Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht [1 ed.] 9783428522118, 9783428122110

Daniela Schroeder befasst sich rechtsvergleichend mit der im Rechtsstaatsprinzip zu verortenden Problematik der Bindungs

116 3 1MB

German Pages 355 Year 2006

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Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht [1 ed.]
 9783428522118, 9783428122110

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Schriften zum Europäischen Recht Band 123

Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht

Von Daniela Schroeder

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

DANIELA SCHROEDER

Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 123

Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht

Von Daniela Schroeder

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Wintersemester 2005/2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-12211-9 978-3-428-12211-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum befinden sich auf dem Stand von Ende März 2006. Die Arbeit geht auf eine Anregung meines Doktorvaters, Herrn Prof. Dr. Michael Sachs, zurück, dem ich für die Betreuung der Arbeit herzlich danke. Besonders danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Burkhard Schöbener für das von ihm erstellte Zweitgutachten. Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die von ihnen herausgegebene Reihe „Schriften zum Europäischen Recht“. Diese Arbeit widme ich meinen Eltern. Köln, im April 2006

Daniela Schroeder

Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Einführung in die Problematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Bindungswirkung und Arten von Bindungswirkungen von Rechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verortung der Bindungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 19 21

B. Thematik der Bindungswirkungen von Rechtsakten aus rechtsvergleichender Perspektive als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entscheidungen nach Art. 249 Abs. 4 EG und Verwaltungsakte nach § 35 S. 1 VwVfG als dem Vergleich zugrundeliegende Handlungsformen II. Anlass für den vorliegenden Rechtsvergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 28

C. Fragestellung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

D. Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

24

1. Teil

Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern

40

1. Kapitel Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern

41

A. Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen von Nichtigkeitsklage- bzw. Beschwerdeverfahren zuständigen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Formelle Bestandskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Begriff und Geltungsgrundlage der formellen Bestandskraft . . . . . 43

8

Inhaltsverzeichnis

II. III. IV. V.

b) Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der formellen Bestandskraft auf die Betroffenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandskraftabhängiges Aufhebungsverbot gegenüber dem EuGH und dem EuG bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger . . . . . . . . . . Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortbestand des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes. . . . . . . . . . Folge des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Aufhebungsverbot gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Anfechtungsklage-, Versagungsgegenklage- bzw. Widerspruchsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Geltungsgrundlage der formellen Bestandskraft. . . . . . b) Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der formellen Bestandskraft auf die Betroffenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandskraftabhängiges Aufhebungsverbot gegenüber den für die Aufhebung im Rahmen von Anfechtungsklage-, Versagungsgegenklage- bzw. Widerspruchsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fortbestand des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes. . . . . . . . . . IV. Folgen des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 50 51 72 77 78

79 79 81 81 83

84 84 105 111 113

C. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2. Kapitel Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern A. Aufhebungsverbote gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern. . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rücknahme von Entscheidungen mit Wirkung ex tunc. . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rücknahme begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc . . . 2. Rücknahme belastender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc. . . . . . . II. Rücknahme von Entscheidungen mit Wirkung ex nunc . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rücknahme begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc. . . 2. Rücknahme belastender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc . . . . . .

118 118 123 123 129 130 130 131

Inhaltsverzeichnis III. Widerruf von Entscheidungen mit Wirkung ex tunc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerruf begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc . . . . . 2. Widerruf belastender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc. . . . . . . . . IV. Widerruf von Entscheidungen mit Wirkung ex nunc . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerruf begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc. . . . . 2. Widerruf belastender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Aufhebungsverbote gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . I. Rücknahme von Verwaltungsakten nach § 48 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle Rücknahmebeschränkung nach § 48 Abs. 2 VwVfG . . b) Materielle Rücknahmebeschränkung nach § 48 Abs. 3 VwVfG . . c) Zeitliche Rücknahmebeschränkung nach § 48 Abs. 4 VwVfG . . . 2. Rücknahme belastender Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Widerruf von Verwaltungsakten nach § 49 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerruf begünstigender Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerruf begünstigender Verwaltungsakte nach § 49 Abs. 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerruf begünstigender Verwaltungsakte nach § 49 Abs. 3 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerruf belastender Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Modifizierung der Zulässigkeitsbeschränkungen einer Aufhebungsentscheidung nach § 50 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen des § 50 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen des § 50 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 132 132 132 133 133 134 135 137 140 141 141 143 145 146 147 148 148 149 149 150 151 153 154 156

2. Teil

Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger und den anderen Entscheidungsträgern

164

1. Kapitel Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

165

A. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger im Kontext der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Bestehen eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . 166

10

Inhaltsverzeichnis a) Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Materielle Bestandskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bestehen und Geltungsgrundlage der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Materielle Bestandskraft im Sinne von Unabänderlichkeit einer Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Materielle Bestandskraft im Sinne von Maßgeblichkeit einer Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Begriff der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortbestand des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . d) Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . aa) Folgen der materiellen Bestandskraft im Kontext einer später seitens des erlassenden Entscheidungsträgers zu treffenden Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konsequenzen für die Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . a) Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachlicher Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . (a) Rechtswirkungen entfaltende Bestandteile einer Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Ausnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Konsequenzen für den Gegenstand der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Persönlicher Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . (a) Einbeziehung der Nichtentscheidungsträger . . . . . . . . . . . . (b) Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers . . . . . (aa) Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Konsequenzen der Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in seiner Stellung als Betroffener in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zeitlicher Umfang der materiellen Bestandskraft. . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für den Umfang des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 166 166 167 169 182 183 184 185 185

185 186 187 187 187 188 188 191 192 196 196 200

200

203 204

204

Inhaltsverzeichnis

11

II. Bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . a) Bestehen und Geltungsgrundlage des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . c) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fortbestand des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Folgen des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes. . . . 2. Umfang des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205 205

B. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger im Kontext der Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . a) Bestehen und Geltungsgrundlage des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Materielle Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bestehen und Geltungsgrundlage der materiellen Bestandskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Begriff der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Materielle Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Abgrenzung zu der nur vorläufigen Verbindlichkeit bb) Bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . c) Voraussetzungen für den Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fortbestand des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Folgen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . aa) Folgen der materiellen Bestandskraft bei einem später von dem erlassenden Entscheidungsträger zu erlassenden Verwaltungsakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konsequenzen für die Folgen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft . . . a) Umfang der materiellen Bestandskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachlicher Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . (a) Grundsätzlicher Gegenstand der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205 206 207 207 208 208 209 212 214 214 214 215 215 217 217 218

221 221 221 223 223

224 225 225 225 226 226

12

Inhaltsverzeichnis (b) Ausnahmsweise erweiterter Gegenstand der materiellen Bestandskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Persönlicher Umfang der materiellen Bestandskraft . . . . . . . . . cc) Zeitlicher Umfang der materiellen Bestandskraft. . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für den Umfang des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. (Selbst-)Bindungswirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen der (Selbst-)Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestehen und Geltungsgrundlage der (Selbst-)Bindungswirkung . . b) Begriff der (Selbst-)Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen für den Eintritt der (Selbst-)Bindungswirkung . . d) Fortbestand der (Selbst-)Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Folgen der (Selbst-)Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der (Selbst-)Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 235 236

237 238 238 238 239 240 241 241 243 243

C. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

2. Kapitel Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern A. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern im Kontext der Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestehen und Umfang eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes. . . . a) Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene. bb) Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf Gemeinschaftsebene. . . . . . b) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortbestand des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgen des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . 2. Umfang des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . .

253 254

255 255 255

256

260 263 264 264 265

Inhaltsverzeichnis II. Bestehen und Umfang eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber dem EuGH, dem EuG und den mitgliedstaatlichen Gerichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . a) Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortbestand des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes. . d) Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . aa) Folgen der materiellen Bestandskraft im Rahmen nachfolgender Verfahren vor dem EuGH, dem EuG bzw. den mitgliedsstaatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konsequenzen für die Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bestehen und Umfang eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen Entscheidungsträgern im Kontext der Verwaltungsakte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestehen der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Tatbestandswirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandwirkung i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandswirkung (i. w. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestehen und Geltungsgrundlage der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen für den Eintritt der Tatbestandswirkung. . . . . . . . . . . 4. Fortbestand der Tatbestandswirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Folgen der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umfang der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachlicher Umfang der Tatbestandswirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahme: Feststellungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlicher Umfang der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitlicher Umfang der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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266 266 266 272 272 272

273 275 275 276 280 281 281 283 284 285 294 296 297 298 299 299 299 301 301 302

C. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

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Inhaltsverzeichnis

Schlussbetrachtung A. Zusammenfassung der Vergleichsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . 2. Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger und den anderen Entscheidungsträgern . . . . . 1. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315 315

315

315

317 319 319 322

B. Bewertung der Vergleichsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. a. E. a. F. AktG Alt. AO arg. e contr. Art(t). AsylVerfG Aufl. BAGE BauGB BauONW BayOLG BayVBl. BayVGH BayVwVfG BB-AWD Bd. BeaSt. ber. betr. BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BSG BSGE BT-Drs. BVerfG BVerfGE

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz am Ende alte Fassung Aktiengesetz Alternative Abgabenordnung argumentum e contrario Artikel (Singular bzw. Plural) Asylverfahrensgesetz Auflage Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Baugesetzbuch Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz Der Betriebsberater-Außenwirtschaftsdienst Band Beamtenstatut berichtigt(e) betreffend Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestagsdrucksachen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

16 BVerfGG BVerwG BVerwGE BVFG BVZG bzgl. bzw. CMLRev. ders. d.h. dies. DÖD DÖV DV DVBl. EAG-Vertrag EFG EG EGKS-Vertrag Einl. ELRev. endg. EPL EU EuG EuGH EuR EuZW EVwVfG EWG-Vertrag EZB f(f.) FG Fn. FS GA/GÄin GastG GewArch. GG

Abkürzungsverzeichnis Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesvertriebenengesetz Bundesverwaltungszustellungsgesetz bezüglich beziehungsweise Common Market Law Review derselbe das heißt dieselbe(n) Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Die Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Entscheidungen der Finanzgerichte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der Fassung von Amsterdam) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einleitung European Law Review endgültig European Public Law Vertrag über die Europäische Union Europäisches Gericht Erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf des Verwaltungsverfahrensgesetzes Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (in der Fassung des Römischen Vertrages) Europäische Zentralbank (fort-)folgende Finanzgericht Fußnote(n) Festschrift Generalanwalt/Generalanwältin Gaststättengesetz Gewerbearchiv Grundgesetz

Abkürzungsverzeichnis ggfls. GO grdl. Gr. Sen. GV Hessen GVNRW HessVwVfG Hrsg. i. E. i. e. S. i. Ü. i. V. m. i. w. S. JA JuS JZ KOM K&R lit. LKV lt. m. a. W. m. E. MRVO NJOZ NJW Nr(n). NVwZ NVwZ-RR NWVBl. NZA NZS o. ä. o. g. OLG OVG OVG BlnE OVG NW Revue trim. de droit europ. Rs. s. S.

gegebenenfalls Geschäftsordnung grundlegend Großer Senat Gesetz- und Verordnungsblatt Hessen Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz Herausgeber im Ergebnis im engeren Sinne im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Kommunikation & Recht litera Landes- und Kommunalverwaltung laut mit anderen Worten meines Erachtens (Britische) Militärregierungsverordnung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport Nordrhein-westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht oder ähnlich oben genannt(en) Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Oberwaltungsgerichts Berlin Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Revue trimestrielle de droit européen Rechtsache siehe – Satz – Seite

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18 SA/SÄe SGB Slg. Slg. ÖD s. o. sog. st. Rspr. u. a. UAbs. u. ö. u. U. v. a. Var. VBlBW verb. Rs. VerfO verh. VermG VerwArch. VerwRspr. VG VGH BW vgl. VO VOBlbrZ Vorbem. VVDStRL VwGO VwVfG VwVfG LSA VwVfG NW ZaöRV z. B. ZEuS ZHR Ziff. ZPO z. T. z. Zt.

Abkürzungsverzeichnis Schlussantrag/Schlussanträge Sozialgesetzbuch Sammlung Sammlung Öffentlicher Dienst siehe oben sogenannt(e) ständige Rechtsprechung – unter anderem – und andere Unterabsatz und öfter unter Umständen vor allem Variante(n) Verwaltungsblätter Baden-Württemberg verbundene Rechtssachen Verfahrensordnung verheiratete Vermögensgesetz Verwaltungsarchiv Verwaltungsrechtsprechung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg vergleiche Verordnung Verordnungsblätter der britischen Zone Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Sachsen-Anhalt Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zivilprozessordnung zum Teil zur Zeit

Einleitung A. Einführung in die Problematik I. Begriff der Bindungswirkung und Arten von Bindungswirkungen von Rechtsakten Die Thematik der Bindungswirkungen von Rechtsakten beschäftigt sich mit der Frage, ob und – wenn ja – ggfls. in welchem Umfang der erlassende Entscheidungsträger als Urheber eines Hoheitsaktes und die anderen Entscheidungsträger, d.h. die exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger sowie die Gerichte1 bei ihrer späteren Entscheidungsfindung an einen erlassenen Rechtsakt gebunden sind. Hinsichtlich der Bindung an einen Rechtsakt sind zwei verschiedene Bezugsobjekte zu unterscheiden: Die Bindung kann sich zum einen auf die – hier im untechnischen Sinne zu verstehende – Existenz, d.h. den Bestand eines Hoheitsaktes, zum anderen auf dessen Inhalt beziehen. Je nach Bezugsobjekt hat die Bindung einen unterschiedlichen Bedeutungsinhalt: Existenzbezogen bedeutet Bindung für einen Entscheidungsträger, dass er einen einmal von ihm oder einem anderen Entscheidungsträger erlassenen Hoheitsakt nicht (mehr) oder nur noch unter bestimmten Voraussetzungen (vollständig oder teilweise) aufheben und damit in seinem Bestand beseitigen darf;2 der Bindung kommt insofern die Wirkung eines Aufhebungsverbotes zu.3 Inhaltsbezogen bedeutet Bindung für Entscheidungsträger die 1 In Abgrenzung zu dem erlassenden Entscheidungsträger werden die exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger und die Gerichte im Folgenden oftmals kurz als „andere Entscheidungsträger“ bezeichnet. 2 Seibert, S. 63; Blanke, S. 164. Bötticher (S. 73) stellt demgegenüber auf das Können, nicht auf das Dürfen ab. – Die (vollständige oder teilweise) Aufhebung eines Rechtsaktes liegt auch seiner Abänderung zugrunde, bei der der Rechtsakt (vollständig oder teilweise) aufgehoben und gleichzeitig durch einen neuen Rechtsakt ersetzt wird; sie wird daher im Folgenden nicht mehr besonders hervorgehoben. 3 Grundlegend zu dieser Art von Bindungswirkung: Bötticher, S. 73 (im Zusammenhang mit der von ihm als „Widerrufsverbot“ bezeichneten existenzbezogenen innerprozessualen Bindungswirkung eines gerichtlichen Urteils gegenüber dem Zivilgericht im Rahmen des § 318 ZPO [Zivilprozessordnung in der Fassung vom 12. September 1950, BGBl. I 1950, 533 mit Änderungen]). Diese v. a. als „Aufhebungsverbot“, „Widerrufsverbot“ oder „negative Bindungswirkung“ bezeichnete

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Pflicht, den Inhalt eines Rechtsaktes als gegeben zu akzeptieren, ihn seinem weiteren Handeln zugrundezulegen4 und daher bei (erneuter) Befassung mit dem Gegenstand einer bereits getroffenen Regelung von dieser nicht abzuweichen und sich nicht in Widerspruch zu ihr zu setzen;5 die Bindung wirkt insoweit als Abweichungsverbot.6 Als existenzbezogene Bindungswirkungen dienen die Aufhebungsverbote der Sicherung des Bestandes eines Rechtsaktes gegen eine Beseitigung,7 während die Abweichungsverbote als inhaltsbezogene Bindungswirkungen mit Blick auf die Gewährleistung widerspruchsfreier Rechtsakte die Sicherung des Inhalts eines bestehenden Hoheitsaktes bezwecken, wobei der Bestand als solcher in dieser Konstellation unberührt bleibt.8 Angesichts ihrer verschiedenen Bezugsobjekte sowie ihrer unterschiedlichen Zwecke bestehen die Aufhebungs- und Abweichungsverbote einerseits unabhängig voneinander,9 andererseits stehen sie sich jedoch nicht völArt von Bindungswirkung scheint im deutschen Recht sowohl für gerichtliche Entscheidungen als auch für Verwaltungsakte – soweit ersichtlich – allgemein anerkannt zu sein, vgl. für Verwaltungsakte z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 15 und Rn. 17; Seibert, S. 63; Blanke, S. 164; Rohlfing, S. 70; Becker, S. 52; Domke, S. 52 f. (53); Randak, JuS 1992, 33, 34; für gerichtliche Entscheidungen z. B.: Sachs, Bindung, S. 3 f. (4); Vollkommer, in: Zöller, § 318, Rn. 10; Reichold, in: Thomas/ Putzo, § 318, Rn. 3; Jauernig, § 61 I.; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 1. 4 Seibert, S. 192 f. 5 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 15; Seibert, S. 63; Blanke, S. 164. 6 Grundlegend zu dieser Art von Bindungswirkung wiederum: Bötticher, S. 73 (in dem oben [Fn. 3] bereits dargelegten Kontext von ihm als „Widerspruchsverbot“ bezeichnet, aufgrund des Sachzusammenhangs allerdings auf dasselbe Verfahren beschränkt). Diese v. a. als „Abweichungsverbot“, „Widerspruchsverbot“ oder „positive Bindungswirkung“ bezeichnete Art von Bindungswirkung scheint im deutschen Recht sowohl für gerichtliche Entscheidungen als auch für Verwaltungsakte – soweit ersichtlich – allgemein anerkannt zu sein und dabei – jedenfalls in Bezug auf den Verwaltungsakt – auch seine verfahrensübergreifende Bindung zu erfassen, vgl. für Verwaltungsakte z. B.: FG des Saarlandes, EFG 2003, 1449; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 15, 39, 43 und 126; Seibert, S. 63; Blanke, S. 164; Rohlfing, S. 70 und S. 71; Becker, S. 52; Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 25; Domke, S. 52 f. (53); Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 2 („Selbstbindung“); Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 21; Randak, JuS 1992, 33, 34; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; für gerichtliche Entscheidungen z. B.: Sachs, Bindung, S. 3 f. (4); Vollkommer, in: Zöller, § 318, Rn. 11; Reichold, in: Thomas/Putzo, § 318, Rn. 4; Jauernig, § 61 I. 7 Bzgl. des Aufhebungsverbotes bei einem Verwaltungsakt: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 16; Becker, S. 52. 8 Im Hinblick auf den Verwaltungsakt: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 39. 9 In Bezug auf das Verhältnis zwischen Aufhebungs- und Abweichungsverbot bei Verwaltungsakten: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 16.

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lig beziehungslos gegenüber, sondern sind vielmehr insoweit miteinander verbunden, als zum einen ein Abweichungsverbot nur denkbar ist, solange und soweit der Hoheitsakt Bestand hat,10 zum anderen ein Aufhebungsverbot nur dann einen Sinn hat, wenn zugleich ein Abweichungsverbot besteht, da erst das Bestehen eines Abweichungsverbotes die Beseitigung desjenigen Rechtsaktes, von dem nun abgewichen werden soll, notwendig macht.11 II. Verortung der Bindungsproblematik Die Bindungsproblematik ist im Rechtsstaatsprinzip, das sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht, in dem das Rechtsstaatsprinzip zu den elementaren Prinzipien des Grundgesetzes12 gehört, gilt,13 zu verorten. Die durch die zwei Arten von Bindungswirkungen jeweils auf ihre eigene Art bewirkte und insgesamt einander ergänzende Bindung der Entscheidungsträger an den Bestand und den Inhalt eines Rechtsaktes schafft Beständigkeit der durch den Hoheitsakt geregelten Rechtsverhältnisse und dadurch Verlässlichkeit der Rechtsordnung. Neben Rechtsfrieden wird hierdurch Rechtssicherheit gewährleistet, ein wesentlicher Faktor im Hinblick auf das zentrale und wohl primäre Anliegen jeder Rechtsordnung: die Schaffung von Ordnung.14 10 In Bezug auf das Verhältnis zwischen Aufhebungs- und Abweichungsverbot bei Verwaltungsakten: Seibert, S. 195; Becker, S. 52. 11 In Bezug auf das Verhältnis zwischen Aufhebungs- und Abweichungsverbot bei Verwaltungsakten: Randak, JuS 1992, 33, 36 f. (37). 12 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. I 1949, 1 mit Änderungen). 13 Zur Geltung des Rechtsstaatsprinzips im Gemeinschaftsrecht s. das allgemeine Bekenntnis der Europäischen Union hierzu in Art. 6 Abs. 1 EU (Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 [BGBl. II 1992, 1253] in der Fassung des Vertrags von Amsterdam vom 2. Oktober 2003 [ABl. Nr. C 340/1, ber. BGBl. II 1999, 416], zuletzt geändert durch EU-Beitrittsakte 2003 vom 16.4.2003 [ABl. Nr. C 236/33]); s. auch: EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 5 (Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten); ferner: Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EUV, Rn. 27; Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Art. 6 EUV, Rn. 10; Hobe, in: Friauf/Höfling, Bd. 1, Art. 23, Rn. 23; Borchardt, Europäische Union, Rn. 133. Zur Geltung des Rechtsstaatsprinzips im deutschen Recht s. nur: BVerfGE 20, 323, 331. Nicht abschließend geklärt ist indes die Geltungsgrundlage des Rechtsstaatsprinzips im deutschen Recht. In seinen Entscheidungen führt das BVerfG häufig aus, das Rechtsstaatsprinzip ergebe sich „aus einer Gesamtschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der Einzelgewalten und der Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes“ (s. nur: BVerfGE 2, 380, 403); zur Geltungsgrundlage des Rechtsstaatsprinzips ferner: Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Bd. II, § 26, Rn. 3 (dort auch Fn. 14 mit einem Überblick über andere seitens des BVerfG genannte Geltungsgrundlagen).

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Die Rechtssicherheit nimmt sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht eine herausragende Stellung ein. Im Gemeinschaftsrecht stellt sie einen – aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten –15 allgemeinen Rechtsgrundsatz dar,16 der u. a. bezweckt, „die Voraussehbarkeit der unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen zu gewährleisten“17. Im deutschen Recht bildet die Rechtssicherheit, die gebietet, rechtliche Regelungen so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage hinreichend konkret erkennen und ihr Verhalten entsprechend ausrichten können,18 einen wesentlichen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips.19 Allerdings gilt das Gebot der Rechtssicherheit in einer Rechtsordnung nicht absolut. Es steht vielmehr im Widerstreit mit anderen grundlegenden Prinzipien, die ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip wurzeln.20 Hierzu gehört neben der rechtsstaatlichen Forderung materieller Gerechtigkeit, d.h. der Forderung, den einschlägigen materiellen Rechtsnormen zur Durchsetzung zu verhelfen,21 insbesondere der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung. Dieser ist sowohl im Gemeinschaftsrecht22 14 s. nur: GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 55 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). Zum Ordnungsgedanken auch: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 30, Rn. 1. 15 Haibach, NVwZ 1998, 456, 459. 16 EuGH, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-637, Rn. 24 (Kühne & Heitz NV/Productschap voor Pluimvee en Eieren). Als allgemeiner Rechtsgrundsatz stellt die Rechtssicherheit eine höherrangige Rechtsnorm dar und genießt Vorrang vor Gemeinschaftsrechtnormen und gemeinschaftsrechtlichen Einzelakten (dazu: Schwarze, S. 911 und S. 913 f.; für eine Stellung zwischen Primär- und Sekundärrecht: Bleckmann, NVwZ 1993, 824, 826). 17 St. Rspr. des EuGH und des EuG, s. nur: EuGH, Rs. C-63/93, Slg. 1996, I-569, Rn. 20 (F. Duff/Minister for Agriculture and Food and Attorney General); EuG, Rs. T-37/97, Slg. 1999, II-859, Rn. 97 (Forges de Clabeq SA/Kommission); ferner dazu: Haibach, NVwZ 1998, 456, 459. 18 Zippelius/Würtenberger, § 12 III. 5. a). 19 BVerfGE 2, 380, 403; 59, 128, 164; 60, 253, 267; ferner: Zippelius/Würtenberger, § 12 I. 3.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 28; Merten, NJW 1983, 1993. Auch die Gewährleistung des soeben bereits erwähnten Rechtsfriedens stellt ein zentrales Anliegen der Rechtsstaatlichkeit dar, vgl.: BVerfGE 2, 380, 403. 20 Für das deutsche Recht etwa: BVerfGE 103, 310, 328. 21 Jarass, in: Jarass/Pieroth, 4. Aufl., Art. 20, Rn. 46. Vgl. auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 1; ders., in: Sachs, Art. 20, Rn. 78 und grundsätzlich Rn. 103 ff. 22 s.: EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 172 (SNUPAT/Hohe Behörde); EuG, verb. Rs. T-116 und 118/01, Slg. 2003, II-2957, Rn. 206 (P & O Ferries [Vizcaya] SA und Disputación Foral de Vizcaya/Kommission). Die deutschen amtlichen Übersetzungen dieser Urteile sprechen von der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“. Von „Gesetzmäßigkeit“ sprechen auch z. B.: Borchardt, Europäische Union, Rn. 170 und Rn. 174; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 68 f.; Streinz, in:

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als auch im deutschen Recht (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) anerkannt und beinhaltet u. a. den Vorrang des Gesetzes.23 Dieser verbietet ein Handeln eines Entscheidungsträgers unter Verstoß gegen höherrangiges Recht24 und enthält, indem er im Falle rechtswidrigen Handelns dem höherrangigen Recht Vorrang einräumt, eine Kollisionsregel.25 Keines dieser möglicherweise im Widerstreit stehenden Prinzipien hat per se Vorrang; es ist vielmehr Aufgabe jeder Rechtsordnung, das Spannungsverhältnis zwischen diesen Prinzipien auszuloten. Dabei hat die betreffende Rechtsordnung zu berücksichtigen, dass eine Bindung zwar einerseits Beständigkeit der Rechtsverhältnisse und dadurch Verlässlichkeit der Rechtsordnung,26 kurz: Rechtssicherheit, schafft; andererseits kann aber gerade dies möglicherweise zugleich zu dem Verlust oder der Nichtverwirklichung materieller Gerechtigkeit zu Lasten eines Nichtentscheidungsträgers Schweitzer, S. 241, 251. Wegen der fehlenden demokratischen Legitimation des europäischen Gesetzgebers wird in der Literatur (Schwarze, S. 219; ferner z. B.: Bockey, S. 111 f.; Müller, S. 137 [s. auch Fn. 18]; Haibach, NVwZ 1998, 456, 459; Lübbig, EuZW 2003, 233, 236) dagegen mitunter die Bezeichnung „Rechtmäßigkeit“ anstelle von „Gesetzmäßigkeit“ bevorzugt. 23 Zum Inhalt des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung im Gemeinschaftsrecht s. nur: Schwarze, S. 220 ff. Zu seinem Inhalt im deutschen Recht s. nur: Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 110 ff. 24 In diesem Sinne für das Gemeinschaftsrecht (dort wird häufig die Bezeichnung „Vorrang des höherrangigen Rechts“ verwendet) nur: Bockey, S. 112 f.; für das deutsche Recht statt vieler: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, Bd. III, § 62, Rn. 5; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Bd. II, § 26, Rn. 62. Nach der dem Begriff der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung zugrundeliegenden Konzeption Mayers (dazu: Mayer, S. 65 ff.) ist der Vorrang des Gesetzes nicht mit der von ihm als drittes Element betrachteten „Bindungskraft des Gesetzes“, d.h. der Pflicht eines Entscheidungsträgers, die Anordnungen des Gesetzes zu befolgen oder sonst in ihrer Wirksamkeit zu respektieren, gleichzusetzen (dies betont Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 110; gleichsetzend aber: BVerfGE 40, 237, 248 f.; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 30, Rn. 5; Maurer, § 6, Rn. 2; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, Bd. III, § 62, Rn. 4 f.; ders., in: Erichsen/Ehlers, § 9, Rn. 7; gleichsetzend auch im Gemeinschaftsrecht: Schwarze, S. 220). Die Bindungskraft des Gesetzes wäre in dem hier interessierenden Zusammenhang ein Gesichtspunkt, der zugunsten der Rechtssicherheit spräche, da die Entscheidungsträger an einen Hoheitsakt gebunden wären. Dies würde etwa auch für einen Verwaltungsakt gelten; zwar ist Art. 20 Abs. 3 GG auf Verwaltungsakte selbst nicht anwendbar, da diese weder „Gesetz“ noch „Recht“ im Sinne dieses Artikels darstellen (unter „Gesetz und Recht“ sind allein Rechtsnormen zu verstehen, vgl. nur: Seibert, S. 105); jedoch beruht jeder Verwaltungsakt auf der Geltungsanordnung eines Gesetzes (hier der Bestimmung des § 43 VwVfG), deren Beachtung dann Art. 20 Abs. 3 GG fordert (Randak, JuS 1992, 33, 37; ausführlich: Seibert, S. 104 ff.). 25 Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 112; ders, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 44. 26 Dazu auch Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 122.

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oder einer Durchbrechung des Gesetzesvorrangs, den ein Entscheidungsträger bei seinem hoheitlichen Handeln zu beachten hat, führen.

B. Thematik der Bindungswirkungen von Rechtsakten aus rechtsvergleichender Perspektive als Untersuchungsgegenstand I. Entscheidungen nach Art. 249 Abs. 4 EG und Verwaltungsakte nach § 35 S. 1 VwVfG als dem Vergleich zugrundeliegende Handlungsformen Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Thematik der Bindungswirkungen von Rechtsakten aus rechtsvergleichender Perspektive. Verglichen werden die Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 Abs. 4 EG27, 28, 29 mit denen von Verwaltungsakten nach § 35 S. 1 VwVfG30, 31, 32. 27 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl. II 1957, 766) in der Fassung des Vertrags von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABl. Nr. C 340/1, ber. BGBl. II 1999, 416), zuletzt geändert durch EU-Beitrittsakte 2003 vom 16.4.2003 (ABl. Nr. L 236/33). 28 Art. 249 Abs. 4 EG behandelt die sekundärrechtliche Handlungsform der Entscheidung im materiellen Sinne. Ob eine solche vorliegt, hängt von der Rechtsnatur des in Frage stehenden Rechtsaktes ab, s.: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 249, Rn. 116; in diesem Sinne auch: EuGH, Rs. C-10/95, Slg. 1995, I-4149, Rn. 28 (Asorcarne/Rat der Europäischen Union); ferner: Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 354 und Rn. 355 ff.; Greaves, ELRev. 21 (1996), 3, 5; Constantinesco, Rn. 565; a. A. (Entscheidung im formellen Sinne) aber: Röhl, ZaöRV 60 (2000), 331, 334 und 336; ders., in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, S. 319, 331. Dieses materielle Verständnis liegt übrigens auch dem Begriff der Entscheidung in Art. 230 Abs. 4 EG zugrunde, vgl.: EuGH, verb. Rs. 16 und 17/62, Slg. 1962, 963, 978 (Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes u. a./Rat); Rs. 10/95, Slg. 1995, I-4149, Rn. 28 (Asorcarne/Rat der Europäischen Union); EuG, verb. Rs. T-83 bis 85/99, Slg. 2000, II-3493, Rn. 27 (Ripa di Meana u. a./Europäisches Parlament); vgl. i. Ü. auch Art. 230 Abs. 4 Alt. 2 EG. 29 Sofern im Folgenden nicht der Terminus „gerichtliche Entscheidung“ (Oberbegriff für ein Urteil und einen Beschluss) verwendet wird oder nicht sonst etwas Gegenteiliges mitgeteilt wird, meint Entscheidung diejenige nach Art. 249 Abs. 4 EG. 30 Gemeint ist hier das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes vom 25. Mai 1976 (BGBl. I 1976, 1253 mit Änderungen) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I 2003, 102). Inhaltsgleiche Bestimmungen enthalten die die besonderen Verwaltungsverfahren der Sozial- und Abgabenverwaltung regelnden Gesetze, vgl.: § 31 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 [BGBl. I 2001, 130 mit Änderungen]) und § 118 AO 1977 (Abgabenordnung in der Fassung vom 1. Oktober 2002 [BGBl. I 2002, 3866 mit Änderungen]). Inhaltsgleiche Bestimmungen enthalten ferner die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder.

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Entscheidung und Verwaltungsakt stellen das typische bzw. klassische Handlungsinstrument zur unmittelbaren außenverbindlichen Regelung von Einzelfällen33 bei der Wahrnehmung exekutivischer Kompetenzen34 dar, dem Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion, d.h. die Funktion der 31 § 35 S. 1 VwVfG beinhaltet die Legaldefinition des materiellen Verwaltungsaktes (s. nur: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 14). 32 Sofern im Folgenden nichts Gegenteiliges mitgeteilt wird, bezeichnet der Begriff des Verwaltungsaktes denjenigen nach § 35 S. 1 VwVfG. 33 Der Einzelfallcharakter einer Entscheidung richtet sich nach wohl allgemeiner Ansicht in Judikatur und Literatur nach der Bestimmtheit des Adressatenkreises (s. nur: Bockey, S. 35); entscheidend ist, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung ein geschlossener Adressatenkreis vorliegt (dazu im Einzelnen: Bockey, S. 36 ff.; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 188). Die Anzahl der geregelten Sachverhalte kann dagegen unbestimmt sein (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 187; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 3, Rn. 32; ders., DVBl. 1991, 605, 607; wohl auch Bockey, S. 38; einschränkend: Constantinesco, Rn. 562; ebenso wohl auch Kapteyn/VerLoren van Thermaat, S. 332; a. A.: Lauwaars, S. 38; W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 134). Die Entscheidung erfasst daher konkretindividuelle und abstrakt-individuelle Regelungen, nicht jedoch konkret-generelle Regelungen im Sinne einer Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG (Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 3, Rn. 32; ders., DVBl. 1991, 605, 607; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 251; nicht eindeutig wohl Schweitzer, in: FS für Klein, S. 85, 98). Kritisch hinsichtlich der Orientierung an dem Merkmal der Einzelfallregelung Vogt, S. 8 ff. (13 ff.); ders., in: Hill/Pitschas, S. 213, 215 ff. Der Einzelfallcharakter eines Verwaltungsaktes richtet sich demgegenüber nach der Bestimmtheit des Adressatenkreises (§ 35 S. 1 VwVfG) oder nach der Bestimmtheit des geregelten Sachverhaltes (§ 35 S. 2 VwVfG), s. dazu im Einzelnen: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 82b; Henneke, in: Knack, § 35, Rn. 124. Der Verwaltungsakt erfasst daher konkret-individuelle, abstrakt-individuelle und konkret-generelle Regelungen. 34 Zum typisch exekutivischen Charakter einer Entscheidung: Bockey, S. 19; Nicolaysen, § 10 IV.; Borchardt, Europäische Union, Rn 349; Biervert, in: Schwarze, Art. 249, Rn. 32. Zum regelmäßigen Einsatz der Entscheidung als exekutivisches Handlungsinstrument: Oppermann, § 6, Rn. 95; Biervert, in: Schwarze, Art. 249, Rn. 32; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 187; Mathijsen, S. 29; Junker, S. 158. Der regelmäßige Einsatz einer Entscheidung als exekutivisches Handlungsinstrument schließt den Einsatz einer staatengerichteten Entscheidung als Gesetzgebungsinstrument nicht aus, vgl. dazu: von Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 62 (2002), 78, 97 f. Die Möglichkeit, eine staatengerichtete Entscheidung u. U. (auch) als Gesetzgebungsinstrument, namentlich als Alternative zu der Richtlinie nach Art. 249 Abs. 3 EG, einzusetzen, um mit ihr eine im Vergleich zu der Richtlinie stärkere Bindung des Mitgliedstaates zu erzielen, war schließlich der Grund dafür – entgegen der ursprünglichen Absicht der Vertragsverfasser (dazu: Pabel, S. 50) –, auch Mitgliedstaaten als mögliche Adressaten einer Entscheidung zuzulassen (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 194). Zum Verwaltungsakt als dem klassischen exekutivischen Handlungsinstrument: Peine, Rn. 102; ähnlich: Ruffert, BayVBl. 2003, 33; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 5 ff.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1989, 533, 536. Speziell zu dessen exekutivischem Charakter s. nur: Maurer, § 9, Rn. 1.

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Umsetzung des allgemeinen Rechts auf den Einzelfall zukommt35 und das während der Dauer seines Bestehens und seiner Geltung eine materiellrechtliche Rechtsquelle bildet36. Die Entscheidung ist im primären Gemeinschaftsrecht, namentlich in Art. 249 Abs. 4 EG, nicht definiert.37 Art. 249 Abs. 4 EG beschreibt lediglich ihre Wirkungen (vgl. Wortlaut „verbindlich“).38 Auf der Grundlage der in Art. 249 Abs. 1 und Abs. 4 EG enthaltenen Aussagen lässt sich die Entscheidung aber als eine „einseitige Maßnahme, welche ein Gemeinschaftsorgan zur Regelung eines oder mehrerer Einzelfälle gegenüber einem feststehenden Personenkreis auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“, definieren.39 35 BVerwG, NVwZ 1988, 941 (in Bezug auf den Verwaltungsakt). Zur Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion einer Entscheidung: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 250c; U. Stelkens, ZEuS 2005, 61, 68. Zu der eines Verwaltungsaktes: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 24a f. 36 In Bezug auf die Entscheidung: Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 3, Rn. 32; ders., DVBl. 1991, 605, 607; einschränkend (nur bzgl. veröffentlichungspflichtiger Entscheidungen): von Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 62 (2002), 78, 94 f.; W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 132. In Bezug auf den Verwaltungsakt: Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 4; Seibert, S. 192, S. 194 u. ö.; Blanke, S. 152; Becker, S. 81; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 3a; a. A.: W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 132. 37 Ausdrücklich in Bezug auf Art. 249 Abs. 4 EG: U. Stelkens, ZEuS 2005, 61, 66; a. A. aber: Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 358. Anders dagegen im sekundären Gemeinschaftsrecht: Art. 4 Ziff. 5 Zollkodex (VO Nr. 2913/92/EWG des Rates vom 12. Oktober 1992 [ABl. Nr. L 302/1]; VO Nr. 2545/93/EWG der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften [ABl. Nr. L 253/1, ber. Fassung ABl. Nr. L 268/32]) enthält eine Legaldefinition der zollrechtlichen Entscheidung, die allerdings keine Entscheidung im Sinne des Art. 249 Abs. 4 EG darstellt, da die zollrechtliche Entscheidung von mitgliedstaatlichen Entscheidungsträgern im Rahmen des indirekten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts erlassen werden (Bockey, S. 33; zu der – in Anlehnung an die in der französischsprachigen Literatur für das Gemeinschaftsrecht entwickelten – Differenzierung zwischen dem direkten und indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts s. nur: Schwarze, S. 25 ff.; zur Anlehnung an die in der französischsprachigen Literatur entwickelte Differenzierung: Bockey, S. 21). Art. 4 Ziff. 5 Zollkodex definiert die zollrechtliche Entscheidung als „eine hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des Zollrechts zur Regelung eines Einzelfalls mit Rechtswirkungen für eine oder mehrere bestimmte oder bestimmbare Personen“. Diese Bestimmung wird in der Literatur als erstmalige positivrechtliche Definition eines „europäischen Verwaltungsaktes“ gewertet (Witte, in: Witte, Art. 4, Rn. 2 unter dem Stichwort: „Entscheidung“ auf S. 58; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 45, Rn. 17; von Danwitz, S. 249). 38 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 250b; U. Stelkens, ZEuS 2005, 61, 66. 39 So der Vorschlag von Bockey, S. 31. Ähnlich zuvor bereits: Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 3, Rn. 32; ders., DVBl. 1991, 605, 607; eine kürzere Definition schlägt Lauwaars (S. 49) vor. Kritisch zu Bockeys Definitionsvorschlag: von Bogdandy/

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In der Praxis wird sie als regelmäßig zur Wahrnehmung exekutivischer Befugnisse verwendetes Handlungsinstrument überwiegend von der Kommission erlassen40 und an natürliche Personen, juristische Personen des Privatrechts, Mitgliedstaaten oder – dies ist allerdings nicht unumstritten41 – andere Gemeinschaftsorgane oder -einrichtungen adressiert.42 Ihr Erlass bildet den Abschluss eines selbständigen Verwaltungsverfahrens.43 Der Verwaltungsakt ist in § 35 S. 1 VwVfG legaldefiniert als „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“44, und Bast/Arndt, ZaöRV 62 (2002) 78, 96 f.; auch W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 132. Ungeachtet der sprachlichen Anlehnung Bockeys Definitionsvorschlags – ebenso wie übrigens zuvor bereits Ehlers’ Definitionsvorschlag sowie offenkundig auch die in Art. 4 Ziff. 5 Zollkodex enthaltene Legaldefinition (dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 254a; von Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 62 [2002], 78, 96 [dort: Fn. 66]) – an die in § 35 S. 1 VwVfG enthaltene Formulierung liegen ihrem Definitionsvorschlag in der Sache die in Art. 249 Abs. 1 und Abs. 4 EG enthaltenen Aussagen sowie die insoweit einschlägige Judikatur des EuGH und des EuG zugrunde, vgl. Bockeys Ausführungen auf den S. 31 ff.; vgl. i. Ü. auch: Constantinesco, Rn. 565, der implizit die im Gemeinschaftsrecht existierende Differenzierung zwischen „Maßnahme“ und „Regelung“ erläutert (vgl. zu dieser Unterscheidung im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen eines Verwaltungsaktes: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 41). 40 Biervert, in: Schwarze, Art. 249, Rn. 32; Oppermann, § 6, Rn. 96; Bockey, S. 21 ff. (30). Grund hierfür ist, dass in erster Linie die Kommission mit der Durchführung der einzelnen Vertragsbestimmungen befasst ist, vgl. Art. 211 Spiegelstrich 4 EG (Biervert, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 249, Rn. 32; Oppermann, § 6, Rn. 96). Zur Zuständigkeit von auch Exekutivfunktionen wahrnehmenden Gemeinschaftsorganen, Entscheidungen zu erlassen, U. Stelkens, ZEuS 2005, 61, 67. 41 Für ihre Adressatenstellung: Haag, in: Bieber/Epiney/Haag, § 6, Rn. 40; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 196; U. Stelkens, ZEuS 2005, 61, 70 f.; für denkbar haltend: W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 133; gegen ihre Adressatenstellung aber: Oppermann, § 6, Rn. 97; Bleckmann, Rn. 458. 42 s. nur: Haag, in: Bieber/Epiney/Haag, § 6, Rn. 40. 43 Bockey, S. 20. 44 Der Sache nach entspricht diese Legaldefinition bereits früher formulierten Definitionen, namentlich der Mayers (Mayer, S. 93), der unter einem Verwaltungsakt einen „der Verwaltung zugehörige(n) obrigkeitliche(n) Ausspruch, der dem Untertanen im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll“, verstand (eine nahezu identische Formulierung enthielt bereits die im Jahre 1895 erschienene erste Auflage seines Werkes „Deutsches Verwaltungsrecht“, Erster Band; vgl. dazu: Maurer, § 9, Rn. 2); ferner § 25 Abs. 1 MRVO Nr. 165 (Militärregierungsverordnung von 1948, VOVBlbrZ 1948, 263, 265 [zitiert nach Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 3 (dort: Fn. 7)]), der den Verwaltungsakt erstmals legaldefinierte als „jede Verfügung, Anordnung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen wird“.

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wird in erster Linie45 an natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts gerichtet.46 Mit seinem Erlass wird ein selbständiges Verwaltungsverfahren abgeschlossen (vgl. § 9 VwVfG). Beide Handlungsformen sind nach alledem ihrem Wesen nach auf die Entfaltung von Bindung angelegt. Die Frage, ob und – wenn ja – ggfls. in welchem Umfang sie allerdings im Einzelnen tatsächlich existenz- und inhaltsbezogene Bindungswirkungen gegenüber den Entscheidungsträgern entfalten, bestimmt sich – in erster Linie –47 allein nach Maßgabe der Bestimmungen der Rechtsordnung, der sie unterstehen. II. Anlass für den vorliegenden Rechtsvergleich Die Thematik der Bindungswirkungen von Verwaltungsakten ist im deutschen Recht sowohl von praktischem als auch von rechtstheoretischem Interesse: Das praktische Interesse ist darauf zurückzuführen, dass der Verwaltungsakt das nach wie vor wohl wichtigste Handlungsinstrument der Verwaltung darstellt48 und die praktische Relevanz der Frage seiner BindungsLetztere diente als Vorbild für die in § 35 S. 1 VwVfG gewählte Legaldefinition (Maurer, § 9, Rn. 3). § 35 S. 1 VwVfG knüpft im Wesentlichen an § 25 Abs. 1 MRVO Nr. 165 an, nimmt aber gleichzeitig die zwischenzeitlich von Judikatur und Literatur zum Begriff des Verwaltungsaktes in den §§ 42, 113 VwGO gewonnenen Erkenntnisse in sich auf (Peine, Rn. 102) und stellt damit im Ergebnis lediglich eine positivrechtliche Regelung des status quo dar (Kopp/Ramsauer, § 35, Rn. 3). 45 Daneben kann ein Verwaltungsakt auch an den Staat (Bund oder ein einzelnes Bundesland, s. nur: Maurer, § 21, Rn. 7) oder einen sonstigen öffentlichen Rechtsträger gerichtet werden [s. dazu auch noch später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. I. 2. a) bb)]. Bei letzterem handelt es sich etwa um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, zu denen z. B. die Gemeinden gehören (s. nur: Maurer, § 21, Rn. 9). Der Erlass von Verwaltungsakten ihnen gegenüber kommt insbesondere im Falle der im Rahmen der Kommunalaufsicht erfolgenden Erteilung von Weisungen und Aufsichtsmaßnahmen in Selbstverwaltungsangelegenheiten in Betracht, vgl. dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 107; Kopp/Ramsauer, § 35, Rn. 99. 46 Maurer, § 9, Rn. 1. 47 Praktisch relevant ist insoweit der Einfluss unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts auf das mitgliedstaatliche Recht, der, forciert durch die Geltung des Grundsatzes des „effet utile“, nach dem die Verwirklichung einer Gemeinschaftsregelung nicht durch die Anwendung mitgliedstaatlicher Regelungen praktisch unmöglich gemacht werden darf (vgl. grdl.: EuGH, verb. Rs. 205 bis 215/82, Slg. 1983, 2633, Rn. 22 [Deutsche Milchkontor u. a./Bundesrepublik Deutschland]), eine Modifizierung einschlägiger mitgliedstaatlicher Regelungen bewirkt. Beispiel: Der Einfluss einer Kommissionsentscheidung, die die Anordnung enthält, eine mitgliedstaatliche Beihilfe, deren Gemeinschaftsrechtswidrigkeit die Kommission festgestellt hat, aufzuheben und zurückzufordern, in Verbindung mit dem Grundsatz des effet utile (vgl. dazu nur: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 7a f., auch 12 ff.).

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wirkungen ohnehin außer Frage steht. Rechtstheoretisch ist die Thematik interessant, weil die Dogmatik der Bindungswirkungen von Verwaltungsakten seit nunmehr 120 Jahren49 einen nach wie vor aktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung bildet, wobei sich diese v. a. auf den Bereich der Abweichungsverbote konzentriert. Eine wesentliche Ursache für die anhaltende wissenschaftliche Diskussion über die Dogmatik der Bindungswirkungen von Verwaltungsakten, insbesondere im Kontext der Abweichungsverbote, liegt in ihrer Entwicklungsgeschichte. Die Dogmatik der Bindungswirkungen von Verwaltungsakten ist entwicklungsgeschichtlich geprägt von einer Anlehnung an die Dogmatik der Bindungswirkungen (insbesondere zivil-)gerichtlicher Entscheidungen.50 Grund hierfür dürfte sein, dass bereits die Handlungsform des Verwaltungsaktes im Wesentlichen in Parallele zum gerichtlichen Urteil entwickelt wurde.51 Der Verwaltungsakt wurde im 19. Jahrhundert von der deutschen Rechtswissenschaft, namentlich von Mayer, der gelegentlich auch als sein „Erfinder“ bezeichnet wird,52 entwickelt.53 Die im Wesentlichen parallel zum gerichtlichen Urteil konzipierte Handlungsform des Verwaltungsaktes erklärt sich daraus, dass der Bürger zu jener Zeit einen Anspruch auf Überprüfung einer Verwaltungsmaßnahme nur in gesetzlich aufgezählten Fällen hatte (sog. Enumerationsprinzip)54 und die Verwaltung daher mangels genereller Anfechtbarkeit ihrer Rechtsakte tatsächlich letztverbindliche Entscheidungen fällte.55 Diese Erkenntnis veranlasste namentlich Mayer, den Verwaltungsakt als ein konkret-individuelles Handlungsinstrument der Verwaltung anzusehen, das in seiner rechtlichen Wirkung dem gerichtlichen Urteil gleicht.56 Das gerichtliche Urteil diente Mayer als Vorbild für den Verwaltungsakt.57 Die Vorbildfunktion des gerichtlichen Urteils für den Verwal48

Dazu statt vieler: Kopp/Ramsauer, § 35, Rn. 2; Ehlers, in: Liber Amicorum,

S. 1. 49 Auslöser der dogmatischen Befassung mit den Bindungswirkungen von Verwaltungsakten soll im deutschsprachigen Raum die im Jahre 1886 erschienene Monographie Bernatziks „Rechtsprechung und materielle Rechtskraft“ gewesen sein. 50 Seibert, S. 249. 51 Dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 2. 52 Dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 2. 53 „Verwaltungsakt“ stellt übrigens die Übersetzung des französischen Begriffs „acte administratif“ dar. Im Gegensatz zum französischen Recht war der Begriff des Verwaltungsaktes jedoch von Anfang an auf Maßnahmen der Verwaltung im Bereich des öffentlichen Rechts beschränkt. Zum Ganzen: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 1. 54 Schwabe, S. 4; Stern, Rn. 4. 55 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 2. 56 Dazu: Domke, S. 32. 57 Mayer, S. 93.

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tungsakt endete indes nicht bei der Konzeption der Handlungsform, sondern wurde in der Folgezeit auch auf die Bindungswirkungen erstreckt. Unter – grundsätzlichem –58 Rückgriff auf die prozessrechtlichen Institute wurden verwaltungsrechtliche Pendants herausgearbeitet. Auch wurde die Frage der Rechtsbeständigkeit eines Verwaltungsaktes als Problem der „Rechtskraft“ behandelt, und dementsprechend das prozessrechtliche Institut der (formellen und materiellen) Rechtskraft auf den Verwaltungsakt übertragen.59 Nach herkömmlicher Ansicht60 kommt dem prozessrechtlichen Institut der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen nach wie vor Vorbildfunktion für die (formelle und materielle) Bestandskraft von Verwaltungsakten zu, auch wenn sich inzwischen gerade in Bezug auf die Anlehnung an das prozessrechtliche Institut der Rechtskraft allgemein die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass zwischen gerichtlichem Urteil und Verwaltungsakt trotz ihrer gemeinsamen Qualität als Rechtserkenntnisakt61 im Übrigen grundlegende strukturelle Unterschiede nicht nur im Hinblick auf die beiden Handlungsformen (gerichtliches Urteil als ausschließliche Rechtsentscheidung zwecks verbindlicher und endgültiger Beilegung eines Rechtsstreits im Interesse des Rechtsfriedens; Verwaltungsakt dagegen als Rechtsentscheidung, die – im Rahmen des Rechts – auch durch Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt sein kann und v. a. ein zukunftsorientiertes Gestaltungsmittel der Verwaltung darstellt)62, sondern auch in Bezug auf die handelnden Entscheidungsträger (Gericht als neutrale Instanz; Behörde dagegen als Entscheidungsträger und „Partei“ zugleich)63 sowie das Entscheidungsverfahren 58 Die Übertragung der prozessrechtlichen Institute erfolgte im Einzelnen nicht umfassend und durchweg einheitlich; mitunter wurden die prozessrechtlichen Institute auch einem Bedeutungswandel unterworfen. Einzelheiten folgen später. 59 Domke, S. 8; Forsthoff, S. 252; kritisch zu dieser Übertragung: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 180 f. Zur Entwicklungsgeschichte in diesem Zusammenhang: Kopp, DVBl. 1983, 392, 394. Zur damals in Judikatur und Literatur kontrovers diskutierten Frage, ob Verwaltungsakte überhaupt der materiellen Rechtskraft fähig seien, vgl. Kopp, DVBl. 1983, 392, 394. Noch 1973 konstatierte Forsthoff (S. 253), dass „auf diesem Gebiet so gut wie alles streitig“ sei und beklagte das (seitdem häufig, allerdings nicht immer im richtigen Kontext zitierte) „Labyrinth der Meinungen“. Zehn Jahre später befand Kopp (DVBl. 1983, 392, 398), dass die Frage der materiellen Rechtskraftfähigkeit von Verwaltungsakten in Judikatur und Literatur inzwischen außer Streit stehe und die Diskussion sich nunmehr auf den Aspekt der Grenzen der materiellen Rechtskraft beschränke. 60 s. nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 6. 61 Maurer, § 9, Rn. 42. 62 Maurer, § 9, Rn. 42; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 11. 63 Maurer, § 9, Rn. 43 und § 11, Rn. 3; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 11. Ausführlich zur Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers und ihren Konsequenzen für seine Bindung später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 2. a) bb) (b) und B. und dort auch unter Ziff. I. 2. a) bb).

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(gerichtliches Verfahren als ein förmlich gestaltetes und mit etlichen Verfahrensgarantien ausgestattetes Verfahren mit dem Ziel, eine sachlich richtige Entscheidung zu gewährleisten; Verwaltungsverfahren dagegen als ein – im Interesse einer schnellen und zweckmäßigen Verwaltung – meist formloses und lediglich mit wenigen Verfahrensgarantien ausgestattetes Verfahren)64 bestehen, die eine vorschnelle Parallelisierung oder sogar eine Gleichsetzung der durch gerichtliche Entscheidungen bewirkten Bindung mit der durch Verwaltungsakte hervorgerufenen Bindung verbieten.65 Vor dem Hintergrund der praktischen und rechtstheoretischen Relevanz der Thematik der Bindungswirkungen von Verwaltungsakten im deutschen Recht ist an sich jeder Rechtsvergleich mit den Bindungswirkungen einer mit dem Verwaltungsakt vergleichbaren Handlungsform einer anderen Rechtsordnung interessant. Die Wahl der Gemeinschaftsrechtsordnung als Vergleichsordnung mit ihrem dem Verwaltungsakt ähnlichen, typisch exekutivischen Handlungsinstrument, der Entscheidung, scheint indes besonders lohnend, nicht nur, weil die Entscheidung eine sekundärrechtliche Handlungsform einer supranationalen Rechtsordnung66 darstellt, die dem Einfluss möglicherweise unterschiedlichster mitgliedstaatlicher Regelungen ausgesetzt ist, sondern – und vor allem – auch, weil die Frage der Bindungswirkungen der sehr praxisrelevanten67 Entscheidung in der Literatur kaum wirklich thematisiert wird und aus diesem Grunde – bislang jedenfalls – ein Schattendasein führt mit der Folge, dass eine Dogmatik der Bindungswirkungen von Entscheidungen in weiten Teilen noch gar nicht existiert. Obgleich die Dogmatik letztlich nur einen die bereitgestellten Lösungen erläuternden Aspekt darstellt, liegt der besondere Reiz des vorliegenden Rechtsvergleichs in dem diametralen Gegensatz zwischen dem status quo der dogmatischen Aufarbeitung der Bindungsproblematik der beiden Rechtsordnungen, denn – abweichend von der wohl üblichen Vorgehensweise bei einem Rechtsvergleich – kann über die im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Lösungen zur Frage der Bindungswirkungen von Entscheidungen im Rahmen der dem eigentlichen Rechtsvergleich jeweils voran64

Maurer, § 9, Rn. 43. Maurer, § 11, Rn. 3; Blanke, S. 155. Die Verwendung der seitens Wolff in die deutsche Rechtssprache eingeführten Bezeichnung „Bestandskraft“ anstelle von „Rechtskraft“ stellt in diesem Kontext wohl nur ein – wenn auch augenfälliges – Beispiel für diese Distanzierung dar. Zur Einführung der Bezeichnung „Bestandskraft“ seitens Wolff: Domke, S. 9; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 178 f. 66 Zu den wichtigsten Elementen einer supranationalen Rechtsordnung s. nur: Streinz, in: Streinz, Art. 1, Rn. 18 ff. 67 Oppermann, § 6, Rn. 95; Bockey, S. 16 und S. 22 ff. (30); W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 132. 65

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gestellten „Länderberichte“68 nicht einfach unter Hinweis auf eine bestehende Dogmatik, die den gebotenen Lösungen zugrunde liegt, berichtet werden; vielmehr bedarf es oftmals zunächst erst der dogmatischen Erfassung der einschlägigen Judikatur des EuGH und des EuG, sofern eine solche überhaupt vorhanden ist.

C. Fragestellung und Ziel der Untersuchung Die Fragestellung der Untersuchung lautet, ob der erlassende Entscheidungsträger und die anderen Entscheidungsträger an den Bestand und an den Inhalt einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes gebunden sind, m. a. W.: ob ihnen gegenüber Aufhebungs- und Abweichungsverbote bestehen. Bei bestehenden Abweichungsverboten stellt sich zusätzlich die – sinnvollerweise allein auf die Abweichungsverbote zu beziehende – Frage, in welchem Umfang der erlassende Entscheidungsträger und die anderen Entscheidungsträger an den Inhalt einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes gebunden sind. Ziel der Untersuchung ist die Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede der im Gemeinschaftsrecht und im deutschem Recht jeweils bereitgestellten Lösungen. Ansatzpunkt für den Rechtsvergleich bilden dabei bemerkenswerte Gemeinsamkeiten und auffällige Unterschiede.

D. Gang der Untersuchung Entsprechend den zwei verschiedenen Arten von Bindungswirkungen gliedert sich die Untersuchung in zwei Teile: Der Erste Teil beschäftigt sich mit der Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten, d.h. der Bindungswirkungen, die den Bestand einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes gegen eine Beseitigung sichern. Hinsichtlich der Entscheidungsträger, an die Aufhebungsverbote gerichtet sind, ist eine Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes angezeigt, die dadurch gerechtfertigt ist, dass eine Absicherung gegen eine Beseitigung des Bestandes einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes nur gegenüber solchen Entscheidungsträgern erforderlich ist, denen die Gemeinschafts- bzw. die deutsche Rechtsordnung eine Zuständigkeit für die Auf68 Obgleich die in der Rechtsvergleichung an sich übliche Verwendung des Begriffs des Länderberichts im Rahmen dieser Untersuchung im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht möglicherweise etwas unglücklich erscheint, wird er mangels erkennbarer terminologischer Alternative dennoch verwendet.

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hebung und damit die Bestandsbeseitigung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen ordentlicher aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren (unten Ziff. I.) oder mittels actus contrarius, der selbst eine Entscheidung69 bzw. einen Verwaltungsakt70 darstellt und dessen Erlass – wie erwähnt – den Abschluss eines hierauf gerichteten selbständigen Verwaltungsverfahrens bildet, (unten Ziff. II.) zugewiesen hat. I. Im Gemeinschaftsrecht stellt das in erster Linie in Art. 230 EG, aber auch etwa in Art. 91 BeaSt.71 geregelte Nichtigkeitsklageverfahren ein solches gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren dar,72 für dessen Durchführung 69 EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 130 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); ferner: Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 85. Der actus contrarius kann entweder lediglich die ausdrückliche (vollständige oder teilweise) Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung oder aber eine neue Entscheidung, die die ursprüngliche zumindest teilweise ersetzt, beinhalten, s.: EuGH, Rs. 214/85, Slg. 1987, 2163, Rn. 13 (S. Dandolo/Kommission). 70 Statt vieler: Maurer, § 11, Rn. 20; Peine, Rn. 326. 71 VO Nr. 68/259/EWG/Euratom/EGKS des Rates vom 29. Februar 1968, ABl. Nr. L 56/1 mit Änderungen. 72 Das Nichtigkeitsklageverfahren nach Art. 230 EG stellt ein objektiv ausgestaltetes, auf Nichtigerklärung des angegriffenen Rechtsaktes gerichtetes Verfahren dar, vgl. nur: Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 3. Sein Vorbild ist der als objektives Verfahren konzipierte „recours pour excès de pouvoir“ des französischen Verwaltungsprozessrechts (Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 2; speziell zum objektiven Charakter dieser Verfahrensart: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 244 ff.). Ungeachtet des u. U. missverständlichen Wortlautes des Art. 231 EG wird die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG als eine Gestaltungsklage angesehen (z. B.: Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 3; Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 230, Rn. 5; Bockey, S. 159; angesichts der gestaltenden Wirkung des Nichtigkeitsurteils halten u. a. Gaitanides [in: von der Groeben/Schwarze, Art. 230, Rn. 4] und Booß [in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 2] die Bezeichnung „Aufhebungsklage“ für präziser). Die Nichtigerklärung nach Art. 231 EG hat daher Gestaltungswirkung (Ehricke, in: Streinz, Art. 231, Rn. 1; Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 231, Rn. 1) und führt zu einer Entfernung des angegriffenen Rechtsaktes aus der Gemeinschaftsrechtsordnung – vorbehaltlich Art. 231 Abs. 2 EG – mit Wirkung ex tunc (EuGH, Rs. 22/70, Slg. 1971, 263, Rn. 60 [Kommission/Rat]; ferner: Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 7, Rn. 107; Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 231, Rn. 1; Ehricke, in: Streinz, Art. 231, Rn. 1; Schwarze, S. 227; Craig/de Bfflrca, S. 541; Beispiel: EuG, Rs. T-49/97, Slg. 2000, II-51, Rn. 32 i. V. m. Rn. 5 [TAT European Airlines SA/Kommission]). Art. 91 Abs. 1 S. 1 BeaSt. regelt die – praktisch äußerst relevante – Nichtigkeitsklage in beamtenrechtlichen Streitigkeiten, für die in erster Instanz das EuG funktionell zuständig ist, vgl. Art. 236, 225 Abs. 1 UAbs. 1 EG. Ebenso wie Art. 90 BeaSt. ist Art. 91 BeaSt. grundsätzlich auch bei Streitigkeiten nicht verbeamteter Bediensteter der Europäischen Gemeinschaft anwendbar. Wie Art. 230 EG hat die Klage nach Art. 91 Abs. 1 S. 1 BeaSt. kassatorische Funktion. Zum Ganzen: Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 2 f. und Rn. 6 ff.

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der EuGH73 bzw. das EuG74 sachlich zuständig ist. Als einschlägiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren existiert im Gemeinschaftsrecht das Beschwerdeverfahren etwa nach Art. 90 Abs. 2 BeaSt.75 In einem Beschwerdeverfahren, das – jedenfalls im Rahmen des BeaSt. – als einstufiges Rechtsbehelfsverfahren ausgestaltet ist, befasst sich der erlassende Entscheidungsträger in Wahrnehmung seiner Funktion als außergerichtliche Rechtsbehelfsinstanz mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung. Im deutschen Recht bilden das Anfechtungsklageverfahren nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO76, 77 und das Verpflichtungsklageverfahren nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO in Form des sog. „Versagungsgegenklageverfahrens“78 73 Der EuGH ist sachlich zuständig für Nichtigkeitsklagen der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaftsorgane und der EZB, vgl. Art. 51 der Satzung des EuGH (ABl. Nr. C 325/167). 74 Das EuG ist in erster Instanz sachlich zuständig für Nichtigkeitsklagen natürlicher oder juristischer Personen, vgl. Art. 225 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EG. 75 Das Beschwerdeverfahren nach Art. 90 Abs. 2 BeaSt. ist zudem als obligatorisches „vorprozessuales Verfahren“ (Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 12) bzw. als „verwaltungsinternes Vorverfahren“ (Ehricke, in: Streinz, Art. 236, Rn. 12) relevant, vgl. Art. 91 Abs. 2 BeaSt. Dessen Durchführung vor Klageerhebung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn der mit seiner Durchführung verfolgte Zweck, eine gütliche außergerichtliche Streitbeilegung durch die Parteien zu ermöglichen (EuG, Rs. T-57/89, Slg. 1990, II-143, Rn. 8 [N. Alexandrakis/Kommission]), von vornherein nicht erreicht werden kann (dazu: Ehricke, in: Streinz, Art. 236, Rn. 12). Die Beschwerde nach Art. 90 Abs. 2 BeaSt. stellt eine „nicht justizförmige Aufsichtsbeschwerde“ dar (EuGH, Rs. 43/64, Slg. 1965, 520, 534 [R. Müller/Räte]). Ihre Fristgebundenheit zeigt aber bereits, dass es sich bei ihr nicht um eine Aufsichtsbeschwerde im Sinne deutscher Terminologie handelt. Im deutschen Recht stellt diese einen formlosen Rechtsbehelf dar (dazu nur: Stern, Rn. 52). Der EG-Vertrag selbst sieht demgegenüber für die in seinen Anwendungsbereich fallenden Klageverfahren ein solches obligatorisches vorprozessuales Verfahren nicht vor, vgl. dazu und zur Frage seiner Übertragbarkeit auf die Klageverfahren des EG-Vertrages: GA Roemer, in: SA in Rs. 2/71, Slg. 1971, 669, 681 f. (BRD/ Kommission). 76 Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. I 1960, 17 mit Änderungen) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I 1991, 686 mit Änderungen). 77 Die Anfechtungsklage, eine Gestaltungsklage (s. nur: Pietzner/Ronellenfitsch, § 9, Rn. 1), ist auf die – unmittelbar durch das Gericht vorzunehmende (Ramsauer, Rn. 14.01.) – Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes, soweit er rechtswidrig ist und dadurch subjektive Rechte des Klägers verletzt werden (vgl. dazu § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), gerichtet. 78 Bei der Versagungsgegenklage handelt es sich um eine Klage, die auf Erlass eines zuvor rechtswidrigerweise abgelehnten, beantragten (in der Regel begünstigenden) Verwaltungsaktes gerichtet ist (Pietzner/Ronellenfitsch, § 10, Rn. 6; Kopp/ Schenke, § 42, Rn. 6 [s. auch: Rn. 29]) und im Erfolgsfalle, also der Verpflichtung des beklagten Entscheidungsträgers zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes

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(ordentliche) aufhebungsrelevante, förmliche Gerichtsverfahren, für deren Durchführung gemäß §§ 2; 45 ff. VwGO die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig sind. Das in den §§ 68 ff. VwGO geregelte Widerspruchsverfahren stellt ein (ordentliches) außergerichtliches, förmliches und – grundsätzlich –79 obligatorisches vorgerichtliches Rechtsbehelfsverfahren dar, das – anders als das Beschwerdeverfahren im Gemeinschaftsrecht (jedenfalls dasjenige nach Art. 90 Abs. 2 BeaSt.) – als zweistufiges Rechtsbehelfsverfahren mit regelmäßig zwei Entscheidungsträgern unterschiedlicher Verwaltungsebenen als entscheidende Instanzen konzipiert ist (vgl. §§ 72, 73 Abs. 1 S. 1 VwGO).80 In einem Widerspruchsverfahren werden die Recht- und ggfls. auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes überprüft (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO).81 Der erlassende Entscheidungsträger als Urheber des angefochtenen Verwaltungsaktes tritt im Rahmen des Widerspruchsverfahrens stets als Ausgangs-(Erst- oder Abhilfe-)behörde82 auf. In dieser Stellung besitzt er eine Abhilfebefugnis (vgl. § 72 VwGO).83 Hilft er einem Widerspruch nicht ab, hat der erlassende Entscheidungsträger den Widerspruch unverzüglich der Widerspruchsbehörde vorzulegen;84 diese erlässt dann einen Widerspruchsbescheid (vgl. § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO). Widerspruchsbehörde ist – grundsätzlich –85 die nächsthöhere, d.h. der Abhilfebehörde nach dem jeweils einschlägigen Bundes- oder Landesorganisationsrecht unmittelbar überge(§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) oder zur Verbescheidung des Antrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) zugleich zur Aufhebung der Ablehnungsentscheidung führt (Kopp/Schenke, § 113, Rn. 179). 79 Bezüglich Ausnahmen von der Pflicht, vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ein Widerspruchsverfahren durchzuführen, vgl. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO. 80 Pietzner/Ronellenfitsch, § 25, Rn. 3. s. auch: Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 72, Rn. 2. 81 Zum Prüfungsumfang im Rahmen des Widerspruchsverfahrens s. nur: Pietzner/ Ronellenfitsch, § 38, Rn. 1 ff. 82 Zu diesen synonymen Bezeichnungen s.: Pietzner/Ronellenfitsch, § 25, Rn. 2. 83 Dazu und zum Abhilfeverfahren insgesamt ausführlich: Pietzner/Ronellenfitsch, § 26, Rn. 1 ff. Da § 72 VwGO insoweit keinen Ermessensspielraum eröffnet, stellt die Abhilfebefugnis zugleich auch eine Pflicht dar (Pietzner/Ronellenfitsch, ebenda, Rn. 4). 84 Pietzner/Ronellenfitsch, § 26, Rn. 3. 85 Ausnahmsweise kann auch die Ausgangsbehörde selbst einen Widerspruchsbescheid erlassen, vgl. insoweit z. B. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO (dazu und zu weiteren Beispielen: Pietzner/Ronellenfitsch, § 37, Rn. 5 ff.). In diesem Falle tritt sie also selbst als Widerspruchsbehörde auf. Sofern im Folgenden nichts Gegenteiliges mitgeteilt wird, wird – dem Regelfall entsprechend – der Terminus der Widerspruchsbehörde allein für die nicht mit dem erlassenden Entscheidungsträger identische Behörde verwendet.

