Bis an den Rand Europas: Spanien in deutschen Reiseberichten vom Mittelalter bis zur Gegenwart 9783964566409

Vorgestellt und kommentiert werden überwiegend nicht- fiktionale Texte deutschsprachiger Spanienreisender vom 15.- 21. J

207 39 26MB

German Pages 412 [410] Year 2011

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Pilger, Räuber, Heiden und Ketzermeister. Spanienbilder in Texten deutscher Reisender an der Wende zur Neuzeit (15J16. Jahrhundert)
Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie. Deutsche Reiseberichte des 17. Jahrhunderts
Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute: Deutsche Spanienreisende im 18. Jahrhundert bis zum Anfang des Unabhängigkeitskriegs (1700-1808)
Krieg und Romantik. Vom spanischen Unabhängigkeitskrieg bis zur deutschen Märzrevolution
Zwischen romantischem Erbe und Modernität. Deutsche Spanienreisende in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts
Vision und Wirklichkeit. Deutsche Spanienreisende von der Jahrhundertwende bis zum Dritten Reich (1900-1933)
Schauplatz politischer Utopien. Deutsche Spanienreisende vom Beginn des Faschismus bis zur Restauration der Adenauerzeit (1933-1955)
Die neuen Reisenden. Deutsche in Spanien ab 1950
Über die Autoren
Namensregister
Quellenhinweise
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Bis an den Rand Europas: Spanien in deutschen Reiseberichten vom Mittelalter bis zur Gegenwart
 9783964566409

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Berta Raposo Fernández Isabel Gutiérrez Koester (Hrsg.) Bis an den Rand Europas

Berta Raposo Fernández Isabel Gutiérrez Koester (Hrsg.)

Bis an den Rand Europas Spanien in deutschen Reiseberichten vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Unter Mitwirkung von Eckhard Weber, Ferran Robles i Sabater, Ingrid Garcia-Wistädt, Maria José Gómez Perales und Reinhold Münster

Iberoamericana - Vervuert - 2011

Dieses Forschungsprojekt wurde gefördert vom spanischen Wissenschaftsministerium (MICINN, HUM2007-63167). El presente volumen es resultado del proyecto de investigación HUM2007-63167, financiado por el Ministerio español de Ciencia e Innovación (MICINN).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© Vervuert Verlag 2011 Elisabethenstr. 3-9 D-60594 Frankfurt am Main Iberoamericana Editorial Vervuert c/Amor de Dios, 1 - E-28014 Madrid [email protected] www.ibero-americana.net Depósito legal: SE-4092-2011 Printed by Publidisa ISBN 978-3-86527-596-7 Satz: Juan Carlos García Umschlaggestaltung: Juan Carlos García, unter Verwendung des Bildes ,^Ansicht des Königlichen Schlosses in Madrid", kolorierter Kupferstich (um 1750) von Balthasar Friedrich Leizel, © bpk / Dietmar Katz

Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier Gedruckt in Spanien

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

Eckhard Weber Pilger, Räuber, Heiden und Ketzermeister. Spanienbilder in Texten deutscher Reisender an der Wende zur Neuzeit (15J16. Jahrhundert)

9

15

Spanien und Deutschland im 15./16. Jahrhundert

15

Leo von Rozmital - Ritterfahrt im diplomatischen Dienst (1465-67) Nicolaus von Popplau - Patrizier, Ritter und spätmittelalterlicher, Tourist (1483- 1486) Arnold von Harff - Ritter, Pilger und Weltreisender der Renaissance (1496- 1498) Johannes Lange - ein Hofarzt auf Dienstreisen (1526) Lupoid von Wedel - Söldnerfahrt bis ans Ende Europas (1580) Thomas Platter d. J. - Bürgerliche Bildungsreise in Zeiten des

18

Humanismus (1599) „Sonst haben sie gar viel seltzame gebreüch in Spangien..." Bibliographie Ferran Robles i Sabater Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie. Deutsche Reiseberichte des 17. Jahrhunderts Einleitung Spanien als Reiseziel: Motivationen der deutschen Reisenden Die „hispanischen Königreiche" Städtisches und ländliches Leben in Spanien Die Spanier des 17. Jahrhunderts in den deutschen Reiseberichten Resümee Bibliographie

29 37 44 53 59 72 73

77 77 81 87 90 101 108 110

6 Berta Raposo Fernández: Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute: Deutsche Spanienreisende im 18. Jahrhundert bis zum Anfang des Unabhängigkeitskriegs (1700-1808) Einleitung Die Anfänge Neuanfang im Zeichen der Aufklärung: Gelehrte und Kaufleute Die Vorboten der Romantik: Fischer, Humboldt und Jariges Bibliographie Ingrid Garcia-Wistädt: Krieg und Romantik. Vom spanischen Unabhängigkeitskrieg bis zur deutschen Märzrevolution Der französisch gesinnte Diplomat: Philipp Joseph Rehfues Der einfache Soldat: Johann Christian Mämpel Der Berufsoffizier: Franz Xaver Rigel Die romantische Reise: Victor Aimé Huber Die „literarische" Reise: Joseph von Auffenberg Die Suche nach sich selbst: Ida Hahn-Hahn Der liberale Standesherr: Prinz Wilhelm zu Löwenstein Der Reisende im Vormärz: August Ludwig von Rochau Der zufällige Reisende Fazit Bibliographie María José Gómez Perales: Zwischen romantischem Erbe und Modernität. Deutsche Spanienreisende in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts Einleitung Ein Reisebericht mit romanhaftem Charakter: Friedrich W. Hackländer Ein distanzierter Gelehrter: Alfred von Wolzogen Andächtige Betrachtung der Landschaft: Franz Lorinser Kriegschronik und kritischer Blick: Wilhelm Mohr Der enttäuschte Katholik: Franz Rolef Schlusswort Bibliographie

....

113 113 115 120 145 163

167 171 176 180 187 194 200 206 214 219 222 223

227 227 229 239 247 257 263 271 272

7 Reinhold Münster: Vision und Wirklichkeit. Deutsche Spanienreisende von der Jahrhundertwende bis zum Dritten Reich (1900-1933) Die Entwicklung des Tourismus: Spanien - Deutschland Die Reiseführer zu Spanien Reisen im späten Kaiserreich (1900-1914) Spanische Fotobücher Reisen in der Weimarer Republik (1918- 1933) Bibliographie Reinhold Münster: Schauplatz politischer Utopien. Deutsche Spanienreisende vom Beginn des Faschismus bis zur Restauration der Adenauerzeit (1933-1955)

275 275 278 281 296 301 311

315

Reisen während des Spanischen Bürgerkrieges (1936 - 1939). Sympathie und Unterstützung Reisen und Flucht auf die Inseln ( 1931 - 1936) Reisen während des Spanischen Bürgerkrieges „Legion Condor" und ihr Umkreis

331

Reisen während des Faschismus (1939 - 1945) Die Flucht durch Spanien (1939 - 1941) Reisen nach 1945 (bis 1955) Bibliographie

334 337 340 344

Isabel Gutiérrez Koester: Die neuen Reisenden. Deutsche in Spanien ab 1950 Die 50er Jahre Wolfgang Koeppen: Ein Fetzen derStierhaut{ 1958) Hans Joachim Seil: An Spaniens Fell zerren Dämonen (1968) Fritz Rudolf Fries: Mein spanisches Brevier ( 1979) Hans-Jürgen Heise & Annemarie Zornack: Der Macho und der Kampfhahn ( 1987) Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg (2006) Phänomen Residenztourismus: Einheimische Ausländer in Spanien Inselromane Bibliographie Über die Autoren Namensregister Quellenhinweise

315 323

347 348 355 360 364 370 374 381 390 395 399 401 409

Einleitung

Das vorliegende Buch ist Ergebnis eines Forschungsprojekts über deutsche Spanienreisende vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Vorgestellt und kommentiert werden hier meist nichtfiktionale Texte deutschsprachiger Spanienreisender vom 15. bis zum 21. Jahrhundert, in denen über Eindrücke und Beobachtungen, persönliche Begegnungen und Erlebnisse während der Reise berichtet wird. Dass Reiseberichte nicht nur wertvolle Auskunft über die Weltanschauung und das Selbstverständnis der abendländischen Kulturen liefern, sondern auch ein Mittel zum Ausdruck der Fremdwahrnehmung, des Kulturvergleichs und der Feststellung kultureller Kontraste sein können, ist von der schier unüberschaubar gewordenen einschlägigen Forschung mehrfach festgestellt worden. 1 Wenn man zwischen der Objektebene der Reise und der Metaebene des Reiseberichts unterscheidet, ergibt sich auf der ersteren eine Konfrontation zwischen dem vorgängigen Erwartungshorizont der Reisenden und den schließlich in fremden Ländern vorgefundenen realen Verhältnissen. Diese Konfrontation wird später auf verschiedenen Metaebenen verarbeitet und schriftlich festgehalten. Es kommen Bilder zum Vorschein, die mehr über die Befindlichkeiten und Denkprozesse der Reisenden besagen als über das Land selbst. So geht es nicht nur um die von den Reisenden beobachtete spanische Wirklichkeit, sondern um die während der Reise entstandenen Bilder, welche die Fremdwahrnehmung zum Ausdruck bringen, den jeweiligen Erwartungshorizont berichtigen, bestätigen oder nuancieren. Fremdwahrnehmung ist aber, wie jedes geistige Phänomen, historischen Wandlungen unterworfen, 2 und so kann für ihre Darstellung anhand von Reiseberichten ein diachroner Ansatz neue Ergebnisse zu Tage fördern. Seit fast ei-

' Stellvertretend Brenner, Peter (1990): Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen: Max Niemeyer, 666. 2

Vgl. Albrecht, Corinna (2003): „Fremdheitsforschung und Fremdheitstheorie (Xenologie)",

in: Handbuch

interkulturelle

Germanistik.

Hrsg. Alois Wierlacher u n d Andrea Bogner. Stutt-

10

Einleitung

nem Jahrhundert ist eine Reihe Abhandlungen zum Themenkomplex der deutsch-spanischen Beziehungen erschienen, wobei der imagologische Aspekt und/oder der Bereich der Reiseberichte eine besondere Berücksichtigung gefunden haben. Die meisten dieser Untersuchungen befassen sich aber mit begrenzten Zeiträumen, vor allem mit dem 18. und 19. Jahrhundert. 3 Eine historische Darstellung der verschiedenen, gleich bleibenden sowie der wechselnden Spanienbilder vom Mittelalter bis zur heutigen Zeit könnte anhand von chronologisch geordneten Textbeispielen geschehen. Der vorliegende Band möchte einen Beitrag dazu leisten, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Wegen seiner europäischen Randlage war Spanien nie ein Hauptziel deutschsprachiger Reisender, wenn man von den Jakobspilgern nach Santiago de Compostela absieht, über die zahlreiche Untersuchungen und Dokumentationen vorliegen. 4 Die Reisenden, die sich am Ende des Mittelalters und am Anfang der Neuzeit auf die Iberische Halbinsel wagten, taten es aus den verschiedensten Gründen, wie Eckhard Weber in seinem Beitrag „Pilger, Räuber, Heiden und Ketzermeister in Texten deutscher Reisender an der Wende zur Neuzeit (15-/16. Jahrhundert)" darstellt. Trotzdem weisen ihre Berichte gewisse

gart/Weimar. Metzler 2003, 541-547, hier 545. Lüsebrink, Hans-Jürgen (2005): Interkulturelle Kommunikation. Stuttgart/Weimar: Metzler, 95. 3 Hier eine knappe Auswahl: Bertrand, J.-J.-A (1920): „Voyageurs allemands en Espagne (fin du XVIII 1 siècle et début du XIX e siècle)", in: Bulletin Hispanique 22, 37-50. Morel-Fatio, A. (1922): „Les allemands en Espagne du XVe au XVIII e siècle", in: Revista de Filología española 9, 277-297. Brüggemann, Werner (1956): „Die Spanienberichte des 18. und 19. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Formung und Wandlung des deutschen Spanienbildes", in: Spanische Forschungen der Görres-Gesellschafi 1/12, 1-146. Juretschke, Hans (Hrsg.) (1997): 7.um Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung. Münster: Aschendorff. Zimmermann, Christian v. (1997): Reiseberichte und Romanzen. Kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer. Hönsch, Ulrike (2000): Wege des Spanienhildes im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Von der Schwarzen Legende zum „hesperischen Zaubergarten". Tübingen: Niemeyer. Vega, Miguel Ángel (2002): „La imagen de España en los relatos de viajes alemanes a partir de 1800", in: España y Alemania. Percepciones mutuas de cinco siglos de historia, hrsg. Miguel Angel Vega Cernuda/Henning Wegener. Madrid: Editorial Complutense, 95-13. Briesemeister, Dietrich/Wentzlaff-Eggebert, Harald (Hrsg.) (2003): Von Spanien nach Deutschland und Weimar-Jena. Verdichtung der Kulturbeziehungen in der Goethezeit. Heidelberg: Carl Winter. Friederich-Stegmann, Hiltrud (2003): La imagen de España en tos libros de los viajeros alemanes del siglo XVIII. Dissertation U N E D Madrid. Hellwig, Karin (Hrsg.) (2007): Spanien und Deutschland. Kulturtransfer im 19. Jahrhundert. España y Alemania. Intercambio cultural en el siglo XIX Frankfurt am Main / Madrid: Vervuert. 4

Zum Beispiel Herbers, Klaus (Hrsg.) (1998): Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte. Tübingen: Narr, sowie Herbers, Klaus/Plötz, Robert (1996): Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans .Ende der Welt'. München: Deutscher Taschenbuchverlag.

Einleitung

11

Gemeinsamkeiten auf, die sich in der Betonung der Beschwerlichkeiten und Gefahren der Reise zeigen, aber auch der exotischen Sitten und Bräuche, die ebenso oft thematisiert werden wie religiöse Fragen, die sich an der Konfrontation mit den damals noch in Spanien lebenden Juden und Moslems oder an der beginnenden so gennanten leyenda negra des katholischen Fanatismus entzünden. Trotz dieser frühen Zeugnisse war die Kenntnis des Landes im 17. Jahrhundert immer noch ungenau und unvollständig, wie Ferran Robles im Kapitel „Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie. Deutsche Reiseberichte des 17. Jahrhunderts" zusammenfassend hervorhebt; aber die Reisenden dieser Zeit bemühten sich, durch ihre nach bestem Wissen und Gewissen verfassten Berichte dieser Unkenntnis abzuhelfen. Im Kapitel „Zwischen Stagnation und Neuaufbruch: Deutsche Spanienreisende im 18. Jahrhundert bis zum Anfang des Unabhängigkeitskriegs (17001808)" zeigt Berta Raposo, wie das 18. Jahrhundert, und zwar dessen letztes Drittel, einen bedeutsamen quantitativen wie qualitativen Einschnitt in der Reiseberichterstattung über Spanien bringt. Da die Reise in dieser Epoche nicht mehr nur oder nicht vorrangig mit praktischen Zwecken in Verbindung steht, sondern auch der Bildung, der persönlichen Selbstfindung oder gar der Unterhaltung dient, werden die Beobachtungen über das Land differenzierter. Auf der einen Seite erscheint es dem Aufklärungsgeist als finster und rückständig. Gleichzeitig melden sich die ersten Anzeichen einer romantischen Aufwertung im Zusammenhang mit Johann Gottfried Herders beginnender Kultur- und Aufklärungskritik, wie in Ingrid Garcia-Wistädts Kapitel „Krieg und Romantik: Vom Spanischen Unabhängigkeitskrieg bis zur deutschen Märzrevolution" bestätigt wird. Hier zeigt sich auch, wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich die subjektiv-literarische Beschreibungsform des Reiseberichts definitiv durchsetzt, die das Verhältnis zwischen Landschaft und Seele in den Mittelpunkt stellt. Dazu kommt noch, dass infolge der Erhebung gegen Napoleon 1808 das bisherige Land der leyenda negra für viele zu einem Beispiel freiheitlichen Geistes und nationaler Würde wird. Das eben genannte Verhältnis zwischen Landschaft und Seele bestimmt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiterhin viele Reiseberichte, die somit am romantischen Erbe festhalten, aber die seit der Aufklärung in den Blick rückenden Gegensätze des spanischen Wesens werden immer schärfer wahrgenommen, wie in Maria José Gómez' Kapitel „Zwischen romantischem Erbe und Modernität. Deutsche Spanienreisende in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts" zu lesen ist. In seinen beiden Beiträgen „Vision und Wirklichkeit. Deutsche Spanienreisende von der Jahrhundertwende bis zum Dritten Reich" und „Schauplatz poli-

12

Einleitung

tischer Utopien. Deutsche Spanienreisende vom Beginn des Faschismus bis zur Restauration der Adenauerzeit" zeichnet Reinhold Münster ein differenziertes Bild der verschiedenen Aspekte des Tourismus seit 1900. Es ist die historische Phase, in welcher das Interesse an Spanien wächst, in welcher das Land selbst touristisch erschlossen wird. Moderne Reiseführer informieren jetzt, die neuen Gattungen des Fotobuches sowie des Feuilletons betrachten Spanien als Teil der modernen Welt. Mit dem Faschismus in Europa gewinnen ideologische Positionen an Stärke. Spanien wird zum Schauplatz politischer, sozialer, aber auch kultureller Kämpfe, an welchen die Reisenden teilnehmen oder über die sie berichten. Dies betrifft sowohl die Autoren, die auf der Seite des General Franco kämpfen, als auch sozialistische und liberale Reisende. Einen besonderen Aspekt stellen die Flüchtenden zwischen 1939 und 1941 dar, die Spanien als Transitland ins Exil nutzen oder illegal im Land bleiben. Nach dem Krieg erhalten sich erstaunlicherweise alte Topoi und Modelle der Wahrnehmung des Landes. Isabel Gutierrez zeigt dann die Veränderung Spaniens als literarisches Reiseziel im Zuge der Entwicklung des Massentourismus. Die Gattung Reisebericht ist als solches kaum mehr auffindbar und an ihrer Stelle treten neue Textformen, die das neue Reiseverständnis zum Ausdruck bringen und eine Mischung von Reiseführer, fiktionalem Reisebericht, persönlicher Schilderung der Erfahrungen auf der Reise und Fremdreflexion darstellen. In der Zeit der immer durchlässiger werdenden Grenzen und der Globalisierung ist Spanien kein „geheimnisvolles Land am Rande Europas" mehr, sondern einer von vielen möglichen Räumen für das Ausleben persönlicher Abenteuerlust oder einfacher Erholung. Die Kapiteleinteilung ist nach Jahrhunderten oder Jahrhunderthälften vorgenommen worden mit zwei Ausnahmen: Das Jahr 1808 wurde als Grenze zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert gesetzt, da der Ausbruch des spanischen Unabhängigkeitskrieges gegen die napoleonische Besatzung in diesem Jahr eine Schwelle markiert, die den Übergang von der aufgeklärten zur romantischen Reise unterbricht. Das 20. Jahrhundert ist auf drei Kapitel aufgeteilt worden wegen der wachsenden Textmenge und auch, weil die Zeit des spanischen Bürgerkrieges eine besondere Behandlung verdiente. Ein wesentlicher Teil dieses Bandes ist die Arbeit am Text. Das Kriterium für die Wahl der zitierten Textpassagen war ihre Aussagekraft in Hinblick auf die Fremdwahrnehmung, den Kulturkontakt und -vergleich und die Bildung von nationalen Stereotypen; aber auch außergewöhnliche Beobachtungen sollten zu Worte kommen. Neben ästhetisch hochwertigen oder einfachen wurden häufig auch journalistische Beiträge aufgenommen.

Einleitung

13

Bei der Wiedergabe der Textpassagen wurde die größtmögliche Nähe zu den Originalausgaben gesucht und dabei die originale Lautung und Rechtschreibung - soweit sie dem modernen Verständnis nicht sehr im Wege standen — beibehalten. In der Regel wurden Erstausgaben herangezogen, die bei Texten des 15. und 16. Jahrhunderts manchmal erst aus dem 19. oder 20. Jahrhundert stammten. Bei einigen wenigen Texten aus dem 18. Jahrhundert wurden moderne Neuausgaben benutzt, bei Texten des 19. Jahrhunderts wurde gelegentlich zu digitalisierten Onlinefassungen gegriffen (s. die Bibliographie der entsprechenden Kapitel). Für das 20. Jahrhundert konnten die Autoren auf die Originalausgaben zurückgreifen. Zur grafischen Gestaltung der Zitate ist anzumerken: Die meisten Texte bis Ende des 19. Jahrhunderts sind in Fraktur gedruckt, aber viele darin enthaltenen Fremdwörter, manchmal Ortsnamen stehen in Antiqua. Das wird in den Zitaten durch kursive Schrift gekennzeichnet. Ein beliebtes Mittel der Hervorhebung von Wörtern, Satzteilen oder Sätzen im 18. und 19. Jahrhundert ist die Sperrung der Buchstaben; bei unseren Zitaten ist sie unverändert übernommen worden. Das alles ist im Dienst der Lesbarkeit und Verständlichkeit bei gleichzeitiger Originalnähe geschehen. Valencia, März 2011

Berta Raposo Fernandez Isabel Gutiérrez Koester

Pilger, Räuber; Heiden und Ketzermeister Spanienbilder in Texten deutscher Reisender an der Wende zur Neuzeit (15-/16. Jahrhundert) Eckhard Weber (Universität de Valencia)

SPANIEN UND DEUTSCHLAND IM 1 5 . / 1 6 . JAHRHUNDERT

Das abendländische Europa geriet im Spätmittelalter wenn nicht gar in eine tiefe Krise,1 so doch zumindest in eine Zeit der grundlegenden Umgestaltung. Im 14., 15. und 16. Jahrhundert vollzogen sich auf staatsrechtlicher, militärischer, sozialer, kommunikativer und administrativer Ebene tiefgreifende Veränderungen, 2 welche die Feudalstaaten des Mittelalters nach und nach ablösten und schließlich die absolutistisch regierten, als Territorialstaaten organisierten Nationalmonarchien der europäischen Neuzeit hervorbringen sollten. Flankiert von Flagellanten, den Pestepedemien und den Erschütterungen der katholischen Kirche in Zeiten der Kirchenspaltungen, Konziliarismus und Reformation entwickelte sich im Zuge von Renaissance und Humanismus ein neues Menschenbild. Die conditio humana wurde thematisiert, neu interpretiert und ein bisher unbekannter Menschentyp geboren. Die Palette sogenannter „Renaissancemenschen" reicht von Enea Silvio Piccolomini und Erasmus von Rotterdam zu dem störrischen Ritter Franz von Sickingen bis zu Papst Alexander VI., dem berühmtesten und berüchtigsten der aus Xativa bei Valencia stammenden Borgia/Borja. Wer im 15. Jahrhundert tatsächlich seine deutschen Lande verließ und den Fuß auf spanischen Boden setzte, betrat ein von über 700 Jahren maurischer Herrschaft tief geprägtes Land. Der maurischen Expansion im Jahr 711 war von Asturien ausgehend die christliche Reconquista gefolgt, die 1492 mit der Eroberung Granadas, des letzten Emirates auf der Iberischen Halbinsel, durch die katholischen Könige Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon ihren Ab-

1

Vgl. Meuthen 1996: 3.

2

Vgl. etwa zu Fehde und Fehdefiihrung im Spätmittelalter Janich/Weber 2004, Weber 2010.

16

Eckhard Weber

schluss fand. Das Jahr 1492 ist für die spanische Geschichte vor allem in dreierlei Hinsicht wegweisend. Der Abschluss der Reconquista markiert durch die Vereinigung aller spanischen Regionen unter der seit 1479 bestehenden Matrimonalmonarchie von Kastilien und Aragon einen ersten Höhepunkt der enstehenden spanischen Nationalmonarchie. Noch im gleichen Jahr erfolgte die Vertreibung der spanischen Juden, die schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts mittels Vorschriften zur Blutreinheit (estatutos de limpieza de sangre) von öffentlichen Amtern ausgeschlossen waren. Ein erheblicher Anteil konvertierte zwar zum Christentum, die sogenannten conversos wurden aber von der in Kastilien schon 1478 gegründeten Spanischen Inquisition hinsichtlich der Reinheit ihres Glaubens überwacht und oft als Ketzer verfolgt. Zur weiteren Rekatholisierung Spaniens und damit inneren Konsolidierung des entstehenden Staates, wofür die Inquisition das wichtigste Werkzeug stellte, folgten 1502 die Vertreibung der Muslime und schließlich 1609 der moriscos, der konvertierten Muslime. Damit war zwar auf Kosten von Konformismus und Intoleranz religiöse Einheit erreicht, Spanien verbuchte so aber auch den Verlust Hunderttausender qualifizierter Arbeitskräfte, der nicht zuletzt für den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens in der Frühen Neuzeit verantwortlich war. Das dritte richtungsweisende Ereignis des Jahres 1492 war die Entdeckung Amerikas und der Beginn der spanischen Expansion.

Durch

Missionierung und Kolonialisierung stieg Spanien im 16. Jahrhundert schließlich zur (katholischen) Habsburgischen Universalmonarchie des letzten mittelalterlichen Kaisers Karls V. auf, die unter Philipp II. mit der Übernahme der portugiesischen Krone (1580) und mit ihr eines zweiten überseeischen Weltreichs ihre größte Ausdehnung erfuhr.3 Die Geschichte Spaniens des 15./16. Jahrhunderts ist somit ein frühes europäisches Beispiel für die Ausbildung einer nationalen Monarchie und eines frühneuzeitlichen Zentralstaates. Ohne regionale politische Autonomierechte oder kulturelle Identitäten wie z.B. im Falle Kataloniens leugnen zu wollen, so sind die strukturellen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem spanischen Reich jener Epoche doch grundlegend: In Spanien erfolgte die Entwicklung von der mittelalterlichen Feudalgesellschaft zum Territorialstaat auf Staatsebene, im Heiligen Römischen Reich aber auf Ebene der Landesfürstentümer. Der Zentralisierung, Katholisierung und Ausbildung einer Universalmonarchie im Falle Spaniens, stehen im Deutschen Kaiserreich strukturell zunehmender Verfall der kaiserlichen Zentralmacht und Partikularismus sowie Reformation und Religionskriege gegenüber. Der Versuch Kaiser Maximilians einer umfassenden

3

Vgl. Bernecker 2 0 0 3 : 7 - 3 5 ; Bernecker/Pietschmann 2 0 0 5 : 2 9 - 1 0 6 , 1 2 9 - 1 5 3 .

17

Pilger, Räuber, Heiden und Ketzermeister

Reichsreform (1495) scheiterte letztlich an den Interessen der Landesfürsten. Die Reformation (Hus, Luther, Calvin, Zwingli) und der Augsburger Religionsfriede etablierten und verbanden religiöse Vielfalt mit territorialem Partikularismus, was sich schließlich im 30jährigen Krieg entlud und mit dem Westfälischen Frieden (1648) den staatlichen „Flickenteppich" des frühneuzeitlichen Deutschlands schuf.4 Trotz dieser strukturellen Gegensätze waren die wechselseitigen Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert zwischen Spanien und dem Deutschen Reich vielfältig. Der häufigste Anlass für Reisen aus dem deutschen Kulturraum nach Spanien war im Spätmittelalter sicherlich die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, das im Laufe des 11. Jahrhunderts im Zuge von Reconquista und der sich formierenden Kreuzzugsbewegung neben Jerusalem zur wichtigsten Pilgerstätte der Christenheit aufgestiegen war.5 Der Besuch des Grabes des Heiligen Jakob konnte zwar alleiniger Anlass einer Spanienreise sein, häufig sind die Reisegründe jedoch nicht eindeutig zu differenzieren. Bei der adligen Ritterreise des späten Mittelalters mischten sich z.B. Erwerb von Ansehen und Erfahrung mit der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, das nach Möglichkeit von jedem katholischen Spanienreisenden aufgesucht wurde. Weitere Reiseanlässe ergaben sich aus den Herrschaftsantritten Karls des V. als spanischer König (1516) und römisch-deutscher Kaiser (1519), der das spanische und deutsche Reich für einige Jahrzehnte vereinte. Neben der dynastischen Verflechtung Spaniens und des Deutschen Reichs durch die Habsburger und den daraus resultierenden Gesandtschaftreisen war im 16. Jahrhundert die Kolonialmacht Spanien auch vermehrt Ziel von Handelsreisen aus dem deutschen Kulturraum. Einige wenige Fälle des 16. Jahrhunderts belegen sogar Künstleremigrationen aus den deutschen Ländern auf die Iberische Halbinsel.6 Spanien, der Ort in Westeuropa, in dem Orient und Okzident zusammengetroffen waren wie kaum anderswo, bot jedenfalls dem nach Neuem und Unbekanntem suchenden Reisenden viele Attraktionen, was auch den adligen oder bürgerlichen Bildungsreisenden der frühen Neuzeit auf die Iberische Halbinsel und mitunter bis zum

Finsternstern,

nach Finisterre, und so ans Ende der alten europäischen Welt führte. Alle im Folgenden in Auszügen wiedergegebenen Reiseberichte stammen aus der Epoche nach der Gutenbergschen Medienrevolution um 1450 und somit einer Zeit der vermehrten Schriftkultur. Bei der Auswahl wurde darauf ge-

4

Vgl. Meuchen 1996, Moller 1 9 9 9 , Heckel 2 0 0 1 .

5

Plötz 1988: 1-27, Herbers/Plötz 1 9 9 6 : 13-22.

6

Kürbis 2 0 0 4 : 4 5 - 8 8 .

Eckhard Weber

18

achtet, den deutschen Blick auf Spanien möglichst facettenreich darzustellen. Daher wurden hinsichtlich des Reiseanlasses möglichst unterschiedliche Reisetypen ausgewählt. Zudem unterscheiden sich die Reisenden bzw. Autoren der Berichte nach sozialem Stand, Bildung sowie geographischer Herkunft. Dies erklärt die mitunter großen sprachlichen Divergenzen der Texte, die zum einen dem Oberdeutschen (Alemannisch, Bairisch), dem Mitteldeutschen und dem Niederdeutschen (Niederrheinisch) bzw. Mittelfränkischen zuzuordnen sind und zum anderen den Ubergang vom Spätmittelhochdeutschen zum Frühneuhochdeutschen wiederspiegeln.

L E O VON ROZMITAL - RITTERFAHRT IM DIPLOMATISCHEN D I E N S T ( 1 4 6 5 - 6 7 )

Das Geschlecht der von Rozmital stammt aus dem westböhmischen Adel, war im Verlauf der hussitischen Revolution katholisch geblieben und befand sich im 15. Jahrhundert im Aufstieg.7 Der böhmische König Georg Podiebrad, der sich zum Utraquismus (Abendmahl in beiderlei Gestalt) bekannte, sich aber um den Ausgleich zwischen den böhmischen Utraquisten und Katholiken sowie um die Anerkennung seiner Königsherrschaft in Europa und besonders von Seiten der Kurie bemühte, hatte 1450 Leo von Rozmitals Schwester Johanna geheiratet, die sich schließlich ebenfalls zum Utraquismus bekehrte. Leo und seiner Schwester kam so eine wichtige Rolle bei den Ausgleichsbemühungen Georg Podiebrads im innerböhmischen Konflikt zwischen Katholiken und Utraquisten zu und auch seine Ritter-, Hof- und Pilgerreise durch die Abendlande 1465-67 diente offenkundig der Sicherung der politischen Stellung seines Königs und Schwagers. Als Utraquist galt Georg Podiebrad bei der Kurie als Ketzer und damit illegitimer König. 1 4 6 4 / 6 5 wurde er zweimal vergeblich nach Rom zitiert, um sich vor dem Papst als rückfälliger Ketzer zu verantworten, dem im Falle eines Schuldspruches der Feuertod drohte. Just in diesem Moment unternahm Leo von Rozmital seine Reise durch die Abendlande, die ihn an zahlreiche Fürstenhöfe in Westeuropa führte: von Prag über Nürnberg und Heidelberg rheinabwärts nach Burgund, weiter nach England, Frankreich und schließlich Spanien.8 Dort galt es zu prüfen, welche Ehren man dem Schwager des Ketzerkönigs zu erweisen bereit war, welches Prestige

7

Z u r Person Tetzeis, Leo von Rozmitals u n d dem diplomatischen G r u n d seiner Reise vgl. Jo-

hanek 2 0 0 3 , Pericard-Mea 2004. 8

Z u m Itinerar vgl. Paravicini 2001: 157, zur Reise Stolz: 97-121.

Pilger, Räuber, Heiden und Ketzermeister

19

und somit politischen Rückhalt sein Herrscher in Europa hatte. Ehre und ihre öffentliche Demonstration durch Empfänge, Feste oder Turniere war in der Diplomatie des 15. Jahrhunderts von eminent politischer Bedeutung. In diesen Bezugsrahmen ist die Ritterreise, die Leo von Rozmital laut seiner Geleitbriefe experientiae

gratia unternahm, einzuordnen. In der Begegnung zwischen dem

landfremden Reisenden und dem ausländischen Fürstenhof gab es beiderseits „die Möglichkeit Ehre zu erwerben, Ehre zu mehren, Ehre zu verschenken und Ehre zu verweigern". 9 Fremde Länder kennenzulernen, Neues zu erfahren und zu erleben sowie später davon zu erzählen zu haben, konnte wiederum dem Reisenden und den Seinen in der Heimat zu neuen Ehren verhelfen. Der ehrenvolle Empfang, den Georg Podiebrad dem Santiago-Pilger Leo von Rozmital bei seiner Heimkehr bereitete, dem er gemeinsam mit seiner Königin sogar entgegenging, war somit vor allem die Selbstinszenierung des Ketzerkönigs als Verehrer des Heiligen Jakob und somit doch guter Christ. Am 2 5 . November 1465 zog Leo von Rozzmital begleitet von etwa 4 0 Gefährten und Dienern aus Prag Richtung Westen. In Nürnberg schloss sich der Reisegesellschaft auf Bitte des Böhmen der Patrizier und spätere Nürnberger Bürgermeister Gabriel Tetzel (gest. 1479) an, von dessen Hand der in deutscher Sprache verfasste Bericht der Reise Leos von Rozmital stammt. 10 Als zudem noch Lehensträger der böhmischen Krone war Tetzel nicht zufällig zum Berichterstatter bestellt. Er war sicherlich kein „naiver Reisechronist", der nicht gewusst hätte, „was seine Standesgenossen von ihm erwarteten und lesen wollten". 11 Nach dem Aufenthalt in Frankreich ging die Reise nach Spanien. Vom Baskenland über wichtige Stationen wie Burgos und Salamanca gelangte die Reisegesellschaft nach Santiago de Compostela und schließlich nach Finisterre, dem äußersten Winkel Westeuropas. Der Rückweg führte unter anderem über Merida, Toledo, Saragossa und schließlich durch Katalonien wieder nach Frankreich. Kaum auf dem Boden der Iberischen Halbinsel angekommen, fühlt sich Tetzel von karger Landschaft und unzugänglicher Bevölkerung wenig willkommen geheißen. Die ersten Meldungen des Berichts sind von gemischter Natur. Aus ihnen spricht deutlich, wie beschwerlich eine Reise durch Spanien in jener Epoche war. So klagt Tetzel schon zu Beginn seines Berichts nicht nur über die Kargheit des Baskenlandes. Von der Bevölkerung fühlt er sich bedroht, die 9

Johanek 2 0 0 3 : 4 7 2 .

10

Schmeller 1 8 4 4 . Ein zweiter, von einem der böhmischen Reisebegleiter in tschechischer

Sprache erstellter Bericht der Reise ist jedoch nur in einer lateinischen Ubersetzung aus dem Jahr 1577 erhalten, ediert in Schmeller 1 8 4 4 : 4 - 1 4 2 . 11

Johanek 2 0 0 3 : 4 6 0 .

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Unterkunft für Tier und Mensch sei mehr als schlecht und die Lebensmittel, wenn überhaupt vorhanden, von schlechter Qualität. Darnach rittwir noch in ein ärmers land, und da was bos mordisch volk innen, und heisst Biskein. In den landen m a g man nit notdurft zu pferden haben, weder hew, strew, noch stall, und aussdermassen bös herberg. D o füert man den wein in geishaüten, und man findet nit guot brod, fleisch, noch fisch in dem land, wann es nert sich dinnen der merer teil der frucht. (Schmeller 1844: 166)

Nicht nur das, auch die Lebensführung und mangelnde Ausbildung der Priester sowie bestimmte religiöse Gebräuche werden mit harschen Worten kommentiert. In d e m land haben die pfaffen weiber du sein ubel gelert und predigen auch nichts dann die zehen gebot und iederman beichtet keine andre beicht, dann die der priester vorm altar spricht. Er hab gross oder klein sünd gethuon, so nent er doch keine mit namen, sunder mit der beicht will er's ausgerichtet haben. (166)

Voller Bewunderung erwähnt Tetzeis Bericht jedoch die steinernen Grabstätten und fügt - wohl mit Ironie - hinzu, dass deren sorgfältige Pflege, die Menschen, vor allem die Frauen, vom regelmäßigen Besuch der Messe abhalte, woraus sich - dies sei mitgedacht - die religiösen Unsitten erklären lassen mögen. U n d hat in dem land kostlich totengräber von steinen, do hat's grossen lust zu, und sunder die frawen zieren's mit wolschmeckenden kräutern und bluomen und brennen liecht darvor, und die gräber sind ausserhalben der kirchen, do knien's und sitzen stets derbei, man halt mess oder nit; so kumen sie selten in die kirchen. (166)

Erste positive Erfahrungen machte die Reisegesellschaft in Haro. Der örtliche Graf zeigte sich vom Besuch so weitgereister Gäste geehrt und erwies wiederum dem böhmischen Ritter und seinen Gefährten alle Ehre. Insbesondere übernahm er die gesamten Kosten für Verpflegung und Unterkunft, das sogenannte .Auslösen", das als einer der wichtigsten Ehrbezeugungen für Gäste galt und dessen Gewährung oder Unterlassung in Tetzeis Bericht stets notiert wird. Die hohe Anzahl von Muslimen und Juden in der Stadt und am H o f kommentiert Tetzel jedoch skeptisch. Die religiöse Toleranz des Grafen machte ihn hinsichtlich seiner religiösen Uberzeugungen verdächtig.

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Kamen wir zu einem grafen von Harr, sein stat heisst auch Harr. Der graf thet meinem herrn gross eer und schicket jm alle notdorft und löst jn uberal auss, und het ein gross verwundern, das mein herr so weit zu jm kumen was. In seiner stat, auch an seinem hof sein Christen, Heiden, Juden. Jeden lässt er in seinem gelauben beleiben. Der graf ist ein Crist genant, aber man weiss nit, welches gelauben er ist. ( 1 6 7 )

Trotz der freundlichen Aufnahme durch den Grafen fühlten sich Tetzel und seine Begleiter in Haro aber nicht sicher. Sie hatten offenbar mit Teilen der Bevölkerung Auseinandersetzungen, die sie zu verstärkten Vorsichtsmaßnahmen greifen ließen. „In der stat ist auch ser ein mordisch bos volk und hetten manchen auflauf mit uns, und waren keinen tag noch nacht leibs und guots sicher und mit gefasstem schild gen jn sitzen." ( 1 6 7 ) Damit sind bereits die vier T h e menkomplexe angesprochen, die im Bericht Tetzeis Konstanten der Wahrnehmung auf der Reise durch Spanien sind: 1. Mangelnde Versorgung bzw. Gefahr und Betrug auf einer stets gefahrvollen Reise 2. Ausmaß gewährter oder verweigerter Ehrbezeugungen 3. Religiöse Bräuche und (Un-)Sitten: Verhältnis von Christen-Juden-Muslimen 4. Unbekannte Sitten und (Wunder-)Geschichten D i e erfahrenen Beschwerlichkeiten auf der Reise, das „Zigeunerdasein" im kargen Land beklagt Tetzel mehr als einmal: „also das ich mein, das die Zigeuner in allen landen gar vil herrlicher gehalten werden, dann wir in den land gehalten wurden. Man findet gar selten huner, ayr, milch, käs noch schmalz, wann es hat kein ku, und isst selten fleisch, und isst nichts dann der frucht." ( 1 7 0 ) Mittlerweile schon auf dem Weg nach Santiago vermeldet der Bericht: „Do litt wir aussdermassen grosse not und muosten selbs kochen, und kam oft zu schulden, das wir auf dem feld unter einem bäum unser herberg muosten haben, und muosten die pferd bei uns also nider binden, wie die Zigeuner." ( 1 7 5 ) Das bereits für den Norden Spaniens erwähnte „mordisch bos volk", die Gefahr, die den Reisenden von Teilen der Bevölkerung drohte, durchzieht den Bericht wie ein roter Strang. Gefahren an Leib und Leben sah sich die Reisegesellschaft nicht nur selbst am Pilgerort Santiago de Compostela ausgesetzt, wo „zu der was zeit gross krieg" ( 1 7 5 ) , sondern stets auch unterwegs. „Also kamen wir mit grosser not vil tagreis und aufrur, die wir mit jn muosten haben. W i r muosten uns oft unsers leibs und lebens weren, wann wir westen wol, das sie uns nachstehen, das man uns al gern von guts wegen ermordet hett." ( 1 7 1 ) Aber selbst am Königshof Heinrichs IV. berichtet Tetzel von gewalttätigen Angriffen der

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dort ansässigen so genannten Heiden, gegen die sich die christlichen Besucher nur mit Mühe wehren können. Die weil wir bey dem kunig und an seinem hof waren, het wir manchen auflauf mit den heiden, das wir uns leibs und lebens muosten weren. Einsten wollten sie mit gewalt zu meinem herrn in sein kamern gegangen sein; do stiess wir's heraus. D o erhub sich ein grosser auflauf, das ir mer dann vierhundert für meins herrn herberg kamen, und wir hetten unser armbrust gespant und hielten jn das haus mit gewalt vor, und (sie) wunderen unser gesellen edich; so wundeten wir sie hinwider. (173)

Der Aufenthalt Leos von Rozmital und Begleitung in Spanien fiel jedoch nicht nur in die Jahrzehnte vor 1492 und dem Abschluss der Reconquista, sondern auch in eine Phase des innerspanischen Thronstreits (1465-68) zwischen Heinrich IV. und seinem jüngeren Halbbruder Alfons und des daraus resultierenden Bürgerkriegs. „ Z u den Zeiten waren die zwen brüeder wider einander und ieder bruder wolt kunig sein in Hispanien, und etlichs land hielts mit dem alten, etlich mit dem jungen; und was grosser unfrid und krieg." (171) Die Zersplitterung des Landes je nach Zugehörigkeit zur einen oder anderen Königspartei war für den Landfremden verwirrend und barg zusätzliche Gefahren. Von dem kunig in Portigal ritt mein herr auss in Castilia. U n d musten reiten durch ein gegend, die hielts mit dem jungen kunig, und die kriegten und beraubten die leut. Musten wir hart reiten und in grossen sorgen stets gen jn aufhalten; und man wolt uns in des jungen kunigs stät nit einlassen. Darnach kamen wir in des alten kunigs land, und wider auss des alten kunigs land in des jungen kunigs land. Waren allenthalben gross krieg, und waren leibs und lebens nit sicher, bis wir kamen gen Mereda. (183)

In wessen Hoheitsgebiet der rivalisierenden Könige sich die Reisegesellschaft gerade befand, war, was die Sicherheit betraf, offenbar nebensächlich. Auch sei nicht immer allen Christen in Spanien, die den Böhmen doch Brüder im Glauben sein sollten, zu trauen. Z u m wiederholten Male dient hier ein pejoratives Bild des Zigeuners als Mittler für den Kulturvergleich, im Folgenden zur Bezeichnung einer zwar christlichen, den Reisenden auf ihrem Weg von Toledo nach Saragossa aber feindlich gesinnten und räuberischen Bevölkerung. Darnach kamen wir wider aus den heiden in des alten kunigs land zu bösen Cristen. Haben gestalt, wie die Zigeuner, die in unseren landen umbziehen. Sie füerten auch zigeunerisch wesen mit Stelen und dergeleichen. Wir litten grosse not u n d waren leibs und lebens nit sicher. (189)

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Auch die letzte Etappe der Reise nach und durch Katalonien war geprägt von ständigen Angriffen auf Leben und Gut. Als selbst seine Herolde in Katalonien gefangen genommen und mit dem Tod bedroht wurden, entschloss sich Leo von Rozmital zu einer spektakulären Befreiungsaktion. D o ritten wir durch die grossten rauber und boswicht und durch ein arms verderbts wust land, und waren keinen augenblick unsers leibs und lebens sicher, und hetten nichts grossers sorg, man wurd uns in dem land all ermorden und nemen uns was wir hetten; wan es war desmals grosser krieg in den landen und musten stets mit jn mit gefassten schild sitzen. [...] Mein herr schicket do seinen herold und seiner diener einen umb geleit zu den Katholonien. Do wurden sie gefangen, und alles das genummen das sie hetten, und wolt's darzu gemordet haben, und man füert sie auf ein schlecht häuslein. Also wolt mein herr ie dasselb häuslein gestürmt haben, und het uns all schier umb die hals bracht, also das wir gross müe und arbeit hetten bis wir die ledig machten. Und was sie jn genummen hetten, gäbe sie einsteils wider, das ander behielten's. Also must wir stets durch das land ziehen mit werender hand. (190) Für die des Landes und seiner politischen Verhältnisse unkundigen Reisenden aus Böhmen war es zudem offenbar nicht immer leicht, zwischen berechtigten und betrügerischen Forderungen zu unterscheiden. Jedoch war die Reisegesellschaft Leos von Rozmital groß genug, um sich z.B.

vermeintlich

unberechtigten Wegezollforderungen auch unter Einsatz von Waffen zu erwehren, wenn auch nicht immer erfolgreich. Von dannen ritt wir auss in der grossen hitz über ser gross hoch berg und oft einen ganzen tag über und über, das wir weder häuser, leut, vich sahen, und kamen an ein brücken, do hetten Christen, Heiden, Juden uns an der brücken verloffen mit iren weren und wollten gelt von uns haben. Also gewunnen wir jn die brücken an und schluogen uns durch sie. Darnach verliefen sie uns die engen weg in dem gebirg und theten uns gross not an mit iren armbrusten und lantzenschiessen, und (wir) schussen uns auch mit jn, wann unser ieder furt sein armbrust. Doch das sie uns an der letzt so hart noteten und wurden jr so vil gesamet, das jn mein herr von der brücken den zol muost geben, wann sie sagten, es wasr ein ieder schuldig zu geben. (167) Sein Bestreben, wichtige Fürstenhöfe Spaniens zu besuchen, dort seine Aufwartung zu machen und im Sinne seines Königs Georg Podiebrad Diplomatie zu betreiben, fand nicht immer den gewünschten Erfolg. Der Gegenkönig Alfons zeigte sich höchst erbost darüber, dass die Reisegesellschaft zuerst den H o f seines Konkurrenten Heinrich IV. besucht und dadurch dessen Herrschaft indirekt anerkannt

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hatte. Er verweigerte jegliche Ehrenbekundung und statt eines erhofften freundlichen Empfangs beim König sah sich Leos Reisegesellschaft genötigt, das ihnen feindlich gesinnte Territorium Alfons' schnellst möglich zu verlassen. Do wolten wir unser weg nehmen und ziehen zu dem jungen kunig. Der was zweinzig meil von dem alten. Und mein herr schicket einen herold zu jm umb geleit, und wir ritten füran. Also kam der herold meinem herrn unter äugen und saget, der jung kunig wser fast zornig auf jn, auch wolt er jn nit für jn lassen, noch in seiner stät keine, noch geleit geben, darumb das wir den alten kunig zum ersten besucht hetten und für einen kunig hielten, und solten denken, das wir uns bald aus dem land machten, wir wären leibs und lebens nit sicher. Man meinet aber, wär mein herr zu dem jungen kunig zum ersten geritten, also wasr jm gross eer geschehen. Also muosten wir Sicherheit halben unsern weg nemen auf Portugal. (173) Für den weiteren Verlauf der Reise notiert Tetzel Ähnliches. Während die Reisegesellschaft im Herrschaftsgebiet Heinrichs IV. freundliche A u f n a h m e fand, so stand sie in den Territorien Alfons oft vor verschlossenen Toren. Von dem (Medina Celi) ritt wir in ein stat, ist des jungen kunigs, do wolt man uns nit einlassen. Und allenthalben in des alten kunigs Stätten und schlossern, auch von seinen herren und edelleuten, die es mit jm hielten, geschach uns gross eer und reverenz; aber in des jungen kunigs stäten oder von den seinen ganz nichts. (187) Eine höchst interessante N o t i z findet sich im Bericht Tetzeis, als sich die Reisegruppe auf ihrer letzten Etappe und bereits wieder auf d e m Weg Richtung Frankreich befindet. Für die freundliche oder feindliche A u f n a h m e der Landfremden war es offenbar unerheblich, ob die Deutschen in Spanien mit Christen oder H e i d e n in K o n t a k t k a m e n . I m Einzelfall k o n n t e der E m p f a n g bei Nicht-Christen weit ehrenvoller ausfallen als bei Christen. Ein U m s t a n d , den Tetzel mit einem gewissen Erstaunen vermerkt. Von dann ritten wir acht tagreis lang. Do sitzen eitel heiden, gehören dem alten zu, und ist die gegend davon er die cristen vertriben hat, und die heiden an die stat ziehen hat lassen. Die heiden theten uns gross eer und zucht und waren wir bei jn vil sicherer, dann in dem land bei den cristen. (189) An anderen Orten wurden Leo von Rozmital und seine Begleiter jedoch mit allen Ehren empfangen. In Burgos wurden die Gäste mit Wein und Konfekt beschenkt. Sichtlich beeindruckt war Tetzel von der Jagd auf wilde „ O c h s e n " mit

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Hunden, die zu Ehren der Böhmen auf dem Marktplatz veranstaltet wurde. Das so gejagte Fleisch sei jedenfalls von vorzüglicher Qualität. Die burger theten meinem herrn gar gross eer in der selben stat und schenktem meinem herrn kosdichen wein und confekt und machtem menem herrn mitten in der stat auf dem markt ein gejeid mit wilden ochsen. Der hetten sie dreyzehen auss der wildnuss herein lassen bringen in einen zwinger, und liessen ie einen herauss laufen, und hetten denn der grossen spaniolischen hund, die hetzt man an die ochsen. Die rissen dann mit gewalt einen nider und hieltens als lang, biss die metzler den ochsen anseilten an die hörner, und fuerten's dann mit gewalt für die metzg und schlugen. Und kein metzler thar kein ochsenfleisch schlagen noch feil haben, er habs dann vor mit den hunden erjagt. Das ist der best, mürbst fleisch, ftir alls wildpret zu essen. (167f.) Dort machte die Reisegruppe außerdem Bekanntschaft mit einem „Leckerbissen" erotischer Natur. Der Graf veranstaltete zu Ehren der Gäste ein Fest, bei dem exotische Speisen gereicht wurden und schöne, dunkeläugige, orientalisch gekleidete Frauen heidnische/arabische Tänze aufführten und sich zudem gegenüber den anwesenden Deutschen überaus freundlich zeigten. In der stat do ist ein mächtiger graf, der bat meinen herren und sein gesellen zu haus und het jm schön junkfrauen und frauen geladen, die sein ser kostlich gekleidet auf den heidnischen oder türkischen schlag und ist auch vast mit allem wesen, mit trinken und mit essen auf den heidnischen sitten gericht. Die frauen und junkfrauen tanzen gar köstlich tänz auf die heidnischen mainung und sei all braune weiber, und schwartz äugen, und essen und trinken wenig und sehen die landfarer gern und haben dieTeutschen lieb. (170) Für die gemeine Stadtbevölkerung hat Tetzel nur wenige, aber deutliche Worte. „In der stat ist ser ein bös mordisch volk." (168) Besonders prächtig geriet der Empfang in Salamanca. Die Festigkeit des Bischofes und der Bevölkerung im katholischen Glauben vermerkt der Bericht mit emphatischen Worten. „Do ist gar ein mächtiger bischof und ein gotfurchtiger man [ . . . ] Auch sein eitel Cristen in derselben stat und die frumsten leut, die man in dem ganzen land Hispanien mag finden." (173) Die örtliche Universität wird ebenso lobend erwähnt. „Item in der stat Sallomanka ist ein „hoen schul" und man meint, das nit hochgelerter leut in der Cristenheit sind, dann in der selben stat." (174) D e r ehrenvolle Empfang, die Übernahme der Kosten durch den Bischof gipfelte schließlich erneut in einem Spektakel mit „wilden Ochsen", das wieder

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auf dem zentralen Platz der Stadt abgehalten wurde. Dieses Mal wurde jedoch nicht mit Hunden, sondern zu Pferd und mit Lanzen gejagt. Als einige der Tiere von den Angriffen und dem Schmerz wild geworden in die Menge rannten, blieben zwei Tote zurück. Der bischof thet meinem herrn gar gross eer, und schicket im alles das genug in die herberg, was wir bedürften. U n d sein grafen, ritter und knecht, auch die mächtigisten der stat, machten meinem herrn ein spil. Sie hetten wild ochsen, die jagten sie auf den platz, und sassen auf iren gamretten (gar baldlaufende pferd), und schiessen länzlein, die sie füerten, in die ochsen, und welcher sich genau hinzuthet und vil länzlein hineinschoss, der was der best. U n d erzurneten die ochsen, das sie jn nach liefen und die leut ser stiessen, also das man auf den selben tag zwen für tot hinwegtrug. (174)

Z u m Abschluss bewiesen die Spanier in spielerischen Auseinandersetzungen ihre Geschicklichkeit zu Pferd und ihre Fertigkeit im Gebrauch der Spieße und Schilde. Bei allem Eindruck, den diese Vorführungen der Spanier aufTetzel machten, ihre Gewohnheit, wie Araber zu Pferd zu sitzen, schien ihm befremdlich. Darnach und das das gejeid ein end hett, do schlugen sie sich an einander und schlissen mit den spiesslein und vesatzten mit den tartschen oder fiengen die schüss auf, als die heiden pflegen zu thun, wann sie streiten, das ich al mein tag nie behender pferd und volk hab gesehen. Sie reiten feintlich kurz, die knie haben's heroben nahet beim sattel geichwie die heiden. (174)

So sehr in Tetzeis Bericht auch Bewunderung für die ungewohnten, oft von der arabischen Kultur beeinflussten Sitten im damaligen Spanien geäußert wird, die Zustände der spanischen Kirche, manche religiöse Gebräuche sowie die aus der Sicht eines landfremden Deutschen merkwürdige, wenn nicht gar frevelhafte Annäherung zwischen Christentum, Islam und Judentum ist im Verlauf der Reise immer wieder Anlass für kritische Anmerkungen. Von Portugal nach Kastilien passierte die Reisegesellschaft Merida. Der Bericht notiert hier eine für den Nürnberger Patrizier Tetzel verwirrende Anzahl unterschiedlicher Völker und Konfessionen in der Stadt. „Mereda ist ein mittelmässige stat noch heutstags, und sitzen etlich heiden, juden, confessen, pauletten, grecken und de la centura, also das sechserley gelauben in der selben stat sein zu den zeiten gewesen." (185) Zu Burgos vermerkt der Bericht außerdem: Damals seien „vil heiden zu Burges und umb Burges gewesen, als man noch do umb findet." (170) Auf dem Weg von Toledo nach Saragossa machte Leo von Rozmital Bekanntschaft mit Muslimen, von denen er

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sich in ihre religiöse Bräuche einweisen lässt. Insbesondere die Bilderfeindlichkeit in den Moscheen fiel den Katholiken ins Auge. Die heiden füerten meinen herrn allenthalben ir wesen zu besehen und füertenen in ir kirchen. Da innen ist nichts dann vil lampen, und zeigten meinem herrn, wenn sie in die kirchen gen, so haben sie wasser, darauss bestreichen sie das angesicht, unter den uechsen, die händ und das gemächt. Darnach ist in der kirchen ein sinwel loch gewelbt, da get ir obrister ein, als ir pfarrer. Der stet in dem loch und falt dann nider auf die erden, und reckt die händ auss, und schreit laut heidnisch. Und wie er thut, als thun jm die andern. In der kirchen müssen die lampen al brinnen, wann sie also do beten oder schreien. Und von keinem gemäl findet man nit in ir kirchen. (189) Die arabischen Männer machten Eindruck aufTetzel, von der Schönheit der Frauen hielt er jedoch nicht viel. „Die man sind gar gerad und hübsch genug von gestalt auf die heidnischen mainung, aber die frauen ganz ungeschaffen; und betragt sich eins armen wesens, und trinkt selten wein." ( 1 8 9 ) Aus den Worten in Tetzeis Bericht spricht an vielen Stellen ein echtes Interesse an den fremdartigen und orientalischen Gebräuchen in weiten Teilen der spanischen Kultur des 15. Jahrhunderts. Er weiß mitunter auch zu differenzieren, etwa wenn er ehrenvolle Heiden „bösen Christen" gegenüberstellt. Tetzeis politischer und kultureller Horizont ist aber bestimmt von einem Deutschen Kaiserreich, in dem Herrschaft explizit mit der katholischen Religion verknüpft war. E r selbst, sein Lehensherr und Anführer der Reisegesellschaft war Katholik, und dessen König und Schwager wiederum Utraquist, der sich jedoch zwar als reformierter, aber doch guter Katholik verstand oder zumindest inszenierte. Tetzeis Einschätzung der Lage am H o f Heinrichs IV., dessen wenig abendländisch-christliche Art, sich zu kleiden oder gar zu beten, ist aber bestimmt von deutlichem Missfallen. In dem selben stätlein 12 sitzen der merer teil heiden. So hat der alt kunig vil an seinem hof und hat vil cristen vertriben und den heiden das selbig land eingeben. Auch so isst er und trinkt und get gekleidet und betet alls auf den heidnischen sitten, und ist den Cristen feind, und hat einen grossen brechen und treibt uncristenlichen wesen. [... ] Von derselben sach und buberey wegen und das er die Cristen vertriben hat und ir land, schloss, und stät genummen und den heiden geben, darumb hat die landschaft seinen bruder aufgeworfen zu einem kunig. Und der merer teil des lands hälts mit dem jungen kunig, was anders Cristen sein, und man meinet des mals, der jung kunig wird den alten ganz vertreiben. (172f.)

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Ebenso kritisch bewertet Tetzel den übergroßen Einfluss von Nicht-Christen auf den König und dessen bisweilen Christen gegenüber Heiden benachteiligende Politik, was als möglicher Grund für den wenig ehrenhaften Empfang durch den König angeführt wird. Sie laufen, wenn sie wollen, mit gewalt für den kunig, und er muoss sie für jn lassen. Sie haben den kunig zu gewalt, und der kunig hat kein gewalt über sie. [...] Der kunig thet meinem herrn gantz kein eer: er schankt im nit, so löst er jn nit auss der herberg. Man meinet, er häts vor den heiden nit dürfen thun. (173)

Ein wichtiges Ziel Leos von Rozmital auf seinem Weg durch Spanien, ein Ort, den jeder durch Spanien reisende Christ in jener Zeit aufzusuchen trachtete, war selbstverständlich das Grab des Heiligen Jakob in Santiago de Compostela. Von einem besonderen religiösen Eifer Leos von Rozmital findet sich bei Tetzel jedoch nichts, aber der Bericht über das Land, wo der Heilige Jakob im Verständnis der Zeit begraben lag, kann doch zumindest mit folgender Wundergeschichte aufwarten. Ein gross mirakel sahen wir do. Heraussen vor der stat auf einen armbrustschuss weit, do ist ein kirchen, ein thum und ein bischof. Do ist ein crucifix in eines ebenen mans läng und gross, und niemand mag gewissen, wovon es sey. Es ist nit von holtz, so ist es nit steinen, und ist der leichnam ganz gestalt wie ein tot mensch. Im wachst auch das har und die nägel, und sein gelider, wenn mans angreift, die bewegen sich, und man greuft die haut, das mans herdan zeucht, und hat ser ein derschrecklich ernslich gestalt. [...] An dem tag do wir das cruzifix sahen, do geschahen grosser zeichen zwei. Ein kind, das drei tag tot was gewesen, und ein kind, hett beide bein abgebrochen, und ein mensch, hett das wilde fewr, wurden auf den tag alle frisch und gesund; und sunst änzellige vil grosser zeichen die täglich do geschehen. (168)

Die Pilgerfahrt nach Santiago war sicherlich nicht Hauptzweck der diplomatischen Ritterreise Leos von Rozmital, aber auch sie ließ sich im Sinne der ehrenhaften experientia in der Heimat nutzen. Tetzel zeigt sich anfangs beindruckt von der Kathedrale und ihrer Architektur. „Sant Jacobs kirchen ist eine schone weite grosse kirchen mit kostlichen steinen säulen von steinwerk erbaut." (176f.) Tetzel scheint zwar keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Heiligenlegende gehegt zu haben, sein Bericht über den Besuch des Heiligen Grabes fiel jedoch recht knapp und unaufgeregt aus. Ganz im Sinne der diplomatischen Ziele seines Auftraggebers war es allerdings wichtig zu erwähnen, dass

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dieser gemäß dem Brauch sein Wappen in der Grabeskirche anbringen ließ und damit gleichermaßen als ausgewiesener Santiago-Pilger nach B ö h m e n zurückkehren konnte. Also k a m e n wir für sant Jacobs altar, do leit er leibhaftiglich innen. D a r n a c h furt m a n uns an in ein klein Capellen ein stiegen auf. D o weiset m a n uns sant J a c o b s haubt des kleineren u n d ein stuck v o m heiligen creutz und darinnen von der d o r n e n krön und anders vil grosswirdigs heiltums. In der C a p e l l e n h a n g e n der herren und landfarer wappen des merer teil. D o liess mein herr mit seinen erbern gesellen sein wappen auch. ( 1 7 6 )

NICOLAUS VON POPPLAU - PATRIZIER, RITTER UND SPÄTMITTELALTERLICHER T O U R I S T ( 1 4 8 3 - 1 4 8 6 )

Nicolaus von Popplau ( 1 4 4 3 - 1 4 9 0 ) entstammte einer schlesischen Handelsfamilie aus Breslau. Er kämpfte a u f Seiten Georg Podiebrads gegen die Hussiten und erhielt für seine Verdienste schließlich das Privileg zur Wappenführung und das Palatinat, somit die Ritterwürde. Für einige Jahre trat er in den Hofdienst Kaiser Friedrichs III. ein, den er jedoch im Jahr 1 4 8 3 quittierte, um, ausgestattet mit kaiserlichen Empfehlungsschreiben, durch Westeuropa zu reisen. 13 Nach Aufenthalten in Osterreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden, setzte er im S o m m e r 1 4 8 3 von E n g l a n d aus nach Galicien über. Sein weiterer W e g führte ihn durch Portugal nach Andalusien, Valencia, Aragonien, Katalonien und schließlich Frankreich, das er Anfang 1 4 8 5 erreichte. 1 4 Anders als bei zwei späteren Reisen nach Russland, die er als G e s a n d t e r im Auftrag des Kaisers u n t e r n a h m , bietet der Spanienreisende Nicolaus von Popplau weit m e h r das Bild eines gebildeten, spätmittelalterlichen Touristen und scharfsinnigen B e o b achters, dessen Interesse vor allem den Sitten, Gebräuchen, Eigentümlichkeiten des Landes und seiner B e w o h n e r gilt. D e r Bericht des Patriziers und Ritters Nicolaus von Popplau ist zwar formal an den Kaiser adressiert, er war aber mit einiger Wahrscheinlichkeit für ein weiteres Publikum bestimmt. Möglicherweise a u f Basis unterwegs aufgezeichneter Notizen wurde er nach der Reise, eventuell 1 4 8 5 / 8 6 in U l m und N ü r n b e r g , verfasst. Uberliefert sind j e d o c h nicht das handschriftliche Original, sondern nur wesentlich jüngere Abschriften aus dem

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Zur Biografie vgl. Herbers 2 0 0 1 : 6 2 9 - 6 3 0 , Pfotenhauer 1888: 4 2 8 - 4 3 1 .

14

Zum Itinerar vgl. Paravicini 2 0 0 1 : 222f.

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18. Jahrhundert. Die neuste kommentierte Druckfassung legte schließlich Piotr Radzikowski im Jahr 1 9 9 8 vor. 15 Ganz anders als noch in Tetzeis Bericht über die Reise Leos von Rozmital sind Gefahr und Beschwerlichkeiten auf der Reise durch Spanien bei Popplau keine zentralen T h e m e n . Die immer wieder erhobenen Zölle werden hingegen an zahlreichen Stellen als unangemessen, zu hoch oder gar betrügerisch beklagt. Z u Niebla in Andalusien heißt es: „Daselbst fand ich böße Zöllner; die begehrten von mir Schätzung und Zoll, auch von meinen königlichen Gesellschaften. Denen gab ich so ernsten und spöttischen Bescheidt, daß sie mit Schanden davon giengen." (Radzikowski 1 9 9 8 : 8 9 ) W a r Popplau zwar bei Niebla der Zahlung noch entgangen, so hatte er in Sevilla weit weniger Glück, obwohl er sich gegenüber conversos zu nichts verpflichtet fühlte. Denn meine zweene Mohren die mir der König von Portugall geschenckt hatte, waren, des Zolls halben, wie oben gesagt, mir gefänglich eingezogen, da ich zu Civilien 16 einzog und saßen allbereith bis in die dritte Woche. Ich vermeinte zwar, sie würden in demselben Königreich allso ehrenhaftig seyn, und mir dieselben, ohne mein Entgeltnüs wiedergeben, die Zöllner auch derohalb in billige Straff nehmen, wegen solches Verbrechens, welches sie zur Unbilligkeith gegen mir fiirgenommen. So muste ich noch endlich den Zöllnern fast bey 3 Ducaten geben, wolte ich aber meine Möhrin wiederhaben, ob ich ihnen wohl nichts schuldig war, aus Ursachen, es wären getauffte Juden. [...] Der Cardinal schicket seinen Doctor einen (: der stets sonsten wegen des Cardinais zu mir kam:) zu den Zöllnern, daß mir die Möhrin ohne Entgeltnüs wieder gegeben werden sollten. Derselbe brachte die Zöllner zusambt den Mohren zu mir, mit Anzeigung, ich solte und müste ihme drey Ducaten geben. Dann also waren sie mit=einander über mich eins werden, wie ich dann auch thät. O wie große Hinterlist ist mir von dem Doctor mitgespielet, denn er achtete seines Herrn des Cardinais Befehl gantz vor nichts. (92f.) Juden oder konvertierte Juden galten Popplau für Spanien allgemein als die an den ungebührlichen Zöllen Hauptschuldigen. Allda fahet sich der Port von Aragonia an. Da man dann die Leuthe so durchreyßen, durch getaufte und andere Juden heftig mit den Zöllen schätzet, dann die Juden halten fast durch gantz Castilien und Hispanien in allen Ländern, Städten Thoren und Stellen des Königs Zölle. Und ob ich wol Briefe vom Könige hatte, daß ich frey passiren möchte, wollten sie doch zween Ducaten von mir haben. Ward derwegen zum Richter 15

Radzikowski 1998.

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daselbst zugehen bewögen, (: welchen sie auf ihre Sprache Alckajer17 nennen:) welchem ich meine Königliche Paß= Briefe fiirlegte und zeigte. Derselbe erzeigte mir alle Ehre, und machte mich von den Zöllnern den bösen Buben die mich gerne herumb gerücket hätten, frey, loß und ledig. (112) Popplau widmete immer wieder längere Textpassagen der Religion und Z u sammensetzung der Bevölkerung, in der die aus seiner Sicht wahren Christen neben Juden, Konvertiten und Mauren geradezu in der Minderheit gewesen seien. Auch das bekannte Stereotyp von den reichen Juden findet sich in seinem Bericht. „Gantz Catilonia und Arragonia, ist in Haupt-Städten mehr mit ConuersJuden und Saracenen, dann mit Christen besetzt, wie dann auch in Portugall. Welche was großes Vermögens, sind insgemein verkehrte J u d e n . " ( 1 2 3 ) Die Mauren bezeichnete er gemäß dem vermeintlich deutschen Sprachgebrauch der Zeit als „Ratzen" und die getauften Juden seien in der Mehrzahl weiterhin trotzige Anhänger ihres alten Glaubens. Es wohne[n] durch gantz Arragonien, Saracenen, welche wir Teutschen Ratzen nennen. Dann da die Christen daßelbigen Land eingenommen, hat man ihnen vergunst und zugelaßen, sonderliche Häußer, Dörffer und Städte vor sich zu bauen, darinnen sie sich nähren und enthallten. Sind von ChristenEdelleuthen zinß-bar. Laßens auch ihnen mit allerley Arbeith viel säurer werden, denn die Christen Bauern. Von Valenz eine Meile haben sie 4 Städte, Mißlatha, Manisis, Quart und Paterna genandt, darinne sie wohnen. Machen schöne Töpffe und Schüßeln mit blauer Farbe und Golde, welche man in die gantze Christenheith verführet. Unter ihnen sind auch etliche Conuers-Juden; ja auch zu Valentia in der Stadt ist so wol der vierte Theil bekehrter Juden. Dieselbige Stadt ist beßer und herrlicher gezieret, dann alle andere Städte, die der König in seinem Reich und Landen hat. Darum sich auch viele vom Adel allda aufhallten und wohnen, wie die Königreiche und Lande. Als Arragonia, de Lozia, 18 Castilia und Portugal von den Christen erobert worden, hat der König so zu derselben Zeit gewesen, und regieret die Juden, die er unter den Heyden funden, alle von ihren Güthen treiben wollen, im Fall sie sich nicht zum Christen-Glauben bekehrten. Dis angesehen und damit sie allso ihre Haab und Güther erhielten, haben sie sich zum Heyligen Christlichen Glauben begeben, wiewohl man unter hundert kaum einen findet der den Christen Glauben recht hallte. Dann verstohlen und heimlich bekennen und üben sie doch den Glauben und Fantasey der Juden. Darumb sie denn auch jämmerlich gefangen und verbrennet werden, wenn man sie darüber auskundschafft.

17 18

Alcalde Andalusien

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Eckhard Weber Zu Vallenz sind auch nicht allein rechte und getauffte Juden wie oben geschrieben, fast der 4.te Theil der Stadt, sondern es haben auch die Heyden oder Saraceni allda eine große Stelle, darauf und darinnen sie wohnen, bey fünfzig Meil-Weges von Vallenz. Ist auch eine große Stadt, und der Haupt-Städte eine Saragoßa genandt, in Arragonia gelegen. Daselbsten große Handlung getrieben wird. Im Land aber durch gantz Arragonien wohnen vielmehr Saraceni auf den Dörfern dann Christen, die da arbeithen. Es wollen zwar ediche den König von Pohlen straffen, daß er Unrecht thue, daß er in seinem Lande und Königreich mancherley Glauben verstatte. So doch des Königes aus Hispania alle Königreiche, vielmehr getauffter und verkehrter Juden, und über das ungläubige Saracenos haben, auch derer vielmehr, dann rechter wahrhaftiger Christgläubiger Menschen, welche der heylige Vater der Pabst nur wol duldet und mit ihnen zufrieden ist, dieweil sie ihm seine Küchen erhalten helffen. Wann auch der ietzige König von Granata, so doch gar mit den Seinigen Saracenisch sich mit seinem gantzen Königreich dem römischen Pabste demüthiglich unterwerffen wollte, würde er ihn auf= und anzunehmen sich nicht lang weigern, oder aber einig Bedenken tragen. Sie aber zu bekehren, ihren Glauben zubeßern, und zu einem andern Leben zuvermahnen nicht sehr bemühen. (114-116) Dementsprechend schlecht sei es in Spanien um das Christentum bestellt,

insbesondere in Andalusien könne von aufrechten Christen nicht die Rede sein. Dann daselbsten durch das ganze Land de Lozia [...] sind fast einerley Gebäu und Menschen zusehen, die da sich mit Zucht, Sitten, Geberden und allen-thalben den Saracenern vergleichen, ausgenommen, daß sie des Glaubens halben von den Heyden unterschieden sind, wiewohl dieselben Christen auch den rechten, wahrhaftem Chrisdichen Glauben gar übel hallten, dann gar wenig unter ihnen beichten, ehe dann ihr letztes Stündlein herbey kombt. Es fasten ihr auch sehr wenig und gar selten. Und haben nur zwo Sünden unter ihnen, wie auch die Lombarder, und Wallhen. Du solst nicht stehlen, du solst nich tödten. Alle andere Sünden, Betrug, Arglist, schändliche Laster, Sünd und Schanden sind unter ihnen ihres Bedunckens frey, und werden weder dieselben noch andere große Ubelthaten, von niemanden jemahls gestrafft. (117) Das liege auch an der mangelnden Bildung und dem unrühmlichen Lebenswandel der Priester. Die Zukunft des spanischen Reiches überhaupt sei in Gefahr, wenn selbst die Königin sich an unlauteren Machenschaften beteilige, wie Popplau wortreich und unter Anrufung Gottes beklagt. Ihre Bischoffe und Pfaffen sind so ungelehrt, daß sie gemeiniglich auch nicht Lateinisch reden können. Es ist daselbst zu Civilien ein Bischoff ein hebräischer Münch. Daß ist ein getauffter Jude und Münch; der hat gros Guth und Reichthumb, und ei-

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nen Banckardt. Den wollte er, auch wieder des Königes Willen, in einer andern Kirchen zum Bischoff machen, und die Königen selbst stund ihm bey. Oo ewiger barmhertziger Gott, wie große mächtige Ungerechtigkeith ist daß, und unsäglicher Geitz, daß der Heylige Vater der Pabst dis alles zugiebt, umb des heyligen Hellers propter Sanctum Denarium willen. Es wäre wahrhafftig kein Wunder, daß durch solch böses Regiment, das gantze Reich zu Drümern gienge. Und die vorhin Heyden gewesen, in größeren Irrthum dann darinn sie zuvor je gesteckt, geführet werden. (99f.) Sichtlich überrascht zeigt sich Popplau bei der Beschreibung der Zustände am Königshof und der seiner Ansicht nach geradezu wider die Natur der Dinge gerichteten D o m i n a n z Isabellas von Kastilien gegenüber ihrem Gatten Ferdinand von Aragon. „Denn es gehet allda gar widersinnisch zu; die Königin ist König, und der König ist ihr Diener." ( 9 4 ) Für die relative Machtlosigkeit des Königs und großen Einfluss anderer Parteien auf die Entscheidungen der Königin liefert der Bericht auch konkrete Beispiele. Wo auch der König jemanden Briefe giebet, werden dieselben, doch ohne Verwilligung der Königin nicht gesiegelt; denn sie überließet zuvor alle Briefe selbst, und wo ihr darinnen was nicht gefällt, zerreist sie dieselben, auch in Gegenwarth des Königes. Der König darf auch ohne Verwilligung der Königin nichts thun, was die Königin aber mit ihm schafft, muß er thun. Denn was der Cardinal der ein gebohrner Graf aus Spanien ist, und sehr gewaltig im Königreich mit der Königin, übereinträgt, dem muß der König hold thun. Darinn redet man in Aragonien und Cattalien dem Cardinal sehr schändlich und übel nach. Geben auch weder auf des Königes, noch des Cardinais Geboth etwas, so brieflich ausgehet, an obbemelten Länder sonderlich aber in ihrem Land fürchten sie der Königin vielmehr denn den König. (95) A u f seiner Reise galt das Interesse Nicolaus von Popplau auch der Mentalität der Bewohner der verschiedenen Landesteile. Für die Andalusier hatte er jedoch nicht viel mehr als Verachtung übrig. „Dieselben Leuthe in der Provintz de Lozia sind insgemein grob und unverständig (: da denn auch Civilia gelegen :) und gehen alleine dem Geitz nach. Wenig sind mit rechten wahrhafften Tugenden begabt, wie dennoch in Portugal. D o c h übertreffen sie mit Hinterlist die Portugeser." ( 9 0 - 9 3 . ) Von den Umgangsformen der Galicier war Popplau zwar auch enttäuscht, die Andalusier überträfen diese aber bei weitem, wofür der Bericht auch eine Erklärung bereitstellt. Die Gallitier zwar sind grob, die Portugeiser auch fast derselben Arth, aber das Volck im Land de Lozia sind die gröbsten Cojoni die man in aller Welt finden mag. Und

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Eckhard Weber ist wohl kein Wunder, dann die weil sie bey den viehischen Saracenen sein, mit ihnen umbgehen, und bey ihnen wohnen. Durchgehet sie dieselbe nachbarliche, heydnische, wilde und grobe Luft, daß sie auch in vielen Dingen ihrer Weiß= und Wandels=Sitten und Geberden folgen und deßen Gebrauchen. (116) Gegenüber Kastilien und Andalusien werden die Bewohner Aragons, Valen-

cias und Kataloniens weit besser beurteilt. „Allhie heben die Leuthe wiederumb an guter Sitten zu seyn und was ehrliebender dann im Lande de Lozia und Castilien wie hernach folgen wird." ( 1 1 2 ) Diese Einschätzung mochte auch von dem ehrenhaften Empfang mitverursacht gewesen sein, der ihm in Valencia bereitet wurde. Derselbe Gubernator befreyete mich aller Schätzung, thät mir viel Ehr an und alles Gutes. Kam zu mir selb sechzehend in die Herberge geritten, und brachten mir ein Maul mit Golde sehr schön zugeputzt und gezieret. Bathen mich, ich sollte darauf sitzen. Ich aber brauchte lieber mein Roß. (114) Unterschiede zum Rest Spaniens fielen Popplau schon auf, noch ehe er vollends das heutige Kastilien auf seinem Weg nach Valencia verlassen hatte. „Zu Allmansa befand ich erst die Änderung des Volckes und ihrer Sitten, auch in Gebäuden, Haußrathe und anderen" ( 1 1 2 ) . Was die Kleidung betrifft, konnte Popplau jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Regionen ausmachen. In Arragonia und Catalonia sind beyde Mann und Weib ob es wohl in zweyen Ländern, doch fast einerley und gleichmäßiger Arth, aber beßerer und artigerer Sitten dann in Hispania. Ihre Tracht aber und Kleydung an Mann und Weibern wie in Castilia und Land de Lozia. (116) Von Barcelona, dem unehrenhaften Empfang, namentlich der erhobenen Zölle, und der Bevölkerung berichtet er jedoch wieder Negatives. Es gäbe dort keine Ehre und alles Handeln sei vom Streben nach materiellem Gewinn bestimmt. am Montage Sanct Antoni Anno Domini 1485 kam ich gen Barselon. [...] In derselben Stadt wurde mir keine Ehre bezeiget, denn, sie verachteten ihres Königes Brief und Siegell, schätzten mich auch mehrer denn andere. Es schickte zwar der Vice-Re zu mir mit Erbitten er wollte verschaffen, daß ich Krafft seines Befehls nichts Zollen dürfte, wolte aber nichts helffen, sondern ich muste 5. rheinische Gulden geben, auch mein

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Zehrungs=Geld verzollen, welches gar unrecht solche Sachen einem rittermäßige[n] Manne in frembden Landen aufzudringen. Und befand sich mit der That, daß sie grobe Bauren und Juden sind, weil sie der Ehr und Ehrbarkeith so gar nicht achten, sondern allen ihren Fleiß nur dahien wenden, wie sie Guth und große Schätze überkommen möchten. Es beschehe gleich mit Recht oder Unrecht, daran ist ihnen nichts gelegen. Und waren mir auch allda die Schreiben, welche mir Herr Lupian an ediche Edelleuthe, die allda zu Lande geseßen, nichts überall forderlich. (120) Entgegen der oben zitierten Passagen, in denen er noch die besseren Sitten der Katalanen gelobt hatte, werden sie an anderer Stelle - jetzt im Kontext des katalanischen Regionalismus — wegen ihres vermeintlich betrügerischen Wesens und mangelnden Gehorsams gegenüber ihrem König kritisiert. Und dieweil die Catilonier vor allen andern des Königs Unterthanen allerley Lists und Betruges voll stecken, begab es sich zu demselben Mahle, als ich gleich mein Wehsen allda hatte, daß aus Gottes Straff und des Königes Verhängnüs (: welchen sie sehr gering achten, ihn verspotten, sind ungehorsam, und auf seine Geboth und Befehle gar nichts geben :) die Bauerschafft in gantz Catilonia wieder die Herrn und Ritterschafft in Meinung dieselben, durch solches Fürnehmen dem Könige gehorsahm zu machen. (123) Das Zeugnis, das Popplau den spanischen Frauen ausstellt, ist ebenso ambivalent. Nennt sich Popplau in seinem Bericht zwar keinen großen Freund von Frauen, der Schönheit der D a m e n von Valencia konnte er sich jedoch nicht entziehen. auf das ritten sie mit mir durch die gantze Stadt. Zeigten mir nachmahln ihre Frauen=Zimmer, die muste ich Höfligkeith halben in ihrer Gegen warth in Arm nehmen und ihnen das Mußlen geben. Und ob ich wohl mein Lebtag Weibs=Persohnen nicht gerne geküßet habe, so konte ich ihnen dazumal daßelbste doch nicht versagen, denn sie waren ja zu schöne. Nachdeme zeigeten sie mir die gantze Stadt vollends. (114) In Barcelona, worauf sich unten stehendes Zitat bezieht, wie auch im Rest Spaniens, gäbe es ebenso viele schöne Frauen. „Allda sind schöne Frauen, als man sie auch in gantz Hispania finden mag. Sind sie gewis allda, und ihrer wenig schmüncken sich. U n d nimbt daselbsten das Schmünck=Töpfflein ein E n d . " ( 1 2 0 ) Jedoch sei der Lebenswandel der spanischen Frauen, die vor allem das Geld liebten und alles dafür tun würden, generell weit davon entfernt, tugend-

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haft zu sein. Auch in Bezug auf die männliche Bevölkerung sah Popplau viel U n moral a m Werk. Ist das gemeine Gerüchte, daß zu Gallitien, Portugal, Land de Lozia, Buschkaja 19 etc. die Weibes Persohnen alles Huren seyn, und wird selten ein fromes junges Weib unter ihnen gefunden, dann von Geitzes wegen (: der unter ihnen mächtig groß :) thun sie alles was man an sie begehret. Es war (: zu mehrerer Uhrkund :) auch zu Vallenz eine Gräfin welche über Nacht zween Ducaten nahm. Zudem haben die Ehe=Männer allda so wohl als die weiber ihre Neben=Manne, ihre Neben=Weiber, und darf wol keiner nicht in der Saracener Land reysen gutte Sitten und Tugenden zu lernen, Civilien ausgenommen. (116f.) E i n i g e Passagen w i d m e t e Popplau der L a n d s c h a f t u n d ihrer Kultivierung, besonders an der O s t k ü s t e der Iberischen Halbinsel. Seine Reisebeschreibung liest sich hier geradezu wie ein Inventurbericht der mediterranen L a n d w i r t schaft. Von Valentz zohe ich aus an einer Mittwoch am Abend der Heyligen 3 Könige 4. Meilen bis in die Stadt Maludir20 Daselbsten ist ein Schloß auf dem Berge und ein Städtlein dabey. Darinnen wohnen alleine Juden und Saracenen. Auf demselben Wege als man von Valencia auszeucht, stehen viel großer Cypreß=Bäume, und das Meer hat seinen Gang wohl bey einer halben Meile hien ein, auf einer Seiten als zur rechten. Zur lincken aber sieht man nur großes Gebürge und dann den gantzen Weg aus von Malvedir bis gen Vallenz nichts anders zu beyden Seithen dann lauten Wein, Oelbäum, Pommerantz, Feigen, und die Bäume, daran die seiden=spinnende Würmer wachßen. Von dannen zwo Meilen, bis gen Allmaneren,21 ein Schloß und ein Dorf. Unter den Schloße daselbst wächst bey einer halben Meilen lauter Zucker, welchen die Saraceni erbauen, warthen, pflegen und hütten. Es wächst auch an etlichen Stellen daselbst guter Saffran. 3 Meilen bis gen Villareal eine Stadt, 2 bis gen Villaboreal 22 . Da wohnen alleine Saracener. Auf demselben Dorfe, bis dahien siehet man von Vallenz stets das Meer zur rechten, und großes hohes Gebürge zur lincken, auch viel Dörffer, darinnen die Saraceni wohnen, derogleichen auch etliche Schlößer die sie halten. Und wächßet beyderseits viel Getraydes zwischen denselben Bäumen, als Pommerantzen, Oel, Feigen und anderen Bäumen, dann daselbst im Lande mächtig viel Feigen, Weines und anderer Frucht ein Uberfluß wächst. Doch fiendt

1y

Biscaya

211

Murviedro?

21

Almenara

22

Borriol?

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man mehr rothen den weißen Wein. 5 Meilen oder Legos gen Serna23 ein Dorf, über hohes und großes Gebürge. Dafür man nunmehr das Meer nimmer sehen kann, und nur eitel Gebürge. Es wächßet allda keine Frucht, ausgenommen Ölbäume. Wo man aber Dörfer siehet, zurings herumb am Wege da wächst gemeiniglich Wein und Getrayde, welches beydes mehr die Saracenen dann die Christen erbauen und pflantzen. (117f.) W i e d e r erwähnt der Reisebericht die hohe Anzahl von Mauren und Juden, die in diesen Landstrichen wohnten. Hier zeichnet er sich aber nicht durch negative Charakterisierungen der „Heiden" aus. Popplau hebt vielmehr deren zentrale Bedeutung für die landwirtschaftliche B e b a u u n g des Landes, um die sich die christliche Bevölkerung in weit geringerem M a ß e verdient machte, hervor. Auch der heute für die spanische Ostküste so charakteristische Reisanbau wurde damals von M a u r e n bzw. Morisken unterhalten. D e n deutschen Spanienreisenden zu B e g i n n des 2 1 . J a h r h u n d e r t s mag die a b s c h l i e ß e n d e B e m e r k u n g zur G ü t e des Brotes in Sevilla doch eingermaßen erstaunen. In Arragonien wächst viel Reyß, denselben bauen und säen die Saracenen. Desgleichen alles ander Getraydigt. Wein und Fleisch sind viel wollfeileren Kauffes und Marcktes im Lande de Lozia, dann in Aragonien zubekommen. Ich hab auch in aller Welt da ich gewesen, beßer oder geschmackter Brodt und daß den Menschen sehrer kräftiget niemahls geßen, dann in Civilien, und in dem umbliegenden Lande. (117)

ARNOLD VON HARFF - RITTER, PILGER UND WELTREISENDER DER RENAISSANCE ( 1 4 9 6 - 1 4 9 8 )

In den Jahren 1 4 9 6 - 1 4 9 8 unternahm der niederrheinische, in den Diensten des Herzogs W i l h e l m IV. von Jülich stehende Ritter Arnold von H a r f f ( 1 4 7 1 - 1 5 0 5 ) eine weitreichende Reise zu europäischen und orientalischen Pilgerstätten. 2 4 Bei der a u f tagebuchartigen Aufzeichnungen basierenden Reisebeschreibung seiner Pilgerfahrt von „Cöln durch Italien, Syrien, Aegypten, Arabien, Aethopien, N u bien, Palästina, die T ü r k e i , Frankreich und S p a n i e n " 2 5 b e n u t z t e H a r f f n e b e n seinen persönlichen Beobachtungen und Erlebnissen nachweislich auch andere

23

Wahrscheinlich Alcora.

24

Z u r Person und Reisetätigkeit vgl. im Folgenden Beckers 1 9 8 8 : 5 1 - 6 0 , Paravicini 2 0 0 1 :

273-281. 25

Groote von 2 0 0 8 .

Eckhard Weber

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Quellen. Dazu zählen neben dem Bericht Bernhards von Breydenbach über seine Pilgerfahrt ins Heilige Land in den Jahren 1 4 8 3 - 8 4 besonders die in etwa um 1 3 5 0 bis 1 3 7 0 zusammengestellten fiktiven Reisebeschreibungen Jehan de Mandevilles ins Heilige Land, den Fernen Osten und ins Reich des legendären Priesterkönigs Johannes, sowie Marco Polos berühmte Schilderung seiner Asienfahrt. Etwa ein Zehntel der Reisebeschreibung hat fiktiven Charakter, nicht umsonst nennt sich Harff zu Beginn seines Berichtes einen Dichter. Insbesondere für die Schilderung seiner afrikanischen und asiatischen Traumländer gelten die phantastischen Reisebeschreibungen Mandevilles als hauptsächliche Quelle, derer sich H a r f f bediente, um „seine Leser auch etwas vom Reiz der großen weiten Welt verspüren [zu] lassen und ihnen insbesondere von den märchenhaften Wundern des Orients vor[zu]fabulieren." 26 Der weitaus größere Teil der Reisebeschreibung ist jedoch Zeugnis eines mit guter Beobachtungsgabe versehenen und vielseitig interessierten „echten Renaissancemenschen" 2 7 , dem es mit der religiösen Motivation durchaus ernst war, den aber auch nicht weniger Fernweh und Abenteuerlust dazu bewegten, sich auf ein so ausgedehntes und gefährliches Unternehmen einzulassen. D i e Beschreibung seiner Reise, die in erster Linie den für die mittelalterliche Christenheit wichtigsten Pilgerstätten, R o m , Jerusalem und Santiago de Compostela galt, ist vor allem ein „kulturgeschichtliches Dokument, in dem sich die geistige Umbruchsituation des Ubergangs vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit spiegelt" und in dem „eine solche Fülle lebendig geschilderter Beobachtungen über städtebauliche, sprachlich-kulturelle, völkerkundliche, wirtschaftliche sowie naturkundliche Eigentümlichkeiten" 2 8 mitgeteilt werden. Wichtigstes Ziel gegen Ende seiner „Pilgerfahrt" ist Santiago de Compostela. Sein Weg auf spanischem Boden führte ihn vom Baskenland über Pamplona, Logroño, Villafranca, Burgos, Leon, Rabanal schließlich nach Santiago de Compostela und wieder zurück über Burgos und Villafranca nach Frankreich. 2 9 Bei der Aufzeichnung seiner Reiseerlebnisse in Spanien hatte Harff offenbar auch Kenntnis vom ältesten Pilgerführer in deutscher Sprache, dem Pilgerführer Hermann Künigs von Vach. 3 0 Ein wiederkehrendes T h e m a im Pilgerbericht Arnolds von H a r f f sind die Beschwerlichkeiten, die eine damalige Reise durch Spanien mit sich brachte. Es 26

Beckers 1 9 8 8 : 52.

27

Beckers 1988: 53.

28

Beckers 1988: 52.

25

Z u m Itinerar vgl. Paravicini 2 0 0 1 : 279f.

3

" Herbers, Ploetz 2 0 0 4 .

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sind vor allem die immer wieder geforderten hohen Zölle, die Harff mehr als eine E r w ä h n u n g wert waren. Was im damaligen Grenzgebiet zwischen dem heutigen Frankreich und Spanien begonnen hatte, setzte sich schließlich bei Logroño fort. Auf mitgeführte Handelsgüter und insbesondere auf Pferde wurden aus Sicht Harffs unziemlich hohe Zölle erhoben. Wichtig war es, einen „Pferdeb r i e f ' zu bezahlen u n d in E m p f a n g zu nehmen, der dokumentierte, wie viele und welche Pferde ins Land gebracht wurden. Wer bei der Ausreise mehr Pferde bei sich führte, als der „Pferdebrief' besagte, sie also entweder in Spanien gestohlen oder gekauft hatte, wurde mit entsprechend hohen Strafzöllen versehen. Item in deser stat La grunea besuecht man dich äff du koemenscafft bij dir haeffs. dae van moiss du tzol geuen ind du moiss van dijme perde tzweyn reael geuen zo tzolle, der maichent nuyn eynen ducaet, ind dae moiss du eynen breyff van nemen, dat du alsulche pert van gestalt ind groessde mit dir in dat lant gefoirt hayst. anders wan du weder zo deme lande vss weultz, am wylcher portzen dat were, hielten sij dat vur eyn gestoellen ader gegolden pert. dae von moiss men dan groissen tzol geuen. (Groote 2008: S. 228, 12-20) D e n n schon bald konnte es auf der Weiterreise passieren, dass man nachweisen und beeiden musste, im Land keine Pferde erstanden zu haben und vor allem nicht außer Landes zu bringen wünschte, ein Unterfangen, das Harff angesichts der scharfen Kontrollen ohne königliche Genehmigung ohnehin aussichtslos schien. Item hie moistu dat breyffgen wijsen dat du zo Lagrunea vff der ander straessen intfangen hatz, dat du dat pert mit dir in die lant gefoirt hais. dan hetz du eyn ändert in deme lande gegolden, dae van moiss du den tzeynden pennynck vff geswoeren eyde zo tzolle geuen. doch laissen sij gheyn gude perde vss deme lande voeiren, dan mit consent des koenincks. (235, 4-10) U n d noch einmal, bei Miranda de Ebro, wo eine steinerne Brücke über den Ebro führte und ein schönes Bergschloss die Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich zog, mussten die „Pferdebriefe" vorgezeigt werden, die aber nichts nutzten, wie Harff kurz und knapp vermerkt: Zoll musste ungeachtet der D o k u m e n t e bezahlt werden. Hier verlief „eyn strenge wasser lanxt Ebro geheysschen, eyne steynen brück daroeuer ind hait gar eyn schoin berchsloss boeuen der stat lijgen. hie wirtz du ouch an gheuerdiget äff du dijn pert in deme lande gegolden hais. tzoyn dijnen breyff äff du moiss tzol geuen." (14-18) Die Beschwernisse

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auf der Reise nahmen in der Folge auch eher zu denn ab. Harff fand dafür deutliche Worte. Noch im französisch-spanischen Grenzgebiet klagt der Bericht wortreich über mangelnde Gastfreundschaft, Wucherpreise auf die nötigsten Waren und erbärmliche Unterkünfte für Mensch und Tier, was sich auch bis nach Santiago de Compostela nicht ändern sollte. „Item van Ortes vindes du gheyne gude herberge me bis zo sent Jacob vur dich ind dijne perde. as wultu essen ader drincken dat mois du vff der straessen gelden ind du vindes vur dijne peert hauer hew noch stroe, dan vff der erden zo slaeffen ind gerst zo essen." (224, 3 5 - 3 9 ) Die Städte in ganz Spanien seien von primitiven Lehmmauern umgeben und die Unterkünfte nichts wert, denn Verpflegung müsse auswärts eingekauft werden und „Sonderwünsche" wie Bänke und Tischlaken beim Essen oder eine Bettstatt zum Schlafen würden extra berechnet. doch so sijnt die steetgen durch gantz Hyspanien mit leymen muren vmgeuen, buese herberch, wat du hauen wils van essen ind drincken moiss du allet vff der straessen gelden. dar zoe benck stuell dischlaken dat man dir dae vurleecht ind die beddunge moiss du allet besunder betzalen. (230, 23-30)

Alles in allem erschienen Harff die Spanier im Umgang mit Christen schlimmer, als er es etwa in der muslimischen Türkei erlebt hatte. Selbst dort wäre der Reisende nicht so schlecht behandelt und schändlich betrogen worden. „Summa summarum ist Hyspanien gar eyn buesser lant, as ich in der Turkijen mit der cristenheyt funden hane ind dae man eyns mans me spottet dan in Hyspanien." (230, 29-30) Einen H ö h e p u n k t negativer Erfahrungen auf der Reise durch Spanien stellte sicherlich der räuberische Überfall dar, den Harff und seine Begleiter auf dem Rückweg von Santiago de Compostela auf dem Weg nach Burgos erlebten. Zwei Mitglieder der Pilgergesellschaft blieben tot zurück, der Rest konnte sich nur zu Fuß nach Burgos retten, wo sie auf dem Hinweg ihre Pferde in Unterkunft gegeben und Maulesel gemietet hatten, da für die Pferde nicht genug Proviant im Land zu finden gewesen war. Item van Compestella tzoigen wir weder den weech den wir dar getzoegen waeren bys zo Burgis durch Lioin, dae vns gar eyn groiss hoemoit van den Hyspanioler geschach, as sij vnser pylgrym tzweyn zo doit sloigen, mijnen diener ind etzliche fingen mit stoissen ind slayn, so dat mir got halff selffs ander zo voiss ewech ind lieffen so daich ind naicht bys zo Burgis. dae hatten wir vnse perde laissen stayn in hattent esel ind muler gegolden, dae mit wir zo sent Jacob getzoigen waeren, as wir geyne profande vur die perde in deme lande finden moechten. (234, 9-18)

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D e n u n a n g e n e h m e n Aufwand, den der Reisende durch Spanien am E n d e des 15. Jahrhunderts in K a u f nehmen musste, beschreibt HarfF mit drastischen W o r t e n . So habe m a n etwa alle nötigen Kochutensilien mitfuhren müssen, da davon vor O r t in den Herbergen nichts zur Verfügung gestanden habe. HarfF fühlte sich in diesen M o m e n t e n m e h r als Bettler denn als Ritter a u f Pilgerfahrt. dar zoe moisten wir vff eyme ledigen esel mit vns voeiren leffel Schottel kessel ind pannen, solten wir kochen, des man in den huyseren nyet en vindt. dar vmb gehoert dese pylgrymmacie den bedeler zoe, die in vnsen landen gestoellen doit geslagen yere heren vertzoirt ind verraeden hauen. (234, 18-23) Ungeachtet aller U n a n n e h m l i c h k e i t e n , die ihm seine Reise durch Spanien bereitete, hatte HarfF doch auch i m m e r ein ofFenes Auge für die Kultur, für die ihm Fremden Sitten und G e b r ä u c h e des Landes. Seinem Bericht fugte er zahlreiche A b b i l d u n g e n von M ä n n e r n und Frauen in charakteristischen Landestrachten und exotischen Tieren oder Fabelwesen bei. Desweiteren Finden sich Tafeln mit Fremdländischen Alphabeten oder Listen mit Sprachproben. I m Baskenland erregte die Tracht der Frauen die AuFmerksamkeit des Ritters. Item hie zo Pascayen dragen die vrouwen gar hoige ghewonden hoefFde, wie die man in heydenschafft doynt ind dragen gemeynlich allet peltze, die seltzam gmaicht sijnt. ouch die meechde ind junfrauen geent allet offenbaer mit geschoren houffderen bloys vff der straessen in deser gestalt. (226, 34-38) Das hochgebundene Haar der Frauen im Baskenland erinnerte HarfF an die Tracht mancher Männer, wie er sie bei den „heyden" gesehen hatte. Sie kleideten sich gewöhnlich in Pelze von fremder Machart, während M ä d c h e n und unverheiratete Frauen kurze Haare und das H a u p t stets unbedeckt trugen. N i c h t nur die Tracht der baskischen Frauen befremdete den deutschen Ritter, auch die Eigenartigkeit der baskischen Sprache, die nur sehr schwer zu schreiben sei, waren es wert, k o m m e n t i e r t und mit Sprachproben verdeutlicht zu werden. Item in Pascayen hauen sij eyn eygen spraich die gar buese zu schrijuen is, der ich etzliche woert behalden hane, as hij vnden geschreuen steyt. Pascaysche spraich Item ogea

broyt

arduwa wijn oyra aragi

wasser fleysch

norda

wer is dae

schambat

wan gilt dat

hytzokosanma

eyn wirt

gangon dissila

gont gheue dir guden morgen

42

Eckhard Weber gaza

saltz

schatuwa ne tu so graussa miossa

schoin junfrau kumpt

bij mich slaeffen oluwa

hauer

huetza

stroe

bat

eyn

yron

drij

boss

vunff

sespe

bij

tzwey

lae

vier

see

sees

tzortzey acht

zo tzellen

wede atzey

nuyn

hammer

tzien

seuen ( 2 2 7 , 18-33)

Ein wenig pikant ist der Satz „Schöne Jungfrau, komm schlaf bei mir". Er lässt vermuten, dass die Realität vieler Herbergen auf dem Jakobsweg der eines Bordells recht nahe kam. Desweiteren präsentiert die Sprachtafel zentrale Wörter des Grundwortschatzes und die zehn Kardinalzahlen. Harff verfolgte damit offenbar praktische Zwecke: E r wollte das Sprachmaterial zusammenstellen, mit dessen Hilfe sich der Reisende im fremden Land wenigstens notdürftig verständlich machen konnte. Regionale Unterschiede in Kleidung und Sprache entgingen Harff ebenso wenig wie Unterschiede in den verwendeten Längenmaßen. In Galicien „dragent die vrauwen ghemeynlichen syluer äff gülden ringe in yeren oren" ( 2 3 1 , 2 4 f . ) und auch zwischen Kastilien und dem Baskenland notierte Harff regionale kulturelle Eigentümlichkeiten. Item van Galarda zo Trianport j lijge den Portzenberch vff ind dit is eyn kluse ader portz oyuen vff den bergh durch eynen fyltzen gehauwen, dae lüde in wonen die dat verwaren. ind dae scheyt sich Hyspanien lant ind spraich ind heyfft sich an Pascayen lant ind spraich, ouch ander kleydonge van man ind wijff ind lijge ader mijlen werdent vil langer, as ich hier vur dae van geschreuen hane. (235, 27-33) Mehrere Zeilen und auch eine dazu passende Bildtafel widmete Harff der strengen spanischen Gerichtsbarkeit. Der Bericht beschreibt, wie man die Delinquenten in sitzender Stellung und ohne Augenblende an eine hohe (hölzerne) Säule band. An der Stelle des Herzens wurde ein weißes Stück Papier befestigt, sodann mussten zuerst die nächsten und später die weiteren Verwandten mit Armbrüsten so lange auf den Delinquenten schießen, bis er tot war. Verurteilte Frauen wurden erhängt und ihre Kleider unten zugebunden. Entlang den Straßen bot sich Harff immer wieder das grausige Bild von auf dieses Weise hingerichteten Verbrechern. Item in Hyspanyen deyt man gar strenglich justicien, as die misdedige man werdent gefencklich gebunden weder ein hoige suyll, sittzende vff eyme hultzen pael mit onuerbunden ougen ind maichen yem vur sijn hertz eyn wijss tzeichen van papijre, dar nae moissen des misdedigen mans neiste maege yerst nae schiessen ind voert

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sijne ander neiste maige mit armbursten bys he doyt ist. ouch hengt man die misdedige vrauwen an yere heltze an eyn galge ader an eynen boym ind die kleyder sijnt yen vnder den knee zoe gebunden, der wir vil saegen lanxt die straesse stayn ind hangen in deser gestalt. (228, 3 7 - 229, 7)

Bei allem Interesse an Land und Leuten war Harff eben auch auf Pilgerfahrt. Und das Land des Grabes des Heiligen Jakob bot dem Reisenden nicht nur fremde Bräuche, sondern auch Reliquienschätze und Wundergeschichten. In Santo Domingo zeigte man Harff die Reliquie des Heiligen Dominikus, die ihm jedoch auch schon in Bologna präsentiert worden war. Der weitgereiste und gebildete Pilger und Renaissancemensch kommentiert diesen erstaunlichen Umstand mit kurzen Worten. Er überlässt Gott die Entscheidung über die Irrtümer der Priester, die - und hier bemerkt er kritisch - niemals Unrecht haben dürfen oder wollen. Ein vermeintliches Hühnerwunder, das sich dort ereignet haben solle, vermerkte er jedoch mit deutlichem Zweifel im Unterton. Item van Dofra zo sent Dominicus iij liggen eyn kleyn schoin steetgen. in der oeuerster kirchen vff die rechte hant as man ingeyt lijcht sent Dominicus lijbafftich in eyme schon groissen hogen graue, des corper ind graeff vns ouch zo Benonia in Lumbardien in dem preetger kloister gewijst waert. ich laesse aber der paffen irrunge got scheyden. die en moissen ind wyllent nyet onrecht hauen, item in deser seluiger kirchen vff die lyncke hant des hoigen altaers sijnt gesatzt in die locht eyn Wischer haen ind hen in eyn geremtz. dat wylt man vns pylgerymen sagen dat die dar miraculose komen sulden sijn. (228, 26-36)

Von einem gewissen Unbehagen und wenig frommem Zweifel zeugt der Reisebericht bei seiner Beschreibung der Erlebnisse in Santiago de Compostela. Die Stadt und die Jakobskirche fanden Harffs Wohlgefallen, von den Einheimischen, die sich in der Kirche die silberne Krone der Jakobsstatue aufsetzten, fühlte er sich jedoch als Landfremder und Deutscher verspottet. Item Compostella is eyn kleyn schoyne lustich steetgen in Galicien gelegen, deme koeninck van Kastilien vnderworffen. hie inne lijcht eyn schone groisse kirche. vff deme hoigen altaer steyt eyn groiss hultzer heylich, in ere sent Jacobs gemaicht, vff hauende eyn syluer kroyn, dae die pylgrym hinden deme altaer vff stijgen ind settzen die kroin vff yere heuffter, dae mit die inwoner vns duytscher spotten. (233, 21-27)

Der Bericht merkt kritisch an, dass nach anderen Behauptungen, die Reliquie des Heiligen Jakob nicht in Santiago, sondern in Toulouse bestattet sei. Als

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Harff wünschte, den Leichnahm persönlich in Augenschein zu nehmen, wurde ihm dies mit der trickreichen Erklärung verweigert, dass jeder, der an der Authentizität der Reliquie zweifele, bei ihrem Anblick wahnsinnig wie ein tollwütiger H u n d werden müsse. Item m a n wilt sagen dat der lijchanam sent Jacobs des meirrer apostel sulde sijn ader lijgen in deme hoigen altaer. etzliche sagen waerafftich neyn, as er lijcht zo Tolosa in Langedock, dae van ich vur geschreuen hane. doch ich begeert mit groisser schenckonge dat m a n mir dat heylige corper tzoenen weulde. mir wart geantwort, soe wer nyet gentzlich geleufft, dat der heylige corper sent Jacobs des meine apostel in deme hoigen altaer leege ind dae an tzwyuelt ind dat corper dan sien wurde, van stunt an moiste er vnsynnich werden wie eyn raesen hunt. (233, 28-37)

H a r f f wusste, was von solch fadenscheinigen Erklärungen zu halten war, und beließ es dabei. Er ließ sich dafür noch das Haupt des jüngeren Heiligen Jakob und andere Heiligtümer zeigen. Vor der Kirche erwarb er schließlich eine Jakobsmuschel, die am Pilgerstab zu befestigen war und schon damals als Beleg für die erfolgreiche Pilgerfahrt nach Santiago galt. dae mit hat ich der m e y n o n g h e genoich ind vir gyngen voert v f f die sacrastie. dae tzoent m a n vns dat heufft des kleynen sijnt Jacobs apostel ind vil anderen heyltums. d a n vur der kirchen vindestu vntzellich vil groisser ind kleyner musscelen veyle. der maichs d u gelden ind binden eynen vff dijne heuck ind sagen d u sijs dae geweest. (233, 37-234,3)

JOHANNES LANGE - EIN HOFARZT AUF DIENSTREISEN ( 1 5 2 6 )

Der Schlesier Johannes Lange (1485-1565) studierte in Leipzig bis zur Magisterwürde, ließ sich anschließend in Italien zum Arzt ausbilden und wurde 1522 schließlich zum Dr. med. promoviert. Bald darauf trat er als Leibarzt in die Dienste der Kurfürsten von der Pfalz ein, wo er bis zu seinem Tod verblieb. Als sein literarisches Hauptwerk gelten die „Epistolae medicinales", in denen er u.a. für neue Methoden bei Schädeloperationen eintrat, gegen die zahlreichen herumziehenden Pseudoärzte wetterte und manchen sich hartnäckig haltenden Aberglauben kritisierte. 31 Die pfälzischen Kurfürsten begleitete er als Leibarzt häufig auf deren Gesandtschaftsreisen, so auch den Pfalzgrafen und späteren 31

Gurlt 1883.

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Kurfürsten Friedrich II. bei seiner Fahrt nach Granada im Jahre 1526. 3 2 Über seine Erlebnisse und Eindrücke verfasste Lange einen tagebuchartigen Bericht. Die Originalhandschrift des Autors ist nicht überliefert, erhalten ist lediglich eine Kanzlistenabschrift aus dem Jahre 1528. 3 3 Von Deutschland ging die Reise nach Frankreich und schließlich über die Pyrenäen nach Spanien. Auf dem Weg nach Granada passierte die Reisegesellschaft u.a das Baskenland, Pamplona, Guadalajara, Villafranca, Valdepeñas und Ubeda. Der Rückweg führte über Toledo, Madrid, Burgos und mit Tolosa wieder ins Baskenland. 34 Johannes Lange verfasste seinen Bericht nicht im Auftrag seines Fürsten wie z.B. Tetzel. Es sind tagebuchartige Aufzeichnungen, die nur sehr wenig über die polititisch-historischen Zusammenhänge aussagen. Vielmehr spiegeln sie die persönlichen Eindrücke eines Arztes und Gelehrten aus der Oberpfalz wider, der die fremde Kultur mit wachem Interesse betrachtete. Der dezidiert deutsche Blick auf das Fremde wird u.a schon daran deutlich, dass Lange als Maßstab zur Größenangabe der spanischen Städte stets der Vergleich mit Städten aus heimatlichen Gefilden dient. Toledo sei z.B. „ein Stat fast also Nurmberg groß ongeverlich" (Hasenclever 1907: 425) oder Burgos „ein Stat in der groß Amberg". (427) Auch in den Aufzeichnungen Langes sind die Widrigkeiten und Beschwerlichkeiten auf der Reise durch Spanien ein zentrales Thema. Zuerst sei es notwendig, einen Geleitbrief des französischen Königs bei sich zu führen, sonst würde man noch an der Grenze gefangen gesetzt. Zudem unerlässlich sei ein schriftlicher Befehl Kaiser Karls V., der die Bewohner der spanischen Städte und Dörfer verpflichte, gegen Entgelt für Unterkunft und Verpflegung der Reisenden zu sorgen. D e r diße obgemeltte strasse mit etzlichen pferden ader fueßknechtten in H y s p a n i e n ziehen will, d e m ist von notten, das er auß u n d ein zu reytten sicher gelayte habe des Königs von franckreich, sunst wirt er an frontirn oder Grentzen gefencklich auffgehallten, u n d auch von d e m Kayser schryff[t] liehen u n d ernstlichen befel habe an alle stette u n d dorffer Hyspanie, das m a n im herberge schaffe u n d , weß er n o t d u r f f t i g sey, u m b ein zimlich geldt verkeuffe u n d mittheyle. ( 4 3 1 )

Trotz des kaiserlichen Befehls müsse man aber noch an der Grenze Hausrat, Lebensmittel und sonstige Utensilien erwerben und auf einem Esel mit sich 32

Hasenclever 1907.

33

Vgl. Vorwon der Edition von Hasenclever 1907: 388.

34

Zum Itinerar vgl. Paravicini 2001: 359.

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führen, da davon in den spanischen Herbergen entweder nichts vorhanden sei oder nichts gegeben werde. Ebenso herrsche an Ställen und Futter für die Tiere überall Mangel. Zum andern das er an der frontzosischen grentz zu Bayona kauffe stuel, Tisch, häffen, brotspeis, kessel, Kellen und pfannen, waz man in der kuchen geprauchet, und uff einem Esel nachfure, dan in den Hisponischen Herbergen vindet mans nicht zu kauffen, noch zu entlehen, und so sie doch solchen obgemeltten haußroth hetthen, das do seltzam ist, so verleugnen sie den und verschliessen in. Auch findet man in obgemeltten herbergen kain stallunge, kain heue noch streue, auch weder roßbaren noch rayfife, sunder klein zerriben Strohe glydtslang und gerste, auch waitze an stat des haberns, darmit man fuettert. (431) N i c h t nur die Versorgung der Pferde sei erbärmlich, auch die Betten der meisten Herbergen seien von schlechter Qualität und meist voller Läuse, Wanzen und Mücken. Außerdem finde man fast nirgends Toiletten, so dass jedermann seine N o t d u r f t in den Ställen verrichte. D e m Arzt Lange scheint es dann auch nur zu selbstverständlich, wenn die Pferde davon krank würden. Das bethgewant ist nicht von federn, sunder mit wolle, etzlichs auch mit erbstroe außgefüllet und die Leyloch sein von vast gutter und subtiler leynbath, welche sie mit waschen sauber und reyn halden, jedoch hätten on vil orten die leuse, wantzen und muckhen die herberge vor uns besteh und eingenomen. Auch vindet man vast in allen heusern Hyspanie und sunderlich yn den herbergen kein haymlich gemach oder sprochheuslein, sunder yderman leufft in die stelle, darvon die stallunge also stincken, daz nicht wunder wer, das gestancks halbe die geulle verdürben. (431) Der ständige Mangel an Holz, der es selten zuließ, zu kochen oder Brot zu backen, war ein weiteres Problem. D a in Spanien daher ein jeder nur Vorrat für einen Tag anlege, habe man oft nur auf Einwirken der Obrigkeit Brot erwerben können. Schuld an der Misere habe zum einen die Unfruchtbarkeit des Landes und z u m anderen die Ausbeutung des Volkes durch den Adel. Item in den hisponischen herbergen vindet man sehten holtz zu kochen oder des brots ein notturfft, dan von wegen mangel des holtz helt man in den dorffern und stetlein einen gemaynen Ofen, darinne ein ytzlicher haußwirth ym nicht mer, dan er auff ein tag nottürfftig ist, pachen lest, derhalben die obrikheit hat müssen offte schaffen, das man vor uns auch bueche. Ursache solcher bösen und ungebauten herbergen ist des Landes unfruchtbarkheit und das ein itzlicher burger in Castilia

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schuldig ist, die edelleute halb umbsunst zu beherbergen und in das halbe tayl ires hauß und haußraths einzugeben, der halben die heuser nicht stathafftig gebauet werden. (432) Die Kargheit der Landschaft wird an mehrern Stellen der Aufzeichnungen thematisiert. Fände m a n zwar wohlriechende Kräuter vor, so überwiege die waldlose Ungastlichkeit des Landes doch bei weitem. Item von Pampilana35 baß gegen Schedrack36 seintht wir tegelich zwuschen Roßmaryn, Lavendel und Salve-Segelbaum geriten, und wo dise obgemeltte kreutter wachsen, do habe wir dorre und unfruchtbars stayniges Landt funden. Derhalben soll Teutsch nacion dise wolschmeckende kreutter vor ir graß und thanzepffen kains wechssels begeren. (415) Z u all diesen Beschwerlichkeiten kam häufig noch Wucher, Betrug oder sogar Diebstahl. Bei Jadraque in der Provinz Guadalajara mussten die Reisenden Wucherpreise für Wasser bezahlen und der sie beherbergende Geistliche wollte nichts von seinen Äpfeln herausgeben. Ist ein groß dorff des Marggraven von Nassa, in welchem wir ain ducaten für einen wasserhaffen muessen zu pfandt geben, und sein von einem pfaffen beherberget worden, der alles vor uns geflohet hete und den gartten verschlossen, in wellichem wir die ersten reyffen opffel funden haben. ( 415) In Illescas in der Provinz Toledo hatte man es zu allem Überfluss mit der diebischen Tocher des Wirtes zu tun, vor der Speisen und Kerzen nicht sicher waren. „Ist ein zimlichs dorff, in welchem wir unser speyse und lichte vor des wirths dybischen tochtern nicht verhalden konden." ( 4 2 6 ) Lange kennt auch die Geschichte um den Spitalmeister bei Burgos und seine Tochter, die 5 0 0 Pilger vergiftet haben sollen, um sich ihrer Barschaft zu bemächtigen. Item ein halbe meyle vor der stat ist ein königlich hospitall, welches hat sechs tausent ducaten jerlichs Rendts, darvon etzliche Reysige edelleut in dem hospital wonende erhalden werden, und von dem uberigen alle Jacobsbruder gespeysset und beherberget ain nacht und die krancken, piß das sie genesen. Dises Spitals Spitalmayster hat mit sambt seiner tochter bey 500 Pilgramsleut mit gift getodet und ire Barschafft behalden; darumb er auch gericht worden ist mit sambt der tochter. (428) 35 36

Pamplona Jadraque

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An vielen Stellen seiner Aufzeichnungen wird der Mangel an Wasser oder seine schlechte Qualität, die Ursache vieler Krankheiten für Mensch und Tier sei, kommentiert. „In diser Lantschaff hats in funff Monadtten nit geregnet, derhalben umb waser grosser mangel waß allenthalben." (414) vermerkte Lange für die Gegend um Gömara und in Bezug auf Tafalla in Navarra heißt es: „In diser Stat hat des doctor Lembergers pferdt nach essens auß einem sienden waser, darzu slangen und frösche lyefFen, sich zu rehe getruncken und 4 myl darauff gegangen." (413). Ebenso schlecht wie in Toledo, wo er „gantz bose trinckwasser und seer böser geschwilder lufft" (426) vorfand, sei das Wasser in Granada, von dem man leicht die Ruhr bekäme: „Aus disem obgemeltten schlösse, darinne auch ain weyer ist, fleysset das wasser vast durch alle namhafftige heuser der statt Granathen. Ist ein ungesunt wasser, darvon man die Rure lyderlich uberkomet, und haben kain wasser, auch kainen brunnen."( 423) Nicht nur „stincken wasser", sondern sie bekamen oft auch „bösen wein" zu trinken. Langes Einschätzung der spanischen Weine unterscheidet sich doch sehr von der heutigen vieler Deutscher. Zu stark, so dass man sie mit viel Wasser mischen müsse, und vor allem unbekömmlich seien sie. Item Hysponia ist ein seer birgiß Lande von gantz unfruchtbarn gebirge; hatt starcke ungebreuchliche weyne, welche man in erdthefen haldet und in gezierhtten Geyßheutten überlandt füret, darnach sie alle schmecken, und dysse wein, so man sye trincket, müessen das halbe ader drytthayl mit wasser gemischen, und von dem ersten Trunckhe, den einer trinckhet, bricht im von stund an der schweis über den ganzen leyb auß. (432)

Aus diesen Textpassagen sprechen zum einen die auf der Reise alltäglichen Mühen und Beschwerlichkeiten, zum anderen aber auch der Gelehrte, der nach den Ursachen fragt, und nicht zuletzt der Mediziner, der Gefahren für die Gesundheit vermerkt. Langes kulturgeschichtliches Interesse galt aber vor allem auch den fremden Sitten und Gebräuchen sowie der Mentalität der Bevölkerung. Dabei schwanken seine Aufzeichnungen zwischen Überraschung und Bewunderung einerseits, und Kritik und Ablehnung andereseits. Seine Aufmerksamkeit erregte etwa der Umstand, dass das Volk in Spanien das Recht zur Jagd hatte und dieses mit vergifteten Pfeilen ausübte. Item [in] gantz Hisponien ist yderman freye, das wiltproth allerley zu schiessen, welches die pauern sunderlich in disen pergen mit vergyfftten klaynen pfeylen schyessen, welche gifft also starck ist, das sie den menschen todet, so allain des menschen pluet oder klaynes wundlein darmit bestrichen wirt. (418f.)

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D i e weit verbreitete Sitte vieler spanischer Adliger, schwarze Sklavinnen zu halten, mit diesen Bastarde zu zeugen, die wiederum zum Teil schon mit zehn Jahren weiterverkauft werden, lässt er unkommentiert, dürfte aber nur schwerlich seine Z u s t i m m u n g gefunden haben. In gantz Hisponia die Reichen und die Edlleut die swartze verkauffte moryn und leybaygen haben, vergönnen yderman die fleyschlich zu erkennen, also doch das die frucht des herren beleyben syndt, welche er ym sibenden und zehenden Jare, auch Eltter umb XVI oder zwaintzig ducaten, auch vill teurer verkauffet. (416) D i e Basken wiederum erschienen ihm zwar als „unhofflich volck" ( 4 1 1 ) , von ihrer Sprache sowie den Frauen und ihrer Haartracht war er sichtlich fasziniert. „ D i ß Landt hat schöne weibsbilder und beschorne kolbige Junckfrauen und ein sonderliche sproche, welche sich mit keines andern Landes spreche vermischt und vergleichet." ( 4 2 9 ) D i e unverheirateten baskischen Mädchen tanzten und sangen zur Pauke a u f der Sraße, versperrten der Reisegesellschaft den W e g und verlangten „verehrt" zu werden. „Diese obgemeltte Junckfrauen mit den henden an enander geschlossen und nach der paucken singende in den dorffern verhalden den Reuttern die Strosse und begeren von in eine verehrunge." ( 4 1 2 ) Von der seiner Ansicht nach jedoch sehr wenig ehrwürdigen Art der Geistlichen, denen es im Baskenland offenbar nicht verboten war, sich an den öffentlichen Spielen zu beteiligen, zeigt sich Lange in seinen Aufzeichnungen einigerm a ß e n überrascht: „und an dem tantze zuspringen und alle geradigkheit zu üben, auch des pales zu spielen ist den pristern unverweißlich." ( 4 1 2 ) Sie seien zudem ungebildet und übten merkwürdige Riten, etwa wenn sie sich von den Frauen H ä n d e oder S a u m der S u t a n e küssen ließen. „Auch hat d i ß L a n d t sonderlich ungelerte priester, welchen die weyber, so sie auß der kirchen geen, die hende küssen, und in der kirchen offte den sauen an der Cassell." ( 4 1 2 ) D i e Fremdartigkeit mancher religiöser Sitten, wie er sie z.B. in Cervera del R i o Alhama erlebte und die ihn eher an jüdische Bräuche erinnerten, spricht aus einer R e i h e weiterer Passagen des R e i s e b e r i c h t s . „Aldo sein wir am tage C o r p o r i s Christi still gelegen, do haben die Burger in weyßen h e m b d e n mit g e m ä h t e n rayffen vor dem Sacrament nach dem altten judischen gebrauch getantzet und gesprungen." ( 4 1 3 ) In Mantelebras wurde Lange sogar Zeuge einer Art heidnischem Regentanz, bei dem sich alles Volk, o b alt oder jung, mit Geißeln schlug. In disem dorff haben sie den halben tag circuirt oder circuitum gehalden, und Gott mit schreyender stymbe umb regen, wasser und barmhertzigkeit gebetten, und altte

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Eckhard Weber Menner, auch knaben, Junckfrauen und kynder nacket und parfueß gegangen und sich mit gaysein gehauen. (413f.) Die Verfolgung von (heimlichen) Juden oder Muslimen im Zuge der Reka-

tholisierung des Landes nach abgeschlossener Reconquista macht die folgende Passage deutlich. Lange kritisiert hier deutlich die Auswüchse einer Jurisdiktion, bei der es vor allem um die persönliche Bereicherung des Richters gehe. Denn egal ob der Angeklagte sich schuldig bekannte oder nicht, er verlor jedenfalls Hab und Gut, das Richter und Obrigkeit zufiel. Im Falle des Leugnens reiche der Eid eines einzigen Anklägers, um ihn auf den Scheiterhaufen zu bringen. In Tembleque wurde sogar der W i r t der Reisegesellschaft wegen seiner Zugehörigkeit zum muslimischen Glauben verbrannt. Ist ein offen marck, in welchem unser wirth von wegen der Marranischen Seeth verbräm waß und sein nomen auff ein gelbes tuch grob geschriben in die kirche gehenckt. Merck! so yndert ein person, weyb oder man, wirtt bey dem Richtter bey dem Eyde beschuldiget, auch in irem abwesen, das sie der Marannischen ader Judischen seeth anhennig sein, so wirt die beschuldigt person in abwesen des heymlichen zeugen gefordert, und so sie des gesteeht, so hatt die beshuldigtte person hab und all ir gutt verwircket, das dem richtter und der obrikheit haimfallet. So aber obgemeltte beclagtte person das laucknet, so hatt sy auch alles gut verlorn und auff gethonen Aydt des haymlichen anclagers wirt sie verbrent und ir Namen auff ein gelbs tuch, ayner elenn prayt und lanck, grob geschriben in die kirche an einer schnür uffgehangen, darumb sieht man vast in allen kirchen Hisponie zwaintzig, auch 40 und 70 tucher hangen. (417) So würde eine Atmosphäre der Angst geschaffen, dass es niemand wagte, gegen die katholischen Geistlichen oder gar für die Sache der Protestanten zu sprechen. Durch dise Jurisdiction werden vil rechtter Leute umb neudes und guts willen beclagt und auff falschen Aydt des anclagers und geytz des Richters leybs und guts beraubet, derhalben Nyemandts in Hispania wider die Geystlichen reden oder der Lutteryschen und Evangelischen sache one ferlikhait seines lebens gedencken [darf], (417) Die Feindseligkeit gegenüber konvertierten Juden erlebte Langes Reisegesellschaft in Vitoria am eigenen Leib. „Item zu Victorie seint uns betrieglicher weyse paßbrieffe eingeret worden von der Stat obristen, und die wirthin hat den Marschalk für einen Juden gehalden und gescholtten, derhalben sie auch in an-

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derthalben stunde uns kain brot wollte verkauffen." ( 4 2 9 ) In Granada, das bis 1 4 9 2 noch unter maurischer Herrschaft stand, traf Lange naturgemäß auf besonders viele konvertierte Muslime, denen zwar gegen eine Abgabe vom Kaiser gestattet war, ihre traditionelle Kleidung zu tragen, die bei Versäumen der Sonntagsmesse aber hohe Strafen zu zahlen hatten. Item das halb tayll diser Stat volcks sein weysse moren, welcher weyber und junckfrawen alle weysse schyffhosen und ploderthe antragen, und das haubt und leib mit einem weyssen tuche, vast wie bey uns die dorffhirtten, beclaydet paß auff die waden, und das Tuch vorne alle für das halbe Antlitz halden, und das dise klayde mögen ine nachgelassen und freyer seie, muß ein Jetzliche person dem kayser darvon jerlichen ain ducaten geben, und welche am Sontage die predige versäumet, dem pfarher ein Reall. (421) Z u r weiteren Kontrolle war es den Mauren unter Androhung hoher Strafen verboten, Waffen zu tragen. Item den obgemeltten Moren seint allerlay werhee bey in zu tragen, sie wandern dan über feit, oder in irem hause zu halden bey grosser pene verboten, außgeschlossen ein klaines protmesser und ein fleyschmesser, darmit sie zuhauen, welches an ein kethen gefast ist, derhalben die Obrikheit alle viertzehen tage ihre heuser lasset besuchen. (422) Anlässlich der jährlichen Feier der Eroberung Granadas wurden von christlicher Nobilität und Bürgern der Stadt Kampfspiele in orientalischer Tracht aufgeführt, bei der das Volk auf „Ochsenjagd" gehen durfte. so lassen sye auff dem marckthe sechs oder siben ost ochsen dem gemaynen man jagen und stechen, darnach komen die Raysigen auff turckischs und Morischkisch zu rosse gerust und in zway tayll getayllet, schiessen mit schweren dicken ruern uff einander und ein tayl umbs andere begibt sich die fluecht und stellet sich wider zu der were. (421) Z u anderer Gelegenheit wurde Lange Zeuge einer solchen "Ochsenjagd", bei der drei Männer und ein Pferd zu Tode kamen. Dises Spiel habe wir den kayser zu Granaten in aigner person und gegenwurt der kayserin mit irem porthugalischen frauenzimer zu Granathen an sannt Johanns tage halden [sehen], in welchem drey menner von den Ochsen seint auff den tode ver-

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Eckhard Weber wundt worden und ein gaul mit einem Ror auff das haubt geschossen, ist also balde nydergefallen und auff der stat belieben. (421 f.) Gegen Ende des Aufenthaltes erlebte Lange noch die Aufführung eines M o -

riskentanzes zu Lauten- und Paukenspiel. Tracht und S c h m u c k der Morisken erinnerten ihn an Diakone in Deutschland, den Gesang der Frauen fand er jedoch nur hässlich. Item auff den letzten tage zu Granathen hat der kayser meinen Gnedigen herren in den gartten unter dem schlösse gelegen zu besichtigen den Morischken tantz gefuret, welche alle mit sunderlichen gutten Perlein und edelm gestaine umb die Oren, Stirne und Arme getziret und geclaydet, fast wie bey der messe dyaconi, auff ires Landes art getantzt haben nach der Lautten, geygen und paucken, auff welchen 3 weyber bey funffzig, auch eine umb die viertzig jare alt gespilet haben und mit heßlicher pauerischen stymme darunder gesungen und etliche die hende ineinander zu frolocken geschlagen. (422) Die maurische Sitte, sich die Fingernägel gelb zu färben, die auch bei den jungen Frauen in Kastilien Einzug gehalten habe, schien ihm ebensowenig zu gefallen. „Item die weyssen moren und junckfrauen in Castilia ferben [mit] gelbfarbe die Negeln an den fingern, wie bey uns die Gerber, welches sie halden für ein sunderliche zier." ( 4 2 2 ) Langes Erwähnung des sagenumwobenen H a rems der Kalifen angesichts seiner Besichtigung der Alhambra zeigt, wie sehr sein Blick auf das F r e m d e auch von Interesse und Neugier an pikanten G e schichten geprägt war. Item des kaysers schloß ist von den Morischken auff einen bergk in der Stat gebauet, darinne man noch sieht die lustige und kunstenreiche bade des Morischken koniges, in welchem er mit seinen beybern gebadet hat, welcher er dann vil nach seinem wolgefallen gehabt hat; und welche er dan noch dem bade begert hat, der hat er ainen Apffel zugeschickt. (423)

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L U P O L D VON W E D E L - SÖLDNERFAHRT BIS ANS E N D E EUROPAS ( 1 5 8 0 )

D e r S t a m m s i t z des Ritters L u p o i d von Wedel ( 1 5 4 4 - 1 6 1 5 ) war K r e m z o w in Pommern, von wo er jedoch immer wieder zu ausgedehnten Reisen aufbrach. N o c h im Pagendienst hatte er mit seinem damaligen Herrn, d e m Grafen Volrad von Mansfeld, weite Teile Deutschlands besucht. Später nahm er als Söldner an d e m Feldzug in Ungarn im Jahre 1566, an den Hugenottenkriegen in Frankreich 1575 und 1591, am Kölner Krieg 1 5 8 3 / 8 4 u n d an d e m Straßburger Bischofskrieg 1 5 9 2 / 9 3 teil. Weitere Reisen, u m Länder und Völker kennenzulernen, führten ihn nach Palästina, Aegypten, Italien, Spanien, Portugal u n d England. Uber seine Reisen verfasste Lupoid von Wedel tagebuchartige Eintragungen, in denen er stets auch die zurückgelegten Distanzen notierte oder Angaben über Nachtquartiere machte. Darüber hinaus berichten die Aufzeichnungen Wedels von Sehenswürdigkeiten, von erlebten wie erzählten Geschichten u n d ebenso von Landwirtschaft, der Beschaffenheit des B o d e n s der bereisten Länder wie von Sitten und Gebräuchen ihrer Bewohner. Wedel ließ noch selbst auf Basis seiner Aufzeichnungen eine Niederschrift anfertigen, die er an einigen Stellen mit Randbemerkungen versah. Von der Originalhandschrift legte M a x Bär 1895 eine Druckfassung mit ausfuhrlicher Einleitung vor. 37 Im August 1580 überquerte L u p o i d von Wedel die Pyrenäen und erreichte das spanische Baskenland. G r u n d seiner Reise war aller Wahrscheinlichkeit nach von Beginn an die Absicht, am Kriegszug des spanischen Königs gegen Portugal teilzunehmen, der sein portugiesisches Erbe mit Waffengewalt beanspruchte. 3 8 Wedels Weg durch Spanien führte ihn über San Sebastian, Vitoria, Burgos, Madrid, Toledo, Merida, und Badajoz. A m 30. August erreichte er Lissabon, das gerade von den Spaniern eingenommen worden war. Nicht nur war er zu spät gek o m m e n , er wurde überdies auch noch ernstlich krank, so dass er erst im D e z e m b e r per Schiff die Heimreise antreten konnte. 3 9 Ein erstes Erlebnis mit fremden Sitten hatte er gleich bei der Einreise nach Spanien, bei dem baskischen Städtchen Irün. M a n hatte ihn erst unbehindert passieren lassen, dann waren ihm aber doch zwei Soldaten nachgeritten, u m Zölle zu kassieren. Als sie aber sahen, dass er nichts als das Nötigste mit sich führte, verlangten sie Trinkgeld für ihre vergebene Mühe, worauf sie schließlich aber auch verzichteten.

37

Bär 1895.

38

Kürbis 2 0 0 4 : 76.

39

Bär 1895, Einleitung 21f.

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Eckhard Weber Hart bei dissem Paß ligt ein zerbrochenes Schloß in Spanien, sulches sullen vor Zeiten die Franzosen eingeschlosen haben. Es geht auch bei dissem Paß das spanische Gebirg an, derhalben nicht wohl ein Kunink zu dem andern mit Krigesfolk kummen kan. V2 Ml. van dissem Paß sein mir durch ein offen Stetlin Herung 40 genant geritten, dasilbest, weil ein Jubernator mit der Besatzung daligt, lichwohl ane Ansprache gebliben, wie mir aber etwan 2 Buksenschoß heraus gewesen, sein 2 Soldaten hinter uns hergelofen und gefragt, worumb wir also durchgeritten, denen ich zur Antwort geben lassen, daß ich ein Fremder und nicht wüste, daß man da harren durfte, sie sulten ir Ampt billich besser vorsehn und die Leute ane Ansprache, so ferne es inen bevolen, nicht passeren lassen. Ob sie mir wol daruf nicht geantwortet, haben sie mir dennoch den Watsack aufgemacht. Wie sie aber gesen, das ich nicks darinne den mein Zeuk, so ich gebrucht, haben sie Trankgelt, derhalben sie so weit nachgelofen, begeret, daruf ich geantwortet, ich hette inen sulches nicht geheissen, kunte inen kein Gelt geben, hette nur Notorft Zerung bei mir, damit haben sie mir passeren lassen. (Bär 1895: 242) Von weiteren Problemen oder Gefahren auf der Reise findet sich nichts in

Wedels Bericht. Mehrere Passagen vermerken jedoch fremdartige Sitten u n d Gebräuche der Spanier. Auch Wedel beschreibt die Sitte der jungen Baskinnen, das Haar wie in Deutschland die Männer kurzgeschoren zu tragen. In Baska oder Buschaie wie vorgemelt, welches ein Ortlin davan dem Kunink van Frankrich gehöret, das ander aber alles dem van Spanien, bis in die Statt, da ich vorlofen Nacht gelegen, tragen die Junferen Kolben wie in Teutschlant die Kerle, haben forne nur enzelen doch gar dünne Hare sitzen. (245) In Illescas bei Toledo notierte er mit einiger Überraschung die große Anzahl schöner Frauen, die sich in seiner Herberge einfanden, u m dem „Ochsenspiel" zuzuschauen, das in der Stadt veranstaltet wurde. Derhalben ich mir den 16. aufgemacht auf Aliescas geritten 6 Ml. Ob ich wol weiter zu reiten willens, haben sie dennoch in der Statt mit Oksen ein Spil angerichtt, die Gassen alle vormacht, daß ich die Nacht hir vorharren müssen, und sein in meine Herberg schone und file Weiber kumen, welche dem Spil zugesen, daß ich nicht gemenet, in sulcher geringen Statt so schone Weiber anzutreffen weren. (252) Eine der großen Sehenswürdigkeiten Spaniens war nach Wedels Ansicht die Stadt Toledo mit ihrem D o m und - für den kriegserfahrenen Söldner von be40

Irün

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sonderem Interesse - der berühmten Waffenschmiede, die die besten Stahlklingen erzeugte. Den 17. bin ich 6 Ml. auf Tolede geritten, mir in der Statt, welche van den vornemesten eine in Spanigen gehalten, vorsen, daneben in der Kirchen, welche die schönste in Spanigen gehalten, welche auch herlich und schon, inwendich file schöner den auswendich, den hir das geistlige Konsestorium sich erhelt. Die Statt ligt zum Tel auf dem Berge zum Tel darunder, es geht eine feine Maure darumme mit dergelichen Scheißtormen, fleust hir auch ein Wasser, habe aber den Namen nicht erfragen kunnen, ligt in der Statt auch ein Castel und kuninklich Haus. Man macht hisilbest die besten Repperklingen in ganz Spanigen. (252) Besonders ausführlich sind Wedels Aufzeichnungen jedoch über Madrid und den königlichen Hof Philipps II., des Herrschers über zwei Weltreiche. Sie beschreiben ein dreistöckiges Gebäude, das zwei Plätze umschloss, in deren Arkadengängen Waren zum Verkauf angeboten wurden. An der Eingangspassage zu den Plätzen standen die Pferde der Höflinge bereit. Das Schlafzimmer des Königs, das auch in dessen Abwesenheit bewacht wurde, befand sich im Erdgeschoss, das der Königin jedoch über den Eingangstoren. Mit Verwunderung bemerkte der Kriegsmann Wedel, wie wenig Königspalast und ganz Madrid gegen mögliche Angriffe befestigt war. Madril ist groß bebuwet, ligt im rumen platten Felde, hat gar keine Mauren umme sich, den es alle Jar grosser gebuwet, liget ummeher fruchtbarer Acker, so Korne treget. Disse Statt liget van Kremptzo 351 Meile teutz. Den 12. bin ich nach dem kuninkligen Hause gangen, da man den ehe man henein kumpt, über einen grossen Platz geht, alsdan sein und gehn in das Pallatium 2 Thor, ein ider Thor zu einem Platz geht, den das Haus 2 ferkantige Pletze in sich hat und die Pletze mit einem Gange auf starken Pflleren umringet, darunter stetes allerleig Ware feigel ist. Ehe man aber in die Pletze kumpt, geht man quer durch ein lank Zimmer, welches stetes ful Pferde steet, so gesattelt und zomet, welche den Hern und Cavelirn gehören, so zu Hove reiten und da zu thun haben. Wan man in den einen Platz kummet, ist das kuninklige Gemag neben der Erden, da man eingeht, gelich aus, welches stetes mit Trabanten bewacht, er ist da oder nicht, so hat die Kuningin ire Gemag oben den Thoren. Es ist aber das Haus so wenik wie die Statt befestiget und ist nur 3 Gemecher hoch, es ist aber der alte kuninglige Sitz in Spania hiesilbest. (247) Wedel besuchte die königlichen Ställe, die reichlich Platz für Pferde boten und ließ sich die Wunder der königlichen Waffenkammer zeigen. Unter ande-

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Eckhard Weber

rem wurde ihm die Rüstung Karls V. gezeigt, des bekanntermaßen an Gicht leidenden Kaisers, an dessen Schwert er die Einbuchtungen am Griff bemerkte. Van hinne bin ich in des Kuninges Stal gangen, welcher gelich jegen dem Schloß über. Es sein aber itzt, weil der Kunink nicht hir, wenik Pferde darein gestanden, alleine 80 Rume habe ich darein gezelet. Van dannen hat mir des Kuninges Harnesmeister oder Plattener in des Kuninges Rüstkammer gefuret, welche oben auf dem Stal und lustich zugerichtt, und hat mir ersdich Keiser Karle Quintus Stechzug gezeget mit Kledung, Schorzen und was darzu gehöret, gar keiserlich mit Golt und Silber zugerichtt, neben einer Rustung, so Keiser Carole Frowen / Fater, Pfilippe genant, gehöret, auch das Schwert, so er gebrucht. Daneben hat er mir gemelten Keisers Rustung, so er in den Krigen neben den Weren und vornemlich in dem sekseschen Krige gebrucht, gezeget, dabei ein kurzes Schwerdin mit einem schwarzen Kreuz und alten lederen Schede gehangen. Sulchens hat der Keiser stetes getragen, bis er gestorben und ist der Grif, welcher mit Siden bewunden, mit Fleiß krum und hublich gemacht, aus Orsachen, daß des keisers Krankheit als das Pudgra, wie einem idern bewust, im die Finger gar krum gemacht, derhalben er den Grif an dem Schwert mit Fleisse nach den Fingern machen lassen, den er gemeinlich an dem Schwerdin gangen bis an sein Ende. (247f.) Wedel bewunderte die reich verzierten und geschmückten kaiserlichen Harnische, Sättel, das Zaumzeug sowie die zahlreichen Schwertspieße, unter denen er auch einige indianische aus exotischem bunten Holz ausmachte, die zum Teil mit Schlangenhäuten überzogen waren. Daneben sein 3 Korisser auf die Gaule, damit sie ganz und gar bedeckt, auch Settel, Zorne mit Gesmuck und Zir gewaltig zugerichtt, daruf und an gewesen, gestanden, welcher gemelter Keiser vor Queintin 41 gebrucht. Jegen dissen über sein 3 ander gestanden, welche itzige kuninklige Mogstat hat machen lassen, dabei den file Schwerterspeis, seltzem und kuninklich zugerichtt, gehangen, unter welchen etzlige indianische Speisse, welche lank und smal und die Stacken van indianischem Holze, welches seltzem und bunt an sich silbest wekset. Etzlige Stacken sein mit Schlangenhuten uberzogen. (248) A n weiteren echten oder vermeintlichen Sehenswürdigkeiten wurde Wedel u.a. das Schwert des legendären Roland, der 7 7 8 in der Schlacht bei Roncesvalles gefallen sein soll, die Rüstung Don Juan de Austrias, der 1 5 7 1 bei Lepanto die Türken geschlagen hatte, und die Rüstung König Philipps selbst präsentiert. Von der Pracht der Waffen und des Reichtums, den er zu sehen bekam, war er tief beeindruckt. 41

Saint Quentin

Pilger, Räuber, Heiden und Ketzermeister

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Darnach hat er mir des itzigen Kuning Rustung, Renzug und Koritzer gezeget, welche etzlige vorgultt und etzlige mit geschlagenem Golde eingelegt, welche uberaus file kosten, sampt Tomierspeissen und Schwerten, welche alle kuninklich zugerichtet, daß ich sagen muß, daß ich vorhin sulchen statlich Zeug, welches Keiser Karolo und dem itzigen Kuning gehöret, auch das Smuck und Zir, so dazu gebrucht, nicht gesehn. (249) Bei der noch in römischer Zeit gegründeten Stadt Merida konnte Wedel schließlich technische Errungenschaften der lateinischen Zivilisation, den Aquäduct und die Römerbrücke über den Guadiana bewundern. Den 22. bin ich 9 Ml. bis jen Mere 42 geritten, dasilbest Nacht bliben. In disser Statt wirt das Wasser auf einer Mauren weit aus dem Felde gefuret, man reitet in die Statt unter der Mauren, daruf das Wasser fleust, wek. Es geht an der ander Seiten der Statt eine lang steinerne Brücke über einen Flus, welches des Winters gar groß, itzt aber so trucken, dasses seinen Flus vorloren. (253f.) Von den religiösen Gebräuchen wusste Wedel kaum etwas zu berichten. Aus seiner Beschreibung der spanischen Sitte, an den Straßen Kreuze mit Ikonen und gegebenenfalls dem königlichen Wappen aufzustellen, die von der Bevölkerung angebetet wurden, spricht jedoch gewisse Verwunderung. Den 20. bin ich 8 Ml. auf Zarrusech geritten und Nacht bliben, bin aber 4 Ml. van hinne über eine feine steinerne Brücke van Quatersteinen gemacht, geritten, daruf ein Bilde und kuninges Wapen stet, welches Bilt, so die Leute, so darüber zen, anbeten, wie man den in Spanigen vor Steten und Dorferen lauter Bilten und Kreuzen fint. (253) Der als Söldner nach Spanien g e k o m m e n e Wedel war auch L a n d m a n n , so dass viele Passagen seiner Aufzeichnungen der Landwirtschaft und der Beschaffenheit des Bodens gewidmet sind. A u f dem Weg von Burgos über eine weitgehend unfruchtbare Ebene erregten die spanischen Eichen die Aufmerksamkeit Wedels. In einigen erkannte er die ihm aus Deutschland bekannten Eichen wieder, andere hatten nur wenig und fahles Laub, wieder andere trugen ganz besonders kleine Blätter. Etwas Sehnsucht nach der deutschen Landschaft scheint hier in seinen Worten mitzuschwingen.

