welt zum konstitutionellen Leben in der neuesten Zeit fragen wollen, zu
nächst auf Frankreich.
Wer aber dahin sieht, möchte kaum
Hoffnungen für das constitutionelle Leben fassen und in andem wecken zu könnm meinen.
Möchte man doch fast glauben, daß
jetzt auch England den ftüher so ruhig und trefflich angebildeten Tact verloren habe oder verlieren werde, daß es vielleicht in
der Fähigkeit zu einem constitutionellen Leben, die es hatte,
zurückgehn könne.
Und wenn wir betrachten, daß überhaupt
die Spannung der Welt und die Unverträglichkeit der Stre-
bungen immer mehr zunimmt, so werden sich unsere Hoffnungen immer mehr vermindem.
Damit Verständiges und Vernünf
tiges sich bllde, bedarf es der Ruhe und Mäßigung.
So hat
die Verfassung und der politische Geist der Engländer sich gebildet.
Uebrigens folgen wir nur der Meinung der Zeit selbst, wenn wir die Entwickelung eines constitutionellen Staatslebms als Charakter und festen Gewinn unserer Zeit voraussetzen, und
von dieser Voraussetzung aus das öffentliche Leben der Zeit betrachten.
Freilich könnte noch die Frage aufgeworfen werden,
ob denn wirklich das constitutionelle Leben so weit sich verbreite und verbreiten werde, daß es mit Recht als Charakter unserer Zeit betrachtet werben könne, und ob auch gewiß dauern werde,
was sich jetzt eingerichtet hat.
14. Religiöse Bildung. Mangel unserer Zeit an religiöser Bildung wird ziemlich allgemein von den einen bekannt, von den andem den Zeit-
165 genossen vorgeworfen.
Da bei dem nicht zu verweilen ist, wo
ziemlich allgemeine Uebereinstimmung vorausgesetzt werden kann, hätten wir es nur mit der Zukunst zu thun.
Allein die Er
wartungen von der Zukunft sind auf die Beantwortung der Fragen zu gründen, wovon die religiöse Bildung abhänge, und
ob die Gegenwart, die Bedingungen religiöser Bildung in sich erzeugend, uns die Gewähr einer religiösen und namentlich
einer christlichen Zukunft gebe.
So wird für uns die Betrach
tung der Gegenwart und der Zukunft der religiösen Bildung
zusammen gehn.
Die Frage nach der Zukunft der religiösen Bildung dringt tief ein in unsere Erwartungen von dem Gange unserer ganzen Bildung.
Denn es ist hier die Ansicht zu untersuchen, daß
eine bessere Bildung der Zukunft von christlicher Erziehung zu
erwarten sey.
Vielmehr kann aber weder aus dem gegenwär-
tigen Stande unserer Bildung und namentlich unserer religiösen
Bildung die Erwartung einer christlichen Erziehung sich ergeben, welche die Gmndlage künftiger besserer Bildung wäre, noch
kann überhaupt der Gang der Bildung dieser seyn, daß er von christlicher Erziehung ausginge, weil umgekehrt christliche Erzie hung von besserer Bildung erwartet werden muß.
Könnte je
Klarheit der Sache und der Darlegung Sicherheit gegen Miß verständniß geben, so würde hier keine Verwahrung gegen die
Mißdeutung nöthig seyn, als ob der Bildung zur Religiosität und namentlich zum Christenthum weniger Werth und Einfluß auf die ganze Bildung zugeschrieben werden sollte.
Der Werth
der Beschäftigung und Erfüllung des. Geistes mit dem Höch sten, was die Erde und der Himmel hat, mit dem Göttlichen, das zugleich die herrlichste Grundlage der Sittenlehre und der
Sittlichkeit ist, mit dem, worin eben so wohl die Wissenschaft als die Sittlichkeit ihren Gipfel hat, kann nicht nur nicht in
Zweifel, sondem auch nicht in Frage gestellt werden.
Nur
166 — dieses
soll ausgeführt werden, daß vielmehr Bildung
zum
Christenthums durch die allgemeine Bildung oder wenigstens zugleich mit ihr zu erstreben, als die Erreichung allgemeiner Bildung durch Erziehung zum Christenthum zu erwarten, und
daß die allgemeine und die christliche Bildung unserer Zeit nicht geeignet ist, Hoffnungen für die Bildung des menschlichen Ge schlechts auf die zu erwartende christliche Erziehung zu gründen.
Zuerst ist klar zu machen, welche höhere Bildung eigent lich man von der christlichen Erziehung erwartet.
Es scheint,
daß man nicht bloß sittliche Bildung, deren Zusammenhang mit der christlichen vor aller Augen liegt, sondern überhaupt
Bildung des Menschen meine. verstehn, weiß ich nicht genau.
gegebenen Darstellung
Was nun andere hierunter
Nach der in diesen Blättern
aber von dem Zusammenhänge aller
Bildung kann an der Bedeutung der religiösen Bildung für die ganze Bildung kein Zweifel seyn.
Sodann ist zu fragen, was man unter der christlichen
Erziehung verstehe, die man jetzt vermißt, von der Zukunft aber verlangt und erwartet.
Man muß doch etwas meinen/
das jetzt nicht ist und früher nicht gewesen ist; denn wäre es früher gewesen, so müßte die Bildung, die man davon für die
Zukunft erwartet, schon vorhanden seyn oder gewesen seyn. Im Allgemeinen die Richtung der Erziehung und des Unter
richts auf das Christenthum kann man in der That in unserer Zeit nicht vermissen; was etwa auf den tiefsten Stufen ver
nachlässigten Unterrichts fehlt, kömmt hier nicht in Betrach-
tung, denn keineswegs bloß dieser Klassen, sondern des ganzen christlichen Menschengeschlechts bessere Bildung will man auf
die christliche Erziehung gründen.
Also kann man nicht dieses
meinen, daß bisher nicht genug geschehn sey, sondern daß nicht
das Rechte geschehn sey.
Was nun dieses sey , ist zu frage«.
Wir haben dabei die zwei Seiten der religiösen Bildung 4«
167 unterscheiden, die Erkenntniß von religiösen Dingen und die
Erfüllung der Gemüther von religiösem Sinn und Bestimmung
des Charakters durch Religiosität. Die Erwartung gründlicherer religiöser Erkenntniß und namentlich reinerer und hellerer Ansicht vom Christenthume hängt von zwei Puncten ab, von der Ausbildung des Denkvermögens
und von dem gegenwärtigen Stande und Gange unserer reli
giösen Erkenntniß.
In Rücksicht auf das erste ist an sich klar,
daß die allgemeine Bildung des Geistes, namentlich des Denk vermögens, Grundlage der christlichen Bildung seyn muß, nicht umgekehrt; die Geistesbildung muß zum Christenthum führen,
nicht das Christenthum zur Geistesbildung.
Fehlt es nun, wie
wir gesehn haben, unserer Zeit an Schärfe des Denkens, so haben wir hier den ersten Punct, wo die Art der Mangelhaf
tigkeit unserer religiösen Bildung kenntlich wird, und wo sich erweist, daß der Stand unserer jetzigen Bildung nicht den
Keim besserer religiöser Bildung in sich trägt. Dasselbe ergiebt sich aus dem Blicke auf unsere philoso
phische und christliche Religionslehre, worin auch wiederum das,
was oben über den Mangel unserer Zeit an Schärfe, Gründ
lichkeit und Klarheit des Denkens angenommen wird, Beispiel und Bestätigung und Erläuterung findet.
Daß in unserer Zeit
die religiöse und christliche Lehre eifrigst fortgebildet wird, weiß
jeder.
Allein jeder kann auch vor Allem an diesem Beispiele
sehn, daß Fortschritte ohne die größte Bestimmtheit und Klar heit der Schärfe nur abwärts führen, daß es besser ist, bei
einer einfachen irrigen Vorstellung stehn zu bleiben als dm Irrthum weiter zu spinnen und in der Zerlegung des Irrigen sich zu verwirren.
Wir bedürfen hier gar nicht des Urcheils,
ob und wie weit unsere Religionslehre Wahrheit oder Irrthum enthalte.
Vielmehr haben wir ja wohl, so viel ich weiß, keine
so allgemein angenommene Religionslehre, die wir als Eigen-
168
Hum und Charakterzug unserer Zeit betrachten könnten. Und eben daS ist es, was unserer Zeit fehlt, worin zuerst ihr Mangel an religiöser und namentlich christlicher Bildung ruht, und weshalb wir in unserer Zeit keinen Gmnd finden. Besseres von der Zukunft zu hoffen. Der Mangel unserer Zeit an Einheit der Religionslehre ist ja wohl als allgemein anerkannte Thatsache anzunehmen. Nur Kundigen zu beantworten aber will ich die Frage geben, ob die Unbestimmtheit unserer Reli gionslehre darüber, daß die Einzelnen nicht mit einander über einstimmen, hinaus und so weit gehe, daß der Einzelne in sich selbst nicht klar sey; ob es nicht berühmt gewordene theo logische Schriften gebe, aus deren Aeußerungm über die Natur Jesu und über die Offenbarung man vergeblich auszufinden sucht, ob der Verfasser eine göttliche Natur Jesu und göttliche Offenbarung annehme oder nicht. In der Theologie ist grö ßere Veranlassung zur Unbestimmtheit darin, daß man Gründe findet, seine Anficht und die volle Consequenz der Lehre nicht deutlich darzulegen; ja mancher mag wohl Scheu tragen, fich selbst die vollständige Folge seiner Lehre klar zu machen. Und die neuere Philosophie erhöht auch in der religiösen Anficht der Zeit die Verwirmng, indem sie die Worte der Religionslehre von ganz Verschiedenartigem brauchen und so daS Ansehn neh men, als sprächen sie von demselben und übereinstimmend, wovon die christliche Theologie lehrt, da sie doch von ganz Verschiedenem sprechen. Solche, denen Gott nur innerhalb der Natur, nur das der Welt selbst inwohnende Lebensprinzip ist, eine Idee, ohne Persönlichkeit, nur in und mit der Welt, sprechen von diesem ihrem Gott, als wäre es dasselbe Wesen, das von andem als persönlicher, außerhalb der Welt seyender Gott gedacht wird. Den absoluten Geist, der in der Welt ewig sich manifestirt, der ohne Welt nicht Gott ist, geben sie für eins mit dem Gotte, der die Welt geschaffen hat. Sie
169 geben es für Lehre von geoffenbarter Religion, wenn sie von der Manifestation des Ewigen und Allgemeinen in dem End
lichen und Erzeugten, von der Bermittelung und ihrer Auf hebung sprechen, dabei von diesen Verhältnissen die Ausdrücke
Schöpfer, Sohn und Geist brauchend, als ob sie damit dasselbe setzten, was von der christlichen Religionslehre angenommen,
von ihnen aber durch diese Anwendung derselben Worte viel mehr aufgehoben wird.
Manche scheinen sich selbst nicht klar
zu werden, andere mögen wohl wissen, wohin in der christli
chen Lehre nicht nur, sondern überhaupt in der Religion ihre Lehre oder vielmehr jene Weise führt.
Dem Mangel an der nur der Schärfe eigenen Bestimmtheit und Klarheit in der Wissenschaft muß Ungründlichkeit in den
Ansichten der christlichen Gemeinde entsprechen.
Wenn nicht
nur der größte Widerspruch in den verschiedenen Lehren herrscht, sondem auch in der Lehre des Einzelnen Klarheit und Bestimmt
heit fehlt, so ist natürlich bei den Bekennern des Christenthums eine solche Unsicherheit der Ansicht, daß wohl eine große Anzahl
sich nicht einmal entscheiden mag, sondem immer im Schwan ken bleibt, oder auch wohl nicht einmal schwankt, sondern die
Fragen ganz bei Seite liegen läßt. Bei
dieser Unbestimmtheit, Unsicherheit und Unklarheit
unserer religiösm Erkenntniß, welche in dem Mangel an Schärfe
ihren Grund hat, läßt unsere Zeit so wenig eine in der Reli
gion einsichtsvollere Zukunft hoffen, als sie in sich den Grund künftiger Ausbildung der Schärfe des Denkens wägt.
Der religiöse Sinn aber, die Durchdringung der Seelen von Religiosität und die Bestimmung des Charakters durch die
Religiosität, ruht erstens wieder auf dem Wesen der religiösen Erkenntniß und Ansicht, und zweitens auf der Richtung der
Seelen nach dem Höherm.
Dhne Bestimmtheit und Festigkeit eines christlichen Glaubens
—
170
oder einer christlichen Lehre kann das Christenthum nicht /die
Gewalt über die Gemüther erlangen und nicht die Bestimmung der Charaktere zur Sittlichkeit bewirken, die man erwartet.
Niemand kann ja von dem durchdrungen werden, wovon er nicht klare Ansicht und bestimmten Glauben hat.
Von Kirch
lichkeit wird viel gesprochen; aber der Erfolg der Theilnahme an der Kirche und diese Theilnahme selbst hängt von religiösem
Sinn, Glauben und Erkenntniß ab. mehr Festes.
Die Vorzeit hatte doch
Eine sinnliche und das Göttliche vermenschlichende,
aber doch bestimmte und wahrhaft, wenn auch nach mensch
lichem Begriff, Verehrung Gottes enthaltende Ansicht ist mehr
geeignet in die Gemüther einzudringen, als eine unsichere, der Klarheit ermangelnde, so wenig bestimmte Begriffe als bestimmte
Gestalten darbietende Lehre.
Wie auch immer die Vorstellung
von Gott sonst war, Verehrung seiner Weisheit, Scheu vor
seiner Macht und Gerechtigkeit, festes, beruhigendes Vertrauen auf dieselbe Gerechtigkeit und die Güte Gottes, Erfülltseyn
von der Hoheit Gottes war wohl mehr in den Gemüthern der
Vorfahren als die fortgeschrittene Ansicht unserer Zeit hervor bringt. — Wenn man eine Lehre, welche vielleicht mehr Irr thum und Beschränktheit der Ansicht enthält, doch einer andern vorzieht, welche diesen Irrthum abgelegt hat und über jene
Beschränktheit hinaus gegangen■ ist, so ist damit nicht gemeint, daß man irgend dem Irrthume an sich den Vorzug gebe, son
dern es ist, weil jene Lehre mit ihrem Irrthum und ihrer Be schränktheit doch weniger von der Wahrheit sich entfernt, und
weil sie Wahres und Treffliches in sich hat, das von dieser,
über die Beschränktheit der ersteren sich erhebenden, Lehre zu gleich mit abgeworfen und nicht durch Wahreres und Treffli
cheres ersetzt worden ist.
In der That ist auch, wie die Stimme
unserer Zeit selbst einräumt, die Vorzeit m'ehr von religiösem Gefühl und Sinne erfüllt gewesen, als die Gegenwart.
Und
171 es ist kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß in der Gegen
wart ein religiöserer Sinn für die Zukunft sich vorbereite.
Besitzen vielleicht jetzt noch die Klassen, zu welchen die alles untergrabende Art der Zeit noch nicht oder weniger gedrungen ist, in der Religion mehr Festes, mehr, was ihre Gemüther ergreifen und auf ihre Sittlichkeit wirken kann, so ist zu erwar
ten, daß auch zu diesen der Zeitgeist mehr hindurchdringen
werde.
Sittliche und religiöse Art verbreitet sich weiter von
den Ständen aus, in welchen die größere Ausbildung überhaupt ist, eben weil auf dieser Ausbildung sittliche und religiöse Art
und Ansicht ruht. Ihr eigentliches Wesen aber hat die Religiosität in jener
Richtung der Seele auf das Höhere, worin wir das Wesen und die Grundlage aller Bildung erkannt haben.
Religiosität
ist Ersülltseyn von dem Göttlichen, von der Anschauung, der Erkenntniß und dem Gefühl der Hoheit und der Verehrungs
würdigkeit des Göttlichen, von der Hingebung an das Gött liche im Gefühle der Abhängigkeit von dem Göttlichen und in
dem Vertrauen, der willigen Unterwerfung unter die Welt
regierung.
Sie ist eine Gesinnung und eine Neigung der
Seele, welche sowohl in der Beschäftigung mit Gott, in dem
Anschaun Gottes Interesse und Zweck der Thätigkeit des Gei
stes und höchste Bestimmung des Menschen setzt, als auch in der Beziehung auf Gott und seinen Willen das Gesetz und
die Bestimmung des Gefühls, des Willens und des Handelns
findet.
Die Religion unterscheidet von dem Gesetze der Ver
nunft das göttliche Gesetz, obgleich in seinem Gebote durchaus übereinstimmend mit jenem, doch als Wille Gottes davon unter
schieden.
Die Sittlichkeit folgt dem Gesetze als von der Ver
nunft ausgehend, die Religiosität folgt ihm als von Gott ausgehend; sie wird durch die Verehrung Gottes und durch die
Hingebung an den Willen GotteS bestimmt dem Gesetze zu
—
172 —
folgen, gleichwie in der Erziehung Kinder lernen sollen dem Gebote zu folgen, nicht bloß weil sie seinen Grund einsehn,
sondem auch weil es Gebot des Vaters, weil es Gebot ist.
Diese Bedeutung der Religiosität gilt gleichmäßig bei einer jeden Ansicht von dem Wesen Gottes und von göttlichen Din
gen, auch bei der Ansicht dessen, dem Gott nicht ein persön licher Gott wäre, sondern das Prinzip der Weltordnung, die
Weltseele, von dem Leben der Welt nicht gesondert zu denken. Auch für diesen giebt es entweder keine Religion und keine
Religiosität, oder sie liegt in dieser Hinwendung zu der Welt ordnung, die ihm Gott ist, in dem Durchdrungenseyn von der
Verehrung der Weltordnung und ihrer Herrlichkeit,
in der
Hingebung des Willens an die Weltordnung, in dem Bestimmt
werden seiner Gesinnung, seines Willens, seines Gefühls und
seines Handelns durch die Verehrung der Weltordnung.
Der religiöse Sinn hat also ein gemeinschaftliches Wesen
mit dem sittlichm Sinne wie mit dem Sinne für das Schöne.
Er ist Richtung auf das Höhere, Herausgehn aus der Indi vidualität, Anschlicßung an eine höhere Ordnung.
Die Sehn
sucht nach dem Göttlichen, nach dem Ewigen, ist Sehnsucht
nach dem Höheren.
Von Gott erfüllt seyn gehört zur Erfül
lung der Seele von dem Höheren.
Dem göttlichen Gebote
folgen ist Anschließung an die höhere Ordnung. Darum, wie wir oben gesehn haben, daß des sittlichen
Sinnes Ausbildung in der Ausbildung des Sinns für das Höhere überhaupt wurzelt und darin begriffen ist, so hat auch
die Bildung zur Religiosität ihr Wesen und ihre Grundlage in der Ausbildung des Sinnes für das Höhere; es kann keine
Religiosität seyn, wo überhaupt das Streben nach dem Höheren fehlt.
Der Seele die Richtung auf das Höhere zu geben ist
das tiefste Wesen der Erziehung zur Religiosität, zu christlichem Sinne.
Nun haben wir aber gesehn, daß unsere Zeit von der
173 Richtung auf das Höhere sich abwendet, daß Bildung und
Erziehung vorzugsweise auf das gerichtet wird, wovon man
Nutzen für das gemeine Leben erwartet, daß das reine Interesse des Geistes an seiner Thätigkeit und an seiner Bildung hint
angesetzt wird.
Hierin ist demnach der tiefste Grund des Man
gels unserer Zeit, an religiösem Sinne, und hiernach ist nicht eine religiösere Zukunst zu erwarten, da der Gang unserer Bil
dung immer mehr auf Abwendung von dem Höheren hinweist.
Also, was die Religiosität am meisten untergräbt, ist das
Nützlichkeitsprinzip des Lebens und der Erziehung.
Solche,
die selbst christliche Erziehung verlangen, ahnen nicht, daß sie selbst durch Beförderung des Nützlichkeitsprinzips, durch Beför
derung der Richtung der Seelen auf das int gemeinen Sinne
Nützliche,
den wesentlichen Grund der christlichen und aller
religiösen Bildung zerstören. So ist klar, daß vielmehr bessere Erziehung zum Christen
thum durch eine edlere und strengere Geistesbildung zu erstrebm wäre, als daß eine aus christlicher Erziehung hervorgehende Veredelung der Bildung erwartet werden könnte.
Einer christ
lichen Erziehung müßte vorhergehn Richtung auf das Höhere
des Lebens und Abwendung des Strebens von dem gemeinen Trachten, Gewöhnung an Schärfe des Denkens, und was der Richtung auf das Höhere und der Gewöhnung an Schärfe des
Dmkens
gemeinschaftlich
Gewissenhaftigkeit.
ist, Bildung zu Ernst, Strenge,
174 15. Wissenschaft und Kunst der Bildung in unserer Zeit. Die Wissenschaft von der Bildung ist die höchste der
Wissenschaften; denn ihr Gegenstand ist die höchste Aufgabe des Menschen, seine höchste, seine wesentliche Bestimmung und ihre
Erreichung.
Der Besitz der Wissenschaft von der Bildung ist
selbst die höchste Bildung und der Grund aller Bildung, weil
sie die Einsicht in die Bildung und ihr Wesen ist. Die höchste der Künste ist die Lebenskunst.
Die Kunst
der Bildung aber ist die Spitze der Lebenskunst des mensch
lichen Geschlechts wie des Einzelnen. Weil Wissenschaft und Kunst der Bildung doch wieder
besondere Seiten der Bildung sind, so ist nöthig, daß wir
besonders betrachten, wie es damit in unserer Zeit stehe.
Allein
das Wesentlichste, woraus die Beschaffenheit der Wissenschaft und der Kunst der Bildung in unserer Zeit zu erkennen ist, geht aus den übrigen Theilen unserer Untersuchung hervor.
Dabei kömmt in Betracht jede Richtung, welche die Zeit ge flissentlich und in der Vorstellung nimmt, daß dieß die rechte
Bildung sey, jede Richtung, die sie absichtlich zu fördern sucht. Nun haben wir gesehn, daß unsere Zeit nicht das Höhere des
Lebens,
nicht
die höhere Thätigkeit des Geistes noch seine
Bildung an sich, sondern die Fertigkeit in dem, worin man
Nutzen für das gemeine, äußere Leben zu sehn glaubt, wo
durch jeder sich durch die Welt helfen soll, für das Ziel der
Bildung und der Erziehung erkennt, und darauf das Streben gerichtet wissen will; ferner daß sie einen falschen Glanz, den
sie Geist nennt, sich anzueignen sucht, wodurch sie Schärfe, Richtigkeit, Klarheit, Bestimmtheit und Tiefe bannt, indem
175 sie glaubt, daß das Geistreiche dieser Eigenschaften entbehren könne; daß sie insbesondere in der Kunst von der Klassizität sich abwendend der Richtung auf das Niedere, der Entfernung von der Schönheit, Reinheit und Vollendung sich befleißigt;
daß sie so das Wesen und die Grundlage aller Bildung, na mentlich auch der religiösen und der sittlichen, zerstört.