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ordnete Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere Behörde bestimmt wird (vgl. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO).86 II. Im Übrigen, also außerhalb (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren sind sowohl nach der Gemeinschafts- als auch nach der deutschen Rechtsordnung regelmäßig der erlassende Entscheidungsträger und im Ausnahmefall – an seiner Stelle – ein anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger (im Gemeinschaftsrecht zudem nur ein solcher auf Gemeinschaftsebene) berufen, eine Entscheidung bzw. einen Verwaltungsakt mittels actus contrarius aufzuheben.87 Beschränkt auf diese für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträger wird die Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten untersucht. Nur insoweit ist eine entsprechende Untersuchung ergiebig. Außer Betracht bleiben demzufolge die Entscheidungsträger, die nach der Gemeinschafts- bzw. der deutschen Rechtsordnung nicht für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständig sind und denen gegenüber sich das Bestehen von Aufhebungsverboten daher schlicht als Folge nicht vorhandener Aufhebungszuständigkeit erweist.88 86

Ausführlich dazu: Pietzner/Ronellenfitsch, § 37, Rn. 1 ff. Zur regelmäßigen Aufhebungszuständigkeit des erlassenden Entscheidungsträgers im Gemeinschaftsrecht: EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 130 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); auch: EuGH, Rs. C-248/89, Slg. 1991, I-2987, Rn. 20 (Cargill BV/Kommission); Rs. C-365/89, Slg. 1991, I-3045, Rn. 18 (Cargill BV/Produktschap voor Margarine, Vetten en Olien); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-35 (H. de Compte/Europäisches Parlament); ferner: GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 92 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 226; Oppermann, § 8, Rn. 37 und Rn. 39. Der erlassende Entscheidungsträger ist ausnahmsweise dann nicht für eine Aufhebung zuständig, wenn eine ausdrückliche Vorschrift die Aufhebungskompetenz einem anderen Entscheidungsträger zuweist (EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 130 [Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission]). Zur regelmäßigen Aufhebungszuständigkeit des erlassenden Entscheidungsträgers im deutschen Recht: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 42; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 48, Rn. 253 ff. sowie § 49, Rn. 118; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 164. Vgl. im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes § 48 Abs. 5 bzw. § 49 Abs. 5 VwVfG. 88 Allgemein zur fehlenden Aufhebungszuständigkeit anderer Entscheidungsträger im Gemeinschaftsrecht: Ehlers, DVBl. 1991, 605, 608. Speziell in Bezug auf die mitgliedstaatlichen Gerichte: EuGH, Rs. 314/85, Slg. 1987, 4199, Rn. 16 f. (FotoFrost/Hauptzollamt Lübeck-Ost); ferner: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 226; Annacker, S. 79; dies., EuZW 1995, 755, 756 (unter Hinweis auf Art. 164 EGV [= Art. 220 EG], der Bestandteil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen geworden sei); Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1, 3. Die mitgliedstaatlichen Gerichte dürfen allerdings feststellen, dass ein Rechtsakt „in vollem Umfang gültig“ ist, da sein Bestand hierbei nicht in Frage gestellt wird (EuGH, ebenda, Rn. 14). 87

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Hinsichtlich der Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern ist nach alledem zu differenzieren, ob das Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den Entscheidungsträgern, die für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen von Nichtigkeitsklage- bzw. Beschwerdeverfahren bzw. für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Anfechtungsklage-, Versagungsgegenklagebzw. Widerspruchsverfahren zuständig sind, oder aber das Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern in Rede steht. Dementsprechend werden diese beiden Fragen getrennt behandelt: Das Erste Kapitel untersucht das Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung im Rahmen einschlägiger (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern;89 das Zweite Kapitel befasst sich mit der Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern. Dies bedeutet, dass sich jedes der beiden Kapitel demnach mit der Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten entweder allein im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren (Erstes Kapitel) oder allein außerhalb dieser Rechtsbehelfsverfahren (Zweites Kapitel) beschäftigt. Ein Aufhebungsverbot liegt im Ersten Kapitel demnach vor, wenn der zuständige Entscheidungsträger eine Entscheidung bzw. einen Verwaltungsakt nicht (mehr) im Rahmen eines (ordentlichen) aufhebungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfsverfahrens aufheben darf. Im Zweiten Kapitel liegen Aufhebungsverbote demgegenüber vor, wenn der zuständige Entscheidungsträger eine Entscheidung bzw. einen Verwaltungsakt nicht (mehr) oder nur nicht unter bestimmten Voraussetzungen mittels actus contrarius aufheben darf. Für die Frage des jeweils untersuchten Bestehens von Aufhebungsverboten bleiben damit etwa noch vorhandene Aufhebungsmöglichkeiten in der jeweils anderen Konstellation außer Betracht. Dies ist v. a. für die Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger von Bedeutung, da er für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes sowohl im Rahmen eines Beschwerde- bzw. eines Widerspruchsverfahrens als auch für die Aufhebung eines solchen Rechtsaktes mittels actus contrarius zuständig ist. Aufhebungsverbote außerhalb eines Beschwerde- bzw. Widerspruchsverfahrens bestehen daher, wenn und soweit die Aufhebung mittels actus contrarius nicht (mehr) oder nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. 89 Die Untersuchung seines Bestehens bezieht sich damit logischerweise allein auf zumindest auch belastende Entscheidungen bzw. Verwaltungsakte.

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Ob der erlassende Entscheidungsträger im Rahmen eines Beschwerde- bzw. eines Widerspruchsverfahrens bereits einem Aufhebungsverbot unterliegt, bleibt insoweit außer Betracht. Beide Kapitel beginnen jeweils mit den Länderberichten über das bzw. die in Rede stehende(n) Aufhebungsverbot(e). Um die Länderberichte transparent zu gestalten und außerdem den im Anschluss an die Länderberichte durchzuführenden Vergleich zu erleichtern, ist für die Darstellung des bzw. der jeweiligen Aufhebungsverbote(s) ein möglichst entsprechender Aufbau gewählt worden. Den Länderberichten folgt der Vergleich der im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht bereitgestellten Lösungen, der, soweit ein gleiches Bedürfnis in beiden Rechtsordnungen unterschiedlich geregelt wird, das Auffinden von Gründen für die gefundenen Divergenzen umfasst.90 Der Zweite Teil behandelt die Frage des Bestehens von Abweichungsverboten, d.h. der Bindungswirkungen, die die Bindung an den Inhalt bestehender Entscheidungen bzw. Verwaltungsakte zum Gegenstand haben, gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger (Erstes Kapitel) und den anderen Entscheidungsträgern (Zweites Kapitel). In beiden Kapiteln wird darüber hinausgehend auch der Umfang der ihnen gegenüber jeweils bestehenden Abweichungsverbote untersucht. Dadurch werden nicht nur die aus der Untersuchung des Bestehens von Abweichungsverboten gewonnenen Erkenntnisse konkretisiert; vielmehr geben mögliche Beschränkungen des Umfangs bestehender Abweichungsverbote auch Auskunft darüber, inwieweit das Gemeinschaftsrecht bzw. das deutsche Recht bei der Entscheidung bzw. bei dem Verwaltungsakt eine „Richtigkeitsgewähr“, die ein solcher Hoheitsakt etwa nach dem Gegenstand des Verwaltungsverfahrens sowie den Möglichkeiten Betroffener zur Verfahrensbeteiligung oder zur Anfechtung zu bieten vermag und eine Durchbrechung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung legitimiert, garantiert.91 Hinsichtlich des Umfangs bestehender Abweichungsverbote ist dann jeweils zwischen dem Umfang in sachlicher, in persönlicher und in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren: Der sachliche Umfang betrifft den Gegenstand von Abweichungsverboten. Sowohl eine Entscheidung als auch – jedenfalls u. a. – ein schriftlicher Verwaltungsakt enthalten nicht nur einen verfügenden, sondern auch einen begründenden Teil.92 Bei einer Entscheidung 90

Vgl. zu dieser methodischen Vorgehensweise: Zweigert/Kötz, S. 44. Vgl. zu diesem Gedanken: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 53 (in Bezug auf den Umfang des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft). 92 Bei einer Entscheidung wird dies als selbstverständlich angenommen, vgl. z. B.: Rudisile, EuZW 1990, 53; de Bronett, in: Schröter/Jakob/Mederer, Durchführungsvorschriften, VO Nr. 17, Vorbem., Rn. 16 f.; als deutliches Beispiel vgl. auch: 91

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spricht bereits Art. 253 EG, der eine Begründungspflicht für sie statuiert,93 zugunsten eines solchen Aufbaus; bei einem Verwaltungsakt ergibt sich dieser Aufbau aus einer Zusammenschau des § 35 S. 1 VwVfG (Tatbestandsmerkmal der „Regelung“) und des § 39 VwVfG, der im Grundsatz eine Begründungspflicht u. a. für schriftliche Verwaltungsakte normiert. Zu klären ist, auf welche(n) (Teil-)Bestandteil(e) einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes sich die Abweichungsverbote konkret erstrecken. Im Hinblick auf den persönlichen Umfang der Abweichungsverbote wird der Frage nachgegangen, aufgrund welchen Personenkreises, der durch eine Entscheidung bzw. einen Verwaltungsakt gebunden wird, der erlassende Entscheidungsträger oder die anderen Entscheidungsträger bei ihrer späteren Entscheidungsfindung (nur) gebunden werden. Die Untersuchung des zeitlichen Bindungsumfangs hat die Frage des bindungsrelevanten Zeitpunktes zum Gegenstand, d.h. die Frage, welche Sachund Rechtslage von dem jeweiligen Abweichungsverbot erfasst wird. Wie im Ersten Teil der Untersuchung beginnen beide Kapitel jeweils mit den Länderberichten über die in Rede stehenden Abweichungsverbote. Wie dort ist für die Darstellung der jeweiligen Abweichungsverbote ein möglichst entsprechender Aufbau gewählt worden, um die Länderberichte transparent zu gestalten und außerdem den im Anschluss an die Länderberichte durchzuführenden Vergleich zu erleichtern. Den Länderberichten folgt auch hier der Vergleich der in beiden Rechtsordnungen bereitgestellten Lösungen, der, soweit ein gleiches Bedürfnis in beiden Rechtsordnungen unterschiedlich geregelt wird, das Auffinden von Gründen für die gefundenen Divergenzen umfasst. Die Untersuchung endet mit einer Schlussbetrachtung, in der die Vergleichsergebnisse zusammengefasst und einer Bewertung unterworfen werden.

GA Mancini, in: SA in: EuGH, Rs. 52/83, Slg. 1983, 3707, 3718 (Kommission/ Französische Republik). Zum Aufbau eines Verwaltungsaktes s. nur: P. Stelkens/ U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 37, Rn. 2. 93 Nach ständiger Judikatur (s. nur: EuGH, C-41/00 P, Slg. 2003, I-2125, Rn. 55 [Interporc Im- und Export GmbH/Kommission]) muss die vorgeschriebene Begründung „der Natur des betreffenden Rechtsaktes angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassenen Maßnahme entnehmen können, und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.“

1. Teil

Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern Der Erste Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit der Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten, d.h. der Bindungswirkungen, die den Bestand einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes gegen eine Beseitigung sichern, gegenüber den Entscheidungsträgern, denen die Gemeinschafts- bzw. die deutsche Rechtsordnung eine Zuständigkeit für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zugewiesen hat. Wie in der Einleitung bereits ausgeführt,1 sind dies im Gemeinschaftsrecht der EuGH, das EuG, der erlassende Entscheidungsträger sowie ein anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger auf Gemeinschaftsebene und im deutschen Recht die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der erlassende Entscheidungsträger sowie ein anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger, wobei es sich bei letzterem im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens konkret um die Widerspruchsbehörde handelt. Im Hinblick auf die Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber diesen für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern ist danach zu unterscheiden, ob das Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren, also im Gemeinschaftsrecht im Rahmen von Nichtigkeitsklage- bzw. Beschwerdeverfahren bzw. im deutschen Recht im Rahmen von Anfechtungsklage-, Versagungsgegenklage- bzw. Widerspruchsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern oder das Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern in Rede steht. Dementsprechend werden diese beiden Fragen getrennt behandelt: Das Erste Kapitel beschäftigt sich mit der Frage des Bestehens eines Aufhebungsver1

Dort unter lit. D.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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botes gegenüber den für die Aufhebung im Rahmen einschlägiger Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern; das Zweite Kapitel untersucht das Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern.

1. Kapitel

Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern Die Untersuchung beginnt mit dem Bericht über das Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber dem für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen eines Nichtigkeitsklageverfahrens zuständigen EuGH und dem insoweit ebenfalls zuständigen EuG bzw. dem für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens zuständigen erlassenden Entscheidungsträger (Abschnitt A.). Im Anschluss daran wird das Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Anfechtungsklage- bzw. von Versagungsgegenklageverfahren zuständigen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens zuständigen erlassenden Entscheidungsträger und der insoweit ebenfalls zuständigen Widerspruchsbehörde dargestellt (Abschnitt B.). Es folgt der Vergleich der in beiden Rechtsordnungen bereitgestellten Lösungen (Abschnitt C.).

A. Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen von Nichtigkeitsklage- bzw. Beschwerdeverfahren zuständigen Entscheidungsträgern I. Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Das Gemeinschaftsrecht erkennt gegenüber dem für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen eines Nichtigkeitsklageverfahrens zuständigen

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1. Teil: Aufhebungsverbote

EuGH und dem insoweit ebenfalls zuständigen EuG bzw. dem für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens zuständigen erlassenden Entscheidungsträger, d.h. dem Entscheidungsträger, dem nach geltendem Gemeinschaftsrecht die Organkompetenz zu dem Erlass einer Entscheidung zugewiesen ist (vgl. insoweit die in Art. 249 Abs. 1 EG enthaltene – allerdings nicht abschließende –1 Aufzählung der zuständigen Gemeinschaftsorgane), das Bestehen eines – bislang in Judikatur und Literatur nicht näher bezeichneten – Aufhebungsverbotes an, das durch den Eintritt der formellen Komponente der Bestandskraft einer Entscheidung (im Folgenden als „formelle Bestandskraft“ einer Entscheidung bezeichnet)2 1 Art. 249 Abs. 1 EG monopolisiert die Organzuständigkeit nicht bei den dort genannten Entscheidungsträgern, vgl.: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 70; W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 12; a. A. wohl: Bockey, S. 97. Zum regelmäßigen Erlass einer Entscheidung durch die Kommission in der Praxis s. bereits oben, Einleitung, B. I. 2 Diese Bezeichnung wählen: Schwarze, S. 1001 (dort auch Fn. 8); Bockey, S. 67; Pache, EuZW 1994, 615 und 617 (alternativ zu dem Hendiadyoin „unanfechtbare Bestandskraft“); auch, wenngleich in der Sache eher zurückhaltend: Vogt, S. 235 ff. (236, 238) u. ö., ders., EuR 39 (2004), 618, 618, 619 ff. (619, 620, 621) u. ö. „Bestandskraft“ (bzw. „bestandskräftig“) stellt demgegenüber die wohl überwiegend gewählte Bezeichnung in den deutschen Fassungen bzw. den deutschen amtlichen Übersetzungen der gerichtlichen Entscheidungen des EuGH sowie des EuG dar, z. B.: EuGH, Rs. 265/82, Slg. 1983, 3105, Rn. 7 (Usinor/Kommission); Rs. 76/83, Slg. 1984, 859, Rn. 4 (Usines Gustave Boel und Fabrique de fer de Maubeuge/ Kommission); Rs. 270/82, Slg. 1984, 1195, Rn. 11 (Estel NV/Kommission); Rs. 348/82, Slg. 1984, 1409, Rn. 6 (IRO SpA/Kommission); Rs. 81/83, Slg. 1984, 2951, Rn. 14 (Acciaierie e Ferriere Busseni SpA/Kommission); Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 12 (S. Moussis/Kommission); Rs. 94/87, Slg. 1989, 175, Rn. 8 (Kommission/BRD); C-183/91, Slg. 1993, I-3131, Rn. 9 (Kommission/Griechische Republik); C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 13 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 19 (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 57 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 29 und Rn. 37 (Nachi Europe GmbH/ Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 34 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement); Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 74 (Kommission/EZB); C-453/00, Slg. 2004, I-637, Rn. 23 (Kühne & Heitz NV/Productschap voor Pluimvee en Eieren); EuG, Rs. T-49/97, Slg. 2000, II-51, Rn. 29 und Rn. 44 (TAT European irlines SA/Kommission); Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 40 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-74/00 R, Slg. 2001, II-2367, Rn. 90 (Artegodan GmbH/Kommission); Rs. T-180/00, Slg. 2002, II-3985, Rn. 141 (Antipesca SL/Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, I-1363, Rn. 50 (SGL Carbon AG/Kommission). Auch in der deutschen Judikatur und Literatur findet sich der Begriff der „Bestandskraft“ (bzw. „bestandskräftig“), z. B.: BVerwGE 92, 81, 87; 106, 328, 333 und 336; Kamann/Selmayr, NVwZ 1999, 1041 ff.; Pechstein/Kubicki, NJW 2005, 1825, 1825; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 3, Rn. 34; Streinz, Rn. 609; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 25. Weitere Bezeichnungen: „Unanfechtbarkeit“ (bzw. „unanfechtbar“): EuGH, verb. Rs. 6 und 11/69, Slg. 1969, 523, Rn. 12 (Kommission/Französische Republik);

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automatisch bzw. – entsprechend der im deutschen Recht gewählten Beschreibung –3 reflexartig ausgelöst wird. Auf die formelle Bestandskraft, die damit sozusagen das „auslösende Moment“ für die Entstehung des Aufhebungsverbotes bildet, ist daher nun im Folgenden zunächst kurz näher einzugehen. 1. Formelle Bestandskraft a) Begriff und Geltungsgrundlage der formellen Bestandskraft Der Begriff der Bestandskraft steht synonym für das Rechtsinstitut der „Unangreifbarkeit von Entscheidungen, die Festigkeit erlangt haben“.4 Die verb. Rs. 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, Rn. 39 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./Rat, Kommission und Europäisches Parlament); ferner: GA Gand, in: SA in Rs. 46/64, Slg. 1965, 1063, 1074 und 1076 (G. Schoffer/Kommission); GA Mayras, in: SA in Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, 1906; „Rechtskraft“: GA Roemer, in: SA in Rs. 36/64, Slg. 1965, 448, 466 (SOREMA/Hohe Behörde); ders., in: SA in Rs. 2/70, Slg. 1971, 97, 115 (Acciaierie e Ferriere Riva SpA/Kommission); GA Gand, in: SA in Rs. 43/64, Slg. 1965, 520, 541 (R. Müller/Räte); GA Mancini, in: SA in Rs. 52/83, Slg. 1983, 3707, 3718 (Kommission/Französische Republik); von „formeller Rechtskraft“ sprechen: Lauwaars, S. 310; H. P. Ipsen, 25/2; Tomuschat, S. 87; Brändel, BB-AWD 1965, 301, 302; „definitiv“: GA Lenz, in: SA in Rs. 81/83, Slg. 1984, 2951, 2967 (Acciaierie e Ferriere Busseni SpA/Kommission). Bezeichnungen in anderen Sprachfassungen bzw. amtlichen Übersetzungen der gerichtlichen Entscheidungen des EuGH bzw. des EuG: englische Fassungen: „finality“ bzw. „final“, „definitive“; französische Fassungen: „(du) caractère définitif“, „(une décision) définitive“; niederländische Fassungen: „definitief“, „onherroepelijk“. Da die Bestandskraft im Gemeinschaftsrecht – dogmatisch betrachtet – nicht nur eine formelle, sondern auch eine materielle Komponente besitzt (dazu ausführlich später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I.), dient die in der vorliegenden Untersuchung gewählte Bezeichnung der formellen Komponente der Bestandskraft als formelle Bestandskraft der Abgrenzung gegenüber der materiellen Komponente der Bestandskraft. 3 s. dazu später, B. I. 4 GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 55 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.) (dort auch Fn. 25 mit dem Hinweis auf den von der deutschen Rechtswissenschaft in diesem Zusammenhang geprägten Begriff der „Bestandskraft“ von Verwaltungsakten anstelle von „Rechtskraft“, die sich eigentlich auf gerichtliche Entscheidungen beziehe). Die hier übersetzte Formulierung des GA Colomer lautet in der Originalsprachfassung (Spanisch): „(. . .) la figura de la inatacabilidad de las resoluciones que han adquirido firmeza (. . .)“. Die hier verwendete Formulierung „Festigkeit“ ist die wörtliche Übersetzung des im Schlussantrag verwendeten Begriffs „la firmeza“ (vgl. insoweit die amtliche deutsche Übersetzung in: ebenda, Fn. 25). Zu beachten ist, dass die deutsche amtliche Übersetzung dieses Satzes der Rn. 55 nicht herangezogen werden kann, da sie den Inhalt nur verkürzt wiedergibt; in ihr fehlt die entscheidende (!) Gleichsetzung der Rechtsfigur der Unangreifbarkeit mit

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Bestandskraft, die der Gewährleistung von Rechtssicherheit dient,5 ist als solche im Gemeinschaftsrecht, insbesondere im primären Gemeinschaftsrecht, nicht positivrechtlich geregelt; sie wird dort nicht einmal erwähnt. Sie ist vielmehr – anscheinend unter Rückgriff auf die in den meisten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bestehenden entsprechenden Rechtsinstitute,6 die ihrerseits wiederum wohl in Anlehnung an das Rechtsinstitut der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen herausgearbeitet wurden7 – richterrechtlich entwickelt worden8 und beruht auf dem Grundsatz „Vigilantibus non dormientibus iura succurrunt“9.

der Bestandskraft. Vgl. daher die Originalfassung dieses Satzes in Spanisch („En el marco que interesa en este recurso, esa arma es la figura de la inatacabilidad de las resolutiones que han adquirido firmeza, también llamada fuerza de la cosa juzgada.“); unverkürzt z. B. auch die englische („[. . .] the concept of the unassailability of decisions that have become final, also known as the principle of res judicata.“), französische („[. . .] l’institution juridique en vertu de laquelle les décisions devenues définitives sont inattaquables, également appelée force de chose jugée.“), niederländische („[. . .] dat wapen het gegrip onaantastbaarheid van definitief geworden beslissingen, ook bekend als kracht van gewijsde.“) und italienische („[. . .] la figura dell’ inoppugnabilità delle decisioni che hanno acquisito carattere definitivo, detta anche forza di cosa giudicata.“) Sprachfassung. 5 EuGH, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837, Rn. 24 (Kühne & Heitz NV/Productschap voor Pluimvee en Eieren); Rs. C-110/02, Slg. 2004, I-6333, Rn. 35 (Kommission/Rat der Europäischen Union); ähnlich: EuGH, Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 21 (Wiljo NV/Belgischer Staat). 6 In diese Richtung deuten jedenfalls die Ausführungen des GA Colomer in seinem Schlussantrag in der Rs. C-310/97 P (Slg. 1999, I-5363, Rn. 62 [Kommission/ Assi Domän Kraft Products AB u. a.]). 7 Dies zeigt bereits die Anerkennung einer Rechtskraft von Verwaltungsentscheidungen, vgl. z. B. im französischen Recht: Dort werden gerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsentscheidungen gleichermaßen „définitive“ (in Bezug auf Verwaltungsentscheidungen s. nur: Chapus, Droit administratif général, Rn. 1016; ders., Droit du contentieux administratif, Rn. 743; in Bezug auf gerichtliche Entscheidungen s. nur: ders., Droit du contentieux administratif, Rn. 768); ferner im niederländischen Recht: Dort erwachsen die Verwaltungsentscheidungen in „formele rechtskracht“ (s. nur: Seerden/Stroink, in: Seerden/Stroink, S. 145, 172). Zur dogmatischen Entwicklungsgeschichte der formellen Bestandskraft im deutschen Recht s. an dieser Stelle nur oben, Einleitung, B. II. 8 Soweit ersichtlich, erstmals der Sache nach bereits anerkannt in: EuGH, verb. Rs. 109/63 und Rs. 13/64, Slg. 1964, 1411, 1435 f. (Ch. Muller/Kommission); erstmals die Bezeichnung „Bestandskraft“ verwendend in: EuGH, verb. Rs. 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, Rn. 39 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./Rat, Kommission und Europäisches Parlament). 9 GA Trabbucchi, in: SÄe in verb. Rs. 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, 198 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./Rat, Kommission und Europäisches Parlament); ähnlich: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 19 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft).

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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In terminologischer Anlehnung an das in den wohl meisten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten herrschende Begriffsverständnis10 bedeutet formelle Bestandskraft einer Entscheidung, dass diese nicht oder nicht mehr mit ordentlichen, auf Beseitigung des Bestandes der angegriffenen Entscheidung gerichteten (außer-)gerichtlichen förmlichen Rechtsbehelfen anfechtbar ist,11 kurz wohl Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung.12 Neben der Nichtigkeitsklage kommt als weiterer anfechtungsrelevanter, allerdings außergerichtlicher förmlicher Rechtsbehelf die Beschwerde in Betracht.13 Soweit erkennbar, dürfte die formelle Bestandskraft einer Entscheidung sowohl in der Judikatur14 als auch in der Literatur15 allgemein anerkannt sein.

10 Vgl. die Ausführungen des GA Colomer in seinem Schlussantrag in der Rs. C-310/97 P (Slg. 1999, I-5363, Rn. 62 [Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.]) sowie Lauwaars’ Ausführungen (ders., S. 310). 11 Vgl. z. B.: H. P. Ipsen, 25/2; Lauwaars, S. 310; Pache, EuZW 1994, 615, 617 (dort: Fn. 25). 12 Zugunsten der Gleichsetzung der formellen Bestandskraft mit der Unanfechtbarkeit spricht jedenfalls die namentlich in den deutschen Fassungen bzw. den deutschen amtlichen Übersetzungen der gerichtlichen Entscheidungen des EuGH und des EuG gängige synonyme Verwendung beider Begriffe (s. o., Fn. 2), obgleich der Terminus der Unanfechtbarkeit – streng genommen – weiter gefasst sein soll als der der formellen Bestandskraft, vgl. zu dieser jedenfalls im deutschen Zivilprozessrecht mitunter vorgenommenen Differenzierung später, B. I. 1. a). Die Begriffe „formelle Bestandskraft“ und „Unanfechtbarkeit“ – offensichtlich selbstverständlich – gleichsetzend: Vogt, S. 235 [dort: Überschrift lit. aa) „Unanfechtbarkeit oder ‚formelle Bestandskraft‘ “] und 236; ders., EuR 39 (2004), 618, 618 (mit Fn. 5), 619 [dort: Überschrift lit. a) „Unanfechtbarkeit oder ‚formelle Bestandskraft‘ “] und 620. Konsequenz dieser – hier und im Folgenden angenommenen – Gleichsetzung und des daraus resultierenden weiten Begriffsverständnisses ist, dass auch eine ausschließlich begünstigende, d.h. niemanden beschwerende Entscheidung aufgrund ihrer von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit der formellen Bestandskraft fähig ist. 13 Zu diesen anfechtungs- und damit zugleich aufhebungsrelevanten Rechtsbehelfen s. bereits oben, Einleitung, D. 14 Z. B.: EuGH, Rs. 265/82, Slg. 1983, 3105, Rn. 7 (Usinor/Kommission); C-183/91, Slg. 1993, I-3131, Rn. 9 (Kommission/Griechische Republik); C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 19 (Wiljo NV/Belgischer Staat); C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 29 und Rn. 37 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 34 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement); EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 40 (Compania Inpesca SA/ Kommission); Rs. T-180/00, Slg. 2002, II-3985, Rn. 141 (Antipesca SL/Kommission); aus der deutschen Judikatur z. B.: BVerwGE 106, 328, 333 und 336; s. i. Ü. die in Fn. 2 aufgeführten Nachweise aus der Judikatur. 15 Vgl. neben den in Fn. 11 erwähnten Stimmen aus der Literatur die in Fn. 2 aufgeführten Nachweise aus der Literatur.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

b) Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der formellen Bestandskraft auf die Betroffenen Wie der üblicherweise synonym für die formelle Bestandskraft verwendete Begriff der Unanfechtbarkeit bereits vermuten lässt, ist die formelle Bestandskraft in ihrer Bedeutung allein auf die von der in Rede stehenden Entscheidung Betroffenen16 beschränkt, wobei im Falle einer – in diesem Kapitel ohnehin allein interessierenden – zumindest auch belastenden Entscheidung eine weitere Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der Bestandskraft zu beachten ist, denn diese tritt im Gemeinschaftsrecht nicht gegenüber jedem beliebigen betroffenen Dritten ein, sondern nur gegenüber demjenigen betroffenen Dritten, der die Entscheidung, soweit sie ihn belastet, „zweifellos“17 angreifen konnte.18 Diese den Kreis derjenigen betroffenen Dritten, denen gegenüber eine (auch) belastende Entscheidung in Bestandskraft erwachsen kann, einschränkende Voraussetzung hat der EuGH erstmals explizit19 in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft20 hervorgehoben. Sie bedarf im Folgenden kurz näherer Erläuterung: Die Rechtssache TWD GmbH/ Bundesminister für Wirtschaft beruht auf einem Beschluss des Oberverwal16 Im Gemeinschaftsrecht hängt ein Betroffensein von einer (möglichen) Beeinträchtigung rechtlich relevanter Interessen ab. Anders als im deutschen Recht bedarf es zur Bejahung einer Betroffenheit keiner (möglichen) Verletzung subjektiver Rechte, vgl. z. B. das Betroffensein natürlicher Personen und juristischer Personen des Privatrechts als sog. nichtprivilegierte Kläger im Kontext des Art. 230 Abs. 4 EG (s. dazu nur: Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 1 und Rn. 52). 17 So die gängige Diktion des EuGH, vgl.: Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 24 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 21 (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 35 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement); ferner: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 26 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); von „unstreitig“ spricht: EuGH, Rs. C-408/95, Slg. 1997, I-6315, Rn. 28 (Eurotunnel SA u. a./SeaFrance, vormals SNAT SA). 18 EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 11 ff. (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); EuGH, Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 20 f. (21) (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 37 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 35 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement). 19 Der Sache nach hatte der EuGH diese Voraussetzungen offenbar wohl bereits in seiner früheren Judikatur im Auge, denn die von ihm zuvor entschiedenen Rechtssachen Universität Hamburg/Hauptzollamt Hamburg-Kehrwieder (Rs. 216/82, Slg. 1983, 2771, Rn. 10 [zu den Umständen im Einzelnen, vgl. Rn. 6 ff.]) und Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289, Rn. 10 ff.) liegen der Sache nach ganz auf dieser Linie. Vgl. dazu auch: Mager, EuR 36 (2001), 661, 680. 20 Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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tungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, mit dem es dem EuGH die – in diesem Zusammenhang allein interessierende – Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, ob das nationale Gericht an eine Entscheidung der EG-Kommission nach Art. 93 Abs. 2 EWG-Vertrag (= Art. 88 Abs. 2 EG) gebunden sei, wenn es im Hinblick auf die Durchsetzung dieser Entscheidung durch die nationalen Behörden von dem Beihilfeempfänger und Adressaten der Durchsetzungsmaßnahmen mit der Begründung angerufen werde, die Entscheidung der Kommission sei rechtswidrig, und wenn der Beihilfeempfänger, obwohl er von dem Mitgliedstaat über die Entscheidung der EG-Kommission schriftlich in Kenntnis gesetzt worden sei, eine Klage nach Art. 173 Abs. 2 EWG-Vertrag (= Art. 230 Abs. 4 EG) nicht oder nicht rechtzeitig erhoben habe.21 Der EuGH22 hat zunächst bestätigt, auch ein Nichtadressat habe das Recht, eine Entscheidung gemäß Art. 230 Abs. 4 EG anzufechten, und sodann festgestellt, der Ablauf der in Art. 230 Abs. 5 EG normierten Klagefrist habe dieselbe Ausschlusswirkung gegenüber einem Nichtadressaten wie gegenüber einem Adressaten. Unter Hinweis auf die Notwendigkeit, Rechtssicherheit zu gewährleisten, hat der EuGH auch für einen Nichtadressaten die Anfechtungsmöglichkeit nach Fristablauf ausgeschlossen.23 Allerdings hat er diese Rechtsfolge auf die Fälle beschränkt, in denen eine der anhängigen Rechtssache entsprechende Sach- und Rechtslage gegeben ist:24 Der Nichtadressat war schriftlich über die Entscheidung in Kenntnis gesetzt worden,25 kannte die Entscheidung also in vollem Umfang;26 ferner war er ausdrücklich auf sein Anfechtungsrecht hingewiesen worden,27 und schließlich bestanden an der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage, insbesondere hinsichtlich seiner Klagebefugnis, keine Zweifel, und der betroffene Dritte wusste dies.28 21

Ebenda, Rn. 8. Ebenda, Rn. 14. 23 Ebenda, Rn. 17. 24 Ebenda, Rn. 12 und Rn. 25. Andernfalls tritt die Bestandskraft gegenüber dem betroffenen Dritten nicht ein, vgl. zu einer solchen Konstellation EuGH, verb. Rs. C-346 und 529/03, Slg. 2003, II-6037, Rn. 31 ff. (Atzeni u. a., Scalas, Lilliu/Regione autonoma della Sardegna) unter Heranziehung der in der Rechtssache TWD entwickelten Maßstäbe. 25 Ebenda, Rn. 11 und Rn. 26. 26 Ebenda, Rn. 24. 27 Ebenda, Rn. 11. Diese Voraussetzung wird im Tenor des Urteils bzw. Rn. 26 allerdings nicht mehr erwähnt (vgl. aber die der Vorlagefrage zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände in Rn. 12). 28 Ebenda, Rn. 24. Hierzu: EuGH, Rs. C-408/95, Slg. 1997, I-6315, Rn. 28 (Eurotunnel SA u. a./SeaFrance, vormals SNAT SA); ferner auch: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-178/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 26 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirt22

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Mit dem Erfordernis des zweifellosen Anfechtungsrechts trägt der EuGH seiner – z. T. sehr restriktiven –29 Judikatur in Bezug auf die Klagebefugnis eines Nichtadressaten nach Art. 230 Abs. 4 Alt. 2 EG Rechnung.30 Zwecks Vermeidung einer Popularklage31 setzt die Klagebefugnis voraus, dass eine Entscheidung einen Nichtadressaten „unmittelbar“ und „individuell“, d.h. wie einen Adressaten32 betrifft. Während die Darlegung unmittelbarer Betroffenheit33 in der Regel weniger Probleme bereitet,34 stellt die Darlegung individueller Betroffenheit für einen Nichtadressaten demgegenüber ein erhebliches Problem dar, weil für sie die – trotz Kritik35 jüngst wieder bestätigte36 – sog. „Plaumann-Formel“ gilt, nach der ein Dritter (nur) dann von schaft); ders., in: SA in Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 56 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); GA Tesauro, in: SA in Rs. C-408/95, Slg. 1997, I-6315, Rn. 19 (Eurotunnel SA u. a./SeaFrance, vormals SNAT SA). 29 Lindner, EuZW 2003, 569. 30 Diese Judikatur ist zugleich Maßstab für die Klagebefugnis etwa einer Nichtigkeitsklage nach Art. 91 BeaSt., vgl. hierzu: Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 24; Ehricke, in: Streinz, Art. 236, Rn. 11. Entsprechendes gilt wohl auch für die Beschwerdebefugnis, vgl. insoweit: Karpernstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 24 und Rn. 36. 31 Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 49; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 2; differenzierend: Bockey, S. 165; Pechstein/Kubicki, NJW 2005, 1825, 1827. 32 Tomuschat, S. 91. 33 D.h. „die beanstandete Maßnahme (wirkt) sich unmittelbar auf die Rechtsstellung (aus) und (lässt) ihren Adressaten, die mit der Durchführung der Entscheidung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum, diese Durchführung (erfolgt) vielmehr rein automatisch und (ergibt) sich aus der Gemeinschaftsregelung, ohne daß dabei weitere Vorschriften angewandt werden“. So der EuGH in seinem Urteil in der Rs. C-386/96 P, Slg. 1998, I-2309, Rn. 43 (Société anonyme Louis Dreyfus & Cie. u. a./Kommission). Dem steht es gleich „(. . .), wenn für die Adressaten nur eine rein theoretische Möglichkeit besteht, dem Gemeinschaftsrechtsakt nicht nachzukommen, weil ihr Wille, diesem Akt nachzukommen, keinem Zweifel unterliegt“ (EuGH, ebenda, Rn. 44). 34 Arnull, CMLRev. 38 (2001), 7, 25; Kronenberger/Dejmek, The European Legal Forum 2002, 257, 258. Vgl. aber zu der in der Judikatur des EuG sich offenbar abzeichnenden Tendenz, die Anforderungen an das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit zu verschärfen: Arnull, CMLRev. 38 (2001), 7, 25 ff. 35 Umfassende Erörterung dieses Problems einschließlich grundlegender Kritik bei: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 37 ff. (UPA/Rat der Europäischen Union). Vgl. in diesem Kontext auch die Analyse der Argumente für und gegen eine weite Fassung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualnichtigkeitsklage bei Borowski, EuR 39 (2004), 879, 893 ff. 36 EuGH, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 45 (Kommission Jégo-Quéré/ Kommission); zuvor bereits: Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36 ff. (UPA/Rat der Europäischen Union). Nach Ansicht des EuGH (in Rs. C-50/00 P, ebenda, Rn. 45) käme eine Reform des geltenden Klagensystems des EG-Vertrages nur mittels Vertragsänderung nach Art. 48 EU in Betracht. In diese Richtung auch: Oppermann, 2. Aufl., Rn. 753; Arnull, CMLRev. 38 (2001), 5, 52.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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einer Entscheidung individuell betroffen ist, wenn „die Entscheidung (ihn) wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten“37. Abgesehen von diesem restriktiven Verständnis des EuGH im Hinblick auf das Erfordernis individueller Betroffenheit kommt für einen betroffenen Dritten erschwerend hinzu, dass die einschlägige Judikatur sehr stark einzelfallbezogen ist.38 Aus diesem Grunde kann sich eine Prognose über das tatsächliche Vorliegen der Klagebefugnis als mitunter äußerst schwierig erweisen; eine dennoch vorgenommene Klageerhebung kann demzufolge unter Umständen ein nicht unerhebliches (auch finanzielles) Risiko bedeuten. Mit Einführung der Voraussetzung des zweifellosen Anfechtungsrechts bewahrt der EuGH im Ergebnis einen betroffenen Dritten vor der Notwendigkeit einer lediglich zwecks Verhinderung des Bestandskrafteintritts und damit möglicherweise lediglich „auf Verdacht“ erfolgenden Klageerhebung. Zugleich löst er auf diese Weise den Konflikt zwischen der insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit notwendigen Konsolidierung der Rechtslage nach Ablauf von Rechtsbehelfsfristen und dem Recht eines betroffenen Dritten auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, das im Gemeinschaftsrecht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt,39 dahingehend, dass sich ein Dritter, soweit eine Entscheidung ihn belastet, deren Bestandskraft nur dann entgegenhalten lassen muss, wenn er die ihm unstreitig mögliche Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz schuldhaft unterlassen hat.40

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EuGH, Rs. 25/62, Slg. 1963, 213, 238 (Firma Plaumann und Co./Kommission). In Rn. 60 seines Schlussantrages in der Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (UPA/Rat der Europäischen Union), hatte GA Jacobs selbst eine Definition für das Erfordernis der individuellen Betroffenheit vorgeschlagen. Ein weiterer Definitionsvorschlag stammt von dem EuG (Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 51 [JégoQuéré & Cie. SA/Kommission], aufgehoben aber durch EuGH, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, insbesondere Rn. 29 ff. [Kommission Jégo-Quéré/Kommission]). Beide Vorschläge vergleichend: Lindner (EuZW 2003, 569, 571) und Kronenberger/ Dejmek (The European Legal Forum 2002, 257, 259 f.). 38 Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 54. 39 EuGH, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 39 (UPA/Rat der Europäischen Union); Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 29 (Kommission Jégo-Quéré/Kommission). 40 Die Rechtsprechung des EuGH begrüßend: Kamann/Selmayr, NVwZ 1999, 1041, 1045; kritisch dagegen: Vogt, S. 242; ders., EuR 39 (2004), 618, 625.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

2. Bestandskraftabhängiges Aufhebungsverbot gegenüber dem EuGH und dem EuG bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger Wegen der soeben dargelegten Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der formellen Bestandskraft auf die Betroffenen ist die formelle Bestandskraft für den EuGH und das EuG bzw. den erlassenden Entscheidungsträger als Bindungswirkung irrelevant.41 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die mit Eintritt der formellen Bestandskraft einsetzende Bindung eines Betroffenen an den Bestand einer Entscheidung für diese Entscheidungsträger ohne Bedeutung ist. Die infolge Eintritts der formellen Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des mittels der betreffenden Entscheidung begründeten Gemeinschaftsrechtsverhältnisses (die formell bestandskräftige Entscheidung wird endgültig Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung)42 wirkt sich auf Seiten dieser Entscheidungsträger vielmehr prompt aus, indem der Beginn der formellen Bestandskraft ihnen gegenüber zu dem bereits erwähnten reflexartigen Eintritt eines Aufhebungsverbotes führt. Die Beschreibung der Entstehung dieses Aufhebungsverbotes als reflexartig verdeutlicht, dass der EuGH und das EuG bzw. der erlassende Entscheidungsträger allein deshalb gebunden werden, weil ein Betroffener an den Bestand der in Rede stehenden Entscheidung auf Dauer gebunden wird. Dies bedeutet konsequenterweise, dass das Aufhebungsverbot – dogmatisch betrachtet – nicht eine unmittelbare, sondern vielmehr eine über die durch die formelle Bestandskraft bewirkte (unmittelbare) Bindung eines Betroffenen vermittelte, d.h. eine mittelbare Bindung an den Bestand der betreffenden Entscheidung beinhaltet. Der mittelbare Charakter der Bindung dieser Entscheidungsträger bedingt zwangsläufig eine akzessorische Bindung. Dieses – der Gewährleistung von Rechtssicherheit dienende –43 Aufhebungsverbot ist nicht positivrechtlich geregelt, aber als – möglicherweise eher selbstverständlich – bestehend anerkannt.44

41 Vgl.: EuGH, Rs. 2/70, Slg. 1971, 97, Rn. 7 (Acciaierie e Ferrierie Riva SpA/ Kommission); ferner: GA Roemer, in: SA in Rs. 2/70, ebenda, S. 115. 42 GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 55 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). 43 Vgl. insoweit die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil in der Rs. 227/83 (Slg. 1984, 3133, Rn. 13 [S. Moussis/Kommission]). 44 Vgl. nur: EuGH, Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 11 ff. (S. Moussis/Kommission).

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

51

II. Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Aufgrund der im Verhältnis zu der formellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät des Aufhebungsverbotes tritt dieses nur und erst dann ein, sobald45 die formelle Bestandskraft selbst zur Entstehung gelangt. Im Rahmen eines Nichtigkeits- bzw. eines Beschwerdeverfahrens wird der Eintritt der formellen Bestandskraft einer der formellen Bestandskraft fähigen, (auch) belastende Rechtswirkungen entfaltenden Entscheidung (1) durch bestimmte, den Eintritt der formellen Bestandskraft herbeiführende Umstände (2) bewirkt: (1) In formelle Bestandskraft erwächst allein eine der formellen Bestandskraft fähige, d.h. einer Konsolidierung zugängliche Entscheidung. Im Rahmen eines Nichtigkeits- bzw. eines Beschwerdeverfahrens ist selbstverständlich nur eine zunächst angreifbare Entscheidung der formellen Bestandskraft fähig.46 Bei dieser handelt es sich um eine existente, d.h. existent gewordene und existent gebliebene Entscheidung (a),47 die – ungeachtet ihres (möglichen) Inhaltes (b) – gegenüber einem Betroffenen zumindest teilweise belastende Rechtswirkungen entfalten muss:48, 49 45 Vorbehaltlich der Teilbarkeit der Entscheidung zudem auch nur, soweit die formelle Bestandskraft eintritt. Dieser Umstand wird im Folgenden, auch an entsprechenden Stellen, nicht mehr besonders hervorgehoben. 46 Dass im Übrigen auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der formellen Bestandskraft fähig sein dürfte, wurde bereits ausgeführt (s. o., Fn. 12). 47 Die Voraussetzung der Existenz einer Entscheidung wird im Folgenden ausführlicher als möglicherweise unbedingt notwendig erörtert, da das Vorliegen einer existenten Entscheidung nicht nur die zentrale Voraussetzung für das Bestehen von Bindungswirkungen darstellt, sondern – und hier vor allem – auch, weil die Existenz einer Entscheidung bisher – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand einer detaillierteren wissenschaftlichen Untersuchung war. Abgesehen davon eröffnet die an dieser Stelle der Untersuchung erfolgende zusammenhängende Darstellung der Existenz einer Entscheidung rein praktisch die Möglichkeit, in späteren Teilen der Untersuchung auf die hiesige Darstellung schlicht zu verweisen. 48 (Auch) belastend wirken kann eine Entscheidung allerdings nur, wenn sie gegenüber den Betroffenen unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet. Gegenüber einem Adressaten ist dies ohne weiteres der Fall, da eine Entscheidung in diesem Falle keines mitgliedstaatlichen Umsetzungsaktes in Form einer Transformation oder eines konkreten Vollzugsbefehls bedarf, um Rechtswirkungen zu entfalten (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 202 und Rn. 203; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 249, Rn. 46; Biervert, in: Schwarze, Art. 249, Rn. 35). Im Gegensatz zu einer Verordnung, bei der das Kriterium der Entfaltung unmittelbarer Rechtswirkungen in Art. 249 Abs. 2 EG selbst normiert ist (vgl. Wortlaut: „[. . .] gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“), ergibt es sich bei einer Entscheidung zwar nicht aus dem Wortlaut des Art. 249 Abs. 4 EG, folgt aber aus der Natur der Sache (Streinz, Rn. 468) und entspricht im Übrigen dem Sinn und Zweck der Entscheidung, gegenüber ihrem Adressaten die Rechtslage unmittelbar zu gestalten oder

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1. Teil: Aufhebungsverbote

(a) Der Begriff der „Existenz“ einer Entscheidung ist im Gemeinschaftsrecht nicht positivrechtlich geregelt. Entsprechend seinem Gegenbegriff der festzustellen (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 202). Anders als bei einem Adressaten entfaltet eine Entscheidung gegenüber einem Nichtadressaten nicht zwangsläufig unmittelbare Rechtswirkungen. Ob eine Entscheidung ihm gegenüber unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet, ist anhand des Inhalts der betreffenden Entscheidung zu bestimmen: In erster Linie ist insoweit maßgeblich, wer Adressat dieser Entscheidung ist. Ist die Entscheidung an eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts gerichtet, entfaltet sie wohl auch gegenüber einem Nichtadressaten ohne weiteres unmittelbare Rechtswirkungen, da die Entscheidung in diesem Falle keines mitgliedstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf. Anders verhält es sich demgegenüber, falls eine Entscheidung an einen Mitgliedstaat gerichtet ist. In diesem Falle hängt die Frage der Entfaltung unmittelbarer Rechtswirkungen von dem konkreten Regelungsgehalt der Entscheidung ab: In ständiger Rechtsprechung erkennt die Judikatur die Möglichkeit der Entfaltung unmittelbarer Rechtswirkungen einer staatengerichteten Entscheidung auch gegenüber einem Nichtadressaten an, vgl. grundlegend: EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn. 5 f. (F. Grad/Finanzamt Traunstein); Rs. 20/70, Slg. 1970, 861, Rn. 5 f. (Transports Lesage & Cie/Hauptzollamt Freiburg); Rs. 23/70, Slg. 1970, 881, Rn. 5 f. (E. Haselhorst/Finanzamt Düsseldorf-Altstadt); zusammenfassend: EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345, Rn. 10 (Albako Margarinenfabrik Maria von der Linde GmbH & Co. KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); inzwischen gilt diese Judikatur übrigens auch für die Richtlinie nach Art. 249 Abs. 3 EG, vgl. dazu: Mager, EuR 36 (2001), 661, 678 ff. Die Judikatur begründet diesen – auch in der Literatur anerkannten (z. B.: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 249, Rn. 118; Streinz, Rn. 468; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 203; Biervert, in: Schwarze, Art. 249, Rn. 35; Hetmeier, in: Lenz, Art. 249, Rn. 18; Nicolaysen, § 10 IV.; Ehlers, DVBl. 1991, 605, 608; Mager, EuR 36 [2001], 661, 678 ff.; i. E. grundsätzlich a. A. aber: Greaves, ELRev. 21 [1996], 3, 12 ff. [16]) – Grundsatz u. a. damit, die einer Verordnung in Art. 249 Abs. 2 EG ausdrücklich zugeschriebene Entfaltung unmittelbarer Rechtswirkungen schließe eine „ähnliche Wirkung“ anderer in Art. 249 EG genannter sekundärrechtlicher Handlungsformen nicht aus, und ferner damit, das in Art. 234 EG geregelte Vorabentscheidungsverfahren setze voraus, dass sich die Einzelnen vor einem mitgliedstaatlichen Gericht auf die in Art. 249 EG genannten Handlungsformen berufen können. Unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet eine an einen Mitgliedstaat gerichtete Entscheidung gegenüber einem Nichtadresaaten nach der Judikatur jedoch nur dann, wenn sie „nach Rechtsnatur, Systematik und Wortlaut geeignet ist, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen dem Adressaten der Handlung und Dritten zu begründen“, s.: EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn. 6 (F. Grad/Finanzamt Traunstein); Rs. 20/70, Slg. 1970, 861, Rn. 6 (Transports Lesage & Cie/ Hauptzollamt Freiburg); Rs. 23/70, Slg. 1970, 881, Rn. 6 (E. Haselhorst/Finanzamt Düsseldorf-Altstadt). Konkret entfaltet eine solche Entscheidung unmittelbare Rechtswirkungen, wenn die in ihr getroffene Regelung hinreichend klar und genau sowie unbedingt ist und dem Mitgliedstaat zu ihrer Erfüllung keinen Ermessensspielraum einräumt, vgl. in diesem Sinne: EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn. 9 f. (F. Grad/Finanzamt Traunstein); Rs. 20/70, Slg. 1970, 861, Rn. 9 f. (Transports Lesage & Cie/Hauptzollamt Freiburg); Rs. 23/70, Slg. 1970, 881, Rn. 9 f. (E. Haselhorst/Finanzamt Düsseldorf-Altstadt); Rs. C-156/91, Slg. 1992, I-5567, Rn. 13 (Hansa Fleisch Ernst Mundt GmbH/Landrat des Kreises Schleswig-Flensburg); ferner: Biervert, in: Schwarze, Art. 249, Rn. 35.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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„Inexistenz“ beinhaltet er zwei Komponenten: die – hier so bezeichnete – „tatsächliche Existenz“ (aa) und die „rechtliche Existenz“ (bb):50 (aa) Im Umkehrschluss zu ihrem Gegenbegriff der tatsächlichen Inexistenz51 meint die tatsächliche Existenz das Vorliegen einer (materiellen) Entscheidung im Sinne des Art. 249 Abs. 4 EG. Wann eine solche Entscheidung tatsächlich existent wird, ist im primären Gemeinschaftsrecht, namentlich in Art. 254 Abs. 3 EG, der zwar „die Entscheidungen“ zum Gegenstand der Bekanntgabe macht, dabei aber offen lässt, ob mit diesen bereits (materielle) Entscheidungen im Sinne des Art. 249 Abs. 4 EG oder möglicherweise lediglich noch interne Entscheidungsvorschläge52 gemeint sind, nicht positivrechtlich geregelt. Einschlägige Falls der Mitgliedstaat verpflichtet wurde, die genauen und unbedingten Bestimmungen einer Regelung innerhalb einer bestimmten Frist zur Anwendung zu bringen, so entfaltet die Entscheidung unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber einem Nichtadressaten (erst) nach ergebnislosem Verstreichen dieser Frist, vgl: Rs. C-156/91, Slg. 1992, I-5567, Rn. 19 f. (Hansa Fleisch Ernst Mundt GmbH/Landrat des Kreises Schleswig-Flensburg). Entfaltet eine Entscheidung gegenüber einem Nichtadressaten unmittelbare Rechtswirkungen, ist es gleichgültig, ob diese begünstigender oder belastender Natur sind, vgl. in Bezug auf begünstigende Rechtswirkungen z. B.: EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn. 9 f. (F. Grad/Finanzamt Traunstein); Rs. 20/70, Slg. 1970, 861, Rn. 9 f. (Transports Lesage & Cie/Hauptzollamt Freiburg); Rs. 23/70, Slg. 1970, 881, Rn. 9 f. (E. Haselhorst/Finanzamt DüsseldorfAltstadt); ferner: Nicolaysen, § 10 IV.; Hetmeier, in: Lenz, Art. 249, Rn. 18; Schweitzer/Hummer, Rn. 379; Ehlers, DVBl. 1991, 605, 608; in Bezug auf belastende Rechtswirkungen z. B. einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung: EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345, Rn. 11 ff. (Albako Margarinenfabrik Maria von der Linde GmbH & Co. KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); ferner: Nicolaysen, § 10 IV.; Bleckmann, Rn. 460; Mager, EuR 36 (2001), 661, 680; Ehlers, DVBl. 1991, 605, 608; a. A.: Schweitzer/Hummer, Rn. 378; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 249, Rn. 118. Der Umstand, dass eine an einen Hoheitsträger gerichtete Entscheidung nur unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber einem Nichtadressaten entfaltet, kennt Parallelen im deutschen Recht. Dort entfaltet etwa ein an einen Selbstverwaltungsträger gerichteter Verwaltungsakt gegenüber einem Nichtadressaten keine unmittelbare Rechtswirkungen, weil ihm die Außenwirkung abgesprochen wird (vgl. dazu nur: Kopp/Ramsauer, § 35, Rn. 80). Diese Einschränkung wird im Folgenden nicht mehr besonders hervorgehoben. 49 Unter Zugrundelegung der Annahme, dass auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der formellen Bestandskraft fähig ist, gelten – mit selbstverständlicher Ausnahme des Erfordernisses der Entfaltung (auch) belastender Rechtswirkungen – dieselben Voraussetzungen aber auch für den Eintritt der formellen Bestandskraft einer solchen Entscheidung. 50 Zur (tatsächlichen und rechtlichen) Inexistenz: Bergerès, Rev. trim. de droit europ. 1989, 393, 394; Müller, S. 136. Annacker (EuZW 1995, 755, 756; dies., S. 84) behandelt dagegen die von der rechtlichen Existenz sachlich zu trennende tatsächliche Existenz einheitlich unter dem Terminus der rechtlichen Existenz. 51 Dazu: Bergerès, Rev. trim. de droit europ. 1989, 393, 394; Müller, S. 136.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Regelungen finden sich jedoch im sekundären Gemeinschaftsrecht, denn hierzu gehören als sog. „atypische Rechtsakte“ des internen Rechts der Gemeinschaftsorgane die Geschäftsordnungen der gemeinschaftsrechtlich zu dem Erlass von Entscheidungen ermächtigten Organe.53 Die Organkompetenz zu dem Erlass von Entscheidungen besitzen – wie bereits berichtet –54 in erster Linie die in Art. 249 Abs. 1 EG erwähnten Organe. So ist etwa die Kommission nach Art. 218 Abs. 2 EG zu dem Erlass einer Geschäftsordnung ermächtigt. Deren Geschäftsordnung55 enthält die Bestimmungen über das Zustandekommen von Rechtsakten in den Artt. 4 ff.56 Für die – hier interessierende – Frage des Beginns der tatsächlichen Existenz einer Entscheidung im Sinne des Art. 249 Abs. 4 EG stellt Art. 18 Abs. 5 der GO die maßgebliche Bestimmung dar, nach der „im Sinne dieser Geschäftsordnung (. . .) der Begriff Beschluss die Rechtsakte, die in den Artikeln 14 EGKS-, Art. 249 EG- und 161 Euratom-Vertrag genannt sind, (bezeichnet)“. Aus ihr ergibt sich, dass der – seinerseits rechtlich existente – Beschluss über die Annahme eines Entscheidungsentwurfes den Beginn der tatsächlichen Existenz der Entscheidung markiert.57 52 So in Bezug auf nach Art. 254 Abs. 1 und Abs. 2 EG veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte: R. Geiger, Art. 254, Rn. 4; Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 4. Unter Zugrundelegung dieser Ansicht wäre die Veröffentlichung des Rechtsaktes der maßgebliche Zeitpunkt für den Eintritt der tatsächlichen Existenz. Übertragen auf Art. 254 Abs. 3 EG bedeutete dies, dass die Entscheidungen (erst) mit ihrer Bekanntgabe tatsächlich existent würden. 53 W. Schroeder, in: Streinz, Art. 249, Rn. 20 und Rn. 28. Speziell zur Qualifizierung als atypische Rechtsakte: ders., in: ebenda, Art. 249, Rn. 20 und Rn. 26. 54 s. o., Fn. 1. 55 GO der Kommission vom 29. November 2000, K [2000] 3614, ABl. Nr. L 308/26 mit Änderungen. 56 Dazu allgemein (im Kontext der GO a. F.): GA Alber, in: SA in Rs. C-398/00, Slg. 2002, I-5643, Rn. 51 (Königreich Spanien/Kommission). Nach der geltenden GO gibt es vier verschiedene, in Art. 4 der GO aufgezählte Verfahrensarten der Beschlussfassung, denen gemeinsam ist, dass die von der Kommission gefassten Beschlüsse – aus Gründen der Rechtssicherheit (EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 76 ff. [Kommission/BASF AG u. a.]) – der „Ausfertigung“ (EuGH, ebenda, Rn. 75 in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GO a. F.) bedürfen, vgl. Art. 18 Abs. 1 bis 4 der GO. 57 s. auch: GA Alber, in: Rs. C-398/00, Slg. 2002, I-5643, Rn. 52 (Königreich Spanien/Kommission); Vogt, S. 212 ff. (214); i. E. ebenso: EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 76 ff. (Kommission/BASF AG u. a.); anders (die tatsächliche Existenz einer Entscheidung beginnt [erst] im Zeitpunkt ihrer Ausfertigung): EuGH, Rs. C-398/00, Slg. 2002, I-5643, Rn. 30 (Königreich Spanien/Kommission). Dass der Beschluss über die Annahme eines Entscheidungsentwurfes bereits den maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn der tatsächlichen Existenz darstellt, wird aber durch die synonyme Verwendung der Begriffe „Erlass“ und „Beschluss“ im Rahmen des sog. Grundsatzes der „Unantastbarkeit erlassener bzw. beschlossener Rechtsakte“ in den deutschen Sprachfassungen bzw. amtlichen Übersetzungen der

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Das für die Bejahung einer bestandskraftfähigen Entscheidung erforderliche Fortbestehen der tatsächlichen Existenz ist demgegenüber – soweit erkennbar – im Gemeinschaftsrecht weder positivrechtlich noch durch einen allgemeinen Verwaltungsgrundsatz58 geregelt. In der Literatur59 wird davon gerichtlichen Entscheidungen des EuG bestätigt (soweit ersichtlich, hat der EuGH diese Bezeichnung bislang nicht verwendet): Während etwa die englischen und französischen Sprachfassungen bzw. amtlichen Übersetzungen der gerichtlichen Entscheidungen des EuG einheitlich von „adopted“ bzw. „adopté(s)“ sprechen, werden in den deutschen Sprachfassungen bzw. amtlichen Übersetzungen die Begriffe „erlassen“ und „beschlossen“ synonym verwendet, vgl.: EuG, Rs. T-80/89, Slg. 1995, II-729, vor Rn. 71 (Überschrift lit. A.) und Rn. 73 (BASF AG u. a./Kommission); T-229/94, Slg. 1997, II-1689, Rn. 113 (Deutsche Bahn AG/Kommission); T-37/97, Slg. 1999, II-859, Rn. 97 (Forges de Clabeq SA/Kommission); verb. Rs. T-227/99 und T-134/00, Slg. 2002, II-1205, Rn. 92 (Kvaerner Warnow Werft GmbH/Kommission). Bekanntlich ist der Erlass eines Rechtsaktes gleichbedeutend mit dem Beginn des Vorliegens eines (materiellen) Rechtsaktes (vgl. nur im Kontext des Verwaltungsaktes: OVG NW, NVwZ-RR 2000, 490, 492; ferner: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 2; Maurer, § 9, Rn. 64; Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 (1999), 49, 60 f.; Differenzen bestehen im deutschen Recht lediglich hinsichtlich der Frage, welcher Zeitpunkt als der Erlasszeitpunkt anzusehen sein soll). Dass – entgegen den bereits erwähnten Stimmen in der Literatur (s. o., Fn. 52) – maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der tatsächlichen Existenz einer (materiellen) Entscheidung nicht erst deren Veröffentlichung oder Bekanntgabe ist, bestätigt die Judikatur in anderem Kontext, vgl. zum einen: EuGH, verb. Rs. 172 und 226/83, Slg. 1985, 2831, Rn. 8 (Hoogovens Groep BV/Kommission): Tauglicher Gegenstand einer Nichtigkeitsklage ist nach diesem Urteil ein Rechtsakt, sobald er ergangen ist; die Bekanntgabe oder Veröffentlichung des Rechtsaktes braucht nicht abgewartet zu werden. Im konkreten Fall hatte die Klägerin Nichtigkeitsklage nach Art. 33 Abs. 2 EGKS-Vertrag (Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 [BGBl. II 1952, 447 mit Änderungen], gemäß Art. 97 am 23. Juli 2002 außer Kraft getreten) gegen zwei an Mitgliedstaaten gerichtete allgemeine Entscheidungen im Sinne des Art. 15 Abs. 3 EGKS-Vertrag, die der Verordnung nach Art. 249 Abs. 2 EGKS-Vertrag entsprechen (s. nur: Bockey, S. 15 [dort: Fn. 5]), elf Tage vor deren Veröffentlichung im Amtsblatt erhoben. Der EuGH erklärte die Klage (insoweit) für zulässig. Vgl. zum anderen: EuGH, Rs. C-90/95 P, Slg. 1999, Rn. 36 (H. de Compte/Europäisches Parlament): Im Kontext der Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung maßgeblich ist, ob ein Nichtentscheidungsträger berechtigtes Vertrauen erworben hat, differenziert der EuGH in der Sache zwischen dem Erlass einer Entscheidung und deren Bekanntgabe. Indem der Beginn der tatsächlichen Existenz für und gegen jeden Betroffenen gilt, erkennt das Gemeinschaftsrecht eine absolute tatsächliche Existenz an. Vgl.: EuGH, verb. Rs. 172 und 226/83, Slg. 1985, 2831 (Hoogovens Groep BV/Kommission). Kläger waren dort nicht die Adressaten der allgemeinen Entscheidungen, sondern die Hoogovens Groep BV als betroffene Dritte. 58 Die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze werden aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleitet, genießen daher nicht denselben Rang wie diese, sondern stellen vielmehr lediglich einen Entwurf dar, der eine bestehende Gesetzeslücke füllen soll (Schwarze, S. 911 und S. 914). Anders als die allgemeinen Rechtsgrund-

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1. Teil: Aufhebungsverbote

ausgegangen, dass sich das tatsächliche Existentbleiben weitgehend an den einschlägigen mitgliedstaatlichen Regelungen orientieren könne. Auf dieser Grundlage bleibt eine Entscheidung tatsächlich existent, solange und soweit60 sie nicht durch Aufhebungsurteil des EuGH oder des EuG, durch eine Aufhebungsentscheidung seitens des erlassenden Entscheidungsträgers im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens oder durch einen actus contrarius seitens des zuständigen Entscheidungsträgers ausdrücklich beseitigt wird. Ob die tatsächliche Existenz daneben auch ohne ausdrückliche Beseitigung beendet werden kann, indem sich die Entscheidung durch Verlust ihrer regelnden Wirkung „erledigt“61, ist bislang ungeklärt. Anders als in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist in der Gemeinschaftsrechtsordnung ein Rechtsinstitut der Erledigung bislang noch nicht entwickelt worden.62 In der Literatur wird allerdings aufgrund der im Gemeinschaftsrecht allgemein anerkannten Zulässigkeit der Beifügung von Nebenbestimmungen, insbesondere auflösender Bedingung und Befristung,63 davon ausgegangen, dass die tatsächliche Existenz einer Entscheidung auch ohne ausdrückliche Beseitigung beendet werden kann.64 (bb) Die zweite Komponente des Existenzbegriffs, die „rechtliche Existenz“, meint die Wirksamkeit einer Entscheidung.65 Der Begriff der Wirksätze werden die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze im Wege rechtsvergleichender Untersuchung entwickelt, vgl. z. B. die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze über die Zulässigkeit einer nachträglichen Bestandsaufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius (dazu später: Zweites Kapitel, A.). 59 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 180a (spricht sich für eine Orientierung an § 43 Abs. 2 VwVfG aus, der auch die äußere Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes regelt [dazu später: B. II. (1) (a) (aa)]). 60 Zur Zulässigkeit der nur teilweisen Aufhebung eines Gemeinschaftsrechtsaktes durch eine gerichtliche Entscheidung: EuGH, verb. Rs. 68/94 und 30/95, Slg. 1998, I-1375, Rn. 256 ff. (Französische Republik u. a./Kommission). Zur Zulässigkeit der nur teilweisen Aufhebung eines Gemeinschaftsrechtaktes mittels actus contrarius: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 127 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); a. A.: GA Lagrange, in: SÄe in den verb. Rs. 7/56, und 3 bis 7/57, ebenda, S. 160 f. 61 Zu dem Terminus der Erledigung im deutschen Recht nur: VGH BW, NJW 1977, 861. 62 Von Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 62 (2002), 78, 95. Sachs (in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 180a) hält eine ausdrückliche Regelung für entbehrlich. 63 s. dazu nur: Bockey, S. 75 f. 64 Weber, in: Schweitzer, S. 55, 63; Bockey, S. 66; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 43, Rn. 180a. 65 Die Begriffe „rechtliche Existenz“ (Gegenbegriff: „rechtliche Inexistenz“) und „Wirksamkeit“ werden synonym gebraucht. Die Judikatur verwendet in der Regel keinen der beiden Bezeichnungen, sondern umschreibt den Begriff der rechtlichen Existenz, vgl. nur: EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 48 (Kommission/