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Merida

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Eckhard Weber Da ich disse 2 Tage van Burgus bis hiher geritten, ist wol fast eben gewesen, doch der merendel unfruchtbarer Acker, der nur Sagenbom und enzelen Echbome, auch wol smeckende Kruter, darunter Balschemunte gewesen getragen. Die Echbome aber, so hir gestanden, sein driggerleig anzusende gewesen, die einen fein wie in Teutschland, die andern haben fal Lop und ist das Lop fast an der einen Seiten wie an der andern, die dritten haben gar klein Lop, fast anzusende wie Bussebom, tragen lichwol alle Eckeren. (246) In der Gegend zwischen Madrid und Toledo sah er zwar „feinen fruchtbarli-

gen Acker, welcher K o r n e n o t o r f t , Weinwaks und Uligebome tregt." ( 2 5 2 ) . D e n n o c h ist auch bei Wedel die Wasserarmut und in vielen Regionen felsige Kargheit des Landes, die den landwirtschaftlichen Anbau erschwert, ein wiederkehrendes T h e m a . An landwirtschaftlichen Erzeugnissen fielen ihm der Wein, Melonen, Feigen sowie die Haltung von Hasen und sonstigem Kleingetier auf. Disse Brücke geht über das Wasser, so zu Tollede fleust, und ist van da bis an disse Brücke fein eben Feit, alleine dasses wenik Frucht traget, wo aber Dorfer und Stete sein, hat es guten Weinwaks, Melunen, Enzelen, Figen und Prigser, welche fast wie Arteschoten anzusende sein. Die 4 Ml. aber van der Brucken bis hirher ist es gebirgig wesen. Den 21. bin ich 4 Ml. van hinne aufTrovilio 43 geritten, dasilbest gefuttert, bin unterwegen über ein Wasser geritten, es ligt die Statt in lauter Steinhugel und Felsen, daß nur auf etzligen Pletzen, so da zwischen, Korne gebuwet, nimpt mir Wunder, wovan die Statt ire Narung hat. Es ligt hir auf der Höge ein Castel, welches groß begriffen, daran ein Garten, welcher mit einer Mauren 1 Ml. umringet, wiewol darein keine Bome sten, sundern es sein Hasen und sunsten kleine Derlin darein. Van hinne 5 Ml. bin ich auf ein Dorf geritten, dasilbest Nacht bliben, bin unterwegen über eine Brucken geritten, es ist aber der Flus itzt ausgetruckenet, wie den andere Wasser auch, so doch des Winters iren Flus haben. Heute haben sie das Gras auf den Felden, welches lank und dürre, angezündet, dazwischen ich eine Zeit lank reiten müssen, hat grosse Hitze und Dampf von sich geben. (253) Kurz davor, Spanien zu verlassen, bot sich dem aus dem hohen Norden stammenden Wedel noch einmal das für ihn sicherlich exotische Bild mediterraner Vegetation, als er unter Granatbäumen und Orangen in Richtung Portugal ritt. „Heute vor disser Statt bin ich bei Granatbome wekgeritten, welche die ersten, welche ich in Spania gesen, wiewol auch an etzligen Orten Pomeranzen und voraus zu Buschage waksen, doch nicht mitten in dem Lande." ( 2 5 4 )

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Trujillo

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T H O M A S PLATTER D. J . - BÜRGERLICHE BILDUNGSREISE IN Z E I T E N DES HUMANISMUS ( 1 5 9 9 )

Am Ausgang des 16. Jahrhunderts, im Jahre 1599, unternahm der aus Basel stammende Mediziner Thomas Platter der Jüngere

(1574-1628)

eine ausge-

dehnte Bildungsreise durch Spanien, Frankreich, die Spanischen Niederlande und England. Seine Eindrücke und Erlebnisse beschrieb der in Basel und Montpellier akademisch ausgebildete Sohn des bekannten Humanisten Thomas Platter des Alteren ausfuhrlich in seinem Tagebuch, dessen Manuskript er am 1. Juli 1605 abschloss. Platter bediente sich bei seiner in oberdeutsch-alemannischer Sprache verfassten Reisebeschreibung neben seinen Notizen und Erinnerungen nachweislich anderer Quellen. Für den Spanien betreffenden Teil der Aufzeichnungen waren dies vor allem das 1571 erstmalig erschienene und später vielfach neuaufgelegte Theatrum orbis terrarum von Abraham Ortelius, die Cosmographey Sebastian Münsters in der Ausgabe von 1598 und die Relationi

universali

von Giovanni Botero, die zuerst 1595 erschienen, aber schon ab 1596 in deutscher Ubersetzung als Allgemeine Weltbeschreibung erhältlich waren.44 Sein Reisebericht ist ein frühes Beispiel für die in der Reiseliteratur später so verbreitete Gewohnheit, eigenes Erleben mit später Gelesenem zu kompilieren. Besonders bei allgemeinen Angaben zur Geographie der Länder und Mentalität ihrer Bewohner übernahm Platter Informationen seiner Quellen. Daneben stehen in seinem Bericht deutlich unterscheidbar die persönlichen Eindrücke im Verlauf der Reise.45 Platters Unternehmen unterscheidet sich hinsichtlich seines Anlasses und des sozialen Hintergrundes des Reisenden erheblich von den bisher betrachteten Spanienreisen. Thomas Platter war weder von Adel noch im Fürstendienst unterwegs. Es ging ihm ebensowenig um den Besuch einer Pilgerstätte, den Erwerb von ritterlicher Ehre noch um das Abenteuer eines frühneuzeitlichen Söldners. Platter entstammte vielmehr dem bürgerlichen Milieu einer Schweizer Humanistenfamilie und seine Reise diente ganz offensichtlich als integraler Teil humanistischer Bildung der Fortfuhrung seiner akademischen Studien. Mag man darin ein frühes Beispiel einer den späteren adligen Kavalierstouren des 17/18. Jahrhunderts vergleichbaren Reise einer nichtadligen Person sehen oder nicht, 46 der Bildungsaspekt, die Erfahrung des Fremden zum Zwecke der Wissensvermehrung und Ausbildung der Person, zeichnet diese Reise vor den bisher behandelten aus. 44

Keiser 1 9 6 8 , vgl. zu Biografie, Handschrift und Quellen ebd. Einleitung: V 1 I - X X X I .

45

Vgl. Kürbis 2 0 0 4 : 6 6 .

46

Vgl. Kürbis 2 0 0 4 : 5 1 - 6 6 .

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Eckhard Weber N a c h der Ü b e r q u e r u n g der Pyrenäen bei Roncesvalles folgten als weitere

wichtige Stationen der Platterschen Reise u.a. Girona, Hostairich, M o n c a d a , Barcelona, das Kloster Montserrat und Palamös an der C o s t a Brava. Platters Aufenthalt in Spanien war also im Vergleich zum Rest seiner Reise eher ein Abstecher nach Katalonien. Gleich zu Beginn, bei L a J u n q u e r a , machte Platter unliebsame Bekanntschaft mit schlechten Betten und magerer Versorgung in der Herberge, die aber gleichwohl teuer zu bezahlen waren. Der humanistisch gebildete Schweizer beklagte diesen U m s t a n d zwar, zeigte aber auch Verständnis für die Preise angesichts der in Katalonien damals üblichen Steuerpolitik. Es bekäme mir gar seltzam für; glaub, wohneten woll 3 oder 4 haußgesindt in unserem wirdtshaus, der aeni oder großvatter, vatter unndt söhn, yeder mitt weib unndt kindt. Man gäbe einem yeden nur, was er begeret unndt gleich bezahlen konte; nachmahlen legten wier 2 uns zesamen in ein bett, unndt für unseren lakeyen, der sich allein bey dem feür übernacht behalfe, mußten wier dennocht 1/8 frankens bezahlen undt wier ein real, wie der gebrauch, ob es schon nichts guts noch köstlichs wahre, dann sie nur auf harten madratzen sich behelfen. Ist sich aber nitt zeverwunderen, daß die better so theür miesten bezahlt werden, dann sie allen gewinn auf den betteren haben, weil speiß unndt tranck taxiert unndt sie es nitt theürer, dann der tax ist, dörfen verkaufen. (Keiser 1968: 329) Dennoch waren die hohen Zölle aufWaren und Devisen, wie sie z.B. in Barcelona erhoben wurden, auch seiner Ansicht nach unangemessen. Die Vielfalt unterschiedlicher Regeln in den spanischen Regionen habe es d e m Landfremden zudem schwer gemacht, sich zurechtzufinden. Gleich an dem selbigen spatzier platz auf der Seiten ist daß kaufhauß, darinnen man mechtig grossen zoll aufhept, man bringe was dahin oder führe ettwas hinweg, zu landt oder zu wasser; es ist nichts so gering, man muß es daselbsten verzollen, unndt so man daß geringest erfahret, daß nitt verzollet seye worden, so confisciert man alles, unndt verfallen die zwen dritttheil der obrikeit, der dritt drittheil denen, so achtung auf solche Sachen geben. In gelt darf keiner über zehen krönen ohn verzinset herauß führen; es ist den frembden gar ein beschwehrlich thun, sonderlich wann einer ihre gebrauch nicht weißt, die von einem königreich oder provintz in die andere veränderet werden. (340) In Girona verweilten er und sein Reisebegleiter Sebastian Schobinger, um die Stadt und vor allem die Kirche zu besichtigen, deren Altar Platter so präch-

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tig geschmückt vorfand, dass er ihn „für den reichisten in der gantzen weit" ( 3 3 1 ) hielt. Darüber versäumten sie aber den Aufbruch der spanischen Reisegesellschaft, der sie sich angeschlossen hatten. Des Landes und des einzuschlagenden Weges unkundig machten sie sich daran, diese möglichst bald einzuholen. A u f dem W e g rasteten sie in einem Wirtshaus, wo sie der W i r t vor den Gefahren der Reise angesichts der bald hereinbrechenden Nacht warnte. Aus Angst, schon in der Herberge a u f Spione und Räuber zu treffen, zogen sie es jedoch vor, weiterzureiten. der wirt zeigt uns an, es seye unmöglich, sie zebetreffen, ehe sie in die nachtherberg kommen, undt miessen wier noch zwo meyl durch den gefahrlichsten waldt der gantzen gegne ziehen, darinn wier auch leichtlich kennen verirren oder den mörderen under die händt fallen, derowegen er uns rahte, wier bleiben bey ihme über die nacht, welches wier freylich gethan wolten haben, wo wier nicht besorgt hetten, es kernen denselbigen abendt ertliche außspechter unndt warteten uns nachfolgenden tag auf den dienst, sonderlich wo wier früe vor tag uns auf den weg begeben wurden, wie es dann von nöten gewesen wehre, sonst hetten wier unser geselschaft nicht kennen erreichen, von deren wier gnugsam vernommen, waß gefahrlichen wegs wier noch for den handen hatten, wie wier es dann auch nochfolgenden tag an den viel hochgerichten auf der landstraß haben kennen abnemmen. Wier entschlussen uns entlich, ihnen nachzufolgen. (332f.) Unterwegs verdingte sich ein einheimischer Bauer als Führer, der „für die 2 stundt gar unbilliches" ( 3 3 3 ) forderte und erhielt. W i e befürchtet, konnten sie ihre Reisegesellschaft nicht vor Einbruch der Nacht einholen. Als sie schließlich in einen Wald ritten, machten sie sich auf einen möglichen Überfall gefasst und versteckten die wichtigsten Wertsachen. Beim zweimaligen Geschrei von Raben glaubten sie sich von Räubern umgeben und reckten drohend ihre Waffen in die Höhe. wier verwegten uns allerdingen, daß wier angriffen solten werden; ich versteckte ettwas goldts in die schu, wie auch mein gesell, lußen yeglicher so viel im seckel, als wier zehrung biß nach Barselona bedorften, unndt etwas mehr; gedachten anzuzeigen, wier hetten ein wegselbrief daselbsten zeempfahen, zogen also in der Ordnung hart an einander gar streng fort; wier lußen unserem gleidtsmann nitt viel weil, triben ihn stehts fort, er sollte eylen, wir wolten ihme noch ein Verehrung über sein versprochenen lohn thun. Wie wier auf ein höhe kamen, da man uns von fernem sehen konnte, horten wier auf der Seiten, ettwan ein steinwurf von uns, ein grob geschrey wie ein raben geschrey; gleich darauf antwortet ihme ein gleichförmiges geschrey, ettwan ein

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Eckhard Weber bügsenschutz baß fornen, da wier hingehn mußten; da gedachten wier nicht anders, dann wier wehren nun hinden undt vornen mitt reüberen umgeben; wier streckten unsere bloße wehr in die höhe unndt der lackey seinen spieß stecken wie auch unser gleitsman seinen stecken; unsere wehr glantzeten ein wenig wegen deß monscheins; also strichen wir immer gar starck fort, der meinung, so man uns gleichlich angriffe, uns in die wehr zestellen; wehren wier übermannet, daß gelt sampt dem seckel zu übergeben, ya so man uns darmitt quittieren wurde. In was ängsten wier als unbekante do fort giengen, kan ein yeder gedenken, der in gleicher gefahr gewesen ist. Glaub auch noch gäntzlich, es seyen außspecher gewesen, aber weil sie unser vier sahen, haben sie vielleicht besorgt, nicht viel da zegewinnen; dan kaum zwen raben so spatt unndt so geschwindt am selbigen ort wurden geschruwen haben. (333f.) Letztlich erwies sich die Gefahr aber als nur eingebildet und sie erreichten

glücklich ihre Reisegesellschaft. W i e berechtigt die Furcht vor einem räuberischen Uberfall gewesen war, wurde ihnen von den über ihre sichere Passage verwunderten Spaniern bestätigt. Aus den Worten Platters spricht hier neben Erleichterung auch ein gehöriges M a ß an Stolz auf sein tapferes Auftreten während des nächtlichen Ritts. Wie wier durch denselbigen waldt oder gestript kommen, haben wier alsbaldt daß dorf Mallorguines, 2 meyl von Tiona, erreicht unndt unser geselschaft im wirdtshauß ob dem nachtessen angetroffen. Sie verwundereten sich alle gar höchlich, daß wier ohnberaubt also späht durch diesen gefahrlichen weg zu ihnen kommen wahren; unser gleitsman sagt ihnen, wie wier so dapfer fortgestrichen wehren; er blieb auch bey uns dieselbige nacht. Mitt was freüden wier daß nachtmahl mitt einanderen eingenommen, ist einem yeden leichdich zegedencken; auch haben wier nachmahlen besser achtung auf unser geselschaft geben. (334) Die ständige Gefahr, der Reisende durch Katalonien ausgesetzt waren, bot bei Hostairich, wo Platter zahlreiche entlang der Landstraße an Galgen hingerichtet Delinquenten sah, ein schauriges Schauspiel. Die statt ist lang, aber nicht gar breit, wie dann viel stett in Spangien sindt, unndt haltet man gar strenge Ordnung mitt den übelthäteren, deren es gar viel umb dieselbige gegne hatt. [...] Alsbaldt wier für die statt hinaus kamen, sahen wir ein galgen schier an dem anderen auf der gemeinen landtstroß, deren wenig lär wahren, wehret schier ein halbe stundt; hab mein tag nie mehr galgen unndt hingerichtete beysamen gesehen. Man zeigt mir an, dieweil es eitel wäldt unndt gar ein genge landstraß daselbsten habe, da man alle furpassierenden von fern kan entdecken, deßwegen gar viel mordt unndt raub da verrichtet werden, so seye es deßhalben zu mehrem schrecken unndt exempel

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der gebrauch, daß wo einer den faler begange unndt nicht zevor ein galgen stracks der schnür nach an der landstraß aufgerichtet seye, so richte man ihme einen von neüwem auf unndt hencke ihn doran, dahero so viel galgen an derselbigen landtstrass seyen. (334f.) D a s wichtigste Ziel der Spanienreise T h o m a s Platters war sicherlich Barcelona. Schon die Landstraße dorthin hatte es ihm angetan. „ D e m n a c h sindt wier durch den aller schönisten, ebenen, breiten, sauberen weg nach Barselona kommen, den ich ye zevor gesehen hatte, sähe mehr einem palmary spil dann einer landtstraß enlich". (337) Der Reichtum Barcelonas und die Pracht der G e b ä u d e beeindruckten T h o m a s Platter tief. Heütigs tags ist dise statt die hauptstatt der grafschaft Catalunia unndt eine von den schönisten, reichesten unndt besten erbauwen, die in gantz Spangien möchte sein, ya auch, wie ertliche wellen, in der gantzen Christenheit, dann ein großer theil der heüseren mehr schönen pallästen undt vestungen gleich sindt dann aber gemeinen heüseren, dieweil mehrtheils edelleüt unndt herren nicht auf dem landt, sondern in der statt wohnen unndt deßwegen solche stattliche Wohnungen haben (339) D i e kunstvolle Ebenmäßigkeit der Straßenpflasterung u n d das ausgeklügelte Abwassersystem erschienen ihm geradezu vorbildlich. Alle gasssen in der alten statt sindt mitt breit undt langen, gehauwenen, kissling steinenen blatten besetzet, so eben unndt gradt der Ordnung nach, daß man darauf gehen unndt dantzen kan wie in einem saal, unndt sindt allenthalben dolen under denselbigen blatten durch die gassen, darein daß regen wasser gerichtet, also daß, wie lang es immer regnet, man yederzeitt sauber unndt trocken gehen kan, weil aller unraht unndt nesse durch gemelte dolen in daß meer hinauß laufet, dann die statt ettwas abheldig gegen dem meer ist. (344f.) Das Angebot an Einrichtungen zum Zeitvertreib sei vielfältig und zahlreich. „Es sindt [...] viel seltsame wirdtsheüser, gastheüser, basteten heüser, weinheüser unndt dergleichen örter, darinnen man auf alerley weiß die zeit vertreibet." (346) In den Weinschenken traf Platter auf beste Organisation, ein reichhaltiges Angebot unterschiedlicher Weine und spanische Geselligkeit. In den weinheüseren ist es auch alles zum besten angeordnet; da mag einer selbs in keller hinein gehen, sindt selten dieff; da gibt man einem für wein, was einer fiir begeret unndt wie wenig einer will, auch nur ein einiges gleßlin voll, umb den angeschlagen tax,

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E c k h a r d Weber welcher an die feßer, von der obrikeit geschriben, auf pergament angehefftet undt versiglet wirdt, auch hatt man kleine stücklin (biscuit) brot oder ring, die gibt man eim darzu [...]; da kan einer allerley wein versuchen, kurswein, malvasier, canarien wein, frantzösische, hispanische unnd andere gutte wein; dann solche weinschencken gar reiche leüt sindt unndt ein grossen vorrhat weins haben, deßwegen auch viel stattliche herren auf maulthieren an solche örter reiten unndt ihnen heißen wein zetrinken geben; eßet mancher zehaus unndt reitet demnach dem trunck zu, wie es dan kein schandt ist, sich an solchen örteren zufinden. (347) E c h t e F a s z i n a t i o n s p r i c h t a u s d e n W o r t e n P l a t t e r s , w e n n er d a s ö r t l i c h e

„ F r a u e n h a u s " , d a s städtische Bordell, beschreibt. D i e Ö f f e n t l i c h k e i t , in der dieses G e w e r b e florierte, w a r f ü r ihn j e d o c h a u c h b e f r e m d l i c h . Es ist auch zu Barselona wie gleichfahls in den anderen grossen Stätten in Hispanien ein frauwenhaus, daß allein zu solchen erbauwen, darinnen sie tag unndt nacht ihr wohnung haben. Es wirdt mitt einem grossen thor beschlossen, ist ein lang, enges geßlin, auf beyden Seiten am boden hatt es kemerlin wie in einem kloster, eins an dem anderen, ettwan bey 40. Darinnen yegliche besonder wohnet. Ihren tisch haben sie alle bey einem wirdt, auch in demselbigen bezirck, dem sie daß tischgelt mießen, wie auch dem könig sein tribut, bezahlen. Den gantzen tag stehet die gassen offen, unndt sitzen die weiber yegliche vor ihrem zeit, ettwan ein seitenspil oder gesang treibendt, oder sie schwetzet mitt ettlichen; sitzen auf stattlichen sesslen, köstlich bekleidet, schämen sich auch nicht, über die gassen ofentlich zugehn, achten sich nicht geringer dann ander leüt. (346) D i e g u t e O r g a n i s a t i o n des ältesten G e w e r b e s der Welt, wie er sie in Barcelona v o r f a n d , das W a f f e n v e r b o t o d e r die m e d i z i n i s c h e B e t r e u u n g zur V e r h i n d e r u n g von Geschlechtskrankheiten f a n d j e d o c h offensichtlich die Z u s t i m m u n g des M e diziners Platter. D e r H a l t u n g d e r örtlichen G e i s t l i c h e n , d i e d ä c h t e n , „weil d i e S p a n g i e r so hitzig u n d t d e m laster gar gefehr, andere gröbere s ü n d t zeverhüten, auch d a m i t eheweiber u n n d t ehrlihe töchteren sicher vor ihnen seyen, m ü ß t e m a n solche ort erhalten" ( 3 4 6 ) stand er wohl m e h r als reserviert gegenüber. Es ist auch einer (el rey) der könig genennet, welcher stetts hinein wandlet zesehen, daß niemandts kein unruhe anfange. Dann viel Ordnungen darüber gestellet sindt, die man bey grosser straff muß halten; darf keiner wehr oder messer mitt sich in dieselbige gassen tragen u.s.w. Deßgleichen ist auch ein bestelter wundartzet darauf bestellet, daß alsbaldt er vermerket, irgendt eine möchte ein erbliche krankheit oder schaden an ihren haben, man sie hinaus stosse, damit ihren leüten kein arges widerfahre; dann sie es für kein grosse sündt achten, auch ihre prediget nitt sonderlich darwider schreyen, weil sie

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auch selbs sich darinnen finden lassen, wie dann ein eigener pfaff auf dasselbig ort bestellet ist, der inen meß liset, beicht höret unndt andere officia in demselbigen haus celebriert, damit sie sich bekeren sollen, welches aber selten würket, sie seyen dann alt unndt heßlich, daß sie ihr kost nicht mehr verdienen können. (346) Von den Sitten und Bräuchen notierte er in seinem Bericht z.B. die Haartracht der Männer, die „ihre haar gar kurtz unndt nach bey der haut abschären, wie es ihnen dann seltzam ist fiirkommen, daß ich es also lang auf frantzösisch hab lassen halbieren." (344). Oder auch die M o d e der Damen, extrem hohe Pantoffeln zu tragen, die mitunter auch als Sitzgelegenheit dienen konnten. Obwohl man ohne Hilfe anderer damit kaum gehen konnte, schickte er „ein par der nidristen" nach Basel. Ein andere gassen haben wier gesehen, darinnen eytel Schumacher wohnen, zu beyden seiten, fast einer an dem anderen, die dann mechtig hohe weiber pantoflen, gar schön gemahlet, verkaufen, deren ich ein par der nidristen nach Basel! geschicket, auf welchen sie beschwerlich allein gehendt, sondern gemeinlich von ihren dieneren gefiihret werden, welche auf der rechten Seiten gehendt, unndt die weiber ihnen auf beyden händen ligen. Kommen sie an den däntz, so ziehen ettliche die pantoflen auß undt sitzen darauf wie auf kleine stillin nider. (344) Vielsagend hinsichtlich des damaligen Verhältnissses der Geschlechter ist ein Fastnachtsbrauch, den Platter im Februar 1 5 9 9 in Barcelona erlebte, bei d e m sich die D a m e n ihrer sonst alltäglichen M i n d e r u n g ihrer Freiheiten entledigten und den Gatten nichts übrig blieb, als es geschehen zu lassen. Unndt obschon daß frauwenzimmer daß gantze jähr durchauß gar sträflich eng unndt eingezogen gehalten wirdt, also daß sie schier gar nitt dörfen mit frembden männeren oder knaben sprach halten, also eyferig sindt sie; miessen nur von den fensteren in die gassen hinunder mitt mansbilderen reden, daß alle für passierende hören, waß sie reden, sie kennen dann heimliche zeichen sprachen, so sindt sie doch die gantze faßnacht von solchem allem gefreyet, dörfen mitt ihren gespilen unndt bekannten vermummet herumb laufen, wie ich dann der weiberen viel gesehen also vermummet [...] Unndt miessen die mannen solches ihren weiberen, oft wider ihren willen, lassen passieren, weil sie es von alter also härgebrocht haben. (373) Eine besondere Rolle beim Fastnachtsspektakel spielten Orangen, die sich die maskierten D a m e n und Herren als Gunstbeweise zuwarfen, wobei mehrere Tausend, nach Platters Ansicht nutzlos, zu Schaden kamen.

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Es haben aber die vermumten alle seck voll linden, gelben pomerantzen, auch bißweilen tragen ihnen ihre diener laden oder secklin voll nach. Dieselbigen pomerantzen werfen sie den frauwenzimmer under die fenster hinauf zu, welche sie in die hendt empfahen oder auch in die gemach hinein gehen lassen. Wann dann derselbige widerumb fürüber passieret, so wirft daß frauwenzimmer widerumb hinunder mit pomerantzen auf ihn, oder wer ihnen am besten gefallet, u n n d t auf welchen man am meisten pomerantzen wirft, derselbig ist am höchsten am brett; auch beschicht es gleichfahls mitt dem frauwenzimmer; da werden viel tausendt pomerantzen auf ein tag zu unnütz verworfen. (373)

Gegen Ende seines Aufenthaltes in Barcelona sah Platter eine „überaus stattliche hochzeit" und auch wie „stattlich es bey dem essen unndt dem dantz ist zugangen". (373) Der Zarabanda, ein im Spanien des 16. Jarhunderts beliebter Tanz mit Kastagnetten, dessen Ursprung und Etymologie höchst umstritten ist, hielt seiner Ansicht nach dem Vergleich mit den französischen Sitten allerdings nicht stand. Bey dem dantz gunge es nicht so höflich wie in Fankreich zu, dann sie es den Frantzosen bey weitem nicht kennen zuthun mitt dantzen, wie auch mitt dem reiten nicht. Sie dantzen einen besonderen dantz, sarabanda genennnet, viel mitt einanderen, doch par unndt par, heben aber nicht an einander, sonder klepfen mitt beiden henden, als wann sie schnelleren, haben höltzen oder beinene instrument an den daumen, darauf sie mitt den mitleren fingeren schnellen, daß es gar laut thönet, heissen sie castanietes. (375)

Platter konnte dem Tanz nur wenig abgewinnen. Das ganze Treiben, die Mimik, die Gebärden und Bewegungen der Tänzer wirkten auf ihn hauptsächlich lächerlich: „weib unndt mann dantzen also einander nach unndt kehren einander yeder zeit daß angesicht; der mann dantzet gemeinlich zeruck, unndt treiben gar seltzame, lächerliche gebärden unndt bewegungen deß leibs, auch der händt unndt fießen." (375) Explizit kritisch und mit deutlicher Ablehnung wurde Platter bei der Beschreibung des dogmatischen Katholizismus und der durch die Inquisition beförderten religiösen Beschränktheit und Intoleranz. Die gnadenlose Verfolgung anderer christlicher Konfessionen bis zum Tod auf dem Scheiterhaufen bereitete Platter, der als Schweizer der von den Reformationen Calvins und Zwingiis geprägten evangelischen Konfession angehörte, großes Unverständnis und wohl auch Angst, selbst in die Mühlen der Inquisition zu geraten.

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Nicht weit von der grossen kirchen ist das inquisition hauß [...] Wann sie auß irgendt eines red oder thun, daß einer die evangelischen rühmet oder sie nicht schiltet, wie auch, so einer die ihrigen nicht hoch achtet, klagen sie einen alsbaldt an bey den (inquisitoribus) jesuiteren, es seye einer ein (luterano) luteraner, dann änderst nennen sie die evangelischen nitt; alsbaldt leget man einen in daß gemeldet hauß wie ein ketzer in gefengnuß. Unndt nach dem er viel tag darinnen, ya auch bißweilen ertliche monat ohngefragt, warumb er eingezogen, gelegen, alsdann, wann es den ketzermeisteren, wie sies nennen, gar woll gefallet, kommen sie zu ihme unndt fragen ihn, warumb er da seye; [...] Erfahren sie daß widerspil oder ettwan, so sie ihn examinieren unndt er sich verredt, daß sie merken, daß er ein luteraner seye, so verbrennen sie ihn ohn allen weiteren proceß wie ein ketzer. (350f.) Die strenge Zensur und das Verbot sämtlicher Schriften, die nicht mit dem katholischen D o g m a übereinstimmten, empörten ihn als homme de lettres. Es ist nur die papistische religion in Spangien, dann die ketzermeister gar starck mitt dem feür die anderen religionen außreütten unndt keiner anderen religion bücher hinein lassen kommen, dahäro sie nichts darvon läsen kennen, wie sie dann sonst nicht zeviel im studieren sich bemühen; vermessen sich gleich, sie seyen gar geschickt. (382) Dadurch erklärte sich für Platter jedoch die große Unkenntnis der Spanier in religiösen Dingen, die nur das wüssten, was ihnen die Geistlichen predigten. In der N ä h e des Klosters Montserrat klärte er einen unwissenden Einsiedler über die Lutheraner in Deutschland auf. Da sagt er, ob noch viel luteraner in Teütschlandt wehren; wier sagten: Ya, ein guter Theil, sonderlich in Saxen. Es nimbt viel in Spangien gar wunder, was es doch für leüt seyen, dieweil sie nichts von ihnen wissen, dann was die pfaffen auf den kantzlen von ihnen sagen; dann sie keine bücher von ihnen sehen oder keiner gern sie berichtet, waß sie für ein standt fuhren, dieweil man so geschwindt, wie obgemelt, min der inquisition ist. (358) In solchen und ähnlichen Passagen übte Platter ungeschminkt Kritik an religiöser Intelorenz u n d Unkenntnis der Spanier. Sie würden außerdem allzu leicht an Wundergeschichten glauben, die sich nach Ansicht des Basler H u m a nisten leicht rational erklären ließen. Ein Beispiel ist die Geschichte der zahmen Finken, die den Einsiedlern in die H ä n d e flogen, was als Wunder und Beweis deren großer Frömmigkeit gedeutet wurde.

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E c k h a r d Weber linfincken [...], welche also zam sindt, daß sie den einsidleren auf daß maul unndt in die händt sindt geflogen, haben ihnen daß brot auß dem mundt unndt auß den händen geßen [...], daß abergleübische leüt für ein mirakel halten unndt es der großen frombkeit der einsidleren zuschreiben; ich aber vermein, es leichtlich geschehn könne, dann weil solche vögelin in der greulichen höhe sich pflegen aufzuhalten, auch von niemandts verscheucht werden unndt sie ihr nahrung bey den einsidleren finden, fliegen sie derselbigen nach (358) U m die Religiosität der Spanier war es nach Platter g a n z allgemein übel be-

stellt. N e b e n d e m in der K u l t u r tief verwurzeltem A b e r g l a u b e n w ü r d e n sie selts a m e R i t u a l e a u s f ü h r e n o d e r a u c h nach heidnischer Art schwören. Sie seien jed o c h a u c h derart hinterhältig, dass ihrem S c h w u r o h n e h i n nicht zu trauen sei. Viel appostützlerey unndt aberglaubens haltet diß volck, unndt nach heidnischer art schweren sie bey dem laben deß königs oder bei seinem stul, auch bey dem kreütz (par la santa cruz), welches sie auf den boden machen oder den daumen über den zeiger legen unndt dann dasselbig kreütz küssen unndt darbey schweren. Mitt welchem so sie einem treüwen, hatt er sich woll forzusehen, dann sie einen nur hinderwerts undt nach ihrem vortheil angreifen. (382) U b e r d i e F l o r a des L a n d e s f i n d e t sich in Platters A u f z e i c h n u n g e n w e n i g . D e m Z a u b e r des für ihn exotischen S ü d e n s k o n n t e er sich aber d o c h nicht entziehen. „ W i e r s a h e n a u c h in der vorstatt o d e r n e ü w e n statt vii s c h ö n e g ä r t e n , darinnen die pomeranzen, zitronen unndt limonen sampt den granaten beüm e n nicht anders w a g s e n als w i e bey u n s die öpfel u n d b i r n b e ü m . " ( 3 5 3 ) S o n s t notierte Platter s u m m a r i s c h s o n s t i g e E r z e u g n i s s e des L a n d e s , dessen B o d e n b e schaffenheit die landwirtschaftliche K u l t i v i e r u n g erschwere. Daß landt hatt wein, korn, oel, honig, wags, saffran, zucker, pomerantzen, zitronen, limonen, granaten, feigen, zibelen, dattelen, kappares, zirbelnüßlin, Scharlach thierlin unndt dergleichen apotheckische frücht, besser dann Franckreich, aber der gemeinen als wein unndt korn nicht so viel. Dann Hispanien nicht so volckreich noch so woll erbauwen ist als Frankreich, dieweil es an viel orten steinecht unndt nicht sich bauwen lasset, wie man dann vii frücht auß anderen landen dahin bringt, daß landtvolck zespeysen. (379) D a s s Platter bei solchen a l l g e m e i n e n Ä u ß e r u n g e n aller W a h r s c h e i n l i c h k e i t a u f schriftliche Q u e l l e n z u r ü c k g r i f f , lässt der Frankreichvergleich v e r m u t e n , der ein w i e d e r k e h r e n d e s M o t i v in d e n K o s m o g r a p h i e n j e n e r Z e i t war. D i e s gilt

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auch für m a n c h e der Eigenschaften, die er den Spaniern zuschreibt. 4 7 In einigen der zitierten Passagen wurden schon Aussagen über ihren Charakter gemacht. Sie seien „eyferig", „so hitzig u n d t dem laster gar gefehr" und würden einen ganz perfide „nur hinderwerts undt nach ihrem vortheil angreifen" ( 3 7 3 , 3 4 6 , 3 8 2 ) , also eifersüchtig, triebgesteürt und lasterhaft sowie hinterhältig. Im E i n zelnen sind Platters eigene Beobachtungen nur schwer zu isolieren, gelegentlich widersprechen sich die Beurteilungen auch. W ä h r e n d an einer Stelle der m a ß volle Weingenuss der Spanier - „sie trinken allein für den durst, füllen sich n i t t " ( 3 4 7 ) - positiv dargestellt wird, dient er an anderer, u m sie als knauserige Schmarotzer zu schmähen. Sie mischend ihren wein vast halb mitt wasser, wann sie trinken wellendt ob dem essen. Man sieht keine trunkene leüt under ihnen; sie hielten es fiir die grössiste schmach, die ihnen widerfahren kente, vermeinten, es wurde dem gantzen geschlecht schaden, so einer weinig wehre. In summa, sie sindt überaus niechter in essen undt trinken, wann es über ihren seckel gehet; aber kennen sie umb sonst schmorotzen, so lassen sie sich auch dapfer gebrauchen. (380) Viele der folgenden Aussagen Platters haben jedoch Parallelen in der geograpisch-statistischen Literatur. D i e Klimatheorie, also die T h e s e vom Einfluss des K l i m a s und der B e s c h a f f e n h e i t des Landes a u f Aussehen und M e n t a l i t ä t der M e n s c h e n , war keine Erfindung Platters. „Die landtschaft Hispanien ist gebürgig, hatt doch nicht sonderlich viel, ja schier keine schifreiche wasser, unndt regnet selten darinnen; sie ist auch vil wermer dann Frankreich, deßhalb die einw o h n e r ettwas dünkler unndt breüner dann die Frantzosen sindt." ( 3 8 0 ) . Das T e m p e r a m e n t der Spanier wurde häufig als melancholisch, ernsthaft und gravitätisch beschrieben, so auch bei Platter. Sie sind von natur alle zimblich melancholisch unndt deßwegen auch langsam in ihren fiirnemmen, understehendt nicht baldt ettwas, sie wissen dann ihren vortheil, daß sie es kennen eroberen, unndt sindt verschwigen, vertruckend viel ding, als wußten sie nichts darumb. Sie sindt zum zächen unndt wolleben nitt so gesellig als die Frantzosen, sonder ernsthaft unndt gravitetisch, behelfen sich mitt gar wenig speysen (380) Stolz, Ehr- und Gewinnsucht seien für die Spanier typisch und dienten Platter als Erklärung für die spanischen U n t e r n e h m u n g e n in Ubersee. „Hingegen 47

Vgl. Kürbis 2 0 0 4 : 1 6 2 - 1 6 7 .

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sindt die Spangier so stolz unndt ehr-, auch gelt geitig, daß sie nicht gern umb einen kleinen soldt dienen; sie wagen viel lieber ihr leib unndt leben, ziehen über daß ungestüme meer in die Indien, geldt unndt gut, auch einen grossen nammen zeerlangen." ( 3 7 9 ) Insgesamt entsprächen ihrem Charakter mehr Kriegshandwerk und Eroberung als die Landwirtschaft. „Zu dem pflegen die Spangier viel lieber ein spieß dann ein geißlen zetragen unndt begeren viel mehr mitt verderbung unndt verhergung deß landts güter unndt äcker zeerlangen dann durch den ackerbauw." (379) Ihre angebliche Überheblichkeit mache die Spanier zu einem wenig umgänglichen Volk. „Es ist daß höchstragende unndt stöltzist volck, so ich mein tag gesehen; niemandt ist ihnen gut genug; derowegen weil sie über alle sein wellen, sich auch niemandts mitt ihnen vertragen kann." (380) Als Fremder werde man nicht gleich dienstbar willkommen geheißen, habe man aber erst einmal Freundschaft geschlossen, dürfe man dem Wort eines Spaniers aber sicher trauen. Frömbde unndt außlendische leüt empfahen sie nitt freündtlich wie die Frantzosen, haben ihren kein acht, sindt nitt underdienstbahr, d a r u m b auch ein spangischer baur einem fürsten nitt gleich aufwütscht, w o es ihm nitt woll im m u t ist. A b e r wann sie einen lieb gewinnen unndt einem was versprechen, solle sich einer gewiß darauf verlassen (380)

Die hier beschriebene anfängliche Unzugänglichkeit, aber später womöglich umso festere Treue der Spanier, ist doch einigermaßen überraschend, ähnelt sie doch sehr manchen heutigen Charakterisierungen der Deutschen. Einige Passagen seiner Reisebeschreibungen befassen sich explizit mit den Frauen. In Barcelona fiel ihm die Prunksucht der Damen auf, die im Wettstreit zueinander standen, was merkwürdige Ausmaße annehmen und das Einschreiten der Gesetzgebung erforderlich machen konnte. Es sassen mehrtheils frauwenzimmer in gemelten gutschen, unndt berichtet man mich, es seye vor wenig jähren solcher gebrauch erst aufkommen. Dann zevor haben die fürnemme weiber gar viel mägdt lassen mitt ihnen gehen, unndt habe es ye eine der andern wellen vorthun; dem zufürkommen unndt umbkosten zespahren, haben sie dieß mittel erfunden, also daß wann yetz eine nur zwey maulthier, einen knecht unndt eine magdt erhaltet, kan sie ihren pracht mitt treiben, da sie zuvor 6 biß in die 1 0 megdt hatt miessen erhalten. (340)

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Überhaupt erschienen Platter die spanischen Damen mehr als aufwendig gekleidet und prachtvoll hergerichtet. Obwohl sie es meist gar nicht nötig gehabt hätten, sei es unter ihnen Sitte gewesen, sich stark zu schminken, was Platter sarkastisch kommentiert. Die hispangischen weiber sindt sehr prächtig, richten sich auf den schein mitt einem reiff oder höltzinen bogen, den sie under die rök spannen noch bey dem boden, damitt sie scheinbarlich herei trättind, haben gemeinlich mannen hosen under den rocken an, gehendt auf überauß hohen pantoflen, streichen unndt färben ihre angesichter, hendt unndt brüst mitt weißer färb, auch gift unndt röte an, so in schüßelinen behalten wirdt, wie ich alles nach Basel verschikt hab; wann sie schon ohne daß von natur hüpsch werendt, haben sie doch solche anstrich im gebrauch. Dahäro man sagt, welcher ein spangisch weib nemme, der hab 4 weiber: Ein lange, kurtze, schöne unndt häßliche. Am tag seye sie lang auf den pantoflen, schön, wann sie geferbt. Kurtz unndt häßlich am morgen, ehe sie angethan oder angestrichen seye. (383f.) Ein letzter Aspekt hinsichtlich der Mentalität der Spanier befasst sich mit den Katalanen und deren Streben nach mehr politischer Eigenständigkeit, das schon im Weltreich Philipps II. eine Konstante war. Sonst haben sie gar viel seltzame gebreüch in Spangien, die sie las pragmaticas nennen, sindt in einer provintz nicht wie in der anderen; dann die von Barselona haben sonderbahre freyheiten, daß sie den könig nur (conditionaliter) gedings weis als für ihren graven erkennen, darob sie auch so steif halten, daß ehe sie liessen ein einige freyheiten fallen, ehe ergeben sie sich dem könig auß Franckreich, wie dann die Castilianer unndt Catalonier einanderen nicht woll wellen. (381) Ein gewisses M a ß an autochton-katalanischem Stolz spricht aus dem Sprichwort, das Platter im Zusamenhang mit Hostairich erwähnt. „Ist eyn statt unndt schloß auf einem berg. Zu obrist auf dem schloß ist ein eysener köpf, von dem ein catalanisch Sprichwort: Vos cal ana ä Starlich para adoubar la cerveilliere. Daß ist: Wann einer verwirret, sagt man, er mieße nach Starlich gehen, ihme lasssen daß hirne richten. (334)

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Eckhard Weber „ S O N S T HABEN SIE GAR VIEL SELTZAME GEBREÜCH

IN SPANGIEN . . . " (Keiser 1 9 6 8 : 3 8 1 )

Dieser Satz Platters steht stellvertretend für den deutschen Blick auf das fremde Spanien am Ubergang zur Neuzeit, der aus den hier im Panorama vorgestellten Reiseberichten spricht, auch wenn sich diese beträchtlich unterscheiden. Die Reisen wurden aus ganz unterschiedlichen Gründen unternommen und die Reisenden verfolgten dabei jeweils individuelle Ziele. Ebenso vielfältig sind die Unterschiede hinsichtlich der örtlichen und sozio-kulturellen Herkunft der Reisenden bzw. der Autoren der Reiseberichte, sowie hinsichtlich der Zeit, in der die Reisen unternommen wurden und auch der Sprache, in der die Berichte abgefasst sind. Was die Kommunikationsabsicht und den oder die Adressaten betrifft, oszillieren die Reiseberichte zwischen manchmal vor allem politisch motiviert, wie z.B. der Bericht Tetzeis über die Reise Leos von Rozmital, und von eher privater Natur, wie die Aufzeichnungen Thomas Platters. Trotz aller Unterschiedlichkeit weisen die Texte jedoch überraschend viele Gemeinsamkeiten bei der Darstellung Spaniens und der Spanier auf. Das Motiv der beschwerlichen Reise durch Spanien findet sich in allen Berichten. Die schlechte Versorgung im kargen Land und der klägliche „Service", den viele Herbergen boten, sowie die allgegenwärtigen hohen Zölle und als betrügerisch empfundene Machereien der Wirte oder der Obrigkeiten sind geradezu Allgemeinplätze. Die Texte liefern zudem das Bild der steten Gefahr eines räuberischen Überfalls in der spanischen Fremde. Die Palette der wiedergegebenen Erfahrungen reicht von tagtäglichen Scharmützeln gegen „bös mordisch volk" in den Berichten Tetzeis und Harffs in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis zur eingebildeten Gefahr Platters, die er dennoch nicht vergaß, in seinem Bericht wortreich zu erwähnen. Dieser Umstand fällt auf und es scheint so, dass sich das Motiv der beschwerlichen und vor allem gefährlichen Reise durch Spanien gegen Ende des 16. Jahrhunderts weitgehend stereotypisiert hatte. Die Schilderungen der Bräuche und Sitten ist vor allem durch die Exotik geprägt, die der enge Kontakt zur arabisch-islamischen Kultur der Iberischen Halbinsel beschert hatte. Verblüffung über und Bewunderung für manche der fremden Sitten, die den deutschen Reisendenden durch das Spanien des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit mitunter auch wegen ihrer Erotik der Erwähnung wert waren, paaren sich mit zum Teil offener Ablehnung und Feindschaft gegenüber den „Ungläubigen", wobei zwischen Moslems, Juden oder unlängst zum Christentum Bekehrten kaum unterschieden wird. Das Land der wichtigsten christlichen Pilgerstätte des europäischen Mittelalters

Tb

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wird auch als Land der Wunder bzw. des Aberglaubens dargestellt. Die Kritik, die im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert vor allem den die „wahre katholische Lehre" schädigenden Einfluss der islamischen und jüdischen Riten auf das Christentum thematisiert, wandelt sich in der Epoche nach der evangelischen Reformation zur Kritik an religiöser Intoleranz und den Praktiken der Spanischen Inquisition. Aus manchen Textpassagen spricht Bewunderung für die höfische Art, das ehrenhafte adlige Verhalten, die Geselligkeit und fröhlichen Feste der Spanier. In ihrer Mentalität werden sie aber tendenziell negativ, als u.a. kriegerisch, stolz, feindselig, betrügerisch und geizig beschrieben. Elemente der sogenannten leyenda negra, die vor allem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter protestantischer Provenienz Konjunktur hatte und das Bild Spaniens prägte, fnden sich in den hier vorgestellten Reiseberichten zum Teil. Andere Aspekte der Legende, wie etwa die in der Neuen Welt begangenen Gräuel der spanischen Konquistadoren werden jedoch nicht thematisiert. Werden die Landschaft der Iberischen Halbinsel und ihre Vegetation in den Reiseberichten erwähnt, so meist zuerst in Form von Klagen über das karge wasserarme Terrain, das eine Reise durch Spanien so beschwerlich machte. Die Texte sprechen aber auch von Faszination angesichts exotischer Sitten, von Palmen, Orangen und Granatbäumen, von Wein, von mitunter sehr schönen Frauen und aufregenden Spektakeln. Bei aller Kritik an Spanien und den Spaniern, die in den Berichten geäußert wird, bei allem Unverständnis für die fremden Gebräuche, das sich zuweilen mit Ignoranz und Arroganz paart — den Zauber des Südens, wo der Orient auf Europa getroffen war, verspürten auch die deutschen Reisenden der Frühen Neuzeit.

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Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie Deutsche Reiseberichte des 17. Jahrhunderts Ferran Robles i Sabater (Universität de Valencia)

EINLEITUNG

Das 17. Jahrhundert wird häufig als Zeit der Widersprüche bezeichnet und so spricht Niefanger (2000: 18) über dieses Zeitalter als „eine durchaus gegensätzliche Epoche" und über das wichtigste Vorstellungsmodell der Zeit als „das antipodische Denken". Diese angeblichen Widersprüche lassen sich auch in der heutigen Forschungsliteratur finden. Einerseits wird dieses Jahrhundert oft als Periode der verheerenden Glaubenskriege, Gewaltexzesse, Verwüstungen, Epidemien und Hungersnöte dargestellt. 1 Vor allem erscheint der Krieg in der Geschichtsschreibung, der Literatur und der bildenden Kunst als das Kennzeichen einer Epoche, deren Bezeichnungen deutlich für sich sprechen: „Eißernes Jahrhundert" (Niefanger 2000: 17), „Zeitalter der Glaubenskämpfe" (Zeeden 1986) und „Jahrhundert des immerwährenden Krieges" (Münch 1999: 13). Die Zeit zwischen 1600 und 1700 wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im ganzen Kontinent mit allerlei Krisen, Konflikten, Aufständen und barbarischen Verbrechen in Verbindung gebracht. Andererseits steht dieser negativen Einschätzung des 17. Jahrhunderts eine positive entgegen, die in ihm den Beginn der Modernisierung der europäischen Gesellschaft sieht. In Deutschland fand das Zeitalter der Religionskriege mit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens seinen Abschluss. In Spanien herrschten andere Zustände. Im 17. Jahrhundert hatte Spanien sein kulturelles goldenes Zeitalter und entwickelte sich zu einer politischen Großmacht, die über ein ausgedehntes europäisches und amerikanisches Reich herrschte. Trotzdem waren die Beziehungen zwischen Deutschen und Spaniern in dieser Periode noch nicht so eng. Einerseits galt das westliche Ende des 1

Vgl. Niefanger 2000: 17.

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Mittelmeerbeckens noch in dieser Periode als ein weit entferntes Land, das mit den Deutschen und ihren Interessen nichts gemein hatte. Außerdem blieb im Bewußtsein vieler deutscher Protestanten das Bild Spaniens als die politische und religiöse Macht der katholischen Universalmonarchie Karls V bestehen.2 Die Entfernung beider Nationen, die herrschenden Denkformen in Spanien und die Erinnerung an die Glaubenskämpfe zwischen Spanien und den deutschen und flämischen protestantischen Adeligen unter Karl V. (1516-1556) und Philipp II (1556-1598) erregten großes Misstrauen bei den Deutschen gegenüber ihren angeblichen südeuropäischen Verbündeten. Auch wenn diese Situation am Ende des 17. Jahrhunderts mit der Auflösung der habsburgischen dynastischen Verflechtung deutlicher wurde, blieb die Haltung der Deutschen gegenüber Spanien stets von diesem Verdacht durchdrungen. Und zu dieser argwöhnischen Stimmung trug nicht wenig bei, dass die Gegenreformation in Spanien größere Gewalt als in Deutschland angewandt hatte und eine Rückkehr zum unnachgiebigen Konfessionalismus zur Folge hatte. Im Gegensatz zur wachsenden Toleranz, die der Augsburger Religionsfrieden (1555) und der Westfälische Frieden (1648) 3 mit sich brachten, herrschte in Spanien ein rückständiger Katholizismus, der keine Fortschritte auf dem Weg zur Versöhnung verschiedener religiösen Denkarten erlaubte. Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Ansicht verbreitet, dass eine Reise nach Spanien kaum von Nutzen sein konnte.4 Spanien hatte bei den Deutschen einen schlechten Ruf als Reiseziel aufgrund mangelnder Verkehrswege, beschränkter Unterkunftsmöglichkeiten und extremer Klimaverhältnisse. Ein Beispiel für den Widerstand, auf den eine Reise nach Spanien bei den Deutschen dieser Epoche traf, gibt uns Martin Zeiller. Mit seinem Itinerarium Hispaniae unternimmt er den Versuch, die allgemeine Vorstellung seiner Landsleute über die Nutzlosigkeit einer tieferen Kenntnis der „hispanischen Königreiche" zu bestreiten: Es werden gar viel gefunden / die da vermeynen / daß die Raisen in die Hispanische Koenigreich vnnutzlich angestellt werden / vnd es daher auch ein vergebene Muehe etwas davon zu schreibe seye: Dieweil Erstlich solche Raisen nit ohne sondere gefahr, vnd mit grosser vngelegenheit geschehe: Zum Andern weiln wegen der Spanier sitten / gebraeuch / vnd art zu leben / wenig bey jnen zu lernen: vnd dan Drittens / daz auch nit vil sonderliches in selbigen Laendern zu sehe. (Zeiller 1637: 1) 1

Brüggemann 1956: 1.

3

Vgl. Berenger 1993: 2 7 1 - 2 7 2 ; Maurer 1998: 1 0 3 - 1 0 5 ; Duchhardt 2 0 0 7 : 87, 91.

"Vgl. Kürbis 2 0 0 4 : 13.

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Eine wichtige Rolle im Kontext der Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien spielte die dynastische Verflechtung, die beide Territorien zusammenbrachte und über anderthalb Jahrhunderte verband. In der Zeit von 1516 bis 1700 begünstigte sie einen immer steigenden Waren-, Ideen- und Kulturaustausch, der viele neugierige Deutsche aus verschiedenen Gründen an den Rand des abendländischen Kontinents zog. Trotzdem muss man nicht ohne weiteres daraus folgern, dass die Thronerhebung Karls V. als König von Spanien eine allgemeine Faszination bei seinen deutschen Untertanen erregte. Spanien nahm zwar eine zentrale Position in den politischen Interessen vieler Kaufleute, Reisender, Politiker und Gelehrter ein und erweckte ein neues und mannigfaltiges Interesse, doch das Land des Apostels Jakob und des Heiligen Isidor von Sevilla schien noch für die meisten Deutschen ein fernes unbekanntes Gebiet zu sein, das ihnen nicht viel anzubieten hatte. Indizien für die genauere Bestimmung seiner Relevanz geben uns u. a. die zahlreichen Spanienreiseberichte, die in dieser Zeit vor allem in Frankreich, England und Italien erschienen. 5 Ihre Autoren begaben sich eifrig auf die Suche nach Abenteuern und neuen Kenntnissen und vermittelten ihren Landsleuten alle möglichen Auskünfte über die Geographie und die politische und kulturelle Eigenart Spaniens. Dank ihrer Entdeckungen konnten die Deutschen und die anderen Europäer einen Blick auf das damalige Spanien werfen und die seit Jahrzehnten üblichen Klischees und stereotypen Vorurteile über die Spanier revidieren. Dieses Kapitel nimmt sich vor, einen Einblick in die deutschsprachige Spanienreiseliteratur des 17. Jahrhunderts zu bieten. Anhand von sieben Texten, die zwischen 1606 und 1690 verfasst wurden, wird gezeigt, wie die deutschen Reisenden dieser Zeit verschiedene Aspekte der Landschaft, der Wirtschaft, der Mentälitäten, der Bräuche und der Kultur des damaligen Spanien in ihren Texten aufnahmen und vermittelten. Es handelt sich in chronologischer Reihenfolge um das Reyß Buch Jakob Beyrleins (1606), die Reise durch Welsch land vnd Hispanien Johann Wilhelm Neumairs (1622), das Itinerarium Hispaniae Martin Zeillers (1637), die Warhafftige Reiß-beschreibung Hieronymus Welschs (1659), die Denckwürdige Reisebeschreibung Johann Limbergs (1690) und die Reise-Beschreibung Adam Eberts (1723 6 ). Alle diese Texte teilen zwar ein gemeinsames Interesse an Spanien und widmen sich vor allem der Widerspiegelung seiner hervorragendsten Besonderheiten gegenüber den anderen europäischen Natio5 6

Vgl. Farinelli 1942: 5-202.

Auch wenn das Buch Eberts erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts veröffentlicht wurde, erklärt der Autor im Vorwort, dass seine Reisen „von An. 1677 bis An. 1680" stattfanden. Gehen wir davon aus, dass er seine Notizen an Ort und Stelle machte und seinen Bericht eher kurz nach Ende

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nen. Jedoch zeigen sie grundlegende Unterschiede hinsichtlich Konzipierung und Aufbau und der persönlichen Motivationen jedes Autors, eine solche Reise zu unternehmen. Darüber hinaus widmen sich nicht alle Autoren in demselben Maße der Beschreibung Spaniens. Die Titel dieser Werke sprechen eine deutliche Sprache zum Umfang der in ihnen enthaltenen Überlegungen über dieses Land. Bei Neumair und Zeiller ist es klar, dass Spanien ein Hauptziel ihrer Reiserouten darstellt. Und dementsprechend gewähren sie ihm einen beträchtlichen Raum in ihren Büchern. Die Titel der Reiseberichte von Beyrlein und Ebert sind gleichfalls bezeichnend für die wenigen Passagen, mit denen sich diese Autoren in ihren Berichten zufrieden geben. Trotz allem sind die Werke von Welsch und Limberg die Quellen, bei denen man die zahlreichsten und detailliersten Informationen über Spanien findet. Sie widmen ganze Kapitel der Schilderung der Landschaft, der Städte, der Reiserouten, der Wirtschaft und des Handels. Eine zweite Hauptunterscheidung zwischen den hier untersuchten Texten ergibt sich aus dem Zweck, den jeder von diesen Autoren verfolgte, als sie sich auf diese Entdeckungs- und Abenteuerreisen aufmachten. In den folgenden Seiten wird gezeigt, dass die Schwerpunkte aller dieser Reiseberichte auf den Bereichen des geographischen und allgemein landeskundlichen Wissens liegen.7 Nahezu alle Autoren nehmen sich gleichermaßen vor, eine möglichst große Anzahl an faktischen Angaben über die durchreisten Regionen zu geben. 8 Aber neben dieser gemeinsamen Hauptabsicht verdeutlichen einige von ihnen in den Untertiteln und Vorworten ihrer Bücher, welche weiteren Anlässe ihrer Reise zugrunde liegen und für welche Leserschaft sie bestimmt sind. In diesem Sinne bilden beispielsweise die Werke von Limberg und Welsch einen auffälligen Gegensatz. Der erste versucht mit sorgfältigem Eifer, jede wichtige Information zu sammeln, die den deutschen Geschäftsleuten auf der Suche nach neuen Geschäften in Spanien von Nutzen sein kann. Der zweite unterstreicht schon am Anfang seines Buchs, er wolle seinen deutschen Zeitgenossen die göttliche Schöpfung jenseits ihrer Heimat zeigen und sich geistig durch die Erfahrungen und den Umgang mit fremden Menschen und Kulturen entwickeln. seiner Reisen verfasste, dann scheint uns passend, Eberts Reise-Beschreibung den im 17. Jahrhundert geschriebenen Reisetexten beizufügen. Die Situationen, Begebenheiten und Persönlichkeiten, die in diesem Werk erwähnt werden, gehören nämlich in die Jahrzehnte vor der Jahrhundertwende. 7

Vgl. Kürbis 2004: 15.

Eine Ausnahme bildet hier Jacob Beyrleins Reyss Buch (1606), über welches Farinelli (1942: 15) mit vollem Recht behauptet: „Este libro de viajes no es más que una de las infinitas Guías de ca8

minos. Una sola página de la Guía refiérese a España".

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SPANIEN ALS REISEZIEL: MOTIVATIONEN DER DEUTSCHEN REISENDEN

Einer der Schwerpunkte der aktuellen Forschung im Bereich der Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts stellen die Gründe dar, aus denen sich die deutschen Reisenden nach Spanien begaben. Ihre Motivationen sind in jedem Fall anders und betreffen sowohl innere als auch äußere Faktoren der Reisetätigkeit. In dem einen Extrem wird der Nutzen der Reise als unerschöpfliche Quelle von Kenntnissen, Reife und Abenteuern hervorgehoben; in dem anderen wird behauptet, dass die Reisen vor allem einem praktischen Ziel dienen, und zwar der Vermittlung jeder wichtigen Auskunft, die sich für die Zwecke des Lesers als nützlich herausstellen kann. Als Beispiel des ersten gilt Birkens Hochfiirstlicher Brandenburgischer Ulysses oder Verlauf der LänderReise (1668), in dessen Vorwort die Reisetätigkeit als Weisheitsquelle überschwänglich gelobt wird. Dieses Reisebedürfnis wird hier anhand der Fahrten von adeligen Kavalieren gerechtfertigt und erläutert. Birken beschreibt nicht seine eigenen Reisen, sondern ist indirekter Zeuge der Erlebnisse eines deutschen Adeligen, des Prinzen Christian Ernst 9 (Bayreuth, 1644-Erlangen, 1712), der im Untertitel als „Hochfiirstlicher Brandenburgischer Ulysses" erwähnt wird. Mit einer solchen Anspielung auf den Helden der Antike und seine Seefahrten bezeichnet Birken diesen Fürsten als eine Art modernen Odysseus, der bis ans Ende der bekannten Welt reist und zahlreiche Wunder entdeckt, von denen andere nicht einmal träumen können. Wie Odysseus ist Christian Ernst auch ein Weltbürger, der gerne an den Weltgrenzen entlanggeht. Weitere Argumente zugunsten der Reisetätigkeit geben uns laut Birken die Gelehrten der Antike. Sokrates und Seneca, die weisesten unter den Weisen aller Zeiten, hinterließen in ihren Texten Beweise der unbestreitbaren Wichtigkeit der Reisen. Auch wenn sie sich auf keine bemerkenswerten Seefahrten begaben noch den Reisen ein explizites Lob widmeten, hielten sie sich für Weltbürger und wiesen auf die Erdkugel als ihr echtes Heimatland hin, wie in der Einleitung „Unterthänigste Zuschrift" zu lesen ist: Socrates, der Fürst unter den Weltweisen / (wie ihn das Delfische Orakel genennet /) hat zwar / weil er des Plato Lehrling gewesen / v o n d e m Reisen nit viel gehalten; Gleichwol aber dieser seiner M e i n u n g selber widersprochen / indem er / auf die Frage / V o n wannen er bürtig wäre? ( C u j a t e m se ferret?) sich von der Welt oder einen Welt9

Vgl. Birken (1668: o. S.): „Marggraf zu Brandenburg / zu Magdeburg / in Preusen / zu Stet-

tin / in Pommern / der Cassuben und Wenden / auch in Slesien zu Croasen und Jägerndorf Herzog / Burggraf zu Nürnberg / Fürst zu Halberstadt / Minden und Cammin".

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Ferran Robles i Sabater bürger (KoCT|J.oitoX.iTT|v sive Mundanum) genennet. Ist eben das / was Seneca, der weiseste unter den Römern / an seinen Freund geschrieben: Ich bin nit einem einigen Winkel der Welt gebohren; die ganze Welt / ist mein Vatterland. Hätte die wahre Gottes- und Messias- oder Christ-Lehre die Heyden erleuchtet / so würden Sie geantwortet und geschrieben haben: Wir sind Himmelsbürger / und unser Vatterland ist der Himmel. (Birken 1668: o. S.)

Von der hohen Bedeutung der Reisen legte selbst die höchste Gottheit unleugbares Zeugnis ab. Nach Birken wurden sie von Gott als ein wertvolles Geschenk an die Menschheit geschaffen. Das ganze Leben ließe sich mit einer Reise gleichstellen: Gott / der Erschaffer der Welt / durchreiset unaufhörlich / mit seiner Allgegenwart und AllVorsorge / das ganze Geschöpfwesen / und hat Freude daran / immer anzuschauen / was er einmal mit seiner WunderHand gebauet hat. Er hat auch / allen seinen Geschöpfen / gleichsam das Reisen eingeschaffen / derer aller Leben die Bewegung ist. (Birken 1668: o. S.)

Birken ist nicht der einzige Autor, der die Reisetätigkeit an sich schätzt und gleichzeitig als Ziel und als Selbstzweck bezeichnet. Dies finden wir bei anderen Autoren dieser Periode, insbesondere bei Welsch. In seiner Warhafftigen Reißbeschreibung spielt die informative Funktion der Reisebeschreibung, die bei fast allen zeitgenossischen Autoren als kennzeichnendes Merkmal erscheint, bloß eine sekundäre Rolle. Sie offenbart sich trotzdem jederzeit in den Anspielungen auf die Ortschaften, Ausflugsziele, Ereignisse und gelegentlichen Begebenheiten, doch nimmt Welsch sich keineswegs vor, exakte Kenntnisse über Spanien zu gewinnen noch eine eingehende und genaue Darlegung der Fakten seiner Reise durchzuführen. O b nun wol dises Königreich noch vil andere feine Städt haben soll / dieweil jedoch darbey / so vil ich darvon gehört und gelesen / nichts sonders zu beobachten / ich auch in etlichen bloß durchgereiset / in andern aber gar nicht gewesen / als achte ich für ohnnöthig / darmit mich auffzuhalten. (Welsch 1659: 237)

Der Untertitel dieses Werkes weist eindeutig auf die aufregende Beschreibung von Taten und Geschehnissen, die alle an der europäischen Geographie, Geschichte und Kultur interessierten Leser bezaubern wird, auch wenn sie keine wichtige faktische Information enthält.

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Sowol zu Land / als auch bey unterschidlichen gefahrlichen Schiff-fahrten [...] in Galleonen / Vassellen / Fregaten / Falucken / und dergleichen Schiffen. Nicht weniger bey denen wunderbahren brennenden Bergen / als dem Vesuvio bey Neaples; La Solfatara bey Puzzuolo; dem Stromboli und Vulcano, miten im Meer nahend bey [...] So dann in den Französisch-Spanisch-Niederländisch- und andern Kriegen / bey Scharmützeln / Belagerungen und Haupt-Schlachten / begeben und zugetragen. (Welsch 1659: o. S.)

Welsch ist nämlich der einzige Reiseliterat seines Jahrhunderts, der auf die grundlegend praktische, informative Funktion dieser Berichte zum größten Teil verzichtet. Seine Bemühungen konzentrieren sich vielmehr auf die Schilderung seiner eigenen Erlebnisse und der Eindrücke über die Landschaft und die einheimischen Bewohner der Halbinsel und deren Gegebenheiten, die er in seinen Reisen als direkter Zeuge sammelt. Nach der Vorrede seines Wctrhaffiigen Werkes verfolgt Welsch eine dreifache Absicht: Erstens will er persönlich die Wunderwerke Gottes auf der Erde bezeugen und sie den Lesern bekannt machen. Zweitens hat er vor, fremde Sprachen zu lernen. Und drittens möchte er sich geistig entwickeln. Diese „frühe aufgeklärte" Begier von Welsch übersteigt die Grenzen des eigenen Interesses und strebt nach einem höheren Ziel. Und zwar beabsichtigt er, Gott und seinen Mitmenschen einen besseren Dienst dank seines neuen Wissens zu leisten: Als in Anno 1630. [...] hab ich auß sonderbahrer getragener Begierd / mir vorgenommen und entschlossen / eine Reise in frembde Länder zu versuchen / auff daß ich vorderist die wunderbare Geschöpf Gottes in der Welt sehen / darbey etlich Frembde Sprachen erlernen / dardurch ein solche Erfahrenheit erlangen; damit alsdann zuvorderst ihme / dem lieben Gott / und folgends meinem Nächsten und dem gemeinen Wesen mit mehrerm Nutzen zu dienen wissen möchte. (Welsch 1659: 1-2)

Dass die Wahrhafftige Reiß-Beschreibung von Welsch „auß eigener Erfahrung" erzählt wird, ist nicht zu übersehen. Viele Autoren dieser Zeit rühmen sich, ein getreues Bild der Zustände Spaniens zu geben.10 Mittels dieser diskursiven Strategie versuchen sie hervorzuheben, dass sie selbst alles bezeugt haben, was in ihren Büchern berichtet wird. Auch Limberg, Neumair und Ebert teilen Welschs Wunsch, die Begebenheiten seiner Reisen als persönlich erlebte Ereignisse darzustellen. Beispielsweise nimmt sich Limberg als direkter Zeuge der Eigentümlichkeiten der westeuropäischen Nationen vor, diese „mit fleißiger Sorg1,1

Vgl. Brüggemann 1956: 2.

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falt persöhnlich" (Limberg 1690: o. S.) zu erkennen zu geben. Der Untertitel seines Werkes spricht eine deutliche Sprache, was die Absicht seines Verfassers angeht. Limberg will nämlich möglichst genaue Angaben zu den Ortschaften und Taten machen, die er beschreibt, damit sie für die Leser von praktischem Nutzen sind. Seine Reisedarstellung ist sowohl ein Reise- als ein Geschäftsführer. Der ganze Titel dieses Werkes lautet Denckwürdige Reisebeschreibung durch Teutschland /Italien / Spanien / Portugall/ Engelland/ Franckreich und Schweitz / & darinnen nicht allein die vornehmsten Städte / sondern auch die merkwürdigsten Schätze und Raritaten / in denen Kirchen / Klöstern / Kunst-Sammlungen / Zeughäusern / und Gärten &. Item die Wappen obgedachter Königreiche Fürstenthümer un fiirnehmsten Städte / das Geld so darinnen gangbar / die Meilen von einem Ort zum andern / samt vielen andern curiosen Anmerckungen / mit fleißiger Sorgfalt persöhnlich in gedachten Ländern. Dass die Reiseberichte dieser Zeit eher einen informativen und instruktiven Zweck verfolgen, muss aber nicht verwunderlich sein. Bestimmt waren viele deutsche Geschäftsleute interessiert an den internationalen Begebenheiten. Für sie schrieb Limberg seine Denkwürdige Reisebeschreibung, in deren Vorrede der Verfasser den Kaufleuten das höchste Lob spendet. Die Hinweise Limbergs auf die in Spanien gültigen Devisen - „Ihr Geld zehlen sie [die Spanier] auf Maravedis daß ist bey uns etwan ein Heller" - und die unterschiedlichen Währungssysteme in den verschiedenen Reichen Spaniens — „So man aus einer Provintz in die andere reiset / muß man andere Müntze haben" (Limberg 1690: 521 f.) - richten sich direkt an Kaufleute, die zum ersten Mal Geschäfte in Spanien machen wollen. Auch Ebert (1723: o. S.) gibt in der Anrede an den Leser bekannt, sein Werk sei für praktische Zwecke bestimmt und das Hauptziel darin bestehe, „den Zustand von Europa hiermit vorzustellen". Die Reise-Beschreibung Eberts verfolgt einen deutlichen informativen Zweck und ihr Autor trachtet stets nach einer ausfuhrlichen Darstellung seiner Erlebnisse im Küstengebiet Südeuropas. Seine Hauptabsicht ist die Zusammenstellung aller nützlichen Information, die für einen an die Sitten und Gebräuche fremder Nationen nicht gewöhnten deutschsprachigen Reisenden brauchbar sind. Das Werk Eberts bietet also eine Ubersicht über die geographische und politische Beschaffenheit Spaniens, die Religion, die gesellschaftlichen Beziehungen der Spanier, ihre häufigsten Gesprächsstoffe unter anderem. Wie Beyrlein nimmt auch Ebert die Aufgabe auf sich, die Leserschaft zu informieren und zu belehren. Schon im Vorwort zu seinem Buch erklärt er, der Leser werde da eine lange Liste unerwarteter Ereignisse und „ungemeiner Dinge" über die Einwohner dieses bei den damaligen Deutschen so wenig bekannten Landes vorfinden.

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Eine Variation zu den Texten von Limberg und Ebert stellt das ReyßBuch Jacob Beyrleins dar. Obwohl dieses Werk tatsächlich einem wesentlich informativen Zweck dient, wie sich aus seinem Titel ergibt, kann man nicht davon ausgehen, dass sein Ziel rein praktisch und materialistisch ist. Nach dessen Untertitel wird im Reyß Buch „nicht allein die Distantz / wie weit ein Ort vom Andern gelegen: sondern auch der vornehmsten Stätt / Gelegenheit / Macht / Größe / Reichthumb / Handthierung / Schöne vnd Zierlichkeit vermeldet und beschrieben" (Beyrlein 1606: o. S.). Aber im Gegensatz zu Limberg, der seinen Bericht lediglich an die reisenden Geschäftsleute mit kommerziellen Interessen an diesem Teil Südeuropas richtete, schrieb Beyrlein sein Werk für ein größeres Publikum, das aus „allen der Erfahrenheit und Wissenschaft liebhabenden Gemütern" bestehen sollte. Und genau aus diesem Grund versuchte Beyrlein seiner Beschreibung einen unterhaltsamen Charakter zu verleihen, der ihren wesentlichen belehrenden Zweck verstärken würde. Ein solcher Reisebericht sei, „nicht allein gantz lustig / sondern auch sehr nützlich zulesen" (Beyrlein 1606: o. S.). Ein weiteres Merkmal der Reiseberichte, das bei deren primären informativen Funktion eine wichtige Rolle spielt, ist die Umständlichkeit der Beschreibungen von Menschen, Landschaften, Ideen und Ereignissen. Eines der zentralen Probleme der heutigen Reiseliteraturforschung besteht nach Kürbis (2004: 31) eben darin, den Unterschied zwischen der Reise, den Wahrnehmungen der Reisenden und deren mehr oder weniger künstlerisch gestalteter Einbeziehung in der Abfassung des Reiseberichts zu identifizieren. Aus diesem Grund müssen wir in diesen Texten nicht unbedingt eine zuverlässige Darstellung einer selbsterlebten Wirklichkeit sehen, sondern lediglich „ein Bild [...], das sich der Realität annähert", denn „in Abhängigkeit von den Motiven, den Interessen und dem Wissen des Reisenden können die Vorurteile auch durchaus bestärkt werden" (Kürbis 2004: 32). In dieser Hinsicht ist es einleuchtend, dass die angestrebte Vollständigkeit und Ausführlichkeit der Reiseberichte des 17. Jahrhunderts mehr scheinbar ist als wirklich, obwohl sie eine grundlegende und unbestreitbare informative Absicht haben. Die meisten Autoren bieten nämlich wenige Informationen über die Kultur, die Geographie und die Politik des Landes, die übrigens ungeordnet im Text erscheinen. Auf diese Weise berichtet Neumair über Alicante: Zu Alicante, wie auch auffm Lande herumb / wohnen viel Moren / solche seynd noch von denen vberblieben / welche Ferdinandus König in Castilien aus Hispanien getrieben. Diese bawen das Land mit Wein/ Getreide / Obst vnd andern köstlichen Früchten / wie sie dann derselben dem Städtlein täglich viel zutragen: Seynd nicht

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Ferran Robles i Sabater so schwartz / als die in Africa. Es sollen bey 300000. noch in Hispanien seyn / Man lest sie nicht Soldaten oder Geisdich werden / dürffen auch bey Leibes Straffe keine Wehren oder Waffen haben / Seynd also wie leibeigen. (Neumair 1622: 388f.) Der praktische Charakter dieser Berichte ist vielmehr in den Beschreibun-

gen der Reiserouten zu finden. Bei ihnen trifft man auf zahlreiche Angaben zu den Landstraßen und den Entfernungen zwischen den verschiedenen spanischen Städten, wie bei Beyrlein oder bei Limberg: Weiter fort auff Ceresin 5. meiln. Lerma 5. Gumel Susan 5. meiln. Onrubio 4. Boßigilos 4. meiln. Samaßiera 3. meiln. Hutrago 4. meiln. S. Augustin 6. meiln. / Ein schöne Statt. Aneo Venta 3. meiln. / Ein zierliche Statt. Madrid 3. hispanische meiln. (Beyrlein 1606: 20) Compostella 15. Meilen. Diß ist eine kleine Stadt / und wird von den Teutschen fernen S. Jacob genandt [...]. In der Haupt-Kirchen ist der Leichnamb des H. Apostels Jacobi / welcher nach dem Tode wunderlicher weise solle hierher kommen seyn / wie Pater Steinmayer, der auch noch bey Leben / aus dem alten Scribenten Belleth bezeuget (Limberg 1690: 607f.) Betont werden auch die Schwierigkeiten, auf die man auf seinem Weg durch die spanische Hochebene stoßen kann: das in den nördlichen Regionen stets wechselnde Wetter, die extremen Temperaturen in Aragonien und Kastilien und die schlechte Qualität der spanischen Wirtshäuser: Die Hitze allda ist gleichsam unerträglich / sintemalen ich solches erfahren / als ich in den Hunds-Tagen auf der Reise nach Madrit begriffen war / Hut und Kleider waren von der Sonnen dermassen versenget / daß ich die Wolle mit der Hand konte abwischen. Der gepflasterte Stein-Weg ist so heiß / daß man mit blossen Füssen nicht daraufgehen kan. (Limberg 1690: 506) Von köstlichen Mahlzeiten und Gastereyen weiß man daselbsten wenig / oder gar nichts / die allerbeste Bekante pflegen nicht leichtlich miteinander zu Essen / vorneme und gemeine Leut Essen allein zu Mittag etwas / und zu Nachts oder Abend nichts warmes / sondern allein die vorneme etwas von Confect / und die gemeine etwann zum Brod Kaes / oder im Herbst Weintrauben. (Welsch 1659: 254) So hat es gar wenig rechte Wirthshäuser / da man mit guten Speisen tractirt werden kan / sondern allein heillose Garküchen / wo man bloß ein Suppen sambt einem Stuck Fleisch zu speisen pflegt/ da hat es dann in einer alten Cammer etwann ein langen Tisch/ in dessen Mitten ein Messer darauff / mit einer langen Ketten / daß sich dessen diejenige / so oben oder unten sitzen / bedienen können. (Welsch 1659: 255)

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A u f f der Strassen findet man bißweilen ein schlecht armselig Wirtshäußlein / darinnen stehet ein gedackter Tisch / ist aber allda weder zu viesen noch zu brocken / Setzt man sich ein wenig nieder/ vnd wil nur ruhen / muß man dem Wirth / ob er gleich nichts zu Essen oder zu trincken auffgetragen / sechs Maravedis,

thut zehn

Pfennige / por la posada, für das niedersetzen / zahlen / vnd kein gut Wort darzu haben. Bleiben also nicht ohne Vrsach die Spanier selbst nicht gern in ihrem Lande. K o m m e n sie auch in ein gut Land / lassen sie sich vngerne wiederumb hinaus schaffen. Elendere tractation vnd Reisen kan einem nicht f ü r k o m m e n / seynd auch die Leut gegen Frembde nicht beym besten. (Neumair 1622: 392)

Auch wenn diese Informationen fragmentarisch zu sein pflegen und nur ab und zu auftreten, lässt sich in der Praxis dieser Autoren ein Anspruch auf Vollständigkeit und Genauigkeit erkennen. Sie versuchen in der Tat alle möglichen Umstände zusammenzustellen, die einem Reisenden von Nutzen sein könnten. Und manchmal beschränkt sich der aufmerksame Blick des Erzählers nicht auf die Verdeutlichung einer Reiseroute, sondern er widmet lange Passagen der ausführlichen Darstellung der wichtigsten Städte oder Landschaften des Landes. Wer Spanien nicht kannte, würde hier zahlreiche Auskünfte über gewisse Ortschaften finden: die wichtigsten Gebäude, die bekannten Persönlichkeiten, die Vegetation, die Flüsse, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, das Klima, die Topografie und die Währungs-, Maß- und Gewichtseinheiten. Ein Beispiel davon bietet Beyrleins Beschreibung der Stadt Burgos. Ein schöne fürnehme HandelsStatt in Hispanien / am Fluß Pisarga gelegen / hat ein sehr reichesBisthumb / Weichs dem Bischoff järlichs 2 0 0 0 0 0 0 Gülden erträgt / Bei dieser Statt entspringt ein Wasser / das macht 2. Seclin / Dasselbig Wasser angestrichen / stellet alles Bluten / beschreibt Seb: Monst. D a wachst viel Saffrin / MiniZucker / Ein rotfärbig kraut C o c c ü genannt. (Beyrlein 1606: 20).

D I E „HISPANISCHEN K Ö N I G R E I C H E "

Auch wenn die spanischen Territorien beträchtliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Sitten und Sprache aufweisen, sind sie alle unter der Figur eines einzigen Monarchen verbunden. Laut Limberg genießt der spanische König großes Ansehen nicht nur bei seinen Untertanen, sondern auch bei allen Nationen Europas. Gleichwie der Kayser ein König der Könige genant wird / weilen er über Königreiche und Könige zu herrschen und zu gebieten hat: Also wird auch der König in Spa-

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Ferran Robles i Sabater nien ein König der Menschen genannt / weilen er mit seinen Unterthanen nicht Tyrannisch sondern Menschlich umgehet. Daher ist auch kein König in der Welt welcher von einen Unterthanen so hoch geliebet wird als der König in Spanien. Der Königliche Titel ist: Carolus II. König in Hispanien / beder Sicilien / Neapolis und Jerusalem / Ertz-Hertzog in Oesterreich / Hertzog zu Burgund / Braband und Meyland / Graf zu Habsburg / Flandern undTyroll / & . [...] Die Persianer geben dem Könige in Spanien den Titel: D e m Großmächtigsten Könige / der die Sonne für den Hut hat. Sie wollen sagen: daß es in des Königes in Spanien Reiche niemalen Nacht auch niemalen Tag sey / dann wann es in America Tag ist / so ist es bey uns in Europa Nacht. (Limberg 1690: 503ff.)

In den hier untersuchten Texten stößt m a n gelegentlich auf Irrtümer u n d Ungenauigkeiten im Bezug auf die damalige innere Einteilung Spaniens. D a s ist auch der Fall bei der B e s t i m m u n g der Grenzen zwischen Spanien u n d d e n Nachbarländern. Allen Autoren scheint klar zu sein, dass die Pyrenäen die natürliche Grenze zwischen der iberischen Halbinsel und d e m restlichen europäischen Kontinent darstellen. D e n n o c h findet man ab u n d zu in diesen Texten anscheinend widersprechende Aussagen über die Lage u n d die politische u n d geographische Zugehörigkeit mehrerer französischer u n d spanischer Städte. Folglich liest man bei Beyrlein, der seine Reise in Bayonne anfängt und die labortanische H a u p t s t a d t u n d das kleine Fischerdörfchen Saint-Jean-de-Luz in Spanien lokalisiert: Hie endet sich Franckreich und nimmt Spanien seinen Anfang / den Weg den Spanischf meilen nachzurechnen. Baiona 3. meil. S. Johan de Lux 3. Iirum 4. meil. Armania 4. Alegria 4. Sengeria. Erigano 4. Victoria 5. Miranda 5. Sunida 4. (Beyrlein

1606: 20) Auch Ebert ( 1 7 2 3 : 2 3 0 ) begeht einen solchen Fehler jenseits der östlichen Pyrenäen, als er die roussillonesische Ortschaft „ P e r p i g n i a n , die GrenzStadt zwischen Franckreich und Spanien" erwähnt. Es ist schwer zu sagen, ob die deutschen Autoren über keine ausreichenden Kenntnisse über den wahren U m f a n g Spaniens verfügten oder ob sie sich vielmehr auf ihre direkte Wahrnehmung der Landschaft, der Kleidungen, der Sprache u n d der Sitten der einheimischen Bevölkerung verließen. Bayonne gehörte nämlich nie z u m alten pyrenäischen Königreich N a v a r r a , " auch wenn die kulturelle Verknüpfung dieser Stadt und der

" Weder diese Stadt noch die Vizegrafschaft Labourd werden in den Urkunden des Königs Sancho III. erwähnt. Vgl. Marti'nez 2007: 114.

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ganzen Region Labourd zum restlichen baskischen Sprach- und Kulturraum n o c h heute unbestreitbar ist. Auch Perpignan war nicht m e h r Teil des spanischen Territoriums, als Ebert es besuchte. Seit der G r ü n d u n g des Fürstentums K a t a l o n i e n war Perpignan i m m e r dessen zweite H a u p t s t a d t gewesen (direkt nach Barcelona). Bis zur Unterzeichnung des Pyrenäenfriedens ( 1 6 5 9 ) zwischen Philipp IV. von Spanien und Ludwig X I V . von Frankreich war Perpignan die letzte wichtige Stadt und die stärkste militärische Bastion Spaniens diesseits der französischen Grenze. D i e deutschen Reisenden des 17. Jahrhunderts bemerkten ohne Ausnahme die kulturelle Vielfältigkeit und die Einteilung Spaniens in mehr oder weniger selbstständigen Territorien. Beispielsweise verwiesen N e u m a i r und W e l s c h wiederholt a u f die Unannehmlichkeiten, die die Grenzen zwischen den Territorien Spaniens den Reisenden bereiteten, insbesondere aufgrund der Korruption der betrügerischen spanischen B e a m t e n . Auch Limberg bezog sich darauf, ind e m er den Leser a u f die E x i s t e n z verschiedener W ä h r u n g e n aufmerksam machte. A u f jeden Fall war Welsch zweifellos der Autor, der am besten den vielfältigen und multinationalen Charakter des spanischen Territoriums widerspiegelte. Seine Bezeichnung dieses Teils der Halbinsel als „die Spanischen R e i c h e " offenbart seine Vertrautheit m i t einer komplexen kulturellen und politischen Verschiedenheit, die den meisten Deutschen des 17. Jahrhunderts wohl unbekannt war. Im 4 5 . Kapitel seines Buchs („Kurtze Summarische Relation / wie die H i s p a n i s c h e K ö n i g r e i c h e u n d Herrschafften z u s a m m e n / und unter das hohe Konigl. H a u ß Castilien k o m m e n " ) erforschte Welsch den Ursprung der inneren Gestaltung Spaniens in den historischen Begebenheiten, die Anlass zur Entstehung des spanischen Bündnisses gaben. 1 2 Trotz allem muss es hier zugegeben werden, dass, auch wenn die hier untersuchten Autoren die innere Vielfalt Spaniens erkannten, sie stets eine sehr einheitliche Vorstellung der spanischen Königreiche hatten. Sie betrachteten und beschrieben die Vereinigung der spanischen Territorien unter einem einzigen Herrscher und die wirtschaftliche und politische Überlegenheit Kastiliens als ganz natürliche Vorgänge.

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Auch Birken, der nur vom Hörensagen schreibt, bezieht sich in einer Passage seiner indirekten

Reisechronik über die baskische Provinz Gipuzkoa auf die unterschiedlichen Beziehungen, die die Einwohner der spanischen Königreiche mit ihrem Souverän haben: „Als Sie dieses Schiff besehen / giengen Sie zu Wasser 1 Meile 7 und dann ferner zu Land 1 Meile / nach S. Sebastian, in gemeinen Donastien genannt / einer vornehmen Spanischen Meer und HandelStadt in Guipuscoa, am Einschuß des Flusses Curumea gelegen / mit einem berühmten Meerhafen. Die Inwohnere rühmen sich eines Privilegü, daß der König unbedeckten Hauptes mit ihnen reden müsse". (Birken 1668: 76)

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STÄDTISCHES UND LÄNDLICHES LEBEN IN SPANIEN

Spanien wird in den deutschen Texten dieser Periode als L a n d großer Gegensätze geschildert. D i e A u f m e r k s a m k e i t dieser Autoren erregte vor allem der Kontrast, der zwischen d e m hektischen, farbigen und prunkhaften Leben der Städte und der Armut und der Strenge des ländlichen Lebens bestand. Ihre Vorliebe für das erste äußert sich in den zahlreichen Anspielungen auf die wichtigsten Ortschaften Spaniens. Schon in der Frühen Neuzeit war Madrid als H a u p t stadt Kastiliens auch M a c h t z e n t r u m der Halbinsel und Anziehungspunkt für M e n s c h e n aus aller Welt. Hier hatten die H a b s b u r g e r ihren königlichen H o f und von diesem Mittelpunkt aus verwalteten sie ihre Besitztümer beidseitig des Atlantischen Ozeans. 1 3 Madrid erscheint in den Berichten mehrerer deutscher Reisender als das kulturelle Z e n t r u m und die vorzüglichste und schönste Stadt Spaniens, obwohl Limberg ebenfalls den Schmutz und die mangelnde Hygiene dieser Stadt hervorhebt: D e r günstige Leser wolle mir verzeihen daß ich anfanglich so grob mit der T h ü r zur Stuben hinein falle. D a n n das erste was ich zu M a d r i t gesehen/ waren die Gassen/ so eben d a m a h l e n schier knietiefF salva venia v o n M e n s c h e n - K o t h geflossen / d a n n der Unflat wird all a u f f die G a s s e n geschüttet ( L i m b e r g 1690: 5 4 2 ) .

Außerdem genoss M a d r i d schon zu jener Zeit eine günstige Lage inmitten einer fruchtbaren Landschaft, die gemäß Beyrlein reich an Ressourcen war und vortreffliche landwirtschaftliche Erzeugnisse produzierte. Sie ligt in einem schönen edlen fruchtbaren L a n d / U m b diese G e g n e wird viel Saltz gegraben / viel G o l d t in d e m Erdrich / auch in gemeltem Fluß gefunden. D a wächßt zimlich viel / u n d guter Wein. (Beyrlein 1 6 0 6 : 2 0 )

Diese M e i n u n g Beyrleins wird nicht von allen seinen Zeitgenossen einstimm i g geteilt. Wenige Jahrzehnte später bezeichnete Welsch, der den guten R u f und die Berühmtheit von M a d r i d im Ausland anerkannte, dessen Wein als besonders schlecht: Der Spanische Wein ist zwar an frembden O r t h e n sehr berühmt / aber zu M a d r i d ist derselbe meistentheils von einer Unart / und manchmalen bitter. (Welsch 1659: 2 5 4 )

13

Für Beyrlein (1606: 20) war Madrid „dero fiirnehmsten und schönsten Statt eine in Hispa-

nien / Darinn der König sein Hoffhaltung hat / in einem schönen Königlich? Schloß".

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Dagegen wurde die Region Alicante schon in dieser Zeit wegen der Q u a l i t ä t ihres Weins mehrmals gelobt. Neumair (1622: 388) stellte fest: Die Wein / so vmb Alicante herumb wachsen / seynd fürtrefflich vnd berümbt / werden selten rein in diese Lande gebracht / die weissen seynd viel herrlicher und kräfftiger als die rothen. 14 D a s hektische städtische Leben von Madrid und sein Kosmopolitismus blieben bei den deutschen Reisenden des 17. Jahrhunderts alles andere als unbemerkt. Hier konnten sie jederzeit eine M e n g e fleißiger Leute treffen, die auf den Straßen und Gassen spazierten, sich unterhielten oder Geschäfte machten. M i t diesen Worten beschrieb Neumair eine der Hauptstraßen von Madrid: Die Gasse / la calla nueua genandt / ist die fürnembste vnd schönste / dann sie ist lang und breit. Abends nach vier Vhren kommen alle Handels vnd andere fiirneme Leute allda zusammen / vnd conversiren

mit einander [...] Solche Zusammenkunft

ist wol zu sehen / dann es kommen auch viel Cavalleros

auff schönen Pferden dahin

/ die reiten allda zur lust auff vnd ab / so lassen sich auch allerhand frembde Nationen daselbst finden. (Neumair 1622: 396) Eine andere Ortschaft, die bei den Reisenden dieser Zeit auch ein gewisses Interesse erregte, war Burgos. Die Deutschen hatten seit langer Zeit diese Stadt auf dem Weg nach Santiago de C o m p o s t e l a besucht. N a c h Beyrlein ( 1 6 0 6 : 20) war B u r g o s d a m a l s eine s c h ö n e v o r n e h m e Stadt u n d im Reisebericht von Welsch (Kap. 51) wurde sie auch kurz erwähnt. Im Werk Limbergs finden wir ebenfalls Beschreibungen zweier kastilischen Städte, die erwähnenswert sind: Avila und Salamanca, Sitz der ersten spanischen Universität. Avila 9. Meilen. Eine kleine feste Stadt / und Bischöffliche Residenz, hat 8. Pfarrkirchen / 8. Pforten / 2. Plätze; alhier residiren die vornehmsten Cavaliers aus Spanien. Auf der andern Seiten ist der Fluß Adexa, von hier biß Salamanca I vermeinte ich schier von Hitze zu verbrennen. Salamanca 17. Meilen. Eine grosse Stadt am Fluß Tormes gelegen, ist berühmt wegen der Universität / so Pabst Benedictus der 3te A. 1404. gestifftet. Es hielten sich damalen in den 2000. Studenten daselbsten auff. Das Collegium ist ein finstres Gebäu / die Bäncke waren zerschnitten / die Mauren durchgraben / und sähe der Boden ei14

Dieser Meinung war auch Ch. A. Fischer (1803: 186f.), der nahezu zwei Jahrhunderte spä-

ter der Beschreibung der Vorzüglichkeit der Weine aus Alicante ein ganzes Kapitel seiner

von Valencia widmete.

Gemälde

Ferran Robles i Sabater

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ner M ö r d e r G r u b e n nicht ungleich. Vor d e m Portal stehet geschrieben / Mater scien-

tiarum.

(Limberg 1 6 9 0 : 588f.)

Die Beschreibungen spanischer Städte durch deutsche Reisenden sind weder vollständig noch eingehend. Sie sind auch nicht frei von Fehlern und Ungenauigkeiten. Daraus könnte man schließen, dass diese Autoren einige der von ihnen erwähnten Städte nicht einmal betreten hätten. Vielmehr hätten sie die Berichte früherer Reisender nachgeahmt oder sich bei den spanischen Einheimischen erkundigt, die sie auf ihrem Weg trafen. Es ist sogar möglich, dass sie ihre Informationen aus den vorhandenen fiktiven und nicht fiktiven Texten zusammengestellt hätten. Ein deutliches Beispiel hatte man bei Beyrlein (1606: 20) und Ebert (1723: 230), als sie sich auf Perpignan und Bayonne als Grenzstädte zwischen Frankreich und Spanien bezogen. Ebenfalls wies Beyrlein in seiner ausführlichen Darstellung der Hauptstadt Madrid auf den Fluss hin, der durch die spanische Hauptstadt floss, als „den Goltführenden edlen FlußTagus". Von dannen reißet m a n fort in einem schönen ebnen L a n d / nit fern von d e m edlen G o l d f ü h r e n d e n fluß T a g o / durch viel Flecken u n d Statt / zu einem G e b ü r g in das Königreich Portugall / so ungefähr 3 0 . meiln von M a d r i d anfahendt / u n d k o m m t g e n L i s a b o n a . / W e l c h e Statt ligt 6 3 . h i s p a n i s c h e r meiln v o n M a d r i d . (Beyrlein

1606: 20) Wahrscheinlich meinte er damit den Fluss Jarama oder dessen Nebenfluss Manzanares. Auch Neumair (1622: 388) beging eine solche Ungenauigkeit, als er Ferdinand II. von Aragonien König von Kastilien nannte. 15 Unter den deutschen Reisenden dieses Jahrhunderts scheint Welsch derjenige zu sein, der die meiste Zeit in Spanien verbrachte und seine vornehmsten Städte mit größtem Eifer durchlief. Sein Bericht entspricht völlig seinem Ziel, aus seiner Europareise eine Gelegenheit zur menschlichen und geistigen Selbstentwicklung zu machen. Welsch stellte einerseits Elemente, die für den informativen Bericht charakteristisch sind (ziemlich genaue Angaben zur Lage der Städte, zu ihrer Entfernung, zu ihren Wohlstandsquellen u. a.), und andererseits Aspekte der Geschichte und Landeskunde Spaniens zusammen. Er war nämlich der einzige von den hier untersuchten Autoren, der auf den Ursprung Spaniens

15

Auch wenn die Heirat Ferdinands II. von Aragonien und Isabellas I. von Kastilien zur dy-

nastischen Verflechtung beider Königreiche in ihrem Nachfolger führte, wurde Ferdinand nie König von Kastilien noch Isabella Königin von Aragonien (Vgl. Suárez/Carriazo 1996: 7; Rovira i Virgili 1934: lOff.).

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als geographischer Einheit im vorrömischen Iberien hindeutete. Angeblich nannten die Römer die Pyrenäenhalbinsel und deren Urbewohner nach dem Fluss, dem sie für ihre Einfälle folgten: „Hispanien hat anfangs Iberia / nach dem Fluß Ibero / jetzo Rio Ebro geheissen..." (Welsch 1659: 220) Mit weitem Abstand war Welsch der Autor, der sich mit den spanischen Ortschaften und Gegenden am meisten vertraut machte. Seinen Bericht fing er auf den Balearen und den Pityusen an: „Majorca / Minorca / und andern Insuln auff dem Spanischen Meer". Von dort aus begab Welsch sich nach Barcelona, das im 17. Jahrhundert nicht mehr das wirtschaftliche Zentrum des westlichen Mittelmeerbeckens war und schon damals seinen Niedergang begonnen hatte. Von Barcelona aus durchwanderte er die ganze Ostküste Spaniens, an der er einige der größten und wichtigsten Städte der Halbinsel besuchte: „von [...] Montserato und Tarragona in Catalonien / von den Städten und Königreichen Valencia Cartagena und Murcia; sodann von Almeria / Malaga / und Granada". Obwohl Welsch keine vollständigen Darstellungen von den Ortschaften machte, die er besuchte, findet man zerstreut in seinem Buch interessante Auskünfte über die physische und die politische Geographie Spaniens, seine Wirtschaft, sein Klima, seine Gebräuche, die Hauptmerkmale der Spanier und die Verkehrswege auf der Iberischen Halbinsel. In seinen Kommentaren reihen sich rein anekdotische Begebenheiten undifferenziert mit bedeutsamen landeskundlichen Angaben aneinander. Ein Beispiel dafür bilden die malerischen Beschreibungen seiner Einfahrt im Hafen von Barcelona und seines Zwischenfalls mit dem Begrüßungsfeuerwerk. Bey unserer Einfahrt / im Meerhafen zu Barcellona/ musten die Stuck auff allen unsern Galeen drey mal / als ersdich der Stadt / fürs ander der Real-Capitania,

(das ist

die allervornemste königl. Galeen in Hispanien) und drittens der Barcellonischen Capitania, zu Ehren gelöset werden; dahero / nachdem dieselbige schon zwey mal auffeinander loß gebrant worden / und der Constabel eilends zum dritten mal / und also etwas zu schnell / bemeldete Stuck wider zu laden vermeint / zu solchem Ende auch bereits das Pulver mit der Ladschauffel in ein Stuck oder Canon gethan / so ist es (ohne Zweiffei weilen das Stuck nicht genugsam gesäubert gewesen) ohnversehens angegangen / hat die Ladschauffel zuruck geschlagen / den Constabel hefftig verbrennt / und in das Meer hinauß geschmissen; er ist aber alsobalden auß dem Meer herauß gezogen / in einer Falucken zu Land gebracht / und hernach doch (wie man uns berichtet) wider curirt worden. (Welsch 1659: 230)

Nach Welsch ist Barcelona eine der drei spanischen Städte, die der Reisende auf keinen Fall missen sollte. Zusammen mit Madrid und Santiago de Com-

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postela war die größte O r t s c h a f t der K r o n e Aragonien seit J a h r h u n d e r t e n Pflichthaltestelle zahlreicher Deutscher, die sich aus religiösen, wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Gründen nach Spanien begaben.' 6 Schon längst bevor man im Hafen Barcelonas eintrifft, ließe sich der hispanische Charakter der Stadt in der Luft des nordwestlichen Mittelmeers spüren. D a s Mittelländische Meer wird sehr unterschieden von d e m Wüten und T o b e n des Oceans, daher es auch die Galeien leydet / welche sich sonst in den Wellen nicht getrauen. Aber im Golfo de Leon ist der S t u r m so gemein / daß alhier von allen neuen Schiff-Leuten Lehr-Geld gefodert wird. D e r W e g ist nun vollendet / u n d niemahls mehr / dergestalt / daß nicht ferner davon zu reden. F u n f f z e h n Meilen oder einen u n d halben T a g von Barcelona fühlte m a n schon die Spanische w a r m e L u f f t / die denen / so sie nicht gewohnt / was sonderliches. (Ebert 1723: 2 2 7 )

Barcelona hatte sich schon im H o c h - und Spätmittelalter als eine der wichtigsten Städte u n d finanziellen Zentren Ostspaniens ausgezeichnet. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte es sogar mit G e n u a , Venedig und Pisa u m die Seeherrschaft des westlichen Mittelmeers und u m die Kontrolle der Seewege nach Osten g e k ä m p f t . G e n a u deswegen konnte Welsch keinen G r u n d d a f ü r

finden,

dass die Haupstadt der katalanischen Seemacht nicht einmal über einen echten Hafen verfugte: D e r H ä v e n von Barcelona ist herrlich / doch mehr eine Re oder Rade / als ein Häven / u n d darin R a u m vor eine grosse Flotte. (Ebert 1 7 2 3 : 2 2 7 )

Tatsächlich hatte Barcelona 1 7 in seinem goldenen Zeitalter keinen H a f e n , sondern lediglich eine Reede vor dem sandigen Strand, wo Schiffe ankern konnten u n d die Waren mit Hilfe von Booten aufs Festland transportiert wurden. Erst im Jahre 1 4 3 8 erteilte K ö n i g Alfons V. („der G r o ß m ü t i g e " genannt) die G e n e h m i g u n g für die Errichtung eines künstlichen Hafens zwischen der M ü n d u n g des Flusses Llobregat und dem heutigen Stadtviertel La Barceloneta. Der Bau des Hafens fing jedoch erst a m 2 0 . September 1477 an. 1 8 Auch Ebert zeigte großes Interesse an Barcelona. U n d obwohl er dieser Stadt keine ausführliche Darstellung widmete, sammelte er in seinem Reisebericht

16

Vgl. Welsch 1659: Kap. 42, 44; Limberg 1690: 524-528; Ebert 1723: 227ff.

17

Wie auch Valencia, das zweite wirtschaftliche Zentrum der Aragonesischen Krone auf der

iberischen Halbinsel. 18

Vgl. Duran 1973: 153ff.; Ruiz 1991: 67.

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sehr exakte Angaben über die Lage der katalanischen Hauptstadt, seine wichtigsten Gebäude und insbesondere seine Bastionen und Festungen. Die Stadt ist mit einer doppelten Mauer umbgeben / und bey dem Häven eine Festung [...] Ohngefehr 1000. Schritt ausser der Stadt ist die Festung Mont Juys, darumb ein Stein-Bruch / in welchem des Nachts wieder zuwächst, was des Tages daraus gehauen / dergestalt / daß die Hacken des Morgens auff der Erden gefunden werden / so des Abends angesetzet. (Ebert 1723: 227f.)

Ebert glaubte, der Ursprung der Stadt erklärte sich aus der Existenz einer Siedlung auf der flachen Platte, die durch die Berge Montjuic und Taber geschützt war. Der Ortsname Barcelona ließe sich daher aus seiner Lage auf dieser Platte folgern. Die Stadt lieget / wieder die Gewohnheit der Spanischen grossen Städte / im platten / wie wohl doch etwas hoch an manchen Oerthern; daher sie Barce-liano, oder das platte Barce, soll seyn genandt worden: Dann llano oder Ihiano heisset auff Spanisch

planus. (Ebert 1723: 227)

Aber kehren wir nochmals zu dem Reisebericht Welschs zurück. Nachdem dieser Autor die wichtigsten Ortschaften der östlichen Küste besucht und einen zweiten Aufenthalt in Barcelona gemacht hatte, begab er sich auf die spanische Hochebene, und zwar in Richtung auf die spanische Hauptstadt. Diese Fahrt war ihm doch nicht immer angenehm und stellt ihn mehrmals vor Schwierigkeiten aufgrund der gefährlichen und vernachlässigten Landstraßen und der Einsamkeit, in der sich der Reisende häufig befand. Die Entfernung der Ortschaften dieser Region voneinander und die öde, wilde Landschaft Aragoniens behinderten ihn stets und erschwerten seine Reise. Nach obvermeldter unserer Reiß und Schiffahrt haben wir etliche Tag außgerastet / als die wir dessen hoch vonnöthen hatten / dann ich fiiir meine Person bin von ausgestandener Hitz / Frost /Regen / Wind / ohnordentlicher Speiß / schlecht trüb und warmem Getranck / & sehr schwartz / gelb und blaw durcheinander / also verändert worden / daß / als ich einsmals in einen Spiegel gesehen / ich von Hertzen darüber erschrocken / und ist etliche Zeit angestanden / biß ich mich wider in etwas erholet. (Welsch 1659: 234)

Welsch musste also auf seinen Reisen sowohl die extremen und immer wechselnden klimatischen Bedingungen als auch die Unmöglichkeit erdulden,

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sich von Zeit zu Zeit den bloßen Komfort einer geeigneten Speise und eines warmen Getränkes zu besorgen. Aber bevor er Aragonien verließ, u m nach Madrid Richtung zu nehmen, erwartete ihn ein erstaunlicher Blick über das Gebirge der Pyrenäen. Die Unermesslichkeit des natürlichen Grenzgebirges zwischen Frankreich und Spanien, an deren Abhang Welsch über mehrere Tage entlanglief, machte ihn sprachlos. Bemerkenswert fand er, dass auf mehreren Gipfeln der Pyrenäen ewiger Schnee lag, auch wenn das Klima in Spanien im Sommer sehr hohe Temperaturen zu erreichen pflegte. Auff der rechten Seiten haben wir das weit und breit bekante Pyrenasische hohe Gebürg (welches Hispanien und Franckreich scheidet) etlich Tag nacheinander gesehen / und ist hoch zu verwundern / ob schon selbige Refier von grosser Hitz ist / daß nichts desto weniger in disem Gebürg vil Schnee fallt / auch so starck auffeinander gefrieret und erhärtet / daß endlich ein klarer kristall darauß praparirt, und dessen daselbsten / zwar nicht ohne grosse Mühe und Kosten / jedoch mit Nutzen ein ziemliche Menge bereitet wird. (Welsch 1659: 234f.)

Endlich erreichen Welsch u n d seine Reisegefährten die Hauptstadt Spaniens. Der Autor gab sich in diesem Teil seines Buchs keine Mühe, seine Faszination für Madrid zu verbergen, und widmete dieser Ortschaft lange Passagen und ausfuhrliche Beschreibungen. Madrid war damals das Zentrum der spanischen Politik, der Wirtschaft und der Kultur. Welsch berichtete umständlich über seine Geschichte, seine Persönlichkeiten und bedeutendsten öffentlichen Gebäude, seine Kirchen, Kunstwerke und Gärten. Mancherlei Informationen über die Stadt versammeln sich in diesem Text. Madrid erscheint einerseits als der Sitz des königlichen Hofs, aber andererseits auch als die Hauptstadt des „Ochsen-Kampfs oder Fiesta de los toros". Nach Welsch führten die fleißigen Bewohner von Madrid im 17. Jahrhundert ein sehr aktives Leben und füllten Tag und Nacht die Straßen und Plätze der Stadt. Voller Bewunderung betont der Verfasser, wie die Madrilenen ihr Leben auf der Straße verbrachten und in der nächtlichen Dunkelheit eine weitere Ausrede fanden, sich unterwegs mit ihren Freunden und Bekannten zu treffen und sich allerlei Vergnügungen zu ergeben. Wir seyn aber am Abend etwas spath dahin kommen / und weilen umb solche Zeit fast in allen Orthen sich junge Leut auff den Gassen und vor denen Häuserh befunden / daß der eine gesungen/ der Ander auff der Chitara geschlagen / oder sonsten auff ihre Spanische Weiß musicirt, als hat es mir gleich anfangs trefflich wol allda gefallen. (Welsch 1659: 245)

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Auch Neumair legte Zeugnis vom heftigen abendlichen und nächtlichen spanischen Stadtleben ab, das in Madrid in den Sommermonaten besonders aktiv war: Die Leute bleiben des Tages vber meistes theils wegen der gar grossen Hitze in ihren Häusern / auffm Abend aber vmb neun vnd zehen V h r pflegen die Gassen / allenthalben voll zu seyn / menniglich gehet in dunckeln spatziren / musiciren oder treiben sonst kurtzweil / Man findet auch auff solche zeit alle Weinhäuser voll. A n etlichen Orten liegen die Leut vor den Häusern gar auff Betten / bleiben wegen der kühlen Lufft / des Nachts allda / vnd schlaffen. Ist also im Sommer die Abendzeit die allerlustigste in Hispanien. (Neumair 1 6 2 2 : 396f.)

Von Madrid aus machte er sich nach den Nachbarstädten El Prado, El Escorial und Toledo auf, und ebenfalls nach den wichtigsten Ortschaften und Regionen der Iberischen Halbinsel, wie Burgos, Valladolid, Sevilla, Lisboa, Galizien oder dem kantabrischen Küstenstreifen. Aber Welsch war nicht der einzige Autor, der nach Galizien reiste. Wie schon erwähnt, kam auch Limberg enige Jahrzehnte später auf diese Weise nach Santiago de Compostela, einer Stadt, die die deutschen Reisenden seit dem Hochmittelalter faszinierte und eine Pflichthaltestelle für alle Christen Westeuropas darstellte. Der Ruheplatz vom Leichnam des Heiligen Jakob war seit mehreren Jahrhunderten das Ziel tausender Pilger aus allen Teilen Europas gewesen. Obwohl das städtische Leben Spaniens die deutschen Reisenden des 17. Jahrhunderts blendete und jederzeit im Mittelpunkt ihrer Gedanken stand, spielten die ländlichen Gebiete der Halbinsel auch eine wichtige Rolle in ihren Reiseberichten. Im Gegensatz zum Reichtum und Glanz der Großstädte unterstrichen diese Autoren die Not und das Elend des Landlebens: „Die Armuth ist auf dem Lande so groß" (Limberg 1690: 513). Nicht nur die widrigen klimatischen Bedingungen und die schlechten Landstraßen erschwerten den Verkehr. Unsere Autoren beklagten sich auch stets über die Einsamkeit vieler Gegenden, wo der Reisende nichts zu essen noch zu trinken fand. Nicht einmal in einem Wirthaus konnte man sich den notwendigen Komfort besorgen. In den vornemsten Wirthshäusern aber werden allein Cammern / Beth / Saltz / Essig und Oel gereicht / das Übrige muß man selbsten bekommen oder kauffen / und kochen / so gut man es weiß. (Welsch 1 6 5 9 : 2 5 5 ) 1 9

19

Vgl. Neumair 1622: 391 (siehe unten).

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Auf dem armen und gelegentlich sogar wilden Landschaft Spaniens kann der Reisende kein Raffinement noch Luxus erwarten. Man muss sich selbst mit allen Lebensmitteln versorgen und kann sich auf die Großzügigkeit der Einheimischen nicht verlassen. Gemäß Limbergs Bericht sind die Besitzer der spanischen Wirtshäuser so knauserig, dass sie in ihren Häusern ihren Gästen häufig nicht einmal Stühle zur Verfügung stellen wollen. Im Königreich Aragonien findet man nichts in den Wirts-Häusern / man m u ß selbst ausgehen und kauffen alles was man verlanget / kaum hat der Wirth das Saltz. Man findet weder Stuhl noch Banck im Hause / ist der Wirth aber so reich daß er einen Stuhl hat / so m u ß der / so darauf sitzen will davor zahlen. Noch muß er absonderlich zalen vor Tisch-Tuch und Salveten / ja auch daß er bey dem Tisch gesesen. (Limberg 1690: 513f.)

Aus den Worten Limbergs muss man trotzdem nicht folgern, dass alle deutschen Reisenden ein so negatives Bild von Spanien hatten. In den Reiseberichten dieser Zeit sind die Hinweise auf die Üppigkeit verschiedener Regionen der Halbinsel reichlich vorhanden. So hebt Ebert in seiner Darstellung der Umgebung Barcelonas die Schönheit und Üppigkeit der katalanischen Felder hervor. Er ruft uns in Erinnerung, dass Karl V. von ihnen gefesselt wurde, als er sich im Jahre 1535 nach Algier begab, um die maurischen Truppen von Khair ad-Din Barbarossa zu bekämpfen. Wie Kayser Carolus V. erfahren / als er nach Algier die Caravana antrat / und ihm Andreas d'Oria mit den Galeien und Schiffen / gantz von Citronen- und PomerantzenZweigen bestochen / gleich einem Garten / entgegen gekommen. (Ebert 1723: 227)

In Barcelona erfährt Ebert etwas Wichtiges über Granada, eine Stadt, die er bei seiner ersten Spanienreise leider nicht besuchen konnte. Z u Barcelona erfuhr Peregrinant, daß Graruuia die schönste Stadt in gantz Spanien/ daß vor jedem Hause ein Spring-Brunn und ein Pomerantzen- oder

Citronen-bMim\

welches einen unvergleichlichen Prospect verliehe. (Ebert 1723: 228)

Der Kontrast zwischen dem trockenen Klima des Landes und der üppigen Pracht der Natur einiger Regionen erstaunte unsere Autoren und wird häufig in ihren Texten angesprochen.

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Auff diser Reiß seyn wir vilmalen durch Waldungen kommen / welche kein Ander Holtz und Gewächs / Als Roßmarin / darzu vil Meil Wegs in sich haben. (Welsch 1659: 234) Welsch war nicht der einzige Reisende dieses Jahrhunderts, dessen Aufmerksamkeit diese aromatische in den mediterranen Landschaften üppig wachsende Pflanze erregte. Auch N e u m a i r (1622: 389) behauptete: So wächst die Roßmarin vmb Alicante allenthalben im Felde fast Mannes hoch / stehet dicht beysammen wie ein Gesträuch / daß man sich dahinder verbergen kan / wann die Mitnachtigen Winde wehen. D i e Feldarbeit a u f d e m L a n d wurde auch z u m T h e m a der Überlegungen unserer Autoren. N e u m a i r schildert die Getreideernte in Kastilien mit großer Ausführlichkeit. Seine Erläuterung der M a h d , des Dreschens, der S a m m l u n g der Ähren in H a u f e n und der Trennung der Körner von den Ähren entsprachen immer noch der Feldarbeit in Spanien am Anfang des 20. Jahrhunderts. 2 0 In dieser Gegend [d. h. New Castilien] herumb bawet es gut Getreyde: Im Junio schneiden sie es ab / vnd tragens auff grosse Hauffen im Felde / denn es regnet in Hispanien selten / vnd haben sie keine Scheunen / darein sie das Getreide legen können / Sie dreschen es aber im Felde alßbald aus / vnd geschieht solches auff folgende Weise: Sie legen ediche Schock Garben auff einen reinen Platz / welchen sie sonderlich auff den Eckern hierzu zurichten / vnd wie ein Thenn gleich vnd eben machen / gar ordendich in die Runde herumb / daß also der Platz gantz vnd gar bedeckt wird. Hierauff haben sie starcke dicke zusammen gefugte Bolenbret / solche seynd ohngefehr funff Ellen lang vnd zwo breit / Fornen seynd sie also gemacht / daß sie ein wenig erhoben / wie ein Schlitt oder Schleiffe; Vnten aber gegen der Erden stecken sie dick voll spitziger Kieselstein: Für solche Schleiffe spannen sie ein Pferd oder ein baar Ochsen; Auff der Schleiff stehet ein Bub oder Mägdlein / solches fehret auff den Garben immer ringsweise herumb; Zerknirschen also die spitzigen Kieselstein die Eheren / daß die Körner heraus fallen müssen / vnd wird das Stroh auch alles klein zerknickt. Wann sie nun sehen / daß die Körner alle heraus seynd / thun sie das Stroh oben hinweg / vnd binden solches auff; das Korn aber kehren sie mitten im Kreiß zusammen / vnd fegen dasselbe auffs reineste aus. (Neumair 1622: 390)

20

Limberg unterstreicht ebenfalls die Verwendung von Ochsen für die Ernte- und Dreschen-

arbeiten in Spanien: „Das Korn dreschen sie mit den Ochsen" (Limberg 1690: 521). Nahezu 250 Jahre später wird ein anderer deutscher Reisender diesen Brauch beschreiben, so wie man ihn noch in den 1930er Jahren in der valencianischen Region der Albufera anzuwenden pflegte (vgl. Thede 1933: 334-335).

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Auch Welsch teilte die Bestürzung seiner Landsleute über den Kontrast zwischen dem Fleiß der spanischen Landbewohner und dem Elend vieler Gegenden. Auf diese Frage gab er Antwort, indem er zunächst in der neuzeitlichen Geschichte Spaniens die Gründe für die Entvölkerung der zentralen Hochebene zu finden glaubte. Die einsamen Felder, die er in Aragonien auf seinem Weg von Barcelona nach Madrid durchlief, waren einst ziemlich dicht besiedelt. Die Kriege und die Vertreibung der arabischen Bevölkerung verursachten, dass ganze Dörfer zerstört und verlassen wurden. W i e nun die Länder durch den grausamen langwirigen Mohren-Krieg / schon oberzehltermassen hefftig verwüstet und verödet worden / als haben wir manchmalen den gantzen Tag weder Stadt / Flecken noch Weiler angetroffen / auch weder Speiß noch Tranck gefunden / dahero die Nothdurfft mitführen müssen. (Welsch 1 6 5 9 : 235)21

Der Mangel an Wasser und Nahrung erscheint gelegentlich in diesen Texten als eines der Hauptprobleme der Reisenden. Limberg warnte in seiner Denckwürdigen Reisebeschreibung alle Abenteuersuchenden vor dem trockenen Klima und der dürren und stark unebenen Landschaft Spaniens. Nach seiner Erfahrung war es wohl möglich, dass man stundenlang auf einsamen Landstraßen reiste, ohne auf eine Ortschaft noch eine Quelle von frischem Wasser zu stoßen. Oftermals gehet man 8. Meilen / ehe man zu einem Hause k o m m t / ja auch 1 2 . Meilen / ehe man ein fliessend Wasser findet. Das Wasser daß man trincken will / m u ß man auf eine gute TageReise mit sich führen. A n etlichen Oertern kan man ehe W e i n vor Geld haben als Wasser. (Limberg 1 6 9 0 : 5 1 4 )

Auch Neumair bestand darauf, dass man sich vor einer langen Fahrt am Abreiseort mit dem notwendigen Wasser versorgte. W i l man die Pferde trincken lassen / so m u ß man das Wasser / welches sie hinwieder in Cisternen halten / kauffen. (Neumair 1 6 2 2 : 3 9 1 )

Aus der Lektüre der hier untersuchten Texte wird deutlich, dass die Wanderungen und Fahrten in Spanien aufgrund des unebenen Bodens, der mangelnden Wetterstabilität und der geringen Zahl von befahrbaren Landstraßen äußerst un21

Das demographische Ungleichgewicht, das Welsch in seinem Buch scharfsinnig erläuterte,

ist im Spanien des 21. Jahrhunderts immer noch zu finden.

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bequem und erschöpfend sein mussten. Bis zur Einrichtung der ersten Eisenbahnbetriebe im Jahre 1848 konnte man sich innerhalb der Halbinsel nur auf Maultierrücken oder im Pferdewagen bewegen. Welsch bringt uns mit der Darstellung seiner Durchfahrt durch das katalanische Gebirge den alten Spruch in Erinnerung, der Katalonien als „Land der Maulesel" bezeichnete.22 Als wir nun zu Fortsetzung unserer vorhabenden Reiß fertig / und die Maul-Esel (so wir sowol zum reithen / als zum tragen der Wahren nach deß Lands Gebrauch vonnöthen / weil man wegen deß Gebürgs / etlicher Meinung nach / nicht möchte fortkommen können / wiewol solch Höhe Italia bey weitem nicht zu vergleichen ist) bestellt waren / seyn wir an einem Morgen bey Auffgang der Sonnen auffgebrochen / und haben unsern Weg durch das Königreich Arragonien / gegen Madrid in New Castilien zugenommen. (Welsch 1659: 234)

D I E SPANIER DES 1 7 . JAHRHUNDERTS IN DEN DEUTSCHEN REISEBERICHTEN

Das Bild, das man sich in Deutschland im Zeitalter des Barocks von Spanien und den Spaniern machte, ist weit enfernt vom Blickwinkel, aus dem die heutigen Deutschen diesen Teil des westichen Mittelmeers und dessen Bevölkerung betrachten. Nach den hier untersuchten Texten waren die Spanier dieser Epoche dunkelhäutige Menschen, deren starker Körperbau sie besonders geeignet für kriegerische Taten machte: „Dero Inwohner seind braune schwartze Leut / gute Schützen" (Beyrlein 1606: 21). Sie verbrachten ihr Leben gern auf der Straße und widmeten sich bereitwillig allen Arten von Freizeitvergnügungen mit ihren Mitmenschen. Sie brüsteten sich gern mit ihrem Vermögen und keiner hätte sich ohne seine besten Kleidungsstücke aus dem Haus gewagt: Allesampt / so gar die Sau-Hirten auf dem Felde / tragen einen Mantel [...] Wann die Sonne schier will untergehen / so gehen sie spatziren so stoltz gekleidet als immer müglich / in Seiden / Sammet und Taffet / zu Hause aber haben sie kein Brod zu Essen. Ihre Andachten und Processionen sind lächerlicher anzusehen als zu Wien oder Venedig. (Limberg 1690: 510f.)

Die Spanier zeichneten sich auch durch ihre Kochkünste und Essensgewohnheiten erheblich vor den anderen Europäern aus:

22

Vgl. Sales 1 9 8 3 : 6 5 .

102

Ferran Robles i Sabater Wann es v m b den M i t t a g ist / führen die Schlächter allererrst das Viehe ind die Fleischbänck / vnd schlachten solches, Alsdann kauffen die Leute das Fleisch also warm / waschens oder sauberns gar nicht / geben für / es verliere den Geschmack / schneiden es hierauf? in kleine Stück / vnd werffen solche in eine Pfanne mit Oel / vnd stracks mit vber das Fewer; wird also das Fleisch so zehe / daß mans nicht Viesen kan / Gehört also ein hitziger guter Wein / daran gleichwol kein Mangel / zu förderst aber ein guter Magen / zu solcher Speise. (Neumair 1622: 391)

Dass die Spanier ihre Speisen mit Ol zubereiteten, scheint die Aufmerksamkeit der Deutschen besonders erregt zu haben. Welsch (1659: 255) erwähnte es in seiner Aufzählung der wenigen Sachen, die dem Reisenden in den spanischen Wirthäusern angeboten wurde: „Cammern / Beth / Saltz / Essig und Oel". Und Limberg (1690: 507) setzte diesem im ganzen Spanien verbreiteten Brauch die Vorliebe der Deutschen für die Butter entgegen: „Die Butter ist nicht gar gemein allhier". Laut Limberg pflegten die Spanier dieser Zeit reichlich zu Mittag zu essen. Abends gaben sie sich mit wenig zufrieden. Die Spanier sind massig im Essen und Trincken / und füllen nicht den Leib so voll an als wir / sie Essen sich satt zu Mittage / aber selten zu Nachte / sie sind mit ein wenig Früchten zufrieden / und sagen: una oliva, azeituna, ajos y ravanillos son comida de Cavalleros, daß ist: Oliven, K n o b l a u c h u n d Rettig sind der Cavallier Speise. (Limberg 1690: 507)

Die Alterungsmethoden für den Wein waren in Spanien ebenfalls schon damals anders als in Mitteleuropa und wurden vom aufmerksamen Blick unserer Reisenden nicht übergangen. Limberg (1690: 506) versicherte, dass „den Wein man nicht in höltzerne Fässer wie in Teutschland thut" sondern in Behältern aus Tierhäuten. Welsch (1659: 254f.) bestätigte diese Beobachtung und präzisierte weiter: D e r Spanische Wein [...] wird nicht in Vierling-Fässer/sondern in H ä u t e n / von Schweinen / H ä m m e l n und Geißböcken (so man zusammen hefftet) verführt und außgezäpfft.

Das Gesamtbild der Spanier in den hier untersuchten Texten spricht zwar zum Teil für eine negative Bewertung dieser Nation seitens der deutschen Autoren. Wir finden jedoch in diesen Reisedarstellungen ebenfalls anerkennende Worte für den spanischen Charakter. Voller Bewunderung berichten sie u. a. vom König und seinem Hof, von Fleiß und Arbeitsamkeit der Einwohner der

Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie

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spanischen Königreiche, von Monumenten und architektonischen Besonderheiten der historischen Gebäude, vom städtischen Leben und der harten Arbeit auf dem Land. Ein Beispiel hierfür ist Welsch, der keine Anstrengung scheut, um Fleiß und Beharrlichkeit der Spanier zu rühmen. De entre de un assedio ta nation Espanola es muy patiente, y la que résisté à la hambre, à la sed, y al trabajo corporal.

Das ist: Die Spanische Nation ist sehr gedultig / in einer Bela-

gerung Hunger / Durst / Mühe und Arbeit auszustehen. (Welsch 1659: 254)

Auch Birken sprach voller Bewunderung über den Fleiß der Spanier und die Erfolge, die sie dank ihrem Erfindungsgeist erreichten. Folgenden Morgens um 7 Uhr / reiseten Sie 2 Meilen / nach Passagio Stadt am Meer gelegen: allwo Sa Majesté

Catholique

einer Span.

das Schiff la Capitana

bauen

liessen / und vor zween Tagen den Bau besehen hatten. Dieses Schiff war 7 2 Schritte lang / hatte 7 8 Stuffen in die Höhe / und fuhr 1 1 2 Stuck Geschütze: man sagte / es wäre nie kein grösseres Schiff in die See gekommen. (Birken 1668: 76)

Die heftige Kritik, die die deutschen Reisenden ab und zu an den Spaniern übten, bezog sich vor allem auf ihre Knauserei und ihre mangelnde Sittlichkeit, die in ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit deutlich wurde. Allerdings bezog sich die Verachtung dieser Autoren nicht gleichermaßen auf alle Spanier. Vor allem die spanischen Frauen waren das Ziel ihrer Kritik, wie Limbergs Denckwürdige Reisebeschreibung zeigt. Seiner Meinung nach waren alle spanischen Frauen ohne Ausnahme hässlich, lasziv und unsittlich. Aufgrund ihrer Schamlosigkeit und Immoralität hatte Spanien mehr Bordelle als alle anderen Länder auf dem Kontinent. Die Weiber [...] sind von Natur nicht schön / sondern schmüncken sich mit rother Farbe / das macht sie hernacher im Alter so heßlich / daß man Kinder damit verjagen solte / sie sind sehr geil und unzüchtig / dann eine kan mit ihrem Manne alleine nicht zufrieden seyn / sobald als es ein wenig finster worden / sind sie so unverschämt / und bitten die Jungen Pursche auf der Strassen sie zu regaliien Spanien auch mehr Huren-Häuser als sonst in gantz Europa.

/ und sind in

(Limberg 1690: 507f.)

Auch Männer erschienen bei Limberg als schamlos und unanständig, aber im Gegensatz zu den Frauen wussten sie, gegen welche Unsitten sie Widerstand leisten mussten. Vor allem achteten sie darauf, sich in der Öffentlichkeit korrekt zu benehmen und nur mäßig zu trinken.

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Ferran R o b l e s i S a b a t e r Die Spanier ob sie wol geil und unzüchtig / so sind sie den noch mässig im Trincken / so einer einen Ehebruch begieng / das wurde ihn nicht vor eine so grosse Schande gerechnet / als sich einmal vollsauffen. (Limberg 1690: 508f.) D i e S p a n i e r d e s 17. J a h r h u n d e r s e r n t e t e n d i e s c h ä r f s t e K r i t i k s e i t e n s d e r

D e u t s c h e n a u f g r u n d ihrer H a l t u n g g e g e n ü b e r d e n A u s l ä n d e r n . G l a u b t m a n d e n A u t o r e n , so besaßen die B e w o h n e r der Iberischen H a l b i n s e l nichts v o n der G a s t f r e u n d s c h a f t o d e r der G r o ß z ü g i g k e i t a n d e r e r V ö l k e r E u r o p a s . N e u m a i r h o b in s e i n e m Text die m a n g e l n d e L i e b e n s w ü r d i g k e i t hervor, m i t der m a n ihn in den spanischen W i r t h ä u s e r n b e h a n d e l t e . Dieser Weg von Alicante biß nach Madrid ist etwas ungewöhnlich zu reisen / Seynd auch vber zwo feine Städte solche Reise vber nicht zu sehen / wird man also sehr vbel

tractierf. K ö m p t man in ein Wirtshauß / findet man weder Essen noch Trincken: Wil man etwas haben / muß mans selbst einkauffen / vnd zurichten / Ja wann man es nur auch vmbs Geld bekommen könte: wird also das Sprichwort recht wahr befunden: „In Gallia velis nolis, pecuniam profundes: In Hi fpania fi velis maxime, non tarnen poteris." (Neumair 1622: 391) I m Vergleich z u m K o s m o p o l i t i s m u s der M e t r o p o l e M a d r i d o d e r der H a f e n s t ä d t e a m M i t t e l m e e r ( B a r c e l o n a , Valencia, Alicante), w o L e u t e aller N a t i o n a litäten w i l l k o m m e n zu sein schienen, waren F r e m d e u n d R e i s e n d e in vielen G e g e n d e n M i t t e l s p a n i e n s nicht b e s o n d e r s beliebt. L i m b e r g beschrieb a u s eigener E r f a h r u n g das e x t r e m e M i s s t r a u e n der S p a n i e r g e g e n ü b e r allen u n b e k a n n t e n M e n s c h e n , die in ihrem L a n d a u f t r a t e n . D i e A n g s t vor den A u s l ä n d e r n verursachte in s e i n e m Fall, dass m a n i h m H i l f e u n d Z u f l u c h t verweigerte, als er sich in großen Schwierigkeiten b e f a n d . Die Spanier sind gegen die Reisende und Außländer sehr mißtrauig / dann sie vermeinen von ihnen bestohlen zu werden / daß man oftermalen keine Herberge kan bekommen. Unterschiedliche malen hat mich das Unglück auch getroffen / daß ich das Geld auf den Händen gehabt / und noch darzu um Gottes willen gebeten / mich nur bloss lassen unter dem Dach auf dem Stroh schlaffen / aber vergeblich / ich hab mich müssen hinter eine Mauer oder Zaun legen / und zittern vor Kälte als wanns mitten im Winter wäre / dann so warm als es des Tages ist / so kalt ist es auch des Nachts. (Limberg 1690: 517f.) D i e A b n e i g u n g der S p a n i e r dieser Z e i t gegen d i e F r e m d e n o f f e n b a r t e sich unter allem in zahlreichen S p r ü c h e n über alle e u r o p ä i s c h e n N a c h b a r n a t i o n e n

Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie

105

(Portugiesen, Franzosen, Niederländer, Engländer...). Nach Limberg waren die Araber auf der Halbinsel, die das Land in Gang hielten, die einzigen Ausländer, mit denen die Spanier gut auskamen. Keine Nation der Welt ist bey ihnen willkommen oder angenehm als die Mohren / damit halten sie ihren Staat. Dann ist es ein Portugeser / so ist er bey ihnen ein Jud. Ist er in Frantzos / so ist er bey ihnen ein Gabatsche. Ist er ein Holländer oder Engeländer so ist er ein Ketzer. Ist er ein Fläminger / so ist er ein versoffener. Ist er ein Teutscher die man sonst Alemanni

heißt / so ist er bey ihnen ein Animal, daß ist eine

Bestia oder Vieh. Ist er ein Italiäner so ists ein Weib. (Limberg 1 6 9 0 : 518f.)

Aus diesem Grund musste sich der Fremde also vor einer Spanienreise auf allerlei Unglück vorbereiten. Die extremen Temperaturen, die schlechten Landstraßen, die Einsamkeit und Isolierung vieler Ortschaften des zentralspanischen Hochlandes, die Not und das Elend vieler Gegenden und der Mangel an Gastfreundschaft der Spanier waren zwar schlimm, jedoch mit einer weiteren Belästigung, unter der die Reisenden zu leiden hatten, nicht zu vergleichen: die Bestechlichkeit der spanischen Beamten. Vor allem mussten sich die Fremden vor den Beamten, die die innerspanischen Grenzen kontrollierten, in Acht nehmen. Die Zöllner, die ihre Autorität einer königlichen Lizenz verdankten, überschritten nur allzu oft ihre Befugnisse. Zur Verzweiflung des friedlichen Reisenden, der ständig die inneren Grenzen des Landes überqueren musste, musste man die Zollbeamten mehr fürchten als die Diebe. Sie waren für jede Art von Gaunerei und Gewaltanwendungen gut, und der Reisende war gegen sie jederzeit schutzlos. Findet man nun eine Vbermaß am Gelde / oder sonst etwas / es sey auch so gering als wolle / so new vnd zollbar ist / vnd man hat es verschwiegen / so wird es einem abgenommen / vnd hilfft allda kein bitten noch flehen: dann die Zoll seynd alle verpachtet/ vnd treiben die Zöllner grossen Muthwillen vnd Gewalt / spotten auch der Leute noch darzu. (Neumair 1 6 2 2 : 3 8 9 )

Diese Zöllner blieben nicht einmal dem König treu, dem sie dienten. Ihre mangelnde Moral und ihr korruptes Wesen verursachten, dass sie als leicht bestechlich galten, und zwar schon mit kleinen Summen. Wollte man Waren über die Grenze bringen, die bei einer zollamtlichen Durchsuchung besser nicht gefunden werden sollten, musste der Reisende unbedingt damit rechnen, den Zöllnern einige Münzen zu spenden. So erzählt uns Welsch (1659: 2 3 7 ) von einem Zwischenfall an der Grenze zwischen Katalonien und Aragonien:

Ferran Robles i Sabater

106 Unser Ambassador

war allda in zimlicher G e f a h r / dann weil der Durchreisenden (so

von Italien k o m m e n ) Kisten / Päck u n d Felleisen visitirt werden / d a m i t keine Seiden-Wahren ohnverzollt d u r c h k o m m e n / wir aber deren vil bey uns / u n d zu Barcelo n a mit Verehrungen durchbracht / als hatten wir nicht wenig zu thun / biß wirs in die Matratzen vernehet u n d sonsten versteckt / darzu die visitadores mit G e l d bestochen / d a m i t sie nicht scharff nachgesucht.

D e m Reisenden, der mit viel Geld die Grenzen überqueren musste, stellte Neumair eine Alternative vor, mit der er sowohl den teuren Zollgebühren als auch der Korruption der spanischen Beamten entgehen konnte. D a m i t ihm sein Eigentum nicht weggenomen wurde, solle er immer im Voraus sein Geld wechseln und mit wenigen Wertsachen an die Grenze kommen. W a n n m a n n u n von hieraus nach Madrid,

oder an einen andern O r t / so in einem

andern Königreich in H i s p a n i e n liegt / reisen wil / d a r f f m a n vber zwanzig C r o n e n an G e l d nit bey sich führen / M u ß m a n also / was drüber / allhier lassen / v n d durch Wechsel an das O r t / dahin m a n wil / vbermachen lassen: D a n n aufF den Grentzen / wo sich ein ander Königreich anfehet / wird m a n besucht. ( N e u m a i r 1622: 3 9 1 )

Einen besonderen Kommentar erfordert das T h e m a der Religion und Religiosität in Spanien anhand der deutschen Reisetexte dieser Zeit. Im 17. Jahrhundert spielte die Religion eine überragende Rolle und nicht ohne G r u n d prägte man Bezeichnungen für den Barock als das „Jahrhundert der Glaubenskämpfe" und das „konfessionelle Zeitalter" (Niefanger 2000: 52). Darüber hinaus gaben die seit Jahrzehnten existierenden konfessionellen Auseinandersetzungen in Mitteleuropa Anlass zum Misstrauen und sogar zur gegenseitigen Verachtung der Deutschen und Spanier. 23 Im Laufe des 17. Jahrhunderts veränderten viele Ereignisse die politische Situation Mitteleuropas und begünstigten eine Beschwichtigung dieses Kriegszustands. Der Westfälische Friede (1648) brachte eine politische Einigung und eine vorläufige Waffenruhe. Mit dem Ende der Religionskriege wurde der Konfessionalismus im Mitteleuropa allmählich überwunden und durch ein System der Duldung und Toleranz ersetzt. 24 Mittlerweile hatte der Erfolg der Gegenreformation im Südeuropa eine Modernisierung der Haltung der Gesellschaft zur

23

„Der Krieg erscheint als die bis heute gängigste Signatur der Zeit zwischen 1600 und 1700;

die Bezeichnungen der Epoche sprechen eine deutliche Sprache: .Eißernes oder materiales Saeculum' heißt es schon am Ende des Jahrhunderts." (Niefanger 2000:17) 24

Vgl. Niefanger 2000: 17.

Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie

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Religion vermieden. Das Erstaunen der deutschen Autoren über den Eifer und die Frömmigkeit, mit dem die Spanier ihre religiösen Feste feierten, wurden in ihren Reisetexten klar dargelegt: „Eusserlich sind sie eifferig Catholisch" (Limberg 1 6 9 0 : 5 1 1 ) . Welsch, Limberg und Ebert widmeten lange Passagen der Beschreibung der Begräbnisse, der Sündenbeichte, der K o m m u n i o n und des Feierns am Heiligen Abend. 2 5 Ein Beispiel des religiösen Eifers der Spanier findet man bei Welsch ( 1 6 5 9 : 2 5 8 ) : Ich hab mich nicht wenig ob dem muthwilligen und gottlosen Wesen verwundert / so in der Christ- wie auch in der Oster-Nacht vorgehet / dann nachdem die Leut pflegen der ersten M e ß (so gleich / wann es 12. Uhr schlägt / gehalten wird) auß Eiver beyzuwohnen / so haben sie im Brauch / daß Mann-und Weibspersonen in grosser Menge (wie oben beym Ochsenspihl erzehlt worden) aufF der Gassen umb- und von einer Kirchen in die andere lauffen / da pflegen die Pfaffen / Mönch und Nonnen allerley possirliche / darbey offtmals sehr ohnerbare Lieder zu singen / auff allerley Weiß zu musiciren, und in den Kirchen offt ein groß Gelächter / Geschrey und Tumult anzustellen / daß einer sein eigen Wort nicht hören kan / deß sonsten darbey vorgehenden gottlosen unzüchtigen Wesens zu geschweigen. Auch Limberg ( 1 6 9 0 : 554f.) erklärt uns, wie die Spanier den Heiligabend in Begleitung von ihren besten Freunden feiern. In der Christnacht ladet ein guter Freund den anderen zu Gaste / da gehet es auff ein Fressen und Sauffen und andere gottlose Thaten loß / ärger als in der Fastnacht / darnach gehen sie zu Mitternacht in die Kirchen / kotzen/ speyen/ und machen eine confusion ärger als das Vieh / fangen an zu singen/ Aora esta La noche buena a mannana La Navidad, de me La bota Maria que me quiero emborrachar, das ist/ heute ist der heilige Abend und morgi; der Christ tag / gib mir die Flaschen Maria daß ich mich vollsauffen mag/ an diesem Tage haben sie gar keine Andacht. Doch was die Deutschen an der Religiosität der Spanier wirklich beunruhigte, war die große Macht, die die katholische Kirche in diesem Land besaß. In den Texten dieser Zeit erscheint die spanische Inquisition immer als eines der Symbole f ü r Intoleranz und die geistige und moralische Rückständigkeit der Bewohner der Iberischen Halbinsel.

25

Siehe z. B. Limberg 1690: 5 1 8 , 5 5 4 f „ 563-568.

108

Ferran Robles i Sabater Allein die Spanischen Sitten gefielen ihm [d. h. dem Peregrinanten\ im 22sten Jahre seines Alters nicht so sehr / als nach der Zeit; entweder weil ihm in folgenden Jahren alles, / was er Simulation gedäulich / mehr gelegen / oder weil sein Gemuth niemahls

so sombre, noch der Sicherheit und Humanität

der Inquisition,

ohngeachtet daß sie

nicht vor Passagier, viel zu trauen und andern zu überlassen, absonderlich wann man durch Städte zureisen, so der Fremden nicht gewohnet. (Ebert 1723: 229)

Die Religion hatte allerdings über nach Spanien gebracht, und noch im nichts Ungewöhnliches. Ebert, der sich nant" bezeichnete, verdankte auch zum hung der Reise-Beschreibung.

mehrere Jahrhunderte viele Europäer 17. Jahrhundert waren Pilgerfahrten mehrmals in seinem Buch als „PeregriTeil seinem religiösen Eifer die Entste-

Dem Peregrinanzen ist nicht so bange im Spanischen Buch jemahls gewesen / als in Spanischen Landen. Er hatte sich vorgenommen von Barcelona nach Saragoza, die Kirche zu sehen / so den alten Märtyrern / davon A. Prudentius, so unvergleichlich im 4ten Seculo nach des Herrn Christi Geburt gesungen / consecriret. (Ebert 1723: 229)

RESÜMEE

Zusammenfassend kann man in den deutschen Spanienreiseberichten des 17. Jahrhunderts die folgenden Hauptideen identifizieren: a) Die deutschen Reisenden dieser Periode versuchten mit diesen Texten das unter ihren Landsleuten verbreitete Vorurteil über die Nutzlosigkeit der Reisen in die Iberische Halbinsel zu bekämpfen. b) Sie strebten nach einer tieferen Kenntnis der spanischen Bevölkerung und Kultur. c) Diese Berichte folgten einem dezidiert praktischen und instruktiven Ziel. Das zeigen uns u. a. die zahlreichen Aufzählungen von Fakten und statistischen Angaben, die präzisen Darstellungen der Städte und die ständigen Hinweise auf die Handelsartikel der Städter sowie die landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Die hier untersuchten Autoren verfolgten größtenteils einen gemeinsamen Hauptzweck, der darin bestand, ihren Landsleuten nützliche und präzise Information über die spanische Nation zu bieten. d) Das Wissen der deutschen Reisenden über Spanien war in diesem Jahrhundert noch ziemlich ungenau und unvollständig. Jedoch schienen sie ein deutliches Gesamtbild von dem Land zu haben, das der zeitgenössischen Wirklichkeit in hohem Maß entsprach. Sie berichteten voller Bewunderung vom spanischen König

Spanien in der Zeit der Habsburger Monarchie

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und erkannten die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen spanischen Völkern. Sie beklagten sich über die inneren Grenzen, die den Personenverkehr und den Warentransport innerhalb der Halbinsel erschwerten, zum Teil aufgrund der überhöhten Zolltarife und der korrupten Zollbeamten. e) Das städtische Leben faszinierte die deutschen Autoren, die die wichtigsten spanischen Städte besuchten und in aller Ausführlichkeit schilderten. Madrid zeichnete sich durch Kosmopolitismus und Monumentalität als Mittelpunkt von M a c h t und Kultur vor allen anderen Städten aus. Das Leben dort war hektisch und farbig. Die deutschen Reisenden erzählten begeistert, wie die Bewohner der spanischen Metropole Tag und Nacht durch die Straßen und Gassen spazierten, hin und her eilten, sich unterhielten, Musik spielten und Geschäfte machten. f) Im Gegensatz dazu wird das Leben auf dem Land wiederholt mit Begriffen wie Armut und Strenge gekennzeichnet. Die deutschen Reisenden erlebten ihre schlimmsten Missgeschicke auf ihrem Weg durch die zentrale Hochebene Spaniens. Hier waren die Lebensbedingungen deutlich schlechter als in den Städten, das Klima und die Topographie erschwerten die Fahrten und die Einsamkeit herrschte in ganzen Regionen, wo man stundenlang von D o r f zu D o r f reisen musste, ohne auf einen Menschen zu treffen. Darüber hinaus kommen in diesen Texten immer wieder Klagen über den Mangel an guten Wirtshäusern und Gasthöfen vor, wo man sich mit den für eine solche Reise erforderlichen Annehmlichkeiten hätte versehen können. g) Das Bild der Spanier, das diese Berichte zeichnen, ist weit entfernt vom späteren Stereotyp des sympathischen fröhlichen Volks Südeuropas. D i e Spanier werden als knauserig, betrügerisch und misstrauisch gegenüber Fremden geschildert. Welsch und Neumair heben ihre mangelnde Moral und ihr korruptes und bestechliches Wesen hervor. Das Bild Spaniens als streng katholisches Land ist auch in diesen Texten zu finden. Häufig findet man Anspielungen auf mächtige religiöse Obrigkeiten oder Beschreibungen von Feierlichkeiten und Gottesdiensten. Vielleicht wird den Leser von heute ebenfalls erstaunen, dass die Inquisition nicht im Mittelpunkt der Überlegungen dieser Autoren stand. Trotzdem stößt man hin und wieder auf Andeutungen über das höchste spanische Glaubensgericht als Symbol für die Intoleranz und die intellektuelle Rückständigkeit des Landes. So geben die Reiseberichte dieser Autoren einen umfangreichen Einblick in das Spanien des 17. Jahrhunderts, der zwar häufig nicht mit der offiziellen Geschichtsschreibung übereinstimmt, dem Leser aber wertvolle Informationen über Land und Leute vermittelt.

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Ferrari Robles i Sabater BIBLIOGRAPHIE

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Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute Deutsche Spanienreisende im 18. Jahrhundert bis zum Anfang des Unabhängigkeitskriegs (1700-1808) Berta Raposo Fernández (Universität de Valencia)

EINLEITUNG

Man kann das 18. Jahrhundert in zwei gut differenzierte Etappen einteilen, was die Berichterstattung deutscher Spanienreisender angeht. Im ersten Drittel (1704-1732) begibt sich, sofern bekannt,' nur eine spärliche Anzahl schreibender Reisender in dieses Land: Insgesamt drei, und allesamt sind Sonderfälle, auf die später noch eingegangen werden soll. Allen Reiseberichten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gemeinsam ist die anomale Publikationsgeschichte im Vergleich mit denen aus der zweiten Hälfte. Nach diesen kümmerlichen Anfängen klafft eine Lücke von mehreren Jahrzehnten, in denen Texte deutschsprachiger Spanienreisender nicht oder kaum überliefert sind 2 (obwohl der Reisefluss sicherlich nicht ganz versiegt ist), bis erst 1769 mehrere Aufsätze von Carl Christoph Plüer über seine in Spanien unternommenen Reisen erscheinen. Diese sind dann Vorboten einer regen Produktion, die sich in den 90er Jahren geradezu häufen wird. Chronologisch gesehen ist der letzte der in diesem Kapitel aufgenommenen Reiseberichte der von Carl Friedrich von Jariges, dessen Reise noch in die Zeit vor 1808 fällt, obwohl die Veröffentlichung erst 1810 erfolgte. Die Gründe für die Spärlichkeit am Anfang und die Konzentration am Ende des Jahrhunderts sind in den historischen Umständen zu suchen, die die Reisetätigkeit im Allgemeinen und die deutsch-spanischen Beziehungen insbesondere bedingten. Die politische Lage Anfang des 18. Jahrhunderts ist vom spanischen Erbfolgekrieg (1701-1713) und seinen Folgen geprägt. Dieser bewaffnete Konflikt

1

Vgl. im Allgemeinen Brüggemann 1956 und Zimmermann 1997.

2

Zimmermann 1997: 58-73.

114

Berta Raposo Fernández

europäischen Ausmaßes endete mit der Bestätigung der Herrschaft Philipps V. von Anjou auf dem spanischen Thron und mit dem Rücktritt des habsburgischen Prätendenten Erzherzog Karl, des späteren Kaisers Karl VI 3 . Der Dynastiewechsel läutete einen Rückschritt in den deutsch-spanischen Beziehungen ein, der sich bis zum letzten Drittel des Jahrhunderts immer deutlicher bemerkbar machte. Die mittleren Jahrzehnte des Jahrhunderts wurden außerdem von mehreren Kriegen in Mitteleuropa erschüttert (schlesische Kriege 17401748, Siebenjähriger Krieg 1756-1763), die den Reiseverkehr im Allgemeinen erschwerten. Hinzu kamen noch die geistigen Strömungen der Zeit und der Erwartungshorizont derjenigen, die sich auf Spanienreise begaben. Dieser baute auf verschiedenen Informationsquellen über Spanien auf, von denen die bekanntesten sind: 1. Die zwei Reiseberichte der Gräfin d'Aulnoy, die seit ihrem Erscheinen in deutscher Übersetzung 1695 zu einem Standardwerk der Spanienkunde wurden, ohne dass ihr Authentizitätsgehalt je in Frage gestellt worden wäre4. 2. Zwei Vertreter der landeskundlichen Literatur: Der Curieuse

Antiqvarius

von Paul Ludolf Berckenmeyer (Erstauflage 1709, Neuauflagen bis 1731) und der Spanienartikel in Zedlers Universal-Lexicort von 1743 5 . Ferner enthielten der Leopold-Stich um 1725, das Laconicum Europae Spéculum (1738) und die auf den Leopold-Stich zurückgehende Steirische Völkertafel (Mitte des Jahrhunderts) schablonenhafte Zuordnungen typischer Eigenschaften zu den verschiedenen europäischen Völkern, aber ihr Bekanntheits- und Verbreitungsgrad ist, anders als bei Berckenmeyer und Zedier, schwer einzuschätzen.6 In der Jahrhundertmitte machte sich der Einfluss der französischen Aufklärer geltend, die mit Montesquieu anfangend, Spanien als Land des Rückschritts und des religiösen Fanatismus brandmarkten und mit der Breitenwirkung ihrer Schriften ein ungünstiges geistiges Klima für Spanienreisen erzeugten, obwohl sie selbst nie in Spanien waren7. Diese Polemiken gipfelten im vernichtenden Spanienartikel von Nicolas Masson de Morvilliers in der Encyclopédie

métodique

1782, der eine Reihe von Entgegnungen seitens spanischer, italienischer und auch deutscher Gelehrter hervorrieP. Diese negativen Vorgaben knüpften an 3

Braubach 1978: 96.

4

Hönsch 2 0 0 0 : 3 0 - 4 6 .

5

Hönsch 2 0 0 3 .

6

Stanzel 1999 und darin Rupnow.

7

Hönsch 2 0 0 0 : 6 7 - 7 5 .

8

Gerstenberger 2 0 0 7 : 1 lff.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

115

die meist wenig schmeichelhaften Berichte der Gräfin d'Aulnoy an und wirkten also abschreckend. Andererseits setzte sich mehr oder weniger zeitgleich eine neue Perspektive auf Spanien durch, und zwar durch die Berichte englischer Reisender, die im Zuge des englischen Einflusses auf die deutsche Aufklärungskultur sehr schnell ins Deutsche übersetzt wurden und sich beim Lesepublikum hoher Beliebtheit erfreuten. 9 In dem Moment, da das spanische Reich keine ernsthafte Bedrohung mehr für England insbesondere und für Europa im Allgemeinen darstellte, wurde das Land für eine Neuentdeckung durch weltoffene Reisende interessant. Dieser Weg wurde nun auch von den deutschen Spanienreisenden eingeschlagen.

D I E ANFÄNGE

Der erste Reisende des Jahrhunderts ist uns nur durch die Initialen J. M . bekannt. Nach Auskunft seines anonymen Herausgebers hat er die Reise in Begleitung eines „reichen und fürnehmen" böhmischen Grafen unternommen und will „aus all zu grosser Bescheidenheit nicht genennet seyn" (Vorrede ohne Seitenzahl). Das Reiseziel bleibt im Dunkeln. In der Vorrede nennt der Herausgeber allerdings die Gründe für ein Interesse an Spanien als Schauplatz eines Kriegs, in den das deutsche Reich neben vielen anderen europäischen Ländern verwickelt ist. Und er nennt auch die Gründe, die einen „nach Standes-Gebühr geehrten Leser" von einer Reise nach Spanien abhalten können: Spanien ist nicht nur an sich selbst / wegen des Tumults / den es in ganz Europa erregt; sondern auch deswegen mehrer Erkäntnnus würdig: Weil wenig Leute das Glück haben / sich viel darinnen umzusehen. D i e Inquisition

ist zu scharff: Daher

sich nicht viele / auch gut Catholische / da hinein wagen: Weil nur ein Ankläger / er m a g wahr oder unwahr reden / ein Wort sprechen darf / so ist Freyheit und Leben / und ehrlicher N ä h m e in höchster Gefahr. Für Protestirende ist das Clima ohne dem zu hitzig. [...] In Ansehung dessen ist es uns ein grosses Glück gewesen / daß uns Herrn J. M. unsers guten Freundes und Gönners Manuscriptum

durchzulesen / ver-

gönnet worden. ( Schauplatz 1704: Vorrede ohne Seitenzahl)

Der Aufbau dieses Werks ist enzyklopädisch-landeskundlich: Die ersten 15 Kapitel beschäftigen sich mit der Vorgeschichte und Geschichte Spaniens bis zur unmittelbaren Gegenwart. Dann folgen 14 Kapitel über die verschiedenen 5

Hönsch 2000: 113-117.

116

Berta Raposo Fernández

spanischen Regionen oder Königreiche, und das Ganze endet mit einer Beschreibung des Königreichs Portugal. Der Anteil des Herausgebers an der Textgestaltung ist nicht unbeträchtlich. Nur gelegentlich lässt er den Verfasser zu Wort kommen mit Zitaten aus seinem „Journal" oder aus seiner „Relation" (das sind die Bezeichnungen, die er für J. Ms. Manuscript verwendet). So liest man im Kapitel über das Königreich Granada zunächst allgemein gehaltene sachliche Informationen, dann eine Darstellung des Verfalls des einst blühenden Lands, der mit dem Erlöschen der muslimischen Herrschaft einherging und dann ein Lob des Klimas und der fruchtbaren Landschaft mit einem Seitenhieb auf die sprichwörtliche Hoffahrt der Bewohner: Es hat dieses Königreich gegen Abend und Mitternacht Andalusien / gegen Morgen Murcia / gegen Mittag aber das Mittelländische Meer [...] Als es noch in der Mohren Händen stunde / vor ohngefehr 200 Jahren war es das vermöglichste / fruchtbarste und volckreichste Königreich in gantz Spanien / so daß die Mohren in Gewonheit hatten zu sagen: Das Paradeiß müste gleich über Granada sich befinden / weil das gantze Land überall so herrlich seye. Wiewol es ist kein Wunder / weil sich diese Leute keine Mühe und Unkosten dauren liessen / wann nur / vermittelst der galantesten Erfindungen / dem Land kunnte geholfen worden. Allein nach dem durch Ferdinandum Catholicum ihnen der Daum An. 1492. aufs Aug gesetzet / und ihr König Muhammed Boabdelin / beygenamst Chico, von dem Thron gestossen und verjagt wurde / ist es unter der Spanischen Herrschafft zimlich herunter kommen; worzu Philippus der III. das Seinige auch beygetragen / als er alle Mohren aus dem gantzen Königreich verjagte [...] Inzwischen ist es dannoch in Ansehen der übrigen Spanischen Königreiche / ein herrliches Land die Lufft ist durchgehends trefflich gemässiget / wedere zu warm / noch zu kalt; der Erdboden fruchtbar / und wäre stattlich zu nutzen / wo die hoffartige Spanier recht mit umzugehen Belieben hätten. (542-54) Es folgt eine kurze Beschreibung der Heilbäder und der rauen Landschaft an der Grenze zu Kastilien (544). Als es aber an die Charakterisierung der „Inwohner" geht, zieht der Herausgeber es vor, den Verfasser direkt zu zitieren: Im übrigen mögen die Inwohner eben nicht von der allerbesten Gattung seyn [...] Wann unser Herr M. den Ausspruch thun sollte / so würden sie ohne Zweiffei den Kürtzern ziehen; denn in seinem Journal kan er nicht genugsam über die Bosheit und Leichtfertigkeit klagen / mit der sie ihm / und seiner Compagnie begegnet wären. Ich muß doch die Sache mit dessen eignen Worten erzehlen: Durch alle Dörffer

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute / schreibt er / von

Infamien

Loxa bis Granada schrien

117

uns die Leute allenthalben tausenderley

nach. Sie giengen in allen den Dörffern / durch die wir kamen / ob schon

manchmals kein gutes Haus darinnen war / in S a m m e t daher. So bald sie unser irgendwo gewahr wurden / da war der Teufel loß / und wurffen sie uns mit Koth / Steinen / Stroh und dergleichen Zeug. In der Stadt

Granada

[...] gieng es uns nicht

viel besser / Junge und Alte schrien uns mit vollem Halse nach / hiessen uns

Titere-

ros, das ist / Marcktschreyer / und was dergleichen Namen mehr waren. [...] Das laß mir Leute für frembde reisende Gäste seyn! (545ff.)

Uber den zweiten Spanienreisenden aus dieser Zeit ist man ungleich besser unterrichtet. Es handelt sich um den Straßburger Kaufmann Johann Eberhard Zetzner (1677-1735), der sich zwischen Juli und Oktober 1718 in Spanien aufgehalten hat, um bei einem in Cádiz ansässigen Handelspartner ein verwickeltes Schuldengeschäft zu erledigen. Sein „Reiss-Journal", das neben der Spanienviele andere Reisen durch mehrere europäische Länder beschreibt, blieb fast zweihundert Jahre unveröffentlicht, bis Rudolf Reuss es 1913 im Auszug und mit reichlichem Kommentar herausgab. Wegen dieser selektiven Verfahrensweise und weil der Herausgeber eine eigene Nacherzählung von Zetzners Worten liefert, ist es nicht möglich, sich ein Bild des ganzen Texts und seiner Schwerpunktsetzung zu machen. Es handelt sich aber auf keinen Fall um eine trockene Geschäftschronik. Zetzner vermerkt am Ende „Hätte wohl noch mehreres anmercken können und sollen, allein der unmuth und großer verlust meiner affairen haben solches verhindert." (Zetzner/Reuss 1913: 159). Er widmet sich in seinem Bericht mehreren Themen von allgemeinem Interesse, wobei er der Darstellung der Reisebeschwerden und -gefahren einen breiten Raum zu geben scheint und einen anekdotenhaften Erzählstil an den Tag legt. Am Ende der spanischen Reiseepisode liefert er eine Beschreibung von Land und Leuten in Cádiz insbesondere und in Spanien überhaupt. Darunter finden sich folgende Bemerkungen: Es giebt trauben allhier, die sechs bis sieben pfund wiegen, haben beeren wie kleine baumnüsse, seind süß wie honig; auch delicate weine, ein roter so man Dinde nennet, wachset zu Rota, welchem kein wein an lieblichkeit kann vorgezogen werden. Ich habe mich im trincken sehr in acht genommen, und ohnerachtet der spannische wein widerwärtig, wann man wasser dazu thut, so habe mich dessen doch öfters bedient. Ein fremter, wann ihm sein leben lieb, so muß er sich vor dem hitzigen spannischen wein und vor den hitzigen spannischen frauen so in acht nehmen, daß er der ersteren, nur was zur nottdurft gehöret, genießet, das letztere aber gänzlich meidet. [...] Die porteurs, so das wasser aus den schiffen in die statt tragen, können des

118

Berta Raposo Fernández tags einer bis sechs livres verdienen. Seind meistens mohren oder sonst fremte nationen, dann den herren Spaniern die arbeit zu schwer. (Zetzner/Reuss 1913: 151 f.) Viele dieser Beobachtungen mögen aber nicht besonders originell sein, son-

dern schon von alters her überliefert. Einige von ihnen finden sich Jahre später ( 1 7 4 0 ) im Spanienartikel von Zedlers Universallexikon wieder, z. T. mit d e m gleichen Wortlaut: Den Spanniern kann man nachsagen daß sie nicht viel auf essen und trincken halten, denn sie sagen: „wir essen und trincken bloß um das leben zu erhalten, andre nationen aber vermeinen sie lebten nur um delicat essen und trincken halber" 10 ... Der hochmuth hat bey den Spanniern dermaßen überhand genommen daß sie ... alle andren nationen verachten, ja sie sagen es wäre unbillig und ungerecht daß der Herr Christus nicht auß ihrer nation seye gebohren worden. Doch aber wollen sie behaupten, Gott habe mit Adam und Eva im Paradieß, und mit Mose auf dem berg Sinai' spannisch geredet", denn sie bilden sich fest ein daß keine sprach zum befehlen füglicher seye [...] Die Männer essen gantz allein und ihre weiber mit den kindern meist auf dem boden 12 . (157f.) Auch hier finden sich anekdotenhafte Anmerkungen, die vielleicht auf eigener Beobachtung beruhen könnten: Wann sie des morgens taback rauchen, so schlucken sie den rauch hinunter und incommodiert sie nicht. [...] Wann sie im kartenspielen uneinig werden, so werden sie einander ehender die haar außreißen als das kartenspiel zerreißen, denn sie sagen, die karten kosten geldt, die haar aber wachsen umsonst nach. (157f.) Sowohl bei J. M . als bei Zetzner hat man es mit Berichten aus zweiter H a n d zu tun, die vom jeweiligen Herausgeber ausgewählt und womöglich manipuliert worden sind. Der dritte Reisebericht begegnet uns hingegen als eigenständiger Text, der aber einer anderen Gattung angehört, nämlich der Reisechronik. Der Verfasser, Emmerich Fischer aus Hall im Tirol (als M ö n c h Pater Emericus Halensius), hat als Begleiter des Kapuzinergenerals H a r t m a n n von Brixen von

10

Vgl. Zedier 1740: 1130. Bereits bei Thomas Platter im 16. und Johann Limberg im 17. Jahr-

hundert begegnet man ähnlichen Bemerkungen über die Genügsamkeit der Spanier beim Essen und Trinken, wenn sie nicht selbst dafür bezahlen müssen (vgl. Weber und Robles in den vorigen Kapiteln dieses Bandes). 11

Vgl. Zedier 1740: 1119.

12

Vgl. Zedier 1740: 1130.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

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Januar 1727 bis Juni 1728 Spanien bereist. Sein Buch schildert die ganze Visitationsreise seines Oberhirten, die, von Italien ausgehend, über Spanien, Frankreich, Deutschland/Osterreich zurück nach Italien führt. Pater Emericus bietet d e m Leser keinen Erfahrungsbericht, nicht einmal, oder z u m i n d e s t nicht hauptsächlich, eine landeskundliche C h r o n i k . Sein Hauptinteresse gilt zwei Gegenständen: der Frömmigkeit (Kirchen, Klöster, Wallfahrtsorte, Heiligenbilder) und d e m Verlauf der Visitationsreise mit allen Begegnungen, mit ausfuhrlichen Beschreibungen der liturgischen und weltlichen Zeremonien, mit denen der hohe Gast geehrt worden ist. Ab und an gestaltet sich der trockene Bericht jedoch etwas abwechslungsreicher:

Valentia, als die Hauptstadt des Valentinischen Königreichs am Fluß Guadalaviar, ist groß und wohl erbaut: selbe Gegend einige Stund lang wird auf Spanisch: La huerta

de Valenzia, der Frucht-Garten von Valenz benamset / weil solch ungemein fruchtbar / sonderlich an Pomerantzen/ Limoni / Citroni / Oliven / und Wein-Gewächs. Es hat dise Stadt / nebst dem Ertz-Bischof / einen Vice-König / ist auch mit einer ansehnlichen Universität begnadet. In der Dom-Kirchen sahen wir / unter anderen Kostbarkeiten / denjenigen Kelch oder Becher / in welchem Christus der H E R R beym letzten Abendmahl consecrirt / es ist selber aus einem Edelgestein / so mit dem Smaragad eine Ähnlichkeit traget: wir sahen ferners den Leib des Heil. BischofFs Ludovici, welchen die Spanier aus Franckreich von Marsilien dahin sollen überbracht haben: den Zahn des Heil. Christoph, der so groß / wie ohngefeher ein kleines Kinds-Fäustlein, und viel anderes mehr. (E. Fischer 1753: 16) Gelegentlich werden persönliche Bemerkungen eingeflochten. Anlässlich des feierlichen Einzugs des Kapuzinergenerals in Murcia beobachtet Fischer:

XVJul. Nach beschwerlicher Nacht-Reyß / und vollbrachten 4. Spanischen Meilen / langt endlich P. General samt seiner abgematteten Gesellschafft an in der Stadt Mtircia [...] P. Generalstiege vor der Stadt ab / und gienge zu Fuß nach unserem Closter hin / so zimlich weit darvon endegen. Freylich ja ein grosse Ehr / aber auch sehr grosse Ungemach / weil alles dises geschähe in der grösten Spanischen Sommer-Hitz. (21) Die ganze Abteilung endet mit einer kurzen landeskundlichen Beschreibung Spaniens, die über einige k n a p p e Daten und Fakten hinaus etwa solche Einschätzungen bietet: Das Königreich Spanien ist an manchen Orten ziemlich öd / und schlecht bevölckeret / dessen hauptsächliche folgende Ursachen: Erstens / der Abgang des Wassers.

120

Berta Raposo Fernández Andertens / die Unfruchtbarkeit der Weiberen / worzu glaublich die ungemeingrosse Hitz sehr vieles beytraget. Drittens / weil ein grosse Menge Volcks nacher America in die Spanische Indien sich begiebet / wo die gold-Schätz reichlicher / folgsam Gewinn und Profit weit grösser. [...] Der Wein und die Wollen ist daselbst sehr gute; ob zwar die veritahle Spanier den Wein sehr wenig schätzen / und mehreren Lust zu dem mit Eyß gekühlten Wasser zeigen. (59) Auch hier wiederholen sich manchmal die alten Bilder: Was von Frauen-Bilderen etwas Vornehmes seyn will / tragen lange Schweif an Kleideren / die sie auf der Gassen im Staub daher schleppen / doch seynd die Reiff-Röck / oder Gardenfant hier zu Land nit üblich. Auch die schlechtiste Dienst-Magd tragt ihre Ohr-Gehäng / so schmutzig und garstig sie immer seyn mag. Man siehet die Weiber zu Hauß fast nur allein auf dem Boden sitzen / und also beym Heerd sitzender kochen / oder sonst was arbeiten / oder wohl auch ihr Mittag-Mahl einbringen: nit unglaublich ist es / daß sie dise Mode erlernet von denen Africanischen Mohren / welche Spanien lang in Besitz gehabt. (61)

Da Emmerich Fischers Reisechronik erst 1753 publiziert wurde, hätte er diese Bemerkungen aus dem Spanienartikel in Zedlers Universallexikon von 1740 nachträglich einbauen können. Da sie aber bereits bei Zetzner vorkommen, dessen Bericht von 1718 unveröffentlicht blieb, kann man davon ausgehen, dass es sich um seit alters her überlieferte Gemeinplätze handelt.

N E U A N F A N G IM Z E I C H E N DER AUFKLÄRUNG: GELEHRTE U N D KAUFLEUTE

In der Jahrhundertmitte, wie oben angemerkt, schweigen die deutschen Reisenden13, und diese Lücke wird gefüllt von Ubersetzungen englischer, französischer und italienischer Reiseberichte. Erst nach Jahrzehnten der Stagnation erscheinen im Magazin für die neue Historie und Geographie zwischen 1769 und 1771 13 Davon ausgenommen sind die diplomatischen Vertreter des Wiener und anderer deutscher Höfe, deren hinteriassene Aufzeichnungen (meistens diplomatisch-militärischer Natur) aber kaum als Reiseberichte zu betrachten sind. Vgl. Zimmermann 1997: 58. Folgende Editionen liegen vor: Berichte der diplomatischen Vertreter des Wiener Hofes aus Spanien in der Regierungszeit Karls III. (1759-1788). Hg. Hans Juretschke. Bearbeitet und erläutert von Hans-Otto Kleinmann, 14 Bde. Madrid, Deutsch-Spanisches Forschungsinstitut der Goerres-Gesellschaft, 1970-1987. Berichte der diplomatischen Vertreter des Wiener Hofes aus Spanien in der Regierungszeit Karls IV. (17891808). Hg. Hans Juretschke. Bearbeitet und erläutert von Hans-Otto Kleinmann, 5 Bde. Madrid, Deutsch-Spanisches Forschungsinstitut der Goerres-Gesellschaft, 1990-1999.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

121

vier Aufsätze des aus Hannover gebürtigen Carl Christoph Plüer (1725-1772) 14 über verschiedene Reiserouten, die er während seines siebenjährigen Aufenthalts in Spanien (1758-1765) als Prediger der dänischen Gesandtschaft unternommen hatte. Vorher hatte er einige Jahre an der Universität Kopenhagen Vorlesungen gehalten. Plüer war ein aufgeklärter, vielseitig interessierter Theologe, der mit namhaften deutschen und spanischen Gelehrten schriftlich und persönlich verkehrte. Viele seiner kodikologischen Recherchen in den Bibliotheken von El Escorial und Toledo hat er im Auftrag des Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis durchgeführt. Nach seinem Tod hat der Hamburger Publizist Christoph Daniel Ebeling seine hinterlassenen handschriftlichen Reisenotizen redigiert und, zusammen mit zwei der erwähnten Aufsätze, 1777 als Plüers Reisen nach Spanien veröffentlicht. Dieses Werk kann als deutliches Zeichen einer neuen Sicht- und Betrachtungsweise Spaniens durch die Deutschen gelten. In seinen Vorbemerkungen beschäftigt er sich mit der Frage, warum man sich ausgerechnet in ein damals so wenig einladendes Land wagte. Wer in Spanien reisen will, muß keine Beschwerlichkeiten scheuen, weder zärtlich noch ekelhaft oder lecker seyn, vornehmlich aber viel kaltes Blut und Gedult mit auf den Weg nehmen: oder wünschet jemand sich zu allen auszuhärten, und einen Vorschmack von Soldatenleben zu haben, so kann er nirgends bessere Gelegenheit dazu haben, als auf einer Reise durch Spanien. Wem beydes nicht ansteht, der nehme den Rath an, sich nicht über die Pyrenäen zu wagen. (Plüer/Ebeling 1777: 28)

Die ungewöhnlichen Widrigkeiten, mit denen der Spanienreisende konfrontiert wird, werden von Plüer nun näher ausgeführt: Konfessionsunterschiede, sprachliche Schwierigkeiten, schlechte Wirtshäuser, „Mangel fahrender Posten" (32), „Mangel guter Wege und Heerstraßen" (34). Aber das Fazit, das er zieht, ist uneingeschränkt ermunternd. Spanien sei sehenswert und lohne die Reisemühen: Indessen sind wir vollkommen der Meynung, daß wohl kein Land in Europa mehr verdienet, von einem aufmerksamen und wißbegierigen fremden Reisenden besuchet zu werden, als eben diese Halbinsel. Wenige hat die Neugierde so weit getrieben, daß sie sich denen damit verbundenen großen Beschwerlichkeiten unterziehen wollen, und daher hat man so wenig zuverlässiges und wahres von Spanien, oder man kennet es vielmehr gar nicht. Man sieht, höret und lernet hier, was man in an14

Lebensdaten nach Zimmermann 1997: 95.

122

Berta R a p o s o F e r n á n d e z dern Ländern vergeblich suchet, und wozu man sonst nirgends in der Welt Gelegenheit hat. Die Bewohner dieses südlichen Europa unterscheiden sich in ihren Sitten, Gewohnheiten und in ihrer Lebensart; in ihrer Religion, ihrem Aberglauben, ihren Vorurtheilen merklich. Ihre Regierungsform, ihre Geseze haben nicht minder viel besonders. In diesem weitläufigen Reiche, wo man alle verschiedene Witterungen von Europa beysammen antrifft, wo die Natur eine unendliche Abwechselung von Gegenständen darstellet, hat der Naturkündiger eine unerschöpfliche Materie, seine Kenntniß zu bereichern und zu erweitern. Einem Liebhaber der Alterthümer m u ß ein Land werth seyn, welches ihn in die Zeiten der Römer, der Gothen, der Araber und so gar der Griechen und Phönizier versezen kann. (36f.) P l ü e r d e n k t also v o r allem a n F a c h g e l e h r t e u n d zählt sich selbst d a z u . Als

solcher begegnet er uns, als er die B i b l i o t h e k e n in El Escorial u n d in T o l e d o besichtigt u n d a u s f ü h r l i c h e H a n d s c h r i f t e n k a t a l o g e a n f e r t i g t , d i e in die Reisebes c h r e i b u n g i n t e g r i e r t w o r d e n s i n d . In El Escorial b e r i c h t e t er u. a. F o l g e n d e s ü b e r seinen Bibliotheksbesuch, ü b e r seine K o n t a k t e m i t d o r t i g e n G e l e h r t e n k o l legen u n d d e r e n Streitigkeiten: Der große prächtige Saal, worinn die gedruckten Bücher aufgestellt sind, ist so beschaffen, wie ihn Clarke 15 beschreibt. Die Bücher stehen in Schränken längs an den Wänden herunter. In andern Bibliotheken pflegen die Bücher ihren Rücken zu zeigen, hier aber sollen sie die Augen der Zuschauer mit ihrem vergoldeten Schnitt blenden. M a n möchte sagen, diese Stellung sey ihnen deswegen gegeben worden, weil sie mehr zur Pracht, als zum Nuzen dienen sollten. Der nächste Erfolg dieser eigenen Stellung ist, daß, weil die Bücher ihren Namen insgemein auf dem Rücken tragen, man jezt nicht errathen kann, was man sieht. (113) [...] Der Canonicus Bayer war so höflich gewesen, mir die Zeit meines Aufenthalts seine Bewirthung anzubieten. Ich hatte sie auf den Mittag angenommen, da ich die Bibliothek besah. Und es ist Zeit, daß ich mich zu Tische seze. Für den Vormittag habe ich schon genug gesagt. Der Bruder Isidor und die beyden Schreiber speiseten mit uns. Der eine Schreiber war vormals mein getreuer Führer in Toledo gewesen, und hatte mir, da er sich auf die Malerey gelegt gehabt, von den alten Gemälden der dortigen Kirchen gute Anleitung gegeben. Der Tisch war mäßig, doch nach der spanischen Küche recht gut. (114)

15

Edward Clarke, erster englischer Spanienreisender, dessen Bericht (1763) ins Deutsche übersetzt wurde (1765).

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

123

Als ich nach Tische allein bey Bayer war, konnte er nicht unterlassen, sich gegen mich als ein Gegner der Jesuiten, insonderheit des P. Burriel und des ersten Bibliothekars des Königs, Santander zu äussern: der P. Burriel hätte sich mit fremden Federn geschmückt; den Catalogum der Handschriften der toledischen Bibliothek hätte er, Bayer, verfertiget, und an seinen andern durch Beyhülfe der toledischen Bibliothek ausgearbeiteten Werken habe er gleichfalls wichtigen Antheil. Der Jesuit schreibe sich aber selbst alles zu. Damals hatte der Staatssecretär Wall dem Jesuiten Burriel seine auf Befehl des Königes vollendete gelehrte Arbeit abnehmen lassen. Ihre erste Bestimmung, durch den Druck gemeinnüzig zu werden, war dadurch aufgehoben. 16 (114f.) Plüers Berichte sind akribisch, verzeichnen alle Besonderheiten und Details über Land- und Wirtschaft, Bevölkerung, Handel und Handwerk, Klima und Witterung, geben konkrete Zahlen und Daten an. Diese Trockenheit wird aber oft von persönlichen Beobachtungen gelockert, die von einer großen geistigen Neugier zeugen. Der Aufenthalt im valencianischen O r t Oliva gibt ihm Anlass zu Beobachtungen über Flora und Landwirtschaft und zu persönlichen Begegnungen: Wir langten den 25ten May um 9 Uhr zu Oliva an. Unterwegs sahen wir viel Pitera. So heißt hier die der Aloe gleichende Amerikanische Pflanze, welche in den Provinzen Murcia und Valencia häufig an den Heerstraßen und zum Schuze der Felder und Gärten gepflanzet ist. [... ] Zu Oliva ist noch im Ganzen die vollständige Zuckerfabrik und Rafinaderie zu sehen, welche der Herzog von Gandia, als Graf von Oliva und Benevenel, seit 12 Jahren aufgegeben hat.[...] Der Reis wird im März gesäet in das unter Wasser gesetzte Land. Um Johannis wird er umgepflanzet, und im September und October eingeerndtet. Der Seidenbau ist die Hauptbeschäftigung der Stadt Oliva. [...] Aljarova17 ist ein Baum von der Fruchtbarkeit, daß er 100 Aroben Frucht liefert. Es wächst in dem Königreiche Valencia, und bey Oliva, eine Arte Klee, welcher alle Monate geschnitten werden kann, und 4 Jahre dauret, und wenn man ihn aufs neue säet, 6 Monate nachher genuzet werden kann. Oliva, 10 Meilen von Valencia, hat 2 Kirchspiele, 2 Klöster, etwa 1000 Familien, und ein zerstörtes Kastel, auf dem nahen Berge, an dessen Fuße es lieget, Vi Meile von dem Meere. Die Mauern der Stadt sind auch niedergerissen, eine Folge des Successionskrieges, worinn das Königreich Valencia es mit Oesterreich hielt.

16

Hier rückt der Herausgeber Ebeling eine lange Fußnote über Burriels Lebenslauf ein.

17

Gemeint ist „algarroba".

124

Berta R a p o s o F e r n á n d e z W i r stiegen bey dem Herrn Gregorio Mayans ab, welcher uns nebst seinem Bruder Don Antonio auf die gefalligste und freundschaftlichste Weise empfieng, und gleich in seine Bibliothek führte. Er besitzt an die 6 0 0 0 Bände, und unter selbigen 6 0 0 Manuscripte. Seine eigenen Manuscripte machen 300 Bände aus. Don Antonio ist in der Spanischen Geschichte und Alterthümern sehr stark, und unpartheyisch in seinen Urtheilen. (546ff.) N e b e n d i e s e n e h e r l a n d e s k u n d l i c h e n B e r i c h t e n f i n d e t m a n a u c h viele m i t

a n t h r o p o l o g i s c h - v o l k s k u n d l i c h e n B e o b a c h t u n g e n . So liest m a n a m E n d e d e r A b t e i l u n g „Reisen in d e m K ö n i g r e i c h e Sevilla": Das männliche Geschlecht ist scharfsinnig, hurtig und stark, dabey aber jachzornig, verwegen, rachgierig und wollüstig, und überhaupt der schlechten Erziehung wegen zu allen Lastern geneigt. Von Gestalt sind sie wohl gewachsen, und schwärzlich von Angesicht. M a n hält sie in ganz Spanien auch für plauderhaft und unverschwiegen. Das weibliche Geschlecht, deren einige ihre Blumen schon im 1 l t e n Jahre kriegen, ist häßlich, schmerzhaft, wizig und faul; es hat daher gerne müssige Leute bey sich. Die Männer rauchen viel Tabak, trinken viel Wein und Branntewein, essen viel gesalzenes Schweinefleisch, und brauchen viel innländische und ostindische Gewürze. Die Weiber brauchen viel Chocolade und Süssigkeiten, rauchen auch Tabak, und trinken hizige Getränke. Sie waschen ihr Gesicht mit Wasser, worinn Solimán*, Campher, und andere Dinge gemischt sind. Fast bey allen Mahlzeiten brauchen sie viel Weinessig. Der Essig der südlichen Provinzen ist der beste. Sie essen häufig ein recht gutes Gericht, G a s p a c h o genannt. Es besteht aus einem Theil Essig, vier oder fünfTheilen Wasser, und ein wenig Oel. Hierein thut man gebrocktes Brod, einige Oliven und etwas Zwiebeln. Die besten Oliven sind in Sevilla und Cordova. (513f.) O d e r in „Reise n a c h Valencia", in der G e g e n d u m A l m a n s a : W i r trafen 2 0 Karren mit Ochsen bespannt an, welche mit Bley von Lynares, aus dem Königreiche Jaén, kamen, und nach Valencia oder Alicante fuhren. Sie hatten die Ochsen ausgespannt, und auf der Haide weiden lassen. Die Führer aber lagen unter freyem Himmel, und bereiteten sich ihr Essen zu. Dies ist die Weise dieser Leute, welche Winter und Sommer, Tag und Nacht unter freyem Himmel zubringen, und sich bey schlechter Witterung unter ihren Karren in Schuz begeben. M a n

* Solimán ist versüßter Sublimat, Mercurius dulcís. Ob dies der Verfasser auch hier verstehe, weiß ich nicht.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

125

nimmt sie nicht in die Herberge auf, und sie sind auch so arm, daß sie diese Bequemlichkeit nicht haben können. Vorher sahen wir auch einen Haufen Esel und ihre Treiber gelagert, welche Feuer angemacht hatten, und ihr Abendessen zubereiteten. (559) Die persönlichen Begegnungen, mit kleinen Anekdoten angereichert, streifen oft eine Anzahl T h e m e n auf kleinem R a u m (schlechte Wirtshäuser, Familienleben, Sprachenkenntnisse, Klima). Im Abschnitt „Reise durch das Königreich J a é n " liest man: Wir fuhren durch den kleinen fast ausgetrockneten Bach, Rio Salado genannt, einen Hügel hinauf, hinter welchem wir dicht vor uns den großen Flecken M a r tos am Fuße eines steilen hohen Felsen erblickten. Weil die beste Herberge überaus schlecht war, bot der Gouverneur uns sein Haus an; wir besuchten ihn, und trafen seine Frau an, welche uns wohl empfieng, aber ohne sich stören zu lassen, ihr Kind säugte. Die Spanierinnen sind hierinn sinnreich: im Schnürleibe ist eine viereckichte Klappe angebracht, durch welche sie dem Kinde die Brust reichen. Der Gouverneur war Oberster eines Cavallerieregiments zu Barcelona gewesen, aus Navarra bürtig, und erst zwey Monate in diesem neuen Posten; er konnte sich etwas im Französischen ausdrücken, die Frau aber, eine Catalonerinn, redete nichts, wie Spanisch. Hier erhielten wir zu unsrer Erquickung Eiswasser, dessen wir auf der ganzen Reise bey der Hitze entbehren müssen. (280f.) Kritische Beobachtungen über Landwirtschaft und Flora sind nicht selten, z. B. beim kurzen Aufenthalt in Tovarra bei Albacete. D u r c h eine Fußnote des Herausgebers erfährt man hier wieder Näheres über Plüers' Verbindungen zu der spanischen Gelehrtenwelt und deren europäischen Kontakten: Wir übernachteten, weil die Herberge schlecht war, bey dem Arzte dieses Fleckens Don Ant. de Capdevila, einem berühmten spanischen Gehlehrten*. Die Berge sind völlig unbebauet und mit sehr wenigen Bäumen, nämlich niedrigen Fichten, spanischen Eichen und Gesträuche bewachsen. Die Steinschichten bestehen, wie alle, welche wir seit Aranjuez bemerkten, aus Kalksteinen. Es ist traurig diese schönen und großen Thäler fast ganz unangebauet zu sehen. Man läßt sie fünf Jahre lang ohne Anbau liegen, weil man bloß für den nöthigen Ver* Der seel. Plüer stund nachmals in einem lehrreichen Briefwechsel mit diesem gefalligen Gelehrten, der für ihn auch eine umständliche Beschreibung von den Königreichen Jaén, Cordova und Murcia aufsezte. Er ist Professor zu Valencia und Mitglied der Göctingischen Societät der Wissenschaften. Seit einigen Jahren hat er zu Bonillo in la Mancha öffendiche Vorlesungen über den Ackerbau und die Botanik, leztere nach dem Linnäus gehalten. S. Gotting. Anz. 1771, S. 657. (E)

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Berta R a p o s o Fernández brauch der Provinz arbeitet, die nach Verhältniß ihrer Größe und der Fruchtbarkeit des Bodens viel zu wenig bevölkert ist. (523) Er bietet weitere K o m m e n t a r e über wirtschaftliche Unterentwicklung: E s t e p o n a ist ein elender Flecken, und der erste Ort des Königreichs Granada, welches durch seine hohen Gebirge sich von dem übrigen Spanien unterscheidet; denn wenn gleich alle Provinzen Spaniens bergicht sind, so ist es doch diese vorzüglich. Er liegt dicht am Meere in einer kleinen Ebene, und hat gleich hinter sich unersteigliche Gebirge. [...] Von der Fischerey und vom Kohlenbrennen nähren sich die Einwohner fast ganz allein, da sie nur wenig Viehzucht und Ackerbau haben. Ihr Vieh sind Ziegen und Schaafe. Bey der herrschenden Armuth sind die Leute als Räuber und Betrüger unter den Spaniern beschryen. Die einzige Kirche des Fleckens war ohne Zierrathen, und gab die Armuth desselben genugsam zu erkennen. [...] Das Wirthshaus, wo wir einkehrten und übernachteten, war so schlecht, als man es irgend finden konnte. Der Wirth ließ sich indessen das Nachtlager vollkommen bezahlen. Der die Besazung commandirende Officier unterließ nicht, uns seine Dienstanerbietungen höflich bekannt zu machen, und uns eine Wache zu geben, welche wir bezahlen mußten. (4l6ff.) Plüers kritischer Blick, sein Befremden über eine zu rigide Gesellschaft zeigt

sich a m ehesten bei den Beschreibungen der Sitten und Bräuche in den Städten. In G r a n a d a schreibt er: Jezt will ich die Sitten dieser Stadt und die Religion in den Farben schildern, worinn sie sich meiner Erfahrung dargestellet haben, und sie nach der Wahrheit beurtheilen. Ich habe hier eine seltsame Mischung erfahren von Höflichkeit, Schwazhaftigkeit, Neugierde, betrügerischen Ränken, Etiquetten, Stolz, Unwissenheit und Aberglauben. [...] Die Etiquetten sind höchst übertrieben, und wer in selbigen es versiehet, hat keine Vergebung zu hoffen. Ein vernachläßigter und ausgesetzter Besuch, Compliment und Nachfragung wäre eine Beleidigung der Ehre der Dame. Man muß, wenn man ein Compliment machen läßt, einen Bedienten in Livrey von dem Bedienten ausser Livrey wohl unterscheiden. Für die Damen gehören Pagen. Die Leute scheinen keine andre Beschäftigung zu haben, als daß sie Besuche und Complimente ablegen, und sich einer nach dem andern erkundiget. Die Damen leben in großer Freiheit, und man bemerket weder Zwang noch Eifersucht der Männer: jene wollen beständig Besuche haben, und diese verstatten es. Von allen Besuchen sind die Mönche und die Geistlichen die fleißigsten. Man muß es für ein Glück halten, des Nachmittages einen Mönch im Kloster zu finden. (331)

N e u g i e r i g e Gelehrte u n d gebildete Kaufleute

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Das gemeine Volk ist sehr betrügerisch und diebisch: Man sagt im Sprichwort von

Granada: Eideloy el Suelo bueno, el Entresuelo malo, das ist, der Himmel und der Boden ist gut, was sich darzwischen befindet, ist böse. [...] Ein Fremder muß sich daher wohl vorsehen, mit den Leuten vorher bedingen, und sich nicht durch den Schein der Höflichkeit und die Schwazhaftigkeit verleiten lassen. Er muß hier einen ehrlichen Mann an der Hand haben, welcher ihn führet, und ihm mit Rath beysteht. Ein Hauptbetrüger, welcher in dem Stadtgefängniß sizet, sagt: ich habe viel Leute betrogen, das ist wahr, aber warum sind sie so einfältig, und lassen sich betriegen. (332) Granada wird wenig von Fremden besuchet. Ein Fremder wird daher mit grosser Neugierde betrachtet. Die Granader gleichen den Parisern darinn, daß sie sich einbilden, niemand sey artiger, und wisse, besser zu leben, wie sie, und ihre Stadt über alles in der Welt sezen. In der That, ein Fremder, welcher im Frühjahr nach Granada konmt, und sich nur einige Tage daselbst aufhält, damit er nicht Gelegenheit hat, die Einwohner genauer kennen zu lernen, wird durch den Reiz und die Schönheiten der Natur, welche diese Stadt und ihre Gegend in der größten Mannigfaltigkeit zeigen, eingenommen werden, und sich vergnügen. (334) Als Gegensatz dazu kann Cádiz gelten: Die Leute zu Cadiz sind von einem freyen Umgange, gesellig und gesittet. Die Fremden von allen Nationen sollen, wie man dafür hält, ein Drittel der Stadteinwohner ausmachen. Die zahlreichen Nationen daselbst sind die Franzosen und Italiäner: nach ihnen kommen die Irrländer, die Niederländer, die Hamburger, und andre mehr. Protestantische Häuser sind hier viele, welche hier in größerer Freiheit leben, als an irgend einem andern Orte Spaniens. Die Vorrechte der hier sich aufhaltenden Fremden sind nicht gering. Sie sind der gemeinen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen, und können nur allein bey dem Gouverneur belanget werden. Der Kriegsrath in Madrid entscheidet bey der letzten Instanz. Sie können zu ihrem öconomischen Verbrauch Waaren kommen lasen, ohne Zoll davon entrichten zu lassen. (462f.) In Málaga zeigt sich für ihn die Wichtigkeit einer guten Beziehung zwischen Ausländern und Einheimischen: Die Fremden leben hier stiller und eingezogener als zu Cadiz, und meist unter sich. Indessen bringt ihr Aufenthalt und die Ankunft der fremden Schiffe die gute Wirkung bey den Spaniern zuwege, daß sie die Fremden und auch die Protestanten mit einem bessern Auge und wenigem Abscheu ansehen, als zu Granada. (405) Schließlich findet Plüer manchmal sogar die Gelegenheit, die Unwissenheit und den Volksaberglauben persönlich zu demontieren:

Berta Raposo Fernández

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Die Cueva de Savinar in dem Gador-Gebirge ist ein altes verlassenes Bergwerk. Als wir uns in der Alpujarra in Portugos aufhielten, hörten wir von den Bauern viele Wundergeschichte von den Schäzen, welche in diesem Bergwerke verborgen lägen. Eben waren zwey Banden armer Bauern, jede für sich, nach der Cueva de Savinar neun Meilen weit von Portugos hin gewesen. Die eine hatte sich mit ein Paar Italiänern, welche als Soldaten gedienet, und von Madrid herunter gekommen waren, um hier Schäze zu holen, vereiniget. Sie waren mit dem Lichte einer Laterne fünf Schacht hinunter gestiegen, und leer wieder heraufgekommen. Die andre Bande, wobey wieder einer der ersten war, hatte noch einen tiefern Schacht erreicht, welchen sie für den lezten hielten. [...] Die Hirten auf dem Gadorgebirge hätten ihnen zum voraus gesagt, sie sollten sich keine vergebliche Mühe machen, denn kein Spanier würde die verborgenen Schäze finden, nur Fremde wüßten und verstünden diese Kunst. Sie argwohnten daher, die beyden obigen Italiäner würden hernach noch wohl allein etwas gefischt haben. Die armen Leute standen in dem Wahne, die Magie sey dazu nothwendig, und weil sie glaubten, daß wir sie aus dem Grunde verstünden, so wünschten sie unsre Anführung und Belehrung. Wir mochten ihnen sagen, es sey Thorheit mit der Magie, so war es schwer, sie von ihrer vorgefaßten Meynung abzubringen. Weil die Leute auch nicht einmal eine Probe eines Steines aus der Grube mitgebracht hatten, so sind wir nicht im Stande gewesen, zu beurtheilen, was es für ein Bergwerk gewesen sey. Die Fabel des Volks ist, daß man in der größten Tiefe an einen rauschenden Bach crystallklares Wasser käme. Mittelst eines über selbigen liegenden Baums gelange man auf die andre Seite, und in eine von Diamanten und Edelgesteinen erleuchtete Gegend, wo man nur nehmen könnte, um reich zu werden. Ein nahmhafter Einwohner eines andern Dorfes, welchen sie kannten, hätte hieraus sein großes Vermögen geholet. Wie wir nachfragten, so war es ein wohlhabender Bauer. (409f.) So zeigt sich Plüer als der erste Reisende im Geiste der Aufklärung. Abgesehen von einem anonymen Reisenden, der 1 7 8 0 in Leipzig in der Weygandschen Buchhandlung eine Beschreibung einer Reise, welche im Jahr 1769 der Sierra Morena vom Elsaß aus unternommen

nach

wurde veröffentlichte, 18 hat sich erst

zweiundzwanzig Jahre nach Plüer ein weitbereister Wiener Kaufmann namens Franz Jenne zwischen November 1 7 8 7 und August 1788 in Spanien aufgehalten. Sein spanischer Reisebericht ist eingebettet in ein 1 7 9 0 erschienenes dreibändiges Werk über weit ausgedehnte Reisen durch Süddeutschland und verschiedene Länder Ost- und Südeuropas, sowie Vorderasiens. Außer seinem Namen und Beruf

'* Diese Beschreibung steht wohl in Zusammenhang mit der Gründung deutscher Kolonien in Sierra Morena unter der Regierung Karls III, die sowieso einen Sonderbereich der deutsch-spanischen Beziehungsgeschichte darstellt.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

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weiß man von ihm nur, dass er ursprünglich aus Frankfurt am Main stammte. Diese knappen Angaben kann man zwei zeitgenössischen Rezensionen19 entnehmen, die beide seltsam übereinstimmend nur Negatives über den Auskunftswert dieses Werkes zu berichten wissen. Nach den Worten des Rezensenten der Allgemeinen Literatur-Zeitung handelt es sich um eine „blosse Compilation, voll geographischer, topographischer, historischer und statistischer Fehler" (297). Der Rezensent der Allgemeinen deutschen Bibliothek kritisiert vor allem, dass Jennes Bemerkungen, obwohl er sich als „Negoziant" ausgibt, nichts enthalten, das einem tüchtigen Kaufmann nützlich sein könnte. Stattdessen biete er nur geschmacklose „dürre(n) Reise-Routen, Nachrichten von Wirthstischen, Mönchshistorien, Zollprellereien, Postillons-Anekdoten, mitunter auch Handwerksspäße(n), Zoten, tausenderley Allotrien und Ausbrüche(n) eines wenig gebildeten Witzes" (219). Was den Lesern des 18. Jahrhunderts aber uninteressant und langweilig scheint, kann sich als eine Quelle wichtiger landeskundlicher Informationen erweisen, die man trotzdem immer mit der nötigen Vorsicht behandeln sollte. Tatsächlich scheint Jenne eine besondere Vorliebe für die Darstellung von Zollvisitationen, frommen Wundererzählungen und sagenhaft-geschichtlichen Passagen zu haben, worin er allerdings nicht allein ist, bieten doch die meisten der anderen Reisenden auch derartiges, nur nicht so gehäuft und nicht so krass. So nimmt die romanhaft angereicherte Geschichte des Untergangs des maurischen Königreichs Granada fast neun Seiten in Anspruch. Was Jennes Bericht aber von anderen unterscheidet, sind vor allem die etwas einfältige Haltung und die nicht seltenen Emotionsausbrüche: Montags früh nahm ich meinen Koffer v o m Schiff. Gleich a m Ufer fand sich ein Mauthinsekt, welches sich jedoch mit zwei Realen abfertigen ließ, und ich hatte nur die Mühe, ihn auf und zuzusperren. Fünfzig Schritt weiter, an dem Thor, fielen aber vier solche Bestien neuerdings über ihn her und meine G e d u l d wurde diesmal auf Schrauben gesezt; denn diese Kanaillen warfen alles durcheinander. So gar zusammen gelegte H e m d e r machten sie auf, und legten sie neben hin auf die Erde, u m desto mehr wühlen zu können. Welche Seuche und Pestilenz! A m Ende hatten sie nichts gefunden, jedoch ihre Neugierde gestillet und einen Fremden mehr das Reisen in ihrem f r o m m e n L a n d e verwünschen gemacht, u n d d e n n o c h m u ß diesen Schurken der Tribut gegeben werden. Das ist das Verfluchteste. (Jenne 1790: 217f.)

" Allgemeine deutsche Bibliothek 102/1 (1791), 218-226 und Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 296, Bd. 4, Montag den 12. November 1792, 297-298. Im Unterschied zu der von uns benutzten Ausgabe (vermutlich einem Raubdruck) erscheinen in den Rezensionen Erfurt und Leipzig als Druckorte, und in Klammern „Wien bei Kurzbeck".

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Berta Raposo Fernández Manchmal ist es schwer auszumachen, ob die durchschimmernde Ironie be-

absichtigt ist oder nicht; sehr deutlich ist sie in folgender Passage über den Aufenthalt in Cádiz: D e r P l a t z S t . A n t o n macht ein schönes und grosses Viereck. In der Früh ist er durch die Wachtparade, und Abends wegen des Nimphenstrichs sehr belebt. An einer Seite ist die Kirche gleiches Namens, welche ein grosses Wunderbild von dem heiligen Antonius hat. Sie soll ehedessen nur eine kleine Kapelle gewesen seyn, allein im Jahr 1648, da die Pest sehr stark hier wütete, hatte dieser Heilige die Höflichkeit, seinen Platz zu verlassen, in der Stadt herumzugehen, den Kranken sorgfaltig Visite zu machen, und sie durch seine Gegenwart zu heilen; da ihm denn, aus Erkenntlichkeit und zur ewigen Erinnerung, diese grosse Kirche erbauet wurde, welches auch ganz billig war. Sie ist dermalen zugleich eine Pfarre geworden. Mehrere andere Plätze verdienen nicht minder gesehen zu werden. (149) Noch eine Besonderheit von Jennes Bericht sind die häufigen Vergleiche, vor allem mit W i e n und mit der Türkei, die am Ende in einem eigenen Abschnitt mit dem Titel „Vergleichung der Türken und Spanier" gipfeln. Er wird wie folgt eingeleitet: Bevor ich die Spanier verlasse, will ich versuchen zwischen dieser frommen Nazion und den ungläubigen Mahomedanern eine Vergleichung in Ansehung der Nationalgebräuche und Sitten zu machen, in so weit ich beyde Völker während meines Aufenthalts unter ihnen, theils selbst habe kennen gelernet, theils mich habe versichern laßen. (306) Im Allgemeinen fallt der Vergleich zu Lasten Spaniens und der Spanier aus, z. B.: Wenn derTürck einen erschießt, so flüchtet er sich in eine andere Provinz und ist sicher. Wenn der Spanier einen mit dem Messer mordet, so läuft er in eine Kirche, öfters auf eben demselben Platze und ist daselbst nicht allein sicher, sondern erhält auch noch zur Belohnung Essen, Trinken und Quartier, ohne Arbeit und Sorgen, so lang er da bleiben will. Die Wirths- oder vielmehr Einkehrhäuser in der Türkey nennet man Hanne und sie bestehen in einem leeren, doch reinlichen Zimmer. In Spanien führen solche die Namen La Messon und Wenta, und haben schmutzige und stinkende Löcher statt der Zimmer. (307)

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Aber es begegnen auch für Spanien günstige Vergleiche an Stellen, wo man sie a m wenigsten erwartet hätte. Bei der Beschreibung der Feierlichkeiten zum Tag von Mariä E m p f ä n g n i s in Cartagena berichtet er von einer „guten Veranstaltung": Ungeachtet, daß heute der grosse Feiertag ist, und das Volk mehr, als in andern Ländern durch die unzähligen Mönche zur Frömmigkeit angewöhnet wird, so sind doch alle Gewölber offen, alles ist zu kaufen und zu verkaufen. Welche heilsame Sache für Arme! auf welche Menschenklasse dieses sonstige Verboth den stärkesten Bezug hat. (46) Anschließend fugt er eine übermäßig lange Fußnote ein, in der er sich über die Ladenöffnungszeiten in Wien genüsslich ausbreitet und ausschweift. D i e Anfagszeilen lauten: Es wäre zu wünschen, daß in Wien diese löbliche Freiheit nachgeahmet würde; denn bis heute noch ist an Sonn- und Feiertagen mit dem Schlag neun Uhr aller Verkauf und öffentliches Tragen eingestellt und aufs schärffste verbothen. Wie mancher Dürftige erhält erst nach dieser Zeit einige Kreuzer um ein Pfund Fleisch zu kaufen. Ich weiß einen Zufall, daß ein dasiger Hauseigenthümer, welcher im Bauen begriffen war, seinen sämmtlichen Arbeitern und Tagwerkern, nur erst um eilf Uhr an einem Sonntage den Wochenlohn auszahlen konnte. Wie viel derlei und andere Ereignisse benehmen durch diese besondere Verordnung dem Armen das Glück, seinen ohnehin stets fastenden Magen mit einem Stück Rindfleisch ein Fest zu halten. [...] (46, Fußnote) Bei anderen T h e m e n des alltäglichen Lebens stößt man wiederum auf Unerwartetes. So wie den meisten Reisenden die Vorliebe der Spanier für ölhaltiges Essen besonders auffällt, wundert sich Jenne über den starken Butterkonsum der Andalusier in folgender Passage a m Ufer des Guadalquivir zwischen Sanlücar de Barrameda und Sevilla: (Kühe und wenig Nutzen) 20 Von diesen hier weidenden unzähligen Kühen ziehen die Eigenthümer eben so wenig Nutzen, wie die Slavonier und Türken. Das einzige Kalb saugt die Milch nachdem verliert sie sich wieder und das arme Volk, welches Butter zu essen mehr gewohnt ist als keine andere Nazion muß sie den Holländern und Irrländern, welche ganze Schiffsladungen hierher überbringen, sehr theuer, für ohnehin hier zu Lande rares Geld, abkaufen.

20

Die Überschriften der Abschnitte stehen bei Jenne immer in Klammern.

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Berta Raposo Fernández W i e stark die Gewohnheit des Butteressens hier zu Lande den Engländern nachgeahmet oder vielmehr vorgethan worden ist, kann man daraus abnehmen, daß wenn in einem Kaffeehause in dießfalls schon von dem Bäcker nicht ausgebacken, in der Mitte entzwei geschnitten, auf Kohlen gelegt, die Butter auf dieses warme Brod gestrichen, und so mit dem Schokolade gegessen oder auch eingetunkt. (210f.) I m m e r w i e d e r überraschen seine G e d a n k e n s p r ü n g e u n d seine dezidierten

M e i n u n g s ä u ß e r u n g e n , w i e z. B. bei der Abreise von Granada: Mittwoch den löten Jänner gieng ich von hier mit dem Korsario21 nach Malaga ab. Der Weg führt, wenn man den Genil auf einer Steinbrücke, wo sich dieser Fluß mit dem Daro vereiniget, passiret hat, über die schon gedachte schöne Ebene. Derselben Breite hatten wir in anderthalb Stunden im Schritt überritten, ihre Länge wird etwas mehr ausmachen. Diese grosse Ebene kann man mit wahrem Grund ein Martisfeld nennen, indem Jahrhunderte durch auf selber, zwischen den Spaniern und Mauritaniern, Schlachten vorgefallen sind, wo endlich auch die letzte Bataille, welche die Entscheidung bewirkte, daß die Mauritanier nach Afrika hinüber gejagt wurden, vorgefallen ist. In dem Augenblicke meiner Betrachtungen auf der Mitte dieses schönen Feldes, wünschte ich mich baldigst in Bulgarien oder Romanien auf dem Schlachtfelde zu finden, auf welchem die Türken ein gleiches Geschick hätten, und sämtlich nach Asien überzuziehen genöthiget würden. (108) O b w o h Jennes W e r k im A l l g e m e i n e n i m Vergleich zu den anderen von eher m i n d e r e r Qualität ist, findet m a n gelegentlich gelungenere Stellen: (Palmbaumwald) An den Seiten des Wegs sieht man sehr viele Aloe, welche wild, wie bei uns die Dornhecken wächset, auch gleichen Dienst den Feldern leistet. Nähert man sich aber dem Städtchen Elche, so biethet sich ein Gegenstand dar, welcher dem europäischen Auge sehr angenehm ist, nämlich ein Wald von Palmbäumen. Da ich unter ihrem Schatten fuhr, glaubte ich in das glückselige Arabien versetzet zu seyn. Der herrliche Anblick zeigt sich schon von ferne. [...] Ausser der Schönheit hat dieser Baum auch noch den Vorzug vor allen andern, daß er nicht allein zur Nahrung des Körpers, sondern auch, gleichsam geistlicher Weise, der Seele dienet. Von seinen majestätischen Kronen, nachdem solche den ganzen Sommer einen kühlenden Schatten gegeben, werden, wenn seine Frucht zum angenehmen Genuß bereits abgenommen ist, alle Aeste abgeschnitten, und in mehreren Schiffladungen nach Genua und Rom überführet. Vom ersten Hafen werden sie dann zu Lande nach Deutschland verschickt, wo sie den Juden zu ihrem Lauberfest dienen [...] Die nach

21

Gemeint ist „corsario", d. h. „Kurier".

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Rom bestimmten Palmzweige aber sind für unsere katholische Geistliche, in Italien eben so, wie hier in Spanien. Denn in Deutschland begnügen wir uns mit Weidensprossen, welche den nämlichen Dienst leisten müssen, um den Palmsonntag zu verherrlichen. (20ff.)

Jenne ist ein offenherziger, aber nicht immer exakt beobachtender Reisender, für uns bemerkenswert, weil er der einzige ist, über dessen Werk negative Rezensionen überliefert sind. Für die zeitgenössischen Leser muss sein Reisebericht aber attraktiv gewesen sein, sonst hätte man davon keine Raubdrucke veröffentlicht, wie es tatsächlich geschehen ist. Im Jahr 1792 erscheint die Reise von Wien nach Madrit im Jahre 1790 von Joseph Hager. Es handelt sich um ein vergleichsweise schmales Buch, von dessen 26 Kapiteln nur die letzten 11 Spanien gewidmet sind; die vorhergehenden beschreiben die Anreise über Tirol, Italien und Frankreich. Der polyglotte Hager (1757-1819) war kein so angesehener Gelehrter wie Plüer. 22 Seine Studien über die chinesische Sprache haben ihm wegen angeblicher Nachlässigkeit viel Kritik eingebracht, was ihn nicht daran gehindert hat, später an den Universitäten Oxford und Pavia Anstellungen zu bekommen. Außer der Reise nach Spanien hat er weitere Reisen nach Polen und Italien beschrieben. Obwohl, wie schon angemerkt, ein großer Teil dieses Werks sich mit der Beschreibung anderer Länder beschäftigt, finden sich von Anfang an zahlreiche Hinweise auf Spanien und die Spanier, die den Leser auf das Bevorstehende vorbereiten. In Genua nimmt Hager einen spanischen Kurier für die weitere Reise, der ihm zunächst eine Seefahrt bis Antibes arrangiert, die aber wegen des schlechten Wetters unterbrochen und auf dem Landweg fortgesetzt wird. Das tollkühne temperamentvolle Wesen des Kuriers gibt Hager Anlass zur Einstimmung in die späteren Beschreibungen des spanischen Nationalcharakters. Noch bevor er Spanien betritt, erläutert er in St. Jean de Luz seinen von den Franzosen gefärbten Erwartungshorizont, dem er aber gleich eine Infragestellung folgen lässt: Da ich mich an den Gränzen Spaniens befand, so war ich begierig, aus dem Munde der benachbarten Franzosen die Meinung, welche sie von den Spaniern hegen, zu erfahren; allein hier sowohl als anderswo, ward ich nicht sehr vortheilhaft von ihnen präveniert. Man tadelte allenthalben den Müssiggang, die Unsauberkeit, den Aberglauben, und die Bigotterie dieses Landes. Die Eifersucht der Männer, die Geilheit des Frauenzimmers, die Theuerung der Lebensmittel, die Unbequemlichkeit der Wirthshäuser, und die 22

Z i m m e r m a n n 1997: 103f.

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Berta Raposo Fernández Bosheit des Volkes: dieses war der allgemeine Ausspruch der angränzenden Franzosen über das benachbarte Spanien. Allein ich fand nachmals, dass die Französische Medisance den guten Spaniern, besonders was den letzten Artikel betrifft, wirklich Unrecht that; und wenn es die Wahrheit erfordert, alles Mangelhafte getreu zu erzählen, so verlangt es die Gerechtigkeit, auch die guten Eigenschaften ihres vortrefflichen Charakters nicht zu verschweigen. (Hager/Zimmermann [1792] 1997: 56)

Die Einstimmung auf Spanien wird konterkariert durch die häufigen frankreichkritischen, genauer gesagt revolutionskritischen Beobachtungen (Hager schreibt im Jahr 1792 über seinen Aufenthalt von 1790). M a n vergleiche zum Beispiel die ersten Bemerkungen beim Eintritt in jedes der beiden Länder. In Frankreich: Hier ist nun das unruhige Land, einst die Lust der Freuden, nun ein Land, das man nicht ohne Widerwillen betritt, und froh ist, so bald man nur kann, wieder zu verlassen. Hier hört man von nichts, als von Massakern und Revolten, von Aristokraten und Laternen, von Maire und Munizipalität sprechen. Von dem ersten Eintritte bei Antibes an den Gränzen Italiens, bis St. Jean de Luz, an der Gränze von Biscaja, herrscht die nehmliche Melodie, so dass dem Vorbeireisenden die Ohren klingen möchten. Eine traurige Epoche! (39) In Spanien wird der Eindruck des Eintritts in eine andere Welt durch einen mythologischen Vergleich verstärkt. Außerdem stellen wir fest, dass Hagers Erwartungshorizont von Phantasiegestalten und historischen Figuren bevölkert ist, dabei aber wenig mit dem realen Spanien zu tun hat: Endlich erreicht man die Spanischen Gränzen. Ein kleines Flüsschen scheidet das galante Frankreich von dem devoten Spanien. Beiderseits stehn Wachen: mit der Nazional-Kokarde auf dieser Seite und mit ponceaufarbner Schleife aur der andern. Hier ist die Scheidewand zwischen Freiheit zu denken und zwischen Inquisitionszwang, zwischen munterer Laune und zwischen Ernsthaftigkeit, zwischen Orthodoxie und Religionsspötterey. Noch einen Schritt, und man findet andere Gebräuche, andere Begriffe, andere Menschen und eine andere Welt. Votre passeport, Monsieur! Fragte mich der letzte Franzose, in der Hoffnung, etwa einen der Laterne entflohenen Aristokraten, oder einen leze-nation schuldigen Revolutionsfeind zu erhaschen.Le voici Monsieur - und indem er seine Erwartung getäuscht sieht, höre ich das letzte französische Wort: passez. Ein kleiner Nachen gleich jenem, worin der alte Charon die abgeschiedenen Seelen über den Styx fahrt, bringt mich hinüber in das Land, wo die Rolands und die Cids, und die Carpios und so viele andere Hidalgos und Caballeros sich durch Heldentha-

N e u g i e r i g e Gelehrte und gebildete Kaufleute

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ten und Ritterstreiche ausgezeichnet haben: wo Pizzaro und Cortez, und Calderon und Cervantes geboren sind: dieses Land durch Hannibal und Numantia und Sagunt, durch Wisigothen und Saracenen berühmt. (57) H a g e r s erste S c h i l d e r u n g von M a d r i d zeigt einen interessanten Perspektivenwechsel: Auf einem erhabenen Hügel, in einer steinigen unebenen Landschaft, zeigt sich das Königliche Madrid, diese Residenz des Katholischen Monarchen, dem Ankommenden theatralisch dar. Die nördliche Seite des neuen königlichen Pallastes zwischen den Thoren von Segovia und San Vincente fällt zuerst in die Augen. Reizende Alleen zieren die dahin führenden Strassen. Die Casa del Campo zur rechten Seite, der Manzanaresfluss zur linken, und die schöne Segovia-Brücke, die darüber führt, erfüllen die ganze Dekorazion. Diese feyerliche Szene dauert bis zur Einfahrt in die Stadt*; allein da hört sie auf, und es folgt eine völlig verschiedene. Ganz einfache, gemeine Häuser, ohne alle Verzierung, oft elend und niedrig; grosse eiserne, ungeschickte Balkons, wie zu Burgos und Valladolid, an allen Fenstern, keines ausgenommen; in braune Mäntel gehüllte Mannspersonen, mit der schwarzen Retesilla über das ungepuderte Haar, und dem grossen dreispitzigen Sturmhute auf dem Kopfe; das Frauenzimmer durchgängig in schwarzen Röcken und weissen Schleyern, einförmig, wie Klosterfrauen gekleidet; jede zehnte Person ein Mönch, oder ein Presbytero** in langer düsterer Kleidung und pechschwarzem Haare; oder ein blaugekleideter Garde du Corps von der Spanischen, Flamändischen, oder Italiänischen Kompanie. Dieses ist das getreue Bild der Einfahrt zu Madrid. (63) Trotz vieler negativer Aspekte schreibt er a m Ende seiner Reise in Anspiel u n g a u f den spanischkritischen Artikel von Masson de Morvilliers: Jenem Franzosen, der da unlängst fragte: was man Spanien schuldig sei, und was es für Europa seit zwei und mehr Jahrhunderten gethan habe? Haben Cavanilles, Denina, Masdeu, Lampillas, und andere so tüchtig geantwortet, dass ich nicht glaube, dass er ein zweites mal fragen werde. Selbst das mangelhafte Theater wird durch neu verfasste vortreffliche Stücke zusehends verbessert; und selbst die Unreinigkeit der Strassen, wird durch die von Carlos quarto beibehaltenen Verordnungen seines hochseligen Vaters, und durch die Wachsamkeit des Corregidor, Don Josef Armona, nach und nach vermindert. Sogar die Bauart wird durch Einführung regelmässigerer Gebäude, steinerner Treppen, und kleiner Balkone vervollkommnet: und wenn es hie und da noch Mangelhaftig* Eigentlich nur eine Villa. " Weltgeistlicher.

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keiten giebt, und Dinge die dem Fremden auffallend, oder lächerlich scheinen, so erlaube man mir zu fragen: welche Nazion ist vollkommen, und welche Landschaft ohne Mängel? (91)

Hagers Ansichten und Eindrücke müssen wegen der Kürze seines Buchs summarisch ausfallen. Trotzdem zeichnen sich seine Ausführungen im Allgemeinen durch die Besonnenheit des Urteils und die aufgeklärte Haltung aus. Friedrich Gotthelf Baumgärtner bereiste Spanien zwischen 1788 und 1789, aber erst 1793 erscheint seine Reise durch einen Theil Spaniens nebst der Geschichte des Grafen von S. Wie der Titel ankündigt, liegt hier eine Mischung von Reisebericht und fiktiver romanhafter Erzählung vor. Die Geschichte des Grafen von S. bildet keine geschlossene Episode oder novellenhafte Einlage, sondern schiebt sich zunächst unmerklich in den Reisebericht ein, der immer öfter dadurch unterbrochen und schließlich davon überlagert wird.23 Von Baumgärtner weiß man nicht viel mehr, als dass er Advokat und Kaufmann war und eine Buchhandlung in Leipzig hatte, bei welcher sein Reisebericht im Eigenverlag erschienen ist.24 Er ist in 27 Briefe eingeteilt, die an einen (wohl fiktiven) Freund gerichtet sind, ein beliebtes Mittel zur Vortäuschung von Authentizität. Baumgärtner hat außerdem eine ausgeprägte Neigung zu anekdotenhaften Schilderungen, deren Wahrheitsgehalt nicht immer leicht einzuschätzen ist. Die Ausführungen über das Reizthema Inquisition werden dadurch entschärft, dass er fremde Meinungen darin einfließen lässt und es mit anderen belanglosen Themen (Lärmbelästigung im Madrider Nachtleben) kombiniert: Der Sitz der Inquisition ist jetzt in einem großem Gebäude: so oft ich daselbst vorübergehe, überfällt mich ein Schauder; wiewohl durchgängig behauptet wird, daß dieses Gericht gar nicht mehr so fürchterlich sei, als er vor diesem gewesen; man müsse es vielmehr nur als ein notwendiges Uebel von Spanien betrachten. Die Nation habe einen ausserordendichen Hang zu den abscheulichsten Ausschweifungen; dieses Gericht sei gleichsam der Zaum, das Volk in Schranken zu halten. Daher ist auch die Inquisition in Spanien nicht blos als ein Religions-, sondern vielmehr als ein nötiges Polizeigericht anzusehen. (103f.) [...] Ohnlängst kamen Kupferstiche aus Frankreich hier an; die Inquisitoren untersuchten sie, und da man darauf freche, wollüstige, anstößige Figuren fand, so wurden sie sogleich konfiszirt. [...]

23 24

Raposo 2008: 427 Zimmermann 1997: 124.

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Bei der Gräfin Bonaventa hing in einem Zimmer über der Thüre eine schlafende Venus. Die Inquisition ließ ihr andeuten, sie möchte dieses Gemälde wegnehmen, widrigenfalls würde es konfiszirt werden. Im Vorbeigehen muß ich Dir sagen, daß diese Gräfin Bonaventa eine sechzigjährige Dame ist, aber dennoch ein großes Haus macht. Sie hat immer viele Schulden, und ihre Tochter, die an einen der reichsten Spanier verheirathet ist, muß von einer Zeit zur andern für sie bezahlen. Diese Matrone hat für sich allein acht Kammerjungfern, von denen immer eine schöner und jünger ist, als die andere. Von sechs Uhr Abends bis Nachts zwei Uhr findet man Gesellschaft in ihrem Hause: die Vergnügungen daselbst sind hohes Spiel, und gesellschaftliche Unterhaltung. Ihr Haus stößt an das Gasthaus des Malteserkreuzes, ich verwünschte daher öfters die alte Matrone; denn das Gerassel der Wagen hört die ganze Nacht nicht auf, und stöhrt mich sehr im Schlafe. (104ff.) Plötzlich rückt der Bericht in die N ä h e einer r o m a n h a f t e n Erzählung u n d w i r k t dadurch w e n i g g l a u b w ü r d i g : Um wieder auf die Inquisition zu kommen, muß ich Dir sagen, daß ich mit einem Rath dieses Gerichts Bekanntschaft gemacht habe: er ist zugleich Prediger an einer der hiesigen Kirchen [...] Ich gieng gestern mit diesem Geistlichen spaziren; er erzählte mir unter andern, er habe den letzten Inquisitionsproceß, der einen Mann betroffen, welcher Medizin ad abortum cooperandum verkauft habe, formirt. Wahrend dieser Erzählung waren wir auf einen öffentlichen Spaziergang gekommen, und ohngeachtet eben nicht viel Personen da auf und niedergingen; so sah er sich doch bei jedem Worte ganz schüchtern um, ob wohl jemand hören könnte, daß er mit mir von der Inquisition spreche. Hieraus schließe ich, es müsse doch immer noch ein sehr fürchterliches Gericht sein, da sogar die Mitglieder desselben mit Aengstlichkeit davon sprechen. (106ff.) Trotzdem liefert er im alltäglichen Bereich oft Berichte, die authentisch klingen: Noch hab' ich Dir nichts vom spanischen Brodte, als dem ersten Bedürfnisse des menschlichens Lebens, gesagt. In Toi osa hat es ganz die Form eines altmodischen französischen Chapeaubas-Huthes; an Weisse übertrifft es noch das französische. Es ist von Waizenmehl, ohne alle Säure; daher ist es sehr trocken, derb und süße. Man bedient sich hier blos der Wassermühlen. Vom Winde getriebene Mühlen hab' ich noch nicht angetroffen; vielleicht hat sie Don Quixot alle zerstöhrt. Ich gieng in eine dieser Wassermühlen, um den Mechanismus derselben zu besehen; aber Gott! W i e herzlich schlecht war er, wie viel Mehl wurde verstaubt! - Eine Beckerzunft giebt es in Tolosa nicht. Es handelt mit Brodt wer nur will. (22)

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Berta Raposo Fernández Die alte Klage über m a n g e l h a f t e H e i z u n g s m e t h o d e n u n d schlechte Betten

n i m m t einen breiten R a u m ein: Eine Kohlpfanne aus Thon, die sie Brassero nennen, und das Kochfeuer in der Küche auf der Erde, sind die einzigen Mittel, sich vor der Kälte zu schützen. Was mich besonders wundert, ist, daß man die Schafe in solcher Kälte und bei diesem Schnee, womit der Edboden fast ganz bedeckt ist, doch täglich in aller Frühe heraustreibt. Um Dir einen Begrif von der hiesigen Kälte zu geben, muß ich Dir sagen, daß ich des Nachts mit zwei Kleidern und meinem Mantel mich bedecke, und demohngeachtet nicht hinlänglich wider die Kälte geschützt bin, denn ihre Betten sind herzlich schlecht. Federbetten hat man gar nicht, sondern nur eine Matratze mit türkischen Kornblättern oder Schafwolle angefüllt, zwei schmale Kopfküßen, ebenfalls mit Schafwolle ausgestopft, und einen Teppich, der in ein noch halb feuchtes Tuch eingeschlagen ist. Dieses zusammen auf ein viereckichtes bretternes Gestelle, welches öfters zusammen zu fallen droht, weil es nicht verzapft und umschränkt ist, hingeworfen, macht unser Nachtlager aus. Diese Betten sind gewiß seit dem pyrenäischen Frieden25 nicht wieder aufgestopft noch aufgelockert worden; die Wolle hat sich ganz auf Knollen zusammen geschoben, und es ist nicht viel anders, als wenn ich auf dem Rücken einer Reihe von Bergen läge. Will man sich des Nachts etwan in eine andere Lage bringen, so läuft man Gefahr, von diesem zerbrechlichen Lager auf die Erde zu fallen. (37ff.) Eigenartigen alltäglichen Bräuchen begegnet B a u m g ä r t n e r aber m i t großer Aufgeschlossenheit: Von Trinkgläsern weiß man auf dem Lande auch nichts, der Landmann bedient sich blos töpferner Gefäße, die Reisenden aber gewöhnlich eines ledernen Sackes, den sie Botta nennen. Dieser Sack, der wie ein Schrotbeutel aussieht, nur daß er größer ist, hat einen hölzernen Hahn, den man, wenn man trinkt, nicht in den Mund nimmt, sondern eine Hand breit vom Munde weg hält, und auf diese Art den Wein aus demselben in den geöffneten Mund laufen läßt. Um aber den Wein auch mit einiger Gewalt auf die Zunge fallen zu lassen, und dieser Art von Trinken ein künstliches Ansehen zu geben, so hebt man das Hintertheil des Sackes sehr in die Höhe. Warhaftig, Freund! Man muß in der Welt viel lächerliche Gebräuche mitmachen lernen, und um auch diesen zu lernen, hab' ich mich schon mehr als einmal begossen. Du lachst, daß ich auch diese gerinfgügige Sache lernen will? Das will ich Dir nicht wehren. Nur mußt Du wissen, daß es bei meiner Abreise ganz mein Vorsatz war, immer noch zu lernen, was sich lernen läßt, und mich an die Sitten der Nation zu gewöhnen, so weit es möglich ist: denn dadurch macht man sich bei einer Nation sehr beliebt. (60f.)

25

Geschlossen im Jahr 1659.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

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Das beliebte T h e m a des Nationalcharakters wird von ihm ausgiebig behandelt, und zwar in zweifacher Form: zum einen als Vergleich zwischen verschiedenen spanischen Nationalitäten: Faulheit kann man nicht geradezu allen Spaniern vorwerfen. Der Fleiß in Biskaya ist eben so sehr zu bewundern als der Stolz, die Trägheit und Unreinlichkeit der alten und neuen Kastilianer. Das Hauptgeschäfte des Kastilianers ist das Kirchengehen. Er steht spät auf, geht in die Messe und alsdann spazieren. Die öffentlichen Spaziergänge sind gewöhnlich nahe bei der Kirche. Das Regenwetter kann sie hiervon nicht abhalten, weil sie an den Kirchen einen bedeckten Gang haben. Im Winter findet man alle Einwohner der Dörfer an der Kirchmauer versammelt, um sich in den wohlthätigen Strahlen der Sonne zu wärmen; und in den Städten außen an der Stadtmauer. (36) Z u m anderen kommentiert er gerne den Franzosenhass der Spanier. In einer längeren Anekdote k o m m t er auf sein eigenes Nationalverständnis zu sprechen: Daß die Franzosen ausserordentlich von der spanischen Nation gehaßt werden, davon hab ich schon mehr, als einen Beweis. [...] Ich ging auf die D u a n a , und ließ unsere Koffres hinbringen. Unterwegs schrien mir einige Buben, die mich für einen Franzosen hielten, Daemonio francese, f r a n z ö s i s c h e r T e u f e l ! Und verfolgten mich bis an das Zollhaus. Ich sagte nichts; ging ruhig fort. Als ich von da wieder zurück kam, hatte sich die Anzahl dieser Buben sehr vermehrt, die aus vollem Halse mir nachschrien: Daemonio francese\ Hierbei war mir eben nicht wohl zu Muthe, denn wie leicht konnte es ihnen einfallen, mich mit Steinen zu verfolgen. Um es also nicht so weit kommen zu lassen, grif ich in die Tasche, gab dem, der mir zunächst lief, zwei Reales, und sagte ihm, ich sei kein F r a n z o s e , sondern ein D e u t s c h e r ; ihre verstorbene Königin 26 sei meine Landsmännin gewesen. Kaum hatte ich ihm diese wenigen Worte gesagt, als er sich geschwinde umdrehte, und den Andern zurief, ich sei ein g u t e r D e u t s c h e r , u n d kein F r a n z o s . [...] So gewann dieses Abenteuer, das für mich sehr leicht mislich enden konnte, durch den bloßen Namen meines Vaterlandes eine Wendung, die mich desto mehr freute, je mehr ich stolz daraufhin, ein D e u t s c h e r , ein S a c h s e zu sein. (45 ff.) Ab dem 17. Brief wird der Reisebericht von der Geschichte des fiktiven Grafen von S. immer öfter unterbrochen. Sie beschließt auch das Buch, während der Reisebericht bereits im vorletzten Brief endet.

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Maria Amalia von Sachsen (1724-1760), Gemahlin Karl III. von Spanien.

Berta Raposo Fernández

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Der Erfurter Kaufmann Anton Friedrich Kaufhold, von dem man übrigens nicht viel mehr als über Baumgärtner weiß,27 veröffentlichte 1797 anonym seinen zweibändigen voluminösen Reisebericht Spanien wie es gegenwärtig ist: [...] aus den Bemerkungen eines Deutschen während seines Aufenthaltes in Madrid in den Jahren 1790, 1791 und 1792. Der größte Teil des Werks ist Madrid gewidmet, er hat einen ganz anderen Charakter als die ersten und letzten Kapitel, in denen die Anund Abreise geschildert werden. Bei einem so umfangreichen Werk nehmen die eigentlichen Reisebeschreibungen einen verhältnismäßig kleinen Raum ein, während die enzyklopädisch gestalteten landeskundlichen Abschnitte den größten Teil des ersten und des zweiten Bands ausmachen. Die Anreise (betiltelt „Einige Bemerkungen über die Niederlande und Frankreich, nebst der Reise von Bayonne nach Madrid im November 1790") nimmt nur 35 Seiten in Anspruch, die Abreise („Reiße von Madrid nach Bilbao und Santander", „Reiße nach Santander" und „Reiß von Santander nach Hamburg") 108 Seiten. In gut aufgeklärter Manier meldet Kaufhold am Anfang seine Absicht, sich von vorgefassten Meinungen distanzieren und mit Vorurteilen aufräumen zu wollen, seien sie Jahrhunderte alt oder neu. So heißt es im Vorwort: Um nicht weitläufig zu werden, hab ich es unterlassen, die abentheuerlichen und fabelhaften Schilderungen zu berühren, die uns in verschiedenen Schriftstellern allerhand Nationen von der Lebensart, Sitten und Gebräuchen und dem Charakter des Spaniers geliefert werden; hätte ich mich auf die specielle Widerlegung der Irrthümer eines jeden insbesondere einlassen wollen: so würde ich Folianten haben schreiben müssen; aus dieser Ursache habe ich hier und da nur einzelne Irrthümer gerügt, vieles aber ganz mit Stillschweigen übergangen, weil ich glaubte, daß eine treue Darstellung als eine hinreichende Widerlegung der Irrthümer gelten würde. (Kaufhold 1797,1: IV-V)

Bei seiner Ankunft in Madrid im Dezember 1790 hat er Gelegenheit zu einer solchen Widerlegung: [...] man schildert die Spanier als ein langsames, träges, unthätiges Volk, und ich sehe hier alles in Bewegung und Geschäftigkeit [...] Die Stadt selbst erscheint unter einem ganz anderem Bilde, als man sie im Auslande vorzustellen pflegt; selbst neuere Schriftsteller, die keine anschauende Kenntnis hatten, endehnten das Gemähide davon aus alten Nachrichten, und schilderten die schöne Königsstadt als ein elendes Nest voller

27

Vgl. Hönsch 2 0 0 0 : 137. Da werden auch die Vornamen berichtigt (Anton Friedrich, nicht

Leopold Anton oder Ludwig Anton, wie es bei Zimmermann heißt).

N e u g i e r i g e Gelehrte u n d gebildete Kaufleute

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Dreck und Unrath, voller Koth und Gestank; und statt dessen finde ich eine sehr saubere Stadt, wo an gar keinen Straßenkoth zu denken ist, und wo weit mehr Reinlichkeit herrscht, als in großen französischen oder deutschen Städten. (35) Das traditionelle Bild des finsteren Spanien lässt er nur mit großem Vorbehalt gelten, trotz aller Kritik an der bigotten Religion und am Mönchswesen: Bei so groben Vorurtheilen, woran der Geist des Spaniers krank liegt, muß ich aber doch zum Ruhme der Nation sagen, daß ich nie etwas von Besessenen, Teufelsaustreibungen, von Geisterverbannungen gesehen oder gehört habe; eben so wenig erfuhr ich etwas von Hexengeschichten; Geistersehereien und Gespenster-Mährchen hab ich auch nicht bemerkt; auch der Glaube ans Wahrsagen und Weissagen, der Glaube an sogenannte weise Leute, die noch an vielen Orten in Deutschland, selbst in dem aufgeklärten Sachsen, noch in großem Ansehen stehen, ist auch hier nicht Volksglaube; woher diese negative Vollkommenheit herstamme, ob sie das Werk des Zufalls, der Gewohnheit, oder aber der Inquisition sey, das will ich nicht entscheiden. (274f.) Die Beobachtungen über die Frauen lassen ihn ein weiteres Vorurteil widerlegen, obwohl er einige Seiten später in diesem Zusammenhang ein bekanntes Stereotyp (das hitzige Temperament) wieder auffrischt: In Deutschland glaubt man durchgängig, daß die Weiber in Spanien wegen der Eifersucht der Männer nur Sclavinnen wären; seitdem ich hier bin, sehe ich täglich neue Beweise von dem Gegentheile: nirgendswo sah ich dem Frauenzimmer mehr Achtung und Schonung erweisen, als eben hier; man schmeichelt ihrer Eitelkeit, ihrem Hange zum Vergnügen und zur Zerstreuung, ohne eben in die französische eckelhafte Tändelei zu verfallen; die spanische Galanterie behält immer einen Anstrich von Ernst und Anstand, der gleich weit von Steifheit, läppischem Wesen und kindischer Kriecherei entfernt ist. (335) Wenn der Satz wahr ist: daß man von dem Grade der Achtung der Männer gegen das sanfte Geschlecht, auf den Grad der Cultur des Verstandes und des Herzens eines Volkes schließen könne: so wäre vielleicht kein Volk in Europa, wo mehr Aufklärung, und feinere gebildetere Sitten anzutreffen wären als eben hier, und doch ist das der Fall nicht; dieß beweisen ihre in manchem Betracht noch rohe Sitten, ihr leidenschaftlicher Gefallen an den barbarischen Ochsenhetzen, die große Vernachlässigung der Wissenschaften, die vielfaltigen Vorurtheile, ihr Aber- und Wunderglaube [...] Die große Achtung, mit der man hier das schöne Geschlecht verehrt, scheint mir daher mehr physische als moralische Gründe zu haben, und mehr Bedürfnis des Körpers zu seyn, als aus einem gebildeten Geiste zu fließen; das hitzige Tempera-

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Berta Raposo Fernández ment macht dem Spanier die Neigung zum andern Geschlecht zu einem weit dringenderen Bedürfnisse, als in einem andern Lande, und eben daher mag wohl seine Ergebenheit geflossen seyn. (338f.) Vieles aber lässt er noch bestehen, zum Beispiel die sprichwörtliche Arbeits-

scheu: [...] denn man hat sich hier noch nicht von dem Vorurtheile lossagen können, daß Arbeiten eine Herabwürdigung des Standes ist, ein Vorurtheil, daß Spanien jährlich viele Millionen Schaden thut, und all dem rühmlichen Bemühen der Regierung, die Industrie in Flor zu bringen, die größte Schwierigkeit entgegen setzt. (348) Das gilt seiner Ansicht nach auch, womöglich noch mehr für Frauen, aber da sieht er in seinem aufklärerischen Optimismus einen Hoffnungsschimmer, den er übrigens mit einem Seitenblick auf seine Heimat verbindet: Die würdige Gemahlin Karls III., deren Name noch mit Ehrfurcht von den Spaniern genennet wird, hatte die lobenswerthe Absicht, die stolzen Spanierinnen mit dem wohlthätigen Geiste der Industrie vertraut zu machen; gebürtig aus Sachsen, einem Lande, wo deutsche Industrie im größten Flore steht, kannte sie selbst von früher Jugend an den vielfachen Nutzen weiblicher Beschäftigung; sie empfahl diese so herrlichen Verwahrungsmittel gegen die Verirrungen des Müssiggangs, und die eckelhafte Langeweile auf alle mögliche Art, und damit nicht zufrieden, dachte sie edel und groß genug, um selbst durch eignes Beispiel ihrer Empfehlung desto mehr Nachdruck zu geben; mit sehr vieler Klugheit hatte sie berechnet, daß nach dem Beispiele des Hofs bald die ganze Nation sich bilden würde; sie arbeitete nicht nur zu Hause, und hielt ihre Töchter dazu an, sondern erschien stets öffentlich, da wo es sich thun ließ, mit dem Strickstrumpfe in der Hand. [...] inzwischen ist doch hie und da in der bürgerlichen Classe ein Körnchen guten Samens hervorgekeimt; manche Spanierin ist von dem Vorurtheile, daß Arbeit schände, geheilet worden, und man hat seit der Zeit auch verschiedene Industrieschulen errichtet, wo Mädchen in allen Arten von weiblicher Arbeit unterrichtet werden, und Spanien sieht einer hofnungsvollen Zukunft entgegen. (348ff.) Aufgrund des großen Umfangs dieses Werks fallen die Beschreibungen und Darstellungen der meisten, selbst nebensächlicher Themen breit und umständlich aus. So lautet z. B. der Anfang des fast vierseitigen Kapitels „Sonderbare Art der Spanier, den Taback zu rauchen":

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Der spanische Rauchtaback ist alle in kleine Stängelchen gesponnen, die der Spanier Cigarro nennt; sie sind etwa einen guten Finger lang, aber bei weitem nicht so dicke; die beiden äußersten Ende laufen spitzig zu, und sind umgedreht; diese Spitzen werden abgekneipt, das eine Ende angebrannt und das andere in den Mund genommen, und so wird geraucht; der Spanier thut gewöhnlich ein paar Züge, und dann nimmt er die Cigarro wieder aus dem Munde, pausirt ein wenig, und raucht alsdann wieder; unter guten Freunden macht oft ein und die nämliche Cigarro die ganze Runde von einem Munde zum andern, und kein Spanier ist in dem Stücke auf den andern eckel. Der spanische Taback ist sehr stark, deswegen raucht man ihn in so kleinen Cigarros; würde man ihn nach deutscher Sitte in Pfeifen schneiden: so würde er viel zu stark werden; zwar giebt es hier Deutsche, die ihn in Pfeifen schneiden und so nach deutscher Art schmauchen; ich versuchte es ebenfalls zu wiederholtenmalen, aber nie mit glücklichem Erfolge; der Taback griff meine Nerven zu sehr an, und verursachte mir fast Schwindel im Kopfe, und ich habe also den weissen spanischen Taback nie in der Pfeife vertragen lernen; höchstens einen Cigarro nach spanischer Sitte geraucht. Die Spanier verstehn den Cigarro mit sehr viel Ceremoniel und zugleich mit sehr vieler Oekonomie zu rauchen; sie rauchen bis sie sich beinah den Mund verbrennen, erst dann legen sie die Cigarro weg, und manche nutzen den Rest noch in Cigarros, die von Papier gemacht werden. (525f.) Die Beschreibung der weiblichen Kleidung nimmt sieben Seiten in A n spruch, an deren Ende Kaufholds kaufmännischer Geist sich zu Wort meldet: Was mir noch am meisten aufgefallen ist, und was unter allen noch das Kostspieligste ist, ist der Aufwand in weissem Zeuge; die feinste Leinwand wird hier getragen, und alles ist so blendend weiß, daß man glauben muß, daß jedes Stückchen nur einmal getragen, und dann der Wäsche wieder übergeben wird; diese eben so rühmliche als kostspielige Reinlichkeit ist hier wahre Verschwendung; eines Bürgers Frau verthut hierin mehr als eine vornehme Dame in andern Ländern. In einem warmen Lande, glaub ich, hat das Frauenzimmer vorzüglich Ursache, auf Sauberkeit zu halten, aber so empfehlend dieser Gegenstand auch immer seyn mag, so scheint er mir hier doch übertrieben; inzwischen stehen sich die ausländischen Fabriken sehr gut dabei; denn die feine Leinwand, die hier getragen wird, wächst nicht auf spanischem Boden, und das Consumo hierin ist sehr beträchtlich. Es herrscht hier durchgängig viel Aufwand in Kleidung, Vornehme und Reiche kleiden sich prächtig, der Bürgerstand thut es jenem nach, und die Weiber der Handwerker wetteifern wieder mit diesen. Dieser Luxus in Kleidung verzehrt hier ungeheure Summen; manches Frauenzimmer überspannt ihre Kräfte, um nur in den Augen der Welt zu glänzen, und manche geräth auf schändliche Nebenwege, um ihrer Eitelkeit stets neue Opfer zu bringen. (328f.)

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Berta R a p o s o F e r n á n d e z E r bietet auch Stellen mit literarischen Reminiszenzen, im folgenden Fall die

S c h i l d e r u n g eines „locus a m o e n u s " mit e m p f i n d s a m e n U n t e r t ö n e n : Der Prado ist demnach die Lieblingspromenade der Madrider, keine andre wird so regelmäßig und so häufig besucht, als eben diese; aber auch keine ist sowohl in physischer als moralischer Hinsicht gleich interessant; die Menge von Alleen, die täglich gewässert werden, gewähren einen so dichten und erquickenden Schatten, und die Menge der plätschernden Fontänen erhalten eine so angenehme Kühlung, daß man mitten im Sommer gegen die lästige Sonnenhitze geschützt, im Genüsse einer wohlbehaglichen Temperatur, gefächelt von den sanftesten Zephiren, voll des innigsten Vergnügens hier lustwandelt. Aber so angenehm auch immer der Spaziergang bei Tage ist: so ist er doch nichts in Vergleich mit der unaussprechlichen Wonne, die das nächtliche Lustwandeln auf dem entzückenden Prado gewährt: der Traurige vergißt hier seine Traurigkeit, der Elende sein Elend, und selbst der finstere Trübsinn des gehässigen Misantropen muß sich erheitern, wenn er den göttlich schönen Himmel im anmuthigsten Blau gefärbt über sich erblickt, wo das zahllose Sternen Heer mit majestätischem Lichte funkelt. Das sanfte Plätschern der Fontänen, der stille Schatten der Alleen, das Feierliche der Nacht erhöhen noch die unaussprechliche Anmuth dieser nächdichen Scene, verscheuchen allen Gram aus der Brust des Elenden, und versöhnen den Unglücklichen mit den Leiden, unter denen er seufzet, besonders wenn noch der schöne Silbermond Freude und Heiterkeit in seine düstere Seele herablächelt. (165f.) W i e o b e n vermerkt, haben die Abschnitte, die sich mit der A n - u n d Abreise beschäftigen, einen ganz anderen Charakter als die umständliche Schilderung der Stadt Madrid. I m Unterschied zu der Aufgeschlossenheit, mit der er dort die gängigen Vorurteile widerlegt, liest m a n a m Anfang der Reise folgende Stelle: Ich befand mich nun ganz auf spanischem Grund und Boden, und sah lauter spanische Gesichter um und neben mir. Ich weiß nicht, wie mir die spanischen Gesichter so besonders vorkamen; ich fühlte gleich anfangs etwas widriges und zurückstoßendes dabei; und dieser erste Eindruck hat sich auch durch mehrere Bekanntschaft mit ihnen nicht verlohren. Sie haben schwarzes oder schwarzbraunes Haar, von der Sonne verbrannte Gesichter, schwarze, oder vielmehr schwarzbraune, kleine, finstere, wild umherblickende Augen, und verwirrte Blicke; und dann einen langen schwarzen Bart, der oft Vi Monate alt ist. Heitere, offene, beim Anblick einnehmende Gesichter bemerkte ich nicht. Ihre Kleidung ist ganz Kapuziner-Farbe. Sie besteht in einer Jacke, Latz und Hosen von einerlei Tuche. Eine Filzmütze bedeckt den Schädel, und statt der Schuhe tragen sie ein Stück Leder, das mit Bindfaden zusammen gebunden ist; das alles zusammen genommen gibt dem Spanier ein wildes

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abschreckendes Ansehn, und man glaubt in der That unter eine Nation von lauter Räubern gekommen zu seyn. (16f.) A m E n d e des Aufenthalts in M a d r i d stellt er Betrachtungen an, die bald in die alten Topoi der Stadtschelte u n d des Landlobs m ü n d e n : Ich wandte meine Augen noch einmal hinter mich auf das stolze üppige Madrid, wo geistlicher und weltlicher Despotism die Menschheit in eiserne Fesseln geschlagen hat, die nun ihre Niederträchtigkeit u. ihre Schande in schwelgerischen Vergnügen zu vergessen sucht; wie abstechend ists nicht der Anblick der reichen Königsstadt gegen die elenden Wohnungen des armen Landmanns, dessen Fleiß die ganze umliegende Gegend so schön angebauet hat! Und doch fühlte ich weit mehr Vergnügen bei diesem so einfachen Schauspiele, als bei dem Anblicke der schwelgerischen Residenz; die Felder rings herum waren mit schönen Früchten bedeckt, und zeigten eine angenehme Abwechselung in sanften Anhöhen, Thälern und Hügeln, die vor und neben mir lagen; links erblickte ich das prächtige Eskorial zu den Füßen eines kahlen Gebirges, das sich wie in einem Halbzirkel über S. Ildephonso hinzieht, und dann an die Castillischen Gebirge anschließt; wenn sich mein Auge an der langen Bergkette satt gesehen hatte: so wandte ich mich wieder zu der sanften wellenförmigen Ebene, die hier eben so wie nah um Madrid herum herrscht; die Abenddämmerung brach nun allmählich ein, und der Wind bließ von den Gebirgen ziemlich kalt, demohngeachtet stöhrte das nicht den Genuß eines so unterhaltenden Schauspiels der Natur [...] (II: 384f.) Ähnliche und viel ausfuhrlichere Naturbeschreibungen k o m m e n in diesem letzten Teil von Kaufholds Bericht häufig vor. Die Landschaftsbilder werden bei den nächsten Reisenden immer beliebter, und sie widmen ihnen immer mehr Raum.

D I E V O R B O T E N DER ROMANTIK: FISCHER, H U M B O L D T U N D JARIGES

Zwischen 1 7 9 9 u n d 1 8 0 3 erscheinen die Bücher u n d Aufsätze Christian August Fischers ( 1 7 7 1 - 1 8 2 9 ) über Spanien. Sieht m a n von Wilhelm von H u m b o l d t ab, dessen Reisebericht einen Sonderfall darstellt, ist Fischer mit weitem A b s t a n d der bekannteste deutsche Spanienreisende dieser Zeit 2 8 . O b w o h l er ursprüng28

Über Fischers Leben und Werk vgl. Huerkamp/Meyer-Thurow 2001. Übersetzungen ins Spa-

nische: Viaje de Amsterdam a Genova pasando por Madridy

Cädiz ert los anos 1797y 1798. Herausge-

geben und übersetzt von Hiltrud Friederich-Stegmann. Alicante: Universidad de Alicante 2 0 0 7 .

Cuadro de Valencia (Gemälde von Valencia). Herausgegeben von Berta Raposo/Grupo Oswald. Über-

Berta Raposo Fernández

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lieh die kaufmännische L a u f b a h n einschlagen wollte, entwickelte er sich bald nach seiner Spanienreise von 1 7 9 7 - 1 7 9 8 zu einem geschätzten Publizisten und Spanienspezialisten, der seine anderthalbjährige Reise in nicht weniger als zehn Texten verarbeitet hat, von denen der kompakteste und vollständigste in der

Reise von Amsterdam über Madrid und Cádiz nach Genua in den Jahren

1797und

1798 vorliegt. N a c h d e m die Reisenden der letzten drei Jahrzehnte einer neuen aufgeklärten Sicht Spaniens den Weg geebnet hatten, eröffnet Fischer hier der G a t t u n g Reisebericht eine neue Dimension, die die Romantik ankündigt. Als Meister des Reisegemäldes, vor allem in seinen Beschreibungen des spanischen Alltagslebens gewinnt sein Stil streckenweise eine ästhetische Q u a l i t ä t , die bei seinen reisenden Zeitgenossen ihresgleichen sucht: Der Mittelpunkt von Madrid, der Sammelplatz aller Einwohner, das allgemeine Rendezvous aller Geschäftsleute, aller Verliebten, aller Müßiggänger, aller Fremden ist der obengenannte Platz „lapuerte del Sol" [...] Die öffentlichen Plätze sind in ganz Spanien die gewöhnlichen Spazier- und Versammlungsörter. Man findet deren in den kleinsten Städten, selbst in Dörfern, wo sie gemeiniglich vor der Kirche sind. Hier erholt sich der Spanier von seiner Arbeit, hier wärmt er sich im Winter an der Sonne; und mancher, der nie aus der Stadt kommt, erscheint dennoch regelmäßig auf dem Platze. Denken Sie, was la Puerta del Sol ln Madrid seyn muß! [...] Da sind Zeitungsverkäufer, die die Ohren betäuben; Zeitungsvermiether, die das neueste Stück für einen Quart verleihen; Soldaten von den Wallonen und Schweizerregimentern, die kurze Waaren ausbieten, und Lohnkutscher, die sich Fuhren suchen; schwatzhafte Schuh- und Kleidertrödler, listige Bilder- und Cigarrenhändler, Verkäufer aller Art, die sich unverdrossen empfehlen. [...] Dazwischen rollen Kutschen und Calesins über den Platz, und von dem nahen Springbrunnen hört man den Tumult der Wasserträger. [...] Es schlägt ein Uhr; die Menge zerstreut sich. Die Lastträger nehmen die Seitenwände ein, um Mittagsmahl und „Siesta" zu halten. [...] Der Platz ist verlassen, die geräuschvollen Straßen sind wie ausgestorben, und nur selten läßt sich ein einzelner Fußgänger sehen. Aber die Vesper läutet, und alles scheint sich zu beleben; es schlägt vier Uhr, und der Platz füllt sich von neuem an. [•••] Allmählig rollen nun aus allen Straßen Equipagen nach den Theatern und dem Prado; und von allen Seiten eilen Reisende in Kutschen, auf Maulthieren und „Borricos " vorüber. Endlich bricht die Dämmerung an, die Glocken läuten, das Angelus" setzt von José Antonio Calañas, Berta Raposo, Isabel Gutiérrez und Ingrid Garcia Wistädt. Valencia: Biblioteca Valenciana 2008.

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wird gebetet, die Laternen vor den Marienbildern und an den Häusern werden angezündet, die Wein- und Limonadenverkäufer illuminiren ihre Buden, überall erheben sich kleine Tische voll Milchbrötchen und papierne Laternen [...] Das G e t ü m mel der Menschen, das Hin- und Herfahren der Kutschen wird immer stärker, und der Platz ist völlig angefüllt. Hier tönen Guitarren und Voleros; dort singt eine Balladensängerin die letzte Mordgeschichte ab; hier donnert ein wohlbeleibter kupfriger Missionarius von seinem Bänkchen hernieder d e m demüthigen H a u f e n eine Bußpredigt vor; und dort wird eine verliebte Bestellung gemacht. Denn jetzt ist die dritte Classe der Freundenmädchen in voller Beschäftigung. Sie sind bey einbrechender Nacht aus ihren Schlupfwinkeln hervorgegangen, haben sich in einem Weingewölbe ( Botelleria ) Muth getrunken, und erscheinen nun in vollem Rausche auf dem Platze. (Fischer/Zimmermann [1799] 1998: 80-83)

Neben diesen milieuhaften Schilderungen festgehaltener Augenblicke begegnet man bei Fischer narrativen Wegedarstellungen mit einer wohlausgewogenen Mischung von Landschafts- und Menschenschilderungen. So schreibt er auf der Reise durch Extremadura: Steile Felsenwege, über die Absätze des Gebirges, bis sich der Paß etwas öffnete, und wir die Stadt Truxillo hoch auf einem Felsen gleich einem Castelle erblickten. Die vordere G e g e n d ist wüste, und das Städtchen hat außer einem sehr ansehnlichen Platze nichts merkwürdiges. Die Leute waren so fanatisch, daß die Wirthinn uns das Mittagsessen versagte, bis wir die Messe gehört hatten, ob es gleich kein Heiligentag war. Als ihre zwölfjährige Tochter nach Hause kam, kniete sie vor der Mutter nieder, und betete ein Pater noster. Wahrschenlich dachte diese Frau durch ihren kirchlichen Eifer die schändlichen Betrügereyen abzubüßen, welche sie sich gegen die Fremden erlaubt. D e n Nachmittag kamen wir bey einer artigen Einsiedeley vorbey, die mit schönen Pflanzungen umgeben war. Der Einsiedler brachte uns Wein und Wasser, und zeigte viel Güte und Herzlichkeit. Wir gaben ihm mit Vergnügen ein kleines Almosen, das er zusammenspart, u n d auf Verschönerung seiner Kapelle wendet. Das Kirchensystem nimmt immer den Charakter des Individuums an. Wir hatten nun bereits die höchste Gebirge hinter uns, und ihre Reihen eröfneten ein weiteres Thal, als wir gegen Abend eine luftige Ebene fanden, die mit Binsen bewachsen war. D a wir den nächsten Ort unmöglich erreichen konnten, so wurde beschlossen, in Gesellschaft eines Maulthiertreibers die Nacht hier zuzubringen. Nachdem wir ein frugales Abendessen eingenommen hatten, machten wir uns zwischen den Kisten dieses guten Mannes mit Hülfe der Decken ein ziemlich bequemes Lager, und brachten so die stille heitere Nacht ohne den geringsten Zufall hin. (147f.)

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Berta Raposo Fernández A u f dem Weg nach Valencia wechseln sich wieder Landschaftsbeschreibun-

gen mit Anekdoten ab: Wir kamen abends in eine Venta, die man ihrer schönen Lage wegen mit einem der schönsten Landhäuser des Waadtlandes vergleichen könnte. Alles war mit Orangenund Feigenbäumen, mit Wein- und Olivenpflanzungen bedeckt. Dahinter lag der Flecken Moxente*, halb zwischen Gärten und Gebüschen versteckt, und von dem Wege durch einen Bach getrennt, der jetzt fast trocken war. Das Innere des Fleckens kam uns äußerst freundlich vor, man glaubt nach Brigancieres** versetzt zu seyn. Alles saß vor den Thüren, und überall hörte man Gesänge. Wir kauften für einige Quartas Orangen, allein es wäre eigentlich nicht nöthig gewesen, da man unter den Bäumen nach Belieben davon essen kann***. Es war indessen dunkel geworden; die Fremden in der Venta hatten sich vermehrt, und wir fanden es außerordentlich lebhaft, zumal da einige Spielleute angekommen waren. Sie erinnern sich, was ich Ihnen von dem musikalischen Talente der Spanier, und ihren Liedern zur Guitarre geschrieben habe. Es sind Liebesliedchen aus dem Stegreif, die oft nur wenig poetischen Ausdruck, und nicht selten sehr viel Unsinn enthalten. Allein es giebt auch eine eigene Art Musikanten, die den italienischen Improvisators wo nicht an Talent, doch an Methode gleichen. [...] Wir hatten jetzt nur noch dreyzehn Leguas nach Valencia; allein um die Schönheit des Landes recht mit Muße zu genießen, machten wir sehr kurze Tagereisen. Die häufigen Dörfer verkündigten den blühendsten Wohlstand; alles stand dick voll Maulbeerbäume. Der Weg führt endlich die letzte Legua durch eine herrliche Allee, die auf beiden Seiten mit Landhäusern eingefaßt ist. Man tritt unvermuthet in die Vorstadt; aber der Anblick der aufgehängten Seide, das Geräusch der Werkstühle, die Menge Gewölbe und Weinbuden, kleiner Wagen und Calesins, die Geschäftigkeit und das Getümmel des Ganzen, erinnern im Augenblick an das große volkreiche Valencia. (182f.) Narrative Mittel werden von Fischer auch oft eingesetzt, um Dialoge wiederzugeben: Wir waren kaum in der Posada angekommen, als der Alcalde erschien. Es war ein kleiner dicker Mann, der statt seiner Amtskleidung nur eine schwarze Ärmelweste, rothe verschossene Samtbeinkleider, und ein großes Haarnetz trug. Er grüßte uns mit einem Kopfnicken, und setzte sich gravitätisch auf den einzigen Sessel welcher * Lies Mogente. Das x zwischen zwey Vocalen immer wie g. * * Ein kleines Dorf in der Provence, äußerst romantisch gelegen, einige Stunden von Hieres. * * * Aber nur nichts einstecken, denn das würde als ein Diebstahl betrachtet werden.

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vorhanden war. Wir hatten unterdessen Wein bekommen, der hier vortrefflich ist, und waren so frey ihn dazu einzuladen. Das wurde angenommen, und seine Gravität blieb in dem Kruge. Da er nun begierig nach Neuigkeiten fragte, so veranlaßte das ein Gespräch über den Principe de la Paz, dessen Abtritt oder Abschied damals noch ganz Spanien beschäftigte. So wie diese Sache in Anregung kam, versammelten sich sämtliche Maulthiertreiber um unsern Tisch, und jeder hatte eine neue Vermuthung oder eine neue Anekdote hinzuzufügen. Das bewies mir wenigstens, daß auch die gemeine Classe jetzt bey weitem nicht mehr so indolent über die Angelegenheiten des Landes ist, als man sich einbilden dürfte. (143) Daran schließt sich folgende lange Fußnote an: Die Urtheile und Vermuthungen, die man sich über den Principe de la Paz (oder Godoy, nach seinem Familiennamen) erlaubte, waren so kühn als mannichfaltig. Nach einigen hatte seine Verbindung mit einer Opernprinzessin die Eifersucht seiner neuen Gemahlinn und seiner alten Gönnerin erregt, und man hatte ihn allmählig stürzen, und dann ganz entfernen wollen; nach anderen war sein Sturz das Werk der englischen Partey, zu welcher, wie bekannt, die alte Gönnerin und ihr Beichtvater gehörten, deren Gründen Godoy nicht hatte beytreten wollen; eine dritte Meynung behauptete geradezu, dieser Abschied sey freywillig, um sich zwischen beiden Parteyen nicht zu compromittieren; noch andere wollten genau wissen, Godoy und seine Gönnerin hätten einen gewissen Plan entworfen gehabt; und Godoy sey aus Mißtrauen entfernt worden, u. s. w. - Man sieht wenigstens, daß diese Madrider Urtheile, so falsch sie seyn mögen, auch die niedere Classe interessirten. (143, Fußnote) Die bei anderen Reisenden so beliebten Darstellungen des Nationalcharakters beschränken sich bei ihm fast ausschließlich auf die Frauen. Da aber geht er akribisch ins Detail: Die Männer haben National-Charaktere, die Weiber National- Temperamente. Lassen Sie uns die Spanierinnen betrachten. Eine schwärmerische Anhänglichkeit an das kirchliche System ihres Landes; ein Stolz, der nach allgemeiner Herrschaft strebt; ein Eigensinn, der nur sich selbst nachgiebt; eine Rachsucht, die alles aufopfert; und ein glühender Wollusttrieb: das sind in der That keine liebenswürdigen Eigenschaften. Aber auf der andern Seite ist auch Treue und Anhänglichkeit, Seelenstärke und Heroismus in hohem Grade bey den Spanierinnen zu finden [...] Ihre Reize entwickeln sich früh, um zeitig zu verwelken, wozu das Clima, die hitzigen Nahrungsmittel und der sinnliche Genuß beytragen. Eine Spanierin von vierzig

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Berta R a p o s o F e r n á n d e z Jahren scheint noch einmal so alt, und ihre ganze Figur zeigt von Übersättigung und beschleunigtem Alter. Übrigens haben fast alle eine starkbehaarte Oberlippe, die zwar die Stärke der Natur beweist, aber des Übelstandes wegen doch das Geschäft der „Vellerns" oder Haarausrupferinnen begünstigt. Ihre Zähne sind übrigens fast immer verdorben, da sie die „Dukes"

oder das Zuckerwerk übermäßig zu genießen

pflegen. (95) D i e vielbeschworene Sinnlichkeit der S p a n i e r i n n e n w i r d v o n Fischer bestätigt u n d feinsinnig nuanciert: Eine Spanierin ist in sinnlichen Rücksichten nichts weniger als delicat. [...] Was die keusche Einbildungskraft einer Deutschen oder Engländerin mit Abscheu erfüllen würde, das ist in der glühenden Phantasie einer Spanierin fast zur Gewohnheit geworden, und Bilder der Sinnlichkeit, die sich jene kam zu gestehen waget, beschäftigen diese in ihrer ganzen Lebhaftigkeit. Aber man würde sich sehr geirrt haben, wenn man auf diese Voraussetzungen den glücklichen Erfolg gewisser Anträge gründen wollte. Es ist wahr, die Spanierinn erklärt sich über solche Gegenstände mit männlicher Freyheit; ihre Lippen, ihre Augen und Ohren sind nichts weniger als keusch, aber ihr Stolz verhindert sie, sich hinzugeben. [...] Das ist die Ursache, warum zurückhaltende, blöde 2 9 und kalte Männer mehr Glück bey ihnen machen, als der feurigste leidenschaftlichste Liebhaber. Ihr Stolz muß jenen zwingen, ihren Reizen zu huldigen, denn ihre Herrschsucht hat ihn einmal zu ihrem Sklaven erwählt. Je kälter er scheint, je feuriger zeigen sie sich; je mehr er sich entfernt, je eifriger verfolgen sie ihn. Sie scheinen ihn zu lieben, und sie wollen sich bloß lieben lassen, sie scheinen sich hinzugeben, und sie wollen ihn unterjochen. (96) I m Ü b r i g e n f i n d e t m a n bei Fischer a u c h das übliche Reservoir an T h e m e n der A u f k l ä r u n g , z. B . soziale Fragen u n d Religionskritik: Diesen Morgen kamen wir nun nach Burgos, und werden erst den Nachmittag weiter gehen. Sie finden die unbedeutenden Merkwürdigkeiten dieser Stadt in anderen Reisebeschreibungen verzeichnet, daher ich dieselben nicht wiederhole. Wer die ächten Altcastilianer kennen lernen will, der muß sie hier beobachten. Nirgends wird man so viel schlechtgekleidete Menschen, und so viel Bettler auf den Straßen finden. Auch hat die Stadt trotz ihrer Größe etwas Todtes und Trauriges. Das hiesige königliche Hospital ist wegen seines Reichthumes bekannt. Man sagte mir, daß nur allein am Charfreytage an 1500 (Dresdner) Scheffel Weizen in kleinen Broten ver-

29

Im 18. Jahrhundert noch vielfach in der Bedeutung „schüchtern".

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theilt werden. Die übrigen Kirchen und Klöster sind eben so freygebig, daher die Faulheit und Arbeitsscheue täglich genährt werden. Scheint es nicht, als ob alle Anstalten, die nicht mit dem Geiste der Zeiten fortrücken, endlich schädlich werden? Burgos ist übrigens von allen Seiten dem Nordwinde so sehr ausgesetzt, daß die größte Sommerhitze hier immer gemäßigt, aber auch die Winterkälte desto strenger ist. Wirklich haben wir auch schon heute eine recht deutsche Herbstluft; und die Entfernung von der milden Seeküste wird uns immer fühlbarer. (72f.) D a s T h e m a Bildung und Kultur verbindet Fischer mit einem Seitenhieb auf moderne Kleidermoden: Die königliche Bibliothek befindet sich fast im wesdichen Ende der Stadt, im Quartiere de los Canos del Peral. Sie steht zwar an einem ziemlich großen Platze, dem Opernhause gegenüber, allein das Außere derselben ist so wenig empfehlend als das Innere. Das Gebäude war nämlich in alten Zeiten nichts als ein Corridor, durch welchen man aus dem königlichen Pallaste in die nahgelegene Kirche ging, und so enthält die Bibliothek eigentlich nur zwey lange, schmale, niedrige Säle mit eben so viel Nebenkabinetten, denen es gar sehr an Lichte fehlt. Sie werden im Winter mit Matten (Esteras) belegt, und mit zwölf großen Kohlenbecken (Braseros) erwärmt. Die vergitterten Bücherschränke befinden sich an den Seiten, und die Tische zu vier Personen in der Mitte; die vier Bibliothekare geben nur die Nummern der Bücher an, die acht Assistenten suchen dieselben. Die Bibliothek wird täglich fünf Stunden geöffnet, und die Schließung durch eine sehr schöne Wanduhr, und zum Überflusse noch durch eine Glocke angezeigt. Characteristisch ist der angeschlagene Befehl, daß niemand in Haarwickeln und zerrissenen Kleidern erscheinen, auch die sogenannten Schanzlooper* nicht angezogen, aber wohl übergehangen tragen soll. Der Grund dieses sonderbaren Unterschiedes soll in der Nachlässigkeit der jungen Leute liegen, welche schmutzige Hemden und Beinkleider darunter zu tragen pflegen. Ein eigener Schweizer an derThüre muß auf diese Ordnung sehen. (107f.) Fischers Bericht endet mit einem Anhang, der „Uber das Reisen in Spanien" betitelt ist und praktische Hinweise enthält, die z. T. sehr modern anmuten und nicht nur für Kaufleute gedacht sind, wie bisher üblich, sondern auch für solche Reisende, die eine Art Prototouristen darstellen könnten.

* Diese holländische Tracht, welche man längst in Rußland kannte, und die nun durch die Franzosen fast überall eingeführt worden ist, fängt auch in Spanien an, allmählig die Mäntel zu verdrängen. Man hat den Schanzloopern den sonderbaren Namen „Citoyen' gegeben, der die Einfuhrung derselben von selbst bezeichnet. Ponga Vm. su „ Citoyen!" Ziehen Sie Ihren Schanzlooper an!

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Berta Raposo Fernández Kurz nach dem Aufenthalt seines Bruders Alexander auf der Durchreise

nach Amerika hat sich Wilhelm von H u m b o l d t mit Frau, Kindern und Dienstpersonal zwischen 1799 und 1800 in Spanien aufgehalten und dabei ein Tagebuch 3 0 geführt, das erst 1918 von Albert Leitzmann herausgegeben wurde, im Rahmen einer Humboldt-Gesamtausgabe. Da dieses Tagebuch zu Lebzeiten des Verfassers und noch lange danach nicht veröffentlicht wurde, 3 1 stellt es einen Sonderfall im Kontext der Literatur deutscher Spanienreisender dar. Humboldts Spanienreise ging von ganz anderen Voraussetzungen aus als die bisher behandelten. Es handelte sich ausschließlich um eine Bildungsreise, und Spanien war dabei nur zweite Wahl als Alternative zu Italien, das wegen des damals tobenden Kriegs mit Frankreich als Reiseziel nicht nur ungeeignet, sondern geradezu gefährlich war. H u m b o l d t s Aufzeichnungen während der Reise wurden im Weimarer Kreis der Freunde Goethes vorgelesen und haben so zur Verbreitung eines Spanienbildes im Sinne der Weimarer Klassik beigetragen 32 . Die Aufzeichnungen sind relativ unsystematisch u n d folgen nicht immer der realen Chronologie der Reise. Im Allgemeinen interessierte sich H u m b o l d t für Landschaften und Flora, Menschen (im volkskundlich-anthropologischen Sinn), Kunstwerke und Bildungsfragen, weniger oder kaum für Alltagsthemen. Die Beschreibung der Landschaft reizt ihn zur Betonung der Gegensätze u n d zu dichterischen Vergleichen: Man geht bei Miranda über den Ebro, der hier aber, obgleich schon so weit von seinem Ursprung, nur ein unbedeutender Bach scheint. Gleich hinter Miranda bezeichnet eine Säule mit einer Inschrift die Gränze Alavas und Castiliens. Schon etwa von Salinas an, ändert die Gegend gar sehr an Physiognomie, es ist nicht mehr so viel Abwechslung von Bergen und Thälern, und besonders nicht mehr so reicher und krauser Baumschlag. Alles neigt und nähert sich schon mehr der Kastilianischen Oede und Fläche. Vorzüglich ist dies der Fall hinter Vitoria. Tritt man in Kastilien ein, so ist der Unterschied gegen das schöne Biscaya entsetzlich. Campiña pelada wie es die Spanier sehr ausdrucksvoll nennen, in der Entfernung einige gleich kahle Berge und weiter nichts. Der einzige interessante Gegenstand auf dieser Tagereise sind noch die Berge von Pancorbo. Der Weg geht etwa % Stunden lang durch ein zum Theil enges Thal, durch das ein kleiner Fluss läuft. Die Felsen zur Seite sind 311

Spanische Ubersetzung: Diario de viaje a España. Ubersetzt von Miguel Angel Vega. Ma-

drid, Cátedra 1996. 31

Mehrere Aufsätze über das Baskenland und die baskische Sprache blieben auch vorerst un-

veröffentlicht. N u r der Aufsatz „Der Montserrat bey Barcelona. (An Goethe)" erschien 1803 in Allgemeine geographische Ephemeriden Bd. 11, St. 3, 265-313. 32

Hempel 1997: 229.

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nicht sehr hoch, haben aber die bizarresten Gestalten, die ich je an Bergen gesehen habe, und die man sich nur denken kann. Schon von fern fallen einem Gipfel ins Auge, die wie die Zinnen einer Mauer gezackt sind. Im Thale selbst ist es noch mehr der Fall. Vorzüglich ist eine Felswand, die schlechterdings, wie ein Kastell aussieht, und ihr gegenüber stehen ein Paar ganz thurmähnliche isolirte Spitzen. Man kann sich nicht enthalten, bei diesen sonderbaren, und heterogen gestalteten Formen an so vieles andre Barocke, was den Charakter vieler Spanischer Werke ausmacht, an die Zierrathen der Maurischen Gebäude, die Spitzfindigkeiten der Dichter u. s. f. zu denken. Man fühlt sich um so mehr auf Spanischem Boden, als diese Felsenreihe sich auf einmal auf einem sonst flachen, öden und trocknen Boden erhebt, und auch eben so wieder aufhört. Dies und ihre eigne Nacktheit von aller Vegetation nimmt ihr die Schönheit, die sie sonst unstreitig besitzen würde. Jetzt ist sie nur sonderbar, und befriedigt die Neugierde [...] (Humboldt/Leitzmann 1918: 139) Zu orientalisch-exotischen Phantasien und zu konkreten literarischen Anspielungen fühlt er sich in Cördoba angeregt, wo er sich auf Goethes Gedicht Kennst

du das Land, wo die Zitronen blühn? beruft und wörtlich aus dessen 2. Vers („im dunkeln Laub die Goldorangen glühn") zitiert: Was uns am angenehmsten hier überraschte, war die Menge von Orangenbäumen mit goldgelben Früchten voll behangen. Es ist buchstäblich wahr, dass wir hier erst verstanden, wie im dunkeln Laub die Goldorange glüht. Dieser Anblick ist unstreitig merkwürdiger und uns fremder, als der vielleicht sonst angenehmere der Blütezeit. Jeder Garten hat hier die Wände damit angefüllt, jeder Hof seinen Baum, und vor allem schön ist der patio de los naranjos in der Cathedrale. Dort die Reihen schöner, dicker und hoher Orangenbäume, die sehr hohen Cypressen, und eine götdiche Palme an einer Fontaine, nebst einigen andern kleineren, von dem alt-Maurischen Gebäude umschlossen zu sehn, ist ein so schöner und fremder Anblick, dass er einen in eine Art sanften Entzückens hinreisst, das durch die mildathmende Luft mächtig verstärkt wird. Wenn man aus den Häusern, besonders aus der Cathedrale in die freie Luft trat, war es als käme man in ein eingeheiztes Zimmer. Die grosse Palme machte mir unendliches Vergnügen. Der so sehr hohe und schlanke, aber ganz blätterlos, meist ein bisschen gebogen in die Luft gestreckte Stamm giebt die Idee des Öden, die Wüsten Nordafricas gesellen sich in der Phantasie dazu, und die langen theils stehenden, theils herabhängenden Blätter, so leicht für jeden Winde beweglich, sehen so wunderbar, so mit der rund geschlossnen Krone selbstständig für sich aus, dass es das Bild eines zufriednen Bewohners der Wüste gewährt. Die Cypressen ragen still und hoch in nächtlicher Schwärze mit ihren Pyramiden über die Orangen hervor, voll strengen Emsts, noch mehr als Wehmuth erregend, was mir mehr der einsamen Pappel eigen scheint; und die Orangen geben das fremde und schöne Spiel

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Berta Raposo Fernández des Contrasts der Farben des Gelben gegen das dunkle Grün. Nichts muss so anziehen, als eine fremde und grosse Natur. Sie lässt die Seele so eigen und rein wie sie ist, und giebt ihr nur eine höhere Stimmung und eine neue Bewegung. Ich war nie eigentlich poetisch gestimmt als hier. (228) Das Außere der Menschen wird anhand von physiognomischen Kriterien

beschrieben und an idealtypischen Nationalbildern gemessen. Man findet oft Beschreibungen konkreter Personen, darunter zwei bekannte zeitgenössische Dichter: Manuel José Quintana ( 1 7 7 2 - 1 8 5 7 ) und Nicasio Alvarez de Cienfuegos ( 1 7 6 4 - 1 8 0 9 ) . Ich sah bis jetzt mir nationeil andalusisch scheinende Physiognomien. Eine breite Köpfe, gewölbte Stirn, kleine und aufwärts gebogne Nase, schwarze Augenbraunen und Augen, die aber nicht das Gesicht so streng beherrschen als bei den Castillanern, weiter auseinanderstehend, gebogner, freier, dickliche Backen. Dies scheint mir die herrschende [...]. In Männern ist sie leicht Dummheit ausdrückend. Sehr feurig scheint sie mir nicht. Die zweite: mehr gerade Stirn, lange Gesichtsform, tiefe Augen, schmal eingedrückte Schläfen, lange und spitze oft schief herabsteigende Nase. [...] Bei Frauen sah ich sie nicht. [...] Die Castilianischen Mannsphysiognomien sind dagegen länger, geradere Nasen, ohne Höcker, und unten auch nicht spitz, hagre Wangen und etwas aufgeworfner Mund. Vor allem aber liegt der nationeile Habitus in den dicht an der Nase anstehenden, meist wenig gebogenen, strengen Augenbraunen. Die Stirnen sind meist flach. Quintana ist ein Beispiel der edleren Form hierin. Doch hat er etwas rohes und Verachtendes im Munde. Cienfuegos ist länger, etwas gebogne Nase, schwere Augenlieder, Ausdruck eines vollen aber schweren Gehalts [...] (231 f.) Im Zusammenhang mit der Nationalitätenfrage ist folgende Stelle besonders hervorzuheben, bei der die Zigeuner im Mittelpunkt stehen. Zuerst wird eine Tanzszene ausführlich beschrieben: Ein gewisser Schröder, ein Bremer jetzt reisender junger Kaufmann, veranstaltete, dass ein Paar Zigeuner Mädchen und ein Zigeuner eine Nacht Spanische Nationaltänze tanzten. Wir gingen (meine Frau in Mannskleidern) in eine Vorstadt, wo die Zigeuner wohnen. Wir fanden erst beide Mädchen allein mit einer Alten. Sie sassen um den Braserò und rauchten Cigarros, wie die öffentlichen Mädchen in Madrid pflegen. Beide waren lang und hager. [...] Zu ihnen kam ein gewisser Pepe, der Volerotänzer des Malagaer Theaters, gleichfalls mager, schlaff an Wangen, mit dem Aussehen wie eines, der von Ausschweifungen nicht gerade krank, aber müde ist. Auch sprach man von ihm, wie von einem Menschen, der beständig nur in Sang und Tanz

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lebt. [...] Es dauerte einige Zeit, ehe sie in den wahren Zug kamen, frei und ohne alle Rücksicht zu tanzen. [...] Endlich ging es an den Tanz. Man tanzte nacheinander u n d zu w i e d e r h o l t e n m a l e n d e n Volero, Zorongo,

Fandango,

Zapateado

u. s. f. alle in

grösstmöglicher Freiheit. Die unzüchtigen Gebehrden, die besonders im Zorongo sehr häufig und stark sind, bestehen vorzüglich in einem dichten Annähern beider Personen, im Vorstrecken des Mitteltheils des Leibes, und endlich in der ordentlichen Vorwärtsbewegung der Schaamtheile, und dem Stossen, das sonst nur beim wirklichen Beischlaf geschieht. Dies verrichteten beide, aber besonders das Mädchen mit einer so leichten und schlüpfrigen Bewegung der Hüften, dass diese eine eigene vita propria zu haben schienen. (288f.) H u m b o l d t zieht dann Schlussfolgerungen aus dieser Szene, die z. T. der Klimatheorie verpflichtet sind: Im Ganzen ist es nicht ganz leicht, über die Spanischen Nationaltänze ein Urtheil zu fällen. [...] Dies affectierte Wesen scheint aus zweierlei Ursachen zu entstehen. Einmal ist es wie eine durch die Musik eingegebne Begeisterung [...] Zweitens (und das ist wohl die Hauptsache) scheint es mir die Affectation wilder Volker, die sich z. B. auch bunt anziehn und mit Federn schmücken. Sie tanzen nicht bloss zu ihrem Vergnügen am Tanz, sondern um sich zum Schauspiel zu geben. Diese gleichsam kindische Eitelkeit scheint dem mittäglichen Völkern mehr eigen als den nördlicheren. [...] Man muss also nach allem diesem freilich gestehen, dass er (der Tanz, B. R.) weder edel noch graziös ist; es ist nur ein Tanz, den man sich von Sklaven und Sklavinnen zur Lusterregung vortanzen lassen kann. Pepe hatte zuletzt fast immer ganz sichtbare Erectionen bei jeder unzüchtigen Stellung, die er machte. [...] Der Charakter des Pepe und der Mädchen war mir sehr auffallend. Mit aller Freiheit die sie sich nahmen, und erhitzt von Liqueur Hessen sie sich keine einzige Rohheit zu Schulden kommen. Sie erkannten gleich meine Frau und machten nie einen unanständigen Spass. Die Mädchen selbst schienen nicht liederlich, die tanzende war Pepes Verlobte. Die Unzüchtigkeiten schienen sie theils nur als zum Tanz gehörig, theils in einer wunderbaren Naivetät zu machen. Es flösste einem nicht die Idee verderbter, sondern nur dem Vergnügen ergebener, wollüstiger und naiver Menschen, ohngefehr wie die Otaheiter waren, ein. Dabei waren sie, besonders der Pepe unbeschreiblich weich und gutmüthig. Unter so gemeinen Leuten dieser Klasse bei uns, wäre es unter diesen Umständen nicht ohne Brutalitäten abgegangen. So gross ist der Unterschied des Klimas. Zugleich hatten sie den Nationalstolz, uns das Eigenthümliche Spaniens im besten Lichte zu zeigen. Auch lobten sie sich als Gitanen, und versicherten eine ganz andre und bessere Nation, als die Spanier zu seyn. (289)

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Berta Raposo Fernández Der künftige Bildungspolitiker Humboldt führte in Valencia ein langes Ge-

spräch über Bildungsfragen mit dem Rektor der dortigen Universität Vicente Blasco: Von ihm rührt der Reformationsplan der Universität Valencia her, auf den er sich sehr viel zu Gute thut. Er rühmt besonders darin an, wie gut man Arabisch, Griechisch und Lateinisch treibe, wobei wunderbar ist, dass er fast kein Griechisch weiss. Ich habe indess nicht einmal eigentlich Gelehrte in diesen Sprachen da gefunden, und keine Spur der wahren Humanität philologischer Studien. [...] Ueberhaupt war er sehr hartnäckig in seinen Behauptungen, und bildete sich doch ein, sein Studienplan sey eine Art Ideal. Die Kürze der Zeit, in der man in Deutschland studirt, schien ihm unmöglich, und er schüttelte immer den Kopf, und glaubte endlich nur die Genies könnten dabei durchkommen. Die Sache, wie ich sie beurtheilen kann, liegt aber weit mehr daran 1. dass unsre Studenten ungleich besser vorbereitet sind und mehr Methode besitzen. 2. dass man sich nicht, wie in Spanien, um ihre individuellen Fortschritte bekümmert. 3. dass sie mehr für sich studiren, und es auch besser können, theils weil sie selbst durch ihr bisheriges Studium und den Umgang fähiger sind, theils weil die Verschaffung von Hülfsmitteln bei weitem leichter ist. Zu diesen Ursachen mag nun noch Nationalträgheit, Clima, Gewohnheit zur Langsamkeit und Mangel an Nacheiferung kommen. Sehr lobenswürdig indess an diesem Alten ist immer dass er doch offenbar einen gewissen Reformationsgeist theils gehabt hat, theils noch hat, dass er einen unermüdlichen Eifer für Valencia und die Universität insbesondere besitzt, und sonst eine liberalere Bildung hat. (336f.) Da Humboldts Tagebuch, wie oben angemerkt, dem zeitgenössischen Lesepublikum vorenthalten blieb, kann es als privates Zeugnis betrachtet werden, das auf den geltenden Zeitgeschmack keine Rücksicht zu nehmen brauchte und sich offener aussprechen durfte. So fehlt ihm auf der einen Seite die Sensationslust mancher anderer Reisenden, auf der anderen aber ein leserfreundlicher Stil. Karl Friedrich von Jariges ( 1 7 7 1 - 1 8 2 6 ) veröffentlichte 1 8 1 0 anonym seine

Bruchstücke einer Reise durch das südliche Frankreich, Spanien und Portugal, die auf eine Reise im Jahr 1 8 0 2 zurückgehen. Er war der Sohn eines wohlhabenden preußischen Staatsministers und konnte sich ein sorgenfreies, der Literatur und den Bildungsreisen gewidmetes Leben leisten. Unter dem Pseudonym Beauregard Pandin hat er Übersetzungen spanischer, italienischer, französischer und englischer Literatur veröffentlicht, 3 3 darunter haben vor allem seine schein)

33

Romanzen

Spani-

eine große Verbreitung gefunden. Seine Reise nach Spanien

Lebensdaten nach Zimmermann 1997: 122f.