Es
erweist sich also, daß unsere Zeit das Wesen der Bildung ver kennt, und wenn man nicht sagen will, daß sie gar keine Wissenschaft von der Bildung habe, so ist zu sagen, daß ihre
Ansicht davon, in dem Prinzipe irrig, eine verfehlte sey. Hieran knüpft sich nun zunächst der Dünkel und
die
Hastigkeit, womit unsere Zeit, so wie alles, so namentlich auch
das Werk der Bildung umzugestalten pflegt.
Wie überall jeder
über das, was ihm nahe zu liegen scheint, auch urtheilen zu können glaubt, obgleich oft gerade das, was jedem nahe zu
liegen scheint, das Höchste und für das Urtheil Schwierigste
ist, wie Politik oder Kunst, so wird kaum jemand sich für
nicht befähigt und nicht berufen halten, über das, was für die Bildung geschieht oder geschehn sollte, zu urtheilen, oder gar
selbst in das Werk einzugreifen, wo die Gelegenheit sich bietet; die Tiefe der Aufgabe, die Schwierigkeit der Ausführung und
die unabsehbare Gefahr jedes Mißgriffs wird dabei nicht geahnet. Indem sie von der Bildung der Zeiten, der Völker, der Ein zelnen sprechen, finden sie schlechthin keinen Zweifel bei der
Bestimmung des Begriffs der Bildung und bei Unterscheidung
der Stufen der Bildung, was doch so tief verborgen liegt, daß es oft kaum erfaßt werden kann, und um so mehr zu ent
schwinden
pflegt, je genauer wir darauf sehn.
Schaudern
macht es, zu sehn, für wie leicht von unserer Zeit das Werk
der Bildung gehalten, mit wie wenig Bedenken und wie rasch von ihr eingegriffen wird, wie von ihr, während der Grund der
Bildung untergraben wird, Verbesserungen an der Oberfläche,
176 die allein vor dm Augen der Eiftigen liegt , für wesentlichen Fortschritt der Bildung genommen werden.
Wo die Gefahr
so groß ist, da kann der Unwille nicht ausbleiben über den
Leichtsinn und die Pfuscherei der Zeit, welche sich vermißt, mit Keckheit und ohne Bedachtsamkeit in das Werk der Bildung,
als sey es das leichteste, einzugreifen, und ein Verbimst sich
beizulegen, wo vielleicht nur das Verderben gefördert worden ist.
Es ist in die ernsteste und gewissenhafteste Bettachtung
zu nehmen, daß in dem Bildungsleben die Gefahr zu ver derben, indem man fördem will, näher liegt als irgendwo. Gleichgültig ist hier nichts. aufwärts oder abwärts.
Jeder Schritt bringt entweder
Jeder Mißgriff in der Leitung deS
Bildungslebens verdirbt das Werk.
Und vor Mißgriffen sichert
kaum die tiefste, begründetste Einsicht.
Am nächsten liegt die
Gefahr zu verderben bei der Vorbereitung für die gelehrte Bil
dung, aber sie ist auch bei aller Bildung, wobei auch die Bedeutung der gelehrten Bildung für alle Bildung in Betracht
kömmt.
Nun aber, ohne das rechte Ziel in den Augen zu
haben, ohne die Tiefe der Aufgabe zu kennen, ist unsere Zeit
hierin thätig, wie keine andere.
Sie ist höchst geschäftig, in
den Angelegenheiten der Bildung zu sprechm, zu schreiben, zu
thun, zu gestalten, eine neue Richtung zu geben.
Sie freut
und rühmt sich ihrer Thätigkeit in Förderung der Bildung.
Allein hierin ist das Thun nicht selten mehr zu fürchtm als
das Nicht thun.
Weit besser ist es, daß die Bildung der
eigenen Entwickelung überlassen
geschäftig sind.
bleibe,
als
wenn
Pfuscher
Es ist zwar die Aufgabe aller, die für die
Bildung zu wirken haben, immer auf Verbesserung der Weise zu denken, und nur zu leicht geht zurück, was nicht vorwärts
geht, aber die Natur wird dennoch sich besser selbst entwickeln, eher sich selbst helftn, wenn nichts geschieht, als wenn nicht
das Rechte geschieht; besser ist keine Leitung, als Leitung auf
— ein falsches Ziel.
177
—
Das Hauptübel ist, daß die, welche in den
Angelegenheiten der Bildung wirken, nur in ihrer Zeit, auf
dem Standpuncte ihrer Zeit stehn, also nur den Zeitgeist för dern.
sey.
Das heißt jetzt der größte Ruhm, daß etwas zeitgemäß
Die Aufgabe ist aber nicht bloß zu fördern, was die Zeit
Gutes hat; ja dieß ist das minder Nöthige, weil der Zeitgeist sich sein Recht selbst schafft.
Es ist eben so wohl Aufgabe,
und die dringendere, der Zeit entgegen zu wirken, wenn sie Fehlerhaftes hat.
Dazu muß man aber außerhalb der Zeit
stehn, da man sonst nicht urtheilen kann, was an der Zeit gut oder böse sey. Obgleich das, wovon sich abzuwenden die Sünde unserer
Zeit ist, auf dem Gipfel der Bildung liegt, die Richtung auf das Höhere, auf Klassizität, Schönheit und Vollendung, die Gewöhnung an Schärfe des Denkens und Sprechens, so trifft doch darum nicht etwa dieser Mangel bloß die höheren Kreise
der Bildung.
Alle Bildung einer Zeit, auf den höchsten und
niedrigsten Stufen, ist in so engem Zusammenhänge, daß sie
ein Ganzes ausmacht, in welchem die höhere Bildung nicht nur als das Edelste die gesammte Bildung vertritt und bezeich net, sondern auch immer in die niederen Kreise der Bildung einfließt und ihre Weise bestimmt.
Die Ausbildung der An
sichten der Zeit muß von da ausgehn, wo die höhere Bildung ist, und von der Schärfe der Gedanken hängt ihre Verständ
lichkeit und ihre allgemeinere Verbreitung ab.
Das Verderben
der Bildung der Gebildetsten verdirbt gewiß auch die Volks
bildung.
Und an sich ist das Streben nach dem Besseren, nach
Vervollkommnung alles dessen, was wir sind und thun, nach dem Höheren, doch die Grundlage einer jeden Bildung, wie wenig ähnlich auch es hier dem seyn mag, was es auf dem
höchsten Gipfel der Bildung ist. Allerdings hat unsere Zeit in der Pflege und Weise der
12
178 Erziehung und des Unterrichts, insbesondere in dem Volks,
unterrichte, viel voraus vor früheren Zeiten.
Es ist sehr irrig,
wie unsere Zeit selbst thut, zu sagen, daß unser Unterrichts, wesen und namentlich der Volksunterricht hinter den sonstigen
Fortschritten der Zeit zurückstehe, da doch vielmehr die Zeit,
wie großer Fortschritte sie sich auch rühmen mag, doch kaum in einem andern Puncte seit den letzten Geschlechtern mehr
fortgeschritten seyn möchte als hierin, wenigstens in Deutsch land, wenn ich nach dem Lande urtheilm darf, daS ich am genauesten kenne, und da, was wir am meisten vermissen
möchten, nicht des Schulwesens, sondern der Zeit Gebrechen
ist.
Vor Allem ist das Wesentlichste dadurch geschehn, daß der
Schullehrerstand durch alle Klassen, vom Landschullehrer an bis zum Gymnasiallehrer, sich gehoben hat, wie kein anderer. Es sind Schullehrerseminare gegründet worden, auf denen ein
großer Theil der Landschullehrer gebildet wird.
Vereine zu
Verbesserung deS Schulwesens, und in den Ephorien Schullehrerconferenzen und Lehrervereine sind entstanden, und der Sinn für Fortbildung ist vielleicht in keinem Stande so leben
dig und thätig, wie in dem Lehrerstande. wesen ist durch Gesetze geordnet.
man vorzubeugen gesucht.
Das Volksschul
Den Schulversäumnissen hat
Die Beaufsichtigung der Volks
schulen ist geregelt und strmger eingerichtet worden.
zur Bildung für den Gewerbstand,
Anstalten
technische Lehranstalten,
Bürgerschulen sind gegründet worden.
Für Erhöhung
der
Einkünfte der Lehrer, und für Verbesserung der Schullocale ist viel geschehn. Wenn wir nun aber diese Fortschritte, Deutschlands we
nigstens, und den zu erwartendm Erfolg für die Bildung näher betrachten, bemerken wir zuvörderst, daß hierin zwar in der That unserer Zeit eine günstige Ausstattung zu Theil geworden
ist, die Ehre des Verdienstes aber weniger der Gegenwart als
179 einer Zeit gebührt, welche von unserer Zeit schon als die alte
Zeit und alS unthätig und laß in der Volkserziehung betrachtet
wird, und bei deren Beurtheilung übersehn zu werden pflegt, daß in Beziehung auf Erziehung und Unterricht ihr entkeimt ist, worein unsere Zeit ihre Vorzüge und ihre Hoffnungen für
die Zukunft setzt.
Jedenfalls können wir die Zeit, welche jene
rühmenswerthen Fortschritte begonnen hat, nicht zu der unsrigen rechnen, namentlich aber auch schon darum nicht, weil
unsere Zeit sich selbst von ihr lossagt, indem sie, bloß mit den» zufrieden, was sie selbst thut und thun will, einer sehr nahen
Vergangenheit Vernachlässigung und Bewegungslosigkeit und
Verwahrlosung des
gegenwärtigen
Zustande- Mit Ungestüm
vorwirft, uneingedenk, daß eine Zeit nach dem zu beurtheilen ist, was sie gethan hat, nicht nach dem, was sie zu thun
übrig gelassen hat,
weil
sonst keine Zeit vor dem Urtheile
bestände. Hiernächst ist der Erfolg selbst zu bewachten, welchen für
die Bildung, Veredelung und Verfeinerung, das, was geschehn
ist, gehabt hat, und das, was geschehn soll, verspricht.
Man
suche die Schule, in welcher die Einrichtung am meisten schon
dem entspricht, was man als das Wesentlichste im Volksschulwesen betrachtet, die Schule mit den besten Lehrern, mit der
nach jetziger Ansicht besten Lehrart, mit den fleißigsten Schü-
lern, und nun zeige man an der Bildung der Zöglinge den
Erfolg jener Vorzüge und man wäge ab dm Abstand des Erfolgs
des Bessern und Bestm gegen den des Schlechten sowohl in der Ausstattung mit Kenntnissen, als in der Erhöhung des
Denkvermögens und in der Veredelung des Geistes.
Welcher
Lehrer immer es sey, der am meisten die Lehrmethodm der
anderen verwirft, er möge uns sagen, welche höhere Bildung er denn mit seiner Methode feinen Zöglingen gebe.
Man wird
finden, daß der wesentliche Erfolg der bisherigen Verbesserungen
12*
180 und Fortschritte doch nicht eben ein so außerordentlich großer
ist.
Nun sieht man aber doch auch nicht, was die neueste
Zeit Besseres als das bisherige Beste zu leisten verspräche.
Sie
kann mehr nur die Verbesserungen allgemeiner einzuführen sich getrauen, als sie so weit zu steigern, daß davon die Leistung in noch größerem Abstande von dem wäre, was jetzt von dem
Besten geleistet wird, als jetzt die Leistung des Besten von der des Schlechteren absteht.
Folglich ist nicht abzusehn, wor
auf die Hoffnung gegründet werden könnte^ daß, wenn einst
alles das allgemeiner ausgeführt seyn werde, wodurch man jetzt die Verbesserung der Volksschulen und die Erhöhung der
Volksbildung erreichen zu können glaubt, wirklich der Gewinn für Bildung und Veredelung und Vervollkommnung ein so
weit überwiegender seyn möchte, namentlich in Betracht der von andern Seiten her sich erhebenden Zweifel über die Fort
bildung des menschlichen Geschlechts. Der Grund, warum wir den Volksunterricht nicht zu
höherer Bildung führen sehn, liegt tiefer, als die Verbesserung,
die bereits bewerkstelligt worden ist und die beabsichtigt wird. Kaum bedarf es der Erwähnung, daß alles das nicht ent
scheiden kann, was nur entfernteres Mittel ist, wie die Ver mehrung der Einkünfte der Lehrer, Einrichtung besserer Schul
locale, und ähnliches, so löblich und dringend nöthig es an
sich seyn mag.
Selbst die Abstellung der Schulversäumniffe,
wenn sie auch strenger ausgeführt werden könnte, als der Fall
seyn möchte, kann nicht so entscheidenden Erfolg haben als man meint.
Denn es erweist sich ja, daß jetzt die Kinder, die
am fleißigstm zur Schule gehn, doch auch keine Fortschritte machen, welche der Menge ihrer Unterrichtsstunden irgend ent-
sprächen, und die auffallende Erscheinung ist nicht unbeachtet zu lassen, daß die fleißigsten Kinder der Landleute doch im
fünfzehnten Lebensjahre immer nicht mehr gelernt hgben, als
181 wohl von andern leicht im Laufe eines Jahres bei Einer Un terrichtsstunde gelernt werden kann.
Doch zweierlei wird jetzt
begonnen und verbreitet, was in der That großen Fortschritt verspricht und noch weit größerer Aufmerksamkeit und Beför
derung werth wäre, als es erhält.
Eines der wesentlichsten Hindernisse der Fortschritte in den Volksschulen ist die zu große Zahl der Schüler, welche eben
so sehr die Angemessenheit des Unterrichts hindert, als den An theil der Einzelnen an dem Unterrichte vermindert.
Der Gang
des Unterrichts muß ein unbehülflicherer seyn, und kann nicht
für den fähigeren und weiter vorgeschrittenen Zögling abge
messen werden, der immer bei den Unfähigeren zurückbleiben muß.
Der Schüler aber ist nicht nur nicht durchaus zweck
mäßig beschäftigt, sondern er verliert auch die Gabe der Auf
merksamkeit, und verwöhnt sich zu Zerstreutheit und Schlaff heit.
Dieses Uebermaß der Schülerzahl aber ist in den niede
ren Schulen nicht zu beseitigen, weil der Aufwand der Unter haltung eines Lehrers für eine so kleine Zahl in den niedrig
sten Ständen zu groß seyn würde, denn sehr klein sollte am
meisten bei dem Elementarunterrichte die Zahl seyn.
Ein Mit
tel nun, wodurch die Folgen dieses Uebels zu vermindem sind, liegt in den Grundsätzen des Systems des wechselseitigen Un terrichts.
Ueber die Methoden dieses Unterrichts vermag ich
nicht zu urtheilen.
Aber wenn man auch Alles mißbilligen
wollte, was bis jetzt eingerichtet ist, gewiß muß in einer auf
diesem Princip gegründeten Einrichtung das beste Mittel ent halten seyn, wie für viele Kinder Ein Lehrer ausreichen kann,
und es ist eben so wünschenswerth als wahrscheinlich, daß in kürzerer oder längerer Zeit eine, wie auch immer gestaltete doch,
auf diesem Grundsätze ruhende,
Einrichtung astgemein werde
eingeführt werden.
Zweitens, nicht bloß als Vermehrung des Unterrichts ist
182 seine Ausdehnung auf spätere Jahre in Erwägung zu ziehn,
sondern auch die größere Zweckmäßigkeit weist uns darauf hin. Ja es brauchte vielleicht
nicht einmal Vermehrung zu seyn.
Vielleicht könnte an der Unterrichtszeit und der Zahl der Un terrichtsstunden in früheren Jahren das, was in späteren Jah
ren hinzugesetzt würde, abgebrochen werden, um zugleich Auf wand zu ersparen und die Ueberfüllung der Schulen zu ver meiden und dadurch zweckmäßigeren, in weniger Stunden mehr leistenden Unterricht zu gewinnen; denn in den niedrigen Volks-
schulen müßte bei zweckmäßigerem Unterrichte in weniger Un
terrichtsstunden mehr gelehrt werden können, als jetzt bei mehr Unterrichtsstunden gelehrt wird, da das, was jetzt die Kinder
der Landleute bis zum vierzehnten Lebensjahre lernen, von Kin
dern anderer Stände in einer ohne Vergleich kürzeren Zeit ge
lernt wird.
Unterricht in späteren Jahren aber würde größere
Ausdehnung, Befestigung und Gründlichkeit des Lemens zur
Folge
haben.
In dem Alter,
wo die Kinder der niederen
Stände gewöhnlich aufhören zu lernen, tritt erst die rechte Fä higkeit zu einem gründlicheren Lernen, zum Denken, ein. Nun
ist zwar nicht Alles durch Unterricht und Schule zu lernen. Allein nicht nur pflegt einmal gerade in den niedrigsten Stän
den am wenigsten zur Fortbildung durch eigenes Streben zu geschehn,
sondern auch der Volksunterricht bis zum vierzehn
ten Lebensjahre führt nicht so weit, daß darauf eigenes weite res Fortschreiten gegründet werden könnte.
und nöthig,
Darum ist es gut
daß wenigstens nicht schon mit dem Alter von
vierzehn Jahren der Unterricht ganz abgebrochen, sondern noch
zum mindesten einige Jahre durch Fortsetzung des Unterrichts,
wenn
auch nur in
einigen Stunden wöchentlich, nicht nur
Kenntniß mitgetheilt, sondern auch das Bildungsstrehen ge
weckt werde.
Die Sonntagsschulen sind dazu ein Anfang, der
schon hier und da auf die Wochentage sich ausdehnt.
Es giebt
183 nichts Wesentlicheres für die Bildung als die Erregung
des
Strebens nach einer durch das ganze Leben fortgehenden Fort bildung.
Und es ist nichts augenfälliger, als daß ein Unter
richt, der damit schließt,
Austritte aus stehn,
den
wo Knaben und Mädchen bei dem
Volksschulen
im
vierzehnten Lebensjahre
nur von sehr geringer Frucht seyn kann.
Die Förde
rung der Nachschulen,, nicht etwa bloß für den Fall der Ver-
säumniß, sondern überhaupt zur Erweiterung des Unterrichts,
halte ich für den wesentlichsten Gegenstand der Aufmerksamkeit für Förderung der Volksbildung.
Ferner bleibt immer die Frage zurück, wie weit das, was
doch gelernt wird, auch wirklich Bildung sey.
Kenntnisse sind
Die allgemeine Verbrei
noch nicht das Wesen der Bildung.
tung der Kunst zu lesen und zu schreiben pflegt nächst der Religionskenntniß als der allgemeinste Maßstab der Bildung betrachtet zu werden.
Kunst nicht an sich,
Dabei bedenkt man nicht,
daß diese
sondern nur als Mittel etwas für die
Bildung ist, daß aber die meisten aus dem Volke keine oder so gut wie keine Anwendung von der Schreibekunst und nur
eine geringe von dem Lesen machen.
Was würden wohl die
meisten Landleute entbehren, wenn sie nicht schreiben könnten? Oder man möge auch fragen, wie wenig wohl für Viele selbst
das Lesen seyn mag.
Es ist derselbe Irrthum wie in höheren
Ständen bei der Erlernung fremder Sprachen.
So weit da
durch , durch das Erlernen der Sprache und die genauere Be
kanntschaft mit fremder Literatur,
der Geist wirklich ausgebil
det wird, ist ihr hoher Werth nicht zweifelhaft zu machen. Ir rig aber ist die gewöhnliche Ansicht, welche in dem Besitz ei ner Bekanntschaft mit fremden Sprachen an sich Erziehung
und Bildung erblickt, der doch keinen Werth hat, als den ein
gebildeten der Convenienz.
Die sonstigen Kenntnisse aber, wie
sie in den Volksschulen mitgetheilt werden, sind wohl sehr zu
184 ehren, aber kann man sie als Erhöhung des Denkvermögens und als Veredelung und Verfeinerung des Geistes, kann man
sie als wahre Bildung des Menschen betrachten? Damit möge
man ja nicht den Zweifel Anderer verwechseln, ob es gut sey, daß die niedrigsten Stände gescheid gemacht werden.
bin ich weit entfernt zu bezweifeln.
Dieß
Die Frage ist diese,
ob
die niedrigen Stande wirklich durch jene Gegenstände des Un
terrichts gescheid werden.
Die Kunst zu lesen kann ja nicht
den gescheid machen, der doch nicht liest.
Und der Zweifel
kann keinen Anstoß geben, ob der, der gar nicht lesen kann,
für seine Bildung mehr verliere, als der, der mit dem Blicke
der niederen Stände oder vielmehr der Ungebildeten, unsere Zeitblätter und Romane und nichts anderes liest.
Wie aber auch, immer unsere Unterrichtsanstalten vervollkommnet werden möchten, so ist doch damit noch nicht in glei chem Verhältnisse die Erhöhung der Bildung gesichert.
Lehrer in den Schulen sind nicht allein die Bildner.
Die
Das Le
ben ist die große Bildungsschule, und alle Umgebung erzieht. Weniger wie die Schulen sind, als wie die Welt ist, wird die kommende Zeit erzogen.
Nicht nur für die Sittlichkeit und
für das Betragen, sondern auch für die Bildung des Geistes,
für die Gewöhnung an einen richtigen Gang des Denkens ist der Verkehr mit den Umgebungen entscheidend, und im allge
meinen wohl entscheidender,
kann.
als Schule und Lehrer es seyn
Das Aufwachsen unter geistlosen, ungebildeten, unver
ständigen, stumpfsinnigem, verkehrt denkenden und ungeschickt brechenden Menschen hat einen mtscheidenden, die Kraft des Geistes ertödtenden Einfluß, welchen nicht leicht je die Schule ganz austilgen wird.
Hierbei kommt nun nicht bloß in Betrachtung, daß die
Schule und der Lehrer, von der Erziehung durch das Leben
nicht unterstützt, nicht dem Zöglinge die
Bildung gewähren
185 kann, die gesucht wird, sondern auch dieses, daß der Lehrer — der Lehrer aber ist die Schule — selbst nicht von den Anstal
ten , durch welche er die Weihe erhalten soll, die Bildung em pfangen kann,
die in ihm seyn müßte,
dung mittheilen könnte.
damit er wahre Bil
Keine Seminare noch Methoden kön
nen dem Lehrer geben, was er von dem Zeitgeiste, von dem
Leben zu empfangen hat.
Was die Welt, was die Zeit selbst
nicht hat, das kann auch der Lehrerstand nicht haben, und dar
über ist den Anstalten kein Vorwurf zu machen, durch welche
die Lehrer gebildet werden.
Künstlichere, planmäßigere Lehrweise, Uebung der künfti
gen Lehrer und ihre reichere Ausstattung mit Kenntnissen ist noch nicht volle Sicherheit wahrer Vervollkommnung der Leh
rer und der von
ihnen ausgehenden Bildung.