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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samkeit wird zwar in der deutschen Fassung des Art. 254 Abs. 3 EG verwendet, dort aber nicht definiert, sondern vielmehr vorausgesetzt. Unter Wirksamkeit wird die Entfaltung der in der Regelung einer Entscheidung vorgesehenen Rechtswirkungen verstanden.66 Sie entspricht dem In-KraftTreten eines (normativen) Rechtsaktes.67 Rechtlich existent ist sowohl eine rechtmäßige68 als auch eine (schlicht) rechtswidrige69, mit der Fehlerfolge der Vernichtbarkeit (Anfechtbar- bzw. BASF AG u. a.); anders aber: EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 4 f. (Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten); Rs. C-135/93, Slg. 1995, I-1651, Rn. 32 (Königreich Spanien/Kommission). In der (insbesondere jüngeren) Literatur ist wohl überwiegend die Bezeichnung der rechtlichen Existenz zu finden, vgl. z. B.: Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 13; Borchardt, in: Lenz, Art. 230, Rn. 6; Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 230, Rn. 17; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 16; anders: Weber, in: Schweitzer, S. 55, 61 ff.; Bockey, S. 65 ff.; Krück, in: von der Groeben/ Thiesing/Ehlermann, Art. 173, Rn. 2. 66 In diesem Sinne: EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 4 f. (Granaria BV/ Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten); Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 48 (Kommission/BASF AG u. a.); Rs. C-227/92 P, Slg. 1999, I-4443, Rn. 69 (Hoechst AG/Kommission); Rs. C-253/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rn. 53 (Montecatini SpA/Kommission); ferner: Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 16; Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 13. 67 Vgl.: EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 4 (Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten) (spricht in Bezug auf eine wirksame Verordnung im Sinne des Art. 249 Abs. 2 EG von einer „in Kraft gesetzte[n] Verordnung“). Vgl. auch die Formulierungen anderer Sprachfassungen, z. B.: die englische Fassung („take effect“); die französische Fassung („prendre effet“); die niederländische Fassung („worden [. . .] van kracht“). Sie sprechen auch bei der Entscheidung, einem nicht-normativen Rechtsakt, von (übersetzt) „In-Kraft-Treten“. 68 Rechtmäßig ist eine Entscheidung, wenn sie als Handlungsform zulässig ist sowie mit sämtlichen formellen und materiellen Anforderungen, die die Gemeinschaftsrechtsordnung an sie stellt, in Einklang steht. Zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen im Einzelnen ausführlich: Bockey, S. 78 ff. Die Rechtmäßigkeit wird nicht durch mögliche Unrichtigkeiten etwa in Form grammatikalischer oder orthographischer Mängel beeinträchtigt (Bockey, S. 117). Da diese nicht den Inhalt der Entscheidung selbst betreffen, können sie von dem zuständigen Entscheidungsträger jederzeit berichtigt werden (EuGH, Rs. 131/86, Slg. 1988, 905, Rn. 35 [Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Rat]; Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 68 [Kommission/BASF AG u. a.]; ferner: Bockey, S. 117), ohne dadurch gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit beschlossener Rechtsakte zu verstoßen (s. zu diesem Begriff bereits oben, Fn. 57). Dieser stellt sowohl für die Gemeinschaftsorgane als auch für die von einer Entscheidung berührten Rechtssubjekte einen wesentlichen Faktor der Stabilität der Rechtsverhältnisse in der Gemeinschaftsordnung dar (EuG, Rs. T-80/89, Slg. 1995, II-729, Rn. 73 [BASF AG u. a./Kommission]; nur auf den Schutz der Rechtssubjekte abstellend: EuG, Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689, Rn. 113 [Deutsche Bahn AG/Kommission]; Rs. T-37/97, Slg. 1999, II-859, Rn. 97 [Forges de Clabeq SA/Kommission]; verb. Rs. T-227/99 und T-134/00, Slg. 2002, II-1205, Rn. 92 [Kvaerner Warnow Werft

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Aufhebbarkeit)70 behaftete Entscheidung. Grund für die rechtliche Existenz auch einer (schlicht) rechtswidrigen Entscheidung ist, dass im Gemeinschaftsrecht zugunsten eines Gemeinschaftsrechtsaktes eine „Vermutung der Gültigkeit“ besteht,71 nach dem eine Entscheidung auch im Falle ihrer GmbH/Kommission]). Seine strikte Beachtung bewirkt, dass eine einmal beschlossene Entscheidung – zwecks Gewährleistung der Authentizität der beschlossenen und bekanntgegebenen Rechtsakte (vgl.: EuGH, Rs. 131/86, Slg. 1988, 905, Rn. 33 ff. [Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Rat]; Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 62 ff. [Kommission/BASF AG u. a.]) – nur unter Einhaltung der einschlägigen Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften geändert werden kann (EuG, Rs. T-80/89, Slg. 1995, II-729, Rn. 73 [BASF AG u. a./ Kommission]; Rs. T-229/94, Slg. 1997, II-1689, Rn. 113 [Deutsche Bahn AG/Kommission]; Rs. T-37/97, Slg. 1999, II-859, Rn. 97 [Forges de Clabeq SA/Kommission]; verb. Rs. T-227/99 und T-134/00, Slg. 2002, II-1205, Rn. 92 [Kvaerner Warnow Werft GmbH]). Ein Verstoß würde zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung mit der Möglichkeit ihrer Vernichtbarkeit führen, vgl.: EuG, Rs. T-29/92, Slg. 1995, II-289, Rn. 54 (Vereiniging van Samenwerkende Prijsregelnde Oranisaties in de Bouwnijverheid u. a./Kommission). 69 Rechtswidrig ist eine Entscheidung, wenn sie einer der von der Gemeinschaftsrechtsordnung an sie gestellten Rechtmäßigkeitsanforderung nicht entspricht, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Erlasses ist (EuGH, Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 37 [National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement]; EuG, verb. Rs. T-346 und 347/02, Slg. 2003, II-4251, Rn. 216 [Cableuropa SA u. a./Kommission]; Rs. T-16/02, Slg. 2003, II-5167, Rn. 63 [Audi AG/ HABM]; vgl. auch: Lübbig, EuZW 2003, 233, 236) und deren Fehler, falls es sich um einen Form- oder Verfahrensfehler handelt, nicht geheilt werden kann. Für die Heilung (schlicht) rechtswidriger Entscheidungen existieren weder positivrechtliche Regelungen noch ein allgemeiner Verwaltungsgrundsatz (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 45, Rn. 176). Die nachträgliche Heilung einer wegen Verletzung von Form- oder Verfahrensvorschriften ursprünglich rechtswidrigen Entscheidung (jedenfalls) bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens wird in der Literatur aber für zulässig erachtet (Schwarze, S. 1369; Bockey, S. 119 f. [auch zur – umstrittenen – Frage der Zulässigkeit einer nachträglichen Heilung im gerichtlichen Verfahren]). Ob die ursprüngliche Rechtswidrigkeit einer Entscheidung mittels Umdeutung (Konversion) behoben werden kann, ist im Gemeinschaftsrecht ungeklärt. Soweit ersichtlich, existieren insoweit weder positivrechtliche Regelungen noch ein allgemeiner Verwaltungsgrundsatz (so auch der Befund von Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 47, Rn. 22). 70 Müller, S. 136; Annacker, S. 79; dies., EuZW 1995, 755. 71 St. Rspr.: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 126 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 10 (Consorzio Cooperative d’Abruzzo/Kommission); Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 48 (Kommission/BASF AG u. a.); Rs. C-227/92 P, Slg. 1999, I-4443, Rn. 69 (Hoechst AG/Kommission); Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rn. 96 (Montecatini SpA/ Kommission); Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 53 (Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und umgekehrt); EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 95 und Rn. 99 (BASF AG u. a./Kommission) (aufgehoben durch EuGH, Rs. C-137/92

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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(schlichten) Rechtswidrigkeit als wirksam72 gilt73, es sei denn, sie ist mit einem besonders schweren, d.h. weit über einen normalen, auf falscher P, Slg. 1994, I-2555 [Kommission/BASF AG u. a.]); ferner: Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 1; Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 13; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 16; Bockey, S. 66. Andere Sprachfassungen: z. B.: „presumtion as to its validity“ bzw. „presumed to be valid“; „présomption de (sa) validité“. Anstelle des Grundsatzes der „Vermutung der Gültigkeit“ ist gelegentlich auch von dem Grundsatz der „Vermutung der Rechtmäßigkeit“ die Rede, vgl. EuGH, Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 57 (Kommission/Portugiesische Republik); Rs. C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Rn. 18 (Kommission/Griechenland); EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 95 (BASF AG u. a./Kommission); ferner: GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1019 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission). Andere Sprachfassungen insoweit z. B.: „presumption as to its legality“; „présomption de (sa) légalité“. Obgleich beide Grundsätze an sich einen unterschiedlichen Inhalt haben, werden sie offenbar synonym verwendet. 72 EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 4 (Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten) (in Rn. 5 ist dann von „voller Wirksamkeit“ die Rede; ein sachlicher Unterschied im Verhältnis zur „Wirksamkeit“ scheint damit aber nicht verbunden zu sein); ferner: Annacker, S. 81; H. P. Ipsen, 24/8; Craig/de Bfflrca, S. 486 und S. 541; Nettesheim, in Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 201; Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 10 und Art. 241, Rn. 3 (anders in Art. 231, Rn. 1); Erichsen/ Buchwald, Jura 1995, 84, 85; Röhl, ZaöRV 62 (2000), 331, 358 f.; ders., in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, S. 319, 344; Krück, in: von der Groeben/ Thiesing/Ehlermann, Art. 173, Rn. 3 (verwendet den Begriff der „Geltung“ – ein Synonym für „Wirksamkeit“, vgl. Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 10) und Art. 174, Rn. 2 („voll wirksam“); ders., in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 184, Rn. 8; Schwarze, S. 226 und S. 946; Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 241, Rn. 4; Borowski, EuR 39 (2004), 879, 880. Rechtmäßigkeit nehmen an: EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 95 (BASF AG u. a./Kommission); ferner: GA Caportorti, in: SA in Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, 642 (Granaria BA/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten); Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 231, Rn. 1; Scherer/Zuleeg, in: Schweitzer, S. 197, 219; Busse, EuZW 2002, 715, 720; Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 318 (anders in Rn. 341). Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit nehmen an: EuG, Rs. T-197/99, Slg. ÖD 2000, I-A-271, I-A-273 (A. Gooch/Kommission); ferner: Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 2; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 393 f.; Gornig/Trüe, JZ 2000, 446, 454. Der EuGH umschreibt den Grundsatz der „Vermutung der Gültigkeit“ in der Regel, indem er lediglich ausführt, die Rechtsakte entfalteten Rechtswirkungen, vgl. nur: EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 48 (Kommission/BASF AG u. a.). 73 EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 4 (Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten); EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 99 (BASF AG u. a./Kommission); ferner: GA Carpotorti, in: SA in Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, 642 (Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten); GA van Gerven, in: SA in Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 79 (Kommission/ BASF AG u. a.); Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 231, Rn. 1; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 3 (Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG sei auch auf Beseitigung dieser Vermutung gerichtet; ein stattgebendes Nichtigkeitsurteil beseitige diese Vermutung [ebenso: Ehricke, in: Streinz, Art. 231, Rn. 1]); Müller, S. 136; Gornig/Trüe, JZ

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Würdigung von Tatsachen oder einer Verkennung der Rechtslage beruhenden Fehler hinausgehenden74 und offenkundigen, d.h. bei der Lektüre „ohne weiteres“ erkennbaren, also quasi „ins Auge springenden“75 Fehler behaftet und daher – in terminologischer Anlehnung an das französische Verwaltungsrecht –76 „rechtlich inexistent“77.78 In Übereinstimmung mit den in 2000, 446, 454; anders: Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 174, Rn. 2 („war“). 74 EuG, Rs. T-156/89, Slg. 1991, II-407, Rn. 84 (V. Mordt/EuGH). 75 EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 11 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission); Borchardt, in: Lenz, Art. 230, Rn. 8. 76 Dazu: Chapus, Droit administratif général, Rn. 1204 („l’inexistence juridique“). 77 Die Verwendung der Bezeichnung „rechtlich inexistent“ (bzw. „rechtliche Inexistenz“) entspricht der gängigen Diktion der Judikatur, z. B.: EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 49 (Kommission/BASF AG u. a.) (Vorinstanz: EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 96 [BASF AG u. a./Kommission]); Rs. C-227/92 P, Slg. 1999, I-4443, Rn. 70 (Hoechst AG u. a./Kommission); Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rn. 97 (Montecatini SpA/Kommission); Rs. C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Rn. 19 (Kommission/Griechenland); ähnlich: EuGH, verb. Rs. 1 und 14/57, Slg. 1957, 215, 232 (Société des Usines à Tubes de la Sarre/ Hohe Behörde). Gelegentlich ist in der Judikatur auch nur von „Inexistenz“ die Rede: EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 10 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 35 (Kommission/Portugiesische Republik); in der älteren Judikatur findet sich die Formulierung „absolute Nichtigkeit“: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 126 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung). Die Literatur verwendet überwiegend den Begriff der „rechtlichen Inexistenz“, s. statt vieler: Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 16; Müller, S. 136 f.; Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 231, Rn. 1; ähnlich: Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1, 3; nur von „Inexistenz“ sprechen: Annacker, S. 81, dies., EuZW 1995, 755; Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 230, Rn. 7. Nach deutscher Terminologie handelt es sich bei der „rechtlichen Inexistenz“ um „Nichtigkeit“ (Synonym: „Unwirksamkeit“, vgl. Annacker, S. 82): so (explizit oder implizit): Müller, S. 136; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 9 und § 43, Rn. 210; Annacker, S. 81 f., 83, 90, 92 und 101; dies., EuZW 1995, 755, 756 und 759; Gornig/Trüe, JZ 2000, 446, 454; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 21 a. E.; Junker, S. 166; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 227; Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 318; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230, Rn. 16; Ehlers, in: Erichsen, § 3, Rn. 26; Bast, in: von Bogdandy, S. 479, 526 f. (527). Zu entsprechenden Bezeichnungen in den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten, vgl.: GA Colomer, in: SÄe in verb. Rs. C-10 u. a./97, Slg. 1998, I-6307, Rn. 18 (Ministero delle Finanze/IN.CO.GE’ 90 Srl. u. a.). Zur Erscheinungsform auch: GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 82 f. (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). 78 St. Rspr., statt vieler: EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 10 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 50 (Kommission/BASF AG u. a.) (Vorinstanz: EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 96 [BASF AG u. a./Kommission]).

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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den meisten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geltenden Regelungen79 entfaltet eine Entscheidung in diesem Fall keine, nicht einmal vorläufige Rechtswirkungen, weil die Gemeinschaftsrechtsordnung einen solchen Fehler nicht tolerieren kann.80 Die Entscheidung ist daher zwar tatsächlich, nicht aber rechtlich existent.81 Die rechtliche Inexistenz, die dem Ausgleich zwischen den grundlegenden, manchmal allerdings in Widerstreit stehenden Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Wahrung der Gesetzmäßigkeit dient,82 stellt im Mit den Voraussetzungen des besonders schweren und offenkundigen Fehlers lehnt sich die Judikatur an die entsprechenden Regelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten an, in denen die Qualifizierung eines Rechtsaktes als rechtlich inexistent bekannt ist (EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 10 [Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission]). Gemeint dürfte hier übrigens allein die dauerhafte rechtliche Inexistenz sein. Eine nur vorübergehende, „heilbare“ rechtliche Inexistenz erkennt der EuGH dagegen wohl nicht an, vgl.: EuGH, Rs. C-227/92 P, Slg. 1999, I-4443, Rn. 71 (Hoechst AG u. a./Kommission). Die fehlende Bestandskraftfähigkeit einer rechtlich inexistenten Entscheidung zeigt sich im Übrigen daran, dass eine solche keinen tauglichen Gegenstand einer Nichtigkeitsklage darstellt, vgl.: EuGH, verb. Rs. 1 nd 14/57, Slg. 1957, 215, 232 (Société des Usines à Tubes de la Sarre/Hohe Behörde); EuG, verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 101 (BASF AG u. a./Kommission). 79 GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1019 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission). 80 EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 10 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission); Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 49 (Kommission/ BASF AG u. a.); ferner: Craig/de Bfflrca, S. 486; Annacker, S. 101; dies., EuZW 1995, 755, 759. 81 Vor allem: Bergères, Rev. trim. de droit europ. 1989, 393, 394 und 407; auch: Müller, S. 136; Craig/de Bfflrca, S. 541 und S. 486; in Bezug auf Rechtssetzungsakte deutlich GA Trabucchi, in: SA in verb. Rs 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, 197 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./Rat, Kommission und Europäisches Parlament): „In einem System wie dem des Gemeinschaftsrechts ist kein Grund ersichtlich, von dem in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen befolgten Grundsatz abzuweichen, daß ein Rechtsetzungsakt, der einer Ausführung an sich zugänglich ist und den für sein Zustandekommen und seine Veröffentlichung wesentlichen Verfahrens-, Form- und Zuständigkeitserfordernissen entspricht, jedoch gegebenenfalls inhaltlich gegen höherrangige Normen der Prinzipien verstößt, zwar in seiner Gültigkeit angezweifelt, aber nicht als Nichtakt abgestempelt werden kann.“ A. A.: Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf, Art. 249, Rn. 227; Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 12. Es handelt sich damit nicht um einen „Nichtakt“ im Sinne deutscher Terminologie. Die Bezeichnung „Nichtakt“ findet sich allerdings in der deutschen amtlichen Übersetzung in: EuGH, verb. Rs. 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, Rn. 33 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./Rat, Kommission und Europäisches Parlament); ferner in der Literatur: Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 10; Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 230, Rn. 7 f.; Koenig/ Pechstein/Sander, Rn. 341; Bockey, S. 118; Annacker, S. 81 und S. 101; dies., EuZW 1995, 755, 756 und 759; Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1, 3; Schärf, EuZW 2004, 333.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Vergleich zur Vernichtbarkeit einer Entscheidung die weitergehende Fehlerfolge dar83 und ist aus offenkundigen Gründen der Rechtssicherheit auf ganz außergewöhnliche Fälle beschränkt.84 Wann dies konkret der Fall ist, entscheidet die Judikatur anhand der gegebenen Sach- und Rechtslage im Einzelfall.85 Da sich der EuGH hinsichtlich der Qualifizierung eines Rechtsaktes als rechtlich inexistent sehr restriktiv verhält,86 spielt sie – bislang jedenfalls – in der Praxis kaum eine Rolle.87 Soweit ersichtlich, hat der EuGH die rechtliche Inexistenz eines Gemeinschaftsrechtsaktes bislang lediglich in zwei Fällen bejaht.88 82

EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 49 (Kommission/BASF AG u. a.); Rs. C-227/92 P, Slg. 1999, I-4443, Rn. 70 (Hoechst AG u. a./Kommission); Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rn. 97 (Montecatini SpA/Kommission), Rs. C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Rn. 19 (Kommission/Griechenland). 83 Müller, S. 136; GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 82 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); Bergères, Rev. trim. de droit europ. 1989, 393, 394 f. 84 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 126 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 10 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission); Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 49 (Kommission/BASF AG u. a.); Rs. C-235/92 P, Slg. 1999, I-4539, Rn. 98 (Montecatini SpA/Kommission); Rs. C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Rn. 19 (Kommission/Griechenland). EuGH und EuG sind zur Prüfung der rechtlichen Existenz der im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens anzuwendenden Gemeinschaftsrechtsakte verpflichtet (Annacker, EuZW 1995, 755, 760), sofern die Parteien hinreichende Anhaltspunkte hierfür vortragen; obliegt ihnen die Darlegungs- und Beweislast (EuG, Rs. T-15/89, Slg. 1992, II-1275, Rn. 395 [Chemie Linz AG/Kommission]). Nach Auffassung des EuG beinhaltet die Pflicht zur amtswegigen Prüfung der rechtlichen Existenz eines Gemeinschaftsrechtsaktes nicht die Pflicht, amtswegige Ermittlungen in jedem gerichtlichen Verfahren wegen möglicher rechtlicher Inexistenz durchzuführen (dazu: Annacker, S. 102). 85 Annacker, S. 93; Bockey, S. 66 f.; Bergerès, Rev. trim. de droit europ. 1989, 393, 399 (Herausarbeitung einer Dogmatik sei deshalb nur schwer möglich). Klassische Beispiele: ganz schwerwiegende und offenkundige Zuständigkeits-, Form- oder Verfahrensfehler. s. dazu: GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 82 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); GA Trabucchi, in: SÄe in verb. Rs. 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, 196 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./ Rat, Kommission und Europäisches Parlament); einen Überblick über mögliche (weitere) Fehler bei: Annacker, S. 87 ff. 86 So (auch) GA Colomer in seinem SA in der Rs. C-310/97 P (Slg. 1999, I-2555, Rn. 83 [Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.]). Weniger restriktiv als der EuGH entscheidet anscheinend das EuG, das die rechtliche Inexistenz eines Rechtsaktes z. B. in den verb. Rs. T-79 u. a./89, Slg. 1992, II-315, Rn. 96 ff. (100) (BASF AG u. a./Kommission), bejaht hat. Diese Entscheidung wurde indes von dem EuGH in der Rechtsmittelinstanz (Rs. C-137/92 P, Slg. 1999, I-5363 [Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.]) aufgehoben. 87 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 95; Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 230, Rn. 8.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Hinsichtlich des Beginns der rechtlichen Existenz einer Entscheidung ist zwischen ihrem Beginn gegenüber einem Adressaten (a) und dem Beginn gegenüber einem zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten89 (b) zu differenzieren: (a) Der Beginn der rechtlichen Existenz einer Entscheidung gegenüber einem Adressaten ist in Art. 254 Abs. 3 EG geregelt, vgl. den Wortlaut des Art. 254 Abs. 3 EG: „(. . .) denjenigen, für die sie bestimmt ist (. . .)“90. Vorbehaltlich ihrer tatsächlichen Existenz wird eine Entscheidung hiernach mit ihrer – ihrerseits rechtlich existenten –91 Bekanntgabe an den Adressaten rechtlich existent. Bekanntgabe im Sinne des Art. 254 Abs. 3 EG meint den Zugang der Entscheidung bei ihrem Adressaten verbunden mit der sich hierdurch ergebenden Möglichkeit, von ihr tatsächlich und vollständig Kenntnis zu nehmen.92 Die Entscheidung ist zugegangen, sobald sie ordnungsgemäß in den Machtbereich ihres Empfängers gelangt ist.93 88 EuGH, verb. Rs. 1 und 14/57, Slg. 1957, 215, 232 (Société des Usines à Tubes de la Sarre/Hohe Behörde) (wegen fehlender Begründung eines Rechtsaktes). In späteren Urteilen wurde die fehlende Begründung dann aber nur noch als Nichtigkeitsgrund im Sinne des Art. 230 Abs. 2 EG angesehen, vgl. Annacker, S. 88. Weiteres Beispiel bei: Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 249, Rn. 21 (dort: Fn. 55). 89 Unter Zugrundelegung der Annahme, dass auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der formellen Bestandskraft fähig ist, steht außerhalb eines Nichtigkeitsklage- bzw. eines Beschwerdeverfahrens der Beginn der rechtlichen Existenz gegenüber einem betroffenen Dritten in Rede. 90 Ausweislich seines Wortlautes legt Art. 254 Abs. 3 EG eine relative rechtliche Existenz fest. Diese wird etwa bei dem Vorliegen eines sog. „Bündels von Einzelfallentscheidungen“, d.h. einer an mehrere Adressaten gerichteten Entscheidung praktisch relevant. s. das Beispiel in: EuG, Rs. T-227/95, Slg. 1997, II-1185 (s. dort: Rn. 56) (Assi Domän Kraft Products AB u. a./Kommission). Die rechtliche Existenz tritt dann individuell gegenüber einem Adressaten nur und erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Entscheidung ihm bekanntgegeben wird (Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 19 f.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 8). Es ist daher denkbar, dass die rechtliche Existenz gegenüber einem Adressaten mit Bekanntgabe eintritt, gegenüber einem anderen dagegen, wenn sie ihm gegenüber unterbleibt, nicht (Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 20; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 8). 91 Bekanntgabemängel berühren den Eintritt der rechtlichen Existenz nicht unbedingt, vgl. EuGH, Rs. 52/69, Slg. 1972, 787, Rn. 18 (J.R. Geigy/Kommission). Wie für jede andere wesentliche Förmlichkeit gilt auch für die Bekanntgabe einer Entscheidung, dass die Fehlerhaftigkeit entweder zu ihrer rechtlichen Inexistenz führt oder aber lediglich ihre Vernichtbarkeit zur Folge hat, s.: EuGH, Rs. C-227/92 P, Slg. 1999, I-4443, Rn. 72 (Hoechst AG u. a./Kommission). 92 Z. B.: EuGH, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619, Rn. 39 f. (ICI/Kommission); Rs. 6/72, Slg. 1973, 215, Rn. 10 (Europemballage Corporation und Continental Can Company Inc./Kommission); Rs. 42/85, Slg. 1985, 3749, Rn. 10 (Cockerill-Sambre SA/Kommission); ferner z. B.: Schoo, in: Schwarze, Art. 254, Rn. 12; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, Art. 254, Rn. 9; R. Geiger, Art. 254, Rn. 7.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Ausweislich des Wortlautes des Art. 254 Abs. 3 EG („die Entscheidungen“) ist die Bekanntgabe Voraussetzung für den Eintritt der rechtlichen Existenz sämtlicher, d.h. sowohl der nach Art. 254 Abs. 1 EG veröffentlichungsbedürftigen als auch der nicht veröffentlichungsbedürftigen Entscheidungen.94 Die Veröffentlichung einer Entscheidung im Amtsblatt der Europäischen Union ist zwar, sofern diese nicht ohnehin wegen Art. 254 Abs. 1 EG notwendig ist, auch bei einer nicht veröffentlichungsbedürftigen Entscheidung zulässig und steht im Ermessen des erlassenden Entscheidungsträgers;95 als Substitut für die in Art. 254 Abs. 3 EG normierte individuelle Bekanntgabe wird die Veröffentlichung jedoch abgelehnt.96 Zur Begründung wird darauf hingewiesen, allein die individuelle Bekanntgabe genüge dem rechtsstaatlichen Erfordernis, dass eine Entscheidung als Einzelfallregelung dem Adressaten zur Wahrung seiner Rechtsschutzinteressen individuell zugänglich gemacht werden muss.97 93 In Bezug auf eine Willenserklärung: EuGH, Rs. 8/56, Slg. 1957, 189, 200 (ALMA/Hohe Behörde); ferner: Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 8. Die Einhaltung einer bestimmten Bekanntgabeform sieht das Gemeinschaftsrecht, namentlich auch Art. 254 Abs. 3 EG, nicht vor. Die englische und französische amtliche Fassung des Art. 254 Abs. 3 EG verwenden zwar den Begriff der „notification“; daraus kann indes für die deutsche amtliche Fassung in der Sache nichts Gegenteiliges gefolgert werden (Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 9; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 18 und Rn. 26; a. A.: Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 191 EWGV [2. Ergänzungslieferung – Stand: November 1988], Rn. 3). Vorbehaltlich vorrangig anwendbarer Formvorschriften im sekundären Gemeinschaftsrecht (dazu: GA Alber, in: SA in Rs. C-398/00, Slg. 2002, I-5643, Rn. 39 [Königreich Spanien/Kommission]) ist die Bekanntgabe daher formfrei, erfolgt allerdings in der Praxis regelmäßig schriftlich und nur ausnahmsweise mündlich oder durch schlüssiges Verhalten (Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 424; anders [aus Gründen der Rechtsklarheit, der Bedeutung der in Frage stehenden Interessen sowie des Ranges der Gemeinschaftsorgane bewirke nur die schriftliche Übermittlung den Eintritt der rechtlichen Existenz]: Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 18). Eine schriftliche Bekanntgabe einer Entscheidung an den Adressaten wird nicht nur mit dem Erfordernis der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, sondern auch mit der Notwendigkeit der Beweissicherung sowie der wohl nur mittels schriftlicher Bekanntgabe möglichen Erfüllung der in Art. 253 EG normierten Begründungspflicht begründet (zu den Gründen: Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, Art. 254, Rn. 9; Schoo, in: Schwarze, Art. 254, Rn. 12; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 18; Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 8). 94 Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 7; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 7; Hetmeier, in: Lenz, Art. 254, Rn. 2; a. A.: Vogt, S. 216 ff. Schmidt (in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 2) sieht dagegen Art. 254 Abs. 3 EG mit der Formulierung „die Entscheidungen“ in direktem Widerspruch zu Art. 254 Abs. 1 EG und hält sie daher für ein Redaktionsversehen. 95 Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 23. 96 Z. B.: Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 23; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 7; Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 7.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Bekanntgabe und Beginn der rechtlichen Existenz einer Entscheidung fallen im Gemeinschaftsrecht zeitlich stets zusammen;98 ein „Inkrafttreten“ vor Bekanntgabe ist aus Gründen der Rechtssicherheit unzulässig.99 Von der Frage des Beginns der rechtlichen Existenz ist allerdings die Frage des Beginns der Anwendbarkeit des Inhaltes einer Entscheidung zu unterscheiden. Letzterer wird im allgemeinen durch den Inhalt der Entscheidung selbst bestimmt.100 Dieser kann sich auf einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt (Fall der sog. „Rückwirkung“)101 oder auf einen in der Zukunft liegenden Sachverhalt (so z. B. im Falle einer der getroffenen Regelung beigefügten aufschiebenden Bedingung oder Befristung) beziehen. (b) Anders als bei einem Adressaten beginnt die rechtliche Existenz einer Entscheidung gegenüber einem zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten nicht mit der Bekanntgabe der Entscheidung, da eine solche – ausweislich des Wortlauts des Art. 254 Abs. 3 EG102 – allein gegenüber einem Adressaten erfolgt. Ungeachtet seiner Betroffenheit verzichtet das Gemeinschaftsrecht bei einem Dritten damit auf eine – auf rechtsstaatlichen Erwägungen beruhende – individuelle Bekanntgabe einer Entscheidung. Das Gemeinschaftsrecht, namentlich das primäre Gemeinschaftsrecht, enthält keine positivrechtliche Regelung über den Beginn der rechtlichen Existenz einer Entscheidung gegenüber einem zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten. Soweit ersichtlich, finden sich einschlägige Aussagen weder in der Judikatur noch in der Literatur. Eine Antwort lässt sich jedoch aus dem Kontext des Beginns von Rechtsbehelfsfristen herleiten. Dies ergibt sich aufgrund folgender Überlegung: In Einklang mit rechtsstaatlichen Erwägungen markiert der nach Art. 254 Abs. 3 EG mit der Bekannt97

Hetmeier, in: Lenz, Art. 254, Rn. 2; auf rechtsstaatliche Gründe allgemein hinweisend: Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 7; auf die Rechtsschutzinteressen hinweisend: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 7. Eine öffentliche Bekanntgabe für unzulässig haltend: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 111. 98 Hetmeier, in: Lenz, Art. 254, Rn. 5. Nach Ansicht des GA Alber in seinem Schlussantrag in der Rs. C-398/00 (Slg. 2002, I-5643, Rn. 62 [Königreich Spanien/ Kommission]) kann vor der Bekanntgabe eine „latente“ rechtliche Existenz bestehen. Was er konkret darunter versteht, lässt er unerwähnt. 99 R. Geiger, Art. 254, Rn. 10. 100 Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 23. 101 Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rückwirkung, die in Judikatur und Literatur – soweit ersichtlich – nur in Bezug auf veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte erörtert werden: Gellermann, in: Streinz, Art. 254, Rn. 5; Hetmeier, in: Lenz, Art. 254, Rn. 5; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 10; Schwarze, S. 1077 ff. 102 „(. . .) die Entscheidungen werden denjenigen, für die sie bestimmt sind, bekanntgegeben (. . .).“

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1. Teil: Aufhebungsverbote

gabe einer Entscheidung eintretende Beginn ihrer (individuellen) rechtlichen Existenz gegenüber einem Adressaten zugleich den Beginn von anfechtungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfen, vgl. die der Bekanntgabe im Sinne des Art. 254 Abs. 3 EG in der Sache entsprechende „Mitteilung“ in den einschlägigen verfahrensrechtlichen Vorschriften103. Da die Bekanntgabe bzw. die Mitteilung für einen Adressaten einer Entscheidung als maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn ihrer rechtlichen Existenz und den gleichzeitigen Beginn von anfechtungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfen reserviert ist, ist für einen zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten auf die übrigen in den einschlägigen Verfahrensvorschriften genannten, von Seiten der Vertragsverfasser als adäquate Alternative eingestuften Zeitpunkte zurückzugreifen. Art. 230 Abs. 5 Var. 1 EG etwa nennt die „Bekanntgabe“. Gemeint ist damit die Veröffentlichung der Entscheidung im Amtsblatt der Europäischen Union.104 Die – im Verhältnis zu der Var. 1 subsidiäre –105 Var. 3 des Art. 230 Abs. 5 EG führt die „Kenntnis“ im Sinne tatsächlicher Kenntnisnahme106 auf. Diese ist erfolgt, wenn es dem Betroffenen möglich war, tatsächlich und vollständig Kenntnis von der Entscheidung zu erlangen,107 wobei ihm obliegt, sich binnen angemessener Frist um eine vollständige Kenntnisnahme zu bemühen.108 Im Umkehrschluss zu der bei einem Adressaten geltenden Rechtslage stellen diese beiden Zeitpunkte nicht nur den maßgeblichen Moment für den Beginn von anfechtungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfen, sondern zugleich auch den maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn der rechtlichen Existenz einer Entscheidung gegenüber einem zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten dar. Im Einklang mit dem Spezialitätsverhältnis der Var. 1 und 3 des Art. 230 Abs. 5 EG ist wohl regelmäßig auf den in Var. 1 genannten Zeitpunkt, also die Veröffentlichung der Entscheidung im Amtsblatt der Europäischen Union abzustellen. Nicht berührt wird die rechtliche Existenz einer Entscheidung im Anwendungsbereich des EG-Vertrages109 durch die Einlegung (ordentlicher) anfechtungsrelevanter gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfe. In Anlehnung 103 Z. B.: Art. 230 Abs. 5 Var. 2 EG. Vgl. die gleichlautenden Bestimmungen z. B. der Artt. 90 Abs. 2 und 91 Abs. 3 BeaSt. 104 Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 84; Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 230, Rn. 64. 105 s. nur: Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 32. 106 s. nur: Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 90. 107 EuGH, Rs. 76/79, Slg. 1980, 665, Rn. 7 (K. Könecke Fleischwarenfabrik GmbH und Co. KG/Kommission); ferner: Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 32. 108 Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 90; Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 33 (hält grundsätzlich eine Frist von vier Wochen für angemessen).

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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an das französische Prozessrecht110 haben diese im Gemeinschaftsrecht keine aufschiebende Wirkung (vgl. Art. 242 S. 1 EG).111 Gemäß Art. 242 S. 2 EG kann der EuGH oder das EuG jedoch die Aussetzung der Vollziehung einer Entscheidung anordnen. Dadurch wird zwar die Durchführbarkeit einer Entscheidung gehemmt, nicht jedoch ihre rechtliche Existenz.112 Das rechtliche Existentbleiben einer Entscheidung ist im Gemeinschaftsrecht nicht positivrechtlich geregelt. Soweit erkennbar, existiert insoweit auch kein allgemeiner Verwaltungsgrundsatz. Infolge der Abhängigkeit des Bestandes der rechtlichen Existenz von dem der tatsächlichen Existenz wird in der Literatur113 angenommen, der Fortfall der tatsächlichen Existenz einer Entscheidung entziehe ihrer rechtlichen Existenz die Grundlage und bewirke damit auch deren Wegfall. Das Bestehen des Rechtsinstituts der Erledigung hier einmal unterstellt, würden ihm entsprechende Konstellationen dagegen zweifellos zum Fortfall der rechtlichen Existenz führen, da diese gerade durch die Beendigung der rechtlichen Existenz selbst gekennzeichnet sind. Entsprechendes gilt im Falle der Ungültigerklärung einer Entscheidung infolge einer Vorabentscheidung nach Art. 234 EG oder einer Inzidentrüge nach Art. 241 EG.114 (b) Die Bestandskraftfähigkeit verlangt keinen bestimmten Inhalt der Entscheidung. Bestandskraftfähig ist daher eine Entscheidung jeden (möglichen) Inhalts: Die Entscheidung kann einen rechtsgestaltenden (einschließlich befehlenden) Inhalt haben,115 d.h. Maßnahmen beinhalten, „die eine Rechtslage schaffen oder verändern oder Verpflichtungen begründen“116, 109

Anders im Anwendungsbereich des EAG-Vertrages (Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft [EURATOM] vom 25. März 1957 [BGBl. II 1957, 1014, ber. BGBl. II 1999, 1024, mit Änderungen]): vgl. dessen Art. 157. Eine von Art. 157 vorgesehene Ausnahme stellt Art. 83 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 EAG-Vertrag bei Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen der Kommission über die Verhängung von Zwangsmaßnahmen dar. 110 Ehricke, in: Streinz, Art. 243, Rn. 1. 111 Vgl. auch: EuGH, Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 57 (Kommission/Portugiesische Republik). 112 Ehricke, in: Streinz, Art. 243, Rn. 2. 113 In diesem Sinne: Weber, in: Schweitzer, S. 55, 63; Bockey, S. 66; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 180a. Vgl. jetzt auch EuGH, Rs. C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Rn. 18 (Kommission/Griechenland). 114 EuGH, Rs. C-475, Slg. 2004, I-8923, Rn. 18 (Kommission/Griechenland). 115 Dazu: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 191; Junker, S. 167 und S. 171; Lauwaars, S. 42; Bleckmann, Rn. 461; Schwarze, S. 930. 116 Zu diesem möglichen Inhalt einer Entscheidung: GA Lagrange, in: SÄe in verb. Rs. 16 und 17/62, Slg. 1962, 961, 991 (Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes u. a./Rat). Zur Bestandskraftfähigkeit dieses Inhalts einer Entscheidung, vgl. statt vieler z. B.: EuGH, verb. Rs. 122 und 123/79, Slg. 1981, 473 (M. Schiavo/Rat) (Entschei-

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1. Teil: Aufhebungsverbote

wozu insbesondere auch rechtsbegründende, d.h. subjektive Rechte begründende Entscheidungen gehören;117 sie kann auch einen (konstitutiv- bzw. deklaratorisch-)feststellenden118 Inhalt haben. Regelmäßig werden diese Inhalte einer Entscheidung aber anscheinend allein danach unterschieden, ob sie rechtsbegründender oder deklaratorischer Natur sind.119 (2) Als den Eintritt der formellen Bestandskraft einer (auch) belastenden Entscheidung bewirkende Umstände sind im Gemeinschaftsrecht der Ablauf einschlägiger Rechtsbehelfsfristen (a) sowie die Erschöpfung des Rechtsweges (b) anerkannt:120, 121 (a) Die formelle Bestandskraft tritt zunächst mit Ablauf einschlägiger Rechtsbehelfsfristen ein.122 Die für die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG dung, die eine Beförderung nach dem BeaSt. zum Gegenstand hat); Rs. C-183/91, Slg. 1993, I-3131 (Kommission/Griechische Republik) (Entscheidung, die die Anordnung der unverzüglichen Umgestaltung einer als gemeinschaftsrechtswidrig festgestellten mitgliedstaatlichen Beihilfe sowie die Aufforderung zur Rückforderung der geleisteten Beihilfen von den Empfängern zum Gegenstand hat). 117 GA Lagrange, in: SA in Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 565 (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/Hohe Behörde); ferner: Bockey, S. 69 f. 118 Allgemein zum feststellenden Inhalt einer Entscheidung: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 191; Junker, S. 167 und S. 171 f.; Lauwaars, S. 42; Schwarze, S. 930 f. Speziell zum konstitutiv-feststellenden Inhalt einer Entscheidung: GA Lagrange, in: Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 565; ferner: Bockey, S. 70. Zur Bestandskraftfähigkeit dieses Inhalts einer Entscheidung, vgl. nur: EuGH, Rs. C-188/91, Slg. 1993, I-3131 (Kommission/Griechische Republik) (Entscheidung, die die Feststellung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer mitgliedstaatlichen Beihilfe zum Gegenstand hat) (trotz des Wortlautes des Art. 87 Abs. 1 EG [„sind“] soll die Feststellung konstitutive Bedeutung haben, vgl.: Pache, EuZW 1994, 318, 319). Zum deklaratorisch-feststellenden Inhalt einer Entscheidung: GA Lagrange, in: SA in Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 565; ferner: Bockey, S. 70 mit Beispiel (Art. 89 Abs. 2 EGV = Art. 85 Abs. 2 EG). Anhaltspunkte für Zweifel an deren Bestandskraftfähigkeit sind ebenfalls nicht ersichtlich. 119 s. nur: Bockey, S. 69 ff. 120 Z. B.: EuGH, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837, Rn. 24 (Kühne & Heitz NV/ Productschap voor Pluimvee en Eieren). Die deutsche amtliche Übersetzung des Urteils verwendet den Terminus „Rechtsmittel“ anstelle des Oberbegriffs „Rechtsbehelf“ (zu der Unterscheidung beider Begriffe im deutschen Verwaltungsprozessrecht, s. z. B.: Stern, Rn. 607; Kopp/Schenke, § 58, Rn. 4). Dies ist sachlich wohl unzutreffend: Eine erstinstanzliche Klage vor dem EuGH oder EuG ist mangels Devolutiv- und Suspensiveffekts (vgl. insoweit Art. 242 S. 1 EG) kein „Rechtsmittel“ im Sinne deutscher Terminologie. Die Verfahrensfortführung in höherer Instanz wird nicht durch ein „Rechtsmittel“ im Sinne deutscher Terminologie eingeleitet, da auch insoweit das dieses kennzeichnende Merkmal des Suspensiveffektes fehlt, vgl. Art. 60 Abs. 1 Satzung des Gerichtshofs (ABl. Nr. C 325/167). 121 Unter Zugrundelegung der Annahme, dass auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der formellen Bestandskraft fähig ist, wird diese aufgrund ihrer von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit bereits durch den Eintritt der tatsächlichen Existenz einer solchen Entscheidung bewirkt.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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maßgebliche Frist ist in Art. 230 Abs. 5 EG geregelt. Beginnend für den Adressaten gemäß Art. 230 Abs. 5 Hs. 2 Var. 2 EG mit ihrer ordnungsgemäßen123 „Mitteilung“124 an ihn und für einen zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten aufgrund der gegenwärtigen Veröffentlichungspraxis des Rates und der Kommission125 gemäß Art. 230 Abs. 5 Var. 1 mit der Veröffentlichung der Entscheidung im Amtsblatt der Europäischen Union, betragen die Fristen nach Art. 230 Abs. 5 EG zwei Monate zuzüglich der pauschalen Entfernungsfrist von zehn Tagen (Art. 81 § 2 VerfO des EuGH126 bzw. Art. 102 § 2 VerfO des EuG127).128 Mangels entsprechender Anordnung im EG-Vertrag ist die Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht notwendig;129 anders als im deutschen Recht kommt im Gemeinschaftsrecht daher eine Verlängerung der Rechtsbehelfsfristen im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Betracht.130 122 Im Falle einer Beschwerde, jedenfalls einer solchen nach Art. 90 Abs. 2 BeaSt., scheint dies unabhängig davon der Fall zu sein, ob das Beschwerdeverfahren im konkreten Einzelfall als vorprozessuales Verfahren durchgeführt wird oder nicht. In diese Richtung deuten jedenfalls die Ausführungen Karpensteins (in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 14) hin. 123 Dies ist dann der Fall, wenn die Entscheidung dem Adressaten zugeht, dieser die Möglichkeit hat, von ihr tatsächlich Kenntnis zu nehmen, und sich darüber klar werden konnte, dass er der Adressat der Entscheidung ist, s. nur: EuG, Rs. T-275/97, Slg. 1998, II-253, Rn. 14 (Guérin Automobiles EURL/Kommission), bestätigt durch EuGH, Rs. C-153/98 P, Slg. 1999, I-1441 (Guérin Automobiles EURL/Kommission). Im Falle einer nicht ordnungsgemäß erfolgten Bekanntgabe beginnt u. U. die Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen, vgl. EuGH, Rs. 52/69, Slg. 1972, 787, Rn. 18 (J. R. Geigy AG/Kommission). 124 Diese entspricht der individuellen Bekanntgabe nach Art. 254 Abs. 3 EG, s. o., (1) (a) (bb) (b). 125 Unabhängig von einer etwa bestehenden Veröffentlichungspflicht werden nach der gegenwärtigen Praxis des Rates und der Kommission sämtliche Entscheidungen veröffentlicht (so Bockey, S. 65). 126 Verfahrensordnung des EuGH vom 19. Juni 1991, ABl. Nr. L 176/7, ber. ABl. 1992 Nr. L 383/117, mit Änderungen. 127 Verfahrensordnung des EuG vom 2. Mai 1991, ABl. Nr. L 136/1, ber. in ABl. Nr. L 193/44 und in ABl. Nr. L 317/34, mit Änderungen. 128 Zur konkreten Berechnung der Rechtsbehelfsfrist s. nur: Burgi, in: Rengeling/ Middeke/Gellermann, § 7, Rn. 81 ff. Bei einem Bündel von Einzelfallentscheidungen schließt die Bekanntgabe an einen Adressaten nicht aus, dass ein anderer Adressat die Entscheidung bereits anfechten kann, obgleich die Rechtsbehelfsfristen ihm gegenüber mangels Bekanntgabe der Entscheidung noch nicht zu laufen begonnen haben, vgl. zum Ganzen: Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 254, Rn. 20; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 254, Rn. 8. 129 EuG, Rs. T-175/97, Slg. 1998, II-253, Rn. 17 (Guérin Automobiles EURL/ Kommission). 130 Zur Rechtslage im deutschen Recht s. später, B. II. (2) (a).

70

1. Teil: Aufhebungsverbote

Die für eine Beschwerde nach Art. 90 Abs. 2 BeaSt. einschlägige Frist ist in Art. 90 Abs. 2 S. 2 BeaSt. normiert. Für den Adressaten einer ausdrücklich ergangenen Entscheidung beginnt die Beschwerdefrist am Tage ihrer Mitteilung131 an ihn, spätestens jedoch an dem Tag, an dem er von ihr Kenntnis erhält (vgl. § 90 Abs. 2 S. 3 Spiegelstrich 2 Hs. 1 BeaSt.).132 Für einen Nichtadressaten beginnt die Beschwerdefrist in diesem Falle an dem Tag, an dem er Kenntnis von der Entscheidung erhält, spätestens jedoch am Tage ihrer „Bekanntmachung“133 (vgl. § 90 Abs. 2 S. 3 Spiegelstrich 2 Hs. 2 BeaSt.). Angesichts der erwähnten gegenwärtigen regelmäßigen Veröffentlichungspraxis des Rates und der Kommission dürfte die Beschwerdefrist für einen Nichtadressaten damit grundsätzlich in dem zuletzt genannten Zeitpunkt zu laufen beginnen. Die Rechtsbehelfsfristen, die eine gemeinsame Rechtstradition der Mitgliedstaaten bilden134 und in erster Linie Rechtssicherheit gewährleisten sollen135, indem sie verhindern, dass Rechtswirkungen entfaltende Gemeinschaftshandlungen zeitlich unbegrenzt in Frage gestellt werden können,136 stellen Ausschlussfristen dar.137 Als Bestandteil des „ordre public“138 sind 131

Wie bei der Nichtigkeitsklage meint „Mitteilung“ die individuelle Bekanntgabe im Sinne des Art. 254 Abs. 3 EG, vgl. nur: Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 34. 132 Vgl. zum Fristbeginn im Falle der stillschweigenden Ablehnung eines nach § 90 Abs. 1 BeaSt. gestellten Antrags: § 90 Abs. 2 S. 3 Spiegelstrich 3 BeaSt. 133 Wie bei der Nichtigkeitsklage dürfte unter „Bekanntmachung“ wohl die Veröffentlichung zu verstehen sein. 134 GA Warner, in: SA in Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989, 2005 (Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland) unter Hinweis auf den gemeinsamen Rechtsgedanken „Interest rei publicae ut sit finis litium.“ 135 EuGH, verb. Rs. 122 und 123/79, Slg. 1981, 473, Rn. 22 (M. Schiavo/Rat). Daneben kommt ihnen auch eine Befriedungsfunktion zu (GA Lenz, in: SA in Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, 3149 [S. Moussis/Kommission]). 136 St. Rspr.: EuGH, Rs. 34/65, Slg. 1966, 781, 797 (H. D. Mosthaf/Kommission); Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, Rn. 21 (Kommission/Königreich Belgien); Rs. 76/83, Slg. 1984, 859, Rn. 7 (Usines Gustave Boel und Fabrique de fer de Maubeuge/Kommission); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 19 (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 29 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 34 (National Farmers’ Union/Secrétariat general du gouvernement); ferner: GA Gand, in: SA in Rs. 43/64, Slg. 1965, 520, 541 (R. Müller/Räte); Tomuschat, S. 90. Nach Ablauf bestimmter Fristen soll etwa der erlassende Entscheidungsträger „absolute Klarheit darüber (haben), welche Faktoren (er) als unanfechtbar in (seine) Dispositionen einsetzen kann“ (GA Roemer, in: Rs. 20/65, Slg. 1965, 1111, 1122 [U. Collotti/EuGH]). 137 EuGH, Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 30 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); ferner: GA Mischo, in: SA in Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 17 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement); ähnlich: EuGH, Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, Rn. 25 (Kommission/Königreich Belgien); Rs.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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sie – grundsätzlich –139 zwingend, d.h. weder für das Gericht noch für die Parteien disponibel.140 (b) Die formelle Bestandskraft wird ferner bewirkt durch die Erschöpfung des Rechtsweges.141 Ob und – bejahendenfalls – unter welchen Voraussetzungen ein gerichtliches Verfahren in höherer Instanz weiterbetrieben werden kann, bestimmt sich im Einzelnen nach den Art. 56 ff. der Satzung des Gerichtshofes. Aufgrund der relativen rechtlichen Existenz einer Entscheidung tritt in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, etwa im Falle einer sog. „Entscheidung mit Drittwirkung“142, d.h. einer Entscheidung, die begünstigende und/oder (auch) belastende Rechtswirkungen nicht nur gegenüber einem Adressaten, sondern auch gegenüber einem Nichtadressaten entfaltet,143 die formelle Bestandskraft nur individuell bei dem Betroffenen ein, dem gegenüber einer der beiden bewirkenden Umstände vorliegt.144 Es handelt sich daher um eine relative formelle Bestandskraft.

C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 14 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); sinngemäß auch: EuGH, verb. Rs. 109/63 und 13/64, Slg. 1964, 1411, 1435 f. (Ch. Muller/Kommission); Rs. 20/65, Slg. 1965, 1111, 1117 (U. Collotti/EuGH); Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 13 (S. Moussis/Kommission); ferner: GA Trabucchi, in: SÄe in verb. Rs. 15 u. a./73, Slg. 1974, 177, 195 (R. Kortner, verh. Schots, u. a./ Rat, Kommission und Europäisches Parlament); Pache, EuZW 1994, 615, 617 f. 138 GA Lenz, in: SA in Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, 3149 (S. Moussis/ Kommission). 139 Eng auszulegende Ausnahme ist ein entschuldbarer Irrtum über den Fristbeginn, etwa dann, wenn ein Gemeinschaftsorgan bei einem sorgfältig handelnden Bürger eine „verständliche Verwirrung“ hervorruft, s.: EuG, Rs. T-514/96, Slg. 1995, II-621, Rn. 40 (Cobrecaf SA u. a./Kommission). 140 EuGH, Rs. 24/69, Slg. 1970, 145, Rn. 5 (T. Nebe/Kommission); Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, Rn. 18 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuß); Rs. 33/72, Slg. 1973, 475, Rn. 4 (H. Gunnella/Kommission); Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 12 (S. Moussis/Kommission); Rs. C-246/95, Slg. 1997, I-403, Rn. 21 (M. Coen/Belgischer Staat); EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 40 (Cobrecaf SA u. a./Kommission); Rs. T-68/96, Slg. 1998, II-153, Rn. 43 (D. Polyvios/Kommission); Rs. T-168/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 40 (Compania Inpesca SA/Kommission). 141 Beispiel: EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 41 ff. (Compania Inpesca SA/Kommission). 142 Auch „Entscheidung mit Doppelwirkung“ (Bockey, S. 72) oder „Entscheidung mit drittbelastender Doppelwirkung“ (Scherer/Zuleeg, in: Schweitzer, S. 197, 210) genannt. 143 Bockey, S. 72. 144 Zur relativen rechtlichen Existenz einer Entscheidung s. bereits oben, Fn. 90.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Der relativen formellen Bestandskraft entsprechend stellt das gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannte bestandskraftabhängige Aufhebungsverbot eine relative bestandsbezogene Bindungswirkung dar. III. Fortbestand des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Die im Verhältnis zu der formellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des Aufhebungsverbotes wirkt sich nicht nur auf dessen Eintritt, sondern auch auf seinen Fortbestand aus. Das Aufhebungsverbot besteht daher nur, solange die formelle Bestandskraft selbst besteht. Wohl im Interesse effektiver Gewährleistung von Rechtssicherheit ist die formelle Bestandskraft einer Entscheidung an sich auf Dauer angelegt. Im Gemeinschaftsrecht sind indes Fälle anerkannt, in denen die formelle Bestandskraft aufgrund die Rechtssicherheit überwiegender anderer öffentlicher Interessen ausnahmsweise durchbrochen wird. Diese Ausnahmefälle lassen sich danach unterscheiden, ob die formelle Bestandskraft unmittelbar oder mittelbar, d.h. über die Beseitigung der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung durchbrochen wird. Hinsichtlich der Fälle unmittelbarer Durchbrechung der formellen Bestandskraft ist dann weiter danach zu differenzieren, ob der für die unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft zuständige (erlassende oder andere) Entscheidungsträger hierzu im konkreten Einzelfall verpflichtet oder – jedenfalls im Grundsatz – lediglich berechtigt ist. Sobald die formelle Bestandskraft einer Entscheidung infolge unmittelbarer (1) oder mittelbarer (2) Durchbrechung fortfällt, entfällt zwangsläufig zugleich das an sie angelehnte Aufhebungsverbot: (1) Zunächst werden die Fälle unmittelbarer Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung dargestellt, zu der der jeweils zuständige Entscheidungsträger verpflichtet ist (a); im Anschluss daran ist auf die Fälle unmittelbarer Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung einzugehen, zu der der zuständige Entscheidungsträger grundsätzlich lediglich berechtigt (b): (a) Zur unmittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft verpflichtet ist der zuständige (erlassende) Entscheidungsträger im Falle eines unter Berufung auf das Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen erfolgreich gestellten Antrags eines Betroffenen auf Überprüfung einer formell bestandskräftigen Entscheidung (aa) sowie im Falle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (bb): (aa) Die formelle Bestandskraft einer Entscheidung wird zunächst im Falle eines unter Berufung auf das Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen erfolgreich gestellten Antrags eines Betroffenen auf Überprüfung dieser Entscheidung unmittelbar durchbrochen. Da nicht auszuschließen ist, dass

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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die formell bestandskräftige Entscheidung seit ihrem Erlass rechtswidrig war oder wegen veränderter Sach- oder Rechtslage nachträglich rechtswidrig wurde,145 ist der ersuchte Entscheidungsträger kraft des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang des Gesetzes)146 verpflichtet, dem Antrag Folge zu leisten.147 Ein erfolgreicher Antrag setzt dessen Zulässigkeit und Begründetheit voraus: Zulässig ist der Antrag u. a.148 nur dann, wenn „wesentliche neue Tatsachen“ vorliegen.149 Der Begriff der Tatsachen ist dabei in einem weiten Sinne zu verstehen: Erfasst werden sowohl vergangene Verhältnisse, Zustände und Geschehnisse, die dem Beweis zugänglich sind, als auch das Auffinden neuer Beweismittel.150 Die Tatsachen sind neu, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung weder der Antragsteller noch die Verwaltung von ihr Kenntnis hatten oder haben konnten;151 neu ist eine Tatsache namentlich dann, wenn sie erst nach Erlass der Entscheidung eingetre145 GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 68 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). 146 GA Colomer, in: SA in: Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 64 und Rn. 68 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); a. A.: EuG, Rs. T-227/95, Slg. 1997, II-1185, Rn. 32 ff. und Rn. 67 ff. (Assi Domän Kraft Products AB u. a./Kommission). Das EuG hatte die Verpflichtung auf Art. 176 EG-Vertrag a. F. (= Art. 233 EG) gestützt. Der EuGH hob dieses Urteil in der Rechtsmittelinstanz durch sein Urteil in der Rs. C-310/97 P (Slg. 1999, I-5363, Rn. 49 ff. [Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.]) auf. Dabei lehnte er Art. 233 EG als Grundlage einer entsprechenden Verpflichtung ab. Welche Grundlage er bevorzugen würde, erwähnt er allerdings nicht. 147 EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 48 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1363, Rn. 54 (SGL Carbon AG/Kommission). 148 Zulässig ist ein Antrag ferner nur, wenn dieser „innerhalb einer angemessenen Frist“ gestellt wird, s.: EuG, T-202/97, Slg. ÖD 1998, II-511, Rn. 24 (L. Koopman/ Kommission). In diesem Urteil verneinte das EuG einen angemessenen Zeitraum, nachdem zwischen dem In-Kraft-Treten einer maßgeblichen Verordnung und der Geltendmachung einer Anpassung an die durch sie bewirkten Änderungen mehr als 3 ½ Jahre vergangen waren Hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes für den Fristbeginn stellt das EuG nicht auf die Veröffentlichung, sondern auf das In-KraftTreten der Verordnung ab. Für die Praxis bleibt dies allerdings folgenlos, da im Gemeinschaftsrecht – wie berichtet – ein Rechtsakt stets zugleich mit seiner Veröffentlichung bzw. seiner Bekanntgabe in Kraft tritt, s. o.: II. (1) (a) (bb). 149 St. Rspr.: EuGH, verb. Rs. 109/63 und 13/64, Slg. 1964, 1411, 1436 (Ch. Muller/Kommission); Rs. 173/80, Slg. 1981, 1649, Rn. 8 (V. Blasig/Kommission); Rs. 326/82, Slg. 1984, 2253, Rn. 13 (H. Aschermann u. a./Kommission); Rs. 127/84, Slg. 1985, 1437, Rn. 10 (E. Esly/Kommission); EuG, Rs. T-202/97, Slg. ÖD 1998, II-511, Rn. 23 (L. Koopman/Kommission); T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 47 (Compania Inpesca SA/Kommission). 150 Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 64 (allerdings im Kontext der Wiederaufnahme des Verfahrens); GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 69 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

ten ist.152 Wesentlich sind die Tatsachen, wenn sie die Lage des Klägers, auf der der ursprüngliche, nunmehr formell bestandskräftig entschiedene Antrag beruhte, wesentlich verändern können.153 Die Judikatur schränkt den Anspruch auf Überprüfung der bestandskräftigen Entscheidung damit im Ergebnis zweifach ein: Erstens, die Tatsachen müssen im oben beschriebenen Sinne wesentlich und neu sein; zweitens, ein Antrag ist nur dann zulässig, wenn diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen.154 Ist der Antrag erfolgreich,155 überprüft der erlassende Entscheidungsträger im Rahmen eines neuen Verwaltungsverfahrens die formell bestandskräftige Entscheidung.156 Die Überprüfung aufgrund wesentlicher neuer Tatsachen, die einen allgemeinen Verwaltungsgrundsatz bildet,157 führt zu einer neuen Sachentscheidung, die die formell bestandskräftige Entschei151 EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 50 (Compania Inpesca SA/Kommission); vgl. auch: Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1363, Rn. 57 (SGL Carbon AG/ Kommission). Demzufolge sind Tatsachen dann nicht neu, wenn sie nur für den Nichtentscheidungsträger neu sind, weil er sie jetzt erst entdeckt, während sie dem erlassenden Entscheidungsträger dagegen bereits bei Erlass der Entscheidung bekannt waren (GA Reischl, in: SA in Rs. 173/80, Slg. 1981, 1649, 1664 [V. Blasig/ Kommission]). GA Reischl (ebenda) hält dann allenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für denkbar. 152 EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 50 (Compania Inpesca SA/Kommission). Beispiele für das Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen in: EuGH, verb. Rs. 109/63 und 13/64, Slg. 1964, 1411, 1436 f. (Ch. Muller/Kommission); Rs. 127/84, Slg. 1985, 1437, Rn. 11 f. (E. Esly/Kommission); Rs. C-389/98 P, Slg. 2001, I-65, Rn. 44 ff. (H. Gaevert/Kommission) (Aufhebung des Beschlusses des EuG in Rs. T-160/97, Slg. ÖD 1998, I-A-465 [H. Gaevert/Kommission]) (i. E. a. A.: GA Léger, in: SA in Rs. C-389/98 P, Slg. 2001, I-65, Rn. 31); EuG, Rs. T-202/97, Slg. ÖD 1998, II-511, Rn. 24 (L. Koopman/Kommission). Beispiele für das Nichtvorliegen wesentlicher neuer Tatsachen in: EuGH, Rs. 173/80, Slg. 1981, 1469, Rn. 13 (V. Blasig/Kommission); EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 62 (Compania Inpesca SA/Kommission). 153 EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 51 (Compania Impesca SA/Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1363, Rn. 58 (SGL Carbon AG/Kommission). 154 Ausdrücklich jetzt: EuG, Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1363, Rn. 54 (SGL Carbon AG/Kommission). 155 Auf der Grundlage der bisher ergangenen einschlägigen Judikatur ist der Antrag im Ergebnis bereits dann erfolgreich, wenn er zulässig ist. Insbesondere das Zulässigkeitserfordernis des tatsächlichen Vorliegens wesentlicher neuer Tatsachen lässt für eine Begründetheitsprüfung keinen Raum mehr. 156 GA Reischl, in: SA in Rs. 173/80, Slg. 1981, 1649, 1664 (V. Blasig/Kommission). Wird der Antrag wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen, kommt nur die Einlegung einer Nichtigkeitsklage gegen diese ablehnende Entscheidung in Betracht. Im Gegensatz zum deutschen Recht kennt das Gemeinschaftsrecht kennt keine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (vgl. auch Art. 233 EG). Zur Versagungsgegenklage im deutschen Recht s. bereits oben, Einleitung, D.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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dung ersetzt, neue Rechtsbehelfsfristen auslöst und damit einer Rechtmäßigkeitskontrolle durch den dann hierzu ermächtigten Entscheidungsträger unterliegt.158 (bb) Eine unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung ist ferner im Falle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben. Für Klagefristen ist diese in Art. 45 Abs. 2 der Satzung des EuGH geregelt,159 während für Beschwerdefristen auf den ihm zugrundeliegenden Rechtsgedanken zurückgegriffen wird.160 Im Gegensatz zu bestimmten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen enthält das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 45 Abs. 2 der Satzung des EuGH, keine Regelung, die den EuGH oder das EuG allgemein zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer Klagefrist verpflichtet,161 sondern begrenzt eine entsprechende Verpflichtung auf die beiden Fälle, dass der Betroffene das Vorliegen von „Zufall“162 oder von „höherer Gewalt“163 nachweisen kann. Aus Gründen der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind diese Voraussetzungen restriktiv auszulegen.164 (b) Abgesehen von den soeben dargestellten Fällen unmittelbarer Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung, zu der der erlassende Entscheidungsträger verpflichtet ist, gibt es im Gemeinschaftsrecht Fälle, in denen die unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung – jedenfalls grundsätzlich – im Ermessen des zuständigen Entscheidungsträgers steht. Gemeint sind die Fälle der zulässigen Bestandsaufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius. Da diese Fälle 157

EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 54 (Compania Inpesca SA/Kommission). 158 Vgl.: EuG, Rs. T-49/97, Slg. 2000, II-51, Rn. 30 (TAT European Airlines SA/Kommission); EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 48 (Compania Inpesca SA/Kommission); GA Reischl, in: SA in Rs. 173/80, Slg. 1981, 1649, 1664 (V. Blasig/Kommission). 159 Die Bezeichnung „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ ist in Art. 45 Abs. 2 der Satzung des EuGH nicht enthalten, wird aber wie selbstverständlich verwendet, vgl. nur: GA de Lamothe, in: SA in Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, 702 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuss). 160 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 15. 161 GA de Lamothe, in: SA in Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, 702 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuss). 162 D.h. die Fristversäumnis wäre auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindert worden (Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 93). 163 D.h. es bestehen ungewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Schwierigkeiten, die selbst bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erscheinen (Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 93). 164 Außerdem soll auf diese Weise jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz vermieden werden, vgl.: EuGH, Rs. C-239/97, Slg. 1998, I-2655, Rn. 7 (Irland/Kommission).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

– im Gegensatz zu den soeben dargestellten Konstellationen – jedoch unabhängig von einer etwa eingetretenen formellen Bestandskraft der betreffenden Entscheidung relevant werden können, werden diese erst an späterer Stelle im Kontext der gegenüber den für die Aufhebung mittel actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern bestehenden Aufhebungsverbote im Einzelnen dargestellt.165 (2) Eine mittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung, zu der der insoweit zuständige EuGH oder das EuG verpflichtet sind, liegt im Falle eines zulässigen Antrags einer Partei166 auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ein Urteil167 des EuGH oder des EuG vor. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist in Art. 44 der Satzung des EuGH in Verbindung mit Artt. 98 ff. VerfO des EuGH bzw. Artt. 125 ff. VerfO des EuG geregelt. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellt einen außerordentlichen Rechtsbehelf dar, mit dem ausnahmsweise die Rechtskraft eines Urteils durchbrochen werden kann,168 wobei allerdings im Gemeinschaftsrecht die Antragstellung auf Wiederaufnahme auch in Bezug auf ein noch nicht rechtskräftiges Urteil zulässig ist (vgl. auch Art. 128 VerfO des EuG).169 Zum Schutze der Rechtssicherheit170 ist die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages an strenge Voraussetzungen geknüpft: Gemäß Art. 44 Abs. 1 der Satzung des EuGH muss eine – in einem weiten Sinne zu verstehende –171 Tatsache von entscheidungserheblicher Bedeutung172 vorgetragen werden. Diese Tatsache muss bei Verkündung des angefochtenen Urteils existiert haben, ohne dass sie dem Gericht oder der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bekannt war (vgl. Art. 44 Abs. 2 der Satzung des EuGH), sie darf also erst nach Verkündung des Urteils im Ausgangsverfahren bekannt werden.173 165

s. Zweites Kapitel, A. Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 63; Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 938. Ob auch der Streithelfer antragsberechtigt ist, ist streitig, vgl. nur die soeben genannten Nachweise. 167 Wegen der gleichen Wirkung auch gegen einen Beschluss, der ein „Rechtsmittel“ zurückweist, s.: EuGH, verb. Rs. C-199 und 200/94 P REV, Slg. 1998, I-831, Rn. 16 (Compania Inpesca SA/Kommission und Pevasa SA). 168 EuGH, verb. Rs. C-199 und 200/94 P REV, Slg. 1998, I-831, Rn. 17 (Compania Inpesca SA/Kommission und Pevasa SA); ferner: Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 60; Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 937. 169 Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 60 und Rn. 62; Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 937. 170 Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 60. 171 Dazu: Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 64. 172 D.h. durch die geltend gemachte Tatsache besteht die Möglichkeit, den Ausgang des Rechtsstreites zu beeinflussen (Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28, Rn. 67). 166

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Ferner sind zwei Fristen zu beachten: zum einen die Frist von drei Monaten beginnend ab Kenntnis der Tatsache, auf die der Wiederaufnahmeantrag gestützt wird (vgl. Art. 98 VerfO des EuGH; Art. 125 VerfO des EuG), zum anderen die dem Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit Rechnung tragende Ausschlussfrist174 des Art. 44 Abs. 3 der Satzung des EuGH, die eine Antragstellung nach Ablauf von zehn Jahren nach Erlass des Urteils ausschließt, auch wenn die Tatsache erst zu diesem Zeitpunkt bekannt werden sollte. Im Falle eines zulässigen Wiederaufnahmeantrages eröffnet das zuständige Gericht das Wiederaufnahmeverfahren und erlässt nach Durchführung eines schriftlichen und mündlichen Verfahrens ein neues Sachurteil (vgl. Art. 100 § 2 VerfO des EuGH; Art. 127 § 3 VerfO des EuG).175 IV. Folge des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Der Eintritt der formellen Bestandskraft bewirkt eine Konsolidierung des mittels Entscheidung geregelten Gemeinschaftsrechtsverhältnisses.176 Er zieht den Verlust des Anfechtungsrechts nach sich. Eine Anfechtung ist ab diesem Zeitpunkt unzulässig.177 Dies hat zur Folge, dass die betreffende Entscheidung endgültig Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung wird.178 Im Hinblick auf die Folge des gegenüber dem EuGH und dem EuG bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten Aufhebungsverbotes bedeutet dies, dass sie sich, sobald und solange das Aufhebungsverbot ihnen gegenüber besteht, nicht mit einer dann unzulässigen Nichtigkeitsklage bzw. einer dann unzulässigen Beschwerde eines Betroffenen sachlich befassen dürfen. Sie sind aus Gründen der Rechtssicherheit ausnahmslos verpflichtet, diese zurückzuweisen.179

173 EuGH, verb. Rs. C-199 und 200/94 P REV, Slg. 1998, I-831, Rn. 17 (Compania Inpesca SA/Kommission und Pevasa SA). 174 Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 940. 175 Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 942. 176 GA Cosmas, in: SA in Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 44 (Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd und umgekehrt); GA Gand, in: SÄe in verb. Rs. 50 u. a./64, Slg. 1965, 1080, 1096 (R. Loebisch/Räte). In diese Richtung auch Schmidt-Aßmann, in: Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 487, 490. 177 s. nur: Pache, EuZW 1994, 615, 617. 178 GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 55 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). 179 EuGH, Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 13 (S. Moussis/Kommission).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

V. Zusammenfassung Der für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen eines Nichtigkeitsklageverfahrens zuständige EuGH und das insoweit ebenfalls zuständige EuG bzw. der für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens zuständige erlassende Entscheidungsträger unterliegen mit Eintritt der formellen Bestandskraft, d.h. der Unanfechtbarkeit einer Entscheidung gegenüber einem Betroffenen (bei einem Dritten ist dies nur ein zweifellos anfechtungsberechtigter Dritter im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft) aus Gründen der Rechtssicherheit einem – möglicherweise als selbstverständlich bestehend anerkannten, in Judikatur und Literatur bislang nicht näher bezeichneten – Aufhebungsverbot, das durch den Eintritt der formellen Bestandskraft reflexartig ausgelöst wird. Die reflexartige Entstehung des Aufhebungsverbotes bedeutet, dass der EuGH und das EuG bzw. der erlassende Entscheidungsträger dogmatisch betrachtet – im Verhältnis zu der durch die formelle Bestandskraft bewirkten (unmittelbaren) Bindung eines Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand und Folge zwangsläufig akzessorisch an die tatsächliche Existenz dieser Entscheidung gebunden werden: Das Aufhebungsverbot gelangt zur Entstehung, sobald eine der formellen Bestandskraft fähige, d.h. eine (tatsächlich und rechtlich) existent gewordene und gebliebene, (auch) belastend wirkende Entscheidung unabhängig von ihrem (möglichen) Inhalt unanfechtbar geworden ist. Auf der Grundlage der bisher insoweit ergangenen Judikatur wird die Unanfechtbarkeit, d.h. die Nicht- oder Nicht-Mehr-Anfechtbarkeit mit (ordentlichen) anfechtungsrelevanten, (außer-)gerichtlichen förmlichen Rechtsbehelfen durch den Ablauf von Rechtsbehelfsfristen einschlägiger Rechtsbehelfe sowie durch die Erschöpfung des Rechtsweges bewirkt. Der relativen formellen Bestandskraft entsprechend ist das bestandskraftabhängige Aufhebungsverbot als relative bestandsbezogene Bindungswirkung konzipiert, wobei dies allein in den Fällen relevant wird, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt. Das Aufhebungsverbot besteht, solange die formelle Bestandskraft nicht nachträglich beseitigt wird. Obgleich die formelle Bestandskraft wohl im Interesse einer effektiven Gewährleistung von Rechtssicherheit an sich auf Dauer angelegt ist, sind im Gemeinschaftsrecht Fälle anerkannt, in denen die formelle Bestandskraft einer Entscheidung aufgrund die Rechtssicherheit überwiegender anderer öffentlicher Interessen ausnahmsweise unmittelbar oder mittelbar durchbrochen wird. Im Gemeinschaftsrecht sind folgende Durchbrechungen der Bestandskraft einer Entscheidung anerkannt: Fälle, in denen der zuständige (erlassende oder andere) Entscheidungsträger zur unmittelbaren Durchbrechung der Bestandskraft verpflichtet ist, sind ein unter

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Berufung auf das Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen erfolgreich gestellter Antrag auf Überprüfung einer bestandskräftigen Entscheidung sowie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, während eine mittelbare Durchbrechung der Bestandskraft, zu der der insoweit zuständige EuGH oder das EuG verpflichtet ist, im Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 44 der Satzung des EuGH gegeben ist. Daneben sind Fälle anerkannt, in denen der (insoweit regelmäßig zuständige) erlassende Entscheidungsträger zu einer unmittelbaren Durchbrechung der Bestandskraft grundsätzlich lediglich berechtigt ist. Folge des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes ist, dass sich die für die Aufhebung zuständigen Entscheidungsträger aufgrund ihrer Bindung an die tatsächliche Existenz der formell bestandskräftigen Entscheidung nicht mehr mit einer nun unzulässigen Nichtigkeitsklage bzw. einer nun unzulässigen Beschwerde sachlich befassen dürfen. Sie sind vielmehr ausnahmslos zu ihrer Zurückweisung verpflichtet.