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war ausschließlich Bildungszwecken gewidmet und dementsprechend erweist er sich tatsächlich als ein literarisch geschulter Reisender: Er macht oft Gebrauch von Fachbegriffen aus der zeitgenössischen Ästhetik (das Erhabene, das Anmutige), aus der Dichtung (Idylle, Romanze) und lässt sich gern ausführlich über Sprache und Literatur aus: Hin und wieder hörte ich von gemeinen Landleuten das Spanische so rein und so wohlklingend aussprechen, dass ich glaubte, einen Kunstredner vor mir zu sehen. Diese seltsame Erscheinung gibt für den Augenblick den Eindruck, als befände man sich in einem Lande, wo höhere Bildung allgemein verbreitet wäre - eine der schönsten Täuschungen der Phantasie! - Die spanische Sprache, welche in Castilien am reinsten gesprochen wird, steht sicher der Italiänischen an Wohlklang wenig nach, so sehr auch die Italiäner gegen sie eingenommen seyn mögen.Was ihr mehr Härte gibt, ist der Hauchlaut des j, des g vor e und i, und des x; dann entbehrt sie den angenehmen Zischlaut der Italiäner in ihrem ge und gi, wofür die Feinheit, womit das c vor e und i und das z in der Mitte eines Wortes gelispelt wird, keinen Ersatz gibt; vielmehr behält dieses Lispeln immer eine gewisse Schärfe; aber von diesen beiden Mängeln abgesehen, wie reich ist das Spanische an den harmonischen Klängen! Sonst wäre es auch nicht möglich, dass die grössten Castilianischen Dichter, wie z. B. Cervantes, so häufig an dem musikalischen Spiele der Töne sich ergötzen konnten; man übersetze nur ins Deutsche die Stanzen in seiner vortrefflichen Tragödie: Numancia, und wie leer werden wir sie finden! (Jariges 1810: 66f.) W i e nicht anders zu erwarten, besucht er gerne Buchhandlungen. In Burgos stößt er auf einen Fall spanischer Rezeption deutscher Literatur über französische Vermittlung: Bei einem Buchhändler oder vielmehr Buchtrödler traf ich das Memorial literario von 1791 an, und fand darin eine Art von kritischer Anzeige von Göthe's Herrmann und Dorothea, und zwar nach der französischen Uebersetzung von Bitaube. Ich lief aus Neugier den Aufsatz flüchtig durch; das ganze Raisonnement drehte sich um die Frage: ob das häusliche Bürgerleben ein Gegenstand der Dichtkunst seyn könne; die Frage ward aus dem Grunde bejaht, weil das Wesen der Kunst in der Nachahmung der Natur bestehe, und da nun unter den Deutschen ein solches Leben, wie das geschilderte, sich finde, so u. s. w. Am Schlüsse wünscht der Kritiker dem deutschen Volke Glück, dass unter ihm der Stoff zu einem solchen Gedichte anzutreffen sey. (74f.) Uber eine Theaterauffiihrung in Valladolid schreibt Jariges:

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Berta Raposo Fernández Im Theater, das sich als Gebäude nicht auszeichnet, ward El amor al uso, gegeben, eine Bearbeitung von Calderons Lustspiel: la Vanda y la Flor (die Schärpe und die Blume), worüber ein neben mir sitzender Officier gegen mich bemerkte, die alten Stücke, wie die eines Calderon, seyen doch unendlich schöner als die modernen, die jetzt meist nach ausländischen Dramen verfertigt würden; ich stimmte ihm völlig bei, und freute mich des ausserordentlich lebhaften Spiels, besonders der Frauenzimmer: bei der geringsten Gemüthsbewegung ist es, als wenn sich die ganze Seele entzünde, und bei hoher Leidenschaft, als wollte sie in Flammen hervorbrechen; man wird unwillkührlich von diesem Feuer mit fortgerissen, und vergisst auf Augenblicke, dass dem Ausdrucke der Gefühle zuweilen jene Mässigung fehlt, die zur Hervorbringung des Schönen durchaus notwendig ist. (112) Seine literarische Schulung zeigt sich auch in den immer wieder gelieferten

Beispielen stimmungsvoller malerischer Landschaftsschilderungen mit besonderer Vorliebe für Sonnenauf- und -Untergänge. D i e meisten davon enthalten zwar kaum etwas Konkretes, das auf Spanien hindeuten würde, aber oft literarische Reminiszenzen. Folgende Stelle befindet sich im Kapitel „Reise zu Wasser von Ayamonte nach Sevilla": Endlich erhob sich ein günstiges Lüftchen, das uns am frühen Morgen mit der Fluth bald den Fluss hinab und wieder aufs Meer brachte. Eben wie ein Spiegel war die bläuliche See und Tausende von Sternen funkelten auf der unermesslischen Fläche, aus der der sanftblaue Himmel wiederschien. Der Wind ward stärker und mit schwellendem Segel, im Glänze der neuen Sonne blühend, durchrauschte die stillen Fluthen das beflügelte Schiff. Aus der Ferne schimmert ein Gewimmel von rosenrothen Segeln, und in der Nähe wiegten sich auf den sanft bewegften Wellen einzelne Fischerboote. Alles athmete Ruhe und Frieden, und der furchtbar mächtige Ocean lächelte so sanft und mild wie ein Landsee. Mir war unbeschreiblich wohl, und ein stilles Entzücken, wie ich noch nie empfunden, durchströmte mein Inneres, bei dem Anblicke dieser wunderbar schönen Vermählung des Anmuthigen und des Erhabenen. In solcher feierleichen Verklärung, dacht ich, ruhete das entzückte Meer, als aus seinem Schosse die Göttin der Liebe geboren ward - und mit einem süssen Wonneschauer sagte ich mir leise Bürgers schöne Verse vor: Ahndend welch' ein Wunder werde Welch' ein Götterwerk aus Schaum, Träumten Himmel, Meer und Erde Tief der Wonne süssen Traum. Als sie, hold in sich gebogen, In der Perlenmuschel stand,

N e u g i e r i g e Gelehrte u n d g e b i l d e t e K a u f l e u t e

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Wiegten sie entzückte Wogen, An des Ufers Blumenrand. 3 4 (162 f.) N u r w e n n längere Wegestrecken geschildert w e r d e n , treten die für S p a n i e n s o t y p i s c h e n l a n d s c h a f t l i c h e n G e g e n s ä t z e d e u t l i c h zu T a g e . I m K a p i t e l „ R e i s e v o n A s t o r g a nach la C o r u n a " w e r d e n die U b e r g ä n g e a u f d e m W e g v o n Altkastilien nach G a l i c i e n geschildert: Den ersten Tag rückten wir bis Bembibre vor, in einem weiten Thale gelegen, wo in der Ferne sehr ansehnliche Anhöhen sich zeigten. Der Anblick der mannigfaltigen Berggegenden war mir ausserordendich erquickend, da ich so lange nichts als die einförmigen Ebenen von Casülien gesehn hatte, wo kein frisches Grün, keine Baumgruppen, keine Bergmassen das Auge des ermattenden Wanderers erheitern. [...] Des andern Tags verengten sich die Thäler mehr und mehr, die Berge lagen chaotisch durch einander, und in den Tiefen brausten schäumende Sturzbäche. [...] A m dritten Tage erreichten wir nach wenigen Stunden die Gränze vom Königreich Leon, und betraten nun Galicien. Die Gegenden, die wir heute passirten, waren im romantischen Gebirgsstyl, denen die kräftigen Birken, Linden, zahme Kastanien und Nussbäume, so wie die Weinlauben, die bei den Dörfern am Wege sich hinziehn, einen ungemeinen Reiz verleihen [...] Des vierten Tages führte uns der treffliche Kunstweg nicht mehr durch solche anmuthige Höhen und Thäler; die Berge am Morgen in tiefe kalte Nebel gehüllt, waren rauh und wild, und ringsher zeigten sich wüste unangebaute Haiden, und so wenig Anbau, dass wir uns verwunderten. Die Höhen wurden kleiner und die Thäler breiter, diese merkliche Abflachung des Bodens verkündete uns die Annäherung des Meeres, die sich auch an der kühlen Seeluft verspüren liess. [...] Erst am sechsten Tage trafen wir wieder auf angebaute Fluren, und malerische Hügellandschaften; vorzüglich reizend liegt das Städtchen Betanzos, bei welchem man in der Ferne das Meer schon erblickt. In den hübschen, mit Kastanienbäumen umpflanzten Dörfern bemerkten wir vor mehrern Häusern über der Thüre einen Lorbeerzweig, welcher das Zeichen des Weinverkaufs ist. Endlich erreichten wir gegen Mittag das freundliche Coruna. (120-123) Ü b r i g e n s ist J a r i g e s d e r e i n z i g e A u t o r u n s e r e r Z e i t p e r i o d e , d e r S p a n i e n s N o r d w e s t e n bereist, u n d einer d e r w e n i g e n , die Portugal in seine Reise m i t e i n b e z o g e n h a b e n . 3 5 D e n W e g v o n e i n e m in d a s a n d e r e L a n d beschreibt er so:

Aus dem Gedicht Die Nachtfeier der Venus von Gottfried August Bürger (1747-1794). Der Botaniker Heinrich Friedrich Link (1767-1851) schilderte in seinen Bemerkungen auf einer Reise durch Frankreich und Spanien, und vorzüglich Portugal (Kiel, Neue Akademische Buchhandlung 1801) eine Reise, deren Hauptziel Portugal war. 34

35

Berta Raposo Fernández

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Aeusserst angenehm ist der Weg, der von Santiago bis Tuy, der spanischen Gränzfeste am M i n n o , führt; wir brachten drei Tage auf dieser Reise zu, die eine wahre Lustreise zu nennen ist - so ungemein anmuthig sind die Gegenden, durch welche man kommt. Am ersten Tage begegneten uns auf der mit Eichen bepflanzten Chaussee, welche durch die lieblichsten, von der durch die nahe See gemilderten Luft erfrischten Thäler sich windet, eine Schar nach Santiago pilgernder Portugiesen nach der andern, von denen einige Zither trugen, um beim Ausruhen im Schatten mit Musik und Gesang sich zu laben. Diese Häuflein wohlgekleideter froher Wanderer von beiden Geschlechtern und jenem Alter machten die Landstrasse so lebhaft, dass sie einem Spaziergange glich, u n d die blühenden, mit Mais und Wein u n d Obstbäumen reichlich bepflanzten Thäler, die einem Garten ähnlich sehen, störten diese Täuschung nicht. (132f.) Tuy liegt vorzüglich steil, und n i m m t sich eher wie ein Felsenschloss als wie eine befestigte Stadt aus. Die Strassen sind so jäh, dass man sie gleichsam hinanklettern muss. Bekanntlich sind die Spanier und Portugiesen voll von Vorurtheilen gegen einander. Ein Beispiel davon gab uns die Gastwirthin, die, als sie hörte, dass wir Portugal durchreisen wollten, wiederholt rief: mala gente - schlimme Leute! - (135f.)

Die Rückkehr nach Spanien stimmt ihn froh: Des andern Tages verliessen wir Setubal wieder, das einen nicht unbeträchtlichen Handel treibt, und nach drei höchst beschwerlichen Tagereisen durch die Provinz Alentejo erreichten wir endlich das elende Städtchen Mertola an der Guadiana, dem Gränzflusse zwischen Portugal und Spanien. Arabiens Wüsteneien können nicht viel trauriger seyn, als die öden Sandsteppen, die wir auf dieser Reise passirten; etwa alle 4 Meilen trifft man ein elendes Dorf an, und in den armseligen Venten ist selten ein Bett und oft nicht einmal Brot zu haben, das überhaupt in Portugal meistens so schlecht ist, dass man es nicht ohne Ueberwindung geniessen kann; in Spanien ist es dagegen desto besser, und so weiss, dass es dem feinsten Kuchen gleicht. [...] Wie froh waren wir, die wüsten Sandsteppen von Alentejo zurückgelegt zu haben, und uns nun in der schönsten Provinz der ganzen Halbinsel zu befinden — in Andalusien! Heiter lachte uns das freundliche Städtchen entgegen, und die wohllautenden Namen Guadiana und Ayamonte tönten uns lieblich an. Die kleinen bescheidenen W o h n u n g e n sind sämmtlich weiss angetüncht, und - ein bis daher uns unbekannter Anblick! - die Dächer sind platt, nach orientalischer Sitte. Manche sahen wir mit Blumentöpfen geziert, u n d von den Blumen umgeben sass in der Abendkühle die junge Tochter des Hauses, mit weiblicher Arbeit beschäftigt, und freundlich auf die neugierigen Fremdlinge herabschauend. Der Ruf von den vorzüglichen Reizen der Andalusierinnen bewährte sich uns hier schon an so manchem lieblichen Gesichte. (158f.)

N e u g i e r i g e Gelehrte und gebildete Kaufleute

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Jariges hält a u ß e r d e m noch an vielen alten T h e m e n u n d Bildern fest. D i e üblichen Vergleiche zwischen deutschem und spanischem Charakter wiederholen u n d bestätigen sich bei ihm sehr anschaulich a m Beispiel der Volkstänze: Was diese, ihrem Ursprünge nach, wahrscheinlich indischen Tänze vornehmlich auszeichnet, ist jene den ganzen Körper durchdringende Leidenschaftlichkeit, jene sinnliche Gluth, von welcher nur die Anschauung selbst, und keine Schilderung einen Begrif geben kann; sie ist in unsern Tänzen, sogar in den lebhaftesten, nicht zu erkennen; schon der merkwürdige Umstand, dass der Deutsche es gar nicht ausserordentlich findet, in seinem erhitzendsten Tanze, im Walzer, seine Tänzerin nicht etwa blos mit einer Hand zu berühren; nein, ihren Leib mit beiden Armen fest zu umschlingen und Brust an Brust zu drücken, indess der Spanier sich gar keine Berührung erlaubt - schon dieser einzige Umstand ist mehr als hinreichend, und den grossen Unterschied zwischen der Lebhaftigkeit der südlichen und der nordischen Völker erkennbar zu machen. Man kann sagen, dass eben unsere heftigsten Tänze die deutsche Kaltblütigkeit beweisen. (57f.) U n d beim Eintritt in Spanien scheinen noch die alten düsteren Bilder, wie m a n ihnen z. B . bei K a u f h o l d begegnet, wieder aufzuleben: Nun waren wir auf Spanischem Grund und Boden, was eine Schaar von ein halb Dutzend Kapuzinern, die uns begegneten, noch bestätigte. Der erste Ort, durch den wir fuhren, war Yrun, und hier zeigten sich uns im Fluge die Spanischen Eigenthümlichkeiten in Physiognomie, Tracht und Bauart - gelbliche hagere Gesichter mit ernsten Zügen bei lebhaften Augen, die Weiber in Schleier, die Männer in Mäntel gehüllt; enge dunkle Strassen und fast an allen Häusern Balkons. (45) Trotz aller R o m a n t i k n ä h e m e l d e t sich m a n c h m a l auch Jariges' klassischer G e s c h m a c k in architektonischen Fragen, z. B. in Toledo: Als ich in der Abenddämmerung durch den untern Theil, den alte mit wunderlichen Zinnen gezierte Mauern umgeben, hindurch, und dann steil hinauf durch das zweite Thor ritt, hatte ich einen schauerlichen, fast grausenden Blick auf das Chaos von finstern altfränkischen Gebäuden unter und über mir, und als ich endlich durch enge düstre Strassen auf den Marktplatz gelangte, mit schwarzen unförmlichen Häusern umher, und mit dem Gerüste für die Stiergefechte in der Mite, da war mir, als erhöben sich auf einmal die barbarischen Jahrhunderte des Mittelalters wie scheussliche Gespenster aus ihren alten Gräbern. (lOOf.)

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Berta Raposo Fernández Häufiger erscheint aber Spanien in seinen Augen als ein sich langsam m o -

dernisierendes Land, dessen Hauptstadt sich sogar mit Berlin und anderen europäischen Großstädten messen kann: Unter den grossen Hautpstädten, welche ich gesehen habe, möchte ich Madrid am liebsten mit Bedin vergleichen; die spanische Residenz hat eine eben so massige Lebhaftigkeit, und ein eben so modernes, gefalliges Ansehn als die Preussische, und stehet an Fülle und Leben, so wie an Colossalität des Umfangs, der öffentlichen Gebäude und Plätze, Wien, Paris und Lissabon nicht weniger als diese nach. (86) Mit Wien und Berlin theilt Madrid, das im gewöhnlichen Leben La corte (der Hof, die Residenz) genannt zu werden pflegt, die verdrüssliche Plage eines erstickenden Staubes; diese empfindet man am meisten auf dem berühmten Prado, (im Wienerischen Deutsch Prater, von Pratum, Aue, Wiese) der eine auffallende Aehnlichkeit mit den gleich berühmten Linden der Berliner hat, und diesen in Ansehung der Gebäude zu beiden Seiten nachsteht, sie aber durch eine beträchtlichere Breite und ein weit ländlicheres Ansehn, so wie durch einige prachtvolle Springbrunnen übertrifft. (87) Diese Kontraste — die nicht nur bei Jariges, sondern bei allen Reisenden vork o m m e n - sind bezeichnend für die Umbruchsphase der Jahrhundertwende u m 1 8 0 0 . So bahnt sich bei Fischer, H u m b o l d t und Jariges der romantische Reisebericht an, mit der Verklärung des als exotisch gedachten Spanien, mit der Vorliebe für den Süden im Allgemeinen und Andalusien insbesondere (Cádiz ist für Jariges „die schönste Stadt in Spanien", 1 7 3 , Granada die „romantischste", 2 1 1 ) , und mit den literarischen Reminiszenzen, die vom Anblick gewisser Landschaften und Menschen erweckt werden. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Reisenden dieser Zeit sich bemühen, ein umfassendes Bild des Landes zu liefern, mit einer breiten Palette an T h e m e n , die das öffentliche und das Privatleben, die Natur und die Kultur betreffen: 1. Öffentliches Leben: Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, Institutionen, sogenannte „Polizei", 36 Städtebau, soziale Fragen, Religion, Aberglauben. 2. Privatleben: Sitten und Bräuche, Familie, Ehe, Frauen, Alltagsleben, Feste und Feiern, Alltag (Essen, Trinken, Kleidung)

36 Definition von „Polizei" nach Grimms Wonerbuch 1854: „die sorge eines staats oder eines gemeindewesens (unter staatlicher leitung) für das gemeinwohl mittels obrigkeidichen Zwanges". Diese ist die im 18. Jahrhundert übliche Bedeutung, und ein Thema, das alle Spanienreisenden stark beschäftigt. Kaufhold widmet ihm ein eigenes Kapitel, in dem er die Struktur der Madrider Stadtverwaltung detailliert beschreibt, die positiven Aspekte lobt und die Mängel beim Namen nennt.

Neugierige Gelehrte und gebildete Kaufleute

163

3. Natur: Landschaft, Witterung 4. Kultur: Kunstwerke, Theater, Bibliotheken, Buchhandel 5. Anthropologische Betrachtungen, Nationalcharakter Diese Universalität der Interessen ist zweifellos der Aufklärung verpflichtet. Nach einer zaghaften Anfangsphase leisten die Spanienreiseberichte der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts einen Durchbruch in der Darstellung dieses bisher so unzugänglich, fremd, mitunter sogar abstoßend wirkenden Landes. Die der Kultur der Aufklärung innewohnende Neugier und die Bereitschaft, alte Vorurteile und tradierte stereotype Bilder zu beseitigen, trägt entscheidend zu dieser Neuorientierung bei; trotzdem bleibt noch viel von diesen alten Bildern bestehen, von denen einige sich als besonders langlebig und erfahrungsresistent erweisen.

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Beurtheilung

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Krieg und Romantik Vom spanischen Unabhängigkeitskrieg bis zur deutschen Märzrevolution Ingrid Garcia-Wistädt (Universität de Valencia)

Anfang des 19. Jahrhunderts ist das Spanienbild in Deutschland ambivalent. Einerseits überlebt die Sicht der Aufklärung, die Spanien als das Gegenbild aufklärerischer Bestrebungen betrachtet, und andererseits setzt sich langsam das romantische Spanienbild durch. Der Ausbruch des spanischen Unabhängigkeitskrieges, als fast ganz Kontinentaleuropa unter direkter oder indirekter Kontrolle Napoleons war, bedeutet einen Wendepunkt: Nach dem Volksaufstand in Madrid gegen die französischen Truppen am 2. Mai 1808 rückt Spanien in den Vordergrund des europäischen Interesses und deutsche Reisende fühlen sich verstärkt zu Spanien hingezogen. 1 Besonders in den von Napoleon besetzten Ländern wird das unbekannte Spanien zu einem Vorbild des Widerstands: Das bisherige Land der „Schwarzen Legende" wird für viele ein Beispiel für freiheitlichen Geist und Nationalwürde (vgl. Brüggemann 1956: 78). Der spanische Krieg war der erste Befreiungskrieg gegen Napoleons Herrschaft in Europa und hatte eine wichtige psychologische Wirkung auf die zum französischen Machtbereich gehörenden Gebiete ausgelöst. Als des großen Kaisers der Franzosen Glücksstern in ganz E u r o p a glänzend strahlte, u n d der größere Theil des C o n t i n e n t s dessen Herrschaft fürchtete, wagte nur noch Spaniens edles Volk, gegen diesen Eroberer mit den ungleichsten Mitteln in Streit zu ziehen. J e n e r u n g e h e u e r n A n s t r e n g u n g e n r u h m v o l l e r E r f o l g n i m m t ein g o l d ' n e s Blatt in der Völkergeschichte ein. (Felder 1 8 3 2 : 7)

Während des Krieges wird die romantische Reise, die mit Christian August Fischer ihren interessantesten Vertreter gefunden hatte, 2 ausgesetzt. Die Zeit war nicht mehr ftir mythische Projektionen geeignet und das Interesse wandte sich anderen Aspekten des Landes zu. Die Berichte aus diesen Jahren stammen größ1

Vgl. Garcia-Wistädt 2009.

2

Vgl. Raposo im vorigen Kapitel dieses Bandes.

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Ingrid García-Wistädt

tenteils von deutschen Offizieren im Dienst entweder der französichen Besatzungstruppen oder der britischen Armee, die die portugiesischen und spanischen Kräfte im Kampf gegen die Franzosen und deren Verbündeten unterstützten. Sowohl auf französischer wie auf britischer Seite waren deutsche Kontingente vertreten, die folglich für fremde Herrscher gegeneinander kämpften: S o waren d e n n die niedern Französischen Pyrenäen überstiegen, dieses gleichwohl ungeheuere Bollwerk der N a t u r , diese S c h e i d e w a n d zweier mächtiger Völker, die, schon begriffen i m blut'gen K a m p f , sich gegenseitig den T o d geschworen hatten. Mannichfaltige G e f ü h l e waren in uns erwacht. In Frankreich hatten wir k a u m daran gedacht, daß wir uns in einem fremden L a n d e befanden, trotz der Verschiedenheit der Sprache, Sitten u n d G e b r ä u c h e von den unsrigen. Aber bei d e m Eintritte in Spanien ergriff uns mächtig der G e d a n k e , zur U n t e r j o c h u n g eines Volkes mitberufen zu seyn, das, entschlossen, seiner alten K ö n i g s k r o n e heil'ge Rechte zu vertheidigen, k ü h n d e m Eroberer sich entgegenstellt. Es s c h m e r z t e uns, zur V e r g r ö ß e r u n g der M a c h t eines f r e m d e n Staates dasselbe Schwert ziehen zu müssen, das später r u h m würdiger gegen denselben Staat zu T e u t s c h l a n d s Befreiung von fremder Gewaltherrschaft geführt wurde. D e r Unterdrücker entzog unsere H ä n d e d e m Pfluge, d e m G e werbe, d e m K u n s t f l e i ß e , u m sie t ö d t e n d g e g e n unsere B r ü d e r zu g e b r a u c h e n . Teutsche fochten gegen Teutsche i m Spanischen oder Englischen Solde, u n d Schweizer gegen Schweizer mit getheiltem Interesse. (Rigel 1 8 3 9 : 3 1 f.)

Der Krieg wird zwar nach 1808 ein wichtiges T h e m a in den Reiseberichten, aber nicht das einzige. Neben Kriegsschilderungen finden sich sehr unterschiedliche Themen: Beschreibungen der Landschaft, von einem mehr oder weniger wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, weiterhin Beschreibungen der Menschen: Aussehen, Bräuche und Sitten, Charakterzüge; Schilderung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Völkern aus Nord- und Südspanien, dem Mittelmeerraum und Kastilien; Beschreibungen und Geschichte der Sehenswürdigkeiten und der Denkmäler; Anmerkungen über Geschichte und Politik, Bildung und Erziehung, Kunst und Wissenschaft, Religion, Landwirtschaft, Industrie und Handel und vieles mehr. 3 Das positive oder negative Spanienbild während dieser Jahre hing oft von der Einstellung der Verfasser zum Krieg ab. Dieses T h e m a wurde damals auffällig häufig als Disput in Zeitschriften ausgetragen. Aber Berichte, die sich öf3

Die Berichte dieser Zeit bedürfen oft einer besonderen Verarbeitung und werden auch in vie-

len Fällen nicht zu den Reiseberichten gezählt. In diesem Fall sind Berichte gewählt worden, die nicht ausschließlich den Verlauf des Krieges schildern, sondern auch Merkmale von Land, Leute und Sitten beschreiben.

Krieg und Romantik

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fentlich für den Krieg aussprachen oder unangenehme politische Themen behandelten, unterlagen stark der Zensur. Das bewirkte, dass bis 1813, als Napoleon selbst aus Deutschland vertrieben wurde, viele der positiven Schilderungen über Spanien anonym veröffentlicht wurden. Nach Abschluss des Krieges setzt sich endgültig ein romantisches und mythisches Bild Spaniens durch, hauptsächlich durch die Literatur des Siglo de Oro und die maurische Vergangenheit geprägt. Der Schwerpunkt für europäische Reisende verschiebt sich vorzugsweise nach Süden, nachdem während des Krieges sowie in den Berichten der Aufklärung die Hauptstadt Madrid, der spanische Hof, Kastilien und das historische Umfeld eine bedeutende Rolle spielten. Für die Reisenden ist Todelo die Schnittstelle des spanischen Orients, Madrid ist zwar noch Teil der Route, aber ihr Endziel ist meistens das maurische Spanien (vgl. Wolfzettel 2003: 376-390). Für einige Jahrzehnte wird Spanien zum idyllischen Land schlechthin und in dieser Hinsicht wird besonders der Süden aufgewertet. Der Mythos, für den Andalusien steht, erscheint als ein Mythos für ganz Spanien. Dies erweist sich als ein gemeineuropäisches Phänomen. Viele der Reisen nach Spanien sind Fahrten in den Süden und nach Andalusien, die die sehenswürdigen Städte wie Granada, Cördoba und Sevilla aufwerten zu einem Mythos namens Spanien und die damit der Gipfel dieser Reisen sind (vgl. Wolfzettel 2003: l65ff.) Die europäische Literatur entdeckt das „andere Spanien", das geträumte Spanien. Das andalusische Paradies prägt die Vorstellung vom „Zauberland": Spanien rückt auf die Position des Anderen, gekennzeichnet durch die Gegenüberstellung von Orients und Okzident. Spanien wird zu einem sicheren Hafen für die abendländische Fantasie und befreit sie von dem zunehmenden Druck der Zeitlichkeit und der Modernisierung. 4 Dieses Spanienbild ist trotz alledem nicht unbedingt neu: Die Romantik übernahm viele der Vorstellungen der französischen Aufklärung und drehte die Vorzeichen um. Viele Eigenschaften Spaniens, die negativ besetzt waren, wurden jetzt als positiv betrachtet: die dürre Landschaft, das heiße Klima, die beschränkte Bildung, die spanische Leidenschaft, der katholische Glaubenseifer, und nicht zuletzt die ärmlichen Verhältnisse waren jetzt Ausdruck von Echtheit.5 Die Romantik sah 4

„Spanien rückt endgültig in die Position des Anderen ein, die durch die Stellung des Orients

zum Okzident gekennzeichnet ist. [..] Die[se] Gegenbildlichkeit eröffnet so einen realen Fluchtraum abendländischer Phantasie, die vom zunehmenden Druck der Verzeitlichung und Modernisierung entlastet. [...] Die Randstellung Spaniens wird durch die Konnotation des Orientalischen bekräftigt und positiviert und die Begegnung mit dem Land .hinter den Bergen' nimmt für lange Zeit den Charakter eines mythischen Grenzübertritts an." (Wolfzettel 2003: 376fF.) 5

Vgl. Briesemeister 1997.

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in Spanien die gelobte Vergangenheit, an der in den neuen Zeiten nicht zuletzt die Zivilisation vorbei gegangen war.6 So ist es leicht zu verstehen, dass dieses Land der Extreme, des Abenteuers, das Land der Dichter und der Träume ab 1808 ein bevorzugtes Ziel deutscher Reisender wurde. Die Jahre nach Ende des Unabhängigkeitskrieges sind politisch durch Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Absolutisten gekennzeichnet. Es sind Jahre des Kampfes gegen die Macht Ferdinands VII., der nach dem Sieg über die Franzosen im März 1814 nach Spanien zurückgekehrt war. Durch ein Dekret vom 4. Mai desselben Jahres entsagte er der Verfassung von 1812, auf die er zunächst geschworen hatte, und regierte bis zum Aufstand von Rafael del Riego im Jahr 1820 absolutistisch. Während dieser sechs Jahre (Sexenio Absolutista) wurden verschiedene liberale Aufstände, „pronunciamientos" genannt, angezettelt, die jedoch scheiterten. Ferdinands Willkür war so extrem, dass er die Unterstützung, die er aufgrund und während der französischen Besatzung von den übrigen europäischen Monarchien erhalten hatte, einbüßte. Durch den Aufstand von Riego in Cabezas de San Juan (Sevilla), der weitere Aufstände besonders im Süden Spaniens zur Folge hatte, sah sich der König gezwungen, wieder auf die Verfassung von 1812 zu schwören und diese erneut in Kraft zu setzen. Es waren alles andere als ruhige Jahre. Es kam zwischen 1820 und 1823 (Trienio Liberal) im ganzen Land immer wieder zu Aufständen und Unruhen: Die wirtschaftliche Situation hatte sich nicht verbessert, und für manche Gruppen erfolgten die Veränderungen zu langsam und gingen nicht weit genug. Die Wahlen im Jahr 1822 ergaben eine Mehrheit der extremen Liberalen, was die europäischen Monarchien als Gefahr empfanden. Die Heilige Allianz entschloss sich schließlich zu einer militärischen Intervention Frankreichs in Spanien. Nach der Invasion wurde 1823 die absolutistische Herrschaft wiederhergestellt. Rafael del Riego wurde am 7. November desselben Jahres hingerichtet und die Verfassung widerrufen. In den Jahren zwischen 1823 und 1833, die so genannte Década ominosa oder „ominöses Jahrzehnt", setzte Ferdinand VII. seine Diktatur mit repressiven Mitteln durch, und nach seinem Tod am 29. September 1833 entzündete sich der Konflikt wieder an der Frage der Thronfolge, eine Frage, die nur ein Höhepunkt der Krise in Spanien war und zu einem

6

„[...] seine Ursprünglichkeit in materiellen und geistigen Dingen, der Verzicht auf Luxus, die

Bindung an einen unerschütterlichen Glauben - all das, was noch kurz zuvor als unentschuldbare Primitivität getadelt wurde; hinzu kommt die Begeisterung für Spaniens Schmuggler, Zigeuner, Toreros, seine Banditen, die sich mit don und caballero titulieren - kurz alle jene sozialen Randgruppen, für die in der konformistischen bürgerlichen Welt kein Platz mehr war. Auch sie sind positive Gestalten, seitdem der bourgeois zum Schimpfwort wurde. Sie boten dem unbürgerlichen Romantiker und Künstler positive Identifikationsmodelle." (Tietz 1980: 36)

Krieg und Romantik

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offenen Krieg führte. Nur sechs Tage nach seinem Tod brach der erste spanische Bürgerkrieg aus, der so genannte I. Carlistenkrieg, der bis 1840 andauerte. Diese siebenjährigen Kämpfe zwischen den Anhängern der Königin-Witwe und Regentin Cristina, Vormund der unmündigen Königin Isabelle (Christinos), und des Prätendenten Don Carlos (Carlisten), richteten die Aufmerksamkeit Europas wieder auf Spanien. Zwischen 1847 und 1849 fand ein zweiter Carlistenkrieg statt und zwischen 1872 und 1876 ein dritter - zusammen mit anderen Erhebungen - , der schließlich mit der Kapitulation der Carlistischen Truppen endete.

D E R FRANZÖSICH GESINNTE D I P L O M A T : PHILIPP J O S E P H R E H F U E S

Philipp Joseph Rehfues (1779-1843) warzwischen 1806 bis 1814 als Bibliothekar und Vorleser des Kronprinzen Wilhelm von Württemberg tätig. In diese Zeit fällt seine dreijährige Reise durch Frankreich und Spanien, die als Frucht das vierbändige Werk Spanien: nach eigener Ansicht im Jahre 1808 und nach unbekannten Quellen bis auf die neueste Zeit erbrachte. Das Werk - schon 1811 von Guizot ins Französische übersetzt - wurde erst 1813 vollständig auf Deutsch veröffenlicht, doch 1808 wurden schon einige Auszüge im Morgenblatt für gebildete Stände und in anderen preußischen Zeitschriften gedruckt. Rehfues' Stellung gegenüber Spanien war skeptisch; er kritisierte viele Aspekte des spanischen Lebens und der spanischen Kultur und war der Meinung, Napoleons Eingriff sei die einzige Möglichkeit gewesen, Spanien aus dem Chaos zu retten. Der Krieg selbst war nicht das Hauptthema in seinem Werk, dessen größter Teil der Beschreibung spanischer Sitten und des spanischen Charakters gewidmet ist. Er befasst sich mit fast allen Themen: Bevölkerung, Finanzen, Bildungswesen, Wissenschaft, Zensur, Polizeiwesen, mit der spanischen Flotte, Handel und Gewerbe, den Zöllen, den Kolonien, der Landwirtschaft und dem Verkehrswesen und vielem anderen mehr. Rehfues' Schilderung Spaniens bildet eine Ausnahme in den Berichten der Zeit: Er war ein Zivilist und der Krieg traf ihn unerwartet in Spanien. Zur Zeit der Erhebung vom 2. Mai - „die Verblendung eines Volks, das in diesem Versuch eigentlich nur eine Tendenz zur Anarchie verrieth" (I: 11) - befindet er sich in Madrid und verlässt daraufhin die Hauptstadt, um nach Frankreich zurückzukehren. Rehfues reiste schon mit Vorurteilen nach Spanien, und der Aufstand gegen Napoleon verstärkte seine negativen Vorstellungen noch erheblich. Spanien habe zwar jetzt die Aufmerksamkeit Europas gewonnen, das sei ihm bewusst, aber man müsse noch warten, ob berechtigt, denn allein die letzten

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Ingrid García-Wistädt

zwei Jahrhunderte gäben Spanien keinen Anspruch auf Achtung durch andere Nationen, und noch sei der spanische Nationalstolz die erste spanische Lächerlichkeit. (I: 2 7 4 ) Weder über den Krieg noch über die Spanier wird positiv geurteilt. Besonders betont Rehfiies den spanischen Stolz: Spanier seien so stolz auf sich selbst, dass sie alles verachteten, was vom Ausland komme, gleichgültig, ob es sich um Güter oder Menschen handele. Dieses Verhalten habe Spaniens Isolierung verursacht und den Fortschritt des Landes verhindert. Der extreme Patriotismus sei nur eine negative Äußerung dieser Isolation. Diese Meinung war allerdings nicht neu, sie folgte der französischen Aufklärung, die Fanatismus, Rückstand, Unwissenheit, Grausamkeit und Aberglauben als Wesensmerkmale Spaniens ansah. Diese Nation hat in ihrem ganzen Wesen noch viel von den alten Zeiten, und erinnert in manchen ihrer Lebensweisen an die komischen Szenen Don Quixo. Wer diese langen, hagern Physiognomien, mit tiefem Ernst, und etwas verwirrter Phantasie in dem düstern Auge suchen will, muß hierher gehn. Auch wird ihm der lächerliche spanische Ernst, der sich nur durch Stiergefechte aus dem Gleichgewicht bringen läßt, auf jeder Bank begegnen. Diese finstern, in sich gekehrten Menschen, welche stille zusammensitzen, ohne ein Wort mit einander zu reden, deren einzige Bewegung in der Handhabung des papiernen Fächers besteht, die nur den Mund eröffnen, um aus dem Zigarro eine dicke Wolke in die Luft zu blasen, in dicke Mäntel eingehüllt bei der brennendsten Hitze unter denselben noch anschliessend bekleidet, und mit Gold und Silberflitter bedeckt, mit lächerlich emporstrebenden dreieckigten Hüten. Diese Menschen, welche alle andern Nationen für Juden, und die Granden von Spanien für Halbgötter ansehen - das sind die Alt- und Neukastilianer, die schon seit mehrern hundert Jahren auf ihren Lorbeeren ruhen, und sich für die edelste, geistvollste und tapferste Nation halten. (I, 208f.) Immer wieder betont er die negativen Eigenschaften der Spanier und des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens Spaniens. Als negative Merkmale akzentuiert er den Müßiggang, die Grausamkeit, die Unwissenheit, die Verachtung aller anderen Länder und vor allem den „lächerlichen" Nationalstolz. Blickt [ein Fremder] auf einer Reise über die spanischen Gränzen mit Aufmerksamkeit um sich, und sieht er besonders die Gruppen von Kastiliern an, welche müßig an seinem Wege stehen, so muß er bald bemerken, daß der Fremde hier nicht mit der Aufmerksamkeit, und noch weniger mit der Art von Bewunderung, angesehen wird, welche ihn oft in andern Ländern lächeln macht. Ist es nicht gerade ein stolzes Herabsehen, so drückt sich doch die Gleichgültigkeit gegen ihn auf eine Weise aus,

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welche zu sagen scheint: Was macht ihr auf unserm Boden? Wir brauchen euch nicht, und kommen ja auch nicht zu euch! Je weiter man in der Bekanntschaft mit dieser Nation vorrückt, desto stärker überzeugt man sich von der Wahrheit des ersten unangenehmen Gefühls, sich von ihr verachtet, oder wenigstens äußerst gering als Glied eines andern Volkes angeschlagen zu sehen. [...] Nirgends ist mir der spanische Nationalstolz stärker aufgefallen, als in ihrer Literatur, und selbst in deren unbedeutendsten Produkten. Daß jede Gelegenheit benutzt wird, die große Vergangenheit in hohen Worten zu rühmen, versteht sich von selbst; aber daß ein Schriftsteller, wenn er sich die Mühe ersparen will, einen Karakter voll Tiefe, Großmuth und Tapferkeit auszuzeichnen, ihn geradezu einen Spanier nennt, das heißt gegen andere Nationen doch gar zu ungerecht seyn. [...] Aber auch die Eitelkeit und der Hochmuth treiben einige der Früchte des wahren Stolzes, und noch heut zu Tage würde es wirken, wenn ein General seinen Soldaten vor dem Treffen nichts, als die Worte des Marquis de la Mina sagte, als er seine Truppen zur Schlacht von Olmo ermuntern wollte: meine Freunde, ihr seyd Spanier, und die Franzosen sehen euch! Selbst die letzten Ereignisse in Spanien wurden hauptsächlich durch die Benutzung des Nationalstolzes herbeigeführt. Das ewige Wort der Spanier bei dieser Veranlassung war: wir würden auf ewig entehrt seyn, wenn wir uns das gefallen ließen, und die ganze Nation schien mir in solchen Augenblicken einem alten Invaliden ähnlich, der über der Erinnerung an seine Jugend oft die jetzige Kraftloßigkeit seines Arms vergißt, und in Ehrenpunkten kützlicher ist, als er es in seiner Jugend war. (I: 272-275) Spanier bleiben gegenüber allem gleichgültig, was andere Länder leisten, o b es nun die Politik betrifft oder Fortschritte im Geistesleben; sie scheuen sich vor allem, was aus d e m Ausland k o m m t u n d verpassen daher die Fortschritte der anderen Länder. Der Spanier liebt sein Vaterland und alles Vaterländische. Ueber ihn gewinnt die fremde Mode z.B. nur eine schwache Herrschaft, und die meisten Spanier sind im Ganzen sogar mit ihren Weibern ihrer Nationaltracht getreu geblieben. Ihre Ergözlichkeiten sind, wie sie auch seyn mögen, spanisch; für sie ist ihre Sprache die Sprache der Götter, wie Karl V. sich ausdrückte; ihre Tafel ist spanisch bestellt, und weder französisch noch englisch. Sie trinken ihren vaterländischen, und keinen fremden Wein, sie lesen ihre alten Bücher, und bekümmern sich nicht viel um die Schriften ihrer Nachbarn; das kunstvollste französische Ballet wird durch den Fandango verdrungen, ein munteres nationelles Nachspiel ist der besten italienischen Oper vorgezogen. Sie achten ihre spanischen Künstler höher, als die der andern Nationen; sind lieber unter sich, als in Gesellschaft der Fremden: isoliren sich gleich-

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Ingrid García-Wistädt sam auf ihrem Vorgebirge von Europa unter allen Fortschritten der gesellschaftlichen Bildung ihres Welttheils; achten die Tiefe ihres eigenen Karakters, und fragen, wenig darnach, was man in andern Landern von ihnen urtheilt. Dieses Alles ist nun größtentheils ganz löblich und Nachahmungs werth; aber es hat auch seine Kehrseite, die diesem Lande nur zu verderblich geworden ist. Das kraftvolle Streben, in welchem sich - was nie sonst geschehen war - zu gleicher Zeit alle Nationen eines ganzen Welttheils mühten, hat Resultate hervorgebracht, die ein einzelnes Volk, auch unter den günstigsten Umständen, (welche übrigens in Spanien gewiß nicht obwalteten,) nie erreichen kann. Die andere Nationen näherten sich einander williger, tauschten ihre Fortschritte gegen einander aus, und gewannen eine Höhe, die sich für des isolirten Spaniers Auge sogar verlor. Er ist es inne geworden, daß er zurückgeblieben ist, aber sein Stolz verhinderte ihn, die wahre Ursache davon zu erkennen, welche im Haß gegen alle Neuerung, in der Abneigung gegen jede fremde Idee, und in der Anerkennung eigener Mangel liegt. Die gewöhnlichste Reform findet bei ihm die allergrößten Schwierigkeiten. Er nennt das Streben nach Verbesserung unspanisch, und fragt: ob die Nation alles das nöthig gehabt hätte, als sie die erste Rolle in Europa spielte? Freilich nicht; denn damals stand Spanien gegen die übrige Welt gerade mit so viel Licht und Kraft, als nöthig war! dabei bliebs. Was nicht steigt, sinkt in der Geschichte der Völker. Die übrigen Nationen hoben sich durch neue Strahlen, die sie zu wecken wußten, dehnten sich in bisher unbekannten Kräften aus, und Spanien verwelkte auf seinen eigenen Lorbeeren. (I: 290-293) Spanien hat für Rehfues auch Positives: den Gemeinschaftsgeist und die

Freigiebigkeit, auch wenn die Letztere nur dazu beitrage, die Faulenzerei zu fördern. So spricht er zum Beispiel über die Krankenhäuser in Madrid, die zu den vorzüglichsten in Europa [gehören]. In diesem Umstand liegt aber natürlich auch der Grund des vielfachen Mißbrauchs, [...] da sie nur zu oft der Zufluchtsort des Müßiggangs und des Lasters sind, von denen sie blos als Absteigquartiere angesehen werden, um nach einiger Ruhe- und Erholungszeit in ihnen den alten Lebensgang fortzusetzen. (I: 193) In vielen seiner Erwartungen, erzählt Rehfues, habe er sich über Spanien getäuscht, aber am meisten über seine Naturschönheiten: An Abwechslung aller Art fehlt es nicht. Nahe und ferne Gebirge, schön bebaute Hügel in Biscaja, weite, öde Ebenen in Castilien, klare Flüsse, hie und da kleine Wälder und Gebüsche - man sollte hier manche malerische Ansicht finden. Es fehlt aber im Ganzen an der witzvollen Vereinigung einer fröhlichen Vegetation mit den großen Massen, und ich habe nur die großen Aussichten auf weite Thäler, wie sie

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von Schneebergen begränzt sind, schön gefunden. Hier und da hat ein einzelner Ort eine pittoreske Lage, wie z. B. Buitrago, das auf den beiden hohen Ufern eines Flusses erbaut, und durch eine kühne Brücke verbunden ist. Ein verfallenes Kastel erhebt die Gunst der Natur, und bereitet zu der schönen Aussicht, welche sich von der Höhe in eine abwechslungsreiche Ebene, mit mannichfach gestalteten Gebirgsgränzen eröffnet. Die Mittagssonne, in der ich diese Gegend beleuchtet sah, hatte die Luft über dem vielen Felsengrund derselben dermaßen erhitzt, daß sie gleichsam zu einem zauberischen, bläulichen Flor wurde, der viele schöne Stickereien bedeckt, und mehr errathen, als wirklich sehen läßt. (I: 90f.) Was die Spanierinnen betrifft, ist er sich ihrer Schönheit bewusst und bestreitet sie nicht, doch er kritisiert ihren U m g a n g mit den M ä n n e r n und ihre Verfiihrungskunst, mit der sie letztendlich vom M a n n Unterwerfung fordern: Es ist nicht ganz leicht, mit Unparteilichkeit über das schöne Geschlecht zu reden. Die meisten sehen es nach ihren eigenen Erfahrungen an, und da Glück und Zufälle so viel auf diese einwirken, so ist es kein Wunder, wenn die Meinungen im höchsten Grade verschieden sind. Wer daher in Spanien geliebt hat, und dessen Liebe noch nicht erkaltet ist, ich glaube nicht, daß er anders als mit Begeisterung von den Frauen dieses Landes reden kann. Welche süsse Anmuth, die die Ruhe und die Liebe beglückte Zufriedenheit über sie ausbreitet, ausstrahlend aus einem Herzen, das in so furchtbarer Glut emporlodern kann! Welche zärtlich schwimmenden Blicke in dem Auge, das in Eifersucht Funken zu sprühen vermag, in Haß und Erbitterung zu zernichten droht! Das macht diese Weiber des Südens so unwiderstehlich hinreissend, aber sättiget auch so früh den Mann, der im Umgang mit dem andern Geschlecht nur seine Erholung sucht. Nur unter ihnen konnte die Bacchusfeier der Mänaden entstehn; aber wer nicht rasen kann, wie sie, der bleibe ihnen ja Ferne! [...] Nur das wiederhohle ich, daß die Spanierinnen an schöner Rundung der Formen und hohem Anstand wohl ihres Gleichen in Europa nicht finden dürften. Ihre ganze würdige Haltung deutet den Karakter ihrer Liebesverhältnisse an. Sie wollen nicht erobert werden, sondern erobern; nicht beherrscht werden, sondern herrschen; sie geben viel, und Alles und schnell, und erwarten dafür eine Resignation, für die kein Opfer zu schwer ist, als das ihrer eigenen Liebe. (177-179) Im L a u f e des I. Bandes, der hauptsächlich die Schilderungen über den Volkscharakter enthält, 7 bezieht sich Rehfues oft auf José Cadalsos

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Marokkani-

Der II. Band beschäftigt sich mit der spanischen Wissenschaft und Literatur, der Demogra-

phie, den Finanzen, der Landwirtschaft, dem Handel und der Industrie im Jahr 1808. Der III.

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Ingrid García-Wistädt

sehe Briefe - eine Reihe fiktiver Briefe, die ein umfangreiches Gesellschafts- und Sittengemälde Spaniens im 18. Jahrhundert entwerfen - , um einige seiner Anmerkungen zu unterstützen, und fast am Ende zitiert er den Brief XXVI, der die Unterschiede zwischen den Provinzen und dem Charakter ihrer Bewohner schildert. Rehfues' letzte Bemerkungen widmet er der Bildung in Spanien und er kommt zu dem Schluss, dass bis zu diesem Zeitpunkt nichts für die Bildung der Spanier getan worden sei, dass der größte Teil der Bevölkerung weder lesen noch schreiben könne und dass die Regierung nichts dagegen tue, und dass es der größte Fehler des Spaniers sei, den Müßiggang für ehrenwert zu halten. Im Ganzen und trotz seiner ideologisch-politischen Einmischungen war sein Werk aber eine sehr vollständige, mit Tabellen ergänzte Beschreibung Spaniens, die von Gelehrten oft zitiert wurde und als Referenzwerk galt. Die weite Verbreitung desselben verdankte er teilweise seiner negativen Haltung Spanien gegenüber, weshalb die Zeitschriften sofort bereit waren, Auszüge und Rezensionen aus seinem Werk zu drucken, ohne sie der Vorzensur zu unterziehen, denn seine Betrachtungen entsprachen dem Spanienbild, das Napoleon in Europa verbreiten wollte. Weniger Glück hatten die Reise- bzw. Kriegsbeschreibungen, die etwas Positives über den spanischen Aufstand bemerkten oder zu enthusiastisch über das spanische Wesen sprachen.8

D E R EINFACHE SOLDAT: JOHANN CHRISTIAN MÄMPEL

Als der Krieg ausbrach, befand sich Rehfues schon in Spanien. Der Krieg war nicht der Anlass seiner Reise. Auch Johann Christian Mämpel (1792-1862) befand sich schon in Spanien zur Zeit des Volksaufstandes, jedoch aus ganz anderen Gründen. Sein Werk bezüglich der napoleonischen Kriege umfassst sechs Bücher, die anonym veröffentlicht worden: Der Junge Feldjäger im französischen Band beschreibt Spaniens Zustand im Jahr 1807 und schildert die Revolution von Aranjuez im März 1808 und den Krieg in Spanien und Portugal. Der IV. und letzte Band enthält die deutsche Ubersetzung einiger anonymen Aufsätze, die 1808 als Flugblätter in Spanien erschienen waren, sowie den vorgeschriebenen Studienplan für die spanischen Universitäten im Jahr 1807, Nachrichten über die Lebensumstände der vorzüglichsten spanischen Maler, ein Verzeichnis der Staatseinkünfte um das Jahr 1800, einen Aufsatz über den portugiesischen Dichter Franzisko Manoel mit einigen Gedichten in der Originalsprache und schließt mit einer Ubersicht der spanischen Literatur von 1800 bis 1808. 8

Der EuropäischeAufieher

(1806) und der Europäische Beobachter (1808) wurden zum Beispiel

wegen ihrer kritischen Schriften gegen die Franzosen verboten (vgl. Ufer 2000: 160, 188).

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und englischen Diensten während des Spanisch-Portugiesischen Kriegs von 1806 bis 1816 enthält die drei ersten Bücher. Nach dem Erfolg dieser ersten Veröffentlichungen hat er drei weitere Bände geschrieben, diesmal über das Schicksal anderer Kameraden. Der Junge Feldjäger schildert den Krieg vom Standpunkt eines einfachen Soldaten, ohne politische Vorlieben oder Motivierung, was diese Berichte von den meisten Kriegsberichten dieser Zeit unterscheidet, die größtenteils von Offizieren stammen und ideologisch gefärbt sind. Vom Zufall bedingt hat Mämpel im Dienste der Franzosen und auf Seite der Spanier gekämpf. Die ersten beiden Bände haben Goethes Aufmerksamkeit erregt, so dass er das Vorwort für den dritten schrieb — dieser Band schildert eigentlich nicht mehr Mämpels Leben, sondern das eines Freundes und Kameraden so wie ein Vorwort für das gesamte Werk, das der zweiten Auflage von 1846 vorangestellt wurde. Goethe fand in Mämpels Schicksal ein Symbol für das Schicksal vieler anderer, denn „[...] alle Menschen, die nebeneinander leben, erfahren ähnliche Schicksale, und was dem Einzelnen begegnet, kann als Symbol für Tausende gelten. In diesem Sinne nun kommt mir das gegenwärtige Büchlein lesens- und bemerkenswerth vor." (IV) Mämpel erweist sich als ein guter Beobachter und seine Beschreibungen sind sehr genau. Er war 16 Jahre alt, als er zufällig in die Hände der französischen Werber geriet (I, 17f.), ohne zu wissen, wohin sich die Truppen begaben. Am 13. Januar 1808 betraten sie spanisches Gebiet. Mit diesen Worten beginnt das zweite Kapitel: W i r waren sehr begierig nun endlich die Nation kennen zu lernen, die man uns mit so schwarzen Farben geschildert hatte; gleich beim Einrücken trafen wir die Bewohner der Stadt ziemlich zahlreich versammelt am Wege stehn und so konnten wir uns gegenseitig beschauen. Freilich konnten wir nicht auf den ersten Blick sehen, ob sie stolz, rachsüchtig und faul waren, wie die Franzosen sie uns beschrieben hatten, aber die Grandezza mit welcher sie dastanden, und, ohne an Arbeit zu denken, ihr Cigarro im Munde hielten, schien allerdings stolze und unthätige Menschen zu bezeichnen. (I, 62)

Als einfacher Soldat gibt es für ihn weder Wirtshäuser noch große Festessen: Läuse und Misstrauen empfangen ihn schon am ersten Abend, die Mahlzeit: Brot mit Knoblauch, Pfeffer und Baumöl. Sie tragen die Folgen des oft verwerflichen Verhaltens der vor ihnen marschierenden französischen Truppen und ihr Nachtquartier ist immer eine Überraschung:

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Ingrid Garcia-Wistädt Die Franzosen, die vor uns marschierten, mochten, des Plünderns gewohnt, ihre Raubsucht nicht länger haben bändigen können und hatten vor Vittoria zu plündern angefangen. Die Bauern hatten die Sturmglocke gezogen, um ihr Eigenthum gegen die Zudringlichen zu vertheidigen, aber sie hatten der Uebermacht weichen müssen, und als wir kamen, konnten wir nur noch die Nachzügler, welche die Häuser ausstahlen, vertreiben. In Vittoria erwartete uns das gewöhnliche spanische Nachtquartier, wir kamen in ein altes Kloster auf ein Lager, das von Flöhen, Läusen und Wanzen wimmelte; wir hatten es überhaupt hier so schlecht, daß viele Soldaten erkrankten und mehrere starben. [...] Unser Cantonirungsquartier war sieben Leguas (spanische Meilen, ohngefahr von 1 1/2 Stunde) von Vittoria in einem Franciskanerkloster, das bei einem Städtchen lag. Die Säulengänge, welche rings um den Hof herumliefen, wurden uns zum Quartier angewiesen. Hier mußten wir auf etwas Stroh wie das Vieh auf der Erde liegen und das schöne Leben dauerte drei Wochen. Zu dieser Zeit stellte sich noch ein anderes Ungemach bei dem Regiment ein, die Krätze, die mich und viele andere befiel und nach und nach zwei Drittheile von uns ergriff. Man wies uns Patienten ein eigenes Lokal im Kloster an, und der Arzt, er war ein Spanier, versuchte uns durch eine ganz verwünschte Curmethode wieder herzustellen, nämlich durch die Hungerkur. (I, 73f.) Zusammen mit zwei Kameraden verliert Mämpel Kontakt mit den voraus-

gehenden Truppen, sie verfehlen den Weg und erreichen Gegenden und Menschen, die noch keine Erfahrungen mit den französischen Truppen gehabt haben, was ihre Lage etwas verbessert. A n den Orten, w o die Franzosen schon gewesen waren, müssen sie oft für deren Untaten büßen, und sie haben ihr Leben manchmal nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. W i r trafen unterwegs mehrere von ihren Bewohnern verlassene und von den Franzosen ausgeplünderte Häuser, aber keine lebendige Seele, die uns hätte den rechten Weg angeben können, denn alle Einwohner hatten sich von den besuchten Straßen hinweg landeinwärts geflüchtet. Mehrere Stunden lang gingen wir durch eine Ebene, die gut gebaut war und schönen Wiesenwachs hatte, aber Menschen erblickten wir nirgends. Zum Glück war das Wetter angenehm und die Luft, ob wir gleich noch im Februar waren, wehte so lau, wie sie nur in den mittägigen Ländern von Europa weht. Endlich erreichten wir ein Dorf, und mit großer Freude marschirten wir hinein, aber zu unserm Entsetzen stürzten die Einwohner auf uns zu, als wollten sie uns ermorden. W i r hätten auch diesem Schicksal nicht entgehen können, denn zum Widerstand waren wir zu schwach, wenn nicht glücklicherweise der Alkalde (Schulze) des Dorfs zugegen gewesen wäre und Ruhe geboten hätte, indem er ein kleines Stöckchen unter

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dem Mantel hervorzog, welches die Bauern so in Respect setzte, daß sie augenblicklich von uns abließen und sämmdich ehrfurchtsvoll die Mützen zogen. Wir erstaunten, daß ein Stöckchen eine solche Wunderkraft besäße, unser Beschützer erklärte uns bald den Zusammenhang des Wunders. Ein jeder Alkalde, sagte er, habe ein solches Stäbchen, das überliefere ihm entweder sein Vorfahr, oder er erhalte es von Madrid; sobald es nun die Noth erfordere, Ruhe herzustellen oder irgend jemanden zu arretiren, so brauche er bloß das Stäbchen zu zeigen und zu sagen: im Namen des Königs gebiete ich Ruhe, oder im Namen des Königs verhafte ich euch, und sogleich werde seinem Befehl Folge geleistet. Dieser gute Mann führte uns in die Taberna (das Wirthshaus), aber der Wirth wollte trotz aller Bitten und Vorstellungen nichts hergeben, bis sich der Alkalde unserer hungrigen Mägen annahm und sagte: Michael, du giebst Wein und Brot so geschwind wie möglich, ohne Widerrede, oder - dabei zeigte er sein Stäbchen - ich befehle dir es im Namen des Königs. Im Augenblick hatten wir Käse, Brot und Wein; so schnell und kräftig wirkte das Stäbchen [...]. Jetzt erfuhren wir auch die Ursache des feindlichen Willkommens der Bauern: unsere Cameraden hatten nämlich im Dorfe tüchtig gezecht und nichts bezahlt; damit nicht zufrieden, waren sie in die Häuser eingedrungen, um zu stehlen; natürlich hatte dies schändliche Betragen die Bauern ausgebracht und sie wollten den Frevel der Schuldigen an uns armen Unschuldigen rächen. (I: 77-79) Auf dem Weg nach Madrid werden sie in Soria als Deserteure von den Spaniern verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Noch als Gefangene erreichen sie das lang ersehnte Aranda, wo sich die Franzosen aufhalten. Endlich glauben sie, alles überstanden zu haben, doch wieder werden sie für Deserteure gehalten und kommen abermals ins Gefängnis: [...] es waren da Deserteurs, Diebe, Mörder, ein Wahnwitziger, kurz, eine so bunte und herrliche Gesellschaft, als ich nie im Leben beisammensah [...] ob Ungeziefer oder nicht, das kümmerte uns sehr wenig, denn wir waren so voll Läuse, daß wir durchaus keinen Zuwachs zu befurchten hatten. (I, 99) Sie treffen unverhofft ihr Bataillon noch vor Madrid und erlangen endlich die Freiheit (I, 1 0 1 ) . A m 2 1 . März 1 8 0 8 rücken sie endlich in die Hauptstadt ein, und dort befindet sich Mämpel, als am 2. Mai 1 8 0 8 der „Haß der Spanier, der so lange unter der Asche geglimmt hatte, in helle Flammen aus[brach]". (I, 107) A m Ende des fünften Kapitels, mit dem der zweite Band anfängt, und nach einer langen Gefangenschaft unter den Engländern bringt ihn die Not zu dem Entschluss, bei ihnen Dienste zu nehmen. (II, 43) Als er also Monate später ein

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zweites Mal nach Spanien ging, hat er gegen die Truppen gekämpft, zu denen er am Anfang gehörte. In diesem zweiten Band widmet er nur einen kleinen Teil seinem Aufenthalt in Spanien und am Ende desselben erzählt er seine Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1816. Mämpel verfasst keine ausführlichen Beschreibungen der Landschaft; hauptsächlich schildert er Anekdoten und Begegnungen mit dem Volk, den Lebensbedingungen der Spanier und ihr Verhalten den Truppen gegenüber. Die Leute, die er trifft, leben selbst in Not und ärmlichen Zuständen und verwenden all ihre Kunst, um zu überleben. Die Spanier, an so hohe Tabakspreise gewöhnt, hatten sich eine sparsame Art des Rauchens erwählt, nämlich fünf bis sechs Personen rauchten an einem und demselben Cigarro, deren sie 20 bis 30 aus einem Lothe verfertigen; der erste thut ein paar Züge, behält den Rauch im M u n d und giebt ihn später, wenn er seinem Nachbar den Cigarro überlassen hat, durch die Nase wieder von sich, und so geht derselbe Cigarro Reihe um. (I: 70f.)

D E R BERUFSOFFIZIER: F R A N Z XAVER R I G E L

Auch Franz Xaver Rigel (1783-1852) kämpfte im spanischen Krieg, und zwar als Offizier im badischen Dienst für die französischen Besatzungstruppen. Seine Erfahrungen in Spanien wurden in drei Bänden unter dem Titel Der Siebenjährige Kampf auf der Pyrenäischen Halbinsel von 1807 bis 1814 [besonders meinen eigenen Erfahrungen in diesem Kriege nebst Bemerkungen über das spanische Volk und Land] zwischen 1819 und 1821 veröffentlicht. Das Werk vereint zwei Themen, einerseits Landes- und Sittenschilderungen, andererseits militärische Aspekte. Mit der umfassenden Darstellung des ganzen Krieges versucht er nicht nur, seine eigenen Erfahrungen zu vermitteln, sondern dem Leser auch eine Analyse der Gesellschaft und der Kultur Spaniens zu bieten. Er sieht Spanien nicht als ein einheitliches Land, er erkennt die Unterschiede und Eigenartigkeiten der verschiedenen Provinzen, aber trotz dieser Vielfältigkeit bilden sie alle zusammen eine eigentümliche und bestimmbare Nationalität: Einige Sitten und Bräuche, eine gehobene Seelenvornehmheit, eine unzerstörbare Vaterlandsliebe und ein unzerbrechlicher außerordentlicher Nationalstolz sind gemeines Eigentum aller Spanier. Ansonsten gibt er Verallgemeinerungen und Klischees wieder, die zu dieser Zeit in Deutschland verbreitet und verankert waren.

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Um Landes- und Sittenschilderungen getrennt darzustellen, veröffentlichte Rigel 1839 unter dem Titel Erinnerungen aus Spanien „das Aufzeichnungswertheste über Sitten und Leben der Spanischen Nation so wie die Schilderungen der historisch-bedeutsamsten und geographisch-topographisch-merkwürdigsten Partieen des Landes". (1839: XI) Die Erinnerungen schildern nicht nur Land und Leute, sondern auch Rigels persönliche Eindrücke und Erfahrungen. Wenn sich seit seiner Rückkehr nach Deutschland in Spanien etwas geändert hatte, sofern es ihm zur Kenntnis kam, hat er das nach zuverlässigen Quellen in Noten oder im Text selbst angemerkt und dargestellt. Das Werk ist mit acht Abbildungen spanischer Nationaltrachten und folklorischen Szenen ergänzt. Es folgt dem selben Muster wie das vorige: Er beschreibt die Orte, Leute, Landschaft, auf die er während seines Marsches mit den Truppen stößt. Die Schilderungen der Gegenstände sind ausführlicher und mit Verweisen erläutert: Er liefert eine lesenswerte landeskundliche Beschreibung, die Flora und Fauna, Bevölkerung, Klima, Topographie, Wirtschaft, Siedlung u.a. umfasst, und die teilweise im Rahmen der geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge interpretiert werden. Die Landschaftsbilder und Skizzen aus dem Volksleben sind manchmal allgemeingültig, zeitlos und zuzeiten vom Krieg bedingt. Den Verlauf des Kampfes kann man in diesem zweiten Werk wie im ersten verfolgen, so wie die Gräuel des Krieges, aber der Aufbau der Kapitel ist unterschiedlich: sie verfugen über kein Inhaltsverzeichnis, Rigel beschreibt die Strecke und die Landschaft, und wenn sie eine neue Stadt oder Gegend erreichen, gibt er eine detaillierte Beschreibung derselben, bevor er sich um die Kriegsangelegenheiten kümmert, während beim Siebenjährigen Krieg jeder Abschnitt als erstes die verschiedenen Belagerungen, Eroberungen, Niederlagen usw. auflistet. Im Gegensatz zu Mämpel erreicht Rigel Spanien nach dem Ausbruch des Krieges — Oktober 1812 - , wobei er kaum positive Begegnungen mit dem Volk erlebt und immer wieder die Unfreundlichkeit und den Hass der Spanier gegenüber den Truppen hervorhebt. Bezüglich seiner Unterkunft in Tolosa schreibt er: Hier mußten wir uns [...] wieder in zwei Kloster einsperren lassen; kaum daß wir frisches Stroh erhielten. Es kam uns damals noch recht seltsam vor, nicht bei den Einwohnern einquartirt zu werden; allein dies war bei der Spanier unversöhnlichem Hasse gegen ihre Angreifer das sicherste Mittel, uns vor einer Sizilianischen Vesper zu bewahren. Im Laufe des Kriegs gab es keinen Ort in ganz Spanien, der Französische Besatzung hatte, worin sich nicht eine Art Fort befunden hätte, das ihr zugleich zur Kaserne so wie zur Aufbewahrung ihres Mund- und Kriegsbedarfs diente; auch

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die Armeebeamten, die Reisenden und alle Diejenigen, die mit den Franzosen oder ihren Alliirten in einiger Verbindung standen, suchten in der Gefahr ihre Zuflucht da, wo sie sich denn auch mit Vortheil vertheidigten. (1839: 37) Folgendermaßen beschreibt er seinen ersten negativen Eindruck von Spanien: Hätten wir auch nicht gewußt, daß wir uns in Spanien befanden, Yrun würden wir dennoch für keinen Französischen Ort gehalten haben, so plötzlich und auffallend fanden wir die Ansicht verändert: schlecht gebaute steinerne Häuser mit überhängenden platten Dächern, übermäßig angebrachte Balkons mit eisernen Geländern, Fenster ohne Glasscheiben, überall Armuth und Elend, überall aneckelnde Einförmigkeit, die auch auf die Kleidung, ja sogar auf die Physiognomie der Einwohner sich erstreckte. Die Züge des Spaniers dieser Gegend zeigen auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit denen seines Französischen Grenznachbars. Männer düstern Angesichts, ziemlich groß und stark, mit vollem, glänzendschwarzem Haarwuchse, in schwarze und braune Mäntel gehüllt, erregten unsere Aufmerksamkeit; noch mehr der Bauer mit seiner braunen Tuchmütze und kurzer Jacke von gleichem Stoff und gleicher Farbe, auf Sandalen einherschreitend, die Füße bis zum Knie umwunden mit grobem, wollenem, schwarz und grau gestreiftem Zeug, welcher mit Riemen aus selbst gegerbten Thierhäuten zusammegeschnürt ist, endlich mit kurzen, das Knie nicht ganz bedeckenden, ebenfalls braunen Beinkleidern und einer roth-wollenen Binde Fäxa - um den Unterleib, die ihm zugleich als Geldbörse zu dienen pflegt. Die Weiber musste man in ihren Häusern suchen, öffentlich zeigten sie sich nicht; und selbst wenn Truppen mit rauschenden Musiken die Straßen durchzogen, war es in den ersten Zeiten unseres Erscheinens ein sehr seltener Fall, daß man sie auf den Balkons erblickte. Nicht einer von uns verstand damals Spanisch, noch weit weniger aber Baskisch; aber soviel konnten wir wohl merken, daß man uns keine Lobrede hielt. Was in des Spaniers Seele vorging, verrieth sich immer deutlich auf seinem gelblich blassen Gesichte, so wie es denn überhaupt seinen Geberden leicht anzusehen ist, was er sagen will. Die Natur hat diesem Volke vor andern — wenigstens vor den nördlicher wohnenden Europäern — die Gabe verliehen, sich durch Zeichen besonders verständlich zu machen, indem es sich statt des Mundes der Hände, Füße und Augen zu bedienen pflegt." (1839: 34f.) Er verurteilt aber nicht das M i s s t r a u e n u n d das Verhalten der spanischen Bevölkerung, denn er ist sich nicht nur der Gräueltaten vieler französischer Soldaten bewusst, sondern erkennt auch sich selbst als Eindringling. W i e folgt beschreibt er das Verhalten einiger Soldaten in Portugalete (Bilbao):

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Berauscht von Wein, Rum oder Arrak schändeten sie Weiber und Mädchen, warfen wehrlose Greise mit barbarischer Grausamkeit nieder, beraubten sie, legten Feuer in die prächtigsten Gebäude, plünderten, verdarben das schönste Hausgeräth, zerschlugen Fässer wie sonstige mit den feinsten Weinen gefüllte Gefäße und stürzten die Fliehenden in die tobende Flut. Die Lager glichen einem Trödelmarkte; kostbare Betten und unschätzbares Hausgeräth, Mönchskutten und Weiberröcke, Meßgewänder und anderer Kirchenornat, Guitarren, Küchengeschirr, Hemden, Betttücher, Leinwand, volle und zerschlagene Flaschen und tausend andere Sachen lagen in bunter Mischung durcheinander. (1839: 44) Vom Baskenland marschieren die Truppen über Kastilien Richtung Madrid, und bevor sie Madrid erreichen, widmet er in den Erinnerungen

ein ganzes Ka-

pitel — „Einiges über Spanien und das Spanische Volk im Allgemeinen so wie über den Charakter der Einwohner" (1839: 102f.) - der Darstellung einiger Sitten und Gewohnheiten, dem Klima und anderen Beschaffenheiten der von ihnen seit Vizcaya durchzogenen Provinzen. Der Spanier lebt in einem sehr glücklichen Klima, wiewohl es nicht allenthalben dasselbe ist. Das nahe Atlantische Meer macht im Norden die Luft feucht und kühl, und die hohen, zum Theil mit ewigem Schnee bedeckten, Cantabrischen und Pyrenäischen Gebirge verursachen öfters Frost und durchdringende Kälte. Wo sich in Castilien's Mitte am hohen Guadarramagebirge die Sonnenstrahlen brechen und Mangel an Wasser herrscht, da ist die Luft trocken, heiß, ja nicht selten sengend heiß und wird nur äusserst selten durch Regen abgekühlt; die Nächte dagegen sind frisch und besonders kurz vor Sonnenaufgang, wo fast immer ein starker Thau fällt. Der durch hohe Gebirge erschwerte Durchzug erfrischender Winde unterwirft die Witterung oft einem plötzlichen Wechsel, wodurch gefahrliche Krankheiten und besonders Schlagflüsse und tödtliche Koliken entstehen, zumal wenn der Gallego, ein schneidender Nordostwind, wehet. Die Winterkälte fühlt man kaum einige Wochen. Das Klima der Südprovinzen ist feucht und heiß, doch wird die Hitze gemildert durch die Seeluft, durch die zur Mittagszeit gewöhnlich eintretenden kühlenden Winde und die Sierra Nevada de las Alpujarras. Nur wenn der Salano, - Medina - ein glühender Südostwind, wehet, erreicht die Hitze den höchsten Grad und verursacht Schwindel, Entzündung u. s. f. Ein Glück, daß er gewöhnlich nur 1 0 - 1 2 Tage andauert. Er kommt von Afrika herüber. (1839: 107) Und am Ende dieses Kapitels und zur Vollendung seines allgemeinen Gemäldes Spaniens gibt er noch eine kurze „Schilderung des Spanischen Nationalcharakters in seinen Hauptzügen":

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I n g r i d Garcia-Wistädt So sehr sich die Spanier nach ihren verschiedenen Abstammungen in ihren Sitten und Gebräuchen unter einander unterscheiden; so sind sie doch fast insgesammt eifersüchtig, üppig-schwärmerisch, wollüstig, grausam, unversöhnlich, argwöhnisch, empfindlich, stolz auf Rang, Geburt und Glaube, hochmüthig, verschlossen und abergläubisch. Dagegen darf man Mäßigkeit, Treue, Standhaftigkeit, edeln Trotz, Freiheitssinn, Gleichgültigkeit gegen äußere Güter, G r o ß m u t h , Ehr- und Vaterlandsliebe, Verschwiegenheit und Gutherzigkeit gegen Fremde Nationaltugenden des Volkes nennen. Hierzu n e h m e man den hohen Ernst, der dem Spanier, besonders den Männern in den höhern Ständen, eigen ist, eine von allem Flatterhaften entfernte Lebhaftigkeit, eine feuerige und doch durch kalte Ueberlegung gezügelte Einbildungskraft, und man hat, wenigstens in seinen Hauptzügen, das Bild des Spanischen Nationalcharacters. (1839: 124) W i e in d e n m e i s t e n R e i s e b e r i c h t e n v e r d i e n e n d i e F r a u e n b e s o n d e r e A u f -

m e r k s a m k e i t , wie die f o l g e n d e B e s c h r e i b u n g der Kastiiierinnen zeigt. In Bezug a u f d e r e n ( v e r m e i n t l i c h e ) L e i d e n s c h a f t u n t e r s c h e i d e t sich Rigels D a r s t e l l u n g w e n i g v o n a n d e r e n Berichten: Die Weiber in beiden Castilien scheinen, im Vergleich mit ihren Männern, einer ganz andern Nation anzugehören. Ihre Hautfarbe ist bei weitem heller, ihr Gesicht, eirund wie bei dem männlichen Geschlecht', ausdrucksvoller. Bei einer sehr regelmäßigen Bildung findet man die Männer gleichwohl kaum leidlich, indeß die Weiber entzücken und beinahe durchgängig schön genannt zu werden verdienen. Zwar fehlt ihnen der Wangen Roth; aber ein, wennauch nicht ganz großes, doch flammendes schwarzes Augenpaar mit stark gebogenen, vollen gleichfarbigen Braunen und Wimpern läßt uns der Rosen Schmuck vergessen und fesselt mit einer Gewalt, deren jene allein selten fähig sind. N i m m t man dazu die offene flache Stirn; so gewinnt ihr Frauenblick einen Zauber, dem der Mann mit selt'nem Siege widerstreben dürfte. Ein volles schwarzes, hier und da auch dunkelbraunes Haar, bei vornehmern D a m e n mit einem großen goldnen Kamme aufgesteckt, reicht bei Bäuerinnen in zwei langen, mit buntem Band durchstochenen, Zöpfen bis zur zarten Taille herab. Der Mund, eines süßen Lächelns holder Sitz, bildet sich etwas groß durch volle purpurgleiche Lippen, hinter denen schöne Zähne in dicht geschloss'nen Reihen glänzend weiß sich zeigen. Der Hals ist schön geformt, doch hat die Brust nicht jene hohe üppige Wölbung der Baskinnen, sondern drängt sich mehr flach gegen die beiden Armseiten hin. Die Arme sind rund, die Hände und Füße klein, wie gedrechselt und alle Bewegungen kurz, gewandt und höchst reizend. Den Kopf aufrecht tragend, beugen sie die Schultern etwas zurück, wodurch der Busen mehr gehoben wird und der ganze Körper eine vortheilhaftere Haltung gewinnt. Das Innere entspricht völlig ihres Aeußern Zauber. Natürliche Ungezwungenheit herrscht in allen

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ihren Handlungen, Witz und Ausdruck in allen ihren Gesprächen; offen und gut, verlangen sie Aufrichtigkeit; in der Rache gekränkter Liebe aber kennen sie nicht Maaß noch Furcht. Bei einem tiefen Gefühl' ist Liebe ihrer Leidenschaften stärkste; mit Feuer und der höchsten Zärtlichkeit gepaart, wird sie nicht selten zu verzehrender Eifersucht. (1839: 135f.) Auch die Darstellung bestimmter spanischer Sitten lässt an vorige und spätere Beschreibungen denken. Das 7. Kapitel ( 1 4 1 - 2 0 7 ) der Erinnerungen

wid-

met Rigel einer vollständigen Beschreibung von Madrid; alle Sehenswürdigkeiten, Sitten und Bräuche werden ausfuhrlich geschildert. Er gibt typische Bilder wieder: die „tertulias", die „refrescos", die „Carnestoléndas", die „Castañéras" und den „Fandango". Nach der Betrachtung eines dieser sinneberauschenden Fandangos in Madrid im Coliseo de los Caños, entwarf er, von glühender Phantasie begeistert, folgende Schilderung: Gibt es eine Tugend, die sich keiner Sünde fähig wähnt; so mag sie als letzte Läuterung den Anblick einer schönen Fandängotänzerinn bestehen. Der gewaltige Strom gereizter und nachgeahmter Sinnlichkeit drohet jeden bessern Grundsatz in seine mächtigen Strudel fortzureissen, die Vernunft schweigt, die Besonnenheit verliert das Steuer, das Leben athmet glühendes Verlangen, die ganze Empfindung löst sich in berauschende Wollust auf. Nie hat der Verfasser etwas gesehen, wodurch das Herz mehr bestürmt würde, und man möchte ausrufen: Einem Fandango beiwohnen und dann sterben! Dieser Feentanz, wenngleich im Beginne einförmig, schreitet bis zu den lebhaftesten Bewegungen fort und ist in der Mannigfaltigkeit seiner Nuancen von glühender Leidenschaftlichkeit und Furcht über alle Vorstellung erhaben. Ein ungetheilt' Entzücken bemächtigt sich mit solcher Gewalt aller Zuschauer, daß sie, von gleicher Lust ergriffen, wie die Tanzenden selbst, durch die Macht eines geheimen Zaubers unwillkührlich alle Bewegungen mitmachen; jede Nerve zuckt von heißem Triebe, jedes Auge rollt in verzehrendem Feuer, die Jungfrau wie den Jüngling erfüllt ein nie gekanntes Sehnen, und selbst des Greises matter Brust entschlüpft ein leiser Seufzer als Erinnerung an froh verlebte, nie wiederkehrende, Tage. (1939: 197f.) Von Madrid geht der Weg weiter nach Extremadura, Toledo, Alcalá de Henares, Guadalajara und wieder Richtung Norden bis nach Vitoria; Burgos, Palencia, Escorial und wieder Madrid, dann Toledo und La Mancha, wo der Verfasser dreizehn Monate verweilt, angestellt im Generalstab des französischen Divisiongenerals der Provinz, wodurch er die Gelegenheit erhält, bis nach Andalusien zu gelangen und eine ausfuhrliche Beschreibung der Mancha zu verfassen.

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Ingrid Garcia-Wistädt Besonders auffallend und interessant ist in beiden Werken der Kontrast zwi-

schen den Beschreibungen der verwüsteten Landstriche und denen jener Gegenden, die vom Krieg relativ oder gänzlich unberührt geblieben waren. Anders als in vorherigen Berichten, die nur den Anfang des Krieges referieren, werden hier die kriegerischen Auseinandersetzungen vollständig geschildert, so dass der Ablauf der Ereignisse, die zunehmende Brutalisierung und die um sich greifende Zerstörung nachvollziehbar werden. Folgender Bericht schildert den Rückzug der französischen Truppen von La Mancha nach Valencia im August 1 8 1 2 , um den König, der sein Hauptquartier in diese Stadt verlegte, zu empfangen: Aranjuez so wie seine schönen Umgebungen, besonders aber der Park und die Alleen haben indeß durch den Krieg sehr gelitten [...]. Was uns außer jenen ungesunden Ausdünstungen zu dieser schwülen Jahreszeit unser Verweilen noch mehr verleidete, war die Menge todter Körper, sowohl von Menschen als auch Pferden oder Maulthieren, welche, auf den Straßen zerstreut liegend, einen verpesteten Geruch verbreiteten [...]. Die Dörfer standen leer; die Brunnen waren entweder ausgetrocknet oder mit Unrath und Leichen angefüllt, die Lebensmittel von den entflohenen Bauern mitgenommen oder zernichtet. Der Soldat beging daher aus Mißmuth und Rache unter dem Vorwande, Nahrung zu suchen, die größten Ausschweifungen. Erbrochene Kisten und Schränke, zerstörte Häuser bezeichneten seinen Weg; und man konnte [...] nicht einmal Schranken setzen. [...] Am meisten waren die armen Spanier zu beklagen, die als Josephs Anhänger uns folgten. Ihrer harrte der sicherste Tod, sobald sie sich von den Colonnen entfernten. Dennoch überwältigte bei Vielen der Hunger selbst die mächtigste Furcht. Taub gegen jegliche Vorstellung zogen sie bald einzeln, bald in Haufe von der Straße ab nach Lebensmitteln aus; andere gaben sich, um ihr Elend früher zu enden, selbst den Tod. [...] Die Noth hatte einen solchen Grad erreicht [...]. Andere Frauen [...] hatten [...] nicht einmal Fuhrwerk oder Saumthiere; sie mußten sich daher, ihre eben gebornen Säuglinge auf den Armen, mit unsäglicher Mühe zu Fuß der Armee nachschleppen, ein Glück, wenn sich hier und da ein berittener Officier ihrer sorgend annahm. [...] Am 25. gelangten wir auf die Höhe des Passes von Fuente de la Higuera. W i e ein Feenland der Fabel die verirrten Wanderer oft wunderbar überrascht; so breitete sich plötzlich Valencia in unbeschreiblicher Majestät vor unserm staunenden Blicke aus. Ein unermeßlicher Garten lag es da, das ewig blühende, vom Mittelmeer bespült, das in blauer Ferne den unendlichen Gesichtskreis begrenzte, von zahllosen Bächen durchschnitten zur Wässerung der lachenden Gefilde, die eine üppige Vegetation mit des Frühlingsblüten und des Herbstes Früchten in bunter Mannigfaltigkeit zu, gleich bedeckt. [...] Durch das entzückende Gemälde hauchen Pomeranzen, Citronen und Accazien ihre weithin duftenden Wohlgerüche; zahlreiche, dickbelaubte

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Krieg u n d Romantik

Algarrobas*) Feigen-, Mandel- und Olivengehölze bieten erquickliche Ruhe in süßer, schattiger Umfangung; dem Matten winkt der schimmernde Granatapfel köstliche Labung zu, und hoch ragt die stolze Palme aus der baumreichen Umgebung mit goldener Krone, liebliche Früchte verheißend. Hier und da schauen von romantischen Hügeln die Trümmer alter Maurischer Größe über niedliche Dörfer hervor, sinnig die Natur an die Geschichte, die Gegenwart an die Vergangenheit knüpfend und die Wehmuth der Erinnerung in den Zauber des Genusses mischend. Tausend einzelne Wohnungen liegen zerstreut und verloren umher, die, von künstlichen Wasserleitungen umflossen und erfrischenden, kühlenden Seewinden umweht, von des Valencialiers Reinlichkeitsliebe erfreuliches Zeugniß geben. Welche Wonne uns Alle bei dem Anblicke dieses Zauberlandes faßte, kann keine Sprache schildern! Halb erstorben vor Hitze und Durst, abgezehrt von Mühe und Elend, des Hungers und der Ermattung Beute traten wir in das Reich des Ueberflusses und der Erquickung ein, wie Selige in die Wohnungen des Himmels. (1821, III: 485-489) 9 Das Ende des Krieges nahte und sie mussten das paradiesische Valencia verlassen und nach Madrid zurückkehren. Auf wenigen Seiten wird jetzt der Ablauf des Krieges geschildert, bis die französischen Truppen nach Bayonne zurück gedrängt wurden. Das Werk endet mit der Eroberung von Paris durch die verbündeten Mächte und die Befreiung der französischen Gefangenen. Im Gegensatz zu Mämpel entdeckt man in Rigel den gebildeten Berufsoffizier, und sein Werk gilt als Beispiel für orthodoxe Kriegsberichte. Rigel hat noch zwei andere Kriegsberichte über Spanien veröffentlicht: Belagerung

von

Valencia

durch die Franzosen während des Befreiungskrieges der Spanier vom Jahr 1808 bis 1814 {1824) und Kampf um Tarragona währenddes Befreiungskrieges der Catalonier von 1808 bis 1814 (1823), sowie ein Tagebuch der Operationen der Armee von Catalonien in den Jahren 1808 und 1809.

D I E ROMANTISCHE REISE: V I C T O R A I M É HUBER

Victor Aimé Huber ( 1 8 0 0 - 1 8 6 9 ) , Literaturhistoriker und Sozialreformer, reiste nach Spanien während des sogenannten „Trienio Liberal" ( 1 8 2 0 - 1 8 2 3 ) . Huber, beseelt von den Idealen des Liberalismus, war von den gesellschaftlichen und politischen Zuständen in Deutschland enttäuscht, und der liberale Aufstand von Rafaël del Riego im Jahr 1 8 2 0 veranlasste ihn im Herbst 1 8 2 1 , selbst nach

*) Johannisbrotbäume ' V g l . Rigel 1839: 315-318.

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Spanien zu fahren - in jenes mythische Land, das für seine Freiheit gekämpft hatte, ein Land, das Huber ohnehin kulturell begeisterte. Er verbrachte dort anderthalb Jahre, meistens in Madrid und zum Teil auch in den großen Städten des Südens. Darauf dichtete er seine dreibändigen Skizzen aus Spanien (18281833), mit denen er eine der bedeutendsten romantischen Reiseschilderungen Spaniens schuf. Huber hatte sich für den Gedanken begeistert, auf Seiten der Liberalen an den Kämpfen teilzunehmen. Nach dem Wiener Kongress hatte sich die Lage Europas keineswegs verbessert, und besonders Deutschland war wieder zu den alten Zuständen zurückgekehrt. Spanien dagegen war den vor-aufgeklärten Idealen treu geblieben, und das frühere negative Bild des Landes unter den französischen Aufklärern wurde jetzt von den neuen Reisenden positiv bewertet.10 Bei Huber vereinigen sich literarische und soziopolitische Interessen, und sein Werk spiegelt die ideologische und kulturelle Stimmung, die aufgrund der napoleonischen Kämpfe und der Unabhängigkeitskriege entstanden war. (Briesemeister 2009: 131) Seine Skizzen haben unbestreitbar ein politisches Interesse und vermitteln in Romanform ein lebenstreues Bild davon, wie man in Spanien fühlte und dachte. Hubers Interesse war aber nicht ausschließlich politisch motiviert: mit romantischem Eifer hatte er die spanische Literatur studiert und später auch die Sprache erlernt. Er wollte auf seiner Reise nach Spanien auch Material für eine vollständige und angemessene Beschreibung des Landes sammeln. Seine Absicht war es, ausschließlich die Wirklichkeit zu schildern. Alle Personen, Charaktere, Sitten, Absichten und Leidenschaften, Landschaften, Städte und Gebäude, die er dem Leser präsentiert, hat er selbst in Spanien gesehen oder miterlebt, er war selbst Zeuge von Begebenheiten oder war von anderen Augenzeugen unmittelbar unterrichtet worden. Die einzige Freiheit, die Huber sich erlaubte, besteht darin, dass er die Bilder so versetzte, ordnete und neu verband, dass sie ein loses Ganzes bilden, wodurch er die Schicksale einiger Personen zusammenführen konnte. Huber wählte bewusst nicht die übliche Form der Reisebeschreibung, und da er dieses „lose Ganze" eine Folge von Skizzen nannte, war er auch den Verbindlichkeiten des Romanautors nicht verpflichtet (I: VI, VII). Seine Skizzen schildern keine Helden, nur „unbedeutende Individuen", die es dem Leser erleichtern sollen, Geschichte und Schicksale der Spanier zu erken-

10

Spanien galt in der deutschen Hispanistik lange als ein Land ohne Aufklärung und die Py-

renäen als Scheide der Kultur, als eine Barriere der aufgeklärten Welt, ein Klischee, das sich im 18. Jahrhundert schon durchgesetzt hatte. (Vgl. Jüttner 1992)

Krieg und Romantik

189

nen. In seinen Worten sollen diese Skizzen „einen Beitrag zur Kenntnis eines der merkwürdigsten, und dennoch vielleicht am wenigsten gekannten Landes und Volkes [...] geben". (I: X) Huber verbindet „Landschaft, Geschichte und Sage mit den Geschehnissen und Gestalten der Gegenwart und versucht eine Art Physiognomie des spanischen Wesens zu geben" (Brüggemann 1956: 94), er schildert die Denkart der Bevölkerung in sehr verwirrenden Zeiten und kommt vom Individuellen auf das Typische: So erhalten seine Reiseeindrücke durch den Bezug auf das Ganze eine Art symbolische Bedeutung. „Beim Spanier, beim Südländer überhaupt, ist das subjektive Leben überwiegend", schreibt er, doch Huber meidet Klischees und Verallgemeinerungen und warnt davor, weil sie meist aufVorurteilen basieren, die die Reisenden schon mit sich bringen und die leicht die Wirklichkeit überlagern können." Er meint sogar, dass „viele Reisende Spanien nur besuchen, um [ausgerechnet] die Vorurtheile, die sie mitbringen, und etwa einzelne Erscheinungen, die sich ihnen unangenehm und wider Willen aufdrängen, mit geschlossenen Augen auszumalen". (I: XIX) Huber widmet dem gesellschaftlichen Leben einen wichtigen Teil seiner Skizzen, denn dieses sei das eigentliche Resultat des spanischen Charakters, seiner Sitten, seiner bürgerlichen und religiösen Institutionen. Darin zeige sich mehr als irgendwo sonst der Grad und die Art seiner Zivilisation, denn besonders im Süden werde der größte Teil des Tages im freien gesellschaftlichen Umgang zugebracht. Hierbei wirft Huber den meisten Schriften über Spanien vor, dieses gesellschaftliche Leben mit wenigen allgemeinen Redensarten abzufertigen, wenn sie es nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, obwohl die Eigentümlichkeiten, mit denen sich Spanien von andern Ländern unterscheide, auf dem gesellschaftlichen Leben beruhen, das sich „durch eine Frische, Einfachheit und Freiheit aus [zeichnet], wie sie in diesem Grade vielleicht bei keinem andern europäischen Volke gefunden wird". (I: XVI) Was seine Skizzen auch von vorigen Schilderungen Spaniens unterscheidet, ist Hubers Fähigkeit, die Sprache zu verstehen und mit den Leuten zu kommunizieren, denn wie er selbst anmerkt, ist bei den meisten Reisenden der Mangel an einer hinreichenden Fertigkeit in der spanischen Sprache ein Haupthindernis. (I: XXXII) Diese Kenntnisse kann man in den Skizzen bemerken, den Dialogen, den häufigen Ergänzungen eigentümlicher Begriffe und Wortwendungen und den zahlreichen spanischen Redewendungen, die das ganze Werk

" „Nach der allgemeinen M e i n u n g haben die Spanier dunkel-braune, finstere Gesichter, schwarze Augen... Dieses Bild passt zwar auf einzelne Theile einiger Provinzen, aber für manche andere... ist es ganz unpassend." (I: XIX)

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durchziehen, und die nicht selten fast wortwörtlich übersetzt werden, was sie seltsam erscheinen lässt, wie z. B.: „Verflucht sei die Ziege, die dich geboren!" (I: 5 9 ) oder „möchtest du vielleicht gar, daß deine Schwester fiiir dich die Kastanien aus der heißen Asche holt". (II: 2 9 6 ) Auch die religiösen Zeremonien, Rituale und Feiern beschreibt Huber sachlich, ausführlich und ehrfurchtsvoll, erklärt ihren Ursprung und übernimmt und erläutert die religiösen Verse und Sprüche, was gelegentlich zu einer Kritik an bestimmten Geistlichen führt. Folgendermaßen beschreibt er das Allerseelenfest: Auf allen Gräbern stehen Gefäße mit Getraide und Krüge mit Oel, in das Getraide aber sind dicke, brennende Wachskerzen eingepflanzt. Zwischen diesen Opfergaben knieen andächtig die Gläubigen, welche den Segen der Kirche und die Fürsprache ihrer Heiligen für die Seelen ihrer Todten in Anspruch nehmen, und unter dem feierlichen Gesang unsichtbarer Chöre wandelt der Priester, in Begleitung rauchfaßschwingender Chorknaben, von Grabe zu Grabe, Weihwasser und Segen über die Häupter der dichtgedrängten Beter ausgießend, deren dumpf murmelnde Stimme in den Pausen des Gesangs geheimnißvoll durch die Gewölbe hinrollt. Dieser Augenblick hat etwas sehr Ergreifendes, obgleich der Verstand des protestantischen Nordländers darin Stoff genug zu mißbilligenden Betrachtungen finden mag. In solchen aber kann ihn das, was darauf folgt, allerdings nur bestärken; doch darf uns das nicht abhalten, einer so eigenthümlichen Sitte zu erwähnen. Vielleicht um das Vertrauen der Gläubigen auf die Fürbitte der Kirche in ihren eignen Augen zu rechtfertigen, durch eine Hinweisung auf diejenigen Heiligen, deren Gunst wegen der Gegenwart ihrer Reliquien und wegen der besondern Verehrung, die ihnen erwiesen wird, die Kirche sich vorzüglich versichert hält - vielleicht um den Gläubigen selbst die Wahl zwischen so hohen Fürsprechern zu lassen; oder um überhaupt die Würde der Kirche in den Augen der Gemeinde, welche nicht wenig von der Zahl der Reliquien abhängt, die sie besitzt, in ihrem größten Glänze zu zeigen, und zu werkthätigen, ersprießlichen Beweisen der Verehrung aufzufordern - genug bei dieser Gelegenheit, so wie bei andern hohen Festen, werden zum Schluß der Feier dem versammelten Volk die heiligen Reliquien vorgewiesen, an denen, wie billig, die Seo von Valencia so reich ist, wie kaum irgend eine andere Kathedral in Spanien. So geschah es denn auch am Tage Aller Seelen des Jahres 18.. Nachdem die letzten Tone des Meßgesangs und der Orgel verstummt waren, entstand ein gewaltiges Drängen und Wogen der versammelten Menge nach dem Hauptaltar hin, indem auch von Aussen noch so viel Volk hereinströmte, als die Kirche nur zu fassen vermochte, und nachdem bald darauf wieder eine andächtige Stille eingetreten war, stieg ein Priester die Stufen des Altars hinan, auf dem alle die kostbaren Reliquienkasten und Kästchen der Kathedral ausgebreitet lagen, ergriff den zunächst stehenden, und indem er ihn emporhielt, sprach er langsam mit feierlicher, weitschallender

Krieg und Romantik

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Stimme: «Fromme Christen! [...].» Nachdem er diese Anrede beendet, öffnete der Priester den Kasten, wobei er durch offenbar absichtliches Zögern die athemlose, gespannte Erwartung der versammelten Menge auf's Aeußerste zu steigern wußte [...]. Ein viertes Kästlein nahm der Priester vom Altar, hob es empor und sprach: «Fromme Christen! in diesem Reliquiarium befindet sich ein Stück von dem ersten Hemde, welches unser Herr Jesus Christus getragen hat; und ist solches von seiner allerheiligsten Mutter, die unser Aller Fürsprecherin sein wolle, mit eignen Händen verfertiget worden. Gestiftet von dem edlen König Don Jayme dem Eroberer, dessen Seele bei Gott sei. Erweiset dieser heiligen Reliquie die gebührende Verehrung und singet mit mir: O Mutter Gottes, deren Hand genähet Des Herrn anbetungswerthes Hemd, Gieb, daß, genäht in deine Huld, Auch wir ihn schaun, der es einst getragen *).» Keines von allen den Herrlichkeiten, die der Priester vorgezeigt, hatte eine solche Bewegung erregt als diese, denn alle Mütter waren wohl eingedenk der wunderbaren, schützenden Eigenschaften, welche die bloße Berührung dieser Reliquie den Hemdchen ihrer eignen Kinder verleihe. Alle drängten sich ungestüm herbei mit lautem Ausruf, mit Thränen der Sehnsucht und des Entzückens. (II: 132-139) Der erste Teil der Skizzen, der in der Ausgabe von 1845 den Nebentitel Do-

lores trägt, fängt im Jahr 1822 in einer Venta in Sierra Morena an und endet mit der Uberstellung des Gefangenen Riego nach Madrid im Jahr 1823. Antonio de Lara, ein Geistlicher, der wegen seiner liberalen Ideen Spanien verlassen musste und sich zehn Jahre in Frankreich aufhielt, kehrt nach Riegos Aufstand in seine H e i m a t zurück. U m ihn, seine Verwandten - seine Schwester Dolores, seinen Bruder Esteban, seinen Cousin Christoval — und die verschiedenen Personen, die er auf seiner Reise durch Andalusien trifft, kreist die Handlung, in der jede dieser Figuren eine bestimmte Rolle in den Ereignissen der Zeit spielt. Der Z u g der Abenteuer geht über C ó r d o b a , Sevilla, Cádiz, Málaga, Granada und viele kleinere Orte. Huber beschreibt die Landschaft, die Menschen, die Sitten, die Sehenswürdigkeiten, er schildert Kriegsereignisse, Liebesgeschichten

und

Mordtaten. Gelegentlich bringt er spanische Redensarten an, lässt die Trágala (Spottlied der Liberalen gegen die Absolutisten) und verschiedene Volkslieder singen und die Zigeuner auftreten. *

Mare de deu, por qui fon prim cosida La reverent camisa del Senyor, Feu nos estar cosits en vostre amor Porque vejam aquel que l'ha vestida.

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Ingrid García-Wistädt Ramon hatte indessen seine Maulthiere eingeholt, als sie eben anfingen, langsam den Paß von Despenaperros hinanzusteigen. [...] Zu beiden Seiten der Straße erheben sich die zerrissenen Felsenzacken eines Glimmerschiefers in senkrechten Schichten, dessen rothe Farbe auffallend gegen das dunkle Grün der Stacheleichen und Pinien absticht, welche auf einzelnen Terrassen oder in den Schluchten des Gebirges wachsen. Wo diese sich hin und wieder erweitern, unterbrechen einzelne grüne Rasenplätze, von blühenden Mandelbäumen beschattet, den düsteren Charakter der Gegend. Hier weiden Viehheerden, und der gewaltige Stier der Sierra morena wetzt sein Horn an den Stämmen der Eichen, scharrt die Erde und schaut brüllend nach dem vorübergehenden Reisenden empor. Hin und wieder gewähren die Windungen der Straße noch einen Rückblick auf die rothe, kahle Ebene der Mancha [...]. Langsam näherte sich der Zug der Hohe des Passes. Es mochten wohl fünfzig Maulthiere und ein Duzzend Treiber (harrieros) sein. Die einfache Kleidung der letzteren kurze Jacken, Beinkleider bis an die Knie und lange Camaschen, alles von grobem braunen Tuch, um den Leib rothe oder blaue Binden - ehrliche, etwas plumpe, sonnenverbrannte Gesichter, endlich die eigenthümliche Mütze (montera) bezeichnete sie als Manchegos (Bewohner der Mancha). Die meisten trugen ihre Gewehre auf der Schulter, oder hatten sie an den Packsätteln der Maulthiere festgehakt. Der Mayoral unterschied sich in seiner Kleidung wenig von seinen Leuten. - Rojas und Vallejo gingen neben einander hinter dem Zuge her, und jener sang lustig eines der neuen Lieder, wie sie damals von den politischen Ereignissen in großer Zahl hervorgerufen wurden. «Unverschämter Bursche!» ließ sich plötzlich halblaut und mit einem derben Fluch eine Stimme hinter ihnen vernehmen. «Ich meine mein Pferd, laßt Euch nicht stören, Cavalleros, - sitz' ich erst wieder drauf, so sollen ihm Sporen und Zügel das Müthchen kühlen,» sprach der Unterbrecher, als die Beiden sich rasch umsahen. Er war ein hoher, wohlgebauter Mann, von sonderbar blasser Gesichtsfarbe, die durch einen kohlschwarzen Bart noch auffallender wurde. Eine hohe Stirn, fast kahler Scheitel, wenige schon ins Graue übergehende Haare, aber augenscheinlich mehr als Folge von Anstrengungen und Erfahrungen, als von Alter - eine Habichtsnase, feine, etwas zusammengekniffene Lippen - der forschende, durchdringende Blick der schwarzen, tiefliegenden Augen machte sein Gesicht zu einem von denen, die man nicht leicht wieder vergißt. Er trug eine alte Reiter-Uniform mit reichen goldenen Epaulets und Schnüren, einen hohen Hut mit rother Feder, und unter dem Arme einen schweren Kürassiersäbel; allein auch ohne dies verrieth sein ganzes Aussehen und Haltung den versuchten alten Soldaten. Er führte am Zügel einen kohlschwarzen andalusischen Hengst, der sich ungeduldig bäumte, aber auf des Herrn Zuruf ruhig und zierlich hinter ihm her schritt. - Nachdem man sich gegenseitig gegrüßt hatte, sagte Rojas: «Ihr habt da ein schönes Pferd, Herr Offizier.» «Steht Euch zu Diensten, Cavallero, - erwiederte dieser der gewöhnlichen Höflichkeitsregel in Spanien gemäß - aber - setzte er etwas spöttisch hinzu - ich darf Euch wohl gar Cammerad nennen?» - «Wie Ihr wollt, Herr! - antwortete der junge Milici-

Krieg und Romantik

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ano halb beschämt, halb beleidigt, - ich bin Sergeant bei der Nazionalmiliz von M a drid.» - «Sehr schön!» warf der Offizier leicht hin u n d das G e s p r ä c h war abgebrochen, da sie indessen a u c h den dritten R e i s e n d e n , der n a c h d e n k l i c h eine Strecke vorausgegangen war, erreicht hatten. - D i e C a r a v a n e hielt bei einem uralten Grenzstein, der Andalusien von Castilien scheidet. A u f der andalusischen Seite ist die sogenannte Sauta faz de Jaen, a u f der andern die virgen del Sagrario de Toledo eingeh a u e n * ) - die erste in A n d a l u s i e n , die zweite in C a s t i l i e n hochverehrt.

Die

Maulthiertreiber, lauter Castilianer, knieten a u f ihrer Seite des Steins u n d beteten still. D i e beiden Milicianos n a h m e n ihre Mützen ab u n d sahen ruhig zu, während zu ihrer nicht geringen V e r w u n d e r u n g ihr Reisegefährte a u f der andalusischen Seite ebenfalls niederkniete u n d betete, wobei ihn der Offizier, der sich nicht u m die Anderen und noch weniger u m den G e g e n s t a n d ihrer Verehrung zu k ü m m e r n schien, mit spöttischem Lächeln beobachtete. (I: 18-22)

Huber skizziert lässig und unbefangen glaubwürdige Bilder aus dem wirklichen Leben und entwirft so ein lebensnahes Bild Spaniens. Er zeigt die Nationalverehrung gegenüber den Geistlichen und der Kirche, die Leichtigkeit, mit der man damals aus durchaus egoistischen Gründen von einer Partei zur anderen wechselte, und wie am Ende die Uneinigkeit der Liberalen, mehr als die Kampfkraft der Franzosen, zum Scheitern des Trienio Liberal beitrug. Mit seinen Skizzen, die dem romantischen Geist am nächsten stehen, lässt er die Reiseberichte seiner Zeit über Spanien weit hinter sich. Sie vereinen historisch-politische Wahrheit mit poetischer Schönheit, und ihre Bedeutung für ein hoch entwickeltes Verständnis der spanischen Verhältnisse wurde von seinen Zeitgenossen auch erkannt, (vgl. Brüggemann 1956: 93-99) Der zweite und dritte Teil der Skizzen fanden beim Publikum allerdings weniger Beifall als der erste,12 aber laut Huber, „bieten [sie] als Schilderung nationaler Zustände mehr Interesse [...], weil sie bedeutendere Punkte und Verhältnisse behandeln", während der erste Teil hauptsächlich Skizzen des spanischen Volkslebens darstellt. (1845: VII, VIII)

*) Erstere ist das Schweißtuch der heiligen Veronica, das in Jaen gezeigt wird. Die virgen del Sagrario ist ein Muttergottesbild, das in der Kathedral von Toledo verehrt wird. 12

Der zweite Teil der Skizzen trägt den Nebentitel, Jaime Alfonso, genannt El Barbuda. Skizzen

aus Valencia und Murcia. Er beginnt mit einer langen geographischen Beschreibung Spaniens und ist zeitlich umfangreicher als der erste Teil: Die Geschichte beginnt kurz nach .der Wiederkehr König Ferdinands VII. nach Spanien im Jahr 1814 an und endet 1824. Politisch werden drei verschiedene Regierungen geschildert, die sich aber für die Personen im Werk wenig unterscheiden, weil sie von allen gleich schlecht behandelt werden. Die Reise geht hier von Madrid nach Valencia und Murcia. Die Handlung spielt hauptsächlich in Valencia und dreht sich, wie im ersten Teil, um

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D I E .LITERARISCHE' R E I S E : J O S E P H V O N AUFFENBERG

Hubers Skizzen dienten dem Freiherrn von Auffenberg als Vorbild fiiir die Darstellung seiner Spanienreise. Joseph von Auffenberg (1798-1857), Dichter und Dramatiker, ist einer der wenigen deutschen Schriftsteller, die Spanien persönlich kennengelernt haben. 1832 unternahm er eine Reise in den spanischen Süden, deren Beschreibung er in zwei Bänden unter dem Titel Humoristische Pilgerfahrt nach Granada und Kordova (1835) herausgab.13 Auffenberg hatte das Land und besonders dessen arabische Geschichte sorgfältig studiert, und zwei seiner früheren Werke spielen in Spanien: Alhambra, sein Epos in dramatischer Form (1829-30), das die Rückeroberung Granadas durch die Katholischen Könige 1492 zum Thema hat, und Die Furie von Toledo (1832), ein Roman über die Zeit der westgotischen Herrschaft in Spanien. Auffenberg wollte selbst das Land und die Leute kennenlernen, das er so begeistert studiert und über die er so enthusiastisch geschrieben hatte. Lange hat er von dieser Reise geträumt, und vor seiner Fahrt hat er eine Menge spanische Reisebeschreibungen gelesen, die „von allen möglichen gelehrten Bemerkungen wimmeln", jedoch habe ihm keine „in der Anwendung den reelen Nutzen gebracht, wie: Hubers anspruchslose Skizzen". Für Auffenberg stehe der fremde Reisende in Spanien für sich allein und müsse sich selbst helfen, und der „Pomp schulgerechter Werke" diene vielleicht „dem zu Hause bleibenden Historiker", wirke aber auf den Reisenden eher negativ, weil dieser sich aus diesen Werken ein System bilde, das er ständig ändern müsse. (1844: V) Auffenbergs humorvolle Reiseerzählung ist eins der ersten und markantesten Beispiele der Spanienreise und steht wegen der lyrischen Einlagen für die romantische Tradition der lyrischen Reise (vgl. Wolfzettel 2003: 46). Auffenberg reist als Verehrer des Spanienmythos, zu dem er selbst viel beigetragen hat, und beabsichtigt mit seiner Beschreibung,

eine Familie, in diesem Fall um die Familie des zu der Zeit bekannten, gefurchteten und bewunderten Banditen Jaime Alfonso, genannt El Barbudo, den es tatsächlich gegeben hat und mit dessen Hinrichtung das Buch schließt. Der dritte Teil trägt den Untertitel Madrid, Lisboa und die Refugiados in London. Skizzen aus der Geschichte unsrer Zeit und spielt nur teilweise in Spanien: In den beiden ersten ,Abtheilungen" werden die Taten und Schicksale des Manuel Núñez und seiner Freunde im Jahre 1822 beschrieben, und die dritte schildert den Zusammenbruch der portugiesischen Verfassung, den der Protagonist in Lissabon erlebt. 13

Diese erste Ausgabe erschien ohne Vorwort oder weitere Ergänzungen. Als 1844 der 19. Band seiner Gesammelten Bände erschien, der zusammen mit Alhambra die Pilgerfahrt enthält, hat er ihn mit einem kurzen Vorwort ergänzt.

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Krieg und Romantik

[...] durch einfache, ungekünstelte und vielleicht oft zu aufrichtige Erzählung alles dessen, was ich auf dieser Reise erlebte - den Leser angenehm zu unterhalten; und denjenigen praktisch zu nützen, welche, wie ich, in den Fall kommen, ganz allein, und nur auf sich reducirt Spanien zu bereisen. (1844: V) Die Reise wird hier zur Pilgerfahrt im Sinne der romantischen und existentiellen Suche (vgl. Wolfzettel 2 0 0 3 : 3 3 9 - 3 4 1 ) : W i e Auffenberg selbst gesteht, bereist er Spanien als „enthusiastischer Verehrer eines wahrhaft poetischen und leider todten Volkes". E r reist zum Z e n t r u m des Spanienmythos, zur maurischen Stadt Cördoba und ins „himmlische Granada, die selbst im Leichentuche noch den Schimmer ihrer alten Herrlichkeit bewahrt". ( 1 8 4 4 : VI) Laut Auffenberg berichtet seine Reise von seinen manchmal haarsträubenden und lebensbedrohlichen Abenteuern, und Spanien wird hier absichtlich nicht als objektiv gesehenes Ganzes geschildert, sondern vielmehr als O r t abenteuerlicher und dramatischer Begebenheiten (vgl. B r ü g g e m a n n 1 9 5 6 : 9 9 ) . Als wichtigstes Abenteuer dieser Reise, das gleichzeitig ein seltenes Reiseerlebnis darstellt, gilt ein Anschlag vor den Toren des „eben so schöne[n] als gefährliche[n] Valencia; die Stadt des Compeadors,

den Blumenthron der flammenden Espanna\"

(1835,

II: 5), w o er von Räubern überfallen wurde und 2 3 Dolchstiche erhielt. Auffenberg kam mit dem Leben davon und setzte zwei Monate später seine Reise fort. Es mochte 9 Uhr seyn, als wir an das Seethor kamen und es geschlossen fanden. Als wir um Einlaß baten, sagte eine heisere Stimme, wir sollten nur links hinübergehen (ä la Iz quierdatj,

dort mache man uns vielleicht noch auf, hier in keinem

Falle, denn es sey die strengste Ordre, niemanden mehr nach Thorschluß einzulassen, und wäre es S. Vicente selbst. Wir wurden nun etwas nachdenklich, folgten jedoch der Weisung und schritten der Puerto, real zu, und [...] und wie vom Himmel herabgefallen, oder aus der Hölle emporgestiegen, stand ein breitschultriger, untersetzter Kerl neben uns, ganz in der wildromantischen Tracht der Labradores, sagte mit seltsamer Demuth und unter vielen Bücklingen: „Die Caballeros

und

(Ritter)

haben sich verspätet. „O Madre de Deu! Ich auch, ich auch! Aber Chi! Chi! ich kenne die Schildwache am Thore; ich werde mit ihr sprechen, sie muß uns noch einlassen. Chi! Chi! Vamos juntos."

(Gehen wir zusammen.) Carlos brummte: „O das ver-

fluchte Meer!" In mir stieg noch kein Verdacht auf, und ich wußte, daß in Spanien Einer selten Zwei angreift. Jetzt kamen wir an die Puerta real. In ihrer Mitte ist ein langer, zwei Zoll breiter Spalt - vielleicht ein Thürchen für Contrebande-Cigarren. Durch diese Oeffnung unterhandelte nun der Labrador mit der Schildwache. „Zwei Caballeros sind da - vornehme Herren - Chi! He! Centinela! (Schildwache) Oeffnen Sie doch! Die Caballeros

sind fremd - dankbare Herren!" - „Zwei Duros (Piaster)

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Ingrid García-Wistädt gebe ich, wenn wir hineinkommen" lispelte Carlos dem Unterhändler zu; da bemerkte ich ein unwillkürliches Zucken am Letzten und eine Veränderung der Stimme; er unterhandelte nämlich fortan so, als sey es ihm nicht ernst. [...] Gleich darauf tönte es neben uns: „buenas tardes Caballeros*" (Guten Abend) und zwei andere Kerls in derselben Tracht kamen an; ein himmellanger und ein kleiner, welcher eine Bouteille voll Wein trug. „Wir sind verloren!" flüsterte Carlos - „o das verfluchte Meer!" [...] Es schlug halb 10 Uhr. [...] Nun gewahrte ich, daß die Kerls uns bereits vom Thore weg und an die große Brücke geführt hatten. [...] Unter uns brauste schon das Mittelwasser des Guadalaviar - bald standen wir jenseits - da schlug ich für den Verzweiflungsfall mein Messerchen auf und näherte mich stets seitwärts dem Kloster. Aus Leibeskräften sang ich: ,¿4mis! la matinée est bellet' Da tönte ein dreifaches, schlangenartiges Chi! Die Springfedern der Navajas knackten hell auf - und der Erste rief dumpf: ,Aura pezetas paur la povrezzaf (jetzt Geld her fiiir die Armuth.) Hell blitzte das lange Messer in der braunen Faust. Kaum fünfzig Schritte vor uns entfernt lag das Kloster [der Trinitarier], und rasend vor Muth und Verzweiflung, wagte ich's, und sprang wie ein gehetzter Stier gerade auf den Labrador los, in der Hoffnung, ihm mit dem Messer die Augen zu treffen. Aber wie vom Blitz zerschmettert, sank ich, von einem Steinwurf des Mitdern getroffen, der Länge nach zur Erde nieder. Ich war halb ohnmächtig, erwachte aber gleich - denn schon spürte ich die kalten Messer, die in meinem Leibe wühlten. Es folgte Stich auf Stich. Dieses förmliche Hinschlachten setzte mich in die unbändigste Raserei der Verzweiflung. Ich brüllte und biß mit den Zähnen um mich, wie ein wildes Thier. Alle drei waren über mich hergefallen [...]. Zeidebens werde ich diese Teufelsbilder nicht vergessen, die dunkel über mir gegen den grauen Himmel abstachen! Am entsetzlichsten kam mir die Höflichkeit des Kleinen vor, der ganz mild sagte: „Callese Vd. (schweigen Sie.) Mire Vd. la santa pobrezza! (sehen Sie da die heilige Armuth!) Schweigen Sie, lieber Herr! Das Geld, lieber Herr! O ich bitte, schweigen Sie!" und jeder Rede folgte ein Stich. (I: 148-153) Mit diesem Abenteuer und der anschließenden Rettung und Heilung des

Verfassers schließt der erste Band: Auffenbergs Beschreibung beginnt am 18. März auf der Via Mala, die Reisestationen sind Mailand, Genua, Marseille, Toulon, Barcelona und Valencia. Im zweiten Band verlässt Auffenberg Valencia und setzt seine Reise fort in Richtung Süden. Wie in fast allen Reisebeschreibungen darf die Schilderung der Ankunft und das Getümmel eines ,typischen' spanischen Wirthauses nicht fehlen. Die Posada hatte einen gedeckten und einen offenen Hof. Im ersten hielten sich die Gäste sammt der Wirthsfamilie auf, er grenzte an die Küche, der letztere an den Stall. - Hier fand ich zuerst eines der seltsamen Individuen, die ich noch oft in den

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Posaden der Dörfer und Marktflecken sah. Sie heißen schlechtweg: avuelos (Großväter), und sind entweder die Väter des Wirths oder der Wirthin, und ganz einzige Kerls; wahre travestirte Patriarchen. Sie sind halb oder ganz blind; ihre schneeweißen Haare flattern wie theatralische Lears-Perücken im Winde, um die vollen, rothen Gesichter. Sie tragen Nichts als Hemd, Hosen und Gurt, scheeren sich den Teufel um ihre Gäste, sitzen gut bedient mit einer Fliegenklatsche in ihrer Silla poltrona (Großvaterstuhl), und die halbsehenden kommandiren von ihm herab die wilden Enkel, das sämmtliche Geflügel, die Katzen, die Hunde, und mitunter halten sie auch die fremden Muchachos*) in Ordnung, zu welchem Behuf nicht selten ein ominöser Farrenschwanz neben der silla poltrona liegt. Sie präsidiren den Familien bey almuerzo (Frühstück), comida (Mittagessen) und cena (Souper) und gehen von der größten Lustigkeit schnell in Zorn über. Wenn sie Zähne hätten, könnte man sagen, sie haben Haare an den Zähnen. Oft sind sie dem Ehepaar zur Last, wenn sie blind und kindisch werden, dessen ungeachtet verpflegt man sie gut und alle ihre Bedürfnisse tragen ihren Namen, z. B. tenedor del Avuelo (Gabel des Großvaters), Cuchillo (Messer) del Avuelo etc. Sie allein haben Bestecke, die Gäste essen mit den Händen, höchstens erhalten sie einen hölzernen Löffel. Ein solches halbblindes Individuum saß im gedeckten Hofe, wehrte sich die Fliegen, und hatte eben Streit mit dem Freile (Haushahn), weil er die monjita carlita zu sehr verfolgte. Der alte Kautz hatte den Hühnerstall zu einem Nonnenkloster verkehrt; Jede Henne hatte einen Namen, bei dem er sie rief und dem Freile gab er stets die Regeln der Lebensart an. Es ist köstlich! mit welch' ächtem Volkswitz sich die niedere Klasse der Spanier in neuester Zeit oft über ihre Mönche lustig macht, ein Umstand, der mich ungemein überraschte, da ich das Gegentheil glaubte; dessen ungeachtet lassen sie ihre Seelen und ihre Familien von ihnen beherrschen, und ,Nun erklärt mir, Oerindur Diesen Zwiespalt der Natur!' - (1835, II: 1 lf.) Adolph Müllners Verse a m Ende dieses Zitates gelten auch als Beispiel für die häufigen Verweise auf literarische Werke aller Art und unterschiedlicher Herkunft, besonders Dramen, die die ganze Reisebeschreibung durchziehen. An der Intertextualität kann man den Kenner ablesen, und an der Wahl der nicht selten dialogischen oder sogar dramatischen Form den Dichter. Auffenberg verwendet diese Form absichtlich, u m seine Erfahrungen mit d e m Volk lebhafter darzustellen, u m sie zu vergegenwärtigen und von anderen Beschreibungen zu unterscheiden. Dies gilt auch für eine sonderbare Schilderung eines Stierkampfes in Valencia, den er d e m Leser wie ein komisches Schauspiel vorstellt und sich d a m i t wesentlich von anderen Autoren unterscheidet, die meist n u r entsetzt die schrecklichsten u n d *) Die jüngern Maulthiertreiber [...].

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grässlichsten A s p e k t e des K a m p f e s hervorheben, w ä h r e n d A u f f e n b e r g die gesellschaftliche D i m e n s i o n u n d das A m b i e n t e betont: Der Vorhang geht auf. Der sonnenhelle 20. Junius bestrahlt ein großes kunstvoll von Holz erbautes Amphitheater. Auf Bänken, Stühlen und in Logen (Tertulias) sitzen zehntausend Menschen. Es ist Nachmittags % auf 2 Uhr. In der Sonne sitzen die Handwerker: Fischer, Schiffer und ungefähr 2 0 0 0 res, denn von allen Dörfern der Huerta ten (d la sombra)

Labrado-

[...] ist die Menge hereingeströmt. Im Schat-

sitzen die Vornehmeren; der weibliche Blumenflor von Valencia

strahlt in Nationaltracht, reich geschmückt, in den Tertulias.

Cortejos

gehen ab und

zu mit Erfrischungen. Die Hitze ist afrikanisch [...]. Große Fässer werden auf Karren geführt und mit Hilfe von langen Lederschläuchen wird der Platz benetzt. Der Corregidor

erscheint in seiner Loge.

Viele. Viva). viva\ viva\ Andere. Chi). - Chi. - er kommt immer zu spät. Es un afrancesado!*)

-

Silencio\

carai - Chd. — CM. — Silencio\ Die Verkäufer der Erfrischungen klettern umher, mir steht einer auf dem

Kopfe. Geschrei: Orgiata\ Quien - quiere orgiatdi - (wer will) Agual Agual Fria la agua\ (frisches Wasser) - Quien, quiere agua'il Plötzliches, wüthendes Gezisch und Gepfiff. Ein flammenroth gekleideter Kampfrichter ist eingetreten, ihm folgen, in Offiziantentracht, acht Bediente mit Degen und Claque-Hüten. Er geht vor die Loge des Corregidors

und will das Kampfgesetz lesen.

Alle Labradores. Fuera\ (Hinaus!) Fuera con elcangrejol (hinaus mit dem Krebs!) Die Adeligen. Silenciol Caballeros! [...] Einige tausend strahlende Damenfächer sind in der stärksten Bewegung. Chor der Grazien. O que caloA (o welche Hitze.) [...] Der Unglückliche, dem es immer so geht, wandelt grimmig ab, ihm folgen die Offizianten.

Alle Bauern. Bien\ bien! Vayatt Ustedes? bien\ (einer mit Trompetenstimme) Ah los cuervos! (die Raben.) Großer Volkschor. Los cuervosl Malditos sean los cuervosl (Verflucht seyen die Raben!)

Der Adel, (schwitzend.) Silenciol — Caballeros\ Die Grazien. O Dios, que gente\ (Gott, welch' ein Volk!) (Es schlägt 2 Uhr vor der Kathedrale) [...]

* ) Ein französich Gesinnter.

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Die entgegengesetzte Thüre öffnet sich; unter ungeheurem: Viva', und Aplaudissement tritt die Quadrilla de Toreros (Quadrille der Stierkämpfer) ein. [...] Viva — Montes el divino\ (Es lebe Montes, der Göttliche.) Der Adel. Viva la estrella de Sevilla! (Es lebe der Stern von Sevilla!) [...] Die Matadores - auch Schwerdter (espadas) genannt — treten der Quadrilla vor; ihnen folgen die vier Banderilleros-, dann kommen sechs Capistos und Chubs mit Tüchern und rothen Fahnen; dann die Picadores zu Pferde, ganz in gelbes Leder und Eisen gehüllt, mit langen, dicken Lanzen, die oben eine drei Zoll lange, eiserne Spitze haben; mit blauen, goldverzierten Jacken und breiten, braungelben, band- und blumengeschmückten Hüten. Die ganze Quadrille ist in gold- und silberstrahlender, andalusicher Nationaltracht und gewährt einen poetisch chevaleresken Anblick. Endloses Viva!!! [...] Drei Trompetenstöße. Die 7oro-Thüre geht auf. Der Stier, Tormento, nachtschwarz und hochgehörnt, stürzt wüthend herein und geht auf den Picador Sevilla los [...]. Tormento hat den Rodriguez sammt dem Pferd umgeworfen; das letztere stirbt auf dem Platze - Rodriguez liegt todtbleich mit halben Körper auf der Brüstung — der Stier stürzt auf ihn los — ein Capistos lenkt ihn noch glücklich ab. [...] Tormento hat einen Capisto auf's Horn genommen und schleudert ihn klafterhoch. [...] Die Damen. Ai Sennor1. Ai Diosl Die Labradores. Muerto! — Carajol Bueno el Torol (der Stier ist gut!) - Bien Toro\ - —Bien\ Bienl [...] Der todtgeglaubte Rodriguez reitet auf einem andern Pferd herein [...] Tormento hat das Roß des Rodriguez wieder auf den Hörnern. Rodriguez hält sich kunstvoll im Sattel, das Pferd schlägt über, er rettet seine Brust; der Stier stürzt auf ihn, die Capistos fliegen vor - Rodriguez reißt das Pferd wieder in die Höhe, seine Eingeweide hängen ellenlang heraus; er spornt es, und das gequälte Thier hinkt - ein Bild der galloppirenden Schwindsucht, und, Blut in Strömen vergießend unter dem Reiter. [...] Das Pferd stürzt zusammen und stirbt unter wilden Zuckungen. [...] Chor. Bien Torol es bueno elToro\ bien Torito\ bien\ [...] Montes tritt als Matador \or die Loge des Corregidors. Montes. So werde ich denn mit Gottes Hilfe und unterm Schutze der heiligen Jungfrau den Stier Tormento tödten, und es lebe der König und das ganze königliche Haus! (Er wirft die Montera (Mütze) in die Luft) Chor. Viva el rey\ nuestro Sennor Fernando setteno\ (Es lebe der König, unser Herr Ferdinand VII.) (Stille tritt ein.) [...] Auf einen Stoß hat Montes den Stier sin sangue — (ohne daß das Thier Blut auswirft) getödtet, und ihm die espada bis an das Heft in den Nacken gestoßen. Tormento stürzt im edeln letzten Kampf auf die Kniee, wie ein sterbender Held. Gebrüll [...]. (1835,1: 194-201)

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Zwölf Jahre nach seiner Reise beschreibt er Spanien als ein reizendes und unglückliches Land. Seine Pilgerfahrt ist voll von Leben, Wärme und Farben; dramatisch, spannend, in einem leichten, malenden, humoristischen und ungezwungenen Stil erzählt, und seine dramatische Darstellungsform unterscheidet sich von anderen Beschreibungen. Zu bedauern ist die vielfache Verletzung der spanischen Rechtschreibung — worauf schon einige Rezensionen der Zeit hinweisen14, sowie die nicht immer treffenden Ubersetzungen des Verfassers, die trotz des Druckfehlerverzeichnisses am Ende des Werkes dem Leser ohne Spanischkenntnisse die Verständigung etwas erschweren können.

D I E SUCHE NACH SICH SELBST: IDA H A H N - H A H N

Ganz anders als bei Auffenberg ist für Ida Hahn-Hahn (1805-1880), die einzige weibliche Reisende dieser Auswahl, das Reisen eine Suche nach der eigenen Identität. Im Anderen sucht sie sich selbst. Ida Hahn-Hahn entwickelte sich zu einer der beliebtesten Autorinnen des Vormärz. Ihr Werk umfasst zahlreiche Reiseberichte, hauptsächlich in Briefform. Reisen bieten für sie Lehren und Offenbarung. Ihre Reisebriefe, 1841 erschienen, enthalten die Briefe aus ihrer Reise im selben Jahr nach und durch Spanien. Hahn-Hahns Reisebriefe sind für die Offendichkeit bestimmt. Schon im ersten Brief an ihre Mutter verspricht sie eines: sich nicht „über Gewohnheiten und Gebräuche", die ihr vielleicht seltsam und unbequem scheinen, „zu ängstigen und zu verwundern". (I: 293) Sie wird sich auch nicht an den weiblich kodierten Raum halten, ihr Interesse geht weit darüber hinaus.15 Sie beschreibt Spanien als ein fremdes und unbekanntes Land, das außerhalb Europas liegt und das von Deutschland aus offenbar schwerer zu erreichen war als Amerika (I: 291 f.), ein Land, das niemand kannte und für das sich alle interessierten. (I: III) Hahn-Hahn erreicht Spanien kurz nach dem Ende des Ersten Carlistenkrieges, in einer politisch unruhigen Zeit mit vielen Frontkämpfen und sozialen Spannungen. Obwohl der Krieg im Juli 1840 nach den letzten Kämpfen in Katalonien und im Maestrazgo endgültig zu einem Ende kam, findet Hahn-Hahn kaum Spuren der Verwüstung und Vernachlässigung vor. Die scheinbare Normalität versetzt sie in Erstaunen:

14 15

Vgl. Blätter für literarische Unterhaltung Vgl. Reinstädler/Schülting 995: 30f.

1846: 830.

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Die Felder sind bestellt; in den reinlichen weißen Häuschen der Dörfer und kleinen Ortschaften klappert der Webstuhl; die Weiber sitzen unter den Thüren und klöppeln Spitzen, die Männer treiben ihr Handwerk. Alle sehen tüchtig aus, schlank und fest von Gestalt, mit schmiegsamen Gliedern und mit einem ungewöhnlichen leichten Gang. (I: 298f.)

Katalonien ist ihre erste Station nach einer unbequemen Fahrt über die Pyrenäen, und von Barcelona aus fährt sie mit einem D a m p f s c h i f f weiter die Mittelmeerküste entlang mit Aufenthalten in Valencia, Alicante, Cartagena, Almería und Málaga - alles in weniger als einer Woche. Von Málaga nach Granada fährt sie mit der Kutsche, anschließend wieder zurück nach Málaga und weiter mit dem Schiff über Gibraltar nach Cádiz und schließlich den Guadalquivir hoch bis Sevilla. Sie kehrt zurück nach Cádiz und reist von dort in Richtung Lissabon. Ihre Rückreise aus Portugal führt wieder die Küste entlang, von Lissabon nach Gibraltar und weiter nach Barcelona, nochmals über die Pyrenäen bis nach Perpignan. Die Rolle Barcelonas im Krieg gibt ihr den Anlass, über die Geschichte der Stadt zu schreiben und zu versuchen, den Leser über die politische Lage aufzuklären. Immer wieder schiebt sie ihren eigenen Standpunkt ein, wobei sie darauf achtet, ihre eigene Meinung von dem, was ihr erzählt worden war oder was sie selbst gelesen hat, streng zu trennen, was ihr allerdings nicht immer gelingt. Trotzdem kann man nicht behaupten, sie versuche, den Leser absichtlich zu beeinflussen. Das wirkliche Spanien entspricht natürlich nicht dem Bild ihrer Phantasie, doch einiges übertrifft ihre Erwartungen, z. B., „daß das [...] vernachlässigte Spanien ein Gartenland hat [Valencia], welches in der Kultur mit der Lombardei rivalisiert und sie in der Produktion übertrifft" (I: 327). Uber ihre Ankunft in Valencia schreibt sie: Auf dem Verdeck war ich geblendet! Valencia lag, weiß wie ein Schwan auf seinem grünen Nest, auf der Ebene da, und ein Kranz von violetten Bergen, wie von Blumen rund umher, während das Blau des südlichen Himmels Vor- und Hintergrund von unvergleichlicher Transparenz bildete! Valencia! auch eins der vielen maurischen Königreiche, und gerade dasjenige, welches die Mauren durch ihre große agronomische Geschicklichkeit zu einem Eden umwandelten! Valencia! klingend von Liedern, von Romanzen, von Guitarren, duftend von Blumen, belebt von tapfern Rittern u n d schönen Frauen, von reizenden, lockenden Abenteuern der Liebe, der Leidenschaft und der Rache! Valencia! wer kennt es nicht! „Der C i d zu Valencia und im Tode," den herrlichen, königlichen Kampfpreis, den der edle Campeador durch

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Ingrid García-Wistädt sein gutes Schwert sich gewann! Das flog mir alles durch den Sinn, als ich's ins Auge faßte mit jenem freudigen, erwartungsvollen, zitternden Blick, den wir auf etwas nie Gesehenes und doch schon längst Bekanntes und Geliebtes werfen. (I: 324f.) In Valencia fasziniert sie es besonders, sich das Volk anzusehen. Uberhaupt

widmet sie der Beschreibung von Kleidung und Gebräuchen des fremden Landes einen wichtigen Teil ihrer Berichte. Am interessantesten in Valencia ist das Volk anzusehen. Zwei Typen herrschen in seiner Gesichtsbildung vor: der eine ist mohrisch, mit runden, schwarzen Augen, platter Nase, dicken Lippen; der andere ein Gemisch von nordischem und arabischem Blut, feine, bestimmte Züge, intelligenter Ausdruck, und besonders ein wunderhübscher, scharfer Schnitt von der Nase zu kurzen Oberlippe, wenn man das Profil betrachtet. Es ist eine ungeheure Verschiedenheit zwischen ihn und dem Volk im südlichen Frankreich und in Italien. Der Provenzale sieht roh und brutal aus, der Römer finster und hochmütig, der Neapolitaner fratzenhaft lebendig, der Valencianer halb ernst, halb schlau, ganz vornehm. (I: 329f.) D i e Städte, die sie auf d e m Weg von Valencia bis Málaga besucht, findet sie weniger interessant, manchmal gar enttäuschend, und greift: dann gern auf die Historie zurück: Der Anblick von Carthagena ist nicht anmuthiger als der von Alicante; derselbe Mangel an Vegetation, dieselbe schroffe, nackte Felsenformation, die hier wo möglich noch schärfer ist, da sie wie Krebsscheeren ins Meer hineingreift und Carthagena's vortrefflichen Hafen bildet, der einst für Spanien war, was jetzt Toulon für Frankreich ist: nämlich der bedeutendste für die Kriegsschiffe. Ach, jetzt ist kein einziges da. Carthaghena ist kläglich zu besehen. (I: 343f.) Carthagena ist das leibhafte Bild von Spaniens Zerfall, und zum ersten Mal ist es mir recht lebendig vor Augen getreten! Das Land, welches einst den Handel beider Indien in Händen hatte, welches die unüberwindliche Armada ausrüstete, besitzt nicht ein einziges Kriegschiff mehr und sein hauptsächlichster Handel wird durch Schmuggler gemacht. (I: 349) In zwei, drei Stunden hat man das ganze Ding inspicirt und doch am Ende nichts gesehen, denn Carthagena sieht aus wie Alicante und Almeria wie Carthagena - eins ein wenig besser oder schlechter als das andere, doch nichts von charakteristischer Verschiedenheit unter einander. (I: 367) Sie vergleicht die heutige Lage mit der Zeit der Mauren, als das Land wohlhabend und blühend war. Als Beispiel nennt sie die Ebene von Kastilien, die in

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Fülle den besten Weizen trage, den man aber an die Schweine verfüttern müsse, weil der Absatz fehle. D e r H a n d e l beschränke sich a u f die Küsten, allerdings jetzt hauptsächlich als Schmuggelhandel. D i e Autorin n i m m t die G e s c h i c h t e Cartagenas zum Anlass, die Geschichte Spaniens zu skizzieren. D e n Rest der spanischen Küste findet sie langweilig, bis sie Málaga erreicht: Die Gegend um Malaga ist reizend. Gleich hinter der Stadt wird das Land schon wellenförmig, und steigt so von Hügel zu Hügel bis in die Berge hinein, ganz allmälig, aus Blumen- und Orangengärten in Weinberge, und aus diesen in kahle Felsen. Kleine grüne Wiesen, Feigen und Maulbeerbäume, einzelne schlanke Palmen, Bouquets von Cypressen, viele verstreute Landhäuser, kühle heimliche Thäler [...] [Die Landschaft] ist ungleich schöner und mannigfaltiger als die von Valencia. (I: 374) In Málaga verlässt sie das S c h i f f und fährt mit der Kutsche weiter, Granada ist ihr Ziel. Abenteuer habe sie noch keines erlebt, so klagt sie, eine Haltung, die ihre Briefe von der restlichen Reiseliteratur unterscheidet, in der mit Vorliebe Abenteuer geschildert werden. Ironisch bemerkt sie: [...] warlich die spanischen Räuber haben es so gut wie der liebe Gott! kein Mensch sieht sie, aber Jeder glaubt fein demüthig an sie. Ich nicht mehr! ich denke, es sind so wenig Reisende in Spanien gewesen, und ihre dortigen Schicksale sind so gar nicht zu controlliern, daß sie vorgezogen haben von ihren Abenteuern mit Räubern — statt von ihrer Furcht vor denselben zu erzählen. (I: 408) D i e Fahrt, die sie genau schildert - Distanz, Verkehrsmittel, Preise, M a ß e , Unterkunft in einer Venta, die Mahlzeiten, die Landschaft, die Leute... — geht weiter in das „unbekannte, unsichere Land hinein" und führt sie in das „paradiesische Granada", eine von den Städten, die wie R o m oder Venedig einzig eigentümlich und ohnegleichen a u f der Erde sind; eine solche Fülle und Pracht von B l u m e n , besonders von R o s e n , habe sie nirgends gesehen! Kein G a r t e n , kein Fenster, kein F r a u e n k o p f o h n e R o s e n ! D i e A l h a m b r a sei natürlich die B l u m e dieses E d e n s , und ihr w i d m e t sie eine außerordentlich detallierte B e schreibung. W i e bei ihren vorigen Aufenthalten beschreibt sie auch Volkssitten und G e bräuche: D i e Spanier seien ein sparsames Volk, gutmütig, gastfreundlich und höflich trotz ihres wilden Blutes. Ihre Gastfreiheit und Z u v o r k o m m e n h e i t betont sie immer wieder, sie tun für den Fremden, was sie k ö n n e n , in Spanien stecke in den Sitten des Volkes noch der alte ritterliche Freiheitssinn, der vor sich

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und andern Achtung habe, weit entfernt von der italienischen Kriecherei und der französischen Impertinenz. Sie wundert sich, wenn ein M a n n ihr eine Blume anbietet, einfach so, das wäre in Deutschland unglaublich, die Szene würde übernatürlich albern ausfallen, der Mann impertinent aussehen und die Frau verblüfft oder verärgert. In Spanien sei die Sitte lind und leicht. Bei ganz gewöhnlichen Verhaltensweisen würde man in Deutschland denken, es handle sich um eine Hochzeit oder Ahnliches, doch in Spanien sei dies aber die alltägliche Unterhaltung, der gewohnte Brauch, und eben in der Alltäglichkeit dieser heiteren Sitten liegt für sie ein unbeschreiblicher Reiz. Folgendermaßen beschreibt sie ihren letzten Abend in Granada: Es ist unmöglich anmuthigere Manieren zu haben, als diese M e n s c h e n [...] Ich habe die D e u t s c h e n i m m e r von Verzweiflungsvoller Hölzernheit g e f u n d e n ; wie sie mir n u n Völlens jetzt v o r k o m m e n werden, davor schauert mich. [...] Übrigens war weder die M u s i k n o c h der G e s a n g d e r s e l b e n a n g e n e h m ; w e n n m a n bei uns so s i n g e n würde, so klänge es ganz gewiß sehr viel reiner u n d schöner; aber m a n singt nicht so bei uns! welch ein S k a n d a l zu s i n g e n a u f ö f f e n t l i c h e r P r o m e n a d e , unter G o t t e s freiem H i m m e l , ungenirt wie ein Vogel! Studenten dürfen sich höchstens einen solchen Exceß von M u n t e r h e i t erlauben - ach, u n d vielleicht bewahrt auch n i e m a n d bei uns über die Studentenjahre hinaus den dazu gehörenden fröhlichen Sinn. W i e denn nun sei! ich finde einen Z u s t a n d der Gesellschaft beneidenswerth, in welchem es erlaubt ist sich a u f die allereinfachste Weise zu amüsieren, zu tanzen [...] nach d e m Gekratze einer alten Geige, u n d zu singen ohne a m Flügel einen Kreis andächtig gelangweilter Z u h ö r e r zu h a b e n . Ich k a n n gar nicht a u f h ö r e n m i c h ü b e r die leichten F o r m e n des s p a n i s c h e n L e b e n s zu v e r w u n d e r n , u m so mehr, da wir uns ganz das Gegentheil vorstellen. (II: 26f.)