Die wahre
Grundlage der Trefflichkeit des Lehrers und der Lehrweise ist, daß der Lehrer, den rechten Sinn in sich und an sich tragend,
ihn in aller Lehre und aller Erscheinung in den Zögling hin über fließen lasse,
daß er das wahre Ziel der Bildung und
den wahren Zweck des Unterrichts in der Vervollkommnung der Persönlichkeit, in der Richtung auf das Höhere des Lebens,
in der Reinheit und Schönheit der Sitte wie in der Kräfti gung und Verfeinerung des Geistes,
Schärfe und Klarheit des
in der Gewöhnung an
Denkens und Sprechens erkannt
habe und in diesem Sinne seine Zöglinge bilde und insbeson dere diese Richtung auf das Wahre der Bildung ihnen gebe, daß er, die rechten Gesetze des Geistes und des Denkens er
kennend, nach Verschiedenheit der Anlagen des Schülers, des Alters und der Lehrgegenstände immer das Rechte zur Erleich
terung und Befruchtung der Lehre zu finden wisse.
Wenn
nun die Zeit von der Erkenntniß und der Aneignung der wah,
ren Bildung entfernt ist, so kann der Lehrerstand sie sich nicht aneignen, nicht sie aus seinen Bildungsanstalten empfangen.
186 Und ohne diese Bildung deS Lehrerstandes kann aller Unter richt nicht zu der Bildung gedeihen, die wir suchen.
Wir ha
ben aber gefundm, daß unsere Zeit nicht für das innere Leben, sondern für die äußeren Zustände zu bilden sucht, nicht das Edle
und Schöne, nicht das Höhere, nicht das reine Interesse des Geistes an seiner Thätigkeit, sondern das Nützliche zum Ziele
ihrer Bildung macht, daß sie von der Strenge und dem Ernste
des Strebens, daß sie von der Tüchtigkeit, Klarheit und Schärfe
des Denkens und von der Bestimmtheit, Angegemessenheit und Eleganz des Wortes fern ist.
Folglich kann von unserer Zeit
weder die Jugend unmittelbar die rechte Bildung empfangen, noch
der Lehrerstand, welcher sie wieder der Jugend mitzutheilen hätte. Die Fortschritte, welche unserer Zeit wirklich macht, sind in diesen Blättern schon wiederholt durch den Charakter der Virtuosität unserer Musik bezeichnet worden, und wir werden
auf diesen Vergleich zurückkommen, um den ganzen Charakter unserer Bildung uns zu verdeutlichen.
Auch das Verdienst
unserer Zeit in Wissenschaft und Kunst der Bildung trägt diesen Charakter.
Denn Fortschritte hat in der That unsere
Zeit gemacht in den Anstalten und der Weise des Unterrichts,
wie in Durcharbeitung der Lehre von Erziehung und Unterricht. Allein auch hier hat sich nur jene Virtuosität ergeben,
welche
nicht die Tiefe des Geistes und des inneren Wesens in sich hat.
Man möchte fast eine Bedeutung darein legen, daß im
mer von Erziehung und Unterricht die Rede ist, nicht von der Gründung einer Wissenschaft und Kunst der Bildung.
Der Geist der Kunst der Bildung ist, immer nur das Wesen, die Seele der Bildung vor Augen zu haben und die Erstrebung auf dem einfachsten Wege zu suchen.
Das Wesen
der Bildung ist die Erregung des Bilduogsstrebens und die
Gewöhnung an Schärfe des Gedankens und der Rede, beides
die Gmudlage aller Bildung, ohne Unterscheidung der niede-
187 rett Kreise der Bildung.
Das Mittel der Erreichung ist nur das
Eine, nach diesem Ziele hin jeden Schritt zu thun.
Wenn die
Richtung auf das rechte Ziel genommen ist, geschieht immer das Rechte.
Das Prinzip der Weise ist die Einfachheit. Kün
stelei kann nur verderben, nur die Einfachheit leistet das Beste. Das gebildetste Volk der Welt hatte keine künstlich berechneten
Unterrichtsmethoden, keine ängstliche Beaufsichtigung der Er ziehung, keine öffentlichen Unterrichtsanstalten.
2n der Erzie
hung und dem Unterrichte, wie überall, ruht der Erfolg in der Fähigkeit immer das Rechte zu treffen.
Diese Fähigkeit aber,
das Rechte zu treffen, ist die Gabe eines richtigen und feinen
Blickes und Taktes, welcher nur dadurch gewonnen wird, daß
wir das rechte Ziel erkennen und immer vor Augen haben, und daß wir dazu nur immer den nächsten, unmittelbar dahin füh renden, also den einfachsten Weg suchen, keine Umwege neh men.
Nicht aber fühtt zu der Fähigkeit immer das Rechte zu
treffesi ängstliche Vorzeichnung
Erziehung und des Unterrichts,
eines künstlichen Ganges der nicht die Vervielfachung der
Absichten und Mittel, wodurch das Werk nur veckünstelt und, wie jetzt die Welt überhaupt, mechanisirt wird.
Bei der Ein
fachheit, bei dem geraden Blicke auf das Ziel ist die wenigste
Gefahr vor der Verirrung; aber bei dem starr künstlichen Wege bringt der Irrthum die größte Gefahr, wie überhaupt Verbil
dung schlimmer ist, als ein Mangel in der Bildung.
Die Ein
fachheit läßt der Natur ihren Gang, die Künstelei hemmt ihn. Nur in dem Einfachen ist die Beweglichkeit des Geistes; je we
niger einfach, desto mehr Starrheit und Unbehülflichkeit.
Und
hie Gabe immer das Rechte zu treffen kann nicht gelehrt wer
den, sondem jeder muß es selbst suchen und finden, und dazu führt theils die Gewöhnung immer das Rechte selbst zu suchen, theils die Einfachheit des immer auf die Ergreifung des We sentlichen gerichteten Blicks.
Verwöhnung an erlernte Methode
188 führt nur zu leicht irre.
Daher mag sehr leicht, wer wenig
unterrichtet und geübt ist, es mag sehr leicht eine Mutter, wel
cher Pädagogik und Didaktik fern liegt,
eher das Rechte tref
fen, als ein methodisch geübter Schulmann.
Keine Methode
kann die rechte seyn, welche nicht in der Richtung auf jenen
wesentlichen Zweck alles Unterrichts und in dem Princip der Ein fachheit der Mittel ihre Wurzel hat; und wen auch nur richtiges
Gefühl,
selbst ohne klare Erkenntniß,
führt und einiges Geschick begünstigt,
nach dem rechten Ziele dessen Lehrart wird er
sprießlicher seyn, als die Methode eines nach Regeln geübten,
vielfach vorbereiteten, aber dem höchsten Zwecke der Bildung und den Gesetzen des Ganges des Geistes minder treuen, mit na
türlichem Geschick minder ausgestatteten Lehrers.
Aus diesem
Gestchtspuncte ist das Jetzige und Zukünftige mit der Vergan genheit zu vergleichen.
Die wesentliche Bedingung der Bildung liegt Machst in
der Richtung, der Kraft, dem Geschick, also in dem Geiste der Bildner, der Lehrer, der Erzieher, der Umgebungen, der Zeit, des Volkes.
Mittel.
tel.
Einrichtungen wie Methoden sind nur entferntere
So ist daS Wirken des Staates nur entfernteres Mit
Der Staat kann nur mittelbar wirken, durch Einrichtun
gen und durch Förderung sowohl der rechten Richtung so wie der Wirksamkeit der zum Bilden geeignetm Fähigkeiten, indem
er jeder Fähigkeit den ihr angemessensten Kreis zum bildendm
Wirken zu geben, jedes an die rechte Stelle zu bringen weiß. Nur fördem, erwecken, leiten kann er, oder auch die Entwik-
küung des Rechten zurückhalten.
Er kann das Rechte nur
zur Entwickelung bringen; es erzeugen kann nur der Geist der Bildendm.
Das Geschäft des Staates in der Bildung ist ein
hoch wichtiges.
Allein bei der Ansicht von dem Wirken des
Staates wie der Lehrer muß man sorgfältig den Irrthum ver
meiden, welcher in Formen, Einrichtungen, Methoden mehr
189 als Mittel sieht und darein die Vollkommenheit des Bildungs
des Bildungslebens
geschäfts setzt,
das Wesen und Princip
nicht kennend.
In diesem Mißverständnisse über das Wesen
der Bildung ist selbst die Sage für die Verbesserung der Einrichtungen, für Regelung der Lehranstalten, für Feststellung ihres Thuns durch den Buchstaben der Vorschrift und durch
Beaufsichtigung schon darum nicht ohne Gefahr, weil je mehr man in dieser das Gedeihn zu finden glaubt,
desto mehr es
dabei zu bewenden pflegt und das Innere des Bildungslebens, das
Wesen des Bildungsgeschäfts zurücksteht und nicht erkannt wird, weil das in der Richtung auf Unwesentliches zu sehr befangene Streben von dem Wesentlicheren abgewandt wird, wobei wir noch hier den schon ftüher berührten Fall übergehn, daß die Maßregeln selbst zum Schaden sind, in einem Geschäft, wo
jeder Fehltritt schadet.
Zn der Sorge für Erziehung und für Unterricht, wie in
Allem, setzt unsere Zeit ihr Verdienst vorzugsweise, so weit nicht ausschließend, in Einrichten und Ordnen.
Es mag auch seyn,
daß sie des Einrichtens und Ordnens bedarf. ist schlimm.
Allein eben dieß
Man könnte sagen, daß eine Zeit desto lebenslo
ser und seelenloser sey,
je mehr Je künstlich und streng und
vollständig geordnet und eingerichtet zu seyn bedürfe.
Wo je
der Schritt des Bürgers unter der Regel und dem Auge der
Polizei wäre, das wäre gewiß nicht die trefflichste Zeit, wenn
auch die geordnetste Verwaltung.
Und aus statistischen Ueber
sichten und Rechnungen wird nie organisches Wachschum noch Seelenleben hervorgehn, aus Zahlen nicht Wärme.
Auch in
Hinsicht auf Erziehung oder wenigstens Unterricht zeigt sich
unsere Zeit allerdings als eine viel strebmde.
Allein das rechte
Ziel kann sie nicht erreichen, weil sie dieses Ziel selbst nicht er kennt, über die Mittel sich täuscht, und umsomehr inVerkünstelung fällt, je mehr sie strebt und uwgestaltend verbeffem will.
190 Für die Ausbildung
der Intelligenz
hat der Unterricht
zweierlei zu thun, erstens an eigene Anstrengung, an Strenge,
an das Dmken zu gewöhnen,
Dmkens zu üben.
und zweitens die Scharfe des
Zu erreichen ist dieses Ziel dadurch, daß
jeder Schritt in dem Unterrichte darauf berechnet, daß aller Un terricht zur Uebung in der Anstrengung, so wie in der Schärfe
des Denkens gemacht werde.
Zeder Moment des Unterrichts,
so weit nicht gerade nur auswendig gelernt werden muß, soll Denkübung seyn, und zwar nicht bloß, daß der Schüler, in
dieser Stunde, in dem Denken geübt werde, sondern auch, daß er in der Gewöhnung an das Denken und an die Strenge unh
Schärfe des Denkens geübt werde.
ken,
kann
Uebung in der Schärfe
also richtig zu denken und überhaupt zu den
des Denkens,
aber
nur der
Unterricht
gewährm,
der selbst
Schärfe, Richtigkeit, Bestimmtheit und Klarheit des Denkens Es ist dazu erforderlich, daß der
und der Rede in sich trägt.
Gegenstand von dem Lehrer streng durchdacht sey und nach sei
ner Bedeutung und seinem Grunde scharf und klar entwickelt werde, und daß in der Beschäftigung mit dem Gegenstände jeder Schritt ein wirkliches Fortschreiten des Denkens sey, wei ter in die Erkenntniß der Bedeutung und der Gründe hinein
führe.
Dieß ist die allgemein anzuwendende und einzig rich
tige Methode des Unterrichts.
Ohne diese ist der Unterricht
nicht bloß erfolglos für die Erhöhung
des Denkvermögms,
sondern auch durch Gedankenlosigkeit und Gewöhnung an Ge dankenlosigkeit abstumpfend.
Auch hier ist nicht bloß Gewinn,
sondem auch Nachtheil möglich, wobei wir noch gar nicht den Fall der Einpflanzung des Irrthums zu berücksichtigen brauchen.
Durch das Leere, Lahme und Verstandeslose des Un
terrichts muß
der Geist zurückgebracht werden.
Aus
einem
Unterrichte, der nicht Schärfe und Klarheit der Lehre in sich
hat, muß auch im Schüler Mangel an Schärfe und Klarheit,
191 und meistens auch Verwöhnung dazu sich erzeugen; aus einem
Unterrichte, der nicht immer in Ergründung und Entwickelung des Gegenstandes fortschreitet, wo zur Erklärung der Satz in Fragen zerlegt wird, auf welche die Antworten wörtlich in dem
Satze selbst liegen, muß
Stumpfsinnigkeit erwachsen.
Nicht
einmal zur Einprägung in das Gedächtniß kann diese Unter
richtsweise zweckmäßig scheinen, weil bei solchem leeren Thun
die Aufmerksamkeit nicht genug
festgehalten werden kann. —
Ob nun in der Annäherung an jene einzig richtige und einzig
gute Methode des Unterrichtes unsere Zeit fortschreite, will ich jedem sich selbst zu beantworten überlassen, indem ich, was
mir scheint, nicht vollständig nachzuweisen wüßte.
Das aber
ist klar, daß hier die Stelle ist, wo der Werth der Weise des Unterrichts für die Ausbildung der Intelligenz sich entscheidet. Doch ist Einzelnes näher zu betrachten. Daß unsere Zeit in dem Unterrichte besondere Denkübun
gen eingeführt hat, könnte erfreuen als Zeichen, daß die Ue
bung des Denkvermögens als der wesentliche Zweck des Unter richts anerkannt werde.
Es ist aber unerfreulich, daß dabei
der rechte Weg zur Uebung des Denkvermögens durch den Un terricht verkannt und verfehlt wird.
Fürs erste wird dabei verkannt, daß schlechthin aller Un
terricht Denkübung seyn soll.
In dem besonderen Unterricht
zur Denkübung kann kein dazu angemessenerer Gegenstand ge wählt werden, als die Religionslehre, oder auch Geschichte,
und was man zu Gegenständen besonderer Denkübung etwa zu wählen pflegt, kann jedenfalls glücklicher und zweckmäßiger
jedem anderen Unterrichte gelegentlich eingestreut werden.
Und
nicht bloß als überflüssig erweisen sich demnach die Denkübun gen in besonderen Stunden, sondern auch, wenn wir mit Recht
daraus abnehmen, daß Denkübung nicht als nothwendige un-
192 mittelbare Aufgabe eines jeden Unterrichts sey, so finden wir darin zugleich auch eben so wohl ein Zeichen als eine Verlei-
tung, daß wirklich nicht bei allem Unterricht das Streben dar auf gerichtet und daß am wenigsten begriffen wird.
die dahin führende Weise
Dann aber ist der Unterricht nicht zur Ue
bung und Förderung des Denkvermögens geeignet, mithin ein
schlechter. Die besonderen Denkübungen habm aber auch an sich ihre Gefahr.
Denn daß der Unterricht auch sogar nachtheilig seyn
kann, ist schon oben erwähnt worden: ein ohne Schärfe und Klarheit ertheilter Unterricht muß zu Mangel an Schärfe und
Klarheit verwöhnen; und so kann wohl geschehn, daß die Kin der über dm Denkübungen verlernen zu denken.
Zunächst zeigt
sich diese Verschiedenheit der besondem Denkübungen von an derem Unterrichte, daß hier, wo der Lehrer den Inhalt aus
feiner eignen Fähigkeit nehmen muß, mehr als bei der Unter weisung in bestimmten Kenntnissen, welche immer reichen Stoff
dem Lehrer und dem Schüler zur Uebung des Denkens dar bietet, Geistesarmuth des Lehrers ein leeres, schlaffes und un
geschicktes Gerede erzeugen wird. Hiernächst knüpft sich an die Absicht einer methodischen Uebung des Denkens in besonderen, vom anderen Unterrichte
getrennten Denkübungen eine fatsche Ansicht von der Zweck mäßigkeit und Nothwendigkeit der methodischen Einübung dessen,
was doch hinreichend und besser das Lebm einübt, und davon,
wie der Gang des Unterrichts den Gang der Natur nachahmen müsse, welche sich stufenweise und ohne Lücken entwickelt.
Ein
in der Erziehungskunst hoch stehender Mann hat in diesem Puncte auf einen falschen Weg geführt.
Pestalozzi's Weise
vollständiger und dem Mechanischen sich nähemder Einübung
dessen, was sich von selbst gelegenüich begreift und einübt, ist gewiß nicht die rechte, gewiß dem Schwünge des Geistes nicht
193 förderlich, wenn auch er selbst noch so Außerordentliches damit
geleistet haben sollte, was seiner besondem Gabe zuzurechnen ist.
Ich kann nicht übersehn, wie weit im Einzelnen seine
Methode Eingang in unsern Schulen gefunden habe, aber in dieser Weise sucht doch unsere Zeit ihre Verbesserung des Unter
richts.
Daher würden die folgenden Beispiele selbst dann zur
Bezeichnung und Würdigung der neuen Weise geeignet seyn,
wenn gerade diese Formen jetzt nicht mehr gebraucht werden
sollten.
Es ist schlechthin nichts mit Uebungen folgender Art
zu gewinnen:
Der Unterschied zwischen 7mal 1 und 16mal 1
ist 3mal 3, wo die Zerlegung der 9 in 3mal 3 ohne alle
Bedeutung ist, oder: 4mal 1 ist 3mal 1 und Imal der dritte Theil von 3; der Unterschied von 5 und 9 ist 4mal der 5te
Theil der ersten und 4mal der 9te Theil der zweiten Zahl.
Das schwerfällige 3mal 1 und 2mal 1 ist 5mal 1, enthält genau nur so viel als 3 und 2 ist 5.
Nicht bloß unnütz sind
solche Uebungen, sondern auch stumpf machend, wie alles Leere, Mechanische, sich zu weit fort Dehnende, wodurch die Auf
merksamkeit nie gereizt, höchstens nur erzwungen werden kann, wobei nicht die ganze Kraft der Seele bis zum vollen Bewußt
seyn angewandt, sondern nur eine halbe, beschränkte Aufmerk samkeit verwendet wird, wo kein volles Denken eintritt.
Das
Nachsprechen von einer größeren Zahl Schüler vermehrt die Gedankenlosigkeit.
Darüber ist wirklich das Denken zu ver
lernen. — Die Gewöhnung der Aufmerksamkeit ferner verdient gewiß die größte Sorgfalt der Lehrer und Erzieher.
Allein die
Aufmerksamkeit kann und soll nur auf das gerichtet werden,
was der Aufmerksamkeit werth ist und dem Geiste Interesse
gewähren kann.
Nur geisttödtend können Uebungen in der
Beobachtung der verschiedenen Verhältnisse und Umstände nach
den zehn Kategorien Pestalozzi's seyn, oder wenn die Kinder lernen sollen zu beobachten und in das Bewußtseyn zu rufen,
13
194 um davon Rechenschaft zu geben: 1) daß es der Bohnen 10 sind, 2) daß sie gleich weit von einander liegen, 3) daß sie
in gerader Richtung liegen, 4) daß ihre Lange gegen die Thüre
und 5) ihre Breite nach dem Fenster gerichtet ist, 6) daß die Keime auf der linken Seite sind.
Die Uebung solcher Beob
achtungen kann den Geist nur schwerfällig machen.
Denken
verlangt wesentlich einen Zweck, ein Interesse, einen Werth des Gegenstandes.
losigkeit.
Aufmerksamkeit ohne Zweck ist Gedanken
Wenn wir ein Buch lesen, soll unsere ganze Auf
merksamkeit nur auf den Inhalt des Buches gerichtet seyn,
Und wir werden unser Verdienst nicht darein setzen, daß wir genau beobachtet haben, wie das Buch gedruckt und wie es
eingebunden sey, wie viel Druckfehler sich finden, was auf
einer rechten und was auf einer linken Seite stehe.
Oder wenn
wir eine Blume im Gewächshause besehn, so haben wir ihre
Art und ihre Eigenschaften zu betrachten, nicht aber zu beob achten, in welcher Gegend des Gewächshauses sie steht, und ob die Blume oder die Knospe nach dem Fenster oder nach der Thüre zu hängt.
Die Schule aber darf nicht lehren, die
Aufmerksamkeit mit Werthlosem zu zerstreuen.
Eben so folgt man auch einer falschen Ansicht darüber, daß der Unterricht und das Denken in regelmäßiger Stufen
folge gehn und ohne Lücke bleiben müsse.
Der Gedanke soll
bis zur Klarheit und Bestimmtheit vollständig seyn, und dahin
zu gelangen muß der geradeste Weg gesucht werden.
Allein
nicht langsame, stetige Bewegung ist des Geistes Natur, son dern in Sprüngen auf den rechten Punct zu gelangen, ohne daß die Mittelglieder alle immer zum Bewußtseyn kommen.
Der Geist ist darin von der Natur verschieden, daß sein Gang
nicht so strenger Folge der Entwickelung unterworfen ist; er
wird nur gestört, gehemmt und niedergedrückt, wenn sein Flug aufgehalten wird; die Nöthigung zur Aufmerksamkeit auf das,
—
195
—
was nicht dazu geeignet ist, kann nur Schwerfälligkeit und
Starrheit zur Folge haben. Weil es nicht genug erwogen werden kann, daß der Un
terricht etwas ist, wobei nicht bloß zu gewinnen, sondern auch zu verlieren ist, und weil gleich der Kunst des Denkens die
mit ihr zusammen gehende Kunst der Rede und der Sprache
Grundlage aller Bildung ist, so haben wir nun nächst der
Unterrichtswelse unserer Zeit in der Denkübung auch ihre Art der Redeübung zu betrachten. Wenn unsere Untersuchung immer
tiefer eingeht in die Unterrichtsmethode der Zeit, so verlieren
wir uns nicht in einen geringen Gegenstand.
Es ist hier ein
Hauptpunct des Anspruchs unserer Zeit auf Fortschritt in der Bildung.
In der That ist die Kunst der Rede, unzertrennlich mit der Kunst zu denken zusammenhängend, neben dem Denken der höchste Gegenstand der geistigen Bildung, Hauptgegenstand der Erziehung und des Unterrichts, und das Darstellungsver
mögen ist immer neben dem Denkvermögen zu üben.
Aber
auch eben in ihrer Beziehung zur Kunst des Denkens ist die Kunst der Rede zu bilden.
Darin liegt zweierlei.
Erstens ist
die Rede zugleich, ungetrennt, mit dem Denken auszubilden.