B. Aufhebungsverbot gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Anfechtungsklage-, Versagungsgegenklage- bzw. Widerspruchsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern I. Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Im deutschen Recht besteht gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Anfechtungsklage- bzw. von Versagungsgegenklageverfahren zuständigen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens zuständigen erlassenden Entscheidungsträger, d.h. der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat (vgl. § 35 S. 1 VwVfG), und der insoweit ebenfalls zuständigen Widerspruchsbehörde ein – soweit erkennbar, weder in der Judikatur noch grundsätzlich180 in der Literatur bislang näher bezeichnetes – Aufhebungsverbot, dessen Entstehung als „Reflex“ im Verhältnis zu dem Eintritt der formellen Komponente der Bestandskraft (im Folgenden als „formelle Bestandskraft“ bezeichnet)181 eines Verwaltungsaktes beschrieben wird.182 180 Ausnahme wohl: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 17 ff. („formelle Bestandskraft“). 181 „Formelle Bestandskraft“ (bzw. „formell bestandskräftig“) lautet die Bezeichnung in der Judikatur und v. a. in der Literatur: BFH, NVwZ 2001, 719, 720; BSG, NZA 1995, 320, 327; VGH BW, NVwZ 1987, 521; BayVGH, NVwZ-RR 1992,

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Wie im Gemeinschaftsrecht ist auf die formelle Bestandskraft, die für die Entstehung des Aufhebungsverbotes sozusagen das „auslösende Moment“ darstellt, im Folgenden zunächst näher einzugehen. 218, 219; OVG Thüringen, NVwZ-RR 1995, 233, 234; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 2003, 4; FG Köln, EFG 2002, 846; FG des Saarlandes, EFG 2003, 1449; VG Meiningen, LKV 2002, 144, 145; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 6, Rn. 18 und Rn. 21; ders., in: Piepenbrock/Schuster, S. 152, 158; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 8 und Rn. 29; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 3; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 124; Huxholl, S. 75; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 5; Stelkens, Rn. 480; Kutschera, S. 173; Knoke, S. 91; Rohlfing, S. 74; Seibert, S. 139; Maurer, § 11, Rn. 4; Domke, S. 6; Detterbeck, Rn. 568; Battis, S. 174; Krause, S. 179; Ammelburger, S. 6; Becker, S. 54; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 13; ders., K & R 2001, 1, 4; Sauer, DÖV 1971, 150, 152; Krebs, VerwArch. 67 (1976), 411, 414; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; Schenke, DÖV 1983, 320, 321; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395; Merten, NJW 1983, 1993, 1994 und 1995; Randak, JuS 1992, 33, 34; ähnlich („Bestandskraft im formellen Sinne“): Achterberg, § 23, Rn. 37; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 31. Gegen die Verwendung dieser Bezeichnung und statt dessen für „Unanfechtbarkeit“: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 181 ff.; Hans Meyer, in: Meyer/ Borgs, § 43, Rn. 12; i. E. ebenso: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 8 („Unanfechtbarkeit“ anstelle von „formelle Rechtskraft“); gegen die Ersetzung der Bezeichnung „formelle Bestandskraft (Rechtskraft)“ wiederum: Achterberg, § 23, Rn. 37; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 20; Domke, S. 9; Rohlfing, S. 149 f. Die – namentlich höchstrichterliche – Judikatur verwendet dagegen wohl überwiegend die Bezeichnung „Bestandskraft“ (bzw. „bestandskräftig“): BVerfGE 60, 253, 270 f.; BVerwGE 49, 244, 249; 50, 282, 289 (auf S. 290: „unanfechtbar“); 92, 272, 277 und 278 (dort auch „unanfechtbar“); 105, 370, 373; 114, 9, 11 ff. (auch „unanfechtbar“); BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 722 und 723; BVerwG, NVwZ-RR 1997, 355, 356 (auch „Unanfechtbarkeit“); BGHZ 117, 159, 166; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ 1986, 578; so auch gelegentlich die Bezeichnung in der Literatur: Ortloff, NJW 1987, 1665; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 44. Die Bezeichnung „(formelle) Rechtskraft“ (bzw. „formell rechtskräftig“) findet sich v. a. in der älteren Judikatur und Literatur: z. B.: BVerfGE 2, 380, 392; BGHZ 9, 129, 132; ferner: Forsthoff, S. 252 ff.; Krause, S. 179; s. aber auch: OLG Saarbrücken, NJW 1992, 3183, 3184. Synonym zu „(formelle) Bestandskraft“ (bzw. „formell bestandskräftig“) verwendete Bezeichnung v. a. in der Judikatur, aber auch in der Literatur: „Unanfechtbarkeit“ (bzw. „unanfechtbar“): BVerfGE 27, 297, 305, 306 und 309; 20, 230, 234 und 236; BVerwGE 4, 233, 234; 25, 241, 242 und 243; 50, 282, 290 (S. 289: „bestandskräftig“); 70, 110, 111; 92, 272, 278; 114, 9, 11 ff. (dort auch „bestandskräftig“); 114, 332, 338; BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 722; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; BVerwG, NVwZ 1983, 472, 473; BFH, NVwZ 1984, 61 („formelle Unanfechtbarkeit“); BGH, NJW 1996, 2030; BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206; BayVGH, NVwZ 1989, 378; ferner: Braun, S. 13; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 16, Rn. 1; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 20; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 124; Ortloff, NJW 1987, 1665; außerdem die bereits oben Genannten, die die ausschließliche Verwendung der Bezeichnung „Unanfechtbarkeit“ befürworten. Von „unanfechtbar“ sprechen im Übrigen auch §§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 S. 1, 51 Abs. 1 S. 1 und 52 S. 1 VwVfG.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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1. Formelle Bestandskraft a) Begriff und Geltungsgrundlage der formellen Bestandskraft Der Begriff der formellen Bestandskraft ist gesetzlich nicht definiert. Abschnitt 2 des Dritten Teils des VwVfG trägt zwar die Überschrift „Bestandskraft des Verwaltungsaktes“; der Begriff selbst wird in den folgenden Vorschriften jedoch nicht mehr aufgegriffen.183 Vor diesem Hintergrund wird angenommen, der Begriff der Bestandskraft sei mit dem Inhalt, der ihm bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG zukam, übernommen worden:184 Die formelle Bestandskraft wurde in Anlehnung an das prozessrechtliche Institut der formellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entwickelt.185 Formelle Rechtskraft bedeutet, dass eine gerichtliche Entscheidung nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann.186 Sie führt zur Unanfechtbarkeit.187 Im Verwaltungsrecht werden die Begriffe der formellen Bestandskraft und der Unanfechtbarkeit üblicherweise gleichgesetzt.188 Formelle BeWie im Gemeinschaftsrecht wird auch im deutschen Recht die Bezeichnung formelle Bestandskraft gewählt, um die formelle Komponente der Bestandskraft gegenüber ihrer materiellen Komponente abzugrenzen (zur materiellen Komponente der Bestandskraft im deutschen Recht später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. I. 1.). 182 Merten, NJW 1983, 1993, 1995; auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 29. 183 Dazu: Maurer, § 11, Rn. 1; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 1. 184 Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 7; in diese Richtung auch: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 1. 185 Maurer, § 11, Rn. 3; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 6; Kopp/ Ramsauer, § 43, Rn. 7; Seibert, S. 138; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 181 f. s. dazu bereits auch oben, Einleitung, B. II. 186 Wohl allgemeine Ansicht, s. z. B.: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 2; Stern, Rn. 281; Maurer, § 11, Rn. 3; Seibert, S. 138; Stöber, in: Zöller, § 705, Rn. 1; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 705, Rn. 1a. 187 Stöber, in: Zöller, § 705, Rn. 3 i. V. m. Rn. 2 (vgl. Überschrift „Wirkungen der formellen Rechtskraft“); Putzo, in: Thomas/Putzo, § 705, Rn. 2; Kilian, in: Sodan/Ziekow, Art. 121, Rn. 10. Formelle Rechtskraft und Unanfechtbarkeit werden häufig allerdings gleichgesetzt; dabei soll der Begriff der „Unanfechtbarkeit“ an sich weiter als der der „formellen Rechtskraft“ sein, vgl. dazu: Putzo, ebenda, Rn. 1a f. 188 Z. B.: BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 722; BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; BVerwG, DVBl. 1983, 1097; BVerfGE 2, 380, 392; BFHE 202, 403, 406; ferner: Knoke, S. 91; Krause, S. 179; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 18; Domke, S. 6; Battis, S. 174; Maurer, § 11, Rn. 4; Huxholl, S. 75; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 5; Kutschera, S. 173; Seibert, S. 139; Rohlfing, S. 149; Ammelburger, S. 6; Becker, S. 54; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 32; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 29; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 13; ders., K & R 2001, 1, 4; Sauer,

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1. Teil: Aufhebungsverbote

standskraft bedeutet daher Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes, d.h. dieser kann nicht oder nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen in dem dafür vorgesehenen Verfahren angegriffen werden.189, 190 (Ordentliche) anfechtungsrelevante, d.h. auf Beseitigung des Bestandes eines Verwaltungsaktes gerichtete bzw. die Beseitigung bewirkende, förmliche Rechtsbehelfe im Sinne des § 79 VwVfG sind:191 als außergerichtlicher, grundsätzlich DÖV 1971, 150, 152; Krebs, VerwArch. 67 (1976), 411, 414; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395. 189 Z. B.: BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; BVerfGE 2, 380, 392; in diesem Sinne auch: BVerGE 60, 253, 269 f.; vgl. auch: BFHE 202, 403, 406; s. ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 18; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 29; Maurer, § 11, Rn. 4 (spricht von „Rechtsmitteln“, zählt aber den Rechtsbehelf des Widerspruchs dazu); Domke, S. 6; Rohlfing, S. 74; Knoke, S. 91; Krause, S. 179; Kutschera, S. 173; Stelkens, Rn. 480; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 5; Huxholl, S. 75; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 124; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 32; Seibert, S. 139; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 13; Francke, in: Dannhauer/Dörr, S. 9, 10; Battis, S. 174; Becker, S. 54; Krebs, VerwArch. 67 (1976), 411, 414; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; Randak, JuS 1992, 33, 34; ähnlich: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; Weides, S. 321. Partiell abweichend: Merten (NJW 1983, 1993, 1994 und 1995), der von einem erweiterten Begriffsverständnis ausgeht, indem er unter den Begriff der formellen Bestandskraft neben der Unanfechtbarkeit auch die Unaufhebbar- bzw. Unabänderlichkeit subsumiert, sowie Ammelburger (S. 6), der ein engeres Begriffsverständnis zugrundelegt, indem er die formelle Bestandskraft auf den Ausschluss gerichtlicher Rechtsbehelfe beschränkt. 190 Konsequenz dieser Gleichsetzung und des dadurch bedingten weiten Begriffsverständnisses ist, dass auch ein ausschließlich begünstigender, d.h. niemanden beschwerender Verwaltungsakt aufgrund seiner von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit als der formellen Bestandskraft fähig angesehen wird, s.: BGH, NJW 1998, 3055, 3056; ferner: Maurer, § 9, Rn. 39; Seibert, S. 140; Domke, S. 10; Peine, Rn. 249 und Rn. 321; wohl auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 20; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; a. A. aber: Krause, S. 179 (formelle Bestandskraft sei nur in den Fällen sinnvoll, in denen es einen Anspruch auf Überprüfung des Verwaltungsaktes gebe; die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes folge erst aus seiner Anfechtbarkeit). 191 Zu den konkret anfechtungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfen: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 18; Seibert, S. 139; Domke, S. 6; Knoke, S. 91; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; ähnlich wohl: Detterbeck, Rn. 563 („vor allem“ Widerspruch und Anfechtungsklage); unter Beschränkung auf Widerspruch und Anfechtungsklage: Maurer, § 11, Rn. 4; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 2; Randak, JuS 1992, 33, 34; wohl auch: Schwerdtfeger, Rn. 34; Stelkens, Rn. 480; Ortloff, NJW 1987, 1665 (dort: Fn. 8); Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411; offen „Rechtsbehelfe“ o. ä.: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 29; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 124; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 5; Huxholl, S. 75; Krause, S. 179; Achterberg, § 23, Rn. 36; Forsthoff, S. 252 f.; Braun, S. 13; Becker, S. 54; Sauer, DÖV 1971, 150, 152; Krebs, VerwArch. 67 (1976), 411, 414; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395; Merten, NJW 1983, 1993, 1995. s. dazu auch bereits oben, Einleitung, D.

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obligatorischer vorgerichtlicher Rechtsbehelf der Widerspruch nach § 69 VwGO;192 daneben als gerichtliche Rechtsbehelfe die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO in Form der Versagungsgegenklage. Die (formelle) Bestandskraft, die – wie ihr prozessrechtliches Vorbild – in erster Linie der Gewährleistung von Rechtssicherheit dient,193 ist zwar in der Überschrift des Abschnitt 2 des Dritten Teils des VwVfG erwähnt, aber nicht – jedenfalls nicht ausdrücklich – geregelt.194 Die formelle Bestandskraft dürfte jedoch sowohl in der Judikatur als auch in der Literatur allgemein anerkannt sein.195 b) Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der formellen Bestandskraft auf die Betroffenen Nach wohl nahezu einhelliger Ansicht in Judikatur196 und Literatur197 beschränkt sich die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes im deutschen Recht in ihren Rechtswirkungen allein auf die von einem Verwaltungsakt sachlich Betroffenen198. 192 Zu Sondervorschriften über den Widerspruch s.: Pietzner/Ronellenfitsch, § 24, Rn. 9. Andere außergerichtliche förmliche Rechtsbehelfe als den Widerspruch existieren für den Bereich der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich nicht mehr (dazu: Pietzner/Ronellenfitsch, § 24, Rn. 8 f.). 193 BVerfGE 60, 253, 269 f. (auf S. 270 hebt das BVerfG die vergleichbare Bedeutung der Bestandskraft und Rechtskraft für die Rechtssicherheit hervor; dies gelte ungeachtet der Tatsache, dass der Bestandskraft diese Bedeutung auf anderer Ebene zukomme); ferner: FG Köln, EFG 2002, 846, 847. Neben der Gewährleistung von Rechtssicherheit dient die formelle Bestandskraft der Gewährleistung eines wirkungsvollen behördlichen und gerichtlichen Verfahrens, indem sie Entscheidungsträger entlastet (BVerfGE 60, 253, 270 f.), sowie der Rechtsklarheit, indem innerhalb eines bestimmten Zeitraums für alle Beteiligten klargestellt wird, ob es bei der getroffenen Regelung bleibt oder nicht (BVerfGE 27, 297, 309; BVerfGE 60, 253, 271). 194 Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 7. 195 Einzelnachweise in den nachfolgenden Fußnoten. 196 Z. B.: BFH, NVwZ 2001, 719, 720 (im Kontext des § 351 AO 1977); BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; VGH BW, NVwZ 1990, 59, 60; BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206. Speziell in Bezug auf einen betroffenen Dritten z. B.: BVerwGE 50, 282, 289 f.; 104, 115, 118; BVerwG, DVBl. 1982, 1097. Weitere Nachweise s. o., Fn. 181. 197 Z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 29; Erichsen, in: Erichsen/ Ehlers, § 16, Rn. 1; Seibert, S. 141; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 12; Rohlfing, S. 74; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; Knoke, S. 92; Kutschera, S. 173; Stelkens, Rn. 480; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 187; Merten, NJW 1983, 1993, 1995; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 182; Ortloff, NJW 1987, 1665; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155 (dort: Fn. 4); auch: Randak, JuS 1992, 33, 34; a. A. aber: Peine, Rn. 249. Weitere Nachweise s. o., Fn. 181.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

2. Bestandskraftabhängiges Aufhebungsverbot gegenüber den für die Aufhebung im Rahmen von Anfechtungsklage-, Versagungsgegenklage- bzw. Widerspruchsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern Angesichts der soeben geschilderten Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der formellen Bestandskraft auf die Betroffenen besagt diese demzufolge nichts über die Bindung der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. des erlassenden Entscheidungsträgers und der Widerspruchsbehörde.199 Wie im Gemeinschaftsrecht bedeutet dies indes nicht, dass die mit Eintritt der formellen Bestandskraft einsetzende Bindung eines Betroffenen für diese Entscheidungsträger folgenlos bleibt. Mit Beginn der formellen Bestandskraft kommt ihnen gegenüber vielmehr – wie bereits erwähnt – reflexartig ein Aufhebungsverbot zur Entstehung, das nicht kodifiziert ist, aber als – wohl eher selbstverständlich bestehend – anerkannt zu sein scheint.200 Wie bereits an früherer Stelle dargelegt, ist die Beschreibung der Entstehung des Aufhebungsverbotes als reflexartig ganz offensichtlich dahingehend zu verstehen, dass es sich bei diesem Aufhebungsverbot, dessen Entstehung sich als eine prompte Reaktion auf die infolge Eintritts der formellen Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des Verwaltungsrechtsverhältnisses darstellt, um eine – dogmatisch betrachtet – mittelbare und daher zwangsläufig akzessorische Bindung der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. des erlassenden Entscheidungsträgers und der Widerspruchsbehörde im Interesse der Rechtssicherheit handelt.201 II. Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Aufgrund der im Verhältnis zu der formellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät des Aufhebungsverbotes tritt dieses nur und erst dann ein, sobald202 die formelle Bestandskraft gegenüber Betroffenen zur Entstehung 198 Im deutschen Recht hängt ein Betroffensein von einer (möglichen) Verletzung subjektiver Rechte ab, vgl. § 42 Abs. 2 VwGO (ggfls. in analoger Anwendung). Zur sachlichen Betroffenheit auch noch später, II. (1) (a). 199 s. nur: Knoke, S. 92 (in Bezug auf den erlassenden Entscheidungsträger). 200 Z. B.: Merten, NJW 1983, 1993, 1995; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 29. 201 s. o., A. I. 1. b). 202 Vorbehaltlich der Teilbarkeit des Verwaltungsaktes tritt das Aufhebungsverbot auch nur ein, soweit die formelle Bestandskraft bewirkt wird. Wie im Gemeinschaftsrecht wird dieser Umstand im Folgenden auch an entsprechenden Stellen nicht mehr besonders hervorgehoben.

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gelangt. Dies ist der Fall, sobald ein der formellen Bestandskraft fähiger Verwaltungsakt (1) sowie bestimmte, den Eintritt der formellen Bestandskraft bewirkende Umstände (2) vorliegen: (1) In formelle Bestandskraft erwächst allein ein der formellen Bestandskraft fähiger, d.h. ein der „Verfestigung“203 fähiger Verwaltungsakt. Im Rahmen eines Anfechtungsklage- oder Versagungsgegenklage- bzw. eines Widerspruchsverfahrens handelt es sich dabei um einen wirksamen, d.h. wirksam gewordenen und wirksam gebliebenen Verwaltungsakt (a), der, gleich welchen (möglichen) Inhalt er hat (b), gegenüber einem Betroffenen selbstverständlich (auch) belastende Rechtswirkungen entfaltet:204, 205 (a) Unter Zugrundelegung der herkömmlichen, weit überwiegend anerkannten Konzeption der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes setzt dessen Bestandskraftfähigkeit zunächst das Vorliegen eines wirksamen Verwaltungsaktes voraus.206 Der Begriff der „Wirksamkeit“ ist in der Überschrift des § 43 VwVfG enthalten, wird aber in den drei Absätzen der Vorschrift nicht definiert, sondern vorausgesetzt.207 § 43 VwVfG regelt die materiellen Wirkungen des nach § 41 VwVfG bekanntgegebenen Verwaltungsaktes.208 Judikatur und Literatur gehen davon aus, dass der Wirksamkeitsbegriff in § 43 VwVfG 203

Maurer, § 11, Rn. 6. Wie im Gemeinschaftsrecht erfolgt die Darstellung der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes im deutschen Recht ausführlicher als möglicherweise unbedingt geboten, weil die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes die zentrale Voraussetzung für das Bestehen von Bindungswirkungen bildet. Abgesehen davon eröffnet die an dieser Stelle erfolgende zusammenhängende Darstellung der Wirksamkeit auch hier die Möglichkeit, an späteren Stellen der Untersuchung schlicht auf die hiesige Darstellung zu verweisen. Schließlich wird mit ihr eine prompte Gegenüberstellung zu der Existenz einer Entscheidung im Gemeinschaftsrecht bereitgestellt. 205 Mit selbstverständlicher Ausnahme des Erfordernisses der Entfaltung belastender Rechtswirkungen gelten diese Voraussetzungen auch für den Eintritt der formellen Bestandskraft eines ausschließlich begünstigenden Verwaltungsaktes. 206 s. hier als Vertreter der herkömmlichen, allgemein anerkannten Wirksamkeitskonzeption nur: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 5; vgl. im Übrigen die unten (Fn. 212) aufgeführten Nachweise. Anders dagegen auf der Grundlage einer verschiedentlich in der Literatur vertretenen, allerdings in der Regel (Ausnahme: P. Stelkens/U. Stelkens) nicht begründeten Konzeption, nach der die rechtliche Existenz eine Verwaltungsaktes eine selbständige Voraussetzung neben der Wirksamkeit darstellen soll, vgl.: Maurer, § 9, Rn. 66; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 4 ff.; Detterbeck, Rn. 537 und 547; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 2 f. (3); Gröpl, JA 1995, 904, 906; wohl auch: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 17a und § 41, Rn. 2. 207 Statt vieler: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 154; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 2; Francke, in: Dannhauser/Dörr, S. 9, 11. 208 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 2; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 1. 204

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1. Teil: Aufhebungsverbote

die bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG seitens der herrschenden Meinung entwickelten Grundsätze beinhaltet,209 die maßgeblich auf eine Grundsatzentscheidung des BVerwG vom 21. Juni 1961210 zurückzuführen sind. Insbesondere zwecks dogmatischer Bewältigung bedingter oder befristeter Verwaltungsakte211 hatte das BVerwG in dieser Entscheidung den Begriff der Wirksamkeit in die zwei Komponenten „äußere Wirksamkeit“ (aa) und „innere Wirksamkeit“ (bb) aufgespalten und diesen verschiedene Inhalte zugeordnet:212 (aa) Die äußere Wirksamkeit meint die – hier untechnisch zu verstehende – rechtliche Existenz eines Verwaltungsaktes, d.h. das Vorliegen eines (materiellen) Verwaltungsaktes im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG.213 209 Z. B.: BVerwGE 55, 212, 215 f.; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 1; Seibert, S. 204; Huxholl, S. 46; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; in diesem Sinne wohl auch: Knoke, S. 71 f. 210 E 13, 1, 7. 211 Zu diesem Hintergrund: Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 (1999), 49, 50; Erbguth, S. 39. 212 Diese Differenzierung hat sich in Judikatur und Literatur weitestgehend durchgesetzt, z. B.: BVerwGE 55, 212, 214 f.; 57, 69, 70; 88, 278, 281; BVerwG, NVwZ 1983, 608; BGH, NJW 1996, 2030 (bzgl. innerer Wirksamkeit); OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ 1987, 899 (bzgl. innerer Wirksamkeit); VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60 (bzgl. äußerer Wirksamkeit); VGH BW, NVwZ-RR 1991, 490; VGH BW, NVwZ 1991, 1195, 1196; VGH BW, NVwZ-RR 1996, 149, 150; OVG NW, NVwZ 1992, 991; VGH Hessen, NVwZ-RR 1995, 541 (bzgl. innerer Wirksamkeit); OVG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 1997, 626, 627 (bzgl. äußerer Wirksamkeit); OVG Mecklenburg-Vorpommern, LKV 1998, 112, 113; OVG LSA, DVBl. 2000, 283, 284; VG Stuttgart, VBlBW 1989, 272, 273; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 155 ff.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 6; Maurer, § 9, Rn. 66; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 116 ff.; Huxholl, S. 46; Detterbeck, Rn. 546; Seibert, S. 203 ff.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 1; Stelkens, Rn. 470; Peine, Rn. 247; Erbguth, S. 36 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 3; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411; Randak, JuS 1992, 33, 36; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39, 40; Wilhelms, NJ 2005, 337, 338; gegen den dualen und statt dessen für einen singulären Inhalt des Wirksamkeitsbegriffs: Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 (1999), 49, 54 ff. und 62 ff. (64) (der Sache nach differenziert auch er aber zwischen Existenz und Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes, vgl. S. 57 ff. [61]). 213 Z. B.: BVerwGE 13, 1, 6 f.; 55, 212, 214 f.; OVG NW, NVwZ 1992, 991; OVG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 1997, 626, 627; ferner: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 155; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 6; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 1, Rn. 2 und Rn. 9; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 4; Seibert, S. 206; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 3; Knoke, S. 72; Huxholl, S. 46; Erbguth, S. 61; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Randak, JuS 1992, 33, 36; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659; Wilhelms, NJ 2005, 337, 338 und 343; anders: Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411 (äußere Wirksamkeit meine Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an die getroffene Entscheidung; die in

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Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG beginnt die (relative)214 äußere Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich215 mit seiner – ihrerseits Fn. 23 angeführten Nachweise belegen diese Auffassung allerdings nicht); anders ferner der bereits oben (Fn. 206) erwähnte Teil der Literatur, der die rechtliche Existenz eines Verwaltungsaktes als selbständige Voraussetzung neben dessen Wirksamkeit ansieht, unter äußerer Wirksamkeit die Maßgeblichkeit des Verwaltungsaktes gegenüber einem Betroffenen versteht (so bei: Maurer, § 9, Rn. 66; Detterbeck, Rn. 546; Gröpl, JA 1995, 904, 906; wohl auch: VGH BW, NVwZ-RR 1992, 396, 397; offen bei: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 17a [ihr Hinweis auf Sachs’ Kommentierung (§ 43, Rn. 156) bestätigt zwar die von ihnen vertretene Ansicht, die rechtliche Existenz solle eine absolute Größe darstellen, liefert aber keine Begriffsbeschreibung; im Gegenteil, Sachs spricht sich in der Sache gegen eine Unterscheidung zwischen rechtlicher Existenz und äußerer Wirksamkeit aus]). 214 § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG legt eine relative (äußere) Wirksamkeit fest, vgl.: BVerwG, NJW 1981, 1000; NVwZ-RR 1994, 305, 306; ferner: Seibert, S. 210 ff.; Erbguth, S. 62 ff. (75 ff.); Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 17; Erichsen/ Hörster, Jura 1997, 659, 659 f.; a. A. (für eine absolute äußere Wirksamkeit): Knoke, S. 74 f.; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 35, Rn. 17a; § 41, Rn. 2 und Rn. 40; Sachs, in: ebenda, § 43, Rn. 156 (s. aber: Rn. 155 f. und Rn. 169 f.). Die relative Wirksamkeit wird in der Begründung zu EVwVfG 73 zu § 39 Abs. 1 (= § 43 Abs. 1) (BT-Drs. 7/910, S. 63) bestätigt: „Die Wirksamkeit muß nicht notwendigerweise den Beteiligten gegenüber einheitlich eintreten; (. . .)“. Dies stellt eine bewusste Abkehr von der vor In-Kraft-Treten des VwVfG herrschenden Meinung dar, die eine absolute Wirksamkeit befürwortete, s. dazu: Seibert, S. 211 f.; Erbguth; S. 64; Knoke, S. 78 (dort: Fn. 45); Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 170; wie die vor In-Kraft-Treten des VwVfG herrschende Meinung heute noch: Ule/Laubinger, § 56, Rn. 6. Praktische Relevanz erlangt die relative Wirkung der (äußeren) Wirksamkeit in den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, so im Falle eines an mehrere Adressaten gerichteten, als „Sammelverfügung“ bezeichneten Verwaltungsaktes (Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 45, Rn. 77), der ein „Bündel von einzelnen Verwaltungsakten“ darstellt (Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 51), wie etwa der Flurbereinigungsplan (BGHZ 98, 85, 89), oder im Falle eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung, d.h. eines Verwaltungsaktes, der Rechtswirkungen nicht nur gegenüber einem Adressaten, sondern auch gegenüber einem Nichtadressaten entfaltet (Maurer, § 9, Rn. 50; nicht selten auch als „Verwaltungsakt mit Doppelwirkung“ bezeichnet, vgl. dazu, zugleich kritisch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 12 f.). Aus rechtsstaatlichen Gründen tritt die äußere Wirksamkeit individuell gegenüber jedem Betroffenen jeweils nur dann und erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem er ihm bekanntgegeben worden ist (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 156 und Rn. 169 f; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 17; in diesem Sinne: BVerwG, NJW 1981, 1000; BVerwG, NVwZ-RR 1994, 305, 306; OVG NW, NVwZ 1992, 991; ferner: Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 1 und Rn. 18; § 43, Rn. 5, Rn. 34 und Rn. 38; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 9 und Rn. 13; Detterbeck, Rn. 559; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Maurer, § 9, Rn. 65), es sei denn, eine vorrangig anwendbare Spezialbestimmung sieht etwas anderes vor (dazu: Kopp/ Ramsauer, § 43, Rn. 34). Nach Ansicht des BVerwG (NVwZ 1992, 565, 566) setzt die Notwendigkeit der Bekanntgabe an mehrere Adressaten (hier: Ehegatten) allerdings nicht voraus, dass jeder eine eigene Ausfertigung bekommt; es genügt viel-

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1. Teil: Aufhebungsverbote

wirksamen –216 Bekanntgabe an einen Adressaten oder ggfls. einen betroffenen Dritten.217 Der Begriff der „Bekanntgabe“ ist zwar in der Überschrift des § 41 VwVfG enthalten, wird aber in den fünf Absätzen der Vorschrift nicht selbst definiert, sondern vorausgesetzt.218 Da der Verwaltungsakt – mit mehr, wenn einer von ihnen Kenntnis erlangt, sei es auch durch die Ausfertigung an den anderen Adressaten. Das Erfordernis einer individuellen Bekanntgabe schließt indes nicht das Recht eines Betroffenen, dem der Verwaltungsakt noch nicht bekanntgegeben wurde, aus, einen Verwaltungsakt mittels förmlichen Rechtsbehelfs anzufechten, soweit er ihn belastet; diese Möglichkeit besteht, sobald der Verwaltungsakt gegenüber einem Betroffenen äußere Wirksamkeit erlangt hat (Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 13; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660). Aufgrund der relativen Wirkung ist es daher möglich, dass die äußere Wirksamkeit gegenüber einzelnen Betroffenen zu verschiedenen Zeitpunkten oder im Falle einer unterbliebenen oder unwirksamen Bekanntgabe gegenüber einem Einzelnen überhaupt nicht eintritt (BVerwG, NVwZ-RR 1994, 305, 306; BVerwG, NJW 1981, 1000; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 170); dann liegt diesem gegenüber kein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG vor (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 28; Kopp/Ramsauer, Rn. 43, Rn. 25). Häufige Bezeichnung in diesem Fall: „Nicht-Akt“, „Nicht-Verwaltungsakt“ oder „Nullum“, vgl.: Detterbeck, Rn. 537 und Rn. 551; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 664 (dort: Fn. 73); kritisch dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 41, Rn. 28. 215 Ausnahme: gesetzlich geregelte Abweichungen, die insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nur ganz ausnahmsweise denkbar sein sollen (dazu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 165a mit Beispielen). 216 VG Stuttgart, VBlBW 1989, 272; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 165; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 108b; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 14; Pietzner/Ronellenfitsch, § 33, Rn. 9; i. E. auch: Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 27; in diesem Sinne wohl auch: OVG LSA, DVBl. 2000, 283, 284; anders (Rechtmäßigkeit verlangend): Peine, Rn. 178; Henneke, in: Knack, § 41, Rn. 30; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 665. Bekanntgabemängel können in direkter oder entsprechender Anwendung des § 8 Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes (BVwZG) vom 12. August 2005 (BGBl. I 2005, 2354) mit Wirkung ex nunc geheilt werden, wenn der Empfänger den Verwaltungsakt erhalten hat (dazu in Bezug auf § 9 BVwZG a. F.: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 167; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 664 f.). 217 Vgl. auch die Begründung des EVwVfG 73 zu § 39 (= § 43) (BT-Drs. 7/910, S. 63): „Die Bestimmung regelt in Abs. 1 das rechtliche Existentwerden (. . .).“; ferner: OVG NW, NVwZ 1992, 991 (bzgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG NW); OVG LSA, DVBl. 2000, 283, 284 (bzgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG LSA); weiter: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 2; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 40; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 32; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Knoke, S. 72; Huxholl, S. 46 f.; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 2; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659; a. A.: Weides, S. 46 (geregelt werde die innere Wirksamkeit). 218 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 2 und Rn. 4; Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 6; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660.

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Ausnahme eines sog. „adressatenlosen Verwaltungsaktes“ –219 eine empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt,220 wird die Bekanntgabe – unter Rückgriff auf die zu § 130 BGB221 entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze über das Wirksamwerden privatrechtlicher Willenserklärungen – nach wohl allgemeiner Ansicht in Judikatur222 und Literatur223 als die amtliche Eröffnung224 des Verwaltungsaktes an einen Betroffenen verstanden. Der sog. „Bekanntgabewille“225 muss demnach umfassen, ob, wie, wann und – dies ist allerdings streitig –226 an wen der Verwaltungsakt bekanntgegeben werden soll.227 Entsprechend § 130 BGB ist der Verwaltungsakt zugegangen, wenn er derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.228 § 41 VwVfG regelt lediglich einzelne Aspekte der formellen Voraussetzungen der Bekanntgabe, vgl.: Hubert Meyer, in: Knack, § 41, Rn. 2; Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 1. 219 Dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 78. 220 Maurer, § 9, Rn. 69; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660. Speziell in Bezug auf die Qualifizierung eines Verwaltungsaktes als hoheitliche Willenserklärung: Kopp/Ramsauer, § 35, Rn. 4; Kluth, NVwZ 1990, 608. 221 Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (RGBl., S. 195 mit Änderungen) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I, S. 42 mit Änderungen). 222 Z. B.: BVerwGE 17, 148, 153; 22, 14, 15; 29, 321, 323; 104, 301, 314; BFH, NVwZ-RR 1991, 660, 661; BayVGH, BayVBl. 1998, 563, 565; VG Stuttgart, VBlBW 1989, 272, 273. 223 Z. B.: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 4c; Detterbeck, Rn. 552; Henneke, in: Knack, § 41, Rn. 5; Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 6; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 31; Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 70, Rn. 17; Gröpl, JA 1995, 904, 905; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660. Dies entspricht übrigens auch der bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG herrschenden Meinung (dazu: Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 6; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660 [dort: Fn. 16]). 224 D.h. die mit Wissen und Wollen eines für den zuständigen Entscheidungsträger handelnden Amtsträgers erfolgende Mitteilung in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen. 225 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 4c; Erichsen/ Hörster, Jura 1997, 659, 660. 226 Vgl.: Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660 (dort: Fn. 18). 227 OVG NW, NJW 1989, 120, 121; ferner: Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660. 228 BVerwG, Buchholz 316, § 43 VwVfG Nr. 2; BFHE 190, 292, 297 (bzgl. § 122 Abs. 2 AO 1977); ferner: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 14; Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 7b; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 21; Kluth, NVwZ 1990, 608, 612; Gröpl, JA 1995, 904, 905; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 661. Tatsächliche Kenntnisnahme ist also nicht erforderlich (BFHE

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Die Bekanntgabe als maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der äußeren Wirksamkeit ist – soweit ersichtlich – sowohl in der Judikatur229 als auch in der Literatur230 wohl weitestgehend anerkannt. Dies entspricht im Übrigen auch der bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG bestehenden Rechtslage231 und wird als dem rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit und Klarheit sowie der Publikationspflicht hoheitlicher Maßnahmen, die Rechtswirkungen gegenüber einem Bürger entfalten, entsprechend angesehen.232 Die Bekanntgabe schließt das auf Erlass des Verwaltungsaktes gerichtete Verwaltungsverfahren nach § 9 VwVfG ab.233 Das bisherige Verwaltungsinternum erlangt mit der Bekanntgabe die für das Vorliegen eines Verwal190, 292, 297; ferner: Battis, S. 160; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 21; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660). Eine wirksame Bekanntgabe liegt auch im Falle ihrer treuwidrigen Vereitelung vor (dazu: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 36; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660). Zur Form der Bekanntgabe s. z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 26; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660 f. 229 BVerwGE 13, 1, 7; 55, 212, 214 f.; 57, 69, 70; 88, 278, 281 (vor der Bekanntgabe werde von dem Betroffenen nicht verlangt, den Verwaltungsakt als gültig zu behandeln); BVerwG, NVwZ 1990, 774; BVerwG, NVwZ-RR 1994, 305, 306; BGH, NJW 1998, 3055, 3056; VGH BW, NVwZ 1991, 1195, 1996 (bzgl. § 43 VwVfG BW); OVG NW, NVwZ 1992, 991 (bzgl. § 43 VwVfG NW); OVG NW, NVwZ-RR 2000, 490, 492 (bzgl. § 43 VwVfG NW); BayVGH, BayVBl. 2000, 149, 150 (bzgl. Art. 43 VwVfG BayVwVfG). 230 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 156 (s. auch Fn. 426); Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 6; Peine, Rn. 172 f.; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 2; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 117; Erbguth, S. 50 ff. (60); Knoke, S. 72; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659. I. E. auch der Teil der Literatur, der die rechtliche Existenz des Verwaltungsaktes als selbständige Voraussetzung behandelt und als deren Beginn den (zeitlich ersten) Eintritt der äußeren Wirksamkeit betrachtet: Maurer, § 9, Rn. 66 (fordert allerdings die Bekanntgabe an einen Hauptbeteiligten); P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 35, Rn. 17a und § 41, Rn. 1 und Rn. 40; Detterbeck, Rn. 537; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 2 und 6; Gröpl, JA 1995, 904, 906. A. A. aber: Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 (1999), 49, 57 ff. (seiner Ansicht nach beginnt die rechtliche Existenz mit dem Erlass des Verwaltungsaktes nach § 9 VwVfG, den er im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung sieht); ebenso: Erfmeyer, DÖV 1999, 719, 724 f.; dagegen aber Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 5 f. 231 Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659. 232 Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659; ähnlich: Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 2; Erbguth, S. 60; vgl. auch die Begründung zu EVwVfG 73 zu § 39 (= § 43) (BTDrs./910, S. 63), die allgemein auf rechtsstaatliche Gründe hinweist. 233 OVG NW, NVwZ-RR 2000, 490, 492; ferner: P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 9, Rn. 182; Battis, S. 158; Maurer, § 9, Rn. 64; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 3; Peine, Rn. 172; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659; a. A.: Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 (1999), 49, 60 (der Erlass des Verwaltungsaktes entspreche der Abgabe, die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes dem Zugang einer Willenserklärung).

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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tungsaktes nach § 35 S. 1 VwVfG erforderliche Rechtserheblichkeit im Außenverhältnis.234 Die Bekanntgabe ist damit Existenzvoraussetzung eines Verwaltungsaktes nach § 35 S. 1 VwVfG.235 § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG knüpft mit der Bekanntgabepflicht an § 41 VwVfG an. Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG ist der Verwaltungsakt bestimmten Beteiligten im Sinne des § 13 VwVfG individuell bekanntzugeben.236 Zu diesem Kreis gehört neben einem (materiellen)237 Adressaten auch ein verfahrensbeteiligter betroffener Dritter.238 Die Entscheidung über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes gegenüber einem anderen als einem verfahrensbeteiligten betroffenen Dritten steht dagegen im pflichtgemäßen Ermessen des erlassenden Entscheidungsträgers (vgl. § 10 S. 2 VwVfG).239 Dessen ungeachtet bleibt auch in diesem Falle die Bekanntgabe aber Existenzvoraussetzung eines Verwaltungsaktes. 234 OVG NW, NVwZ 1992, 991; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 3; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 17a; Kopp/Ramsauer, § 41, Rn. 1 und Rn. 17 sowie § 43, Rn. 4 und Rn. 34; Peine, Rn. 173; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2 § 48, Rn. 2; Seibert, S. 206; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659. Vor der Bekanntgabe liegt lediglich eine „verfahrensrechtliche Willenserklärung“ (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 35, Rn. 31) bzw. ein „Verwaltungsakt als Vorgang“ (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 17a, Rn. 24a und Rn. 31) vor. Der verfahrensrechtliche Aspekt (Verwaltungsakt als Verfahrensakt) kommt in dem Definitionsmerkmal „Maßnahme“ (§ 35 S. 1 VwVfG) zum Ausdruck (vgl. dazu: Erbguth, S. 43; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 41 und Rn. 78). Der Verwaltungsakt als Vorgang entsteht mit seiner Abgabe, d.h. seiner Entäußerung (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 17b). Vor der Bekanntgabe liegt daher nicht bloß ein Nicht- oder Scheinakt, der überhaupt kein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG ist (Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 49), vor (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 17a). 235 Vgl. die Begründung zu EVwVfG 73 zu § 37 Abs. 1 (= § 41 Abs. 1) (BTDrs. 7/910, S. 62): „Der Verwaltungsakt ist (. . .) erst dann ergangen, wenn der Adressat die Möglichkeit hat, von ihm Kenntnis zu nehmen.“ Ferner: BVerwGE 13, 1, 6 f.; BGHZ 4, 10, 20 f.; BGH, VerwRspr. 6 (1954), 340, 342; VGH BW, NVwZ 1991, 1195, 1196; OVG NW, NVwZ 1992, 991; weiter: Henneke, in: Knack, § 41, Rn. 30; Maurer, § 9, Rn. 64; Skouris, VerwArch. 65 (1974), 264, 272 und 289; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660. 236 Im Falle einer Bevollmächtigung erfolgt die Bekanntgabe an diesen, vgl. § 41 Abs. 1 S. 2 VwVfG. Vor dem Hintergrund des § 14 Abs. 3 S. 1 VwVfG („soll“) stellt § 41 Abs. 1 S. 2 VwVfG („kann“) die Bekanntgabepflicht gegenüber einem Bevollmächtigten wohl nur scheinbar in das pflichtgemäße Ermessen des erlassenden Entscheidungsträgers (dazu: Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 661 f.). 237 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 35. s. auch bereits oben, I. 1. b). 238 Die Betroffenheit eines beteiligten Dritten bestimmt sich übrigens – wie bei einem Adressaten – nach den jeweiligen materiellen Rechtspositionen, s.: OVG NW, NVwZ 1992, 991; ferner: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 37; Gröpl, JA 1995, 904, 907. s. auch bereits oben, I. 1. b).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Im Ergebnis ist der in § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG und § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG jeweils genannte Personenkreis daher nicht zwingend kongruent; vielmehr erfasst § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG einen potentiell größeren Personenkreis, indem er – anders als § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG – auch die nicht verfahrensbeteiligten betroffenen Dritten erfasst.240 In Einklang mit der Begründung zu EVwVfG 73 zu § 39 Abs. 2 (= § 43 Abs. 2)241, nach der diese Bestimmung das rechtliche Existentbleiben des Verwaltungsaktes regelt, sieht die wohl überwiegende Auffassung242 das für die Bejahung eines bestandskraftfähigen Verwaltungsaktes notwendige Fortbestehen der äußeren Wirksamkeit – grundsätzlich –243 in § 43 Abs. 2 VwVfG geregelt (vgl. dessen Wortlaut „solange“). § 43 Abs. 2 VwVfG enthält fünf Tatbestände, die die vollständige oder teilweise244 Beendigung der äußeren Wirksamkeit bewirken. Sie lassen sich in zwei Fallgruppen aufteilen: Die zur ersten Fallgruppe gehörenden Varianten 1 bis 3 betreffen Tatbestände der ausdrücklichen Aufhebung eines Verwaltungsaktes, konkret: einer ausdrücklichen Aufhebung mittels Widerruf oder Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach den grundsätzlich einschlägigen Bestimmungen der §§ 48 ff. VwVfG sowie mittels anderweitiger ausdrücklicher Aufhebung, d.h. in erster Linie im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens durch Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid nach den §§ 72 f. VwGO oder im Rahmen eines aufhebungsrelevanten gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens

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P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 41, Rn. 38a. s. dazu auch: Kopp/Ramsauer, § 13, Rn. 9. 241 BT-Drs. 7/910, S. 63. 242 BVerwGE 105, 370, 373; 116, 1, 2; auch: E 59, 310, 315; wohl auch: BVerwG, NVwZ 1998, 729, 730; ferner: Seibert, S. 222; Knoke, S. 80; Peine, Rn. 106; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 2; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 31 ff.; Schwerdtfeger, Rn. 34 und Rn. 54; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39, 41 und 44; Ortloff, NJW 1987, 1665 (vgl. Überschrift „formelle Wirksamkeit“); grundsätzlich auch: Huxholl, S. 47 ff.; unproblematisch weiter diejenigen, die in § 43 VwVfG ohnehin nur die äußere Wirksamkeit geregelt sehen: Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 21 und Rn. 29 ff.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Battis, S. 163; auf die rechtlicher Existenz abstellend: Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 7. Anders (den Wegfall der äußeren Wirksamkeit auf die erste Fallgruppe des § 43 Abs. 2 VwVfG beschränkend): Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 40; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 2; Ruffert, BayVBl. 2003, 33, 34; weitergehend (den Wegfall der äußeren Wirksamkeit in beiden Fallgruppen des § 43 Abs. 2 VwVfG verneinend): Erbguth, S. 102 ff. (105 ff.); Maurer, § 10, Rn. 22 (wegen der Klarstellung in Rn. 20). 243 Ausnahme: vorrangig anwendbare Spezialbestimmungen (dazu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 180). 244 Vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG (vgl. Wortlaut „soweit“), vorausgesetzt der Verwaltungsakt ist teilbar; dazu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 181. 240

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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durch gerichtliche Entscheidung nach § 113 VwGO (hier z. B.: § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO245).246 Die zur zweiten Fallgruppe gehörenden Varianten 4 und 5 betreffen Tatbestände der Erledigung, unter der eine Wirksamkeitsbeendigung ohne vorausgehende Aufhebung zu verstehen ist247 und die eintritt, wenn der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung verliert, also keine Rechtswirkungen mehr entfaltet.248 § 43 Abs. 2 Var. 4 VwVfG nennt – exemplarisch –249 den Tatbestand des Zeitablaufs,250 während § 43 Abs. 2 Var. 5 VwVfG (Erledigung „auf andere Weise“) die Funktion eines Auffangtatbestandes zukommt.251 (bb) Die zweite Komponente des Wirksamkeitsbegriffs, die innere Wirksamkeit,252 meint die Entfaltung der in der Regelung eines Verwaltungs245 Hierzu und zu weiteren Beispielen s. nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 189 ff. 246 Einen Überblick über die Tatbestände der ersten Fallgruppe bieten: BVerwG, NVwZ 1990, 774; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 185 ff.; Stelkens, Rn. 472. 247 Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 35; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 2; Stelkens, Rn. 472. Ehlers (in: Liber Amicorum, S. 1, 7) nimmt Erledigung an, wenn der Regelungsadressat oder das Regelungsobjekt wegfällt. 248 VG Braunschweig, NJOZ 2005, 5037, 5040; VGH BW, NJW 1977, 861 (in Bezug auf § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, der ebenfalls von Erledigung spricht und mit dem Begriff in § 43 Abs. 2 VwVfG identisch ist [so die wohl herrschende Ansicht, statt vieler: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 191; Gröpl, JA 1995, 983, 986; einschränkend: Kopp/Schenke, § 113, Rn. 101; a. A.: Ruffert, BayVBl. 2003, 33, 35]); ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 191; Gröpl, JA 1995, 983, 986; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 26; anders: Kopp/Schenke, § 113, Rn. 102 (Erledigung sei gegeben, wenn eine Aufhebung des Verwaltungsaktes sinnlos ist). Ob Erledigung eintritt, bestimmt sich – vorbehaltlich vorrangig anwendbarer spezialgesetzlicher Regelungen – nach dem Inhalt des Verwaltungsaktes auf der Grundlage des einschlägigen materiellen Rechts (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 193). 249 Zum lediglich exemplarischen Charakter des Tatbestandes des Zeitablaufs: BVerwG, NVwZ 1998, 729, 730. 250 Beispiele hierfür: Eintritt einer auflösenden Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG bzw. vorrangig anwendbare Spezialvorschriften [dazu: Kopp/Ramsauer, § 36, Rn. 4a]) oder eine Befristung (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG bzw. vorrangig anwendbare Spezialvorschriften [dazu: Kopp/Ramsauer, ebenda]), vgl.: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 26; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 35; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 29. 251 BVerwG, NVwZ 1998, 729, 730; ferner: Gröpl, JA 1995, 983, 987. Beispiele bei: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 196 ff.; Gröpl, JA 1995, 983, 987; Ruffert, BayVBl. 2003, 33, 35 ff. (i. E. für eine engere Auslegung dieser Variante als bisher in der Judikatur vielfach angenommen). 252 In der Literatur gelegentlich verwendete synonyme Bezeichnung: „Geltung“ oder „Verbindlichkeit“: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 1; Hans Meyer, in:

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1. Teil: Aufhebungsverbote

aktes vorgesehenen Rechtswirkungen.253 Sie entspricht dem In-Kraft-Treten eines Gesetzes.254 Im Umkehrschluss zu § 43 Abs. 3 VwVfG besitzen sowohl ein rechtmäßiger255 als auch ein (schlicht) rechtswidriger256, mit der Fehlerfolge der Meyer/Borgs, § 43, Rn. 13; Battis, S. 162; Knoke, S. 100; Erbguth, S. 101; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; Erichsen/ Hörster, Jura 1997, 659. Den Terminus der Verbindlichkeit – richtigerweise – als Folge der inneren Wirksamkeit behandelnd: Detterbeck, Rn. 543 f.; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411; Maurer, § 11 Rn. 6; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 9; Domke, S. 55; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 7. Die Begriffe der inneren Wirksamkeit und der Verbindlichkeit stellen keine Synonyme dar: Innere Wirksamkeit bedeutet allein, dass der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes gilt. Erst die Geltung bewirkt dann eine Bindung an den Verwaltungsakt (Verbindlichkeit). In dem Terminus der Verbindlichkeit ist Bindung, nicht aber Geltung enthalten. Vgl. auch Francke, in: Dannhauser/Dörr, S. 9, 14 f.; zu den sprachlichen Nuancen auch: Seibert, S. 204, der die Begriffe dennoch i. E. als Synonyme betrachtet. Im folgenden wird der Begriff der Verbindlichkeit ausschließlich im bindungsbezogenen Sinne verwendet. 253 Soweit ersichtlich, allgemeine Ansicht in Judikatur und Literatur, z. B.: BVerwGE 57, 69, 70; OVG LSA, DVBl. 2000, 283, 284; ferner z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 157; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 6; Seibert, S. 204; Knoke, S. 73; Peine, Rn. 247; Huxholl, S. 46; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 6; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 119; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48 Rn. 3; Stelkens, Rn. 470; Maurer, § 9, Rn. 66; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 2; Gröpl, JA 1995, 904, 906; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659; Wilhelms, NJ 2005, 337, 338 und 343. Die innere Wirksamkeit als Voraussetzung für die formelle Bestandskraftfähigkeit eines Verwaltungsaktes besonders betonend: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 29; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666. Dies scheint weitestgehend anerkannt zu sein, zumal auch die materielle Bestandskraft, die das Bestehen formeller Bestandskraft voraussetzt, nur im Falle eines (auch) innere Wirksamkeit besitzenden Verwaltungsaktes eintritt [s. dazu im Einzelnen später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. I. 1. c)]. Anders (formelle Bestandskraft auch bei fehlender innerer Wirksamkeit) aber: Merten, NJW 1983, 1993, 1997 (dort: Fn. 42). Seiner Ansicht nach spricht zugunsten der formellen Bestandskraftfähigkeit auch eines nichtigen Verwaltungsaktes die Einordnung der Nichtigkeit (§ 44 VwVfG) unter die Überschrift „Bestandskraft von Verwaltungsakten“ (Teil III, Abschnitt 2 des VwVfG). 254 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 157. Von dem In-Kraft-Treten eines Verwaltungsaktes spricht auch das BVerwG in: E 13, 1, 7; 55, 212, 215. 255 Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er als Handlungsform zulässig ist sowie sämtliche formelle und materielle Voraussetzungen, die die Rechtsordnung an ihn stellt, erfüllt (Maurer, § 10, Rn. 2; ausführlich zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen im Einzelnen z. B.: ders., § 10, Rn. 5 ff.). Eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 42 VwVfG lässt die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes unberührt (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 42, Rn. 1; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 43; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 49, Rn. 70; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39 f.; a. A.: Maurer, § 10, Rn. 4). Diese besteht lediglich in einer Abweichung des mit dem Verwaltungsakt erklärten Willens von dem wahren Willen des erlassenden Entscheidungsträgers (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 42, Rn. 1; Hubert Meyer,

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Vernichtbarkeit (Anfechtbar- oder Aufhebbarkeit)257 behafteter Verwaltungsakt innere Wirksamkeit.258 Begründet wird die Wirksamkeit auch (schlicht) rechtswidriger Verwaltungsakte damit, dass in einem Rechtsstaat der Verwaltungsakt eine autoritative Entscheidung über die Anwendung des objektiven Rechts auf einen Einzelfall darstelle, auf deren Geltung aus Gründen der Rechtssicherheit so lange vertraut werden können solle, als der Verwaltungsakt lediglich potentiell rechtswidrig sei und sich nicht aufgrund einer Prüfung durch ein Gericht als rechtswidrig erwiesen habe.259 Die ältere Judikatur260 und die ältere Literatur261 sprachen in diesem Zusammenhang mitunter davon, der Verwaltungsakt trage die „Vermutung der Gültigkeit“ in sich.262 in: Knack, § 42, Rn. 3), die ohne weiteres erkennbar ist (BVerwGE 40, 212, 216) und daher gemäß § 42 S. 1 VwVfG jederzeit im Interesse der Rechtsklarheit und der Verfahrensökonomie (Kopp/Ramsauer, § 42, Rn. 1) von dem erlassenden Entscheidungsträger berichtigt werden kann bzw. – im Falle berechtigten Interesses – sogar muss (vgl. § 42 S. 2 VwVfG). 256 Ein Verwaltungsakt ist (schlicht) rechtswidrig, wenn er durch unrichtige Anwendung bestehender Rechtssätze zustandegekommen ist (BVerwGE 13, 28, 31; 31, 222, 223; 70, 356, 358; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 11; eine Legaldefinition der Rechtswidrigkeit ist in § 44 Abs. 1 SGB X enthalten), d.h. in dem für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 15; Wolff/Bachof/ Stober, Bd. 2, § 49, Rn. 57; Maurer, § 10, Rn. 3) gegen eine formelle und/oder materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verstößt (zu den möglichen Verstößen im Einzelnen s. nur: Peine, Rn. 213 ff.) und weder eine (nachträgliche) Heilung des Verstoßes nach § 45 VwVfG noch eine Umdeutung (Konversion) des rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen nach § 47 VwVfG in Betracht kommt. Unzweckmäßigkeit führt dagegen nicht zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (Battis, S. 163; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39). Synonymer Begriff für „rechtswidrig“: „fehlerhaft“, vgl.: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 44, Rn. 11; Maurer, § 10, Rn. 2; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 49, Rn. 46 f.; auch: Detterbeck, Rn. 556; anders dagegen: Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 35. 257 s. nur: Maurer, § 10, Rn. 25. 258 In Bezug auf die innere Wirksamkeit eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes: BVerwGE 105, 370, 372 (im Kontext des § 39 Abs. 1, Abs. 2 SGB X); ferner: Ule/ Laubinger, § 56, Rn. 2. In Bezug auf die innere Wirksamkeit eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes: BVerwGE 105, 370, 372; auch: BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 168 und Rn. 207; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 2; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 15, Rn. 23 und Rn. 27; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 9. 259 BVerwGE 116, 1, 4; ferner: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 5; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39, 40; ähnlich: Battis, S. 164; auf die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens abstellend: Peine, Rn. 223. 260 BVerwGE 1, 67, 69; 23, 237, 238; s. aber auch: BVerwG, NVwZ 2000, 1039, 1040. 261 Forsthoff, S. 224; dazu auch: Krause, S. 155 f.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

§ 43 Abs. 3 VwVfG stellt allerdings klar,263 dass der nichtige Verwaltungsakt unwirksam ist.264 Wohl überwiegend wird angenommen, dass der nichtige Verwaltungsakt zwar äußere Wirksamkeit besitzt;265 ihm fehlt jedoch seine innere Wirksamkeit, d.h. er entfaltet – von Anfang an –266 keine Rechtswirkungen.267 262 Diese Formulierung ablehnend: Krause, S. 156; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 5 (s. aber: dies., Bd. 1, § 30, Rn. 2). 263 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 207. 264 Die Begriffe „Nichtigkeit“ und „Unwirksamkeit“ werden nach weit überwiegender Ansicht synonym verwendet: BFH, NVwZ 1994, 98 (Ls. 1); ferner: Maurer, § 10, Rn. 20 und Rn. 25 sowie § 11, Rn. 16; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 3 sowie § 49, Rn. 5; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 3, Rn. 18 und Rn. 30; Battis, S. 164; J. Ipsen, Rn. 682; Weides, S. 46; Blanke, S. 154; Seibert, S. 207 f. (im zivilrechtlichen Kontext); Skouris, VerwArch. 65 (1974), 264, 275 f.; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2982; Kokott, DVBl. 1993, 1235, 1237; a. A.: Knoke, S. 80 (ausdrücklich gegen einen identischen Begriffsinhalt); ferner (Unwirksamkeit als Rechtsfolge der Nichtigkeit ansehend): Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 30; Detterbeck, Rn. 620; wohl auch: Ule/Laubinger, § 56, Rn. 30 („daher“); Erichsen, in: Erichsen/ Ehlers, § 15, Rn. 27 („damit“); Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 1 („damit“). 265 So z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 160 und Rn. 207; Huxholl, S. 47; Erbguth, S. 83 ff. (92); Knoke, S. 80 f.; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 28; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 123; Seibert, S. 207; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 3; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 4; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 1 und Rn. 9 (ohne ausdrückliche Differenzierung zwischen äußerer und innerer Wirksamkeit); Forsthoff, S. 227; Weides, S. 47; Krebs, VerwArch. 68 (1977), 285, 288 f.; Randak, JuS 1992, 33, 36; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 39, 41; a. A. aber: OLG Oldenburg, NVwZ 1992, 607; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 54, Rn. 3 und Rn. 40; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 20 (geht davon aus, dass § 43 VwVfG nur die äußere Wirksamkeit regelt); Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 47 (s. aber: Rn. 49 sowie § 44, Rn. 2 – unter Zugrundelegung der Kommentierung in § 43, Rn. 4 ff.); Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; wohl auch: VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60. Es liegt kein „Nicht-“ oder „Scheinverwaltungsakt“ vor, vgl.: Kopp/ Ramsauer, § 43, Rn. 49 sowie § 44, Rn. 3; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 1 und Rn. 9; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 3; Seibert, S. 207; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 40; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 33. 266 Maurer, § 10, Rn. 25 und Rn. 35; Weides, S. 47; Hubert Meyer, in: Knack, § 44, Rn. 7; Gröpl, JA 1995, 904, 907; für den Regelfall ebenso: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 47; anders (für eine auch nachträglich eintretende Nichtigkeit): Battis, S. 166. Zum Hintergrund des Verzichts der Aufnahme der (klarstellenden) Formulierung „von Anfang an“ in den Gesetzestext, vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 208. Von der dauerhaften Unwirksamkeit ist die nur vorübergehende sog. „schwebende Unwirksamkeit“ zu unterscheiden. Ob eine solche schwebende Unwirksamkeit anzuerkennen ist, wird im Kontext sog. „mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakte“, d.h. Verwaltungsakte, deren Erlass von einer Mitwirkung des Bürgers, die verfahrensoder materiell-rechtlicher Natur sein kann, abhängig ist (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 153), diskutiert. Zu den mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten gehören u. a. die sog. „zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakte“, d. h. Verwaltungsakte, die nur erlassen werden

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Die Nichtigkeit stellt im Verhältnis zur Vernichtbarkeit die gesteigerte Fehlerfolge dar.268 Sie bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung269 und liegt nur ausnahmsweise vor,270 wird dann allerdings als gerechtfertigt angesehen, weil einem Rechtsakt auch die vorläufige Anerkennung zu versagen sei, wenn Art und Schwere des Rechtsfehlers ein solches Ausmaß erreichten, dass die Pflicht zur Befolgung des Verwaltungsaktes unverständlich werde.271 Vorbehaltlich vorrangig anwendbarer Spezialvorschriften272 ist die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes in § 44 VwVfG geregelt. § 44 Abs. 1 und Abs. 2 VwVfG, die u. a. der Wahrung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit dürfen, wenn der Betroffene seine Zustimmung zum Erlass des Verwaltungsaktes erklärt hat, wobei die Zustimmung, die eine materiell-rechtliche Mitwirkungshandlung darstellt (P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 154), in der Regel bereits durch den Antrag auf Erlass des Verwaltungsaktes erteilt wird (Maurer, § 14, Rn. 19 [dort auch zum Zweck des Zustimmungserfordernisses]). Beispiel: die Beamtenernennung. Wird ein zustimmungsbedürftiger Verwaltungsakt ohne die erforderliche Zustimmung erlassen, kommt bis zu ihrer Nachholung, die eine nachträgliche Heilung des Fehlers entsprechend § 184 BGB darstellt, schwebende Unwirksamkeit des zustimmungsbedürftigen Verwaltungsaktes in Betracht. Ob diese zulässig ist, ist umstritten: für ihre Zulässigkeit: BVerwGE 11, 195, 197 f.; 20, 35, 37 f.; ferner: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 46, Rn. 34; Ule/Laubinger, § 48, Rn. 21 (s. aber: § 57, Rn. 13); Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 44, Rn. 12; gegen ihre Zulässigkeit: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 37; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 7; zugunsten einer differenzierenden Beurteilung der Zulässigkeit: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 173 f.; auch: Peine, Rn. 248 (nach ihrer Ansicht soll die Zulässigkeit einer schwebenden Unwirksamkeit davon abhängen, ob das einschlägige Fachrecht die Zustimmung als Wirksamkeits- oder lediglich als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung vorsieht. Eine schwebende Unwirksamkeit soll nur dann zulässig sein, wenn die Zustimmung als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung konzipiert ist). 267 Soweit ersichtlich, dürfte dies allgemein anerkannt sein, z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 160 und Rn. 207; Knoke, S. 81; Huxholl, S. 47; Seibert, S. 207; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 40; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 27; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 3; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 4 i. V. m. 9; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 1 und Rn. 9 (ohne ausdrückliche Differenzierung zwischen äußerer und innerer Wirksamkeit); Maurer, § 10, Rn. 20; Weides, S. 47. 268 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 2; vgl. auch: Maurer, § 10, Rn. 25; Peine, Rn. 222. Schnapp (ders., DVBl. 2000, 247, 249) und – ihm folgend – Hubert Meyer (ders., in: Knack, § 44, Rn. 7) sehen die Nichtigkeit zugleich als Kennzeichnung eines besonders hohen Grades an Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsaktes an; wohl auch: Detterbeck, Rn. 567. Das BVerwG (VerwRspr. 25 [1974], 534, 541) sieht in der Unwirksamkeit „nur ein(en) qualifizierte(n) Fall der Rechtswidrigkeit“. 269 Battis, S. 164 und S. 165. 270 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 2; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 15, Rn. 23 und Rn. 27; auch: Neumann, NVwZ 2000, 1244, 1250. 271 Peine, Rn. 223. 272 Zu vorrangig anwendbaren Spezialbestimmungen nur: Battis, S. 165.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

der Verwaltung dienen,273 enthalten die die Fehlerfolge der Nichtigkeit bewirkenden Gründe: Nach der Generalklausel des Abs. 1274 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit275 er an einem besonders schweren Fehler leidet, d.h. an einem Fehler, der in einem so schwerwiegenden Widerspruch zu der geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrundeliegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft steht, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit ihm intendierten Rechtswirkungen entfalten würde,276 und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich, d.h. dem Verwaltungsakt „auf der Stirn“ geschrieben277 ist. § 44 Abs. 2 VwVfG enthält eine – abschließende –278 Aufzählung von Nichtigkeitsgründen, die ausweislich seines Wortlauts ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatz 1, daher insbesondere auch bei fehlender Offensichtlichkeit des Fehlers,279 zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen und – nach wohl herrschender Ansicht in der Literatur –280 im Verhältnis zu der Generalklausel des Abs. 1 spezielle Nichtigkeitstatbestände darstellen. § 44 Abs. 3 VwVfG enthält demgegenüber eine – nicht abschließende –281 Aufzählung von Verfahrensverstößen, die als solche nicht zur Nich273

Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 1. § 44 Abs. 1 VwVfG knüpft an die vor In-Kraft-Treten des VwVfG herrschende sog. „Evidenztheorie“ an, nach der nur ein besonders schwerer Form- oder Inhaltsfehler, der mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar ist und überdies für den Bürger offensichtlich sein muss, zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führt (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 99; Peine, Rn. 228). Nach Maurer (ders., § 10, Rn. 31) soll § 44 Abs. 1 VwVfG eine Legaldefinition des Begriffs der „Nichtigkeit“ beinhalten. 275 Die Zulässigkeit der Teilnichtigkeit entspricht einem Anliegen, das für das gesamte Recht relevant ist, s. z. B.: § 139 BGB; § 78 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) vom 11. August 1993 (BGBl. I 1993, 1473 mit Änderungen); Teilnichtigkeit eines Verwaltungsaktes stellt die Regel dar, Gesamtnichtigkeit dagegen die Ausnahme (vgl. § 44 Abs. 4 VwVfG), vorausgesetzt, der Verwaltungsakt ist teilbar (zum Ganzen: Peine, Rn. 232). 276 Maßgeblich sind insoweit der Verstoß gegen die der Rechtsordnung insgesamt oder in bestimmter Hinsicht zugrundeliegenden und diese tragenden Zweck- und Wertvorstellungen. Vgl. zum Ganzen: BVerwG, NVwZ 2000, 1039, 1040; FG Hamburg, Entscheidung vom 5. November 2003, Az.: IV 227/00 (juris). 277 Stern, Rn. 536. 278 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 124; Peine, Rn. 226. 279 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 124; Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 31. 280 Peine, Rn. 225; Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 7; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 44, Rn. 2; Hubert Meyer, in: Knack, § 44, Rn. 10; Maurer, § 10, Rn. 32; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 15, Rn. 26; a. A.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 96 ff. (Abs. 1 und Abs. 2 enthielten voneinander unabhängige Nichtigkeitsgründe; im Falle einer Überschneidung sei die Begründung der Nichtigkeit über Abs. 2 leichter als über Abs. 1, ohne dass jedoch dessen Anwendbarkeit ausgeschlossen sei). 274

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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tigkeit des Verwaltungsaktes führen, auch wenn der Verstoß als schwer und offenkundig einzustufen ist.282 Er stellt im Verhältnis zu der Generalklausel des Abs. 1 eine Ausnahmevorschrift dar,283 ohne dadurch indes die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes aufgrund (zusätzlicher) Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 VwVfG auszuschließen.284 Vorausgesetzt, ein Verwaltungsakt besitzt äußere Wirksamkeit, tritt seine (relative)285 innere Wirksamkeit grundsätzlich gleichzeitig mit der äußeren Wirksamkeit ein,286 es sei denn, der Beginn der äußeren und der der inneren Wirksamkeit fallen auseinander, indem der Eintritt der inneren Wirksamkeit auf einen Zeitpunkt vor oder nach Beginn der äußeren Wirksamkeit gelegt wird.287 Im Hinblick auf das Erfordernis eines Verwaltungsaktes, der 281

Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 51. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 153; Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 51; Hubert Meyer, in: Knack, § 44, Rn. 10. 283 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 98; Peine, Rn. 225 und Rn. 231; a. A. (im Sinne eines lex specialis): Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 15, Rn. 26; Maurer, § 10, Rn. 32. 284 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44, Rn. 153; Kopp/Ramsauer, § 44, Rn. 51. 285 Vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG. 286 Zum grundsätzlich gleichzeitigen Eintritt der äußeren und inneren Wirksamkeit: BVerwGE 13, 1, 7; 55, 212, 215; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 161; Peine, Rn. 247; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 11; Battis, S. 162; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 14; Knoke, S. 77; a. A.: Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 (1999), 49, 63 (stets gleichzeitig). Nach Ansicht des BVerfG (E 84, 133, 159) stellt dies eine allgemeine Verfahrensregel dar, folgt aus den Prinzipien der Rechtssicherheit sowie des Vertrauensschutzes und ist in den §§ 41, 43 VwVfG einfachgesetzlich festgelegt. Den Vorbehalt des Bestehens äußerer Wirksamkeit betonend: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 6; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 6; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 164; Knoke, S. 73. Die innere Wirksamkeit kann daher niemals dem Beginn der äußeren Wirksamkeit zeitlich vorausgehen (Knoke, S. 77). 287 Zur Möglichkeit des Auseinanderfallens von äußerer und innerer Wirksamkeit z. B.: BVerwGE, 13, 1, 7; 55, 212, 215; 88, 278, 281; ferner: Maurer, § 9, Rn. 66; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 6; Hubert Meyer, Knack, § 43, Rn. 11; Seibert, S. 208 und S. 218; Stelkens, Rn. 470; Knoke, S. 77; Battis, S. 162. Im Falle der Vorverlegung des Eintritts der inneren Wirksamkeit handelt es sich um eine sog. Rückwirkung, die nur im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen für zulässig erachtet wird (Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 46) und stets einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf (BVerwGE, 13, 1, 7; 55, 212, 215). Das zeitliche Hinausschieben des Eintritts der inneren Wirksamkeit wird insbesondere in den Fällen einer dem Verwaltungsakt beigefügten aufschiebenden Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG bzw. vorrangig anwendbare Spezialbestimmung) oder einer Befristung (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG bzw. vorrangig anwendbare Spezialbestimmung [dazu: Kopp/Ramsauer, § 36, Rn. 4 f.]) relevant. Verschiedentlich wird in der Literatur (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 158 f.; Erbguth, S. 93 ff.; Randak, JuS 1992, 33, 36 f.; Schmidt-De Caluwe, VerwArch. 90 [1999], 49, 63; Francke, in: Dannhauser/Dörr, S. 9, 13 f.; wohl auch 282

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1. Teil: Aufhebungsverbote

formellen Bestandskraft fähig zu sein, bedeutet die Möglichkeit des Auseinanderfallens des Beginns der äußeren Wirksamkeit und des der inneren Wirksamkeit, dass ein Verwaltungsakt, um der formellen Bestandskraft fähig zu sein, nicht notwendigerweise tatsächlich bereits innere Wirksamkeit besitzen muss, sondern dass ein Verwaltungsakt bereits dann der formellen Bestandskraft fähig ist, sofern er die Fähigkeit zu seiner inneren Wirksamkeit besitzt. Der Verwaltungsakt behält seine innere Wirksamkeit, solange nicht einer der in § 43 Abs. 2 VwVfG genannten Wirksamkeitsbeendigungstatbestände vorliegt. Wohl unstreitig bewirkt das Vorliegen einer dieser Tatbestände im Ergebnis den Wegfall der inneren Wirksamkeit.288 Nicht berührt wird die Fortdauer der inneren Wirksamkeit dagegen durch die Einlegung eines Widerspruchs, einer Anfechtungsklage oder einer Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage, da der ihnen – grundsätzlich –289 nach § 80 Abs. 1 VwGO zukommende Suspensiveffekt auf der Grundlage der – namentlich in der Judikatur290 vertretenen – sog. „Vollziehbarkeitstheorie“, die Zustimmung in der Literatur gefunden hat,291 lediglich eine Hemmung der Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes bewirkt.292 Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 11 f.) gerade in diesen Fällen ein Auseinanderfallen des Eintritts der äußeren und der inneren Wirksamkeit verneint, da es sich insoweit lediglich um eine Frage der Anwendbarkeit der in dem Verwaltungsakt getroffenen Regelung handele. Es gehe daher nicht um den Eintritt der inneren Wirksamkeit dieser Regelung, sondern um ihren Inhalt (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2 VwVfG). Äußere und innere Wirksamkeit träten demgemäss in diesen Fällen gleichzeitig ein, wobei im Falle der Rückwirkung die in dem Verwaltungsakt getroffene Entscheidung ab Bekanntgabe auch auf vergangene Sachverhalte anzuwenden sei und in den Fällen einer aufschiebenden Bedingung oder einer Befristung diese als Nebenbestimmungen von Anfang an Bestandteil der mit dieser Maßgabe innerlich wirksamen Regelung seien. 288 Streitig ist lediglich die Art und Weise des Wegfalls: entweder infolge Fortfalls der äußeren Wirksamkeit (so die wohl überwiegende Ansicht sowie die oben [Fn. 242] bereits erwähnte Gegenansicht, die den Wegfall der äußeren Wirksamkeit im Rahmen der ersten Fallgruppe des § 43 Abs. 2 VwVfG bejaht) oder infolge alleinigen Fortfalls der inneren Wirksamkeit bei fortbestehender äußerer Wirksamkeit (so die soeben genannte Gegenansicht im Hinblick auf die zweite Fallgruppe des § 43 Abs. 2 VwVfG sowie die weitere, oben [ebenda] erwähnte Gegenansicht, die für § 43 Abs. 2 VwVfG insgesamt lediglich den Wegfall der inneren Wirksamkeit annimmt). 289 Ausnahme: § 80 Abs. 2 VwGO. 290 Z. B.: BVerwGE, 13, 1, 5 ff.; 66, 218, 222; 99, 109, 112; BVerwG, DÖV 1973, 786; BGH, NJW 1993, 2232, 2233; VGH BW, NVwZ 1992, 700; OVG Bremen, NVwZ-RR 1993, 216, 217; OVG NW, NVwZ 1997, 1006, 1007. 291 Z. B.: Stern, Rn. 304; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 5 und Rn. 12; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 212; im Ansatz auch: Pietzner/Ronellenfitsch, § 53, Rn. 3.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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(b) Die formelle Bestandskraft tritt unabhängig vom Inhalt des Verwaltungsaktes, d.h. gleichgültig, ob dieser gestaltender, auch befehlender, oder feststellender Natur ist, ein.293 (2) Die formelle Bestandskraft eines (auch) belastenden Verwaltungsaktes wird durch den Ablauf einschlägiger Rechtsbehelfsfristen (a), durch die Erschöpfung des Rechtsweges (b), durch einen wirksamen Rechtsmittelverzicht (c) und durch die Verwirkung des verfahrensrechtlichen Anfechtungsrechtes (d) bewirkt:294, 295 (a) Die formelle Bestandskraft tritt zunächst mit dem Ablauf einschlägiger Rechtsbehelfsfristen ein.296 Die für den Widerspruch maßgebliche Frist ist in § 70 VwGO und die für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage maßgebliche Frist ist in § 74 VwGO geregelt. Beginnend mit dem Eintritt der äußeren Wirksamkeit des Verwaltungsaktes,297 betragen sie im Falle einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbeleh292 Anders dagegen die in der Literatur vertretene sog. „Wirksamkeitstheorie“, nach der der Suspensiveffekt die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes hemmt (Wolff/ Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 6; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 8; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 6) mit der Folge, dass der Verwaltungsakt erst nach dem Wegfall des Suspensiveffektes mit Wirkung ex nunc wirksam wird (Kopp/Schenke, § 80, Rn. 22), sowie die – als Variante der Wirksamkeitstheorie – vertretene sog. „eingeschränkte Wirksamkeitstheorie“, nach der die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes nur vorläufig gehemmt wird, so dass der Verwaltungsakt nach Wegfall des Suspensiveffektes mit Wirkung ex tunc wirksam wird (Kopp/Schenke, § 80, Rn. 22; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 10 f.; kritisch dazu allerdings: Pietzner/Ronellenfitsch, § 53, Rn. 2; offen, ob er der [eingeschränkten] Wirksamkeitstheorie folgt: Wilhelms, NJ 2005, 337, 338 und 343). Zur Geltung des § 80 VwGO auch im Falle der Versagungsgegenklage s. nur: Pietzner/Ronellenfitsch, § 52, Rn. 2. Zum Ende des Suspensiveffektes, vgl. § 80b Abs. 1 VwGO. 293 s. nur: BVerfGE 60, 253, 270. Zu den (möglichen) Inhalten eines Verwaltungsaktes allgemein z. B.: Maurer, § 9, Rn. 44 ff. 294 Einzelnachweise ab der übernächsten Fußnote. 295 Ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt wird dagegen bereits mit Eintritt seiner äußeren Wirksamkeit formell bestandskräftig (BGH, NJW 1998, 3055, 3056; ferner: Maurer, § 9, Rn. 39; Seibert, S. 140; Domke, S. 10; Peine, Rn. 249 und Rn. 321; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186). 296 BVerfGE 60, 253, 269 f.; BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 21; Seibert, S. 139; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 10; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 124; Maurer, § 11, Rn. 4; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 29; Domke, S. 10; Weides, S. 321; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; abweichend (unter Beschränkung der formellen Bestandskraft allein auf den Ablauf gerichtlicher Rechtsbehelfe): Achterberg, § 23, Rn. 37; Ammelburger, S. 6. 297 Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 7; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 33; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 118; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 660.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

rung einen Monat (vgl. § 70 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO bzw. § 74 VwGO in Verbindung mit § 58 Abs. 1 VwGO), andernfalls grundsätzlich ein Jahr ab Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Verwaltungsaktes (vgl. § 70 Abs. 2 VwGO bzw. § 74 VwGO in Verbindung mit § 58 Abs. 2 VwGO).298 Im Falle einer unterbliebenen wirksamen individuellen amtlichen Bekanntgabe ist in der Judikatur des BVerwG299 anerkannt, dass sich ein betroffener Dritter unter bestimmten Umständen trotz unterbliebener amtlicher Bekanntgabe so behandeln lassen muss, als sei ihm der Verwaltungsakt amtlich bekanntgegeben worden. Das BVerwG hat diesen Grundsatz ursprünglich für das Baugenehmigungsverfahren entwickelt300 und in Bezug auf einen Grundstückseigentümer, dem eine seinem unmittelbaren Grundstücksnachbarn erteilte Baugenehmigung nicht amtlich bekanntgegeben worden war und der (erst) zwei Jahre nach Fertigstellung des genehmigten Bauvorhabens hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, entschieden, dass ein unmittelbarer Grundstücksnachbar, der, obwohl ihm die Baugenehmigung nicht selbst amtlich bekanntgegeben wird, gleichwohl „auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, (. . .) sich in aller Regel nach Treu und Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen (muss), als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntnisnahme bekanntgegeben worden“301, da ihn diese Kenntniserlangung mit Rücksicht auf das besondere „nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis“302 nach Treu und Glauben in aller Regel „in gleicher Weise wie eine amtliche Bekanntmachung der Genehmigung zur Geltendmachung seiner Einwendungen in angemessener Frist veranlassen (muss)“303. Daher richte sich die Frist zur Einlegung des Widerspruchs für ihn „vom Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung an regelmäßig nach den Fristvorschriften der 298

Auf den Ausnahmefall der sog. „Emmott’schen Fristenhemmung“ (grundlegend: EuGH, Rs. C-208/90, Slg. 1991, I-4269, Rn. 23 [T. Emmott/Minister for Social Welfare and Attorney General]), der nicht verallgemeinerungsfähig ist (dies betonen: EuGH, Rs. C-188/95, Slg. 1997, I-6783, Rn. 51 [Fantask A/S e.a./Industrieministriet]; Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-4951, Rn. 46 [Edis Srl/Ministero delle Finanze]; vgl. auch: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-188/95, ebenda, Rn. 85 ff.; GA Colomer, in: SA in Rs. C-231/96, ebenda, Rn. 68 ff.), soll hier nicht näher eingegangen werden. 299 BVerwGE 44, 294, 298 ff. (300); 78, 85, 88 ff.; 104, 115, 118; BVerwG, NVwZ 1988, 730; BVerwG, NVwZ 1991, 1182; BVerwG, NVwZ 2001, 206; zustimmend: VGH Hessen, NJW 1981, 2315; OVG Hamburg, GewArch. 1992, 300, 301; differenzierend: Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 22; kritisch: Erichsen/Hörster, Jura 1997, 659, 665; ablehnend: Erbguth, S. 77 ff.; Hubert Meyer, in: Knack, § 41, Rn. 30. 300 Grundlegend: BVerwGE 44, 294, 298 ff. 301 BVerwGE 44, 294, 300. 302 BVerwGE 44, 294, 299. 303 BVerwGE 44, 294, 300.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

103

§§ 70 Abs. 1 und 58 Abs. 2 VwGO“304 (es läuft also die dort vorgesehene Jahresfrist). Der zuverlässigen Kenntnis stellt das BVerwG unter Hinweis auf Treu und Glauben regelmäßig den Fall gleich, dass der unmittelbare Grundstücksnachbar von der Erteilung der Baugenehmigung „zuverlässig hätte Kenntnis haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber (. . .) Gewissheit zu verschaffen“305. In späteren Entscheidungen hat das BVerwG diesen Grundsatz dann im Kontext des Baugenehmigungsverfahrens auf andere als die unmittelbaren Grundstücksnachbarn erstreckt;306 außerdem hat es ihn mittlerweile auch auf betroffene Dritte in einem anderen sachlichen Zusammenhang angewendet.307 (b) Die formelle Bestandskraft wird ferner durch die Erschöpfung des Rechtsweges bewirkt.308 Ob und – bejahendenfalls – unter welchen Voraussetzungen ein gerichtliches Verfahren in höherer Instanz weiterbetrieben werden kann, bestimmt sich im Einzelnen nach den §§ 124 ff. VwGO. (c) Formelle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes tritt außerdem durch Abgabe eines wirksamen Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverzichts ein.309 (d) Schließlich wird der Eintritt der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes durch Verwirkung des verfahrensrechtlichen Anfechtungsrechtes herbeigeführt.310 Das Rechtsinstitut der Verwirkung, das Ausfluss 304

BVerwGE 44, 294, 300. BVerwGE 44, 294, 300. 306 Grundlegend: BVerwGE 78, 85, 88 ff. In BVerwGE 44, 294, 301, war dies noch ausdrücklich offengelassen worden. 307 BVerwGE 104, 115, 118 (Klage gegen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von dem grundsätzlichen Verbot von Mehrstimmrechten nach § 12 Abs. 2 AktG [Aktiengesetz vom 6. September 1965, BGBl. I, S. 1089, mit Änderungen]). In BVerwGE 44, 294, 301, war die Anwendbarkeit des Grundsatzes noch ausdrücklich auf die „betreffenden Sonderfälle baurechtlicher Nachbarklagen“ beschränkt worden. 308 Seibert, S. 139 f.; Maurer, § 11, Rn. 4; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 29; auch: BVerwGE 70, 110, 111 (im Kontext des § 51 Abs. 1 Nr. 2 HessVwVfG); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 21; Weides, S. 321 f. 309 Zum Rechtsbehelfsverzicht: Pietzner/Ronellenfitsch, § 36, Rn. 1 f.; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 124 mit Fn. 260. Zum Rechtsmittelverzicht: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 21; Maurer, § 11, Rn. 4; Seibert, S. 139; Weides, S. 321. Zum Erfordernis der Wirksamkeit eines Verzichts und weiteren Voraussetzungen: Pietzner/Ronellenfitsch, § 36, Rn. 1 f.; Kopp/Schenke, § 74, Rn. 22, § 126, Rn. 6 sowie § 126, Rn. 2. 310 Dazu (wohl im Rahmen eines obiter dictum): BVerwGE 44, 294, 298 f. sowie 301 f.; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 21; Siegmund, in: Brandt/ Sachs, D Rn. 124. 305

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1. Teil: Aufhebungsverbote

des Grundsatzes von Treu und Glauben ist und einen Anwendungsfall des venire contra factum proprium darstellt,311 besagt, dass „ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen“312. Es kann die Ausübung eines verfahrensrechtlichen Rechts unzulässig machen.313 Auf der Grundlage der wohl herrschenden Ansicht in der Literatur314 ist zwischen dem Eintritt einer relativen und einer absoluten formellen Bestandskraft zu differenzieren, wobei diese Unterscheidung allein in den Fällen relevant wird, in denen ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt: Bedingt durch die in § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG festgelegte relative Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes soll in diesen Fällen zunächst lediglich eine relative, d.h. auf den jeweiligen Betroffenen beschränkte formelle Bestandskraft eintreten, die zur absoluten formellen Bestandskraft erstarkt, sobald der Verwaltungsakt allseitig unanfechtbar geworden ist. Explizit begründet wird diese Differenzierung nicht, auch nicht von ihren Vertretern. Allein Seibert315 gibt einen konkludenten Hinweis, indem er – eher beiläufig – einen Vergleich zwischen absoluter formeller Bestandskraft eines Verwaltungsaktes und formeller Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung zieht. Es ist daher davon auszugehen, dass die Differenzierung zwischen absoluter und relativer formeller Bestandskraft Folge der dogmatischen Anlehnung der formellen Bestandskraft an die formelle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen ist. Das Prozessrecht kennt ausschließlich die (absolute) formelle Rechtskraft, die eintritt, sobald eine gerichtliche Entscheidung allseitig unanfechtbar wird.316 Wie diese tritt die absolute formelle Bestandskraft erst im Zeitpunkt allseitiger Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ein. 311

BVerwG, NVwZ-RR 2004, 314. BVerwG, NVwR-RR 2004, 314. 313 BVerwGE 44, 294, 298 f. 314 Knoke, S. 92; Seibert, S. 140; Domke, S. 10 f.; Rohlfing, S. 150; Erichsen/ Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; Merten, NJW 1983, 1993, 1995; wohl auch: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 20; i. E. ebenso: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 183 (misst dem Begriff der formellen Bestandskraft ohnehin nur relative Bedeutung bei); gegen die Verwendung des Begriffs der „formellen Bestandskraft“ im Falle nicht allseitiger Unanfechtbarkeit (unter Hinweis auf das prozessrechtliche Vorbild der formellen Rechtskraft): Achterberg, § 23, Rn. 37; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 19. 315 Ders., S. 140 (dort: Fn. 41: „Auch im Prozessrecht tritt die materielle Rechtskraft erst mit allseitiger, d.h. absoluter Unanfechtbarkeit ein, [. . .]“). 316 Seibert, S. 140 (dort: Fn. 41); Maurer, § 11, Rn. 3; Kopp/Schenke, § 121, Rn. 2; Stern, Rn. 442; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 705, Rn. 1. 312

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Hinsichtlich der – in Abweichung von der ansonsten üblichen dogmatischen Anlehnung der formellen Bestandskraft an die formelle Rechtskraft erfolgenden – Anerkennung einer auch relativen formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes konstatiert die Literatur317 offensichtlich mit Blick auf die in § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG normierte relative Wirksamkeit lediglich, die Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes müsse – anders als bei einer gerichtlichen Entscheidung – gerade nicht für alle Betroffenen gleichzeitig eintreten. Für den – an dieser Stelle allein interessierenden – Eintritt der formellen Bestandskraft genügt bereits der Beginn der relativen formellen Bestandskraft.318 Der relativen formellen Bestandskraft entsprechend ist das gegenüber den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger und der Widerspruchsbehörde anerkannte Aufhebungsverbot als eine relative bestandsbezogene Bindungswirkung konzipiert. III. Fortbestand des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Die im Verhältnis zu der formellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des Aufhebungsverbotes hat nicht nur Auswirkungen auf seinen soeben behandelten Eintritt, sondern auch auf sein Fortbestehen. Die formelle Bestandskraft verschafft einem Verwaltungsakt im Interesse der Rechtssicherheit einen an sich auf Dauer angelegten, rechtlich gesicherten Bestand. Wie im Gemeinschaftsrecht sind jedoch auch im deutschen Recht Fälle anerkannt, in denen die formelle Bestandskraft aufgrund die Rechtssicherheit ausnahmsweise überwiegender anderer öffentlicher Interessen durchbrochen wird.319 Wie dort lassen sich diese Ausnahmefälle danach differenzieren, ob die formelle Bestandskraft des Verwaltungsaktes unmittelbar oder mittelbar, d.h. über die Beseitigung der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung durchbrochen wird. Die Fälle unmittelbarer Durchbrechung der formellen Bestandskraft lassen sich weiter danach unterscheiden, ob der zuständige (erlassende oder andere) Entscheidungsträger zur unmittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft des Verwaltungsakt verpflichtet oder grundsätzlich (lediglich) berechtigt ist. 317 Seibert, S. 140; Achterberg, § 23, Rn. 37; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; Randak, JuS 1992, 33, 34. 318 Die absolute formelle Bestandskraft ist demgegenüber ausschließlich für den Eintritt der materiellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes von Bedeutung, s. dazu später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. I. 1. c). 319 s. o., A. III.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Aufgrund der im Verhältnis zu der formellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät des gegenüber den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger und der Widerspruchsbehörde anerkannten Aufhebungsverbotes besteht dieses nur fort, solange es nicht infolge Fortfalls der formellen Bestandskraft selbst entfällt. Folgende Fälle unmittelbarer (1) und mittelbarer (2) Durchbrechung der formellen Bestandskraft sind anerkannt: (1) Zunächst wird über die Fälle unmittelbarer Durchbrechung der formellen Bestandskraft berichtet, zu der der jeweils zuständige Entscheidungsträger verpflichtet ist (a); sodann werden die Fälle unmittelbarer Durchbrechung dargestellt, zu der der zuständige Entscheidungsträger grundsätzlich lediglich berechtigt ist (b): (a) Zur unmittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft verpflichtet ist der zuständige Entscheidungsträger im Falle eines erfolgreichen Antrags auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens (aa) und im Falle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (bb): (aa) Die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes wird zunächst im Falle des Wiederaufgreifens eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens unmittelbar durchbrochen. Dieses sog. „Wiederaufgreifen i. e. S.“320 ist in § 51 VwVfG geregelt, der in der Sache auf einer Grundsatzentscheidung des BVerwG321 beruht und im Wesentlichen der bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG herrschenden Meinung entspricht.322 Indem er allein das auf eine Entscheidung über das „Ob“ des Wiederaufgreifens gerichtete Verfahren regelt,323 stellt § 51 VwVfG eine rein verfahrensrechtliche Bestimmung dar,324 die den nach § 51 Abs. 4 VwVfG zuständigen Entscheidungsträger unter bestimmten Voraussetzungen zu einem 320 BVerwGE 78, 332, 338; 104, 115, 118; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 51, Rn. 22; ders., JuS 1982, 264; Kopp/Ramsauer, § 51, Rn. 8; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 51, Rn. 1; Maurer, § 11, Rn. 62. Dem „Wiederaufgreifen i. e. S.“ steht das sog. „Wiederaufgreifen i. w. S.“ gegenüber, s.: BVerwGE 78, 332, 338; 104, 115, 118; BVerwG, NJW 1981, 2595; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 51, Rn. 16; ders., JuS 1982, 264; Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424, 432. Hierbei handelt es (lediglich) um die ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsbefugnis nach den grundsätzlich einschlägigen Bestimmungen der § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG, § 49 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 oder Abs. 3 S. 1 VwVfG (Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 51, Rn. 16). Dazu später, Zweites Kapitel, B. 321 BVerwGE 39, 197, 202. 322 Dazu: Kopp/Ramsauer, § 51, Rn. 1; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 1. 323 Ammelburger, S. 91; Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424 f. 324 Maurer, § 11, Rn. 61.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens verpflichtet.325 Das Wiederaufgreifensverfahren ist ein Antragsverfahren (vgl. § 51 Abs. 1 VwVfG).326 Der Antrag eines durch den formell bestandskräftigen Verwaltungsakt materiell belasteten327 Betroffenen stellt einen außerordentlichen Rechtsbehelf dar,328 der auf Beseitigung der Unanfechtbarkeit dieses Verwaltungsaktes gerichtet ist.329 Bereits die positive Entscheidung über das Wiederaufgreifen bewirkt die – hier allein interessierende – unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft330 und eröffnet – entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut der Überschrift des § 51 VwVfG –331 ein neues Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG.332 Die Pflicht zum Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG stellt einen Ausnahmefall zu dem Grundsatz dar, nach dem kein allgemeiner Anspruch auf ein Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens mit anschließender neuer Sachentscheidung besteht,333 selbst wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist,334 und löst insoweit den Konflikt zwischen der rechtsstaatlichen Forderung materieller Gerechtigkeit und dem Erfordernis der Gewährleistung von Rechtssicherheit.335 Sie besteht nur im Falle eines erfolgreichen Antrags des Betroffenen:336 Zulässig ist der Antrag, wenn ne325 BVerwG, NJW 1982, 2204, 2205; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 30 ff.; ders., JuS 1982, 264, 267; Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424, 429; a. A.: Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 51, Rn. 3 ff. 326 Vgl. auch: BVerwGE 60, 315, 325; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 51, Rn. 24. 327 Peine, Rn. 358. 328 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 8; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 51, Rn. 3; Kopp/Ramsauer, § 51, Rn. 8. 329 Nach dem Willen des Antragstellers soll der nach seiner Ansicht fehlerhafte formell bestandskräftige Verwaltungsakt aufgehoben und zugleich durch einen neuen Verwaltungsakt unter Berücksichtigung des Wiederaufgreifensgrundes ersetzt werden (Kopp/Ramsauer, § 51, Rn. 8; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 51, Rn. 1). 330 Ammelburger, S. 91; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 28. 331 Kritisch bzgl. des Wortlauts: BVerwG, NJW 1981, 835, 836. 332 Peine, Rn. 357; Hubert Meyer, in: Knack, § 51, Rn. 9; Ammelburger, S. 89 und S. 92. 333 BVerwGE 44, 333, 334; 48, 271, 278 f.; 60, 315, 324 f.; BVerwG, NVwZ-RR 1990, 26 f.; BFH, NVwZ 1990, 700 f.; VGH BW, NVwZ-RR 1991, 490, 491; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 13 f.; Ammelburger, S. 92. 334 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 13. 335 Vgl.: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 51, Rn. 4; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 51, Rn. 1. 336 Ein erfolgloser Antrag lässt, wie § 51 Abs. 5 VwVfG klarstellt (dazu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 141), aber die Befugnis des zuständigen Ent-

108

1. Teil: Aufhebungsverbote

ben den in den §§ 11 ff. VwVfG normierten allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen auch die in § 51 VwVfG geregelten besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, namentlich einer der in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG – abschließend –337 genannten Wiederaufgreifensgründe vorliegt, wobei die Judikatur338 für die in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 VwVfG genannten Gründe verlangt, dass diese tatsächlich vorliegen und im Sinne einer Schlüssigkeitsprüfung geeignet erscheinen müssen, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Begründet ist der Antrag, wenn einer der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Wiederaufgreifensgründe vorliegt339 und der Antrag auf diesen Grund gestützt wird340. (bb) Eine unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes liegt ferner im Falle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die auf einer Abwägung zwischen den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Forderung materieller Gerechtigkeit beruht,341 ist in § 60 VwGO geregelt und gilt für sämtliche gesetzliche Fristen, d.h. sowohl für die Klagefrist nach § 74 VwGO als auch für die Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 VwGO (vgl. insoweit auch § 70 Abs. 2 VwGO, der § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO für entsprechend anwendbar erklärt).342 Wurde eine gesetzliche Frist unverschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO nicht eingehalten,343 ist der zuständige Entscheidungsträger344 – grundsätzlich auf Antrag –345 nach § 60 Abs. 1 VwGO zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verpflichtet, sofern der Antrag binnen zwei Woscheidungsträgers unberührt, den unanfechtbaren Verwaltungsakt nach den Aufhebungsvorschriften des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG bzw. § 49 Abs. 1 VwVfG aufzuheben (Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424, 432; Sachs, JuS 1982, 264). 337 Hubert Meyer, in: Knack, § 51, Rn. 27; Ammelburger, S. 92. 338 Bzgl. Nr. 1: OVG NW, NVwZ 1986, 51, 52; bzgl. Nr. 2: BVerwGE 78, 332, 336 f.; BVerwG, NJW 1982, 2204; zustimmend und für sämtliche Gründe übernehmend: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 51, Rn. 31; kritisch aber: Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424, 425. 339 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 27; ders., JuS 1982, 264, 266; Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424, 425. 340 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 27. 341 s. nur: Kopp/Schenke, § 60, Rn. 1. 342 Ramsauer, Rn. 14. 10b. 343 Ob eine gesetzliche Frist unverschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO versäumt wurde, bestimmt sich auf der Grundlage eines objektivierten Verschuldens (Ramsauer, Rn. 14. 10e; Kopp/Schenke, § 60, Rn. 9). 344 Solange kein gerichtliches Verfahren anhängig ist, ist auch der erlassende Entscheidungsträger zuständig, vgl. § 70 Abs. 2 VwGO, der § 60 Abs. 4 VwGO für entsprechend anwendbar erklärt (vgl. auch: Pietzner/Ronellenfitsch, § 34, Rn. 4). 345 Ausnahme: § 60 Abs. 2 S. 4 VwGO.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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chen nach Wegfall des Hindernisses bzw. – vorbehaltlich Vorliegens höherer Gewalt – spätestens binnen eines Jahres seit Ende der versäumten Frist gestellt wird, die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird und die zur Begründung des Antrags relevanten Tatsachen bei Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (vgl. § 60 Abs. 2, Abs. 3 VwGO; bzgl. der Glaubhaftmachung vgl. § 173 VwGO in Verbindung mit § 294 ZPO). (b) Abgesehen von den soeben dargestellten Fällen, in denen ein Entscheidungsträger zur unmittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes verpflichtet ist, existieren im deutschen Recht auch Fälle, in denen die unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes im Ermessen des zuständigen Entscheidungsträgers steht. Gemeint sind die Fälle der zulässigen Bestandsaufhebung eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius nach den grundsätzlich einschlägigen Bestimmungen der §§ 48 ff. VwVfG. Da diese Fälle – im Gegensatz zu den soeben dargestellten Konstellationen – jedoch unabhängig von einer etwa eingetretenen formellen Bestandskraft des betreffenden Verwaltungsaktes relevant werden können, werden diese erst an späterer Stelle im Kontext des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern im Einzelnen dargestellt.346 (2) Zur mittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft verpflichtet ist der jeweils zuständige Entscheidungsträger (konkret hier: die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. das BVerfG) in den Fällen der Wiederaufnahme des Verfahrens (a), einer erfolgreichen Abänderungsklage (b) sowie einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde (c): (a) Die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes wird zunächst im Falle der Wiederaufnahme eines durch rechtskräftige gerichtliche Endentscheidung abgeschlossenen Verfahrens nach § 153 VwGO in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO mittelbar durchbrochen. Die Wiederaufnahme des Verfahrens stellt einen außerordentlichen Rechtsbehelf dar347 mit dem Ziel, die Rechtskraft einer gerichtlichen Endentscheidung mittels sog. Nichtigkeitsklage nach § 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 579 ZPO348 oder mittels sog. Restitutionsklage nach § 153 VwGO in Verbindung mit § 580 ZPO349 zu beseitigen und die Hauptsache erneut zur Verhandlung zu 346

s. später, Zweites Kapitel, B. Kopp/Schenke, § 153, Rn. 2. 348 Vorausgesetzt, die Endentscheidung ist unter Verstoß gegen besonders bedeutsame Verfahrensvorschriften zustandegekommen, vgl. § 579 Abs. 1 ZPO. 349 Vorausgesetzt, die Beweisgrundlage der Endentscheidung ist grob fehlerhaft, vgl. § 580 ZPO. 347

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1. Teil: Aufhebungsverbote

bringen.350 Ebenso wie § 60 VwGO beruht § 153 VwGO auf einer Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Gewährleistung insbesondere von Rechtssicherheit und der Forderung materieller Gerechtigkeit.351 (b) Eine mittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes liegt ferner im Falle einer erfolgreichen Abänderungsklage nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 323 ZPO analog vor. Indem sie im Falle erfolgreich geltend gemachter Änderung der einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse und des anwendbaren Rechts die Rechtskraft der früheren gerichtlichen Entscheidung ausnahmsweise beseitigt und damit den Fortfall der formellen Bestandskraft des Verwaltungsaktes bewirkt, ergänzt sie die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 VwGO.352 (c) Die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes wird außerdem im Falle einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Verbindung mit den §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG mittelbar durchbrochen. Die Verfassungsbeschwerde stellt einen außerordentlichen, letzten und subsidiären Rechtsbehelf dar,353 der dem Schutz individueller Grundrechte sowie der Wahrung und Fortentwicklung des Grundgesetzes dient.354 Nach Erschöpfung des Rechtsweges (vgl. dazu im Einzelnen: § 90 Abs. 2 BVerfGG) kann jedermann Verfassungsbeschwerde gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt mit der Begründung erheben, in einem seiner Grundrechte oder in einem der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten grundrechtsgleichen Rechte selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein.355 Ein Verwaltungsakt als exekutivisches Handlungsinstrument stellt an sich ohne weiteres einen Akt der öffentlichen Gewalt dar. Als alleiniger Beschwerdegegenstand hat er indes wegen Art. 19 Abs. 4 GG sowie des grundsätzlichen Erfordernisses vorheriger Rechtswegerschöpfung kaum praktische Bedeutung.356 Da es eine Verfassungsbeschwerde allein gegen ein Handeln der Exekutive nach Erschöpfung des Rechtsweges daher praktisch nicht gibt, wird die Verfassungsbeschwerde – prozessual betrachtet – 350

Kopp/Schenke, § 153, Rn. 1; Pietzner/Ronellenfitsch, § 3, Rn. 10. s. nur: Kopp/Schenke, § 153, Rn. 1. 352 Dazu nur: Kopp/Schenke, § 153, Rn. 1a. Zur ausnahmsweisen Beseitigung der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung aufgrund erfolgreicher Abänderungsklage s. nur: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, § 323, Rn. 1. 353 BVerfGE 49, 252, 258. 354 BVerfGE 18, 315, 325; 49, 252, 258; 68, 376, 379 f. 355 Zu diesen und den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen im Einzelnen: Pestalozza, § 12, Rn. 17 ff.; Sachs, Verfassungsprozessrecht, Rn. 446 ff. 356 Benda, in: Benda/Klein, Rn. 515; Schlaich/Korioth, Rn. 5. 351

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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vielmehr gegen die (letztinstanzliche) gerichtliche Entscheidung erhoben, und der Verwaltungsakt dann regelmäßig mit in den Beschwerdegegenstand einbezogen, so dass im Ergebnis ein doppelter Streitgegenstand vorliegt.357 Kommt das BVerfG – im Rahmen seiner dann auf die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“358 beschränkten Prüfung –359 zu dem Ergebnis seiner tatsächlichen Verletzung, stellt es diese gemäß § 95 Abs. 1 S. 1 BVerfGG fest, hebt die gerichtliche Entscheidung auf360 und weist die Sache in den Fällen des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG an ein zuständiges Gericht zurück. Die Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung durch das BVerfG bewirkt bereits die – hier allein interessierende – Beseitigung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes. IV. Folgen des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes Mit Eintritt der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes verliert ein Betroffener die Möglichkeit, zulässigerweise Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.361 Dies hat zur Folge, dass der formell bestandskräftige Verwaltungsakt ihm gegenüber in seinem Bestand rechtlich gesichert ist.362 Sobald und solange das bestandskraftabhängige Aufhebungsverbot gegenüber den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger und der Widerspruchsbehörde besteht, sind diese daher verpflichtet, eine dann unzulässige Anfechtungs- oder Versagungsgegenklage bzw. einen dann unzulässigen Widerspruch zurückzuweisen.363 Diese Folge gilt im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens indes nicht uneingeschränkt. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG364, die in der übrigen Judikatur365 Zustimmung gefunden hat, in der Literatur366 dagegen wohl 357

Benda, in: Benda/Klein, Rn. 515 ff.; Fleury, Rn. 287 und Rn. 296; auch: Schlaich/Korioth, Rdn. 5. 358 BVerfGE 18, 85, 92; ferner: Pestalozza, § 12, Rn. 13. 359 Das BVerfG betrachtet sich nach eigenem Bekunden nicht als „Superrevisionsgericht“ (BVerfGE 7, 198, 207; 18, 85, 92). 360 Vgl. zu dieser Konstellation: Pestalozza, § 12, Rn. 69. 361 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 121; Meissner, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 74, Rn. 3 (in Bezug auf die Klagefrist des § 74 VwGO). 362 Vgl.: Maurer, § 9, Rn. 39. 363 s. nur: Merten, NJW 1983, 1993, 1995. 364 Z. B.: BVerwGE 21, 142, 145; 28, 305, 308; 57, 342, 344 f.; BVerwG, DVBl. 1964, 190; BVerwG, DVBl. 1965, 89; BVerwG, DVBl. 1972, 423, 424; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; BVerwG, NVwZ-RR 1989, 85, 86. 365 Z. B.: VGH BW, DÖV 1980, 383; VGH BW, VBlBW 1992, 96; VGH BW, VBlBW 1993, 221; BayVGH, DVBl. 1992, 1492.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

überwiegend abgelehnt wird, soll die Widerspruchsbehörde zu der Zurückweisung eines unzulässigen Widerspruchs nicht verpflichtet sein, sofern die Unzulässigkeit des Widerspruchs auf seiner verfristeten Einlegung beruht. Unter Zugrundelegung dieser Judikatur ist die Widerspruchsbehörde in diesem Falle damit nicht zwingend zu der Zurückweisung des Widerspruchs verpflichtet.367 Zur Begründung beruft sich die Judikatur auf die der Widerspruchsbehörde als „Herrin des Vorverfahrens“ zukommende Sachherrschaft. In einem Widerspruchsverfahren, das nur das Verhältnis zwischen dem Widerspruchsführer und der Widerspruchsbehörde betreffe, diene die Widerspruchsfrist vornehmlich dem Schutz der Behörde. Die Behörde sei daher berechtigt, frei zu entscheiden, ob sie den Widerspruch wegen Fristversäumnis zurückweise oder ungeachtet des Fristablaufs sachlich bescheide. Diese Entscheidungsfreiheit besteht nach der Judikatur368 jedoch nicht im Falle eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung, da dann die mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gesicherte und schutzwürdige Rechtsposition eines Dritten, der auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes vertraut hat, nicht beeinträchtigt werden darf. Hinsichtlich der Frage, ob diese Einschränkung der Folge des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes, m. a. W.: dessen ausnahmsweises Nichtbestehen im Falle eines wegen Verfristung unzulässigen Widerspruchs auch für den erlassenden Entscheidungsträger in Wahrnehmung seiner Funktion als Widerspruchsinstanz gilt, ist zu differenzieren: Sofern der erlassende Entscheidungsträger ausnahmsweise selbst als Widerspruchsbehörde in Erscheinung tritt,369 gilt diese Einschränkung ohne weiteres. Nicht abschließend beantworten lässt sich jedoch die Frage, ob die ständige Rechtsprechung des BVerwG auch dann gilt, wenn der erlassende Entscheidungsträger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens als Abhilfebehörde im Sinne des § 72 VwGO handelt. Soweit ersichtlich, war diese Frage bisher noch nicht Gegenstand jedenfalls einer höchstrichterlichen verwaltungs366 Z. B.: Kopp/Schenke, § 70, Rn. 9; Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 8 ff.; Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 70, Rn. 40; kritisch auch: Merten, NJW 1983, 1993, 1996. 367 Diese richterrechtlich entwickelte Ausnahme durchbricht ausnahmsweise die ansonsten bestehende Akzessorietät des Aufhebungsverbotes. 368 Z. B.: BVerwGE 60, 297, 314; 65, 313, 318 f.; BVerwG, DVBl. 1959, 285; BVerwG, DÖV 1969, 142 f.; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; BVerwG, BayVBl. 1999, 58; OVG Saarland, NVwZ 1986, 578, 579; VGH BW, VBlBW 1992, 97; ferner dazu: Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 4 ff.; Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, § 70, Rn. 38. Ein schutzwürdiges Interesse besteht nicht, wenn der Begünstigte selbst Widerspruch eingelegt hat, über den noch nicht unanfechtbar entschieden ist. In diesem Falle muss er mit einer reformatio in peius rechnen (zu dieser Ausnahme: BVerwG, DÖV 1972, 789). 369 s. dazu bereits oben, Einleitung, D.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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gerichtlichen Entscheidung; auch in der Literatur fehlen einschlägige Stellungnahmen. Gegen die Geltung der Einschränkung in diesem Falle könnte zwar die im Gesetz enthaltene terminologische und darauf aufbauend sachliche Differenzierung zwischen einer Abhilfe- und einer Widerspruchsbehörde sprechen (vgl. §§ 72, 73 VwGO);370 in der Sache aber dürften an sich keine Bedenken dagegen bestehen, das aus den erwähnten Gründen der Widerspruchsbehörde grundsätzlich zugestandene Recht, einen unzulässigen, auf Verfristung beruhenden Widerspruch dennoch sachlich zu bescheiden, auch der Abhilfebehörde, die – wie die Widerspruchsbehörde – „Herrin des Vorverfahrens“ ist, zuzuerkennen. Zudem existiert – soweit erkennbar – keine, jedenfalls keine höchstrichterliche Entscheidung des Inhalts, dass die auf Verfristung beruhende Unzulässigkeit für die Abhilfebehörde im Sinne des § 72 VwGO zwingend sein soll. V. Zusammenfassung Gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Anfechtungsklage- bzw. Versagungsgegenklageverfahren zuständigen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Widerspruchsverfahren zuständigen erlassenden Entscheidungsträger und der insoweit ebenfalls zuständigen Widerspruchsbehörde besteht aus Gründen der Rechtssicherheit ein offenbar allgemein anerkanntes, bislang in der Judikatur und grundsätzlich auch in der Literatur nicht näher bezeichnetes Aufhebungsverbot, das durch den Eintritt der – in Anlehnung an die formelle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entwickelten, in Judikatur und Literatur wohl allgemein anerkannten – formellen Bestandskraft, d.h. der Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes gegenüber einem Betroffenen reflexartig ausgelöst wird. Die reflexartige Entstehung des Aufhebungsverbotes bedeutet, dass die zuständigen Entscheidungsträger dogmatisch betrachtet – im Verhältnis zu der durch die formelle Bestandskraft bewirkten (unmittelbaren) Bindung eines Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand und (grundsätzlich auch der) Folge zwangsläufig akzessorisch an die äußere Wirksamkeit dieses Verwaltungsaktes gebunden werden: Das Aufhebungsverbot entsteht, sobald ein der formellen Bestandskraft fähiger, d.h. äußere Wirksamkeit besitzender und beibehaltener, zumindest der inneren Wirksamkeit fähiger, (auch) belastender Verwaltungsakt, gleich welchen (möglichen) Inhalt er hat, unanfechtbar geworden ist. Unanfechtbarkeit dieses Verwaltungsaktes meint dabei seine Nicht- oder Nicht-Mehr-Anfechtbarkeit mit (ordentlichen) anfechtungsrele370

Vgl. zu dieser Differenzierung nur: Pietzner/Ronellenfitsch, § 25, Rn. 2.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

vanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfen. Unanfechtbarkeit ist im Falle des Ablaufs von Rechtsbehelfsfristen einschlägiger Rechtsbehelfe, der Erschöpfung des Rechtsweges, eines wirksamen Rechtsbehelfsoder Rechtsmittelverzichts und schließlich der Verwirkung des verfahrensrechtlichen Anfechtungsrechts gegeben. Der relativen, d.h. auf den jeweiligen Betroffenen beschränkten formellen Bestandskraft entsprechend bildet das Aufhebungsverbot eine relative bestandsbezogene Bindungswirkung. Das Aufhebungsverbot besteht, solange die formelle Bestandskraft nicht nachträglich fortfällt. Im deutschen Recht sind unmittelbare und mittelbare Durchbrechungen der formellen Bestandskraft anerkannt, die auf einem ausnahmsweisen Überwiegen eines mit der Rechtssicherheit im Widerstreit stehenden anderen Interesses, namentlich der rechtsstaatlichen Forderung materieller Gerechtigkeit, beruhen. Eine unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes, zu der der zuständige (erlassende oder andere) Entscheidungsträger verpflichtet ist, liegt in den Fällen eines erfolgreichen Antrags auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG sowie einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO vor. Eine Verpflichtung zu einer mittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft besteht demgegenüber in den Fällen einer Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 153 VwGO in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO), einer erfolgreichen Abänderungsklage (§ 173 VwGO in Verbindung mit § 323 ZPO analog) sowie einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Verbindung mit §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG). Fälle, in denen der zuständige Entscheidungsträger zur unmittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes grundsätzlich lediglich berechtigt ist, existieren im Kontext der Aufhebung eines – u. U. bereits formell bestandskräftigen – Verwaltungsaktes mittels actus contrarius. Das Aufhebungsverbot bewirkt, dass die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. der erlassende Entscheidungsträger und die Widerspruchsbehörde verpflichtet sind, einen unzulässigen Widerspruch zurückzuweisen. Diese Verpflichtung besteht auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des BVerwG für die Widerspruchsbehörde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens jedoch grundsätzlich nicht, sofern die Unzulässigkeit des Widerspruchs auf seiner verfristeten Einlegung beruht. Aufgrund der im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens bestehenden behördlichen Sachherrschaft soll eine sachliche Bescheidung des Verwaltungsaktes ungeachtet seiner an sich gegebenen formellen Bestandskraft möglich sein, es sei denn, bei dem betreffenden Verwaltungsakt handelt es sich um einen

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Verwaltungsakt mit Drittwirkung. In diesem Falle darf die mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gesicherte und schutzwürdige Rechtsposition eines Dritten, der auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes vertraut hat, nicht beeinträchtigt werden. Die Frage, ob diese Einschränkung auch für den erlassenden Entscheidungsträger gilt, ist differenziert zu beantworten: Sofern er ausnahmsweise in der Funktion als Widerspruchsbehörde im Sinne des § 73 Abs. 1 VwGO tätig ist, ist diese richterrechtlich entwickelte Einschränkung der Geltung der formellen Bestandskraft ohne weiteres von Bedeutung. Dagegen lässt sich die Frage, ob diese Einschränkung auch dann gilt, wenn der erlassende Entscheidungsträger als Abhilfebehörde im Sinne des § 72 VwGO handelt, nicht abschließend beantworten.

C. Vergleich Eine Gegenüberstellung der Lösungen, die das Gemeinschaftsrecht und das deutsche Recht für die Beantwortung der Frage der bestandsbezogenen Bindung der im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträger bereitstellen, weisen weitestgehend Übereinstimmungen auf: Sowohl im Gemeinschaftsrecht (hier: gegenüber dem EuGH, dem EuG bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger) als auch im deutschen Recht (hier: gegenüber den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. dem erlassenden Entscheidungsträger und der Widerspruchsbehörde) besteht aus Gründen der Rechtssicherheit ein – in beiden Rechtsordnungen allem Anschein nach allgemein anerkanntes, bislang grundsätzlich nicht näher bezeichnetes – Aufhebungsverbot, das mit Eintritt der formellen Bestandskraft einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes gegenüber einem Betroffenen (im Gemeinschaftsrecht im Falle eines betroffenen Nichtadressaten nur gegenüber einem zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten im Sinne des Urteils des EuGH in der Rs. TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft) reflexartig zur Entstehung gelangt. In beiden Rechtsordnungen unterliegen die zuständigen Entscheidungsträger demzufolge einem bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot, dessen als reflexartig beschriebener Eintritt sich als prompte Reaktion auf die infolge formeller Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des Gemeinschafts- bzw. Verwaltungsrechtsverhältnisses darstellt. Die zuständigen Entscheidungsträger werden nur gebunden, weil ein aufgrund formeller Bestandskraft unmittelbar gebundener Betroffener gebunden ist. Konsequenterweise bedeutet dies, dass es sich – dogmatisch betrachtet – um eine mittelbare, d.h. über einen aufgrund der formellen Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen vermittelte Bindung an den Bestand einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes handelt.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Diese mittelbare Bindung bedingt zwangsläufig eine akzessorische Bindung: Die Bindung der für die Aufhebung im Rahmen aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträger ist in ihrer Entstehung, ihrem Fortbestand und (im deutschen Recht grundsätzlich auch) ihrer Folge an die Bindung eines unmittelbar gebundenen Betroffenen angelehnt: Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht gelangt das Aufhebungsverbot zur Entstehung, sobald eine der formellen Bestandskraft fähige Entscheidung, d.h. eine (tatsächlich und rechtlich) existent gewordene und gebliebene, (auch) belastende Rechtswirkungen entfaltende Entscheidung ohne Rücksicht auf ihren (möglichen) Inhalt bzw. ein der formellen Bestandskraft fähiger Verwaltungsakt, d.h. ein die äußere Wirksamkeit und zumindest die Fähigkeit zu seiner inneren Wirksamkeit besitzender und beibehaltener, (auch) belastende Rechtswirkungen entfaltender Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. In beiden Rechtsordnungen ist unter Unanfechtbarkeit zu verstehen, dass eine Entscheidung bzw. ein Verwaltungsakt nicht oder nicht mehr mit (ordentlichen) anfechtungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfen, also einer Nichtigkeitsklage bzw. einer Beschwerde bzw. einer Anfechtungs- oder Versagungsgegenklage bzw. einem Widerspruch anfechtbar ist. Als den Eintritt der formellen Bestandskraft bewirkende Umstände erkennen beide Rechtsordnungen übereinstimmend den Ablauf von Rechtsbehelfsfristen einschlägiger Rechtsbehelfe und die Erschöpfung des Rechtsweges an. Das deutsche Recht erkennt darüber hinaus einen wirksamen Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverzicht und die verfahrensrechtliche Verwirkung des Anfechtungsrechts an. Der Grund für die im deutschen Recht anerkannten zusätzlichen bewirkenden Umstände dürfte weniger auf eine sachliche Divergenz als vielmehr schlicht und allein darauf zurückzuführen sein, dass entsprechende Umstände im Gemeinschaftsrecht – soweit ersichtlich – in diesem Kontext bislang weder Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung des EuGH oder des EuG noch Gegenstand der Erörterung in der Literatur waren. Der in beiden Rechtsordnungen anerkannten – und hier allein relevanten – relativen, d.h. hinsichtlich ihres Eintritts auf einen Betroffenen beschränkten formellen Bestandskraft entsprechend handelt es sich bei dem Aufhebungsverbot um eine relative bestandsbezogene Bindungswirkung. Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht hängt der Fortbestand des Aufhebungsverbotes aufgrund seiner im Verhältnis zu der formellen Bestandskraft gegebenen Akzessorietät von dem Fortbestehen der formellen Bestandskraft selbst ab. In beiden Rechtsordnungen ist das Fortbestehen der formellen Bestandskraft an sich auf Dauer angelegt.

1. Kap.: Rechtsbehelfsverfahren

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Insbesondere aus Gründen der die Rechtssicherheit im Einzelfall überwiegenden rechtsstaatlichen Forderung materieller Gerechtigkeit sind in beiden Rechtsordnungen jedoch – rein numerisch unterschiedliche – Fälle anerkannt, in denen der zuständige (erlassende oder andere) Entscheidungsträger zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Durchbrechung der formellen Bestandskraft einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes verpflichtet ist. Es handelt sich dabei um durchaus vergleichbare Fälle, denen allen jedenfalls gemeinsam ist, dass die unmittelbare oder mittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft durch die Einlegung außerordentlicher gerichtlicher bzw. ihnen nachempfundener außergerichtlicher förmlicher Rechtsbehelfe eingeleitet wird, ferner, dass die – wenn auch im Einzelnen unterschiedlichen – Voraussetzungen der Tatbestände, bei deren Vorliegen eine Durchbrechung zu erfolgen hat, restriktiv auszulegen sind und daher als echte Ausnahmen fungieren (vgl. insbesondere die Fälle eines unter Berufung auf das Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen erfolgreich gestellten Antrags auf Überprüfung einer bestandskräftigen Entscheidung bzw. auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG sowie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 45 Abs. 2 der Satzung des EuGH oder dessen Rechtsgedanken bzw. § 60 VwGO). Solange das bestandskraftabhängige Aufhebungsverbot besteht, bewirkt es in beiden Rechtsordnungen, dass die für die Aufhebung im Rahmen aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträger verpflichtet sind, einen unzulässigen Rechtsbehelf zurückzuweisen. Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, wo diese Folge für den EuGH und das EuG bzw. den erlassenden Entscheidungsträger ausnahmslos gilt, erfährt die Geltung dieser Folge des Aufhebungsverbotes im deutschen Recht allerdings im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens eine nicht unerhebliche Einschränkung, sofern die Unzulässigkeit des Widerspruchs auf seiner verfristeten Einlegung beruht. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG soll die Widerspruchsbehörde in diesem Falle wegen der ihr als „Herrin des Vorverfahrens“ zukommenden Sachherrschaft grundsätzlich nicht zu der Zurückweisung des verfristeten und daher unzulässigen Widerspruchs verpflichtet sein. Als Widerspruchsbehörde in diesem Sinne kann dabei – wie ausgeführt – zum einen die von dem erlassenden Entscheidungsträger verschiedene, nach dem einschlägigen Organisationsrecht nächsthöhere Behörde, zum anderen ausnahmsweise auch der erlassende Entscheidungsträger selbst auftreten. Während in dem zuerst genannten Falle die richterrechtlich entwickelte Einschränkung ohne weiteres gilt, lässt sich die Frage, ob diese Einschränkung auch in dem zuletzt genannten Falle gilt, dagegen nicht abschließend beantworten.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

2. Kapitel

Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern Die Untersuchung beginnt mit der Darstellung des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber dem für die Aufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius regelmäßig zuständigen erlassenden Entscheidungsträger und gegenüber einem ausnahmsweise – an seiner Stelle – zuständigen anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger auf Gemeinschaftsebene (Abschnitt A.).1 Es folgt der Bericht über das Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber dem für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius ebenfalls regelmäßig zuständigen erlassenden Entscheidungsträger (Abschnitt B.).2 Sodann werden die insoweit zwecks Sicherung des Bestandes dieser Rechtsakte gegen ihre nachträgliche Beseitigung bereitgestellten Lösungen verglichen (Abschnitt C.).

A. Aufhebungsverbote gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern Ungeachtet der ihnen gemeinschaftsrechtlich übertragenen Kompetenz, eine Entscheidung mittels actus contrarius aufzuheben, sind der insoweit regelmäßig zuständige erlassende Entscheidungsträger, d.h. das Gemeinschaftsorgan, das die Entscheidung erlassen hat,3 und ein ausnahmsweise – an seiner Stelle – zuständiger anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger auf Gemeinschaftsebene nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) mit Erlass einer Entscheidung an ihren Bestand gebunden.4 Bei dieser Bindung handelt es sich indes nicht zwangsläufig bereits um eine – zumindest grundsätzlich – endgültige Bindung, also um ein Aufhebungsverbot im oben dargelegten Sinne, denn ein solches Aufhebungsverbot besteht vielmehr nur bzw. erst dann, sobald und soweit5 eine Loslösung von der Bindung mittels nachträg1

Zur Zuständigkeitsverteilung s. bereits oben, Einleitung, D. Zur Zuständigkeitsverteilung s. bereits oben, Einleitung, D. 3 Vgl. dazu bereits oben, Erstes Kapitel, A. I. Auf dortige, hier entsprechend geltende Ausführungen wird verwiesen. 4 Zum Erlass als maßgeblichem Bindungszeitpunkt: Bockey, S. 123. Zum Erlasszeitpunkt im Gemeinschaftsrecht: s. o., Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (aa). 2

2. Kap.: Actus contrarius

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licher Bestandsaufhebung nicht (mehr) oder aber jedenfalls nur noch unter bestimmten, namentlich (hier allein interessierenden) materiell-rechtlichen, Voraussetzungen zulässig ist.6 Ob eine nachträgliche Bestandsaufhebung zulässig ist und – wenn ja – ob ihre Zulässigkeit ggfls. von der Einhaltung bestimmter materiell-rechtlicher Voraussetzungen abhängig gemacht wird oder nicht, bestimmt sich im Gemeinschaftsrecht – vorbehaltlich besonderer Aufhebungsgründe –7 in erster Linie nach positivrechtlichen Regelungen, die allerdings im primären Gemeinschaftsrecht nicht und im sekundären Gemeinschaftsrecht nur vereinzelt vorzufinden sind.8 Im Übrigen hat die Judikatur entsprechende Regelungen mittels allgemeiner Verwaltungsgrundsätze geschaffen.9 Methodischer Ausgangspunkt war für den EuGH dabei das für einen Richter bestehende Rechtsverweigerungsverbot. In den verb. Rs. D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung führte er diesbezüglich aus: „Um sich nicht dem Vorwurf einer Rechtsverweigerung auszusetzen, ist der Gerichtshof daher verpflichtet, diese Frage von sich aus unter Berücksichtigung der in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten anerkannten Regeln zu entscheiden“10. Soweit ersichtlich, sind diese allgemeinen Verwaltungsgrundsätze ausschließlich im Kontext der Aufhebung einer an eine natürliche Person bzw. eine juristische Person des Privatrechts gerichteten Entscheidung entwickelt worden und auch relevant geworden; in der Literatur11 wird aber die Anwendbarkeit dieser Grundsätze mutatis mutandis auch auf eine Aufhebung einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung bejaht. Soweit positivrechtliche Bestimmungen Anwendung finden, verdrängen sie die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze;12 nicht ausgeschlossen wird 5 Zur Zulässigkeit einer Teilaufhebung, s. bereits oben, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (aa). 6 Zum Begriff des Aufhebungsverbotes, s. oben, Einleitung, A. I. In formellrechtlicher Hinsicht ist ab Erlass der Entscheidung der sog. Grundsatz der Unantastbarkeit beschlossener Rechtsakte zu beachten, s. zu diesem Grundsatz bereits oben, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (aa) (dort: Fn. 57) (bb) (dort: Fn. 68). 7 Dazu: Schwarze, S. 979 ff. Beispiel: Widerrufsvorbehalt (dazu: Schwarze, S. 981 f.; Borchardt, Vertrauensschutz, S. 101 f.). 8 Bzgl. der fehlenden Regelungen im primären Gemeinschaftsrecht: Schwarze, S. 950; Geurts, S. 221. Bzgl. der vereinzelt vorhandenen Regelungen im sekundären Gemeinschaftsrecht vgl. den Überblick bei: Schwarze, S. 951 ff.; Lübbig, EuZW 2003, 233, 234 f. 9 Zur Bedeutung allgemeiner Verwaltungsgrundsätze im Gemeinschaftsrecht s. bereits oben, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (aa) (dort: Fn. 58). 10 Verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 118. 11 Oppermann, § 8, Rn. 40; offen: Bockey, S. 123; Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 85. 12 Schwarze, S. 979 f.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

hierdurch indes, die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze zur Begründung der Reichweite einer einschlägigen positivrechtlichen Aufhebungsvorschrift heranzuziehen,13 es sei denn, diese ist insoweit absolut eindeutig formuliert.14 Im Falle einer Entscheidung mit Drittwirkung bestimmt sich die Zulässigkeit ihrer Aufhebung – vorbehaltlich vorrangig anwendbarer positivrechtlicher Bestimmungen – nach dem allgemeinen Verwaltungsgrundsatz, der für die Aufhebungskonstellation des Adressaten der Entscheidung einschlägig ist, da die Entfaltung drittbegünstigender und/oder (auch) drittbelastender Rechtswirkungen lediglich eine ungewollte Nebenwirkung darstellt. Die Interessen eines betroffenen Dritten sind dann im Rahmen des einschlägigen Verwaltungsgrundsatzes angemessen zu berücksichtigen.15 In Anlehnung an die entsprechenden Regelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten16 differenziert die Judikatur hinsichtlich der Zulässigkeit der Aufhebung einer Entscheidung in erster Linie danach, ob es sich bei der aufzuhebenden Entscheidung um eine – anhand der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses zu beurteilende –17 rechtmäßige oder rechtswidrige Entscheidung handelt;18 außerdem ist relevant, ob ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc oder ex nunc in Rede steht.19 Entsprechend der im deutschen Verwaltungsrecht geltenden Terminologie (vgl. nur 13 Vgl. z. B.: EuGH, Rs. C-500/99 P, Slg. 2002, I-867, Rn. 90 (Consevere Italia Soc. Coop. arl./Kommission); ferner: GA Alber, in: SA in Rs. C-500/99 P, ebenda, Rn. 88 ff. 14 GA Roemer, in: SA in Rs. 36/64, Slg. 1965, 447, 469 (SOREMA/Hohe Behörde). 15 Zum Ganzen vgl. nur: Bockey (S. 144 ff.), die im Hinblick auf die Aufhebungsvoraussetzungen von Entscheidungen im Einzelnen allerdings einen anderen als den hier dargestellten Ansatz vertritt. Die angemessene Berücksichtigung der Drittinteressen erfolgt konkret übrigens im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung (vgl.: Bockey, ebenda). – Welcher allgemeine Verwaltungsgrundsatz im Falle einer Entscheidung, die gegenüber einem einzelnen Betroffenen teils begünstigende und teils belastende Rechtswirkungen entfaltet, Anwendung findet, ist – soweit ersichtlich – bisher weder Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung des EuGH oder EuG gewesen noch in der Literatur thematisiert worden. 16 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 118 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); ferner: Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224. 17 s. nur: Lübbig, EuZW 2003, 233, 236. 18 Vgl. z. B.: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 117 ff. (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 139 f. (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); ferner: Oppermann, § 8, Rn. 39 f.; H. P. Ipsen, 25/4 ff.; Müller, S. 137 ff. (beschränkt auf die Erörterung rechtswidriger Entscheidungen); Weber, in: Schweitzer, S. 55, 69 ff.; Huber, § 20, Rn. 29 ff.; Schweitzer/Hummer, Rn. 410; Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 458 f.; Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224 f.; Gornig/Trüe, JZ 1993, 884, 891; Erichsen/ Buchwald, Jura 1995, 84, 85 f.; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 390 f.; Haibach, NVwZ 1998, 456, 460; Lübbig, EuZW 2003, 233, 236.