Das zweite Merkmal, das ihr besonders in Andalusien, aber auch damals in Katalonien, auffällt, ist die Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber der Politik und dem K a m p f um die Regierung. Das Volk sehe so ganz und gar nicht aus, als ob es sich für Revolutionen irgendeiner Art interessiere. Man sei gleichgültig, denn man wisse sehr gut, dass der Krieg nicht für die Aufrechthaltung eines großen Prinzips oder zum Besten des Landes geführt werde, sondern für den Vorteil Einzelner. D a s sei auch ihre eigene Meinung; Spanier seien nicht eitel, und gerade die Waffe der ewig verwundeten und ewig unbefriedigten Eitelkeiten bilde den Sauerteig des modernen „Revolutionismus": Mache jeden Revolutionär zum Minister, so ist er ruhig, denn er meint nun zu glänzen! Im Gegensatz zu den Deutschen seien die Spanier nicht von dieser Eitelkeit behaftet:

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Bei uns stellt man sich die Spanier vor, wie vom glühendsten Fanatismus beseelt, feurig den liberalen Fahnen folgend, oder blindgläubig dem Kreuz, das ihnen ihre Priester vorhalten. Ach Gott, welch ein Irrthum! [...] Und dann, scheint mir, ist man in Spanien der politischen Arbeiten so herzlich satt und übersatt, daß man die Dinge gehen läßt, wie sie eben wollen, und sich begnügt die Achseln zu zucken, höchsten zu murren. (II: 50)

Hahn-Hahn verlässt Granada mit dem Eindruck, dass, wenn in Spanien nichts wäre als Granada, so war es der Reisemühen wert. Sie fährt zurück nach Málaga und von dort, mit Halt bei Cádiz und Gibraltar, bis Sevilla. Sie hat es eilig, Sevilla zu erreichen, weil sie am 16. Mai beim ersten Stierkampf bzw. der ersten Corrida der Saison dabei sein will. Tatsächlich sitzt sie schließlich zwischen 14.000 Menschen, die in einem solchen Rausch von Erwartung und Spannung, einem solchen Taumel von Jubel und Freude waren, wie sie es noch nie erlebt hatte. Und gleich wieder der Vergleich mit Deutschland: So etwas ist ganz unmöglich in Deutschland; es fehlt das Temperament, es fehlt die Gelegenheit, es fehlt die uralt traditionellen Gebräuche. Und nun Völlens in Norddeutschland! Da applaudirt man mit den Fingerspitzen, da lispelt man Bravo, da existirt gar keine unbefangne Hingebung an das Amüsement. M a n hat etwas Scheues, Frostiges - ich kann's nicht beschreiben, ich merk es auch kaum, wenn ich mitten darin lebe, ich bin vielleicht ebenso; allein jedes Mal, wenn ich aus der Fremde dahin zurückkehre [...] hat's mich berührt, als ob ich aus Sonnenschein in Mondschein käme. (II: 92)

In Sevilla äußert sie sich über die Sprache, die Leute, das Theater, die Nationaltänze, den Gesang, die Himmelfahrtpromenaden und beschreibt alle Sehenswürdigkeiten: ein richtiger Reiseführer. Sevilla ist die letzte Stadt Spaniens, die sie besucht, zwar hatte sie vor, von Portugal aus den Norden zu besuchen, doch dazu hat sie keine Gelegenheit. Von Cádiz aus fährt sie bis Lissabon, verbringt einige Tage in Portugal und macht sich Anfang Juni 1841 auf den Weg nach Frankreich. Am 21. Juni, zwei Monate nach ihrer Ankunft, schreibt sie ihren letzten spanischen Brief aus Barcelona und am 21. Oktober desselben Jahres werden die Reisebriefe in zwei Bänden in Berlin gedruckt. Sie enthalten die Briefe aus Frankreich, Spanien und Portugal. Was Ida Hahn-Hahn vor allem interessiert, ist, das Leben des Volkes zu erforschen: Erstaunt und humorvoll beschreibt sie Trachten, Gewohnheiten, Sitten, sie äußert sich über die spanische Küche, die Wirtschaft, das Familienleben, und denkt dabei an die deutschen Vorurteile gegen dieses Volk, besonders zur

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Zeit des Bürgerkrieges: „Bei uns stellt man sich die Spanier vor, wie vom glühendsten Fanatismus beseelt, feurig den liberalen Fahnen folgend, oder blindgläubig dem Kreuz, das ihnen ihre Priester vorhalten. Ach Gott, welch ein Irrthum!" (II: 50) [...] wer weiß etwas von Spanien? Kein Mensch! Zwei oder drei sind da gewesen, und noch dazu als Soldaten oder Kaufleute. Die Uebrigen wissen nur das, was in Büchern davon geschrieben steht; und welches Buch ist so glückselig, zugleich einen tiefen Eindruck zu machen und ein klares auschauliches Bild zu liefern. Hab ich je gewünscht gut [darstellerisch] zu schreiben, so ist es jetzt, um Euch mindestens ein winziges Theilchen der Emotionen wiederzugeben [...] die mich bei jedem Schritt und Tritt überrumpeln. Weil dies ein Boden ist, den unsre Füße noch nicht platt getreten, ein Erdreich, das unsre Hände nicht umgegraben, ein Land, das unsre Künstler und Gelehrten noch nicht zu ihren Atelier und Studienzimmer gemacht [haben]. (II: 44)

D E R LIBERALE STANDESHERR: P R I N Z W I L H E L M ZU L Ö W E N S T E I N

Prinz Wilhelm zu Löwenstein (1817-1887) gehörte zu einer Fürstenfamilie, die sich bis auf das 15. Jahrhunder zurückverfolgen lässt; er stand längere Zeit im preußischen diplomatischen Dienst und war zwischen 1840 und 1848 an der Gesandtschaft in Lissabon angestellt. Die Abreise zweier Freunde, des Herrn von Savigny und Herrn Eintrat, bewog ihn, die beiden im Frühjahr 1845 auf einer Rundreise durch Marokkos Norden und den spanischen Süden zu begleiten. Diese Reise ergab ein Jahr später die Veröffenlichung des Reiseberichts Ausflug von Lissabon nach Andalusien und in den Norden von Marokko im Frühjahr 1845• Löwensteins Reisebericht gliedert sich in 12 Kapitel und einen Anhang mit Daten über den Handel Marokkos. Im Inhaltsverzeichnis sind die einzelnen Kapitel nach den Städten und Gegenden benannt, die er bereist hat und als eine Art Unterkapitel zählt er die Ereignisse der Reise in chronologischer Reihenfolge auf. Löwenstein verlässt am 12. März mit dem Dampfschiff Lissabon. In Bewunderung versetzt, zeigt er beim Einlaufen des Schiffes in den Hafen von Cádiz seine stark von der Romantik geprägten Erwartungen: Das Entzücken, was ich empfand, den spanischen Boden zum ersten Male zu betreten, vermag ich nicht zu beschreiben. Unsere Phantasie ist von Jugend an gewöhnt, mit diesem Lande, namentlich mit den südlichen Himmelsstrichen desselben, das Romantische und Wunderbare zu verbinden. Man vergegenwärtigt sich unwillkührlich

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das ehemals große und glänzende Reich der Mauren, ihre ritterlichen Kämpfe mit den Christen, ihre Niederlagen, ihre Verjagung. (24) M i t dem Sohn des ortsansässigen preußischen Konsuls unternehmen sie eine Stadtbesichtigung, bei der sie auch das örtliche Waisen- und Irrenhaus besuchen, die beiden Institutionen sind miteinander verbunden. Löwenstein wundert sich über die gute Fürsorge für die Waisen und die Greise, kritisiert dagegen die Umstände, unter denen die Geisteskranken leben müssen. Wir sahen auch das großartige Waisenhaus, welches mit der Irrenanstalt in Verbindung steht; eine Verbindung, die Manches zu wünschen übrig ließe. So ordentlich die kleinen Kinder gehalten zu sein schienen, da sie gut gekleidet, gut genährt und ihnen große gesunde Locale eingeräumt waren, so sehr fiel uns die Nachlässigkeit auf, mit welcher die armen Narren behandelt wurden. Die meisten von denjenigen, die man für rasend hielt, waren nur halb gekleidet, in Ketten, auf einem harten Lager oder auf dem Boden einer kleinen Zelle ausgestreckt, die mehr einem Käfige, als einer menschlichen Wohnung glich. Diese Zellen waren auf ebener Erde um einen großen Hof herum angebracht, die Thüren aller Zellen gingen auf den Hof, in welchem sich die Unschuldigen unter den Verrückten, die Schweigsamen, Tiefsinnigen, Blödsinnigen aufhielten. (30f.) Neben diesen armen Verlassenen sahen wir in einem anderen Theile des Gebäudes eine rührende Einrichtung. Eheleute, die über 70 Jahre alt waren, wurden daselbst versorgt. Jedes Ehepaar hatte sein eigenes Häuschen um einen großen gemeinschaftlichen Hof und jedes ein Waisenkind zur Pflege erhalten. In diesem Hofe sah es so still und friedlich aus, die erste Jugend und das höchste Alter waren da beisammen; und man versicherte uns, daß diese alten Leute auf ihre Pflegekinder gewöhnlich einen sehr guten und dauernden Einfluß hätten. (32) Uberhaupt wundert er sich, keine Spuren der Verwüstung des ständigen Krieges zu finden, und zwar nicht nur in Andalusien, über das schon Ida HahnHahn berichtet hatte. Es ist [Puerto de Santa Maria] ein sehr hübsches und wohlhabendes Städtchen, bei dessen Anblick, wie überhaupt bei dem aller Städte Spaniens, die ich von Andalusien bis Biscaya besucht habe, der Gedanke am wenigsten Raum finden konnte, daß dieses Land noch so eben in Revolutionen begriffen war und, mit wenig Unterbrechungen, vom Jahre 1820 bis in die neueste Zeit von Bürgerkriegen heimgesucht worden ist. Fast nirgends trifft man eine Spur der hinterlassenen Verwüstungen an. In den baskischen Provinzen fand ich gegen Ende des Jahres 1845 die Städte Mondragon und Irun und die umliegenden Dörfer, die viele Jahre lang der Schauplatz

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Ingrid Garcia-Wistädt des Krieges gewesen und mehrere Male beschossen, halb eingeäschert, eingenommen und wieder verloren worden waren, alle neu aufgebaut. Dieß sind eben so viele Beweise von dem eigentlichen Reichthume der Nation. Die Finanzen der Regierung waren allerdings oft zerrüttet und schlecht genug verwaltet, aber das Vermögen der Privaten hat unter der Last der Bürgerkriege, unter dem Drucke einer schlecht verstandenen Handelspolitik und bei dem (von den Engländern offenbar begünstigten und wohl organisirten) Schmuggelsystem viel weniger gelitten, als man es hätte erwarten sollen. (45) D i e kurze Reise Löwensteins erfordert eine genaue Auswahl der Besuche.

Wenig wird dem Zufall überlassen, nur die Unterkunft und die Verkehrsmittel. A m 17. März wollen sie nach Sevilla, um dort die Osterwoche zu verbringen, d o c h die Ü b e r s c h w e m m u n g e n des G u a d a l q u i v i r hindern sie daran. Sie entscheiden sich für eine Exkursion nach Jerez de la Frontera, wo sie d a n k eines Empfehlungsbriefes für einen der großen Weinhändler und Pferdezüchter die Möglichkeit haben, die Weinkeller und die Stallungen zu besuchen. Wir wurden sogleich zum Essen eingeladen. Zunächst mußten wir aber theils zu unserer Erholung, theils zur Befriedigung unserer Neugier die großen Keller, die mit Xeres, Pajarete und Amontillado angefüllt waren, besuchen. Anstatt aber, wie es in Deutschland geschehen müßte, viele Treppen hinabzusteigen, wurden wir durch den Hofraum in ein großes Gebäude geführt, das einer Reitbahn ähnlich sah und etwa fünfzig Fuß breit und einige hundert lang sein mochte. In einer Höhe von etwa 12 Fuß waren ringsherum Fenster angebracht, die nach der Schattenseite zu offen waren. Hier lagen Fässer an Fässer, von denen die einen ganz, andere halb gefüllt, die einen leicht zugespündet, andere es gar nicht waren. Wir mußten uns in der Mitte, wo Tisch und Stühle standen, niedersetzen und alle Sorten durchkosten, vom leichten, trockenen Amontillado und süßen Pajarete bis zum 60 und 70jährigen Xeres, der zwei Mal die Reise um die Welt gemacht hatte, wodurch bekanntlich dieser Wein weit stärker und besser wird. Wir fanden diese Proben ausgezeichnet gut und frei von Branntwein. Wir baten uns eine Preisliste aus, die ich hier im Auszuge mittheilen will. Das Faß, 600 Quart Flaschen enthaltend, guten Xeres kostet 50 Pfd. Sterling, von besserer Qualität 70 bis 80 Pfd. Sterling, von der besten Qualität 100 Pfd. Sterling, Amontillado 70 bis 100 Pfd. Sterling, Pajarete 70 bis 100 Pfd. Sterling. Die Behandlung der südspanischen, sowie auch der portugiesischen Weine ist eine ganz besondere. Sie enthalten so viele Alcoholtheile, daß der Zutritt der Luft ihnen zuträglich ist, daher muß der Ort, wo sie aufbewahrt werden, luftig sein; die Fässer werden meistens offen gelassen oder nicht bis oben angefüllt. Die wässerigen und herben Bestandtheile des Weines verfliegen dann mit der Zeit, und er wird stärker und angenehmer von Geschmack. (54f.)

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Von Jerez kehren sie spät abends zum Puerto de Santa Maria zurück, wo sie in einer Posada, die an Reinlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, aufgefordert werden, in die Küche zu treten, um sich zu wärmen. Auf dem Lande in Spanien wird man bei der kalten Jahreszeit am Heerde in der Küche empfangen, weil das der einzige Ort im Hause ist, wo man sich wärmen kann. Ein sehr großer Rauchfang, der eine freie Aussicht auf den Himmel verstattet, erhebt sich Pyramidenförmig über die darunter Sitzenden, und auf dem Heerde liegen, mit den Spitzen gegen einander gekehrt, ein Paar kleine Bäume, die je nachdem sie weiter abbrennen, zusammengeschoben werden. Wir erhielten unseren Platz am gemeinschaftlichen Feuer und die übrigen Gäste rückten ihre Holzstühle zusammen: „Es ist recht kalt heute Abend, Señor Caballero, Sie haben sich spät auf den Weg gemacht", sagte einer von ihnen. „Sie sind wohl nicht Ingles", fuhr er nach einem Weilchen fort. „Nein, wir sind Deutsche und dieser Herr ist ein Franzos." „Das wußte ich doch gleich", meinte er, „daß Sie keine Ingles seien; ein Ingles hätte sich nicht zu uns gesetzt, um das Nachtessen zu erwarten." Die Engländer haben keine Geduld und fangen immer nach einiger Zeit Streit mit dem Wirthe an. Sie haben viel dinero (Geld), das ist wahr, aber um das Leben, das sie führen, möchte ich es nicht besitzen. Wir Spanier sind zufrieden, wenn wir einige pajitos und eine hübsche muchacha haben. Wir genießen, was uns Gott giebt; ein Ingles aber ist nie zufrieden. Ich war früher Kaufmann in Gibraltar und habe viele gekannt und gute Kunden unter ihnen gehabt, aber ich konnte es dort vor Langeweile nicht aushalten. Da gab es keine corrida (Stiergefecht), keine canción andaluza, keinen bolero*), keine muchachas und mugeres (Mädchen und Frauen), wie in Cadiz." Mit diesen Worten zog er ein Büchelchen von weißem Papier aus der Tasche, riß ein Blättchen ab, schüttete aus einer Blechdose, die er bei sich führte, ein wenig Tabak darauf und rollte sich gemächlich eine Cigarrete (un pajito). Er zündete sie an einer Kohle, die er aus dem Feuer holte, an und athmete, nach spanischer Weise, den Dampf behaglich ein. Er sprach kein Wort mehr und schien im Genüsse seines pajito und der schwülen Wärme, die aus dem Kaminfeuer zu ihm drang, vertieft. (64ff.) Es scheint, als wären die Spanier ein Volk von anspruchslosen Menschen, die einfach ein wenig Unterhaltung und eine Zigarette zum Leben brauchen, denen ihre Ruhe lieber als Geld und Reichtum ist. Löwenstein fallen da die Worte eines anderen Spaniers ein, der, als jemand ihm vorschlug, er solle arbeiten, u m nicht ins drohende Elend zu geraten, antwortete: „Señor Caballero, der Mensch ist auf die Erde gesetzt worden, um nichts zu thun und u m Gott zu preisen.'", worauf Löwenstein betrachtet: „C'est le sublime du genre far niente." (66) *) Ein spanischer Tanz.

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Ingrid García-Wistädt A m nächsten Morgen fahren sie nach San Lúcar de Barrameda an der M ü n -

d u n g des Guadalquivir, um die unterbrochene Reise nach Sevilla fortzusetzen. D o r t warten sie vergebens a u f das D a m p f s c h i f f von Cádiz. Sie wundern sich über die G e d u l d der Spanier: Es ließe sich eben nicht gegen die Elemente kämpfen (74). A m nächsten Tag, am 19. März, versuchen sie es noch einmal, doch diesmal ist der Sturm zu stark. D i e Fahrt nach Sevilla ist missglückt. Sie schiffen sich ein und landen auf der Isla de León, von wo aus sie in Calessinen zurück nach C á d i z fahren und beschließen, die k o m m e n d e n Feiertage dort zu verbringen. Es ist Gründonnerstag und die erste große Prozession der Karwoche findet nachmittags statt. Löwenstein beschreibt sie in allen Einzelheiten. Voraus und hinterher ging ein langer Zug von Männern mit Wachskerzen in der Hand. Zwei Kinder, als Engel verkleidet, eröffneten den festlichen Mummenschanz [...]. Herolde und Priester im vollen Ornate folgten ihnen und umgaben das Allerheiligste; die Scenen der Leidensgeschichte Jesu waren durch Holzfiguren in Lebensgröße dargestellt, welche reich bekleidet und geschmacklos angeputzt, auf Gerüsten getragen wurden. Diese Holzfiguren, die sehr verehrt werden, sind meist im schlechtesten Geschmack ausgeführt; inzwischen werden in Sevilla und auch in Cádiz welche gezeigt, die einigen künstlerischen Werth haben. Dahin gehören namentlich die von Montagnes, einem geborenen Sevillianer, geschnitzten Figuren. Er wußte dem Holze einen Ausdruck und ein Leben zu geben, wie man es sonst nur bei Marmorstatuen antrifft. Er war in diesem Fache ein wahrer Künstler. Alle zwei- oder dreihundert Schritte setzten die Träger ihre Last nieder und der Zug hielt einen Augenblick still. Eine Militairmusik spielte einen langsamen Marsch oder eine Hymne. Dazwischen tönten in langen Zwischenräumen mit herzzerreißenden, falschen Tönen die Trompeten von Jericho, die von braunen, weißen oder schwarzen, vermummten Kerlen geblasen wurden und keine Mauern einreißen, aber ein gesundes Trommelfell zerrütten konnten. Diese Trompetenbläser hatten auf dem Kopfe eine hohe, spitze Mütze in Form einer Tüte, die ihnen das Gesicht bedeckte, dazu eine Art Domino, welcher durch einen Gürtel fest gehalten wurde. Er war je nach der Brüderschaft weiß, schwarz oder braun, wie auch die Mütze. Sie führten ihre in demselben Geschmack und in denselben Farben gekleidete Hermandad, das heißt Brüderschaft, an. Einige waren wie Schalksnarren angethan und schienen zu jedem losen Witze bereit, andere erschienen als Büßende. Hier waren Römer mit Helm und Schwert; dort Juden und Pharisäer. Pontius Pilatus erschien in eigener Person. Die Jungfrau Maria, Jesus, der Apostel Petrus waren in Lebensgröße aus Holz geschnitten. Kurz alle bei der Leidensgeschichte Jesu Betheiligten waren theils bei der gegenwärtigen, theils bei einer am darauf folgenden Morgen stattfindenden Procession entweder bildlich oder leiblich vorgestellt. Dazwischen

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wanderten die Almosensammler der Confrerien, die große Körbe empor hielten, um die von den Fenstern herabgeworfenen milden Gaben aufzufangen. (84ff.) N a c h der Beschreibung der verschiedenen Rituale u m die Passion Christi nutzt er die Gelegenheit, einen Blick auf den Zustand der katholischen Kirche in Spanien zu werfen, der nach all den politischen Umwälzungen ziemlich ungeordnet war. N a c h d e m sie die Feier der Kirchenfeste miterlebt hatten und bevor sie ihre Reise nach Marroko fortsetzten, besuchten sie Chiclana. Löwenstein beschreibt die Reise mit dem O m n i b u s in das drei Meilen von Cádiz entfernte Städtchen. In Chiclana besuchen sie den Garten eines angesehenen K a u f m a n nes, der ihn aber wenig beeindruckt, und als sie aus dem Garten in den Saal treten, begegnen ihnen mehrere Herren, die nach französischer Weise gekleidet, u m ein großes Kaminfeuer versammelt sind und ihren pajito rauchen. Unter ihnen befindet sich der Torero M o n t e s , der wegen seiner andalusischen Tracht auffällt. So beschreibt Löwenstein dieses Treffen, bei d e m M o n t e s über sich selbst und seine Profession erzählt: Es war der berühmte Montes, in andalusischer Tracht; aber nicht wie bei Stiergefechten von Kopf bis zu Fuß in Seide gekleidet. Er trug die grobe, braune Tuchjacke, welche auf Ellenbogen, Kragen und Rücken mit farbigen Sammtstecken gestickt ist, ferner die kurze, braune Tuchhose und die an den Waden offene, lederne Kamasche. Er ist von mitderer Statur, sein schöner Körperbau verräth die ihm eigene Kraft und Gelenkigkeit, sein Wesen ist schlicht und offen, seine Haltung martialisch. Er erzählte uns Verschiedenes aus seinem Leben. Ehe er als Matador auftrat, war er viel zu Schlächtern gegangen, um die Anatomie der Stiere kennen zu lernen, und hatte viel mit Hirten verkehrt, um den Charakter jener Thiere kennen zu lernen. In der Arena, meinte er, könnte oft nur die größte Kaltblütigkeit und Gelenkigkeit den Menschen retten. Zuweilen habe er mit Stieren zu thun gehabt, die, anstatt sich auf die mit der linken Hand vorgehaltene Fahne zu stürzen, auf ihn selbst eingedrungen seien. Ganz unerwartet sei ihm dieser Angriff zwar nie gekommen, denn man könne die Bewegungen, die der Stier machen wolle, vorher in dessen Augen lesen, aber oft so schnell ausgeführt worden, daß ihm nur Zeit übrig geblieben sei, den Fuß zwischen die Hörner des Stieres zu setzen und über seinen Kopf wegzuspringen im Augenblick, wo er ihn in die Luft schleudern wollte. Man habe oft geglaubt, er thue es absichtlich, er könne aber versichern, es sei immer nur gewesen, um sein Leben zu retten. Oefters habe ihm der Stier die seidene Jacke zerrissen, noch öfters habe er sich das Schnupftuch aus der Tasche ziehen lassen. Einmal sei ihm der Schenkel durch und durch gebohrt und er selbst mehrere Schritte geschleift worden. Die Matadors sterben fast nie eines natürlichen Todes; auch ist er reich genug und hat nicht nöthig

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Ingrid Garcia-Wistädt dieses gefahrliche H a n d w e r k zu treiben, aber er liebt es m i t solcher Leidenschaft, d a ß er keine corrida mit ansehen k a n n , o h n e daran Theil zu n e h m e n . (103f.)

Die Reise geht über Tarifa weiter nach Tanger. Nach einer kurzen Fahrt durch den Norden Marrokos befinden sie sich am 5. April wieder in Spanien, auf dem Weg nach Sevilla. Ihr erster Gang führt sie zur Kathedrale, „eine der edelsten und reinsten Schöpfungen des gothischen Baustyls" (228). Danach besichtigen sie den Glockenturm, die Giralda, „ein Gebäude, dessen untere Hälfte von den Mauren herstammt und ihnen einst als Minaret gedient hatte" (231), die Lonja, „das Archiv für Amerika, wo, mit den Briefen eines Christoph Columbus, eines Pizarro, eines Ferdinand Cortes angefangen, bis auf die neuesten Zeiten alle auf Amerika bezüglichen Akten und Korrespondenzen aufbewahrt werden" (233), das alte maurische Schloss Alcazar und die große Tabakfabrik mit ihren berühmten Arbeiterinnen: 16 D i e Cigarrera von Sevilla ist, wie die M a n o l a von M a d r i d , ein Typus der niederen spanischen Volksklasse. H i e r saßen sie in Gesellschaften von acht bis zehn u m r u n d e Tische b e i s a m m e n . Jede h a t t e fertige Arbeit vor sich liegen; h i n t e r d e n Etablissem e n t s waren Ständer, w o die gerollten Cigarren in Päckchen von 2 5 Stück aufgeschichtet w u r d e n , u n d daneben lagen in Körben die getrockneten Tabaksblätter, die gerollt werden sollten. H ü b s c h e Gesichter f a n d e n sich wenige; ü b e r d i e ß waren sie aus d e m S c h m u t z u n d der Nachlässigkeit des Anzuges k a u m heraus zu e r k e n n e n , aber lustig u n d keck waren diese M ä d c h e n u n d es dauerte nicht lange, so gab unser gebrochenes Spanisch ihnen Anlaß, uns auszulachen. (235f.)

Das Sehenswerteste nach dem Dom ist für Löwenstein das Museum, „reich an bedeutenden und wertvollen Kunstschätzen" (240f.). Er beschreibt Murillos Kunstauffassung und sein Leben, die Schilderung einiger Gemälde entlehnt er den Reisebriefen der Gräfin Ida Hahn-Hahn (245-250). Schon drängt die Zeit zur Rückkehr nach Lissabon. Vor seiner Abfahrt beschreibt Löwenstein noch das Theater in Sevilla und erläutert, wie wenig es besucht wird, denn die spanischen Volksbelustigungen seien anderer Natur: „Stierund Hahnengefechte, Kegel- und Wurfsteinspiele, Kirchenfeste und Spaziergänge, Musik und Tanz, das sind ihre Vergnügungen". (252f.) Er beschreibt die spanischen Tänze auf der Bühne als außerordentlich authentisch, was ihn dazu veranlasst, eine Tanzszene in einem Zigeunerhaus zu schildern: 16 Die ehemalige Tabakfabrik ist als Schauplatz von Prosper Merimees Carmen (1845), der Tabakarbeiterin, und Georges Bizets (1875) gleichnamiger Oper in die Geschichte eingegangen, und die Cigarrera Carmen entspricht dem Stereotyp der leidenschaftlichen spanischen Frau.

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Der Oberkörper hat fast bei allen spanischen Tänzen die Hauptrolle. Das ist ein beständiges Wiegen und Schmiegen, ein vor und rückwärts Biegen, Drehen und Wenden. Die spanischen Tänze sprechen zu den Sinnen lauter und deutlicher, als andere. [...] Am ausgelassensten sind die von den Zigeunern entlehnten Tänze, welche oftmals geradezu das Anstandsgefühl verletzen. Man kann diese Leute in Triana, der Vorstadt von Sevilla, so wie auch in Granada, wo deren viele wohnen, in ihrer wilden Ursprünglichkeit beobachten. Ihre quittengelben Gesichter, ihre struppigen Haare, ihre scharfen Züge und der hervorstechende Knochenbau machen sie leicht von der spanischen Race kenntlich; dabei kleiden sich die Weiber in die grellsten Farben. Im Allgemeinen sind sie häßlich [...]. (253) Wenn Jemand Abends in dem Zigeunerviertel an einem Hause vorbeigeht, aus welchem das Fiedeln einer schlechten Geige und ein harter, unmelodischer Gesang ihm entgegentönen, so kann er dreist hineintreten, sobald er nicht zu werthvolle Gegenstände bei sich fuhrt, denn die Race ist etwas diebisch. Für weniges Kupfergeld und einige Flaschen Wein wird ihm so viel vorgetanzt werden, als er nur begehren kann; je freigebiger er sich aber zeigt, desto mehr wird er angebettelt. Durch Wein und Tanz steigert sich die Lust der Tanzenden nach und nach mehr, als es dem nüchternen Zuschauer lieb sein kann. Ehe ein Tanz beginnt, trinkt jede Zigeunerin jedem Gaste zu und reicht ihm, nachdem sie selbst getrunken, ihr Glas. Dann stellen sich alle Paare in die Mitte und beginnen eine Reihe verschlungener, höchst complicirter Figuren, die mit näselndem Gesang begleitet werden. Nach diesem tanzen sie paarweise oder einzeln, indem sie von Augenblick zu Augenblick ausgelassener werden. Dabei sind ihre Bewegungen eckig und ungraziös. Als ich sie in Granada sah, stiegen zuletzt einige Mädchen, denen der Raum des Fußbodens nicht mehr genügte, auf einen großen Tisch in der Ecke des Zimmers, um auf demselben ihren Tanz fortzusetzen. (253ff.) A m 10. April tritt Löwenstein die Reise über Castillejos nach Lissabon zu Pferd an. Er besucht die verschiedenen Städte meist mit Empfehlungsbriefen und erhält dadurch Zugang zu den verschiedensten Kreisen und Privatsammlungen, so auch zum französischen Vice-Consul, der sein gesamtes Haus in eine Galerie verwandelt hat. Nur die Wahl der Unterkunft überlässt Löwenstein dem Zufall. Die Reise ist von meteorologischen Faktoren abhängig, was rasche Improvisation nötig macht. Löwenstein zeigt sich als ein guter Kenner der spanischen Geschichte. Er äußert sich über die politische Situation Spaniens, seine Kunst, die Handelsbeziehungen mit anderen Ländern, die schlechten Beziehungen zu Frankreich und England, trotz deren Versuche, mit Spanien Handel zu treiben, oder die Situation in Kuba. Er beschreibt den Mangel an ländlichen Wohnungen, denn die Bevölkerung wohne größtenteils in den Städten, das

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kahle Aussehen des südlichen Spaniens, die ungenügend befahrbaren Straßen, die die Hauptstadt des Landes mit allen Provinzhauptstädten verbinden und er konstatiert, wie die statistischen Angaben über Spanien voneinander abweichen. Er schildert den Volkscharakter der Spanier, die Unterschiede zwischen den Provinzen, wie die übrigen Spanier den Andalusiern vorwerfen, dass sie viel prahlen und wenig handeln; wie die Einwohner des nördlichen Spaniens größere Energie, Ausdauer und Festigkeit besäßen, und wie die Andalusier dagegen Charakterzüge aufwiesen, die sie überaus sympathisch machten. Löwenstein zeigt eine gewisse Abscheu vor der spanischen Küche, besonders gegen das schlechte Ol, das zu fette und stinkende Gerichte mache, sowie „die schlechte Gewohnheit, in viele Speisen Safran zu mischen, welcher ihnen einen widerlichen Geschmack giebt, und das Fleisch so auszukochen, daß es unter der Gabel in Stücke zerfällt und alles Saftes beraubt ist." Die Getränke dagegen seien empfehlenswert, aber im „Ganzen ist die spanische Kochkunst auf Weniges beschränkt." (117) Die Frauen findet er hübsch und angenehm, elegant in ihrer Haltung, pikant, ausgelassen, lustig, ungezwungen und liebenswürdig, aber sehr ungebildet.

D E R REISENDE IM V O R M Ä R Z : A U G U S T L U D W I G VON R O C H A U

August Ludwig von Rochau (1810-1873), deutscher Publizist und Politiker, entschloss sich zu einer Reise nach Spanien im Jahr 1845. Zu dieser Zeit befand er sich im französischen Exil. Wegen seiner Teilnahme am Sturm auf die Frankfurter Hauptwache 1833 wurde er zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt. Er floh nach Paris und kehrte erst 1848 nach Deutschland zurück, als die politischen Verhältnisse es ermöglichten. Dort nahm er als Publizist aktiv an der Bewegung der Jahre 1848/49 teil. Seine Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke dieser Reise durch Spanien veröffentlichte er 1847 in seinem zweibändigen Buch Reiseleben in Südfrankreich und Spanien. Das Werk besteht aus einer Reihe von Briefen, die er an verschiedene Empfänger in Deutschland und Frankreich schrieb. Den Briefen geht keine Vorrede oder Vorwort voran, keine Einleitung oder Zielsetzung. Am 27. März verlässt Rochau Paris, um über Orleans nach Lyon zu fahren. Aus Lyon stammt sein erster Brief vom 29. März 1845. Hier finden wir Anmerkungen über Reisevorbereitungen, die man treffen sollte, ohne dem Mythos vom milden Klima der Südländer blind zu vertrauen, sowie über seine Schwierigkeiten, einen neuen Pass zu erhalten. Seine Reise fuhrt ihn über Avignon, die

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Vaucluse, Narbonne und Perpignan in Südfrankreich, bis er Mitte April die spanische Grenze bei Figueras erreicht. Rochau erkennt und erklärt die politische Situation der Zeit, die historischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Spanien, und er erläutert insbesondere die Unterschiede zwischen beiden Völkern. Er referiert die französischen Vorstellungen und Vorurteile über Spanien und konfrontiert sie gelegentlich mit der Wirklichkeit. Das Erste, das ihm bei der Grenzüberschreitung auffällt, ist der Unterschied zwischen den Katalanen auf beiden Seiten der Pyrenäen: Die einen seien eifrige französische Patrioten, die anderen dagegen hielten voller Fanatismus an ihrer provinziellen Selbstständigkeit fest (I: 57). Doch diese Unterschiede waren zunächst nur ideologisch. Obgleich die Grenze, wie gesagt, nicht über die Gipfel des Gebirges, sondern ungefähr in der Mitte seines südlichen Abhanges hinläuft, so scheint sie doch mit der Wasserscheide zusammen zu fallen. So lange wir in Frankreich waren, gingen wir den Bächen immer entgegen; diesseits der Gränze gingen wir ihnen nach. Zu meiner Verwunderung sah ich auf der spanischen Gränze keinen Militärposten, sondern nur ein paar Zollcarabiniere, die uns unaufgehalten unseres Weges ziehen ließen. Binnen einer halben Stunde erreichten wir das spanische Gränzdorf La Junquera. Hier sollte ich inne werden, daß ich in einem andern Lande sey. Bisher hat mich nichts daran erinnert, daß ich Frankreich verlassen; die Straße war diesseits gerade eben so gut als jenseits, die Carabiniere sahen von weitem ungefähr eben so aus, wie die Douaniers, und zwischen den spanischen und den französischen Cataloniern auf der Landstraße und auf den Feldern war nicht der mindeste Unterschied zu bemerken. In La Junquera fand ich kein zweites Schloß Bellegarde, wohl aber Thore mit Schießscharten, Häuser mit Schießscharten. Die Einwohner haben ihren Ort während des Bürgerkrieges auf eigene Hand in eine Art Festung verwandelt, an welcher alle Aufforderungen und Ueberfallsversuche der feindlichen Parteigänger gescheitert sind; die Carlisten haben nie einen Fuß nach La Junquera gesetzt. In der engen, schmutzigen Hauptstraße des Dorfes hat jedes Haus seinen Balkon, über dessen Brüstung neugierige Gesichter nach der einfahrenden Diligence herunterschauen. Die Physiognomie der Bewohner ist hier dieselbe wie auf der andern Seite der Berge, aber die Tracht der Frauen fängt an sich zu verändern, wenn auch noch nicht in auffallender Weise. [...] In Figueras verschwindet der Einfluß der französischen Mode auf die weibliche Volkstracht vollständig. (I: 61 f., 66) Die damalige politische Situation in Katalonien ist zwar zu jener Zeit recht ruhig, aber „man glaubt indessen über kurz oder lang ernstliche Unruhen in Catalonien voraussehen zu müssen" (58). Tatsächlich bricht nur ein Jahr später,

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im September 1846, ein zweiter Carlistenkrieg aus, der sich, anders als der erste, der mit einem Aufstand in den drei baskischen Provinzen begonnen und sich über Navarra, die Rioja, Aragon, Katalonien, Valencia und Teile von Andalusien und Extremadura ausgebreitet hatte, fast ausschließlich in Katalonien abspielt, so dass er auch als Guerra deis Matiners bekannt ist, etwa: „Krieg der Frühaufsteher", auf Katalanisch.17 Erst im Mai 1849 setzen die Regierungstruppen diesem Aufstand ein Ende. Rochaus erster Brief aus Spanien stammt aus Barcelona, geschrieben am 22. April. Von Barcelona reist er nach Valencia, von dort nach Málaga, Granada, Córdoba, Sevilla und Cádiz. Der erste Band endet mit einem Brief vom 17. Juni aus La Carolina, einer jener deutschen Kolonien an der Sierra Morena in der Provinz Jaén, wo zu der Zeit kaum jemand noch Deutsch verstand, ein Gebiet, das 1834/35 den übrigen spanischen Provinzen gleichgestellt worden war. Der erste Brief des zweiten Bandes stammt schon aus Madrid und wurde am 23. Juni geschrieben. Fast zwei Monate verbringt Rochau in Madrid und Umgebung - San Ildefonso, Escorial, Aranjuez, Toledo - , bis er schließlich die Stadt Richtung Burgos verlässt - Brief vom 22. August - ; von Burgos geht es nach Vitoria, Pamplona, Tolosa und San Sebastian; der letzte Brief wurde in Pasajes geschrieben, einem Dorf nur zehn Kilometer von San Sebastian entfernt. Besonders fallen Rochau die Unterschiede zwischen den verschiedenen Provinzen bezüglich Volkscharakter und Volkssitten auf, die bei keiner der großen Nationen Europas so deutlich ausgeprägt seien. Unter den verschiedenen Völkern erregen die Andalusier die meiste Aufmerksamkeit. Rochau schreibt am 16. Juli aus Madrid: Wenn der Spanier von seinen Landsleuten einer andern Provinz drei Worte spricht, so sind darunter ganz gewiß immer zwei des Tadels oder des Spottes. Jedes Laster, jedes Verbrechen, jeder schlechte Streich, jede Thorheit wird in der alltäglichen Auffassung gewöhnlich auf die Provinzialeigenschaften desjenigen zurückgeführt, der sich derselben schuldig macht. Hat sich ein General in der Schlacht schlecht aufgeführt, so sagt man mit Achselzucken: er ist ein Andalusier. Tritt Jemand in der Gesellschaft ungeschickt auf, so geschieht es, weil er ein Galicier ist. Begeht ein Anderer irgend eine Rohheit oder Gemeinheit, so darf man sich nicht darüber wundern, denn er ist ja ein Aragonese. Alle diese gegenseitigen Beschuldigungen von einer Provinz zur andern werden überdieß mit einer Menge der lustigsten Geschichten unterstützt, die schon seit undenklicher Zeit in Umlauf zu seyn scheinen, die man

17 Die Historiker sind sich hier nicht einig, gelegentlich wird dieser Krieg nicht als eigener Carlistenkrieg betrachtet.

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von einem Ende der Halbinsel zum andern kennt, und immer von neuem erzählt, und immer mit neuem Vergnügen anhört. Die Bewohner des Baskenlandes sind der Theil der spanischen Nation, welchem am wenigsten Böses nachgesagt wird. Ihnen eine lächerliche Seite abzugewinnen, ist meines Wissens dem Volkswitz gar nicht gelungen. Man wirft ihnen unbeugsamen Starrsinn vor, aber dieser Vorwurf ist im Mund des Spaniers eigentlich ein Lob. Ihre Freiheitsliebe, ihre Tapferkeit, ihre Treue, ihre Zuverlässigkeit, ihre Arbeitsamkeit, ihre ehrbare Zucht und Sitte werden von allen übrigen Spaniern ohne Vorbehalt anerkannt [...]. Die unmittelbaren Nachbarn der Basken, die Aragonesen, sind [...] roh in Sitte und Sprache, schmutzig, unwissend, grob, undienstfertig und unverschämt. Ausdauer und Tapferkeit sind die beiden Haupttugenden, die man ihnen zugesteht [...]. Die Katalonier sind bei weitem geschliffener und gewandter, als die ihnen sprachverwandten Aragonesen. Man kennt ihren unermüdlichen Fleiß in der Werkstatt sowohl, als auf dem Felde, wo sie, wie das Sprüchwort sagt, selbst aus Steinen Brod zu gewinnen wissen: El Catalan saca de la piedra pan. Dabei aber sind die Catalonier ungefüge gegen Gesetz und Ordnung, aufrührerisch, jähzornig, und im Zorn stets bereit die Hand an das Messer zu legen. [...] Die Valencianer, gleichfalls der catalonischen Zunge angehörig, haben den schlimmsten Ruf unter allen Spaniern. Sie gelten für treulos, für rachsüchtig, für blutgierig und zu gleicher Zeit für feig. In den Straßen von Valencia werden Jahr auf Jahr ein wenigstens fünfzig Menschen ermordet. Die Valencianer sind arbeitsam, sparsam und äußerst nüchtern, aber ihre Sparsamkeit artet sehr oft in schmutzigen Geiz aus, und ihre Mäßigkeit ist häufig nichts anderes als Hungerleiderei. Der andalusische Charakter ist einer der interessantesten, die man in Spanien findet. Der Andalusier hat eine starke Dosis von persönlicher Eigenliebe, die indessen fast niemals auf eine verletzende unangenehme Weise zur Schau tritt. Er ist cokett, ein großer Freund zierlicher Kleider, durchdrungen vom Gefühl seiner körperlichen Vorzüge, aber dabei liebenswürdig, zuvorkommend, dienstfertig, und, wie sich das von selbst versteht, vor allen Dingen galant gegen die Damen. Er hat keinen Ueberfluß an kriegerischem Muth, er ficht aber desto besser mit der Zunge [...]. Verse, Musik und Tanz sind die Leidenschaft des Andalusiers, aber auch für den materielleren Reiz einer Flasche guten Weines von Malaga oder von Xerez ist er nicht unempfindlich, und die eingemachten Früchte und das unübertreffliche Zuckerwerk seines Landes läßt er sich mit aller Gaumenlust eines vollendeten Leckermaules behagen. Daß er äußerst verliebter Natur ist, brauche ich nicht zu sagen. Leichten Sinnes und frohen Muthes, eitel und prunkliebend wie er ist, weiß der Andalusier sehr schlecht hauszuhalten. Sehr oft herrscht eine trostlose Leere in allen Taschen seines eleganten Anzuges, ohne daß die Heiterkeit seiner Stimmung dadurch getrübt würde. Glücklicherweise gibt es gewöhlich für ihn irgend einen alten Oheim [...]. Durch eigene Arbeit bringt es der heutige Andalusier sehr selten dahin „sein Glück zu machen." Sein Leben, wenigstens seine Jugend, ist ein fast ununterbrochenes

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Ingrid García-Wistädt Fest, dessen Kosten im Nothfall die Natur für ihn bestreitet, denn blauen Himmel, warme Luft, balsamische Düfte und der Anblick schöner Weiber gibt ihm alle Tage umsonst, und damit weiß er sich zu begnügen, wenn er nichts anderes hat. Körperliche Anstrengung ist dem Andalusier in den Tod verhaßt, und er ist ihrer selbst unfähig. Darin liegt der Grund, warum die Andalusier, auch abgesehen von ihrer angebornen Scheu vor Kugeln und Klingen, sehr wenig zum Kriegsdienst taugen. [...] Im Allgemeinen [...] äußerst witzig, und sie wissen satyrischen Angriffen auf ihre Provinz oder auf ihre Person gewöhnlich mit vielem Glück begegnen. [...]. [Ihre] Feigheit erklärt sich übrigens auf die natürlichste Weise von der Welt. Der Andalusier ist der glücklichste Mensch dieser Erde, und er scheut den Tod, weil das Leben für ihn überreich ist an Genuß und Freude. [...] Der nördliche Nachbar Andalusiens, der Castilianer, ist nicht mehr der langsame feierliche Hidalgo mit dem großen Degen an der Seite und dem steif emporgewichsten Schnurrbart, der er in den Zeiten des Ritters aus der Mancha und des Gil Blas von Santillana war, und der noch größeren Stolz in sein altes Christentum als in seinen Stammbaum setzte, aber [...] so gilt der Castilianer noch immer für prahlerisch, und seine Liebe zum Nichtsthun hat gleichfalls allen Wechseln der Zeit getrotzt. Der Castilianer faullenzt auf eine ganz andere Weise als der Andalusier [...], jenem ist das Müßigsein ein selbstständiger Zweck, ein selbstständiger Genuß. [...] In diesem Punkt ist der Galicier das Gegenstück des Castilianers; er ist ein unermüdlicher Arbeiter, und so erpicht auf das Zusammenscharren, daß sein Geiz zum Sprüchwort geworden. [...] Die Galicier, obgleich tapfere Naturen, taugen nichts als Soldaten, weil sie so stark vom Heimweh leiden, daß sie sehr oft daran sterben. [...] sie sind ungeachtet ihres Geizes durchaus ehrliche Leute, dabei wenig geschliffen, ungeschickt und beschränkten Verstandes. Der Tölpel des spanischen Lustspiels [...] ist gewöhnlich ein Galicier, und dieser war früher in jenen Rollen unter dem Namen el Gallego sogar eine stehende Person der spanischen Komödie. Der Asturianer hat viel Aehnlichkeit mit dem Galicier, nur daß er sich leichter abschleifen und schulen läßt als dieser. Deshalb treten denn die Asturianer in der Fremde vorzugsweise als Bediente in wohlhabende Häuser ein, in denen sie sich durch ihre Anhänglichkeit, ihre Treue und Zuverlässigkeit oft ein unbeschränktes Vertrauen erwerben [...]. (II: 68-76) Rochau stellt sich als ein zuverlässiger Beobachter heraus, der die Vorurteile,

die er mit sich bringt, erkennt und überwindet. Ziemlich sachlich unterscheidet er zwischen Wahrnehmungen, Eindrücken und Erlebtem. Er ist ein guter Geschichtskenner, der die Situation, der er begegnet, wirklichkeitstreu beschreibt und geschichtlich erklärt. Daher wurde sein Reiseleben

von späteren Reisenden

auch als wertvolles Zeugnis anerkannt. E W. Hackländer etwa verweist häufig

auf Rochau und zitiert ihn wortwörtlich in seinem Buch Ein Winter in

Spanien

Krieg und Romantik

219

(1855). Ausdrücklich empfiehlt er dem Leser: „Ich kann hier nicht umhin, dem Buch eines jüngeren Beschreibers der Stadt Toledos, unserem verehrten Rochau, dessen nicht genug zu empfehlendes ,Reiseleben in Spanien' ich selbst bei meinen Ritten in der Satteltasche bei mir führte, nachfolgende [...] Beschreibung [...] zu entnehmen." 18

D E R ZUFÄLLIGE REISENDE

Abschließend sollen noch zwei weitere Reisebeschreibungen erwähnt werden, unter dem Stichwort „der zufällige Reisende". Diese flüchtigen Reisen durch Spanien verdanken die Verfasser dem Zufall oder einer sich gerade bietenden Gelegenheit. Bei diesen Reisenden ist Spanien zwar nicht das eigentliche Ziel der Reise, aber sie hinterlassen trotzdem Briefe oder Tagebücher, die als interessante Zeugnisse der Zeit gelten können. Der Berufsoffizier Ferdinand Freiherr von Augustin (1807-1861) wurde als Oberleutnant einer Gesandtschaft an den Sultan Abderrhaman in Marokko attachiert und bereiste bei dieser Gelegenheit das südliche Spanien. In seiner Reise nach Malta und in das südliche Spanien im Jahre 1830 bietet Augustin dem Leser eine Reihe von Bildern und Begebenheiten aus dem Tagebuch seiner Reise und skizziert einige Ideen, die er bei der Lektüre seines Tagebuchs entwickelte. Da Spanien nicht das Ziel seiner Reise war, ist Augustin nicht in der Lage, eine auf wissenschaftlichen Beobachtungen gegründete Beschreibung zu liefern. Sein Buch dient eher der Unterhaltung als der Belehrung. Seine ausführlichen Beschreibungen spiegeln seine eigenen Interessen. Weltberühmte Monumente wie etwa die Alhambra kommentiert er kaum, weil er wohl schwerlich etwas Neues darüber hätte sagen können. Besonders extensiv schildert er seine Eindrücke vom Charakter des Landes und seiner Bewohner, in dem Glauben, Land und Leuten auf diese Weise besser gerecht zu werden. In Spanien ist es etwas schwieriger, die Kunstschätze einer Kirche zu betrachten als z. B. in Italien; denn wollte man so wie dort in das Gotteshaus treten, und jedes Bild von allen Seiten betrachten und laut beurtheilen, unbekümmert um die Andacht der anwesenden Beter, so dürfte man vom Volke das Schlimmste gewärtigen, welches, obschon in seinen Sitten nichts weniger als heilig, doch für die Gegenstände seiner Religion eine fast abergläubische Ehrfurcht trägt. Wie oft sah ich, wenn ein 18 F. W. Hackländer (1860): Werke. Erste Gesammt-Ausgabe. 23. Band: Ein Winter in Spanien. Zweiter Band. Stuttgart: Adolph Krabbe, 218.

220

Ingrid Garcia-Wistädt Geistlicher durch die Kirche schritt, daß Männer und Frauen, selbst von höhern Ständen, herbeieilten und ihm halbknieend Hand und Kleid küßten; wie oft sah ich einen reisenden Spanier, der auf seinem Maulthiere ganz gemächlich eine Cigarre rauchte, bei einem am Wege stehenden Kreuze zur Erde steigen, sich niederknieen und ein langes Gebet hersagen. Geht ein Priester über die Straße, um einem Sterbenden das letzte Sacrament zu reichen, so stürzen Alle, die sich in der Nähe befinden, auf den Zuruf der Kirchendiener auf ihre Kniee, und Niemand wagt es, sich zu erheben, so lange man noch den Schall des Glöckchens hört. Und derlei Gebräuche muß der Fremde wenigstens zum Theil mitmachen, will er sich nicht der Gefahr aussetzen, vom gemeinen Volke insultirt zu werden; er wird sich darum gerne darein fügen, weil es das einzige Mittel ist, sich die Menschen, unter welchen man eben lebt, zu befreunden, wenn man ihre Gebräuche und ihre Gewohnheiten ehrt. Darum wähle derjenige, der in Spanien Kirchen oder andere mit der Religion in Beziehung stehende Gegenstände besichtigen will, eine Zeit, wo er Niemand in der Verrichtung seiner Glaubenspflichten stören kann. (73f.) Auch historische Ereignisse webt er in seine Reisebeschreibungen ein; die Ge-

schichte ist für ihn „die Magnetnadel, welche uns in einem fremden Lande auf die Merkwürdigkeiten der Vergangenheit hinweiset, deren Trümmer wir besuchen wollen" (Vorwort). Auch hier versucht Augustin nicht, zu belehren; seine Rückgriffe auf die Geschichte sollen seine Beschreibung nur interessanter machen. Wir traten auf die Terasse eines alten Thurmes. Wie soll ich den bezaubernden Anblick beschreiben, der sich da vor unsern entzückten Blicken entfaltete! Granada lag zu unsern Füßen mit ihren Kirchen und Palästen, mit ihrem Blüthenmeer auf Plätzen und in den Höfen der Häuser, durchströmt von den beiden Flüssen Xenil und Darro, wovon der eine in stolzer Ruhe die ganze Gegend durch sein Gewässer erquickt, während der Andere wild über Felstrümmer von den höchsten Regionen des Gebirges dahinbraust. Hart an der Stadt ziehen sich auf drei Seiten die segensreichen Fluren der Vega hin, ein weiter Garten voll Blumen und Auen und fruchtbarer Felder. Man kann sich kaum etwas Entzückenderes denken, als diese herrliche Ebene, auf welcher die Natur ihr ganzes Füllhorn ausgeleert zu haben scheint. Unzählige Ortschaften und Landhäuser sind darauf zerstreut; unzählige Flüßchen und Bäche bewässern sie nach allen Richtungen; blühende Hügel begränzen ihre Gefilde, über welchen sich in blauer Ferne die schönen Bergformen der Sierra de los infames *) Elviva [Elvira] und Granada erheben, und den Rahmen zu diesem Bilde geben. Im Süden aber breitet sich die Alhambra mit ihren Thürmen und fremdartigen

*) Hat ihren Namen von einem Siege des maurischen Königs Ismael über die Spanier, wobei zwei spanische Prinzen getödtet wurden.

Krieg u n d Romantik

221

Gebäuden aus, und das Generalif im Schooße seiner Gärten; über sie thürmt sich die Sierra nevada empor bis zu den 11,000 Fuß hohen mit Eis bedeckten Höhen des Muahacen und Pie de Velete. Welch ein Contrast! - Oben der ewige Schnee, den nicht einmal die Gluth des südlichen Himmels zu schmelzen vermag; unten, in den Thälern, der Orangenbaum und die Dattelpalme mit ihren köstlichen Früchten! Ist es wohl den Mauren zu verargen, wenn sie sich unmittelbar ober dieser Gegend ihr Paradies dachten? Rief ich doch selbst mit den Spaniern aus: El que no ha visto a Sevilla, No ha visto maravilla; El que no ha visto a Granada, No ha visto nada! (Wer Sevilla nicht gesehen, sah das Bewunderungswürdigste nicht; wer aber Granada nicht sah, sah noch gar nichts! - (91 f.) General-Feldmarschall H e l m u t h G r a f von Moltke ( 1 8 0 0 - 1 8 9 1 ) bekam im Jahr 1 8 4 6 den Befehl von K ö n i g Friedrich Wilhelm IV., die U b e r f ü h r u n g des Leichnams seines in R o m lebenden N e f f e n Heinrich Prinz von Preußen von R o m nach Berlin zu organisieren. Während das Schiff den Toten um die Pforten des Herakles und um Europa herumführte, nutzte Moltke die kurze Zeitspanne für einen schnellen Besuch Spaniens. D e n Guadalquivir entlang fährt er von C á d i z nach Sevilla. Von Sevilla ist er begeistert und verfällt v o m Erzählen ins Beschreiben: Sevilla sei so schön und so ganz anders, als alles, was er gesehen, dass er es nicht kürzer abmachen könne. (143) Die Reise geht über Córdoba - bis auf eine schöne alte Brücke und die Marquiba (sie), laut Moltke, eine unbedeutende Stadt - weiter nach Madrid. In Andalusien findet er jedoch nicht das erwartete Paradies, sondern ein eher ödes Land vor. Ich habe mir immer eingebildet, Andalusien sei eine Art Paradies, statt dessen fand ich ein recht ödes Gelände; anfangs sieht man noch einige Orangenhaine, Palmen und schöne Ruinen von maurischen Castellen, bald aber empfindet man den gänzlichen Mangel an Wald und Wasser, Menschen und Arbeit. Der Guadalquivir, der hier nicht mehr von der Meeresfluth erreicht wird, ist zu einem ziemlich unbedeutenden Bach zusammengeschrumpft. Die meisten Felder sind von zwei Fuß hohen Fácherpalmen bedeckt und mit gewaltigen Aloehecken umzäunet, deren mannsdicke, dreißig Fuß hohe Blüthenstengel zu Brennmaterial gefallt werden. An anderen Stellen bildet der Cactus mit seinen rothen Feigen einen undurchdringlichen Zaun. Die Abhänge der Hügel sind mit Olivenbäumen bepflanzt. Aber diese geraden Linien von hohlen Stämmen mit grauen Blättern, ähnlich wie unsere Weiden, ermüden das Auge. Der Boden ist von der höchsten Fruchtbarkeit, aber nur der geringste Theil für Mais- und Baumwollencultur bearbeitet; dabei verursachen achtundvierzig Maulthierhufe einen Staub, von dem man

222

Ingrid García-Wistädt sich keinen Begriff machen kann. Ich war um zehn Uhr Vormittags mit einer Tasse Chokolade ausgefahren und das erste Diner wurde uns um ein Uhr in der Nacht servirt. Bis dahin war nichts zu haben. Selbst Cordova mit dem volltönenden Namen wäre eine ziemlich unbedeutende Stadt und würde wenig Aufmerksamkeit verdienen, hätte sie nicht die schöne alte Brücke über den Guadalquivir und die Marquiba. Von der ersten hat man gesagt, daß ihr nichts fehle, als der Fluß. Die letztere ist eine der größten erbauten Moscheen. (145f.) In der Beschreibung dieses Reiseabschnitts findet man einen der sehr selte-

nen und knappen Schilderungen von Menschen. Moltke erreicht M a d r i d a m Vermählungstag der Königin Isabel II., a m 10. Oktober 1846. N a c h d e m Besuch eines Stierkampfes, den er mit allen blutigen Einzelheiten beschreibt (9 Seiten von 34), fährt er Richtung Norden in die baskischen Provinzen, wo die G e g e n d einen ganz andern Charakter a n n i m m t : Sie erinnere ihn sehr an die Schweiz. Obwohl seine Erwartungen enttäuscht wurden, k o m m t Moltke zu einem sehr positiven Urteil über Spanien, das einigermaßen verwundert: Was ich auf dieser flüchtigen Reise von der spanischen Nation gesehen, hat mir den günstigsten Eindruck hinterlassen. Nicht ein einziges Mal bin ich angebettelt worden, dazu ist selbst der Aermste zu stolz. Schweigend und ernst steht er, den Mantel malerisch über die Schulter geworfen, er verschmäht das französische Kleid und bewahrt seine alte nationale Tracht, die übrigens in allen Provinzen verschieden ist. Auch der geringste Spanier erwartet mit einer gewissen Rücksicht behandelt zu werden, aber eine freundlich dargebotene Cigarre nimmt er gern. Als Allemanne ist man überhaupt besser aufgenommen, als jede andere Nation. Frankreich hat dem Lande zu wehe gethan und mit Stolz erinnert der Spanier sich der deutschen Herrscher, welche glorreich Spaniens Scepter führten. (161)

FAZIT

Die meisten Spanienbilder basierten bis zu dieser Zeit auf literarischen Quellen, und das Spanienbild in der Literatur, sei es positiv oder negativ, ergab eine ideologische Simplifizierung und eine Typologie des Landes und der Menschen, die auch die physische Beschreibung der Spanier, ihrer Sitten und Bräuche betraf. Auch die Reisenden entkamen diesen Klischees und Vorurteilen nicht. D i e subjektiv-literarische Beschreibungsform, die sich schon gegen E n d e des 18. Jahrhunderts erkennen lässt, setzt sich jetzt definitiv durch. In den Beschreibungen der Landschaft, die bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Krieg und Romantik

223

fragmentarisch und wenig relevant waren, vereinigen sich nun die neuen von Georg Forster und Alexander von H u m b o l d t " eingeführten wissenschaftlichen Interessen, die zu einer ,,inhaltsreichere[n] Weltbetrachtung" (Humboldt 1847: 7 2 ) führen, in der alles mit der Kraft des Wortes anschaulich gemacht wird, (vgl. Strelka 1 9 8 1 : 171) mit den schwärmerischen und gefühlsbetonten Beschreibungen eines Christian August Fischer. Besonders wird jetzt der Zusammenhang zwischen Landschaft und Seele betont. Die vorigen Reiseberichte haben sich wenig dafür interessiert und die Schriftsteller, die Spanien nicht kannten, bedienten sich französischer und englischer Historiographien und Ubersetzungen, um das Bild des Spaniers in ihren Werken darzustellen, was nicht selten ein einseitiges und verzerrtes Spanienbild ergab. Zudem verbessert sich im 19. Jahrhundert das Verkehrssystem, und immer mehr Schichten des Bürgertums beginnen zu reisen. Die Gattung überhaupt entwickelt sich im Laufe dieses Jahrhunderts: In diesen Zeitraum gehört die Revolution der Reiseliteratur mit Karl Baedekers Überarbeitung und Erweiterung der 1828 erschienenen Rheinreise von Mainz bis Cöln von Friedrich Rohling, der damit den ersten modernen Reiseführer schuf, der die Reisenden vom Fremdenführer unabhängig machen sollte.

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schaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Z o n e n benutzt werden." ( H u m b o l d t 1 8 4 7 , II: 6 7 )

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Zwischen romantischem Erbe und Modernität Deutsche Spanienreisende in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Maria José Gómez Perales (Universität Politècnica de Valencia)

EINLEITUNG

Obwohl in dieser Epoche eine starke Tendenz innerhalb der spanischen Gesellschaft dahin ging, eine Angleichung an mittel- und westeuropäische Standards zu erreichen, klaffte diesbezüglich immer noch eine große Lücke zwischen Spanien und Deutschland. Die spanische Gesellschaft war traditionell-katholisch und im allgemeinen rückständig geprägt, die Industrie entwickelte sich nur langsam, die Nation war politisch instabil, von Bürgerkriegen und anderen Unruhen erschüttert, die sich in den 1870er Jahren geradezu häuften: Der T h r o n sturz und das darauffolgende Exil Isabellas II. ( 1 8 6 8 ) , die Berufung des ausländischen Königs Amadeus von Savoyen ( 1 8 7 1 ) , der Ausbruch des dritten Carlistenkrieges ( 1 8 7 2 ) , die Ausrufung der Ersten Republik ( 1 8 7 3 ) und die durch einen Militärputsch zustande gekommene Restauration der Monarchie mit Isabellas Sohn Alfons X I I . ( 1 8 7 4 ) - ein solches Panorama war nicht dazu angetan, Vertrauen in die Entwicklungskraft des Landes zu wecken, zumal bei Angehörigen eines anderen Landes, dessen politischer Einigungsprozess damals gerade erfolgte. Trotzdem übte Spanien eine immer größere Anziehung auf deutschsprachige Reisende aus, und je weiter das 19. Jahrhundert voranrückte, desto mehr stiegen das Niveau, der Umfang und die Zahl ihrer Berichte.' Waren die Kaufleute bei den Spanienreisenden des 18. Jahrhunderts in der Mehrzahl, so sind es jetzt die Bildungsbürger und Geistlichen, die Wissenschaftler, Hochschullehrer und Künstler; dazu kommen noch die Vertreter eines neuen Berufsstandes: die Journalisten. Insofern werden die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts sich an' V g l . Brüggemann 1 9 5 6 , Kürbis 2 0 0 6 .

228

María José Gómez Perales

bahnenden Tendenzen jetzt fortgesetzt und verstärkt. Das bringt eine große Vielfalt an Interessen mit sich, die das Reisen nach Spanien anregen. „Die Studienreise ist in dieser realistischen Zeit eine der Hauptformen des Reisens" (Brüggemann 1956: 111), und so kommen Geologen, Botaniker, Zoologen und Ornithologen 2 nach Spanien, aber auch Ökonomen wie Alexander Ziegler 3 und Kunsthistoriker wie Carl Justi 4 , die hauptsächlich über ihre jeweiligen Disziplinen schreiben. Aber obwohl Positivismus und Fortschrittsglaube im Allgemeinen das Denken und Handeln der meisten europäischen Länder im mittleren und späten 19. Jahrhundert beherrschen, hat sich die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandene romantische Art des Reisens so fest etabliert, dass sie noch lange nach dem Ende der literarischen Romantik weiterbesteht. Ausdruck davon sind die schwärmerischen Landschaftsbeschreibungen, das Interesse am maurischen Erbe Südspaniens, die Idealisierung des Landes aus einer kulturkritischen Perspektive heraus. Die meisten Reisenden brachten ein romantisches Spanienbild mit, sie hofften auf die Begegnung mit Sehenswürdigkeiten und Kunstwerken, die sie schon aus früheren Lektüren kannten. Die Geburt des Bildungstourismus kündigt sich damit an, wie Alfred von Wolzogens Desiderat eines spanischen Reisehandbuchs erkennen lässt (Wolzogen 1857: VII). Auch die Suche nach den Spuren der großen spanischen Dichtung, vor allem in ihrer Verkörperung durch Don Quixote und El Cid, hat die Phantasie der nachromantischen Reisenden belebt, die von der Anfang des Jahrhunderts entstandenen deutschen Hispanistik beeinflusst oder selbst daran beteiligt waren. Zum Beispiel hat sich Franz Lorinser als Calderön-Ubersetzer einen Namen gemacht. Aber auch das alltägliche Spanien mit seinen sprichwörtlich gewordenen Gegensätzen fordert den kritischen Blick heraus, der unterschiedlich scharf ausfallen kann, je nachdem, ob der Reisende positivistisch-aufklärerisch oder kulturkritisch-romantisch eingestellt ist. Angesichts der im 19. Jahrhundert immer größer werdenden Zahl von Reiseberichten erscheint es angebrachter, sich auf eine kleine Auswahl ausführlich zitierter Autoren zu konzentrieren, als dass man viele nur flüchtig und in knappen Zitaten vorstellt. Diese Auswahl will vor allem die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Reiseberichte vorstellen. Die vorliegenden Texte stammen von Verfassern verschiedener beruflicher Provenienz: Friedrich Wilhelm Hackländer, Eine detallierte Liste all dieser Veröffentlichungen findet man bei Rebok 2009: 114-117. Mit seinem Werk von 1852 Reise in Spanien mit Berücksichtigung der national-ökonomischen Interessen. 4 Mit seinem 1888 publizierten Werk Diego Veldzquez und sein Jahrhundert. 2

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Zwischen romantischem Erbe und Modernität

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Schriftsteller, Hofrat und Kriegsberichterstatter; Alfred von Wolzogen, Theaterintendant und Schriftsteller mit Familienbeziehungen zu Friedrich Schiller; Wilhelm Mohr, Gymnasiallehrer und Journalist; Franz Lorinser und Franz Rolef, zwei katholische Geistliche, von denen der letztere auch noch als Zeitungskorrespondent und Hochschullehrer arbeitete. Hackländer, Mohr und Rolef haben aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und Interessen heraus ihre Reisechroniken an verschiedene Zeitungen geschickt und damit zu einer näheren Kenntnis Spaniens beigetragen. Bei Lorinsers und Wolzogens Werken hingegen handelt es sich um Reiseberichte, die einen viel persönlicheren, subjektiveren Charakter haben, in dem Sinne, dass die Autoren eher einen intimen Dialog fuhren wollen zwischen der Realität, die ihnen begegnet und der eigenen Bildung und den eigenen Interessen. Dabei weist jeder dieser beiden Texte einen anderen Ton und Stil auf.

EIN REISEBERICHT MIT ROMANHAFTEM CHARAKTER: FRIEDRICH W . HACKLÄNDER

Friedrich Wilhelm Hackländer (1816-1877) war Mitte des 19. Jahrhundert ein beliebter und berühmter Schriftsteller in Deutschland. Sein Werk Ein Winter in Spanien wurde 1855 publiziert und berichtet von seiner von Oktober 1853 bis April 1854 zusammen mit dem Maler Theodor Horschelt und dem Architekten Christian Friedrich von Leins in Spanien unternommenen Reise. Es handelt sich um eine private Reise, die von ihm selbst finanziert wird, indem er Berichte von der Reise an die Augsburger Allgemeine Zeitung und an die Kölnische Zeitung schickt.5 Das Werk von Hackländer bietet feinsinnige und gefühlvolle Beschreibungen, kluge Überlegungen und gelehrte Zitate, die daran erinnern, dass es sich beim Autor um einen gelehrten Schriftsteller handelt. Andererseits ist der Bericht in einem leichten, angenehmen, fröhlichen, teils humorvollen und familiären Ton geschrieben, der die Lektüre wirklich amüsant macht.6 Die fünf ersten Kapitel erzählen den Anfang der Reise von Deutschland (Stuttgart) nach Frankreich (Marseille) über Italien (Mailand, Florenz und Carrara). Im sechsten Kapitel, dessen Titel „Von Marseille nach Barcelona" lautet, beginnt die eigentliche Reise in Spanien, und noch auf dem Schiff, das von der

5

Geck 2009: 159.

6

Nach Brüggemann (1956: 120) repräsentiert Hackländer mit dem Werk Ein Winter in Spa-

nien „den Reisenden mit schriftstellerischem Bewußtsein, der nach dem Muster des Reiseromans mit den Mitteln der Auswahl und der Spannung vor allem auch unterhalten will."

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M a r í a José Gómez Perales

französischen Stadt nach Barcelona fahrt, findet m a n diese M i s c h u n g aus Beschreibung u n d Erzählung: Jetzt lag zu unserer Linken das weite, gewaltige Meer, ohne Wellen, ja fast ohne Schwingung, eine tiefblaue Fläche, die das Sonnenlicht strahlend zurückwarf; zu unserer Rechten behielten wir das Ufer in Sicht, welches mit seinen malerischen kühnen Felsenbildungen, seinen scharf ein- und ausspringenden Winkeln seinen Weinbergen, Dörfern und Schlössern die beiden großen Nachbarstaaten verbindet. Wie schon bemerkt, hatten wir wenig Passagiere; uns interessirten eigentlich nur zwei Herren, die sich ebenfalls auf dem Hinterdeck befanden und, wie mir schien, geläufig Englisch zusammensprachen. [...] Unsere Meerfahrt ging in ihrer Gesellschaft so unterhaltend wie möglich vor sich; wir frühstückten, rauchten, spielten Domino, dinirten, befanden uns aber trotz allem dem die meiste Zeit auf dem Verdeck, um dem schönen Lauf der Ufer, wenn auch von fern, folgen zu können. Dort war Port Vendre mit seinen alten maurischen Thürmen und dem Fort St. Helena; bald waren wir gegenüber dem Dorfe Bagnols, wo ein scharfer Gebirgseinschnitt die französisch-spanische Gränze bezeichnet. In später Nachmittagsstunde sah man auch die Bucht von Rosas mit ihren vielen Ortschaften und der alten trotzigen Araber-Burg, überragt von den schneebedeckten Häuptern der Pyrenäen, hinter denen bald darauf die Sonne prächtig niedersank. (Hackländer 2006 [1855] I: 94f.) N a c h der L a n d u n g spaziert der A u t o r d u r c h B a r c e l o n a u n d erlebt d i e Freundlichkeit der Spanier gegenüber d e m Ausländer: Überhaupt ist Höflichkeit und ein sehr zuvorkommendes Betragen gegen Fremde ein schöner Zug im spanischen Charakter. Mit der grössten Bereitwilligkeit erhält man auf seine Fragen jederzeit die beste Antwort, und wenn man selbst sehr schlecht Spanisch spricht, so bemüht sich der Angeredete, den Sinn dessen, was man ihm sagen will zu verstehen, und hilft gern mit einem erklärenden Worte. Das ist so in allen Schichten der Gesellschaft; der Arbeiter hilft einem bereitwillig irgend ein Haus aufsuchen, und es ist mir später öfter passiert, daß aufs eleganteste gekleidete Herren mehrere Strassen mit mir gingen, um irgend Jemanden zu suchen, den wir oft erst nach vielem Fragen in einem Hinterhause fanden. Dann schied der freundliche Führer, meistens mit einem freundlichen Händedruck und dem bekannten „a la disposición de usted', was so viel heißt, als: ich bin auch später ganz zu Ihrer Verfügung. (I: 105) H a c k l ä n d e r beobachtet aber a u c h , dass d i e E i n h e i m i s c h e n u n t e r e i n a n d e r sehr höflich sind, u n d er d e n k t d a r ü b e r nach, a u f w e l c h e W e i s e das R a u c h e n m i t der Geselligkeit verbunden ist:

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Das Gewühl und der Lärm in diesen Hauptstraßen Barcelonas ist an den Wochentagen wahrhaft betäubend, und dabei sind die Gassen so schmal, daß der Menschenstrom oft kaum den schweren Karren auszuweichen vermag, die, mit Fässern und Kisten beladen, meistens in langen Reihen daherkommen. Doch bemerkt man auch hier den angenehmen Grundzug und Charakter der Spanier, sich gegenseitig mit größter Höflichkeit zu behandeln und sich nicht leicht aus der guten Laune bringen zu lassen. Ein junges Mädchen, an das man unsanft hingestoßen wird und dessen Mamille man zerdrückt, wendet sich um und wird lachend sagen: Das ist ein kleiner Schaden, der durchaus nichts zu bedeuten hat! Sie blitzt uns mit ihren schwarzen Augen an und hüpft davon. Kommt man vielleicht zufallig in verdächtige Berührung mit den Rädern eines Karrens, so sagt der Führer desselben auf die artigste Weise von der Welt: Erweisen Sie mir die Gunst, sich in Acht zu nehmen. Auch das beständige Cigarrenrauchen ist mit daran schuld, daß gänzlich Fremde bei einander stehen bleiben und ein paar Worte zusammen plaudern; hier bittet man um Feuer, dort reicht man selbst die Cigarre einem Fremden zum Anzünden, wobei es häufig vorkommt, daß, wenn dieser sieht, mein Endchen sei bedeutend herabgebrannt, er sich gleich daran macht, mir aus dem Vorrath von Papier und Tabak, den er stets bei sich trägt, eine neue zu drehen. Natürlich schlägt man das niemals ab, der Spanier sagt: a Li disposicion de usted, langt nach seinem Hute und entfernt sich freundlich grüßend. (I: 116) Der Titel des 7. Kapitels, „Ein Stiergefecht", weist schon daraufhin, wie hefdiese spanische Tradition Hackländer interesssiert. Er widmet diesem Erlebfast 4 0 Seiten und begründet sein Interesse wie folgt: Turniere und Stiergefechte, - zwei Namen, die schon in der Jugend die Phantasie reizen und beschäftigen; Schauspiele, die wir um so sehnlicher zu sehen wünschen, als es uns in der Regel nicht möglich ist, denselben beizuwohnen. Was die Turniere anbelangt, so sind wir ja in einem Zeitalter geboren, wo die eiserne Rüstung und das aufgezäumte Schlachtroß nur noch in WafFensammlungen zu sehen sind, oder die edlen Ritter selbst in ihrem ganzen Waffenschmucke, lang ausgestreckt auf staubigen Grabsteinen, unter welchen sie ruhen und vielleicht träumen von einer anderen, gewaltigen, schöneren Zeit. Sind wir, wie Leporello sagt, im kälteren Deutschland geboren, so bleibt unsere Sehnsucht nach einem Stiergefechte ebenfalls ungestillt; denn wenn auch dieses echte Nationalvergnügen der Spanier an den nördlichen Abhängen der Pyrenäen, in Nimes, Montpellier und einigen anderen Städten des südlichen Frankreichs versuchsweise eingeführt wurde, so blieb es doch bei den ersten Anfängen, und wer es sehen will, wie man mit dem Stiere nach allen Regeln der Kunst kämpft, muß sich schon entschließen, eine Reise nach Spanien zu machen. (I: 141)

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María José Gómez Perales A u f dem Weg von Barcelona nach Tarragona vergleicht Hackländer die

unterschiedliche Art von Deutschen und Spaniern, mit der Kutsche zu fahren, sowie die unterschiedlichen Gefühle der Passagiere: Die Landstraße ließ sich übrigens anfänglich gar nicht so schlimm an, wie wir uns gedacht; sie war sehr breit, auch ziemlich eben, und da der Mayoral mit großer Geschicklichkeit verdächtige Löcher zur Rechten und zur Linken glücklich zu vermeiden wußte, so wäre die Fahrt gar nicht unbehaglich gewesen, wenn nicht das Kutschiren der Spanier an sich die Nerven in einer beständigen Aufregung erhielte. Bei uns in Deutschland sind Conducteure, Postillons, Pferde, Wagen, Passagiere und Straßen gewissermaßen vernünftige Geschöpfe, die sich verstehen und in einander zu fügen wissen; der Schwager hat seine vier Pferde in der Hand und fahrt seinen soliden Trab, wo es die Straße erlaubt; der Passagier ist beruhigt, denn er weiß, der Wagen wird einem Stein oder Loch auszuweichen wissen, er kann sich sogar sorglos zum Schlag hinausbeugen und wenn ihm seine Reisemütze zufälligerweise abfallt, so wird der Conducteur einen Augenblick anhalten; man ist mithandelnde Person, und das gibt uns ein Gefühl der Behaglichkeit und Sicherheit. Hier aber ist man der Post wie ein Paket übergeben worden, man wird an Ort und Bestimmung befördert; ob man unversehrt oder zerschlagen und zerschunden ankommt, darum kümmert sich kein Mensch. (I: 202) Der Autor bedauert, dass die Nacht kommt und die Dunkelheit die Landschaft verbirgt: Der Tag war klar und wunderschön und die Landschaft mannigfaltig belebt. Es ist eigenthümlich, wie in Catalonien, namentlich des Abends, der rothe Grund der Erde vom Sonnenlicht so warm und schön beleuchtet wird. Das Land scheint ordentlich die glänzenden Strahlen aufzusaugen, um sie darauf selbstleuchtend wieder von sich zu geben; dabei ist hier die Formation der Berge malerisch schön, den Thälern fehlt es nicht an Vegetation, und die Anhöhen sind hie und da gekrönt mit Kirchen, Ruinen und alten Schlössern. Ach, wenn es nur beim Reisen, namentlich bei den Eilwagenfahrten, keine Nacht gäbe, die mit ihrem sonst so traulichen Dunkel finstere Schleier über Berg und Thal zieht, und unsere Gedanken, die so gerne auswärts umherschweifen, um sich am Anblick der herrlichen Natur immer wieder neuer und lebendiger zu gestalten, in unser Inneres zurückscheucht, wo sie dann, ermüdet, so gern ernst und traurig werden. Vergebliches Wünschen! (I: 203f.) Die spanischen Dörfer dagegen bieten kein so positives Bild wie die Landschaft, und das gilt nach Hackländers Meinung ganz allgemein fiir Spanien:

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Im Sommer, wo die Landstraßen trocken und besser sind und der Eilwagen deßhalb schneller zu fahren im Stand ist, werden dem Reisenden in den größern Städten unterwegs öfters längere Rasten gegönnt, um ihn ausruhen zu lassen von der Hitze und dem unerträglichen Staub in dieser Jahreszeit. Jetzt dagegen werden diese Halte bedeutend abgekürzt und höchstens alle zwölf Stunden einmal eine Stunde zum Ausruhen vergönnt; meistens sind aber auch die Dörfer, durch welche man kam, so über alle Beschreibung schmutzig und ärmlich, daß man gern auf ein Verweilen in denselben verzichtet, nur in der Türkei erinnere ich mich, ähnliche Häuser und Ortschaften gesehen zu haben. [...] Im Allgemeinen ist das Ankommen in einem spanischen Dorf, in kleinern, selbst in größern Städten eine Qual für den Reisenden, denn ist außerhalb derselben der Weg schon sehr schlecht, so ist er zwischen den Häusern fast unfahrbar; sowie man die ersteren erreicht, sinkt der Wagen bis an die Achsen in den Koth, unergründliche Löcher können nur durch die äußerste Geschicklichkeit des Mayoral vermieden werden, oder die mit lautem Geschrei und Peitschenhieben gejagten Maulthiere reißen die Kutsche hindurch, so daß man sich oft mit den Händen festhalten muß, um nicht den Kopf an der Decke zu zerstoßen. Man findet das übrigens durch ganz Spanien, und der Grund dieser schrecklichen Verwahrlosung in den Straßen der Dörfer und Städte soll darin liegen, daß die Behörden der letztern mit der Regierung beständig darüber im Streit sind, wer eigentlich die Verpflichtung habe, diese Wege zu unterhalten; einer schiebt sie auf den andern, und da diese Meinungsverschiedenheit nie ausgeglichen wird, so bleibt es, wie so manches hier, bei dem Alten, Schlechten. Die Bevölkerung der Dörfer, namentlich der kleineren und entlegeneren, paßt übrigens hiezu vortrefflich, und kaum verläßt man den Wagen, so wird man umdrängt von zerlumpten elenden Gestalten, die mit einer bei uns unbekannten Ausdauer ihren Quarto zu erbetteln wissen. (I: 208f.) Der abschätzige Vergleich mit der Türkei aus dem vorigen Zitat kontrastiert mit der positiven Erinnerung an den Orient 7 in der Nähe von Valencia. Als der Autor die Huerta und ihre Bewohner beschreibt, fällt der Vergleich positiv aus: Als es endlich wieder Tag wurde - wir waren anhaltend abwärts gefahren - sahen wir abermals das Meer zu unserer Linken, und hatten den Anfang der Huerta erreicht, jenes bäum- und wasserreiche Gartenland, in dem Valencia liegt. Die Felder waren hier schön und regelmäßig angebaut, mit neu aufkeimendem Grün bedeckt, oder mit Gemüsepflanzen, die noch auf die Ernte warteten. [...] Die Huerta war so liebenswürdig, sich uns in recht schönem Lichte zu zeigen, das sie freilich von der eben aufsteigenden Sonne endehnte, aber mit heiter lachendem Gesicht empfieng. [...] Beim Weiterfahren zeigte sich die Huerta wohl in gleicher, aber doch in mannigfaltig wechselnder Gestalt; ein' Hackländer war zweimal im Orient; 1842 zusammen mit dem Freiherrn von Taubenheim und 1843 als Hofrat, Sekretär und Reisebegleiter des Kronprinzen Karl. (Martini 1966: 412)

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María José G ó m e z Perales zelne Häuser und kleine Dörfer erschienen zahlreicher, und das künstliche Bewässerungssystem dieser Ebene, das noch aus der Araberzeit herstammt, kommt immer deutlicher und vortrefflich unterhalten hervor. Die Felder sind mit zahlreichen Wassergräben durchschnitten, die an der Straße, von wo sich der Strom ergießt, sorgfältig mit rothen Ziegeln eingefaßt sind; kleine Brunnen von malerischer Gestalt sieht man auf allen Seiten; ein Pferd treibt das horizontale Rad, welches das Paternosterwerk bewegt eine vertikale, mit Zähnen versehene Scheibe, über welche an Seilen irdene Krüge laufen, die das Wasser unten schöpfen und oben in einer Rinne ausgießen. Mir waren diese Brunnen alte, liebe Bekannte aus Syrien und Ägypten, wo ich an ihnen manchen guten Trunk gethan, überhaupt trat mir der Orient in der Nähe von Valencia auf der belebten Landstraße wieder klar vor Augen. (I: 214f.) Ein wichtiger Bestandteil von Hackländers Bericht sind die literarischen Re-

miniszenzen. Er zeigt mehrmals seine Kenntnis der mittelalterlichen spanischen Literatur, vor allem die Figur des C i d C a m p e a d o r und seine R o m a n z e n werden zitiert: Wir verließen die Stadt durch das Thor el Serranos, das mit seinen ungeheuern Mauern und gut erhaltenen Zinnen so trotzig dasteht, als sei es gestern beendigt worden; leider ist es aber auch nicht so alt, als wir es wohl wünschten, denn unsere Phantasie hätte gern seine Plattform mit den Gestalten des Campeador und seiner Familie belebt, die er ja auch auf einen der Thürme Valencias führte, als er ihnen das draußen lagernde zahllose Maurenheer zeigte. Allda sahen sie zum weiten Meer hinaus die Mauren kommen, Sah'n mit großer Eil' und Sorgfalt Sie aufschlagen ihre Zelte Unter Kriegsgeschrei und Trommeln, Kriegsgeschrei und Paukenhall. Großer Schrecken faßt die Mutter Wie die Töchter: denn sie hatten Solche Heere nie zu Felde, Nie auf Einem Platz gesehn. »Fürchtet nichts, ihr Lieben Alle,« Sprach der Cid, »so lang ich lebe Nah' euch keine Sorg' und Angst.« 8 Vom unsterblichen Cid, der Valencia so lange und kühn vertheidigte, und nach seinem Tode noch durch seinen bloßen Anblick die Mauren in die Flucht schlug, ist

" Aus Herders Nachdichtung des Cid, Kap. 54, w . 24-36.

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aber leider nicht viel mehr hier vorhanden; nur sein Schwert zeigt man noch, ob acht, ob falsch ist die Frage, sowie einen Thurm, la puerta del Cid, durch welchen der Campeador seinen Einzug in die Stadt hielt. Valencia war aber damals kleiner, und so steht dieser Thurm jetzt ziemlich weit entfernt von den heutigen Mauern, am Hause der Tempelherren; die Araber haben ihn erbaut und nannten ihn Alebufat. Von seinen Zinnen glänzte zuerst das christliche Kreuz von Valencia. (I: 221 f.) Dass Hackländer Cervantes und dessen berühmtestes Werk kennt, lässt sich mehrfach nachweisen. Die Landschaft der Mancha bringt ihn zu folgenden Überlegungen: Unter solchen angenehmen Gesprächen zogen wir nun vor dem Karren durch die Mancha dahin. Rechts hatten wir Campo de Montiel, den classischen Boden Don Quixotes und seines Stallmeisters. Wollte Cervantes, als er seinen Roman in diese öde und einförmige Gegend verlegte, der Phantasie seines Helden den größtmöglichen und weitesten Spielraum lassen, sie mit seinen Gebilden zu bevölkern, oder wählte er diese menschenleere Gegend, um es glaubwürdig zu machen, daß der sinnreiche Edle sein Wesen so lange treiben konnte, ohne als Wahnsinniger eingefangen zu werden? Ich glaube das Erstere; denn mit einer etwas erregbaren Einbildungskraft hier durch diese gewaltige Fläche ziehend, ist man wohl im Stande auf seltsame Gedanken zu verfallen und, wenn man den Kern einer ähnlichen Narrheit in sich trägt, so weit zu kommen, daß man seinen eigenen Schatten für einen Angreifer, Windmühlen für Riesen hält. (I: 271) Der Zustand der Betten in dem Gasthof, in dem sie in Villarrobledo übernachten, vergleicht er mit einer Beschreibung in Don Quijote: Was nun das Bett anbelangt, so war es dem Lager Don Quixote's in dem Abenteuer mit der Asturianer Magd so erschreckend ähnlich, daß ich nicht umhin kann, die Worte des spanischen Dichters hier abermals zu erwähnen. „Es war," so sagt er, „auf zwei ungleichen Brücken erbaut, über welche man vier ungehobelte Bretter legte, auf diese wurde eine Matratze, nicht dicker als eine Decke ausgebreitet, voller Knollen, die, wenn man nicht an einigen gewissen Stellen gesehen hätte, daß sie Wolle waren, man dem Gefühle nach wohl für Kiesel hätte halten können; dazu zwei Betttücher aus steifem Leder und eine Bettdecke, deren Fäden man, ohne sich um einen zu verrechnen, hätte zählen können, wenn man sich die Mühe hätte geben wollen." Obgleich ich überzeugt bin, daß es dem edlen Cervantes sehr gleichgültig sein kann, daß ich die Wahrheit seiner Schilderung hiemit bezeuge, so kann ich es doch bei meiner Wahrheitsliebe nicht unterlassen. (I: 277f.)

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O b w o h l 1 8 5 3 die Eisenbahn schon einige Strecken Spaniens bediente — die erste Strecke, Barcelona-Mataro, wurde 1848 eröffnet; Madrid-Aranjuez 1851 - , wollten Hackländer u n d der Maler Horschelt unbedingt durch Spanien reiten. Zuerst benutzten sie die Kutsche als Verkehrmittel. In L a R o d a setzten sie die Reise zu Pferd fort, daher der Titel des 11. Kapitels „Ein Ritt durch die M a n c h a " . Diese wichtige Entscheidung trafen sie am Silvesterabend: So standen wir denn in einem gänzlich fremden Orte, mitten in der Nacht, vor einer fremden Thür, ohne Kenntniß der Landessprache, und als nun in der Ferne der Eilwagen mit unseren Freunden unter Peitschenknall und lautem Geschrei davon rollte, überschlich mich ein eigenes Gefühl. La Roda war unendlich still, kein Licht schimmerte, kein menschliches Wesen ließ sich sehen; ich verglich es in Gedanken mit unseren Städten in Deutschland um diese Stunde, und sagte meinem Freunde, es sei eigenthümlich, daß hier die Neujahrsnacht so still verbracht werde - kein Schießen, kein Lärmen - eine Äußerung, die mir aber der sonst so geduldige lange Maler im gegenwärtigen Augenblicke höchst übel nahm; denn er sagte, er begriffe nicht, wie man in unserer Lage noch an Schießen und Spektakel denken könne; ich solle ihm lieber helfen, an die Thür zu klopfen, damit uns endlich Jemand aufmache. (I: 265) D o c h obwohl sie sich in L a R o d a für das Reiten entschieden hatten, gelingt es ihnen bis Villarrobledo nicht, Pferde u n d Führer zu finden u n d zu mieten. D a beweist der Autor seine Freude a m Abenteuer: Trotz Kälte und Wind beneideten wir unseren Baumeister nicht mehr um seinen Platz im Eilwagen; sich so im Sattel zu wissen, wenn auch nur auf einem Maulthiere, war doch ein ganz anderes Gefühl. Und dazu noch unsere eigenthümliche Tracht: die Manta malerisch umgeschlungen, den castilianischen Hut keck auf den Kopf gestülpt, im Gürtel das Messer, das bei jedem Schritte klirrende Gewehr am Sattel - wir hielten uns wahrhaftig schon für ganz andere Menschen, als die, welche noch vor ein paar Tagen mit Reisemütze und Pelzstiefeln im Eilwagen gesessen; wir schrieen zuweilen aus voller Brust ein lautes Hurrah und wünschten in unserem Ubermuthe irgend ein kleines Abenteuer a la Don Quixote. (I: 291) D e r erste B a n d endet mit diesem Ritt durch die M a n c h a , doch M a d r i d , die Stadt, mit der der zweite B a n d beginnt, erreichen die Reisenden schließlich mit dem Zug.

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D a Hackländer schon viele andere europäische Länder bereist hatte, 9 konnte er folgende Vergleiche zwischen den Hauptstädten machen: Das Straßenleben von Madrid ist wohl nur mit dem von Neapel zu vergleichen. Paris in seinen besuchtesten Straßen zeigt nicht einmal so seine Bevölkerung, und Piccadilly und der Strand in London haben eine ganz andere Art von Bewegung. Dort schiebt sich auch eine endlose Menschenmenge an einander vorbei, aber jeder rennt ernst und geschäftig seiner Wege, denn Zeit ist Geld. Man hat zu thun, man strebt vorwärts einem gewissen Ziel zu, man grüßt flüchtig einen Bekannten, wobei man sich ohne Aufenthalt eilig durch die Menge windet. Hier in Madrid dagegen glaubt man ein ganzes Volk von glückseligen Flaneurs zu sehen; keiner scheint was rechtes zu thun zu haben, und alles ist, so glaubt man, auf der Straße, um frische Luft zu schöpfen, zu sehen, gesehen zu werden, die ausgestellten Waaren zu betrachten, oder mit guten Freunden eine halbe Stunde zu verplaudern. Wenn der Spanier auch wirklich in einem andern Stadttheil Geschäfte hat, so ist er darum doch nie eilig, er tritt zu seinem Haus hinaus, er beschaut sich das Wetter, wirft gravitätisch seinen Mantelkragen über die linke Schulter, und da er andere Leute rauchen sieht, so macht er sich ebenfalls eine Papiercigarre zurecht und setzt sich erst langsam in Marsch, nachdem sie angezündet ist. (II: 15) Manchmal besitzen die Beschreibungen von Hackländer den Charakter eines Reiseführers, und alte Gebäude, M o n u m e n t e und Sehenswürdigkeiten werden mit Sorgfalt, Genauigkeit und Ausführlichkeit dargestellt. D o c h schimmert durch die Beschreibung immer wieder seine Vorliebe für die Beobachtung und Wahrn e h m u n g des Lichts. Der Reisende erzählt von seiner Besichtigung der Kathedrale von Toledo, und am Ende seiner detallierten Beschreibung kommentiert er: Auch ein Spaziergang in den prachtvollen Kreuzgängen, welche an den D o m stoßen, thut so wohl und erfrischt. An der Thür warfen wir noch einen Blick rückwärts in den dämmernden Raum, die ganze Kirche funkelt vor dem Auge wie ein Kaleidoskop; die Kerzen am Hochaltare schimmern gleich rothen Funken und wie durch Nebel zu uns herüber. Hinter dem Chore liegt der ganze gewaltige Raum noch dunkler; und oben ganz in der Höhe läßt ein offenes Fenster einen Lichtstrom hereindringen, auf welchem der Staub sich mit Behagen schwingt, und dessen Strahl eine erhabene Marmorfigur trifft, die im allgemeinen Halbdunkel hell leuchtend und wie verklärt dasteht. (II: 119)

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Zwischen 1844 und 1846 reiste er u.a. nach Italien, Belgien, Österreich und Russland und

diese Reisen „verschafften Hackländer eine für seine lebhafte schriftstellerische Tätigkeit fruchtbare Welt- und Menschenkenntnis". (Martini 1966: 412)

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M a r í a José Gómez Perales N a c h Besuchen in M a d r i d , El Escorial, A r a n j u e z u n d Toledo entscheiden

sich H a c k l ä n d e r u n d Horschelt w i e d e r für das Reiten, u m Andalusien zu erreichen. Der Verfasser begründet leidenschaftlich, w a r u m er dies bevorzugt: Als wir uns zum Ritt von Toledo anschickten, hatte man uns auch wohl schüchtern von Ladrones gesprochen, uns aber mit noch größerer Besorgniß die Frage gestellt: was wollen Sie anfangen, wenn unterwegs ein tüchtiges Regenwetter eintritt? Und unser Gastwirth hatte gemeint, irri Sommer sei er auch schon einmal nach Fuente el Fresno geritten, aber im Winter - davor wolle ihn Gott bewahren. Und der Mann hatte recht. Was bei anhaltend schlechtem Wetter in diesen Gegenden und auf diesen Wegen mit uns geworden wäre, weiß ich selbst nicht. Doch hatten wir ja mit vielem Glück schon drei Viertel des Weges hinter uns, auch war der Himmel klar und blau, der allerdings heftige Wind trocknete Felder und Straßen augenscheinlich ab, und wenn ich meinem Reisegefährten scherzweise die Frage stellte: würdest du selbst bei Regenwetter Toledo zu Pferd verlassen haben, oder in den Eilwagen gestiegen sein? so antwortete er mir lachend: Nein, das Letztere gewiß nicht, es ist doch ein ganz anderes Leben, so sein eigener Herr zu sein und hoch vom Sattel herab in die Welt schauen zu können. - Und so war es auch. Ich hasse nichts so sehr, als das dumpfe Hinbrüten, in welches wir bei einer längeren Fahrt, selbst in bester Gesellschaft, am Ende verfallen. Und so tausenderlei Schönes geht dabei für uns verloren, wird uns von dem engen Rahmen des Wagenfensters neidisch abgesperrt, so viele Bilder und Eindrücke aller Art, die wir, frei um uns schauend, so gerne in die Seele strömen lassen - schöne Bilder, prächtige Gedanken, die uns erfreuen, wenn wir auch nicht im Stande sind, den hundertsten Theil davon wieder zu geben. Wie angenehm ist es auch, um leiblicher Genüsse zu gedenken, mit der Befriedigung eines schönen Durstes nicht von der Stunde des Mayorals abhängig zu sein, der wieder auf den schlechten Weg und elende Maulthiere angewiesen ist. (II: 164f.) Für d e n A u t o r g e h ö r e n El C i d C a m p e a d o r , D o n Q u i x o t e u n d d i e Stierk ä m p f e u n a b d i n g b a r zu Spanien, u n d auch ein Besuch in G r a n a d a gehört für einen Schriftsteller des 19. J a h r h u n d e r t s z u m P f l i c h t p r o g r a m m . So waren wir also in Granada, wonach ich mich so unbeschreiblich gesehnt, was ich zu erreichen gestrebt wie ein Kleinod, das mir auch ewig bleiben muß; eine Erinnerung an dieß Paradies der Erde, und das ist Granada mit seiner himmlischen Umgebung, wird sich in meinem Gedächtniß, so hoffe ich, ungeschwächt erhalten, bis ich einstens überhaupt nichts mehr denken werde. Alle Mühseligkeiten der Reise, die wir bis jetzt erduldet, erschienen uns niedagewesen und tausendfach belohnt. Wer ja, wie wir schon in alten Mährchen lasen, das kostbarste Zauberschloß gewinnen wollte, oder die Hand der wunderschönen Prinzessin, der mußte durch Wüsten und Einöden ziehen, mußte

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sich mit Drachen und Riesen herumschlagen. Ja, in allen unsern kleinen Leiden war uns der Gedanke an Granada stets wie ein Stern in dunkler Nacht, und mehr als Einmal citirte ich in den dürren Flächen der Mancha und den wilden Toledaner Bergen meinem Reisegefährten die Worte Freiligrath's: Und düster durch versengte Halme Wall' ich der Wüste dürren Pfad. Wächst in der Wüste nicht die Palme? So hatten wir also die Palme errungen und Granada erreicht, und als wir auf den Balcon vor unserm Fenster in dem kleinen Gasthof der Fonda nueva traten, sahen wir vor uns auf dem Berge den schönen Traum aus der Jugendzeit mit Einem Male verkörpert vor uns stehen, las torres bermejas, die rothenThürme der Alhambra. (II: 223f.)

Wie oben angemerkt, war Hackländer schon vor seiner Spanienreise als Romanautor bekannt und geschätzt. Sein Reisebericht muß also einen zusätzlichen Reiz für die Leser gehabt haben, vor allem, weil er in diesem Fall einen nichtfiktionalen Text geschrieben hatte und sich nicht nur als Erzähler, sondern auch als Privatperson darstellte.

E I N DISTANZIERTER GELEHRTER: ALFRED VON W O L Z O G E N

Alfred Freiherr von Wolzogen10 (1823-1883) war mecklenburg-schwerinischer Theaterindendant, Schriftsteller und preußischer Regierungsrat. Durch seine Großmutter Henriette von Wolzogen und durch seine angeheiratete Tante Karoline von Wolzogen hatte er Verbindungen zur Familie Friedrich Schillers (Karoline war die Schwester von Schillers Frau Charlotte). Noch eine wichtige Verbindung war die zum Architekten Karl Friedrich Schinkel, dessen jüngste Tochter Elisabeth er 1847 heiratete. Die Reise nach Spanien unternahm er 1852, um sich von deren frühem Tod (1851) zu erholen. Der Reisezweck war also rein privat. Die Reise führte ihn nach Italien, in die Schweiz, nach Frankreich, Spanien, England, Holland und Belgien, und die schriftliche Ausarbeitung erschien 1857 unter dem Titel Reise nach Spanien und dem Motto: „No hay mas que una España en el mundo" („Es gibt nur ein Spanien auf der Welt"). Im Vorwort läßt er die bisherige Spanienreiseliteratur Revue passieren. Angesichts von deren Vielfalt und Menge äußert er den Wunsch, es möge bald ein „ordentliches deutsches Reisehandbuch für Spanien nach Art des Förster'schen für Italien und der noch viel besseren englischen Guides aus der berühmten 10

Lebensdaten nach Mendheim ( 1 8 9 8 : 1 9 9 - 2 0 2 ) .

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María José G ó m e z Perales

Murray'sehen O f f i z i n " (Wolzogen 1857: VII) erscheinen. Sein Werk versteht er als einen Baustein dafür. Für ihn ist Spanien ein ferner „Zipfel der europäischen G e s a m m t h e i m a t h " (V), ein „von unserer europäischen Völkerfamilie halb vergessenes Stiefkind" (VIII), und er b e m ü h t sich, diese E n t f e r n u n g zu überwinden. G r u n d t e n o r dieser Reise ist ein Vergleich mit Europa, wobei die Beziehungen zu Deutschland eine besondere Rolle einnehmen. Wolzogens A u s f ü h r u n g e n arbeiten oft mit alten Stereotypen, aber auch mit gelehrten Zitaten und zeitgenössischen Anspielungen: Es liegt indessen, der frohen, naiven Offenheit der Basken gegenüber, in der Physiognomie des Castilianers etwas Finsteres, fast Trauriges, obwohl man ihn, nach Pope's Ausspruch: „blessed is he, ivho expects nothing, for he shaä never be disappointed',

ge-

wiß nicht zu den unglücklichen Charakteren rechnen kann. Sein Gleichmuth verräth vielmehr, daß er der Lebensregel der Alten folgt, wonach glücklich nicht der ist, der besitzt, was er wünscht, sondern der, der nicht wünscht, was er nicht besitzt*. Man muß sich durch sein Aeußeres nicht täuschen lassen, und selbst durch de La borde's" Versicherung nicht, daß es v i e l e Leute in Altcastilien gebe, die man in ihrem Leben nie lachen gesehen. Dies letztere paßt freilich trefflich zum Bilde, das wir von Albas Soldaten aus Goethes Egmont im Busen tragen, aber auch diese finstern Burschen litten an nichts weniger, als an modernem Weltschmerz. Schweigsamer Ernst, langsame und bedächtige Klugheit, bewundernswerthe Standhaftigkeit im Unglück und nebenbei - wie nicht zu leugnen- große Indolenz und Trägheit sind allerdings von jeher die hervorstechendsten Eigenschaften der altcastilischen Bevölkerung gewesen. Alle Fremden aber, die diesen Menschen näher getreten sind, erkennen zugleich auch ihre entschiedene Redlichkeit, unaffectierte Verbindlichkeit und ritterliche Großmuth an, Züge, denen ich selbst später verschiedenfach begegnet bin und die mir alle Achtung eingeflößt haben. (29f.) Mehrmals zeigt sich seine kulturkritische Einstellung in Verbindung mit Beobachtungen über die sprichwörtliche Rückständigkeit Spaniens: Daß es Stellen giebt, wo der Boden blos deshalb nachlässig bestellt wird, weil er allzu fruchtbar ist, und Alles so zu sagen von selbst wächst, behauptet Willkomm a. a. O. gleichfalls, und hiernach muß man denn allerdings zu dem Resultat gelangen, daß dem Lande vor allen Dingen eine Vermehrung der Verkehrsmittel, Chausseen und Eisenbahnen Noth thut, um dem Getreidequantum, welches mit Leichtigkeit pro-

* Beatus, non qui habet, quae cupit, sed qui non cupiet, quae non habet. 11

Alexandre de Laborde, französischer Spanienreisender, dessen umfangreiche Berichte ab

1806 erschienen und u. a. von Christian August Fischer 1809/10 ins Deutsche übersetzt wurden.

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duciert werden könnte, einen leichteren und billigeren Absatz zu verschaffen. Solange das letztere noch wie jetzt fast ausschließlich auf Maulthierrücken von einem Ort zum anderen geschafft werden muß, kann dem kräftigen unerschütterlich ehrlichen genügsamen Urmenschen von Altcastilien, der sich, weil kein Trofpen maurischen Bluts in seinen Adern rinnt, gleich dem Basken, Galicier und Asturier „cristiano viejo" nennt, ein schöneres Erdenparadies freilich nicht erblühen, obschon er das Himmlische bei all seiner materiellen Verkommenheit in zehnmal höherem Grade besitzen mag, als nous autres Européens civilisées, bei denen aus guten Gründen schon längst die Mode abgekommen ist, welche in diesem Lande der Uncultur noch bis auf den heutigen Tag in ihrer ganzen patriarchalischen Herrlichkeit besteht, daß nämlich die Hausthüren weder Schlösser noch Riegel haben. (46-47) Wolzogen gibt nicht so viele Landschaftsbeschreibungen wie andere Zeitgenossen, aber die Übergänge von einer Region in die andere erwecken seine Aufmerk-

samkeit. Während er Andalusien („elpais de buenos caballos y buenas mozas, das Land der schönen Pferde und schönen Mädchen!", 141) erreicht, beobachtet er: Wir fühlten uns wie Erlöste, als wir bei einbrechendem Abend auf das mitdere Guadalquivirbecken, die campina de Cordoba herabschauten, eine von steilen Abhängen begrenzte, wellenförmige Thalfläche, wo Oel, Wein, Castanien und Johannisbrod in Ueberfluß gedeihen, wenn auch der Ackerbau noch immer mehr, als recht ist, darnieder liegt. Am Südhorizonte erglänzten auch schon die schönen, vom Abendroth vergoldeten Gipfel der Granada nördlich umgürtenden Bergkette, die Montes de Granada, die wir schon ihres klingenden Namens wegen mit wahrhaftem Enthusiasmus begrüßten. Mannshohe Aloës und Kaktushecken begleiteten der Straße Schlangenwindung. Hier dehnten sich reiche Mais- und Gemüsefelder, mit Oelbäumen besäet; dort wechselten Mandelbaumplantagen mit Weingärten auf das Anmuthigste ab. (141) Die andalusischen Innenhöfe in ihrer Verbindung von Schönheit und Unreinlichkeit geben ihm Anlaß zu allgemeinen Beobachtungen über das Reisen im Süden: Von nordischem Luxus ist indesen bei dieser an sich so hübschen und zweckmäßigen Anlage keine Rede; ja oft fehlt selbst, wie z. B. auch in der hochbelobten Europa, die gewöhnliche Reinlichkeit, die sogar den einfachen häuslichen Einrichtungen ein gewisses Lüstre und einen unbestreitbaren Comfort zu verleihen vermag. Regnet es, so bleibt das Wasser in Pfützen und ohne Abfluß auf den meist schon sehr ausgetretenen Marmorplatten stehen, bis die liebe Sonne es aufgesogen; der Kehricht aus dem Hause wird auf dem patio ausgeschüttet und dort vergessen; unter der

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María José G ó m e z Perales ihn rings umgebenden Colonade reinigt und trocknet man Wäsche, und n i m m t sonst allerlei häusliche, zum Theil übelriechende Verrichtungen vor. Ueberhaupt m u ß man, will man südliche Gegenden recht genießen, ohne Nase reisen; das Auge findet dagegen für manche, auch ihm nicht ersparte Beleidigungen doch immer noch so reichen Ersatz, daß es sich zu beschweren nicht Ursache hat. Daß ich diese generelle Bemerkung just hier einschalte, mag mir das übrigens durch Reinlichkeit ausgezeichnete Sevilla nicht übel deuten, zumal ich gern bereit bin einzugestehen, daß viele patios, in die ich durch das Gitterthor der Häuser von Außen hineinsah, einen sehr heimlichen und zum Eintritt einladenden Eindruck auf mich gemacht haben. (155) M i t u n t e r w i d e r l e g t er B e h a u p t u n g e n f r ü h e r e r R e i s e n d e r , j e d o c h m i t v o r -

sichtigen E i n s c h r ä n k u n g e n : Eigentlich bezaubernden Weibern sind wir übrigens in Sevilla nicht begegnet, und auch in dieser Beziehung m u ß ich gegen viele enthusiastische Reisebeschreiber Front machen. Zudem erschien mir auch das Frauencostüm hier lange nicht so grazieus u n d gewählt, als wie ich es in Madrid u n d selbst in Burgos gesehen; die noble schwarze Seide des Kleides und das gelbe Umschlagetuch unter der schwarzen Spitzenmantilla machte hier meist einer bunten, dienstmädchenhaften Tracht Platz, wie man sie in Petersburg und meinethalben auch in Newyork ebenso gut sehen kann. Nur fehlen natürlich Mantilla und Fächer auch in Sevilla nirgends. Um gerecht zu sein, darf ich allerdings nicht unerwähnt lassen, daß das größtentheils ungünstige Wetter uns, außer im Theater, nur wenigen Damen aus der vornehmeren Welt nahe gebracht hat. Die Alameda war fast immer leer, und einen ordentlichen Corso erlebten wir niemals. (170) Alles in allem ist er von Sevilla e i n i g e r m a ß e n e n t t ä u s c h t , v o n C á d i z dagegen a n g e n e h m ü b e r r a s c h t . B e i m Vergleich b e i d e r S t ä d t e b e m ü h t er sich a b e r u m Objektivität: Dabei stellten wir noch mancherlei Vergleichungen zwischen Sevilla und Cadiz an, welche - die maurischen beaux restes und artistischen Schätze abgerechnet - sämmtlich zum Vortheile des letztern ausfielen. Es präsentiert sich in der That mit seinen säubern, weiß oder höchstens hellgelb angestrichenen hohen Häusern, von denen jedes einen sogenannten mirador, d. i. ein Thürmchen, das als Belvedere dient, besitzt, mit seinen breiten, marmorgepflasterten Straßen, mit seinen vielen alleengezierten Plätzen, seinen luxuriösen Boutiken wahrhaft residenzmäßig gegen das winkelige, unansehnliche Sevilla, in dem man an allen Ecken und Enden nur den Giraldathurm als Riesen unter den Zwergen hervorrragen sieht. Bringe ich auch, wie

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billig, das dortige schlechte Wetter und die dadurch einigermaßen herabgestimmte Reiselaune mit in Anschlag, so kann ich doch nicht umhin, wahrheitsgetreu zu berichten, daß wir uns sämmtlich in Cadiz epikuräisch-glücklich gefühlt haben und muß nur so viel zugeben, daß vielleicht bei einem längeren Aufenthalt der Mangel an eigentlichen Sehenswürdigkeiten, so wie die völlige Abwesenheit jeder befriedigenden Landaussicht uns einen gewissen Ennui verursacht haben möchte, den selbst die Freuden einer wohlbesetzten Tafel und die verführerische Nymphenumgebung nicht ganz zu bannen vermocht hätte; denn wir ewig kritischen und vernünftelnden Nordländer sind nun einmal zu einem andauernden blos sinnlichen Genießen ohne das, was wir geistige Nahrung zu nennen belieben, nicht recht organisirt. J. J. Rousseau behauptet zwar „l'état de reflexion est un état contre nature", und hier im wonnigen Süden möchte man allerdings fast an die Wahrheit dieses Ausspruchs glauben lernen; doch aber bringen wir unverbesserlichen Raisonneurs es selbst in Cadiz selten weiter, als zu dem unter allen Umständen höchst vernünftigen Satze „primo vii'ere, deindephilosophart. Da ich nun einmal so und nicht anders beschaffen bin, so bin ich, müßte ich für eines Monats Dauer zwischen Cadiz und Sevilla wählen, das letztere vorziehen; auf zwei selige Schlaraffentage stimme ich unter allen Umständen fur Cadiz. (183f.) In C á d i z erlebt er einen Höhepunkt seiner W a h r n e h m u n g der Landschaft, außerdem hat er aufregende Begegnungen: Ich hatte mich, sobald die Schaukelei begann, - als ein alter erfahrener, aber gleichfalls nicht eben taktfester Seemann - der Länge nach auf dem Verdeck ausgestreckt, ließ mich gemüthlichst von der Sonne braten, starrte in den tiefblauen Himmel hinein, und blieb so ohne die leiseste Anwandlung des häßlichen Leidens. Nach mehr denn zweistündiger Fahrt sprang ich auf, und vor mir lag das blendendweiße C a d i z auf spitzer Landzunge mit seinen Festungswerken stattlich ausgedehnt, wie ein in der Mittagsgluth sich sonnender Schwan. Nur drei Farben sind es, die sich hier in des Auges Spiegel fangen: das Blau der Fluth, das Sonnengold und die weiße Häusertünche; hiernach mag man sich einen Begriff von der Lichtfülle, von der absoluten Schattenlosigkeit des Ortes machen, dem wir nun lustig zusteuerten. (179) [...] Kaum hatten wir von unseren geräumigen Zimmern Besitz genommen, und durch einige improviserte Skalen unsere Ankunft verkündigt, so sahen wir sämmtliche Balkonfenster der dicht gegen uns überliegenden Häuserreihe - denn eng nur war die Gasse, in der wir logirten - mit einem Mädchenflor sich schmücken, der auch das kälteste Herz in Wallung zu bringen vermocht hätte. Stundenlang trieben wir mit diesen reizenden vis-à-vis ein höchst anmuthiges Augenspiel und hatten die Freude zu bemerken, daß von allen spanischen Schönen die herrlichen Schwarzköpfe dieser

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María José Gómez Perales sybaritischen Seestadt die Kraftäußerungen deutscher Leidenschaft und Romantik am besten aufnehmen, daß sie sich am hellen lichten Tage ohne Scheu und Prüderie Serenaden im auffallendsten Fortissimo bringen lassen, und in alle Scherze lustiger Fremden lachend eingehen. (180) Uber die gegenseitige Sympathie zwischen Spaniern und Deutschen schreibt er: Daß wir sechs ausländischen Reiter auch hier überall durch unsere Erscheinung große Sensation erregten, versteht sich in einem Lande von selbst, wo alles so ganz anders hergeht, als bei uns. Es schmeichelte indessen unserm Nationalstolze — die Livländer wollten nichts anders als Deutsche sein, und sind es ja auch durch Namen und Abstammung- nicht wenig, zu bemerken, wie uns die Kunde, daß wir Alemanes seien, überall freundliche Gesichter eintrug. Ein alter Spanier, der uns auf andalusischem Schimmelhengst gerade in dem Augenblick begegnete, da wir alle in einer Front reitend, ein lustiges deutsches Studentenlied vor uns hin trällerten, begrüßte uns, ohne erst ein homerisches xiQ TtoÖEv eii!; avöprav; 7to0i TOI no^IC, R^Se X O K X ^ Z Q * an uns gerichtet zu haben, sofort als Señores Alemanes, und bemerkte dazu, als wir uns über seine Divinationsgabe wunderten, er wisse recht wohl, daß die Deutschen immer lustig und guter Dinge seien (sie?), und ohne Gesang nicht existiren könnten. Die Napoleon'schen Kriege hätten ihn mit unserer edlen Nation bekannt gemacht. Er muß in besonders guten Quartieren gelegen haben, da man im allgemeinen bei uns nichts davon weiß, daß sich die ungkücklichen spanischen Hilfstruppen Napoleons vor Colberg und sonst in Deutschland so außerordentlich wohl befunden hätten. Auch gefallt sich überhaupt aus nahliegenden Gründen ein Südländer selten in unserem „kältern Deutschland", obschon die Lola's und Pepitas keine schlechten Geschäfte bei uns machen. Thatsache aber ist es, daß der Deutsche, so selten er auch, seit die Herrschaft Habsburgs in Spanien aufgehört, sich dort blicken lassen mag, bei weitem lieber gesehen wird, als namentlich der Franzose, der von dem Unabhängigkeitskriege her noch allgemein im allerschlechtesten Andenken steht. Eine gewisse sympathetische Aehnlichkeit des spanischen und deutschen Charakters ist nicht zu verkennen. (238f.) Die deutsche Präsenz in Spanien gibt immer wieder Anlass zu Vergleichen: Als besondere Curiosität muß ich endlich noch anführen, daß ich in einer Gasse sogar eine große Boutique mit Nürnberger Spielwaaren fand, die noch ihre deutschen Etiquetten an sich trugen. Ich seufzte über diesen sichtbaren Beweis von der

* „Wer bist du, von welchem Volke, aus welcher Stadt, wo wohnen deine Eltern"?

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großen handelspolitischen Bedeutung meines Vaterlandes, denn ich würde es für ein wahres Unglück halten, wenn Valencias fröhliche, rührige Jugend von der unzufriedenen Langeweile und dem Mangel an Productivität und Selbstständigkeit unserer vielverzogenen, altklugen deutschen Kinderwelt etwa angesteckt werden sollte. Man verzeihe diesen Seitenhieb einem Pädagogen, der davon durchdrungen ist, daß durch den erbärmlichen Spielsachenstand ein ärgerer Phantasiemord an unserer Jugend begangen wird, als durch alle sonstigen Thorheiten unserer Erziehungstheorien. Uebrigens kann ich mir kaum denken, daß eine hija de Valencia an der Nürnberger (Puppe) lange Geschmack finden, ein Sohn der Huerta sich viel um bleierne Soldaten kümmern sollte: der Azurhimmel, der sich über diesen glücklichen Kindern wölbt, lockt sie wohl frühzeitig genug zu ganz andern, als solchen Ofenhockerpossen! (307f.) D i e Frage nach Spaniens Europäisierung findet einerseits Antwort im internationalen Ambiente Málagas, andererseits im fortschrittlichen Barcelona: Um Vi 8 Uhr, bei sinkender Sonne war die schöne, trefflich beleuchtete Hafenstadt M a l a g a mit ihren 80.000 Einwohnern jetzt nach Barcelona der bedeutendste Handelsplatz Spaniens glücklich erreicht, und das prächtige, völlig europäisch-civilisirte Gasthaus, die Alameda, nahm unsere müden Glieder auf. Langentbehrter englischer Comfort umgab uns hier, wie denn überhaupt die Stadt in Folge der vielen hier etablirten englischen und hamburger Kaufmannscomptoirs, sowie wegen der zahlreichen aus Gesundheitsrücksichten verweilenden Fremden aller Nationen sich zu einem Culturzustande emporgeschwungen hat, der gegen die Verhältnisse selbst der größten Städte des spanischen Binnenlandes sehr vortheilhaft absticht. Das ächt nationale Treiben der niedern Bevölkerung hat indessen merkwürdigerweise darunter keineswegs gelitten, sich vielmehr nur auf ein bestimmtes, die nordöstliche Hälfte der Stadt einnehmendes Viertel concentrirt, dessen krumme und zum Theil recht schmutzige Gäßchen noch viele maurische Reminiscenzen bieten. Die Wirthstafel versetzte uns in die heiter-behaglichste Stimmung: gute Gesellschaft, höchste Sauberkeit, flinke Bedienung, treffliche Gerichte und ausgesuchte Getränke - Alles fand sich hier zusammen, um die, in spanischen Posadas und Ventas vielfach erlittenen Entbehrungen vergesen zu machen [...] Wer, ein unverbesserlicher Nordländer, Spanien satt hat, und den iberischen Boden doch aus irgend welchem Grunde nicht verlassen mag oder darf, - der flüchte in das Paradies von Malaga, wo ihm alle Genüsse der Heimath, mit den vollen Reizen des Südens gepaart, auf dem Präsentirteller entgegen getragen werden! (291 ff.) [...] Freilich aber ist Barcelona bis jetzt auch die einzige Stadt der Monarchie, in der wirklich eine lebhafte Nationalindustrie, ja ein respectabler europäischer Handel ge-

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María José Gómez Perales trieben wird, wie sich denn auch der Feldbau Cataloniens mit jedem anderen messen kann. Mit Recht sagt das Sprichwort von dem fleißigen Catalan:

„— El Catalan Saca de la piedra pari' Er macht aus Steinen Brot; er ist, gleich dem Basken, ein unermüdlicher Ackerbauer, ein rühriger Kaufmann, ein guter Speculant; er plackt sich, um vorwärts zu kommen, und erwartet nie, wie der stolze castilianische Hidalgo oder der ewig scherzende, kokettirende, bombastische andalusische Sybarit, daß ihm die Tauben gebraten in den Mund fliegen. (318) [...] Was mir jedoch an den Cataloniern am wenigsten behagt hat, das ist die Thatsache, daß ihnen das poetische Element des Südens, Liebesgeflüster, Guitarrenklang und Romanze, ja selbst ein eigentlicher Nationaltanz durchaus fehlt; denn Erwerb allein ist die Loosung ihrer Existenz, und das „to make money" absorbirt am letzten Ende trotz Sonnenbrand und Azurhimmel alle übrigen Neigungen und Leidenschaften ihres heftigen Temperaments. Vorzugsweise stark prononcirt ist dieser krasse Materialismus in Barcelona selbst. (320) Als Kulturkritiker hebt Wolzogen diese Ausnahmestellung Barcelonas und Kataloniens besonders hervor: Wer nach Spanien reist, um auf eine Zeitlang zu vergessen, daß er ein Kind des 19. Säculums, des Jahrhunderts des Eigennutzes und poesielosen Materialismus sei, der schenke sich das prächtig moderne Barcelona: es paßt nicht zu dem übrigen geistig erfrischenden Totaleindruck, den das wüste, verkommene, bettelhafte, aber durch und durch originelle Spanien sonst auf ihn machen wird. Wer sich aber recht lange in den schlechten Posadas Altcastiliens und der Mancha herumgetrieben, und des Knoblauchs und ranzigen Oels von Herzen satt, sich nach der Civilisation seines Zeitalters, nach behaglicher Leibespflege und moderner Umgebung zurücksehnt, für den ist der reiche Bazar von Barcelona ganz der empfehlungswerte Ort. (321 f.) Wolzogen zeigt sich nach seinen eigenen Worten als ein „in Culturländern großgezogener Europäer" (66) und schreibt aus einem dezidiert europäischen Standpunkt heraus, er kennt zur G e n ü g e die alten Stereotype und versucht, sie zu überwinden, nicht nur u m ein aktuelles Spanienbild zu vermitteln, sondern sogar u m ein zukünftiges zu entwerfen.

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ANDÄCHTIGE BETRACHTUNG DER LANDSCHAFT: FRANZ LORINSER

Franz Lorinser, Theologe, Schriftsteller und Ubersetzer wurde 1821 in Berlin geboren. Er fühlte sich als Süddeutscher, da sein Vater bayerischer Herkunft war und er aus einer katholischen Familie stammte. Aufmerksam auf Spanien wurde er durch einen Onkel seines Vaters, der lange Zeit in Cádiz gewohnt und, als er wieder nach Deutschland zurückkam, viele Erinnerungen aus Spanien mitgebracht hatte. Lorinsers Vater bekam, als der Onkel starb, eine kleine Sammlung spanischer Bücher als Erbe. 12 Sein Sohn lernte dann Spanisch und später, zwischen 1856 und 1872, übersetzte er alle Autos sacramentales Calderóns. Das Werk von Lorinser Neue Reiseskizzen aus Spanien besteht aus zwei Bänden. Die Reise fand im Sommer 1858 statt und, wie der Titel schon ankündigt, handelt es sich um die zweite Spanienreise des Autors. Im Vorwort erfahren wir, dass Lorinser während seiner ersten Reise die Städte Santiago de Compostela und Sevilla nicht besichtigen konnte; sie werden deshalb die Hauptziele der zweiten Reise. Der Reisebericht ist geographisch gegliedert und jedes Kapitel wird mit dem Namen der bereisten Gegend überschrieben: Die Eindrücke des Autors und seine Beurteilungen beim Uberschreiten der Grenze zwischen Frankreich und Spanien einerseits (im ersten Band) und Portugal und Spanien andererseits (im zweiten Band), sind folgende: D a hier, beim Austritte aus d e m „schönsten und civilisirtesten Lande der W e l t " , die Pässe vorgezeigt werden mussten, stiegen wir ab, u n d gingen dann, als wir dieselben nach kurzem Aufenthalt wiedererhalten, zu Fuss über die berühmte Brücke, die uns in „das L a n d der Barbarei", „das L a n d der C h o c o l a d e und der Papiercigarren", das Land der Fächer und Mamillen, das L a n d der Fandangos und der Stiergefechte, das Land des [-.]

gaspacho und

der

garbanzos,

hinüberführen sollte. (Lorinser 1 8 5 8 , 1 : 4 0 )

Gleichwohl gilt Badajoz in Spanien als eine schmutzige Stadt; doch kann ich versic h e r n , daß der E i n d r u c k , den sie a u f den Reisenden m a c h t , der aus P o r t u g a l k o m m t , der entgegengesetzte ist. (II: 9 5 )

Nach Brüggemanns Ansicht (1956: 119) widmet Lorinser dem spanischen Katholizismus seine größte Aufmerksamkeit. Doch lässt sich schnell feststellen, dass dieser Aspekt seines Reiseberichts nur marginal ist. Richtig erkennt Brüggemann, dass Lorinser sich „auch dem Volkstümlichen, den alten Sitten und Gebräuchen, den überkommenen Lebensformen" zuwendet. „Darüber hinaus 12

San Miguel 1988: 138.

María José Gómez Perales

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gehört Lorinser zu den wenigen Reisenden, die einen Totaleindruck der spanischen Landschaft zu geben versuchen, wobei ihm besonders die immer wieder auftauchende gezackte und bizarre Silhouette in der Landschaft als charakteristische Grundform aufgefallen ist." (Brüggemann 1956: 119). Eigentlich sind die Eigenschaften, die Lorinser bei der spanischen Landschaft entzücken, etwas mehr als „bizarr" und „gezackt". Er beschreibt sie mehrmals als „romantisch", „hochromantisch", und fast immer sind diese Adjektive sowohl mit dem Blick des Ozeans oder des Meeres zwischen den Felsen und den Bergen als auch mit einem Erlebnis des Erhabenen verbunden. In den Neuen Reiseskizzen aus Spanien findet man vier Aspekte, die besonders hervorzuheben sind: Erstens ein romantisches Erlebnis der Schönheit der Natur und der Landschaft. Wahrend Lorinser Biarritz besichtigt, stellt er einen Vergleich zwischen der Betrachtung der Natur und der religiösen Andacht an, der typisch romantisch wirkt. Auch wenn dieser Ort zu Frankreich gehört, lohnt es sich, diese Überlegungen hier wiederzugeben: Uberhaupt habe ich die Bemerkung gemacht, dass zwischen der religiösen Andacht und dem Eindruck, den die Natur auf ein empfängliches Gemüth ausübt, eine Art innerer Verwandschaft besteht, welche darauf hinzudeuten scheint, daß Gott in sehr fühlbarer Weise auch heute noch durch seine Schöpfung sich offenbart und von der Betrachtung seiner Geschöpfe nicht getrennt sein will. Sowie wahre Andacht nur dort zu Stande kommen kann, wo der Lärm der äusseren Welt schweigt und eine innere Eisamkeit das Herz umgiebt, so halte ich es auch für ganz unmöglich, in lärmender fröhlicher Gesellschaft die tiefsten Schönheiten zu empfinden, welche die Natur in ihrem Schöße birgt, und wenn ich auch dem einsamen, gesellschaftlosen Reisen keineswegs unbedingt das Wort reden will, so wird man doch zugeben müssen, dass eine fröhliche Reisegesellschaft grade an den schönsten Punkten schweigsam wird und sich vereinzelt, während das Bedürfnis der Geselligkeit dort zumeist sich hervordrängt, wo die Natur weniger zu bieten hat. (I: 22f.)

Einige Seiten weiter beschreibt Lorinser als einsamer Beobachter ein Naturerlebnis: Wer den Ocean in seiner ganzen Erhabenheit kennen lernen will, der hat an dieser felsigten Küste die beste Gelegenheit dazu. Herrlich ist der Blick auf das Meer, den eine hoch oben am Abgrund erbaute Restauration darbietet. (I: 25f.) Der Aufenthalt in dieser Höhle, in die ich eintrat, um in ihrem Schatten ein wenig auszuruhen, war eine der eigenthümlichsten Viertelstunden, die ich auf meiner diesmaligen Reise erlebte. Auf dem reinen weissen Sande im Hintergrunde der Höhle sitzend, war ich aus dem belebten, von allem Luxus der modernen Welt erfüllten Badeort plötzlich in die

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vollständigste Einsamkeit versetzt, wie sie ein Anachoret sich kaum besser hätte wählen können. Der Sonnenstrahl, der durch den Eingang in die Höhle fiel, verbreitete nur ein schwaches Dämmerlicht in dem hinteren Raum, an das sich das Auge erst gewöhnen musste, um die Umrisse der düsteren Felsengewölbe mit einiger Deudichkeit zu erkennen. Die eigenthümliche Musik, die das donnerähnliche Brausen des nahen Oceans machte, von dem das Auge nichts merken konnte, hatte etwas so Erhabenes, Schauerlich-Schönes, dass ich, ohne zu ermüden, lange dieser grossartigen Symphonie hätte zuhören können. (I: 27) D i e Schönheit der N a t u r ist so spektakulär wie auf der anderen Seite der Grenze, und Lorinser zeigt sich davon überzeugt, „dass, wer wahrhaft grandiose Schönheiten in der N a t u r aussuchen will, seinen Weg nach S p a n i e n lenken müsse, w o er sie finden wird, wenn sein Fuss k a u m die Grenze überschritten hat. Diese Schönheit der Natur ist aber auch Alles, was San Sebastian interessant und sehenswerth macht" (I: 59) A u f dem Weg von Andoain nach Zarauz entdeckt er: Die Aussicht, welche sich hier oben darbot, war wiederum so überraschend schön, daß ich vor Freude laut hätte aufjubeln mögen. Zu unseren Füssen lag die unermeßliche tiefblaue Fläche des Oceans, welche gegen Westen durch ein höchst malerisches, ins Meer vorspringendes Felsencap begränzt war. (I: 64) Zweitens findet m a n oft Vergleiche der spanischen mit der heimatlichen Landschaft: Der Charakter der spanischen Basken dürfte in vieler Hinsicht mit dem der Tyroler Vergleichungspunkte darbieten, wie auch die Physignomie des Landes überall an Tyrol erinnert. Die Basken sind in der Regel kräftig gebaut, dabei sehr feurig und beweglich, zu gymnastischen Übungen gebaut (unter denen sie das Ballschlagen [La Pelota] leidenschaftlich lieben) besonders geschickt, im Kriege vortreffliche Soldaten. Ihre Liebe zur Unabhängigkeit, die schon Horaz an ihren Vorfahren, den alten Cantabrern, hervorhebt*), ihr Muth und ihre unverbrüchliche Treue sind weltberühmt. Die Frauen theilen in der Regel diese Eigenschaften der Männer, sind überaus kräftig, thätig und an die schwersten körperlichen Arbeiten gewöhnt.[...] Was endlich den landschaftlichen Charakter der baskischen Provinzen betrifft, so will ich hier vorläufig nur bemerken, daß dieselben, ebenso wie in Tyrol, von hohen und großartigen Gebirgen bedeckt sind, die den Tyroler Alpen an scheinbarer Höhe*)

* "Cantabrum indoctum juga ferre nostra." * Ich sage „scheinbarer Höhe", denn die Thalsohle liegt in den baskischen Provinzen oft nur wenige Fuß über dem Meeresspiegel, während sie in Tyrol selbst schon eine bedeutende Höhe hat.

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María José G ó m e z Perales nicht viel nachstehen werden, wenn es auch hier keine Berge giebt, auf denen, wie in Asturien, der Schnee das ganze Jahr hindurch liegen bleibt. (I: 33ff.) Auch in Asturien findet er eine Ähnlichkeit der Landschaft mit der deutschen: Der Charakter der Vegetation war fast ein deutscher zu nennen. Ulmen, Eichen und Kastanien waren die vorherrschenden wildwachsenden, Nuß- und Apfelbäume meist die in den Dörfern angepflanzten Bäume. Die frischen grünen Wiesen waren, wie es schien mit denselben Wiesenblumen geschmückt wie in Deutschland. (I: 170) N i c h t nur die spanische Landschaft wird mit der deutschen verglichen, son-

dern auch Städte beider Länder: Der Anblick von Sevilla erinnerte mich einigermaßen an den von Cöln und in der That könnte man Sevilla vielleicht nicht mit Unrecht das spanische Cöln nennen. Hier wie dort ist es die impossante Masse der Cathedrale, die das Auge vorzugsweise fesselt und die die Hauptsehenswürdigkeit beider Städte bildet. [...] Eine zweite Ähnlichkeit mit Cöln bietet die namentlich im Sommer, wo Alles von der Sonnengluth verbrannt ist, ziemlich reizlose, ebene Gegend dar, welche Sevilla umgiebt, und die nur durch einige Olbaumpflanzungen bedeckte Hügel unterbrochen wird. [...] Endlich bietet auch der herrliche Strom einen Vergleichungspunkt dar und der an seinem Ufer unfern der Brücke gelegene alte, angeblich von Julius Cäsar erbaute, sogenannte goldene Thurm ( la torre de

oro),

obwohl der Guadalquivir kaum halb so

breit ist, als der Rhein bei Cöln. (II: 147f.) D e r Vergleich hält allerdings nicht lange: Die zwischen beiden Städten bestehende Analogie ließe sich vielleicht noch weiter ausdehnen auf die an beiden Orten vorhandenen zahlreichen römischen Alterthümer, auf den heiteren, jovialen Charakter der Einwohner, auf die lebhafte Dampfschiffahrt auf dem Strom und die Menge englischer Touristen u.s.w., wenn nicht zu furchten wäre, daß die Illusion dennoch vollständig verschwinden und jeder Vergleichungspunkt abhanden kommen müßte, sobald man das Innere der Stadt betritt, und der ganz morische Charakter ihrer Bauart und der unvergleichliche Zauber des südlichen spanischen Lebens, der hier seinen eigendichen Brennpunkt hat, jeden Gedanken an Cöln vollständig in den Hintergrund drängen und eine Vergleichung aufgeben machen würde, die bei all dem nur eine sehr hinkende bleibt. (II: 148f.) D i e Erwartungen, die Lorinser an Sevilla k n ü p f t , sind sehr hoch:

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Es geht nun wirklich nach Sevilla, nach jener Wunderstadt, die schon im Knaben eine unaussprechliche Sehnsucht und eine sich selbst noch unbewußte Schwärmerei erweckt, wie ein elektrischer Funke alle Lebensgeister wach rufen und das gegenwärtige Ungemach selbst, trotz der Unbehaglichkeit des materiellen Menschen, in eine Quelle poetischen, mit der Idee von Spanien untrennbar verbundenen Reizes verwandeln. (II: 102f.) U n d als er nach einer langen a n s t r e n g e n d e n Fahrt die Stadt aus der Ferne sieht, muss er u n b e d i n g t aus der Kutsche steigen u n d in die Stadt w a n d e r n : Es unterlag keinem Zweifel, ich hatte die unaussprechliche Befriedigung, nach so vielen überstandenen Mühseligkeiten meine Augen auf der riesigen Masse der Cathedrale von S e v i l l a ruhen zu lassen und die wunderbare, welberühmte Giralda vor mir zu erblicken. Wenigstens war ich nun gewiß, nicht mehr, wie auf meiner vorigen Reise, umkehren zu müssen, ohne auch nur von ferne Sevilla erblickt zu haben [...] Der Anblick von Sevilla erfüllte mich mit neuem Leben und einer unaussprechlichen Zufriedenheit [...] Ich sprang aus dem Carro mit dem Vorsatz, sein verhaßtes Innere wo möglich nicht mehr zu betreten und in der frischen Morgenluft zu Fuß nach Sevilla hineinzuwandern, das ich mir, durch die außerordentliche Größe der Cathedrale getäuscht, viel näher dachte, als es in derThat war. (II: I42f.) Santiago de Compostela, eines der Hauptziele der Reise, vergleicht Lorinser mit R o m : Der erste Eindruck, den der Anblick von Santiago machte, erinnerte mich in mehrfacher Beziehung an denjenigen, welchen die Siebenhügelstadt in mir hervorrief, als ich mich derselben das erste Mal von Norden her näherte. Auch hier erhebt sich eine verhältnißmäßig große Stadt inmitten einer öden, unangebauten Gegend, ebenso wie Rom durch seine öde Campagna gleichsam von der übrigen Welt abgesondert und dem gewöhnlichen Treiben irdischer Geschäftigkeit entrückt zu sein scheint, als wollte es alle seine Besucher auffordern, erst sich zu sammeln und in eine ernste, feierliche Stimmung zu versetzen, ehe sie den heiligen Ort betreten. Wie es in Rom vor Allem die Peterskirche und der an dieselbe sich anschließende Vatican ist, was den Blick des Pilgers von Weitem schon fesselt und sich mächtig in den Vordergrund drängt, so ist es hier die prächtige, den Leib des heiligen Jacobus einschließende Kathedrale mit ihren drei hohen, schlank in die Luft strebenden Thürmen und ihrer schönen Kuppel und das in ihrer Nähe sich ausbreitende colossale und wahrhaft großartige Hospital der Pilger, was sich dem Auge vorzugsweise darbietet und wogegen die übrige Stadt nur gleichsam als Nebensache erscheint. Wie endlich Rom seinen ganzen neueren Ruhm dem Grabe der Apostelfürsten verdankt, so hat

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María José G ó m e z Perales auch Santiago ein Apostelgrab anzuweisen, das ihm hohe Berühmtheit in der ganzen christlichen Welt erworben und das diese Stadt zu einem Ziele frommer Wallfahrten gemacht, die einst aus allen Theilen der katholischen Welt hier zusammenströmmten, wenn auch, wie wir bald sehen werden, von dem alten weltberühmten Glänze hier kaum noch ein Schatten übrig geblieben. (I: 303f.) Der dritte Aspekt betrifft den Kontrast des Fremden mit d e m Eigenen. Als

sich während der Fahrt von Badajoz nach Sevilla ein Reiter den Reisenden nähert und mit ihnen ins Gespräch k o m m t , erlebt Lorinser diese Begegnung als Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Kontaktaufnahme bei Menschen im Süden und im N o r d e n Europas verläuft: Hier zeigte sich wieder einmal die gemütliche, herzliche Weise, mit der in Spanien Fremde miteinander sofort in freundliche Berührung treten und die Leichtigkeit, welche überhaupt die spanische Sitte bietet, die unterhaltendsten Gespräche mit gänzlich fremden Personen anzuknüpfen. Alle Welt kommt einander hier mit wahrem Wohlwollen und einer so liebenswürdigen Gemüthlichkeit entgegen, daß man in der That den Spaniern eine große Überlegenheit an wahrhaft humaner, gesellschaftlicher Civilisation über die Nationen des Nordens zugestehen muß, wo schon der schroffe, lächerlich und hochmüthig markirte Unterschied der Stände die Leute einander entfremdet und es im besten Falle zwischen Fremden nur zu einer kalten, nichtssagenden, herzbeengenden, conventioneilen Conversation kommen läßt, die himmelweit verschieden ist von der geist- und gemüthvollen Unterhaltung, die sich in Spanien augenblicklich zwischen den heterogensten Persönlichkeiten entspinnt. (II: 104f.) Als Lorinser mit einem D a m p f s c h i f f von Bilbao nach Santander fahrt, muss er d e m Kapitän seinen Pass geben und fürchtet, ihn nicht rechtzeitig genug wieder zu bekommen, u m seine Reise am nächsten Morgen nach Oviedo fortsetzen zu können. D i e Bereitwilligkeit eines spanischen Beamten wendet aber alles zum Guten: Da es bereits ziemlich spät war, als ich meine Fonda wieder erreichte, so hoffte ich sicher, meinen Paß schon vorzufinden. Diese Hoffnung war jedoch eine trügerische; der auf das Polizeibureau (Comisaria de Vigilancid) gesendete Bote war unverrichteter Sache zurückgekehrt, da die Pässe der mit dem Dampfschiff angekommenen Reisenden der Polizei noch nicht eingehändigt worden seien. Weil ich ohne Paß unmöglich abreisen konnte, aber schon für den anderen Tag um 4 Uhr morgens die Pferde bestellt hatte, so mußte mir dies unerwartete Hinderniß höchst unangenehm sein und ich beschloß, trozt der späten Stunde, mich selbst noch einmal auf die Polizei zu verfugen,

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um zu sehen was dort auszurichten sei. Ich fand den sehr freundlichen Beamten einsam auf seinem Bureau sitzen, die Rückkunft eines Boten erwartend, den er wegen der betreffenden Pässe so eben an den fahrlässigen Kapitain des Dampfschiffes abgesendet. Er bot mir sogleich einen Stuhl und eine Papiercigarre an, da der abgesendete Bote bald zurückkommen müsse, beklagte sich bitter über die schlechte Einrichtung, daß die oft sehr nachlässigen Kapitaine zu Mittelspersonen zwischen den Reisenden und der Polizei gemacht seien, und sprach mit einem unter diesen Umständen etwas komisch klingenden Pathos den Grundsatz aus: Die Reisenden dürften nie durch die Polizei an der schnellen Fortsetzung ihrer Reise gehindert werden. Nachdem ich eine gute Viertelstunde bei ihm gesessen, und das lange Warten, das den braven weit über seine Amtsstunde hinaus in seinem Bureau aufhielt, ihn schon fast zur Verzweiflung gebracht, kam endlich der ersehnte Bote, aber nicht mit den Pässen, sondern mit der Nachricht, der Kapitain sei ins Theater gegangen. Diese Kunde ließ mich die Hoffnung aufgeben, am anderen Morgen zur bestimmten Stunde fortzukommen; doch der, wie es schien, durch solche Fahrlässigkeit in seinem Ehrgefühl beleidigte Beamte versicherte mich mit Warme, ich würde meinen Paß in jedem Fall noch vor Mitternacht erhalten und meine Reise unaufgehalten fortsetzen können. Er werde selbst den Kapitain unverzüglich im Theater aufsuchen, ihm die Pässe abverlangen und mir den meinigen in die Fonda senden. Und er hielt Wort. Obgleich ich mit starken Zweifeln an der Zuverlässigkeit dieses Versprechens nach Hause gegangen war, so erhielt ich doch noch spät in der Nacht, als ich eben im Begriffe war, mich zur Ruhe zu begeben, meinen Paß zurück, und konnte mit der Hoffnung einschlafen, in der Frühe des folgenden Morgens ungehindert mein Roß besteigen zu können. Obgleich diese lästige Paßgeschichte unangenehm genug war, so bot sie mir doch Gelegenheit, die nicht genug zu rühmende Leutseligkeit und Menschenfreundlichkeit der spanischen Beamten kennen zu lernen, die mit allem Unbequemlichkeiten der unzweckmäßigen Einrichtungen, die sie mitunter zu beobachten haben, wieder aussöhnt und einen ernsdichen Unwillen darüber nicht aufkommen läßt. Von einem deutschen Polizeibeamten wäre tausend gegen eins zu wetten gewesen, daß er mit dem Schlage, wo seine Amtsstunde abgelaufen, sein Bureau geschlossen und sich um nichts mehr gekümmert haben würde. Eine so große Gefälligkeit, ja persönliche Opferwilligkeit einem Fremden gegenüber kommt unter dieser Art von Leuten heut zu Tage nur noch in dem barbarischen, uncivilisirten Spanien vor. (I: 132fF.) D a s Verhältnis z u m A l k o h o l u n d das A u f t r e t e n von B e t r u n k e n e n a u f der Straße veranlassen ihn zu der folgenden B e m e r k u n g : Leider muß ich von Bilbao schließlich noch erwähnen, daß ich hier am letzten Abend eine in Spanien sonst fast unerhörte Seltenheit, einen Betrunkenen nämlich, gesehen habe, von dem nicht wohl anzunehmen war, daß er etwa der Matrose eines

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María José G ó m e z Perales fremden Schiffes gewesen. Überhaupt stehen die nördlichen Küstenprovinzen Spaniens in dem Rufe, die am wenigsten nüchternen und auch im Essen nicht so mäßig zu sein, wie die übrigen. Da sie keinen guten einheimischen Wein besitzen, so ist der Gebrauch einer

copa de aguardiente

(eines Spitzgläschens Brandwein) bei den gemei-

nen Leuten nichts Ungewöhnliches, und die meisten Ventas scheinen, wenn auch nichts Anderes zu haben ist, doch hiermit versehen zu sein. Nichtsdestoweniger wird das Maß nur höchst selten überschritten und im Vergleich zu unseren nordischen Ländern sind diese Provinzen in hohem Grade nüchtern zu nennen. Der eben erwähnte Betrunkene in Bilbao war der einzige, den ich auf meinen ganzen Reisen in Spanien angetroffen, und seine Erscheinung schien auch wirklich Aufsehen zu erregen. (I: 119f.) Auch in Santiago de Compostela, am 2 5 . Juli (Tag des Heiligen Jakob), und mitten auf einem Markt, erlebt Lorinser, wie anders als die nördlichen Völker die Spanier feiern. In diesem Zusammenhang taucht auch das T h e m a Alkohol wieder auf: Hier bot sich, da der Markt jetzt seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien und Alles, was nur irgend abkommen konnte, aus der Stadt herausgeströmt war, ein höchst lebendiges und interessantes Volksleben dar, das ich mit großem Vergnügen betrachtete und das mir wiederum, mit unseren deutschen Jahrmärkten und Volksfesten verglichen, den spanischen Charakter und die hier zu Lande herrschenden Sitten in einem höchst vortheilhaften Lichte erscheinen ließ. Obgleich das Gewühl und Gedränge überaus groß war und man stets auf der Hut sein mußte, um nicht von den vielen berittenen Bauern, die mit ihren Eseln und Maulthieren durch die dichtesten Haufen sich drängten, umgerannt zu werden, herrschte doch im Allgemeinen eine musterhafte Ordnung und Nichts war zu sehen von jenen rohen Exzessen, welche im Norden Europas nur zu häufig die regelmäßigen Begleiter solcher Volksfeste sind. Weder ein Betrunkener war zu bemerken, noch gab es irgendwo Händel und Streit, noch waren Diebstähle oder andere Unsittlichkeiten zu befürchten. Nur eine heitere, anständige Fröhlichkeit herrschte überall, welche die Städter mit den Landleuten in der ungezwungenen Weise theilten. (Ir 337f.) Alles, was Lorinser an Spanien liebt, 1 3 bezeichnet er mit dem Begriff „echt spanisch" - wie auch in dieser Szene, als er bei Badajoz von Portugal nach Spanien reitet:

13

In diesem Sinne könnte Lorinser nicht einer von den deutschen Reisenden sein, die nach

Miguel Angel Vega ( 2 0 0 9 : 35f.) einen „predominio de la negatividad" in ihren spanischen Erinnerungen hinterlassen haben.