Zweitens muß die Bildung der Rede, wie des Denkens, durch allen Unterricht und durch das ganze Leben hindurchgehn. Die Redekunst ist nichts anderes als die Kunst den Ge danken und das Gefühl in Worten auszudrücken.
Der Aus
druck liegt in dem Inhalte und der Inhalt in dem Ausdrucke. Die scharfe Ausbildung des Gedankens ist also zugleich Aus
bildung der Rede, welche dem Gedanken von selbst folgt.
Aber
zugleich ist die Ausbildung der Rede Ausbildung des Gedankens;
man kann das angemessene Wort nicht suchen, ohne den Ge
danken zu Klarheit und Bestimmtheit zu bringen, und wir können nicht einer vernachlässigten Rede uns hingeben, ohne 13*
196 den Gedanken mangelhaft und in Unklarheit zu lassen.
Es
ist nicht zu zweifeln, daß bei den Griechen die Unterweisung in der Redekunst, die Bildung der Rede diesem Gesichtspuncte
gefolgt ist.
Dieß kann nicht fehlen bei einem Volke, welches
in der reinen Verstandesmäßigkeit der Rede so
hervorragt.
Dieß ist die Bedeutung der Unterweisung, welche bei
den
Spartanern in der ihnen so eigen gewordenen Kunst des kurzen
Nicht die Kürze an sich
Ausdrucks ertheilt worden seyn soll.
konnte der Zweck seyn, und es ist ein Mangel, wenn die Spartaner weniger die Kunst einer längeren, zusammenhän genden Darstellung umfassenderer
Gegenstände geübt haben.
Ihre Kunst aber, in wenig Worte den Ausdruck tiefer Gedan ken zu fassen, geht hervor aus dem Streben nach dem wahren
Ziele der Redekunst, der Einheit der Rede und des Gedankens,
der Angemessenheit der Rede zu der Schärfe des Gedankens; es ist eben so wohl Ausbildung der Schärfe des Denkens, nicht
bloß Eigenthümlichkeit der Rede. Das zweite ist, daß die Bildung der Rede, wie die Bil dung des Denkvermögens, durch allen Unterricht, durch das ganze Leben sich hindurch ziehn muß.
Der rechte Weg ist die
Gewöhnung und Uebung, durchaus zu Allem, was wir erkennen, denken und fühlen, zu Allem, was wir auszusprechen haben,
den angemessensten, bestimmtesten, reinsten und edelstm Aus druck zu suchen und zu finden, und kein Wort zu brauchen
ohne Abwägung der Angemessenheit zur Sache und zum Ge danken, so viel nur immer im Sprechen zur Abwägung Zeit
bleibt.
Es ist die Gewöhnung, jedem Momente der Rede die
mögliche Vollendung zu geben.
Nach diesen Gesichtspunkten sind nun die Fortschritte un serer Zeit in der Bildung zur Redekunst zu beurthellen.
Es
ist aber hier bloß Beziehung auf das zu nehmen, was bereits gesagt worden ist.
Jeder möge selbst urtheilen.
Nur ein Blick
197 ist zu werfen auf zwei Mittel, worin unsere Zeit vor der ftü-
heren Zeit sich auszuzeichnen sich rühmen möchte, die besonderen mündlichen und schriftlichen Uebungen, und der Unterricht in
der Muttersprache.
Wie nach jenem Zusammenhangs zwischen dem Gedanken und der Rede, die Trefflichkeit der Rede nur aus der Schärfe des Denkens und der Klarheit des Gefühls erwachsen kann,
so ist wesentlich Quelle der Nichtswürdigkeit der Rede die Ent fernung von dem Zwecke angemessenen Ausdrucks eines scharf
und klar gefaßten Gedankens, die Sonderung der Rede von
dem Gedanken, von dem Inhalte.
Der Ausdruck muß immer
nur mit der Erkenntniß geübt werden, aus welcher er kommen muß.
Denken und Reden kann nicht mehr verdorben werden,
als durch das, was man sich gewöhnlich als Redekunst denkt,
die Kunst einer von ihrem Stoffe sich mehr oder minder lösen
den, mit vermeintem, außerhalb des Inhalts herzunehmendcn, Schmucke angethanen Rede.
Hieraus kann nur Hohles, Ge
dankenloses und Falsches in der Rede wie im Denken hervor
gehn.
Uebung
in
solcher
falschen
Kunst
ist
Verbildung,
Abziehung von Schärfe und Gediegenheit des Denkens und Sprechens.
Solchen Charakter aber muß die Uebung der Rede
annehmen, welcher kein gediegenes Durchdenken eines Gegen standes zum Grunde liegt, wo nicht der Ausdruck des Gedan
kens zum Ziel der Rede gesetzt, sondem her Gedanke erst um der Rede willen gesucht wird.
Und so sind doch die mündlichen
und schriftlichen besondern Redeübungen.
Man möchte ent
gegnen, daß die Aufgabe eben zur Aufsuchung des Stoffes, zum Durchdenken des Gegenstandes veranlassen soll.
Allein
erstens, wenn der Gedanke nicht gefunden wird, so folgt doch leere und unverständige Rede; und wie weit dieß in der Wirk lichkeit der Fall sey und nach der Stellung der Aufgabe seyn müsse, möge jeder selbst urtheilen.
Zweitens sieht sich hier der
198
—
Zögling jedenfalls hauptsächlich auf das Schreiben und Spre-'
chen, nicht auf die scharfe Ergründung des Gegenstandes hin
gewiesen, so wie ihm auch, wenn überhaupt, mehr in jener als in dieser Beziehung das Fehlerhafte seiner Leistung gezeigt
wird.
Dadurch gewöhnt er sich an die Sonderung des Spre
chens und Schreibens von dem Denken.
Auch die Aufgaben
also, bei welchen es hauptsächlich auf die Uebung der Rede
abgesehn ist, sollten so gestellt seyn, daß die Durchdenkung und
Darstellung des Gegenstandes zum wesentlichen Zwecke gemacht würde, welchem der Ausdruck folgen muß.
Hierzu kömmt,
daß bei unserer Häufung der schriftlichen Ausarbeitungen nicht
Zeit gewonnen werden kann zu dem, was doch unerläßliche Bedingung der Nützlichkeit ist, daß den Schülern genau, streng und vollständig gezeigt werde, was in ihren Ausarbeitungen
nichts taugt.
Wenn der Schüler gewöhnt wird, zu schreiben,
damit nur etwas geschrieben sey, Leeres zu schreiben, weil er keinen Inhalt findet, die Rede von dem Inhalte zu sondern,
weil nicht auch auf diesen die Absicht gleichmäßig gerichtet wird, flüchtig und ohne Scheu vor Fehlern zu schreiben, weil ihm das Schreiben zu alltäglich und er gegen die Mangelhaftigkeit unempfindlich wird, fehlerhaft zu schreiben, ohne die Fehler kennen zu lernen, dann wird die Uebung nicht zur Bildung
sondern zur Verbildung der Rede führen.
Leicht wird er sich
gewöhnen, mit Leerem und Schlechtem, das er leistet, wohl gar zuftieden zu seyn, zu glauben, das sey etwas, was doch
vielleicht weniger als nichts ist; das Fehlerhafte wird sich bei
ihm festsehen, er wird das Schülerhafte mit sich fortschleppen. Jedenfalls wird Strenge und Schärfe und Gründung der Rede
auf den Gedanken verloren gehn. Es wäre zu fragen, ob nicht die vielen schriftlichen Aus-
»rbeitungen unserer Schulen, worin unsere Zeit eine Eigen thümlichkeit hat, eine Ursache des Mangels unserer Zeit an
199 Strenge und ihrer Fruchtdarkeit an schlechten Hervorbringungen
seyen.
Das zweite, worin unsere Zeit einen Fortschritt in der
Ausbildung der Rede sieht, besonderer grammatischer Unter richt in der Muttersprache, ist theils nur der kleinste und un bedeutendste Theil der Erlernung der Muttersprache, theils nur unter der Voraussetzung behutsamer Beschränkung für ersprießlich
zu achten. Die Hauptsache ist auch hier, daß bei jedem Gebrauch der Muttersprache durch den ganzen Unterricht und das ganze
Leben hindurch unablässig die Reinheit der Sprache und ins
besondere der streng richtige Gebrauch der Worte berücksichtigt werde.
Der Geist der Sprache, welchen richtig zu fassen das
Wesen der Bildung durch Sprachstudium ist, liegt am meisten
in der Bedeutung der Worte, deren strenge Angemessenheit zum Gedanken selbst gehört.
Aber auch in der feinen Unterscheidung
der grammatischen Formen ist das Beste nur von dieser nie
nachlassenden Aufmerksamkeit im Gebrauche zu erwarten.
Be
sonderer grammatischer Unterricht in der Muttersprache ist nur
aus eine kurze zusammenhängende Uebersicht von dem Ganzen des Baues der Muttersprache und ihrer Formen und Regeln zu
beschränken.
Längeres Verweilen eines systematisch zusammen
hängenden Unterrichts bei dem, was durch den Gebrauch und
insonderheit bei der Erlernung anderer Sprachen am besten und leichtesten sich lernt, ist nicht nur unnütz, sondern auch
für den Schüler, als Beschäftigung mit dem, was ihm nicht
unbekannt ist, langweilig und für den Trieb zu lernen ungünstig. Um die Kunst der Rede zu bilden, ist nächst der Erweckung zur Strenge im Gebrauch des Wortes das beste Mittel die Beschäftigung mit den Mustern angemessenen, strengen, rei
nen, hoch ausgebildeten, geglätteten, verfeinerten, veredelten Ausdrucks, in welcher Sprache es immer sey, und mit beson
derem Vortheil in ftemden Sprachen, und unter diesen wieder
200 vor Allem in den alten Sprachen, theils wegen ihrer größeren
Verschiedenheit von unseren Sprachen, theils wegen ihrer hohen Ausbildung und weil sie die herrlichsten, unvergleichlichen Muster der Rede darbieten.
Man sollte immer von Zeit zu Zeit den
Versuch machen, aus Plato oder Pindar zu übersetzen, um zu fühlen, was Hoheit, Reichthum, Vollendung der Rede ist,
was unserer Rede und unseren Sprachen fehlt und anzubilden
Das größte Verderben aber für die Kunst der Rede ist
wäre.
der Verkehr mit gemeiner, verdorbener Rede.
Von diesem
Standpuncte aus ist nun zu urtheilen, ob unsere Zeit in der
Kunst der Anleitung zur Rede fortschreite, und ob sie eine Erhöhung der Redekunst erwarten lasse, wenn sie der Strenge und der Schärfe entsagt, der Richtigkeit und Schärfe und
Klarheit eitlen Glanz verzieht, nicht nur das Studium der klassischen Alten verkümmert, sondern selbst von der Klassizität überhaupt die Richtung abwendet und so auf die Bildung an
der Schlechtheit der schon
wegen der Neuheit vorgezogenen
neuesten Literatur verweist.
Eines Fortschrittes in der Unterrichtsweise rühmt sich unsere
Zeit mit so großer Selbsterhebung und Verachtung des Alten, daß hier die Erwähnung ihres wunderlichen Irrthums nicht
übergangen werden mag, ob es gleich nichts Höheres als die
Unterweisung im Lesen betrifft.
In diesen Blättern würde
Lautiren und Buchstabiren nicht zu erwähnen seyn, wenn nicht darum die Zeit sich auf einer höheren Stufe der Unterrichts
kunst dünkte.
schritte.
So charakterisirt dieß das Wesen unserer Fort
Eine verständige Lautmethode und eine verständige
Buchstabirmethode können im Wesentlichen gar nicht einander fern liegen, oder gar nicht verschieden seyn, indem auch die
Lautmethode für den Laut ein Zeichen und einen Namen braucht,
die Buchstabirmethode aber den Buchstaben doch nur als das Zeichen und den Namen des Lautes betrachten kann; wie das
201 Zeichen genannt wird, ist einerlei.
Bei dem Buchstabiren ist
genau dasselbe Geschäft wie bei dem Lautiren: das Kind setzt aus den Lauten, als deren Zeichen es die Buchstaben hat ken
nen lernen, ein Ganzes zusammen.
Für das Kind, dem es
bei zweckmäßigem Unterrichte schwer würde, zu begreifen, daß
der Buchstabe und sein Name nur Name und Zeichen, nicht aber Laut sey, würde es nicht leicht die Mühe lohnen, daß es lesen lerne.
Bei der Verwerfung des Buchstabirens liegt zum
Grunde, daß man die Bedeutung und den Gebrauch des Zei
chens verkennt; die Gewöhnung an den Gebrauch des Zeichens
aber ist die Grundlage des Sprechens und Denkens.
Was
man der Buchstabirmethode vorwirft, trifft nicht diese Methode, sondern es ist bei ihrem Gebrauche gefehlt worden, wenn man
das Zeichen nicht deutlich genug in seiner Bedeutung als Zei chen und nach seinem Gebrauche erklärt, das Geschäft zu me chanisch getrieben, oder der Nichtigkeit und Reinheit der Aus
sprache nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet hat.
Es ist ein
Vorzug der Anhänger der Lautmethvde, wenn sie es mit der
Aussprache genauer nehmen, nicht aber ist es ein Vorzug dieser Methode vor der Buchstabirmethode; durchaus kein Grund ist vorhandm, warum nicht bei dem Buchstabiren so streng auf
Reinheit der Aussprache gehalten werden sollte, wie bei dem Lautiren.
Wir wollen gerechter seyn, und nicht der Laut
methode selbst vorwerfen, was ihre Anhänger versehn, wie wenn
sie zum Lesen die Kenntniß von der Mundstellung bei dem
Sprechen, das Bewußtseyn von der Art, wie die verschiedenen
Laute hervorgebracht werden, für nöthig finden, und damit die Kinder plagen, welche doch zur Hervorbringung der rechten
Laute diese Kenntniß so wenig brauchen, als die Lerche zum Singen.
Uebrigens ist hier absichtlich die Ueberhebung der Laut
methode über die Buchstabirmethode zunächst aus dem Gesichts
puncte betrachtet worden, von welchem aus am meisten die
202 Ungründlichkeit der Ansicht unserer Zeit von der Weise des Unterrichts und der Ungrund der Vorstellung unserer Zeit von
ihren Fortschritten hervortritt.
Nur zum Schluffe möge noch
hinzugefügt werden, daß dem Lautiren die Verschiedenheit der
Aussprache desselben Buchstabens insbesondere in anderen Spra chen als der deutschen eine Schwierigkeit entgegensetzt, welche wenigstens die gewöhnliche Meinung von der vorzüglichen Zweck
mäßigkeit dieser Methode aufhebt. Daß unsere Zeit die Gegenstände des Unterrichts vermehrt und die Ansprüche in Hinsicht auf die in jedem Gegenstände
zu erreichende Stufe steigert, verkündigt sie selbst als Anfoderung und eigenen Ruhm so laut, daß es keines Beweises
Wir können als unbezweifelt annehmen, daß unsere
bedarf.
Zeit von den zwei Hauptrichtungen der Bildung, auf Tüchtig
keit und auf Vielseitigkeit, der letzteren bei weitem den Vorzug giebt.
Zn der That ist Ueberhaufung mit Unterrichtsgegcn-
ständen nicht zu verkennen.
Beide Richtungen sind immer so
zu berücksichtigen, daß genau gegen einander abzuwagen ist,
wie viel jede fodert.
Der Werth der Vielseitigkeit der Kennt
nisse ist an sich klar, und bei dem Unterrichte ist dahin zu sehn, daß nicht durch Einseitigkeit und Einförmigkeit der Beschäf
tigung der Geist ermüde.
Allein der Werth der Tüchtigkeit ist
weit überwiegend, und die Regel ist so zu stellen, daß Viel
seitigkeit so weit zu erstreben ist, als das Streben nach Tüch tigkeit es gestattet, nicht aber daß umgekehrt zuerst gesetzt würde,
was Alles zu lernen sey, woraus erst folgen müßte, wie weit
in dem Einzelnen und in dem Ganzen die Tüchtigkeit zu errei chen sey.
Denn die Tüchtigkeit ist nichts anderes als im All
gemeinen das Vermögen des Geistes und in Beziehung auf ein besonderes Studium die Gediegenheit und Gründlichkeit und
Tiefe.
Daß nun in dem Einzelnen mehr Tüchtigkeit erreicht
werden kann, mit je wenigeren Gegenständen der sich bildende
203 Geist sich beschäftigt, ist leicht zu sehn.
Aber es ist auch nicht
zu verkennen, daß die Tüchtigkeit der Geisteskraft überhaupt mehr dadurch erstrebt wird, daß Wenigeres tüchtig, als daß
mehr aber minder tüchtig gelernt werde.
Denn die Tüchtigkeit
des einzelnen Wissens erzeugt die Tüchtigkeit des Geistes und
diese, auf Einem Puncte erreicht, ist zugleich Tüchtigkeit für jeden andern Punct.
Darum hat die Erstrebung der höchsten
erreichbaren Tüchtigkeit in Einem Puncte vor der Vielseitigkeit
der Kenntnisse so sehr den Vorzug, als Geisteskraft und Er kenntniß wor der bloßen Kenntniß; denn nicht diese an sich,
sondern jene ist Bildung.
In der Bildung zur Tüchtigkeit in
Einem Puncte ruht die Erhöhung des Denkvermögens, die Bildung zur Schärfe, Klarheit und Tiefe der Einsicht, nicht bloß in diesem Gegenstände, sondern überhaupt, die Ausbildung
der Urtheilskraft, die Befestigung des Gedächtnisses, die Energie
des Triebes.
Daher muß durch Ein vorzugsweise gepflegtes
Studium die Erhöhung der Geisteskraft erstrebt werden, durch
welche dann in andern Studien schneller fortgeschritten werden kann.
Um in Vielem etwas Gründliches zu lernen, ist der
geradeste Weg in Einem viel zu lernen.
Und wie mit dem
tieferen Eindringen in eine Wissenschaft ein immer höheres Ver
mögen des Geistes sich entwickelt, so ist auch die Erkenntniß, je tiefer sie in eine Wissenschaft eindringt, eine um so höhere und von so höherem Werthe für die Bildung; in jeder Wissen
schaft ist die zweite Stufe von höherem Werthe als die erste, folglich muß es größerer Gewinn für die Bildung seyn, in
Einer Lehre bis zur zweiten Stufe zu dringen, als in zwei
Lehren auf der ersten stehn zu bleiben. So ist also die, unserer Zeit allerdings eigenthümliche,
Ueberhäufung mit Lehrgegenständen, die Vielwisserei, das ent
scheidendste Verderben der Bildung.
Sie ruht aber auch in
ihrem Grunde auf einem Irrthume, der schon berührten falschen
204 Sonderung der Lehrjahre von den Arbeitsjahren oder dem übri gen Leben.
Wie sehr wir auch den Kreis unserer Bildung
uuszudehnen wünschen mögen, so folgt daraus nicht, daß Alles in den Jahren geschehn müsse, welche wir vorzugsweise für die
Alle Jahre des Lebens müssen
Lehrjahre zu betrachten pflegen.
neben dem Geschäfte zugleich der Fortbildung bestimmt seyn;
und damit nicht Ueberhäufung entstehe, welche die Tüchtigkeit nicht gedeihen läßt, muß nicht Alles, was im Laufe des Lebens
in den Kreis der Bildung. gezogen werden soll, gleichzeitig,
und am wenigsten muß es gleichmäßig, schon in den Jahren der Lehre getrieben werden.
Sollte jemand entgegnen, daß
doch nicht jedem nach den Lehrjahren noch Zeit zum Lernen
bliebe, so wäre zu erwiedern, daß dieser dann auch vergeblich
in den Lehrjahren sich mit so vielerlei beschäftigt haben würde, da der in Allem doch immer nur geringe Anfang nur als Grund
zu künftiger Fortsetzung Werth haben könnte; er hätte immer
besser gethan, da seiner Bildung engere Schranken gezogen seyn sollen, es an der Zahl der Gegenstände und der Masse der Kenntnisse, als an der Tüchtigkeit fehlen zu lassen, in
welcher die Erhöhung der Geisteskraft, die Veredelung und die
wahre Bildung des Geistes ruht.
Nicht hier zuerst wird ausgesprochen, daß die Uebung unserer Zeit im Denken mehr eine Uebung sey, ftemden Ge danken zu folgen, als selbst zu denken, selbst das Wesm der Dinge und die Gründe der Wahrheit zu durchforschen.
Wenn
man dieß aber annimmt, so wird dadurch unserer Zeit Kunst der Bildung zum Denken sehr tief herabgesetzt.
Denn nur in
dem Selbstdenkm ist der rechte Werth des Denkens enthalten.
Auch die Gründe können wir gleich Thatsachen von außen in uns aufnehmen; aber die rechte Erhöhung der Geisteskraft und
die rechte Durchdringung deS Gegenstandes geschieht nur durch ein Denken, welches das Wesen und die Gründe der Dinge
205 völlig erfaßt und so das Wissen davon zu vollem Eigenthume, nicht bloß zum Besitzthum des Gedächtnisses macht.
ses Denken ist mit klarem Bewußtseyn verknüpft.
Nur die
Was aber
unserer Zeit daran fehlen möchte, haben wir vor anderen der Ueberhaufung mit Gegenständen des Unterrichts und der Bil
dung, der Ueberhäufung mit Unterricht zuzuschreiben,
welche
zum eignen Denken nicht die Zeit lassen und fremder Leitung zu folgen gewöhnen. Endlich ist noch ein Blick auf die Gegenstände zu werfen, womit unsere Zeit den Unterricht erfüllen will. hier auf einen Punkt zurück,
Wir kommen
der uns schon ftüher beschäftigt
hat, in dem Abschnitte von der Bildung an klassischen Werken, in welcher unsere Zeit zurückgeht, den Werth der Beschäftigung
mit der griechischen und römischen Literatur verkennend, dieses
Studium daher geflissentlich zurückstellend, was
und doch in dem,
es an die Stelle setzen möchte, keinen Ersatz findend.
Es ist wenig hinzuzufügen.
Von dem Verluste der Bildung
an einer Literatur, welche seit Jahrhunderten die Grundlage der europäischen Bildung gewesen ist, welche als das höchste
Erzeugniß
menschlicher Bildung auch das höchste Mittel der
Bildung seyn muß, und
deren Vernachlässigung entscheidend
für die Herbeiführung der Barbarei seyn
würde oder seyn
wird, ist schon gesprochen worden. Von den sogenannten Rea.
lien, auf deren Pflege unsere Zeit dringt, haben wir dort eben
falls gesehn, warum sie für die Ausbildung des Geistes kein Ersatz der Bildung an klassischm Werken seyn können.