2. Kap.: Actus contrarius

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§§ 48, 49 VwVfG) wird auch in den deutschen Sprachfassungen bzw. den deutschen amtlichen Übersetzungen der Gerichtsentscheidungen des EuGH und des EuG die Aufhebung einer rechtswidrigen Entscheidung mittlerweile wohl regelmäßig als „Rücknahme“ und die einer rechtmäßigen Entscheidung als „Widerruf“ bezeichnet.20 Ob eine an sich – ggfls. nur unter bestimmten materiell-rechtlichen Voraussetzungen – zulässige Aufhebung im Einzelfall letztlich tatsächlich erfolgt, steht im Ermessen des zuständigen Entscheidungsträgers.21 Das Ermessen beinhaltet sowohl ein Entschließungsermessen, d.h. Ermessen hinsichtlich der Frage, ob eine Aufhebung überhaupt erfolgt, als auch ein Auswahlermessen, d.h. Ermessen hinsichtlich der Art und Weise der Aufhebung in sachlicher Hinsicht (vollständige oder nur teilweise Aufhebung) 19 Schlockermann, S. 30. Daneben ist auch die Wirkung der Entscheidung relevant (s. die in den beiden vorangegangenen Fußnoten aufgeführten Nachweise); sie steht aber nicht im Vordergrund (Hegels, S. 95). 20 Vgl. z. B.: EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 10 (Alpha Steel Ltd./Kommission); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 12 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/ Kommission); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 35 (H. de Compte/Europäisches Parlament); Rs. C-500/99 P, Slg. 2002, I-867, Rn. 90 (Conserve Italia Soc. Coop. arl./Kommission); EuG, Rs. T-197/99, Slg. ÖD 2000, I-A-271, I-A-273 (A. Gooch/Kommission); Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 139 und Rn. 140 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); vgl. ferner: H. P. Ipsen, 25/3 ff.; Borchardt, Vertrauensschutz, S. 65 f.; Huber, § 20, Rn. 29 und Rn. 31; Oppermann, § 8, Rn. 39 f.; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 68 ff.; Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224; Gornig/Trüe, JZ 1993, 884, 891; Haibach, NVwZ 1998, 456, 460; Lübbig, EuZW 2003, 233, 236; anders („Aufhebung“): Geurts, S. 221; Hegels, S. 95; Schlockermann, S. 29 (dort: Fn. 1); Müller, S. 137 ff.; Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 85; die mittlerweile regelmäßige Verwendung der aus dem deutschen Verwaltungsrecht bekannten terminologischen Differenzierung verneinend: Schwarze, S. 950; Geurts, S. 221; Triantafyllou, NVwZ 1992, 436, 437 (dort: Fn. 21); Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 85; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 389 f. In der Vergangenheit dagegen wurden die Aufhebung einer rechtmäßigen ebenso wie die einer rechtswidrigen Entscheidung einheitlich als „Widerruf“ bezeichnet und dann im Einzelnen näher qualifiziert, vgl. z. B.: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 119 und 126 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); Rs. 15/60, Slg. 1961, 239, 259 (G. Simon/EuGH); ferner dazu: Schwarze, S. 950. Zu den terminologischen Unklarheiten und Wechselwirkungen zwischen mitgliedstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht auch: H. P. Ipsen, 25/3 f.; Däubler, NJW 1965, 1646, 1647. 21 Die Judikatur spricht üblicherweise von dem „Recht“, eine Entscheidung aufzuheben, vgl. z. B.: EuGH, Rs. C-248/89, Slg. 1991, I-2987, Rn. 20 (Cargill BV/ Kommission); Rs. C-365/89, Slg. 1991, I-3045, Rn. 18 (Cargill BV/Produktschap voor Margarine, Vetten en Olien); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-35 (H. de Compte/ Europäisches Parlament). Von aufheben „können“ spricht der EuGH in seinem Urteil in der Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 138 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission). Von aufheben „dürfen“ ist etwa in dem Urteil des EuGH in der Rs. 15/60, Slg. 1961, 241, 259 (G. Simon/EuGH), die Rede.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

und in zeitlicher Hinsicht (Aufhebung mit Wirkung ex tunc oder lediglich ex nunc).22 Ausnahmsweise kann der zuständige Entscheidungsträger nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang des Gesetzes) allerdings zur Bestandsaufhebung auch verpflichtet sein: so im Falle der auf einen – unter Berufung auf das Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen – erfolgreich gestellten Antrag eines Betroffenen hin vorgenommenen Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung23 sowie im Falle der auf Antrag oder von Amts wegen – ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende Bestandskraft – erfolgenden Aufhebung einer Entscheidung wegen rechtlicher Inexistenz oder wegen offensichtlicher Gesetzesverletzung.24 Wird eine bereits bestandskräftige Entscheidung nachträglich aufgehoben, bewirkt deren Aufhebung eine unmittelbare Durchbrechung der Bestandskraft.25 Die Befugnis, eine Entscheidung mittels actus contrarius aufzuheben, kann auf Antrag oder von Amts wegen ausgeübt werden.26 Sie ist Ausdruck des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang des Gesetzes)27 und besteht ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende Bestandskraft der in Rede stehenden Entscheidung gegenüber einem Betroffenen.28 Im Einzelnen gelten folgende allgemeine Verwaltungsgrundsätze:

22 Vgl. nur: GA Roemer, in: SA in Rs. 36/64, Slg. 1965, 447, 472 (SOREMA/ Hohe Behörde). Unklar bei: Müller, S. 138; ihm folgend: Lübbig, EuZW 2003, 233, 236; möglicherweise verneinen sie ein Entschließungsermessen im Kontext der Rücknahme belastender Entscheidungen. 23 Vgl. auch: GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 69 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). Vgl. dazu auch bereits oben, Erstes Kapitel, A. III. (1) (a) (aa). Sofern die geltend gemachten Tatsachen nicht wesentlich und neu sind, ist der ersuchte Entscheidungsträger nicht zu einer Bestandsaufhebung verpflichtet; er bleibt vielmehr weiterhin aufhebungsberechtigt. 24 GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 69 sowie Rn. 84 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). 25 s. bereits oben, Erstes Kapitel, A. III. (1) (b). 26 GA Colomer, in: SA in Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-5363, Rn. 66 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). Die Aufhebungsbefugnis kann verwirkt werden, s. dazu: EuGH, Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 913 (Lemmerz Werke GmbH/ Hohe Behörde). In der genannten Rechtssache hat der EuGH aber eine Verwirkung verneint; a. A. aber: GA Roemer, in: SA in Rs. 111/63, ebenda, S. 937 f. (938); auch: Reischl, in: Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 97, 103. 27 Müller, S. 137; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 68; Bockey, S. 126. 28 EuGH, Rs. 2/70, Slg. 1971, 97, Rn. 7 (Acciaierie e Ferrierie Riva SpA/Kommission); ferner: GA Roemer, in: SA in Rs. 2/70, ebenda, S. 115.

2. Kap.: Actus contrarius

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I. Rücknahme von Entscheidungen mit Wirkung ex tunc 1. Rücknahme begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc Entsprechend der Rechtslage in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten29 ist der zuständige Entscheidungsträger zur Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc berechtigt,30 wenn folgende – als (sehr) streng qualifizierte –31 Voraussetzungen eingehalten werden:32 Die Rücknahme muss innerhalb eines „angemessenen Zeitraums“ erfolgen, 29 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 118 f. (D. Algera u. a./ Gemeinsame Versammlung). 30 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 119 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 911 (Lemmerz Werke GmbH/ Hohe Behörde); Rs. C-248/89, Slg. 1991, I-2987, Rn. 20 (Cargill BV/Kommission); Rs. C-365/89, Slg. 1991, I-3045, Rn. 18 (Cargill BV/Produktschap voor Margarine, Vetten en Olien); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 35 (H. de Compte/Europäisches Parlament); Rs. C-500/99 P, Slg. 2002, I-867, Rn. 90 (Conserve Italia Soc. Coop. arl./Kommission); EuG, Rs. T-197/99, Slg. ÖD 2000, I-A-271, I-A-274 (A. Gooch/Kommission); ferner: Bockey, S. 130; Triantafyllou, NVwZ 1992, 436, 437. 31 So: EuGH, Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, Rn. 38 (A. Herpels/Kommission); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 35 (H. de Compte/Europäisches Parlament); EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, I-4825, Rn. 140 (Lagardère SCA und Canal+ SA/ Kommission). GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1024 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission), spricht sogar von „sehr strengen Voraussetzungen“. 32 Diese strengen Voraussetzungen gelten für die Rücknahme einer rechtswidrigen begünstigenden Entscheidung, unabhängig davon, ob diese rechtsbegründenden oder deklaratorischen Inhalt hat, vgl.: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 118 f. (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 172 f. (SNUPAT/Hohe Behörde); Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 548 ff. (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/Hohe Behörde); Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 911 f. (Lemmerz Werke GmbH/Hohe Behörde); unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Judikatur deutlich in: EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 10 (Alpha Steel Ltd./Kommission); auch: EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 12 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 35 (H. de Compte/Europäisches Parlament); EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 140 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission). Wie die Judikatur: GA Roemer, in: SA in Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 934 ff. (935 und 937 f.) (Lemmerz Werke GmbH/Hohe Behörde); GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1024 f. (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); H. P. Ipsen, 25/9; Schlockermann, S. 36 ff.; Müller, S. 139 ff.; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 69; Oppermann, § 8, Rn. 40; Huber, § 20, Rn. 32 f.; Schweitzer/ Hummer, Rn. 410; Gornig/Trüe, JZ 1993, 884, 891 f.; Haibach, NVwZ 1998, 456, 460; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 390 f.; Lübbig, EuZW 2003, 233, 236; vgl. auch: Ragnemalm, in: Mélanges, S. 511, 515 ff. (517); wohl auch: Borchardt, Vertrauensschutz, S. 66; Hegels, S. 96 f.; anders dagegen (unterschiedliche Voraussetzungen je nach Entscheidungsinhalt): Schwarze, S. 960 ff.; Bockey, S. 127 ff.; Geurts, S. 226 ff.; Däubler, NJW 1965, 1646, 1647 ff.; Triantafyllou, NVwZ 1992,

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1. Teil: Aufhebungsverbote

und der für die Aufhebung der Entscheidung zuständige Entscheidungsträger hat das berechtigte Vertrauen des Begünstigten in die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ausreichend zu berücksichtigen,33 d.h. weder der allgemeine Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit noch der – aus der Rechtssicherheit hergeleitete –34 allgemeine Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes35 dürfen verletzt werden.36 Hinsichtlich der Berücksichtigung dieser beiden Voraussetzungen im Einzelnen lässt eine Analyse der einschlägigen Judikatur folgende Grundsätze erkennen: Da das Prinzip des Vertrauensschutzes das Recht des zuständigen Entscheidungsträgers, eine begünstigende Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist mit Wirkung ex tunc zurückzunehmen, einschränken37 und daher eine relative Schranke38 bilden kann, beginnt die Judikatur die 436, 437; Guian, GewArch. 1993, 361, 369; Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 85 und 86; offen: Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224 f. 33 EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 10 (Alpha Steel Ltd./Kommission); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 12 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 35 (H. de Compte/Europäisches Parlament); EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 140 (Lagardère SCA und Canal+ SA/ Kommission); ähnlich: EuGH, Rs. C-249/89, Slg. 1991, I-2987, Rn. 20 (Cargill BV/ Kommission); Rs. C-365/89, Slg. 1991, I-3045, Rn. 18 (Cargill BV/Productschap voor Margarine, Vetten en Olien); EuG, Rs. T-197/99, Slg. ÖD 2000, I-A-271, I-A-274 (A. Gooch/Kommission). 34 EuGH, Rs. C-63/93, Slg. 1996, I-569, Rn. 20 (F. Duff u. a./Minister for Agriculture and Food and Attorney General); EuG, Rs. T-73/95, Slg. 1997, II-381, Rn. 29 (Estabelecimentos I. M. Oliveira SA/Kommission); ferner: Haibach, NVwZ 1998, 456, 459; Bleckmann, NVwZ 1993, 824, 826. 35 Das „Recht auf Vertrauensschutz“ steht „jedem Einzelnen (zu), wenn sich herausstellt, dass die Verwaltung bei ihm begründete Erwartungen geweckt hat“, s.: EuGH, Rs. 289/81, Slg. 1983, 1731, Rn. 21 (V. Mavridis/Europäisches Parlament). Zu seiner Stellung als allgemeiner Rechtsgrundsatz s. nur: Schwarze, S. 911 ff. Zur Entwicklung des Vertrauensschutzes im Gemeinschaftsrecht, vgl.: Borchardt, Vertrauensschutz, S. 60 ff.; Reischl, in: Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 97, 99 ff. 36 Ausdrücklich: EuGH, Rs. C-500/99 P, Slg. 2002, I-867, Rn. 90 (Conserve Italia Soc. Coop. arl./Kommission); EuG, Rs. T-293/01, Slg. 2003, II-441, Rn. 91 (D. Ineichen/Kommission); auch: EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 17 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission); ferner: EuGH, Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 448 ff. (550) (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/ Hohe Behörde); Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 911 (Lemmerz Werke GmbH/Hohe Behörde); auch: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 118 f. (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung). Das Erfordernis der Berücksichtigung beider allgemeinen Rechtsgrundsätze ist wohl auf den Einfluss einschlägiger Regelungen insbesondere des französischen und des deutschen Rechts zurückzuführen (vgl.: Müller, S. 139). Vgl. im Hinblick auf die mitgliedstaatlichen Regelungen, die die hier einschlägige Judikatur beeinflusst haben, den Kurzüberlick bei: Ragnemalm, in: Mélanges, S. 511, 513 ff. 37 EuG, Rs. T-197/99, Slg. ÖD 2000, I-A-271, I-A-274 (A. Gooch/Kommission).

2. Kap.: Actus contrarius

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Prüfung der Zulässigkeit der rückwirkenden Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit der Einhaltung der zweiten Voraussetzung, dem Erfordernis der Berücksichtigung berechtigten Vertrauens des Betroffenen.39 Berechtigtes Vertrauen liegt vor, wenn der Begünstigte auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung vertraut hat,40 die Rechtswidrigkeit der Entscheidung also nicht kannte,41 und – unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabes –42 auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der rechtlichen Existenz vertrauen durfte.43 Ob der Begünstigte auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung vertrauen durfte, wird von der Judikatur negativ ermittelt, d.h. sie prüft, ob Anhaltspunkte für eine fehlende Schutzwürdigkeit gegeben sind.44 Unter Berufung auf die entsprechende Rechtslage in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verneint die Judikatur ein schutzwürdiges Vertrauen etwa dann, wenn die ursprüngliche Entscheidung durch falsche oder unvollständige Angaben erwirkt 38

Borchardt, Vertrauensschutz, S. 66. Dies gilt namentlich auch in den Fällen, in denen sowohl die Einhaltung einer angemessenen Frist als auch die Berücksichtigung berechtigten Vertrauens bejaht wurden. Vgl. zu dieser Reihenfolge: EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 11 f. (Alpha Steel Ltd./Kommission); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 13–17 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); Rs. C-249/89, Slg. 1991, I-2987, Rn. 22 f. (Cargill BV/Kommission); Rs. C-365/89, Slg. 1991, 3045, Rn. 20–22 (Cargill BV/ Produktschap voor Margarine, Vetten en Olien); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 37–41 (H. de Compte/Europäisches Parlament); EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 146–151 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); anders aber (umgekehrte Reihenfolge): EuG, verb. Rs. T-90/91 und T-60/92, Slg. ÖD 1995, I-A-1, I-A-5 f. (H. de Compte/Europäisches Parlament). Zu dem Erfordernis schutzwürdigen Vertrauens als dem zentralen Kriterium in der Judikatur auch: Ragnemalm, in: Mélanges, S. 511, 517 und 518. 40 Zu dieser subjektiven Komponente: EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 11 (Alpha Steel Ltd./Kommission). 41 EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 11 (Alpha Steel Ltd./Kommission). Voraussetzung für die Kenntnis ist, dass die Rechtswidrigkeit der Entscheidung bei ihrer Lektüre klar erkennbar ist, s.: EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 14 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission). 42 Borchardt, Vertrauensschutz, S. 99. Beispiel: Maßstab im Wettbewerbsrecht ist ein „sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer“, s.: EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 149 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission) (im Rahmen eines obiter dictum). 43 Zu dieser objektiven Komponente: EuGH, Rs. 14/61, Slg. 1961, 511, 550 (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens NV/Hohe Behörde); Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 911 ff. (Lemmerz Werke GmbH/Hohe Behörde); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 14 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission). Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der rechtlichen Existenz s. o., Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (bb). 44 Vgl.: EuGH, 14/61, Slg. 1962, 511, 550 (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/Hohe Behörde); Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 14 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); ferner: Müller, S. 141. 39

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1. Teil: Aufhebungsverbote

wurde,45 wenn der Begünstigte aufgrund bestimmter Umstände mit der Rücknahme der Entscheidung rechnen musste46 oder wenn bei der Lektüre der Entscheidung notwendigerweise Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit kommen mussten.47 Ist schutzwürdiges und damit berechtigtes Vertrauen des Begünstigten in dem hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung48 zu bejahen, ist die Rücknahme der begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc unzulässig, ohne dass der weiteren Frage nachzugehen wäre, ob sie innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt.49 Das einmal erworbene berechtigte Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zu Lasten des Begünstigten erschüttert werden.50 Der Begünstigte kann in diesem Fall die Aufrechterhaltung der Entscheidung verlangen,51 so dass die Gewährung von Vertrauensschutz hier im Ergebnis zu Bestandsschutz führt. Ist das Vertrauen demgegenüber mangels Schutzwürdigkeit unberechtigt, hängt die Zulässigkeit der Rücknahme der Entscheidung mit Wirkung ex 45 EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 173 (SNUPAT/Hohe Behörde); ferner: Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 544 f. (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/Hohe Behörde); Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 37 (H. de Compte/Europäisches Parlament). 46 Dazu: EuGH, Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 911 f. (Lemmerz Werke GmbH/ Hohe Behörde). 47 EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 148 f. (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission). Beispiele: Die Entscheidung entspricht offensichtlich nicht der bisherigen Praxis der Kommission (EuG, Rs. T-251/00, ebenda, Rn. 148). Unter Berücksichtigung spezieller Rechtskenntnisse in Bezug auf die einschlägigen Bestimmungen konnte der Begünstigte nicht von der Rechtmäßigkeit der Entscheidung ausgehen (EuGH, Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 911 [Lemmerz Werke GmbH/Hohe Behörde]); nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung soll dieser Ausschlusstatbestand indes nicht allgemeingültig, sondern allein für den vorliegenden Fall aufgrund der dort gegeben besonderen Umstände gerechtfertigt sein, vgl.: Borchardt, Vertrauensschutz, S. 117; Reischl, in: Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 97, 102; Schlockermann, S. 54 f. 48 Vgl.: EuGH, Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 36 (H. de Compte/Europäisches Parlament). Mit dieser Entscheidung hat der EuGH das vorinstanzliche Urteil des EuG in den verb. Rs. T-90/91 und T-60/92, Slg. ÖD 1995, I-A-1, I-A-6 (H. de Compte/Europäisches Parlament), aufgehoben. 49 EuGH, Rs. 90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 41 (H. de Compte/Europäisches Parlament); EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 151 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission) (im Rahmen eines obiter dictum); anders: EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 15 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission). 50 EuGH, Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 39 (H. de Compte/Europäisches Parlament). 51 EuGH, Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 38 (H. de Compte/Europäisches Parlament).

2. Kap.: Actus contrarius

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tunc von der Einhaltung einer angemessenen Frist ab.52 Das Erfordernis der Einhaltung einer angemessenen Frist wurde von Seiten des EuGH bereits in den verbundenen Rechtssachen D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung53 festgelegt. Er folgte dabei insoweit ausdrücklich den Ausführungen des GA Lagrange in dessen Schlussanträgen.54 Dieser hatte im Kontext der Frage der Aufhebbarkeit rechtswidriger begünstigender Entscheidungen festgestellt, dass – nach der damaligen Rechtslage – lediglich in Frankreich eine rückwirkende Rücknahme eines begünstigenden „acte individuel“55 an eine Frist, konkret: an die für die Erhebung des recours pour excès de pouvoir geltende Frist von drei Monaten, gebunden sei.56 Diese Einschränkung der Rücknahmebefugnis legte er dem EuGH auch für das Gemeinschaftsrecht nahe, war aber angesichts der anderslautenden Regelungen in den übrigen Mitgliedstaaten zu einer Konzession bereit, die für ihn in der Einräumung einer – seiner Ansicht nach jedoch möglichst restriktiv zu bemessenden – „angemessenen Frist“ bestand.57 Nachdem der EuGH in seinem Urteil in den soeben genannten verbundenen Rechtssachen tatsächlich das Erfordernis der Einhaltung einer angemessenen Frist als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung übernommen hatte, schlug GA Lagrange später in seinem Schlussantrag in der Rechtssache Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/ Hohe Behörde zwecks Konkretisierung der Rücknahmevoraussetzungen und im Interesse von Rechtsklarheit eine Orientierung an der im französischen Verwaltungsprozessrecht für den recours pour excès de pouvoir geltenden Dreimonatsfrist vor.58 Soweit ersichtlich, ist die Judikatur diesem Vorschlag indes bis heute nicht gefolgt;59 sie ermittelt die Einhaltung einer angemessenen Frist vielmehr nach wie vor anhand der gegebenen Umstände im Einzelfall. Aus der dementsprechend existierenden Einzelfallrechtsprechung 52

Soweit erkennbar, musste sich die Judikatur bislang noch nicht mit der Zulässigkeit einer rückwirkenden Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung in der Konstellation befassen, dass zwar kein berechtigtes Vertrauen gegeben ist, aber auch eine angemessene Frist nicht eingehalten wurde. In diesem Falle wird es wohl im besonderen auf die Umstände des Einzelfalles ankommen. 53 Verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 119. 54 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, ebenda: „In Übereinstimmung mit den Schlußanträgen des Generalanwalts (. . .).“ 55 Hierbei handelt es sich um Einzelfallentscheidungen der Verwaltung, vgl. nur: Koch, S. 111. 56 GA Lagrange, in: SÄen in den verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 163. Zum recours pour excès de pouvoir s. o., Einleitung, D. (dort: Fn. 72). 57 GA Lagrange, in: SÄen in den verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 163. 58 Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 570. 59 Vgl. dazu auch: Ragnemalm, in: Mélanges, S. 511, 521. Kritisch insoweit daher: Schwarze, S. 963; Bockey, S. 152.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

lassen sich folgende Grundsätze zu dem Erfordernis der Einhaltung einer angemessenen Frist herleiten: Die Berechnung der angemessenen Frist beginnt mit dem Erlass der Entscheidung60 bzw. – im Falle nachträglich eintretender Rechtswidrigkeit – mit dem Eintritt der Änderung der Sach- oder Rechtslage61. Die Angemessenheit der einzuhaltenden Frist bestimmt sich u. a. nach dem Verhalten des rücknahmeberechtigten Entscheidungsträgers. Hat dieser vor der Rücknahme Schritte zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes unternommen, indem er etwa einen mitgliedstaatlichen Entscheidungsträger auffordert, die bestehende Sachlage gegenüber dem Begünstigten richtigzustellen, und in schutzwürdiger Weise – allerdings vergeblich – darauf vertraut, dass der mitgliedstaatliche Entscheidungsträger unverzüglich und ordnungsgemäß dieser Aufforderung nachkommen werde, dann ist eine Frist von (sogar) fast sieben Jahren seit Erlass der Entscheidung angemessen.62 Anders dagegen, wenn der rücknahmeberechtigte Entscheidungsträger völlig untätig bleibt, obwohl für ihn die Möglichkeit besteht, sich über die Rechtswidrigkeit der Entscheidung Klarheit zu verschaffen; dann ist eine Frist von zwei Jahren unangemessen.63 Im Übrigen hielt die Judikatur eine Frist von sieben Monaten, zwei Monaten bzw. knapp drei Monaten unter den jeweils gegebenen Umständen für angemessen.64 Je nachdem, ob die Rücknahme einer rechtsbegründenden oder deklaratorischen begünstigenden Entscheidung im konkreten Einzelfall in Rede steht, kommt dem Erfordernis der Einhaltung einer angemessen Frist nach der Judikatur65 ein unterschiedliches Gewicht zu: Sie misst dem Erfordernis der Einhaltung einer angemessenen Frist allein im Falle einer rechtsbegründenden Entscheidung (selbständige) Bedeutung zu. Im Falle einer lediglich deklaratorischen Entscheidung scheint dieses Erfordernis demgegenüber einer Rücknahme mit Wirkung ex tunc praktisch nicht im Wege zu stehen.66 Das 60

EuG, Rs. T-73/95, Slg. 1997, II-381, Rn. 42 (Estabelecimentos I. M. Oliveira/ Kommission). 61 Müller, S. 140. 62 EuGH, Rs. 111/63, Slg. 1965, 893, 913 (Lemmerz Werke GmbH/Kommission). 63 EuGH, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, Rn. 15 f. (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission). 64 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 119 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 12 (Alpha Steel Ltd./ Kommission); EuG, verb. Rs. T-90/91 und T-60/92, Slg. ÖD 1995, I-A-1, I-A-5 (H. de Compte/Europäisches Parlament) (in seiner Rechtsmittelentscheidung [Rs. C-90/95 P, Slg. 1997, I-1999, Rn. 41 (H. de Compte/Europäisches Parlament)] hat der EuGH die Frage der Angemessenheit der Frist ausdrücklich offengelassen). 65 EuGH, Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 549 f. (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/Hohe Behörde); ferner: GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1024 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission).

2. Kap.: Actus contrarius

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bedeutet indes nicht, dass dieser Gesichtspunkt völlig bedeutungslos wäre. Auch im Falle der Rücknahme einer lediglich deklaratorischen Entscheidung ist der Zeitfaktor nach der Judikatur67 nicht per se unbeachtlich, sondern ist vielmehr – dann allerdings bereits – im Rahmen der Frage, ob die rückwirkende Rücknahme unter vertrauensschutzrechtlichen Aspekten zulässig ist, zu berücksichtigen.68 2. Rücknahme belastender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc Die Rücknahme einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc ist voraussetzungslos zulässig.69 Während die Judikatur70 ihre Zulässigkeit aus einem erst-recht-Schluß im Verhältnis zu der rückwirkenden Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung herleitet, begründet die Literatur sie mit der insoweit völlig anders gelagerten Interessenlage: Die Rücknahme einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc liege regelmäßig im Interesse des Belasteten und stehe zudem in Einklang mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,71 so dass das öffentliche und das individuelle Interesse in diesem Fall gleichgerichtet seien.72 Daher überwiege der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung regelmäßig den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit,73 zumal auch in der Regel kein schutzwürdiges Vertrauen des Belasteten auf den Bestand der Entscheidung bestehe.74 66

Schlockermann, S. 50. EuGH, Rs. 14/61, Slg. 1962, 511, 550 (Koniklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV/Hohe Behörde). 68 Schlockermann, S. 51. 69 EuG, Rs. T-227/95, Slg. 1997, II-1185, Rn. 91 (Assi Domän Kraft Products AB u. a./Kommission); ferner: H. P. Ipsen, 25/8; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 69; Huber, § 20, Rn. 32; Bockey, S. 143; Gornig/Trüe, JZ 1993, 884, 891; Haibach, NVwZ 1998, 456, 460; i. E. ebenso (regelmäßig geboten): Hegels, S. 95; Schweitzer/Hummer, Rn. 410; Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 459; Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 86; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 391; wohl auch: Oppermann, § 8, Rn. 40; von einer Rücknahmepflicht gehen aus: Müller, S. 138 f.; Däubler, NJW 1965, 1646, 1649. Die Ersetzung einer belastenden Entscheidung durch eine noch stärker belastende Entscheidung lässt die Qualifizierung der ersetzten Entscheidung als belastend unberührt; sie ist nicht nachträglich als begünstigend anzusehen (dazu: Hegels, S. 95 f.). 70 EuG, Rs. T-227/95, Slg. 1997, II-1185, Rn. 91 (Assi Domän Kraft Products AB u. a./Kommission). 71 Bockey, S. 143. 72 Hegels, S. 95; Oppermann, § 8, Rn. 40; H. P. Ipsen, 25/8; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 69; Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 459; Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 86; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 391. 73 Weber, in: Schweitzer, S. 55, 69; Däubler, NJW 1965, 1646, 1649; Haibach, NVwZ 1998, 456, 460; wohl auch: H. P. Ipsen, 25/8. 67

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1. Teil: Aufhebungsverbote

II. Rücknahme von Entscheidungen mit Wirkung ex nunc 1. Rücknahme begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc Die Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc wird für stets zulässig erachtet.75 Begründet wird diese ausnahmslose Zulässigkeit damit, das Erfordernis der Einhaltung einer angemessenen Frist gelte allein für eine Rücknahme einer Entscheidung mit Wirkung ex tunc;76 ferner damit, eine rechtswidrig erlassene Entscheidung bringe kein „wohlerworbenes Recht“ zur Entstehung,77 auf dessen Fortbestehen der Begünstigte auch in Zukunft in schutzwürdiger Weise vertrauen könnte.78 Ob der EuGH allerdings nach wie vor seine diesbezüglich strenge Judikatur aufrecht erhält, erscheint fraglich. In seinem Urteil in der Rechtssache A. Herpels/Kommission79 hat er die ausnahmslose Zulässigkeit einer zukunftsgerichteten Rücknahme ausdrücklich nur für das öffentliche Dienstrecht bejaht. In diesem Bereich überwiegt nach Ansicht des EuGH das auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beruhende öffentliche 74

Haibach, NVwZ 1998, 456, 460. EuGH, Rs. 15/60, Slg. 1961, 241, 259 (G. Simon/EuGH); Rs. 56/75, Slg. 1976, 1097, Rn. 18 (R. Elz/Kommission); Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, Rn. 38 (A. Herpels/Kommission); ebenso: GA Mayras, in: SA in Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, 606 (A. Herpels/Kommission); GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1024 (Consorzio Cooperative d’ Abbruzzo/Kommission); auch: Oppermann, § 8, Rn. 40; Huber, § 20, Rn. 31; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 391. Die Zulässigkeit gilt sowohl für rechtsbegründende als auch für lediglich deklaratorische Entscheidungsinhalte, vgl. z. B. in Bezug auf einen rechtsbegründenden Entscheidungsinhalt: EuGH, Rs. 15/60, Slg. 1961, 241, 259 (G. Simon/EuGH); in Bezug auf einen deklaratorischen Entscheidungsinhalt: EuGH, Rs. 56/75, Slg. 1976, 1097 (R. Elz/Kommission); ferner: GA Mayras, in: SA in Rs. 54/77, ebenda, S. 605 f.; GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, ebenda, S. 1024 f. (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/ Kommission); H. P. Ipsen, 25/9. Im Ansatz zwischen den verschiedenen Entscheidungsinhalten differenzierend: Schwarze, S. 971 ff.; Bockey, S. 127 ff.; Geurts, S. 230 ff. 76 So das Ergebnis der Analyse der einschlägigen Judikatur seitens GA Mayras, in: SA in Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, 605 f. (606) (A. Herpels/Kommission); ebenso: Schlockermann, S. 38; wohl auch: Oppermann, § 8, Rn. 40 (spricht von „frei rücknehmbar“). Kritisch zu diesem Ergebnis im Hinblick auf rechtsbegründende Entscheidungen: Geurts, S. 231 f. 77 EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 117 (D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung); vgl. auch: GA Mayras, in: SA in Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, 606 (A. Herpels/Kommission). „Wohlerworben“ ist ein Recht, wenn es nicht aufhebbar ist (so der EuGH in seinem soeben bereits genannten Urteil in den verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, 117). 78 GA Mayras, in: SA in Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, 606 (A. Herpels/Kommission). 79 Rs. 54/77, Slg. 1978, 585, Rn. 39 ff. 75

2. Kap.: Actus contrarius

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Interesse an der Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung das Interesse des Beamten an der Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtslage ohne weiteres. Aufgrund besonderer Sorgfaltspflichten, die der EuGH den Beamten der Europäischen Gemeinschaften etwa bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Dienstbezüge auferlegt,80 schließt der EuGH die Berufung auf Vertrauensschutz insoweit aus. Die Frage, ob dies auch etwa im Falle der Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Dauerwirkung, in die der Begünstigte in erheblichem Maße Vertrauen investiert hat, gilt, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben, da – soweit ersichtlich – diese Frage bislang noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung des EuGH oder des EuG war. Auch die Literatur hat sich – jedenfalls soweit erkennbar – noch nicht mit dieser Frage befasst. Die von Seiten des EuGH geäußerte ausdrückliche Beschränkung der ausnahmslosen Zulässigkeit der Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc auf das öffentliche Dienstrecht wird in der Literatur81 dahingehend gedeutet, außerhalb dieses Bereiches sei eine Berufung auf Vertrauensschutz möglich und gegen das auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beruhende öffentliche Rücknahmeinteresse umfassend abzuwägen. Auf der Grundlage dieser Annahme wäre im Falle überwiegenden Vertrauensschutzes die Rücknahme mit Wirkung ex nunc ausgeschlossen.82 2. Rücknahme belastender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc Die Rücknahme einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc wird in der Literatur83 für voraussetzungslos zulässig erachtet. Dies ergäbe sich im Übrigen bereits aus einem erst-recht-Schluss im Verhältnis zur Rücknahme einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc. Daher gelten die obigen Ausführungen in dieser Konstellation entsprechend.84

80

Dazu: Müller, S. 142. Vgl.: Müller, S. 142. 82 Hierfür plädiert im Ergebnis auch: Däubler, NJW 1965, 1646, 1650. 83 Gornig/Trüe, JZ 1993, 884, 891; Haibach, NVwZ 1998, 456, 460; Lübbig, EuZW 2003, 233, 236; von einer Rücknahmepflicht ausgehend: Müller, S. 138. 84 s. o., I. 2. 81

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1. Teil: Aufhebungsverbote

III. Widerruf von Entscheidungen mit Wirkung ex tunc 1. Widerruf begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc Der Widerruf einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc ist wegen Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze ausnahmslos unzulässig.85 Subjektives Vertrauen des Begünstigten in das Fortbestehen der Entscheidung wird in dieser Konstellation in jedem Falle für schutzwürdig erachtet,86 so dass Vertrauensschutz in diesem Falle eine absolute Schranke für einen Widerruf bildet.87 Hinzu kommt, dass – anders als bei der Rücknahme – kein öffentliches Interesse an einem Widerruf im Widerstreit zu dem Interesse des Begünstigten am Fortbestehen der Entscheidung steht, sondern beide Interessen vielmehr gleichgerichtet sind.88 Im Ergebnis besteht daher ein Widerrufsverbot, das Bestandschutz bewirkt. 2. Widerruf belastender Entscheidungen mit Wirkung ex tunc Während die Judikatur mit der Frage, ob der erlassende Entscheidungsträger eine belastende Entscheidung mit Wirkung ex tunc widerrufen darf – soweit ersichtlich –, bislang noch nicht befasst war, wird die Zulässigkeit 85 Der Sache nach bereits anerkannt in: EuGH, Rs. 1/55, Slg. 1955/56, 1, 28 (A. Kergall/Gemeinsame Versammlung); erstmals explizit die Unzulässigkeit bejaht in: EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 118. Entgegen Müller (S. 138) und Däubler (NJW 1965, 1646, 1650) handelt es sich hierbei nicht lediglich um ein obiter dictum; wie hier: Schlockermann, S. 30 (dort: Fn. 4). Wie in den verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57 (ebenda) die Unzulässigkeit des Widerrufs lediglich als Regelfall ansehend: EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 139 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission) (im Rahmen eines obiter dictum). In der späteren Judikatur wird der Widerruf einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc dann aber überwiegend als ausnahmslos unzulässig angesehen: EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 162 (SNUPAT/Hohe Behörde) (wohl im Rahmen eines obiter dictum); Rs. 159/82, Slg. 1983, 2711, Rn. 8 (A. Verli-Wallace/Kommission); EuG, Rs. T-123/89, Slg. 1990, II-131, Rn. 34 (J.-L. Chomel/Kommission); Rs. T-197/99, Slg. ÖD 2000, I-A-271, I-A-273 (A. Gooch/Kommission); Rs. T-293/01, Slg. 2003, II-441, Rn. 91 (D. Ineichen/Kommission); ferner: Schlockermann, S. 34; Geurts, S. 222 ff.; Oppermann, § 8, Rn. 39; Gornig/Trüe, JZ 1993, 884, 891. Dieser allgemeine Verwaltungsgrundsatz gilt sowohl für rechtsbegründende als auch für lediglich deklaratorische Entscheidungsinhalte, vgl. z. B.: in Bezug auf einen rechtsbegründenden Entscheidungsinhalt: EuGH, Rs. 159/82, Slg. 1983, 2711, Rn. 9 (A. Verli-Wallace/Kommission); ferner: H. P. Ipsen, 25/7; in Bezug auf einen deklaratorischen Entscheidungsinhalt: EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 162 (SNUPAT/Hohe Behörde); ferner: H. P. Ipsen, 25/7. 86 Schlockermann, S. 34; Geurts, S. 224. 87 Borchardt, Verrauensschutz, S. 65. 88 Bockey, S. 136.

2. Kap.: Actus contrarius

133

des Widerrufs in der Literatur89 unter Hinweis auf entsprechende Regelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie unter Berufung auf das in dieser Konstellation regelmäßig zugunsten eines Widerrufs sprechende Interesse des Belasteten bejaht,90 es sei denn, das öffentliche Interesse am Fortbestehen der Entscheidung überwiegt das Interesse des Belasteten am Widerruf, wie dies etwa dann der Fall sein soll, wenn eine Rechtspflicht zum Erlass der Entscheidung (fort-)besteht.91 IV. Widerruf von Entscheidungen mit Wirkung ex nunc 1. Widerruf begünstigender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc Ob eine Entscheidung mit Wirkung ex nunc zulässigerweise widerrufen werden kann, ist bislang nicht abschließend geklärt.92 Unter Rückgriff auf entsprechende Regelungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hatte der EuGH den Widerruf begünstigender Entscheidungen in den verbundenen Rechtssachen D. Algera u. a./Gemeinsame Versammlung wegen Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze für grundsätzlich unzulässig erklärt,93 ohne insoweit zwischen einem Widerruf mit Wirkung ex tunc oder ex nunc zu differenzieren.94 In der Folgezeit wurde diese Judikatur dann lediglich in Bezug auf den rückwirkenden Widerruf einer begünstigenden Entscheidung bestätigt und insoweit als ausnahmslose Regelung fortgeführt.95 Auf der Grundlage der seitens des EuGH in den soeben genannten verbundenen Rechtssachen herausgearbeiteten allgemeinen Widerrufs89 H. P. Ipsen, 25/5; Oppermann, § 8, Rn. 39; Huber, § 20, Rn. 29; Schweitzer/ Hummer, Rn. 410; Bockey, S. 144; Däubler, NJW 1965, 1646, 1650; offenbar auch Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 459 (er differenziert wohl nicht zwischen der Zulässigkeit eines Widerrufs mit Wirkung ex tunc und der eines Widerrufs mit Wirkung ex nunc); i. E. ebenso: Lauwaars, S. 315; einschränkend: Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 86. 90 Auf entsprechende Regelungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen weisen hin: H. P. Ipsen, 25/5; Lauwaars, S. 315. Auf das regelmäßig überwiegende individuelle Interesse des Belasteten an einem Widerruf stellen ab: H. P. Ipsen, 25/5; Oppermann, § 8, Rn. 39; Bockey, S. 143; Huber, § 20, Rn. 29; Erichsen/ Buchwald, Jura 1995, 84, 86. 91 H. P. Ipsen, 25/5; Oppermann, § 8, Rn. 39; Schweitzer/Hummer, Rn. 410; Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 459; Bockey, S. 144; Däubler, NJW 1965, 1646, 1650. 92 Lübbig, EuZW 2003, 233, 236. Dies gilt sowohl für den Widerruf einer begünstigenden Entscheidung mit rechtsbegründendem als auch einer solchen mit deklaratorischem Inhalt (vgl. nur: H. P. Ipsen, 25/7). 93 Verb. Rs. 7/56 und 3 bis 7/57, Slg. 1957, 83, 127 (in Verbindung mit S. 118). 94 s. auch: Lübbig, EuZW 2003, 233, 236. 95 Vgl. oben, III. 1.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

regelung für begünstigende Entscheidungen wird in der Literatur96 angenommen, die vom EuGH dort verwendete einschränkende Formulierung „grundsätzlich“ gewinne im Rahmen der Frage der Zulässigkeit des zukunftsgerichteten Widerrufs begünstigender Entscheidung Bedeutung mit der Folge, dass ein solcher Widerruf (lediglich) grundsätzlich unzulässig sein soll, wobei seine grundsätzliche Unzulässigkeit auf dem in dieser Konstellation regelmäßig überwiegenden Interesse des Begünstigten am Fortbestehen der Entscheidung beruhen soll, dem hier auch das öffentliche Interesse am Widerruf nicht entgegenstehe.97 Abgesehen von der nicht abschließend geklärten Frage, ob ein Widerruf mit Wirkung ex nunc überhaupt – jedenfalls ausnahmsweise – zulässig ist, steht noch eine abschließende Klärung aus, in welchen Fällen ein solcher Widerruf, vorausgesetzt, seine ausnahmsweise Zulässigkeit wird bejaht, dann in Betracht kommen könnte.98 Als Beispiel wird insoweit die Nichterfüllung einer der begünstigenden Entscheidung beigefügten Auflage genannt, da in diesem Falle der Begünstigte nur in eingeschränktem Umfang auf das Fortbestehen der Entscheidung vertrauen durfte.99 2. Widerruf belastender Entscheidungen mit Wirkung ex nunc Der Widerruf einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc wird in der Literatur100 unter Berufung auf das überwiegende Interesse des Belasteten am Widerruf für zulässig erachtet, es sei denn, das öffentliche Interesse am Widerruf der Entscheidung überwiegt im Einzelfall, wie dies etwa dann der Fall sein soll, wenn der widerrufsberechtigte Entscheidungsträger zum Erlass der Entscheidung (nach wie vor) verpflichtet ist.101 96 Namentlich: Schlockermann, S. 32 und S. 34; vgl. auch: Huber, § 20, Rn. 30; H. P. Ipsen, 25/7; Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 391 (beschränkt auf rechtsbegründende Entscheidungen); wohl auch: Däubler, NJW 1965, 1646, 1650; anders (ausnahmslose Unzulässigkeit): Oppermann, § 8, Rn. 39. 97 Schlockermann, S. 34; i. E. ebenso: Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224 (unter Hinweis auf wohlerworbenes Recht). 98 Schlockermann, S. 34; Weber, in: Schweitzer, S. 55, 70 (hält rechtsvergleichende Analyse für notwendig); Püttner, EuR 10 (1975), 218, 224; Lübbig, EuZW 2003, 233, 236. 99 Lübbig, EuZW 2003, 233, 236. Weitere Beispiele bei: Lübbig, ebenda; Reischl, in: Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 97, 100; Haratsch, EuR 33 (1998), 387, 391. 100 Weber, in: Schweitzer, S. 55, 70; H. P. Ipsen, 25/5; Oppermann, § 8, Rn. 39; Erichsen/Buchwald, Jura 1995, 84, 86; offenbar auch: Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 459 (er differenziert wohl nicht zwischen der Zulässigkeit eines Widerrufs mit Wirkung ex tunc und der eines Widerrufs mit Wirkung ex nunc).

2. Kap.: Actus contrarius

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V. Zusammenfassung Der für die Aufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius regelmäßig zuständige erlassende Entscheidungsträger und ein ausnahmsweise – an seiner Stelle – insoweit zuständiger anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger auf Gemeinschaftsebene sind mit Erlass einer Entscheidung an deren Bestand gebunden. Diese auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) beruhende Bindung ist indes nicht zwangläufig gleichbedeutend mit dem Bestehen eines Aufhebungsverbotes. Ein solches liegt vielmehr nur bzw. erst dann vor, sobald und soweit eine nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang des Gesetzes) u. U. an sich durchaus noch mögliche Loslösung von der Bindung mittels Bestandsaufhebung nicht (mehr) oder jedenfalls nur noch unter bestimmten materiell-rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist. Ob eine nachträgliche Bestandsaufhebung mittels actus contrarius seitens des zuständigen Entscheidungsträgers zulässig ist und – bejahendenfalls – ob ihre Zulässigkeit von der Einhaltung bestimmter materiellrechtlicher Voraussetzungen abhängig ist oder nicht, bestimmt sich im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen, die von der Judikatur entwickelt wurden, um eine Rechtsverweigerung auf Gemeinschaftsebene in diesem Bereich zu verhindern. Die auf Antrag oder von Amts wegen zu treffende Entscheidung, ob eine zulässige Aufhebung einer existenten Entscheidung jeden (möglichen) Inhalts und unabhängig davon, ob sie bereits in formelle Bestandskraft erwachsen ist, letztlich tatsächlich im konkreten Einzelfall erfolgt, steht – mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Verpflichtung zur Bestandsaufhebung besteht (so im Falle einer antragsabhängigen Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung wegen Vorliegens wesentlicher neuer Tatsachen sowie im Falle einer auf Antrag oder von Amts wegen, ohne Rücksicht auf eine etwa eingetretene Bestandskraft erfolgenden Aufhebung einer rechtlich inexistenten oder einer an einer offensichtlichen Gesetzesverletzung leidenden Entscheidung) – im Ermessen des zuständigen Entscheidungsträgers. Das Ermessen besteht dabei sowohl aus einem Entschließungsermessen als auch aus einem Auswahlermessen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Erfolgt eine Aufhebung, bewirkt diese eine unmittelbare Durchbrechung der Bestandskraft. Im Einzelnen gelten folgende allgemeine Verwaltungsgrundsätze: (a) Die Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc ist zulässig, wenn sie innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolgt 101 H. P. Ipsen, 25/5; Oppermann, § 8, Rn. 39; Alber, in: Hill/Pitschas, S. 445, 459; Däubler, NJW 1965, 1646, 1650.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

und der für die Aufhebung zuständige Entscheidungsträger das berechtigte Vertrauen des Begünstigten in die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ausreichend berücksichtigt. (b) Die Rücknahme einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc ist voraussetzungslos zulässig. Es gilt der Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit. Nach der Judikatur folgt die Zulässigkeit aus einem erst-rechtSchluss im Verhältnis zur rückwirkenden Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung. (c) Die Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc wurde in der älteren Judikatur des EuGH für stets voraussetzungslos zulässig erachtet. Begründet wurde die Geltung des Grundsatzes der freien Rücknehmbarkeit damit, das Erfordernis der Einhaltung einer angemessenen Frist bilde lediglich im Falle einer rückwirkenden Rücknahme eine Zulässigkeitsvoraussetzung; ferner damit, eine rechtswidrig erlassene Entscheidung lasse kein „wohlerworbenes Recht“ entstehen, auf dessen Fortbestehen der Begünstigte auch in Zukunft in schutzwürdiger Weise vertrauen könnte. In seinem Urteil in der Rechtssache A. Herpels/Kommission hat der EuGH die ausnahmslose Zulässigkeit einer zukunftsgerichteten Rücknahme aber ausdrücklich nur für das öffentliche Dienstrecht bejaht. In diesem Bereich schließt der EuGH eine Berufung auf Vertrauensschutz aus. In der Literatur wird aus diesem Urteil die Schlussfolgerung gezogen, außerhalb des öffentlichen Dienstrechtes sei eine Berufung auf Vertrauensschutz demzufolge möglich und in eine umfassende Interessenabwägung einzubeziehen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen käme eine Rücknahme mit Wirkung ex nunc im Falle überwiegenden Vertrauensschutzes nicht in Betracht. (d) Unter Zugrundelegung der in der Literatur vertretenen Auffassung ist die Rücknahme einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc stets voraussetzungslos zulässig. Dies folgt im Übrigen bereits aus einem erstrecht-Schluss im Verhältnis zur rückwirkenden Rücknahme einer belastenden Entscheidung. (e) Der Widerruf einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex tunc ist wegen Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze ausnahmslos unzulässig. (f) Der rückwirkende Widerruf einer belastenden Entscheidung ist auf der Grundlage der in der Literatur vertretenen Ansicht demgegenüber grundsätzlich zulässig. Die Zulässigkeit wird auf entsprechende Regelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie auf das in dieser Konstellation regelmäßig zugunsten eines Widerrufs sprechende Interesse des Belasteten an einer Beseitigung seiner Beschwer gestützt.

2. Kap.: Actus contrarius

137

(g) Ob der zuständige Entscheidungsträger eine begünstigende Entscheidung mit Wirkung ex nunc zulässigerweise widerrufen kann, ist noch nicht abschließend geklärt. In der Literatur wird ein solcher Widerruf jedoch unter Berufung auf das in dieser Konstellation regelmäßig überwiegende Interesse des Begünstigten am Fortbestehen der Entscheidung, dem ein öffentliches Interesse nicht entgegensteht, für grundsätzlich unzulässig erachtet. Klärungsbedürftig sind insoweit allerdings noch die Fälle, in denen ein zukunftsgerichteter Widerruf ausnahmsweise zulässigerweise in Betracht kommt. (h) Unter Zugrundelegung der in der Literatur vertretenen Auffassung ist der Widerruf einer belastenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc wegen überwiegenden Interesses des Belasteten an einer Beseitigung seiner Beschwer grundsätzlich voraussetzungslos zulässig.

B. Aufhebungsverbote gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern Ungeachtet der ihnen gesetzlich zugewiesenen Kompetenz, einen Verwaltungsakt mittels actus contrarius aufzuheben, sind der für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes regelmäßig zuständige erlassende Entscheidungsträger, d.h. die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat (vgl. § 35 S. 1 VwVfG),102 und ein ausnahmsweise – an seiner Stelle – insoweit zuständiger anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger103 nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) mit Eintritt der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes an dessen Bestand gebunden. Wie im Gemeinschaftsrecht kommt dieser Bindung indes nicht zwangsläufig bereits – zumindest grundsätzlich – endgültiger Charakter zu, so dass bereits das Bestehen eines Aufhebungsverbotes angenommen werden könnte, denn ein solches besteht vielmehr nur bzw. erst dann, sobald und soweit eine Loslösung von der Bindung mittels nachträglicher Bestandsaufhebung nicht (mehr) oder aber jedenfalls nur noch unter bestimmten, namentlich – hier allein interessierenden – materiell-rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist.104 Sind auch diese Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllbar, ist der Verwaltungsakt unabänderlich. 102

Zu der Zuständigkeitsverteilung s. bereits oben, Einleitung, D. Zu der Zuständigkeitsverteilung s. bereits oben, Einleitung, D. 104 s. oben, A. In formell-rechtlicher Hinsicht sind u. a. die allgemeinen Vorschriften nach den §§ 9 ff. VwVfG zu beachten (dazu: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 35). 103

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Unabänderlichkeit eines Verwaltungsaktes in Judikatur105 und Literatur106 – in Anlehnung an das Prozessrecht – als „materielle Bestandskraft“ bzw. „materielle Rechtskraft“ des Verwaltungsaktes angesehen.107 Inzwischen hat sich indes offensichtlich weit überwiegend die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht nur die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen, sondern – ihrem prozessrechtlichen Vorbild entsprechend – auch die materielle Bestandskraft von Verwaltungsakten keine bestandsbezogene, sondern vielmehr eine inhaltsbezogene Bindung darstellen.108 Ob eine nachträgliche Bestandsaufhebung zulässig ist und – bejahendenfalls – ob ihre Zulässigkeit ggfls. an die Erfüllung bestimmter materiellrechtlicher Voraussetzungen geknüpft ist oder nicht, bestimmt sich – vorbehaltlich vorrangig anwendbarer Spezialvorschriften –109 nach den Bestimmungen der §§ 48 ff. VwVfG. § 48 VwVfG regelt die Aufhebung eines – im Zeitpunkt seines Erlasses –110 rechtswidrigen, nicht nichtigen111 Verwal105

Z. B.: BVerfGE 2, 380, 392 f.; BVerwGE 4, 233, 234; 5, 312, 313; 23, 25,

27 f. 106

s. nur: Bullinger, JZ 1963, 466, 469. Dazu: Seibert, S. 144 ff. 108 Zum heutigen Begriffsverständnis der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen grundlegend: Bötticher, S. 30 ff.; vgl. im Übrigen nur: Kopp/ Schenke, § 121, Rn. 2; Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 1. Zum heutigen Begriffsverständnis der materiellen Bestandskraft von Verwaltungsakten: BVerfGE 60, 253, 268 und 269 f. (270); FG des Saarlandes, EFG 2003, 1449; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 43 ff.; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Kopp, DVBl. 1983, 392, 398 f.; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Kutschera, S. 175 f. (176); Stelkens, Rn. 481; Ehlers, K & R 2001, 1, 4; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 187; Seibert, S. 149 ff.; Becker, S. 54; Huxholl, S. 75. Materielle Bestandskraft im Sinne von Unabänderlichkeit verstehen noch heute: BFH, NVwZ 1984, 61; ferner: Maurer, § 11, Rn. 7; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 5; i. E. auch für seine „Verbindlichkeit“: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 172 und 184 ff.; wohl auch: Steiner, VerwArch. 93 (1992), 479 ff.; möglicherweise auch ders., in: FS für Driehaus, S. 615 ff. Zur materiellen Bestandskraft von Verwaltungsakten im Einzelnen später, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. I. 1. 109 Dazu nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 6 ff. sowie § 49, Rn. 1. 110 BVerwGE 31, 222, 223; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 59; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 49, Rn. 57; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 31; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 157. Die Maßgeblichkeit der ursprünglichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes wird auf einen Umkehrschluss zu § 49 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwVfG gestützt. Für den Fall der nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage ist diese Auffassung allerdings nicht mehr unumstritten, vgl. dazu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 62 ff. 111 Ob im Falle der Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsaktes § 48 VwVfG direkt oder wenigstens entsprechend anwendbar ist, ist in Judikatur und Literatur allerdings umstritten. Gegen eine direkte Anwendung oder wenigstens entsprechende Anwendung spricht sich die wohl überwiegende Ansicht aus, vgl. z. B.: VGH BW, 107

2. Kap.: Actus contrarius

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tungsaktes („Rücknahme“); § 49 VwVfG regelt die Aufhebung eines – rechtmäßig erlassenen –112 Verwaltungsaktes („Widerruf“).113 Soweit eine nachträgliche Aufhebung des Bestandes nach diesen Bestimmungen zulässig ist, gilt dies unabhängig davon, ob der aufzuhebende Verwaltungsakt bereits in formelle Bestandskraft erwachsen ist oder nicht, vgl. Wortlaut der §§ 48 Abs. 1 S. 1; 49 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 VwVfG: „(. . .), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, (. . .)“. Im Wesentlichen entsprechen die in den §§ 48, 49 VwVfG normierten Regelungen den bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG geltenden Grundsätzen, die im Übrigen durchaus noch ergänzend Berücksichtigung finden können.114 Die §§ 48, 49 VwVfG gelten auch für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung. Für die Frage, ob sich seine Rücknahme bzw. sein Widerruf nach den Regelungen begünstigender oder belastender Verwaltungsakte richtet, ist auf die Rechtswirkungen, die der aufzuhebende Verwaltungsakt gegenüber seinem Adressaten entfaltet, abzustellen.115 Mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Verpflichtung zur Bestandsaufhebung besteht (so im Falle einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung,116 im Falle eines erfolgreichen Antrags nach § 51 VwVfG117 sowie in den Fällen, in denen aufgrund einer sog. Ermessensreduzierung „auf Null“ eine Aufhebungsverpflichtung nach § 48 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1, § 49 Abs. 2 S. 1 oder § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG [unter Umständen in Verbindung mit § 50 VwVfG] besteht,118 wie etwa regelmäßig im Falle einer – [nicht] beNVwZ 1985, 349; ferner: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 7; Peine, Rn. 326; Maurer, § 11, Rn. 16; Knoke, S. 83 ff.; Erbguth, S. 110 ff.; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 30; Detterbeck, Rn. 683; Gröpl, JA 1995, 904; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 156; a. A. aber: BSG, NVwZ 1989, 902, 903 (im Kontext des § 44 SGB X); ferner: Huxholl, S. 48 f.; für eine (zumindest) entsprechende Anwendung: BayVGH, NVwZ 1994, 716, 717; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 67; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 18. 112 Erichsen/Brügge, Jura 1999, 496, 497. 113 Zur gesetzlichen Terminologie s. nur: Maurer, § 11, Rn. 11. 114 Dazu: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 1 sowie dies., 8. Aufl., § 49, Rn. 1. 115 Vgl. nur: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 21. Im Falle eines sog. „Mischverwaltungsaktes“, d.h. eines Verwaltungsaktes, der gegenüber einem einzelnen Betroffenen teils begünstigende und teils belastende Rechtswirkungen entfaltet, folgt dessen Beseitigung den für die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte geltenden Regelungen, soweit der in Rede stehende Verwaltungsakt unteilbar ist (vgl. nur: Erichsen, ebenda, Rn. 18 f.). 116 Beispiele in Bezug auf im besonderen Verwaltungsrecht normierte Widerrufspflichten: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 10. 117 s. dazu bereits oben, Erstes Kapitel, B. III. (1) (a) (aa).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

standskräftigen –119 Rückforderungsentscheidung der Kommission im Sinne des Art. 14 Abs. 1 VO Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des Vertrages120, die infolge Feststellung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer mitgliedstaatlichen Beihilfe nach Art. 88 Abs. 2 EG ergeht), steht die Entscheidung, ob eine zulässige Aufhebung im konkreten Einzelfall tatsächlich erfolgt, im pflichtgemäßen Ermessen (vgl. § 40 VwVfG) des zuständigen Entscheidungsträgers. Im Falle der Aufhebung eines formell bestandskräftigen Verwaltungsaktes wird die formelle Bestandskraft unmittelbar durchbrochen.121 Die Aufhebung des Verwaltungsaktes erfolgt im Rahmen eines selbständigen Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 9 VwVfG,122 das auf Antrag oder von Amts wegen – ggfls. auch anlässlich eines erfolglosen Antrags nach § 51 VwVfG (vgl. § 51 Abs. 5 VwVfG) –123 eingeleitet werden kann (sog. „Wiederaufgreifen i. w. S.“).124 I. Rücknahme von Verwaltungsakten nach § 48 VwVfG § 48 VwVfG regelt die Rücknahme eines rechtswidrig erlassenen Verwaltungsaktes und differenziert dabei zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten. Er dient der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes.125 Für sämtliche rechtswidrigen Verwaltungsakte normiert § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG zunächst den – auf der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz beruhenden –126 Grundsatz der „freien Rücknehmbarkeit“, nach dem 118

Dazu: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 83; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 164; dies., Jura 1999, 496, 497 und 501. 119 Zur Rückforderungspflicht aufgrund einer noch nicht bestandskräftigen Kommissionsentscheidung: EuGH, Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 57 (Kommission/Portugiesische Republik). Zur Rückforderungspflicht aufgrund einer bestandskräftigen Kommissionsentscheidung: EuGH, Rs. C-24/95, Slg. 1997, I-1591, Rn. 34 (Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH). 120 ABl. Nr. L 83/1. 121 s. bereits oben, Erstes Kapitel, B. III. (1) (b). 122 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 1 und Rn. 252 sowie § 49, Rn. 116; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 163 sowie § 49, Rn. 77. 123 Erichsen/Ebber, Jura 1997, 424, 432. 124 Vgl.: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 36 (in Bezug auf die Rücknahme nach § 48 VwVfG); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 15 ff. Zur Bezeichnung „Wiederaufgreifen i. w. S.“ s. bereits oben, Erstes Kapitel, B. III. (1) (a) (aa) (dort: Fn. 320). 125 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 2.

2. Kap.: Actus contrarius

141

der erlassende Entscheidungsträger die Befugnis hat (vgl. Wortlaut „kann“), einen rechtswidrigen Verwaltungsakt ohne Einhaltung bestimmter Voraussetzungen zurückzunehmen.127 Das in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen umfasst sowohl ein Entschließungsermessen, d.h. ein Ermessen hinsichtlich der Frage, ob eine Aufhebung überhaupt erfolgt, als auch ein Auswahlermessen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht, vgl. insoweit auch den Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG: „ganz oder teilweise“, „mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit“.128 1. Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte Der Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit wird jedoch für begünstigende Verwaltungsakte, die in § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG legaldefiniert sind, gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG materiell (vgl. § 48 Abs. 2 bzw. Abs. 3 VwVfG) und zeitlich (vgl. § 48 Abs. 4 VwVfG) eingeschränkt.129 Die in § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG normierten Einschränkungen der Zulässigkeit einer Rücknahme, die den Ermessensrahmen für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte bilden,130 tragen dem – im Rechtsstaatsprinzip verankerten –131 Grundsatz des Vertrauensschutzes, nach dem ein Nichtentscheidungsträger „die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (soll)“132, Rechnung.133 a) Materielle Rücknahmebeschränkung nach § 48 Abs. 2 VwVfG § 48 Abs. 2 VwVfG enthält eine materielle Rücknahmebeschränkung für Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakte im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG: § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG normiert ein Rücknahmeverbot, das sowohl für eine Rücknahme mit Wirkung ex tunc als auch für eine solche mit 126

Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 37; Peine, Rn. 329. Vgl. auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 37; Peine, Rn. 329. 128 Vgl. auch: Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 162 und 164. 129 Zu weiteren, nicht kodifizierten Einschränkungen: Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 48, Rn. 119. 130 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 91; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 47 (im Kontext des § 48 Abs. 2 VwVfG); a. A.: Müller, S. 54 ff. (§ 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG als Tatbestands- und § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG als Rechtsfolgenseite). 131 BVerfGE 30, 392, 403; 50, 244, 250; 67, 129, 131; BVerfG, NJW 1992, 35, 36. Die verfassungsrechtliche Herleitung erfolgt jedoch in Judikatur und Literatur nicht einheitlich, vgl. dazu: Blanke, S. 12 ff.; Geurts, S. 22 ff. 132 BVerfG, NJW 1992, 35, 36. 133 Streitig allerdings in Bezug auf § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG; dazu später, lit. c). 127

142

1. Teil: Aufhebungsverbote

Wirkung ex nunc gilt, „soweit“ (vgl. Wortlaut) Vertrauensschutz zu gewähren ist. Schutzwürdiges Vertrauen führt daher zu Bestandsschutz.134 Voraussetzung dafür ist, dass der Begünstigte – subjektiv – auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut und dieses Vertrauen tatsächlich betätigt hat (das BVerwG spricht insoweit von dem Erfordernis, dass der Begünstigte das Vertrauen „ins Werk“ setzt135)136 und dass – objektiv – sein Vertrauen schutzwürdig ist.137 Ob letzteres der Fall ist, bestimmt sich nach einer wertenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, insbesondere an der Rücknahme des Verwaltungsaktes zwecks Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes,138 und dem Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes.139 Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens werden – nicht abschließend –140 Kriterien in § 48 Abs. 2 S. 2 und S. 3 VwVfG aufgezählt: § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG nennt drei Beispiele, etwa die Kenntnis des Begünstigten von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, bei deren Vorliegen die Gewährung von Vertrauensschutz – zwingend –141 ausgeschlossen ist und eine Interessenabwägung nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG an sich daher entbehrlich ist,142 ohne den rücknahmeberechtigten Entscheidungsträger indes daran zu hindern, im Rahmen seiner abschließenden Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG von der Rücknahme, die in diesem Falle wegen der Bestimmung des § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG regelmäßig mit Wirkung ex tunc erfolgt, aus anderen Gründen dennoch abzusehen.143

134 Ammelburger, S. 122; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 25 und Rn. 27; ders./Brügge, Jura 1999, 155, 158 und 159; kritisch in diesem Zusammenhang: Maurer, § 11, Rn. 28. 135 BVerwG 67, 129, 133 f.; 68, 159, 164. 136 Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 95; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 142; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 88; a. A.: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 28 (lediglich Indizwirkung); Müller, S. 55; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 159. 137 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 142; Peine, Rn. 333. 138 Zu anderen relevanten öffentlichen Interessen, vgl. nur: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 99. 139 Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 89; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 86 und Rn. 98; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 149 (die Abwägung sei dem unbestimmten Rechtsbegriff „schutzwürdig“ immanent); Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 159. 140 s. nur: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 29. 141 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 153; Knoke, S. 152; Erichsen/ Brügge, Jura 1999, 155, 159. 142 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 153. 143 Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 106; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 153; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 159 (dort: Fn. 57).

2. Kap.: Actus contrarius

143

§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG nennt demgegenüber Beispiele, etwa den Verbrauch gewährter Leistungen, denen gemeinsam ist, dass der Begünstigte etwas „ins Werk gesetzt“ hat,144 und bei deren Vorliegen das Vertrauen regelmäßig schutzwürdig ist. Die Schutzwürdigkeit wird in diesen Fällen somit indiziert;145 ausnahmsweise soll aber dennoch das öffentliche Interesse an einer Rücknahme mit Wirkung ex tunc überwiegen können.146 b) Materielle Rücknahmebeschränkung nach § 48 Abs. 3 VwVfG Die Rücknahme sonstiger begünstigender, d.h. nicht unter Abs. 2 subsumierbarer Verwaltungsakte erfolgt auf der Grundlage einer nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung.147 In materieller Hinsicht gilt für die Entscheidung über die Rücknahme daher der Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit,148 der – anders als im Falle der Rücknahme eines begünstigenden Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes nach § 48 Abs. 2 VwVfG – insoweit auch nicht durch § 48 Abs. 3 VwVfG eingeschränkt wird,149 denn § 48 Abs. 3 VwVfG normiert lediglich eine Rücknahmefolge,150 indem er die Voraussetzungen für einen – später noch kurz im Einzelnen vorzustellenden – Ausgleichsanspruch festlegt. Anders als im Rahmen des § 48 Abs. 2 VwVfG und abweichend von der vor In-KraftTreten des VwVfG herrschenden Ansicht wird Vertrauensschutz im Rahmen des § 48 Abs. 3 VwVfG damit allein in Form von Vermögensschutz gewährt.151 Begründet wird dies mit der „stärkeren Staatsbezogenheit“ sonstiger begünstigender Verwaltungsakte.152 144 BVerwGE 17, 335, 338; 24, 194, 196; ferner: Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 161. 145 Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 97; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 161. 146 s. nur: Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 161. Beispiel: fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (Knoke, S. 158). 147 Vgl. auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 179; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 133; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 162. Beispiele für sonstige begünstigende Verwaltungsakte bei: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 180. 148 Vgl. auch: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 108. 149 Vgl. auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 179; Ammelburger, S. 122. 150 Ammelburger, S. 122. 151 Ammelburger, S. 122; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 45; ders./ Brügge, Jura 1999, 155, 158 und 162; kritisch insoweit: Maurer, § 11, Rn. 28. Zur Rechtslage vor In-Kraft-Treten des VwVfG: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 133; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 179. 152 Begründung zu EVwVfG 73 zu § 44 Abs. 3 (= § 48 Abs. 3), BT-Drs. 7/910, S. 71; kritisch: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 45; ders./Brügge, Jura 1999, 155, 162.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Vertrauensschutz darf daher keinen Hinderungsgrund für eine Rücknahme eines sonstigen begünstigenden Verwaltungsaktes darstellen.153 Dies soll indes nicht seine Berücksichtigung im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG zu treffenden abschließenden Ermessensentscheidung, bei der sämtliche rücknahmerelevanten Aspekte in die Ermessenserwägungen miteinzubeziehen sind, ausschließen.154 Nicht Vermögens-, sondern doch Bestandsschutz soll nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht155 jedoch ausnahmsweise dann zu gewähren sein, wenn der Begünstigte durch die Rücknahme einen immateriellen Schaden erleiden würde, vor dem ihn der Bestand des Verwaltungsaktes gerade geschützt hätte, jedenfalls aber nicht über § 48 Abs. 3 VwVfG ersetzbar wäre, da andernfalls die Ermessensgrenzen, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, überschritten würden. Im Falle der Rücknahme eines sonstigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG hat der Begünstigte nach § 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG einen – auf Ersatz des Vertrauensinteresses gerichteten –156 Anspruch auf (finanziellen)157 Ausgleich für Vermögensnachteile, die er im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes erlitten hat, „soweit“ (vgl. Wortlaut) er – subjektiv – auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und – objektiv – sein Vertrauen schutzwürdig ist. Die Ermittlung des schutzwürdigen Vertrauens erfolgt dabei wie im Rahmen des § 48 Abs. 2 VwVfG (vgl. insoweit auch § 48 Abs. 3 S. 2 VwVfG). Der Ausgleichanspruch stellt einen verwaltungsrechtlichen, vom Verschulden des erlassenden Entscheidungsträgers unabhängigen Anspruch sui generis dar,158 der von dem Begünstigten innerhalb eines Jahres, beginnend ab Hinweisertei153

BVerwG, GewArch. 1987, 274; OVG NW, DVBl. 1990, 885, 887; VGH BW, NJW 1980, 2595, 2598; VGH Hessen, NVwZ-RR 1993, 348, 350; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 182 ff.; Peine, Rn. 335; wohl auch: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 48. 154 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 181; Peine, Rn. 335; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 48; differenzierend: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 137; a. A.: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 45; ders./Brügge, Jura 1999, 155, 162. 155 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 186; Peine, Rn. 335; Maurer, § 11, Rn. 34; Schenke, DÖV 1983, 320, 323; diese Ansicht aber angesichts Wortlaut und Systematik des § 48 VwVfG für fraglich haltend: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 45; auch: ders./Brügge, Jura 1999, 155, 162. 156 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 194; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 163. 157 Der Anspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG ist auf Geldersatz gerichtet; Naturalrestitution kommt naturgemäß nicht in Betracht (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 194; Peine, Rn. 337). 158 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 192; Peine, Rn. 336.