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Eine prächtige, sehr lange, alte steinerne Brücke, die mit einem starkbefestigten Brückenkopfversehen ist, führte uns über den ziemlich unbedeutenden G u a d i a n a , einen der Hauptflüsse Spaniens, und ein am jenseitigen Ende der langen Brücke befindliches,

mit zwei schönen alten Thürmen geziertes Thor leitete in die netten

Straßen der Stadt, die durch ihre Reinlichkeit, ihre Balcone und wallenden, malerischen Fenstervorhänge wieder den echt spanischen Charakter zeigten und mich unwillkürlich mit einem Gefühl wahrer Freude und Befriedigung erfüllten, wieder spanisches Gebiet erreicht zu haben, das, auch von Portugal aus betreten, sofort einen günstigen, ich möchte fast sagen erhebenden Eindruck hervorruft. (II: 92) Einige Seiten später beschreibt Lorinser Badajoz genauer und es erscheint wieder der Ausdruck „echt spanisch", um angenehme Empfindungen auszudrücken: „Die engen Straßen der Stadt, von denen die besten mit Quadern gepflastert und mit Segeltüchern zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen überspannt

sind,

machen

einen

angenehmen,

reinlichen;

echt

spanischen

Eindruck." (II: 9 5 ) Santander beeindruckt Lorinser durch seine Schönheit: Der Rest des Tages, der freilich nicht mehr lang war, wurde zu einem Gange durch die Stadt benützt. Dieselbe ist größer als Bilbao, besitzt einige recht schöne und elegante Straßen, aber wie es scheint, keine durch Größe oder architektonische Schönheit ausgezeichnete Kirche. Hinter dem sehr breiten Quai, dessen prächtige Häuserreihe den schönsten Theil von Santander bildet und der die Nordseite des Hafens begränzt, ziehen sich noch einige enge Straßen hin mit zum Theil alterthümlichen, echt spanischen, oft mit steinernen Wappenschildern verzierten Häusern. (I: 128f.) N o c h im Hafen von Santander findet Lorinser erneut die Gelegenheit, die Gesichtszüge der Carabineros als „echt spanisch" zu charakterisieren: Als die Sonne eben unterging, gelangte ich zu einer Art Pavillon, der auf einem in den Hafen vorspringenden Felsen steht. Da ich durch die offenstehende Thür einen Blick hineinwarf, bemerkte ich mehrere Carabineros, die im Innern des Pavillons sich gelagert und in lebhaftem Gespräch begriffen, ihr Abendbrod verzehrten. Einer derselben, ein prächtiges, echt spanisches sonnenverbranntes Gesicht mit gebogener Nase und langem schwarzen Schnurrbart, stand, als er mich durch die Thür hineinschauen sah, auf und lud mich mit großer Freundlichkeit ein, näher zu kommen und Theil an ihrem Abendbrod zu nehmen. (I: 130f.)

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María José Gómez Perales Auch bei Mondoñedo (Galizien) begegnet Lorinser Carabineros, die ein

„echt spanisches Gesicht" haben, auch wenn deren Eigenschaften weder der obigen Beschreibung ähneln noch sonderlich sympathisch sind: Zwei angenehme Begleiter gesellten sich hier zu uns, in deren Gesellschaft wir die erste Hälfte des Vormittages größtenteils zubrachten. Es waren zwei Carabineros, welche auf der Höhe des Gebirges ihre Wacheposten hatten und deren Amt es mit sich bringt, die Gegend ihres Bezirkes nach allen Richtungen zu durchstreifen. [...] Ich habe in diesen Leuten, die unseren Gensdarmen entsprechen, stets sehr höfliche, wohlunterrichtete und gutmüthige Leute, von echt martialischen Ansehen und gewöhnt an die größten Strapazen, gefunden, mit denen man sich angenehm und lehrreich unterhalten kann. Überhaupt zeichnet sich das spanische Militär durch die größte Leutseligkeit und Anspruchlosigkeit im Umgange aus. Um auf unsere beiden Begleiter zurückzukommen, so war der eine von ihnen ein junger Castilianer mit einem feinen, echt spanischen Gesicht; der andere, ältere, dessen kurz geschorene Haare in seinem beschwerlichen Dienst schon ergraut waren, war ein Gallego (Galizier). (I: 266f.) Nicht nur die Architektur (Balkone, gepflasterte Straßen, steinerne Brücken und Häuser) und die Gesichter kann Lorinser „echt spanisch" finden, auch eine Idee wird mit dieser Eigenschaft belegt: Die Cathedrale von Santiago besitzt nämlich ein colossales, über 5 Fuß hohes, silbernes Rauchfaß (elfamoso incensorio Galicia, wie der Sacristan es nannte), das während des ganzen Amtes, an einem ledernen Seil von dem Gewölbe der Kirche herabhängend, mittelst einer Maschinerie vor dem Altar, das ganze Querschiff der Kirche endang, geschwungen wird und unaufhörlich große Weihrauchwolken entsendet. Jedenfalls eine höchst originelle, echt spanische Idee. (I: 329f.) Lorinsers Werk muss in enger Verbindung mit dem von der deutschen Romantik geprägten Spanienbild betrachtet werden; insofern zeugt es vom Weiterleben dieses Bildes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

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KRIEGSCHRONIK UND KRITISCHER BLICK: WILHELM MOHR

Wilhelm Mohr (1838-1888) studierte Theologie und Philologie und arbeitete als Gymnasiallehrer, gab aber 1868 seine amtliche Stellung auf und begann, als Journalist für die Kölnische Zeitung zu arbeiten. Seine musikalische und kunstkritische Begabung 14 war die Basis dieses Arbeitsverhältnisses. Später wurde Mohr als Berichterstatter der Zeitung nach Italien (von 1869 bis 1871), Spanien (von 1874 bis 1875), Marokko (1877), Amerika (1883), wieder nach Italien (1884), Frankreich und England (1885) geschickt. Der Aufenthalt in Amerika hatte den Zweck, Zeuge der Eröffnung der nördlichen Pazifikbahn zu werden, und die Reisen nach Turin und London galten den entsprechenden Weltausstellungen. Diese letzten Reisen weckten außerdem Möhrs Interesse für die deutsche Industrie und regten ihn zu neuen schriftstellerischen Projekten an, die jedoch aufgrund seines frühen Todes nicht realisiert wurden. 15 Mohr publizierte drei Werke, die seine Reisen schildern: Mit einem Retourbillet nach dem Stillen Ozean (Stuttgart, 1884), Antwerpen. Die allgemeine Ausstellung in Briefen an die Kölnische Zeitung (Köln, 1885), und die erste Veröffentlichung, Achtzehn Monate in Spanien (Köln, 1876). Das Werk besteht aus zwei Teilen, deren Untertitel Abenteuer eines spanischen Kriegs-Correspondenten und Frühlingstage in Andalusien und Marokko lauten. Im Vorwort rechtfertigt der Autor das Werk selbst und erklärt diese Gliederung wie folgt: lieber Spanien und spanische Verhältnisse habe ich wenig Richtiges gelesen. Es ist ein sehr schwieriges Land. Diejenigen, welche dasselbe nur kurze Zeit bereisen, sehen selten den Dingen bis auf den Grund, und die, welche dauernden Aufenthalt dort nehmen, verlieren leicht Urtheil und Unterscheidung. Sie acclimatisiren sich in Ansichten und Geschmäcken und glauben, weil alle Welt um sie herum auf dem Kopfe geht, sei dies das einzig Richtige. Von beiden Fällen kenne ich Beispiele. Die Verhältnisse liegen so sonderbar, die Widersprüche sind so groß, die Gegensätze laufen so bunt durch und gegen einander, daß man fürchten muß, für einen Aufschneider gehalten zu werden, wenn man gleich mit der vollen Wahrheit wie mit der Thür ins Haus fallt. Mir selbst ist in dem Augenblicke, da ich dieses Nachwort als Vorwort schreibe, Manches klar, was mir dunkel war, da ich in einer der zahlreichen Pausen des Carlistenkrieges im heiligen Haine der Alhambra den ersten Theil dieser Memoiren nieder14 In diesem Bereich ließ Mohr zwei Beiträge veröffentlichen: Das Gründertum in der Musik. Ein Epilog zur Baireuther Grundsteinlegung (Köln 1872) und Richard Wagner und das Kunstwerk der Zukunft im Lichte der Baireuther Aufführung (Köln 1876). 15 Meyers Konversationslexikon;

(25. Mai 2010).

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María José Gómez Perales schrieb, und bei der Abfassung der letzten Capitel war ich schon wieder über Manches orientirt, was mir beim Beginn der Aufzeichnungen noch als unerklärliches Räthsel vorschwebte. Ich sehe darin, offen gesagt, sogar einen Vortheil, und würde mich nicht einmal sehr ernsdich zur Wehr setzen, wenn man mich beschuldigte, mit einer stillen Absicht den Leser mit mir auf die Reise genommen zu haben, damit er zuerst mit mir die Oberfläche und erst langsam und in allmählichem Fortschritte den tieferen Grund der Dinge kennen lernte. Das bezieht sich auf den ersten Theil dieser Veröffentlichung. Im zweiten erlaube ich mir, abgeschlossene Bilder aus dem schönen Süden des Landes ungefähr in der Form zu geben, wie dieselben in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht worden sind. (Mohr 1876,1: VI-VII) Der Hauptzweck von Möhrs Spanienreise war es, den Carlistenkrieg zu erle-

ben: „Es war Anfang des Monats März 1 8 7 4 , als mich der Gedanke überkam, nach Spanien zum Carlistenkriege zu reisen. Der Schauplatz reizte meine Phantasie eben so sehr, wie das auf demselben sich abspielende Spectakelstück" (I: 1); aus diesem Grund wollte er von Bordeaux über Santander nach Spanien einreisen. Das war jedoch nicht möglich, und er musste bis La C o r u n a mit einem Dampfer fahren und von dort aus über Land nach Santander reisen. Die Beschreibung seiner Ankunft in La Coruna krönt er gegen Ende mit einem beeindruckenden Anthropomorphismus: Die kleine Stadt mit der großen Bai, an der sie liegt, machte auf mich einen höchst befremdenden Eindruck. Hätte ich es nicht gewußt, daß ich mich am äußersten Ende der europäischen Civilisation befand, die ganze Umgebung würde mir es deudich gemacht haben. Die Größe der Bucht contrastirte seltsam mit ihrer Oede, der geringen Zahl der in ihr ankernden Schiffe und der auf dem Wasser, dem Molo und dem Felsgürtel der Hügel ringsum herrschenden Stille. Der Quai war fast menschenleer. Nur an der Dogana standen einige schweigsame Gestalten. Auch in der Stadt war wenig Leben. Die niederen, breiten Häuser sahen mich mit ihren großen Fenstern an, als ob sie über meine Ankunft höchst verwundert wären, und jedes große Fenster trug einen noch größern Glasverschlag, gleich einer riesigen Brille. Die stillen Straßen waren eng, aber mit ungemein großen Quadern gepflastert. (I, 12) Als Mohr Castro Urdiales in der Nähe des Baskenlandes beschreibt, stellt er einen unerwarteten Vergleich zwischen Gebäuden und Menschen an: Nach achtstündiger Fahrt lagen wir in der kleinen Rhede von Castro, ein alterthümliches, weltverlorenes Städtchen, von Sardinenfischern bevölkert, mit einem Hafen in Duodez, links hohe Bergmassen, hinten sanfte Hügel, rechts drei verwitterte

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große Felsblöcke im Wasser, durch Brücken verbunden, der vorderste kahl, auf dem mittleren ein Castel, auf dem, der zunächst am Lande liegt, eine Kirche, baskisch mächtig aus Quadern, Alles im Viereck gebaut, die Fenster gleich Schießscharten, innerlich Finsterniß wie in dem besten baskischen Schädel. (I: 27) In der Nähe von Jaca und auf dem Weg nach Frankreich stellt Mohr einen erstaunlichen Vergleich zwischen Landschaft und Volk an: Die Fahrt in dem überfüllten Omnibus entbehrte also keineswegs des gewohnten romantischen Beigeschmacks. Zudem begleitete mich der spanische Jammer bis oben zur Paßhöhe, wo die französische Grenze hinüberläuft. Auf der Ebene, wie in den Schluchten und Thälern der Vorberge öde, vernachlässigte Fluren, elende Wohnungen, schmutzige Buden und Gasthäuser und keine Spur von Baumwuchs nah und fern. Straße, Feld, Flur und Ansiedlung von Trägheit und Verfall zeugend. Selbst die herrliche Bergnatur ist ihrer Reize beraubt, kahl, öde, anfröstelnd, und die in geringen Steigungen durch verwahrloste Thäler bis Jaca führende Straße bietet dem Auge des Wanderers nicht den geringsten Trost. Erst von diesem unheimlichen Neste an, wo die Straße in jäher Steigung zur Paßhöhe anstrebt, gewinnt diese Kahlheit durch das Auftreten wild zerklüfteter Felsmassen einen gewissen Charakter von Großartigkeit, gerade wie das sonst monotone spanische Volk in Momenten, wo sich seine elementaren Leidenschaften entfesseln, in der Erhebung gegen Napoleon und im Carlistenkriege. (I: 279) Auch wenn der Verfasser den spanischen Charakter sehr kritisch beurteilt, erlebt er doch immer wieder Kampfsituationen, in denen einige Tugenden der Spanier sichtbar werden: Das beiderseitige Schießen aber bedeutete nach allem, was ich sah, nicht viel mehr als einen unschädlichen Zeitvertreib. Ich amüsierte mich noch eine Weile, indem ich die Wirkung einiger Granaten beobachtete, und empfahl mich, im Herzen betrübt, daß ich in der Zerstreuung mit leerer Feldflasche und ohne Cigarren gekommen war. Ich that indessen übel, meinem Gastfreunde nichts davon zu sagen, denn wie mir später hinterbracht wurde, hatte er es mir sehr verdacht, daß ich ihm weder Trunk noch eine Cigarette angeboten hatte. Die Spanier kommen schwer auf den Gedanken, daß ein frisch ankommender Ausländer ihre Sitten nicht kennen kann. Dagegen zeigte sich in einem andern Punkte sehr deutlich die schlichte und noble Denkweise dieses Volkes. Ich begegnete nirgendwo dem geringsten Mißtrauen, wurde überall als guter Freund aufgenommen, und mein Paß war vollkommen überflüssig. Selbst wo Wachtposten ausgestellt waren, genügte die einfache Versicherung, daß ich dem Generalstabe zugestellt sei, um mir ohne Weiteres freien Durchgang zu

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María José Gómez Perales verschaffen. Stieß ich irgendwo auf eine Gruppe, die bei Speise oder Trank beschäftigt war, so wurde ich sofort eingeladen, und nahm ich die Einladung an, so wurde ich höchstens nach Beendigung der Mahlzeit mit aller Freundlichkeit gefragt, ob ich zur Armee gehöre, oder bei den Carlisten weile. Das war ganz anders bei der italienischen Armee, wo ich trotz einer Legitimation vom Generalstabe an Einem Tage vier Mal als Spion verhaftet wurde, beständig mißtrauischen Gesichtern oder Verbal- Injurien begegnete und meines Lebens nie sicher war. (I: 48f.)

Mohr besitzt eine sehr gute Kenntnis der Carlistenkriege. Vom 13. bis zum 22. Kapitel wird erzählt, wie er vor Ort den Krieg erlebt. Sein Fazit über den Krieg: Und was soll ich nun von dem Carlistenkriege sagen? Die Geschichte kennt sicher keine grössere Abnormität, als diesen Aufstand der vier Provinzen und der übrigen, die von ihnen in den Strudel des Krieges hineingezogen worden sind. Das ist der erste und allgemeine Eindruck. Ein spanischer Bekannter lieh demselben einmal, als ich auf dem Sardinero über die Sache sprach, ganz treffende Worte. Er meinte, was wohl ein Fremder sagen würde, der, mit allen Verhältnissen unbekannt, ins spanische Land käme. Er würde auf den Bergen da oben Leute sehen, die ihr Leben in die Schanze schlügen und ihren Wohlstand preisgäben, um Krieg gegen ihr eigenes Vaterland zu führen. Er würde fragen: Weshalb führen jene Leute einen so verzweifelten Kampf? Hat man ihnen Land oder Rechte abnehmen, oder sie mit ungerechten Steuern belasten wollen? — Nein — oder hat man versucht, sie irgend wie zu knechten, hat man ihr Gewissen bedrücken, ihnen die Religion ihrer Väter nehmen wollen? — Bewahre. Sie hatten mehr Freiheit als das ganze übrige Land, mehr als irgend eine Republik. — So wollen sie vielleicht selbst eine andere Regierung haben, als bisher? - Auch nicht. Aber weshalb fechten sie denn? - Ei, sie fechten für eine Regierungsform, welche die Anderen sich gefallen lassen sollen. - Wollen sie denn auch für sich selbst diese Regierung? - Nichts weniger als das. Sie wollen, dass die Leute zu Madrid, zu Sevilla, zu Barcelona auf den Köpfen gehen sollen, die Füsse nach oben. Sie selbst aber wollen weiter auf den Füssen gehen, nach wie vor. Das ist eben so drastisch wie wahr. Der Aufstand der drei baskischen Provinzen ist einfach eine Verrücktheit, und weil er das ist, bleibt es so schwierig, denselben mit allen seinen Motiven zu verstehen und der Welt klar zu machen. Aus der Dummheit und Unklarheit construirt sich eben kein System heraus. Man weiss freilich, dass der Aufstand nicht vom Monde heruntergefallen ist. Die Basken hatten einmal, unter ganz anderen Umständen allerdings, für einen König D o n Carlos gefochten, und wer die dicken Baskenschädel kennt, weiss dass das genügt, um sie noch einmal für einen gleichlautenden Namen fechten zu lassen. (I: 281-282)

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Mohr bezeichnet den Carlistenkrieg als einen Pfaffenkrieg, ein Krieg von Pfaffen gemacht, von Pfaffen geleitet und in echtem Pfaffengeist verdorben. Ein Krieg, in dem ein mittelalterliches Gespenst, eine dem Untergang zusinkende Cultur, von der sich längst alle edleren Kräfte abgewandt haben und in der nur Mittelmässigkeiten noch Grössen sind, einen neuen Standpunkt mit den Waffen erobern, eine Operationsbasis gewinnen will zu weiteren Rückeroberungen, und damit ein Krieg, an dem wirkliche Tüchtigkeit keinen Antheil nehmen kann und in dem wirkliche Tüchtigkeit, energische Naturen, begabtere Geister, wenn sie wirklich vorhanden wären, dem Argwohn und Misstrauen des pfäffischen Geistes zum Opfer fallen würden. Dies ist das Schicksal untergehender Culturepochen im Grossen wie im Kleinen, sie vermögen nur noch zu zerstören, nicht aufzubauen. (I: 285f.) Schließlich macht Mohr folgende Vorhersage: Vielleicht wird die Geschichte einst deutlicher, als bis jetzt möglich ist, erkennen, daß der ganze Carlistenkrieg nichts weiter ist als ein Symptom des sittlichen Zersetzungsprocesses, in den Spanien gleich anderen verwandten Völkern durch die Unmöglichkeit hineingetrieben worden ist, einen Uebergang oder eine Vermittlung zwischen seiner alten urtidad religiosa und einer neuen Weltanschauung zu finden. Nur solche Völker, die das Talent haben, in ihrem religiösen Leben einen vielleicht unlogischen, aber nützlichen und nothwendigen Compromiß zwischen Autoritätsglauben und individueller Selbstbestimmung zu schließen, sind im Stande, in staatlichen Dingen die Linie zu finden, auf der sich Unterordnung und Freiheit ausgleichen. (I: 287f.) Es ist eigenartig, wie Mohr sich seines Fremdenstatus bewusst ist; schon am Anfang des ersten Bands hatte er dies gezeigt und es sogar als „unheimlich" bezeichnet (I: 15fF-) - Er versucht nicht, dieses Gefühl von Fremdheit zu unterdrücken, sondern betont es mit besonderem Nachdruck. Er macht es beispielhaft an der Sprache deutlich, wenn er etwa vergeblich nach der exakten Übersetzung eines spanischen Worts im Deutschen sucht, für das es keine Entsprechung in der deutschen Wirklichkeit gibt: Die Ferias von Sevilla mit dem Worte Jahrmarkt zu verdeutschen, wäre eben so gescheit, als wenn man die vielbesprochene innere Mamorhalle des sevillanischen Hauses als Hof bezeichnen wollte. Für Dinge, denen bei uns platterdings nichts entspricht, müssen wir eben das nationale Wort beibehalten. Der Patio würde bei uns nur eine Anstalt zur Verbreitung von Schnupfen und Rheumatismus sein, und für dreitätige se-

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María José Gómez Perales villanische Ferias wäre unser Klima zu rauh und unbeständig, unsere Leber zu trocken und unser Rausch zu händelsüchtig. Hier trägt das dreitätige Fest ganz das gepräge eines gutmüthig-kindlichen und stillvergnügten Volksgeistes. (II: 122) Zuverlässiger als die Sprache scheinen der eigene Erwartungshorizont und

das Stereotyp als Vergleichselemente mit der Wirklichkeit. D o c h auch sie können getäuscht werden. D i e bei anderen Reisenden übliche Idealisierung der Zigeuner, besonders der Zigeunerinnen, sucht man bei M o h r vergeblich: Die Pikanterie haben nun einmal - ich weiß nicht recht, warum - die Gitanas zu vertreten, die braunen Zigeunermädchen und Weiber der Vorstadt Triana. Sie spielen dieselbe Rolle zu Sevilla, wie die Malermodelle an der Treppe von Trinita bei Monti zu Rom, und spielen sie eben so schlecht und zur Enttäuschung des Fremden. Es soll was Apartes sein, das eigentliche Cachet von Sevilla. Man spricht mit so geheimnisvollen Lächeln von ihrer Galanterie, ihren Reizen, ihrem Witz, ihrem Tanz und Gesang, - in besseren Zeiten war das vielleicht einmal Alles so, aber jetzt findet man sich arg enttäuscht von diesen unansehlichsten braunen Geschöpfen, deren Gesichtsbildung wohl ungewöhnlich und abenteuerlich, aber nichts weniger als anmuthig ist und die mit stereotypen Redewendungen die Vorübergehenden zum Genüsse der Buñuelos einladen, kleiner runder Kuchen, die sie auf tragbaren Heerden aus Gyps in übelduftendem Oele backen. Nicht mit Unrecht wird freilich ihre anmuthig-impertinente Redeweise gerühmt, wenn eine zum Beispiel einem mit übermäßig langem Storchhalse gesegneten Vorübergehenden zuruft, er thue wohl, nur kalte Kost zu genießen, oder einen spindeldürren Jüngling mit der Frage überrascht, ob er auf Windhund studire. Auch sind sie stets bereit, gegen geringen Entgelt ihre Tänze aufzuführen, in deren Grazie sich ein stark vorschmeckendes orgiastisches Element mischt. Aber ganz Andalusien tanzt dieselben Tänze und singt dieselben Lieder dazu. (II:123f.) D e r H a u p t g r u n d für M ö h r s Reise war es, wie oben vermerkt, den dritten Carlistenkrieg aus der N ä h e zu erleben. Z u diesem Zeitpunkt lag die Restauration der Monarchie erst ein Jahr zurück, und die Lage war eine ganz andere als die zehn Jahre später von Rolef beobachtete, nachdem das neue Regime bereits konsolidiert war.

Z w i s c h e n r o m a n t i s c h e m Erbe u n d M o d e r n i t ä t

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DER ENTTÄUSCHTE KATHOLIK: FRANZ ROLEF

Die Reisebriefe aus Spanien und Marocco von Franz Rolef enthalten die von November 1883 bis April 1884 im Freiburger Boten erschienenen Beiträge und wurden 1885 als Buch veröffentlicht. Der Autor war von dieser Zeitung als Korrespondent nach Spanien geschickt worden und bekam Ende November die Aufgabe, über den Besuch des deutschen Kronprinzen Friedrich Wilhelm III. in Spanien zu berichten. Daher lautet das erste Kapitel „Der deutsche Kronprinz in Spanien". Rolef war aber nicht nur Journalist, sondern auch Universitätslehrer16 und Geistlicher, wie er selbst im Vorwort erzählt: Schreiber dieses hat nun Spanien dreimal bereist und jedesmal 5 bis 7 Monate sich darin aufgehalten. Seine Sprachkenntnisse, seine Stellung als Geistlicher und Universitätslehrer verschafften ihm Zutritt zu spanischen Familien, Klöstern, Schulen und Pfarrhäusern und zwar in Barcelona, Madrid und Sevilla, welche bekanntlich die bedeutendsten Städte Spaniens sind. Was er nun da gesehen, gehört und erlebt hat, das erzählt er mit aller Aufrichtigkeit, ohne Rücksicht auf Freund und Feind. (Rolef 1885: Vorrede ohne Seitenzahl)

Von diesen drei bedeutenden Städten betrachtet Rolef Sevilla als die repräsentativste Stadt Spaniens und begründet diese Meinung mit folgenden Worten: Sevilla ist wohl die spanischste aller spanischen Städte. Madrid ist nicht Spanien, so wenig Bern die Schweiz ist. Wer Spanien kennen lernen will, der gehe nicht nach Barcelona, sondern komme nach Sevilla. Sevilla ist das Spanien, wie es uns im „Barbier von Sevilla" und in „Figaros Hochzeit" entgegentritt. Man zeigt hier die Straße und das Haus, wo „Figaro" seine Rolle gespielt haben soll. (55)

Hier kann man sehen, wie Rolefs Spanienbild, so wie bei vielen anderen Deutschen, ganz unmittelbar durch die Opern, die Sevilla als Schauplatz haben {Figaros Hochzeit, Der Barbier von Sevilla und Carmen), gestaltet wurde.17 Auch wenn der Autor im Vorwort den Anspruch auf Objektivität formuliert, hat er von Anfang an eine sehr kritische und teilweise negative Einstellung gegenüber Spanien; er ist davon überzeugt, dass das Spanienbild, das die deut-

" Schon auf dem Titelblatt bietet der Verfasser diese Information: Reisebriefe aus Spanien und Marocco (November 1883 bis April 1884). Ein Beitrag zur Kenntniss spanischer Zustände von Franz Rolef, Lector der neueren Sprachen an der Universität Freiburg. 17 In diesem Sinne siehe Thiemann (2007: 94-97).

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María José Gómez Perales

sehen Reisenden bis zu diesem Moment vermittelt haben, nicht im Geringsten mit der Realität übereinstimmt: Die Reisebriefe sollen als Beitrag zur Kenntnis spanischer Zustände dienen. Keineswegs verhehlte sich der Verfasser die Bedenken und Schwierigkeiten, die sich dieser Publikation entgegenstellen, denn bis jetzt hatte man von Spanien eine gar zu günstige Meinung. Reiseschriftsteller, welche dieses Land ohne genügende Kenntnis der Sprache zu besitzen, im Fluge bereisten und die spanischen Zustände im rosigsten Lichte erscheinen ließen, haben zur Verbreitung ganz unrichtiger Ansichten über Spanien Vieles beigetragen. [...] Von jeher war Land und Volk der Spanier ein Gegenstand des Verlangens und des Interesses aller andern Nationen. Spanien scheint noch immer mit einem märchenhaften Zauber umgeben, und doch sind die Zustände dieses Landes im Allgemeinen nicht zu loben; Handel und Industrie, Verkehrsmittel und Schulen sind bis jetzt weit hinter den Anforderungen unserer Zeit zurückgeblieben. Deutschland kann von Spanien fast Nichts lernen. Das sollen die Reisebriefe beweisen. (Vorrede ohne Seitenzahl) Hinsichtlich der Religion könne Deutschland nichts von Spanien lernen, ist sich Rolef sicher. Das betont er schon in seinem Vorwort und er lässt auch im Verlauf seiner Reisebeschreibung kaum eine Gelegenheit aus, diese These argumentativ zu untermauern. Den spanischen Katholizismus betrachtet er sehr kritisch — für ihn ist die religiöse Ausbildung in Spanien im Vergleich mit dem strengen Religionsunterricht in Deutschland völlig ungenügend. Auch über den weltlichen Klerus urteilt der Autor negativ, und theologische Bücher aus Spanien bewertet er als unbedeutend: Man darf über diese Lauheit, welche im katholischen Spanien herrscht, nicht erstaunt sein. Spanien ist lange nicht das katholische Land, wofür es immer gehalten wurde. Auch wird an Sonntagen in Spanien fast überall gearbeitet, gerade wie in Frankreich. Wenn man dabei bedenkt, dass in keinem Lande Europas die Unwissenheit in religiösen Dingen so entsetzlich groß ist wie in Spanien, so klingt es geradezu wie eine Ironie, wenn man in fast jeder Predigt den Ausdruck hören muß: La España eminentemente católica. Dieselbe Bemerkung machen übrigens alle deutschen, italienischen und französischen Priester, welche sich Jahre lang in diesem Lande aufhalten. Sie alle sind darüber einig, daß die meisten Spanier nicht wissen, was sie als Katholiken zu glauben haben, und warum sie es zu glauben haben. Aber, wird man fragen, wird denn das Volk nicht unterrichtet? Antwort: Nein. Jedermann weiß, wie strenge der Religionsunterricht in Deutschland (und auch meist in Frankreich) ertheilt wird. [...]

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In den Predigten habe ich, so lange ich in Spanien war, und ich bin jetzt zum dritten Mal hier, niemals die Erklärung einer Glaubens- oder Sittenlehre gehört, sondern meist nur hochtrabende, schönklingende Phrasen, die keinen Wert haben. Was ich hier sage, betrifft nur die Pfarrgeistlichen. Die Ordensgeistlichen machen hievon eine rühmliche Ausnahme, und ein frommer Spanier sagte mir einst: Wenn unsere Ordenspriester nicht predigen würden, so müsste Spanien bald ins Heidenthum zurücksinken. Wie der Hirt, so die Heerde. Man hat oft behauptet, der spanische Klerus sei der unwissendeste der Welt. Das ist jedenfalls übertrieben in Beziehung auf den höheren Klerus, der in Spanien vorzüglich ist. Aber der niedere Klerus hat durchaus nicht die Vorbildung, wie in Frankreich oder in Deutschland. 3 bis 4 Jahre genügen für die klassische Bildung, und in Folge der Revolutionen ist den Priesterseminaren alles Vermögen entzogen worden, so dass die Theologen meist in dürftigen Verhältnissen ihre Studien machen müssen. In Barcelona habe ich zwei Theologen kennen gelernt, welche als D i e n e r in Familien und Klöster arbeiten mussten und Abends theologische Collegien hören durften. Von einer wissenschaftlichen Fortbildung der jungen Priester hört man in Spanien sehr wenig. Seit Balmes ist kein nenneswertes Buch von einem Geistlichen in Spanien herausgegeben worden. Ich will hier den gelehrten Erzbischof von Sevilla und den Sekretär des Kardinals von Toledo Pater Montaña, ausnehmen. (17f.) Uber die Lage der Klöster und der Geistlichen schreibt Rolef: Die Klöster waren in den beiden Revolutionen von 1869 und 1873 sämmdich aufgehoben worden; seit der Regierung des jetzigen Königs sind wieder viele weibliche Klöster errichtet, aber die männlichen haben mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Hier in Sevilla gibt es wenige. Spanien hat auch keine bedeutenden Culturkämpfe durchzumachen gehabt. Während der beiden Revolutionen musste wenigstens die Hälfte des Klerus aus dem Lande fliehen. Die zurückgebliebenen Geistlichen bekamen keinen Pfennig Gehalt und viele Kirchen wurden zu weltlichen Zwecken benutzt. Und das sind kaum zehn Jahre her, daß das Alles in dem eminentemente katholischen Spanien vorgekommen ist. Aus Allem geht aber hervor, dass Spanien nicht mehr dasselbe religiöse Land sein kann, wie etwa vor 20 oder 30 Jahren war. (68f.) Z u einem anderen Zeitpunkt bemerkt er: Es scheint, als ob die meisten spanischen Prediger es nicht wagen wollen, das lebenslustige Volk in seinen Vergnügen und Sünden zu stören. Man hört gewöhnlich schöne Homilien mit prachtvollen oratorischen Phrasen, einigen Worten über das schöne, eminentemente kathol. Spanien, dann aber werden einige Seitenhiebe auf die Atheisten, auf die deutschen Philosophen, auf die Protestanten und auf die liberale

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María José Gómez Perales Regierung gemacht, und das Volk sagt: Das war eine schöne Predigt. Aber die praktische Anwendung auf das Leben, sowie die notwendige Belehrung des Volkes wird gewöhnlich unterlassen. (112) Außerdem bedauert Rolef die Spaltung der spanischen Katholiken in Carlis-

ten und Königliche. Er hält es für peinlich, wie Religion und Politik in Spanien vermischt werden: Die hiesigen katholischen Zeitungen sind theils königlich, theils karlistisch. Letztere schimpfen die Ersteren elende uhlanisirte Mestizen. Dieser Zwiespalt im katholischen Lager Spaniens ist höchst bedauerlich. [...] Die Karlisten sind in dieser Beziehung die allerschlimmsten. Sie verdammen alle, welche nicht zu ihrer Partei gehören. Sie behaupten sogar, man könne nicht katholisch sein, wenn man nicht karlistisch sei. (12) Im ersten Kapitel, in dem Rolef vom Besuch des Kronprinzen berichtet, beschreibt er das obligatorische Besuchsprogramm, das ein hoher Vertreter eines fremden Landes absolviert: Besuch des Prado-Museums und des Doms in Toledo, eine protestantische Messe, ein Ball zur Feier der Anwesenheit des Kronprinzen oder ein Opernbesuch, aber auch der unvermeidliche Stierkampf: Seit dem wirklich großartigen und herzlichen Empfange, der dem deutschen Kronprinzen in Madrid bereitet wurde, ist jetzt hier in den Zeitungen von Nichts mehr die Rede, als von den Festlichkeiten, die der König von Spanien zu Ehren seines erlauchten Gastes veranstaltet. Am ersten Tage machten beide ganz allein Spazierfahrten im Prado und im Buen Retiro, wobei das Volk dem Kronprinzen und dem Uhlanenoberst freudig zujauchte. Als Kuriosum wurde heute in den Zeitungen mitgetheilt, daß der hohe Gast sich auch spanisch zu unterhalten weiß und in Valencia eine spanische Ansprache gehalten habe. Gestern Mittag wohnte er der Parade und gestern Abend der Oper bei, wo ihm ebenfalls eine Ovation zu Theil wurde. Heute Sonntag wohnte die Königliche Familie mit ihrem Gaste dem Stiergefechte bei. Anfangs hieß in den Zeitungen, der Kronprinz würde den Corridas de toros nicht beiwohnen. Aber wahrscheinlich hat man ihm begreiflich gemacht, daß er durch Fernbleiben von diesem Schauspiele das spanische Volk beleidigen würde. Sie werden mir jedenfalls erlassen, Ihnen das Stiergefecht, dem der Kronprinz beiwohnte, zu beschreiben; es fand genau in derselben Weise statt, wie es in hundert Beschreibungen und Schilderungen zu lesen ist. Sieben Stiere, der eine wilder und stärker als der andere, wurden nach einander in die Arena losgelassen und den Angriffen dieser Bestien wurde das Leben so und so vieler Menschen und Pferde ausgesetzt. Glücklicherweise war kein Menschenleben zu beklagen. (3f.)

Zwischen romantischem Erbe u n d Modernität

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Zwar bezeichnet Rolef das spanische Volk als edel und großmütig, doch sei es aufgrund der Stierkämpfe seiner Meinung nach „hart, gefühllos und grausam geworden" (6). Als Geistlicher ist er entsetzt vor der Behandlung, die die Spanier diesen Tieren widerfahren lassen, und er denkt, dass ein Deutscher niemals solche Grausamkeiten akzeptieren könne: Jeder Deutsche ist empört über die Grausamkeit, mit der die armen Thiere behandelt werden. In dieser Beziehung hat Alj. Dumas ganz Recht, wenn er sagt: A f r i k a f ä n g t bei d e n P y r e n ä e n a n . Thierschutzvereine oder Gesetze gegen Thierquälerei gibt es in Spanien nicht. (7) Die leidenschaftliche Rethorik der Spanier hebt Rolef wiederum als eine lobenswerte Eigenschaft hervor. Als er junge jesuitische Gymnasiasten beobachtet, notiert er: Gestern um 1 Uhr war ich in dem eine Stunde von Madrid entfernten Jesuitencollegium. Sie können sich denken, wie mich diese Anstalt, ein spanisches Gymnasium, interessiert hat. Die Vorträge, welche die jungen Leute in spanischer Sprache hielten, waren wirklich ausgezeichnet; man kann sich in Deutschland von dieser Lebhaftigkeit, von diesem Feuer, von dieser hinreißenden Beredsamkeit der Spanier keinen Begriff machen. Diese Zöglinge von 15-18 Jahren benahmen sich auf ihrer Rednerbühne, als wenn sie Jahre lang eine Kanzel, einen Katheder oder eine Bühne betreten hätten. Daher war der riesige Beifall ein wohlverdienter. Weniger zufrieden war ich mit den Leistungen in fremden Sprachen. Lateinisch und Griechisch wurde ziemlich gut vorgetragen, schlecht war aber die Aussprache im Französischen und im Deutschen, etwas besser im Englischen. Im Uebrigen hat mir die Einrichtung der Anstalt sehr gefallen, wie ja bekanntlich die Jesuiten gute Pädagogen sind. Die Gesellschaft, die dort versammelt war, gehörte zur höchsten Aristokratie. Alle reichen und vornehmen Familien in Madrid lassen ihre Söhne bei den Jesuiten studieren. (13f.) Immerhin bleibt Rolef als Katholik ziemlich objektiv, wenn er folgende Anekdote über eine protestantische Messe erzählt, die der Kronprinz besucht: Am vorigen Sonntag wohnte der Kronprinz dem Gottesdienste der Protestanten bei. Der protestantische Pastor Flieder, derselbe, der wegen seines verwahrlosten Anzuges und wegen Mangels an schriftlichen Ausweis im vorigen Jahre in der Nähe des Eskurials verhaftet worden war, fügte dem Schlußgebet des Gottesdienstes die Bitte bei, es möge durch die Gnade Gottes der Besuch des Kronprinzen in Madrid zur

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María José Gómez Perales Verbreitung des Lutherthums in Spanien beitragen. Darauf haben die spanischen Zeitungen erwidert: Was würde das protestantische Deutschland gesagt haben, wenn der Probst von St. Hedwig in Berlin öffentlich gebetet hätte, es möge durch den Besuch des Königs von Spanien in Berlin ganz Deutschland katholisch werden? Pastor Flieder hat allerdings später in einer Zeitung bekannt gegeben, daß er diesen Ausdruck in dieser Weise nicht gebraucht habe, andere Zeitungen dagegen haben bemerkt, daß sie den Widerruf nicht aufnehmen wollten, weil sie die Sache von zuverlässigen Ohrenzeugen vernommen hätten. (19)

Rolef beendet das Kapitel über den Spanienbesuch des Kronprinzen mit Antworten auf die Fragen über Spanien, die seine Leser im Freiburger Posten an ihn richten. Die deutschen Leser, die sehr wahrscheinlich nie in Spanien waren, wollen sich vergewissern, ob einige Stereotype über Spanien stimmten oder nicht: Gestern haben mehrere Briefe und Karten von bekannten und unbekannten Lesern des „Boten" ihren Weg zu Don Francisco in der Straße Pelayo 64 dahier gefunden, und ich sage denselben für ihre freundliche Aufmerksamkeit meinen verbindlichen Dank. Verschiedene an mich gerichtete Fragen, insoweit sie allgemeiner Natur sind, will ich hier zu beantworten suchen. Erste Frage: Ob der Himmel in Spanien wirklich blauer sei, als in Deutschland? Auch ich habe diese Frage oft an mich gestellt und muß gestehen, daß ich keinen Unterschied an der Farbe des Himmels zu entdecken vermag. [...] Zweite Frage: Ob die Frauen Spaniens wirklich schöner wären, als die anderer Länder? Ich könnte mit Frau Primorose im Vicar ofWakefield antworten: was gut, brav und edel ist, das ist schön, und in dieser Beziehung glaube ich nicht, daß die Spanierinnen besser sind, als andere Frauen der Welt. Im Gegentheil! Jedoch will ich es versuchen, diese heikle Frage bestimmter zu beantworten. Die Frauen Spaniens haben mehr Ansehen, als in irgend einem Lande der Welt. Nirgends genießen sie mehr Achtung, als hier. Zu arbeiten brauchen sie hier wenig oder gar nicht. Als im Juli dieses Jahres einige Spanier mich in Freiburg besuchten und auf dem Felde Frauen und Mädchen arbeiten sahen, da waren sie ganz erstaunt und sagten: Das würde in Spanien nirgends vorkommen. Die Spanierinnen sind auch niemals gute Hausfrauen. Daher kommt es, daß sie mehr Zeit haben sich zu putzen. Dann herrscht hier die abscheuliche Mode, daß sich die Frauen alle schminken und pudern. Wer nun das schön findet, der mag die Frauen Spaniens schöner finden, als die anderer Länder. (27f.)

Zwischen romantischem Erbe und Modernität

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Z u Weihnachten befindet sich der Autor nicht mehr in Madrid, sondern in Sevilla, und dort erlebt er, wie man in Spanien feiert. Vor allem betont Rolef im Kapitel „Weihnachten in Sevilla", wie laut die Spanier sind und wie komisch die andalusischen Tänze einem Deutschen vorkommen: Auch hier macht man sich Geschenke zu Weihnachten; Christbäume gibt es hier nicht, wohl aber in allen Häusern hübsch eingerichtete Krippen, auf denen Geschenke des Christkindes zu sehen sind. Einer wünscht dem Andern felices Pascuas, glückliche Feiertage. Glückwünsche zum neuen Jahre kennt man in Spanien nicht, wahrscheinlich weil man die Glückwünsche zu den Hauptfesten für kirchlicher hält.

Pascua und Pascuas heißen die drei Feste: Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Letzteres heißt speciell: Pascua de la Natividad. Dieses Fest wird nun ausserhalb und innerhalb der Kirche ächt spanisch- ziemlich geräuschvoll, gefeiert. [...] Das Weihnachtsfest dauerte hier volle acht Tage. Alle Tage hörte man in den Häusern, auf den Straßen und in den Kirchen Nichts als Weihnachtslieder mit Castagnetten, Banderetten, Cimbeln und Trommeln begleitet. Anfangs machte mir diese ächt maurische Musik, ihrer Neuheit wegen, viel Vergnügen. Doch zuletzt ist sie mir, besonders in den Kirchen, fast zum Ekel geworden. Das ist eine Musik, die so geräuschvoll ist, daß man taub werden könnte. Die Lieder, die dabei gesungen werden sind so übermäßig lustig, dass unsere fröhlichsten Volkslieder ernste Kirchenlieder dagegen wären. [...] In den Familien herrscht in dieser Zeit dieselbe freudige Aufregung. Ueberall, wo ich eingeladen wurde, und das kommt jetzt fast täglich vor, mußte ich vor und nach dem Essen dem Ballet der kleinen und großen Kinder zuschauen. Vater und Mutter nahmen gewöhnlich auch am Tanzen Theil. Es sind das die ächt spanischen Nationaltänze, wobei die Körper der Männer und Frauen sich wiegen und neigen und überund nebeneinander krümmen, ohne sich jemals zu berühren. Dabei wird auf rythmysche Weise mit den Füßen gestampft und werden bizarre Bewegungen mit den Armen gemacht. Unschön ist dieses Tanzen gerade nicht und hat in keiner Weise etwas mit dem französischen Cancan gemein; aber manchmal artet die Geschichte in eine so tolle Raserei aus, dass man unwillkürlich an das Horn des Hüon im Oberon denken muss. Am meisten widerstrebt es aber unserm deutschen Gefühle, die Formen des Ballets von Kindern angewandt zu sehen. Tanzunterricht bekommen hier die Kinder, ehe sie lesen und schreiben lernen. (51-54) Höflichkeit und Liebenswürdigkeit sind Eigenschaften, die Rolef in seinem Verkehr mit den Spaniern findet; über das Geschäftsgebaren jedoch k o m m t er zu ganz anderen Schlüssen: Zum Schluße will ich, um dem schönen Gemälde einen kleinen Schatten zu geben, die Bemerkung hinzufügen, daß der Spanier, so liebenswürdig und höflich er auch

270

María José Gómez Perales im Umgang sein mag, in g e s c h ä f t l i c h e r Beziehung keine Rücksicht kennt. Da ist er schlimmer als die Juden und wird nur von dem Italiener übertroffen. Deshalb können in Italien und Spanien die Juden nicht aufkommen. Im Geschäft, da ist der Spanier ein schlauer, gewandter und raffinirter Bursche, da nimmt er, was er bekommen kann. Kommt ein Fremder, oder gar ein Geistlicher in seinen Laden, so muß er zweimal mehr bezahlen, als andere Leute. Tout comme

chez nous. (60f.)

Seiner Meinung nach ist der Spanier jedoch nicht nur gegenüber Ausländern unfair, sondern auch gegenüber seinen Landsleuten. Außerdem kritisiert Rolef die ebenso ineffiziente wie korrupte Verwaltung: Was Sie neulich von der schlechten Verwaltung in Barcelona berichtet haben, wird durch spanische Zeitungen bestätigt. Leider m u ß ich von der Provinz Andalusien und von der Stadt Sevilla ähnliche Sachen erzählen. Die Provinzialstände von Andalusien (das Wort kommt von den Vandalen her) stehen wegen Verschleuderung öffentlicher Gelder in Untersuchung. Der deutsche Consul erzählte mir, daß dieselben ein Haus für 50,000 duros (ä 5 Frcs.) erworben und der Provinz 150,000 dafür angerechnet haben. Der Ueberschuss wanderte als Trinkgeld in die Taschen der Betheiligten. Ebenso machte es der hiesige Stadtrath. Die Eingangssteuem wurden allmählig in die Höhe geschraubt, ein Faß Wein, das im Ankauf 12 Frcs. kostet, wird für 16 Frcs. in der Stadt verzollt. Der Bedarf des Salzes, den der Consul früher mit 2 0 Realen deckte, beträgt jetzt 300 Realen u.s.w. u.s.w. Wo kam all' das Geld hin? Das gemüthliche, andalusische Volk, das sich gar vieles gefallen läßt, wurde endlich rebellisch, man schrieb nach Madrid, von dort kam eine Untersuchungskommission, der Stadtrath protestierte dagegen, aber die Unredlichkeit wurde aufgedeckt, und seit drei Tagen ist der ganze Stadtrath (zwei Bürgermeister und 45 Räthe) abgesetzt worden. (64) Uber die Bereitschaft der Spanier zur Arbeit schreibt der Autor: Die Hälfte der Spanier will nicht arbeiten und geht daher betteln. Alle 5 Schritte begegnet man einem Bettler, von denen der eine unverschämter ist als der andere. Das Betteln ist für sie ein Geschäft, ein Handwerk, wie jedes andere. Die Regierung thut da wenig oder gar nichts; denn, wenn sie das Betteln verbieten wollte, so müsste sie einige Millionen Menschen in Arbeitshäusern ernähren, und das will sie nicht. (117) Im Schlusswort wiederholt Rolef, was er in der Vorrede schon gesagt hatte: „Von Spanien können wir fast nur negativ lernen", und er stellt folgenden Vergleich an:

Zwischen romantischem Erbe u n d Modernität

271

In Deutschland bleibt gewiß noch Vieles zu wünschen übrig, aber die Zustände unseres Landes sind besser als in Spanien. Ich stehe daher nicht an zu erklären: W e r mit den politischen, sozialen, volkswirtschaftlichen, sittlichen religiösen Verhältnissen

Deutschlands

u n z u f r i e d e n ist, der

s i c h n u r d r e i M o n a t e in S p a n i e n a u f h a l t e n - er w i r d e i n e s

und möge

Bessern

b e l e h r t u n d m i t g r ö ß e r e r L i e b e z u D e u t s c h l a n d z u r ü c k k e h r e n . (183)

Rolefs kritischer Blick ist womöglich noch schonungsloser als der Möhrs. Der Grund dafür ist wahrscheinlich im idealisierten Spanienbild zu suchen, das er vor allem in Verbindung mit seiner katholischen Priesterausbildung mitgebracht hatte. Der Vergleich dieses Bildes mit der Realität zeigt keine positive Bilanz. Trotzdem hat Rolef auf einer anderen, eher menschlichen Ebene sicher auch gute Erfahrungen gemacht, wie die mehrmals vorkommenden Referenzen auf spanische Freunde und Bekannte (26ff., 58f.) erkennen lassen.

SCHLUSSWORT

Allen den hier vorgestellten Reiseberichten sind zum einen die immer wiederkehrenden Themen der traditionellen Spanienreise gemeinsam: Stolz und Höflichkeit der Spanier, Frauenbild, maurisches Erbe, schlechte Wirtshäuser und Straßen. Dazu kommen die seit der Spätaufklärung und Romantik besonders beliebten Themen wie etwa die Landschaft als Projektionsraum aller möglichen Gemütszustände, Sehnsüchte und Ängste; die bildende Kunst (verkörpert vor allem in Velazquez, Murillo und El Greco), bei der sich angeblich der spanische Genius am reinsten ausdrücke; oder die Spuren der Dichtung (hauptsächlich El C i d und D o n Quixote). Die Wahrnehmung der Gegensätze, die schon immer als charakteristisch für Spanien gegolten hatten, verstärkt sich in dieser Epoche und veranschaulicht die für das 19. Jahrhundert typische Spannung zwischen Modernisierung und Rückständigkeit. Das zeigt sich z. B. an der Religion, die, anders als im 18. und in früheren Jahrhunderten, nicht mehr Schreckgespenst war, sondern entweder als tiefer Ausdruck der spanischen Seele angesehen wurde (laut Lorinser) oder nur noch als leere Hülse und sogar als Ausdruck der Unkultur (laut Rolef). Aber auf jeden Fall war sie ein Gegenstand des gesteigerten Interesses bei Angehörigen eines Landes, dessen so genannter Kulturkampf die letzte Phase der Säkularisierung des Bildungswesens eingeläutet hatte (Gall 2004: 24f.).

María José Gómez Perales

272

Die Reisenden aus den 50er Jahren haben einen positiven bis neutralen Blick. Die ersten zwei - Hackländer und Lorinser — stehen Spanien besonders aufgeschlossen und wohlwollend gegenüber. Wolzogen nimmt eine unparteiische, sachliche Position ein, während die Reisenden gegen Ende des Jahrhunderts - Mohr und R o l e f - eher die negativen Seiten des Landes in ihren Blickpunkt rücken. Da drei dieser Reiseberichte, nämlich die von Hackländer, Mohr und Rolef nicht nur in Buchform, sondern auch als Zeitungsartikel veröffentlicht wurden, haben sie ein größeres Lesepublikum erreichen können und somit ihre Vision von Spanien einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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Vision und Wirklichkeit Deutsche Spanienreisende von der Jahrhundertwende bis zum Dritten Reich (1900-1933) Reinhold Münster (Universität Bamberg)

D I E E N T W I C K L U N G DES T O U R I S M U S : SPANIEN -

DEUTSCHLAND

Die historische Entwicklung der touristischen Beziehungen der beiden Staaten lässt sich ohne eine Kenntnis der politischen Lage in den beiden Ländern nicht verstehen. Deutschland erlebt seine kulturellen Aufbruchsphasen vor dem Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg; von einem sich modernisierenden Deutschland gehen auch diese beiden Kriege aus. Spanien als ein Land, das häufig als rückständig betrachtet wird, steht nicht auf der Liste derjenigen Reiseländer, die viel und oft besucht werden. Einzelne Reisende, vor allem Intellektuelle, Künstler und Fotografen sind zu verzeichnen; das Phänomen des Massentourismus setzt erst in der Zeit nach 1960 ein. Wichtige Hindernisse für eine Reise nach Spanien stellen in Deutschland bürokratische Hürden dar, fehlende Devisenbewirtschaftung und vor allem die Tatsache, dass tarifliche Vereinbarungen über einen längeren Jahresurlaub erst spät erreicht werden. 1 Im Jahr 1907 arbeiten zudem in Deutschland erst 119 Reiseagenturen; ihre Anzahl steigt nur langsam an. Während des Ersten Weltkriegs schließt Spanien seine Grenzen. Einige wenige deutsche Reisende können nicht mehr zurückkehren und müssen im Land bleiben. Nach dem Krieg beginnt ein kleiner Boom der Spanienreise zwischen 1925 und 1935. Das Land gewinnt eine gewisse Aufmerksamkeit innerhalb der erlebnisorientierten Milieus der deutschen Oberschicht und bei einigen Intellektuellen. Doch die wichtigen Reiseströme bewegen sich nach Russland („Revolutionstourismus") und in die exotischen Länder (Indien, Fernost, Afrika), aber auch in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in die USA. 2

1

H a c h t m a n n 2 0 0 7 : 100.

2

Sprengel 2 0 0 4 : 7 0 7 - 7 1 4 .

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Reinhold Münster Der Faschismus in Deutschland verfolgt touristisch durch sein Programm

„ K r a f t durch F r e u d e " politisch-ökonomische u n d indirekt auch militärische Ziele. Daher steht das faschistische Spanien im Gegensatz zu Portugal nur selten auf der Liste der Länder, die von den deutschen Kreuzfahrtschiffen angesteuert werden. Der spanische Bürgerkrieg ( 1 9 3 6 bis 1 9 3 9 ) erzeugt eine besondere G r u p p e von Reisenden: Linke u n d Liberale auf der einen Seite, Militärs und Faschisten, besonders die „Legion C o n d o r " , auf der anderen. M i t d e m Zweiten Weltkrieg k o m m t die Reisetätigkeit fast vollständig z u m Erliegen. D i e N a c h kriegszeit belebt sie nur sehr vorsichtig, denn noch immer hält Francisco Franco die politischen Zügel seines Landes fest in den H ä n d e n . Aber auch nicht alle Deutschen können frei reisen: Für einige Bewohner der „Deutschen D e m o k r a tischen Republik" gibt es als so genannte „Reisekader" nach dem Zweiten Weltkrieg Ausnahmeregelungen, u m nach Spanien zu reisen. D i e Beschränkungen dauern fort bis z u m Mauerfall im Spätherbst 1989. D i e politische E n t w i c k l u n g in Spanien beeinflusst sehr stark das zarte Pflänzchen des aufkeimenden Tourismus. Alfons XIII. übernimmt 1 9 0 2 die Regierungsgeschäfte, wobei er versucht, eine restaurative u n d autoritäre Politik fortzufuhren. D i e spanischen Kolonien (Kuba, Philippinen) gingen schon 1898 in Kriegen verloren. 1923 putscht sich Primo de Rivera an die Macht, die er bis 1931 innehat. D i e „Zweite R e p u b l i k " versucht eine u m f a s s e n d e R e f o r m des Landes, das noch große Anstrengungen der Modernisierung zu leisten hat, u m den Anschluss an die führenden M ä c h t e Europas zu erlangen. M i t d e m Ausbruch des Bürgerkrieges spaltet sich das L a n d in zwei Regionen: diejenige der R e p u b l i k u n d diejenige, die v o m Faschismus kontrolliert wird. Francisco Franco errichtet nach seinem militärischen Sieg eine Diktatur, die erst 1975 mit seinem T o d endet. Die Umbrüche im Land verursachen eine starke Auswanderung nach Argentinien und Brasilien. Die agrarisch orientierten Regionen verzeichnen starke Bevölkerungsverluste. Die Metropolen boomen dagegen durch die Armutswanderung. Durch moderne Verkehrsmittel wird das Land erst spät erschlossen. Für den Tourismus bedeutet dies: Einige kleine Zentren, vor allem die Badeorte mit Thermalquellen, entstehen u m 1900; Bergsteigerclubs oder Vereine, die Fahrradtouren unternehmen, erschließen sich bestimmte Regionen. 3 Hotelketten breiten sich sehr langsam aus. Viele Reisende klagen über eine u n b e q u e m e Unterbringung und eine miserable Gastronomie. Im Jahr 1928 sind erst 110 Badeorte Spaniens an die Eisenbahnlinien angebunden. Ein weiteres Problem stellen die unter3

Moreno Garrido 2007: 21. Schmitz: 1936.

Vision und Wirklichkeit

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schiedlichen Spurweiten der Eisenbahnen in und außerhalb Spaniens dar. Erst 1924 versuchen staatliche Stellen, eine Einigung mit den verschiedenen, vor allem französischen Eisenbahngesellschaften herbeizufuhren. Das erste Automobil wird 1898 in Madrid zugelassen. Die Mehrheit der Automobilisten fährt in den Städten, denn das Umland verfugt über keine oder eine unzureichende Infrastruktur. Ab 1926 entstehen die ersten Autobahnabschnitte im Land. Tankstellen, Motels, Autowerkstätten, Abschleppdienste fehlen lange Zeit. Der Schwerlastverkehr oder Ochsenfuhrwerke behindern ein schnelles Reisen massiv. In den zwanziger Jahren beginnt zugleich der Flugverkehr mit Spanien. Da jedoch Frankreich erst 1926 sein Uberflugverbot für deutsche Verkehrsmaschinen aufhebt, kommt es vorerst nur zu einem begrenzten Flugverkehr über Italien. Touristenbüros in staatlicher Hand entstehen erst nach 1930. Die Werbung für das Land läuft sehr schlecht, auch die Reisebüros der großen europäischen Unternehmen kämpfen mit bürokratisch-staatlichen Hemmnissen. Die Erteilung von Visa läuft schleppend, die Zollkontrollen verfahren willkürlich und langsam. Zusammenfassend bedeutet dies: In beiden Ländern verfolgen Staat und Politik nur mit geringem Interesse die Förderung des Tourismus und des kulturellen Austausches durch das Reisen. Dabei finden sich seit den Zeiten von Karl Christian Friedrich Krause ( 1 7 8 1 - 1 8 3 2 ) zahlreiche Ansätze für einen intensiven, vor allem kulturellen Kontakt. Der Austausch von Wissenschaftlern und Studierenden, die Teilnahme Spaniens an internationalen Fußballtournieren und anderen sportlichen Ereignissen, die Reisen spanischer Intellektueller - José Ortega y Gasset als der vermutlich bekannteste Reisende — und Wirtschaftsmanager nach Deutschland, die Rezeption der Musik Richard Wagners (Aufführung des Lohengrin in Barcelona im Jahr 1888), die Entstehung von protestantischen Kirchengemeinden in Madrid und anderen Städten vor allem des Südens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Existenz deutschsprachiger und -stämmiger Gruppen im Land, zum Teil mit eigenen Schulen: All dies hätte viel versprechend sein können und hat auch eine gewisse, wenn auch bescheidene W i r k u n g gezeigt. Doch wie schwer sich Spanien mit der Entwicklung zu einem Land des Massentourismus tat, zeigt das Beispiel des „Bikini-Krieges" von 1970. Noch zu diesem Zeitpunkt war es Frauen verboten, in den städtischen Schwimmbädern Spaniens einen Bikini zu tragen. 4 Eine besondere Klasse des Reisenden ist der Schriftsteller. Als Individualreisender sucht er diejenigen Aspekte Spaniens, die für ihn persönlich interessant und in den europäischen Medien verkäuflich sind. So lassen sich im Laufe der 4

Gimber 2 0 0 3 : 96.

Reinhold Münster

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folgenden Darstellung bestimmte Motive, Stoffe und Themen, aber auch literarische Verfahrensweisen erkennen, die eine breite Zustimmung finden und die der Schriftsteller mit anderen Reisenden teilt. In der Regel folgen aber die Autoren in der Darstellung der Reise ihrem jeweiligen Epochenstil: dem ausklingenden Naturalismus, dem Jugendstil (Modernismus), der Neuromantik, dem Impressionismus und Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und der traditionsgebundenen Heimatkunst. Viele von ihnen verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Reiseberichten, die sie vor allem in Zeitschriften und anderen Periodika publizieren. Häufig entstehen die Reisebücher erst nach der Publikation als Artikelserie in den Journalen.

D I E REISEFÜHRER ZU SPANIEN

Eine der wichtigsten Formen, das Reisen zu bewerben, ist der Reiseführer, der mehrere Funktionen wahrnimmt im Vergleich mit dem einfachen Reisebericht. Hinzu kommt die Zeitschriftenwerbung, die Spanien zum ersten Mal in der französischen Zeitschrift Le Tourisme (ab 1905) vorstellt. Häufig sind die Beiträge mit Fotografien angereichert. Das Fotobuch erobert sich langsam, aber sicher in dieser Phase seinen Platz als eigenständige Sparte der Reiseliteratur. Reiseführer zu Spanien (in der Frühzeit des Tourismus) erscheinen in französischer und englischer Sprache, erst spät kommt der deutschsprachige Baedeker hinzu. Das Handbook for Travellers in Spain ab 1845 erlebt mehrere Auflagen, der Führer aus dem Verlagshaus „Hachette", der Itinéraire General de l'Espagne et du Portugaldb 1880, hat drei Auflagen. Karl Baedeker (1801-1859) begründet eine neue Form des Reiseführers.5 Als erster Verleger besucht er alle Länder, über die er schreibt, und hält durch ein dichtes Netz an Korrespondenten die Informationen auf dem neuesten Stand. Doch erst spät entsteht im Verlagshaus Baedeker's Spanien und Portugal. Die erste Auflage stammt aus dem Jahr 1897. Nur eine geringe Stückzahl wird verkauft. Die zweite Auflage verfügt schon über 584 Seiten, bringt 7 Karten, 34 Pläne, 13 Grundrisse.6 Das Buch forciert bestimmte Regionen: das Baskenland mit San Sebastián, Madrid, Barcelona, Valencia, also die Thermalbäder und Metropolen, aber auch die Städte des Südens wie Granada, Sevilla, Cádiz und Malaga.

5

Simon 2 0 0 5 : 1 2 0 .

6

Baedeker 1 8 9 9 und 1 9 0 6 .

Vision u n d Wirklichkeit

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Für die Zeit ab 1900 wird für die Reisenden die dritte Edition von 1906 bedeutsam. Sie beschreibt mit 557 Seiten nun sehr gezielt Orte, die für den Tourismus interessant zu sein scheinen. Die Auflage zeigt 9 Karten, 44 Pläne, 15 Grundrisse. Eine vergleichende Geldtabelle, eine Karte der Eisenbahnverbindungen und eine Generalkarte des Landes liegen bei. Erfasst werden auch die Inseln der Balearen und der Montserrat. Den kunstgeschichtlichen Teil schreibt Carl Justi. In zehn Abschnitten erklärt der Reiseführer dem Fremden die wichtigsten Punkte, die er für die problemlose Reise, die nicht unter drei Monaten dauern sollte, wissen muss. Dazu gehören Informationen über das Geld, die Sprache und die Formalitäten im Land und an der Grenze. So empfiehlt der Baedeker, nicht nur beim Konsulat ein förmliches Visum zu beantragen, sondern sich auch bei der Provinzialverwaltung an- und abzumelden, wenn man die Provinzgrenzen überschreitet. Auch die amtliche Willkür bei den Zollkontrollen bespricht das Buch. Nicht nur an den Landesgrenzen, auch auf Bahnhöfen und an Stadttoren werden Zölle erhoben. Daher soll der Reisende seine Quittungen gut aufbewahren und mit sich führen. Hotels, Restaurants und Speisehäuser, Bierhäuser und Cafes stellt das Buch ebenfalls vor. Während heute einzelne Restaurants und Hotels im Anzeigenteil des Reiseführers für sich werben, gibt der Baedeker nur allgemeine Hinweise, empfiehlt aber einzelne Restaurants und Unterkünfte. Hervorgehoben werden Häuser, die von deutschstämmigen Besitzern oder Pächtern geführt werden. Deutlich kritisiert das Buch auch die ungenügenden Leistungen in Hotels und Gaststätten. Die Plage der starken Bettelei, die zahlreiche Reiseberichte der Zeit aufgreifen, führt zu einer Reisewarnung des Baedekers, die zugleich etwas über das Stereotyp des „faulen Spaniers" aussagt. Die Bettelei ist eine Landplage in Spanien. Unzählige betteln nur aus Faulheit, da sie dies Gewerbe als ein bequemes und einträgliches Geschäft betrachten, viele aus Langeweile, manche zu wohltätigen Zwecken, die wenigsten aus berechtigten Gründen. Die Bettler folgen dem Fremden auf der Straße, dringen in Kaufläden, Kaffeehäuser und Gasthöfe ein, sitzen an Kirchentüren und belagern, besonders in Südspanien, bisweilen selbst die Billettschalter der B a h n h ö f e und auf kleinen Stationen die durchfahrenden Züge. D e m Reisenden bleibt, z. B. an Aussichtspunkten oder bei der Betrachtung von Kunstwerken, oft nichts übrig, als sich mit ein paar Kupfermünzen loszukaufen. Im allgemeinen aber lasse man die Bettler unbeachtet. Kindern sollte man niemals etwas geben (anda! Geh' weg). (Baedeker 1 9 0 6 : X X V )

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Reinhold Münster A u c h allgemeine Hinweise für den U m g a n g mit Einheimischen gibt das

B u c h . E s weist a u f den N a t i o n a l s t o l z des Spaniers ebenso hin wie a u f seine Überheblichkeit anderen Nationen gegenüber. Der Nationalcharakter besteht vor allem in einer Ideologie der Pseudo-Gleichheit und in der Leidenschaftlichkeit und Empfindlichkeit der Menschen, die sich in einer unangemessenen Eitelkeit zeigen. Baedeker schreibt dazu: Der zwanglos heitere Ton, der in der gebildeten Gesellschaft vorwiegt, und die landesübliche freilich etwas phrasenhafte Höflichkeit haben für den Fremden zunächst etwas Bestechendes. Man hüte sich aber, das Gespräch auf ernstere Dinge zu lenken, und vermeide vor allem jegliche Erörterung kirchlicher oder politischer Fragen. Der empfindliche, neuerdings so tief verletzte Nationalstolz der Spanier, ihre völlige Unkenntnis fremder Verhältnisse lässt eine ruhige Auseinandersetzung nicht zu. Man beschränke sich dabei jedenfalls auf die Rolle eines wohlwollenden Gastes. Das niedere Volk ist zwar ebenfalls nicht frei von nationaler Eitelkeit, aber es hat auch viel gesunden Menschenverstand. Im Verkehr mit ihm ist zweierlei festzuhalten: erstens, wo es gilt sein Recht zu wahren, Ruhe und Entschiedenheit, aber ohne Schroffheit, die nur die Leidenschaftlichkeit anregt; zweitens eine gewisse höfliche Rücksicht auch dem Geringsten gegenüber, der immer noch beansprucht, als .Caballero' behandelt zu werden. Der Sinn für Gleichheit ist in Spanien in einer Weise entwickelt, die jede Unterwürfigkeit ausschließt und im Handel und Wandel, z. B. im Verhältnis des Verkäufers zum Käufer in Ungefälligkeit ausarten kann. (XXVI) D e m Stierkampf, d e m H a h n e n k a m p f und dem Pelote-Spiel widmet sich der Reiseführer ausfuhrlich. Eine kurze Geschichte des Stierkampfes, eine Beschreib u n g der Arenen, der genaue Ablauf des Kampfes verbindet sich mit einer kurzen Kritik des Stierkampfes: Bekanntlich sind alle Versuche, die Stiergefechte zu unterdrücken, erfolglos geblieben. Weder der Papst noch die Geistlichkeit, weder die Monarchie noch die Republik haben dieser Leidenschaft des spanischen Volkes beikommen können. Auch heute noch ist der Zudrang so lebhaft wie je, aber es vollzieht sich ein Wandel im Wesen der Sache, der ihr zweifellos die besseren Gesellschaftskreise entfremden wird. Gewinnsucht und Reklame verdrängen die stierkämpferische Standesehre (vergüenza torera); das Auftreten von weiblichen Stierfechtern, Stierhypnotiseuren, Automobiltoreros erniedrigt den Stierkampf zu einem gewöhnlichen Sensationsschauspiel. [...] Widerwärtig sind die Hahnenkämpfe (combates de gallos), die fast nur aus mehr oder weniger zweifelhaften Gesellschaftskreisen besucht werden. Der circo de gallos ist selten besser ausgestattet als die Schaubuden unserer Jahrmärkte. (XXX)

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Auf diese Weise prägt der Baedeker das Bild Spaniens, lange bevor der Reisende das Land betreten hat. Die Stereotype über den Nationalcharakter und das Sozialverhalten der Einheimischen verfestigen sich in den Köpfen, ohne dass eine Berührung mit der fremden Kultur stattgefunden hat. Zudem richtet sich der Baedeker eindeutig an eine Schicht der Reisenden, die ausreichend Geld und Zeit zur Verfügung hat und abenteuerlustig genug ist, um Spanien zu bereisen. Die vierte Edition des Baedekers von 1912 wird erweitert. Sie verfügt über einen Beschreibungsteil von 573 Seiten, 20 Karten, 44 Plänen, 15 Grundrissen. Die Einteilung der Kapitel ändert sich. Hervorzuheben sind noch zwei andere Reiseführer, die einem differenzierten Interesse entsprechen. Es sind dies: Land und Leute in Spanien, von Langenscheidt herausgegeben, und der Ratgeber für reisende Lehrer in Europa von Walter Wüllenweber. 7 Mit speziellen Aspekten beschäftigen sich auch die Reiseberichte von Johannes Klein, Eine Spanienreise (Wirtschaft) und Friedrich Augustin, Ein Studienaufenthalt in Spanien (Schüleraustausch). 8 Später ergänzen das Handbuch der Spanienkunde (1932) und geographische Studien wie E. Schäfers Monographien zur Erdkunde, Spanien, eine Fahrt nach Andalusien (1930) das Wissen über das Land. 9

REISEN IM SPÄTEN KAISERREICH ( 1 9 0 0 -

1914)

Verallgemeinernd und stark vereinfacht gesprochen können zwei Gruppen von Reisenden festgehalten werden, die während der Zeit des späten deutschen Kaiserreiches nach Spanien fahren. Die größte Gruppe umfasst Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler, die das Land seiner Kunstschätze wegen aufsuchen, im weitesten Sinne also Bildungsreisende. Schon bald kommt es zu einem heftigen Streit um die Quellen des Impressionismus einerseits, um die Bedeutung von El Greco, Velazquez, Goya und Murillo andererseits. Die zweite Gruppe sind Durchreisende, die sich auf dem Weg nach Afrika oder Südamerika, seltener auch nach Nordamerika befinden. Spätestens mit dem Buch von Carl Justi über Diego Velazquez beginnt eine erregte Debatte in der deutschen Kunstszene. Justi erweist sich als vielseitiger Wissenschaftler, der für seine drei Bände über die Kunstbetrachtungen von Johann

7

Wüllenweber (1929). Fronner ( 3 1 9 2 0 ) .

8

Klein (1908). Augustin (1913).

9

E. Schäfer (1930). Fessier (1932).

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Reinhold Münster

Joachim Winckelmann (1862-1869) eine Professur fiir Philosophie und Archäologie in Marburg, später Kiel und Bonn erhält. Er unternimmt zahlreiche Reisen, vor allem nach Italien, die fiir die Untersuchungen zu Winckelmann bedeutsam sind, später nach England und Russland. Seine Arbeiten popularisieren die spanische Kunst und Kunstgeschichte in Deutschland, auch wenn andere Schriftsteller schon vor ihm über einzelne Kunstwerke und Künstler publizierten. Seine erste Reise nach Spanien tritt Justi nach der Berufung nach Bonn an, einem der Zentren der Spanienforschung im 19. Jahrhundert, um dann insgesamt elf Reisen in das Land zu unternehmen (1872-1892). Von diesen Reisen berichten seine Briefe, die allerdings erst 1923 aus dem Nachlass ediert werden. 10 Schon ab der Mitte des 18. Jahrhunderts widmet sich die Forschung dem Werk von Velazquez, dessen künstlerische Bedeutung von Anton Raffael Mengs oder Melchor de Jovellanos anerkannt wird. 1 1 Carl Justi entdeckt in R o m für sich den Maler. Er beginnt in diesem Augenblick die Auffassungen, die von der Romantik und dem Klassizismus theoretisch noch immer von Mengs geprägt sind, neu zu bewerten und langsam in eine Betrachtung der Eigenständigkeit spanischer Kunst zu überführen. Er lehnt allerdings aufgrund seiner eigenen Werteskala das Werk von El Greco, mit dem er sich seit 1874, dem Zeitpunkt des Erwerbs eines Gemäldes des Künstlers, beschäftigt, ab. 1 2 1888 erscheint die große Interpretation der Gemälde von Velazquez: Diego Velazquez und sein Jahr-

hundert (spanische Edition 1906). 1 3 Das Werk hebt die Singularität des Malers hervor. El Greco erscheint als ein Maler, der schon impressionistische Elemente der Kunst vorwegnimmt, allerdings bleibt dies Anmerkung, nicht ausführliche Reflexion. Das Lob, das Justi Velazquez spendet, bleibt nicht lange ohne Widerspruch. An der Kritik beteiligen sich als wichtigste Protagonisten die Kunsthistoriker August Liebmann Mayer, ein Schüler von Heinrich Wölfflin, und Richard Muther, einer der wichtigsten Vermittler spanischer Kunst in die Lyrik Rainer Maria Rilkes hinein. 1 4 Die beiden interessantesten Persönlichkeiten in dem Diskurs aber sind der Maler Jozef Israels und der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe. Jozef Israels (1824-1911) reist im Alter von siebzig Jahren von den Niederlanden nach Spanien. Er beeinflusst Rilke sehr stark mit seinem Reisebuch und 10

Justi (1923).

11

Portüs 2005: 30-37.

12

Scholz-Hänsel 2005: 184-193.

13

Justi (2006).

14

Mayer (1913). Muther 1900. Siebenmorgen 2007: 73-80.

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kann als einer der Urheber der Reise des Dichters nach Toledo gelten. Der Lyriker, der gerade als junger Kunstkritiker in Worpswede ein- und ausgeht, lobt das Buch. Er schreibt an Otto Modersohn: Ich habe Vogeler schon geschrieben: er möchte sich von Spanien von einem Großen erzählen lassen: Josef Israels hat die Erinnerungen seiner spanischen Reise (ein sehr schlichtes, schönes Tagebuch) als Buch im Verlag des hiesigen Salons Cassirer veröffentlicht und damit Gelegenheit gegeben, einen Blick in das Innere seiner Seele zu tun, die wie seine anderen Intérieurs voll warmer Dunkelheit und voll einfacher Größe ist. Wenn Vogeler das Werk anschafft, lesen Sie es und Paula Becker auch! Es wird Ihnen viel geben und Freude machen! (Rilke, zitiert bei Söllner 1993: 10) Israels Bedeutung zeigt sich in mehrfacher Hinsicht. Er reist als alter Mann, der sich seine Begeisterung und Herzenswärme erhalten hat; er fährt als Jude ohne Ressentiments in das Land, in welchem die Geschichte des Judentum in großer Bitternis endete, schreibt unter Vermeidung großer religiöser Emotionen, die er während seines Abstechers nach Afrika sehr wohl zeigt, und schaut mit offenen Augen auf die Kunstwerke der vergangenen Epochen Spaniens, ohne das Urteil ungerecht erscheinen zu lassen. Über dem Buch liegt die Schwermut des Fin de Siècle, in ihm findet sich auch die Freude über das Neue, den Impressionismus, den er in seiner eigenen, späten Malerei vorantreibt. Es ist das pulsierende Leben der spanischen Metropolen, das ihn anzieht. Und Künstler, die reisen, wollen auch Kunstwerke sehen. Israels fiebert dem Besuch im Prado in Madrid entgegen. Madrid ist eine herrliche, große und blühende Weltstadt, und wenn die Sonne scheint oder Mond am Himmel steht, ist es ein wahres Vergnügen, durch die breiten Straßen mit Läden, Kaffeehäusern und Schaustellungen jeder Art zu schlendern. Parks mit herrlichen Wegen und reichem, mannigfaltigem Pflanzenschmuck. Droschken, Omnibusse, oft prächtige Equipagen entwickeln ein geschäftiges, fröhliches Treiben. [...] Das große Bild Velasquez de Silvas, das uns im Museo del Prado gezeigt werden sollte, hatte uns schon längst den Schlaf geraubt. (Israels 1906: 40) Dann endlich steht er Veläzquez' Gemälden gegenüber. Er schreibt: Velasquez ist ein Maler, wie man ihn sich in der Jugend vorstellt. Eine große Leinwand, schmale und breite Pinsel, und man malt darauf mit lustiger Hand einen Reiter zu Pferd, lebensgroß in einer herrlichen Landschaft mit blauer Luft und lichten Wolken. Gekleidet in einen losen Kittel aus braunem Samt, mit schwarzem

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Reinhold Münster Schnurrbart und tief liegenden Augen steht er da und pinselt mit kundiger Hand eine große Leinwand mit lebensgroßen Figuren voll. Er zeichnet nicht tiefsinnig oder genau, aber groß und treffend; er sucht nicht, er müht sich nicht ab, wirft nicht verzweifelt um sich mit Pinsel und Stühlen, sondern ist ernst und überlegend. Voll Liebe für dasjenige, was er schafft, setzt er sich einen Augenblick nieder, um von seiner rüstigen Arbeit auszuruhen, und studiert aufmerksam das Modell, welches vor ihm steht und auch ausruht von der Pose für einen Trompeter. Dann erhebt er sich wieder, um einige Stunden ohne Pause stehend zu arbeiten, bis er durch die Ankunft einiger Höflinge, vielleicht des Königs selbst, die mit Wohlgefallen seine farbenreiche und klare Arbeit bewundern, gestört wird. (43) Nicht das Werk steht für den Praktiker im Mittelpunkt, sondern der Künst-

ler und seine Art zu arbeiten, zu malen, zu sehen, die begrenzte Lebensfülle einzufangen, die ihn umgibt. Die Farbe dominiert, der Pinselstrich bleibt zurückhaltend. Veläzquez produziert eben nicht ein naturalistisches A b b i l d der Gegenwart, er malt ein Abbild des Lebens, das er in aller Klarheit vor den Betrachter stellt. Der Vergleich zwischen Rembrandt (Die Nachtwache)

und dem

Spanier ( Las Lanzas) bringt dies nochmals zur Erscheinung: Das ist ein Pinsel von einer Breite, wie ihn noch nie jemand geführt hat. Alles, was die Malerei vermag, ist hier vereinigt, Naturwahrheit und Phantasie, höchste Meisterschaft in der Ausführung und über allem ein Zauber von Licht und Schatten, der ihm allein eigen ist. Es war ein eigenartiger Geist, dieser Rembrandt, in dem das dichterisch Geheimnisvolle des Nordens mit der Wärme und Virtuosität des Südens vereinigt war. Ruhig und still dagegen strahlt drüben an der Wand das Werk von Velasquez. Er arbeitet, aber kämpft nicht; er fühlt herrlich, aber streitet nicht; das dumpfe Schweigen in dem Dunkel Rembrandts und sein Ringen nach dem Unendlichen und Rätselhaften kennt er nicht; ruhig und sicher thront er auf dem durch ihn hier eingenommenen hohen Platz; aber die Kunst Velasquez' umfasst nur seinen eigenen Kreis, die Rembrandts lebt mit jedem Menschenleben mit und strebt dann noch nach dem Historischen und Unsichtbaren. (51) Jozef Israels fügt sich mit seiner Unterscheidung ein in die Lehren der Lebensphilosophie, die um 1900 M o d e sind, doch behält er den ruhigen Blick des subjektiv urteilenden Künstlers in seiner E i n s c h ä t z u n g Spaniens u n d seiner Kunst. Er berichtet in kleinen Miniaturen seine Erlebnisse, in Skizzen und Bildern, die er mit wenigen Strichen entwirft. U n d er regt an, über die Bedeutung der spanischen Malerei zu reflektieren und ihre Lebensenergie zu fiihlen.

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Der andere Autor, Julius Meier-Graefe, durchlebt ein aufregendes Leben. Ursprünglich studiert Meier-Graefe Ingenieurswissenschaften, doch nach einem Besuch der Weltausstellung in Paris 1889 ändern sich die Studienpläne. Er macht die Bekanntschaft mit dem Naturalismus und Nietzsches Philosophie. Kunsthistorisch beschäftigt er sich mit dem Impressionismus und damit der Malerei und kulturellen Moderne der Jahrhundertwende. 1893 lernt er in London Oscar Wilde und William Morris kennen. Jetzt entdeckt er für sich die Malerei des van Gogh. Zwischen 1895 und 1905 lebt er in Paris, befreundet sich mit Toulouse-Lautrec, schreibt für die Kunstzeitschrift Pan. Danach orientiert er sich wieder nach Berlin, in dem Maximilian Harden die Zeitschrift Die Zukunft herausgibt. Als Theoretiker bestimmt er inzwischen den Ablauf einiger wichtiger Diskurse über die zeitgenössische Malerei, besonders über diejenige des Nachimpressionismus bei van Gogh und Cézanne. 15 Während dieser Diskussionen reist Meier-Graefe nach Spanien. Am 4. April 1908 fahren das Ehepaar Meier-Graefe und drei weitere Mitreisende von Hamburg aus zuerst nach Portugal (Lissabon), dann fuhrt der Weg nach Salamanca, Madrid, Toledo, Sevilla, Cördoba, Algeciras, Granada, Ronda, Cartagena, Murcia, Elche, Alicante, Valencia, Tarragona, Barcelona, Zaragoza, Segovia, Avila, Burgos und am Ende San Sebastian. Die Reise endet am 28. September. Der Reisebericht wird sorgfältig komponiert: Spanische Reiset Das Gerüst bleibt die Chronologie der Reise, um das herum sich kleine Gattungen gruppieren: Kunstbetrachtungen, Landschaftsgemälde, Beschreibungen, Dialoge, Briefe, Tagebucheintragungen. 1910 erscheint der Reisebericht bei Rowohlt und macht sofort Fortüne, indem er einen laufenden Diskurs neu belebt. Seine Intention liegt darin, die Vorläufer des Impressionismus in Spanien zu suchen. Es geht also um die Auseinandersetzung mit Justi und dessen Bevorzugung des Velazquez. In Madrid inszeniert Meier-Graefe eine fast religiöse Konversion. Es ist die Kategorie der Plötzlichkeit, die in der Moderne eine so wichtige Rolle spielt, die zum Einsatz kommt. Der Freund aus Holland, der begeistert vom Besuch des Prado-Museums zurückkehrt, löst nun eine Kette von Ereignissen aus, die für die Kunstszene bedeutsam werden. M y n h e e r sehr aufgeregt: Nicht zu schlagen! Gröbste Klasse! - Hans still u n d bleich. [...] O h n e dass sie es merken, schleiche ich mich fort; Jeanne habe ich gesagt, dass

15

Schroetter 2005: 176-183.

16

Meier-Graefe (1985).

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Reinhold Münster ich auf das Telegraphenbureau gehe. Ich stürze in eine Droschke. Prado! Der Kerl fährt so langsam, dass ich ihn prügeln könnte, und wie ich wütend klopfe, hält er still und fragt freundlich nach meinen Wünschen. Endlich! Ich steige gelassen die Treppe hinauf, kaufe mir einen Katalog und gehe langsam durch die Säle. Bilder — Bilder. Ich sehe kaum etwas, bis ich am Ziel bin. Die Grecos, an denen man vorbei muss, scheinen betrunkene Phantasien. Goyas Majas elender Kitsch. Das habe ich mir ungefähr so gedacht, und es ist ganz gleichgültig. Nur der eine, der große, der einzige! .Velasquez'! Es ist mir, als ob ich seit Jahren zu keinem anderen Zweck gelebt hätte, als um diesen Moment zu erleben. (Meier-Graefe 1985: 24) Die Gefiihle gewinnen die Oberhand: die Sucht nach Bildern, nach d e m ge-

steigerten Leben aus Nietzsches Lebensphilosophie, d e m Künstler als Heros, der Singularität der B e g e g n u n g mit d e m großen Kunstwerk. Endlich steht Meier-Graefe vor den Bildern seines Idols. Gleich im ersten Augenblick im Velasquezsaal habe ich das Gefühl, dass etwas entsetzlich Peinliches und Lächerliches passiert. Es kommt nicht mal ganz unerwartet. Es trifft mit tödlicher Richtigkeit ein, wie der Eisenbahnzug im Bahnhof. Ich gehe von Bild zu Bild, erst sehr schnell, wie man Banknoten zählt, dann langsam, immer langsamer. Was passiert, ist eigentlich ganz natürlich. Wie sollen die Bilder denn sein? Was geht die Bilder an, was ich von ihnen denke. Ich habe Jahre einem Unbekannten rührende Briefe über die beträchdichsten Dinge geschrieben, bin schließlich der Versuchung unterlegen, ihn persönlich kennen zu lernen, und das soll man eben nicht tun. [...] Es fehlt mir vielleicht nur der gewisse Ruck. Mut! Wenn man erst einmal drin ist, kommt das andere von selbst. Sieh die Farben, dagegen ist nichts zu sagen, und vor allem die Allüre! Es liegt nur daran, dass man diese Allüre schon so oft auf dem Leierkasten gehört hat! Die anderen, die Leierkastenmänner, Whistler und Konsorten, haben sie banalisiert. Alles das muss man wegdenken. Aber daran denke ich ja auch gar nicht, ich denke überhaupt nicht, ich warte. Ich sehe und zwinge mich zu sehen, mit aller Spannkraft meines Sehvermögens. Ich versuche es bei jedem Bild von neuem. Wenn nur ein einziges da wäre! (25) Der Schock sitzt tief. Der Autor desillusioniert sich selbst, gibt sich der Lächerlichkeit und Peinlichkeit preis. D i e persönliche Bekanntschaft mit Veläzquez' Malerei führt zu der Einsicht und Ansicht, dass der Spanier ein durchschnittlicher Künstler sein muss. D i e T r ä u m e v o m großen Erlebnis, v o m gesteigerten Leben platzen wie Seifenblasen, die kleine Kinder d e m W i n d übergeben. Im Hotel diskutiert er mit den Freunden, die den Kunstkritiker nicht mehr verstehen. Ihm selbst ist z u m Heulen zu Mute, doch noch hält er an seinem gesunden Menschenverstand und der Vernunft fest.

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Das ist es alles nicht. Diese Velasquez sind nicht vorbeigehauen. Sie sind so gut, wie sie sein können. Dieser Benavente ist in seiner Art vortrefflich, die Bildnisse Philipps auch, die Lanzas auch. Aber eben die Art! Wenn man etwas wegwischen will, müsste man das Ganze nehmen. Es muss an mir liegen. Velasquez! Velasquez! - Schon allein der Klang des Namens gibt eine Vorstellung unerhörter Werte. Es ist doch unmöglich, dass der Anblick von wenigen Minuten genügen soll, Gewissheit zu verschaffen. Es ist ein unbedingtes Oppositionsbedürfnis, ein Spleen, eine Verrücktheit. Es gibt sechs große Meister in der Welt seit tausend Jahren. Zu denen gehört er, zu den Allergrößten. Ich erinnere mich nicht, seit wie lange ich ihn dafür halte. Solche Vorstellungen können doch nicht einfach verdunsten. Was wird denn dann mit den anderen, die damit verknüpft sind? Nicht auszudenken. Unsinn! Unsinn! Nochmals hingehen! (27) So wie in Nietzsches Zarathustra der Künstler in einem großen Augenblick die Einsicht in das elementare Leben erfährt, so erlebt auch Meier-Graefe in der Plötzlichkeit des ersten Kontaktes mit dem Originalwerk durch das intuitive Erfassen den entsetzlichen Schock, der dem Kunsthistoriker alle Maßstäbe verdreht. Die Wirkung des Schocks: eine neue Einstellung gegenüber Spanien und seinen kulturellen Leistungen, aber auch ein genereller Paradigmenwechsel innerhalb der Kunstgeschichte. Als die Freunde zwei Tage später erneut vor Las Meninas stehen, entdecken sie auch mit rationalen Mitteln die Schwächen des Malers. Hans will ein Stück kopieren und sucht. Man kann die ganze Gruppe ohne Schwierigkeit herausnehmen, auch einzelne Stücke der Gruppe, zum Beispiel die Prinzessin mit der Gespielin zu ihrer Rechten. Den Raum, meint Hans, brauche er gar nicht mitzumalen. Das sei zwecklos. Ein neutraler Hintergrund sei sogar vielleicht besser. Man kann sogar einzelne Figuren nehmen. Hans ist für die Gespielin, Mynheer für die Prinzessin, ich für die Zwergin. Eigentlich merkwürdig, dass sich das Bild so zerstückeln lässt und dass man über den Raum wie über eine Nebensache hinwegsehen kann. Übrigens recht viel verlorener Raum. Der ganze Teil über den Menschen ist nur des Größenverhältnisses wegen da. Man darf sich die Figuren nicht wegdenken, sonst erhält man ein raumloses Nichts. Man kann sie sich aber wegdenken. Das ist das Unglück. Einzelne Figuren, nicht mal alle, aber die Hauptgruppe, hängen unter sich zusammen, aber nicht mit dem Raum. Und unter sich nur, weil sie zusammenstehen. Sie stehen glänzend zusammen, aber sind nicht zusammen gemalt. Dieser Zusammenhang beruht nur auf Äußerlichkeiten, ist rohe Natur, im künsderischen Sinne künstlich; die rohe Sinnestäuschung wird nur von dekorativen Phrasen verhüllt. Der perspektivische Schnitzer mit der aufsteigenden Fläche hinter der Gruppe stört entsetzlich, weil alles nur auf abgemalte Wirklichkeit ankommt und deshalb jede Kollision mit der Wirklichkeit die Illusion aufhebt. (30)

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Doch ohne ein neues Paradigma funktioniert die Umwertung der alten Werte nicht. 17 Murillo, Goya und andere eignen sich nicht dafür. Bald tritt der „betrunkene Phantast" Domenico Theotoköpuli, genannt El Greco, an die Stelle des bisher verehrten Künstlers. Wieder handelt es sich um eine Überwältigung, eine plötzliche Einsicht, die während des Besuches bei dem Kunstsammler Aureliano Beruete y Moret stattfindet. Seine Grecos übersteigen alle Erwartung. [...] M a n ist wie mit Strömen von Wollust überschüttet, steht atemlos davor, findet kein Ende. [...] Greco ist u n d u r c h d r i n g lich. W e n n m a n die Farben des Velasquez hat, hat m a n schon viel; erreicht m a n noch die Verbindung der Teile, [...] so hat m a n fast alles. Dieselben Dinge sind bei Greco vergleichsweise objektive Gegebenheiten, die noch nicht das mindeste von seiner Subjektivität verraten. (33f.)

Wieder wird sichtbar, dass es weniger um das Kunstwerk als um den Künstler geht. Der Paradigmenwechsel betrifft nicht nur die beiden Maler, er umfasst auch die gesamte Kunstentwicklung bis in den Jugendstil, den Impressionismus sowie die klassische Moderne. Meier-Graefe verbindet die romantische Suche nach dem Ursprung der Moderne mit der Neo-Romantik um 1900, mit dem Jugendstil und Art Déco, mit der Lebensreformbewegung und mit Nietzsches Lebensphilosophie. Diese Sicht bestimmt auch die Bewertungen, die Spanien als Land durch Meier-Graefe erfährt. Der Stierkampf wird bejaht als ein durch die Erfahrung des Todes gesteigertes Leben, der Tanz der Zigeuner und dessen Erotik finden spontane Zustimmung. Meier-Graefe steigert nun auch seine Ästhetik im Reisebericht: Ernst Machs Vorstellungen aus Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen von 1885 liefern das theoretische Vorbild. Die Sinnesdaten wirken auf den Körper direkt, ergreifen ohne Umwege über die Vernunft die Psyche der Zuschauer vom Kampf um das Überleben oder den Tanz des Eros. Die Distanz zum spanischen Mitmenschen fällt. MeierGraefe empfindet mit, leidet mit, wird wütend und bekennt sich zugleich zu seinem Rassismus, den er mitgebracht hat: Das Volk ist grausam, brutal, sexgierig und zugleich impotent. Und genau dies trifft auch auf Veläzquez zu, auf Goya, beide erscheinen nun als grausam und schöpferisch-impotent. Das Volk verhält sich wie die sprichwörtlichen Wilden im Urwald: blutrünstig, sexbesessen und schaulustig. Zugleich aber nimmt sich Meier-Graefe nicht aus, bekennt

17

Wamke 1996: 221-228.

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sich zu seinen starken Empfindungen, auch zu seiner Lust an Tod und Eros, am direkten und intuitiven Erlebnis von Landschaft und Leben. Und gerade dieses Erlebnis malt El Greco, die reine Natur, den Tanz des Lebens, die intuitive Metaphysik einer Philosophie, die nur das Leben kennt. Im Nietzscheanismus von Meier-Graefe liegt die Attraktivität für das neue Bild El Grecos begründet, das er in seinen Publikationen fürderhin zeichnen wird. Die Inszenierung der Reise umfasst genau diese Absicht. Spanien als der Ort der Berührung mit dem Leben, dieser kleinen, pseudo-mystischen Erfahrung, die sich an die große mystische Erfahrung des Zarathustra anlehnt, bestimmt auch das Bild des Landes. Meier-Graefe eröffnet damit die Möglichkeit, sich von zahlreichen Stereotypen, die Reisende mitbringen, zu lösen und ihnen gleichzeitig zu erliegen. Rainer Maria Rilke wartet sehnsüchtig auf das Buch über El Greco, das Meier-Graefe für 1912 angekündigt hat, zu einem Zeitpunkt, an dem Rilke seinen Plan, Toledo zu besuchen, schon entworfen hat. Sein Ziel besteht darin, „diese Stadt zu sehen und den Greco im Zusammenhang mit ihr" (Rilke, zitiert bei Söllner: 1993: 25). Bestärkt wird er durch die enge Bekanntschaft mit dem Maler Ignacio Zuloaga, den Rilke seit 1902 immer wieder in Paris besucht. Das Gedicht Spanische Tänzerin, das 1906 in Paris entsteht, scheint seinen Ursprung in einem Familienfest des Malers, zu welchem Rilke eingeladen war, zu haben. Rilke schreibt: Man sang und tanzte. Eine Spanierin, deren Wesen es war zu singen, sang sehr schön, im Rhythmus spanischen Bluts, die Carmen und spanische Lieder; eine Gitarre, mit dem gewissen schwarz-bunten Tuch, tanzte spanische Tänze. Es war ziemlich viel vom Klima in dem mittelgroßen Atelier, in dem man sich drängte. (Aber die eng von Zuschauern umstandene Tänzerin Goyas war mehr.) (16)

Am 2. November 1912 trifft Rilke in Toledo ein. Die anfangliche Begeisterung schlägt schnell um. Schlechtes Wetter, das Anhalten der Schaffenskrise, die auf dem Schloss von Duino schon den Dichter blockierte, das Fortdauern der Krankheit, all dies führt zu einer beschleunigten Abreise in den Süden via Cordoba und Sevilla nach Ronda (ab 9. Dezember). Die Depressionen jedoch verschwinden auch in dem hübschen Bergdorf nicht und so reist Rilke nach Madrid. Hier besucht er das Prado-Museum. Nach einer Woche Aufenthalt in der Stadt fährt er nach Paris. Eine zweite Reise nach Spanien, die für das Jahr 1922 geplant ist, findet nicht mehr statt.

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Die Theorien über die Bedeutung des Aufenthaltes für die poetische Entwicklung Rilkes unterscheiden sich sehr. Zum einen wird festgehalten, dass die spanische Wirklichkeit mit den Bildern, die Rilke von Spanien im Kopfe trägt, wenig übereinstimmt. Spanien ist Vision, nicht Wirklichkeit. Jean Gebser vermutet eine innere Wende in der Kunst Rilkes, die in Spanien erfolgt. Die Auffassungen über den Tod ändern sich, Motive wie zum Beispiel dasjenige der Engelsfiguren aus dem Werk von El Greco finden Eingang in das dichterische Werk. Die Duineser Elegien gewinnen neue Aspekte.18 Gegenüber Marie von Thum und Taxis, mit welcher Rilke das starke Interesse an Esoterik und Spiritismus teilt, erscheint die Stadt in der Beschreibung in einem mystischen Abend mit himmlischem Goldrand. Rilke schreibt ihr, bezeichnenderweise am Allerseelentag: [...] ich begreife die Legende, dass Gott, da er am vierten Schöpfungstag die Sonne nahm und stellte, sie genau über Toledo einrichtete: so sehr sternisch ist die Art dieses ungemeinen Anwesens gemeint, so hinaus, so in den Raum - , ich bin schon überall herumgekommen, hab mir alles eingeprägt, als sollt ichs morgen für immer wissen, die Brücken, beide Brücken, diesen Fluss und, übersehbar wie etwas, woran noch gearbeitet wird. Und dieses Glück der ersten Wege, die man versucht, dieses unbeschreiblich sichere Genommen- und Geführtsein - , stellen Sie sich vor, ich nahm die Gasse Santo Tome, dann die des Engels (Calle del Angel), und sie brachte mich vor die Kirche San Juan de los Reyes, an deren Mauern lauter Ketten Gefangener oder Befreiter in Reihen herabhängen und auf den Gesimsen aufruhen. (37)

Rilke lässt sich von seinem Genius oder Dämon durch die Stadt fuhren, absichtslos und doch absichtsvoll flaniert er durch die Gassen und über die Brücken, um überraschende Anblicke zu gewinnen. Himmel und Erde berühren sich in der Stadt, ermöglichen ein Wissen des Himmlischen und dessen Manifestationen auf der Erde. Toledo ist Teil des Gedankengebäudes von Rilke, erweist sich, wie er an Anton Kippenberg schreibt, als Ansammlung von Erwartungen und Ansprüchen, die immer wieder auf plötzlich erscheinende „Realitäten" treffen. Zwei Wochen später klingt es in einem weiteren Brief an Marie von Thum und Taxis schon anders, findet aber schnell wieder in den alten Ton des Mystizismus und religiöser Verzückung zurück. Realität und Vision prallen aufeinander im Bild des frierenden Dichters, dessen Seele sich in die Parallelwelten der Stadt verliert.

18

Gebser (1946). Gaviotto Künkler 1999: 11-24.

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Liebe Freundin, draußen im Gehen schrieb ich Ihnen die schönsten Briefe, hier, zu Hause, frier ich und bin ein verdrießlicher Pedant und halte es mit hundert geringfugigen und beschämlichen Dingen. [...] Diese unvergleichliche Stadt hat Mühe, die aride, unverminderte, ununterworfene Landschaft, den Berg, den puren Berg, den Berg der Erscheinung, in ihren Mauern zu halten, — ungeheuer tritt die Erde aus ihr aus und wird unmittelbar vor den Toren: Welt, Schöpfung, Gebirg und Schlucht, Genesis. Ich muss immer wieder an einen Propheten denken, bei dieser Gegend, an einen, der aufsteht vom Mahl, von der Gastlichkeit, vom Beisammensein, und über den gleich, auf der Schwelle des Hauses noch, das Prophezeien kommt, die immense Sehung rücksichtsloser Gesichte - : so gebärdet sich diese Natur rings um die Stadt, ja selbst in ihr, da und dort, sieht sie auf und kennt sie nicht und hat eine Erscheinung. (41) El Grecos Werk in der Stadt wird eifrig aufgesucht. In seinen Briefen malt der Dichter im Stile seines „Vorläufers", mit Bezug auf dessen Bild Vista de Toledo-. Drohungen ballten sich und ließen sich aus in der Ferne über den lichten Reliefs anderer Wolken, die sich ihnen schuldlos, imaginäre Kontinente, entgegenhielten - , da alles über der Ode der davon verdüsterten Landschaft, aber in der Tiefe des Abgrunds ein ganz heiteres Stück Fluss (heiter wie Daniel in der Löwengrube), der große Gang der Brücke und dann, ganz ins Geschehen einbezogen, die Stadt, in allen Tönen von Grau und Ocker vor des Ostens offenem und ganz unzugänglichem Blau [...] Grecos habe ich seither viele gesehen und einzeln mit sehr unbedingter Bewunderung; im ganzen aber ist er natürlich nun ganz anderswo innerlich einzuordnen [...]. (43) El Grecos Malerei findet auch E i n g a n g in die Poesie Rilkes. D a s Gedicht

Himmelfahrt

Mariae,

das in R o n d a entsteht, bezieht sich eindeutig auf das Ge-

mälde in der Kirche San Vicente in Toledo. 1 9 A n Marie von T h u m und Taxis schreibt Rilke über seine Erfahrung: Übrigens ja, ich sah noch viel Greco in Toledo, mit immer mehr Einsicht und immer reinerer Ergriffenheit; ganz zum Schluss die Himmelfahrt in San Vicente: ein großer Engel drängt schräg ins Bild hinein, zwei Engel strecken sich nur, und aus dem Überschuss von alledem entsteht purer Aufstieg und kann gar nicht anders. Das ist Physik des Himmels. (53) D o c h bald erlischt das Interesse an d e m Maler ebenso wie die hitzige Debatte u m seine Bedeutung, die in Deutschland geführt wurde. An dessen Stelle " Vialladangos 1999: 25-48; Falk 1959: 210-240.

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tritt für Rilke nun Pablo Picasso, dessen Wirkung in den Duineser Elegien erkennbar ist. Die Beschwerlichkeiten nehmen zu: Die Kathedrale von Cördoba weckt in dem Dichter Gefühle des Kummers, Grams und der Beschämung auf Grund des architektonischen Vandalismus der katholischen Kirche gegenüber dem ursprünglichen Bau der Moschee, die Kathedrale von Sevilla ist ihm von Grund aus zuwider, ja sogar feindliche Gefühle kommen auf, Unlust und heftige Kopfschmerzen tun ein Übriges: Rilke fühlt sich nicht mehr wohl in Spanien, hat sich innerlich vom Land verabschiedet. Er sehnt sich zurück in die Wälder um Berlin-Schmargendorf, nach einem warmen Zimmer und einer einfachen Lampe am Abend. Die zweite Gruppe von Reisenden, die Spanien für einen Besuch als würdig erachtet, sind die Globetrotter aus dem späten Kaiserreich. Es handelt sich um Autoren, die nur Station in Spanien machen, bevor sie an andere Punkte des Globus weiterfahren. Die „normale" Reiseroute umfasst Italien, Frankreich, Spanien und Portugal, häufig den Ausflug nach Nordafrika, aber auch nach Amerika. Einige Autoren, für welche dies zutrifft sind: Walter Rothes (Quer durch Spanien und im Norden Afrikas, 1910), Georg Baumberger {Im Fluge an südliche Gestade. Reiseeindrücke aus Spanien, Marokko, Italien, 1910), Carl Geldner ( R e i s e a u f z e i c h n u n g e n aus Spanien und Venezuela, 1913), R. Calderan (Portugal. Von der Guardina zum Minho. Land und Leute, 1903). 20 Andere spezialisieren sich. Raimund Schäfer ( H o c h t o u r e n in den Alpen, Spanien, Nordafrika, Kalifornien und Mexiko, 1903) widmet sich zum Beispiel alpinen Hochtouren in verschiedenen Gebirgen der Erde.21 Hanns Heinz Ewers gilt in der Literaturgeschichte als Autor des phantastischen Romans und der Horrorerzählung. 22 Einige seiner Bücher erlangen Berühmtheit, vor allem durch Verfilmungen. Die Horror- und Vampirgeschichten Alraune (1911), Der Zauberlehrling oder die Teufelsjäger (1909) und Vampir (1920) sowie die Bände Die Besessenen und Das Grauen öffnen den Weg in die Kulturszene des Kaiserreichs. Aus der Lebensreformbewegung übernimmt der Autor den Tierschutz und den Nudismus, aus der rechten Szene den Rassismus; er widmet sich der modernen Esoterik (Spiritismus und Sekten), versucht an sich verschiedene Rauschmittel und endet in den Kreisen des Nationalsozialismus mit dem Roman Horst Wessels - ein deutsches Schicksal (1932), bevor er dort in Ungnade fallt (Schreibverbot ab 1935).

2,1 21 22

Geldner (1913). Baumberger (1910). Calderan (1903). Rothes (1910). Schäfer (1903). Fischer 1978: 93-130.

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Durch seine Bücher verdient er viel Geld, das er sofort in seine Reisen und Reiseabenteuer investiert. Die Sucht nach Berühmtheit und Geld, aber auch die Tatsache, dass sich Ewers vom deutschen Geheimdienst anwerben lässt, sowie ein turbulentes Privatleben treiben ihn um den Globus. So reist Ewers 1915 von Cádiz aus nach New York. Doch zuerst fuhrt der Weg nach Italien, nach Capri und an die Adria (1902, 1911), dann nach Südfrankreich (1905) und Spanien und von dort über Europa hinaus: Südamerika, Mittelamerika, die Karibik (1906, 1908, 1914, 1929), die USA (1915, 1929), der ferne Osten mit Indien, Australien, der Südsee, Fernost und Ostasien (1910) gehören in diesen Reigen. Besonders das Indienbuch Indien und Ich von 1919 bringt Ewers großes Ansehen ein. 23 Das liegt zum einen an der esoterisch-okkulten Interessenslage deutscher Intellektueller, andererseits an den exotischen und erotischen Träumen des Publikums im Kaiserreich. In diesem Reisebericht erzählt Ewers seine Abenteuer mit den Frauen der Rodiya, mit den Nautchgirls, mit islamischen Prostituierten und Bauchtänzerinnen, von Yogis, Fakiren, Schlangenbeschwörern und anderen „Maharadschas", mit welchen der Reisende vorgibt befreundet zu sein. Der Blick des Autors besteht in einem Mix aus Zynismus und Menschenverachtung: Es ist der weiße Herr, der auf die minderwertigen Rassen hernieder sieht. Die Welt wird in den Schmutz gezogen; er begründet dies mit einer nihilistischen Grundstimmung. Die Lügen über die Welt, die selbst nur aus Täuschungen besteht, will Ewers aufdecken, die Dekadenz der Dritten Welt kritisieren. Phantasiert Goethe über eine Bajadere, so phantasiert sich Ewers mit dieser Bajadere ins Hurenbett, um zugleich Goethe zu kritisieren, da dieser nie in Indien war. Die hier skizzierte Haltung findet sich auch ausführlich in den beiden Büchern zu Spanien, die Ewers 1909 und 1929 vorlegt. In dem späteren Band Von sieben Meeren, Fahrten und Abenteuer rückt Ewers von einigen radikalen Einschätzungen zugunsten des Volksbegriffs der Nationalsozialisten ab.24 Noch immer wird das moderne Spanien abgelehnt, das mythische Spanien verherrlicht. Das Volk ist nun kräftig und stark, der Adel und die bürgerliche Herrschaft erweisen sich als vollständig impotent. Ewers aber bleibt in jeder Lebenslage der listige und siegreiche Held, eine Figur wie Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi aus den Romanen von Karl May. Das männlich-omnipotente Ich hat alles unter Kontrolle, auch die Literatur des Landes und dessen Frauen, seien sie andalusische Tänzerinnen oder Zigeunerinnen.

23 24

Ewers (1919). Ewers (1929).

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Ewers pflegt einen ,Augenstil"; das bestätigt er dem Publikum in der frühen Reisebeschreibung Mit meinen Augen —. Fahrten durch die lateinische Welt.2'' Der Bildungsreisende, der weiß, wann und wo in Rom Goethe die Mädchen geküsst hat, sieht nicht, weiß nicht, wie ein römischer Kuss schmeckt. Es geht um sinnliche Erfahrung, nicht um Bildung, nicht um kulturelles Wissen. N u r dasjenige, das der Autor mit eigenen Augen „sieht" (anschaut), gilt. Das bedeutet nicht, dass er malerisch-impressionistisch verfahren würde, auch nicht, dass fotografisch-realistisch dargestellt würde. Ein anekdotischer Stil bringt die kruden Weltbetrachtungen des Autors zur Geltung. Es handelt sich um kleine Features, die Ewers vorlegt und die das Verhältnis der dummen Einwohner Spaniens und des überklugen Reisenden zum Inhalt haben. Dabei bleibt der Standpunkt des Rassismus offensichtlich erhalten, angeblich bestätigt er sich laut Ewers mit jeder Begegnung in Spanien. In allen sechs Momentbildern aus Spanien verurteilt der Autor das Land und seine Bewohner als Kretins und Dummköpfe. Sie sind unfähig, ihr nationales Liedgut zu singen, da sie es verloren haben im Lauf der Geschichte; doch selbst noch als Bettler können sie mit den Lazaroni aus Neapel nicht in den Wettkampf treten. Die Eisenbahnen als ein Beispiel für den technologischen Rückstand erfahren bei Ewers den meisten Spott: Ein Stachelschwein liefert sich einen Wettlauf mit der Lokomotive „Esmeralda" (Baujahr 1848) und gewinnt dabei. Wie einfältig die Spanier sind, zeigt das Thema der Beheizung der Züge. In der Nacht werden die Heizröhren im Zug mit kaltem Wasser gespeist, während der Hitze des Tages mit heißem. Am Ende kämpft der Reisende im Abteil um sein Überleben, da das auslaufende Wasser eine Überschwemmung herbeiführt. Diese wird noch gefördert durch das beständige Spucken der männlichen Spanier im Zug. Der männliche Spanier hat keine Lebensart, ist ein schlichter Bauernlümmel, sei er nun bürgerlicher, adliger oder bäuerlicher Abkunft. Ahnliches lässt sich über die Frauen erzählen. Erwartung und Realität stimmen auch hier für Ewers nicht überein. Er berichtet: In dem Spanien, das sich in meinem Hirne malte, als ich ein siebzehnjähriger Bursche war, war stets Mondscheinnacht. Enge Gassen mit hohen Häusern, dazwischen schöne Gärten, in denn uralte Cypressen träumten. Oben auf dem Balkon stand eine wunderschöne junge Frau, deren Glutaugen lächelten wie ein einsam Gestirn auf vereister Steppe. Die Schwarzlockige lauschte den Lautenklängen, die zu ihr hinaufklangen, sie blickte lang auf den verliebten Jüngling, der ihr da unten sein Liedchen sang.

Serenata. - 25

Ewers (31909).

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Ich weiß nicht, ob das früher einmal so war. Aber das weiß ich gewiss, dass man heute Spanien nach allen Richtungen hin durchstreifen kann, dass man Nacht für Nacht die einsamsten Strassen durcheilen mag, ohne auch nur einen einzigen verliebten Laut zu hören. Nur die Käterlein sind dem alten Herkommen treu geblieben. Die heilige Inquisition und ihre Nachfolger bis auf die vielen Tausende von Mönchen und Priestern unserer Tage haben dem spanischen Volk die Lust am Singen gründlich ausgetrieben, dass es heute kein Volk Europas gibt, das weniger sangesfreudig wäre. Ist doch der Gesang der natürlichste Ausdruck menschlicher Lebensfreude, den der spanische Clerus als Teufelswerk seit Jahrhunderten innigst bekämpft. Mit solchem Erfolg, dass der Spanier unserer Zeit einen reinen Genuss kaum mehr kennt; wie er selbst ewig gequält wird, so will er auch andere Geschöpfe leiden sehen. Daher seine tierische Grausamkeit, daher seine Freude am Stierkampfe, am Hahnenkampfe. (Ewers 1909: 29) Drei Themen greift Ewers hier auf: die Leyenda negra, die Geschichte von der Unterdrückung des spanischen Volkes durch die katholische Kirche, doch jetzt neu gewendet. Die Kirche unterdrückt nämlich nicht nur die Sinnlichkeit des Volkes, sie negiert die Lebensbejahung als Prinzip des Lebens. Die Erwartungen des Lesers in Sachen „Eros und Sex" werden desillusioniert, es findet kein aufregendes und berichtenswertes Liebesleben in Andalusien statt. Das Volk selbst ist unzivilisiert, brutal und barbarisch. Die Menschen singen zwar noch Lieder, die aus islamischer Hochkultur stammen, doch sind sie unfähig, den „reinen Genuss" der Musik zu erleben. Das Land befindet sich im jämmerlichen Zustand des Niedergangs, vor allem auch politisch, da die Kolonien enteignet sind. Die verlorenen Kriege Spaniens ähneln der verlorenen Ehre der Frauen. Die Nation, die gesamte Zeit schon als weiblich gedacht, da sie unterlegen ist, verliert alles an den Sieger. Sie wird zu Recht vergewaltigt. Spanien hat sich in ein ehrloses Land verwandelt. Dieser Effekt findet sich im Gesang wieder. Die Frauen plärren ihre Texte, die jeden Sinn verloren haben. Sie plärrt Worte her, sinnlose Worte; ihr Gesang steht nicht eine Linie über dem Tanzgeheul irgendwelcher Neger. Nur die Töne, die wiegenden Rhythmen der Musik, zeugen von einer höheren Kultur - - aber das ist nicht spanisch, das ist eine der wenigen Erinnerungen an die schöne Zeit, als Spanien zum Orient gehörte, als des Propheten grünes Halbmondbanner über seine Hügel und Ebenen wehte. Danach freilich gehörte es eine Zeidang wirklich zu Europa; das war zu der dunkelsten Zeit, als Dummheit und Unduldsamkeit ihre gierigsten Orgien feierten. Mit feurigem Besen kehrte man des Ostens Kultur aus der Halbinsel, und die Spanier, reich geworden durch das Gold, das sie nackten Indianern gestohlen, marschierten

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an der Spitze europäischer - - Unkultur. Aber E u r o p a schüttelte sich und wusch sich den S c h m u t z ab, u n d heute schämt es sich, s c h ä m t sich, dass das da - ein Teil von ihm sei! D a s da - - Spanien! N e i n , das ist nicht E u r o p a - - das ist Afrika! (38)

In diesen wenigen Sätzen steckt die Quintessenz von Ewers' Reise nach Spanien. Das Volk ist verroht, brutal und dumm. Die Frauen haben keinerlei Liebreize mehr aufzuweisen. Das gesamte Land befindet sich in einem haltlosen Verfall, ist auf das Niveau von Afrika hernieder gesunken. Ewers bringt hier ein Stereotyp zum Ausdruck, das sich häufig in den Reiseberichten über Spanien aus der späten Kaiserzeit finden lässt: Spanien gehört weder politisch noch kulturell zu Europa, es muss als ein unterentwickelter Teil von Afrika betrachtet werden. Haltungen dieser Art setzen sich fort bis in die späte Weimarer Republik. Ewers mischt einen Cocktail aus gängigen Mentalitäten der eigenen Kultur zusammen: Ein Sammelsurium von Rassismus und Sexismus, nietzscheanisch verbrämt, das sich, wie es die Auflagenstärke seiner Bücher zeigt, in Deutschland gut verkauft und die Interessen der Leser befriedigt. Einzig das moderne Barcelona und die Katalanen machen eine Ausnahme. Sie betrachtet Ewers aber als die Vertreter einer anderen, einer starken, nordischen Rasse, der er selbst angehört.

SPANISCHE FOTOBÜCHER

Die Entwicklung der Fotografie bietet neue Möglichkeiten, die Welt zu sehen und darzustellen. Das Objektiv der Kamera bildet die Welt anders ab als das menschliche Auge, dessen Reize im Gehirn zu Bildern verarbeitet werden. Rasend schnell entwickelt sich die neue Technologie und genauso schnell verbreitet sie sich über den Globus. In den spanischen Metropolen gewinnt die Fotografie um 1850 an Ansehen und Bedeutung. Auch deutsche Fotografen finden sich dort ein: In Valencia, Barcelona, Madrid, Málaga, aber auch auf den Balearen oder in Palma de Mallorca. 2 6 Zeitschriften drucken früh schon Fotografien, noch mit sehr komplizierten Methoden der Vervielfältigung. Die Fotografie dient selten der Erinnerung oder dem persönlichen Schnappschuss, sondern hauptsächlich der Werbung für touristische Sehenswürdigkeiten und Orte.

26

De los Santos García Felguera 2007: 39-48.

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Zeitschriften wie Le Tour du Monile (1860) und Globus, die illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde (1862) informieren über mögliche Reiseziele rund um die Welt. Sie werben auch mit Fotoreihen und Fotoreportagen. Spanien wird ab 1905 auch in die Zeitschrift Le Tourisme aufgenommen.27 Nicht nur britische und französische Fotografen erobern sich das neu erschlossene Land, auch deutsche Professionelle besuchen mit sicherem Geschäftssinn Spanien. Jakob August Lorent, einer der ganz Großen der Architekturfotografie, fertigt allein von Granada 200 Kalotypien an.28 Der österreichische Globetrotter und k. u. k. Feldmarschall-Leutnant Richard von und zu Eisenstein legt einen Band mit 538 Fotos von seiner Reise durch Spanien und die Kanarischen Inseln vor.29 Eine Besonderheit stellt das Fotobuch als Gattung dar. Schon im 19. Jahrhundert finden sich differenzierte Themenstellungen in den Fotobüchern: Familienalbum, historisches Dokument, Chronologie von gesellschaftlichen, kulturellen oder politischen Ereignissen, politische Propaganda, Sportreportage oder Pornografìe und Aktdarstellungen, die meistens auf einer Pseudo-Ethnologie aufruhen. Der ästhetische Platz des Fotobuches liegt zwischen dem Film und dem Roman.30 Die Anzahl der Fotobücher über Spanien ist bis 1945 erstaunlich gering. Selbst innerhalb der spanischen Fotokunst finden sich wenige Fotografen, die bedeutsam sind. Der Amerikaner Robert Capa, der mit Gerda Taro im Bürgerkrieg fotografiert, wird durch den Band Death in Making (New York, 1938) berühmt. Erst dieser Krieg löst einige Fotobücher aus. Bedeutsam für die Zeit aber ist lediglich das Werk des Spaniers José Ortiz Echagüe: Tipos y trajes de Espana (Berlin, 1929; Madrid, 1930). Er konstruiert Bilder zur Typologie des Volkes, bevorzugt in der Landschaftsfotografie Ruinen und historische Stätten. Eine dritte Säule seines Arbeitens liegt im Religiösen, in der Wiedergabe von Kulten und Riten. Er verweigert die „amerikanische" Art des Fotografierens, die in der Nachahmung des Films und seiner Sequenzen besteht. In seinem Werk setzt er sich mit seinem großen Vorbild auseinander, das zwischen 1914 und 1918 in Spanien leben muss, da die Regierung sich während des Krieges neutral verhält und damit eine Ausreise in die Heimat unmöglich ist: Kurt Hielscher. Dieser kauft sich 1913 eine neue „Zeiss-Icon" (Plattenkamera) und reist damit nach Spanien. Hier wird er vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht. 27 28 29 30

Moreno Garrido 2007: 57. Drewitz/Matz 1989: 334. Eisenstein (1909). Parr/ Badger (2004; 2006).

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Nach eigenen Angaben durchquert er das Land von Süden nach Norden, immer die Kamera in der Hand. Es entstehen mehr als 2000 belichtete Glasplatten, die er in Ausstellungen in Madrid und Malaga zeigt oder in spanischen Zeitschriften veröffentlicht. Nach dem Weltkrieg kehrt Hielscher nach Berlin zurück und beginnt mit der Vermarktung seiner Aufnahmen. 1922 erscheint das Fotobuch Das unbekannte Spanien. Landschafi, Baukunst, Volksleben in Berlin in der später für die Fotografie so wichtigen Reihe Orbis Terrarum. Eine spanische Erstausgabe erfolgt schon ein Jahr vorher in Madrid. 31 Schnell folgt eine zweite Auflage, die jetzt einen Reisebericht enthält. Der Verlag arbeitet mit einem Kupfertiefdruck, der die Helligkeitswerte gut aufeinander abstufen lässt. Das Konzept von Verlag und Autor geht auf: Es werden bis 1942 in vier Auflagen 84.000 Exemplare des Buches verkauft.32 Das Fotobuch ist ein kleines Kunstwerk. Papier, Einband, Schrift, Bilder und Schuber ergeben ein „schönes" Buch. In 304 großformatigen Bildern möchte der Autor das „unbekannte" Spanien zeigen. Die stilistischen Mittel bleiben relativ konstant. Im Allgemeinen nutzt Hielscher die Möglichkeiten der Kamera, um ein Sehen in epischer Breite zu ermöglichen. Deshalb bevorzugt er einen horizontalen Bildaufbau, der in übereinander liegende Schichten der Entfernungen oder Horizonte unterteilt wird. Er komponiert die Fotos mit großer Tiefenschärfe und mit langen Brennweiten. Durch die Tiefenschärfe lassen sich die einzelnen Ebenen der Bilder scharf darstellen. Dadurch aber erscheinen die Objekte wie „eingefroren" und still gestellt. Menschen bekommen die Qualität von Statisten; selbst das selten eingefangene Lächeln wirkt unwirklich. Hielscher bevorzugt die Komposition eines mehrschichtigen Bildes, das seine Grenzen in der Monumentalität bestimmter Objekte findet: Kathedralen, Paläste, Ruinen, wilde, umgrenzte Landschaften. Es geht um Erhabenheit, nicht um Schönheit. Diese Erhabenheit aber grenzt Hielscher ein, indem er die Bilder umrahmt mit Arkaden, Bögen aus Stein oder Pflanzen. Er schafft Durchblicke, wie sie im Biedermeier üblich waren. Die Betonung der Horizontalen erzeugt Ruhe im Bild. Der Mensch in seiner typischen, aber der Vergangenheit angehörenden Tracht, das sich steil erhebende Gebirge, selbst das eingegrenzte Meer, die gigantischen Ruinen und Kathedralen schaffen in der Umrahmung für den Betrachter das Gefühl der Distanz. Hielscher orientiert sich gezielt an einer vergangenen Ästhetik, am späten Biedermeier der Gründerzeit, allerdings meist in seiner erhabenen und schauerlichen Darstellungsform. Doch nicht nur die Dar31

Hielscher (1922).

32

Sánchez Cano 2007: 51-57.

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Stellung zielt auf die innere Entfernung vom Gegenstand, auch die Inhalte der Bilder dienen diesem Unterfangen. Der Fotograf beschreibt seine Absicht: Spanien ist ein einziges großes Freilichtmuseum, das Kulturschätze der verschiedensten Zeiten und Völker birgt: an den Wanden der Altamirahöhle prangt der vor Tausenden von Jahren vom Eiszeitmenschen gemalte, viel bewunderte Stier, und in Barcelona erheben sich die phantastisch exotischen Bauten der neukatalanischen Gegenwartskunst. Auf Spaniens Boden haben Kelten, Iberer, Römer, Punier, Mauren und Goten um Besitz und Vorrecht miteinander gerungen. Davon reden heute noch die Steine; sie sind Chronisten; sie berichten von erbitterten Kämpfen und von der Kultur und vom Kunststreben versunkener Zeiten. Vieles stürzte in den Staub und Trümmer. Was die Zeit überdauerte, wird heute zu Bausteinen für die Riesenbrücke, über die wir in die Vergangenheit zurück schreiten. (Hielscher 1942: VII)

Es handelt sich um einen Blick in die Vergangenheit, in ein Freilichtmuseum. Hielscher legt hier nicht nur sein künstlerisches, sondern auch ein politisches Bekenntnis ab. Im Rahmen der Kulturkrise, von den reaktionären und konservativen Kräften der Kaiserzeit ausgerufen, nimmt er Themen der Heimatschutzbewegungen auf, die Verluste begrenzen möchten, die durch die Modernisierungen entstehen. Es geht um den Schutz von pittoresken Ortsbildern, von historischen Monumenten, des menschlichen Brauchtums. Um 1900 vermarkten Carl Hagenbeck und die Firma „Umlauff" fremde Ethnien in „Völkerschauen" oder einem „Menschenzoo", in dem eine Mischung aus anthropologischen und sexualmedizinischen Kuriositäten zu sehen ist ebenso wie Wilde, Menschenfresser oder Eskimos und Indianer. In diesen Rahmen gehören auch die Völkerkundemuseen, in welchen Puppen in landestypischen Trachten ausgestellt sind. Hielscher bietet also ein konservativ bis reaktionäres Weltbild, das unterfüttert wird mit Ideen des Kolonialismus und der Exotik. Die Sexualität bleibt im Hintergrund, allenfalls präsent durch die „Sultaninnen" an Brunnenschalen in Granada. Zudem fehlt in Hielschers Bildwelt die Moderne. Die großen Städte werden gemieden in der Fotografie. Drei Motive drängen sich immer wieder in das Bild: große Monumente der untergegangenen Kultur Spaniens, die katholische Kirche als Institution, die das Volk beherrscht, aber auch Romantizismen wie kleine Kapellen am Wegesrand mit betenden jungen Frauen. Die Landschaften bleiben bedrohlich und monumental, der Mensch scheint der Landschaft ausgeliefert zu sein. Die Menschen selbst leben einfach, in Armut, in ländlicher und elementarer Arbeit. Frontal sehen sie in die

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Kamera, nicht anders als die steinernen Monumente. Hier knüpft Hielscher an die Portraitmalerei der Gründerzeit an. Selbst die Mädchen sind sich der Ehre bewusst, in Tracht vor der fremden Kamera posieren zu müssen. So präsentiert das Unbekannte Spanien ein Land, das aus seiner großen Vergangenheit heraus heute ein armseliges Leben fuhrt, das aber seine Wurde darin gewinnt, dass es so armselig ist. Die Monumente stammen aus großer Zeit: dem Mittelalter. Hier war die große Zeit des Islam, die große Zeit des Katholizismus. Hielscher beschwört in seinen Fotos diese Epoche. Das moderne Spanien findet in einer dergestalt geschaffenen Anschauung keinen Platz. Dem künstlerischen Vorbild folgen die Arbeiten des Reiseschriftstellers Friedrich Christiansen, die bis heute in unterschiedlichen Archiven schlummern. Sein Band Spanien in Bildern von 1928 greift auf die Arbeiten von Ortiz Echagüe zurück; er druckt einige wenige Bilder des Künstlers ab. 33 Andere Fotografien greifen die gleichen Motive auf wie Hielscher. In 166 Abbildungen in Kupfertiefdruck zeigt Christiansen nicht nur das Festland, sondern auch die Inselwelt Spaniens. Kommentiert wird dies in dem Band Die spanische Riviera und Mallorca.34 Der Autor legt noch weitere Werke über Spanien vor. Eine vollständig andere Position nimmt die spätere Fotografie ein. Wolfgang Weber fotografiert in Barcelona die Metropole für die Weltausstellung 1929. 35 Er kontrastiert die vergehende Welt immer wieder mit der pulsierenden Moderne einer aufstrebenden Weltstadt. Er registriert Veränderungen, den rücksichtslosen Durchbruch der modernen Technik und Stadtplanung, den Modernismus in der Kunst, das Sprunghafte in der Entwicklung. Erst in den sechziger Jahren gelangt das spanische Fotobuch auf dieses Niveau. Joan Colom und Camilo José Cela mit Izas, rabizasy colipoteras (Barcelona, 1964) zeigen das pulsierende Leben einer Hafenstadt; Oriol Maspons, Julia Urbina und Cela verfahren mit To reo de salón (Barcelona, 1963) nach dem gleichen Muster. Erst 1983 findet das deutsche Fotobuch wieder zu Spanien, mit Reinhart Wolfs Castillos, Burgen in Spanien (München, 1983), das zugleich die Auseinandersetzung mit Hielschers Arbeit führt.

33

Christiansen (1928).

34

Christiansen (1929).

35

Weber (1928).

Vision und Wirklichkeit REISEN IN DER WEIMARER REPUBLIK ( 1 9 1 8 -

301 1933)

Nach dem Weltkrieg verkürzen sich die Distanzen enorm. Das Radio ermöglicht es, auch über Spanien informiert zu sein. Die Zeitungen liefern Informationen und machen Werbung für Spanien als Reiseland, jetzt vor allem für die Strände, das dolce vita, das problemlose Sonnenland. Flugzeuge und Autos ermöglichen den schnellen Zugang. Die Zeit, nicht nur eine Epoche der Nervosität, sondern auch der Sucht nach Neuem, giert nach Reiseberichten, die jetzt in vielfältiger Form erscheinen: der Reisebericht als Lebensbericht, als traditionelle Bildungsreise, als Reisetagebuch, als Reisejournal, als Forschungsbericht, als Dokumentation, als Fotobuch, als romanhafter Bericht. 36 Mit der technischen Entwicklung wachsen auch die Paradoxe der Moderne. Der Wunsch nach einer Welt, die fähig ist, die Biologie des Menschen zu beeinflussen, und damit Sicherheit vorgibt, und der Wunsch nach Verwilderung, dem Ausbruch aus einer domestizierten Welt, bestimmt das Handeln der Menschen ebenso wie das Problem, in einer hoch differenzierten Welt noch Gemeinsamkeiten und Geborgenheiten zu finden. Kurt Tucholskys Pyrenäenbuch kann als ein Bekenntnis zum neuen kosmopolitischen Weltverständnis gelesen werden, das den Globus als eine Heimat betrachtet. 37 Zugleich jedoch verstellt sich Tucholsky den Blick durch die Lektüren über die Region, die er im Kopfe mit sich führt. Witzeleien, Plaudereien, Flachheiten mischen sich mit scharfen Beobachtungen. Der Autor bleibt dem Feuilleton treu; er „strickt" die einzelnen Zeitschriftenartikel (Episoden) zu einem schnell entworfenen Buch zusammen, ohne den Gattungsunterschied zu beachten. Anders verfährt Arthur Holitscher, der in 5000 Kilometer durch Südwesteuropa mit 120 PS wie ein rasender Reporter durch Frankreich, Spanien und andere Staaten jagt und dabei Funksprüche absetzt aus der schemenhaften Wahrnehmung. 3 8 Das Auto, ein Windwesen, eine Windsbraut, eine Verkörperung der Geschwindigkeit, ermöglicht einen kurzen Blick auf Spanien, dann hat es wie ein fliegender Teppich schon ein neues Ziel angesteuert. Die Wahrnehmung als schneller Blick, als Short Cut: Holitscher benötigt für die Darstellung einer Fahrt durch Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien gerade einmal fünfzig Seiten.

36

Schütz 1995: 549-600.

37

Tucholsky (1927).

38

Holitscher 1928: 190-238.

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Einen größeren Umfang nehmen die traditioneller gestalteten Bücher von Kasimir Edschmid und Alfred Kerr ein. Kerr hat sich einen Namen als Literatur- und Theaterkritiker gemacht, als Reiseschriftsteller fand er bisher wenig Beachtung. In den Gesammelten Werken widmen sich zwei Bände den Reisen Kerrs.39 Er reist gern und viel. Es beginnt mit einer Bildungsreise nach Italien (1894), dann folgt eine Reise im politischen Auftrag zur „Zweiten Internationale" nach London. Hinzu kommen Fahrten nach Frankreich, Italien, Griechenland, England, Ägypten, Tunesien, Ungarn, Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, die Tschechei, die Niederlande, Israel, Mauretanien, die Türkei und Amerika. 1923 erscheint das Notizbuch New York und London. 1925 folgt ein Band über die USA, das Yankee-Land. Vier Jahre später verfasst er eine Beschreibung der Reise nach Algier, Die Allgier treibt nach Algier, dann einen Band über den Aufenthalt auf Korsika, Eine Insel heißt Korsika (1933). Die Flucht nach England beschreibt Vive la bagatelle oder Ich kam nach England (1979). Kerr unternimmt vier Reisen nach Spanien. In den frühen Berichten findet das Land noch eine geringe literarische Beachtung und wird mit den üblichen Bildern beschrieben: „leyenda negra", Land des Niedergangs und Absterbens einer großen Kultur, zugleich aber „locus amoenus" und Ort der erotischen Sehnsucht. Erst die vierte Reise löst die Sammlung von Gedankensplittern und Fragmenten über das Land aus. In O Spanien! Eine Reise nimmt er Stellung zu den Themen, die er vorher nur angeschnitten hat.40 Das Buch will er aufbauen wie eine musikalische Komposition; es verfügt über ein Präludium, verschiedene Tonarten, einen Hymnus (auf die Sozialisten in Katalonien), eine lyrische Coda in 23 Gedichten. Doch die Komposition verspricht viel und hält wenig. Anders steht es um das eigentliche Verfahren, den Pointiiismus als Stil, der die schnellen Blicke und geistigen Schnitte in eine Sprache verwandelt, die expressiv ist, einen schnellen Rhythmus aufweist und eine hohe Dynamik.41 Dieser Stil wird lediglich durch Postskripte und trockene Prosastellen unterbrochen. In der Wahrnehmung des fremden Landes vergleicht es Kerr immer wieder mit anderen Erfahrungen und verspielt durch diese Methode die Frische des schnellen Augenstils, den er anstrebt. Zudem bleibt Kerr den bisherigen Stereotypen der Darstellung verbunden.42 Spanien gilt ihm als ein rückständiges Land, Barcelona ausgenommen. Als

39

Kerr (1920).

40

Kerr (1924).

41

Reich-Ranicki 1994: 1 3 0 - 1 4 3 .

42

Münster 2 0 0 9 : 4 6 7 - 4 7 5 .