Hier-
zu möge bloß dieses noch bemerkt werden, daß man die Pflege
dieser sogenannten Realwissenschaften um ihrer Nützlichkeit und Anwendbarkeit im Geschäft und im Leben willen verlangt, haß
man daher das wahre Ziel des Unterrichts, Geistesbildung, sich dabei nicht vorsetzt, und daß die Vorstellung von der Nützlich
keit und Anwendbarkeit der Sachkenntnisse im Leben und im
206 Geschäft eine sehr irrige, und die Anwendung keineswegs so bedeutend ist, daß sie deshalb zum allgemeinen Gegenstände des Unterrichts zu machen wären, worüber ich nicht wiederho
len will, was ich in der schon angeführten Schrift über die Bestimmung des Gelehrten
gesagt habe.
Ferner von dem
Studium der Mathematik, welches allerdings nicht weniger um der Ausbildung des Geistes willen als wegen der Anwendbar
keit empfohlen wird, ist schon in jener Stelle bemerkt worden, daß die Mathematik, da sie weder das Schöne noch das Gute,
noch das Gesetz des Lebens der Welt, noch Wesen, Charakter
und Geist der Dinge, sondem bloß Größenverhältniffe, bloß das
Zählbare und Meßbare in sich hat,
weniger als andere Wis
senschaften geeignet ist, Veredelung des Geistes zu gewähren; und in der angeführten Schrift ist dargelegt worden, daß die
Mathematik mit ihrer Beweisführung, welche nicht auf Be
griffen
und aus dem Wesen
der
Verhältnisse genommenen
Gründen, sondern auf der Erfahrung braucht, nicht vor an dern Wissenschaften zur Schärfung des wissenschaftlichen Den
kens geeignet seyn kann,
obschon der Werth ihres Studium
namentlich in Gewöhnung an strenge Folgerichtigkeit, an Auf merksamkeit und an eigene Auffindung der Auflösungen und
Beweise nicht verkannt worden ist.
Welchen Vortheil aber im
mer das Studium der Mathematik für die Bildung deS Gei
stes gewähren möge, er ist jedmfalls in ihren Elementarlehren
zu erreichen, und auf die Elementarlehren der Mathematik ist ihr Unterricht auf Schulen zu beschränken.
Die höheren Lehren
der Mathematik sind darum nicht zum allgemeinen Gegenstände wissenschaftlicher Bildung oder der Bildung zum Geschästslebm zu machen.
Die mathematische Wissenschaft ist hoch zu
ehren und zu bewundern.
Allein die Frage,
was allgemein
Gegenstand des Unterichts seyn solle, kann nur nach dem Ein flüsse auf die Geistesbildung beantwortet werden, und bei der
Begünstigung eines jeden Studium ist zu erwägen, daß dem einen entzogen wird, was man dem anderm zusetzt.
Die fal
sche Ansicht aber unserer nach der Mathematik gewaltig ver langenden und ihre Foderung immer höher steigernden Zeit von dem Werthe der Mathematik ist zugleich ein Beweis von der
Verkennung des Wesens der Bildung und des Werthes ande rer Bildungsmittel und vorherrschende Richtung auf die Ma
thematik wird, wie aller Irrthum über das Wesen der Bil dung und den Werth der Bildungsmittel von dem rechten We
ge zur Bildung abführen.
Vielleicht wird hierüber mehr als
meine Stimme die neuerlich öffentlich gewordene, mit Voltaire's und Franklin's Urtheil verstärkte Stimme Göthes in ei nem Briefe an Zelter über den der Erfahrung zufolge nicht
günstigen Einfluß der mathematischen Studien auf die Bil dung gehört werden.
Doch unbekümmert im Erfolg und Auf
nahme will ich meine Ueberzeugung aussprechen,
daß unsere
Zeit, wenn sie wirklich ausführt, was sie will, durch Verküm merung des Studium der griechischen und römischen Literatur mit der Verkennung ihres Werthes durch Ueberhäufung der hö
heren Bildungsanstalten mit vielfachem Unterricht und durch
die Richtung auf die Mathematik als
allgemeines Bildungs
mittel einen ungeheurm Rückschritt in der Bildung herbeiführt.
16. Ergebniß. Wir haben gefunden: daß unsere Zeit, die höhere Bestim
mung des Menschen verkennmd und durch Ansicht wie durch
die Noth der
drängenden Bedürfnisse des äußern Lebens ge
trieben, sich abwendet von der Richtung auf das Höhere, also
Begünstigung eines jeden Studium ist zu erwägen, daß dem einen entzogen wird, was man dem anderm zusetzt.
Die fal
sche Ansicht aber unserer nach der Mathematik gewaltig ver langenden und ihre Foderung immer höher steigernden Zeit von dem Werthe der Mathematik ist zugleich ein Beweis von der
Verkennung des Wesens der Bildung und des Werthes ande rer Bildungsmittel und vorherrschende Richtung auf die Ma
thematik wird, wie aller Irrthum über das Wesen der Bil dung und den Werth der Bildungsmittel von dem rechten We
ge zur Bildung abführen.
Vielleicht wird hierüber mehr als
meine Stimme die neuerlich öffentlich gewordene, mit Voltaire's und Franklin's Urtheil verstärkte Stimme Göthes in ei nem Briefe an Zelter über den der Erfahrung zufolge nicht
günstigen Einfluß der mathematischen Studien auf die Bil dung gehört werden.
Doch unbekümmert im Erfolg und Auf
nahme will ich meine Ueberzeugung aussprechen,
daß unsere
Zeit, wenn sie wirklich ausführt, was sie will, durch Verküm merung des Studium der griechischen und römischen Literatur mit der Verkennung ihres Werthes durch Ueberhäufung der hö
heren Bildungsanstalten mit vielfachem Unterricht und durch
die Richtung auf die Mathematik als
allgemeines Bildungs
mittel einen ungeheurm Rückschritt in der Bildung herbeiführt.
16. Ergebniß. Wir haben gefunden: daß unsere Zeit, die höhere Bestim
mung des Menschen verkennmd und durch Ansicht wie durch
die Noth der
drängenden Bedürfnisse des äußern Lebens ge
trieben, sich abwendet von der Richtung auf das Höhere, also
208 von der Richtung auf die Bildung, welche Richtung das Höchste
der Bildung und die Grundlage aller Bildung und die erste
Bedingung der Bildungsfähigkeit ist; Daß mit der Richtung auf das
Höhere zugleich Sinn
für das Schöne und Edle, daß ihr damit Begeisterung, En
thusiasmus, Schwung des Geistes und Wärme der Seele, In nerlichkeit, daß die Seele aus den Seelen verloren geht; Daß unserer Zeit Ernst und Strenge mangeln, in welchen
die Innerlichkeit des Triebes zur Vervollkommnung, also der wahre Sinn für Bildung ist, ohne welche keine höhere Bil
dung erworben werden kann, nicht Scharfe des Gedankens und
der Rede, nicht Tugend, weil ja die Gewissenhaftigkeit in dem Ernst und der Strenge ruht;
Daß unsere Zeit jener Schärfe sich entwöhnt, welche den
Gedanken, die Rede, das Gefühl, den Willen, den Charakter, alles Thun durch die höchste Genauigkeit zur Vollendung aus bildet, und mit welcher unsere Zeit Nichtigkeit, Bestimmtheit,
Gründlichkeit,
Gediegenheit,
Tiefe,
Klarheit,
Ausglättung,
Feinheit, Reinheit,, Vollendung und Verständlichkeit entbehrt; Daß dieser Mangel an Schärfe mindere Stufe des Denk vermögens ist;
Daß aus diesem Mangel an Schärfe
eine verheerende
Ueberströmung unserer Zeit mit Schlechtem und Unverständi gem hervorbricht, in welcher das Bessere nicht gedeih»,
nicht
bleiben kann; daß unsere Zeit zu -viel schreibt, als daß sie gut
schreiben könnte; Daß unsere Zeit, nach Geistesreichem strebend, dieses aber
von der Schärfe und Wahrheit sondernd, bloß das Pikante, Frappante, in falschem Schimmer Hervorstehende ergreift, das wahrhaft Geistreiche hingegen, Schärfe hervorgeht,
das nur aus der Tiefe und
gerade dadurch verfehlt, überhaupt aber
durch das Hervordrängen des unächten, nur vermeinten Geist-
209 reichen der Schärfe, der Tiefe, der Wahrheit, dem Schön
heitssinn ,
der Gediegenheit und der Verständigkeit selbst Ab
bruch thut; Daß unsere Zeit, wie in den Gedanken, so auch in der
Rede nicht Schärfe, Richtigkeit, Reinheit, Bestimmtheit, An gemessenheit, Klarheit, Veredelung, Schönheit erstrebt;
Daß in der Kunst unsere Zeit, indem sie sich von der
Klassizität entfernt, von dem Streben
nach Schönheit und
Vollendung selbst, von hoher und edler Kunst sich abwendet, an die Stelle des tieferen Sinnes der Kunst die Virtuosität setzt, statt Kunstgenusses gemeinen Reiz sucht; Daß unsere Zeit auf dem Wege ist, sich der Bildung an klassischen Werken,
an der Beschäftigung mit dem Vortreff
lichsten und Durchbildetsten, was die Welt hat, insbesondere
mit der alten klassischen Literatur, immer mehr zu entwöhnen, und so einen nicht zu ersetzenden Weg zur Durchbildung und
Vervollkommnung zu verlassen; Daß die heutige Philosophie indem sie das, was nicht zu
finden ist, sucht und gefunden zu
haben glaubt,
und indem
sie über die Beziehungen, welche das Höchste und die Grund
lage unserer Erkenntniß sind, hinausgehn will, durch Aufhe-
bung des Gegensatzes,
in welchem das Wesen alles Seyns
und aller Erkenntniß ruht, in die Leere der Unbestimmtheit,
in die Vermischung des Entgegengesetzten,
des Seyns und
Denkens, in ein unendlich breites und doch das Ziel nicht er reichendes Gedankenspiel sich verliert, und, vor Spitzfindigkeit
nicht zur Schärfe und Richtigkeit gelangend, durch Unverständ
lichkeit unzugänglich,
immer mehr dm Eingang in die allge
meine Bildung sich verschließt, deren Grundlage doch die Phi
losophie seyn muß; Daß eine Zeit, welche des Strebens nach dem Höheren,
des Ernstes und der Strenge, der Innerlichkeit des Triebes
14
210 nach der höheren Bestimmung und der Vollendung, welche der Ausbildung zur Scharfe ermangelt, eben damit die wesentliche
Tugend und wahre Grundlage der Sittlichkeit, der Bildung
des Willens zur Sittlichkeit wie der
Erkenntniß und des Ge
fühls des Sittlichen, und daß sie eben so damit die Grundlage
der Religiosität entbehrt;
Daß in unserer Zeit die Folgen des Mangels an Rich
tung auf das Höhere, auf Herausgehn aus der Individualität auf Anschließung an die höhere Ordnung sich Mangel an Gehorsam, an Scheu,
namentlich
an Demuth,
in
an Beschei
denheit verkünden;
Daß bei allen Fortschritten des
öffentlichen Lebens und
der politischen Ansicht in unserer Zeit dennoch
Gewinn und
Verdienst zweifelhaft bleibt, wenn wir nach den zwei Bedin gungen, politischer Tugend und Schärfe und Gründlichkeit des
Urtheils, fragen, wenn wir von dem Gewinn politischer Auf klärung und Erregung den Nachtheil der neuen Irrthümer und
der Erfüllung der Gemüther
unberufenen
von
anmaßlichen
Urtheilen und von Leidenschaftlichkeit abziehn, wenn wir erwä
gen, wie wenig Fähigkeit, Maß, Takt, Ausbildung, Weisheit gerade jetzt in dem öffentlichen Leben zu Tage gelegt wird, wie namentlich in Frankreich und England die Angelegenheiten
immer mehr sich verwirren und das Gedeihn des constitutionel-
len Lebens immer zweifelhafter wird,
wie wenig gesichert das
neue Leben ist, wie theuer die Bewegung der Zeit bezahlt wird, worauf wir unten zurückkommen; Daß, so wie in der Abwendung von dem Höheren,
von
Ernst und Strenge, von Schärfe, so wie in der ganzen Rich
tung der Geistesbüdung, so auch in dem gegenwärtigen Zustande der philosophischen und christlichen
Religionslehre unsere Zeit
nicht auf dem Wege der Förderung religiöser Bildung ist; Daß, wie zunächst aus dem Vorstehenden folgt, in Wis-
211 senschaft und Kunst der Bildung unsere Zeit, das rechte Ziel überall nicht sieht und nicht verfolgt; daß sie statt der höheren
Bestimmung des Menschen die Zwecke des äußeren Lebens zum Ziele setzt;
giebt,
daß
sie damit dem Willen
die falsche Richtung
so wie sie in der Ausbildung des Denkvermögens das
Streben auf einen falschen Glanz richtet statt auf Schärfe, Wahrheit und Bestimmtheit;
Schauder
daß sie voll Verblendung,
erregender Hastigkeit,
ohne Ahnung
mit
einer Gesichr
oder der Schwierigkeit, nach ihrer irrigen Ansicht das Werk der Bildung umgestaltet und dem
Gange der Bildung eine neue
Bahn giebt; daß die Gegenwart und die Zukunft an dem Sinne,
dem Geiste der Welt, welche die Hochschule der Bildung ist und
seyn muß, nicht eine gute Schule hat;
daß unsere Zeit mehr
zur Virtuosität und zur Verkünstelung, nicht zu dem tiefen,
durch Einfachheit das Rechte treffenden Blicke erzieht;
daß sie
zu viel lehren will; daß sie mehr fremden Gedanken zu folgen
als zu denken gewöhnt; daß sie durch Verkümmerung das Stu.
dium der griechischen und römischen Literatur, durch krasttödtende Ueberhäufung mit Sachkenntnissen, und vielleicht ist auch hinzuzusetzen dnrch unangemessene Begünstigung des mathema
tischen Studium als allgemeinen Bildungsmittels,
einen ent
scheidenden Rückschritt in der Bildung zu thun im Begriffe ist.
Fassen wir nun diese Züge in Ein Bild zusammen, und verbinden wir damit die Bemerkung,
wie wenig Großes
und
Edles, in Vergleich mit dem, was namentlich unser Deutsch land in der zunächst vergangenen Zeit erzeugte, unsere Zeit in
dem leistet, worin doch am meisten der Geist sich offenbart,
insonderheit in der Poesie gleichwie in der Musik, so gelangen
wir zu einem höchst ungünstigen Ergebniß über den Stand
punkt, die Richtung und den Gang der Bildung unserer Zeit. Ganz anders ist aber die Ansicht, welche im Perkehr mit un
serer Zeit selbst sich uns aufdringt,
und von welcher wir alle
14»
212 uns mehr oder weniger nicht losmachen können.
Denn ein Irr
thum, den wir urtheilend erkennen, behält doch oft noch seine
Gewalt in dem Eindrücke der Erscheinung.
Der Schein, der
einmal in unserer Vorstellung sich erzeugt hat, weicht nicht im
mer vor der richtigeren Einsicht, die wir wirklich fassen mögen; er ist nie von dem Urtheile zum Theil unabhängiger Eindruck;
und wissend, daß es nur Schein, nicht Wahrheit sey, können wir uns doch nicht von seiner Täuschung losmachen.
Wenige mögen freilich sich die Hoheit der Bildung des
Volkes deutlich und lebhaft vorgestellt haben, dem schon in den
Träumen der Kindheit die Kunst und die Wissenschaft und die
Anmuth als Gottheiten erschienen waren,
welchen es immer
opferte; das in weit zurückliegender Zeit der ersten Jugend Ge sänge sang und als Volksbildung aufnahm,
die Bewunderung der Welt sind;
welche noch
jetzt
unter welchem Kunst und
Wissenschaft entkeimten und hoch aufwuchsen, Kunst, Sprache,
Rede, Gedanke zu nicht wieder erreichter Höhe sich erhoben; dessen Bildung auf Gymnastik
des Denkens und der Rede,
auf Kunst und Philosophie, auf dem Streben nach der Schön heit,
der Geniessenheit, der Zierlichkeit und
der
Vollendung
ruhte; bei welchem die treffende Kürze der spartanischen Rede kaum weniger Bewunderung verdienen möchte, als die Be-
redtsamkeit der Athener; unter welchem die Hymnen des Pin-
dar und die Dramm des Aeschylus und des Sophokles nicht bloß entstanden, sondern auch zum Leben und zur Bildung des Volkes gehörten, bei welchem die Kunst der Rede sich bis zur
Verschmelzung mit der Musik verschönte, Tanzkunst wie Mu
sik, durch Vereinigung mit der Poesie zu ernster Kunst ver edelt, nicht zu unwürdigen Kunststücken oder leerem Treiben herabgesetzt wurden; unter welchem der gesellige Kreis durch
Spende und Gesang dem weihte;
edleren
Streben des Geistes sich
wo in einem Zeitalter der enge Raum Einer Stadt
213 Sophokles, Euripides, Aristophanes,
Anaxagoras, Sokrates,
Plato, Was, Herodot, Thucydides, Xenophon, Phidias, Polygnot, Zeuxis, Aspasia und Diotima und zahlreiche ihnen na he stehende Genossen in sich schloß; in welchem nicht bloß So
krates, Plato und Aristoteles in der Richtung auf das innere Leben des Geistes und in dem Durchdrungenseyn von dem Wer
the dieses höheren Lebens groß waren.
Wenige mögen mit
jener das Innerste des geistigen Wesens
ergreifenden Bildung
der Griechen die todte Ausstattung unserer Zeit mit Kenntnissen,
wenige mögen etwa mit einem Symposion zu Athen, wie doch nicht bloß Plato und Tenophon sie gedichtet haben, sondern die Wirklichkeit sie gehabt hat, mit seinen Weihungen und Gesän gen vor und nach der Malzeit und mit seinen philosophischen Gesprächen und seinen Tänzen ein Gastmal der heutigen Welt,
oder mit einer öffentlichen Verhandlung, wie wir sie bei Thu cydides lesen, eine diplomatische Note unserer Zeit, oder ande res aus beiden Zeiten streng und scharf verglichen haben.
Al
lein selbst wer die griechische Welt kennt und schätzt, der wird doch, unabhängig von seinem Urtheile, eines Bildes sich kaum
erwehren können, in welchem hinter unserer Aufklärung,
seren Erfindungen,
un
unseren Fortschritten der Civilisation die
Bildung der Griechen und Römer weit zurücksteht.
Wie nun
das Ausgezeichnetste der Vorzeit nicht zu seinem Rechte in un seren Vorstellungen gelangen kann, so
erscheint vollends im
Vergleiche mit andem weniger hoch stehenden Völkern und Zei
ten der Vergangenheit die Gegenwart in einem Glanze, wel
cher dem oben zusammen gestellten Ergebnisse genauerer Be trachtung der Bildung unserer Zeit keineswegs angemessen ist. Sieht uns nicht die Gegenwart aus, als erblühe erst in ihr
eine Kraft und Ausbildung des Geistes, eine Verfeinerung des Lebens, der Art und der Erscheinung des menschlichen Geschlechts,
von welcher alle Vorzeit weit, weit entfernt gewesen sey?
als
214 entwickele sich erst seit gestern das menschliche Geschlecht zu ei
nem solchen, welchem wir uns näher verwandt fühlen können ?
Vergebens sagen wir uns, daß in allen dm Leistungen des
Geistes, wo die schöpferische Kraft des Genius vorzugsweise sich kund thut,
haben,
andere Zeiten ohne Vergleich Höheres erzeugt
als die unsrige.
Niemand
verkennt es,
daß un
sere Zeit nichts hat, was auch nur von fern den Schöpfungen des Homer, Pindar, Sophokles, Dante, Ariosto,-Cervantes,
Shakespeare, Göthe, oder den Werken des Plato, Demosthe
nes, Cicero,
oder des Phidias,
oder des Raphael und seiner
Zeitgenossen, oder Pergolese's und Mozart's gleich käme. Nie
mand vermag es zu läugnen, daß unsere Zeit nichts Aehnliches
hat, wie jene hehre Schöpfung der Griechen an Gedanken und Kunst, wie jener Schwung der Geister in Erregung für das
Bildungsstreben im fünfzehnten Jahrhunderte, selbst nicht ein
mal wie jene Verfeinerung der Bildung in der Zeit Ludwig des Vierzehnten.
Und dessen ungeachtet scheint uns über die
Zeiten, in welchen der Geist so hohe Stufen erreichte, in Bil dung weit emporzuragen die Zeit, welche nichts Aehnliches er
zeugt und seit einem Menschenalter namentlich in Poesie und
Musik und durch Hervorbringung und Aufnahme einer ver
worfenen
Literatur einen ungeheuren Verfall zeigt.
Immer
erhebt sich unsre Zeit weit über die letztm Menschenalter, diese
Zeit reich an hohen Namen, denen unsere Zeit nichts zur Ver gleichung entgegen zu stellen hat, über die Zeit, in welcher die Ideen erzeugt und ausgebildet worden sind, auf deren Ver
breitung und Geltendmachung unserer Zeit stolz ist.
Und je
weiter zurück, desto dunkler erscheint uns die Welt in Ver gleich mit der Helle der Gegenwart.
Das Mittelalter erscheint
Ich will es nicht preisen,
aber diese
unbeschränkte Bezeichnung als schlechthin barbarisch,
diese tiefe
uns nur als Barbarei.
Stellung in Vergleich mit unserer Zeit sollten wir ihm doch
215 nicht geben, wenn wir etwa auf die poetischen Bestrebungen des Abendlandes und den einzigen Dante, oder auf die herr
lichen Werke der Baukunst, Zeit,
oder auf die Philosophie Mer
die mir nun hinter der neuesten Philosophie doch nicht
so unermeßlich weit, als diese glaubt, abzustehn scheint,
oder
auf Wissenschaft und Kunst und den Glanz des Lebens in den Landern,
wo
Blick werfen.
arabische
Herrschaft
hingekommen war,
den
Eben so möchte aus der alten Zeit ein Indier
oder Perser oder Phönizier,
oder Aegypter oder Karthager,
nach einer richtigen Abschätzung seiner Bildung und der unsri-
gen, höher zu stellen seyn als es uns jetzt scheint.
Die Be
hauptung aber, daß irgend eine Bildung der unsrigen gleich,
wohl gar über ihr gestanden habe, würde den Meisten Thor-
heit und Frevel dünken.
Rein Thorheit,
scheint ihnen nur
die Frage, ob jetzt wirklich größere Schärfe des Denkens, ein gediegeneres Urtheil gefunden werde, als in der Zeit des Dante
oder im fünfzehnten Jahrhunderte
Um unsere Ansichten von dem Werthe unserer Bildung an sich und in Vergleich mit der Bildung früherer Zeiten zu
läutern, haben wir außer der genaueren Betrachtung dessen, was denn nun als Fortschritt und Fortschreiten unserer Zeit
in der Bildung zu rühmen seyn möchte, uns die Ursachen der
Täuschungen klar zu machen, welche sich in die Vergleichung der Bildung der Gegenwart und der Vergangenheit einzudrän
gen pflegen.