2. Kap.: Actus contrarius

145

lung des rücknahmeberechtigten Entscheidungsträgers auf diese Frist,159 beantragt werden muss (vgl. § 48 Abs. 3 S. 1 und S. 5 VwVfG) und gemäß § 48 Abs. 3 S. 4 VwVfG dem Grunde und der Höhe nach in einem Festsetzungsbescheid festgesetzt wird.160 c) Zeitliche Rücknahmebeschränkung nach § 48 Abs. 4 VwVfG § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG enthält – im Interesse vor allem der Rechtssicherheit161 bzw. des Vertrauensschutzes162 – eine Ausschlussfrist,163 die gemäß § 48 Abs. 4 S. 2 VwVfG im Falle des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG jedoch keine Anwendung findet. § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG stellt eine der umstrittensten Vorschriften des VwVfG dar.164 Dies gilt vor allem für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „(. . .) Tatsachen (. . .), die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen (. . .)“. Dessen Auslegung war auch innerhalb der Senate des BVerwG umstritten165 und hat im Jahre 1984 zu einem Beschluss des Großen Senates des BVerwG166 geführt, der seitdem für die praktische Anwendung des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG von ausschlaggebender Bedeutung ist,167 von der Literatur allerdings überwiegend abgelehnt wird.168 Unter Zugrundelegung der seitens des Großen Senats des BVerwG vertretenen Auslegung des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG beginnt die Frist, wenn der bei dem rücknahmeberechtigten Entscheidungsträger für die Rücknahme zuständige Amtswalter169 positive Kenntnis170 von Tatsachen i. w. S.171, d.h. 159

Dazu nur: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 113. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 199; Peine, Rn. 337. 161 So: BVerwG (gr. Sen.) E 70, 356, 359; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 72. 162 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 205; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 146; Müller, S. 52 (dort: Fn. 192). Als Geltungsgrund Rechtssicherheit und Vertrauensschutz ansehend: BVerwG, DVBl. 1982, 1001; OVG NW, DVBl. 1984, 1084, 1086. 163 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 208; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 146; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 155, 163. 164 So jedenfalls: Maurer, § 11, Rn. 35a. 165 Dazu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 219. 166 BVerwG (gr. Sen.) E 70, 356. 167 Ebenso: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 221. 168 s. nur: Maurer, § 11, Rn. 35a; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 69. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird auf die konträren Auffassungen nicht näher eingegangen. 169 BVerwG (Gr. Sen.) E 70, 356, 364. Der Große Senat schließt sich damit der engen Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Behörde“ an (dazu: Maurer, § 11, Rn. 35a). Ebenso: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 51; a. A. (die Behörde 160

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1. Teil: Aufhebungsverbote

von Tatsachen i. e. S.172 sowie von Rechtsanwendungsfehlern173 erhält und diese Tatsachen „vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei“174 ermittelt sind. Vor diesem Hintergrund stellt die Jahresfrist nach (heute) wohl herrschender Auffassung in Judikatur175 und Literatur176 keine Bearbeitungs-, sondern eine Entscheidungsfrist dar mit der Folge, dass die Rücknahme im Ergebnis regelmäßig zeitlich unbeschränkt erfolgen kann177 und daher praktisch bedeutungslos ist.178 2. Rücknahme belastender Verwaltungsakte Die Rücknahme belastender Verwaltungsakte ist ausschließlich in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG geregelt. Sie steht daher im pflichtgemäßen Ermessen des rücknahmeberechtigten Entscheidungsträgers (vgl. Wortlaut „kann“). In der Judikatur179, die in der Literatur180 allem Anschein nach abgelehnt als Organisationseinheit, nicht der individuell befasste Sachbearbeiter): Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 215a; Maurer, § 11, Rn. 35a; Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 82. 170 BVerwG (Gr. Sen.) E 70, 356, 364 f.; ihm folgend: BayVGH, NVwZ-RR 1992, 451, 452; ferner: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 153; Peine, Rn. 338; Erichsen/ Brügge, Jura 1999, 155, 163; wohl auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 214; a. A.: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 83. 171 Maurer, § 11, Rn. 35a. 172 Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 153. D.h. sämtliche Umstände, deren Vorliegen bei Erlass des Verwaltungsaktes seine ursprüngliche Rechtswidrigkeit begründet haben (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 222). 173 BVerwG (Gr. Sen.) E 70, 356, 357 ff. Der Große Senat schließt sich damit der weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Tatsache“ an (dazu: Maurer, § 11, Rn. 35a). Ebenso: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 49; i. E. dem Großen Senat zustimmend: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 77. Zum Begriff des Rechtsanwendungsfehlers s. nur: Maurer, § 11, Rn. 35a. 174 BVerwG (Gr. Sen.) E 70, 356, 364 f. (s. bereits auch: S. 362 ff.: Stütze auf den Wortlaut des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG [„rechtfertigen“]); ablehnend: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 79 f.; Maurer, § 11, Rn. 35a. 175 Z. B.: BVerwGE 92, 81, 87; BVerwG, NJW 1988, 2911, 2912; OVG NW, NVwZ 1988, 71, 72; VGH BW, NVwZ-RR 1993, 58. 176 Z. B.: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 17, Rn. 50; Hans Meyer, in: Meyer/ Borgs, § 48, Rn. 50; kritisch aber: Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 154 und Rn. 156; a. A.: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 79 f.; Maurer, § 11, Rn. 35a. Kopp/Ramsauer (§ 48, Rn. 154) sehen in dem Verzicht des Gesetzgebers, den Wortlaut des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG angesichts der judizierten Auslegung zu ändern bzw. klarzustellen, eine mittelbare Bestätigung dieser Auslegung. 177 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 206. 178 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 232; Peine, Rn. 338. Ungeachtet der praktisch bedeutungslosen Entscheidungsfrist kann der aufhebungsberechtigte Entscheidungsträger sein Aufhebungsrecht aber verwirken, vgl. dazu: BayVGH, BayVBl. 1983, 120; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 40.

2. Kap.: Actus contrarius

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wird, wird das in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG normierte Ermessen verschiedentlich als sog. „intendiertes“ Ermessen aufgefasst. Ein solches liegt vor, wenn eine Vorschrift zwar Ermessen einräumt, zugleich aber ausdrücklich oder nach ihrem Sinn und Zweck hinreichend deutlich zu erkennen gibt, dass im Regelfall ein bestimmtes Entscheidungsergebnis gesetzlich gewollt ist und hiervon nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. In diesem Fall soll dann, wenn der erlassende Entscheidungsträger der Intention des Gesetzgebers für den Regelfall folgt und keine Gründe ersichtlich sind, die für eine abweichende Entscheidung sprechen könnten, eine nähere Begründung der Entscheidung entbehrlich sein.181 Da die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsaktes im Interesse des Belasteten liegt, steht der Vertrauensschutz einer Rücknahme grundsätzlich nicht entgegen.182 II. Widerruf von Verwaltungsakten nach § 49 VwVfG § 49 VwVfG regelt den Widerruf eines rechtmäßig erlassenen Verwaltungsaktes, der zwischen begünstigenden (vgl. die – auch hier einschlägige –183 Legaldefinition des § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG) und belastenden Verwaltungsakten differenziert. Gestützt auf einen erst-recht-Schluss ist § 49 VwVfG nach wohl überwiegender Ansicht in Judikatur184 und Literatur185 darüber hinaus auch auf rechtswidrige Verwaltungsakte anwendbar. Der Widerruf steht im pflichtgemäßen Ermessen des widerrufsberechtigten Entscheidungsträgers, das – ähnlich wie bei der Rücknahme nach § 48 VwVfG – sowohl aus einem Entschließungsermessen als auch aus einem Auswahlermessen in sachlicher Hinsicht (vgl. Wortlaut der Abs. 1, Abs. 2 179 Z. B.: BVerwGE 72, 1, 6; 91, 82, 90 f.; 105, 55, 56 ff. (im Kontext des Widerrufs einer Subventionsbewilligung wegen Zweckverfehlung). 180 Z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 48, Rn. 44; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 96; Kopp/Ramsauer, § 48, Rn. 77; auch: Maurer, § 7, Rn. 12. 181 Zum Begriff des intendierten Ermessens vgl. z. B.: Kopp/Ramsauer, § 40, Rn. 45; Maurer, § 7, Rn. 12. 182 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48, Rn. 52; a. A.: Peine, Rn. 329 (Vertrauensschutzfrage stelle sich gar nicht, da das Gesetz in diesem Fall ein Vertrauen nicht schütze). 183 Hubert Meyer, in: Knack, § 49, Rn. 36. 184 Z. B.: BVerwG, NVwZ 1988, 498; OVG NW, NJW 1985, 281, 282; BayVGH, NJW 1986, 1564, 1567; VGH BW, NVwZ 1986, 394, 395; VGH BW, NVwZ-RR 1993, 410; VGH Hessen, NVwZ-RR 1999, 798, 799. 185 Z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 6; Kopp/Ramsauer, § 49, Rn. 12; Maurer, § 11, Rn. 19; Schenke, DÖV 1983, 320, 325; nur im Ausnahmefall bejahend: Hubert Meyer, in: Knack, § 49, Rn. 14 und Rn. 18; a. A.: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 18, Rn. 7; ders./Brügge, Jura 1999, 496, 497.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

S. 1, Abs. 3 S. 1 VwVfG: „ganz oder teilweise“) als auch im Rahmen des § 49 Abs. 3 VwVfG in zeitlicher Hinsicht (vgl. Wortlaut des § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG: „auch mit Wirkung für die Vergangenheit“) besteht. Der Widerruf bezweckt im Wesentlichen, eine mittels rechtmäßigen Verwaltungsaktes geschaffene Rechtslage an veränderte Umstände anzupassen.186 1. Widerruf begünstigender Verwaltungsakte Der Widerruf begünstigender Verwaltungsakte ist in § 49 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG geregelt. Während § 49 Abs. 2 VwVfG den Widerruf allgemeiner begünstigender Verwaltungsakte betrifft, bezieht sich § 49 Abs. 3 VwVfG auf den Widerruf zweckgebundener begünstigender Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakte (sog. „Subventionsbescheide i. w. S.“)187. Anders als § 48 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG sind § 49 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG nebeneinander anwendbar.188 a) Widerruf begünstigender Verwaltungsakte nach § 49 Abs. 2 VwVfG § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG nennt – abschließend –189 fünf Gründe, z. B. die Nichterfüllung einer Auflage, bei deren Vorliegen ein begünstigender Verwaltungsakt ausschließlich mit Wirkung ex nunc widerrufen werden kann (vgl. Wortlaut „darf“). Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass das Interesse des Begünstigten an dem Fortbestand des Verwaltungsaktes, dem über die Gewährung von Vertrauensschutz Rechnung zu tragen ist, nur in den dort genannten Fällen hinter einem überwiegenden öffentlichen Interesse zurückstehen kann,190 während im Übrigen das öffentliche und das individuelle Interesse aufgrund der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes gleichgerichtet sind und zugunsten eines Fortbestandes des Verwaltungsaktes sprechen.191 Gemäß § 49 Abs. 2 S. 2 VwVfG gilt § 48 Abs. 4 VwVfG entsprechend. 186 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 2; Peine, Rn. 324 und Rn. 341; ähnlich: Kopp/Ramsauer, § 49, Rn. 1. 187 Sachs/Wermeckes, NVwZ 1996, 1185, 1186. 188 Erichsen/Brügge, Jura 1999, 496, 500. 189 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 35; Hubert Meyer, in: Knack, § 49, Rn. 37. 190 Kopp/Ramsauer, § 49, Rn. 25. 191 Maurer, § 11, Rn. 39.

2. Kap.: Actus contrarius

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Im Falle des Widerrufs aufgrund § 49 Abs. 2 Nrn. 3 bis 5 VwVfG hat der widerrufende Entscheidungsträger dem Begünstigten gemäß § 49 Abs. 6 S. 1 VwVfG auf Antrag Entschädigung für Vermögensnachteile zu leisten, die er im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes erleidet, „soweit“ (vgl. Wortlaut) sein Vertrauen schutzwürdig ist. Insoweit gelten die oben dargestellten Grundsätze entsprechend.192 b) Widerruf begünstigender Verwaltungsakte nach § 49 Abs. 3 VwVfG § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG normiert für begünstigende zweckgebundene Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte zwei – inhaltlich an den inzwischen aufgehobenen § 44a BHO193 Abs. 1 anknüpfende – Widerrufsgründe, etwa die Nichterbringung einer zweckgebundenen Leistung, bei deren Vorliegen der widerrufsberechtigte Entscheidungsträger einen solchen Verwaltungsakt mit Wirkung ex nunc oder auch ex tunc widerrufen „kann“ (vgl. Wortlaut), zeitlich beschränkt allerdings durch die gemäß § 49 Abs. 3 S. 2 VwVfG auch im Rahmen des § 49 Abs. 3 VwVfG anwendbare einjährige Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG. § 49 Abs. 3 VwVfG stellt im Verhältnis zu § 49 Abs. 2 VwVfG eine Spezialregelung dar, die für die hier in Rede stehenden Verwaltungsakte zusätzliche Widerrufsgründe festlegt, ohne dadurch jedoch die Anwendbarkeit der in § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG genannten Widerrufsgründe auszuschließen.194 2. Widerruf belastender Verwaltungsakte Der Widerruf belastender Verwaltungsakte ist in § 49 Abs. 1 VwVfG geregelt. Dieser spricht zwar von „nicht begünstigenden“ Verwaltungsakten; dieser Formulierung wird aber in erster Linie derselbe Begriffsinhalt wie der üblichen Bezeichnung als „belastend“ zugeschrieben.195 Nach § 49 Abs. 1 VwVfG „kann“ (vgl. Wortlaut) ein belastender Verwaltungsakt mit Wirkung ex nunc voraussetzungslos widerrufen werden,196 es 192

Kopp/Ramsauer, § 49, Rn. 78. Die in § 49 Abs. 6 S. 2 VwVfG ausgesprochene Teilverweisung soll dem nicht entgegenstehen (Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 49, Rn. 123 f.; Hubert Meyer, in: Knack, § 49, Rn. 90). Zu den entsprechend geltenden Grundsätzen s. o., I. 1. b). 193 Bundeshaushaltsordnung vom 14. Juli 1980, BGBl. I 1980, 955 mit Änderungen. 194 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 108; Sachs/Wermeckes, NVwZ 1996, 1185, 1186; Erichsen/Brügge, Jura 1999, 496, 500. 195 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 19 (s. auch: Rn. 16 ff.).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

sei denn, ein inhaltsgleicher Verwaltungsakt müsste, wie dies etwa im Falle der Selbstbindung der Verwaltung der Fall wäre,197 erneut erlassen werden (§ 49 Abs. 1 Alt. 1 VwVfG), wobei die Unzulässigkeit des Widerrufs in diesem Fall damit begründet wird, die zu widerrufende Regelung sei nach materiellem Recht geboten und müsste sofort wieder erlassen werden, weil andernfalls ein rechtswidriger Zustand gegeben wäre,198 oder ein Widerruf ist aus anderen Gründen, z. B. aufgrund gesetzlicher Regelungen,199 unzulässig (§ 49 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG).200 III. Modifizierung der Zulässigkeitsbeschränkungen einer Aufhebungsentscheidung nach § 50 VwVfG § 50 VwVfG modifiziert die in §§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4; 49 Abs. 2 bis 4 und Abs. 6 VwVfG geregelten normativen Beschränkungen einer Aufhebungsentscheidung, indem er die Geltung der dort in Bezug auf die Rücknahme oder den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes normierten Beschränkungen unter bestimmten Voraussetzungen ausschließt und dadurch die Befugnis zur nachträglichen Aufhebung eines Verwaltungsaktes wieder erweitert.201 Die Regelung, die der bereits vor In-Kraft-Treten des VwVfG vertretenen herrschenden Ansicht entspricht,202 dient vor allem der Erleichterung der Aufhebung eines Verwaltungsaktes in Konstellationen, in denen bereits ein Widerspruchs- oder Klageverfahren anhängig ist, und im Ergebnis daher denselben Zwecken wie die §§ 48, 49 VwVfG.203 Ob der zuständige Entscheidungsträger204 die zulässige Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsaktes auf § 50 VwVfG oder, falls ein Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO anhängig ist, auf die §§ 72, 73 VwGO 196

Vgl. auch: Hubert Meyer, in: Knack, § 49, Rn. 30. Dazu und zu weiteren Beispielen: Peine, Rn. 343; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 49, Rn. 23. 198 Kopp/Ramsauer, § 49, Rn. 21a. 199 Dazu und zu weiteren Beispielen: Erichsen/Brügge, Jura 1999, 496, 497; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 24 ff. Vgl. auch die Begründung zu EVwVfG 73 zu § 45 Abs. 1 (= § 49 Abs. 1) (BT-Drs. 7/910, S. 72): gesetzliche Bestimmungen, Sinn und Zweck gesetzlicher Regelungen, allgemeine Rechtsgrundsätze. 200 § 49 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG ist bewusst weit gefasst (dazu: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 49, Rn. 24). 201 Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 3 und Rn. 13. 202 Vgl.: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 1. 203 Kopp/Ramsauer, 8. Aufl., § 50, Rn. 2. 204 Für die Aufhebung des Verwaltungsaktes nach § 50 VwVfG ist regelmäßig der erlassende Entscheidungsträger zuständig (Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 19, Rn. 7). 197

2. Kap.: Actus contrarius

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stützt, steht grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen.205 Die im Falle eines erfolgreichen Widerspruchs mögliche Überlegung des zuständigen Entscheidungsträgers, anstelle der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO eine Aufhebungsentscheidung auf der Grundlage der §§ 48, 50 oder 49, 50 VwVfG zu erlassen in der Absicht, der ansonsten nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG bestehenden Kostenlast zu entgehen, stellt nach Auffassung des BVerwG206 allerdings keine zulässige Ermessenserwägung dar. Ein solches Verhalten verstieße gegen die ungeschriebenen Grundsätze fairer Verfahrensgestaltung und die Prinzipien von Treu und Glauben. 1. Voraussetzungen des § 50 VwVfG Die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG setzt voraus, dass ein bestimmter Verwaltungsakt (a) auf Anfechtung eines bestimmten Dritten hin (b) während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben wird (c), soweit dadurch dem Rechtsbehelf abgeholfen wird (d): (a) § 50 VwVfG setzt nach seinem Wortlaut zunächst voraus, dass ein begünstigender Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung vorliegt.207 Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach dem einschlägigen materiellen Recht.208 (b) Dieser Verwaltungsakt muss von dem belasteten Dritten tatsächlich (vgl. Wortlaut des § 50 VwVfG: „ist“) mittels Widerspruchs nach § 69 VwGO oder Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO „angefochten“ werden.209 (c) Ein solches Rechtsbehelfsverfahren muss anhängig sein, während die bloße Möglichkeit einer Anfechtung dagegen nicht genügt.210 Der Aus205

BVerwGE 101, 64, 70; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 5; Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 1; a. A.: Knoke, S. 297 ff. (299); Pietzner/Ronellenfitsch, 10. Aufl., § 27, Rn. 13 (dort: Fn. 22). 206 E 101, 64, 69 ff. (70 ff.). 207 Vgl. auch: Knoke, S. 304; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 70. Vgl. ferner die Entstehungsgeschichte: Begründung zu EVwVfG 73 zu § 46 (= § 50), BT-Drs. 7/910, S. 74. 208 Peine, Rn. 356. 209 Zum Erfordernis der tatsächlichen Anfechtung s. ferner: Knoke, S. 304; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 1 und Rn. 65. Zu den relevanten förmlichen Rechtsbehelfen auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 70; Maurer, § 11, Rn. 70. In höherer Instanz sind Angriffsmittel die Berufung (§§ 124 ff. VwGO) oder die Revision (§§ 132 ff. VwGO) (dazu: Knoke, S. 304). 210 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 70. Daher wird das Erfordernis der Anhängigkeit vor Erhebung eines (ersten) Rechtsbehelfs sowie in der Zeit zwischen Zustellung des Widerspruchsbescheides (§ 73 VwGO) und Klageerhebung bzw. Zu-

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1. Teil: Aufhebungsverbote

schluss der normativen Beschränkungen der Aufhebbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsaktes wird in diesem Falle als dadurch gerechtfertigt angesehen, dass der Begünstigte während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens keinen Vertrauensschutz genießen könne, da er mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes rechnen müsse,211 und der dem belasteten Dritten wegen Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährende Rechtsschutz insoweit eine Bevorzugung des Begünstigten verbiete.212 Das Rechtsbehelfsverfahren muss ferner zur Aufhebung des Verwaltungsaktes führen. (d) § 50 VwVfG setzt nach seinem Wortlaut schließlich voraus, dass dem Rechtsbehelf des belasteten Dritten durch diese Aufhebung (vollständig oder teilweise, vgl. Wortlaut: „soweit“) „abgeholfen“ wird. Abhilfe meint, dass die Aufhebung des Verwaltungsaktes außerhalb eines anhängigen Widerspruchs- oder Anfechtungsklageverfahrens den belasteten Dritten dadurch von seiner Beschwer befreit, dass seinem Widerspruch oder seiner Anfechtungsklage (vollständig oder teilweise) in der Sache Rechung getragen wird.213 Nach wohl überwiegender Ansicht in Judikatur214 und Literatur215 kann eine Abhilfe in diesem Sinne nur mit Hilfe eines erfolgreichen, also eines stellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils und Rechtsmitteleinlegung verneint (Knoke, S. 304 f.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 94; Hubert Meyer, in: Knack, § 50, Rn. 16; a. A.: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 18). 211 BVerwG, NJW 1994, 896; OVG NW, NVwZ 1989, 72; ferner: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 1; Maurer, § 11, Rn. 67 und Rn. 69; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 50, Rn. 1; diese Argumentation für u. U. bedenklich haltend: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 19, Rn. 2. 212 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 1. 213 In diesem Sinne: Knoke, S. 305; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 95. Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang zwischen Rechtsbehelf und Aufhebung (dazu: Knoke, ebenda). Ob der Begriff „Abhilfe“ im Sinne des § 50 VwVfG denselben Inhalt wie der in §§ 72, 73 VwGO hat, wird nicht einheitlich beantwortet, vgl. nur zugunsten desselben Inhaltes: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 27; gegen denselben Inhalt: Knoke, S. 305; wohl auch: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 19, Rn. 4. 214 In Bezug auf die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs z. B.: BVerwGE 105, 354, 360; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; BVerwG, NVwZ 1990, 857. In Bezug auf die Begründetheit des Rechtsbehelfs s. nur: BVerwG, NVwZ 1990, 857. 215 In Bezug auf die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 50, Rn. 20; Knoke, S. 306; Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 22; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 50, Rn. 11; Maurer, § 11, Rn. 70; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 19, Rn. 9; Pietzner/Ronellenfitsch, § 27, Rn. 6; Schenke, DÖV 1983, 320, 324; a. A. (nicht offensichtlich unzulässig): Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 104; Peine, Rn. 356. In Bezug auf die Begründetheit des Rechtsbehelfs z. B.: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 24; Knoke, S. 308 f. (309); Pietzner/Ronellenfitsch, § 27, Rn. 6; Maurer, § 11, Rn. 70 f.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 19, Rn. 9;

2. Kap.: Actus contrarius

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zulässigen und begründeten Rechtsbehelfs erreicht werden, da nur in diesem Falle der Beschwer des Dritten tatsächlich Rechnung getragen werden könne.216 Ob für die Beurteilung der Erfolgsaussichten die Sicht des Entscheidungsträgers oder die des Begünstigten maßgeblich ist, wird allerdings in der Literatur217 nicht einheitlich beantwortet. 2. Rechtsfolgen des § 50 VwVfG „Soweit“ (vgl. Wortlaut) mittels Aufhebung des den Dritten belastenden Verwaltungsaktes eine Abhilfe seiner Beschwer erzielt wird, schließt § 50 die Anwendbarkeit der §§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4; 49 Abs. 2 bis 4 und Abs. 6 VwVfG aus.218 Dies bedeutet, dass sich die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes ausschließlich nach dem in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG normierten Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit richtet; dementsprechend können nur die allgemeinen Ermessensgrenzen die Rücknahme einschränken.219 Im Falle einer Rücknahme bestehen daher weder Bestands- noch Vermögensschutz;220 ebenso wenig gilt die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG. Im Falle des Widerrufs eines begünstigenden Verwaltungsaktes sind die zwecks Gewährung von Vertrauensschutz bestehenden Widerrufshindernisse beseitigt,221 so dass der Widerruf ausnahmslos zulässig ist. Die konkrete Entscheidung darüber, ob ein Widerruf tatsächlich erfolgt, steht jedoch a. A. (nicht offensichtlich unbegründet): Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 104; Peine, Rn. 356; Hubert Meyer, in: Knack, § 50, Rn. 20. 216 Für die oben [lit. (b)] genannte Voraussetzung der tatsächlich erfolgten Anfechtung bedeutet dies, dass § 50 VwVfG nicht anwendbar ist, wenn der betreffende Verwaltungsakt bereits formell bestandskräftig geworden ist (s. auch: Hubert Meyer, in: Knack, § 50, Rn. 14, Rn. 16 und Rn. 22). 217 Für die Maßgeblichkeit der Sicht des Entscheidungsträgers: Knoke, S. 309 f. (310); Maurer, § 11, Rn. 71 (betrachtet diese Frage als „Scheinproblem“); dagegen: Pietzner/Ronellenfitsch, § 27, Rn. 6. Für die Maßgeblichkeit der Sicht des Begünstigten: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 99. 218 Die „soweit“-Klausel bewirkt eine Anpassung des Umfangs der Beschränkungsbefreiung an den Umfang der Abhilfe (Knoke, S. 310). Eine Befreiung erfolgt daher nur, soweit der Rechtsschutz des belasteten Dritten eine entsprechende Befreiung erfordert (Pietzner/Ronellenfitsch, § 27, Rn. 6). 219 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 76. Streitig ist, ob Vertrauensschutz berücksichtigt werden darf: für eine Berücksichtigung: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 8 und Rn. 28; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 76 (in Verbindung mit § 48, Rn. 87 ff. sowie Rn. 181 ff.); gegen eine Berücksichtigung: Knoke, S. 313 f. 220 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 81. 221 Trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts des § 50 VwVfG stellen die § 49 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG aber weiterhin die Ermächtigungsgrundlage dar (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 84).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

nach wie vor im pflichtgemäßen Ermessen des widerrufsberechtigten Entscheidungsträgers.222 IV. Zusammenfassung Der für eine Aufhebung eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius regelmäßig zuständige erlassende Entscheidungsträger und ein ausnahmsweise – an seiner Stelle – insoweit zuständiger anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger sind mit Beginn der äußeren Wirksamkeit auf der Grundlage der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) an den Bestand eines Verwaltungsaktes gebunden. Bei dieser Bindung handelt es sich jedoch nicht zwangsläufig bereits um eine – zumindest grundsätzlich – endgültige Bindung, also um ein Aufhebungsverbot. Ein solches liegt nur bzw. erst dann vor, sobald und soweit eine nachträgliche Bestandsaufhebung nicht (mehr) oder aber jedenfalls nur noch unter bestimmten materiell-rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist. Ob eine nachträgliche Bestandsaufhebung zulässig ist und – bejahendenfalls – ob ihre Zulässigkeit ggfls. von der Einhaltung materiell-rechtlicher Voraussetzungen abhängig ist, bestimmt sich – vorbehaltlich vorrangig anwendbarer Spezialbestimmungen – nach den in den §§ 48 ff. VwVfG enthaltenen Regelungen: § 48 VwVfG betrifft die Aufhebung rechtswidriger, nicht nichtiger, begünstigender oder belastender Verwaltungsakte (Rücknahme); § 49 VwVfG bezieht sich auf die Aufhebung rechtmäßiger und – gestützt auf einen erst-recht-Schluss – nach wohl überwiegender Ansicht in Judikatur und Literatur auch rechtswidriger begünstigender oder belastender Verwaltungsakte (Widerruf). Unerheblich ist, ob der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung in Rede steht, bereits in formelle Bestandskraft erwachsen ist oder nicht. Ob eine zulässige Aufhebung im konkreten Einzelfall letztlich tatsächlich erfolgt, steht nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG, § 49 Abs. 1, § 49 Abs. 2 S. 1 oder § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG im pflichtgemäßen Ermessen (vgl. § 40 VwVfG) des zuständigen Entscheidungsträgers. Dieses umfasst sowohl ein Entschließungsermessen als auch ein Auswahlermessen in sachlicher und u. U. auch in zeitlicher Hinsicht. Im Falle einer Aufhebung wird die formelle Bestandskraft unmittelbar durchbrochen. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG normiert den auf der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz beruhenden Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit 222 Die Berücksichtigung des Vertrauensschutzes ist – im Hinblick auf den Widerruf – umstritten: für eine Berücksichtigung: Kopp/Ramsauer, § 50, Rn. 8 und Rn. 28; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 50, Rn. 86; gegen eine Berücksichtigung: Knoke, S. 313 f.

2. Kap.: Actus contrarius

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von Verwaltungsakten. Um dem Grundsatz des Vertrauensschutzes bzw. der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, wird das nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen für begünstigende Verwaltungsakte jedoch in materieller Hinsicht durch § 48 Abs. 2 (aa) sowie § 48 Abs. 3 (bb) und in zeitlicher Hinsicht durch § 48 Abs. 4 VwVfG (cc) eingeschränkt: (aa) Für einen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG normiert § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG ein Rücknahmeverbot, soweit Vertrauensschutz zu gewähren ist. Vertrauensschutz bildet hier eine absolute Schranke für eine Rücknahme mit Wirkung ex nunc oder ex tunc und führt daher zu Bestandsschutz. (bb) Ein sonstiger Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG wird auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG zurückgenommen. Im Falle seiner Rücknahme wird dem Begünstigten gemäß § 48 Abs. 3 VwVfG – im Grundsatz lediglich – Vermögensschutz gewährt, soweit er auf den Bestand des Verwaltungsaktes schutzwürdig vertraut hat. (cc) § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG enthält eine – praktisch bedeutungslose – Entscheidungsfrist von einem Jahr, beginnend mit vollständiger, zweifelsfreier Kenntnis des für die Rücknahme zuständigen Amtswalters über die rücknahmerelevanten Tatsachen (i. w. S.). Die Rücknahme belastender Verwaltungsakte mit Wirkung ex tunc oder ex nunc ist nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG voraussetzungslos zulässig. Der rückwirkende Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes kommt nach § 49 VwVfG allenfalls für begünstigende zweckgebundene Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakte im Sinne des § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG in Betracht. Nach § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG ist der Widerruf grundsätzlich unzulässig; zulässig ist er nur bei Vorliegen einer der in § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG oder § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG, der neben § 49 Abs. 3 S. 1 VwVfG anwendbar ist, genannten Gründe. Ferner wird die Zulässigkeit des Widerrufs durch die in § 49 Abs. 3 S. 2 VwVfG in Verbindung mit § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG normierte – allerdings praktisch bedeutungslose – Entscheidungsfrist eingeschränkt. Der Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung ex nunc ist nach § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG grundsätzlich unzulässig. § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG nennt abschließend fünf Gründe, bei deren Vorliegen das öffentliche Interesse an einem Widerruf das individuelle Interesse am Fortbestand des begünstigenden Verwaltungsaktes überwiegen kann und deshalb ein zukunftsgerichteter Widerruf dieses Verwaltungsaktes in Betracht kommt. Wie im Rahmen des § 49 Abs. 3 VwVfG ist der Widerruf nur bei Einhaltung der in § 49 Abs. 2 S. 2 VwVfG in Verbindung mit § 48

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Abs. 4 S. 1 VwVfG normierten – praktisch jedoch bedeutungslosen – Entscheidungsfrist zulässig. Im Falle eines nach § 49 Abs. 2 Nrn. 3 bis 5 VwVfG zulässigen und tatsächlich erfolgenden Widerrufs hat der widerrufende Entscheidungsträger dem Begünstigten Entschädigung für Vermögensnachteile, die dieser im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes erlitten hat, zu leisten (vgl. § 49 Abs. 6 S. 1 VwVfG). Der rückwirkende Widerruf eines belastenden Verwaltungsaktes ist ausnahmslos unzulässig (arg. e contr. § 49 Abs. 1 VwVfG, der ausschließlich den Widerruf mit Wirkung ex nunc regelt), während der Widerruf eines belastenden Verwaltungsaktes mit Wirkung ex nunc nach § 49 Abs. 1 VwVfG zulässig ist, es sei denn, ein inhaltsgleicher Verwaltungsakt müsste erneut erlassen werden (§ 49 Abs. 1 Alt. 1 VwVfG) oder der Widerruf ist aus anderen Gründen unzulässig (§ 49 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG). Die mit Rücksicht auf die Gewährung von Vertrauensschutz bzw. von Rechtssicherheit in Bezug auf die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte normierten Beschränkungen werden durch § 50 VwVfG ausgeschlossen, falls ein begünstigender Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung während eines von Seiten eines belasteten Dritten angestrengten Widerspruchs- oder Anfechtungsklageverfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Rechtsbehelf abgeholfen wird. Für die Ausübung der Rücknahme gilt wegen des Ausschlusses des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG in diesen Fällen der in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG enthaltene Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit. Der Widerruf begünstigender Verwaltungsakte ist infolge des Wegfalls der ansonsten in Abs. 2 bzw. Abs. 3 VwVfG bestehenden Widerrufshindernisse ausnahmslos zulässig.

C. Vergleich Eine Gegenüberstellung der Lösungen, die das Gemeinschaftsrecht und das deutsche Recht hinsichtlich der Frage der bestandsbezogenen Bindung der für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträger bereitstellen, lässt erkennen, dass diese grundsätzlich übereinstimmen: Auf der Grundlage des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) führt der Erlass einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes in beiden Rechtsordnungen zwar zu einer Bindung des zuständigen Entscheidungsträgers an den Bestand des betreffenden Rechtsaktes; übereinstimmend wird dieser Bindung aber nicht zwangsläufig bereits – zumindest grundsätzlich – endgültiger Charakter zugeschrieben, diese Bindung wird also nicht ohne weiteres bereits als ein Aufhebungsverbot qualifiziert. Ge-

2. Kap.: Actus contrarius

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stützt auf den Vorrang des Gesetzes kann für den zuständigen Entscheidungsträger vielmehr in beiden Rechtsordnungen durchaus noch eine nachträgliche Bestandsaufhebung in Betracht kommen. Ob Aufhebungsverbote bestehen, d.h. ob eine nachträgliche Bestandsaufhebung unzulässig ist oder – andernfalls – ihre Zulässigkeit jedenfalls von der Erfüllung bestimmter materiell-rechtlicher Voraussetzungen abhängt, bestimmt sich im Gemeinschaftsrecht nach den – vorbehaltlich vorrangig anwendbarer positivrechtlicher Bestimmungen – allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen und im deutschen Recht nach den grundsätzlich einschlägigen Bestimmungen der §§ 48 ff. VwVfG. In beiden Rechtsordnungen gelten die einschlägigen Regelungen für Entscheidungen bzw. Verwaltungsakte jeden (möglichen) Inhalts und ohne Rücksicht auf eine formelle Bestandskraft des aufzuhebenden Rechtsaktes. Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht wird in Bezug auf die (Un-)Zulässigkeit (einschließlich der ggfls. an die Zulässigkeit geknüpften materiell-rechtlichen Voraussetzungen) einer Aufhebung danach differenziert, ob die Rücknahme oder der Widerruf eines begünstigenden oder belastenden Rechtsaktes mit Wirkung ex tunc oder ex nunc in Rede steht. Ob eine an sich – wenn auch unter Umständen nur bei Erfüllung bestimmter materiell-rechtlicher Voraussetzungen – zulässige nachträgliche Bestandsaufhebung letztlich tatsächlich im Rahmen eines selbständigen Verwaltungsverfahrens mittels eines auf Antrag oder von Amts wegen zu erlassenden actus contrarius erfolgt, steht nach sämtlichen einschlägigen Regelungen beider Rechtsordnungen grundsätzlich im Ermessen des zuständigen Entscheidungsträgers. Das Ermessen umfasst in beiden Rechtsordnungen sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen. In beiden Rechtsordnungen wird im Falle der Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung bzw. eines formell bestandskräftigen Verwaltungsaktes die formelle Bestandskraft unmittelbar durchbrochen. In bestimmten, jedenfalls teilweise kongruenten Ausnahmefällen erstarkt die Aufhebungsbefugnis in beiden Rechtsordnungen zu einer Aufhebungsverpflichtung. Dies ist zunächst dann der Fall, wenn die Aufhebung einer formell bestandskräftigen Entscheidung bzw. eines formell bestandskräftigen Verwaltungsaktes in Rede steht, um im Wege des Erlasses einer neuen Sachentscheidung eine günstigere Entscheidung bzw. einen günstigeren Verwaltungsakt für einen Betroffenen herbeizuführen. Eine entsprechende Verpflichtung besteht in beiden Rechtsordnungen jedoch nur unter bestimmten, im Wesentlichen vergleichbaren Voraussetzungen, die im deutschen Recht in § 51 VwVfG normiert, im Gemeinschaftsrecht dagegen (lediglich) Bestandteil eines allgemeinen Verwaltungsgrundsatzes sind.

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1. Teil: Aufhebungsverbote

Im Gemeinschaftsrecht wird eine Aufhebungsverpflichtung ferner in den konkret bezeichneten Fällen der rechtlichen Inexistenz sowie der offensichtlichen Gesetzesverletzung, im deutschen Recht demgegenüber – abgesehen von einer (dem Gemeinschaftsrecht, soweit ersichtlich, de lege lata unbekannten) Aufhebungsverpflichtung im Falle einer ausdrücklichen Regelung – im Falle einer nicht abschließend zu umreißenden Ermessensreduzierung „auf Null“ angenommen. Diese Fälle sind allerdings nur scheinbar inkongruent. Die der rechtlichen Inexistenz entsprechende Nichtigkeit (§§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG) und die offensichtliche Gesetzesverletzung werden im deutschen Recht zwar – soweit erkennbar – nicht explizit als Fälle einer Aufhebungsverpflichtung, insbesondere einer solchen infolge Ermessensreduzierung „auf Null“, diskutiert (zumal § 48 VwVfG auf der Grundlage der wohl überwiegenden Ansicht jedenfalls auf einen nichtigen Verwaltungsakt ohnehin nicht anwendbar ist). Selbst bei – im Falle eines nichtigen Verwaltungsaktes unterstellter – Anwendbarkeit des § 48 VwVfG sowie im Falle eines wegen offensichtlicher Gesetzesverletzung lediglich (schlicht) rechtswidrigen Verwaltungsaktes dürfte aber eine Aufhebungsverpflichtung infolge Ermessensreduzierung „auf Null“ zu bejahen sein. In beiden Fällen, insbesondere auch dann, wenn die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte wegen Nichtigkeit oder offensichtlicher Gesetzesverletzung in Rede stehen sollte, dürften die dann zugunsten des individuellen Interesses an einem Fortbestand des Verwaltungsaktes sprechenden Gesichtspunkte in aller Regel gegenüber den zugunsten des öffentlichen Rücknahmeinteresses anzuführenden Aspekten im Ergebnis unbeachtlich sein. Die Rechtsfigur der Ermessensreduzierung „auf Null“, die eine Aufhebungsverpflichtung nach sich zieht, dürfte der Sache nach daher auch die im Gemeinschaftsrecht anerkannten Tatbestände erfassen, ohne sich aber auf diese zu beschränken und dadurch für andere Fälle weiterhin offen zu bleiben. Die im Gemeinschaftsrecht anzutreffende Beschränkung einer Verpflichtung auf konkret festgelegte Ausnahmefälle könnte auf das dort herrschende, im Vergleich zum deutschen Recht vielleicht noch stärkere Interesse an der Aufrechterhaltung des Bestandes einer Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zurückzuführen sein. Eine Gegenüberstellung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen und deutschen Zulässigkeitsvoraussetzungen hinsichtlich einer nachträglichen Bestandsaufhebung zeigt, dass sich die Aufhebungskonstellationen, in denen ein Aufhebungsverbot ausnahmslos besteht (Fälle, in denen die nachträgliche Bestandsaufhebung unzulässig ist), grundsätzlich besteht (Fälle, in denen eine nachträgliche Bestandsaufhebung nur unter bestimmten materiellrechtlichen Voraussetzungen zulässig ist), lediglich ausnahmsweise besteht

2. Kap.: Actus contrarius

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(Fälle, in denen die nachträgliche Bestandsaufhebung nur ausnahmsweise unzulässig ist) oder schließlich nicht besteht (Fälle, in denen eine nachträgliche Bestandsaufhebung voraussetzungslos zulässig ist), im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht weitgehend entsprechen. Zunächst besteht sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht ausnahmslos ein Aufhebungsverbot, soweit der rückwirkende Widerruf einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden allgemeinen Verwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 2 VwVfG223 in Rede steht. In dieser Konstellation wird eine rückwirkende Bestandsbeseitigung in beiden Rechtsordnungen (vgl. für das deutsche Recht: arg e contr. § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG) für ausnahmslos unzulässig erachtet mit der Folge, dass der erlassende Entscheidungsträger insoweit bereits endgültig an den Bestand des betreffenden Rechtsaktes gebunden ist, als dieser einen Widerruf mit Wirkung ex tunc beabsichtigt. Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, das – unter Zugrundelegung der in der Literatur vertretenen Ansicht – das Bestehen eines Aufhebungsverbotes im Falle eines rückwirkenden Widerrufs einer belastenden Entscheidung nur ausnahmsweise bejaht (unter Berufung u. a. auf entsprechende Regelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hält die Literatur einen rückwirkenden Widerruf einer belastenden Entscheidung für grundsätzlich zulässig), besteht im deutschen Recht ein Aufhebungsverbot darüber hinaus ausnahmslos im Falle eines rückwirkenden Widerrufs eines belastenden Verwaltungsaktes. Aus einem Umkehrschluss zu § 49 Abs. 1 VwVfG, der lediglich die Zulässigkeit eines zukunftsgerichteten Widerrufs eines belastenden Verwaltungsaktes regelt, ergibt sich, dass dessen rückwirkender Widerruf nach der gesetzlichen Konzeption unzulässig ist. Wie in der soeben bereits verglichenen Konstellation des rückwirkenden Widerrufs eines begünstigenden Rechtsaktes ist der erlassende Entscheidungsträger insoweit bereits ab Erlass des Verwaltungsaktes insoweit endgültig an die äu223

Ein Aufhebungsverbot besteht auch im Falle eines rückwirkenden Widerrufs eines begünstigenden zweckgebundenen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 3 VwVfG. Im Gegensatz zum rückwirkenden Widerruf eines begünstigenden allgemeinen Verwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 2 VwVfG besteht das Aufhebungsverbot jedoch nicht ausnahmslos, sondern vielmehr nur grundsätzlich. Dass der rückwirkende Widerruf eines begünstigenden zweckgebundenen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 3 VwVfG nur grundsätzlich unzulässig ist, liegt in seiner Eigenschaft als zweckgebundener Geld- bzw. Sachleistungsverwaltungsakt begründet. Der Gesetzgeber hatte bei der im Jahre 1996 erfolgten Neuregelung des § 49 Abs. 3 VwVfG, der § 44a Abs. 1 BHO a. F. ersetzt, bewusst eine Erleichterung des rückwirkenden Widerrufs einer solchen Art von Verwaltungsakt im Auge, um auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung eine effektive Rückabwicklung fehlgeschlagener Subventionsverhältnisse zu ermöglichen (dazu nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49, Rn. 85, Rn. 91 sowie Rn. 97).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

ßere Wirksamkeit des belastenden Verwaltungsaktes gebunden, als er dessen Widerruf mit Wirkung ex tunc ins Auge fasst. Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht besteht ein Aufhebungsverbot ferner im Falle der Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG oder eines begünstigenden sonstigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex tunc. Anders als in den bisher verglichenen Aufhebungskonstellationen wird die Zulässigkeit einer rückwirkenden Rücknahme begünstigender Rechtsakte indes nicht ausnahmslos, sondern vielmehr lediglich im Grundsatz bejaht, denn ihre Zulässigkeit wird von der Erfüllung bestimmter materiell-rechtlicher Voraussetzungen abhängig gemacht: Im Gemeinschaftsrecht ist die rückwirkende Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung nur unter den – als „(sehr) streng“ qualifizierten, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Rechnung tragenden – Voraussetzungen der Einhaltung einer angemessenen Frist sowie der ausreichenden Berücksichtigung schutzwürdigen Vertrauens zulässig. Vergleichbares gilt für die Zulässigkeit einer rückwirkenden Rücknahme eines begünstigenden Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG im deutschen Recht. Dessen Rücknahme mit Wirkung ex tunc ist ebenfalls nur zulässig, wenn (und soweit) schutzwürdiges Vertrauen, dessen Bestehen der rücknahmeberechtigte Entscheidungsträger aus Gründen der Gewährung von Vertrauensschutz nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 VwVfG zu prüfen hat, nicht besteht und zudem die Rücknahme innerhalb der dem Vertrauensschutz bzw. der Rechtssicherheit Rechnung tragenden, praktisch allerdings bedeutungslosen Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG erfolgt. Abweichend hiervon hängt die Zulässigkeit der rückwirkenden Rücknahme eines begünstigenden sonstigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG demgegenüber nicht von zwei, sondern lediglich von einer materiell-rechtlichen Voraussetzung, der Einhaltung der ohnehin praktisch irrelevanten Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG, ab. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll – wie berichtet – etwa bestehender Vertrauensschutz im Falle des rückwirkenden Widerrufs eines sonstigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG wegen dessen „stärkerer Staatsbezogenheit“ gerade kein Zulässigkeitshindernis für eine rückwirkende Rücknahme darstellen. Soweit nach den jeweiligen Regelungen eine rückwirkende Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden Verwaltungsaktes ausgeschlossen ist, ist der erlassende Entscheidungsträger bereits ab Erlass des betreffenden Rechtsaktes insoweit endgültig an dessen Bestand gebunden, als dieser eine rückwirkende Rücknahme beabsichtigt.

2. Kap.: Actus contrarius

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Ein Aufhebungsverbot besteht – jedenfalls im deutschen Recht – im Grundsatz auch im Falle der Rücknahme eines begünstigenden Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG oder eines begünstigenden sonstigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex nunc. Die Rechtslage entspricht exakt der soeben geschilderten Konstellation einer rückwirkenden Rücknahme: Die Rücknahme eines begünstigenden Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG mit Wirkung ex nunc ist nur zulässig, wenn (und soweit) kein schutzwürdiges Vertrauen, dessen Vorliegen der rücknahmeberechtigte Entscheidungsträger festzustellen hat, zugunsten des Begünstigten besteht und zudem die Rücknahme innerhalb der Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG erfolgt. Die Zulässigkeit einer zukunftsgerichteten Rücknahme eines begünstigenden sonstigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG ist dagegen wiederum allein an die Einhaltung der in § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG normierten Jahresfrist geknüpft. Ob auch im Gemeinschaftsrecht im Falle der Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc grundsätzlich ein Aufhebungsverbot besteht, lässt sich – wie berichtet – nicht abschließend beantworten. Gesichert dürfte allerdings die Erkenntnis sein, dass in dieser Rücknahmekonstellation die Zulässigkeitsvoraussetzung der Einhaltung einer angemessenen Frist nicht gilt. Ein Grund für eine Nichtgeltung dieser Voraussetzung ist jedoch nicht ersichtlich; insbesondere entspricht die ausnahmslos als zulässig erachtete zukunftsgerichtete Rücknahmemöglichkeit auch nicht der in diesem Falle geltenden Rechtslage im französischen Verwaltungsrecht. Im französischen Verwaltungsrecht, das – neben dem deutschen Verwaltungsrecht – die richterrechtlich entwickelten Verwaltungsgrundsätze über die Zulässigkeit der nachträglichen Aufhebung von Entscheidungen mittels actus contrarius wesentlich mitgeprägt hat, ist eine zukunftsgerichtete Aufhebung, eine sog. „abrogation“, nur bei den sog. „actes non créateurs de droit“, d.h. den nicht rechtsbegründenden Rechtsakten ausnahmslos zulässig, während sie bei den sog. „actes créateurs de droit“, d.h. den rechtsbegründenden Rechtsakten nur innerhalb der Klagefrist des recours pour excès de pouvoir zulässig ist.224 Als einzig mögliche Zulässigkeitsvoraussetzung verbleibt damit im Falle der zukunftsgerichteten Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung die Beachtung von Vertrauensschutz. Unter Zugrundelegung des Urteils des EuGH in der Rechtssache A. Herpels/Kommission entfällt auch diese Vo224 Zur Rechtslage im französischen Recht z. B.: Sonnenberger/Autexier, S. 88; Geurts, S. 231 f. Zum recours pour excès de pouvoir s. bereits oben, Einleitung, D. (dort: Fn. 72).

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1. Teil: Aufhebungsverbote

raussetzung jedenfalls im öffentlichen Dienstrecht. Hiernach unterliegt der rücknahmeberechtigte Entscheidungsträger in diesem Bereich keinem Aufhebungsverbot, soweit er die Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung mit Wirkung ex nunc ins Auge fasst. Außerhalb dieses Bereiches spricht – wie dargelegt – einiges dafür, dass insoweit das Erfordernis der Berücksichtigung von Vertrauensschutz jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnis dürfte die Zulässigkeit einer zukunftsgerichteten Rücknahme damit an das Erfordernis der Berücksichtigung von Vertrauensschutz geknüpft und folglich eine solche Rücknahme nur dann zulässig sein, soweit der Begünstigte kein schutzwürdiges Vertrauen genießt. Übereinstimmend besteht sowohl im Gemeinschaftsrecht (jedenfalls auf der Grundlage der in der Literatur vertretenen Auffassung) als auch im deutschen Recht (vgl. § 49 Abs. 2, Abs. 3 VwVfG) ferner ein Aufhebungsverbot, soweit der erlassende Entscheidungsträger den Widerruf einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden (nicht) zweckgebundenen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 2 VwVfG oder § 49 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex nunc beabsichtigt. Ähnlich wie in der zuvor verglichenen Aufhebungskonstellation ist in dieser Konstellation ein Widerruf nicht ausnahmslos zulässig, sondern nur bei Vorliegen eines Widerrufsgrundes und – im deutschen Recht zudem – bei Einhaltung der (praktisch allerdings bedeutungslosen) Entscheidungsfrist des § 49 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG in Verbindung mit § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG. Im Gemeinschaftsrecht ist demgegenüber bislang nicht abschließend geklärt, welche Widerrufsgründe konkret in Betracht kommen, während die maßgeblichen Gründe im deutschen Recht dagegen für sämtliche Arten begünstigender Verwaltungsakte in § 49 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 5 VwVfG und zusätzliche Widerrufsgründe für begünstigende zweckgebundene Geld- oder Sachleistungsverwaltungsakte im Sinne des § 49 Abs. 3 VwVfG in § 49 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG abschließend aufgelistet sind. Soweit keiner der möglichen Widerrufsgründe eingreift, ist der widerrufsberechtigte Entscheidungsträger wegen der Unzulässigkeit eines zukunftsgerichteten Widerrufs mit Erlass des betreffenden Rechtsaktes insoweit bereits endgültig an dessen Bestand gebunden. Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, dem eine vergleichbare Regelung de lege lata unbekannt ist, für das eine solche Regelung aber möglicherweise de lege ferenda von Interesse sein könnte, existiert im deutschen Recht die Bestimmung des § 50 VwVfG, die im Falle ihrer Anwendbarkeit zum Nichtbestehen von Aufhebungsverboten zugunsten begünstigender Verwaltungsakte führt, indem sie aus Gründen der Verfahrenserleichterung in den Fällen, in denen bereits ein Widerspruchs- oder Anfechtungsklagever-

2. Kap.: Actus contrarius

163

fahren (§§ 68 ff. VwGO oder § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) anhängig ist und sich der Begünstigte daher nicht auf Vertrauensschutz berufen kann, die in den §§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4; 49 Abs. 2 bis 4 und Abs. 6 VwVfG zugunsten der Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte normierten Zulässigkeitsbeschränkungen ausschließt mit der Folge, dass die Rücknahme eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG oder des § 48 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex tunc oder ex nunc, der Widerruf eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 2 oder des § 49 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex nunc sowie der Widerruf eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex tunc voraussetzungslos zulässig sind. Sowohl im Gemeinschaftsrecht (jedenfalls unter Zugrundelegung der in der Literatur vertretenen Ansicht) als auch im deutschen Recht (vgl. § 49 Abs. 1 VwVfG) besteht ein Aufhebungsverbot schließlich – allerdings nur – ausnahmsweise im Falle eines zukunftsgerichteten Widerrufs einer belastenden Entscheidung bzw. eines belastenden Verwaltungsaktes. In beiden Rechtsordnungen wird ein solcher Widerruf für grundsätzlich zulässig erachtet. Demzufolge ist der widerrufsberechtigte Entscheidungsträger nur in den insoweit anerkannten Ausnahmefällen (im Gemeinschaftsrecht wohl etwa bei einer fortbestehenden Verpflichtung zum Erlass einer entsprechenden Entscheidung; im deutschen Recht in den in § 49 Abs. 1 VwVfG normierten Fällen) nur ausnahmsweise bereits mit Erlass des betreffenden Rechtsaktes endgültig an dessen Bestand gebunden. Anders als in sämtlichen bislang verglichenen Aufhebungskonstellationen wird sowohl im Gemeinschaftsrecht (jedenfalls auf der Grundlage der in der Literatur vertretenen Ansicht) als auch im deutschen Recht das Bestehen eines Aufhebungsverbotes im Falle einer rückwirkenden oder zukunftsgerichteten Rücknahme einer belastenden Entscheidung bzw. eines belastenden Verwaltungsaktes verneint. Für entsprechende Rücknahmen gilt der Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit mit der Folge, dass die Bindung des rücknahmeberechtigten Entscheidungsträgers insoweit überhaupt noch keinen endgültigen Charakter besitzt.

2. Teil

Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger und den anderen Entscheidungsträgern Während im Ersten Teil der Untersuchung das Bestehen von Aufhebungsverboten den Vergleichsgegenstand bildete, werden im Zweiten Teil die Frage des Bestehens von Abweichungsverboten, d.h. der Bindungswirkungen, die bei einer später zu erlassenden Entscheidung bzw. einem später zu erlassenden Verwaltungsakt die Bindung an deren bzw. dessen Inhalt gewährleisten, und – bejahendenfalls – die Frage des Umfangs bestehender Abweichungsverbote rechtsvergleichend untersucht. Dabei ist danach zu unterscheiden, ob das Bestehen von Abweichungsverboten und ggfls. ihr Umfang gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger oder gegenüber den anderen Entscheidungsträgern in Rede stehen. Dementsprechend werden beide Fragen getrennt behandelt: Das Erste Kapitel untersucht das Bestehen und den Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger, d.h. ob und – bejahendenfalls – in welchem Umfang der erlassende Entscheidungsträger bei einer später von ihm zu erlassenden Regelung an den Inhalt einer von ihm bereits erlassenen Entscheidung bzw. eines von ihm bereits erlassenen Verwaltungsaktes gebunden ist. Das Zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Bestehen von Abweichungsverboten und ihrem Umfang gegenüber den anderen Entscheidungsträgern, untersucht also, ob und – bejahendenfalls – in welchem Umfang die anderen Entscheidungsträger bei ihrer späteren Entscheidungsfindung im Rahmen nachfolgender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren an den Inhalt einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes gebunden sind.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

165

1. Kapitel

Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger Die Untersuchung beginnt mit den Darstellungen des Bestehens und des Umfangs von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger im Kontext der Entscheidungen (Abschnitt A.) und im Kontext der Verwaltungsakte (Abschnitt B.). Es folgt der Vergleich der in beiden Rechtsordnungen bereitgestellten Lösungen (Abschnitt C.).

A. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger im Kontext der Entscheidungen Im Gemeinschaftsrecht bestehen gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger, d.h. dem Entscheidungsträger, dem nach geltendem Gemeinschaftsrecht die Organkompetenz zu dem Erlass einer Entscheidung zugewiesen ist,1 ein bestandskraftabhängiges und ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot. Zunächst werden das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot (Ziffer I.) und das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot dargestellt (Ziffer II.). Sodann werden die Lösungen, die das Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf die Frage der bei einer später zu erlassenden Entscheidung bestehenden Bindung des erlassenden Entscheidungsträger an eine von ihm erlassene Entscheidung bereitstellt, zusammengefasst (Ziffer III.).

1 Vgl. zu den insoweit in Betracht kommenden Entscheidungsträgern oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. Erlässt etwa – wie in der Praxis überwiegend der Fall (s. o., Einleitung, B. I.) – die Kommission eine Entscheidung, werden sämtliche Dienststellen der Kommission, die gemäß Art. 19 GO ihrerseits in Generaldirektionen (mit weiteren Untergliederungen, vgl. Art. 19 Abs. 2 ihrer GO [vgl. dazu nur: Schweitzer/Hummer, Rn. 216]) und sonstige gleichgestellte Dienste, d.h. andere der Kommission nachgeordnete, rechtlich unselbständige Einrichtungen (dazu: Fugmann/Kamp, in: Dauses, Bd. 1, A. II., Rn. 20 [mit Beispielen]; Craig/de Bfflrca, S. 58) aufgeteilt sind, gebunden. Das Erlassorgan, nicht dagegen die Europäische Gemeinschaft als eigentlicher Rechtsträger (vgl. Art. 281 EG) wird als Zurechungssubjekt der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten Abweichungsverbote angesehen (vgl.: Bleckmann, Rn. 458; Schmidt, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 249, Rn. 30).

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2. Teil: Abweichungsverbote

I. Bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot 1. Bestehen eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes a) Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Das Gemeinschaftsrecht erkennt gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger2 das Bestehen eines in Judikatur und Literatur – soweit ersichtlich – bislang nicht näher bezeichneten Abweichungsverbotes an, das mit Eintritt der materiellen Komponente der Bestandskraft (im Folgenden als „materielle Bestandskraft“ einer Entscheidung bezeichnet)3 reflexartig zur Entstehung gelangt. Auf die materielle Bestandskraft, die damit sozusagen das „auslösende Moment“ für die Entstehung des Abweichungsverbotes bildet, ist daher im Folgenden zunächst näher einzugehen. aa) Materielle Bestandskraft (a) Bestehen und Geltungsgrundlage der materiellen Bestandskraft Wie bereits an früherer Stelle ausgeführt, ist die Bestandskraft mangels positivrechtlicher Regelungen anscheinend unter Rückgriff auf in den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestehende entsprechende Rechtsinstitute, die ihrerseits wiederum wohl in Anlehnung an die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen herausgearbeitet wurden, entwickelt worden.4 2 Vgl. dazu bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. Auf dortige, hier entsprechend geltende Ausführungen wird verwiesen. 3 Diese Bezeichnung wählen: Schwarze, S. 1001; Bockey, S. 67 (dort: Fn. 232); Pache, EuZW 1995, 615, 617 (dort: Fn. 25); Röhl, ZaöRV 60 (2000), 331, 360; ders., in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, S. 319, 345. Gelegentlich, namentlich in der älteren Literatur, ist auch von „materieller Rechtskraft“ die Rede: Lauwaars, S. 310 f.; offengelassen von: Brändel, BB-AWD 1965, 301, 302 (dort: Fn. 9). Für den Begriff der „materiellen Bindungswirkung“: Vogt, S. 240 u. ö.; ders., EuR 39 (2004), 618, 622 u. ö. Die Judikatur spricht stets von „Bestandskraft“, s. statt vieler: EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 18 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 21 (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 30 (Nach Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld). Die hier gewählte Bezeichnung der materiellen Bestandskraft dient ihrer Abgrenzung gegenüber der formellen Bestandskraft (s. zu der formellen Bestandskraft einer Entscheidung ausführlich bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A.). 4 s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

167

Zu der Frage, ob die Bestandskraft neben einer formellen auch eine materielle Komponente besitzt, hat sich die Judikatur – soweit ersichtlich – bislang nicht explizit geäußert. In der Literatur5 wird die materielle Bestandskraft anerkannt. Dieser Konsens in der Literatur über das Bestehen einer materiellen Bestandskraft an sich darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Terminus der materiellen Bestandskraft für ganz unterschiedliche Arten von Bindung verwendet, der materiellen Bestandskraft ein ganz unterschiedlicher Bedeutungsinhalt zugeschrieben wird. (aa) Materielle Bestandskraft im Sinne von Unabänderlichkeit einer Entscheidung Namentlich in der „älteren“ und – soweit erkennbar – nur in der deutschen und der niederländischen Literatur6 wird unter materieller Bestandskraft verschiedentlich die Unabänderlichkeit einer Entscheidung verstanden. Materielle Bestandskraft soll bedeuten, dass – neben den Betroffenen – auch der erlassende Entscheidungsträger endgültig an den Bestand einer Entscheidung dadurch gebunden ist, er mithin an der Aufhebung einer (auch formell bestandskräftigen) Entscheidung mittels actus contrarius gehindert ist. Diese Ansicht in der Literatur beruft sich hierbei auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Acciaierie e Ferrierie Riva SpA/Kommission7. In dieser Rechtssache hatte sich der EuGH mit der Frage zu befassen, ob die Aufhebung einer formell bestandskräftigen Entscheidung, mit denen die Hohe Behörde (als Rechtsvorgängerin der Kommission) ausgleichspflichtige Schrottmengen und Beitragsschulden gegenüber der Klägerin festgesetzt hatte, mittels actus contrarius zulässig ist. Unter Berufung auf den von ihr sog. „Grundsatz der Rechtskraft“ behauptete die Klägerin, die Beklagte habe die an sie gerichteten Entscheidungen nach Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit nicht widerrufen und inhaltlich ändern können; die Entscheidungen 5 Schwarze, S. 1001; Bockey, S. 67 (dort: Fn. 232); Pache, EuZW 1994, 615, 617 (dort: Fn. 25); H. P. Ipsen, 25/1; Oppermann, § 8, Rn. 36; Lauwaars, S. 310 f.; Röhl, ZaöRV 60 (2000), 331, 360; ders., in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, S. 319, 344 f.; offensichtlich auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 42; wohl auch: Brändel, BB-AWD 1965, 301, 302 (erkennt zwar eine materielle Bindung an, lässt aber ihre Bezeichnung als materielle Rechtskraft offen). 6 H. P. Ipsen, 25/1; Lauwaars, S. 310 f.; s. aber auch: Schwarze, S. 1001; Bockey, S. 67 (dort: Fn. 232); Oppermann, § 8, Rn. 36; Pache, EuZW 1994, 615, 617 (dort: Fn. 25). 7 Rs. 2/70, Slg. 1971, 97.

168

2. Teil: Abweichungsverbote

seien in diesem Zeitpunkt nicht nur für die Klägerin, sondern auch für die Beklagte „unabänderlich“8 geworden. Der EuGH9 hat diese auf den „Grundsatz der Rechtskraft“ gestützte Rüge für unbegründet gehalten. Die Kommission sei bereits im Interesse der Teilnehmer an der Schrottausgleichseinrichtung berechtigt und verpflichtet gewesen, darüber zu wachen, dass diese Einrichtung ihre Tätigkeit jederzeit auf der Billigkeit und dem geltenden Recht entsprechenden, sachlich richtigen Grundlagen ausübte. Demzufolge habe sie alle Rechts- und Sachirrtümer und alle sich nachträglich als ungenau und unvollständig erweisenden Beurteilungen berichtigen müssen. Im Ergebnis bejaht der EuGH damit (lediglich) die zugunsten des erlassenden Entscheidungsträgers bestehende Möglichkeit, eine Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre formelle Bestandskraft mittels actus contrarius aufzuheben; die formelle Bestandskraft führt auf Seiten des erlassenden Entscheidungsträgers nicht zu der Unabänderlichkeit einer Entscheidung.10 In Abweichung von der an sich gebotenen Objektivität eines Länderberichts ist an dieser Stelle anzumerken, dass die in der erwähnten Literatur aus dieser Urteilsbegründung offensichtlich gezogene Schlussfolgerung, die Unabänderlichkeit der Entscheidungen sei dann eben Gegenstand der materiellen Bestandskraft, in dem Urteil des EuGH keine Stütze findet. Weder der Urteilsbegründung des EuGH noch den einschlägigen Ausführungen des GA Roemer11 kann eine explizite oder auch nur implizite Aussage des Inhalts entnommen werden, die Unabänderlichkeit einer Entscheidung bedeute deren materielle Bestandskraft. Möglicherweise haben die Vertreter dieser Ansicht diese Schlussfolgerung unter dem Eindruck eines Begriffsverständnisses in ihrer eigenen (deutschen bzw. niederländischen) Rechtsordnung gezogen.12 Wie bereits an früherer Stelle erwähnt, wurde unter der materiellen Bestandskraft jedenfalls im deutschen Recht in der Vergangenheit die Unabänderlichkeit eines Verwaltungsaktes verstanden.13 8 So die deutsche Übersetzung. Vgl. andere Sprachfassungen, z. B. die englische Fassung: „final“, die französische Fassung: „définitive“, die niederländische Fassung: „definitief“. 9 Slg. 1971, 97, Rn. 7. 10 s. dazu bereits oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, A. 11 Ders., in: SA in Rs. 2/70, Slg. 1971, 97, 115. 12 Hierzu mag auch die unglückliche deutsche Übersetzung der Bestandskraft mit Unabänderlichkeit sein Übriges beigetragen haben. 13 s. o., Erster Teil, Zweites Kapitel, B. S. ausführlich dazu auch: Seibert, S. 144 ff.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

169

Fest steht nun zwar, dass es sich bei der materiellen Bestandskraft nicht um eine bestandsbezogene Bindung im Sinne von Unabänderlichkeit handelt. Dies bedeutet umgekehrt jedoch noch nicht ohne weiteres, dass die materielle Bestandskraft eine Bindung der Betroffenen an den Inhalt einer Entscheidung zum Gegenstand hat. (bb) Materielle Bestandskraft im Sinne von Maßgeblichkeit einer Entscheidung Dass die materielle Bestandskraft einer Entscheidung aber in der Tat als inhaltsbezogene Bindung zu qualifizieren ist, erschließt sich aus der Judikatur der Gemeinschaftsgerichte. Ausgangspunkt ist dabei die – u. U. – etwas unglückliche Standardformulierung der Judikatur, nach Eintritt der Bestandskraft könne ein Betroffener nicht die Möglichkeit haben, die Rechtmäßigkeit einer nunmehr bestandskräftigen Entscheidung „erneut in Frage zu stellen“14. Der Sache nach verbirgt sich hinter dieser Formulierung die Differenzierung zwischen der Möglichkeit, eine Entscheidung unmittelbar oder mittelbar anzufechten.15 Anders als der Begriff der Anfechtung vermuten lassen könnte,16 weist aber allein der Terminus der unmittelbaren Anfechtung ei14 Diese Standardformulierung verwendet namentlich der EuGH, s. z. B.: EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 158 (SNUPAT/Hohe Behörde); Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, Rn. 21 (Kommission/Königreich Belgien); Rs. C-183/91, Slg. 1993, I-3131, Rn. 10 (Kommission/Griechische Republik); Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 15 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft). Unglücklich ist diese Formulierung deshalb, weil von einem erneuten In-Frage-Stellen richtigerweise an sich nur dann gesprochen werden kann, wenn die Bestandskraft durch Rechtswegerschöpfung, also nach einer erfolgten, allerdings erfolglosen Anfechtung bewirkt wurde. Falls die Bestandskraft aber schlicht infolge Ablaufs einschlägiger Rechtsbehelfsfristen eingetreten ist (so übrigens der Fall in den eben genannten Urteilen des EuGH), ist die Formulierung „erneut in Frage zu stellen“ dagegen in der Sache unzutreffend. „Erneut“ muss in diesem Falle auf das Nomen „Möglichkeit“ beziehen. Richtigerweise müsste es also heißen, ein Betroffener könne nicht erneut (!) die Möglichkeit haben, die Entscheidung in Frage zu stellen. 15 Die Judikatur spricht ausdrücklich von einer „mittelbaren Anfechtung“ (EuGH, Rs. C-135/93, Slg. 1995, I-1651, Rn. 17 [Königreich Spanien/Kommission]) bzw. von einem „mittelbaren Angriff“ (EuGH, Rs. 127/84, Slg. 1985, 1437, Rn. 10 [E. Esly/Kommission]). S. ferner auch: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 13, Rn. 14, Rn. 16 sowie Rn. 18 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); ders., in: SA in verb. Rs. C-261 und 262/01, Slg. 2003, I-12249, Rn. 53 (Belgischer Staat/E. van Calster u. a.). 16 Jedenfalls nach deutschem Sprachverständnis, insbesondere im rechtlichen Kontext, hat der Terminus der Anfechtung wohl allein einen bestandsbezogenen Bezug (im Gegensatz zu dem Begriff des Bestreitens, der einen inhaltsbezogenen Bezug hat).