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Mensch der Moderne steht er in einer antiquierten Umgebung, doch nutzt er den Zusammenprall nicht. Das Spanien, das er als Wirklichkeit wiedergeben möchte, ist das romantisch bewertete Land südlich der Pyrenäen. Die Sierra Morena ist wildromantisch so wie das Atlasgebirge in Afrika, Feen lichtem und geistern durch die Alhambra, das Land ist einer alten Fabel entstiegen. Konsequent taucht Kerr ab in die mittelalterliche Vergangenheit Andalusiens. In der Alhambra verliert sich der Dichter, schwelgt im Orient. Schnee; Zypressen; Feigenbäume. Blauer Horizont. Zinnen. Rosa Mauern. Unten die Stadt. [...] Jenseits: die Berg-Au, durchgrünt. Violette Blumenströme. / Zehntausendfaches Sprossen unter dem Südhimmel mit Schnee. Palmen über Mauern. [...] Vierzig Fatmas und Aischas. Haaa! Von Feenlicht überwölbt, wie beträufelt. [Andalusien, das] Überbein von Afrika. (Kerr 1924: 41, 36)

Den Niedergang verantwortet die katholische Kirche. Plötzlich treten in den schönen Traum die beiden katholischen Könige Isabella und Ferdinand und zerstören die Vision. Sie begründen den Kult des Untergangs. Cordoba [...] Unter den Mauren war Cordoba die reichste Stadt Europas. Der heilige Ferdinand stürmte sie - gleich kam der Verfall. Dies Wunder ist heut ein Gerümpelhauf, ein Loch; ein Nichts; ein Dreck. [...] Ganz Andalusien ist ein atmendes Museum. (38, 25)

Schreckbild und Wunschbild liegen eng beieinander. Doch steht Spanien als Land nicht nur fur die Metaphern des Niederganges, es finden sich auch Regionen, in welchen die Moderne Einzug gehalten hat. In Barcelona beeindrucken den Reisenden die Hochöfen, die schnellen Märkte, der Einsatz von Maschinen und Technik. Der Katalane weist eine fast protestantische Arbeitsethik auf, ist republikanisch gesinnt und auf Autonomie bedacht. Doch auch diese Region findet nicht die Anerkennung des Reisenden, der sich lieber in der Beschaulichkeit von Cádiz ergehen möchte, in welchem noch echte „karthagische" Dirnen zu finden sind. Diese Liebesdienerinnen erhalten ebenfalls viel Verständnis im Reisebericht von Kasimir Edschmid. Auch er gehört zu denjenigen, welche die meiste Zeit ihres Lebens reisen. So besucht er mehrmals Italien und Frankreich, fahrt nach Schweden, Belgien, Montenegro, Marokko, Griechenland, Österreich und Ungarn, Bosnien, in die Herzegowina, Türkei, Deutsch-Südwest-Afrika, Palästina, Syrien, Curaçao, Venezuela, Panama, Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien,

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Reinhold Münster

Chile, Argentinien und Brasilien. Über diese Reisen berichtet er professionell als Schriftsteller. Die bekanntesten Bücher, die Darstellungen von Deutschlandund Italienreisen der Spätzeit ausgenommen, sind: Das große Reisebuch (1927), Afrika,

nackt und angezogen (1929), Glanz und Elend Süd-Amerikas

(1931),

Zauber und Größe des Mittelmeers (1932). Edschmids Spanienreise findet 1926 statt, im gleichen Jahr erscheint schon der Reisebericht, ausgestattet mit Zeichnungen von Erna Pinner, der damaligen Lebensgefährtin des Autors. 43 (Erna Pinner ihrerseits legt einen Reisebericht über die gemeinsame Fahrt vor: Ich reise durch die Welt, 1931). 44 Neben dem Circo Gallistico liegt ein Bordell. Am Abend stehen zwischen den Fliederbäumen auf dem Balkon große schöne Frauen mit Mantilla und offenen Haaren, die auf ihre hellen seidenen Peignoirs herunterfallen. In der Dämmerung scheint die durchsichtige weiße Haut durch die Palmenwedel wie leicht bewegtes Perlmutt. Diese Mädchen sind schüchtern und dick, aber sie besitzen mandelförmige Tieraugen. Sie winken mit einem Tuch und sagen ein paar Worte in kindlichem Spielklang. Herrlich an diesem Bild sind die Farben, die Berührung dieser Frauenhaut mit der Dämmerung, die noch unbestimmter seidiger ist als der Glanz dieses einzigartigen Teints und das tiefe sanfte Leuchten der Pupillen dieser Mädchen zwischen dem grünen Samt der Gartenbüsche. [...]. (Edschmid 1926: 5) Auf dem Balkon des Bordells nebenan stehen die Mädchen, die mit dem Zauber der abgrundschönen andalusischen Haut mehr als alle anderen Frauen der Welt den Madonnen gleichen, und winken wie Danae mit dem Tuch. Diese Bewegung hat einen tiefen Zauber, weil sie so nebenhin geschieht, ein wenig müd und nicht ohne die verträumte Melancholie, welche ihre Tieraugen besitzen. Sie winken mit einer Sanftheit zwischen den Rosen und Palmwedeln, die nicht ihresgleichen hat und deren übermenschlicher Mildheit sich nicht zu entziehen ist. (18) Edschmid setzt ein mit einem Schock. Das Publikum sieht sich mit einem erotisierten und, nach der Beschreibung des Hahnenkampfes, bei welchem der Berichterstatter auch noch die dummen Spanier in einer Wette übertölpelt, einem blutigen und grausamen Land gegenüber. Der Stil wechselt zwischen Impressionismus und platter, brutaler Gassensprache, zwischen den Motiven des Orientalismus und pseudo-sachlicher Beschreibung, zwischen Expressionismus

43 44

Edschmid (1926). Pinner (1931).

Vision und Wirklichkeit und Feuilleton. Rilke gab mit seinem Gedicht Spanische

305 Tänzerin

das M o t i v

vor: das Feuer im Bauch der spanischen Frau, die mehr triebhaftes Tier als Menschenwesen ist. Auch bei Edschmid bringt der Tanz die wahre Natur der andalusischen Frau zur Erscheinung. Die Spanierin, ob sie einem Frosch oder einem Reiher gleicht, tanzt stets nur dasselbe Thema, das die Härte und die Glut ihrer Leidenschaft ausmacht, jenen virtuosen Hochmut, der jeder Nutte den geistigen Rang einer Dame gibt. (79) Die europäischen Tänzerinnen werden wie die untalentierten Frauen umso langweiliger, je nackter sie werden. Sie haben keinen Sinn dafür, was das eigentliche Geheimnis des Körpers ist. Die europäischen Tänzerinnen, die Aufgaben und Missionen in ihrem Beruf zu haben glauben, benutzen ihre Nudität, um Geistigkeiten darzustellen, die mit Tanz und mit Fleisch nichts zu tun haben, aber albern sind. In Spanien sprechen die Weiber durch enorme Vermummungen. Aber wie sie unter den Kleidern erotisch werden können, ist eine wilde Überraschung. Das Publikum feuert sie an, und sie antworten mit den Augen und mit dem Bauch. Der Kopf und der Oberkörper sind dabei unbeweglich wie Statuen, was einen ungeheuerlichen Eindruck macht. Sie sind nicht starr, sondern voll gebäumten Lebens wie die bedeutendsten Plastiken. Die Dämonie einer tiefen Leidenschaft, die aus den Beinen herauf schlägt, hat sich in einer großartigen Ruhe in dem Oberkörper aufgestaut, dessen Wollust wahrhaft seigneural geworden ist. Die Bailerinas verstehen es, weltläufig zu tanzen und Gefühle von heftiger Passion in einer Kühle zu zeigen, die einen Kardinal ehren würden. Die Spanierin ist niemals feurig, wie die Bücher erzählen, sondern sie glüht, aber wie Eis. Sie gibt sich unerhört aus, weil sie sich total in der Hand hat. (82) Es handelt sich um durch Rassenmischung und einen M i x aus Temperamenten gezüchtete Weiber. Sie sind Kreuzungen, die während der Zeit der Kreuzzüge gezeugt wurden. „Diese Kreuzzüge aber waren die Kämpfe gegen jene Afrikaner, die an Rittertugenden sich mit dem Cid und den katholischen Königen m a ß e n " ( E d s c h m i d 1 9 2 6 : 8 5 ) . E d s c h m i d legt ein klar rassistisches Weltbild seiner Bewertung des Landes zugrunde. U n d er muss die Völkerschauen der Jahrhundertwende besucht haben, denn die Zigeuner Sevillas leben nach seiner Vorstellung in einer Art von Menschenpark, in welchem sie wie die Tiere vegetieren (und tanzen). E r schreibt: „Nie sind mir Menschen in diesem Maße als Tiere erschienen wie diese Zigeuner" (Edschmid 1 9 2 6 : 1 7 0 ) . Auch die Nordafrikaner, denen er einen kurzen Besuch abstattet, betrachtet er als eine minderwertige Rasse, die in Schmutz und Krankheit vor sich hinsiecht und unfähig ist, das politische Geschick in die H ä n d e zu nehmen.

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Edschmid übernimmt seine Vorstellungen nicht nur von der Lebensreformbewegung, sondern auch von Otto Weininger, der in dem Buch Geschlecht und Charakter (Wien, 1903) die Rassenfrage mit der Sexualität des Menschen verbindet. Es ist zudem der Kult des nördlichen Mannes (Germanenmythos), der in dem Buch Edschmids gefeiert wird. Die nördliche Rasse dominiert geistig und körperlich über die dummen und spuckenden spanischen Männer, die unfähig sind für jeden Fortschritt. Der Süden Spaniens bleibt im Mittelalter stecken, sinkt herab auf das Niveau des Animalischen. Damit gewinnt der Süden zwar nicht die Anerkennung Edschmids, wohl aber Verständnis. Nietzsches Lehren auf das Niveau von Plattitüden gebracht geben die Maßstäbe vor. Die Andalusier feiern das Leben, unbewusst und aus dem Blut heraus. Während der Süden in Blut, Sex, Gier und Dreck versinkt, hat sich der Norden Spaniens entwickelt. In Barcelona pulsiert das Leben, in einer Kunst des Jugendstils, in einer Industrie, die in den Häfen der Stadt ihre Macht feiert. Barcelona ist „modern bis zum Irrsinn" (188). Hier wird das meiste Geld Spaniens verdient. Das Geld ist im Hafen von Barcelona explodiert und hat eine gigantische amerikanische Stadt auseinandergedrückt. Hotels wie in New York. Umhämmert, umwühlt, von Licht betrunken. Eine zitternde Melodie der Großzügigkeit. Modern bis zum Irrsinn. Modern gewollt. Völlig unspanisch. Ganz international. [...] Wie mit gepresster Luft durcheinander gesiebt, in höllischer Illumination. Unter einer riesigen nie ermattenden Energie. Eine Stadt voll Elektrizität. Voll Meer, voll Himmel. Nicht spanisch. Aber großartig. Das fiebernde Spanien. Voll Bars,... Voll Tanzdielen... Voll Gassen.... Eine Stadt, die von Automobilen gebaut sein könnte, wenn man den Autos Vernunft gegeben hätte. [...] Raserei der Autos. (188 f.)

Auch die Hauptstadt Madrid weist einen hohen Grad an Modernisierung auf. Doch gerade diese lehnt Edschmid ab. „Von magischer Reinlichkeit. Wenn die Spanier sich das Spucken abgewöhnen, werden sie die Amerikaner des Südens sein. [...] Alles Neue in Madrid hat Weite, Ausdehnung und Format. Aber eigentlich ohne Sinn. Uberall Format. Nirgends Größe" (184). Das moderne Spanien ist ein Schreckbild, das verlotterte ein Sehnsuchtsbild. Der Kampf um das Dasein tobt in ganz Spanien, doch der Süden behält den Reiz von Eros und Tod, von Wildnis und purem Leben. In der modernen Welt hat die Verwilderung sich auf andere gesellschaftliche Momente verlegt, auf den Kampf um das Dasein in der Ökonomie, somit einen Weg eingeschlagen, der Entfremdung vom Leben erzeugt. Hier frönen die Menschen zwar den gleichen Lastern wie die Bewohner des Südens, jedoch im Gegensatz zu diesen dem Kontakt mit

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dem animalischen Leben entzogen. Statt im Hahnenkampf zu wetten, sind sie süchtig nach der staatlichen Lotterie, wollen sie modern sein um jeden Preis. Um dieses alles verstehen zu können, muss der Reisende Dichter sein im Sinne Nietzsches, ein Dichter, der das Leben unter allen diesen Verbiegungen und Verrenkungen zu entdecken weiß, die Verfall und Modernisierung hervorgebracht haben. Nur der Dichter kann das Land richtig erfühlen. „Spanien ist ein isoliertes Land. Wie seine Gärten und seine Harems ist auch seine Seele arabisch eingezäunt, und seine Sehnsucht wie sein Widerspruch wird jenseits der Pyrenäen nicht verstanden" (86). Das wahre Spanien erweist sich als eine dekadente Provinz Afrikas. Ungefähr fünf Jahre nach der Reise von Edschmid hat die Modernisierung des Transportwesens große Fortschritte gemacht. Der Weg für das Automobil ist inzwischen gepflastert, die Pisten für die Flugzeuge ausgebaut. Jetzt reisen die Schriftsteller und Touristen in größerer Zahl nach Spanien, selbst die kanarischen Inseln und die Balearen sind erschlossen. Die Anzahl der Reisetexte wächst, deren Ästhetik verändert sich massiv, den Stereotypen werden neue Aspekte entnommen. 1929 besteigen Hermann Krehan und seine Frau Daisy ihren „Pontiac, Chief of Six", um die Ferien in den Metropolen und an den Stränden Spaniens auszukosten. Von den Erfahrungen, die mit einem Auto in dem Land zu machen sind, berichtet das Reisebuch, das eine Mischung aus Text, Zeichnungen und Fotocollagen ist. Krehan arbeitet als Schauspieler, Kameramann und Bühnenbildner während der Weimarer Republik und gehört in den Umkreis von Bertolt Brecht. Er hat ein Engagement an der Berliner Volksbühne, spielt aber schwerpunktmäßig beim Film. Zum Teil handelt es sich um berühmte Klassiker der Filmgeschichte: Tiefland (1922), Harry und Co. (1923), Der Veilchenfresser (1926), Zwei unterm Himmelszelt (1927), Der Sieg der Jugend (1927), Die Liebe der Brüder Rott (1929), Drei Tage Mittelarrest (1930), Keine Feier ohne Meyer (1931), M— eine Stadt sucht einen Mörder (1931), Berlin Alexanderplatz (1931), Kuhle Wampe (1932), Die verliebte Firma (1932) oder Kuddelmuddel (1934). Nach der Machtergreifung 1933 endet die Karriere Krehans. Die drei Protagonisten — der Schauspieler, die Ehefrau und das Fahrzeug („Mühle") - erleben miteinander allerlei Abenteuer, die der Titel des Buches schon erahnen lässt: Von der Spree zum Manzanares. Mit 55 PS, 3 Objektiven, 1 Frau und 10 Koffern von Berlin nach Madrids 45

Krehan (1930).

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Der Reiseweg führt von der Spree in die Schweiz nach Lausanne, dann nach Lyon, Südfrankreich und Perpignan, von dort aus über die Pyrenäen. Krehan reist zur Weltausstellung in Barcelona. Die „autoroute du soleil" oder die alte „via domitiana" scheinen schon problemlos befahrbar zu sein. In Spanien verläuft der abenteuerliche Weg durch Sitges, Tarragona, Barcelona, Madrid und den Montserrat wieder in die Pyrenäen. Für die Epoche handelt es sich um eine stattliche Kilometerleistung. Wie diese Fahrten dann in Spanien aussehen, das beschreibt Krehan ausführlich: Erst ging alles gut... Bis sich plötzlich, bei einbrechender Dunkelheit, die Straße jäh erhob, und in ca. 80 m H ö h e in eine wahre Darmverschlingung von bösartigen Kurven u m steile K l i p p e n ging. Keine Karte hatte uns verraten, was uns d a blühte!! Langsam, Kurve nach rechts: unten die wenig vertrauenserweckende Brandung oder die Geleise der Eisenbahn, die zwischen Tunnels immer wieder ans Licht k o m m t . Langsam, Kurve nach links... leichte Steigung... kurzes, jähes Gefalle, wieder mahlt die Steuerschnecke... dabei eine hundsschlechte Sicht... denn die Scheinwerfer beleuchten in den Kurven ja alles andere als den Weg... Ein Ford begegnete uns in einer Krümmung... ohne Licht... sah uns... wurde unsicher... zum Glück lagen wir innen gegen den Berg... der Ford sackte hinten ab... nach dem Steilhang... blieb aus Dusel noch an einem weißen Kurvenstein hängen... Nach einer Stunde (!) wurde es uns doch zu dämlich... längst hätten wir da sein müssen... finsterste Nacht... das Meer nur mit Mühe zu erkennen... da... Lichter auf einem Haufen... D a m p f aus Schloten... Leben... und Gestank... Geruchsphantasie: Bitterfeld!?... es ist ein Ammoniakwerk. Arbeiter trösten uns... noch 6 km... bis das Labyrinth zu Ende ist... sich auflöst...und wir in Sitges sind. A m Bahnhof lasse ich Mihleken [„Mühle"] und Daisy stehen und gehe aufs Geradewohl in die Stadt. Richtung Meer... (Krehan 1930: 25)

Die Abenteuer reißen nicht ab, auch dann nicht, wenn Daisy ordentlich schimpft und die Koseworte aus der Zoologie entnimmt. Die Landkarten weisen fiktive Fahrtstrassen aus, die noch lange nicht gebaut sind, die Tankstellen liegen weit auseinander und sind selten, häufig fehlt einfach der notwendige Treibstoff. Und wie es so kommen muss: O f t platzen in der Hitze die Reifen, manchmal brechen Federn oder andere wichtige Teile des Fahrzeugs verweigern den Dienst. Doch die Katalanen erweisen sich als gute Handwerker, schmieden die nötigen Teile mit H a m m e r und Amboss, reparieren zwar mit wenig Sachkenntnis, aber viel Geduld das in Spanien unbekannte amerikanische Modell. Schon hier lässt sich erkennen, dass das Buch die privaten und sehr subjektiven Impressionen der Reise wiedergibt, die das Trio macht.

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In diesem Buch, das zwar über die Pyrenäen führt, wird weder von D o n Quijote noch von der Alhambra gesprochen. Auch werde ich Inhalt und W e r t des (herrlichen) Prado-Museums nicht zum dreihundertsten Male aufwärmen. W i r reisten ohne Programm. U n d haben da gestoppt, wo es irgendwas zu zeichnen, zu fotografieren oder zu notieren gab. Das war manchmal ein komischer Fußabtreter, mal die Konstruktion eines Hochhauses, mal ländliche Waschfrauen. W i r haben uns überall dazugestellt, mit den Leuten gesprochen, gestritten und getrunken. W i r haben alles gemacht, was richtige Normaltouristen nicht tun: wir sind kilometerweit zurückgefahren, haben uns Umwege von ansehnlichen Längen ohne jede Gewissensbisse geleistet, haben nie unsere Adresse hinterlassen [...]. W i r lieben Spanien... und sehnen uns nach ihm zurück. (3)

Das Buch als eine Liebeserklärung an ein Land, das die bisher dargestellten Autoren eher mit scheelen oder vorurteilsbelasteten Augen betrachtet haben: Das verhindert auch, „über" das Land zu schreiben. Die Fahrt soll unterhaltsam sein und bleiben. Dazu gehören eine kräftige Portion Ironie und Satire, die Fähigkeit, sich über die eigene Schulter zu sehen, das Leben zu genießen mit all seinen Seiten, den guten und widerwärtigen. Immer wieder dringen auch die Erinnerungen an die erste Reise nach Südspanien in den Band ein. Der Reisetext orientiert sich am modernen Filmschnitt, der subjektive Einstellungen zur Geltung bringt. Der schnelle Schnitt, die schnelle Änderung der Kameraführung, aber auch die Mischung von Ironie und trockener Prosa, das Erzeugen einer kräftigen Fallhöhe für die Scherze, der Rückgriff auf alte Gattungen wie die „musa iocosa" (scherzhafte Muse), machen aus dem Text eine perfekte Collage. Dem entsprechen auch die Fotografien im Buch, die damals noch nicht in den Text hinein kopiert werden können, wie es heute möglich wäre: Reklametafeln, Massen von geparkten Fahrrädern, Kohle in der Form von Konfitüre ausgestellt im Schaufenster, Weinfässer auf einem Güterzug, Waschfrauen, zechende Touristen, Leierkastenmänner oder Prozessionen und militärische Umzüge, mondäne Lichtreklamen, Straßenbahnen, Sonnenhungrige, Erfrischungsbüffets, die Baustelle der „Heiligen Familie" von Gaudi, Lotteriezettel, Fotografen bei der Arbeit, Bauzäune für Hochhauskonstruktionen, Eintrittskarten für den Stierkampf, Daisy bei der Reparatur des Autos und vieles mehr, Touristisches und Alltägliches in einer gigantischen Collage zusammengeklebt. Sie machen aus dem Buch eine Mischung aus fragmentarischen Texten, einem Fotobuch, einem Skizzenbuch (Zeichnungen) und kurzen Abschweifungen in die Literatur- und Kulturgeschichte. Zudem kehrt Krehan manchmal einfach die Perspektive um.

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Der Tourist wird zum Objekt der Beobachtung, das Fremde ruft die Verwunderung der Einheimischen auf den Plan. Soviel Sonne kann es gar nicht auf einmal geben, dass es uns zu heiß wird. Entsprechend revuehaft sind wir gekleidet. Immer wieder bleibt es uns unfassbar, wie hier, im gut durchheizten Spanien, die Frauen ausgerechnet in schwarz herumlaufen, mit langen Ärmeln (das hat sich allerdings in den letzten Jahren etwas gegeben), und die Männer in möglichst ebenfalls schwarzen Jacketts und Hosen... Je weiter nach Süden, desto .bekleideter' sind die Menschen. Ich weiß noch, wie wir einmal in Sevilla auffielen. An einem Julinachmittag, bei einer Bullenhitze von 56°, gingen wir unter den Sonnensegeln der Calle de las Sierpes, Daisy in weißem Kleid ohne Ärmel, ich in weißer Hose, weißem Hemd, Strohhut und blauer Brille. Die Leute blieben nicht nur auf der Straße stehen... sie holten sogar ihre Bekannten und Freunde aus den Häusern und Läden und Klubs, damit sie uns Wundertiere bestaunen sollten. Die Katalanen sind da schon moderner... (27) Das alles schließt nicht aus, dass Krehan Bewertungen vornimmt. Er sucht das moderne Spanien, das sich entwickelnde, wachsende, gegenwärtige. Barcelona ist eine erregende Stadt. Sie zittert in Energien. Sie ist das Stück Amerika der Halbinsel. Gestützt auf die Kräfte aus seinen Sheddächern und Schloten stürmt Barcelona vorwärts. Kühner als Madrid... [...]. Barcelona ist eine schöne Stadt, in der es sich leben lässt. [...]. Die Schatten der Bankpaläste an der Rambla dustern über den roten Lämpchen eines ewig florierenden Gewerbes... Der große, aufgeheizte Vergnügungskessel entleert sich flackernd durch die engen Gassen, nach dem Montjuich zu oder nach Norden in unzählige Betten [...]. (37) Madrid enttäuscht alle Vorstellungen, die man sich gemacht hat: es ist unromantisch und herrlich. [...] Wer vermutet aber hier oben, im Zentrum der ausgeglühten Provinz Kastilien, eine elegante, außerordentlich repräsentative, mit allem Komfort installierte Großstadt? Mit einem Riesenauftrieb von Autos?? Mit wundervollen Hotels?? Diese Enklave mit modernstem Luxus und modernster Technik ist verblüffend und unvergesslich, weil einzig in Europa. Wunderbar, wie Menschen, aller dörrenden Hitze zum Trotz, Palmenalleen und Parks schufen und erhalten, Wasser und Elektrizität herleiten, kurz, in allem so tun, als ob ihre Hauptstadt an der Riviera läge! Das Leben ist frisch in dieser Stadt. (49) Krehan sieht ein modernes Spanien, ist unbelastet von den kulturellen Mustern anderer Reisender. Er entzieht sich den Vorurteilen und korrigiert seine ei-

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gene Haltung immer wieder. Das beste Beispiel hierfür zeigt sich schon im Titel des Buches. Von der Spree zum Manzanares: Berlin lässt sich leicht identifizieren, der Manzanares fließt als Rinnsal durch Madrid. Doch Krehan bezieht sich nicht nur auf die beiden Flussnamen. Er spielt mit dem Schlager von Nico Dostal, einem Walzer mit dem Titel Am Manzanares. Der Walzer wird 1 9 3 3 in Berlin in der Operette Clivia zu hören sein: „Kleines, sag mir eines..." Der Text ist frech: „Am Manzanares - ist weibliche Tugend etwas rares." Krehan kommentiert auf Berliner Art: Ein Nachmittagstripp in Freund Bernsteins Auto soll zum Manzanares gehen. Wieviel und was für Reime hatte uns dieser Fluss schon beschert: „Komm mit mir, Du Weib wunderbares Zum Manzanares, zum Manzanares Und wär's nur auf Zeit eines Jahres" hübsch - nicht wahr??! Das ist noch einer der mildesten. An seinem Palmenufer musste ja Amor persönlich auf Dauer-Weekend sitzen... Wanderer kommst du zu ihm, dem viel besungenen Rio... dann lass alle Illusionen... ein einfacher, braver, kleiner Fluss fließt, ohne sonderliches Temperament vorbei an Ufern, die denen der Panke verzweifelt ähnlich sind. Das Wasser ist seicht... wer ,baden' will, muss sich hineinlegen, um sich ganz zu befeuchten. Wäsche flattert an den Ufern... weit und breit nicht die Spur von einer Palme. (53)

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1939).

SYMPATHIE UND UNTERSTÜTZUNG

Ab 1930 verändert sich in Spanien und Deutschland die politische Situation massiv. Mit dem Tod des Diktators Primo de Rivera in Paris, mit den Wahlsiegen der Linken und Liberalen und mit der Ausrufung der Zweiten Republik (1931), mit dem Ausbruch bürgerkriegsähnlicher Zustände (Asturien 1934), dem Bürgerkrieg selbst (ab Sommer 1936) sowie dem Eingreifen Italiens und Deutschlands, später auch der Sowjetunion in den Bürgerkrieg, der Stärkung der Macht General Francisco Francos und dessen Sieg über die Truppen der Republik und die Internationalen Brigaden bekommt das Land ein neues Gesicht. In Deutschland bringen der Wahlsieg Adolf Hitlers und die anschließende Machtergreifung 1933 ein ebenfalls faschistisches System an die Regierung. Die Reiseliteratur reagiert auf die neue politische Situation. Eine Vielfalt von Romanen und romanhaften Verarbeitungen der Erfahrungen des Krieges und der Schlachten, aber auch der kulturellen Kämpfe entsteht. Reportagen, Interviews, Berichte in Zeitschriften und Zeitungen halten den Bürgerkrieg im öffentlichen Bewusstsein der Welt wach. Die Medien informieren über die Front, über die politischen Programme, über die internen Spannungen auf allen Seiten. Die Zahl der im engeren Sinne zu bezeichnenden Reisetexte ist allerdings verhältnismäßig überschaubar, da oft nur über die Bewegungen der Truppen, über die Einnahme oder Verteidigung von Dörfern und Regionen berichtet wird. Das militärische Geschehen oder der politische Kampf stehen häufig im Vordergrund, die Beschreibungen von Begegnungen, Landschaften und Kultur treten zurück. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Im spanischen Krieg von Ludwig Renn über seinen militärischen Einsatz.1 Zugleich weisen eine ganze 1

Renn ( 1 9 6 8 ) . Reichel 2 0 0 0 : 1 7 9 - 1 9 0 .

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Reihe von Arbeiten eine eigenartige Fremdheit und ein starkes Unverständnis für das beobachtbare Leben in Spanien auf. 2 Dies betrifft Texte aus dem Umkreis der „Internationalen Brigaden" ebenso wie diejenigen von Journalisten, die für eine kurze Zeit ins Land geflogen werden, um aus den politischen Brennpunkten zu referieren. Die Milieus, aus welchen nun Deutsche nach Spanien reisen, ändern sich ebenfalls: Kämpfer gegen den Faschismus, die sich in Spanien für die Freiheit in Deutschland einsetzen, Emigranten, die Deutschland verlassen müssen und fliehen, Sozialisten, die für die Verbreitung der kommunistischen und anarchistischen Ideen ihr Leben in Spanien lassen. Ein Autor, der sehr sensibel auf die Entwicklungen in Spanien reagiert, ist Ernst Toller. Bekannt durch seine Aktivitäten in der Münchner Räterepublik, durch seine Theaterstücke, die er in der Haft schreibt, durch seinen heftigen und konstanten Kampf gegen Hitler, reist er in humanistisch-politischer Absicht in viele Länder. Im Winterhalbjahr 1931/32 besucht er Spanien das erste Mal, während des Bürgerkrieges hält er sich erneut im Land auf (1938), um erfolgreich eine internationale Hilfsaktion für hungernde Kinder im Kriegsgebiet zu starten, deren materielle Ressourcen später den flüchtenden Rotarmisten in Frankreich zum Überleben dienen. Als Pazifist tritt Toller nicht den „Internationalen Brigaden" bei. Als Reiseschriftsteller macht sich Toller einen Namen durch seine Berichte Russische Reisebilder (1930), Amerikanische Reisebilder (1930), Ankunft in Afrika (1926). In Das neue Spanien analysiert Toller die gesellschaftlichen Hintergründe, die in den Bürgerkrieg führen. 3 Die fünf umfangreichen Reportagen erscheinen in der Zeitschrift Die Weltbühne (1932). Das neue Spanien verfällt in seiner Entwicklung in Extreme, die zwangsläufig in den Bürgerkrieg münden müssen. So lautet das frühe Urteil Tollers, als er das Land mit seiner Freundin Lotte Israel für fünf Monate in der Zeit vor dem Bürgerkrieg bereist. Das spanische Volk äußert immer stärker seine Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen im Land. Die Kapitalisten und Großgrundbesitzer halten an ihren Profiten fest, die Arbeiter fühlen sich enttäuscht, da sie erkennen, dass eine politische Demokratie ohne soziale Rechte und Verbesserungen die Probleme nicht löst. „Ein Arbeiter im Gefängnis zu Barcelona gab mir auf meine Frage nach der Republik die bündige Antwort: ,Der alte Hund mit einem neuen Halsband'" (Toller 1978: 240). Dann vergleicht Toller die Entwicklung der Länder (November-Revolution in Deutschland): 2

Reinecke 2006: 151-172.

3

Toller (1978).

Schauplatz politischer Utopien

317

Ähnlich war es in Spanien, heute kämpfen Großgrundbesitz und Industrie um jeden Fußbreit Boden - und mit Erfolg. Was eine Revolution in den ersten Tagen versäumt, kann sie später nicht mehr einholen. Der Verängstigte erholt sich. Die spanische Republik tritt in die Fußstapfen der deutschen. Resolutionen und Gesetze müssen Wirklichkeit werden, sonst entmutigen sie die Anhänger und stärken die Gegner. Spanien entwickelte sich zu einer bürgerlichen Republik, aber manche herrschende Politiker möchten sich das nicht eingestehen und die Illusion aufrechterhalten, es sei anders. So geraten sie in Sackgassen, aus denen kein Weg herausführt, verärgern ihre wahren Auftraggeber und erregen das Hohngelächter des Volkes. Die Konflikte, die sie nicht lösen können, verschärfen die soziale Situation und rufen die Faschisten auf den Plan. (241) Z u diesen Schwierigkeiten gesellen sich die ungelösten Fragen der Landreform, das unmäßige Anwachsen der Bürokratie, die Fehler, die bei der U m wandlung der Streitkräfte in Polizei und Armee geschehen sind, ein unfähiges Parlament, eine reaktionär gesinnte katholische Kirche. Fazit der Analyse: „Die M o n a r c h i e ist zerstört, Perioden der Diktatur werden wiederkehren" ( 2 4 3 ) . D o c h nicht nur politische und gesellschaftliche Entwicklungen entdeckt Toller im Land. In seinem Bericht über die Emanzipation der Geschlechter stößt er auf das Stereotyp des Spaniers als Individualisten, das seiner eigenen anarchistischen Haltung widerspricht. Er beobachtet: Spanien ist das einzige europäische Land, das gegen die amerikanische Infektion immun blieb. Wenn ein Volk sich der Normierung des Geistes, der Typisierung der Seele mit Erfolg widersetzen kann, wird das spanische es sein. Ein herrliches, liebenswertes Volk, naiv und darum voll Vertrauen. [...] Fragt man einen Spanier nach dem bedeutendsten Charakterzug des Volkes, wird er ohne Zögern auf den spanischen Individualismus hinweisen. Kein Zweifel, dieser spanische Individualismus zeigt sich in mannigfachen Formen, in Gebräuchen und Sitten. Spanien ist das einzige Land, wo der Anarchismus mit der Betonung der Freiheitsidee, der Ablehnung jedes autoritären Staatssystems (aber auch dem Glauben an frei wirkende Solidarität) zur organisierten proletarischen Massenbewegung wurde. (247) Die Frage der Emanzipation der Frau spielt allerdings für die spanischen Männer im K a m p f gegen den aufkommenden Faschismus keine Rolle. Die Stellung der Frau bleibt von der alten maurischen Tradition bestimmt: Jungfräulichkeit gilt als hoher Wert auf dem Heiratsmarkt, das Gegenteil ist die Prostitution, die stark anwächst. N u r langsam entwickelt sich das Bewusstsein für

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diese Frage im Proletariat. Insgesamt aber kündigt sich im Charakter des Volkes ein neues Paradies an. Toller schließt an die Erfahrungen an, die Goethe in Neapel aufzeichnet. Das abscheuliche W o r t ,time is money' begreift der spanische Arbeiter nicht, er lebt nicht, u m zu arbeiten, er arbeitet, weil er leben will. [...] In dieser kleinen Begebenheit zeigt sich der C h a r a k t e r des spanischen Arbeiters. D e r spanische Stolz, die spanische W ü r d e , das G e f ü h l f ü r Gerechtigkeit, Freiheit u n d Menschlichkeit darf m a n nicht bei der Aristokratie suchen, einer kulturlosen u n d bigotten Gesellschaftskaste, auch nicht im arrivierten Bürgertum, m a n wird sie in jeder Stadt, in jedem D o r f , in jedem Weiler, in Kastilien ebenso w i e in Andalusien, in Estremadura u n d in Katalanien, in Galicien u n d A r a g o n beim arbeitenden M e n schen finden. ( 2 5 9 )

An diesem Modell hält Toller auch noch während seines Besuchs in Barcelona und Madrid 1938 fest. Er erlebt in Barcelona eine Bombardierung durch Flugzeuge der Truppen Francos, die er als eine „theatralische Schau" wahrnimmt. (Dabei protestiert er gegen das Inferno des Ersten Weltkrieges mit deutlichen Worten, ohne die Schauspielmetapher verwenden zu müssen.) Bei dem Angriff sterben zahlreiche Zivilisten innerhalb von Minuten. Toller baut eine dramatische Szene auf, die Emotionen wecken soll, da seine Reportage vom Sender in Madrid ausgestrahlt wird. In Am Sender von Madrid kritisiert er die Haltung der katholischen Kirche in Spanien, die Lügen der deutschen Soldaten, die mit ihren Angriffen die künftige Invasion in Frankreich erproben, die politischen Unwahrheiten der Weltöffentlichkeit, die das Elend nicht sehen will und behauptet, dass es sich in diesem Krieg um eine Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Faschisten handelt, die doch in den Augen des Reporters zwischen dem Faschismus und der freien Republik verläuft. Toller appelliert an den amerikanischen Präsidenten, in diesen Krieg einzugreifen. Er glaubt noch immer an die Verwirklichung einer Demokratie in Spanien: „Die stärkste, eindrucksvollste Erfahrung, die der Fremde in Barcelona macht, ist das lebendige Wirken der Demokratie." (211) Im Frühjahr 1938 beschließen die Geschwister Erika und Klaus Mann die Reise nach Spanien. Beide kennen das Land schon seit langem. Sie reisen mit dem kleinen Ford von Erika kreuz und quer durch Europa, so 1930 bis nach Andalusien und von dort nach Marokko. 4 Klaus Mann fährt Anfang Juni 1936 nach Mallorca. Auf der Insel findet in seinem Roman Der Vulkan eines der 4

Weiss 1990: 44.

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wichtigen Gespräche über die Möglichkeiten des Pazifismus als Reaktion auf den Faschismus statt.5 Die beiden Geschwister wollen jetzt als Kriegsberichterstatter für die republikanische Seite in den großen Medien der Welt berichten. Mit der Pariser Tageszeitung und einigen anderen, zum Beispiel dem Deutschen Volksecho in New York, wird ein Vertrag geschlossen und damit die Reise finanziert.6 Der letzte Beitrag erscheint im Moskauer Blatt Das Wort. Uber Spanien tobt der Luftkrieg; die deutschen Truppen testen ihre Technik und die Niederlage der republikanischen Truppen zeichnet sich schon ab. Am 19. Juni holen sich die Geschwister ihre Visa ab und fahren mit dem Auto nach Barcelona. In Spanien bleiben sie drei Wochen (23. Juni bis 14. Juli). Sie besuchen die Kriegsschauplätze am Ebro, aber auch Alicante, Valencia, die vollständig zerstörte Stadt Tortosa und das belagerte Madrid. Sie erleben das schwere Bombardement Barcelonas mit. Klaus Mann möchte schon nach einer Woche abreisen, doch Erika nötigt ihn, den Vertrag mit den Zeitungen zu erfüllen. In dieser Zeit erlebt Erika eine heftige Liebesaffäre mit Hans Kahle, dem Kommandanten der 45. Division. Nach der Reise ändert Klaus Mann seine Ansichten über seinen humanistischen Pazifismus und kommt zu dem Ergebnis, den Faschismus militärisch bekämpfen zu müssen. In Spanien sprechen beide in Rundfunksendern, schreiben aber hauptsächlich für ihre Zeitschriften. Erst in seiner Autobiografie Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht entwirft Klaus Mann einen zusammenfassenden Blick auf die Reise. Friede? N i c h t mehr! In Spanien wird g e k ä m p f t . Prolog oder erster A k t — es ist der A n f a n g . Incipit tragoedia. Erika u n d ich fahren nach Spanien, nicht als Partisanen, sondern als Beobachter u n d Berichterstatter. Erster K o n t a k t m i t der Realität des m o d e r n e n Krieges! D i e a u s g e s t o r b e n e n D ö r f e r , L a n d s t r a ß e n , v e r s t o p f t v o n F l ü c h t l i n g e n u n d P a n z e r w a g e n , die c a m o u f l i e r t e Lim o u s i n e des G e n e r a l s t a b s o f f i z i e r s , das tote P f e r d a m W e g r a n d - a u f g e p l a t z t e r B a u c h , die starren A u g e n schauerlich belebt von w i m m e l n d e m Ungeziefer —, das improvisierte Hauptquartier - ein Stall mit Telephon, Landkarte, Fernstechern, Kaffeemaschine, Zigarettenstummeln - , hungrige Kinder, zornige alte Bauern, Scheinwerfer, Lichtsignale, verdunkelter B a h n h o f , schwarzer Boulevard, nächtliche Fliegerangriff (technisch noch u n v o l l k o m m e n , aber viel versprechend), Geknatter der Mitrailleusen, das R a d i o p r o g r a m m mit sieghaften Bulletins u n d flotter M a r s c h m u sik, grelle Plakate an verkohlter M a u e r : all dies wird uns i m L a u f e der nächsten Jahre vertrauter Alltag werden, nun aber erleben wir es z u m erstenmal.

5 6

Mann 2004: 257-266. Schaenzler 1999: 309-313.

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Reinhold M ü n s t e r Wir sehen Barcelona, die Ebro-Front, Valencia. Wir sehen Madrid - schon fast legendäres Symbol des Widerstandes. Madrid hungert. Madrid blutet. Madrid - seit fast zwei Jahren eine belagerte Festung - erscheint zugleich verfinstert und verklärt in der starren Glorie seines Heldentums. Madrid gibt nicht nach. N O PASARAN! (Mann 2005: 534)

Klaus Mann greift hier auf den Pointiiismus von Kerr zurück. Mit einem Wort, mit einer kurzen Metapher evoziert er Bilder des Krieges, der allerdings irgendwo stattfinden konnte. Auch die Städtenamen lassen sich austauschen, auch das Heldentum. Mann findet keine neue Sprache für das Grauen des Mordens, für die Brutalität der Zerstörungen, für den Bürgerkrieg als Vernichtung innerhalb eines Staates. Es sind die Elemente, mit welchen schon der Erste Weltkrieg literarisch erfasst wurde. Retrospektiv wird der erste Akt einer Tragödie erzählt, die in Europa nun unter der Regie des Faschismus gespielt wird. Mann zitiert Nietzsches Aphorismus, der den Zarathustra ankündigt: „Incipit tragoedia", doch das Leben geht weiter. Die Artikel, die er für die Serie Aus dem Spanischen Tagebuch für Paris verfasst, bewegen sich näher am Geschehen. Mann wird zum Betroffenen, er erlebt die Bombardierungen, die Erfassung durch die Scheinwerfer der Truppen Francos, den Hunger, aber auch die Lebenslust der Bewohner des Landes. Zwar will der Autor seine „Urteile und Impressionen achtsam" kontrollieren, zugleich jedoch „parteiisch urteilen" (Mann 1993: 395). Er gerät immer wieder in paradoxe Situationen. Beim Besuch im Gefangenenlager für deutsche Flieger nimmt die Verunsicherung zu. Als er mit den Gefangenen spricht, entdeckt er das Paradox des Nationalcharakters. Wie naiv waren sie und wie schlau? Welche Mischung aus Biedersinn und Durchtriebenheit in ihren Blicken wie ihren Reden! Welcher Mangel an Spontaneität, an Leidenschaft, an Gesinnung! Weder über Zerknirschtheit noch über Hass wäre ich verwundert gewesen. Diese egoistische und freundliche Indifferenz war verwirrend. Wie unbegreiflich sind diese Deutschen - korrekt und grausam, gemütvoll und listig, brav und tückisch! (414)

Eindeutiger zeichnet Mann das Bild der arabischen Soldaten, die auf Seiten Francos kämpfen. Sie malt er mit den Metaphern und Vorurteilen des Orientalismus. Den Topos einer Stadt als weiblicher Figur, die vergewaltigt wird von stumpfen und gierigen Arabern, legt der Schriftsteller seiner Beschreibung zugrunde. Afrika und Europa prallen hier aufeinander.

Schauplatz politischer Utopien

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M a n kann die armen Araber k a u m hassen, die, als Söldlinge Francos, M a d r i d , „dich w u n d e r b a r e " — „ m a m i t a m i a " - s c h ä n d e n u n d vergewaltigen wollten. Aber es ist doch ein drastisch-finsteres S y m b o l , dass die Diktatoren u n d abtrünnigen Generäle „ M o h r e n u n d Andersgläubige" vor sich herschicken. Vor M a d r i d hat m a n sie aufgehalten. ( 4 1 6 )

Die Gegenseite, mit welcher Klaus Mann sympathisiert, kämpft einen ehrlichen und heldenhaften Kampf. Die Gentleman-Krieger setzen sich für die Zivilisierung ihres Landes ein, betreiben Alphabetisierungskampagnen, schützen die Kunstschätze und die spanische Kultur, sterben den künftig als siegreich besungenen Heldentod in der Gemeinschaft der Kameraden. Mann polarisiert bewusst - hier das Gute, Schöne und Wahre, dort die „Hölle" (421). Er erlebt 1938 in Madrid die wunderbare Errettung der Stadt vor der Gewalt der Macht des Bösen. „In Madrid erst wird das Element des Mirakulösen recht evident und erschütternd. Man muss dort gewesen sein, um es ganz zu begreifen." (415) Es ist das Ausweichen in die religiösen, vielleicht sogar gnostischen Metaphern, mit welchen sich Mann hier die Welt erklärt. So aber entschied sich schon die Frage, die ihn nach Spanien führte: Soll der pazifistische Schriftsteller zur Waffe gegen das Böse greifen oder nicht? Dergestalt erklärt, lässt sich das Böse auch mit der Waffe vernichten. Die Reportagen und Portraits, die Mann liefert, dienen nicht nur dem Ringen um die korrekten Worte und die Herstellung einer öffentlichen Wahrheit, sondern auch seiner eigenen Rechtfertigung der Notwendigkeit eines militärischen Engagements. Erika Mann beliefert mit ihren fünf Reportagen die Neue Volks-Zeitung aus New York.7 Zu den Texten von Klaus Mann finden sich zahlreiche Überschneidungen, welche die Stoffe und Szenen betreffen, die angesprochen werden. Doch während der Bruder mit sich und seinen Entscheidungen ringt, wendet sich Erika Mann dem Naheliegenden zu. Sie erfasst kleine Einzelheiten im Krieg, blickt auf das Leben der Menschen im Ausnahmezustand. Zwar nutzt auch sie die Metaphern des Theaters, um das Ringen zwischen Tod und Leben zu zeigen, doch sucht sie in allem die Balance zwischen Vernunft und Gefühl zu wahren, ihre Wut nicht in Hilflosigkeit umschlagen zu lassen, das Große im Kleinen zu entdecken, dem Publikum das Gefühl der Not zu vermitteln und Sympathie zu erzeugen. In einem Kinderheim in der Nähe von Barcelona beobachtet sie eine Malstunde. Andere Kinder zeichnen. [...] Von 3 0 Kindern zeichnen 2 3 einen Fliegerangriff a u f eine Stadt. Aus allen H ä u s e r n schlagen F l a m m e n , B o m b e n fallen aus einem roten 7

Mann 2 0 0 1 : 4 9 3 .

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Reinhold Münster Himmel, - in einem felsigen .Refugio' stehn zwei winzige Kinder H a n d in H a n d sie sehen, wie eine Frau zusammenbricht, die wahrscheinlich ihre Mutter ist. Viele tote Männer liegen, steif wie Marionetten, auf den Straßen. Mit grässlicher Eindringlichkeit sprechen die bunten Bildchen von dem unvergesslichen Scheußlichen des Uberfalles auf Wehrlose. Die Kinder sind lustig, während sie zeichnen, aber dies ihr selbst gewähltes Thema, .Bombardement', das sie mit so viel kindlicher Genialität abzuwandeln wissen, beherrscht ihr Leben. (Mann 2001: 164)

Indem die Kinder ungefiltert die Schrecken des Luftkrieges malen, entlarven sie ganz naiv die Gewalt, die Francos Truppen und seine deutschen Helfer den Menschen antun. Einige Minuten vorher erlebt die Autorin einen Luftangriff, der die Hilflosigkeit der Kinder im Heim sichtbar macht. Die Kinder haben kein Refugium, in das sie fliehen könnten, um sich zu schützen; sie verbergen sich unter Sträuchern und Bäumen im Garten ihrer Unterkunft. Mit solchen Bildern gelingt es Erika Mann, die „Tragödie des Überfallenen Volkes" (162) in Szene zu setzen. Sie verzichtet im Gegensatz zu ihrem Bruder auf ein hohes Pathos, benötigt aber auch für ihre Erklärung der Situation die schlichten Unterschiede zwischen den Guten auf ihrer Seite und den Bösen auf der anderen. So nutzt der Faschismus in ihren Augen das Mittel der Volksverdummung, um seine dunklen Ziele zu erreichen, während die liberalen Sozialisten eine Aufklärung des Volkes durch Pädagogik und Kultur erlangen möchten. Ahnungslose Opfer, die abgeschlachtet werden, die instrumentalisiert werden können, das sucht die eine Seite, den frei und selbständig handelnden Menschen die andere. Hinter allem aber stehen die konkreten Menschen, die Hilfe benötigen, welche die internationale Gemeinschaft versagt. Erika Mann appelliert an die Gefühle ihres Publikums, selbst aktiv zu werden für die Unterstützung der Republik. Im Grunde aber bleibt es das Interesse der Autorin am Leben, das sie immer wieder den Blick auf dieses in seinen kleinen Szenen werfen lässt. Operette in Valencia, aber der Hintergrund dunkel, wie für eine große Tragödie. Auf dem bunten Blumenmarkt gibt es die schönsten Blumen zu kaufen; in aller Sorge, Mühsal und Todesnähe kaufen Menschen, die hungrig sind, ein paar Rosen und Nelken, damit schmücken sie ihr Haus, das abends in Trümmern liegen kann. Irgendwo an einer Ecke ist ein kleiner Auto-Zusammenstoß passiert, ein Lastwagen hat die Kotflügel eines Militär-Autos zerbeult. Schaulustig und sensationsgierig drängen Hunderte von Leuten sich zu dem bescheidenen Schauspiel, ganz, als gebe es hier nie Großartigere zu sehen. Dies Seltsame, dass das Leben weitergeht, im Grunde unverändert weitergeht, was immer geschieht, hier wird es besonders auffallig. (154)

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In Bildern entwirft Erika Mann ihre Weltanschauung. Operette und Tragödie gehören gleichermaßen zum Leben der Menschen weltweit, aber das Leben überwindet die dunklen Schatten und findet immer wieder zu seiner einfachen Schönheit und vielleicht auch naiven Freundlichkeit zurück. Aus diesem Grund schreibt sie wirkungsästhetisch. Nur indem die Menschen Differenzen überwinden und im Leben das Allgemeine erkennen, können sie Barbarei und Bürgerkrieg beenden.

REISEN UND F L U C H T A U F DIE INSELN ( 1 9 3 1 - 1 9 3 6 )

Für die Emigranten und Flüchtlinge aus Deutschland stellt Spanien nicht das klassische Exilland dar. Spanien nimmt die Exilierten auf, bietet ihnen sogar die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme, doch agieren immer stärker deutsche Geheimdienste und Militärs im Land und nehmen Einfluss auf die spanische Politik. Die Situation für die Flüchtlinge, obwohl Spanien nur wenige Abschiebungen vornimmt, bleibt enorm unsicher. Der Exodus beginnt schon vor der Machtergreifung, doch auch dann halten sich die Flüchtlinge nur fur eine kurze Zeit in Spanien auf, wenn sie nicht zur Waffe greifen und sich im Bürgerkrieg auf der Seite der republikanischen Kräfte engagieren. Aus der Inselreise als Vergnügungs- oder Erholungsreise kann schnell das Exil werden; die „deutschen" Orte auf Mallorca verwandeln sich in Kolonien der Verfolgten. Die Inseln sind beliebt durch ihr mildes Klima und ziehen schon im 19. Jahrhundert einige Reisende an, die dort Heilung und Ruhe suchen. Am bekanntesten ist das Paar George Sand und Frédéric Chopin (George Sand, Ein Winter auf Mallorca, 1 8 4 2 ) ; später suchen Schriftsteller wie Robert von RankeGraves, der ab 1929 mit britischem Pass auf der Insel lebt, dort einen angemessenen Platz für ihre Arbeit. Seine Diskussionen mit Erika Mann beschreibt Klaus Mann im Roman Der Vulkan. Autoren wie Otto Bürger (Spaniens Riviera und die Balearen, 1 9 1 3 ) , Friedrich Christiansen {Die spanische Riviera undMallorca, 1929) oder die archäologischen Grabungen von E. Seegers ( Vorgeschichtliche Steinbauten der Balearen, 1932) verstärken das Interesse. Ab 1905 wirbt der Fremdenverkehrsverband intensiv um Besucher. Für das frühe Exil entwickeln sich Mallorca, am Rande auch Ibiza zu einem Zentrum.8 Allein in Palma leben 1 9 3 3 ca. 3 0 0 0 Deutsche, im Frühjahr 1 9 3 7 sinkt ihre Zahl auf weniger als 1 0 0 . 9 8

Andress 2 0 0 1 : 1 1 5 - 1 4 3 .

9

Mallorca-Zeitungvom

1 6 . Juli 2 0 0 9 .

Reinhold Münster

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Albert Vigoleis Thelen fährt schon 1931 auf die Insel. Er arbeitet dort als Reiseführer und Ubersetzer, später als Sekretär von Harry Graf Kessler. Als sein Visum nicht verlängert wird, kehrt er nach Amsterdam zurück. In seinem Roman Die Insel des zweiten Gesichts. Ein Mallorca-Roman, der erst 1953 erscheint, beschreibt er seine Erlebnisse auf der Insel in der Form einer Schelmengeschichte. Harry Graf Kessler kommt als alter Mann auf die Insel. Er sucht den Ort auch wegen seiner schlechten Gesundheit auf. Die Tagebucheinträge zur Insel umfassen den Zeitraum vom 11. November 1933 bis Juni 1935 (Tagebücher. 1918-1937). Im September setzt die deutsche Regierung seine Bücher auf den Index; Kessler reist nach Südfrankreich ab. Franz Blei geht als Sechzigjähriger ins Exil auf die Insel. Er wohnt wie die Mehrheit der Deutschen in Cala Ratjada an der Nordostküste. In seinem posthum erscheinenden Romanfragment Lydwina (1960) beschreibt er treffend die Situation der Flüchtlinge. Marte Brill erzählt in ihrem Romanfragment Schmelztiegel (2003) die Geschichte des Judentums, in welche der Bericht um die eigene Flucht integriert wird. Karl Orten lebt ebenfalls in Cala Ratjada. Er beschreibt die veränderte Haltung der Mallorquiner, als die Insel von den Truppen Francos und den Italienern eingenommen wird im Juni 1936, Erfahrungen, die auch in den Roman Torquemadas Schatten (1938) eingehen. Ein Stereotyp bricht zusammen, dasjenige vom unschuldigen Inselbewohner, der zu keiner Grausamkeit fähig zu sein scheint, von einem möglichen Idyll auf einer schönen Insel. Häufig jedoch nehmen die Exilierten weder die Wirklichkeit der Insel wahr, noch suchen sie den Kontakt zu den Einheimischen. Der Schock, den die Invasion der italienischen Marine und Luftwaffe dann für sie auslöst, ist so unvorhersehbar. Das zeigt der Bericht von Otten: W i r werden alle verhaftet und im Rathaus wie Vieh zusammengepfercht, Männer und Frauen getrennt. W i r sind der Front nahe, die Wände beben unter den Explosionen, das Geschrei der Kinder und Weiber gellt zu uns hinauf: Arriba Espana - abajo cobardes! Hoch Spanien, nieder mit den Feiglingen! Die Feiglinge, das sind wir und jene katalanischen Milizen, die gegen die Felsen stürmen, um Mallorca vor der Barbarei des Faschismus, vor dem Hunger, vor dem Kriege zu retten. [...] Es ist unmöglich, unter diesem Hass zu leben - in acht Tagen hat sich dieses jenseits der Zeit lebende Volk, das den Fremden alles, seinen Priestern und Aristokraten nichts verdankt, nicht einmal Lesen und Schreiben, in eine Rache schnaubende, uns, die Fremden wild hassende Horde v o n Fanatikern verwandelt. (Otten. Zit. nach Andress 2 0 0 1 : 1 2 5 )

Schauplatz politischer Utopien

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Anders verhält sich Erich Arendt. Dieser, Lehrer an einer linken Reformschule in Berlin und Journalist, veröffentlicht seine ersten Gedichte im expressionistischen Sturm. Er tritt der „Kommunistischen Partei" bei und dem „Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller". Im Jahr der Machtergreifung verlässt er Deutschland. Er lebt zuerst in der Schweiz, dann auf Mallorca. In Mallorca erlebt Arendt ähnlich wie Otten den Ausbruch des Bürgerkrieges. Im Juli 1936 flieht er mit seiner Frau Kathja Hajek-Arendt auf abenteuerliche Weise von der Insel, begibt sich nach Barcelona und schließt sich der Division 27 „Carlos Marx" an. Da er fließend Spanisch und Katalanisch spricht, entwickelt er eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit und Publikationstätigkeit für die republikanischen Kräfte. Er tritt der „Grup d'escriptors catalans" bei, schreibt Reportagen und Berichte aus dem Kampfgebiet. In dieser Zeit entstehen auch viele seiner Spaniengedichte. 10 Diese Gedichte, die in spanischen Zeitschriften während des Bürgerkrieges erscheinen, dienen als Basis für die Sammlung Bergwindballade, die 1952 in Berlin (Ost) zusammengestellt wird. Eines der Gedichte, das er 1936 verfasst, befasst sich mit den politischen Umbrüchen auf der Insel. Erntelied auf Mallorca Im Kreis sich viele Stunden drehend, sang der Bauer inmitten seines Felds auf offnem Tennengrund. Weit drehte sich der Himmel mit, ein ewig blauer, und glänzte auf der Pferde Rücken, die im Rund der Tenne trabten, kaum gehalten von dem Zügelbund. Geerntet lag das Weizenfeld, das um ihn kreiste und wie im Tanze wiegte, leis zu seinem Sang. Die Mandelbäume schwangen, und der Brunnen reiste von seinen Augen fort, kam wieder, einen Atem lang, und unter hellen Hufen Korn aus reifer Ähre sprang. Von allen Nachbarfeldern fielen ein die Stimmen: die Insel stieg, ein irdischblühender Choral. Rings sangen Frag und Antwort sich die starken Stimmen aus guten Fernen zu. Ihr Echo lief ins Tal verkünden: Allen ist bereitet Wein und Abendmahl!

10

Münster 2 0 0 9 : 2 0 5 - 2 1 6 .

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Reinhold Münster Fest stand im Feld der Bauer. U n d der Pfaffe drohte von alter Kanzel, denn der Bauern Bänke blieben leer. Froh sang des Mähers Mund: D a s Feld war sein. Groß lohte der Sonnenabend über seinem Inselmeer. Der Himmel sein, die Sonne sein, die rote! Die Bauernhände gaben auch nicht mehr den Himmel her. (Arendt 2 0 0 4 : 10)

Als politischer Hintergrund wird die Landreform auf Mallorca sichtbar, die von der republikanischen Regierung durchgesetzt wird. Die Bauern besitzen nun das Land, die Macht der Kirche und der Aristokratie ist gebrochen. Arendt entwirft dazu einen Hymnus im Stile Hölderlins und Rilkes, nutzt den Gegensatz von Idyll und gerade überwundener hässlicher Gegenwart, die in der Ausbeutung der Landarbeiter und kleinen Bauern bestand. Bukolik und Georgik, aber auch die Dichtung von Johann Heinrich Voss, die eine Befreiung der Bauern forderte, liefern die Bilder, die sich verschränken mit einer religiösen Sphäre. Die Bauern singen einen Ernte-Choral, der jedoch jetzt von säkularen Gegenständen handelt. Zeit und Raum treten zusammen im utopischen Augenblick, in welchem die rote Sonne des Sozialismus am Himmel aufleuchtet. Arendt steht wie in Deutschland auf der Seite der Arbeiter und Ausgebeuteten und feiert im Gedicht die herbeigeführte Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Ein urchristliches Anliegen ist auf dem Wege der Verwirklichung: Allen ist bereitet Brot und Abendmahl. In einem späteren Gedicht mit dem Titel Brot und Wein (1950) versucht Arendt die Niederlage der republikanischen Truppen neu zu deuten. Indem er direkt auf den Hymnus von Friedrich Hölderlin zurückgreift, bringt er das Motiv in den Zusammenhang der Revolution, die auch Rückschläge erleidet. Die Anschauung kippt jetzt zurück in das hohle Pathos der Beschwörung, des Gedenkens an die Helden der blutigen Schlachten, deren Opfer nicht vergeblich sein darf, da die Ideologie es verbietet. Religiöse Dimensionen lassen sich auch in den Schriften Walter Benjamins vermuten, die seine Wahrnehmung der Insel Ibiza bestimmen. Benjamins Kontakt mit Spanien liegt schon lange zurück. Im August 1925 bricht er auf zu einer Dampferfahrt von Hamburg über Spanien nach Italien. Lediglich drei Postkarten konstatieren die Tatsache, dass er sich in Sevilla, Cördoba und Barcelona nur während der Liegezeiten des Schiffes aufgehalten hat. Eine schwere Magenverstimmung behindert die Fahrt nach Cordoba und die Besichtigung von Sevilla. Benjamins Erkenntnisse halten sich in bescheidenen Grenzen (Schicksal, Exotik, Afrika), wie die Postkarte an Salomon-Delatour zeigt.

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Durch eine besondere Gunst des Schicksals ist mein Frachtdampfer für drei Tage hierher, auf dem Guadalquivir, verschlagen worden und ich habe in das südlichste Spanien den ersehnten Blick tun können. Es ist von faszinierender Exotik: [...] Es muss herrlich sein, wenn man auf das Klima - das völlig afrikanisch ist - sich einzustellen gelernt hat. (Benjamin 1997: 78)

Im Jahr 1932 besucht Benjamin zum ersten Mal die Insel Ibiza. Er verdient durch Publikationen zum Goethejahr ein wenig Geld, das es ihm ermöglicht Berlin zu verlassen. In Ibiza trifft er auf alte Bekannte. Hans Jakob Noeggerath, dessen Vater Felix und dessen Lebensgefährtin Marietta Gräfin von Westarp, kommen im März auf der Insel an. Der junge Noeggerath schreibt an einer romanistischen Untersuchung für die Universität Berlin über die mündlichen Uberlieferungen, die er auf der Insel sammelt." Dazu nimmt er Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung auf, vor allem den Bauern und einfachen Landarbeitern, schreibt Sprichwörter und einfache Lieder auf. Bald jedoch stirbt der junge Forscher auf der Insel an Typhus. Der Vater und seine Lebensgefährtin bleiben als ständige Residenten auf Ibiza. Benjamin folgt der Familie. Er erreicht den Inselhafen am 19. April auf dem Fährschiff „Ciudad de Valencia".12 Er lebt in der Nähe Noeggeraths, zieht mit dem Forscher über die Insel, lernt die einfachen Bauernhäuser kennen. Die lexikologische Erfassung der Sprache der Einheimischen sowie deren Kultur ist ein Modethema der Zeit. Walther Spelbrinck reist als junger Philologe 1931 auf die Insel, untersucht die Häuser, Möbel und Alltagsgegenstände, die er in seiner Dissertation Die Mittelmeerinseln Eivissia und Formentera. Eine kulturgeschichtliche und lexikographische Darstellung 1938 an der Universität Hamburg einreicht. Im Jahr 1932 wird die Insel genau untersucht durch eine Gruppe von Architekten aus Katalonien, die „Grup d'Arquitectura Contemporània". Im gleichen Zeitraum fotografieren auf der Insel auch José Ortiz Echagüe und Mario von Bucovich. Es lässt sich schon hier gut erkennen, dass die Thesen, die Benjamin über die Insel entwirft, in einem bisher wenig beachteten Rahmen neu zu lesen wären. Auf der Insel lebt Jakob Jokisch, der mit Raoul Hausmann befreundet ist, der sich ebenfalls zu dieser Zeit auf Ibiza aufhält. Jokisch fotografiert für Spelbrinck und findet in den Tagebucheintragungen Benjamins Aufnahme, in denen auch das Zusammentreffen mit Raoul Hausmann aufnotiert ist. Haus-

11

Valero 2008: 33.

12

Benjamin 1978: 547. Brief an Scholem vom 22. April 1932.

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mann berichtet über seine Reise nach Ibiza in Hyle. Ein Traumsein in Spanien (1969), klammert aber die Bekanntschaft mit Benjamin aus. Auch Jean Selz und seine Ehefrau halten sich auf der Insel auf. Eine wichtige Besucherin ist Olga Parem, die Benjamin schon in Berlin durch die Vermittlung von Franz Hessel kennen lernt. Er macht ihr auf der Insel einen Heiratsantrag (Juni 1932), den Parem jedoch zurückweist. Der erste Aufenthalt Benjamins endet am 17. Juni 1932, die Rückreise geht über Mallorca nach Nizza. Uber die drei Monate auf der Insel berichten das Tagebuch Spanien 1932 und Ibizenkische Folge, neue Texte, die noch während des Aufenthalts in der Frankfurter Zeitung (4. Juli 1932) gedruckt werden. Hinzu kommen die Erzählungen In der Sonne und Kurze Schattend Das Tagebuch bereitet die Publikation vor. Es handelt sich um eine Sammlung von Impressionen, die in Reflexionen überführt werden. Es sind Bilder, Träume (Sexualträume), naturbezogene Beobachtungen (Eidechsen und Ameisen), psychologische Erwägungen, Charakteristiken von Berufen und Menschen, aber auch direkte Reflexionen über die Schaffenskraft oder den künstlerischen Wert von Gegenständen. In der Ibizenkischen Folge beschäftigt sich eigentlich nur Raum für das Kostbare mit Ibiza in einem engeren Sinne. Indem Benjamin im Tagebuch ein einfaches, bäuerliches Interieur beschreibt, drängen sich Denkbilder auf, die über den Zusammenhang von Funktionen von Gegenständen und deren ästhetischem Wert reflektieren. Wie ist das Kostbare dem gemeinen Ding überlegen, worin liegt das wahrhaft Kostbare eines Gegenstandes für die Ästhetik, worin das eigentliche Geheimnis des Wertes? Zugleich stößt er immer wieder auf das eigene Fremdsein, existentiell und künstlerisch. Wie kann der Künstler wahrer Schöpfer sein? Nur, indem der Wille abdankt zugunsten der anderen Organe wie zum Beispiel der Hand. Nicht der Wille zur Kunst schafft das Kunstwerk, erst die willenlos gewordene Hand, die das Geschenk der Schöpfungskraft erhält, kann dies. Im Rahmen solcher Gedanken fragt sich Benjamin, wie der Reiseschriftsteller mit seinen Schilderungen umgehen soll. Normalerweise läuft der Reisebericht auf eine „Erfüllung" hinaus. Der Schriftsteller hat schon ein Bild vom Land, dieses Bild verstärkt sich während der Reise. Doch sollte nicht erst die Widersprüchlichkeit zwischen Moderne und Tradition gefühlt und reflektiert werden, ehe der moderne Schriftsteller über die Reise berichtet? Soll erst die Nähe gesucht werden, die ein Befremden auslöst, bevor dann darüber geschrieben werden kann? Die Sehnsucht nach Nähe bestimmt Benjamins Blick auf das 13

Benjamin 1985: 4 4 6 - 4 6 4 . Benjamin 1980: 4 0 2 - 4 0 9 .

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Land, leider aber bedrohen ihn, der ohne Aussichten auf eine Arbeit, die ihm den Lebensunterhalt sichern könnte, ohne Aussicht auf wirkliche Freunde, die ihm helfen könnten, ohne Aussicht auf eine neue Liebe, die ihn vor der Einsamkeit retten könnte, doch er erlebt eben diese Einsamkeit, das Schweigen, den „obdachlosen Blick" (Benjamin 1985: 457). Er wird nicht verstanden, stellt seine Fragen im falschen Augenblick. So stehen die Psyche des Autors (mit dessen Alkohol- und Betäubungsmittelmissbrauch, den depressiven Strukturen) und seine Weltanschauung dem Wunsch nach Nähe, die das Befremden als Distanz aufheben könnte, entgegen. Benjamin ist in sich selbst eingeschlossen und plant fiir den 14. Juli seinen Selbstmord, den endgültigen Ausweg aus dem Leben. Warum dieser nicht stattfindet, zeigt die kurze Skizze Der Baum und die

Sprache, publiziert als Schattenstück 1933 in der Kölnischen

Zeitung,14

W i e Buddha legt sich Benjamin nach einer langen Wanderung über das staubige Land, das verdörrt in der Hitze des Innern der Insel liegt, unter einen Baum, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnert. In der Aufmerksamkeit, die sich in ihm breit machen kann, erlebt er einen magischen Moment. „Es ist die Aura des Lebens selbst, die ihn gefangen nimmt." 1 5 Die „uralte Vermählung mit dem Baum" (Benjamin 1980: 425), die Benjamin nun erlebt, ermöglicht ihm die Bilderrede, die in die Denkbilder einfließt. Die Erfahrung lässt sich durch das plötzliche Erlebnis der Aura des Lebens literarisieren (Buddhas Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum; Sitzen unter dem Feigenbaum als Zeichen des jüdischen Schalom). Es ist die Wanderung im Juli 1932, die den Suizid aufschiebt. Das aber bringt Benjamin und Ibiza nicht näher zueinander. Es bleibt bei einer Fremdheit, die in die Abreise münden muss. Die zweite Reise nach Ibiza folgt 1933. Mit Jean Selz reist Benjamin von Paris nach Barcelona. Selz schreibt: Ich lud ihn ein, bei mir zu wohnen, und am 4. April brachen wir zusammen nach Barcelona auf, wo wir ein paar Tage blieben, bevor wir uns nach Ibiza einschifften. Unsere Abende verbrachten wir im .Barrio chino', dem überwältigenden .Barrio chino', der vorrevolutionären Zeit. Eine tosende Menge strömte in die Cabarets, die heute verschwunden sind: die ,Bar du Machot' mit ihren Flamencos; der ,Sacristan' und ,La Criolla' mit ihren zu niedlichen Knaben, die in Abendroben gehüllt waren, und das .Sevilla' mit seinen nackten Tänzerinnen. In den schmutzigen Straßen des Quartiers boten einem Kinder ,noch ganz warme Uhren' (die eben gestohlen worden waren) an. 16 14

Benjamin 1 9 8 0 : 4 2 5 .

15

Geier 2 0 0 1 : 2 1 9 .

"Adorno 1968:37-51.

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Auf Ibiza arbeitet Benjamin jetzt an seiner Übersetzung von Berliner Kindheit, die in Frankreich erscheinen soll. Die Insel verändert sich schnell, passt sich der touristischen Herausforderung an. Vor allem der Briefwechsel mit Gretel Karplus, der Verlobten von Theodor W. Adorno, bietet einige Einblicke in die Wahrnehmung der Insel. Benjamin klagt spöttisch darüber, dass er weit ab von jeder Zivilisation lebt, dass die Zeitungen, die ihn erreichen, nur noch epischen Charakter haben. Wieder lebt er sehr zurückgezogen und einsam, verzichtet auf viele Dinge, die sowieso nicht zur Verfügung stehen. Er will weiter voranschreiten, das Bewusstsein seiner selbst zu gewinnen. Registriert werden die baulichen Veränderungen (Hotelbau, Erweiterung der Gastronomie), die Benjamin vermeidet anzusehen. Er versucht nun, Spanisch zu lernen, obwohl die Einheimischen Katalanisch sprechen. Die Insel erscheint als „rund herum wunderbares Land" (Adorno-Benjamin 2005: 23). „Trotz alldem war es sicher durchaus richtig, hierher zugehen und ich denke, dass ich hinterm Rücken all der neuen Typen, die seit dem Vorjahr hier erschienen sind, doch noch zu meinen Sachen kommen werde." (24) Jetzt sucht Benjamin sogar die Cafés auf, um dort an den Tischen zu schreiben. Häufig streut er Naturbilder in den Briefwechsel ein, die Insel verwandelt sich in einen „locus amoenus", einen lieblichen Ort. Er fühlt sich manchmal sogar als Siedler und diskutiert den Umzug in die große Hafenstadt. Doch weiterhin faszinieren ihn das traditionelle Ibiza und die unberührte Natur. Benjamin unternimmt sogar eine zweiwöchige Wanderung auf Mallorca (häufig allerdings mit dem Auto) und besucht die Kolonie Cala Ratjada, in welcher er Friedrich Burschell trifft. Im September plötzlich ändert sich die Berichterstattung. Benjamin kündigt an, dass nicht seine Gesundheit, sondern Verhandlungen mit Paris zu einer schnellen Ausreise fuhren werden. Er klagt gegenüber Gershom Scholem über die Unfreundlichkeit der Dorfbewohner, aber auch über das Nachlassen der Freundschaft mit Noeggerath. An Malaria erkrankt verlässt Benjamin die Insel. Der wahre Grund für die Abreise ist bisher unbekannt, Jean Selz, mit welchem Benjamin bis zuletzt in Verbindung war, vermutet einen Gesichtsverlust durch Alkoholprobleme. Ein letztes Mal betritt Walter Benjamin die Iberische Halbinsel auf seiner Flucht aus Frankreich. Lisa Fittko bringt ihn zusammen mit Henny und Joseph Gurland über die grüne Grenze nach Port Bou (26. September 1940). Die Akten sind entstellt, so dass keine genauen Auskünfte über den weiteren Verlauf des Geschehens gefunden werden können.17 Benjamin stirbt nach dem Grenzübertritt an einer Überdosis Morphium. 17

Scholem 1983: 2 0 4 - 2 1 0 .

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REISEN WÄHREND DES SPANISCHEN BÜRGERKRIEGES. „LEGION C O N D O R " UND IHR UMKREIS

Das Wirken der „Legion Condor" und der deutschen Militärberater in Spanien zugunsten der Truppen Francos kann als gut erforscht betrachtet werden. Wieder lautet das Problem: Die meisten beschäftigen sich in ihrer Darstellung des Spanienaufenthaltes mit militärischen Fragen, oder sie berichten über Truppenbewegungen, selten k o m m t es zum Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung, selten zu einer Beschreibung von Erfahrungen mit dem Land. Die Abschottung ist auch politisch gewollt, da die Kämpfer den Gegner nicht sehen sollen. Funk und Flugzeug sind Fernwaffen, die jeden Kontakt, der Mitmenschlichkeit ermöglichen könnte, unmöglich machen. Die republikanischen Kriegsgefangenen werden von den deutschen Truppen direkt an die spanischen Soldaten überstellt und befinden sich in den Gefängnissen der Spanier. Mit dem militärischen Komplex beschäftigen sich: Legion Condor, Deutsche kämpfen in Spanien (1939), Karl-Georg von Stackelberg, Deutsche Freiwillige in Spanien, Legion Condor (1939), Max Graf Hoyos, Pedros y Pablos, Fliegen, erleben, kämpfen in Spanien (1939), Wulf Bley, Das Buch der Spanienflieger (1939), Werner Beumelburg, Kampf um Spanien (1942), Edwin Erich Dwinger, Spanische Silhouetten (1937), Hellmut H. Führing, Wir funken für Franco (1937). Die „Helden vom Alcázar" aus Toledo erhalten eigene Würdigungen von nationalsozialistischer Seite: Willibrod Menke, Das Heldenlied vom Alkazar (1939), Erich Dietrich, Kriegsschule Toledo (1937), Hans Roselieb, Blutender Sommer (1938), RudolfTimmermanns, Die Helden des Alcázar (1937). Als Beispiele für die romanhafte Verarbeitung: Henrik Herse, Madrid (1943), Horst Uden, Trauermarsch (1938), Maria de Smeth, Viva España! Arriba España, Eine Frau erlebt den spanischen Krieg (1937). Eine Besonderheit stellt in diesem Kontext das schmale Bändchen von Karl Keding mit dem Titel Feldgeistlicher bei Legion Condor, Spanisches Kriegstagebuch eines evangelischen Feldgeistlichen dar. Keding erlebt Spanien als Militärseelsorger und als protestantischer Geistlicher. Der Protestantismus in Spanien entwickelt sich erst im 19. Jahrhundert, dann vor allem in den Metropolen. 18 Zwar etabliert sich die lutherische Lehre schnell in Spanien, in Valladolid und Sevilla sogar schon in der Renaissance. Doch wird der aufkeimende Protestan^ tismus auf dem Scheiterhaufen erstickt. Selbst die Bibelübersetzung ins Spanische (Cipriano de Valera, 1602, Casiodoro de Reina, 1596) oder die Uberset18

Delpech (1960).

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zungen der Werke von Calvin werden in das Feuer geworfen. Erst 1860 entwickelt sich ein Neubeginn. Manuel Matamoros, Offizier in Gibraltar, lehrt als Prediger in Málaga, Granada und Barcelona. Seine Mitarbeiter erhalten lange Haftstrafen wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Staates Spanien. Erst Isabella II. sieht sich durch politischen Druck von Außen genötigt, die Verfolgungen einzustellen. Die Verfassung von 1876 erlaubt die private Ausübung (Beten im stillen Kämmerlein als religiöses Existenzminimum) anderer Religionen. Nur langsam entwickeln sich die protestantischen Gemeinden. General Franco gewährt zwar dem Islam einige Freiheiten, verfolgt aber erneut massiv die Protestanten im Land. Er lässt die protestantischen Schulen in Córdoba und Madrid schließen (1939), alle anderen Schulen werden abgerissen und die lutherischen Geistlichen werden inhaftiert. Die protestantischen Kirchen mit Ausnahme von Madrid und einigen kleinen Niederlassungen im Süden Spaniens lässt Franco ebenfalls schließen. Die Repressionen betreffen eine relative große Anzahl von spanischen Bürgern und Deutschen, die in Spanien leben, denn die Gemeinde hat eine Gesamtgröße von 15.000 Mitgliedern (1940). Die deutsche Regierung legt Wert auf eine gute geistliche Versorgung der Truppen, die möglichst interkonfessionell gestaltet sein soll. Von katholischer Seite übernimmt diese Aufgabe Viktor Wurzer, Geistlicher in Lissabon. Für die Protestanten entsendet das deutsche Kriegsministerium Karl Keding. Dieser fliegt schon als Pilot im Ersten Weltkrieg und weist sich durch die Schrift Und doch Pfarrer! Ein Mann findet zu Christus (1930) als der richtige Mann aus. Er positioniert sich eindeutig. „Und das alles, weil ein Mann aus unserer Frontgeneration die Zügel in die Hand nahm und Deutschland wieder zu Ehren brachte!" (Keding 1939/40: 5) Sein Standort für die „Legion Condor" ist El Burgo de Osma. Von dort aus betreut er die Truppe intensiv: Eine arbeitsreiche Woche liegt hinter mir. Seit meiner Ankunft bei der Legion habe ich 12 Kasernenstunden gehalten, 10 Singe- oder Aussprachestunden, 3 Gottesdienste und eine Abendmahlsfeier, 2 Lazarettandachten. [...] Rund 1600 Kilometer habe ich bereits im Auto zurückgelegt. [...] Den schweren Dienst des Kraftfahrers habe ich ja nun genügend kennen gelernt. Gebirgsstraßen bei Glatteis und Nebel, Schlaglöcher, Pannen, Stunden um Stunden am Steuer, das alles erfordert nicht nur Nerven wie Draht, sondern vor allem Geduld und Pflichttreue. (Keding 1939/40: 24)

Keding begeistert sich für den Kampf Flugzeug gegen Flugzeug, für den Kampf um die Soldaten- und Mannesehre, für den Männerbund in Uniform, der die „ratas", die republikanischen Kräfte, besiegen wird. Zweck des Sterbens

Schauplatz politischer Utopien

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in Spanien ist der K a m p f gegen den Weltfeind „ K o m m u n i s m u s " . Dass dieses Weltbild nicht christlich ist, sollte hier am R a n d e vermerkt werden. Es ist ein h e i d n i s c h e r K a m p f gegen den W e l t u n t e r g a n g , den die liberalen und linken Kräfte Europas und Amerikas herbeiführen wollen. Spanien ist das L a n d , in dem deutsches und germanisches Blut für die Rettung des Abendlandes vergossen werden muss. S c h o n im Mittelalter kämpften die Christen Spaniens gegen den Untergang, den der Islam projektierte. Diese Spanier gehen für den C a u dillo mit Begeisterung ins Feuer. „Welch ein tapferes Volk sind doch die Spanier! Bataillone gehen mit entrollter Fahne zum Sturm vor o h n e Artillerievorbereitung - nicht der zehnte Teil k o m m t zurück. I m m e r wieder hört man in allen Tonarten das Loblied singen vom spanischen Feldgeistlichen." ( 3 6 ) D e r Kontakt zum Land beschränkt sich meistenteils a u f den Kontakt zu den spanischen Militärs. N u r zweimal insgesamt äußert sich der G e i s t l i c h e über seine Begegnungen mit der Bevölkerung; für die Kultur des Landes hat er keine Zeit und kein Interesse. D i e M ä d c h e n betrachtet er wie ein Eroberer, der seine Beute taxiert. „Dazwischen junge M ä d c h e n , die in Pappkartons Zigaretten sammeln für die Lazarette. E i g e n t ü m l i c h , dass sie alle so auffallend g e s c h m i n k t sind. Sind doch junge, frische Mädels, hätten es doch gar nicht nötig." (6) D u r c h die Einquartierung bei spanischen Familien k ö n n t e Keding eigentlich viele Informationen und kulturelles Wissen über das Land sammeln. D o c h sein Selbstbild und das Fremdbild liegen weit auseinander. Das zeigt sein B e richt über das Quartier bei einem Arzt, dessen Tochter in der Falange ist. Hier bin ich bei einem spanischen Arzt einquartiert. Die Dame des Hauses selber wies mir mein Zimmer an: den Salon, die kalte Pracht. Hier darf ich mich ausbreiten. Im anschließenden Kabinett steht Bett und Waschtisch. Ofen? Fehlanzeige. Wir sind ja im ,sonnigen' Süden. Das Thermometer zeigt fünf Grad im Zimmer. Draußen ist Frost. Die Familie sitzt drüben im Mantel um den runden Esstisch, die Füße unter dem Tisch auf dem Kohlenbecken. Bei mir ist es reichlich ungemütlich. Die Finger werden klamm beim Schreiben. Das Licht- und Kraftwerk am Fluss ist überlastet. Die Birnen brennen nur mit halber Kraft. Ich nehme Kerzen zu Hilfe. Gestern Nachmittag, als ich eintraf, wurde ich sofort zum Kaffee eingeladen. Scheinbar war man überrascht, als ich ankam. Eine Einladung gehört wohl zu den Formen der Gastfreundschaft, in diesem Lande und will gar nicht ernst genommen werden. Sie [die Hausfrau] ist erstaunt, bei den Deutschen chrisdiche Seelsorge zu finden. Scheinbar hat das Schlagwort von den .blonden Heiden bei ihr gläubige Ohren gefunden. Ob ich dann auch einmal in der Kathedrale eine Messe lesen würde? Sie wird merklich kühl, als ich ihr erkläre, dass ich evangelischer Feldgeisdicher bin. Einen Ketzer unter ihrem Dach zu beherbergen, scheint kein angenehmes Gefühl zu sein. Ein Glück, dass die

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Reinhold Münster Tochter dazu kommt. Sie ist Ortsfiihrerin der Falange-Mädels, hat in Madrid die höhere Schule besucht und erzählt mir von der Geschichte des Städtchens. (8f.)

Kedings Kriegstagebuch nimmt unterschiedliche Funktionen wahr, doch keine bezieht sich auf eine angemessene Darstellung des Landes, in welchem sich der Ideologe befindet. Es ist ein Rechenschaftsbericht an die eigene Kirche, ein Lobpreis der deutschen Kampfkraft und Führung, Sinngebung für die glorreiche Zukunft deutscher Soldaten, die gerade die ersten Übungen für den Anbruch des „Tausendjährigen Reiches" miterleben dürfen. Wozu noch sich mit einer fremden Kultur beschäftigen, wenn bald die Welt auf Deutschland hören wird! Dass die Endschlacht in Spanien beginnt, darauf dürfen die Spanier stolz sein. Kedings Aufruf zum Kampf verkauft sich in Deutschland in einer Auflage von 40.000 Stück.

REISEN WÄHREND DES FASCHISMUS (1939 - 1945)

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges stagnieren die Fernreisen. Lediglich diejenigen, die schon vor dem Ausbruch des Krieges das Land verlassen hatten und über ausreichende Mittel (Devisen und gültige Pässe) verfügen, können noch reisen. Das Dritte Reich kontrolliert jetzt die Bewegungen seiner Untertanen, indem hohe Kautionen zu leisten sind für die Ausreise. Devisenbestimmungen ändern sich, die Erteilung von Visa und die Ausgabe von Pässen sind erschwert. Außerdem fehlt es an einem zivilen Flugverkehr, an der freien Buchung von Bahntickets und einem freiem Grenzverkehr. Das Dritte Reich schließt seine Grenzen für den privaten Reiseverkehr. Dennoch finden sich auch Reisetexte, die aus einer nicht-militärischen Perspektive berichten. Es handelt sich um Künstler, die auf Lesereisen geschickt werden. In diese Gruppe gehört Will Vesper, der nach dem Ersten Weltkrieg die Kulturabteilung der Deutschen Allgemeinen Zeitung leitet. Zwischen 1923 und 1943 wirkt er als Herausgeber der Zeitschrift Die Schöne Literatur (ab 1931: Die Neue Literatur). Vesper wird 1933 Mitglied der nationalsozialistisch gleichgeschalteten „Deutschen Akademie der Dichtung", ist führend bei der Bücherverbrennung (Hauptredner in Dresden) und macht Karriere im Dritten Reich, nachdem er seinen Eid auf den Führer abgelegt hat. Er denunziert Kollegen, wirkt in der Reichsschrifttumskammer, arbeitet an den Säuberungen mit, vor allem gegen jüdische Künstler. Nach dem Krieg tritt er weiterhin aktiv in der rechten Szene der Bundesrepublik auf.

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Als Autor beschäftigt sich Vesper ähnlich wie viele Exilschriftsteller mit dem historischen Roman (über Martin Luther, über Ulrich von Hutten); sein bekanntestes Werk dürfte der Roman Das harte Geschlecht (1931) sein, in welchem Blut und Boden eine wichtige Rolle spielen. Seine Lesereise nach Spanien dauert zwei Monate (Februar-März). Sie beginnt mit einem Flug über Italien nach Barcelona. Von dort aus reist er mit dem Zug nach Valencia, nach Madrid und Málaga, Sevilla und zurück in den Prado von Madrid, nach Toledo und am Ende nach Bilbao. Von Irún aus bringt ihn der Express nach Paris. Sein Reisebericht Im Flug durch Spanien (1943), der sich schon im Titel anschließt an Alfons Paquets Reisetext Fluggast über Europa (1935) und im Bertelsmann-Verlag in drei Auflagen im gleichen Jahr erscheint, soll das Bild Spaniens in Deutschland korrigieren. Spanien gehört nach seinem Sieg über den Kommunismus dem „neuen Europa" an, das sich gerade durch den deutschen Eroberungskrieg herausbilden soll. Vesper reist mit klaren Konzepten im Kopf in das fremde Land und lässt sich nur auf die Meinungen der Auslandsdeutschen, die ihn eingeladen haben, ein. Sie haben die für Vesper korrekte Einstellung zur Politik. Ein deutscher Freund in Barcelona, mit welchem Vesper den Montserrat besucht, bekennt: „.Aber wo ich auch war', gesteht er, ,mein Herz blieb in Deutschland. Da leben auch meine Kinder.' Er trägt das Zeichen des Führers, und sein Sohn kämpft im Osten wie der meine" (Vesper 1943: 25). Man liebt die deutsche Sprache, die deutsche Musik und Kultur, sehnt sich nach einem intensiven Austausch mit der Heimat. Glücklicherweise bringt das Radio auch in den letzten Winkel Spaniens die Ansprachen der deutschen politischen Führung. Das ist wichtig, da viele Auslandsspanier inzwischen in Russland für das Vaterland in der Schlacht ihr Leben verloren haben und verlieren. Vespers Mission besteht also darin, nicht nur die Ideologien des Nationalsozialismus in Spanien zu verbreiten, sondern die Lügen des Kriegsministeriums über den künftigen Endsieg unter die Auslandsspanier zu bringen. Während der Zugfahrt nach Valencia beobachtet Vesper das spanische Volk, vergleicht es mit Deutschland und bewertet Spanien negativ. Er schreibt über das undisziplinierte, rauchende und schwarzfahrende Volk. Ich glaube, man würde mich f ü r sehr unhöflich halten, wollte ich auf die Nichtraucherschilder hinweisen. Niemand fühlt sich in Spanien berufen, den anderen zu erziehen, und jeder würde es sicher höflich ablehnen, sich erziehen zu lassen. (42)

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Reinhold Münster Das Volk der Spanier ist „verschlampt", wie es die Deutschen vor der Macht-

ergreifung gewesen sind. Erst ein hartes Durchgreifen der Regierung hat dieser Schlamperei ein Ende gesetzt. Spanien ist auf dem Weg der Verbürgerlichung, nicht auf dem Weg in einen gelungenen Faschismus, so lautet die Kritik von Vesper an Francos Politik. Die Behörde, der Staat ist der großen Masse der Spanier noch nicht die Volksgemeinschaft, der man dient, in die man sich fügt und andere sich zu fügen nötigt, sondern der lästige Gesetzgeber, der feindliche Irgendwer, dem man mit Vergnügen ein Schnippchen schlägt, ja den hineinzulegen eine Art Volkssport ist. Hier hat das neue Spanien, vor allem seine tüchtige Jugend, eine große Aufgabe. Gelänge es erst einmal, in kleinen Dingen eine selbst gewollte Disziplin durchzusetzen [...], so wäre schon viel für die Disziplin im Großen zu hoffen, für die nationale Disziplin, die die Voraussetzung ist für die Genesung des Landes [...]. Verschlampung ist noch nicht unabänderlicher Volkscharakter. Das hat das verschlampte deutsche Volk von vor 1933 nach 1933 bewiesen. (43) Vesper bewegt sich auf einer Route, die noch gezeichnet ist von den Zerstörungen des Bürgerkrieges (Valencia, Barcelona, Baskenland), doch sucht er die Stätten auf, die Franco zu Märtyrerstätten ernannt hat, besonders den Alcázar von Toledo. Dabei handelte es sich für den Reisenden um einen Kampf der Ausmerzung des Fremden im Land. Der Kampf der Männer des Alcazar ist mit Recht für alle Volker, die noch den Sinn für wahres Heldentum bewahrt haben, zu einem bewunderten Vorbild, ja zu Sage und Lied geworden. Und wie eine heilige Stätte der Nation hat das neue Spanien den Trümmerhaufen, in dem solche Taten vollbracht wurden, getreu so erhalten, wie er im Augenblick der Befreiung war, als eine Mahnung für die Jugend, eine Warnung für die Feinde, eine Ehrung für die Toten, die unter den Trümmern begraben liegen. (152 f.) Sind die furchtbaren und immer neu sich wiederholenden Explosionen der spanischen Seele nicht vielleicht in gewissem Sinne doch notwendige Ausmerzungen allzu fremder Elemente, die im Laufe der Geschichte in diese äußerste Landzunge Europas eingedrungen? In keinem Land der Erde ist jedenfalls so viel Blut in Bürgerkriegen geflossen wie in Spanien. (159) Vesper sucht auf seiner Reise nach dem „wahren" Spanien. Weder Katalonien, noch das Baskenland, noch die Meseta eignen sich dafür. Das Spanien der Sehnsucht findet sich im Süden. In Málaga entdeckt Vesper seinen lieblichen Ort.

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S c h a u p l a t z politischer Utopien

In einem H a u s a m Meere wohne ich. D i e Flut atmet in mächtigen Stößen gegen die Klippen unter mir. Der Blick geht weit die Küste entlang, nach Westen über den Hafen hinweg, der fast zierlich das Gehörn seiner Molen in die Bucht hinausstreckt. Dahinter steigt die bergige Küste immer höher bis zu kahlen, dunklen Bergrücken, hinter denen Gibraltar liegt. [...] D a s Blut ist trunken, und das Herz voll Heiterkeit, ehe es noch einen Tropfen des guten Weines genossen, der hier an den H ä n g e n und in allen Talern wächst. D i e wilde, brausende Luft, der D u f t der Blumen, der B ä u m e und des Meeres und der fremde Zauber der ganzen Landschaft genügt, trunken zu machen. (86)

Hier tobte für Vesper kein Bürgerkrieg, hier findet er die Reinheit einer wilden Natur wieder, die das Leben pulsieren lässt. Der Autor schwelgt in Naturmetaphern, die auf den Ursprung Spaniens hindeuten sollen. Andalusien ist der Boden und das Blut, das in den Adern Spaniens rauscht. Doch Vesper sieht das Land nicht mit eigenen Augen, ja er bekämpfte Hanns Heinz Ewers und dessen Augenstil hart, er sieht durch die Brille der nationalsozialistischen Ideologie, die nur eines kennt: Auch Spanien dem germanischen Blut zu unterwerfen.

D I E FLUCHT DURCH SPANIEN ( 1 9 3 9 -

1941)

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verlieren viele Flüchtlinge ihren Aufenthalt in Frankreich. Selbst der Süden, in welchem sich der kleine Ort Sanary sur Mère zu einem Zentrum für Flüchdinge entwickelt hat, ist mit der Zeit nicht mehr sicher. Deutsche Flüchtlinge werden interniert, nach dem Waffenstillstand mit Deutschland auch im Süden. Der Artikel 19 des A b k o m m e n s über den Waffenstillstand sieht die Auslieferung von Exilierten vor. Die Flüchtlinge sitzen fest im Frankreich des Vichy-Regimes. Die Seefahrt ist eingeschränkt, da die deutschen Truppen ausfahrende Schiffe aufbringen und durchsuchen, eine Flucht mit dem Flugzeug undenkbar. So bleibt nur noch die beschwerliche Reise nach Spanien und Portugal, um von dort aus eine Schiffspassage nach Amerika zu erhalten. Die Flucht über die Pyrenäen ist belastend; einige Flüchtlinge wie Walter Benjamin halten dem Druck nicht stand und suchen den Ausweg im Suizid. Immerhin nehmen in den Jahren 1939 bis 1941 ungefähr 30.000 Exilierte den Weg über Spanien und Portugal auf sich. Bei dieser gefahrlichen Flucht über Schmugglerwege nach Irün im Westen und Port Bou im Osten erhalten sie Hilfe. Bekannt ist die Gruppe um Varian Fry vom „Emergency Rescue C o m m i t t e e " . Fry arbeitet mit H a n s und Lisa Fittko zusammen, die immer wieder neue Pfade suchen müssen, da deutsche

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Reinhold Münster

Gebirgsjäger die französischen Routen kontrollieren. Ausführlich berichtet Lisa Fittko in Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41 (2004) über ihre illegale Tätigkeit. Am Ende muss auch sie über die Berge nach Spanien fliehen. Eine beeindruckende Beschreibung der Flucht findet sich bei Alfred Döblin in Schicksalsreise. Er setzt sich intensiv mit dem Exil auseinander (Babylonische Wanderungen oder Hochmut kommt vor den Fall, 1934; Schicksalsreise, 1949). Ein großer Teil des Berichts handelt von der verzweifelten Suche nach der Familie in Frankreich. Eingearbeitet sind die Erlebnisse, die zur Konversion zum Katholizismus führen. Döblin kann die Rettung seiner Familie und von sich nur als ein Wunder begreifen. Er erlebt, wie das Unwahrscheinliche Wirklichkeit wird, wie das Wahrscheinliche scheitert. Diese Errettung lässt den Dichter im Gegensatz zu Alma Mahler-Werfel (Mein Leben, 1951), Martha Feuchtwanger (Nur eine Frau, Jahre, Tage, Stunden, 1983) oder Heinrich Mann (Ein Zeitalter wird besichtigt, 1946) mit offenen Augen reisen. Die Erfahrungen vor dem illegalen Grenzübertritt sind deprimierend. Die Jagd nach den Visa und den „Laissez-passer", nach den Reisetickets für das Schiff, anderen Dokumenten und Stempeln scheint kein Ende zu nehmen. Döblin kann noch mit dem Zug nach Port Bou einreisen. Das Verhör an der Grenze zieht sich in die Länge, doch dann sind alle Papiere abgestempelt und die Weiterfahrt nach Lissabon ist möglich. Döblin nennt das Land „liebliches Spanien" (Döblin 1996: 230). „Spanien schien ein neues, reizvolles Abenteuer zu werden. Wir saßen in alten Holzwagen der spanischen dritten Klasse. Lange sah man das Meer. Landleute stiegen ein und aus und führten ungeheuer temperamentvolle Gespräche." (231) Da Döblin Französisch spricht, gelingt eine einfache Kommunikation mit den Landleuten. Döblin stellt fest, dass mit Ausnahme einiger junger Männer niemand faschistische Ideologien vertreten will. Die Menschen leben noch immer in den Ruinen des Bürgerkrieges, sie fühlen mit dem Unglück in Frankreich. Und sie leiden an den Folgen des Krieges und der faschistischen Diktatur im eigenen Land. Döblin notiert: Sie hätten, erzählten sie, den Krieg lange im eigenen Lande gehabt. Sie zeigten uns während der Fahrt viele Ruinen. Sie erkundigten sich nach der Ernährungslage in Frankreich, das interessierte sie brennend. Sie, die mit uns fuhren, sowohl auf der großen Linie wie auf Teilstrecken, sahen zwar nicht unterernährt aus, sie aßen fleißig aus mitgebrachten Kochtöpfen, in denen anscheinend Sauce die Hauptsache war, und verzehrten dazu Brot. Aber es war sehr dunkles Brot und auch sonst nicht gut, und so sagten sie, außerdem wäre es rationiert und käme nicht jeden Tag. (231)

Schauplatz politischer Utopien

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Döblin lernt die Solidarität der einfachen Menschen kennen. Sie helfen dem Flüchtling und seiner Familie in Barcelona beim illegalen Geldwechsel, bei der Suche nach einer Herberge. Er sieht die zahlreichen Bettler und die Trümmerfelder, welche die Bombardierungen hinterlassen haben. Am nächsten Morgen bricht die Familie auf zur Fahrt nach Madrid. Gegen Mittag stieg die Temperatur in den Wagen zur Unerträglichkeit. Wir fuhren durch das grausige spanische H o c h l a n d , eine einzige verbrannte Einöde. Selten Reste von Grün, stundenlang bröcklige Bergwände, kahle gelbe und braune Steinmassen, weite Trümmerfelder. Hier wurde einem klar, warum dies weite L a n d so schwach bevölkert ist: das Zentrum des Landes bildet ein großer schrecklicher lebloser Krater. Was leben will, drängt an den Rand. [...] Wasser und Getränke wurden an allen Stationen angeboten, man trank und trank u n d schwitzte. M a n kaufte herrliche Aprikosen, und aß den Rest seines französischen Weißbrots. (235)

In Madrid erlebt Döblin einen kleinen Vorgeschmack auf die Freiheit. Niemand kontrolliert die Ausweise der Familie, ein kleiner Einkauf und ein Essen im Restaurant sind problemlos möglich. Die Abfahrt findet in der Nacht statt und geht ohne Schwierigkeiten von statten. Dann schlägt Spanien die Tür hinter den Flüchtenden zu, die es in Port Bou geöffnet hatte. Döblin fasst zusammen: Wenn ich es genau und rundheraus sagen soll: es war keine Reise von einem französischen Ort zu einem anderen, sondern eine Reise zwischen H i m m e l und Erde. Von Anfang bis zu Ende hatte die Reise einen - ich wollte sagen: traumhaften, imaginären Charakter; ich meine mehr: einen nicht nur realen Charakter. Bei der Reise von ihrem Anfang bis zu ihrem Abschluss (ist er erfolgt?) reiste ,ich'. Aber der Reisende war kein gewöhnlicher Passagier mit seinem Billet. Die Reise verlief zugleich an mir, mit mir und über mir. N u r weil es sich so verhielt, begebe ich mich daran, die Fahrt und Umstände aufzuzeichnen. (239)

Döblin erzählt keinen einfachen Reisetext, er berichtet eine doppelte Fahrt: die nach Portugal, die seine Aufmerksamkeit und Aktivität erfordert, und diejenige, die in sein Inneres führt. Er entwirft ein Modell, das für Reiseberichte von Interesse sein könnte, indem Erfahrung und Erlebnis zusammengedacht werden. Der Hintergrund für Döblin liegt in der Einsicht, dass Himmel und Erde in Verbindung stehen und der Mensch dieser Existenzweise ausgeliefert ist.

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Reinhold Münster REISEN N A C H 1 9 4 5 (BIS

1955)

Für die Reisen nach 1945 kann nur ein stark beschränkter Ausblick erfolgen. Die beiden deutschen Staaten entwickeln sich auseinander. Die Zerstörungen an der Infrastruktur durch den Krieg lassen kaum jemand an das Reisen ins Ausland denken. Doch bald kommt wieder der Wunsch nach Erholung und Abwechslung auf. In der DDR beginnt 1947 der „Freie Deutsche Gewerkschaftsbund" mit der Organisation von Ferienreisen, die fast alle innerhalb der eigenen Grenzen stattfinden. Zudem sind die Grenzen vieler Länder für Reisende aus beiden Teilen Deutschlands geschlossen. Das ändert sich schnell. Spanien aber ist von der DDR aus unerreichbar, sowohl politisch als auch als Reiseland. Die DDR hat Schwierigkeiten mit denjenigen Kämpfern aus dem Spanischen Bürgerkrieg, die aus ihren Exilländern zurückkehren möchten in ein Land des Sozialismus. Diese, vielleicht sogar noch immer vom Anarchismus gefärbten „Rotspanier" passen nicht mehr in die Vorstellungen eines real existierenden Sozialismus und zu Stalins Auffassung vom Kommunismus. Solche Heimkehrer werden sogar zum Tod verurteilt, weil sie keine Stalinisten sind. Anderen wird die Einreise verweigert, andere wiederum sind zum Schweigen verurteilt. Erst spät können die Gedichte von Erich Arendt erscheinen: Sie müssen umgearbeitet und dem ideologischen System der DDR angepasst werden. Arendt führt nun das Leben eines Übersetzers, weniger das eines Lyrikers. Nur diejenigen, deren Arbeiten über den Bürgerkrieg in das Programm der Wehrertüchtigung der „Nationalen Verteidigungsarmee" passen, erhalten spät das Recht zur Publikation ihrer Memoiren, Tagebücher und Berichte. Beispiele hierfür sind: Eduard Claudius mit Grüne Oliven und nackte Berge ( 1 9 5 4 ) ; Bodo Uhse mit Leutnant Bertram ( 1 9 7 4 ) ; Reise- und Tagebücher ( 1 9 8 1 ) ; Hans Maassen, Die Söhne Tschapejews ( 1 9 6 1 ) ; Willi Bredel, Spanienkrieg. Zur Geschichte der 11. Internationalen Brigade (Fotoband, 1 9 8 6 ) ; Erich Weinert, Cantaradas, ein Spanienbuch ( 1 9 5 1 ) ; Rudolf Leonhard, Der Tod des Don Quijote ( 1 9 5 1 ) ; Hans Maassen (Hrsg.), Brigada internacional ist unser Ehrenname ( 1 9 7 4 ) ; Egon Erwin Kisch, Unter Spaniens Himmel (1961); Ludwig Renn, Im spanischen Krieg ( 1 9 6 8 ) ; Hans Werner Franz (Hrsg.), Un año de las brigadas internacionales (Fotoband, 1 9 7 6 ) . Während die Urlaubsziele im Ausland für die DDR in Russland oder den Ländern des Ostblocks (tschechische Tatra, bulgarische Schwarzmeerküste) liegen, bieten die neuen Reiseagenturen in der BRD vor allem Ausflüge in die Alpen oder nach Österreich und in die Schweiz an; später folgen Angebote für Italien (Pilgerfahrten nach Rom oder Badeurlaube an der Riviera), die sich großer

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Beliebtheit erfreuen. Spanien und seine Inseln bleiben am Rande des Interesses, da es sich weiterhin um eine Diktatur mit zentralistischem Verwaltungssystem (Vergabe von Visa und Devisen als Problem) handelt, allerdings steigt die Zahl der Reisenden langsam und kontinuierlich an. So fahren immerhin mehr als 200 Deutsche im Jahr 1950 nach Mallorca. Die Mehrheit reist mit dem Zug nach Barcelona und setzt dann auf die Insel (Schiff, Flugzeug) über. Ab 1955 ist die Insel im Flugprogramm einiger Anbieter zu finden, womit die Zahl der Reisenden auf 15.000 anwächst.' 9 Wenige Autoren, die im Bürgerkrieg waren, bevorzugen die BRD als Aufenthaltsort. Alfred Kantorowicz veröffentlicht sein Spanisches Tagebuch (1949); Walter Gorrisch Um Spaniens Freiheit /Mich dürstet (1946); es folgen die Arbeiten von Arthur Koestler, Hermann Kesten, Gustav Regler und Albert Vigoleis Thelen. Auch ältere Reiseberichte finden ihre Verlage. Ein Beispiel hierfür ist Paul Ferdinand Schmidt mit Unsentimentale Reisen, einundzwanzig Reise-Essays von 1949, der jedoch auf Reisen aus der Zeit der Weimarer Republik zurückgreift. Spanien scheint für die Zeit zwischen 1945 und 1955 wieder an den Rand des Interesses gerückt zu sein. Daher überrascht es, dass Max Frisch schon sehr früh nach Spanien reist. Frisch hat zahlreiche Reisen hinter sich und plant nach seiner Rundreise eine lange Fahrt durch die USA und Mexiko. Sein Werk selbst kann in großen Teilen als Reisetext interpretiert werden, da der Autor sein Leben lang zahlreiche Reisen unternimmt und diese literarisch verarbeitet, sei es fiktiv oder als Reiseberichte. Im November 1950 fahrt Frisch zum ersten Mal nach Spanien. Die Reise berührt die Orte Barcelona, Madrid, Toledo, Sevilla, Granada, und Gibraltar. Die Rückreise erfolgt von dort aus mit dem Schiff. Der Erstdruck von Spanien — im ersten Eindruck erscheint 1951 in der Zeitschrift Atlantis. Es handelt sich bei dem Text um kurze Eintragungen in ein Tagebuch, das Beobachtungen und Meinungen reflektiert. Die Abschnitte behandeln in der Regel Oppositionen: Europa - Afrika, Wildheit - Zivilisation, Tragödie - Fatalismus, Reichtum - Elend, Gastfreundschaft - Fremdheit, Leidenschaft — Zärtlichkeit, Gefühl - Tanz, Polizei — Bettler, Märchenhaftigkeit - Wirklichkeit, El Escorial - Alhambra. Schon die kleine Aufzählung lässt die Art der Denkbilder erahnen, mit welchen Frisch sich dem Land nähert. Doch zuerst äußert sich das Befremden über die Andersartigkeit Spaniens.

" Bausinger 1 9 9 6 : 2 5 - 3 2 .

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Reinhold Münster Vier Wochen Spanien, das ist natürlich zu wenig, um sagen zu können, warum dieses Land nicht mehr Europa ist, aber genug, um sich von falschen Erwartungen zu lösen und Vergleiche zu unterlassen, die hinderlich sind, etwa die Vergleiche mit Italien, die Spanien als ärmlich erscheinen lassen, ärmlich an architektonischen Schätzen — ausgenommen die arabischen, die eine Offenbarung sind! — ärmlich auch in der Kunst des Lebens. Mit dem Wein schon fangt es an; es gibt roten und weißen, teuer oder billig, das ist die ganze Wahl, die Nuance ist ihnen gleichgültig. Armlich in der Kunst des Lebens: wenn man nach unseren Begriffen misst, die aber, und das freilich spürt man schon in vier Wochen, hier nicht anzuwenden sind. Spanien ist eine völlig andere Welt. Die Pyrenäen sind ein Wall, eine Grenze unserer abendländischen Heimat. (Frisch 1998: 179) Spanien erscheint Frisch als ein Land der einfachen binären Oppositionen.

Der Wein wird in zwei Farben und zwei Preisklassen serviert. Die Architektur, hier spricht aus Frisch der aktive Architekt, ist unbedeutend mit Ausnahme der Alhambra. Das Leben selbst ist keine Kunst, sondern Armut in allen Ausprägungen. Diesem Phänomen geht der Schriftsteller in Spanien in den weiteren Eintragungen nach. Eine gewisse Enttäuschung spricht aus dem Anmerkungen, wenn Frisch dem Land jede arkadische Eigenschaft abspricht (im Vergleich mit Italien). Und er greift die alte Unterscheidung von Afrika und dem Abendland auf. Afrika beginnt für ihn wie für viele andere hinter den Pyrenäen. 20 Die zentrale Opposition aber ist diejenige von katholischer Kirche, die sich am Beispiel des El Escorial festmacht, und muslimischer, großer Vergangenheit des Südens, die aus Afrika kam und sich in der Architektur der Alhambra wieder finden lässt. Indem Frisch die Armut im Lande beschreibt, aber auch die Polizei und Guardia Civil, die helfen, den Reichtum zu schützen, stößt er auf die für ihn entscheidende Beobachtung. Hierher, scheint mir, gehört auch das Verhältnis von Reichtum und Armut, das nach unseren Begriffen schamlos ist. Das Elend, das man allenthalben sieht, ist entsetzlich; aber entsetzlich scheinbar nur für unsere Augen. [...] Ich frage mich, ob unsere Mittellosen sich soweit entwürdigen ließen; ich glaube es nicht, das setzt eine lange Tradition voraus, eine Tradition des Inhumanen. Zu fragen wäre, woher sie kommt. Von den Arabern? Oder vom Escorial? (184)

20

Nolden (1932).

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Die Kooperation von katholischer Amtskirche und weltlicher Macht, allgegenwärtig repräsentiert durch die Polizei und die anderen Uniformierten, hält diese Würdelosigkeit für die Bevölkerung aufrecht. Es ist das politisch-ideologische System, das den Humanismus mit Füßen tritt. Aber nicht nur: Das System des Inhumanen ging im Laufe der Geschichte in die Herzen und Köpfe der Spanier ein. Ein Fluch liegt auf dem Land. Es ist die Unfähigkeit zu einem Leben im „Sowohl-als-auch", im Status eines „Vielleicht". Das Land polarisiert ebenso wie die Menschen. Frisch schaut sich die Frauen an, besonders beim Tanz. Der Tanz als eine Offenbarung des unmittelbaren Lebens verwandelt sich in Spanien in eine Funktion der vollständigen Beherrschung und Kontrolle des Lebens. Ihr Tanz, wie wild er auch werden mag, endet nie im Rausch der Auflösung, sondern im Gegenteil, im Triumph über den Rausch, im Völlig-Gefassten, in einer Gebärde, die wie eine frohlockende Fanfare ist. Nicht sich verlieren, nicht sich gehen lassen! Leidenschaft, aber im Zügel gehalten, oder besser: als Partner gestellt. Der Stierkampfhat viel vom Tanz, der Tanz hat viel vom Kampf. Die Gesten sind selten fließend, oft abrupt; dramatisch, nicht lyrisch. Stimmung wird abgeschüttelt, wo immer sie aufzukommen droht, endlich geradezu mit den Füßen zertrampelt, unwirsch, fast höhnisch, unbarmherzig. (187)

Das Extreme zeigt sich auch im Verhalten der Geschlechter zueinander. Frisch, mit seiner emanzipierten Ehefrau in Spanien unterwegs, erlebt einen kleinen Schock beim Besuch der Kathedrale von Barcelona. [...] ich sehe eine Spanierin: schön wie ein Tier, undurchschaubar, Marmorhaut, Hitze des Blutes, Kälte des Herzens, sie kniet im Gebet, man kann sich einen Wirbel von Leidenschaften vorstellen, aber keine Zärtlichkeit; keine Gefahrtin, eine Beute oder eine Rächerin, Sieg oder Niederlage. (186)

Anders verhält es sich im Süden, in Andalusien, in der Alhambra, die noch ein letztes Zeugnis des verlustreichen Kampfes des in sich stimmigen Lebensgefühls gegen die Kirche des Escorial und den Polizeistaat gibt. Die Architektur vermittelt eine andere Art zu leben. [...] man ist neugierig, wie sich all das ausnimmt, aber man erwartet nichts - und steht vor einer Architektur, die in sich selber stimmt, so dass man sie beneidet, ganz zu schweigen davon, dass sie einen Lebensgeist ausdrückt, der, im Gegensatz zum

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Geist der christlichen Eroberer, den Menschen blühen lässt; das ist das Märchenhafte daran... Seht euch die Alhambra an! (190) Frisch erlebt Spanien als ein Land des Schreckens, einer Entwicklung hin in die Extreme, politisch, kulturell, gesellschaftlich, zwischenmenschlich. Lediglich der andalusische Süden bewahrt noch die Erinnerung an den Humanismus, an die Aussage vom Menschen als Maß aller Dinge, an das Leben als solches. Frisch schließt sich an die schon um die Jahrhundertwende aufgefundenen Topoi, Motive und Metaphern zur Beschreibung des Landes an, treibt diese jedoch in binären Oppositionen ins Extrem, ein Extrem, das seiner Phänomenologie des Landes entspricht.

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Die neuen Reisenden Deutsche in Spanien ab 1950 Isabel Gutiérrez Koester (Universität de Valencia)

Mit dem Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand ein radikaler Wandel des Reisebegriiis und des Reisenden statt. Der Standort der Reiseliteratur bewegte sich in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, in dem der sich langsam anbahnende Massentourismus ausschlaggebend dazu beitrug, ein neuartiges Reiseverständnis und Reiseverhalten zu entwickeln und das Reisen als soziale Praxis zu verändern. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die ersten deutschen Reisebüros in Berlin entstanden und es sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung leisten konnte, Reisen zu unternehmen, waren Reisebeschreibungen sehr populär und stießen bei ihrem Leserpublikum meist auf Begeisterung. Im Zeitalter der Industrialisierung verfolgte die Reiseliteratur in ihrer Vielfalt verschiedene Zwecke: Einerseits diente sie als eine Form des Eskapismus; die Natur wurde gepriesen und als Zufluchtsort vor dem grauen städtischen Leben gesehen. Andererseits wurde durch die Literatur Wissen vermittelt und das Interesse an Bildung allgemein geweckt. Und schließlich dienten Reiseberichte, Gedichte und Romane auch den weniger Betuchten, die sich reale Reisen nicht leisten konnten, als eine Reise der Phantasie. Mit dem Ersten Weltkrieg fand eine radikale Änderung im Reiseverhalten der Bevölkerung statt. Die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Zollbedingungen beschränkten zwar die Möglichkeiten des Reisens, doch die Kommunikations- und Verkehrsmittelentwicklung schritt weiter voran, und diese Entwicklung ging so schnell, dass sie schon zu Zeiten des Dritten Reiches verschiedene staatlich organisierte Freizeit- und Reisegestaltungen ermöglichte, auch wenn nur in Länder, die in freundschaftlicher Verbundenheit zu Deutschland standen: Italien, Portugal und auch, in geringerem Maße, Spanien. Hierbei handelte es sich meist um nationalsozialistische Gemeinschaftsplanungen, wie z. B. durch die vom Propagandaministerium gegründete Gemeinschaft KdF

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(„Kraft durch Freude"), deren Aufgabe es war „durch geeignete Freizeitmaßnahmen und -Veranstaltungen die geistige und körperliche Konditionierung der Bevölkerung im Sinne der faschistischen Regierungen zu sichern" (Brenner 1989: 498). Von Tourismus im eigentlichen Sinn kann hier noch nicht ganz die Rede sein, doch man nähert sich dem Phänomen allmählich.

DIE 50ER JAHRE

Carl Degener, Reisekaufmann und Touristikpionier aus Bremen prophezeite 1949: „Die Deutschen werden reisen wie noch nie, wenn sie erst wieder satt zu essen haben".1 Er behielt Recht, denn ab den 50er Jahren wurde die Urlaubsreise für breite Bevölkerungsschichten fester Bestandteil im Jahresablauf, zumal im Folge des Wirtschaftswunders und der Erhöhung der Zahl der Urlaubstage sich jetzt fast jede Schicht Urlaubsreisen leisten konnte. Nach den langen Entbehrungsjahren, den stark eingeschränkten Reisemöglichkeiten und den Kriegsschäden der Reiseinfrastruktur konzentrierte man sich darauf, die Tourismusbranche nach dem II. Weltkrieg schleunigst wieder aufzubauen. Man suchte den sonnigen Süden, und der Mittelmeerraum wurde bald eines der beliebtesten Reiseziele. Spanien galt anfänglich noch als Exot und stand ziemlich hinter dem traditionsreichen Italien zurück, das mit Deutschland schließlich eine gemeinsame faschistische Vergangenheit teilte und schon zu Zeiten des Dritten Reiches als Reiseziel beliebt war. Außerdem erschwerten die administrativen Widrigkeiten die Einreise, denn ein Einreisevisum wurde meist erst etwa drei Monate nach Beantragung erteilt, und auch die westdeutsche Devisenbewirtschaftung stand einer freien Reisebewegung im Wege (vgl. Lehmann 2006: 112). Geht man davon aus, dass die Bildberichterstattung Anfang der 50er Jahre noch kaum eine Rolle spielte, und vor allem Rundfunksendungen und Zeitungskommentare den Hunger nach Auslandserfahrung stillen mussten, versteht sich die anfänglich kritische Einstellung Spanien gegenüber. Bis zu den 60er Jahren galt Spanien als Reiseland tatsächlich als abenteuerlich und exotisch. So ist in Robert Haerdters Spanisches Capriccio. Bilder einer Reise (1957) von einer „geheimnisvollen Andersartigkeit" die Rede. Heidnisches Spanien (von Richard Wright und Werner von Grünau, 1958) oder Der Süden ist dem Paradiese näher (Hans von Uslar, 1956) zeugen von dem noch „unberührten" Charakter des Landes, und Überschriften in der westdeutschen Presse wie „Das spa1

(8. Juni 2 0 0 9 )

Die neuen Reisenden

349

nische Problem", „Rätsel Spanien" oder „Spanische Dämonen" (vgl. ¡Viva España! 2007: 25) erklären die Tatsache, dass Reiseberichte deutscher Autoren anfangs eher eine Seltenheit waren und Spanien noch ein unbekanntes Sonderreiseziel war. Einer der ersten Reiseberichte der 50er Jahre ist Carl Nahrstedts Ewiges Spanien am Rande Europas. Auch hier deutet der Titel schon darauf hin, dass Spanien noch fernab der mitteleuropäischen Kultur und Idiosynkrasie platziert wird. Ein Land am Rande des Kontinents wird zwangsläufig mit Rückstand, politischer Isolierung und Weltfremdheit in Beziehung gebracht, und doch ist Nahrstedts Einstellung Spanien gegenüber allgemein positiv. Der Autor behauptet gleich in der Einführung, dass er sich aufgrund eines über dreißigjährigen Zusammenlebens mit den Spaniern dazu berechtigt fühlt, über die spanische Eigenart zu berichten, um diese dem (deutschen) Leser näher zu bringen und verständlicher zu machen. Die erste Eigenschaft, die Nahrstedt an dem Land und seinen Einwohnern beobachtet, wird eine Konstante der Reiseberichte über Spanien bis ins 21. Jahrhundert hinein sein und immer wieder von Reisenden erwähnt werden: Die Kontraste sind so scharf, so hell wie die spanische Sonne und so dunkel wie der Schatten, den sie wirft. [...] Die Wesensart des spanischen Menschen ist in zwei Wörtern seiner schönen Sprache enthalten, im Doppelsinn von „Cara y Cruz". Sie bedeuten „Gesicht und Kreuz" sowie „Vorderansicht und Rückansicht". So wie im Spiel ein Geldstück in die Luft geworfen wird und beim Fallen das Kopfbild gewinnt und die Wappenseite verliert, so rasch fuhrt der Spanier eine Entscheidung herbei und unterwirft sich ihr. Auf seiner flachen Hand liegt sie. Ein Wurf. Ein Blick. Gut oder Böse. Como Dios quiera. Wie Gott will. So ist in diesem Buch der Spanier beschrieben. Er und sein Land. Mit den Widersprüchen beider. Mit Vorder- und Rückansicht. (Nahrstedt 1950: 9f.)

Uberraschend ist, dass das erste Kapitel nicht einer typischen spanischen Eigenschaft oder einer Sehenswürdigkeit gewidmet ist, sondern einer technischen Innovation: der Erfindung des Eisenbahnzugs Talgo, „eine der bemerkenswertesten Erfindungen dieses Jahrhunderts, eine revolutionäre Neuerung auf dem Gebiet des Schienentransportes" (11). Nahrstedt ist darum bemüht, Spanien dem deutschen Leser nicht mehr als ein reines Agrarland erscheinen zu lassen, sondern als ein sich modernisierendes und dem Fortschritt gegenüber offenes Land.

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Isabel Gutiérrez Koester Die wahrhaft vornehme Art, ohne lärmendes Geschrei, mit der Spanien ein so bedeutsames Zeichen seiner Erneuerungen bekannt machte, gab Veranlassung, das Ereignis symbolhaft an den Anfang dieses Buches zu stellen als Kennzeichen für den Charakter und für die Tüchtigkeit des Spaniers. (12)

Dieses Interesse spiegelt sich auch in dem Versuch wider, eine genaue Analyse der sozialen- und wirtschaftlichen Politik Spaniens durchzuführen. Ein wichtiger Teil des gesamten Reiseberichts widmet der Autor der Beschreibung sozialer Gesetzgebung und den Aussichten der Klassenscheidung. Nahrstedt reflektiert und schreibt aus der Perspektive des modernen und industrialisierten Deutschlands. Gleich nach Kriegsende war die Entwicklung Deutschlands mit enormer Geschwindigkeit vorangegangen, und dank verschiedener finanzieller Maßnahmen (wie z. B. der Marshallplan) hatte die Bundesrepublik Anfang der 50er Jahre ein Wohlstandsniveau und einen Grad der Modernität erreicht, die sogar das Vorkriegsniveau überschritten. Trotz der schwierigen Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland es innerhalb kürzester Zeit geschafft, seine Produktionskapazität zu vervielfachen, und Nahrstedt versucht, die Lage Spaniens nach dem Bürgerkrieg aus dieser Sicht zu analysieren und zu verorten. Es erscheint offensichtlich, dass der Autor aufgrund seiner eigenen Erfahrung eine besondere Sensibilität hinsichtlich der Kriegsfolgen für Land und Bevölkerung hegt, aber er versucht, in seinem Bericht Ratschläge und konkrete M a ß n a h m e n vorzugeben, die seines Erachtens der erfolgreichen Geburt des „neuen Spaniens" Beihilfe leisten könnten. Neben der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Betrachtungsweise schenkt der Autor auch anderen spanischen Aspekten seine Aufmerksamkeit. So widmet er das ausführliche Kapitel „Jenseits der Meere" den kulturellen Fäden und Verbindungen zwischen Spanien und Südamerika. Auch die literarischen und künstlerischen Werte Spaniens werden besonders lobend erwähnt; schließlich hat Spanien „wenige Soldaten, seine Luftwaffe ist gering, seine Kriegstonnage kümmerlich, und doch ist Spanien eine Weltmacht, wenn auch nur eine geistige." (60) Dabei beschränkt sich der Autor jedoch nicht, wie zu erwarten wäre, auf die relevantesten Beispiele und Namen der letzten Jahrhunderte, sondern greift weit in der Geschichte Spaniens zurück. So setzen sich die Kapitel „Prosa und Poesie" und „Bellas Artes" mit den wichtigsten Beispielen spanischen Schrifttums und Kunstschaffens auseinander und gehen dabei rein chronologisch vor: von den Höhlenbildern aus dem Paläolithikum in Altamira bis hin zur unmittelbaren Gegenwart des Autors.

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In geringerem Maße versucht Nahrstedt auch auf idiosynkratische Eigenheiten der Spanier einzugehen. So ist von dem Stolz u n d d e m Ehrgefühl der spanischen Männer und d e m „wirklichen M a n n e s t u m " (21) die Rede, von der in den 50er Jahren noch deutlich untergeordneten Rolle der Frau (24) oder von der vom Autor mit Bedenken dargestellten „verderblichen" Kindererziehung (26). D e r Titel des Kapitels, „Juan Español u n d C a r m e n " lässt den heutigen Leser schon ahnen, dass Nahrstedt sich ungewollt von altbekannten und weit verbreiteten Stereotypen nährt, die die spanische Psyche aus mitteleuropäischer Sicht definierten: Der spanische Stolz ist nicht das Ergebnis eines Verdienstes. Er ist ganz einfach Selbstachtung, Menschenwürde, angeborene Vornehmheit. Es ist ein Stolz, der bedingungs- und beziehungslos ist, ererbt, durch die Jahrhunderte auf seiner Kehrseite abgeschliffen, vom christlichen Glauben verfeinert. Der Hidalgo und der Caballero aus der kastilischen Glanzzeit sind auf unsere Seiten gekommen als Ritterlichkeit im allgemeinen. Ein echter Begriff von Ehre und Anstand haben den „stolzen Spanier" geschaffen. (23) Der Autor bemüht sich u m einen objektiven u n d sachlichen Ton, doch erreicht er damit nicht selten genau das Gegenteil beim heutigen Leser. M a n bedenke jedoch, dass Spanien für die Leser der 50er Jahre ein unerforschtes und exotisches Gebiet war und dass solche Argumentationen sicherlich als aufklärerisch e m p f u n d e n wurden: Ihre Gebärfreudigkeit [der Spanierin] ist naturhaft, in ihr wohnt die Urlust am Kind, sie will viele Kinder. Nach Spengler ist das ein Zeichen von guter Rasse. Spanien ist noch nicht überaltert und degeneriert, wie man vielfach im Ausland glaubt. Daß die spanische Bevölkerungszahl trotzdem niedrig ist, hängt mit der bis vor kurzem großen Kindersterblichkeit zusammen. (24) Die spanische Natur wird schließlich anhand der „Skizzen" gegen Ende des Berichts noch einmal exemplarisch dargestellt. Es handelt sich dabei um kurze Erzählungen, die sich zwischen Fiktion und Wirklichkeit bewegen und z.T. stereotypische Merkmale und Situationen darstellen, die vom Autor dramatisch ausgebaut werden: Sittlichkeit, Stolz, Aberglauben, spanisches O l , Federico García Lorca, asturische Dudelsackpfeifer, Lotterie, spanische Sprichwörter oder Zitate aus Lope de Vegas Fuenteovejuna sind einige der v o m Autor angesprochenen Themen, bunt durcheinandergewürfelt und ohne einheitliche Struktur.

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Nahrstedt scheint mit seinem Spanienbericht eine Tendenz einzuschlagen, deren Hauptmerkmal die Funktionalisierung der Reiseliteratur darstellt. Wie Ulla Biernat in ihrer Studie beobachtet, verpflichten sich viele Reisereportagen der Nachkriegszeit auf eine politische Funktion. Man sucht „gesellschaftspolitisch relevante Erkenntnisse und ihre praktische Umsetzung durch den Leser", um „die empirische Wirklichkeit aktueller politischer und wirtschaftlicher Zustände abzubilden." (Biernat 2004: 46) So ist zu verstehen, dass der Bürgerkrieg eindeutig der rote Faden entlang dieses Berichts ist. Dadurch entsteht keine eigentliche Reisebeschreibung des Autors, sondern eher der Versuch, dem Leser ein operatives Literaturkonzept anzubieten, in dem kulturpolitisches Wissen über das postkriegerische Spanien, getüncht mit eigenen Wertschätzungen, vermittelt wird. Wilhelm Lukas Kristl (geboren 1903) ging 1933 als Korrespondent nach Madrid, nachdem die sozialdemokratische Münchner Post \e.rboten wurde. Eine seiner bekanntesten Buchpublikationen war Kampfstiere und Madonnen (1954); ein Versuch, dem deutschen Leser das unbekannte Spanien der 50er Jahre näher zu bringen. Wie bei Nahrstedt, weist auch hier der Titel auf den noch unbekannten und geheimnisvollen Charakter Spaniens um die Mitte des Jahrhunderts hin. Gleich zu Anfang des Berichts weist der Autor schon daraufhin, dass Spanien ein Mythen- und Phantasieland ist, das mehr als jedes andere schnell zu extremen und überspitzten Meinungen und Vorurteilen führt. Das Nebeneinander krasser Gegensätze gehört erneut zu den auffälligsten Merkmalen des Landes und wird anhand von Städten wie San Sebastián und Tarifa deutlich gemacht: Ewig pendelt spanisches Fühlen und Denken zwischen mystischer Phantastik und scharfem Realismus. Der Kult um die perlengeschmückten Madonnen und halbwilden Kampfstiere ist mehr als nur ein farbig-beiläufiger Zug im Volkscharakter. Darin zeigen sich sinnfällig Pol und Gegenpol, wie sie sich unsichtbar in jedes Menschen Brust bekämpfen. Im Fall Spanien werden sie zum sichtbaren Symbol eines ganzen Volkes. Im Banne des Superlativs ... Jedes Land weist Unterschiede, ja Kontraste auf. Jedoch, wer vermutet eine Stadt wie San Sebastián am nördlichen und eine wie Tarifa am südlichen Ende auf ein und derselben Halbinsel? San Sebastián an der Biskaya: vierstöckige Häuser mit Baikonen u n d Balkönchen, pariserisch gekleidete Frauen, feucht glänzender Asphalt breiter Boulevards; ein einladendes Bild, gedämpft und übersichtlich, mit einem W o r t - Europa. Tarifa an der Straße von Gibraltar: weißgekalkte W o h n w ü r f e l und verschwiegene Innenhöfe, Hufeisen-Bögen und verschlungene Gassen zwischen fensterarmen Mauern, scharfe Gutturalstimmen, Frauen in

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schwarzen Gewändern und alle Gerüche in den Gassen; fremd und verschlossen — Afrika. (Kristl 1954: 7)

In den 50er Jahren zeichnete sich besonders Italien als bevorzugtes Urlaubsland aus. Diese Italiensehnsucht wurde, wie Biernat bemerkt, sowohl in den Medien wie auch in der Populärkultur verstärkt thematisiert (vgl. Biernat 2004: 39). Italien als Sinnbild für Kunst, Kultur und Schönheit war schon zu dieser Zeit ein an den Tourismus gewöhntes Land, das sich auch den deutschen Touristen vorbildlich anpasste. Kristl sieht in ihm die liebenswürdige TouristenAusgabe des Südens, während Spanien als dunkel und streng empfunden wird. Kristl unternimmt eine ausführliche Analyse verschiedener Aspekte der spanischen Gesellschaft. Besonders auffällig in diesem Reisebericht im Vergleich zu anderen ist das Interesse Krisds für das moralisch zwiespältige Spanien, mit besonderer Beachtung der weiblichen Sexualität. Galt Spanien in der 50er Jahren noch als erzkatholisches und konservatives Land, so deckt Kristl neben der scheinbar prüden Geschlechtermoral ein zweites, von elementaren Trieben und Sexualität geprägtes Spanien auf. Mit detaillierten Angaben wird der Leser in die Obszönität und „zuchtvolle Laszivität" (26) des Teatro Variedades eingeweiht, in die Welt der Kabaretts und der Bordells: Einmal allerdings schlug eine Frivola alle Konkurrenz aus dem Feld. Sie spielte Stierkampf. Nach den ersten Takten eines Arena-Pasodoble schälte sie sich nackt aus ihrem scharlachroten Tuch. Sie schwang es so im Rhythmus der Musik wie der Matador sein Cape vor dem angreifenden Stier, wobei sie ihre Blöße in knappen Rationen haschenden Blicken preisgab. Wild und wilder drehte sie sich, reckte sich empor, warf den Oberkörper zurück — ganz wie der Torero in der Arena. Es roch nach verschwitzten Männerhemden, ungewaschener Haut und von der Bühne herab nach sacharinsüßen Parfüm. Es roch nach warmem Stall und schweißigen Stuten und nach dem Sägemehl, das auf den Fliesenboden gestreut war, weil man den schwarzen Tabak rauchender Gäste das Spucken nicht abgewöhnen konnte. Der Saal schnaubte und dampfte. Da splitternackte Weib, der brennend rote Schal und der imaginäre Stier- und dreihundert brüllende Stiere im Zuschauerraum... (30)

Überraschend ist auch der ironische Ton, den der Autor verwendet, gemischt mit einer guten Portion Humor, um besonders gewisse stereotype Vorstellungen über Spanien aus dem Weg zu räumen:

354

Isabel Gutiérrez Koester Das landläufige Bild von der Spanierin bedarf korrigierender Pinselstriche. Die Schablone hat nie gestimmt und stimmt heute weniger denn je. Der deutsche Leser ist daran gewöhnt, daß alle Französinnen „charmant" und alle Spanierinnen „feurig" sind. Allein - Dolores und Conchita mögen verzeihen - die Regel ist das nicht. Unter dem wogenden Busen klopft ein kühles Herz. Das bekannte südländische Feuer ist mitunter ein Kerzenflämmchen, reizvoll anziehendes Wesen eine seltene Auszeichnung. Wollte man eine gewiss alberne Schönheitsnorm akzeptieren, so müßte Prinz Paris der Spanierin vielleicht wegen ihres Gesichtes und ihres Haares, kaum aber wegen ihrer Beine den Apfel reichen. Die Figur ist problematisch. Aber was macht die Spanierin aus sich! W i e geschickt weiß sie sich zu kleiden, wie prinzessinnenhaft zu benehmen! Ein untrüglicher weiblicher Instinkt leitet sie. Sie würde niemals jene Blumentöpfe aufsetzen, mit denen sich die Zürcher und Berliner Weiblichkeit auf die Straße wagen. (32) Nach der „Ouvertüre" widmet Kristl sich im ersten Teil seines Berichts den

folkloristischen Elementen und den Bräuchen der spanischen Gesellschaft, wobei in abwechselnder Reihenfolge Madonnen und Stierkampf immer wieder leitmotivisch durch den gesamten Text ziehen. Das nächste Kapitel, „Intermezzo", beschäftigt sich dagegen mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekten des industriellen Spaniens (Baskenland) und des Agrarspaniens (Levante), wobei der Autor besonders auf die Armut des Landproletariats und auf den Kampf ums tägliche Brot der Bauern aufmerksam macht. Der „Zweite Teil" nimmt erneut das Hauptthema des Buches auf: Es ist wieder von Madonnen und vom Stierkampf die Rede, bis der Autor gegen Ende des Kapitels kurz darauf eingeht, wie der Fußball inzwischen als das wichtigste Massenfest in Spanien zelebriert wird. Das „Finale" bringt dann noch einmal einige Reflexionen des Autors, in denen die wichtigsten Elemente des Spaniens der 50er Jahre zusammengefasst werden, die im Übrigen auch anhand verschiedener abgedruckter Fotografien exemplarisch dargestellt werden: Dazwischen wirbeln Tänzerinnen bei dunklen Gitarrenklängen und klappernden Kastagnetten; dazwischen paradieren Stierkämpfer in gleißenden Kostümen, verbluten schwarze Stiere auf gelbem Sand; dazwischen lächelt glitzernd, starr und fern eine Madonna auf dem Lichtaltar. Und endlos weit dehnt sich das Bauernland, in dessen verriegelten Dörfern Menschen nichts anders wissen als: Kuh, Esel, Linsengericht und Sorge um den Pachtzins für den Herrn. (248)

Die neuen Reisenden WOLFGANG KOEPPEN: EIN FETZENDER

355

STIERHAUT ( 1 9 5 8 )

Ein deutscher Reisender, der a u f g r u n d seiner schriftstellerischen Tätigkeit in den 50er Jahren eine sehr relevante literarische Rolle einnahm und demzufolge auch eine größere Bekanntheit genoss als die vorher erwähnten Autoren, ist Wolfgang Koeppen ( 1 9 0 6 - 1 9 9 9 ) . Auf Anregung und dank der finanziellen Unterstützung des Kulturredakteurs des Süddeutschen Rundfunks, Alfred Andersch, konnte dieser bedeutende Schriftsteller der Nachkriegszeit verschiedene Reisen ins Ausland unternehmen, die dann als Radio-Essays gesendet wurden. 1955 reiste er nach Spanien, 1956 nach Rom, 1957 in die Sowjetunion, nach Warschau, nach D e n H a a g und London, 1958 in die U S A und 1959 nach Frankreich. Der Spanienbericht wurde, stimmlich mit drei verschiedenen Sprechern, am 13. April 1956 unter dem Titel: Nach Rußland

und anderswohin: Ein Fetzen der Stierhaut übertragen und erschien dann 1958 als S a m m e l b a n d mit d e m Untertitel Empfindsame

Reise im H e n r y Goverts Verlag.

Schon der Untertitel, in Anlehnung an Laurence Sternes unvollendeten Roman A

Sentimental Journey Through France and Italy (1768), deutet darauf hin, dass es hier nicht so sehr u m einen nüchternen Bericht über Land, Leute und Sitten geht, sondern viel mehr u m die Darstellung eigener subjektiver Eindrücke und persönlicher Empfindungen, u m die ästhetische Verschmelzung von praktischer Gebrauchsliteratur und künsderischer Intention. Schon die Wahl und Reihenfolge der Orte und seiner Sehenswürdigkeiten entspricht nicht der eines üblichen Reiseführers, sondern erfolgt rein gefühlsmäßig: von München über die Schweiz und Frankreich bis an die Grenze, dann Barcelona, Madrid und Toledo. K o e p p e n s Auswahl seiner Reiseziele ist nicht willkürlich. D e r A u s g a n g s punkt seiner Reise stellt ein Deutschland dar, das die jüngste Vergangenheit nur langsam bewältigt, das zwar eine Phase des wirtschaftlichen A u f s c h w u n g s durchlebt, aber noch tief verletzt u n d v o m S t i g m a der nationalsozialistischen Gräueltaten geprägt ist. Koeppen bereist die Länder, die eng mit der deutschen Geschichte zusammenhängen; Orte, die die Ereignisse und die Folgen des Zweiten Weltkrieges mit Vehemenz zu spüren b e k o m m e n hatten. D a Landschaftsbeschreibungen im Koeppens Reisebüchern allgemein recht selten auftreten, kann m a n davon ausgehen, dass der Autor ein Stadtmensch ist, u n d so sucht er sowohl in modernen Groß- bzw. Weltstädten als auch in historischen und von der Antike gezeichneten Hauptstädten eine Vielfalt von Eindrücken und Erlebnissen. Auch hier sind es nicht Sehenswürdigkeiten an sich, sondern die verborgenen Aspekte, die Gefühls- und Emotionswelt der Menschen, die den Reisenden beschäftigen. S o beschrieb es der Autor selbst in einem Zeitungsartikel ( D i e

356

Isabel Gutiérrez Koester

Zeit) aus d e m Jahre 1 9 6 8 , in d e m er a u f die G r ü n d e für sein häufiges Reisen einging: Ich komme an und lebe mit der Fremde. Ich pirsche durch die Stadt. Ich durchstreife noch ihre endegensten Reviere. Ich sehe, höre, rieche, schmecke Menschen, Häuser, Plätze, Kirchen, Friedhöfe, Amtsstuben, Gerichtssäle, Kneipen, ihre armen und reichen Küchen. Ich trinke die fremde Luft. Sie berauscht, reizt, ernüchtert, und immer macht sie wach, weckt Erwartung, läßt suchen, setzt auf eine Spur. Ich kann einem Einheimischen nachgehen, ihn einen Tag lang verfolgen, seinen Gang nachahmen, um er zu werden, ich kann essen, was er ißt, sein Getränk trinken, schließlich vor dem Haus, in dem er verschwindet, stehen, mich in sein Bett legen, versuchen, seinen Traum zu träumen, auf die Laute seiner Nacht zu lauschen. Ich bin ein Schauspieler, der seine Rolle lebt, doch nicht seine Identität verliert, der im Spiel die Szene analysiert und kritisch bleibt. Ich erkenne so bald die Furcht einer Stadt oder eines Landes, spüre den Drachen auf, der die Bewohner schreckt und quält. Wenn man begriffen hat, wovor die Menschen sich ängstigen, weiß man, wie sie lieben, wie sie sterben, wie ihre Richter, ihre Priester sind und ihre Psychiater, wie hart die Gesetze drücken und wie beschränkt die Regierung ist, der sie sich unterwerfen.2 W ä h r e n d der Durchschnittsreisende in den 50er u n d 60er Jahren Vergnügungs- und Erholungsreisen suchte, fällt unter d e m schnell wachsenden Reisepublikum auch ein zunehmendes Interesse an Bildungsreisen auf, und so lässt sich die allgemeine Tendenz erkennen — sowohl bei Koeppen also auch unter anderen Intellektuellen der Zeit — sich eindeutig v o m (Massen-) Tourismus abzusetzen. In München, auf dem Bahnhof, angesichts des überfüllten Zuges, vor den reservierten Abteilen der Fußballfreunde und der Sparvereine, vor den betreuten und hochmütigen Kollektiven der Reisegesellschaften in jeder Preislage fragt sich der unzeitgemäße Individualist, der seine Fahrkarte voll bezahlt hat und dafür von allen Eisenbahngesellschaften Europas schlecht behandelt wird, ob er nicht klüger täte, zu Haus in seinem Bett zu bleiben und den Don Quijote zu lesen, statt wirklich nach Spanien zu reisen. (Koeppen 1986: 14) D e r Text beginnt jedoch nicht mit der eigentlichen Reise, sondern mit einer fast vierseitigen Reflexion über Spanien als ein L a n d der Kontraste. M i t d e m Leitmotiv des Stieres wird v o m Titel an ein krasser Gegensatz zwischen Leben und T o d konstruiert, den K o e p p e n während seines Aufenthalts i m m e r wieder empfindet. So ist gleich zu A n f a n g zu lesen: 2

(2. September 2 0 0 9 )

Die neuen Reisenden

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Im Stier sieht der Spanier die Gaben, die er vor allem bewundert: Kraft, Schönheit, Mut und alle Symbole der Männlichkeit. Der Spanier fühlt sich als Stier. Aber der Stier hat keine Chance. Er betritt den goldenen Sand der Arena. Soviel Erwartung, soviel Bewunderung, soviel Möglichkeit betäubt ihn. Seine Hufe schnarren, er schnaubt durch die Nüstern, seine Flanken beben, die Muskeln des Nackens spannen sich, das gefährliche Haupt ist zum Angriff gesenkt, und wie blind rennt er gegen die Windmühlenflügel der roten Tücher und sieht nicht den Tod, der haarscharf daneben steht. [...] Spanien ist ein uraltes Land. Spanien ist ein sehr junges Land. Hier ist alles Vergangenheit und hat alles Zukunft. Spanien ist Morgenland und Abendland. Spanien ist ein Reich am Rande des Kontinents und doch ein Reich in der Mitte der Welt, denn es eint Europa und Südamerika und vielleicht sogar Rom und Mekka. (11) In Spanien trifft Koeppen auf das harte Nebeneinander der Gegensätze. Melancholie und Hedonismus sind auf dieser Spanienreise nicht voneinander zu trennen und fassen sich in der Komplexität und Widersprüchlichkeit des Landes zusammen: Ungewöhnliche Grausamkeit, erstaunliche Großmut, berechtigtes Mißtrauen, gerechtfertigtes Vertrauen, grelles Licht, tiefe Schatten, unsagbare Armut, protzender Reichtum, fruchtbare Täler, vegetationslose Wüsten, Wein, erloschene Brunnen, Andalusiens süße Sinnlichkeit, Aragonien und Kastilien in brennender Askese, jungfräuliche Bräute am Traualtar, junge Dirnen auf den Straßen, ehrwürdige Universitäten, die größte Zahl von Analphabeten in Europa, kräftige Männer, die ruhen, kleine, blasse Jungen, die ihnen die Schuhe putzen, Schlösser mit Gobelins und Aubusson-Sesseln, Wohnstätten aus Lehm und verrosteten Dosen, Luxusrestaurants, acht Gänge zum Lunch für die alten und neuen Reichen, für die Jeunesse dorée, für die Besucher aus Hollywood, aus Detroit und Essen, ein getrockneter Maiskolben zu Mittag in der Hand des Bauern, ein Wunderautomobil von der Ausstellung in Paris, ein müdes Eselchen vor einem ächzenden, überladenen Karren, Bedürfnislosigkeit und verschwenderische Feste, Beharren in toter Tradition, Picasso, Braque und Salvador Dali, aufflammende Leidenschaft und langwährende Apathie, die Fülle der Märkte und hungrige Augen, - das alles ist Spanien. (12 f.)3

3

Spanien als Land der Kontraste war während der 50er Jahre ein sehr verbreitetes Bild. So liest

man in der Zeit vom 12. Juni 1959, Nr. 24, unter dem Titel „Spanisches Capriccio...": [...] Gewiß, da trippeln schicke Senoritas hochhackig an den überfließenden Blumenständen vorbei (zehn Teerosen fiir 75 Pfennig, muchas gracias, senor!) - doch gleich daneben blättern ausgefranste Gestalten bekümmert in der neuesten Ausgabe der Vanguardia. Da unterhalten sich dunkel und nach der letzten Mode gekleidete Caballeros angestrengt über die Geschäfte - zu ihren Füßen indes dösen die abgerissenen limpiabotas, die gelangweilten Schuhputzer mit den ewig verschmierten Fingern vor sich hin. Und an jedem dritten Baum sitzt ein Blinder, der mit blecherner Stimme Lotterielose feilbietet.