Täuschung hierin müssen wir schon voraussetzen, weil wir
wissen, daß das Nahe stets größer erscheint als das Ferne, und hier nicht Gewöhnung erworben werden kann wie bei dem
Sehen.
Insbesondere aber wollm wir uns erinnern, daß na
mentlich Erfindungen nicht mehr groß erscheinen, sobald es un
serem Gedächtnisse nicht mehr lebhaft vorschwebt, wie es war, da wir sie nicht hatten.
Daher imponiren uns die neuesten
216 Erfindungen,
nicht die deS Lumpenpapiers,
der Vergrößerungsgläser und Fernröhre,
des Kompasses,
des Schießpulvers,
der Buchdruckerkunst. Vielleicht ist nie eine Zeit ohne die Vorstellung von dem
Verfall der Zeit gewesen.
Fürs erste, weil das größer erscheint
was naher ist, müssen den Tadlern die Mängel der eignen Zeit als die größten erscheinen, wie von der andern Seite denen,
die einmal mit ihrer Zeit zufrieden sind, der eignen Zeit sich größer darstellen;
scheinen
auch die Verdienste
oder auch denselben er
sowohl die Mängel und Sünden als auch die Ver
dienste und Tugenden der Gegenwart größer als die der Ver gangenheit.
Ferner bildet sich gegen die eigene Zeit leicht ein
Widerstreben und ein befangenes, nicht gerechtes Urtheil bei de nen, welche mit ihrer Bildung vergangenen Jahren angehören,
und welchen an Neues sich zu
gewöhnm unbequem und
das
Neue schon darum nicht willkommen ist, weil die Jüngeren
sich damit über sie zu erheben scheinen, und weil sie das Alte, das verdrängt wird, als ihre Sache ansehn.
Aus gleichem
Grunde aber läßt wiedemm die neue Zeit gewiß nie der alten ihr Recht widerfahren; sie erhebt sich allemal über das Sonst.
Die der neuen Zeit angehören, die selbst die neue Zeit Hervor
gemsen haben und sie bewegen, müssen das Neue für das Rechte halten, denn darum haben sie selbst das Neue so und nicht
anders gestaltet; sie müssen das Neue lieben, denn es ist ihr Werk und ihnen gehörig; und wenn sie dem Alten in Ver gleichung mit dem Neuen nicht sein Recht widerfahren lassen,
so ist es nicht anders, als wie immer die Menschen in Ver
gleichung fremder Eigenschaften mit den eigenen nicht unpar teiisch sind.
Die Zeit kann so wenig wie der einzelne Mensch
mit Unbefangenheit über sich selbst urthellen.
In dem Urtheile
der Zeit über sich selbst überhaupt aber ist von jenen zwei entgegengesetzten Befangenheiten, der Mißbilligenden und der
217 Billigenden,
die der letztem die vorherrschende und das gün
stige Vorurtheil das überwiegende,
kommende
Charakter nur darum
weil er vorherrscht.
da ja eben der in Frage
Charakter
unserer Zeit ist,
Es kömmt hinzu, daß, bei der verschie
denen Ausdehnung des Begriffes unserer Zeit,
in den Zügen,
welche einen früheren Ursprung haben, die Aelteren selbst zu unserer Zeit gehören und darum
sich zur Ueberschätzung der
Zeit mit den Jüngeren vereinigen. lige des Neuen und Jungen
Ohnedieß hat das Gefäl
seine Gewalt
auch über die
Aelteren. Die Begünstigung des Neuen ruht zunächst auf der Un
gunst des Alten.
Die Mängel des Alten sind eben darum,
weil es alt ist, erkannt und gefühlt worden.
Ein Verlangen
nach Beseitigung dieser Mängel kömmt daher allem Neuen
begünstigend entgegen.
Nun hat auch das Neue leicht eine
Seite, von welcher es wirklich das Bessere ist; und da natür lich die Beseitigung der längst gefühlten Mängel mebr heraus
tritt, als die Behaftung mit einer noch nicht gefühlten Man
gelhaftigkeit, so wird das Neue leicht von dieser besseren Seite
angesehn und darum scheint es überhaupt das Bessere zu seyn. Ferner hat die Neuheit an sich ihren Reiz im Gegensatze gegen
das Alte, wie das Modische als Modisches reizt und selbst als das Schöne erscheint.
Die Empfänglichkeit für den Eindruck
wird durch die Gewohnheit des Eindrucks abgestumpft, und bedarf neuer Weise der Erscheinung, um gereizt zu werden.
Aber auch schlechthin, selbst wenn es uns nicht reizte, hat das Neue als Neues den Vorzug.
Die Neuheit ist einmal dem
Menschen lieb und giebt einen Schein der Trefflichkeit.
An die Gewalt der Neuheit schließt sich die Gewalt der Mode; denn ein anderes allgemeines Wort für diesen Begriff
hat die Sprache nicht.
Das Modische hat selbst wieder seine
Gewalt zum Theil von dem Reize der Neuheit; aber das
218 Wesen der Mode ist, daß sie als Federung der Zeit oder durch
die Gunst der Zeit imponirt.
Das Modische ist zugleich das
Neue und auch das, was im Besitz der Anerkennung ist, schon eine Gewohnheit, aber die neue Gewohnheit.
begünstigt
oder
was
fodert,
allgemein gilt,
Was die Zeit imponirt uns.
Durch die Mode erhalten die Gegenstände selbst in den Augen der Tadelnden doch ein Ansehn der Zierlichkeit, des Geschmacks,
der Schönheit,
der Verfeinerung,
der Bildung.
Niemand
kann sich der Gewalt zu blenden dessen entziehn, was der Sitte
und Gewohnheit des Tages, dem Geiste der Zeit angehört.
Auch wer die Nichtigkeit des Modischen einsieht, dem macht es
doch einen Eindruck, als ob es ein Recht hätte.
Und vielleicht
hat zu keiner Zeit die Mode so große Gewalt gehabt als jetzt, in Folge des Uebermaßes der Bewegung, der Geringschätzung des Alten, der Begierde nach Neuem und nach Aenderung, wie
auch die Mode in den Kleidern vielleicht nie so schnell gewech selt hat als jetzt.
Diese Gewalt der Mode über unser Urtheil
nun beschränkt sich nicht auf das, wo nur Geschmack herrscht,
sondern sie dehnt sich auf alles Urtheil aus.
Auch in der Lite
ratur wie im Leben giebt es eine Herrschaft der jetzt gewöhn
lichen Art, welche eben so sehr für das Trefflichere unempfänglich macht und dem Geringeren, Nichtswürdigen Eingang verschafft,
als es die Leistung selbst von dem Trefflicheren abzieht und
nach Werthlosem wendet.
So herrscht auch Geschmack, Styl,
Mode in dem, was uns als Bildung erscheint.
Weiter geht nicht bloß aus dem Reize der Neuheit und dem Jmponirenden der Mode Täuschung über den
wahren
Werth der Dinge hervor, sondern schon Nähe und Ferne der
Gegenstände, ferner Gewöhnung und Verwöhnung entscheidet über unser Urtheil.
In das, was uns fern liegt, was unserer
Gewöhnung ftemd ist, können wir uns nicht hinein fühlen, nicht hinein denken.
Unsere Bildung ist die Form unseres
219 Denkens, die wir nicht verlassen können.
Unsere eigene Bil
dung ist für uns das Licht, mit welchem wir die Außenwelt
beleuchten.
Und hierbei muß man sich erinnern, wie sehr die
äußere Erscheinung, die mehr in der Mode ihre volle Geltung hat, über die Anerkennung des wesentlichen Werthes entscheidet, die weniger abhängig von der Mode zu seyn scheint.
So wie
wir uns mit dem Bilde des größten Geistes in einer Allongen perücke nicht befreunden, diesen Mann nicht als unserer Art,
nicht als unseres Gleichen betrachten können, welche hohe Vor
stellung wir auch von seiner Bildung haben mögen, und wie des schönsten und li-benswürdigsten Weibes eines vergangenen
Jahrhunderts Anmuth und Schönheit in ihrem Bilde zu sehn
und zu fühlen der hohe steife Haarputz und die ungewohnte Kleidung uns hindert, so übt auch Verschiedenheit der Weise
und der Sprache eine Gewalt, welche unsere Empfänglichkeit
für den Gedanken aufheot.
Noch mehr als in Dünkel und Selbstsucht liegt der Grund, warum immer jedes Volk, schon das griechische, den fremden
Völkern in Vergleichung ihrer Bildung mit der eigenen Unrecht gethan hat, in der Unempfänglichkeit für Erscheinungen und Eindrücke, für welche unser Gefühl, unser Blick, unsere Bil
dung nicht vorbereitet ist.
Neues wird begehrt, aber die Auf
nahme der Erscheinung, der Eindruck muß vorbereitet seyn.
Wir müssen mit dem Geiste und der Art dessen durch Umgang
vertraut worden seyn, was wir recht verstehn sollen.
Es ist
nöthig, in fremden Geist, fremde Weise sich hinein zu denken
und zu fühlen.
Am klarsten wird dieß jedem bei der Sprache
seyn, deren Worte und Wendungen
und Beugungen
einen
Charakter und einen Ausdruck haben, welcher nur bei Vertraut
heit mit ihrem Gebrauche in einer bestimmten Zeit recht gefaßt werden kann.
Schon deshalb gehört auch die Poesie hierher,
und alle Literatur, so weit sie in der Sprache ihren Geist und
220 ihren Charakter hat.
Es gehört aber überhaupt alles hierher,
worin der Geist sich ausspricht.
Wer am meisten von der
Herrlichkeit einer Pindarischen Hymne oder einer Tragödie des
Aeschylus ergriffen wird, hat doch gewiß noch lange nicht das
volle Verständniß ihrer Bedeutung und ihrer Schönheit.
Nie
mand fühlt die griechische Sprache wie seine Muttersprache, wie die Griechen sie fühlten, gleichwie wohl niemand das grie
chische Metrum fühlt, niemand
griechische Musik so fühlen
würde, wie die Griechen sie fühlten.
Der Geist der Musik ist
schon dem nächsten Menschenalter schwer zu fühlen, ja dasselbe
Geschlecht wird unempfänglich für das, wovon es früher gereizt wurde.
Der Grund ist zunächst, weil wir nur durch vertraute
Bekanntschaft das Verständniß empfangen, also Sinn und
Charakter des Ungewohnten weniger vernehmen.
Hierzu kömmt
aber noch, daß die Verwöhnung an eine bestimmte Weise, an einen bestimmten Geschmack und Styl uns unempfänglich für
andere Weise macht, insbesondere die Verwöhnung an das Verkünstelte und an Unnatur unempfänglich für das Einfache, Natürliche, Reine. Am meisten tritt freilich diese Unempfänglichkeit für das Fernliegende hervor bei dem, wo theils mehr Geschmack als
bestimmtes Urtheil nach Gründen entscheidet, theils erfoderlich ist, sich in die Weise fremder Zeiten hinein zu fühlen, wo über-
Haupt das Gefühl entscheidet.
Aber fürs erste beschränkt dieß
sich nicht etwa bloß auf das, wo Willkühr volles Recht hat. Der Abhängigkeit des Kunsturtheils und des Kunsteindrucks
haben wir schon gedacht.
Und nicht minder hängt in Bezie
hung auf das Sittliche unsere Vorstellung und unser Urtheil von dem Herkommen und von der Gewöhnung ab.
Denn
nur die Formel des Sittengesetzes, nur die Vorschrift sittlich zu seyn ist durchaus in der Vernunft gegründet.
Die Frage,
was sittlich sey, ist kaum weniger abhängig von der Convenienz,
221 als die Bestimmung, was Rechtens sey, von der Willkühr des Herkommens und der Gesetzgebung abhängig ist.
Es er-
innett uns daran, daß auch im Physischen der Ekel von un
serer Vorstellung und die Vorstellung von Gewöhnung abhangt. Daß in Kleidung und Rede der Anstand und selbst die Scham
haftigkeit nach der Convenienz der Völker und der Zeiten zu
beurtheilen ist, fallt in die Augen.
Allein auch die Güte und
die Pflicht gegen Andre ist nicht minder abhängig von her kömmlicher Vorstellung. ders aus als uns.
So sah Feigheit den Alten ganz an
Dem Vaterlande die Selbstaufopferung
verweigern ist in unseren Zeiten nicht solche Entwürdigung wie in alten Zeiten.
Die Tugenden selbst haben verschiedenen Werth
zu verschiedenen Zeiten. Was dieser Zeit natürlich und menschlich
scheint, ist jener roh und grausam; die Handlung des älteren Brutus wäre jetzt eine ganz andere als im alten Rom.
Was
der einen Zeit einfach scheint, ist der andem einfältig.
Ferner in Hinsicht auf geistige Bildung können wir noch
weniger als in Hinsicht auf Sittlichkeit aus der uns eigenthümlichen Art herausgehn.
Was wir hierin haben, erscheint
uns so sehr als das Wesentliche der Bildung, als so unerläßlich, daß Besitz oder Mangel hierin unser Urtheil über ftemde Bil dung entscheidet, wogegen das, was uns fehlt, nie als so
dringend nöthig erscheint.
Das Vorurtheil gegen das, das uns
fern steht, ist weit größer in Beziehung auf die geistige Bildung als auf die Sittlichkeit.
Wir setzen bei dem, was uns fern
liegt, weit eher einen Vorzug in der Tugend, als eine der
unsrigen gleich kommende geistige Bildung voraus.
Wo auch
bloß der Verstand in Anwendung kömmt, nicht eigentlich Ge schmack und Gefühl, da können wir doch nur dem Jdeengange recht folgen, für welchen wir vorbereitet sind.
Dieß ist vor
Allem an der Wissenschaft aller Wissenschaft sichtbar. dringen schwerer in die Philosophie älterer Zeiten ein.
Wir
Und je
222 mehr unsere Philosophie das Räthsel der Welt zu lösen glaubt und die Erkenntniß des Wesens der Dinge im tiefsten Grunde
und im Zusammenhänge
erfassen will, desto
unzugänglicher
wird für den, dessen philosophische Bildung auf einem solchen Systeme sich gründet, alles was die frühere Welt außerhalb
dieses Systemes philosophirt hat.
Je mehr die Philosophie als
Uebersicht eines wissenschaftlichen Ganzen erlernt wird, desto mehr verliert sich das Verständniß der Schöpfungen früheren
Philosophirens.
Wenn man nicht sagen will, daß Plato und
Aristoteles uns schwerer verständlich seyen, als neuere unendlich
weniger klare Systeme, so muß man doch einräumen, daß wir
bei ihrem Vergleiche mit diesen schwerlich ihnen ihr Recht wi derfahren lassen können, schwerlich schon in der Beurtheilung der Lehren und des Scharfsinns, wobei wir immer nach unserer
philosophischen Ansicht messen, noch schwerer in Beurtheilung des Werthes und des Verhältnisses zur Geistesbildung.
So
sehr wir auch in aller Vergleichung unserer Bildung mit der Bildung entfernter Zeiten irren, so doch vielleicht auf keiner
Seite so sehr, als in der Vergleichung unserer Philosophie mit älterer Philosophie.
Vielleicht möchte keine Frage, um nicht
an eine Behauptung zu denken, größeren Anstoß geben, als diese, ob man etwa sagen könne, daß die neueste Philosophie nicht weniger des Irrthums habe als die frühere, und nicht
mehr Schärfe des Philosophirens, daß seit Kant die Philosophie nur zurückgeschritten sey, und daß ein tiefer Stand der Bildung in nichts so sehr sich offenbare als in unserer Philosophie.
Und wie wir Werth und Verdienst der Vorzeit schwer
erkennen,
so werden wir auch durch Verwöhnung unfähig,
Fehler und Unwerth der Gegenwart zu sehn.
Fehler, die zu
allen Zeiten wiederkehren, sehn wir doch nur an dem Alten,
nicht an dem Neuen.
In der Gewöhnung oder Verwöhnung
des Geschmacks erscheint uns nur an der Vorzeit Unnatur,
223 Ungeschicktheit, Rohheit als unnatürlich, ungeschickt und roh, nicht aber an der Gegenwart, an die wir gewöhnt sind.
So
sehn wir Steifheit und Unnatur bloß an Trachten und Sitten
So finden wir Pedantismus nur an dem
der Vergangenheit.
Geiste der vergangenen Zeit, und insbesondere an dem, was aus dieser Zeit bis auf uns herüber gekommen ist.
überall, wo Einseitigkeit ist,
Er ist aber
entweder in Verfolgung eines
Zweckes, worin das wahre Verhältniß des Werthes verkannt
und der minder wesentliche Zweck dem wesentlicheren vorgezogen wird, oder in der strengen Befolgung des Buchstabens einer
für allein gültig gehaltenen Methode.
In der Betreibung aller
anderen Unterrichtsgegenstände kann so viel Pedantismus seyn, wie in der philologischen, und in der jüngsten Methode so viel
wie in der alten.
Und da Pedantismus vorzüglich in Unnatur
und Verkünstelung liegt, so scheint es, daß er in der neuen
Zeit, welche doch in allem Alten Pedantismus sieht, nur wachse und wachsen werde.
Nichts ist pedantischer, als die Ansicht,
daß alles in der Schule und schulmäßig gelehrt, daß alles regelmäßig eingeübt werden solle, nichts pedantischer als die
Uebcrhäufung
der
Schulen
mit Unterrichtsgegenständen,
die
Erfodcrung zu vieler Kenntnisse auf Kosten der Erkenntniß. Das Bild, das wir uns von dem Ganzen der Bildungs
geschichte des menschlichen Geschlechts entwerfen, wird ferner
durch die Täuschung besonders entstellt, welche uns die Erzeug
nisse und Spuren der Bildung ferner Zeiten immer als einzeln stehend, als einzelne Lichtpuncte auf dunklem Grunde erscheinen
läßt, die Gegenwart hingegen wie durchaus erleuchtet.
Aber
alles Werk der Bildung ist nicht wie ein erleuchteter Punct,
der die Dunkelheit der Umgebung nur desto greller erscheinen läßt, sondcm es ist gleich einem leuchtenden Puncte, der nicht ohne Erleuchtung der Umgebung gedacht werden kann.
Und
dieß in doppelter Hinsicht: nicht bloß daß dieses Punctes Licht
224 auch wieder die Umgebung erleuchtet, sondern auch keine Bil
dung entsteht einzeln, ihr Licht muß sich an anderem Lichte entzündet haben; ja es zeugt jedes Werk auch darum schon von seiner Zeit, weil es nicht entstanden seyn würde, wenn
seine Aufnahme nicht vorbereitet gewesen wäre, denn alle Leistung wird durch die Empfänglichkeit der Zeit bestimmt.
Und
so ist jedes einzelne Werk sicherer Beweis von der Bildung des Volkes und der Zeit, in so weit nicht ein einzelner Geist
mit seiner Bildung ganz der Vorzeit oder dem fremden Volke
angehören könnte.
Aber in dem meisten, und namentlich in
dem, was Zeugniß vom Geiste giebt, gehört jeder seiner Zeit
und seinem Volke an, vor allem in der Sprache.
An einem
Dante oder einem Cervantes kann man ihre Zeiten messen, und wie ganz anders erscheinen dann diese Zeiten! Andere Quellen der Täuschung bei Beurtheilung entfernter Zeiten und bei ihrer Vergleichung mit der Gegenwart sind in dem zweiten Abschnitte dieser Blätter schon erwähnt worden.
Mit dem Verdienste der Zeit ist ihr Besitz nicht zu vermischen. Das Verdienst der Zeit beruht nicht auf dem, was sie besitzt,
sondem auf dem, was sie selbst erzeugt.
Und wieder im Besitz
ist der Reichthum, der ungenutzt, unverstanden und ungefühlt da liegt, zu unterscheiden von dem, was in uns lebt und wirkt; was nicht in unseren Geist eindringt und nicht lebendig in uns
wirkt; womit wir uns vielleicht gar nicht einmal beschäftigen,
das haben wir nicht, das ist nicht für uns da.
Insbesondere
ist die Aussicht für die Zukunft nicht nach dem zu fassen, was
in der Zeit vorhanden ist, sondem bloß nach dem, was von der Zeit erzeugt wird, oder doch in ihr wirklich lebt.
Denn
nur hierin hat die Zeit ihre Richtung, und nur dieß bildet sich fort; was bloß vorhanden ist, wird leicht verloren gehn.
Endlich der Irrthum, welchen falsche Schätzung des Wer thes der einzelnen Erscheinungen der Bildung über alle Beur-
225 Heilung der Bildung einer Zeit verbreitet, dringt vorzugsweise
in die Vergleichung der Gegenwart mit der Vergangenheit.
Denn mit dem, was durch Glanz, obgleich werthloser, das Werthvollere überstrahlt, blendet die Gegenwart mehr als die
Vergangenheit; die Fortschritte der Gegenwart fallen mehr in die Augen, der Schimmer des Nahen strahlt mehr.
Und von
diesem Standpuncte aus zunächst sind die Fortschritte unserer Zeit zu betrachten.
Niemand wird zugeben, daß er in seinem Urtheile das
Wesentliche dem Unwesentlichen,
das Innere dem Aeußeren,
den Werth dem Glanze nachsetze.
Und doch ist jeder, selbst in
Widerspruch mit seinem eigenen Urtheile, der Macht eines Ein drucks unterworfen, welcher mit dem wesentlichm Werthe der
Dinge nicht in Verhältniß steht.
Von dem Eindrücke der
günstigeren oder ungünstigeren Erscheinung kann niemand sich losmachen, und die Erscheinung entspricht in Glanz und Ein druck keineswegs immer dem Wesen und dem Werthe.
Es ist
in der Rangordnung, nach welcher die Bildung geschätzt zu
werdcn pflegt, vielleicht nicht weniger Vorzug des Unwürdige ren vor dem Würdigeren, als in unseren Hofrangordnungen;
und der Rang, den die allgemeine Meinung jedem anweist, findet überall seine Anerkennung.
Abgeschliffenheit und Politur
haben immer den Vortheil der Erscheinung.
Politur, Gewandt
heit, Weltton, vornehmer Ton, aller Glanz der äußeren Er scheinung imponirt uns allen.
Das Aeußere hat schon darum
den Vorzug, weil es am meisten erscheint und daher leicht
erkennbar ist.
Civilisation und Cultur der Völker ist leichter
zu erkennen als die Stufe ihrer Bildung.
So weit tritt die
äußere Bildung vor der inneren vor, daß sie wohl vorzugs weise Bildung genannt wird.
Wer auch dem mit Wissenschaft
so reich ausgestatteten wie in Sittlichkeit durch Zaetsinn und Gefühl und Urtheil ausgezeichneten Manne den Preis höheren 15
226 Werthes ertheilt, wird doch daS Lob der Bildung nicht um dieser Eigenschaftm willen aussprechen, wohl aber es dem Manne
von ausgeglätteter Erscheinung zutheilen, wäre er auch minder
ausgestattet mit Wissen, Kunst, sittlichem Urtheil und Sinne.