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Isabel Gutiérrez Koester

Bei seiner Ankunft an der französisch-spanischen Grenze überkommt den Autor ein allgegenwärtiges Gefühl der Vergänglichkeit und des Todes. Der erste Eindruck, den Koeppen von Spanien hat, durchzieht den gesamten Bericht und ist von einem melancholischen Ton geprägt. Der Bahnhof an der Grenze erscheint dem Autor wie ein Ubergang in den Hades, in das Reich der Toten, und seine Empfindungen unterstreichen den Eindruck, dass Spanien ein Land des Gestern, der Restauration ist. Koeppen stößt auf das Spanien unter der FrancoDiktatur, aber er erwähnt kein einziges Mal das politische Regime explizit und bringt dem Land, wie Todorow zu Recht bemerkt, auch keine sozialpolitische Wirkinteressen entgegen (Todorow 1987: 158). Dennoch sieht sich der Leser einem Land gegenüber, das erstarrt zu sein scheint und keinen Fortschritt zulässt; ein Land, dessen historische Vergangenheit Koeppen häufig als bedrückend empfindet. Ein Tunnel fuhrt nach Spanien. In der Finsternis des Tunnels erklärt sich der Name Cerbère als von Kerberos herrührend, dem vielköpfigen, schlangenhaarigen Hund, der niemandem den Einzug in das Haus des Pluto wehrt, aber den Austritt keinem gestattet. Eine andere Sonne scheint jenseits des Tunnels. Ein anderes Licht dringt durch die Fenster. W i r sind in Port Bou. W i r sind in Spanien. Die Luft ist scharf und rauchig. Sie riecht deutlich nach Schwefel. Da Spanien ein frommes Land ist, fragt man sich, ob der Teufel um seine Grenzen streicht. Genau genommen ist man am Ende seiner Reise. Hier wollte man hin. Hier ist man nun. Es stimmt wie alles Erreichte melancholisch. Der Zug der einen herbrachte, fährt nicht weiter. (Koeppen 1986: 16)

Jedoch nicht alles in Spanien erweckt in dem Autor Melancholie. Koeppen öffnet sich auch der schönen Seite des Landes und seinen Sinnenfreunden, und so hat die Reise auch eine hedonistische Seite, was den Autor letztendlich auch dazu bringt, Spanien als ein „unvergeßliches Land" (18) darzustellen. Es sind vor allem kulinarische Erlebnisse, die der Autor zusammen mit seiner Frau mehrfach erfährt und genießt, die wiederholt beschrieben werden: Ein Restaurant an der Gran Via. Der Speisesaal liegt im ersten Stock. [...] Es gibt Spezialitäten aus Valencia, als Hausgericht die berühmte Paella, ein Reisessen, das auf einer glühend heißen Pfanne direkt aus dem Ofen aufgetragen wird. In den Reis eingebacken sind große und kleine Muscheln, Krebse, Krabben, kleine Langusten, — die Muscheln und Krebse in der Schale. Unter den Meertieren liegt ein Hühnerschenkel. Der Reis ist mit Safran gefärbt, mit Curry und Paprika gewürzt. Der Priester bricht andächtigen Gesichts die Muscheln und die Krebse. Der Wein wird in hal-

Die neuen Reisenden

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ben Flaschen angeboten. Auf einigen Tischen stehen Karaffen mit der Sangria, deren rote Farbe wollüstig und festlich wirkt. (45)

Während des Berichts erscheinen dem heutigen Leser einige schon alt bekannte spanische Stereotype, für die Koeppen entsprechende Beispiele in der Realität zu finden scheint. So erfährt der Autor die kafkaeske Bürokratie Spaniens in erster Person, als seine Brieftasche gestohlen wird und er erlebt, wie der beauftragte Kriminalbeamte, der gerne und häufig Cognac trinkt, dank seiner Bekanntschaften und mächtigen Kontakte im „Schattenreich" (57), eine Vorladung beim Vernehmungsrichter vorzuschieben vermag. Auch der romantische Begriff der Ehre, den Koeppen ganz nach der hegelschen Definition 4 versteht, wird häufig erwähnt. Er betrifft nicht die Verletzung des sachlichen realen Wertes, sondern der Persönlichkeit als solche und deren Vorstellung von sich selbst, und das erkennt Koeppen besonders bei den stark konservativen und traditionsgebundenen Familienstrukturen und in dem spanischen Stolz, der vor allem bei seinen Restaurantbesuchen bewusst zur Kenntnis genommen wird: Der spanische Kellner vermeidet, anders als sein italienischer Kollege, jede Servilität, und fast grob betont er seine Unabhängigkeit, was ihn sympathisch macht, auch wenn man seinen spanischen Stolz mit Unfreundlichkeit verwechselt. (23) W i r tranken noch einen Cognac und aßen noch einmal Haselnüsse. W i r zahlten und gaben ein zu hohes Trinkgeld, und der Kellner verachtete uns. (65)

Erneut erkennt man an den zitierten Textstellen den Versuch Koeppens, die Realität künstlerisch neu zu gestalten. W i e Todorow ausführlich in ihrem Aufsatz erläutert, werden objektive Gemeinsamkeiten mit dem Leserpublikum vorangestellt, die aber anschließend aus der „Vorfixiertheit" herausgelöst werden, um einen neue ästhetischen Z u s a m m e n h a n g in einem ebenso neuen Erfahrungshorizont zu gestalten (vgl. Todorow 1987: 176). Koeppen nimmt eine synthetisierende (Basker 1995: 593) Perspektive ein, denn er zeigt das Schöne und das Hässliche des Landes, was seinen Reisebericht nicht nur persönlicher macht, sondern auch glaubhafter und vollständiger. Koeppen bewahrt durchgehend einen distanzierten Blick auf alles, was ihn umgibt und tritt als Autor häufig so weit zurück, dass er als Person k a u m noch spürbar ist. Es ist von „er" (Koeppen 1986: 14), von „man" (15), von „wir" (16)

4

Vgl. Hegels Vorlesungen über die Ästhetik (1835-1838).

Isabel Gutiérrez Koester

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die Rede, bis schließlich das „Ich" ans Licht tritt. Todorow sieht in diesem Zurücktreten des Erzählers und in dem Wechsel zwischen scheinbarer Nichtbeteiligung und direkter Einmischung des Autors ein eindeutiges Merkmal „modernen" Erzählens (Todorow 1987: 171). Modern ist auch Koeppens Position als Mitteleuropäer, der in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts lebt, denn so kann der Autor sein Reiseziel aus einer gebildeten, bewussten und objektiven Sichtweise beurteilen. Es geht ihm nicht darum, Spanien als Reiseziel zu verkaufen, deshalb hat er auch keine Bedenken, die dunkle und hässliche Seite Spaniens zu zeigen. D i e Straße zieht sich endlos hin, grau, staubig, häßlich. N a c h der Karte f ü h r t die Straße Atocha zur Puerta del Sol, d e m H a u p t p l a t z u n d Mittelpunkt der Stadt, aber es ist unerträglich, diese lange Reihe armer, hochgestockter Häßlichkeit weiterzugehen. (Koeppen 1986: 38)

Koeppen zeigt keine Bedenken, die Political Correctness zur Seite zu stellen und Bemerkungen zu machen, die gegen den guten Geschmack verstoßen oder gewisse Tabus verletzen, und so sorgte gerade der Spanienbericht nach einer wiederholten Sendung im Norddeutschen R u n d f u n k im H a m b u r g 1956 für Proteste und empörte Schreiben seitens spanischer Politiker und Diplomaten. Zu der Schattenseite Spaniens gehört für den Autor sinnbildlich und stellvertretend der Stierkampf, ein für ihn unverständlicher grausamer und ungerechter Kampf, was letztendlich auch in dem Titel des Reiseberichts noch einmal deutlich hervorgehoben wird: Ein Fetzen von der Stierhaut ist für Koeppen das blutige Ergebnis eines makaberen Spieles, das in einer Schlachthofszene endet. Der Reisebericht schließt zyklisch mit diesem Motiv des Todes ab, das in sich selbst die Widersprüchlichkeit und Komplexität der spanischen Seele darstellt.

HANS JOACHIM SELL: AN SPANIENS FELL ZERREN DÄMONEN ( 1 9 6 8 )

Ab den 60er Jahren beginnt sich parallel zur Entwicklung des Tourismus auch die Literatur über Spanien zu vervielfältigen. Mit Hilfe ausländischen Kapitals setzte man den Grundstein einer sich langsam aufbauenden deutsch-spanischen Wirtschaftspolitik, und die eigentliche Entwicklung der spanischen Tourismusindustrie konnte beginnen. Galt Italien bis zu diesem Punkt noch als Hauptreiseziel der Deutschen, so wurde es Ende der 60er Jahre von Spanien, besonders von seiner Mittelmeerküste und den Inseln, als beliebtestes Urlaubsziel der Deut-

Die neuen Reisenden

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sehen abgelöst. Dank zunehmender Motorisierung und Erweiterung des Verkehrsnetzes stieg die Zahl deutscher Touristen ab den 60er Jahren enorm. Mit der Verabschiedung des Bundesurlaubsgesetzes 1963 5 und der Einführung des Urlaubsgeldes 1965 6 konnte man tatsächlich von einer „Demokratisierung des Reisens" sprechen. Mallorca war zu diesem Zeitpunkt noch ein exklusiver Ferienort, aber die Halbinsel verwandelte sich schnell in ein Ziel des beginnenden Massentourismus. Trotz der Franco-Diktatur registrierte man im Jahre 1960 schon sechs Millionen internationale Besucher, der größte Teil aus Deutschland. Diese Tatsache schlug sich vor allem in der Unterhaltungsliteratur und in den mit Stereotypen übersäten Reiseberichten nieder. Titel wie Unbändiges Spanien (Kurt und Jeanne Stern, 1964) oder Spanien: Porträt eines stolzen Landes (Jan Morris, 1966) trugen weithin dazu bei, das Bild Spaniens als ein noch geheimnisvolles, verlockendes und abenteuerliches Land zu verbreiten. Diese Art von Reiseliteratur versucht zwar das Andere in der fremden Kultur wahrzunehmen, aber häufig werden dabei nicht in Frage gestellte oder kulturelle Vorurteile auf diese Wahrnehmung projiziert. So greifen viele Reiseberichte dieser Zeit auf Klischees und Stereotype zurück, um ihre Erfahrungen an den Leser zu bringen. Hans Joachim Seil, von 1960 bis 1968 als Auslandskorrespondent in Spanien tätig, versuchte dieser Tendenz mit Verlockung Spanien (1963) und ganz besonders mit seinem zweiten Spanienbuch, An Spaniens Fell zerren

Dämonen

(1968), entgegen zu schreiben. In beiden Fällen bringt der Autor das exotische Image Spaniens mit seiner Geschichte und der politischen Gegenwart des Francospaniens in Zusammenhang. Der Kulturwandel, den Spanien seit dem Bürgerkrieg erfahren hat, wird von Seil sorgfältig untersucht und schließlich bewertet und beurteilt. Nach achtjährigem Aufenthalt wurde Seil von der Franco-Regierung wegen seiner zu kritischen Berichterstattung die Arbeitserlaubnis entzogen, was nicht verwunderlich ist, wenn man den strengen und prüfenden Ton bedenkt, der den gesamten Bericht durchzieht: S p a n i e n ist h e u t e ein L a n d , d a s n u r m i t h a l b e r S t i m m e s p r i c h t . A l l e i n a u f d a s „ewige" Spanien zu hören, das uns entzücken u n d beruhigen kann, wäre eine Aus-

5

D u r c h das Bundesurlaubsgesetz wurde die M i n d e s t u r l a u b s d a u e r a u f 2 4 Werktage im Jahr

verlängert. 6

D a n k der Gewerkschaften wurde A n f a n g 1965 ein tarifliches Urlaubsgeld mit den Arbeitge-

bern vereinbart, dass entweder einem festen Prozentsatz des Lohnes oder einem festen Betrag entsprach.

362

Isabel Gutiérrez Koester flucht. W i r müssen auch die hören, die sich kaum äußern können. Spanien ist unter General Franco ein gedemütigtes Land geworden. Es ist ein herabgekommenes Land des Westens. (Seil 1968: 11)

Der Stil ist geprägt von Reflexionen und Meditationen, die besonders in Bezug zu den Vorgängen im sozialen und politischen Bereich sehr kritisch sind. So ist im Klappentext zu lesen, dass Themen wie Arbeitssuche, Verhältnis zum Geld, Zensur des Theaters, Verlangen nach Demokratie, Spannungen in der Kirche oder Protest der Studenten sich nicht auf die objektive Berichtform beschränken, sondern temperamentvoll dargestellt werden und häufig zur Polemik vorschnellen. Es erscheint offensichtlich, dass Seils Absicht sich nicht darauf beschränkt, dem Leser das Bild eines fernen und exotischen Abenteuerlandes zu präsentieren. Auch wenn der Autor die verschiedensten Bereiche behandelt und ausfuhrliche Informationen zu Geschichte, Folklore und Kultur gibt, geht es ihm doch hauptsächlich um den Versuch, das unbefriedigte Spanien abzubilden; ein Land, das nach dem Bürgerkrieg Freiheit und Individualität unterdrückt hat. So ist auch der goyeske Titel zu verstehen: Die „Dämonen" entstammen der phantastisch-grotesken Malerei und versuchen sinnbildlich, den Schrecken und die Spannungen der Diktatur sichtbar zu machen. Wenn Satire und Karikatur gegen die Zensur nicht aufkommen, so kann phantastische Malerei „poetischer, umfassender, vieldeutiger als jene, auftreten gegen Staat, Kirche, Gesellschaft, Partei. Sie kritisiert, klagt an. Ein Spiegel." (108) Dass der Autor auch promovierter Ethnologe war, erkennt man an seiner tiefgründigen Analyse der vielschichtigen spanischen Gesellschaft. Denn im Gegensatz zum Touristen oder zum politisch Emigrierten sucht Seil das authentische Spanien, mit all seinen Rätseln und Widersprüchen und untersucht seine Bedeutung innerhalb Europas. So versucht er, gewissen spanischen Stereotypen wie Faulheit oder unmethodischer Arbeit auf den Grund zu kommen und gibt damit dem Leser Informationen, die einem Touristen nicht auffallen würden: In Spanien wird viel gearbeitet. Es wird vielleicht mehr gearbeitet als irgendwo sonst in Europa. Aber es geschieht in einer unproduktiven Form. Das liegt vor allem an den zwei bis drei Tätigkeiten, denen häufig ein Mann nachgeht, um zu dem Einkommen zu gelangen, das er erzielen will oder muß. Oft arbeitet er in unterschiedlichen Sparten. Wenn auch seine Arbeit somit nicht richtig organisiert ist, bleibt das Arbeitsvolumen größer als in anderen Ländern. Das ist vielleicht zu wenig bekannt. Auch die Intensität der Belastungen, die schon mit dem Aufsuchen verschiedener Arbeitsplätze verbunden ist, wäre zu würdigen. (90)

Die n e u e n R e i s e n d e n

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Was den Aufbau des Berichts betrifft, weist der Autor den Leser gleich zu Beginn darauf hin, dass die Aufzeichnungen im Laufe von acht Jahren entstanden und daher nicht einheitlich sind. Es wird also keine systematische Reihenfolge angestrebt, und der Leser kann die Lektüre an einer beliebigen Stelle beginnen. Die acht Teile, aus denen der Bericht besteht, beziehen sich auf völlig unterschiedliche Aspekte des Landes und befassen sich mal mit dem schönen und lieblichen Spanien (1. Teil: „Süden"), mal mit der unangenehmen Seite des Landes (Teil 2: „Schwarze Akzente"), mit den folkloristischen Traditionen und Bräuchen (Teil 3: „Tanz, Fest und Spiel"), mit dem kulturellen Leben (Teil 4: „Im Zentrum"), mit der Bedeutung der Küsten- und Hafenkultur (Teil 5: „Küsten und Häfen"), mit dem Stierkampf (Teil 6: „Der Stier und sein Feind"), mit der religiösen Geschichte Spaniens (Teil 7: „Klöster und Städte") und schließlich mit der kritischen Auseinandersetzung mit der politischen Situation des Franco-Spaniens (Teil 8: „Unruhen und Umbruch"). Der Durchbruch des Massentourismus in den 60er Jahren bedeutet für die Rolle Spaniens innerhalb Europas einen Wendepunkt, denn als Reiseziel erreicht die Halbinsel eine enorme Bekanntheit. Das Bewusstsein über die politische Situation Spaniens blieb dem (deutschen) Touristen jedoch meist fern. Die gegen Ende der sechziger Jahre sich durchsetzende Kulturkritik an der Freizeitund Konsumgesellschaft, die dem Pauschaltouristen diametral entgegengesetzt ist, brachte die meisten beruflichen Reiseschriftsteller dazu, außereuropäische Reiseziele zu suchen. Hans Joachim Seil stellt in diesem Zusammenhang eine Ausnahme dar und versucht aus der Perspektive seines achtjährigen Aufenthalts, das Land einer fundamentalen politischen und wirtschaftlichen Kritik zu unterziehen. Das exotische Image Spaniens wird einem akribischen Kulturvergleich ausgesetzt, und der Phantasie wird schonungslos der Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgehalten: Francos Staat gibt keine Handhabe für eine offene, logische, kritische Weiterentwicklung. „Franquismus" gibt es, trotz der Gesetzesflut, nur so lange, wie Francos Einfluß reicht. Was als Folge davon kommen kann, ist ungewiß. Wahrscheinlich ist, daß die herrschende Klasse alles tun wird, um an den Schalthebeln zu bleiben. Da nichts im Staat stimmt, macht er eine kritische Durchleuchtung auf Entwicklung hin unmöglich. Er bedeutet inhaltlich so wenig, daß sich sogar sagen ließe: die Jugend Spaniens, die studentische Jugend, denkt über diesen Staat gar nicht nach. Nicht einmal das ermöglicht er ihr. Das Land ist besetzt durch die Machthaber einer Schicht, einer Oligarchie. W e n n ein Land besetzt ist - das Regime feierte 2 5 Jahre Beharrungsvermögen —, so entsteht zweierlei: eine innere Leere im Verhalten zu die-

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Isabel Gutiérrez Koester sem Staat u n d das Bedürfnis, innerlich aus i h m auszuwandern. Franco hat der J u g e n d keinen N ä h r s t o f f für T r ä u m e gegeben. T r ä u m e n nenne ich: das N a c h d e n k e n u n d Diskutieren darüber, wie die Gesellschaft aussehen müßte, in der m a n leben möchte. Er tarnt einen Staat, in d e m die Worte mit den Sachen nicht übereinstimmen. Es ist ein durch u n d durch veralteter, restaurierter Staat, eine polizeilich u n d militärisch organisierte Vergangenheit, die mit allerhand Gesetzen herausgeputzt ist, was sie nicht schöner u n d nicht attraktiver macht. (527)

F R I T Z R U D O L P H FRIES: MEIN

SPANISCHES BREVIER

(1979)

Parallel zum Sprung vom Tourismus zum Massentourismus, der sich ab den 60er Jahren in der B R D vollzieht, ist auch in der D D R eine sich stetig intensivierende Reiseaktivität nachzuweisen, wenn auch mit erheblichen Unterschieden betreffend der Reiseinfrastruktur und dem politischen Hintergrund, der das Reisen meist auf das sozialistische Ausland beschränkte (z.B. die bulgarische Schwarzmeerküste, Polen oder die Sowjetunion). D a s Reisen hatte hier vornehmlich zwei Funktionen: Einerseits suchten die Bürger Erholung von ihrem Arbeitsalltag und auch das Gefühl eines )v Abenteuers" in der Ferne, andererseits ging es dem Staat weiterhin um eine kulturelle und ideologische Erziehung im Sinne des Sozialismus. Mit dem (Massen-)Tourismus der westlichen Länder teilte der ostdeutsche Tourismus, wie Biernat ausführt, verschiedene Merkmale: Einerseits wird das Reiseziel nur mehr erreicht, nicht mehr durchreist, und die räumliche Entfernung als Möglichkeit zur Fremderfahrung nimmt eine wichtigere Position ein als das eigentliche Unterwegssein. Parallel dazu verschieben sich die Vorstellungsbilder der Urlaubsländer, die ihrerseits das Reiseverhalten beeinflussen und verändern. Die geographischen Besonderheiten des Reiseziels beschränken sich immer mehr auf stereotypisierte Urlaubsvorstellungen und wirken sich so auf eine Reiseerfahrung aus, die nicht mehr die authentische weil neuartig und unbekannt - Fremderfahrung sucht, sondern die Bestätigung eines Images und die Vorstellung von Authentizität, also letztendlich lediglich den Wiedererkennungswert verfolgt (vgl. Biernat 2004: 70ff.). In den 70er Jahren wurde von der S E D „Weltoffenheit" proklamiert, die Reisebeschränkungen wurden aufgelockert und die Visumspflicht für Länder wie Polen und die Tschechoslowakei aufgehoben. Die Reiseintensität wuchs wenn auch die Nachfrage stets größer als das staatliche Angebot war - und mit ihr das Interesse an Reiseliteratur. Z u den Schriftstellern, die das Privileg des Reisens genießen durften, gehörten u.a. Fritz Rudolf Fries, Günter Kunert,

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Franz Fühmann, Ernst Wenig, Helga Schütz, Karl Heinz Jakobs und Adolf Endler. Inmitten der sich hauptsächlich ins sozialistische Ausland richtenden Reisen und Reiseberichte fällt der Spanienbericht Mein spanisches Brevier von Fritz Rudolf Fries auf, der als Reisekader während der 70er und 80er Jahre verschiedene Reisen nach Spanien, Kuba und Polen unternehmen durfte. Fries schließt sich der generellen Tendenz der 70er Jahre an, den Reisebericht quasi als ein persönliches Notizbuch zu gestalten und ihn als Medium der Selbsterfahrung und Selbsterkundung zu gebrauchen. Die persönliche Psychologisierung des Textes und die solipsistische Perspektive ist im Falle von Fries noch intensiver zu erkennen, da sein Reiseziel eng mit seiner familiären Situation zusammenhängt: Fries wurde 1935 als Sohn eines deutschen Kaufmannes und einer deutschen Mutter spanischer Abstammung im baskischen Bilbao geboren, und obwohl er schon mit 6 Jahren nach Deutschland kam, um sich mit seiner Familie in Leipzig niederzulassen, verlor er nie den emotionalen Bezug zu Spanien, seiner Kultur und Sprache und wuchs in einem von beiden Kulturen geprägten Haushalt auf. Bei Werner Krauss und Hans Mayer studierte er Anglistik, Romanistik und Hispanistik und arbeitete nach dem Studium als Ubersetzer, Dolmetscher und Schriftsteller, wobei er besonders aufgrund seiner Ubersetzungen spanischsprachiger Lyrik zu relativ großer Bekanntheit kam. Im Spanischen Brevier von 1979 schildert er seine Erfahrung während zwei Spanienreisen, die er 1976 und 1977 unternahm. Wie der Autor selbst in der Einleitung auf dem Schutzumschlag des Buches unterstreicht, sei ein Brevier „keine Chronik der laufenden Ereignisse". Es handle sich vielmehr um eine „private Kladde", um ein „Notizbuch", dass der Autor wie einen Theaterzettel aus der H a n d gebe und „aus dem ersichtlich werden soll, was da unten, am Fuße der Pyrenäen gespielt wird und wie die Besetzung ist." So ist der Reisebericht auch nicht als Reiseführer zu verstehen oder als kulturelle Analyse Spaniens unmittelbar nach der Franco-Ära. Fries' Auswahl der zu besuchenden Städte erfolgt nicht chronologisch und ist auch nur teilweise kulturell bedingt, sondern geht eher auf familiäre Beziehungen und auf den Wunsch des Autors zurück, Freunde und Bekannte zu besuchen, was ihn aber nebenbei dazu bringt, sich Gedanken über das Land und die „brennenden Tagesthemen" zu machen. So beziehen sich die verschiedenen Kapitel auf Erfahrungen und Gedanken um Barcelona und Granada (die beide zu Beginn und gegen Ende des Breviers erwähnt werden), Madrid, Bilbao und naheliegende Ortschaften, Valencia und die levantinische Küste (der zwei kurze Kapitel am Ende gewidmet sind) und schließlich Toledo und Santiago de Compostela, wobei zwei Drittel des gesamten Breviers Madrid (wo die Tante des Autors mit ih-

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rer Familie wohnt) und der Heimat des Autors, dem Baskenland (Hendaye, Irún, Zarauz, Bilbao, Amorebieta, Guernica, Azpeitia, Rentería, Fuenterrabia, San Sebastián), gewidmet sind. Ähnlich wie bei Koeppen, beginnt auch Fries seinen Bericht mit einem Stierkampfbesuch. Zusammen mit seinen Madrider Cousins befindet sich Fries in Barcelona am Festtag der heiligen Jungfrau der Barmherzigkeit, der Patronin der Stadt, und strömt mit dem hauptsächlich spanischen Publikum in die Arena. W i e in dem gesamten Brevier zu beobachten ist, versucht Fries, Idealisierungen und Stereotypisierungen über Spanien zu vermeiden und begründet viele seiner Besichtigungen und Besuche durch rein familiäre Zustände: Der Stierkampf? Ein spanisches Klischee. Sind wir nach Spanien gekommen, um Klischees aufzuwärmen? Spaniens Himmel, eine durchlöcherte Stierhaut. Das steht in den Gedichten. Und auch der Rest ist Literatur. In Madrid lachen sie uns aus auf die Frage nach den toros. Antonio ist Fußballanhänger. Ricardo ist Fußballanhänger. Alfredo ist Fußballanhänger. Zwei, drei Mannschaften. Da kennt man sich aus. In der Politik dagegen zweihundert Parteien und Gruppen. Die Madrider Cousins wissen dennoch alles über den Stierkampf. Sie haben den Aufstieg des Maurergesellen Benitez aus nächster Nähe beobachten können. Denn der Junge in den geliehenen Hosen ist der Bruder von Encarna. Und Encarna war das Dienstmädchen ihrer Mutter. Heute eine Frau aus der besten Gesellschaft. Meine Tante ist stolz darauf, dass Encarna mit ihr verkehrt. Der Cordobeser, wie sich Benitez in der Arena nannte, wurde Spaniens berühmtester und bestbezahlter Torero. Heute verwaltet er seine Millionen und züchtet Stiere. (Fries 1982: 8) Doch schon bald wird der Ton des Breviers ernsthafter und tiefsinniger und nähert sich einem dem Autor häufig vorgeworfenen schwer verständlichen und aufwändigen Schreibstil. So ist der politische Inhalt des Reiseberichts schwerwiegend und Fries setzt sich wiederholt mit dem Thema des sich langsam und nur zögernd in die Demokratie einordnenden Spaniens auseinander, in dem die Gewalt an der Tagesordnung zu sein scheint. Noch bevor das vierwöchige Visum des Schriftstellers ausläuft, zählt er sechs Tote, „sechsfacher Mord, der neben uns geschah, während wir die Zeitungen lasen im Straßencafe an der Alcalá." (24) Gewalt, die Gewalt, die Gewalt erzeugt? Gewalt kommt als Spur wie eine Lunte direkt aus den Gräbern des Bürgerkriegs. Und es hat die PCE vierzig Jahre gekostet, diesen Graben zu überbrücken. Gewalt in diesem heißen Herbst dient wie stets der Rechten. Der Nationalrat der Bewegung, der Hort der versammelten franquistischen

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Drachen, hat in diesen Herbsttagen über die Reformpläne der Regierung beraten. Es herrschte, wie El País dazu schrieb, eine wahrhaft kriegerische Atmosphäre gegen die Regierung. Die Gralshüter des Generalissimus haben nach dem Anschlag von San Sebastián ein neues Argument, denn in ihren vierzig Jahren hat es den Terror der anderen nicht gegeben. Das Zutrauen der Vertriebenen, Emigrierten in die neuen spanischen Zustände ist in diesem Herbst das Wichtigste, und sie kehren zurück, bekannte Namen, wie der Dichter Alberti, der Maler Renau, tauchen in den Zeitungen auf und werden begrüßt und befragt wie Familienangehörige, die noch viele andere zurückgelassen haben. Die Namenlosen, wo werden sie arbeiten und wohnen können? Cambio

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mittelt ein neuspanisches Selbstbewußtsein, wenn es von Che Guevara als dem Sohn emigrierter spanischer Republikaner spricht, und der Kreis schließt sich mit den Namen berühmter Biologen, Ethnologen, Historiker, die von der Intelligenzfeindschaft des franquistischen Staates in die Welt vertrieben wurden. (25) E n g m i t d e m T h e m a der G e w a l t stehen der politische H i n t e r g r u n d des Bask e n l a n d e s u n d d i e T e r r o r a n s c h l ä g e der E T A i m Z u s a m m e n h a n g . D e r A u t o r greift a u f stilistische M i t t e l w i e D i a l o g e u n d D e b a t t e n z u r ü c k , u m g e g e n ü b e r d i e s e m brenzligen T h e m a eine gewisse D i s t a n z u n d O b j e k t i v i t ä t zu bewahren. I m L a u f e des Breviers w i r d der E T A - K o n f l i k t i m m e r wieder e r w ä h n t ; eine Eig e n s c h a f t , die in der restlichen s p a n i s c h e n Reiseliteratur w o m ö g l i c h a u f g r u n d der heiklen politischen S i t u a t i o n u n d der U n s t i m m i g k e i t diesbezüglich eher selten v o r k o m m t . In d e m K a p i t e l „ E T A o d e r A m A n f a g w a r d i e T a t " t r i f f t sich Fries m i t d e m G e n e r a l s e k r e t ä r der Euskadika

Partidua

Komunista,

ehemaliges

M i t g l i e d des sechsten K o m m a n d o s der E T A , u n d d u r c h ihn präsentiert er d e m Leser die politische L a g e des B a s k e n l a n d e s : Der Widerstand der Etarras, von 1960 an, fand Sympathie im Baskenland. Die Verfolgten wurden in den Gehöften in den Bergen versteckt, und sie bewegten sich zuweilen wie der sprichwörtliche Fisch im Meer der Massen. Jede Beerdigung eines toten f Z ^ - M i t g l i e d e s wurde zur großen Manifestation auch der Arbeiter, denen in Francos horizontalen Gewerkschaften auch der Streik verboten war. Die Widersprüche zeigten sich bald: Anfangs hatten sich die Ideologen der ETA auf ein Wort von Nietzsche berufen, wonach in Europa die Zukunft den nationalen Minderheiten gehören würde, die sich zu neuem Selbstbewußtsein erhöben. Aber die ethische Propaganda der ETA war ja in sich weltfremd, die baskischen Tugenden und Rechte eines Bauernvolks, das seit einem halben Jahrhundert in den Sog der industriellen Revolution hineingezogen wurde und in Großraumgebieten wie Bilbao mit einer Arbeiterklasse aus ganz Spanien zusammenkam. Ihre Haltung zur Arbeiterschaft — das war, wie ETA erkannte, der wunde Punkt der Bewegung. [...]

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Isabel Gutiérrez Koester Heute, sagt Roberto Lertxundi, Generalsekretär der Baskischen Kommunistischen Partei, sind ihre Aktionen unnötig und gefahrlich. ETA muß verschwinden, nicht mit den Mitteln der Repression, sondern indem sie sich in das politische Leben des Landes integriert. Wenn sie meint, sie kenne die Lösungen der baskischen Frage, soll sie mit ihrem Programm hervortreten. (119f.) Dass der Dialog ein besonders relevantes Stilmittel für den Reisebericht ist,

zeigt schon das Zitat, das mottoartig zu Beginn des Buches steht. Es handelt sich dabei u m einen Dialog aus Baltasar Graciáns Meisterwerk El

Criticón

(1658): Andrenio: Was hat dir Spanien für einen Eindruck gemacht? Lästern wir ruhig eine Weile darüber, hier, wo uns doch niemand hören kann. Critilo: Und selbst, wenn man uns hörte: Die Spanier sind zu großmütig, als daß sie unser Gerede zum Verbrechen anrechnen würden. Sie sind nicht so mißtrauisch wie die Franzosen, sie haben ein weites Herz. Andrenio: Sage mir also, was hast du dirfür einen Begriff von Spanien gebildet? Critilo: Keinen üblen. Andrenio: Also einen guten? Critilo: Auch nicht. Andrenio: Demnach, weder gut noch übel? Critilo: Das sage ich auch. Andrenio: Wie denn? Critilo: Einen bitter-süßen Eindruck. (Fries 1982: 5) Fries beschreibt häufige Diskussionen und Debatten mit anderen Spaniern u n d mit Angehörigen seiner Familie. Die Familie selbst stellt gewissermaßen einen Mikrokosmos der spanischen Gesellschaft dar, die aus der politischen Verschiedenartigkeit der postfranquistischen Zeit zutage tritt. Das Fragen u n d Diskutieren wird so zum ausschlaggebenden Indiz der objektiven u n d auf flache Idealisierungen verzichtenden Auseinandersetzung mit d e m neuen Spanien: „Der Caudillo ist noch kein Jahr unter M a r m o r u n d Fels auf ewig ins Nichts versenkt worden, da k o m m t alles zur Sprache, worüber ein Menschenalter geschwiegen wurde." (18) Neben den laufenden Ereignissen in einem Land, das aus der Diktatur in eine Demokratie mit Referendum u n d Wahlen will, beschäftigt sich der Autor öfters mit seiner Vergangenheit und setzt sich emotional mit Spanien als seinem Geburtsland auseinander. Kindheitserinnerungen ü b e r k o m m e n ihn häufig. Schließlich ist das Brevier Reflex von Fries' Suche „nach der verlorenen Zeit"

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seiner Familie und so weckt die Wiederkehr in seine Geburtsstadt 35 Jahre später in ihm viele Gedanken und Gefühle. Seit sein Großvater um 1900 aus Leipzig nach Bilbao emigrierte, um dort zu heiraten und sich niederzulassen, ist viel Zeit vergangen, und das sieht man auch der Stadt an. Schon 1976 findet man hier Anzeichen des sich entwickelnden Massentourismus, der die Strände mit Luxushotels verbaut hat, was den Autor zutiefst schockiert: Die Erwartung auf überraschend sich ö f f n e n d e kleine Meeresbuchten wird enttäuscht, wenn der Blick sich zwischen Superhoteis hindurchschlängeln muß. Das verträumte Pasajes am Wege, romantisches Ausflugsziel in den Erzählungen der Großmütter, am Hang des Fischrestaurants, die stille Bucht zwischen den Bergen, es ist eine Großstadt geworden, wie aus Texas herangefahren, mit Baugruben zwischen den Gerüsten für Banken und Hochhäuser, mit Strandhotels und Promenaden. (93)

Im Gegensatz dazu findet der Alltag der sozialen und politischen Gegenwart des Autors in der DDR kaum Niederschlag in dem Brevier. Anders als bei vielen DDR- (Reise-) Schriftstellern, ist die stark didaktische Komponente bei Fries kaum zu erkennen, und ideologische Klischees werden weitgehend vermieden. Das Brevier kann demnach nicht zur propagandistischen DDR-Literatur gezählt werden, die dem sozialistischen Ideal und der Behauptung des Regimes dienen sollte. Fries schwieriges Verhältnis zur Kulturpolitik der SED hatte schon 1966 gravierende Folgen, als der Autor beschloss, seinen ersten Roman, Der Weg nach Oobliadooh, im westdeutschen Suhrkamp Verlag zu veröffentlichen. Die Unzufriedenheit vieler renommierter Schriftsteller aufgrund der Ansprüche des Bitterfelder Weges eskalierte gegen Ende der 60er Jahre, und bei Fries hatte sein Vorgehen, das nicht dem offiziellen Kunstkanon und den Richtlinien des sozialistischen Realismus entsprach, seine sofortige Entlassung aus der Berliner Akademie und seine gesellschaftliche Isolierung zur Folge. Erst in den 70er Jahren, mit dem Amtsantritt Honeckers und seiner progressiven Liberalisierung der schriftstellerischen Tätigkeiten, gelang es Fries, sich definitiv zu rehabilitieren und endlich in den Schriftstellerverband aufgenommen zu werden. Dass Fries nie als ein die DDR repräsentierender oder legitimierender Schriftsteller galt, erklärt auch den leicht provokativen Ton des letzten Kapitels des Breviers, „Nachsatz: Lebenslehre oder Die Passionen der aufklärerischen Seele", das nichts mehr mit der Spanienreise zu tun hat, sondern seinem ehemaligen Lehrer und Mentor Werner Krauß gewidmet ist und vorsichtig von den offiziellen DDR-Kunstauffassungen Abstand nimmt. 1995 stellte sich dann überraschenderweise heraus, dass Fries zwischen 1976 und 1985 als IM (inoffizieller Mitarbeiter) des Minis-

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teriums für Staatssicherheit tätig war, was seinen sofortigen Austritt aus verschiedenen kulturellen Vereinigungen (Akademie der Künste, P.E.N.-Zentrum) zur Folge hatte. Zweifelsohne hatte diese Tätigkeit dazu beigetragen, seine häufigen Reisen ins Ausland zu ermöglichen, ist aber dafür verantwortlich, dass der Autor seitdem versucht, seinen Ruf wieder herzustellen und mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit alle Bedenken bezüglich seiner literarischen Kapazität aus dem Weg zu schaffen.

HANS-JÜRGEN HEISE & ANNEMARIE ZORNACK:

DER MACHO UND DER KAMPFHAHN

(1987)

Hans-Jürgen Heise wurde 1930 in Bublitz (Pommern) geboren und arbeitete 35 Jahre lang als Archiv-Lektor am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Obwohl er die Literatur nie zu seinem Hauptberuf machte, erreichte er als Lyriker große Bekanntheit, aber auch die tiefgründigen und reflektiven Reiseessays über die spanische und lateinamerikanische Kultur, Literatur und Geschichte haben Beachtung gefunden. 1968 unternahm Heise seine erste Spanienreise. Der Macho und der Kampfbahn. Unterwegs in Spanien und Lateinamerika umfasst diese erste Reiseerfahrung zusammen mit weiteren, die er mit seiner zweiten Frau, Annemarie Zornack, zwischen 1968 und 1986 unternahm. 7 Schon in der Vorbemerkung zum Buch wird die Absicht dieser Reisebeschreibung deutlich, indem das Schriftsteller-Ehepaar auf den Unterschied zwischen Reise und Tourismus aufmerksam macht und sich selbst eindeutig als Reisende einordnet: Ziel allen Reisens ist nicht das A n k o m m e n , sondern das Unterwegssein. Hier liegt der Unterschied z u m T o u r i s m u s , bei d e m etwas schon vorher Umrissenes anvisiert u n d - vorübergehend - in Besitz g e n o m m e n wird. D e r Reisende will, anderes als der Urlauber, keine Ferien v o m Ich machen, sondern sich selber einbringen: als eine Art Erfahrungssonde, die in eine f r e m d e G e g e n d , in ein anderes Kulturmilieu, eindringt.

7

Weitere Titel, die sich mit Reisen durch Spanien und der spanischen Kunst befassen, sind

Die zwei Flüsse von Granada. Reisen durch Spanien, Nordafrika und Madeira (Ciaassen, 1976) und Bilder und Klänge aus al-Andalus. Höhepunkte spanischer Literatur und Kunst (Neuer Malik Verlag, 1986).

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W o der Tourist Genuß und Selbstbestätigung auf der Grundlage festgelegter Übereinkünfte sucht, nimmt der Reisende Unwägbarkeiten, Anstrengungen und bisweilen sogar Gefahren in Kauf. (Heise und Zornack 1987: 7)

Sucht der Urlauber im Grunde nichts weiteres als Erholung, Spaß oder Abwechslung, so sucht der Reisende die kulturelle Bereicherung, das Abenteuer einer neuen Umwelt mit ihren Überraschungen. Das Autorenpaar Heise-Zornack besaß fxir diese Art von Reise die besten Voraussetzungen, denn als Schriftsteller bzw. Lyriker verfugten sie über die notwendige Sensibilität, sich neuen Eindrücken und Empfindungen gegenüber zu öffnen und dem Unvorhersehbaren mit Neugierde zu begegnen. Große Belesenheit und ein kosmopolitisches Literaturverständnis trugen weiterhin dazu bei, aus dem Reisebericht eine nachdenkliche und tiefgründige Reflexion zu machen. Heise und Zornack bereisen Spanien zum ersten Mal zu einem Zeitpunkt, als das Land erst zögernd aus seiner Lethargie und langjähriger Isolierung tritt und können dadurch den Kontrast zu Deutschland besser erkennen und nachvollziehen: Als wir 1968 zum erstenmal nach Spanien fuhren, haben wir, jeder auf seine Weise, nach einem Land gesucht, das Ahnliches, aber auch Entgegengesetztes parat hielt wie das, was wir in der Kindheit kennengelernt hatten. W i r konnten Traum und Trauma wiederholen - in einer Umgebung, die zivilisatorisch so rückständig war wie das kleinstädtisch-ländliche Deutschland der dreißiger Jahre, in dem wir aufgewachsen sind. (7f.)

Immer häufiger mit Umweltsünden konfrontiert, Zeugen der systematischen Zerstörung der Natur und der Folgen einer durch den Konsum und den Bauwahn zerbröckelnder Zivilisation, ist das Ehepaar in Spanien auf der Suche nach Gebieten, die noch ihr Uraroma besitzen und nicht dem Wahn der modernen Zeiten verfallen sind. „Schritte ins touristische Abseits" nannten Hans-Jürgen Heise und Annemarie Zornack ihre späteren Reisenotizen aus Spanien, Marokko, der algerischen Sahara und Madeira, und gerade das suchten sie auf dieser ersten Spanienreise. Bevor diese Gegenden ihrem definitiven Untergang entgegengehen, finden sie ihren Platz in Heises Reisebericht, in der Hoffnung, ihre Eigenheiten für zukünftige Generationen festzuhalten, die nicht mehr die Möglichkeit haben werden, sie zu besuchen und zu erfahren. Der melancholische Stillstand des Landes ist jedoch in jedem Kapitel spürbar und das Gefühl, dass dieses Spanien nur noch Konturen einer Übergangsepoche darstellt, macht sich im Leser breit.

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Isabel Gutiérrez Koester Erst in der Ära des Generalísimo wurde die spanische Wirtschaft weitgehend in die Strukturen der Weltwirtschaft integriert. Große Kapitalströme flössen ins Land, die internationalen Multis errichteten Filialen, und der Nato wurden Militärbasen zur Verfügung gestellt. Außerdem gab Franco, von den Mitgliedern seines gewinnsüchtigen Familienclans beeinflußt, sein Einverständnis zum Ausverkauf der Landschaft. Die Küsten wurden denaturiert, überbaut. Alte Ortschaften wie Benidorm und Torremolinos, die von einem einzigartigen Ambiente erfüllt waren, stehen als Synonyme für architektonische Scheußlichkeiten und Urlaubsleben von der Stange. Heute gibt es nur noch ganz wenige Strände in Spanien, an denen nicht Wolkenkratzer den gesamten Platz zwischen Meer und Küstengebirge einnehmen. Der Fortschritt, jahrhundertelang von der iberischen Halbinsel verbannt, ist mit der Gewalt eines Orkans hereingebrochen und hat überall seine Spuren hinterlassen. Autos drängen sich in kleinen pueblos durch Gassen, die dazu da waren, ein paar Mulis durchzulassen. Aus dem Innern von Bars, aus denen man früher nichts als das Surren des Ventilators und das Klappern von Dominosteinen gehört hat, brüllen Musikautomaten. Die Jugend kurvt auf der plaza mit Motorrädern herum, wartend, daß endlich die Disko aufmacht. Die schwarzgekleideten Frauen, die bis vor wenigen Jahren Spanien buchstäblich verkörperten, sind zu seltenen Erscheinungen geworden. Hin und wieder huscht noch ein solches Mütterchen über die Straße, rüber ins Haus des Enkels, der in Deutschland gearbeitet hat und in dessen Wohnzimmer J. R. Ewing wieder mal seinen Bruder Bobby reinlegt. (23f.) Das Ehepaar steht dem sich modernisierenden Spanien also äußerst kritisch

gegenüber und versucht mit seinen Exkursionen in abgelegene und vom Tourismus noch verschonte Dörfer und seiner Anpassung an typisch spanische Lebensweisen noch einen Rest des authentischen Spaniens zu erhaschen. Doch allzu oft ist tiefe Enttäuschung zu spüren, weil die Prosa, die einst Autoren wie Gabriel Miró, Azorín oder Unamuno und andere über Spanien schrieben, nicht mehr der Realität entspricht. Heise und Zornack suchen vergeblich eine Utopie: den unzeitlichen und von der Geschichte verschonten Mythos Spanien. Diese Welt, in der das Gefühl durch einfache, aber unverrückbare Dinge gedeckt wurde und in der sich die Sprache ihre Lust am Konkreten holte, ist längst unter Urbanisationen und Asphaltbändern verschwunden, und die Reste, die noch von der Landschaft übrigblieben, wirken unscheinbar, rudimentär. [...] Das alte Spanien der brunnentiefen Gärten und der einsamen Küsten ist längst ein Mythos geworden, ein aus zeitlicher Ferne anklingender exotischer Akkord, eine nostalgisch eingefärbte Reminiszenz.

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W e n n Salvador D a l i in Erinnerung an seine Kindheit das Mittelmeer als ein blaues Tuch gemalt hat, dessen einer Zipfel von einem nackten K i n d gelüpft wird, das verborgene G e h e i m n i s s e aufspüren will, so ist das Mediterráneo mittlerweile nichts als ein überfulltes Planschbecken, in d e m Sportler herumschnorcheln u n d in das hinein m a n i m m e r m e h r Stadt- u n d Industrieabwässer leitet, w ä h r e n d m a n die Fischbestände dezimiert u n d nicht mehr nachzuzüchtende Pflanzenarten ausrottet. (29f.)

Es ist fraglich, ob es dieses Spanien, das die Eheleute so lamentierend in ihr Gedächtnis zurückrufen, jemals gegeben hat, oder ob es nicht Produkt der schwärmerischen literarischen Phantasie der Autoren ist. Der Schreibprozess verwandelt sich bei Heise und Zornack tatsächlich in eine geistige Reise. Schreiben ist Reisen ohne Gepäck nannte Heise seine autobiographischen Essays über imaginäres Reisen um die Erde, und tatsächlich entsteht beim Lesen dieser Spanienreise häufig das Gefühl, einer imaginären, philosophischen Reise beizuwohnen. Heises prüfende Betrachtung und sein Interesse am Erforschen struktureller Zusammenhänge wird besonders in den Kapiteln deutlich, die er einer tiefgreifenden Reflexion über Spaniens Vergangenheit und Zukunft widmet. Beschrieben wird dabei nicht nur die geographische und folkloristische Landschaft, sondern vor allem die geistige Landschaft, was dieses Buch von den meisten herkömmlichen Reisebeschreibungen des 20. Jahrhunderts unterscheidet. Auch die Überschriften einiger Kapitel wie „Meditationen in Tarifa" oder „Von zeittiefen Gärten und einsamen Küsten" deuten daraufhin, dass es um mehr als um eine einfache Landschaftsbeschreibung geht. Ein großer Teil der Kapitel ist jedoch der lyrischen Vergangenheit Spaniens gewidmet. „Tragt mich zum Friedhof in alten Schuhen" berichtet von der Exkursion des Ehepaars nach Orihuela, Geburtsstadt des Dichters Miguel Hernández, und beschreibt seinen leidvollen Lebensgang bis hin zu seinem Grab in Alicante, was das Ehepaar anhand der (übrigens ungenauen) 9 Ubersetzung zweier seiner Verse metaphorisch zum Ausdruck bringen möchte. Das Kapitel „Das Andalusien Federico García Lorcas" ist in 10 Unterkapitel aufgeteilt, die alle auf den tragischen Lebenslauf und das Werk des Dichters eingehen. Die Besichtigungen, die Heise und Zornack auf der Suche nach den Spuren Lorcas machen, sind nicht für Durschnittsreisende gedacht. Kleine und sonst unbedeutende Ortschaften wie Fuente Vaqueros, das Geburtsdorf des 8 Hans-Jürgen Heise (1994): Schreiben ist Reisen ohne Gepäck: Auskünfte über mich selbst. Kiel: Neuer Malik Verlag.

' Die spanischen Verse lauten "Llevadme al cementerio / de los zapatos viejos", was so viel bedeutet wie „Bringt mich zum Friedhof der alten Schuhe".

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großen spanischen Dichters, sind nur für Kenner und Intellektuelle von Bedeutung und erfahren durch Heises Gedankentiefe vielmehr eine literarische als eine kulturelle Bedeutung. Uberhaupt werden spanische Schriftsteller, vornehmlich Poeten, ständig erwähnt, und die gesamte Spanienreise baut sich auf literarischen Wegen mit Hilfe zahlreicher Zitate auf. Auf der Rückseite des Schutzumschlags ist schließlich zu lesen, dass es sich um „ein Reisebuch [handelt], das die Tradition der großen literarischen Reisebeschreibungen in moderner Form aufnimmt". Das Ehepaar schreibt, ganz in der Tradition des romantischen Reiseberichts, tiefgründig, sachlich, reflektierend, erzählend und nachdenklich, so dass als Endresultat ein literarisch anspruchsvoller Reisebericht entsteht, der nicht ein unterhaltsamer und praktischer Reiseführer zu sein sucht, sondern mit seinen intimistischen Reflexionen und historisch umfangreichen Kenntnissen, zusammen mit seinem akademischen Stil, eine gehobene literarische Qualität anstrebt.

HAPE KERKELING: ICH BIN DANN MAL WEG ( 2 0 0 6 )

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts scheint eines der seit dem Mittelalter beliebtesten Reiseziele in Spanien wieder Hochkonjunktur zu haben, und zwar die Pilgerschaft nach Santiago de Compostela, der Camino de Santiago, der in den letzten dreißig Jahren einen großen Aufschwung erlebt hat. Diese Tatsache lässt sich auf verschiedene Gründe zurückführen: Der Europarat hatte im Jahre 1987 die Wege der Jakobspilger in ganz Europa zur ersten europäischen Kulturstraße (Cultural Route) erhoben, und 1993 wurde der spanische Hauptweg in das UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit aufgenommen. 1998 erhielten auch die vier im Liber Sancti Jacobi beschriebenen französischen Wege diesen Titel. Das führte dazu, dass die Pilgerfahrt wiederbelebt wurde - europaweit. Dann fand im Jahre 2006 ein literarisches Phänomen statt, das die Zahl der deutschen Pilger auf unglaubliche Weise vervielfachte: Ich bin dann mal weg Meine Reise auf dem Jakobsweg, von dem deutschen Komiker und TV-Entertainer Hape Kerkeling, beschreibt seine persönliche Reise auf dem Jakobsweg vom 9. Juni bis zum 20. Juli 2001 und ist mit einer Auflage von über drei Millionen verkaufter Exemplare das bisher meistverkaufte deutsche Sachbuch in der Geschichte der BRD. Das Buch wurde über Nacht zum Verkaufserfolg. Uber zwei Jahre stand Kerkelings Erleuchtungswerk auf dem ersten Platz der Bestsellerlisten von Spiegel und Focus. Die direkte Folge: Die Zahl der Wallfahrer aus Deutschland und Os-

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terreich verdoppelte sich fast ein Jahr später. Nach Angaben des Pilgerbüros in Santiago stieg die Zahl der Pilger von 8 0 0 0 im Erscheinungsjahr auf knapp 14.000 ein Jahr danach. Ihr Zuwachs von 2 0 0 6 auf 2 0 0 7 entsprach in realen Zahlen dem Anstieg für die sieben vorausgegangenen Jahre 1999-2006. 1 0 Damit waren zwölf Prozent aller Pilger, die in Santiago ankamen, Deutsche. Noch vor wenigen Jahren wurde der Camino Francés, wie die Strecke von der spanisch-französischen Grenze in den Pyrenäen nach Santiago de Compostela heißt, von nur wenigen Menschen erkundet. Im Jahr 1987 gingen knapp 3000 Pilger auf Wanderschaft, 20 Jahre später waren es 114.000. Schriftsteller wie der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho mit seinem Tagebuch einer Pilgerreise (1987) oder die Spirituelle Reise von Hollywood-Star Shirley MacLaine (2000) verhalfen dem Weg zu weltweiter Bekanntheit, aber für die Deutschen war Kerkeling ausschlaggebend. März 2007 erhielt das Buch den I T B Buch Award für das beste literarische Reisebuch. Noch im Dezember 2008 stand das Buch auf Platz 4 der Bestsellerliste des Spiegels; das Hörbuch, vom Autor selbst gelesen, war zu diesem Zeitpunkt auf Platz eins der Hörbuch-Charts und für das Jahr 2 0 0 9 war die Verfilmung unter der Regie von Florian Henckel von Donnersmarck geplant. Was hat diesen Reisebericht so erfolgreich und beliebt gemacht? Wer den Komiker kennt und sich von dem Buch eine schriftliche Variante seiner comedy shows verspricht, wird womöglich enttäuscht sein. Kerkeling schreibt autobiografisch, in erster Person und setzt sich im Laufe seiner Wanderung, mit etwas Humor gespickt, mit recht tiefsinnigen und metaphyischen Gedanken auseinander. Schon die Frage, die Kerkeling noch vor seine Widmung plaziert, deutet darauf hin, was der Leser im Laufe seiner Lektüre finden wird: „Der Weg stellt jedem nur eine Frage: ,Wer bist du?'" (Kerkeling 2006: 5) Gesundheitliche Probleme (ein Hörsturz und die Entfernung der Gallenblase) und ein extrem stressiger Arbeitsrhythmus bringen den Komiker an seine physischen und seelischen Grenzen, und so beschließt er, fast rein intuitiv und ohne sich wirklich erklären zu können, warum, den gesamten Weg von SaintJean-Pied-de-Port bis nach Santiago de Compostela alleine zu laufen und dort Antwort auf diese und noch auf eine andere Frage zu finden: Seit meiner frühesten Kindheit beschäftigt mich die Frage nach dem großen unbekannten Wesen. Als Achtjähriger habe ich es wirklich genossen, in den Kommunionsunterricht zu gehen, und ich erinnere mich bis heute noch genau an das, was

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d o r t gelehrt w u r d e . Ä h n l i c h g i n g es m i r später im Beicht-, Religions- u n d F i r m unterricht. M i c h musste n i e m a n d d o r t h i n zerren; was im Übrigen auch keiner getan hätte, da ich keiner streng katholischen Familie e n t s t a m m e . M e i n Interesse an allen religiösen T h e m e n war bis zu m e i n e m Abitur ziemlich groß. [...] Als K i n d hatte ich nie den leisesten Zweifel an der Existenz Gottes, aber als vermeintlich aufgeklärter Erwachsener stelle ich mir heute durchaus die Frage: G i b t es G o t t wirklich? Was aber, w e n n d a n n am E n d e dieser Reise die A n t w o r t lautet: N e i n , tut mir sehr Leid. D e r existiert nicht. D a gibt es N I C H T S . G l a u b e n Sie mir, Monsieur! K ö n n t e ich d a m i t u m g e h e n . M i t Nichts? W a r e d a n n nicht das gesamte Leben auf dieser ulkigen kleinen Kugel v o l l k o m m e n sinnlos? N a t ü r l i c h will jeder, m u t m a ß e ich, G o t t finden ... oder z u m i n d e s t wissen, o b er d e n n n u n da ist... oder war ... oder noch k o m m t . . . oder was? Vielleicht wäre die Frage besser? W e r ist Gott? O d e r w o oder wie? In der Wissenschaft wird das doch auch so ähnlich gemacht. Also stelle ich die H y p o t h e s e auf: Es gibt Gott! Es wäre doch sinnlos, meine wertvolle begrenzte Zeit d a m i t zu verplempern, nach etwas zu suchen, was am E n d e vielleicht gar nicht da ist. (20f.)

Als traditionell christlicher Pilger versteht Kerkeling sich nicht, eher „als einen Buddhisten mit christlichem Uberbau", und damit scheint er den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Im Mittelalter gingen die Menschen den Jakobsweg auf der Suche nach Seelenheil und Ablass von den Sünden. Auch die Hoffnung auf eine wunderbare Heilung oder das Pilgern zur Buße oder aus Reue, zur Erfüllung eines Gelübdes oder zur Heiligenverehrung waren wichtige Beweggründe. Eine Jakobspilgerschaft zählte so viel wie die Teilnahme an einem Kreuzzug. Heute sind viele der rund 100.000 Pilger jährlich nicht unbedingt auf der Suche nach Gott, sondern nach sich selbst oder nach einer undefinierbaren Spiritualität. So sind auch die Statistiken zu deuten. Waren es in den 80er und 90er Jahren religiöse Gründe, die die Pilger bewegten, so sind es heute hauptsächlich „religiös-kulturelle"", was immer das auch bedeuten soll. Eine Art „postmodernes Christentum" 12 scheint dieses deutsche Pilgerfieber heute am besten zu beschreiben, und Hape Kerkeling hat mit seinen Erfahrungen genau das zum Ausdruck gebracht. Das Ziel ist heute also dasselbe, nur die Motive sind so verschieden wie die Pilger. 11

(12.Dezember 2008) März, Usula, „Kiosk Kerkeling", in: Zeit online, 10.01.2008, (12. Dezember 2008) 12

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Als Reiseführer kann der R o m a n daher als solches nicht verstanden werden, und Kerkelings Hauptinteresse gilt, wie das aller Pilger, vornehmlich den praktischen Aspekten der Ortschaften: Unterkunft, Verpflegung, Verarztung und Ahnliches sind die Pilgerprioritäten. Andererseits sucht der Pilger in der Landschaft u n d in den Ortschaften, die er durchwandert, viel mehr die spirituelle Seite als historische und kulturelle Sehenswürdigkeiten, zumal der Weg ja durch winzige Dörfer und hauptsächlich einsamen Pfaden entlang führt: Sobald man Navarrete hinter sich läßt, fuhrt der Jakobsweg durch sanfte Weinberge auf den Höhenpass Alto de San Anton. Von hier aus erhascht man einen ersten Blick in das berühmte Tal der „Steinmännchen". Mit zugekniffenen Augen sieht man, was aussieht wie eine erstarrte Pinguin-Kolonie. Jeder Pilger baut hier nämlich ein kleines Steinmännchen aus den überall in der ebene herumliegenden Findlingen. [...] Am Ende der Ebene baue ich mein eigenes kleines Steinmännchen. Meine Wegwerfkamera bleibt im Rucksack, denn ich entscheide mich dafür, kein Foto zu machen. Ein solches Bild würde eh niemand begreifen. Würde ich jemand ein Foto von diesem Tal zeigen, würde er wahrscheinlich sagen: „Und, was ist das, verglichen mit den Niagarafällen?" Dieser Ort gibt nur dem Pilger Kraft; und nur für den ist es ein besonderes Tal. Auf einer Kuppe angekommen, bietet sich mir ein majestätischer Blick auf die ehemalige Königsresidenz Näjera. Und während ich so in das Tal schaue, denke ich: Was würde ich jetzt dafür geben, mich hier an diesem Platz mit einem guten Freund in meiner Sprache auszutauschen? [...] Ich bin mehr als erstaunt, als ich lese, was da steht. Ein Gedicht nämlich - und zwar auf Deutsch! Nur auf Deutsch! Der anonyme Dichter beschreibt seine Gefühle während der Pilgerreise und zwar ungefähr so: Warum tue ich mir den trockenen Staub in meinen Mund, den Matsch an meinen schmerzenden Füßen, den peitschenden Regen und die gleißende Sonne auf meiner Haut an? Wegen der schönen Städte? Wegen der Kirchen? Wegen des Essens? Wegen des Weins? Nein. Weil ich gerufen wurde! Wahrend ich das Gedicht, müde und von oben bis unten eingestaubt, lese, kann ich nicht anders: Ich glaube jedes Wort! Was da steht, ist auf mysteriöse Weise wahr. Das Pilgern entspricht mir! Ich fühle mich pudelwohl in meiner Haut! (71 ff.)

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Isabel Gutiérrez Koester Stößt der A u t o r dann aber auf historische Denkmäler, wie z.B. das zum

Weltkulturerbe gehörende und in ein Hotel umgewandelte Benediktinerkloster Real Monasterio San Zoilo in Carrion de los Condes, so dienen diese ihm erneut als Meditationsansatz und tiefsinnige Inspirationsquelle: Beim Spazieren durch den großen menschenleeren Kreuzgang kommt mir wieder in den Sinn, dass auf dem Jakobsweg die Außenwelt oft mein Innenleben widerspiegelt. Allerlei skurrile Figuren und Symbole sind in die Säulen gemeißelt. Also frage ich mich: „Welche Bedeutung hat der Kreuzgang dieses Klosters für mich? Was erzählt er über mich?" Ich setze mich auf eine Bank in den Schatten und betrachte in aller Ruhe die Säule vor mir. Ein Totenkopf glotzt mich an. Das passt, denn ich bin todmüde und dadurch sehr gelassen, also wehre ich mich nicht gegen die nun aufsteigenden Assoziationen. Totenkopf... Ich kann hier also über das Sterben und den Tod nachdenken? Mein Blick geht hinauf zur großen Turmuhr; sie steht. Die Zeit steht hier also. Ich kann mir also Muße zum Meditieren nehmen. (143) Letztendlich ist der gesamte Weg als Sinnbild des eigenen Lebens zu verstehen, und so bekennt es auch Kerkeling am Ende seiner Reise, als er nach endlosen Qualen triumphierend die Kathedrale in Santiago betritt und seine Pilgerurkunde abholt: Mein Pilgerweg lässt sich nun wie eine Parabel meines Lebensweges deuten. Es war eine schwierige Geburt, was bei mir tatsächlich zutrifft. Am Anfang des Weges und in meiner Kindheit finde ich schwer zu meinem Tempo. Bis zur Mitte des Lebensweges begleiten mich, bei aller dazugewonnenen positiven Erfahrung, Irrungen und Wirrungen und ich gerate ab und zu aus dem Tritt. Aber etwa ab der Hälfte des Weges marschiere ich frohgemut dem Ziel entgegen. Fast scheint es so, als würde der Camino mir gnädigerweise sogar einen vorsichtigen Blick in meine Zukunft gewähren. Heitere Gelassenheit könnte doch ein echtes Ziel sein! Jeder einzelne Wandertag war ebenso strukturiert wie der gesamte Camino. Das Detail ist das Abbild vom Ganzen. Ein ist in Allem und Alles ist in Einem. [...] Dieser Weg ist hart und wundervoll. Er ist eine Herausforderung und eine Einladung. Er macht dich kaputt und leer. Restlos. Und er baut dich wieder auf. Gründlich. Er nimmt dir alle Kraft und gibt sie dir dreifach zurück. Du musst ihn alleine gehen, sonst gibt er seine Geheimnisse nicht preis. (342f.) Es geht hier nicht um kulturelle Besichtigungen, auch nicht um das Kennenlernen spanischer Sitten, Bräuche, Feste und Leute. Die meisten Bekanntschaften, die Kerkeling im Laufe seiner fast sechswöchigen Wanderschaft macht,

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k o m m e n nicht aus S p a n i e n , s o n d e r n aus E n g l a n d , F i n n l a n d , Neuseeland, S c h w e d e n , usw., u n d die U n t e r k ü n f t e u n d Lokale, die er besucht, sind auch nicht repräsentativ für die Gegend, sondern stellen häufig die einzige Möglichkeit dar, ein Bett für die Nacht oder eine halbwegs warme Mahlzeit zu

finden.

D e r Zweck des Weges ist, sich selbst zu finden. „Das Beten mit den F ü ß e n " ist im Land der Wanderer inzwischen zum deutschen Volkssport geworden, ruft aber trotzdem immer noch Besinnlichkeit und berührende Begegnungen hervor, auch wenn der Einfluss des Herrn Kerkeling so groß war, dass die „authentischen", also die genuin christlichen Pilger den Massenbewegungen nach Santiago mit gemischten Gefühlen gegenübertreten. D e n n mit Kerkelings Erfolg begann im deutschsprachigen R a u m das Pilgerrennen. Busreisen und Billigflüge, organisierte Fahrten für Individualisten oder Gruppentouren werden mittlerweile angeboten — eine Entwicklung, die J o c h e n S c h m i d t k e vom Paderborner Freundeskreis der Jakobspilger m i t gemischten Gefühlen betrachtet: „Der W e g droht zu kollabieren." Einsames Wandern gebe es kaum mehr, die Herbergen würden überrannt. Auch der Konkurrenzgedanke beflügele mittlerweile viele Wanderer. „ D a gibt es M e n s c h e n , die sich 4 0 Kilometer am Tag vornehmen - und sprechen dann vom W u n s c h nach Entschleunigung in ihrem L e b e n " . 1 3 D i e persönliche Erfahrung, die Herausforderung und Bereitschaft, sich mit dem Unbekannten stets a u f N e u e auseinanderzusetzen und in jeder Reise etwas wirklich Fremdes zu erfahren, ist zunehmend der organisierten, kataloggerechten und risikofreien Reise gewichen. So geht der Trend, den das profane Pilgern gesetzt hat, so weit, dass inzwischen der C a m i n o als attraktives touristisches Reiseziel verkauft wird, wo auch der G o u r m e t , der Gehfaule oder der gesundheitsbewusste Tourist nicht zu kurz k o m m e n . So ist im Reisemagazin des Spiegels zu lesen: „Schnupperpilgern mit Highlight-Hopping, am A b e n d ein , M e n ü in der Jakobsmuschel': Deutsche a u f Sinnsuche machen den Leidensmarsch zur Wellnesstour." 1 4 Diese Verallgemeinerung und Frivolisierung schlägt sich auch in der literarischen Produktion zu dem T h e m a nieder. D i e Literatur über den C a m i n o und das Pilgern ist so vielfältig und überwältigend, dass man den Überblick leicht verliert und nur noch selten von einer bildenden Reiseliteratur sprechen kann. Es geht dabei meist um praktische Tips anbietende Wanderfuhrer, die dem Pil13 Heise, Jens, „Drei Millionen Deutsche sind ,dann mal weg'": In: Jakobuswege. Pilgermagazin im Internet, (12. Dezember 2008) 14 Wensierski, Peter, „Pilger-Boom in Deutschland. Es muss weh tun". In: Spiegel Online Reise, 30.08.2008, (12. Dezember 2008)

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ger und seinen besonderen Zuständen auf seiner Reise helfen sollen. So ergibt eine rasche Suche im Internet folgende Titel als Beispiel:

Abenteuer Jakobsweg. Mit Kind und Pferd quer durch Europa Auch Santiago hatte einen Hund. Auf dem Jakobsweg von der Bretagne bis Saint-Jean-Piedde-Port— in Erinnerung an Ajiz. Mit praktischen Tipps: mit Hund auf dem Jakobsweg Mit Pinsel, Stift und Pilgerstab nach Santiago de Compostela Der Jakobsweg. Mit dem Fahrrad nach Santiago de Compostela Radwandern - Jakobsweg. Von Pamplona nach Santiago de Compostela Gemeinsam auf dem Jakobsweg. Eine Familie pilgert nach Santiago Mein Jakobsweg. Kulinarische Wanderung auf heiligen Pfaden Mein Jakobsweg 2007als Insulin-Diabetiker (ICT) und nach Schlaganfall Muscheln am Weg. Mit dem Esel auf dem Jakobsweg durch Frankreich Häufiger geht es dabei nur um persönliche Tagebücher oder Erfahrungen, ohne große literarische Ansprüche, denn die Bücher machen ihre Autoren ja nicht gleich zu Schriftstellern. Man stößt in diesem Kontext auf Titel wie

Chorizo, Sirenen und wilde Gänse Der Jakobs weg - Ein Tagebuch Die Tänzerin auf den Straßen - mein Jakobsweg Der Jakobsweg - Begegnungen mit besonderen und sonderbaren Menschen 35 Tage Freiheit und Qual auf dem Jakobsweg Der Jakobsweg und ein Versprechen. Eine Brieferzählung Ein Mecklenburger auf dem Jakobsweg Erst mal bis zur nächsten Kuh... Ein Karlsruher Pfarrer auf dem Jakobsweg Allein auf dem Jakobsweg Und dann kommen noch einige Besonderheiten hinzu, die wohl kaum noch zum literarischen Reisebericht gezählt werden können:

Die Pilgerküche auf dem Jakobsweg Opa geht den Jakobsweg. Schönheit der Nächstenliebe Oma ist dann mal wech. Meine Erlebnisse auf dem Jakobsweg Zwei Rentner auf dem Jakobsweg Rendez-Vous am Jakobsweg. Vergnügliches Wandertagebuch Neben der Pilgerliteratur und dem Phänomen Hape Kerkelings kann man eigentlich nur noch wenige Ausnahmen finden, die dem traditionellen bzw. romantischen Begriff der Reiseerfahrung nahekommen. K o m m t es bei anderen

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Ländern weiterhin zu literarischen Vorlieben, so wie bei Dieter Kühn mit Westafrika (Beethoven oder der schwarze Geiger, 1990), Sten Nadolny oder Georg Ransmayr mit der Arktis {Die Entdeckung der Langsamkeit, 1983 / Die Schrecken des Eises und der Finsternis, 1984), Raoul Schrott, Urs Widmer, Uwe Timm oder Thomas Stangl mit Afrika (Die fünfte Welt. Ein Logbuch, 2007 / Im Kongo, 1996 / Morenga, 1978 / Der einzige Ort, 2004), Ilija Trojanow mit Indien und Afrika {Der Weltensammler, 2006), Richard Katz mit Südamerika {Begegnungen in Rio, 1945; Seltsame Fahrten in Brasilien, 1947), Helge Timmerberg oder Günter Grass mit Indien {Shiva Moon. Ein Reise durch Indien, 2006 / Kopfgeburten oder die Deutschen sterben aus, 1980; Zunge zeigen, 1988), Rolf Dieter Brinkmann oder Robert Gernhardt mit Italien {Italien. Landschaft, Geschichte, Kultur, 1968 / Rom, Blicke, 1972-73 / Ich Ich Ich, 1982), Michael Krüger mit China {Warum Peking? Eine chinesische Geschichte, 1984) u.v.a., so scheint Spanien keine großartigen literarischen Reiserfahrungen mehr herzugeben.

PHÄNOMEN RESIDENZTOURISMUS: EIMHEIMISCHE AUSLÄNDER IN SPANIEN

Neben dem Bildungs- oder reinem Vergnügungstourismus, der Spanien zu seinem Hauptziel gestaltet, fällt noch eine weitere Variante auf, die aus der Reise einen längeren Aufenthalt macht. In diesem Fall spricht man von dem sogenannten Residenztourismus; einem Lebensstil, der die Kategorie Tourismus bei weitem überschreitet und zu dessen wichtigsten Zielorten die Iberische Halbinsel zählt. Diese Ansiedlung, die schon in den 50er Jahren begonnen hatte, erlebte dank der politischen Stabilität Spaniens ab den 80er Jahren eine großen Aufschwung. Durch den Beitritt in die EU und eine vorteilhafte finanzielle und touristische Infrastruktur stieg die Zahl der deutschen Auswanderer auf den Kanaren, den Balearen und entlang der Mittelmeerküste enorm. Es fehlt an zuverlässigen Statistiken, da viele Zuwanderer nicht der Meldepflicht nachgehen oder ständig zwischen Deutschland und Spanien pendeln, aber realistische Schätzungen sprechen inzwischen von etwa einer halben Million sesshafter Deutsche in Spanien — Tendenz steigend, wenn man der stetig zunehmenden Zahl an praxisorientierten Publikationen oder den zahlreichen Informationsquellen, Foren und spezifischen Beratungsstellen im Internet15 Glauben schenkt. 15

Z.B. „Der Spanienclub. Urlaub, überwintern, leben und arbeiten in Spanien - Auswandern

nach Spanien" (), „Deutsche in Spanien" (), „Auswandern" (http://www.auswandern.com/), „Leben in Spanien" (), „Auswandern - Spanien. Ein Neustart, Leben in Spanien" () usw.

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Senioren, Aussteiger, Ruhe und Entspannung suchende Geschäftsleute, Familien mit Kindern oder Investoren bilden den größten Teil der „Reisenden", die den Schritt wagen, sich entweder definitiv oder für einen längeren Zeitraum in Spanien niederzulassen. Das Phänomen hat inzwischen eine außerordentliche Bedeutung für die spanische Tourismusbranche erreicht und wird nicht nur von Tourismusexperten, sondern auch von Soziologen, Historikern, Journalisten u.v.a. untersucht. Im Kontext dieser grenz- und zeitüberschreitenden Mobilität bilden sich neue Wohn- und Lebensformen heraus, die viele der Auswanderer niederschreiben und in Form von Erfahrungsberichten, Ratgebern oder Reiseführern herausgeben. Unter den zahlreichen Titeln mögen folgende als Beispiel dienen: Klaus Kulkies: Südspanien - Ihre zweite Heimat (2001), Burkhardt Löber: Ausländer in Spanien (2007), Rita Mayers: Auswandern nach Spanien in 2 Bänden (2007) oder Antonio Schäfer-Groswiler: Eine Familie wandert nach Spanien aus.

Bericht über einen glücklichen Neuanfang (2005). Recht zahlreich sind auch die deutschen Schriftsteller oder (Kultur-)Redakteure, die sich in Spanien niedergelassen haben und als „Spanienkenner" über die Besonderheiten Spaniens und der Spanier berichten: So z.B. der Journalist Peter Burghardt (geboren 1966 in München), der Mitte der 1990er Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Madrid tätig war. Gegenwärtig lebt Burghardt in Buenos Aires und arbeitet als Korrespondent der SZ und des Tages-Anzeiger Zürich für Lateinamerika. Mit seiner Lesereise Die Metropole der langen Nächte — Madrider Eigenheiten versucht der Autor in kurzen Kapiteln das Madrid von heute zu beschreiben. Einige der im Buch veröffentlichten Texte sind zwischen 1999 und 2003 in der Süddeutschen Zeitung erschienen, andere wurden, wie der Autor im Nachsatz selbst bemerkt, gekürzt oder verlängert. Schon das erste Kapitel weist auf eine Eigenschaft Spaniens hin, die fast alle deutschen Reisende selbst erfahren haben: die Widersprüchlichkeit und das Nebeneinander harter Gegensätze. Mit dem eloquenten Titel „Himmlisches Chaos. Vornweg: Warum Madrid auch ohne Strand eine wunderbare Stadt ist" wird diese Metropole vorgestellt, die „auf einer kahlen, zugigen, im Sommer heißen und im Winter kalten Hochebene" thront, eine „zentralistische Schnapsidee ohne Rücksicht auf spätere Gastarbeiter und ihre Besucher" (Burghardt 2003: 9). Kaleidoskopisch erscheint die thematische Zusammensetzung der verschiedenen Kapitel, die sich mit politischen, gesellschaftlichen, religiösen, sportlichen, kulturellen oder gar gastronomischen Themen befassen. In einem schnellen, von Kommentaren verschiedener Madrider Einwohner und Persönlichkeiten durchzogenen Stil, führt Burghardt den Leser auf eine Lese-

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reise durch Madrid, in der die Sehenswürdigkeiten nur zweitrangig sind. Auch auf praktische T i p p s oder Empfehlungen stößt man hier eher selten. Stattdessen wird der Leser in Kenntnisse eingeweiht, die d e m Kurzzeittouristen verschlossen bleiben würden. N a m e n , die jedem Spanier geläufig, d e m Durchschnittsbesucher aber wohl eher unbekannt sind, werden vorgestellt und näher erklärt. So ist nicht nur von Baltasar Garzón 1 6 oder Iñaki Gabilondo 1 7 die Rede, sondern auch v o m „Busenwunder" Ana Obregón 1 8 , von Justo Gallego 1 9 , Jorge Valdano 2 0 oder Pedro Almodóvar 2 1 . Klatschgeschichten sind ein wichtiger Teil der spanischen Kultur, und Burghardt fuhrt sie dem Leser im Kapitel „Von Aristokraten und Busenwundern" vor: Im spießigen Alemania meldet sich um 20 Uhr das Erste Deutsche Fernsehen mit der „Tagesschau" und ernste Sprecher berichten über Arbeitslosenquote und Nahostkrise. Bei TVE kommen die Nachrichten um neun, der Abend fängt hinter den Pyrenäen ja auch später an, aber pünkdich um acht kündigt aus der Madrider Zentrale ein nettes Mädchen, das heute Sonja heißt und ein rotes Kleid trägt, die wirklich bedeutenden Meldungen an. „Gente" nennt sich das Programm, „Leute", es dauert eine Stunde und wer danach nicht Bescheid weiß über gescheiterte Aristokraten oder erfolgreiche Busenwunder, der kann sich nur noch schleunigst die Fachblätter Hola! (Hallo) oder Diez Minutos (Zehn Minuten) besorgen oder die Sommerserien der Tageszeitungen studieren. Spanien ist nunmal ein einziges Rossini, vorneweg die Hauptstadt, vor allem Damen lieben diesen Tratsch aus Schlafzimmern und manchmal auch Friedhöfen, er bringt Gesprächsstoff für den ganzen Tag, beschert den Zeitschriften wunderbare Auflagen und dem Fernsehen traumhafte Einschaltquoten. Wer jemals in einem Madrider Kaffee neben einer größeren Gruppe durcheinander plappernder Hausfrauen sitzen durfte, der ahnt, warum das so ist. Was kann es Wichtigeres geben als die Frage, wie es bei Antonio Banderas und Melanie Griffith läuft, ob sich Ana Obregóns Oberweite verändert hat oder was in Hollywood Tom Cruise und Penelope Cruz so treiben, jetzt, da die Scheidung von Nicole Kidman endlich durch ist? (81 f.) Richter am Nationalen Gerichtshof in Madrid mit außergewöhnlich hoher Medienpräsenz, die zum Zeitpunkt des Textes (2002/03) besonders auf seine Erlassung eines Haftbefehls gegen den ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten Augusto Pinochet zurückzuführen war. 16

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Bekannter (Rundfunk-)Journalist des Senders Cadena SER.

Spanische Schauspielerin, deren Bekanntheit eher ihrem häufigen Erscheinen in der Regenbogenpresse als ihrem künsderischen Talent zuzuschreiben ist. 18

" Ehemaliger spanischer Mönch, der seit 1961 Jahren seine eigene Kathedrale in einem Vorort von Madrid baut. Ehemaliger argentinischer Fußballspieler. Von 1995 bis 2004 Fußballdirektor des Clubs Real Madrid. 21 Spanischer Filmregisseur und Drehbuchautor. 20

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Die Tendez zu sensationslüsternen Meldungen und seifenopernähnlichen Nachrichten scheint für viele Ausländer ein auffallendes Merkmal der spanischen Kultur zu sein. Auch Hape Kerkeling berichtet auf seiner Pilgerreise von einer ähnlichen Erfahrung: Zurück im Hotelzimmer gönne ich es mir, ein bisschen fernzusehen. D e m deutschen Fernsehen wird ja oft Peinlichkeit und Belanglosigkeit vorgeworfen. Das spanische Fernsehen ist allerdings in diesen beiden Disziplinen nicht zu überbieten. Auf allen Kanälen hocken stundenlang in wichtig ausschauenden bonbonfarbenen Kulissen Horden von Pseudo-Experten und labern über Paparazzi-Videos vom norwegischen Thronfolger, seiner Verlobten und deren Sohn. Auf allen Kanälen ist das heute das Diskussionsthema und die belanglosen Bilder werden immer wieder gezeigt. Irgendein Idiot filmt den Thronprätendenten samt Anhang und verkloppt das schlechte Material an sämtliche TV-Stationen der Welt. Die Frage: Was tun wir hier überhaupt?, stellt sich nicht. Der Paparazzo wird über den Klee gelobt, dass es ihm gelungen sei, diese sensationellen Aufnahmen vom Kind der Aristokraten zu machen. Lieblingsbeschäftigung der spanischen Promis scheint es hingegen zu sein, zu dubiosen Einladungen von Blusenherstellern oder Keksfabrikanten zu gehen und vor deren Werbelogo ihre bevorstehende Liposuktion oder Scheidung anzukündigen. Gegen Geld versteht sich! Der Kekshersteller stellt die Promis vor sein Logo. Der Promi kriegt Kohle, muss aber dafür pikante private Details plaudern. Diese Shows scheinen Rekordeinschaltquoten zu haben, es kann gar nicht anders sein, sonst gäbe es nicht so viele davon. (Kerkeling 2006: 182)

Tatsache ist, dass der Leser dank der heimischen Kenntnisse Burghardts und seiner zahlreichen, sowohl prominenten wie auch völlig unbekannten Bekanntschaften, die er als Sprachrohr verwendet, ein sehr aktuelles Bild von Madrid und letztendlich auch von Spanien darstellt. Auch wenn die politischen und gesellschaftlichen Phänomene zeitlich bedingt sind und sich inzwischen so manches verändert hat, ist der Autor darum bemüht, dass die Aussagen trotzdem eine gewisse Allgemeingültigkeit beibehalten. Auch der freie Autor und Journalist Andreas Drouve (1964 geboren in Düren/Rheinland) lebt seit Jahren in Spanien und hat sich auf Reiseliteratur spezialisiert. Davon zeugen etwa 80 Kultur- und Reisebücher sowie mehr als 3.000 Zeitungsberichte und Reportagen mit Schwerpunkt auf der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika. Auf der Webseite des Autors ist zu lesen, dass Drouve

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sich mit einschlägigen Buchtiteln als Landeskenner seiner Wahlheimat profiliert [hat]: ob über den Jakobsweg, Nordspanien, Andalusien, die Costa Brava oder Barcelona. Für seinen Band „Merian classic Madrid" wurde er vom Spanischen Fremdenverkehrsamt mit dem Preis für das „Beste Reisebuch des Jahres" ausgezeichnet. Uber „Kulturschock Spanien" urteilte der Almanach Spanien: „Wer dieses Buch einmal zur H a n d genommen hat, legt es so schnell nicht wieder weg. 22

Mit Kulturschock Spanien ist es Andreas Drouve gelungen, dem Leser auf unterhaltsame Weise umfassendes Insiderwissen über Spanien, Spanier und ihre Sitten und Bräuche zu vermitteln. Der Autor selbst versichert, trotz langjähriger Erfahrung in seiner Wahlheimat, immer noch täglich kleinen Kulturschocks ausgesetzt zu sein. Auf diese Eigentümlichkeiten in vielerlei Bereichen, mit Humor gespickt und im lockeren Plauderton, bereitet Drouve den potentiellen Besucher vor. In Europas lärm- und fiestareichstem Land ist man gut beraten, vorbereitet zu sein auf die fremde Mentalität und all die andersartigen Bräuche. Sonst wird einem manches „spanisch" vorkommen und man sieht sich plötzlich umgeben von wilden Stieren, lebendigen Toten und vermummten Geißlern... Vorab-Hinweis des Autors: Probates Mittel, um all den großen und kleinen Kulturschocks des spanischen Alltags zu begegnen, ist Humor. Bis hin zum Galgenhumor, der sich bestens eignet, um Schweres auf die leichte Schulter zu nehmen. Eine Form des Denkens und Handelns, zu der dieses Buch ermuntern will. Nicht ärgern, nur wundern! (Drouve 2008: 12f.)

Der Reiseführer ist praktisch und übersichtlich strukturiert und versucht mit umfangreichen Informationen und persönlichen Erfahrungen sowohl dem Kurzzeittouristen wie auch dem Umsiedler eine wichtige Orientierungshilfe zu sein. Drouve schenkt dem kulturhistorischen Rahmen den größten Teil seiner Aufmerksamkeit. Dort erzählt der Autor nämlich nicht nur von Fiestas, Bräuchen und Traditionen, sondern auch von den relevantesten folklorischen Feierlichkeiten, sowie von abergläubischen Vorstellungen der Spanier und ihren bekanntesten Legenden und Mythen. Dabei beschränkt sich Drouve nicht nur auf die objektive Beschreibung der Ereignisse, sondern fügt seine persönliche Bewertung hinzu, die nicht selten in den Bereich spaßhafter oder karikierender Darstellung führt. So spricht er vom Spanier als der geborene „homo fiesta" (16) und zu Spaniens berühmten Wein- und Tomatenschlachten bemerkt er: 22

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Isabel Gutiérrez Koester Warum die Gefechte mit Wein und Tomaten? Massengaudi auf spanische Art, Auswüchse einer Uberflussgesellschaft, Jahrzehnte nach dem Kindergartenalter endlich wieder die Sau rauslassen. Ahnlich infantile Schweinereien mit Mehl und rohen Eiern gehen bei der Eröffnung der Fiestas de San Fermín am 6. Juli mittags auf dem Rathausvorplatz von Pamplona ab. (17)

Einer genaueren Analyse bedarf natürlich der Stierkampf. Auch hier leugnet Drouve nicht seine persönliche Einstellung zu dem Thema, das er nach dem Kapitel „Brutalste Bräuche" unter dem Titel „Stierkampf - blutiges Schauspiel in drei Akten" ausführlich beschreibt und erklärt. Wenn Drouve von „fragwürdigen Traditionen" (39) spricht, Spanien als ein Land beschreibt, „das Quälerei und Tod in der Arena zelebriert und gar zur ,Kunst' erhoben hat" (233), oder auf die „Höllenqualen" (34) aufmerksam macht, die der Stier vor dem Sterben erleiden muss, so ist es auch nicht erstaunlich, dass der Schluss des Kapitels den Tierschützern gewidmet ist, in denen der Autor „ein erfreuliches Novum" (39) gegenüber dem spanischen „Barbar" (ebd.) sieht. W i e fast alle deutschen Reisende im Laufe der Geschichte bildet auch Drouve hier keine Ausnahme und steht dieser Tradition — trotz langjährigen Aufenthalts in Spanien - als moderner Mitteleuropäer verständnislos und kopfschüttelnd gegenüber. Der zweite Teil des Reiseführers befasst sich mit einem knappen historischen Abriss der wichtigsten politischen Ereignisse und Entwicklungen Spaniens seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch hier fällt dem Autor nicht nur als Mitteleuropäer, sondern vor allem als Deutscher ein großer Unterschied in Bezug zum Thema Vergangenheitsbewältigung auf, und er scheint auch keinerlei Bedenken zu haben, dies auf den Punkt zu bringen: Quer durch alle Epochen hat Spanien durch selbstverschuldetes Verhalten und verkrustete Obrigkeitsstrukturen immer wieder bekommen, was es verdient hat. Ob wirtschaftlich-kulturelle Rückschritte durch Ausweisung von Juden und Mauren, den auf Geringschätzung des Gegners fußenden Untergang der „Unbesiegbaren Armada" oder zu Beginn des 18. Jahrhunderts - dank kriegerischer Verstrickung an anderen Fronten - den Verlust von Gibraltar. [...] Spanien ist ein politik- und geschichtsverdrossenes Land, in dem man die Vergangenheit in Windeseile ad acta legt. Im Gegensatz zu den Deutschen und ihrer historischen braunen Erblast käme es kaum einem Spanier in den Sinn, Schuldgefühle über die Völkermorde seiner Vorfahren zu hegen. Der in Mittel- und Südamerika über Jahrhunderte an den Indígenas verübte Genozid gäbe allen Grund dazu, aber interessiert ebensowenig wie die kürzer zurückliegenden Greuel im eigenen Land. (I47f.)

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Im dritten Teil, „Der spanische Alltag A - Z " , fasst Drouve die wichtigsten spanischen Eigenheiten zusammen, die von den sogenannten domingueros, einer „berühmt-berüchtigte[n] Spezies der Sonntagsausflügler" (176), über das „südländische Geschnatter" (177), die medizinische Versorgung der „verkrusteten" Seguridad Social (181 f.) bis hin zu dem bedenklichen Verhältnis des Spaniers zu seiner Umwelt (187), der spanischen Schimpfwortsprache (202), der Uberschuldung (209) oder der spanischen Zahlungsmoral (211) reicht. Mit dem vierten und letzten Kapitel („Fremd im Kulturkreis — Tipps A—Z"), gibt der Autor schließlich dem Leser alle wichtigen Tipps mit auf den Weg, um die spanische Mentalität besser zu verstehen und die möglichen Kulturschocks zu überstehen, denen der deutsche Besucher zweifellos ausgesetzt sein wird, wenn er sich einmal für eine längere Zeit in Spanien aufhalten oder gar niederlassen sollte. Festzuhalten wäre, dass Drouve es im Gegensatz zu den traditionellen Reiseführern über Spanien gelingt, über die einfachen historischen Darstellungen und den Erläuterungen bezüglich seiner Landschaften, Städte und Kulturdenkmäler hinauszugehen und den Leser einen Schritt weiter zu führen. Allein die dokumentarische Information ist nicht ausreichend, um den Reisenden, Umsiedler oder Touristen in wirkliche Berührung mit dem Gastland zu bringen. Sich einer fremden Kultur zu nähern und ein völlig anderes Wertesystem aufzugreifen, bedarf einer Reihe von unausgesprochenen Regeln und Kenntnissen, die nur jemand haben und vermitteln kann, der aus der privilegierten Position des „einheimischen Ausländers" schreibt und in der Lage ist, beide Perspektiven einzunehmen. Auch Paul Ingendaay (Köln, 1961) ließ sich 1988 in Spanien nieder und arbeitet seitdem als Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Madrid. Der Piper Verlag hatte den Autor nach zweijährigem Aufenthalt in Madrid um einen längeren Essay über Spanien gebeten, doch Ingendaay lehnte ab: Ich lehnte ab, weil mir zwei Jahre Aufenthalt zu kurz erschienen, u m mich zu berechtigen, gleich ein ganzes Buch zu schreiben. Ein Jahr darauf wurde die Anfrage wiederholt, u n d diesmal war ich bereit. Vielleicht braucht m a n das dritte Jahr, u m seine eigene Marotten, Vorlieben u n d Vorurteile zu sortieren. 2 5

So entstand die Gebrauchsanweisung für Spanien, die inzwischen schon in der 8. Auflage vorliegt. Es handelt sich dabei nicht um einen Reiseführer, der

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(18. Oktober 2009)

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bestimmte Sehenswürdigkeiten oder Reisetipps anbietet, sondern eher um eine Sammlung von verschiedenen Aufsätzen und persönlichen Eindrücken des Autors über die verschiedensten Themen: Kindererziehung, Migrationsprobleme, Fußball, Stierkampf usw. Ingendaays Einstellung gegenüber Spanien ist allgemein positiv. Als auffälligstes Merkmal hebt er die spanische Großzügigkeit hervor: Niemand wird empirisch ermitteln können, ob Großzügigkeit wirklich der markanteste Zug des spanischen Gemüts und spanischer Lebensart ist. Aber es steht wohl außer Frage, daß Reisende der letzten zweihundert Jahre, aus welcher Kultur sie auch kommen mochten, von der Geberlaune der Einheimischen beeindruckt waren und sie beschrieben haben. Der amerikanische Schriftsteller William Gaddis, in dessen Roman Die Fäbchung

der Welt das Land tiefe Spuren hinterlassen hat, nannte diese Ei-

genschaft generosity

o f s p i r i t , womit Geist, Gesinnung und Charakter gemeint waren.

Die Formulierung ist nicht zu übertreffen. Sie enthält das Materielle und das Immaterielle, die Gesten der Gastlichkeit ebenso wie die Fähigkeit, sich die Nöte der anderen eigen zu machen, zu geben, zu teilen und über alldem die Zeit zu vergessen. Hinter der spanischen Großzügigkeit steht kein Kalkül. (Ingendaay 2007: 10)

Das bekannteste Spanienbild, das das Land auf ein Urlaubsparadies mit „Stränden, Bikinis, Sangria und Diskotheken" (14) reduziert, findet jedoch in dem Buch keinen Platz. Für Ingendaay hat nämlich gerade dieses Spanien, das die Mehrheit der Deutschen kennt und ersehnt (Balearen, Kanaren, Benidorm usw.) nichts mit dem wahren Spanien zu tun, da ihm eben diese genuin spanische Geste - „die improvisationswillige Großzügigkeit" (17) — fremd ist. Dabei hat der Autor keinerlei Bedenken, seine eigene Meinung zu den verschiedenen Themen zu äußern und sowohl sein Gefallen wie auch sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen. So ist auch hier von der schon fast legendären bürokratischen Ineffizienz die Rede (26), von der Klatschpresse oder der ungehemmten Staranbetung im Fernsehen (123ff.). Auch der Stierkampf nimmt erneut eine wichtige Position innerhalb dieses Spanienbildes ein, doch überraschend ist die positive Einstellung des Autors, die ihn, wie er selbst bemerkt, von den meisten seiner Landleute unterscheidet. Schon der Titel des Kapitels, „Freund Stier", lässt auf eine freundlichere Beschreibung schließen, und tatsächlich spricht Ingendaay von „Kunst": Manche Leser und Leserinnen werden sich über dieses Kapitel ärgern. Vorsichtshalber erkläre ich also gleich zu Beginn, daß ich den Stierkampf, wie er in Spanien praktiziert wird, nicht verurteile. Ich finde ihn nun einmal, anders als viele meiner Lands-

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leute, nicht grausam, barbarisch und tierquälerisch. Ich kann auch nicht behaupten, ich sei ein Liebhaber oder aficionado. Dafür verstehe ich von dieser Kunst zuwenig. Aber wenn ich in einer Bar einen Kaffee trinke und im Fernsehen läuft gerade eine corrida de toros, schaue ich hin, als wäre es Fußball. Was sich dort auf dem Sand der Arena abspielt, ist eine ästhetische Darbietung und kann genauso begeistern wie ein schöner Steilpaß oder ein gelungener Fallrückzieher. (169) Ingendaay kehrt auch wieder zu dem stereotypischen spanischen Stolz zurück, der irrtümlicherweise — wie es schon Koeppen in den 50er Jahren aufgefallen war - häufig als Hochmut verstanden wird: Vielleicht haben Sie einmal gehört, Spanier seien „stolz"; nun schauen Sie sich um und entdecken in den Gesichtern einen großen Ernst, der gelegentlich etwas Schroffes ausstrahlt. Wenn Sie außerdem die Sprache nicht verstehen, halten Sie diesen Ausdruck, diese Körpersprache leicht für Hochmut. (41) Das Spanienbild, das Ingendaay dem Leser präsentiert, basiert hauptsächlich auf einzelnen, meist persönlichen Erfahrungen, mit denen er exemplarisch bestimmte spanische Eigenschaften belegen möchte. Ein vollständigeres Spanienbild fehlt, und der Autor gibt sich damit zufrieden, eine subjektive allgemeine Schilderung zu verfassen und einige Aspekte hervorzuheben, die ihm besonders erwähnenswert erscheinen, lässt aber dafür andere völlig außer Acht. Davon, dass seine Gebrauchsanweisung eigentlich gar keine Gebrauchsanweisung ist, zeugen auch Kapitel wie „Schicksal in Zentimetern", das von den spanischen Protektoraten in Nordafrika (Ceuta und Melilla) oder von dem spanisch-britischen Zankapfel Gibraltar spricht. Es handelt sich hier um „ein Spanien außerhalb Spaniens" (176), dem seitens der Reisenden kaum Beachtung geschenkt wurde und das nur selten Eingang in Reisebeschreibungen gefunden hat. Ingendaays anhaltendes Interesse an den spanischen Eigenarten kann man auch an seinem kürzlich eingeweihten Blog „Sanchos Esel"24 erkennen. Dort bespricht und verarbeitet der Autor „Kulturnachrichten, Trends und Kuriosa aus der spanischsprachigen Welt zu kleinen Geschichten", lacht (über andere, über sich), träumt und wundert sich.25 Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot über die Am24 25

(18 Oktober 2009) (18. Oktober 2009)

Isabel Gutiérrez Koester

390

pel fahren: Madrid liegt zwar in Europa, erstaunt das deutsche Gemüt aber immer noch. Paul Ingendaay beschreibt spanische Zustände am Morgen danach.26 Im Grunde genommen führt Ingendaay mit Hilfe dieses Blogs seine G e brauchsanweisung täglich weiter und verarbeitet so alle aktuellen Nachrichten aus der Welt der Politik, der Kultur, der Geschichte oder der Medien. All diese Autoren und viele andere, die sich in Spanien niedergelassen haben und sich dazu entschlossen haben, ihr persönliches Spanienbild literarisch zu entwerfen, haben sich nicht auf die Form des Reiseführers beschränkt. Auch von Reiseliteratur im traditionellen Sinn kann hier eigentlich nicht die Rede sein; trotzdem vermittelt diese Literatur zuerst dem Reisenden bzw. dem Autor selbst und dann konsequenterweise auch dem Leser ein komplexes und sehr vollständiges Spanienbild, und es gelingt ihr, beim Reisenden noch Überraschung und Erstaunen über das Land und seine Eigenarten auszulösen — was in einer Zeit, in der fast alles erforscht ist und kaum noch Platz für Phantasie übrig bleibt, zumindest auffallend ist. D a n k der vorteilhaften Position dieser Autoren ist es ihnen möglich, gut fundierte Informationen über das Land zu vermitteln. Einerseits sind sie anfangs der spanischen Kultur gegenüber ahnungslose Ausländer und können dadurch das erkennen, was dem Einheimischen nicht mehr auffällt. Andererseits sind sie in der Lage, durch den längeren Aufenthalt in dem Land eine recht objektive und kontrastive Sichtweise zu entwerfen, die ein aufschlussreiches Spanienbild vermittelt; ein Bild, „das die fremden Länder einander leichter erklärbar macht." (Ingendaay 2 0 0 7 : 9)

INSELROMANE

Das Phänomen Residenztourismus spielt besonders in Bezug auf die spanischen Inseln, allen voran Mallorca, eine wichtige Rolle. Die größte Insel der Balearen ist zweifelsohne eines der wichtigsten Ziele für deutsche Auswanderer. Statistiken sprechen von bereits über 2 0 . 0 0 0 Deutschen, die ihren Haupt-, Zweitoder Alterswohnsitz auf der Insel haben. Ganz zu schweigen von den weit mehr als 3 Millionen deutscher Touristen, die sie jedes Jahr besuchen. Die Traumvorstellung einer paradiesischen Mittelmeerinsel stößt jedoch häufig auf die spanische bzw. konkret mallorquinische Lebensphilosophie und -einstellung, die den Deutschen zu Anfang oft Schwierigkeiten macht. 26

(18. Oktober 2009)

Die neuen Reisenden

391

Erlebnisse und Kenntnisse bereits ausgewanderter Deutscher finden so in zahlreichen Ratgebern ihren schriftlichen Niederschlag und versuchen, den deutschen Besucher nicht nur auf die Licht-, sondern auch auf die Schattenseite der Insel, auf die möglichen Widrigkeiten und ungeahnten Missverständnisse aufmerksam zu machen. Es handelt sich hierbei meist um persönliche Erfahrungen, die dazu dienen, Mentalitätsproblemen und Kulturschocks vorzubeugen und praktische Tipps und Informationen für zukünftige Umsiedler zu geben, so z.B. Wolfram Bickerich: Gebrauchsanweisung für Mallorca (2002), Elke Menzel: Eine Finca auf Mallorca oder: Geckos im Gästebett (2006), Anette Anthoni: Alltag auf Mallorca — Auswandern, Leben und Arbeiten auf der Baleareninsel (2009) oder Martina Zender: Mein neues Leben - Spanien und Mallorca: Der Ratgeber zum Einwandern, Leben und Arbeiten in Spanien (2009). Neben „dem bildungsbürgerlichen Motiv der Reise zum Kennenlernen fremder Länder und Kulturen" (Esselborn 2004: 302) finden sich auch literarische Texte, die lediglich eine Erinnerungsform des Urlaubstourismus darstellen. Dabei kann es sich um tatsächliche Erfahrungen handeln oder um die Fiktionalisierung des Reisemotivs, was in beiden Fällen mit einer Unterscheidung zwischen Reiseliteratur und Reiseroman einhergeht. Setzt der erste Fall „die sprachliche Darstellung authentischer Reisen" (Brenner 1989: 9) voraus, werden im zweiten die Reisemotive in den fiktionalen Text mit eingeflochten. Aufgrund der historischen Entwicklung und der zunehmenden Literalisierung der Gattung ist der Realitätsgehalt in beiden Fällen allerdings nicht immer garantiert, obwohl er meist auf selbst erfahrene und angeeignete Kenntnisse während oder nach Reisen, Urlaubserfahrungen oder längeren Aufenthalten zurückgreift. Die Vorstellung von Spanien als Sommerparadies wird vor allem anhand der Urlaubsziele Mallorca, Gran Canaria und Teneriffa exemplarisch dargestellt. Die Zahl der Inselromane ist schier unüberschaubar und weist bezüglich quantitativer, qualitativer und inhaltlicher Aspekte große Unterschiede auf. So findet man unter den zahlreichen Titeln Liebesromane (Brigitte Blobel: Die Liebenden von Son Rafal; E. K. Schlichting: Eine Frau im richtigen Alter), Kinderromane (Dagmar Chidolue: Millie auf Mallorca-, Alida Gundlach: Pünktchen Ole), Kriminalromane (Christoph Gottwald: Endstation Palma-, Peter Jamin: Der Sieg der Taube), Abenteuerromane (Marga Lemmer: Der Inseltraum. Teneriffa-Story einer Aussteigerin; Leonie Bach: Auf Mallorca liebt sich's besser) oder autobiographische Romane (Martha Greye-Hofrichter: Mallorca. Aus dem Alltag einer Inselurlauberin-, Heinrich Breioer: Mallorca, ein fahr. Ein Inselroman) u.v.a.

Isabel Gutiérrez Koester

392

Im Bereich der Reiseliteratur erscheinen vor allem diejenigen Romane interessant, die die Fiktionalisierung literarisch nützen, um Wissenswertes über Traditionen, Bräuche und Lebensweise auf der Insel zu geben. Das Konzept des Münchner Autors Michael Böckler geht in dieser Hinsicht noch weiter: Er versucht, nützliche touristische Informationen auf unterhaltsame Weise in einen Kriminalroman zu integrieren. Abends hatte Kay einen Tisch im Restaurant R i f i f i reserviert, das er zu den besten Fischlokalen in Palma zählte. Das von außen unscheinbare Rififi liegt an der Avinguda Joan Miro unterhalb des Castell de Bellver. Schon im Eingangsbereich zeigen Wasserbassins mit Langusten, Hummern und anderem Schalengetier, wo es im Rififi kulinarisch langgeht. In dem sich rasch füllenden Lokal bekamen sie gerade noch einen Tisch. An der Wand hingen einige alte nautische Instrumente. Kay bestellte eine Flasche Blanc Pescador, den beliebtesten Wein im Rififi. Dann ließ er zum Auftakt Mejillones (Muscheln), Angulas (Glasaal) und Langostinos auftischen. Weiter ging's mit Cap-Roig (roter Drachenkopf-Fisch) und Lubina (Loup de mer/Wolfsbarsch). „Man sagt ja, von Fisch wird man nicht dick, aber wenn du so weitermachst, kannst du mich hier rausrollen und auf der Aurore als Schiffsballast verwenden", kommentierte Dana das Gelage, um sich dann unverdrossen zum Dessert noch eine Crema Catalana zu gönnen. „Das beste wäre jetzt etwas Gymnastik, um die Verdauung zu fördern und etwaigem Speckansatz vorzubeugen", sagte Kay, als sie das Lokal verließen. „Als Gymnastikstudio käme die Disko Titos in Betracht." (Böckler 2002: 76f.)

Mit Sturm über Mallorca (1997) setzte der Autor zum ersten Mal dieses Konzept um und hat es seitdem auch erfolgreich auf andere Landschaften und Umgebungen übertragen: Wer stirbt schon gerne in Italien? (1999) oder Sterben wie Gott in Frankreich (2003) u.a. Zu den Romanen gehört auch ein umfangreicher touristischer Anhang mit ergänzenden und zusammenfassenden Erläuterungen, der als kompakter Reise-, Restaurant- und Hotelfuhrer funktioniert (mit Adressen und Telefonnummern) und häufig sogar mit Rezepten angereichert ist. Bei dem Roman Nach dem Tod lebt es sich besser (die Fortsetzung des ersten Romans), handelt es sich sogar um eine kulinarische Reise durch Menorca, bei der die Spezialitäten der regionalen Küche vorgestellt werden: vom pa amb oli und trampo über sobrassada und tumbet bis hin zur ensaimada. Darüberhinaus kommen einige der bekanntesten Spitzenköche der Insel zu Wort, die über Mallorca erzählen und einige ihrer liebsten Rezepte verraten (zum Nachkochen im Anhang). Der österreichische „Koch des

Die neuen Reisenden

393

Jahrhunderts", Eckart Witzigmann, mischt sich sogar als Romanfigur unter die Akteure. Die Kanaren sind ebenfalls Schauplatz vieler fiktionalisierter Reiseerfahrungen. Gran Canaria z.B. ist der Schauplatz der Kriminalgeschichten, die Karl Brodhäcker in Tödlicher

Abgrund

(2009) erzählt und nebenbei über die kanari-

sche Lebensart berichtet. Irene Börjes hat für ihren Kanaren-Krimi Tod am

Teide

(2006) Teneriffa als Schauplatz gewählt und nutzt ihre langjährige Erfahrung als Reiseführer-Autorin, um den Leser vielseitige und umfangreiche Erklärungen über die Insel, die Bevölkerung und ihre Sitten zu geben. Hilfreich ist in dieser Hinsicht die Tatsache, dass die Hauptfigur des Romans, mit dem anschaulichen Namen Lisa Sommer, von Beruf Reiseleiterin ist und ihre erste Wandergruppe durch die Landschaften Teneriffas führt und dabei ausgiebige Informationen im Zusammenhang mit traditionellen Inselbräuchen gibt. Weiter gingen wir einen herrlichen Streckenabschnitt am Rand des Barranco del Río mit fantastischen Blicken in die Schlucht und hinüber zum Bergdorf Batan, das, von mehr als hundert kleinen Terrassenfeldern eingerahmt, sich an die steile Bergwand schmiegte. Gegen Mittag erreichten wir das Höhlendorf Chinamada. Alle Skepsis gegenüber dieser Tour hatte sich unterwegs aufgelöst wie der Nebel in der Sonne. Chinamada ist das letzte bewohnte Höhlendorf Teneriffas. Leider hatte die Kirche einen knallgelben, völlig unpassenden konventionellen Steinbau auf den früheren Dorfplatz gesetzt. „Und wo sind hier die Höhlen?", war deshalb als Frage auf die Gesichter geschrieben, als wir den Wanderpfad verließen und auf die Dorfstraße traten. Die Wohnhöhlen ließen sich erst auf den zweiten Blick erkennen. Ihre Fronten waren wie gewöhnliche Häuser in anderen Dörfern, sauber gemauert und verputzt, weiß gestrichen, mit farbig lackierten Fenstern und Türen versehen und von Blumentöpfen umrahmt. Nur dahinter stand kein Gebäude, dahinter begann der Berg. Dass so eine Höhlenwohnung auch von innen gemütlich und genauso komfortabel wie eine normale Wohnung ist, stellten wir später im Restaurant fest. [...] „Jetzt stelle ich mir auch das Leben der Guanchen viel gemüdicher vor", meinte Laura beim Essen. „Bei Steinzeit dachte ich bisher immer an kalte, zugige Felsgrotten." Wir saßen bei einem typisch kanarischen Mahl: in würzige Soße geschmortes Zicklein und papas arrugadas, kleine, mit viel Meersalz gekochte Kartoffeln, an deren Schale sich eine leichte Salzkruste absetzte. Sie werden mit Salzkruste und Schale verzehrt. Selbstverständlich war zur potaje de berros, zur Brunnenkressesuppe, gofio auf den Tisch gestellt worden. Damit übervolle Bäuche die weitere Wanderung nicht behinderten, bestellte ich als Nachtisch café cortado, einen kleinen Kaffee mit gesüßter Kondensmilch. (Börjes 2007: 179f.)

394

Isabel Gutiérrez Koester Gemeinsam ist den zahlreichen Inselromanen die Darstellung der einheimi-

schen Bevölkerung und das Leben in der Fremde. Sie alle richten sich an Urlauber und an Leser, die nicht nur mehr über die Inseln erfahren möchten, sondern die besonders an den Erfahrungen und Erlebnissen anderer Deutschen interessiert sind. Deshalb kann man in gewisser Weise von einer besonderen Art des Reiseführers sprechen, der zu den relevantesten geschichtlichen Sehenswürdigkeiten fuhrt, zu Badebuchten, Golfplätzen und den wichtigsten Ortschaften der Region, gastronomische Empfehlungen gibt und das Inselleben mit seinen Eigentümlichkeiten ausfuhrlich erläutert. Inwiefern man hier noch von Reiseliteratur im ursprünglichen Sinn sprechen kann, ist fraglich, zumal es sich ja in vielen Fällen um Autoren handelt, die die Inseln als neue Heimat gewählt haben und nicht mehr auf Reise sind. Auf eine tiefgründigere Analyse des Spanienbilds wird zugunsten des narrativen Plots verzichtet. Kulturschocks werden meist aus der humorvollen Perspektive geschildert und Klischees werden aufgegriffen und ironisch zugespitzt. M a n sucht Unterhaltung und keine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Anderen. Zusammenfassend kann man sagen, dass im Zeitalter des Massentourismus Spanien seine Rolle als literarisches Reiseziel verändert hat. Der Reisebericht ist im engeren, ursprünglichen Sinne abgelöst worden, und an seine Stelle sind andere Formen von Reiseliteratur getreten, die, den neuen Zeiten entsprechend, Abbild des modernen Reiseverständnisses sind. Tatsache ist, dass diese Migrationsbewegung von Deutschland nach Spanien ein besonderes Verständnis der Fremde und des Eigenen mit sich gebracht hat. Im Gegensatz zu Kurzzeittouristen müssen sich Residenztouristen nämlich in der Fremde (zeitweise) einrichten, und dies bedeutet, dass sie verschiedene Aspekte der spanischen Identität oder Qualitäten dieses Kulturraums übernehmen. 2 7 Klaus Dirscherl spricht von einer „sanften Hispanisierung der Alltagskultur", also einer progressiven Annäherung beider Kulturen

und ein

zunehmendes Verständnis der nicht mehr so fremden Kultur gegenüber. Vom klassischen Baedeker, der sich darauf beschränkte, die allgemeinen Sehenswürdigkeiten hervorzuheben und die wichtigsten historischen Ereignisse Spaniens festzuhalten, hat sich der Reiseführer bis hin zu einer gattungsüberschreitenden Fusion von Reiseführer, (fiktionalisiertem) Reisebericht, persönliche Reiseerfahrungsschilderung und Reflexion über das Andere entwickelt.

11

Vgl. Klaus Discherl: „Auf der Suche nach Alternat? Residenztouristen in Spanien und Arbeits-

migranten in Deutschland", in: (21. Oktober 2 0 0 9 )

Die neuen Reisenden

395

So haben wir neben den marktorientierten, touristisch-kulturspekulativen „Ratgebern" auch Erfahrungsberichte, die den Begriff der Reiseliteratur erweitern und gleichzeitig auch den Status des Reisenden verändern. Es sind jetzt nicht nur noch Intellektuelle, Abenteurer, Wissenschaftler oder Künstler, die sich Gedanken über ihre Reiseerfahrung machen. Journalisten, Reiseleiter und Hobby-Schriftsteller sind nun hinzugetreten, wobei die Zahl exponierter Schriftsteller, wie Brenner bemerkt, recht gering ist und eine eher elitäre Erscheinung darstellt (Brenner 1990: 575). In einer Zeit, da TV-Serien, Dokumentarfilme, Bildbände und ausführliche Fotoreportagen oder virtuelle Reisen den Entdeckungsdrang und Wissenshunger nach anderen Zivilisationen, Ländern und Sitten gestillt haben, müssen notwendigerweise neuartige Schreibweisen entstehen, die den heutigen Leserdurst stillen. Spanien ist entdeckt und erschlossen, kein „geheimnisvolles Land am Rande Europas" mehr, wie es noch in den 1960er Jahren hieß. In einer Zeit, in der auch Mobilität keine Grenzen mehr kennt, sucht diese neue Art von Reiseliteratur dem Leser eigene Erfahrungen und Meinungen zu schenken, die ihm auf seiner eigenen Reise behilflich sein können. Der Reisebericht dient nicht mehr als eskapistische Form und imaginäre Reise in Welten, die dem Durchschnittsbürger verschlossen bleiben. Der Reiseelitismus ist der Demokratisierung des Reisens gewichen und der Leser sucht vor allem Unterhaltung, eine ihm nahe stehende sprachliche und kulturelle Vertrautheit, Humor und Ironie, aber auch Bildung, Kenntnisse und vor allem praktische Hinweise und hilfreiche Tipps. Dies ist das Produkt einer heterogenisierten globalen Gesellschaft, die mehr als jede andere die Lust am Reisen wieder entdeckt hat und in Spanien ihr persönliches Abenteuer sucht.

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Die neuen Reisenden LEHMANN, Walter (2006): Die Bundesrepublik

397

und Franco-Spanien

in den 50er

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München: Oldenbourg. SAUDER, Gerhard (1995): „Formen gegenwärtiger Reiseliteratur", in: Fuchs, Anne und Harden, Theo (Hrsg.): Reisen im Diskurs. Modelle von den Pilgerberichten

bis zur Postmoderne.

der literarischen

Fremderfahrung

Heidelberg: C. Winter Verlag, 552-573.

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Koeppen.

Frankfurt am Main:

Über die Autoren

INGRID GARCÍA-WISTADT

Promotion 2005 über die Figur des Musikers bei Ludwig Tieck. Seit 2005 Dozentin an der Universität Valencia und dort seit 2011 Professorin für deutsche Literatur. Publikationen über Musik und Literatur in der Romantik, Reiseliteratur u.a. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Deutsch-spanische interkulturelle Beziehungen sowie Bilder und Stereotypen in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts. MARÍA JOSÉ G Ó M E Z PERALES

ist seit 2000 an der Polytechnischen Universität Valencia als Dozentin für Deutsch tätig und hat Beiträge über verschiedene Forschungsbereiche veröffentlicht, insbesondere über Interkulturalität und Fremdsprachenerwerb sowie über spanische Deutschlandreisende des 19. Jahrhunderts. ISABEL GUTIÉRREZ KOESTER

Studium der Germanistik und Anglistik in Valencia. Promotion 2 0 0 0 über weibliche Wassermythen in der deutschen Literatur. Seit 2 0 0 3 Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Valencia. Publikationen über Motivforschung und Reiseliteratur. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Deutschspanische interkulturelle Beziehungen sowie Bilder und Stereotypen in der Reiseliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts. REINHOLD MÜNSTER

Promotion über Friedrich von Hagedorn und die Popularphilosophie der Aufklärung (1998). Lehrauftrag an der Universität Marburg am Fachbereich Neuere Deutsche Literatur von 2004 bis 2008. Seit 2008 Lehrauftrag an der Universität Bamberg. Zahlreiche literaturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen. Arbeitsschwerpunkte: Literatur der Aufklärung,

Rezeption der

Antike in der deutschen Literatur, Reiseliteratur, Theater im 20. Jahrhundert, Geschichte der Komparatistik.

400

Bis an den Rand Europas

BERTA RAPOSO FERNÁNDEZ

Promotion 1 9 8 0 in älterer Germanistik an der Universität Marburg. Seit 1 9 8 7 Professorin für deutsche Literatur an der Universität Valencia. Publikationen über Antike- und Mittelalterrezeption in der deutschen Romantik. Spanische Editionen von Friedrich Schlegels Lucinde und Schillers Räubern. Derzeitige Forschungsschwerpunkte und -projekte: Deutsch-spanische interkulturelle Beziehungen, Bilder und Stereotypen insbesondere in der Reiseliteratur. FERRAN ROBLES I SABATER

Promotion 2 0 0 6 in kontrastiver Linguistik an der Universität Valencia. Publikationen über Phraseologie, Lexikographie und Diskursanalyse des Deutschen und des Spanischen. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Beitrag der deutschen Romanistik zur katalanischen Sprachwissenschaft, Fachsprachen, Textkohäsion und Mikrofunktionen. ECKHARD W E B E R

Studium der Germanistik, Geschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität von Regensburg. 2 0 0 0 - 2 0 0 4 Dozent für Deutsch als Fremdsprache und Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität von Regensburg. 2 0 0 4 2 0 1 0 Lektor des D A A D an der Universität Valencia. Publikationen zur Sprache der Fehde im 15. Jahrhundert, zur deutschen Landeskunde sowie zu Literatur und Erinnerungskultur. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Deutsch-spanische interkulturelle Beziehungen, Bilder und Stereotypen insbesondere in der Reiseliteratur.

Namensregister

Adorno 329, 330, 344, 345 Alba 240 Alberti 367 Albrecht 9 Alexander VI. (Papst) 15 Alfons V. 94 Alfons XII. 227 Alfons XIII. 276 Amadeus von Savoyen 227 Almodovar 383 Andersch 355 Andress 323, 345 Anthony 391 Arendt 325, 326, 340, 344 Armona 135 Auffenberg 194-196, 200, 223, 225 Augustin 281, 311 (von) Augustin 219, 223 (d') Aulnoy 114, 115 Azorin 372 Bach 391 Badger 297, 313 Baedeker 223, 278-280, 311, 394 Baer 53, 73, 74 Balmes 265 Banderas 383 Barbarossa 98 Basker 359, 396 Baufeld 74 Baumberger 292, 311 Baumgärtner 136, 138, 140, 163, 165 Bausinger 341, 345

Bayer (Kanonikus) 122, 123 Becker 283,314, 395 Beckers 37, 38, 74 Benjamin 326-330, 337, 344 Berckenmeyer 114 Berenger 78, 110 Bernecker 16, 74 Bertrand 10 Beruete y Moret 288 Beumelburg 331 Beyerlein 79, 80, 84-92, 101, 110 Bickerich 391 Biernat 352, 353, 364, 396 Birken 81, 82, 89, 103, 110 Bizet 212 Blasco 156 Blei 324 Bley 331 Blobel 391 Boabdil 116 Böclder 392, 395 Börjes 393, 395 Bogner 9 Bonaventa 137 Botero 59 Braque 357 Braubach 114, 164 Braun 75 Brecht 307 Bredel 340 Breioer 391 Brenner 9, 111,348, 3 9 1 , 3 9 5 , 3 9 6 Breuer 272

Bis an den Rand Europas

402 Breydenbach 38

Cortez 135

Briesemeister 10, 164, 169, 224

Cristina (Königin) 171

Brill 324

Cruz 383

Brinkmann 381

Cruise 383

Brodhäcker 393 Brüggemann 10, 78, 83, 110, 113, 164,

Dali 357, 373

167, 1 8 9 , 1 9 3 , 195, 224, 227-229, 247,

Degener 348

248, 272

Delpech 331, 345

Bucovich 327

Denina 135

Bürger, A. 159

Dietrich 331

Bürger, O. 323

Dirscherl 394

Burghardt 382, 384, 395

Döblin 338, 339, 344

Burriel 123

Dolezal 75

Burschell 330

Don Juan de Austria 56

Cadalso 175

Dostal 311

Calderan 292, 311

Drewitz 297, 313

Calderön 135, 158, 228, 247, 273

Drouve 384-386, 387, 395

Calvin 17, 66, 332

Duchhardt 78, 110

Capa 297

Dumas 267

(de) Capedvila 125

Duran 94, 111

(Don) Carlos Maria Isidro von Bourbon 171

Dwinger 331

(von) Donnersmarck 375

Carriazo 92, 111 Cassirer 283

Ebeling 121, 164

Cavanilles 135

Eben (Auli Apronii) 79, 80, 83-85, 88, 89,

Cela 300

92, 9 4 , 9 5 , 9 8 , 107, 108, 110

Cervantes 135, 235

Edschmid 302- 3 0 7 , 3 1 1

Cézanne 285

Eggert 396

Che Guevara 367

Eichendorff 273

Chidolue 391

Eintrat 206

Chopin 323

Eisenstein 297, 312

Christian Ernst (Prinz) 81

El Greco 271, 281, 282, 286, 288-291

Christiansen 300, 311, 323

Elvers 224

(El) Cid 201, 228, 234, 238, 271, 305

Endler 365

(de) Cienfuegos 154

Erasmus 15

Clarke 122

Esselborn 391, 396

Claudius 340

Ewers 292-296, 312, 337

Coelho 375

Ewing 372

Colom 300 Columbus 212

Fahnders 345

Cornette 110

Falk 2 9 1 , 3 1 3

(Ferdinand) Cortes 212

Farinelli 79, 80, 111

Namensregister

403

Felder 167, 2 2 3

Gerstenberger 114, 164

Ferdinand II. 15, 33, 85, 92, 3 0 3

Gimber 2 7 7 , 3 1 3

Ferdinand VII. 170, 193

Godoy 149

Fessler 2 8 1 , 3 1 2

Gödde 3 4 4

Feuchtwanger 3 3 8

Goedecke 2 2 5

Fischer, C. 91, 111, 1 4 5 - 1 4 8 , 150, 1 5 1 ,

Goethe 152, 153, 157, 177, 224, 2 4 0 , 293,

1 6 2 - 1 6 5 , 167, 2 2 3 , 2 4 0

294, 318

Fischer, E. (Pater Emericus) 118-120, 163

Gorrisch 341

Fischer, J . 2 9 2 , 3 1 3

Gottwald 3 9 1

Fittko 3 3 0 , 337, 3 3 8 , 3 4 4

Goya 2 8 1 , 2 8 6 , 2 8 8 , 2 8 9

Flieder 2 6 7 , 2 6 8

Graciän 3 6 8

Forster 2 2 3

Grass 381

Franco 12, 2 7 6 , 3 1 5 , 3 1 8 , 3 2 0 - 3 2 2 , 3 2 4 ,

Greye-Hofrichter 391

3 3 1 , 3 3 2 , 336, 3 6 1 , 3 6 3 - 3 6 5 , 3 6 7 , 3 7 2

Griffith 3 8 3

Franz 3 4 0

Grimm 162

Friedrich II. 4 5

Groote 37, 39, 7 3

Friedrich III. 2 9

(von) Grünau 3 4 8

Friedrich-Stegmann 10, 145

Guizot 171

Friedrich Wilhelm III. 2 6 3

Gundlach 3 9 1

Friedrich Wilhelm IV. 2 2 1

Gurland 3 3 0

Fries 3 6 4 - 3 6 6 , 3 6 8 , 3 6 9 , 3 9 5

Gurlt 44, 7 4

Frisch 3 4 1 - 3 4 4

Gutenberg 17

Fronner 2 8 1 , 3 1 2 Frühwald 3 4 5

Haas 3 9 6

Fry 3 3 7

Hachtmann 2 7 5 , 3 1 3

Fühmann 3 6 5

Hackländer 2 1 8 , 2 1 9 , 2 2 8 - 2 3 9 , 2 7 2

Führing 331

Haerdter 3 4 8

Fuchs 3 9 6 , 3 9 7

Hagenbeck 2 9 9 Hager 133, 134. 135, 136, 163

Gabilondo 3 8 3

Hahn-Hahn 2 0 0 , 2 0 5 , 2 0 7 , 2 1 2 , 2 2 3 - 2 2 5

Gaddis 3 8 8

Hajek-Arendt 3 2 5

Gall 2 7 1 , 2 7 2

Hannibal 135

Garcia Felguera 2 9 6 , 3 1 3

Harden, M . 285

Garcia-Wistädt 167, 2 2 4 , 2 7 2 , 2 7 3 , 3 4 5

Harden, T. 395, 3 9 7

Garzon 3 8 3

Harff 3 7 - 4 4 , 73, 74

Gaudi 3 0 9

Hasenclever 45, 7 4

Gaviotto Künckler 2 9 0 , 3 1 3

Hausmann 3 2 7

Gebser 2 9 0 , 3 1 3

Heckel 17, 7 4

Geck 2 2 9 , 2 7 2

Hegel 3 5 9

Geier 3 2 9 , 3 4 5

Heinrich IV. 2 1 - 2 4 , 27

Geldner 2 9 2 , 3 1 2

Heinrich Prinz von Preußen 221

Gernhardt 381

Heinritz 3 9 6

Bis an den Rand Europas

404 Heise, H. J. 370-374, 395

Jovellanos 282

Heise, J. 379

Juretschke 10, 120, 164

Hellwig 10, 273

Justi 228, 279, 281, 282, 285, 312

Hempel 152, 164

Jüttner 188, 225

Herbers 10, 17, 29, 38, 74, 75 Herder 1 1 , 2 3 4

Kahle 319

Hernandez 373

Kantorowicz 341

Herse 331

Karl II. 88

Hessel 328

Karl III. 120, 128, 139, 142

Hieischer 2 9 7 - 3 0 0 , 3 1 2

Karl IV. 120, 135

Hinske 225

Karl V. 16, 17, 45, 55, 78, 79, 98, 173

Hitler 315. 316

Karl VI. 114

Hölderlin 326

Karl (Kronprinz) 229

Hönsch 10, 114, 115, 140, 164, 225

Karplus 330

Holitscher 301, 312

Kaufhold 140, 143, 145, 161, 163

Honecker 369

Kaufmann 225

Horaz 249

Katz 381

Horschelt 229, 236, 238

Keding 331-334, 344

Hoyos 331

Kehrer 111

Huber 187-191, 193, 194, 223, 224

Keiser 59, 60, 72, 74

Huerkamp 145, 164

Kerkeling 374- 380, 384, 395

Humboldt, A. von 152, 223, 225

Kerr 302, 3 0 3 , 3 1 2 , 320

Humboldt, W. von 145, 152-155, 162, 163

Kessler 324

Hus 17

Khair ad-Din 98

Hutten 335

Kidman 383 Kippenberg 290

Ingendaay 387-390

Kisch 340

Isabel I. 15, 33, 92, 303

Klein, J. 2 8 1 , 3 1 2

Isabel II. 1 7 1 , 2 2 2 , 227, 332

Klein, W. 345

Isidor von Sevilla 79

Kleinmann 120

Israel 316

Koeppen 355-360, 365, 389, 395, 396, 397

Israels 2 8 2 - 2 8 4 , 3 1 2

Koestler 341

Jakobs 365

Krauss 365, 369

Jamin 391

Krehan 307-312

Krause 277

J. M. 115, 116, 118

Kristl 352-354, 395

Janich 1 5 , 7 4

Krüger 381

Jariges (Pandin) 113, 145, 156, 157, 159,

Kühn 380

161-163

Kühne 75

Jenne 129-133, 163

Kulkies 382

Johanek 18, 19, 75

Kunert 364

Jokisch 327

Künig von Vach 38

Namensregister Kürbis 17, 53, 59, 69, 75, 78, 80, 85, 111 227, 272

Martinez 8 8 , 1 1 1 Martini 233, 237, 273 Masdeu 135

Laborde 240

Maspons 300

Lampillas 135

Matamoros 332

Lange 44-52, 74

Matz 297, 313

Langenscheidt 281

Maurer 78, 111

(de) Lara 19 Lehmann 348, 397 (von) Leins 229 Leitzmann 152, 153, 163 Lemmer 391 Leonhard 340

Maximilian 16 May 293 Mayans 124 Mayer, A. 282, 312 Mayer, H. 365 Mayers 382

Lertxundi 368

Meggle-Freund 314, 395

Limberg 79, 80, 83-92, 94, 97, 98, 100-

Meier-Graefe 282, 285-289, 312, 314

107, 110, 118

Mendheim 239, 273

Link 159

Mengs 282

Linneus 125

Menke 331

Löber 382

Menzel 391

(zu) Löwenstein 206-214, 224

Mérimée 212

Lonitz 344

Meuthen 15, 17, 75

Lorca 361, 373

Meyer-Thurow 145

Lorent 297

Michaelis 121

Lorinser 228, 229, 247-252, 254-256, :

Miedema 75

273 Ludwig XIV. 89

Miller 225 (de la) Mina 173

Lüsebrink 10

Miré 372

Luther 17, 335

Modersohn 283 Moeller 75

Maassen 340

Mohr 229, 257-262, 272

MacLaine 375

(von) Moltke 221, 222, 224, 225

Mach 288

Moller 17

Mämpel 176-181, 187, 224

Montana (Pater) 265

März 376

Montes (Torero) 211

Mahler-Werfel 338

Montesquieu 114

Mandeville 38

Morel-Fatio 10

Mann, E. 318, 319, 321-323, 344

Moreno Garrido 276, 297, 313, 396

Mann, H. 338

Morris, J. 361

Mann, K. 318-320, 321, 323-345

Morris, W. 285

Manoel 176

(de) Morviellers 114, 135

Marco Polo 38

Müllner 197

Maria Amalia von Sachsen 139

Münch 77, 111

405

Bis an den Rand Europas

406 Münster, R. 3 0 2 , 3 1 3 , 3 2 5 , 3 4 5

Pinochet 383

Münster, S. 59

Pizarro 212

Murillo 212, 2 7 1 , 2 8 1 , 2 8 8

Plath 345

Murray 240

Plato 81

Muther 2 8 2 , 3 1 2

Platter 59, 60, 62- 69, 71, 72, 74, 118 Plötz 10, 17, 38, 74, 75

Nadolny 380

Plüer 113, 121-123, 125-128, 133, 163

Nahrstedt 349, 350, 351, 352, 395

Podibrad 18, 19, 2 3 , 2 9

Napoleon 167, 169, 171, 176, 244, 259

Popplau 29-37, 74, 75

Navarro 273

Portüs 2 8 2 , 3 1 3

Neumair 79, 80, 83, 86, 87, 89, 91, 92, 97,

Poten 225

99, 100, 102, 104-106, 109, 110

Primo de Rivera 276, 315

Niefanger 77, 106, 111 Nietzsche 286-288, 306, 307, 320, 367

Quintana 154

Noeggerath 327, 330 Noehles-Doerk 314

Radzikowski 30, 74

Nolden 342, 344

Ranke-Graves 323

Nünez 194

Ransmayr 381 Raposo 136, 146, 165, 224, 272, 273, 345

Obregón 383

Rebok 228, 273

Ohlenschläger 397

Regler 341

Olmedo 27

Rehfues 171, 1 7 2 , 1 7 4 , 176, 224, 225

Ortelius 59

Reichel 315, 345

Ortega y Gasset 277

Reinecke 316, 345

Ortiz Echagüe 297, 300, 312, 327

Reich-Ranicki 302, 313

Otten 324, 344

Reina 331 Reinstädler 200, 225

Paravicini 18, 29, 37, 38, 45, 75

Rembrandt 284

Parem 328

Renau 367

Parr 297, 313

Renn 315, 340, 344, 345

Paquet 335

Reuss 117, 118

Pericard-Mea 18, 75

Ridder-Symoens 111

Pfotenhauer 29, 75

(del) Riego 170, 187, 191

Philipp II. 1 6 , 5 5 , 7 1 , 7 8 , 287

Rigel 180, 181, 184, 185, 187, 224, 225

Philipp III. 116

Rilke 282, 283,289-292, 305, 3 1 3 , 3 1 4 , 3 2 6

Philipp IV. 89

Ritter 273

Philipp V. 114

(von) Rochau 214-216, 218, 224, 225

Picasso 292, 357

Rodiek 345

Piccolomini 15

Rohling 223

Pietschmann 16, 74

Rolef 229, 262-272

Pikulik 225

Roselieb 331

Pinner 3 0 4 , 3 1 2

Rothes 2 9 2 , 3 1 2

Namensregister Rousseau 243 Rovira i Vigili 92, 111

Smeth 331 Söllner 283, 312

Rozmital 18, 19, 20, 23, 24, 27, 28, 30, 72, 74, 75 Ruiz 94, 111 Rupnow 114, 165

Sokrates 81 Spalek 345 Spelbrinck 327

Sales 101, 111 Salomon-Delatur 326 Sancho III. 88 Sánchez Cano 298, 313

Stalin 340 Stangl 381 Stanzel 114, 165 Stern 361 Sterne 355 Stolz 18, 75 Strelka 223, 225 Suärez 92, 111

Sand 323 San Miguel 247, 273 Sauder 397 Savigny 206 Schäfer, E. 281, 312 Schäfer, R. 292, 312 Schäfer-Groswiler 382 Schaenzler 319, 345 Schüler, F. 229, 239 Schiller, C. 239 Schinkel, E. 239 Schinkel, K. F. 239 Schlichting 391 Schmeller 19, 74 Schmidt, E 341 Schmidtke 379 Schmilz 276, 313 Schobinger 60 Scholem 327, 330, 344, 345 Scholz-Hänsel 282, 313 Schroeder 285, 313 Schrott 381 Schülting 200 Schütz 301, 313 Seegers 323 Seil 360-363, 395 Selz 328-330 Seneca 81, 82 Sickingen 15 Siebenmorgen 282, 314 Simon 278,314

Sprengel 275,314 Stackelberg 331

Suntrup 75 Taro 297 Taubenheim 233 Thede 99, 111 Thelen 324, 341 Timm 381 Tetzel 19, 20, 21, 24-28, 30, 45, 72 Thiemann 263, 273 T h u m und Taxis 290, 291 Tiedemann 344 Tietz 170, 225 Timmerberg 381 Timmermanns 331 Todorow 358-360, 397 Toller 316-318, 344 Toulouse-Lautrec 285 Treitschke 225 Trojanow 381 Tucholsky 301, 312 Uden 331 Ufer 176, 225 Uhse 340 Umlauff 299 Unamuno 372 Urbina 300

407

Bis an den Rand Europas

408 Valdano 383

Weyergraf 314

Valera 331

Whistler 286

Valero 327, 345

Widmer 381

Van Gogh 285

Wierlacher 9

VegalO, 152, 254, 2 7 3 , 3 6 1

Wilde 285

Veläzquez 228, 271, 281-288

Wilhelm IV. von Jülich 37

Vesper 334-337, 344

Wilhelm von Württemberg 171

Vialladangos 291, 314

Willkomm 240

Vincke 313

Winckelmann 282

Vogeler 283

Witzigmann 393

Volrad 53

Wölfflin 282

Voss 326

Wolf 300, 312 Wolfzettel 169, 194, 1 9 5 , 2 2 5

Wagner 277, 257 Wall (Staatssekretär) 123

Wolzogen, A. 228, 229, 239-241, 246, 272, 273

Warnke 288, 314

Wolzogen, H. 239

Weber, E. 15, 74, 75

Wright 348

Weber, W. 300, 312

Wüllenweber 2 8 1 , 3 1 2

Wedel 53-58, 73, 74

Wurzer 332

Weech 225 Wegener 10

Zedier 114, 118, 120, 164,

Weinert 340

Zeeden 77, 111

Weininger 306

Zeiller 78- 80, 110

Weiss 318, 345

Zender 391

Weissenberger 225

Zetzner 117, 118, 120, 164

Welsch 79, 80, 82, 83, 86, 89, 90, 92-97, 99, 100-103, 105, 107, 109, 110 Wenge 111 Wenig 365

Ziegler, Alex.. 228 Ziegler, Arne 75 Zimmermann 10, 113, 120, 121, 133, 134, 1 3 6 , 1 4 0 , 1 4 7 , 1 5 6 , 1 6 3 , 165

Weniger 313

Zondergeld 313

Wensierski 379

Zornack 370-373, 395

Wentzl äff-Eggebert 10, 164

Zuloaga 289

Westarp 327

Zwingli 17, 66

Quellenhinweise

Arendt, Erich: Bergwindballade. Gedichte des spanischen Freiheitskampfes (1952) © 2004, 2011 Rimbaud Verlagsgesellschaft mbH, Aachen Böckler, Michael: Sturm über Mallorca © 1997 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München Börjes, Irene: Tod am Teide. Kanaren-Krimi © 2007 Editorial Verena Zech, Tenerife, Canarias. Döblin, Alfred: Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis © S. Fischer Verlag G m b H , Frankfurt am Main Drouve, Andreas: Kulturschock Spanien © 2008 Reise Know-How Verlag, Bielefeld Fries, Fritz Rudolf: Mein spanisches Brevier © 1982 Hinstorff Verlag GmbH Rostock Frisch, Max: Spanien - Im ersten Eindruck. In: Gesammelte Werke. Bd. 3 ©1998 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Heise, Hans-Jürgen und Zornack, Annemarie: Der Macho und der Kampfliahn. Unterwegs in Spanien und Lateinamerika. Neuer Malik Verlag, Kiel, 1987 © Piper Verlag, München Ingendaay, Paul: Gebrauchsanweisungfür Spanien © 2002 Piper Verlag, München Kerkeling, Hape: Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg © 2006 Piper Verlag, München Krehan, Hermann: Von der Spree zum Manzanares © 1930 Dietrich Reimer Verlag, Berlin Koeppen, Wolfgang (1986): Gesammelte Werke in sechs Bänden, hg. von Marcel ReichRanicki Bd. 4. Berichte und Skizzen I. © 1986 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main

410

Bis an den Rand Europas

Mann, Klaus (1993): Das Wunder von Madrid — (2005): Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht Mann, Erika (2001): Blitze überm Ozean © Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek Nahrstedt, Carl: Ewiges Spanien am Rande Europas © 1950 Eilers Verlag GmbH, Bielefeld Söllner, Eva: Rilke in Spanien. furt am Main

Briefe. Gedichte.

Tagebücher©

1993 Insel Verlag, Frank-

Autoren, Herausgeber und Verlag haben sich intensiv bemüht, die Inhaber von Texten ausfindig zu machen. Personen und Institutionen, die möglicherweise nicht erreicht wurden und Rechte beanspruchen, werden gebeten, sich nachträglich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen. W i r danken allen Verlagen, die uns freundlicherweise eine Abdruckgenehmigung erteilt haben.