Dieser Mißstand wird um so auffallender, wenn man bemerkt, daß, was für Bildung in diesem Sinne gilt, großentheils nur
Erfoderniß der Convenienz, nur willkührliche Manier ist, daß es nur darum gilt, weil es gerade jetzt und gerade hier als
Ton ausgenommen ist, daß der Gewandtheit und Abgeschliffen heit der Weltleute oft der Verstoß gegen die wahre gute Sitte,
auch des Betragens, recht nahe liegt.
Ja was gar nicht zur Bildung, nicht zur Vervollkomm nung der Persönlichkeit, sondern nur zu Cultur und Civilisa
tion, zur Verfeinerung
und Erhöhung des
äußeren Lebens
gehört, dringt sich mit überwiegender Gewalt in das Bild ein, das wir uns von der Bildung der Zeit machen.
Eine Zeit,
die in der Verfeinerung des äußeren Lebens weit fortgeschritten ist, die gar Dampfmaschinen und Dampfschifffahrt und-Eisen bahnen und Dampfwagen hat, scheint uns höher in Bildung
zu stehn, als eine Zeit, die dieß nicht hatte, wäre sie auch die geistreichste und sittlichste gewesen. Gewiß wird niemand urtheilen, daß die sittliche Bildung
weniger hoch zu stellen sey, als die Ausbildung der Intelligenz. Und doch ist die Ansicht der Welt hierüber so verkehrt, und
der Eindruck überwiegenden geistigen Vermögens so viel stärker als der Eindruck der Tugend und Sittenreinhcit, daß vor der
Gewalt dieses Eindrucks auf jeden Einzelnen und bei der Ab hängigkeit der Ansicht jedes Einzelnen von der Ansicht der Welt kaum jemand frei von Täuschung bleiben möchte.
Ein gemeiner
Sprachgebrauch übersieht ganz die sittliche Bildung und bezeich
net mit dem Worte Bildung ausschließend nur die der Intelli genz und der äußeren Erscheinung, des Betragens.
Wessen
sittliche Grundsätze und Gefühle in der vollkommensten Ueber einstimmung mit der Vernunft stünden, und wer mit zartestem
Tacte immer das Rechte in der Sittlichkeit zu finden wüßte,
dem würde darum doch nicht hohe Bildung beigemessen werden, und dem, dessen Geist reich ausgestattet und gebildet ist, wird
der Ruhm der Bildung überhaupt nicht darum verkümmert
werden, daß seine Sittlichkeit vernachlässigt ist.
Ferner ist es nur zu allgemein, daß man bei Beurtheilung der Bildung der Intelligenz auf die Bereicherung in Kennt
nissen an sich zu hohen Werth setzt, das Mittel für den Zweck nimmt und davon geblendet zu untersuchen vergißt, was die Bedingung des Werthes des Reichthums an Kenntnissen ist, den Erfolg für die Veredelung der Persönlichkeit, für die Kräf
tigung und Verfeinerung des Geistes, die Tiefe und Wahrheit der Erkenntniß, die höhere Bedeutung des Gegenstandes.
Die
Unerläßlichkeit der Schärfe und Richtigkeit für den Werth des
Wissens und der Wissenschaft selbst wird aus den Augen gesetzt. Man glaubt an eine Schärfe ohne Wahrheit, an Geist ohne
Schärfe und Tiefe.
So erlangt falscher Schimmer, Spitz
findigkeit, Kühnheit, unächtes Ansehn geistreicher Darstellung
den Vorzug vor geradem, richtigem, verständigem Blicke, Vir tuosität und Gewandtheit vor dem tieferen Eindringen in das Innere, Leichtigkeit vor Gediegenheit.
Und den Kenntnissen
wird der Vorzug vor der Ausbildung der Urtheilskrast gegeben. Da nun die Eigenschaften unserer Zeit solche sind, welche sich vordrängen, und da aller falscher Schein der Gegenwart
mehr blendet als der der Vergangenheit, so erscheint immer die
Gegenwart in hellerem Lichte als die Vergangenheit. Wir haben oben in dem Abschnitte von der Kunst unserer
Zeit als ihren Charakter die Virtuosität gefunden, welche ins besondere in der Musik hervortritt.
Es ist dott bemerkt wor
den, daß technische Ausbildung und Virtuosität in der Musik
228 auf einen hohen Punct gesteigert worden ist, daß aber in glei-,
chem Maße das Wesen und die Tiefe dieser Kunst, die Kraft der Erzeugung großer und edler Musik und die Empfänglichkeit
für ihren tieferen Sinn sich verloren hat; daß also die Musik ungeachtet der Virtuosität tief herunter gegangen ist; daß in der Virtuosität selbst die wesentliche Ursache des Verfalles der Musik liegt; daß diese Virtuosität auch nicht die ächte ist, für
welche nur der Ausdruck eben des tiefen und tiefsten Sinnes
der Musik anerkannt werden muß und welche ganz mit der
tiefen Musik zusammenfällt; daß diese unächte Virtuosität den
Geist nicht nur des Vortrags der Musik sondern auch der Ton setzung unserer Zeit bezeichnet; endlich daß dieß der Charakter
nicht bloß der Musik, sondern überhaupt der Kunst unserer Zeit ist.
An diese Bezeichnung des Charakters unserer Musik
und aller unserer Kunst haben wir uns hier wieder zu erinnern,
weil sich keine treffendere Bezeichnung der Fortschritte unserer Zeit in der Bildung überhaupt finden möchte, in dem Ganzen
der Bildung wie in ihren einzelnen Seiten, in Philosophie und
Erziehung nicht minder als in der Kunst.
Dieser Charakter
herrscht in dem ganzen Leben und Wesen der Zeit, in der ganzen Richtung des Geistes und der Sittlichkeit, in unseren Einrich
tungen und aller Gestaltung der Verhältnisse, insbesondere in der Weise, wie man die Bildung zu fördern sucht, und in der Ansicht von der Bildung. der Beweis davon durchgeführt.
In dieser ganzen Schrift ist Die Virtuosität mit ihrer
Verderblichkeit ist ein Hauptzug in dem Charakter unserer Zeit, eine Hauptursache, warum in den Fortschritten unserer Zeit
mehr Verlust als Gewinn ist.
Wie jetzt die Musik von der
Virtuosität erstickt wird, so giebt es auch eine Virtuosität im Wissen, welche die Wissenschaft und die Erkenntniß tobtet.
Zn dem Fortschreiten unserer Zeit ist der Fortschritt selbst Verlust. Und es ist auch in der Bildung unserer Zeit eine falsche Vir-
229 tuosität, welcher die Fertigkeit im Höchsten der Bildung fehlt,
die Schärfe
und Klarheit des Denkens wie der Rede, die
Gründlichkeit, die
Gediegenheit, die Tiefe.
Zeit, wenn sie sich dieser Virtuosität freut.
Also irrt unsere
Das Bildungs
streben sollte sich zur Aufgabe machen, diesen Charakter der
Virtuosität wieder abzustreifen, um wieder zur Tiefe, zum
Wesentlichen der Bildung zu gelangen.
Denn es ist mit unserer
ganzen Bildung, wie mit der Musik, welche über der Virtuo sität vergessen wird, well man die Virtuosität für die Musik
selbst, das Mittel für das Ziel hält.
Unterricht in der Musik
ist nur darin Geistesbildung, daß er Musik, die trefflichsten
Werke, die wir haben, kennen, verstehn und fühlen lehre und daß er auf den Weg zu diesem Ziele führe, so weit er nicht
zur Erreichung selbst führt.
Aber bei uns ist Musik lernen ein
Instrument spielen lernen, dessen Uebung den Unterricht aus füllt, ohne zur Musik zu führen.
Die Bildung unserer Zeit
ist Geschick zu vielerlei, nicht Höhe noch Tiefe des Geistes.
Ein
anderer,
der Virtuosität gleich stehender Zug des
Charakters der Fortschritte unserer Zeit in Bildung ist das, was unsere Zeit für Geist hält, was aber, da es von der Schärfe und der Tiefe gefodert wird, ebenfalls nicht wahrhaft
Geist, sondern nur etwas Nichtiges, ein falscher Glanz und
für das Gedeihn des wahrhaft Geistreichen und wahrer Bildung zu Schärfe und Tiefe das größte Hinderniß ist.
Dieß ist schon
der Gegenstand eines besondern Abschnitts dieser Blätter gewesen.
Allerdings besitzt unsere Zeit Reichthum des Lebens, der
Bewegung und alles Thuns, Lebendigkeit, Fertigkeit, Gewandt
heit, Virtuosität; sie besitzt Eleganz und Reiz und Zmponirendes und Glanz der Erscheinung; sie besitzt vor Allem eine
Raschheit der Bewegung, welche in diesem Grade ihr eigen
thümlich ist und ihr ganzes Wesen bestimmt.
Aber nicht bloß
gleichzeitig, sondern als Folge jener Virtuosität und dessen was
230 fftr Geist gilt, ist sie von der Tiefe, von dem Wesentlichen der Bildung, von Emst und Strenge des Strebens, von der Richtung auf das Höhere, von der Sehnsucht nach Reinheit und Vollendung des Seyns und des Thuns zurückgekommen;
sie hat sich dem Leichtsinn, dem Blendmden, dem Unächten,
dem niederen und gemeinen Reize, der Gewalt der Mode, der
Ueberreizung ergeben;
sie ist in Oberflächlichkeit, Unklarheit,
Verworrenheit, in Erniedrigung gefallen.
So ermangelt sie
der Schärfe, der Klarheit, der Tiefe, der Gründlichkeit, der Gediegenheit; bei allem erscheinenden Geschick ermangelt sie des einfachen natürlichen Sinnes und Blickes, welcher das Rechte
trifft und ergreift; sie ermangelt des Aechten, des Edlen, des Großartigen, des Schönen, der Genialität, der Innerlichkeit, der Seele. Wir wollen noch einmal das Mittel der Bezeichnung
von der Musik hemehmen.
Wenn jemand die neueste Zeit in
ihrer Bildung für geistreicher halten wollte
als
die letzten
Menschenalter, so wäre dieß nicht anders als wenn jemand
sagte, Rossini sey geistreicher als Gluck.
In der That ist unsere Zeit frei geworden von Rohheiten, Befangenheiten, Vomrtheilen und Verwöhnungen ftüherer Zei ten.
Wir wollen hierin einen Vorzug unserer Zeit gem an
erkennen, ohne der Barbarei früherer Geschlechter entgegen zu stellen, was die neueste Zeit, etwa auf der pyrenäischen Halb insel, vielleicht ähnliches haben möchte.
Allein fürs erste ist
es wohl mehr ein ererbtes Glück als ein Verdienst unserer Zeit, daß sie von jenen Uebeln der Vorzeit frei ist.
Die Befteiung
gehört nicht der neuesten, sondern einer Zeit, mit welcher die neueste Zeit sich nicht zu dem Begriffe unserer Zeit vereinigen
möchte.
Unsere Zeit hat weder Tortur noch Hexenprozesse ab-
zuschaffen gehabt.
Nicht mit Unrecht ist dem achtzehnten Jahr
hundert der Beiname des aufgeklärten gegeben worden.
Wenn
man sich der kühnen Auflehnung des vorigen Jahrhunderts
231 gegen herrschende Vorurtheile und Befangenheiten erinnert, so wird man der Gegenwart nicht höhere Freisinnigkeit zuschreiben. Namentlich in der Erziehung, die uns am nächsten liegt, findet
sich in Rousseau und einer deutschen Partei, wie man auch sonst über sie urtheilen möge, doch gewiß eine Losreißung von
alter Befangenheit, über welche die neueste Zeit sich
nicht
erheben kann.
Ferner aber kann die Welt ohne Befangenheit nicht seyn.
An die Stelle der abgelegten tritt eine neue. Unsere Zeit erzeugt und befestigt Befangenheiten und Vorurtheile, welche zweifel
haft machen könnten, ob in dieser Beziehung gewonnen oder verloren worden sey, wovon in den vorstehenden Blättern
gehandelt worden ist: wie die alle Bildung zerstörende Richtung des Strebens auf einen Nutzen für das äußere Leben; die Befangenheit in der Verkünstelung aller Mittel, Einrichtungen
und Methoden, welche den Geist durch Formen, und Formen
von sehr zweifelhafter Angemessenheit, zu verdrängen sucht; die Befangenheit im Zuvielregieren, wie im Zuviellehren; die Ueberschätzung der Wichtigkeit der Staatsformm, vorzugsweise vor dem Geiste; wunderliche Mißverständnisse, wie über die Verantwortlichkeit der Minister und ähnliches, wodurch alle Ansicht verfälscht wird.
Die vorige Zeit hat der früheren Ver
wöhnung an Stillstand und Macht des Herkommens ein Ende gemacht, die jetzige gründet eine neue Verwöhnung, an das Uebermaß der Bewegung.
Es ist die zunächstvergangene Zeit,
welcher die Zerstörung der Vorurtheile gehört, die jetzige Zeit gründet neue und höchst verderbliche.
Sodann, wenn wir unserer Zeit Abstreifung von Mängeln der Vorzeit, aber wieder nie Zurückgehn in der Bildungskraft
zuschreiben, ist nicht zu vergessen, daß Bildung etwas anderes ist, als Abstreifung von Mängeln, wie die Tugend etwas
anderes ist als Freiheit von Untugenden, die Schönheit etwas
232 anderes als Verneinung der Häßlichkeit.
Der höchste Werth
ist nicht gerade, wo die wenigsten Mängel sind. Hierauf beruht wieder em anderes Moment in dem Urtheil über die Bildung unserer Zeit, daß nämlich das, was unserer
Zeit als Forschritt in der Bildung angerechnet werden möchte, den Werth der Bildung der Einzelnen weniger erhöht.
Denn
das Freiseyn von Mängeln ist nicht so sehr Werth des Ein zelnen, wenn er es mit seiner Zeit theilt, weil es nicht aus
seiner veredelten Seele, seinem Charakter und seinem Triebe hervorgeht, sondern mehr eine Gewöhnung ist, die er von außen empfängt.
Anders ist es mit jeder Tugend und mit jeder
Geisteskraft, die immer doch des Einzelnen Verdienst und Werth ist, wenn gleich es der Geist seiner Zeit seyn sollte, der in ihn sich ergossen hätte.
Denn immer ist es sein Trieb, seine Geistes
kraft, seine Tugend geworden.
Von den Griechen ist nichts
höher zu rühmen, als daß ihr Herrlichstes, ihre Rede, ihre Kunst, ihre Weisheit, die Vollendung der Ausbildung in ihren
Werken, nicht so sehr das Erzeugniß und Eigenthum Einzel ner, als vielmehr Erzeugniß und Eigenthum des Volkes war, daß mehr das Volk genial war als der Einzelne, daß in dem
einzelnen Werke
weniger seines Schöpfers als feiner Nation
Genialität hervortritt.
Hier hat aber der Einzelne die Bildung
und Genialität seines Volkes in sich ausgenommen. ist ein Theil der Genialität seines Volkes.
Sein Geist
Seine Bildung ist
zugleich seines Volkes Bildung und feine eigene, und sein Erzeugniß ist das Werk seines Geistes.
Und das Gepräge
seines Werkes ist zu dem Inhalte des Werkes gehörig, nicht
von außen aufgenommene Manier. Hingegen unser Fortschreiten in verfeinerter Manier wird nicht zu einem Verdienste des Ein zelnen, wie das, worin man guten, bestimmter etwa vorneh
men, Ton anerkennt, wie weit immer es gefallen möge, doch
nur als Ton, nicht als das Verdienst des Einzelnen gepriesen
233 wird,
der es nur als fremdes Gepräge ausgenommen, nicht
in seinem Geiste erzeugt hat.
Wir sehn darin mehr Bildung
So möchte man auch von den
der Zeit als des Einzelnen.
wissenschaftlichen Fortschritten unserer Zeit sagen, daß sie mehr
das Werk der Thätigkeit der Gesammtheit seyen, als der Grö
ße einzelner Geister.
Aehnlich ist es mit der Bildung unserer
Zeit überhaupt. Auf ähnliche Weise unterscheidet sich auch Styl und Ma nier.
Nur der gute Styl veredelt den Einzelnen und seine
Werke, nicht die Manier.
Der Styl ist in innerem Zusam
menhänge mit dem Inhalte
des Werkes.
Er veredelt das
Werk, denn obgleich vom Gedanken ausgehend wirkt er doch
wieder auf den
Gedanken zurück,
wie
alle Ausbildung des
Ausdrucks und der Darstellung.
Die Manier aber gehört mit
dem Gedanken nicht zusammen,
sondern bleibt dem wesentli
chen Inhalte des Werkes äußerlich.
Darum ist alle Manier
schlecht, weil auch das Aeußere nicht ein schlechthin Aeußerliches seyn darf, sondern von dem Inneren bestimmt werden muß.
Nur ist die bessere Manier weniger schlecht.
Manier der Zeit ist nicht am Einzelnen als
preisen, weil sie nur von der Zeit ihm mitgetheilt, Eigenthum ist.
Allein die
sein Verdienst zu nicht sein
Dieß bezeichnet nun ebenfalls den Charakter
der Bildung unserer Zeit.
Unsere Zeit hat nur Manier, denn
die Virtuosität kann nur Manier haben, weil sie nicht in die
Tiefe geht. Allerdings hat unsere Zeit mehr Bewegung als die ver gangene Zeit.
Die nicht bloß lebhaftere, sondern heftigere und
unruhigere Bewegung ist leicht der eigenthümlichste und auch
entscheidendste Zug unserer Zeit.
Sie ist ein Moment, auf
welches vorzüglich unsere Zeit stolz ist, als auf die Quelle ge
waltigeren Fortschreitens überhaupt Bildung.
und insbesondere auch der
Nun bedarf die Bewegung, als Gegensatz der Träg-
234 heit und der Schlaffheit, nicht erst des Lobes , der Fortschritt ausgehe.
Dieß liegt im Begriffe.
daß von ihr Allein auch
die Bewegung hat ihr Maß, und es ist Irrthum, die Bewe gung als löblich und heilbringend ohne Beschränkung zu be trachten.
Wie der Stillstand, so ist auch das Uebermaaß der
Bewegung Verderben. Die Bewegung unserer Zeit ist nicht bloß eine lebhafte
Beschäftigung mit Ideen.
Sie ist zu einem schwindlich unru
higen Treiben geworden, aufzulösen und umzubilden, in der Vermessenheit des Leichtsinns und der Kurzsichtigkeit. Es ist hier, wie überall in diesen Blättern, zu bedenken, daß nicht von dem Streben der Einzelnen, sondern von dem Thun der
Zeit, also nicht von Absicht und bewußtem Willen die Rede ist. Man könnte fragen, ob wohl diese fieberhafte Bewegung unserer Zeit aus dem öffentlichen Leben in das übrige Leben übergegangen sey, oder ob sie,
in dem Leben überhaupt als
allgemeiner Zug entstanden, nur in dem öffentlichen Leben vor allem sich geäußert habe.
Gewiß ist aber, daß diese Hastig
keit des Thuns über unser ganzes Leben sich verbreitet hat. Die Hastigkeit der Bewegung hindert die Besonnenheit und damit Ernst und Strenge des Wesens, Schärfe und Klar heit des Denkens, Ruhe und Umsicht des Blickes.
Insonder
heit zu klarer und richtiger Ansicht von der eigenen Bildung und
ihrem Gange kann
Zeit nicht gelangen. überhaupt,
die in solcher Bewegung begriffene
Und wie des Ernstes und der Strenge
wie der Schärfe und der Klarheit, so ist die ha
stige Bewegung auch der Mäßigung und der Gewissenhaftig keit Feindin.
Die Ueberströmung der Zeit mit wilder Bewe
gung und fieberhafter Hitze, die Erweckung der Parteiung und
des Interesse, mit ihrer vorurtheilsvollen Einseitigkeit und Ha stigkeit, mit ihrem Dünkel und ihrer Anmaßlichkeit, läßt nicht Raum für Besonnenheit, Selbstprüfung,
Gewissenhaftigkeit.
Vor dem Reden, Schreiben, Lesen und Verlangen kann un
sere Zeit nicht zur Besinnung kommen. Daß der Krieg keine Sitte kenne, ist sprüchwörtlich. Jene Bewegung aber unseres
öffentlichen Lebens und alles unseres Lebens ist nichts anderes als der Krieg.
So ist die Bewegung des öffentlichen Lebms,
235 aus welcher vielleicht die Bewegung unserer Zeit hervorgegan gen ist, keineswegs ein Gewinn für unsere Bildung. Und es
wird bei uns — bei den Griechen war es anders — in dem Interesse für die Angelegenheiten des öffentlichen Lebens, nebst
den ebenfalls die Bewegung der Zeit erregenden Interessen des äußern Lebens mit seinen gesteigerten Bedürfnissen zu sehr das Streben und Trachten der Zeit aufgczehrt, die Gemüther sind zu sehr von diesem Verlangen und von der Wichtigkeit dieser Seite des Strebens erfüllt, als daß nicht andere Ge
genstände zurückstehn sollten,
als daß nicht die Strenge der
ganzen Bildung, die Gewissenhaftigkeit, die Innerlichkeit in dem Streben nach dem Höheren des Lebens dadurch verkürzt
werden sollte. Im Uebermaße der Bewegung, in der Hastig keit des Thuns, in der Unruhe der Gemüther, in der Ge
wohnheit des Ungestüms des Verlangens kann die Welt nicht geeignet seyn, das Rechte zu finden, das Urtheilsvermögen und
den Willen auszubilden.
Es giebt zwei entgegengesetzte Quellen des Irrthums, der
Befangenheit, des Vorurtheils oder des Mangels an Urtheil: das Alte ohne eigene Prüfung und Begründung anzunehmen, gut zu heißen und fortzusetzen, weil es das Alte und von der Welt Angenommene ist; und ohne Klarheit und Sicherheit des
Grundes das Alte zu verwerfen und das Neue aufzunehmen, weil jenes das Alte, dieses das Neue ist. Wie die Bewe gung selbst, so ist unserer Zeit eigenthümlich, was zugleich wie
der Erhöhung der Bewegung ist,
die Vorstellung
von der
Trefflichkeit dieser Bewegung und von der Nothwendigkeit der
Neuerung.
Es ist Meinung der Zeit, daß jetzt ein neues Licht
aufgegangen sey, von welchem neu beleuchtet Alles umgestaltet werden müsse. Alles umzugestalten sieht die Zeit für chre Auf gabe,
für ihre Verpflichtung an.
das Neue zu suchen.
So geht man davon aus,
Aber es muß nicht Neues als solches
gesucht, sondem nur stets das Wahre und das Rechte muß
gesucht und darüber wird Neues ungesucht gefunden werden. Wenn Neues gesucht wird, wird das Wahre und das Rechte
nicht gefunden. Es kann nicht fehlen, daß eine Zeit übermäßiger Bewe-
236 gung, indem sie den Boden aufwühlt, damit neue Saat auf
keimen könne, nicht die alten Pflanzen und ihre Wurzeln schont. Wir werden hier zurückgewiesen auf den schon in dem zehnten Abschnitte dieser Schrift in Beziehung auf die Erhaltung der klassischen Studien als Bildungsmittel erwähnten Bortheil, den
die Trägheit selbst hat, daß sie durch die Gewalt, die sie dem hergebrachten Besitze und dem Vorurtheile giebt, oft doch auch
das Gute erhält, das nicht mehr in der Anerkennung seines Werthes Schutz gegen die Gewalt der Zeit finden würde.
Zn der Bemerkung, daß
durch die Bewegung unserer möchte
Zeit die Behaglichkeit des Lebens entschwunden sey,
mancher einen sündhaften Charakter der früheren Zeit zu er kennen glauben, indem er meint, daß eben an die Behaglich keit das Widerstreben gegen die Einführung des Besseren, die
Beschützung eines verwerflichen Zustandes und Besitzes gegen
die Geltung des Rechtes und der Vernunft sich knüpfe, daß die Behaglichkeit das Princip der Trägheit und der Selbst
sucht nähre.
Aber dieß ist nur Verirrung, nicht Wesen der
Behaglichkeit. Dieser Vorwurf ist nichts anderes, als wenn man die Lust als die Quelle aller Sünde betrachten wollte. Die Behaglichkeit ist ein großes Gut des Lebens,
mand kann ohne sie leben wollen. Glück, das Gut des Lebens.
und Nie
Sie ist vorzugsweise das
Wenn aber Verwandtes und
zum Theil Gleichbedeutendes so ausgedrückt wird, daß durch
die Bewegung unserer Zeit die Zufriedenheit aus den Gemü thern gewichen sey, so wird Niemand Anstoß an der Bemer kung nehmen, und es wird darin neben dem Verluste für das Glück zugleich ein Verlust für die Bildung erkannt werden.
Durch die Unzufriedenheit wird die Schärfe
des Charakters
vermehrt, die Liebe und Güte und Milde und Weichheit da
durch, wie durch die Hastigkeit der Bewegung überhaupt, ge
fährdet, Unbefangenheit und Schärfe des Urtheils vermindert,
und so der Grund der sittlichen und geistigen Bildung unter
graben.
Und nun ist zuletzt noch die Leistung unserer Zeit als Zeugniß von ihrer Bildung zu überblicken. Von ihrer Kunst, ihrer Philosophie, ihrer Theologie und ihrer Wissenschaft und
237 Kunst der Bildung ist schon gesprochen worden.
Wir haben
zunächst zu betrachten, worin sie in der That die ausgezeichnetsten Fortschritte macht, Geschichte und Naturwissenschaft. Daß unsere Zeit viel für die Geschichte thut,
viel Ver
grabenes hervorzieht, manchen Irrthum ausstößt, viel durch kritische Untersuchung leistet, können wir als ein entschiedems
Verdienst unserer Zeit annehmen, ohne daß es einer Verglei chung mit dem, was frühere Zeiten denn doch auch geleistet haben, bedürfte.
Allein, was nicht allein für uns der Ge
sichtspunct ist, sondem worauf aller Werth historischen Wissens ruht, oder strenger worin allein historisches Wissen ist, dahin, daß der Inhalt der Geschichte auf den Punct der Erkenntniß ihres wesentlichen Gegenstandes, auf einen Punct geführt wer
de, wo das historische Studium wirklich Geistesbildung ist, darin
hat unsere Zeit keinen Vorzug, weder in Fortschritt, noch in der Richtung. Wir können ihr keinen Vorzug zusprechen in der Lösung der eigentlichen Aufgabe der Geschichte, zu erken
nen, wie sich immer der Charakter der Zeiten und der Völker
zu der Foderung der Vernunft an den Menschen verhalten habe, welches der eigenthümliche Charakter jeder Zeit und jedes Volkes, welches der Standpunkt ihrer Bildung gewesen sey,
welchen Gang die Entwickelung der Bildung des ganzen Ge schlechts genommen habe,
wie die Idee des menschlichen Ge
schlechts in der Erscheinung der Zeiten und der Völker sich aus präge.
Auch nicht in der Richtung auf diesen einzig wesent
lichen Inhalt der Geschichte, ohne welchen sie nichts für unsere Bildung ist,
kann unsere Zeit sich einen Vorzug beimessen.
Noch lange sind wir nicht dahin, daß die Bildungsgeschichte, als einzig würdiger Zweck der Geschichte, zum nächsten Gegen stände, noch weniger daß sie zum Faden des historischen Stu
dium und Unterrichts gemacht würde.
Vielleicht nirgends so
sehr wie in der Betreibung der Geschichte zeigt es sich, wie we nig gesichert das Fortschreiten ist. Was ein früheres Geschlechts alter als Geschichte der Menschheit suckte und begehrte, wie wenig ist es in die historischen Bestrebungen und Ansichten un serer Zeit eingedrungen! Wenn auch allerdings Einzelne einzel
ne Seiten zu ihrem Gegenstände nehmen, wie weit ist es doch
16
238 entfernt davon, daß eS ansinge zu werden, was eS seyn sollte,
Grundlage alles historischen Strebens, aller historischen Lehre.— Ob unsere Zeit auch im Einzelnen des wie der Vermehrung der Kenntniß,
des Urtheils sich rühmen könne,
vermöchte ich nicht nur nicht
in dem Raume dieser Blatter auszuführen, haupt nicht zu übersehn.
historischen Wissens,
so auch der Schärfung
sondern auch über
Aber zu erinnern ist, daß doch hierin
aller Werth und aller wesentliche Fortschritt beruht.
Wenn
vielleicht unsere Zeit in dem Verständniß der alten Kunstwerke und in dem Vermögen diese Herrlichkeit zu
schätzen
und
zu
fühlen nicht höher stehn sollte als Winkelmann, so ist bei al len, übrigens gewiß hoch zu schätzenden späteren Bereicherun
gen der Archäologie durch werthvolle Auffindungen und durch die Bemühungen der scharfsinnigsten und gelehrtesten Männer
unsere Zeit doch nicht berechtigt,
darum höherer Bildung
sich
zu vermessen. Für nichts hat man vielleicht unserer Zeit mehr zu dan
ken, als für ihre Bereicherung und Pflege der Naturwissen
schaft, welche ein so hochwürdiger Gegenstand des Strebens des
menschlichen Geistes ist. Sollte die Naturwissenschaft sich auch nicht an eine solide Philosophie knüpfen können, so braucht sie dieß doch auch nicht,
um uns einen tieferen Blick in das Le
ben der Welt und ihre Gesetze thun zu lassen, der herrlichste
Gegenstand des Wissens.
Allein fürs erste ist die Naturwis
senschaft auch nur so weit Bildung, als sie Erkenntniß
und
Anschauung von dem Leben der Natur und ihrer Gesetze ent
hält.
Ohne diese höhere Beziehung haben die Kenntnisse von
den Reichen der Natur durchgängig keinen höheren Werth als
die Bekanntschaft mit einer Schmetterlingssammlung.
Am we
nigsten hat man es als Gewinn für die Bildung zu bewach
ten, wenn etwa die bereicherte Kenntniß der Stoffe und des Prozesses ihrer Veränderungen nützliche oder unnütze Erfindun
gen für unsere Bedürfnisse darbietet.
Keineswegs ist alles,
was uns Chemie jetzt lehrt, Erhöhung der Bildung.
Ferner
aber, wenn unsere Zeit in Vergleich mit der Vergangenheit in den Fortschritten der Naturwissenschaft sich rühmt, so ist doch erst noch zu fragen,
ob sie nicht zu schnell und unbedachtsam
239
in der Erhebung
ihres Berdiensteö über das der Vorzeit sey.
Kundigere mögen zu Beantwortung dieser Frage die Leistun
gen der neuesten Zeit mit den ungeheuren Entdeckungen der drei letzten Jahrhunderte in den Gesetzen des Lebens der Weltkör-
per, wie der Elektrizität und des Magnetismus, mit den Na men Kopernikus und Keppler und Laplace vergleichen. Diese
letzte Frage ist auch bei der Mathematik zu thun.
Können sich wohl die Fortschritte der neuesten Zeit über die
Erfindungen der letzten Jahrhunderte erheben? Was kann un sere Zeit etwa der Erfindung der Analysis
des Unmdlichen
Aehnliches entgegenstellen?
Wenn man meint, daß unsere Zeit in der Bildung über die nächste Vergangenheit, um entfernter Jahrhunderte nicht zu
erwähnen, so weit sich erhebe, als man wirklich immer anzu-
nehmen Pflegt, und wenn man insbesondere unsere Zeit für eine geistreichere hält, so möge man erklären, warum unsere Zeit nichts Großes hervorbringe in dem, worin am meisten der Geist sich verkündet, namentlich in der Kunst, warum sie we
der einen Cervantes oder Shakespeare oder Göthe, noch einen
Mozart oder Pergolese, noch einen Raphael oder Michael An
gelo, noch einen Phidias, noch einen Pindar oder Sophokles, noch einen Plato hat, noch viel weniger, was größer ist als Pindar und Plato, ein Volk, aus welchem selbst, nicht aus einzelnen Genien, die Größe seiner Werke erwächst, so daß
man nicht die Kunst des Pindar,
oder des Sophokles oder
des Phidias, oder des Plato, nicht die Rede dieses oder jenes
Griechen, sondern die Rede der Griechen zu bewundern hat. Man möge erklären, warum in unserer Zeit, verglichen mit den
letzten Geschlechtern, Poesie und Musik von ihrer Höhe so tief hinabgesunken sind, warum aus ihnen das Edle, das Tiefe,
die Seele entwichen ist.
Man möge erklären, warum unsere
geistreiche Zeit so arm an großen Geistern ist.
Denn wenn
man irgend etwas in unserer Zeit groß nennen möchte, so geht es nicht aus der Größe der Geister hervor.
Und so möge nun unsere Zeit uns nennen, was sie, um sich über die Bildung der vergangenen Jahrhunderte zu erhe-
heben, habe und erzeuge, daS größer sey,
als die Leistungen
16*
240 und die Geister der letzten Jahrhunderte, worauf sich gründend sie sich rühmen könne, höher zu stehn und mehr Geist zu be sitzen, als die Zeit der Reformation, der Belebung der Geister
durch die junge Buchdruckerkunst, und der Erweckung eines
neuen Studium der klassischen Literatur, die Zeit des Luther, Zwingli, Melanchthon, Erasmus, Copernikus, Raphael, Mi
chael Angelo, Macchiavelli, Ariosto und Rabelais, oder die Zeit des Tycho Brahe, Cervantes, Lope de Vega, Tasso, Montaigne, Shakspeare, Camoens, Titian, Holbein, Pale-
strina, oder die Zeit des Kepler, Galilei, Descartes,
Calde-
ron, Corneille, Allegri, oder die Zeit Ludwig des XIV. und
seines Hofes, die Zeit des Spinoza, Leibnitz, Newton, Ra oder die Zeit des Voltaire, Montesquieu, Büffon, Linn«, Swift, Sterne, Pergolese, Jo-
cine, Mokiere, Milton, Lully,
melli, Bach, Händel, oder die Zeit, aus welcher, außer Gö
the und Mozart, kein Name zu nennen ist, weil jeder Name
wieder die Nennung zu vieler anderer, auf gleicher Stufe ste hender, Namen erfordern würde. Es möge unsere Zeit nen nen, was sie Großes erzeuge, Gmialität gründen könnte.
worauf sie einen Anspruch auf
Aber vielleicht möchte man sagen, der Fortschritt unserer Zeit bestehe doch wenigstens in der größeren Verbreitung, wenn auch nicht in der höheren Steigerung, des Wissens und der Bildung.
Darauf ist fürs erste zu fragen, ob es wirklich Ge
winn an Bildung sey, wenn die Menschen einige geschichtliche
und geographische Kenntnisse mehr erlangen, ohne dm Charak ter des Menschengeschlechts und seiner Geschichte und der ein
zelnen Zeiten und Völker zu erkennen.
Es ist bei allen Kennt
nissen erst zu fragen, wie weit sie wirklich Einsicht gewährm.
Bei aller Ausstattung mit Kmntnissen ist zu fragen, ob ihre Besitzer dadurch schärfer zu denken, reiner zu sprechen, edler zu fühlen und zu wollen gelernt haben. Sodann ist zu erwä-
gen, daß bei einer Zeit, nicht so bei dem Einzelnen, das Ver mögen der Hervorbringung und die Hervorbringung selbst mit
der Empfänglichkeit in Verhältniß steht, daß eine Zeit, welche
nicht Geniales, nicht wahrhaft Geistreiches, nicht höhere Werke der Kunst erzeugt, gewiß auch das Geniale und wahrhaft Geist-
241 reiche zu verstehn und zu fühlen nicht fähig ist, schon weil sie
doch am meisten mit den neuen Hervorbringungen sich erfüllt; und unsere Zeit vor anderen trachtet nach dem Neuen.
bloß,
ob unsere Zeit Fortschritte,
Nicht
sondern auch ob sie Rück
schritte mache, ist zu fragen. Antwort hierauf ist der Inhalt dieser ganzen Schrift und zunächst die Zusammenstellung ihrer
Ergebnisse am Anfänge dieses letzten Abschnittes.
Wenn aber
das Gesagte sich mehr auf das geistige Vermögen,
die Rich
tung, die Bildung überhaupt bezieht, so möge noch ein Blick geworfen werden auf die auch schon berührte Frage, ob unsere
Zeit vielleicht auch an Besitz und Gebrauch vorhandener Reich thümer verliere. Zwei sich entsprechende Eigenthümlichkeiten hat
unsere Zeit, die Verworfenheit einer unübersehbaren Menge ih
rer Erzeugnisse,
und die Zurücksetzung,
wo nicht zum Theil
Verwerfung und Beschmutzung des Trefflichen, das eine frü
here Zeit geschaffen hat. Ich mag nicht entscheiden, welches von beiden mächtiger sey, Achtung und Gefühl des Trefflichen auszutilgen und der Welt ihr edelstes Besitzthum zu rauben; denn wofür die Empfänglichkeit und wovon das Verständniß
der Welt entzogen wird, das wird selbst der Welt entrissen; es
wird da.
für uns vertilgt,
das Unverstandene ist für uns nicht
Beides ist aber unzertrennlich: wo der Irrthum herrschen
soll, muß die Wahrheit zerstört werden; wo das Niedrige gel
ten soll, muß der Sinn für das Höhere verloren gegangen
seyn; wo der Götze angebetet wird, kann der wahre Gott nicht erkannt und verehrt werden.
Wir wollen die Erscheinung nicht
bloß nach ihren Folgen, sondern auch nach dem Standpuncte
der Bildung betrachten, auf den sie schließen läßt. Die That
sache, daß unsere Zeit das Große zu verkleinern strebt, möchte
Niemand läugnen.
Große Namen der früheren Zeit haben
ihre Größe, oder doch diese Größe, nur noch in den Namen, nicht in der Schätzung der Welt.
Die neuere Schule, die sich
als eine romantische bezeichnet, kann ohne Geringschätzung und
Bekämpfung neuerer wie älterer Klassizität nicht seyn, denn dieß ist für sie Lebensfrage.
Einer Zeit aber, in welcher dieß
geschehen kann, in welcher diejenigen, die es thun, doch irgend
gelten können, muß der Sinn für das Höhere entschwinden
242 und schon entschwunden seyn. Nichts wirkt gewaltiger fort, als eine Richtung, welche von dem Höheren abführt, das Hö here dem Sinn verschließt. Es giebt nur Einen Weg der Bil dung und Einen Weg der Verbildung oder des Rückschritts in der Bildung: nach dem Vollendeten, Großen, Tiefen und Ed
len, oder nach dem Niedrigen sich neigen.
In der Bildung
einer Zeit thut der Wille alles. Die Zeit die Edles will, schafft Edles, die Gemeines will, Gemeines. Die schlimmste Aussicht für die Zukunft ist also darin, daß der Fehler unserer Zeit in der Richtung liegt, die über den
weiteren Gang entscheidet, sodann daß unsere Zeit nicht unge bildet, sondern verbildet ist. Die Verbildung oder die Ver wöhnung an das Falsche und das Verkünstelte, macht unem pfänglich für das Bessere, weil sie mit dem Irrthum verbun
den ist, daß dieses Falsche das Rechte sey, und weil alle Ge wöhnung unempfänglich für das Ungewohnte macht. Wer nichts kennt, kann das Rechte leichter finden, als wer das Falsche für das Rechte hält. Von der Unbildung ist Uebergang zum richtigen Urtheil und zum Verständniß der wahren
Schönheit, nicht von der Verbildung. Insonderheit verkümmert und verdirbt der Geist durch die Verkünstelung, durch die Entfernung von der Einfachheit, durch die Kleinlichkeit der Mittel. Dieß wäre unserer Zeit in
allem Thun und Gestalten, in Beziehung auf das öffentliche Leben wie auf die Wissenschaft nachzuweisen, vor allem deutlich aber in Beziehung auf die Weise der Bildung. Die Gewalt der Kraft, die ungetheilt und ohne Umwege nur nach dem Wesentlichen geht, in einfacher, tüchtiger, großartiger Thätig keit sich selbst nur stärkt, muß sich verlieren. Die Seele muß entweichen. Das Beste, was unserer Zeit geblieben ist, ist aus der Bildung früherer Zeit geflossen. Unter das Beste, was unsere Zeit hat, gehört vielleicht eine Sehnsucht nach Bildung und nach einem vollkommneren Zustande des menschlichen Geschlechts. Diese Sehnsucht mit der Ahnung des höheren Zieles ist aber
nicht das Eigenthum derer, welche den Charakter unserer Zeit bezeichnen. Und es ist diese Sehnsucht ein Unbefriedigtseyn,
243 welches vom Verfalle der Zeit zeugt, wie der edle Ausdruck der Unzufriedenheit und des Unwillens in der römischen Satyr«
zugleich Zeugniß von der Versunkenheit jener Zeit ist.
Man pflegt das Leben des menschlichen Geschlechts mit dem Leben des Einzelnen zu vergleichen.
Nun wäre es aber
ein Irrthum, anzunehmen, wie man es von dem Menschen
geschlechte vorauszusetzen pflegt, daß der Einzelne sein Leben
hindurch nur fortschreiten könne in der Geistesbildung.
Alle
Bereicherung an Erfahrung und Uebung sichert nicht das Fort
schreiten des Einzelnen; wir sehn ihn nur zu oft zurückgehn. Uebung im Geschäft und in der Regelmäßigkeit des Betragens
ersetzt ihm nicht, was er an Schwung des Geistes, an Em
pfänglichkeit für Ideen verliert.
Könnte nicht, wie bei dem
Einzelnen in zunehmenden Jahren, so auch bei dem Geschlechte
eine Abnahme der Kräfte eintreten?
Könnte nicht auch das
Menschengeschlecht einer Geisteskrankheit unterworfen seyn? Ich
kann die Frage nicht von mir abwehren, ob eine Zeit, ob das
menschliche Geschlecht in eine Unregelmäßigkeit des Geistes fallen könne, welche bei Einzelnen fixe Idee heißt.
Nicht bloß die
Verirrung einzelner Ansichten kömmt hier in Betrachtung, etwa die Verworrenheit der Ansicht, in welche unsere Zeit verfallen ist, indem sie die Erkenntniß dessen, was in die Vorstellung fällt, sich zweifelhaft macht, den gesunden Menschenverstand,
den Verstand überhaupt verwirft, und dagegen wieder zu einer über dem Verstände, jenseits der Gegensätze und Beziehungen,
durch welche der Verstand erkennt, liegenden Erkenntniß des Absoluten durch Speculation sich erheben zu können wähnt.
Es ist doch zu hoffen, daß der hier mit Recht sogenannte gesunde
Menschenverstand nicht werde aus der allgemeinen Bildung weg getilgt werden können, wie es auch wohl dem Einzelnen nicht
gelingt, sich der einfachen, ihn fest haltenden Ansicht zu ent winden, daß die Vorstellung von den Dingen nichts als Bild dessen sey, was unabhängig von seiner Vorstellung existirt.
Allein neben der Verdrehung der Ansicht, die dann doch von solchen Verirrungen zurückbleibt, ist in Erwägung zu ziehn, ob
nicht in unserer Zeit das sey, was in Einzelnen der gewöhn liche Grund der Störung des Geistes ist.
Und hier kömmt
244 denn in Betrachtung die fieberhafte Heftigkeit der Bewegung, das Uebermaß starrer Richtung auf gewisse Gegmstände, die
Zerfallenheit und Verworrenheit des öffentlichen Lebens, die Leidenschaftlichkeit, die Neigung zum Herausschreiten aus der
gewohnten Bahn, der Dünkel.
Hier aber zeigt sich das Gift
unserer Zeit zugleich als Gegengift, das vielleicht vor jener
Störung schützen könnte.
Wie dem, der nahe daran ist, durch
falsche Richtung und Heftigkeit der Agitation in Störung zu verfallen, vorzüglich heilsam seyn möchte, sich in die Alltäg lichkeiten des Lebens zu zerstreuen und dadurch von jener Rich tung abzuziehn, so möchte vielleicht das Nützlichkeitsprinzip
unserer Tage, die Richtung auf das Materielle, einen Schutz gegen jene Folge der Agitation unserer Zeit gewähren. So
lassen wir auch dem Schlechtesten sein Recht wiederfahren, in dem wir es als Gegengift betrachten, aber nur als Gegengift.
Wenn man aus der Bestimmung des Menschen zur Ver vollkommnung schon die Folgerung gezogen hat, daß des ein
zelnen Menschen Seele nach seinem Tode fortlebe, so kann
man nicht noch die zweite darauf gründen, daß das Menschen, geschlecht sich schon in diesem Leben immer fortschreitend ver vollkommnen müsse.
Die Foderung ist schon durch die erste
Folgerung erfüllt. Die Naturwissenschaft setzt die Möglichkeit, daß die Ver
änderung der Erdoberfläche einst den Untergang des jetzigen Menschengeschlechts und die Erzeugung eines neuen, wahr
scheinlich vollkommneren, Geschlechtes herbeiführen könnte. Damit
fällt auch die Grundlage der Voraussetzung hinweg, daß es
Bestimmung des menschlichen Geschlechts sey, eine immer höhere Vervollkommnung zu erreichen.
Die Bestimmung des Men
schengeschlechts zur Vervollkommnung und seine Bestimmung zum Untergange, damit ein vollkommneres Geschlecht Raum gewinne, ist nicht zu vereinigen.