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2. Teil: Abweichungsverbote

nen Bezug zu dem Bestand einer Entscheidung auf. Mit der Möglichkeit, eine Entscheidung unmittelbar anzufechten, ist die Möglichkeit gemeint, gegen eine (auch) belastende, für rechtswidrig erachtete Entscheidung mittels Nichtigkeitsklage bzw. Beschwerde, kurz: im Wege des Primärrechtsschutzes, vorzugehen mit dem Ziel, die Entscheidung in ihrem Bestand zu beseitigen, soweit sie sich als rechtswidrig erweist. Die Möglichkeit, eine Entscheidung mittelbar anzufechten, steht demgegenüber für die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit einer (auch) formell bestandskräftigen Entscheidung zu bestreiten mit dem Ziel, den Inhalt einer für rechtswidrig erachteten Entscheidung nicht gegen sich gelten lassen zu müssen, wobei der Bestand dieser Entscheidung hier unberührt bleibt. Im Erfolgsfalle (die mittelbar angegriffene Entscheidung erweist sich als zumindest teilweise rechtswidrig) würden die Rechtswirkungen dieser existenten Entscheidung ausser Kraft gesetzt. Von der Wirkung her käme dies einer Aufhebung gleich. Die Entscheidung wäre de facto aufgehoben. Wie bereits an früherer Stelle berichtet, ist eine unmittelbare Anfechtung mit Eintritt der formellen Bestandskraft aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen;17 der Bestand einer formell bestandskräftigen Entscheidung steht ab diesem Zeitpunkt außer Frage. Die auf Bestandssicherung gerichtete formelle Bestandskraft vermag jedoch nicht zu verhindern, dass die formell bestandskräftige Entscheidung mittelbar angefochten wird und im Erfolgsfalle die Rechtswirkungen der bestehenden, formell bestandskräftigen Entscheidung außer Kraft gesetzt werden. Im Gemeinschaftsrecht gibt es mehrere Möglichkeiten, eine Entscheidung ungeachtet ihrer formellen Bestandskraft mit dem Ziel des Außer-Kraft-Setzens ihrer Rechtswirkungen anzufechten: (a) Eine dieser Möglichkeiten besteht zunächst darin, die Rechtswidrigkeit einer bereits formell bestandskräftigen, (auch) belastenden Entscheidung, die die Grundlage einer nun streitgegenständlichen Handlung oder Maßnahme bildet, einredeweise geltend zu machen. Eine inzidente Rechtmäßigkeitskontrolle eines an sich bestandskräftigen Rechtsaktes lässt sich im Wege der Geltendmachung der – in Anlehnung an die sog. „exception d’illegalité“ des französischen Verwaltungsprozessrechts entwickelten –18 sog. „Einrede der Rechtswidrigkeit“19 erreichen. Im An17

s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. Röhl, ZaöRV 62 (2000), 331, 360; zur exception d’illegalité im französischen Recht: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 768 ff. 19 Zur gängigen Verwendung dieser Bezeichnung in der deutschsprachigen Literatur s. nur: Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 11, Rn. 2; synonyme Be18

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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wendungsbereich des EG-Vertrages ist diese in Art. 241 EG geregelt.20 Wie sich bereits dem Wortlaut des Art. 241 EG entnehmen lässt, hat eine Partei im Rahmen eines vor dem EuGH oder dem EuG anhängigen Rechtsstreites das Recht, sich auf die Unanwendbarkeit einer Verordnung, auf deren Geltung es im laufenden Verfahren ankommt, zu berufen,21 um – vor dem Hintergrund der fehlenden Möglichkeit natürlicher Personen und juristischer Personen des Privatrechts, Verordnungen mittels Nichtigkeitsklage anzufechten – insoweit bestehende Rechtsschutzlücken zu kompensieren und im Ergebnis daher das gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutzsystem zu vervollständigen.22 Soweit die Einrede der Rechtswidrigkeit erfolgreich ist,23 führt sie – ausweislich des Wortlautes des Art. 241 EG – zur Unanwendbarkeit der für rechtswidrig befundenen Rechtsnorm.24 Art. 241 EG ist allerdings an sich rein deklaratorischer Natur,25 denn die Judikatur26 betrachtet die Einrede der Rechtswidrigkeit, wie sie in den Art. 241 EG, Art. 156 EAG-Vertrag sowie Art. 36 Abs. 3 des bekanntlich zeichnung: „Einrede der Unanwendbarkeit“ (Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 241, Rn. 6; Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 241, Rn. 1); kritisch aber: Dauses, in: Dauses, Bd. 2, P. I., Rn. 354. 20 Im Anwendungsbereich des EAG-Vertrages ist sie in Art. 156 und in dem des bekanntlich inzwischen außer Kraft getretenen EGKS-Vertrages in Art. 36 Abs. 3 geregelt. 21 Die Rechtswidrigkeit kann im Rahmen der Klagegründe einredeweise geltend gemacht werden, s.: GA Reischl, in: SA in Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, 820 (Simmenthal SpA/Kommission). 22 EuGH, Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 41 (Simmenthal SpA/Kommission); ferner: Sinaniotis, EPL 7 (2001), 103, 105; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 241, Rn. 1; Schwarze, in: Schwarze, Art. 241, Rn. 1. Unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 241 EG („jede Partei“) wird die Anwendbarkeit des Art. 241 EG auch auf Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten bejaht, vgl. EuGH, Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 76 (Kommission/EZB); auch: Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 36 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement); GA Jacobs, in: SA in Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 191 ff. Diese Frage ist allerdings streitig, vgl. dazu den Überblick bei Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 11, Rn. 12. 23 Zu den Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen im Einzelnen s. nur: Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 11, Rn. 6 ff. 24 Die tatsächliche Existenz des Rechtsaktes wird also nicht in Frage gestellt (s. auch: Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 184, Rn. 3). 25 Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 241, Rn. 1; Gaitanides, in: Schwarze, Art. 241, Rn. 1; Ehricke, in: Streinz, Art. 241, Rn. 3. 26 EuGH, Rs. 9/56, Slg. 1958, 11, 26 (Meroni und Co. Industrie Metallurgiche SpA/Hohe Behörde)(in Bezug auf Art. 36 Abs. 3 EGKS-Vertrag); Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 39 (Simmenthal SpA/Kommission); Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 74 (Kommission/EZB); EuG, verb. Rs. T-305 u. a./94, Slg. 1999, II-931, Rn. 284 (Limburgse Vinyl Maatschappij NV u. a./Kommission); verb. Rs. T-93/00 und T-46/01, Slg. 2003, II-1635, Rn. 76 (Alessandrini Srl u. a./Kommission).

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2. Teil: Abweichungsverbote

inzwischen außer Kraft getretenen EGKS-Vertrages ihren positivrechtlichen Niederschlag gefunden hat, als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, nach dem „(. . .) jeder Partei das Recht gewährleistet (ist), zum Zwecke der Nichtigerklärung einer sie unmittelbar und individuell betreffenden Entscheidung die Gültigkeit derjenigen früheren Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane zu bestreiten, welche die Rechtsgrundlage für die angegriffene Entscheidung bilden, (. . .)“27. Über den Wortlaut des Art. 241 EG hinaus hat die Judikatur damit dessen sachlichen Anwendungsbereich auch auf solche Rechtsakte erstreckt „(. . .), die, obwohl nicht in Form einer Verordnung ergangen, gleichartige Wirkungen wie eine Verordnung entfalten und die aus diesen Gründen von keinem anderen Rechtssubjekt als den Organen und den Mitgliedstaaten im Rahmen des Art. 173 (EWG-Vertrag [= Art. 230 EG]) angegriffen werden konnten“.28 Diese Passage des Urteils soll in dem Sinne verstanden werden können, wesentlicher Zweck des Artikels 241 EG sei sicherzustellen, dass Rechtsschutz verfügbar sei, wenn infolge der Beschränkung der Klagebefugnis in Artikel 230 EG eine unmittelbare Klage ausgeschlossen sei.29 Im Gegensatz zur exception d’illégalité im französischen Recht, deren sachlicher Anwendungsbereich auf bestandskräftige sog. „actes réglementaires“30 beschränkt ist, demzufolge nicht für sog. actes individuels gilt,31 kann die Einrede der Rechtswidrigkeit im Gemeinschaftsrecht in Bezug auf sämtliche Rechtsakte geltend gemacht werden,32 wobei der inzident ange27

EuGH, Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 39 (Simmenthal SpA/Kommission). EuGH, Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 40 (Simmenthal SpA/Kommission). Ebenso: EuG, verb. Rs. T-305 u. a./94, Slg. 1999, II-931, Rn. 285 (Limburgse Vinyl Maatschappij NV u. a./Kommission) (vgl. auch Rn. 286: anwendbar sogar auf eine Bestimmung der Geschäftsordnung eines Organs, auch wenn diese nicht Rechtsgrundlage des angefochtenen Rechtsaktes ist, aber die wesentlichen Formvorschriften festlegt, die bei Erlass der Entscheidung beachtet werden müssen); verb. Rs. T-93/00 und T-46/01, Slg. 2003, II-1635, Rn. 76 (Alessandrini Srl u. a./Kommission); ferner: Streinz, Rn. 647; Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag, § 9, Rn. 95; a. A. (unter Berufung auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 241 EG bzw. Art. 36 Abs. 3 EGKS-Vertrag oder die fehlende Notwendigkeit der Erstreckung): EuGH, Rs. 3/59, Slg. 1960, 120, 139 f. (Regierung der BRD/Hohe Behörde); Rs. 36/64, Slg. 1965, 448, 459 (SOREMA/Hohe Behörde); Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, Rn. 22 (Kommission/Königreich Belgien); ferner: GA Roemer, in: SÄe in verb. Rs. 6 und 11/69, Slg. 1969, 523, 551 (Kommission/Französische Republik); Lauwaars, S. 276; Craig/de Bfflrca, S. 524 (s. aber auch S. 526); Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 241, Rn. 9. 29 GA Jacobs, in: SA in Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 193 (Kommission/ EZB). 30 Hierbei handelt es sich Rechtsverordnungen, vgl. nur: Koch, S. 111. 31 Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 768; Peiser, S. 253. Zu dem Begriff des acte individuel s. bereits oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, A. I. 1. 28

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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griffene Rechtsakt übrigens nicht notwendigerweise die Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Rechtsakt bilden muss;33 erforderlich ist (lediglich) ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang.34 Die Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereichs auf sämtliche Rechtsakte erfasst somit auch die Entscheidungen.35 (b) Eine weitere Möglichkeit, eine unanfechtbare Entscheidung mittelbar anzufechten, besteht im Kontext einer auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklage: Mit Eintritt der formellen Bestandskraft steht die tatsächliche Existenz einer Entscheidung, insbesondere auch einer solchen, die eine Geldleistungsverpflichtung ihres Adressaten zum Gegenstand hat, zwar außer Frage; dies bedeutet aber nicht, dass die Entscheidung rechtmäßig ist, zumal eine Entscheidung nicht ihre eigene Rechtmäßigkeit regelt.36 Da die Bestandskraft daher die Frage der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung unberührt lässt, steht der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Erlasses einer rechtswidrigen Entscheidung im Wege der Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG nichts im Wege. Dies gilt umso mehr, als die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG und die Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG im Klagesystem des EG-Vertrages nach wohl allgemeiner Ansicht in Judikatur37 und Literatur38 selbständige Klagearten darstellen 32 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 241, Rn. 8; auch: Streinz, Rn. 647. 33 Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 11, Rn. 15. 34 EuG, verb. Rs. T-93/00 und T-46/01, Slg. 2003, II-1635, Rn. 77 (Alessandrini Srl u. a./Kommission); im Kontext des Art. 36 Abs. 3 EGKS-Vertrag: EuGH, Rs. 21/64, Slg. 1965, 242, 259 (Macchiorlati Dalmas e Figli/Hohe Behörde); Rs. 76/83, Slg. 1984, 859, Rn. 5 (Usines Gustave Boel und Fabrique de fer de Maubeuge/ Kommission). 35 Vgl. in Bezug auf eine Entscheidung als an sich tauglicher Gegenstand der Einrede der Rechtswidrigkeit z. B.: EuGH, Rs. 265/82, Slg. 1983, 3105, Rn. 7 (Usinor/Kommission); Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 17 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-183/91, Slg. 1993, I-3131, Rn. 10 (Kommission/ Griechische Republik). Vgl. deutlich auch: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 14 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft). Eine ganz andere Frage ist demgegenüber, ob die Geltendmachung der Einrede der Rechtswidrigkeit einer Entscheidung Erfolgsaussichten hat. Diese gebotene Differenzierung wird häufig übersehen. 36 Vgl. in diesem Sinne: van der Woude, in: Heukels/McDonnell, S. 109, 116; Ossenbühl, S. 567. 37 Z. B.: EuGH, Rs. 4/69, Slg. 1971, 325, Rn. 6 (A. Lütticke GmbH/Kommission); Rs. 5/71, Slg. 1971, 975, Rn. 3 (Aktien-Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat); Rs. 175/84, Slg. 1986, 753, Rn. 26 (Krohn & Co. Import – Export [GmbH & Co. KG]/ Kommission); EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 58 (Cobrecaf SA u. a./ Kommission); Rs. T-93/95, Slg. 1998, II-195, Rn. 48 (B. Laga/Kommission); Rs. T-178/98, Slg. 2000, II-3331, Rn. 45 (Fresh Marine Company SA/Kommission); Rs. T-180/00, Slg. 2002, II-3985, Rn. 139 (Astipesca SL/Kommission); Rs.

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2. Teil: Abweichungsverbote

(vgl. zur Verdeutlichung auch die Bestimmung des Art. 233 Abs. 2 EG),39 die unterschiedliche Voraussetzungen haben und verschiedene Zwecke verfolgen,40 und dementsprechend die Zulässigkeit der Erhebung einer Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG auch nicht von der vorherigen Erhebung einer Nichtigkeitsklage abhängig ist.41 Eine mittelbare Angriffsmöglichkeit besteht in der vorliegenden Konstellation darin, nach Ablauf der einschlägigen Rechtsbehelfsfristen für einen unmittelbaren Angriff nun im Wege der Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG genau den Betrag, der der Beschwer durch die in der Entscheidung ausgesprochene Verpflichtung entspricht, als Schadensersatz geltend zu machen. (g) Eine weitere Möglichkeit, eine formell bestandskräftige Entscheidung mittelbar anzufechten, hat vor allem in beamtenrechtlichen Streitigkeiten praktische Relevanz erlangt. Es handelt sich regelmäßig um folgende Fallkonstellation: Ein Betroffener (in aller Regel wohl der Adressat) ersucht nach Ablauf der einschlägigen Rechtsbehelfsfristen den erlassenden Entscheidungsträger um Überprüfung der mittlerweile unanfechtbar gewordenen Entscheidung, mit der dieser einen Antrag auf Erlass einer (in der Regel wohl begünstigenden) Entscheidung in der Sache abgelehnt hat, und nimmt gegen die spätere Entscheidung des erlassenden Entscheidungsträgers, mit der dieser die ursprüngliche Entscheidung lediglich bestätigt, Primärrechtsschutz in Anspruch,42 um auf diese Weise letztlich eine ÜberprüT-166/98, Rn. 122 (Cantina sociale di Dolianova Soc. coop. rl u. a./Kommission) (noch nicht in amtlicher Sammlung). 38 Statt vieler: van der Woude, in: Heukels/McDonnell, S. 109, 115; Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 2; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 43. 39 Zur Selbständigkeit der Schadensersatzklage im Verhältnis zu den Rechtsbehelfen nach Artt. 90, 91 BeaSt.: Mead, in: Heukels/McDonnell, S. 243, 253 ff. 40 EuGH, Rs. 4/69, Slg. 1971, 325, Rn. 6 (A. Lütticke GmbH/Kommission); Rs. 5/71, Slg. 1971, 975, Rn. 3 (Aktien-Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat); Rs. 175/84, Slg. 1986, 753, Rn. 26 und Rn. 32 (Krohn & Co. Import – Export [GmbH & Co. KG]/Kommission); EuG, Rs. T-178/98, Slg. 2000, II-3331, Rn. 45 (Fresh Marine Company SA/Kommission); Rs. T-166/98, Rn. 122 (Cantina sociale di Dolianova Soc. coop. rl u. a./Kommission) (noch nicht in amtlicher Sammlung). Speziell zu den unterschiedlichen Zwecken: Ossenbühl, S. 564. 41 EuGH, Rs. 59/65, Slg. 1966, 816, 827 (H. Schreckenberg/Kommission); Rs. 175/84, Slg. 1986, 753, Rn. 32 (Krohn & Co. Import-Export [GmbH & Co. KG]/ Kommission); EuG, Rs. T-178/98, Slg. 2000, II-3331, Rn. 49 (Fresh Marine Company SA/Kommission); Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 76 (Compania Inpesa SA/Kommission); wohl auch: EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 58 (Cobrecaf SA u. a./Kommission); Rs. T-93/95, Slg. 1998, II-195, Rn. 48 (B. Laga/Kommission); ferner: von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 43. Anders noch: EuGH, Rs. 25/62, Slg. 1963, 211, 240 (Firma Plaumann und Co./Kommission); dazu: Mead, in: Heukels/McDonnell, S. 243, 249 f.

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fung der unanfechtbaren Entscheidung zu erreichen, denn die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestätigenden Entscheidung bedeutet im Ergebnis eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestätigten Entscheidung. Die im Erfolgsfalle (Feststellung der zumindest teilweisen Rechtswidrigkeit der bestätigenden Entscheidung) erfolgende Aufhebung dieser bestätigenden Entscheidung steht nach Ansicht des EuGH43 der Aufhebung der bestätigten Entscheidung gleich. (d) Schließlich besteht eine Möglichkeit, eine unanfechtbare Entscheidung mittelbar anzufechten, in den Fällen, in denen ein Betroffener nach Ablauf der einschlägigen Rechtsbehelfsfristen bei dem erlassenden Entscheidungsträger einen Antrag auf Überprüfung einer bestandskräftigen, ihn (auch) belastenden Entscheidung stellt und sich dabei auf bestimmte Umstände beruft, die nach seiner Ansicht bei dem Erlass der Entscheidung unberücksichtigt geblieben sind mit der Folge, dass die Entscheidung seit ihrem Erlass rechtswidrig war, oder aber auf eine Änderung der Sach- oder Rechtslage hinweist, die nach seiner Auffassung die Entscheidung nachträglich rechtswidrig werden ließ. Derartige mittelbare, auf Außer-Kraft-Setzen der Rechtswirkungen einer bestehenden, formell bestandskräftigen Entscheidung gerichtete Anfechtungsmöglichkeiten zuzulassen, hieße, zwar den Bestand dieser Entscheidung gegen eine Beseitigung, nicht aber ihren Inhalt gegen eine faktische Aufhebung zu schützen. Zum Schutze auch des Inhalts einer bestehenden, formell bestandskräftigen Entscheidung bedarf es daher eines zusätzlichen Instrumentes, der materiellen Bestandskraft. Die im Folgenden darzustellende Reaktion der Judikatur auf die soeben geschilderten Möglichkeiten, eine formell bestandskräftige Entscheidung mittelbar anzufechten, bedeutet – dogmatisch betrachtet – nichts anderes als die Anerkennung der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung:44 ad (a): Der unter lit. (a) dargestellten Möglichkeit, eine unanfechtbare Entscheidung mittels Geltendmachung der Einrede ihrer Rechtswidrigkeit anzufechten, begegnet die Judikatur dadurch, dass sie die Anwendbarkeit des dort vorgestellten allgemeinen Grundsatzes dahingehend einschränkt, 42 Vgl. die Fallkonstellation z. B. in: EuGH, Rs. 24/69, Slg. 1970, 145 (T. Nebe/ Kommission); Rs. 79/70, Slg. 1971, 689 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuss). 43 s. nur: Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875, Rn. 4 (Metro-SB-Großmärkte GmbH & Co. KG/Kommission). 44 Auch ausdrücklich: Röhl, ZaöRV 60 (2000), 331, 359 f.; ders., in: SchmidtAßmann/Schöndorf-Haubold, S. 319, 344 f.; implizit auch: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 42; beide im Kontext der unter lit. (a) vorgestellten, mittelbaren Anfechtungsmöglichkeit. Für eine „materielle Bindungswirkung“: Vogt, S. 238 ff. (240 f.) und 241 f.; ders., EuR 39 (2004), 618, 621 ff. (622).

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2. Teil: Abweichungsverbote

dass dieser nur dann geltend gemacht werden kann „(. . .), falls die Partei nicht das Recht hatte, gemäß Art. 173 EWG-Vertrag (= Art. 230 EG) unmittelbar gegen diese Rechtshandlungen zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne dass sie ihre Nichtigkeit hatte beantragen können“45. Mit dieser Einschränkung bestätigt die Judikatur, dass die Geltendmachung der Einrede der Rechtswidrigkeit nicht als zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit (miss-)verstanden werden darf,46 zumal gerade dies dem Ziel, mittels Bestandskraft Rechtssicherheit zu schaffen, zuwiderlaufen und Verzögerungstaktiken ermutigen würde.47 Da ein Adressat und ein zweifellos anfechtungsberechtigter Dritter48 eine (auch) belastende Entscheidung ohne weiteres unter Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 230 EG49, namentlich der Klagebefugnis nach Art. 230 Abs. 4 EG, unmittelbar angreifen können, führt die Einschränkung bei ihnen dazu, dass ihnen die Geltendmachung der Einrede der Rechtswidrigkeit einer bereits unanfechtbaren Entscheidung verwehrt ist. Die einredeweise Geltendmachung der Einrede der Rechtswidrigkeit ist – mangels Rechtsschutzbedürfnisses –50 unzulässig.51 Die Unzulässigkeit der einredeweisen Geltendmachung der Rechtswidrigkeit einer Entscheidung entspricht offensichtlich der Rechtslage im französischen Recht: Dort ist die Geltendmachung der exception d’illégalité in Bezug auf actes individuels unzulässig.52 45

EuGH, Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 39 (Simmenthal SpA/Kommission). Sinaniotis (EPL 7 [2001], 103, 105) spricht insoweit von einer fehlenden „zweiten Chance“. 47 GA Jacobs, in: SA in Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 192 (Kommission/ EZB). 48 Nur für ihn ist die Frage der Bestandskraft einer ihn (auch) belastenden Entscheidung relevant, s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b). 49 Gleiches gilt auch für die dem Art. 230 EG entsprechenden anfechtungsrelevanten Rechtsbehelfe. 50 Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 11, Rn. 20; Ehricke, in: Streinz, Art. 241, Rn. 10. 51 Z. B.: EuGH, Rs. 265/82, Slg. 1983, 3105, Rn. 7 (Usinor/Kommission); Rs. 81/83, Slg. 1984, 2951, Rn. 12 (Acciaierire e Ferriere Busseni SpA/Kommission); Rs. C-74/91, Slg. 1992, I-5437, Rn. 10 (Kommission/BRD); Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 13 ff. (Rn. 14, Rn. 17) (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); EuG, Rs. T-60/92, Slg. 1993, II-911, Rn. 19 und Rn. 23 ff. (M. Noonan/ Kommission) (bestätigt durch EuGH, Rs. C-448/93 P, Slg. 1995, I-2321 [Kommission/M. Noonan]). Vgl. hinsichtlich der Übertragbarkeit dieser ursprünglich in Bezug auf einen Adressaten entwickelten Judikatur auf einen Nichtadressaten auch: EuGH, Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 20 (Wiljo NV/Belgischer Staat). Zu einer Ausnahme von dieser Unzulässigkeit später, Zweites Kapitel, A. II. 1. d) aa). 52 Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 768; ders., Droit administratif général, Rn. 1016; Peiser, S. 253. Dass im französischen Recht die Anerkennung 46

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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ad (b): Die Möglichkeit, eine unanfechtbare Entscheidung in der unter lit. (b) dargelegten Konstellation mittelbar anzugreifen, verhindert die Judikatur dadurch, dass sie eine Ausnahme zu dem Grundsatz der Selbständigkeit von Nichtigkeits- und Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG anerkennt: Die Erhebung der Schadensersatzklage ist dann – mangels Rechtsschutzbedürfnisses –53 unzulässig,54 wenn der Antrag auf Schadensersatz auf Zahlung des Betrages gerichtet ist, der exakt dem Betrag der mittels inzwischen unanfechtbarer Entscheidung begründeten Verpflichtung entspricht,55 so dass im Falle einer erfolgreichen Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG die Rechtswirkungen der Entscheidung beseitigt würden56 und damit in der Unzulässigkeit der exception d’illègalité Ausdruck einer materiellen Komponente der Bestandskraft ist, zeigt sich übrigens auch daran, dass für die Bindung an den Inhalt eines unanfechtbar gewordenen acte individuel – wie im Falle einer gerichtlichen Entscheidung – das Prinzip der „res judicata pro veritate habetur“ gilt, vgl. in Bezug auf die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 1198; in Bezug auf die Bestandskraft eines acte individuel: ders., ebenda, Rn. 768 (dort auch der Hinweis unter Ziff. 2., bei den actes individuels genieße die Rechtssicherheit unbestritten oberste Priorität). Zu einer Ausnahme von der Unzulässigkeit der exception d’illégalité s. später, Zweites Kapitel, A. II. 1. d) aa). 53 Vgl. dazu: von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 44 f. Sollte die Absicht des Klägers, die Klagefrist des Art. 230 Abs. 5 EG mittels Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG zu umgehen, offensichtlich sein, sieht das EuG in diesem Verhalten einen Verfahrensmissbrauch, s.: Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 77 (Compania Inpesca SA/Kommission); vgl. zur Möglichkeit des Verfahrensmissbrauchs auch: EuG, Rs. T-166/98, Rn. 122 (Cantina sociale di Dolianova Soc. coop. rl/Kommission) (noch nicht in amtlicher Sammlung). 54 EuGH, Rs. 59/65, Slg. 1966, 816, 827 (H. Schreckenberg/Kommission); EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 61 (Cobrecaf SA u. a./Kommission); Rs. T-93/95, Slg. 1998, II-195, Rn. 50 (B. Laga/Kommission); ferner: van der Woude, in: Heukels/McDonnell, S. 109, 116; anders noch: EuGH, Rs. 25/62, Slg. 1963, 211, 240 (Firma Plaumann und Co./Kommission); dazu: Ossenbühl, S. 566 (dort auch Fn. 3). 55 EuGH, 59/65, Slg. 1966, 816, 827 (H. Schreckenberg/Kommission); Rs. 175/84, Slg. 1986, 753, Rn. 33 (Krohn & Co. Import – Export [GmbH & Co. KG]/ Kommission); EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 60 (Cobrecaf SA u. a./ Kommission) (Rn. 62 in Bezug auf Verzugszinsen); Rs. T-178/98, Slg. 2000, II-3331, Rn. 50 (Fresh Marine Company SA/Kommission). 56 EuGH, Rs. 25/62, Slg. 1963, 211, 240 (Firma Plaumann und Co./Kommission); Rs. 59/65, Slg. 1966, 816, 827 (H. Schreckenberg/Kommission); Rs. 175/84, Slg. 1986, 753, Rn. 33 (Krohn & Co. Import – Export [GmbH & Co. KG]/Kommission); EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 59 (Cobrecaf SA u. a./Kommission); Rs. T-93/95, Slg. 1998, II-195, Rn. 48 (B. Laga/Kommission); Rs. T-178/98, Slg. 2000, II-3331, Rn. 50 (Fresh Marine Company SA/Kommission); Rs. T-180/00, Slg. 2002, II-3985, Rn. 139 f. (Astipesca SL/Kommission); Rs. T-166/98, Rn. 122 (Cantina Sociale di Dolianova coop. rl/Kommission) (noch nicht in amtlicher Sammlung). Speziell zur entsprechenden Rechtslage im Rahmen des BeaSt.: Mead, in: Heukels/McDonnell, S. 243, 255.

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2. Teil: Abweichungsverbote

Wirklichkeit die „faktische“ bzw. „mittelbare“ Aufhebung einer Entscheidung begehrt wird.57 Der Grundsatz des „Dulde und liquidiere“ gilt in diesem Falle nicht,58 vorausgesetzt, der Kläger hatte Gelegenheit, den betreffenden Rechtsakt, der nun im Wesentlichen den Gegenstand der Schadensersatzklage bildet, im Rahmen des Primärrechtsschutzes überprüfen zu lassen.59 Die Obliegenheit, eine Entscheidung im Wege des Primärrechtsschutzes unmittelbar anzugreifen, besteht dabei im Rahmen der Zumutbarkeit.60 Im Ergebnis bleibt die Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG nach alledem zwar grundsätzlich weiterhin ein im Verhältnis zur Nichtigkeitsklage selbständiger Rechtsbehelf. Die Nichtigkeitsklage ist auch im Falle einer bestandskräftigen Entscheidung nicht per se ausgeschlossen, in diesem speziellen Falle wohl aber nur bei Geltendmachung „echter Schadensersatzansprüche“ zulässig.61 Mit der Anerkennung der ausnahmsweisen Unzulässigkeit einer Schadensersatzklage greift die Judikatur offensichtlich wiederum auf das französische Recht zurück:62 Dort ist ein sog. „recours de pleine jurisdiction“63 in Form eines sog. „recours en réparation“64 wegen Erlasses eines rechtswidrigen acte individuel zwar nicht grundsätzlich unzulässig – die Zulässigkeit eines recours en réparation stellt an sich eine Ausnahme zu dem Grundsatz der Nichtgeltung der exception d’illégalité in Bezug auf einen acte individuel dar –65, jedoch dann, wenn ein Kläger mittels recours en réparation Schadensersatz für exakt eine ihm durch einen inzwischen unanfechtbar gewordenen acte inividuel auferlegte Belastung begehrt und daher mit diesem Vorgehen im Ergebnis die Bestandskraft des acte individuel umgeht.66 ad (g): Um der Möglichkeit, eine formell bestandskräftige Entscheidung in der unter lit. (g) beschriebenen Konstellation mittelbar anzufechten, zu 57 Von einer faktischen Aufhebung spricht: Van der Woude, in: Heukels/McDonnell, S. 109, 116. Von einer mittelbaren Aufhebung spricht das EuG in seinem Urteil in der Rs. T-514/93 (Slg. 1995, II-621, Rn. 60 [Cobrecaf SA u. a./Kommission]). 58 Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 44. 59 EuG, Rs. 7/99, Slg. 2000, II-2671, Rn. 45 (Medici Grimm KG/Rat der Europäischen Union) (dort auch zur umgekehrten Konstellation, wann die Ausnahme nicht eingreift). 60 Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 44 und Rn. 46. 61 Vgl.: Ossenbühl, S. 568. 62 Zur Rechtslage im deutschen Recht s. später, Zweites Kapitel, C. I. 3. b) bb). 63 Dazu: Koch, S. 209 f. Es handelt sich um eine allgemeine Leistungsklage. 64 Vgl.: Chapus, Droit administratif général, Rn. 1016. 65 Chapus, Droit administratif général, Rn. 1016; ders., Droit du contentieux administratif, Rn. 780. 66 Vgl.: Koch, S. 208.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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begegnen, um – mit den Worten des EuG –67 „zu verhindern, dass durch die Erhebung einer Klage abgelaufene Klagefristen wiederaufleben“, indem neue Rechtsbehelfsfristen eröffnet werden68 und die Rechtmäßigkeit einer bestandskräftigen Erstentscheidung erneut in Frage gestellt wird,69 hat die Judikatur den Begriff des „bestätigenden Rechtsaktes“, der einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt,70 entwickelt71 und entschieden, dass der gegen den lediglich bestätigenden Rechtsakt eingelegte Rechtsbehelf – mangels Beschwer –72 unzulässig ist.73 Anders als der Begriff des bestätigenden Rechtsaktes bzw. der nicht selten alternativ hierzu verwendete Terminus der „bestätigenden Entscheidung“74 nahelegen könnte, enthält der bestätigende Rechtsakt keine Regelung,75 jedenfalls keine Regelung in der Sache,76 da er die Rechtsstellung des Rechtsbehelfsführers nicht ändert,77 demnach im Verhältnis zu der be67

Rs. T-354/00, Slg. 2001, II-3177, Rn. 34 (M6/Kommission). Von dem Wiederaufleben neuer Klagefristen spricht auch der EuGH, s.: EuGH, Rs. 20/65, Slg. 1965, 1111, 1117 (U. Collotti/EuGH); Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 13 (S. Moussis/Kommission). 68 EuGH, Rs. 53/70, Slg. 1971, 601, Rn. 12 (W. Vinck/Kommission); Rs. 33/72, Slg. 1973, 475, Rn. 11 (M. Gunnella/Kommission); unklar: EuG, Rs. T-514/93, Slg. 1995, II-621, Rn. 44 (Cobrecaf SA u. a./Kommission). 69 EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 158 (SNUPAT/Hohe Behörde). Richtigerweise muss es dort allerdings „bestätigten“ Rechtsakt heißen. 70 EuGH, verb. Rs. 42 und 49/59, Slg. 1961, 109, 158 (SNUPAT/Hohe Behörde). 71 Ausdrücklich: EuG, Rs. T-354/00, Slg. 2001, II-3177, Rn. 34 (M6/Kommission). 72 EuGH, Rs. 24/69, Slg. 1970, 145, Rn. 8 (T. Nebe/Kommission); Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, Rn. 20 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuss); auch: EuGH, Rs. C-199/91, Slg. 1993, I-2667, Rn. 23 (Foyer Culturel du Sart-Tilman ASBL/ Kommission). 73 EuGH, Rs. 20/65, Slg. 1965, 1111, 1117 (U. Collotti/Kommission); Rs. 24/69, Slg. 1970, 145, Rn. 7 (T. Nebe/Kommission); Rs. 53/70, Slg. 1971, 601, Rn. 15 (W. Vinck/Kommission); Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, Rn. 23 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuss); Rs. 33/72, Slg. 1973, 475, Rn. 12 (M. Gunnella/ Kommission); Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 14 (S. Moussis/Kommission); verb. Rs. 166 und 220/86, Slg. 1988, 6473, Rn. 16 (Irish Cement Ltd./Kommission); Rs. C-199/91, Slg. 1993, I-2667, Rn. 24 (Foyer Culturel du Sart-Tilman ASBL/Kommission); Rs. T-227/95, Slg. 1997, II-1185, Rn. 29 (Assi Domän Kraft Products AB u. a./Kommission); Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 44 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1633, Rn. 51 (SGL Carbon AG/Kommission). 74 Z. B.: GA de Lamothe, in: SA in Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, 700 (H. Müllers/ Wirtschafts- und Sozialausschuss). 75 Vgl.: GA Alber, in: SA in verb. Rs. C-172 u. a./01 P, Slg. 2003, I-11421, Rn. 97 (International Power plc u. a./Kommission); auch: Ehricke, in: Streinz, Art. 230, Rn. 20; Bockey, S. 71.

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2. Teil: Abweichungsverbote

stätigten Entscheidung keine (neue) Beschwer enthalten kann78 und daher keine unmittelbar anfechtbare Handlung darstellt.79 Ob eine Entscheidung konstitutiven und damit novatorischen Charakter besitzt oder ob es sich bei ihr lediglich um eine bestätigende Maßnahme handelt, ist nicht allein durch Vergleich des Inhalts der beiden Entscheidungen zu ermitteln, sondern vielmehr auch nach der Art des Antrages zu beurteilen, der durch die bestätigende Entscheidung beschieden wird.80 Nach der Judikatur kommt einer Entscheidung bestätigender Charakter zu, wenn sie gegenüber der früheren Entscheidung weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht einen neuen Gesichtspunkt enthält,81 diese somit nicht ersetzt hat82 und des weiteren nicht auf einer Überprüfung der Rechtslage des Betroffenen beruht.83 Die Qualifizierung der die ursprüngliche Entscheidung sachlich wiederholenden Maßnahme als bestätigende Entscheidung mit der Folge der Unzulässigkeit einer gegen sie gerichteten unmittelbaren Anfechtung entspricht wohl erneut der Rechtslage im französischen Recht:84 Dort existiert der – 76 Ob er u. U. eine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung, kann hier dahingestellt bleiben. Soweit ersichtlich, ist diese Frage im Gemeinschaftsrecht im Übrigen auch noch nicht aufgeworfen worden. 77 EuGH, Rs. C-199/91, Slg. 1993, I-2667, Rn. 23 (Foyer Culturel du Sart-Tilman ASBL/Kommission). 78 EuGH, Rs. 24/69, Slg. 1970, 145, Rn. 8 (T. Nebe/Kommission); Rs. 79/70, Slg. 1971, 689, Rn. 20 (H. Müllers/Wirtschafts- und Sozialausschuss); auch: GA Lenz, in: SA in Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, 3149 (S. Moussis/Kommission). 79 St. Rspr. des EuGH, z. B.: Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875, Rn. 4 (Metro-SB-Großmärkte GmbH und Co. KG/Kommission); Rs. C-199/91, Slg. 1993, I-2667, Rn. 23 (Foyer Culturel du Sart-Tilman ASBL/Kommission); Rs. C-480/93 P, Slg. 1996, I-1, Rn. 14 (Zunis Holding SA u. a./Kommission). 80 EuGH, verb. Rs. C-15 und 108/91, Slg. 1992, I-6061, Rn. 22 (J. Buckl u. a./ Kommission); EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 45 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1633, Rn. 52 (SGL Carbon AG/Kommission). 81 Z. B.: EuGH, Rs. 24/69, Slg. 1970, 145, Rn. 8 (T. Nebe/Kommission); EuG, Rs. T-49/97, Slg. 2000, II-51 (European Airlines SA/Kommission); Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 44 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1633, Rn. 51 (SGL Carbon AG/Kommission). 82 EuG, Rs. T-49/97, Slg. 2000, II-51, Rn. 31 (European Airlines SA/Kommission). 83 Vgl.: EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 44 (Compania Inpesca SA/ Kommission); Rs. T-308/02, Slg. 2004, II-1633, Rn. 51 (SGL Carbon AG/Kommission). 84 In den deutschen amtlichen Übersetzungen von Urteilen oder Schlussanträgen (z. B.: GA Lenz, in: SA in Rs. 227/83, 1984, 3133, 3149 [S. Moussis/Kommission]) oder in der Literatur (Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 27; Ehricke, in: Streinz, Art. 236, Rn. 11) ist gelegentlich der Begriff der „wiederholenden Ver-

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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dem Terminus des bestätigenden Rechtsaktes entsprechende – Begriff der sog. „décision confirmative“85, gegen den ein recours pour excès de pouvoir unzulässig ist.86 ad (d): Mit der gleichen Argumentation begegnet die Judikatur der unter lit. (d) vorgestellten Möglichkeit, eine unanfechtbare Entscheidung mittelbar anzufechten. Um einen solchen mittelbaren Angriff zu verhindern,87 erkennt die Judikatur88 einen Antrag auf Überprüfung einer bestandskräftigen Entscheidung – u. a. –89 nur dann als zulässig an, wenn „wesentliche neue Tatsachen“ vorliegen.90 fügung“ zu finden. Nach wohl allgemeiner Ansicht trifft die wiederholende Verfügung im deutschen Recht keine Regelung, jedenfalls keine Regelung in der Sache, sondern enthält (allenfalls) eine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung (vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 57 sowie Rn. 63; Maurer, § 11, Rn. 56). Wie im Gemeinschaftsrecht eröffnet die wiederholende Verfügung nicht die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs gegen den unanfechtbaren Verwaltungsakt (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 57). Bei dem bestätigenden Rechtsakt handelt es sich nicht um einen „Zweitbescheid“ nach deutschem Begriffsverständnis (anders möglicherweise: Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 34 f.). Dieser enthält eine Regelung in der Sache, mag diese auch mit der ursprünglich getroffenen Regelung identisch sein (vgl.: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 51, Rn. 29 ff.; Kopp/Ramsauer, § 35, Rn. 55) und ersetzt den Erstbescheid (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 47). In dem Umfang, in dem der erlassende Entscheidungsträger mittels Zweitbescheid eine neue Sachentscheidung trifft, entfällt damit die formelle Bestandskraft des Erstverwaltungsaktes. Gegen den Zweitbescheid, der sowohl verfahrensrechtlich als auch materiell an die Stelle des Erstbescheides tritt, sind grundsätzlich dieselben Rechtsbehelfe möglich wie gegen den Erstverwaltungsakt (dazu jeweils im Kontext des § 51 VwVfG: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 20, Rn. 11; bzgl. Einzelheiten s.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 51, Rn. 74). 85 Dazu ausführlich: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 747 ff. (749 ff.). 86 Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 747. 87 Ausdrücklich: EuGH, Rs. 127/84, Slg. 1985, 1437, Rn. 10 (E. Esly/Kommission). 88 St. Rspr., z. B.: EuGH, verb. Rs. 109/63 und 13/64, Slg. 1964, 1411, 1436 (Ch. Muller/Kommission); Rs. 173/80, Slg. 1981, 649, Rn. 8 (V. Blasig/Kommission); Rs. 326/82, Slg. 1984, 2253, Rn. 13 (H. Aschermann u. a./Kommission); Rs. 127/84, Slg. 1985, 1437, Rn. 10 (E. Esly/Kommission); EuG, Rs. T-202/97, Slg. 1998, II-511, Rn. 23 (L. Koopman/Kommission); T-186/98, Slg. 2000, II-1633, Rn. 47 (Compania Inpesca SA/Kommission). 89 Zulässig ist ein Antrag ferner nur, wenn dieser „innerhalb einer angemessenen Frist“ gestellt wird (EuG, T-202/97, Slg. ÖD 1998, II-511, Rn. 24 [L. Koopman/ Kommission]). In dieser Rechtssache verneinte das EuG einen angemessenen Zeitraum, nachdem zwischen dem In-Kraft-Treten einer maßgeblichen Verordnung und der Geltendmachung einer Anpassung an die durch sie bewirkten Änderungen mehr als 3½ Jahre vergangen waren. Hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes für den Fristbeginn stellt das EuG nicht auf die Veröffentlichung, sondern auf das In-Kraft-

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2. Teil: Abweichungsverbote

Die grundsätzliche Unzulässigkeit eines Antrags auf Überprüfung einer unanfechtbaren Entscheidung entspricht wohl wiederum der Rechtslage im französischen Recht: Dort scheint die Überprüfung eines bestandskräftigen acte individuel nur bei Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Sachoder Rechtslage zulässig zu sein.91 Als Geltungsgrund der materiellen Bestandskraft nennt die Judikatur92 insbesondere die Gewährleistung von Rechtssicherheit. (b) Begriff der materiellen Bestandskraft Soweit ersichtlich, existiert im Gemeinschaftsrecht weder eine positivrechtliche noch eine seitens der Judikatur oder der Literatur entwickelte Definition des Begriffs der materiellen Bestandskraft. Die soeben dargestellte, als Anerkennung der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung zu wertende Judikatur lässt aber erkennen, dass die materielle Bestandskraft eine auf Dauer angelegte Bindung der Betroffenen an den Inhalt einer Entscheidung zum Inhalt hat. Dem steht wohl nicht entgegen, dass sowohl der EuGH als auch GA Slynn davon sprechen, dass eine (auch) belastende Entscheidung ungeachtet ihrer zunächst gegebenen Anfechtungsmöglichkeit bzw. ihrer tatsächlich erfolgten Anfechtung bzw. ihrer Unanfechtbarkeit für die Betroffenen bindend „bleibt“93. Diese Formulierung könnte zwar mögliTreten der Verordnung ab. Für die Praxis bleibt dies allerdings folgenlos, da im Gemeinschaftsrecht – wie berichtet – ein Rechtsakt stets zugleich mit seiner Veröffentlichung oder seiner Bekanntgabe in Kraft tritt, s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, II. (1) (a) (aa). 90 Bzgl. Einzelheiten s. bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. III. (1) (a) (aa). 91 Vgl.: Peiser, S. 253. 92 Zum Geltungsgrund der Rechtssicherheit: EuGH, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837, Rn. 24 (Kühne & Heitz NV/Productschap voor Pluimvee en Eieren); Rs. C-110/02, Slg. 2004, I-6333, Rn. 35 (Kommission/Rat der Europäischen Union). Daneben gilt die materielle Bestandskraft auch im Interesse einer geordneten Rechtspflege sowie der Verfahrensökonomie, s.: EuGH, Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-2555, Rn. 61 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); EuG, Rs. 7/99, Slg. 2000, II-2671, Rn. 44 (Medici Grimm KG/Rat der Europäischen Union). 93 Vgl. im Kontext der Anfechtbarkeit bzw. tatsächlich erfolgten Anfechtung: EuGH, Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 57 (Kommission/Portugiesische Republik); im Kontext des Eintritts der Bestandskraft: EuGH, Rs. 64/84, Slg. 1985, 1829, Rn. 15 (Queenborough Mill Company Ltd./Kommission); EuG, Rs. T-227/95, Slg. 1997, II-1185, Rn. 58 (Assi Domän Kraft Products AB u. a./Kommission); verb. Rs. T-305 u. a./94, Slg. 1999, II-931, Rn. 168 (Limburgse Vinyl Maatschappij NV u. a./ Kommission); ferner auch: GA Slynn, in: SA in: Rs. 265/82, Slg. 1983, 3105, 3119 (Usinor/Kommission).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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cherweise dahingehend verstanden werden, dass die mit Erlass einer Entscheidung eintretende Bindung eines Betroffenen bereits auf Dauer angelegt ist und die Dauerhaftigkeit dann unter der auflösenden Bedingung ihrer Aufhebung steht; ein solches Verständnis stünde aber wohl offenkundig im Widerspruch zu der eindeutigen Anerkennung einer materiellen Bestandskraft, die selbst erst eine endgültige Bindung begründet, während die vor diesem Zeitpunkt bestehende Bindung der Betroffenen wegen der noch eröffneten Anfechtungsmöglichkeit gerade noch nicht auf Dauer angelegt ist. Daher kann aus dieser Formulierung wohl kein Rückschluss auf den Charakter der vor und nach Bestandskraft bestehenden Bindung der Betroffenen an den Inhalt einer Entscheidung gezogen werden. bb) Bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger Aus den bisherigen Ausführungen in Bezug auf die materielle Bestandskraft wie auch aus den Darlegungen hinsichtlich der formellen Bestandskraft, auf der die materielle Bestandskraft aufbaut, ergibt sich, dass die materielle Bestandskraft allein für die von einer Entscheidung Betroffenen, nicht dagegen für den erlassenden Entscheidungsträger relevant ist.94 Wie bei der formellen Bestandskraft bedeutet dies indes nicht, dass die mit Eintritt der materiellen Bestandskraft eintretende Bindung der Betroffenen an den Inhalt der in Rede stehenden Entscheidung für den erlassenden Entscheidungsträger ohne Auswirkungen bleibt. Wie bereits erwähnt, löst der Eintritt der materiellen Bestandskraft vielmehr ihm gegenüber reflexartig ein Abweichungsverbot aus, das damit konzeptionell dem bereits ausführlich an früherer Stelle untersuchten bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot entspricht. Dogmatisch betrachtet begründet das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot demgemäss eine – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft bewirkten (unmittelbaren) Bindung eines Betroffenen – mittelbare und daher zwangsläufig akzessorische Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an den Inhalt der bestandskräftigen Entscheidung.95 Dieses offenkundig der Gewährleistung von Rechtssicherheit dienende Abweichungsverbot ist – soweit ersichtlich – als solches nicht positivrechtlich geregelt, wird aber – möglicherweise als eher selbstverständlich – bestehend anerkannt.96 94

Bzgl. der formellen Bestandskraft s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. Vgl. zu dem bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. 96 Vgl. nur: EuGH, Rs. 227/83, Slg. 1984, 3133, Rn. 12 f. (S. Moussis/Kommission). 95

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2. Teil: Abweichungsverbote

b) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Aufgrund der Akzessorietät des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten Abweichungsverbotes gelangt dieses nur und erst dann zur Entstehung, sobald die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen selbst bewirkt ist. Dies ist der Fall, sobald eine der materiellen Bestandskraft fähige Entscheidung und ein ihren Eintritt bewirkender Umstand vorliegen. Da die materielle Bestandskraft als Folge der formellen Bestandskraft zur Entstehung gelangt, tritt die materielle Bestandskraft ein, sobald eine der formellen Bestandskraft fähige Entscheidung und ein den Eintritt der formellen Bestandskraft bewirkender Umstand vorliegen. Diesbezüglich wird auf die obige ausführliche Darstellung verwiesen.97 Nicht abschließend zu klären ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Abweichungsverbot in den Fällen eintritt, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die ihr vorausgehende Frage, zu welchem Zeitpunkt die materielle Bestandskraft in diesen Fällen gegenüber den Betroffenen eintritt, d.h. ob sie – der relativen formellen Bestandskraft entsprechend –98 bereits mit dieser oder erst im Zeitpunkt der allseitigen Unanfechtbarkeit (absolute formelle Bestandskraft) eintritt, ebenfalls nicht abschließend zu beantworten ist.99 Bestimmte Passagen in der Judikatur des EuGH100 könnten aber darauf hindeuten, dass die materielle Bestandskraft möglicherweise bereits infolge der relativen formellen Bestandskraft eintritt. Angenommen, die relative formelle Bestandskraft sei bereits geeignet, die materielle Bestandskraft zur Entstehung zu bringen, hieße dies für das an sie angelehnte Abweichungsverbot, dass es sich bei diesem um eine relative inhaltsbezogenen Bindungswirkung handelt.

97

s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. Unter Zugrundelegung der Annahme, dass eine ausschließlich begünstigende Entscheidung ebenfalls der formellen und damit der materiellen Bestandskraft fähig ist, wird ausdrücklich auch auf die insoweit oben (ebenda) an den einschlägigen Stellen zu findenden Anmerkungen in Fußnoten verwiesen. 98 Dazu bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (2). 99 Anhand der verfügbaren Quellen anderer mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen, insbesondere der französischen Rechtsordnung, an der sich – wie bereits sichtbar wurde – das Gemeinschaftsrecht hinsichtlich der Entwicklung des Rechtsinstituts der Bestandskraft offensichtlich wesentlich orientiert hat, lässt sich ebenfalls nicht feststellen, wie die Rechtslage dort ist. 100 In Bezug auf ein Bündel von Einzelfallentscheidungen: EuGH, Rs. C-310/97, Slg. 1999, I-2555, Rn. 63 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.); in Bezug auf eine Entscheidung mit Drittwirkung: EuGH, Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 37 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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c) Fortbestand des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Die im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des Abweichungsverbotes wirkt sich nicht nur auf dessen Entstehung, sondern auch auf seinen Fortbestand aus. Das Abweichungsverbot besteht, solange die materielle Bestandskraft Bestand hat. Dies ist der Fall, solange die betreffende Entscheidung formell bestandskräftig bleibt. Der Wegfall der formellen Bestandskraft entzieht der materiellen Bestandskraft ohne weiteres ihre Grundlage. Diesbezüglich wird auf obige Darstellung verwiesen.101 Der Fortfall der Bestandskraft hat zwangsläufig den Wegfall des an die materielle Bestandskraft angelehnten Abweichungsverbotes zur Folge. Erwähnenswert ist, dass der erlassende Entscheidungsträger in eigener Initiative den Fortfall der materiellen Bestandskraft herbeiführen und damit seine eigene Bindung beenden kann, indem er die bestandskräftige Entscheidung mittels actus contrarius aufhebt.102 Seine Bindung steht daher unter dem Vorbehalt der Aufhebung der bestandskräftigen Entscheidung mittels actus contrarius. d) Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Aufgrund der im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten Abweichungsverbotes richten sich dessen Folgen nach denen der materiellen Bestandskraft. Die Folgen der materiellen Bestandskraft werden im Folgenden im Hinblick auf ihre Geltung bei einer später von Seiten des erlassenden Entscheidungsträgers zu treffenden Entscheidung dargestellt.103 aa) Folgen der materiellen Bestandskraft im Kontext einer später seitens des erlassenden Entscheidungsträgers zu treffenden Entscheidung Sobald und solange eine materiell bestandskräftige Entscheidung besteht, sind die Betroffenen an ihren Inhalt gebunden, sind verpflichtet, ihn für und gegen sich gelten zu lassen. Die materielle Bestandskraft gilt bei einer später von Seiten des erlassenden Entscheidungsträgers zu treffenden Entscheidung sowohl in den Fällen 101

s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. III. s. dazu bereits oben, Erster Teil, A. II. (1) (a) (aa) und Zweites Kapitel, A. 103 Zu den Folgen der materiellen Bestandskraft im Rahmen nachfolgender, von den anderen Entscheidungsträgern durchgeführter Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren s. später, Zweites Kapitel, A. II. 1. d) aa). 102

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2. Teil: Abweichungsverbote

der Identität des Entscheidungsgegenstandes, d.h. der Gegenstand einer Entscheidung ist bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut Gegenstand einer später zu erlassenden Entscheidung (a) als auch in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes, d.h. der Inhalt einer Entscheidung ist für die nun zu treffende Entscheidung vorgreiflich (b): (a) Die Geltung der materiellen Bestandskraft in den Fällen der Identität des Entscheidungsgegenstandes folgt aus der richterrechtlichen Anerkennung der Rechtsfigur des lediglich bestätigenden Rechtsaktes. Die Qualifizierung einer behördlichen Maßnahme als lediglich bestätigend zeigt, dass die Betroffenen bei unveränderter Sach- und Rechtslage verfahrensrechtlich keinen Anspruch auf Überprüfung der bestandskräftigen bestätigten Entscheidung und materiellrechtlich keinen Anspruch auf eine neue Sachentscheidung haben.104 In der Sache erkennt die Judikatur mit dieser Qualifizierung damit die Geltung eines Widerholungsverbotes an. (b) Die materielle Bestandskraft gilt auch in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes. Dies wird – soweit ersichtlich – zwar weder in der Judikatur noch in der Literatur explizit gesagt, wird aber als wohl eher selbstverständlich angenommen.105 Die Geltung der materiellen Bestandskraft auch in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes ergäbe sich im Übrigen auch im Wege des erst-recht-Schlusses gegenüber ihrer Geltung in den Fällen der Identität des Entscheidungsgegenstandes. bb) Konsequenzen für die Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Aufgrund seiner an die materielle Bestandskraft angelehnten Bindung ist der erlassende Entscheidungsträger sowohl in den Fällen der Identität des Entscheidungsgegenstandes als auch in denen seiner Präjudizialität an den Inhalt der betreffenden bestandskräftigen Entscheidung gebunden. Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der bestandskräftigen Erstentscheidung mittels actus contrarius darf er keine zweite abweichende Sachentscheidung erlassen.

104

Vgl. für das deutsche Recht: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 49. Die fehlende Thematisierung dieser Frage mag auch darauf zurückzuführen sein, dass im Gemeinschaftsrecht die Frage, ob eine Maßnahme überhaupt eine Entscheidung darstellt, im Vordergrund zu stehen scheint (zu diesem Problem: Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 36). 105

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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2. Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Die soeben gewonnene Erkenntnis, dass der erlassende Entscheidungsträger einer an die materielle Bestandskraft angelehnten Bindung unterliegt, besagt noch nichts darüber, in welchem Umfang er konkret gebunden ist. Allerdings wirkt sich die im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des Abweichungsverbotes nicht nur auf dessen Bestehen, sondern – konsequenterweise – auch auf dessen Umfang aus. Der Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes reicht somit – zumindest –106 so weit wie der der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen. Dieser ist daher im Folgenden zunächst zu untersuchen. a) Umfang der materiellen Bestandskraft Die Frage des Umfangs der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung stellt sich in dreifacher Hinsicht: in sachlicher, in persönlicher und in zeitlicher Hinsicht.107 aa) Sachlicher Umfang der materiellen Bestandskraft Der Gegenstand der materiellen Bestandskraft ist im Gemeinschaftsrecht nicht positivrechtlich geregelt. Dies gilt übrigens auch für die in Art. 249 Abs. 4 EG geregelte Verbindlichkeit einer Entscheidung.108 Zwar spricht Art. 249 Abs. 4 EG von der Verbindlichkeit einer Entscheidung „in allen ihren Teilen“, so dass angenommen werden könnte, Gegenstand der Verbindlichkeit sei die gesamte Entscheidung, also sowohl ihr verfügender als auch ihr begründender Teil;109 nach wohl allgemeiner Ansicht110 dient 106

Eine weitergehende Bindung ist dadurch nicht per se ausgeschlossen. Vgl. dazu auch oben, Einleitung, D. 108 Wie bereits an früherer Stelle ausgeführt, werden mit dem Terminus der Verbindlichkeit die Wirkungen einer Entscheidung gegenüber ihrem Adressaten umschrieben (s. o., Einleitung, B. I.). In Abgrenzung zu der materiellen Bestandskraft bedeutet die allein im Falle einer (auch) belastenden Entscheidung relevante Verbindlichkeit (andernfalls liegt ab Erlass eine materiell bestandskräftige Entscheidung vor), dass der Adressat vorläufig an den Inhalt einer Entscheidung gebunden ist. Ausweislich seines Wortlauts regelt Art. 249 Abs. 4 EG allein die Verbindlichkeit einer Entscheidung gegenüber ihrem Adressaten. Die Bindung eines Nichtadressaten ist aber richterrechtlich anerkannt, vgl. EuGH, verb. Rs. 46/87 und 227/88, Slg. 1989, 2859, Rn. 64 (Hoechst AG/Kommission) (spricht von „allen Rechtssubjekten des Gemeinschaftsrechts“). 109 Zum Aufbau einer Entscheidung s. bereits oben, Einleitung, D. 110 Z. B.: GA Lenz, in: SÄe in verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289, Rn. 205 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); Schweitzer/Hummer, Rn. 377; Oppermann, § 8, Rn. 98; Nicolaysen, § 10 IV. 107

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2. Teil: Abweichungsverbote

diese Formulierung – wie übrigens auch die für die Verordnung in Art. 249 Abs. 2 EG enthaltene identische Formulierung – aber allein als Abgrenzungsmerkmal zu der in Art. 249 Abs. 3 EG normierten sekundärrechtlichen Handlungsform der Richtlinie, die – im Gegensatz zu der Handlungsform der Entscheidung, die eine Regelung in Bezug auf Ziel, Mittel und Form trifft – lediglich das Ziel regelt, die Wahl der Form und des Mittels zur Zielerreichung dagegen ungeregelt lässt. Die Formulierung gibt damit (lediglich) Auskunft über den Regelungsinhalt einer Entscheidung, liefert jedoch keine Antwort auf die Frage, welche (Teil-)Bestandteile der Entscheidung von der Verbindlichkeit erfasst werden. Der sachliche Umfang der materiellen Bestandskraft war – soweit ersichtlich – bislang nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung des EuGH oder des EuG;111 auch in der Literatur ist er – grundsätzlich –112 nicht thematisiert worden. Die Frage des sachlichen Umfangs der materiellen Bestandskraft steht allerdings im engen Zusammenhang mit der Frage, welche (Teil-)Bestandteile einer Entscheidung Rechtswirkungen entfalten, die, soweit sie belastend wirken, anfechtbar und damit der formellen Bestandskraft, die Voraussetzung für den Eintritt der materiellen Bestandskraft ist, fähig sind. Da letztere Frage unmittelbar anhand der Judikatur zum tauglichen Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG zu beantworten ist, lässt sich die zuerst aufgeworfene – und hier im Ergebnis allein interessierende – Frage daher mittelbar aus dieser Judikatur herleiten. (a) Rechtswirkungen entfaltende Bestandteile einer Entscheidung (aa) Grundsatz Nach ständiger Judikatur113 stellen alle Handlungen oder Maßnahmen, die – abstellend auf deren Wesen bzw. deren materiellen Gehalt –114 ver111 s. aber jetzt das – erst nach Fertigstellung dieser Untersuchung – ergangene Urteil des EuG in der Rs. T-209/01 (Honeywell International Inc./Kommission) (noch nicht in der amtlichen Sammlung), in der das EuG in Rn. 50 darauf hinweist, „dass dann, wenn ein Begründungspfeiler, der allein schon den verfügenden Teil eines Rechtsaktes trägt, von einem Kläger mit seiner Nichtigkeitsklage nicht in Frage gestellt wird, dieser Begründungspfeiler und damit der auf ihn gestützte Rechtsakt als rechtmäßig und dem Kläger gegenüber bestandskräftig anzusehen sind.“ Diese Passage des Urteils bestätigt die hier herausgearbeitete These zum sachlichen Umfang der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung. 112 Ausnahme: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 84. 113 Z. B.: EuGH, Rs. 60/81, Slg. 1981, 2639, Rn. 9 (IBM Corporation/Kommission); verb. Rs. C-68/94 und C-30/95, Slg. 1998, I-1375, Rn. 62 (Französische Republik u. a./Kommission); EuG, Rs. T-138/89, Slg. 1992, II-2181, Rn. 31 (NBV und

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bindliche Rechtswirkungen erzeugen, durch die Interessen des Klägers infolge eines (qualifizierten)115 Eingriffs in seine Rechtsstellung beeinträchtigt werden, einen tauglichen Gegenstand der Nichtigkeitsklage dar. Nach der Judikatur116 erzeugt aber nur der verfügende Teil einer Entscheidung verbindliche Rechtswirkungen, nicht jedoch ihre Begründung. Während der verfügende Teil die Regelung, d.h. die auf Setzen einer Rechtsfolge mit unmittelbarer Außenwirkung gerichtete Willenserklärung117 enthält, beinhaltet die Begründung, die gleichzeitig mit dem Erlass der Regelung schriftlich abzufassen ist, üblicherweise mit dem verfügenden Teil in einer Urkunde zusammengefasst wird und der getroffenen Regelung in Form einer Präambel vorangestellt ist,118 lediglich die tatsächlichen Feststellungen sowie die rechtlichen Würdigungen, die den erlassenden Entscheidungsträger zu dem Erlass der Regelung veranlasst haben, d.h. neben der Angabe der Rechtsgrundlage die wesentlichen tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Erwägungen, auf denen die Entscheidung beruht, sowie die Bezugnahmen auf Vorschläge und Stellungnahmen, die vor Erlass der Entscheidung einzuholen waren.119 Damit dient die Begründung der Erfüllung rechtsstaatlicher Erfordernisse wie etwa der Verständlichkeit und der Transparenz der getroffenen Regelung.120 NVB/Kommission); Rs. T-353/94, Slg. 1996, II-921, Rn. 33 (Postbank NV/Kommission); verb. Rs. T-125 und 127/97, Slg. 2000, II-1733, Rn. 77 (The Coca-Cola Company und Coca-Cola Enterprises Inc./Kommission); Rs. T-112/99, Slg. 2001, II-2459, Rn. 35 (M6/Kommission); Rs. T-354/00, Slg. 2001, II-3177, Rn. 29 (M6/Kommission); Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 63 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); verb. Rs. T-377 u. a./00 und T-260 u. a./01, Slg. 2003, II-1, Rn. 77 (Philip Morris International, Inc., u. a./Kommission). 114 Z. B.: EuGH, Rs. 60/81, Slg. 1981, 2639, Rn. 9 (IBM Corporation/Kommission); verb. Rs. C-68/94 und C-30/95, Slg. 1998, I-1375, Rn. 63 (Französische Republik u. a./Kommission); verb. Rs. T-125 und 127/97, Slg. 2000, II-1733, Rn. 78 (The Coca-Cola Company und Coca-Cola Enterprises, Inc./Kommission); Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 64 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); verb. Rs. T-377 u. a./00 und T-260 u. a./01, Slg. 2003, II-1, Rn. 76 (Philip Morris International, Inc., u. a./Kommission). 115 Dieser Zusatz ist in manchen Entscheidungen des EuG zu finden, vgl. z. B.: Rs. T-353/94, Slg. 1996, II-921, Rn. 23 (Postbank NV/Kommission); Rs. T-354/00, Slg. 2001, II-3177, Rn. 29 (M6/Kommission); verb. Rs. T-377 u. a./00 und T-260 u. a./01, Slg. 2003, II-1, Rn. 77 (Philip Morris International, Inc., u. a./Kommission). Auswirkungen in der Sache ergeben sich aber allem Anschein nach nicht (so auch: Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 16). 116 EuG, Rs. 138/89, Slg. 1992, II-2181, Rn. 31 (NBV und NVB/Kommission); Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 67 (Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission); Rs. T-213/00, Slg. 2003, II-913, Rn. 186 (CMA CGM u. a./Kommission). 117 Bockey, S. 32. 118 Dazu: Müller-Ibold, S. 75 ff. 119 Dazu: Nicolaysen, § 10 VII.

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2. Teil: Abweichungsverbote

Um den Regelungsgegenstand im Einzelfall konkret bestimmen zu können, ist vom Wortlaut des verfügenden Teils der Entscheidung auszugehen,121 der erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe, die zu dem Erlass der Entscheidung geführt haben, auszulegen ist.122 Verfügender und begründender Teil einer Entscheidung bilden nach der Judikatur123 ein „unteilbares Ganzes“: Die Begründung kann von dem verfügenden Teil nicht getrennt werden;124 sie ist zur Bestimmung der genauen Bedeutung der getroffenen Regelung unerlässlich.125 Zur Bestimmung des Regelungsgegenstandes ist auch die dem erlassenden Entscheidungsträger aufgrund einer Gemeinschaftsrechtsnorm eingeräumte Sachkompetenz zu berücksichtigen, da der Entscheidungsträger nur im Rahmen der ihm zugewiesenen Kompetenz handeln und mit bindender Wirkung entscheiden darf (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 S. 2 EG126),127 wobei eine Überschreitung der Sachent120

Nicolaysen, § 10 VII. GÄin Stix-Hackl, in: SA in Rs. C-199/99 P, Slg. 2003, I-11177, Rn. 111 ff. (118) (Corus UK Ltd./Kommission); vgl. auch: EuGH, Rs. 30/76, Slg. 1976, 1719, Rn. 35 (B. Kuester/Europäisches Parlament); Beispiel: EuGH, Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 41 ff. (Kommission/Portugiesische Republik). Eine explizit getroffene Regelung kann zugleich eine implizite, jedoch unmissverständliche Regelung enthalten, wenn sie der explizit getroffenen Regelung zwingend vorausgehen muss, vgl.: EuG, verb. Rs. T-213/95 und T-18/96, Slg. 1997, II-1739, Rn. 104 f. (SCK und FNK/Kommission). 122 EuGH, Rs. C-355/95 P, Slg. 1997, I-2459, Rn. 21 (TWD GmbH/Kommission); Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 41 (Kommission/Portugiesische Republik); EuG, verb. Rs. T-346 und 347/02, Slg. 2003, II-4251, Rn. 211 (Cableuropa SA u. a./Kommission); Rs. T-137/02, Slg. 2004, II-3541, Rn. 60 (Pollmeier Maklow GmbH & Co. KG/Kommission). 123 EuGH, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 67 (Kommission/BASF AG u. a.) (im Zusammenhang mit der Pflicht des erlassenden Entscheidungsträgers, beide Teile gleichzeitig anzunehmen). 124 EuGH, Rs. C-355/95 P, Slg. 1997, I-2459, Rn. 21 (TWD GmbH/Kommission) (Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils des EuG in den verb. Rs. T-244 und 486/93, Slg. 1995, II-2265 [TWD GmbH/Kommission]); Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 41 (Kommission/Portugiesische Republik); EuG, Rs. T-206/99, Slg. 2001, II-1057, Rn. 49 (Métropole télévision SA/Kommission); verb. Rs. T-127 u. a./99, Slg. 2002, II-1275, Rn. 94 (Territorio Historico de Alva u. a./Kommission); Rs. T-137/02, Slg. 2004, II-3541, Rn. 60 (Pollmeier Maklow GmbH & Co. KG/ Kommission). 125 EuGH, verb. Rs. 97 u. a./86, Slg. 1988, 2181, Rn. 27 (Asteris A. E. u. a./Kommission); Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555, Rn. 67 (Kommission/BASF AG u. a.); EuG, verb. Rs. T-213/95 und T-18/96, Slg. 1997, II-1739, Rn. 104 (SCK und FNK/ Kommission); Beispiel: EuG, verb. Rs. T-346 und 347/02, Slg. 2003, II-4251, Rn. 212 f. (Cableuropa SA u. a./Kommission). 126 Zu dessen Inhalt: Bieber, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 7, Rn. 16. 127 Vgl.: EuGH, Rs. 229/86, Slg. 1987, 3757, 3762 (Brother Industries Ltd. u. a./ Kommission); Rs. C-199/99 P, Slg. 2003, II-11177, Rn. 160 ff. (Corus UK Ltd./ Kommission); EuG, verb. Rs. T-125 und 127/95, Slg. 2000, II-1733, Rn. 82 f. so121

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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scheidungskompetenz – vorbehaltlich einer schwerwiegenden und offenkundigen Überschreitung der zugewiesenen Sachentscheidungskompetenz mit der Folge rechtlicher Inexistenz der Entscheidung – jedoch unbeachtlich ist, vgl. Art. 230 Abs. 2 EG, der eine Kompetenzverletzung (lediglich) als Nichtigkeitsgrund aufführt. (bb) Ausnahme Die soeben gewonnene – erwartungsgemäße – Erkenntnis, dass nur der die Regelung enthaltende verfügende Teil einer Entscheidung, nicht jedoch ihre Begründung Rechtswirkungen entfaltet, gilt allerdings wohl nicht uneingeschränkt. Allem Anschein nach können ausnahmsweise unter bestimmten Umständen auch in der Begründung einer Entscheidung enthaltene Erwägungen Rechtswirkungen entfalten. Diese Annahme stützt sich auf die Ausführungen des EuG in seinem Urteil in der Rechtssache Lagardère SCA und Canal+ SA/Kommission128. Dort hat das EuG den Entscheidungscharakter von offenbar nichttragendenden Begründungserwägungen bejaht, die aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung als „integraler Bestandteil“129 der Hauptentscheidung anzusehen waren. Anlass dieser Erwägungen des EuG war die Frage der Zulässigkeit einer von der Klägerin gegen eine Maßnahme der Beklagten erhobenen Nichtigkeitsklage. Mit dieser Maßnahme hatte die Beklagte Teile der Begründung einer früheren Entscheidung, mit der die Beklagte den Unternehmenszusammenschluss der Klägerin genehmigt hatte, zu Lasten der Klägerin geändert, ohne jedoch den Text ihres verfügenden Teils selbst zu ändern Die angefochtene Maßnahme konnte nach Auffassung des EuG nur dann tauglicher Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein, wenn sie einen anfechtbaren Rechtsakt (hier konkret: eine Entscheidung) darstellte. Entscheidungscharakter konnte ihr aber nur zukommen, wenn die geänderten Teile der Begründung der früheren Entscheidung selbst Entscheidungscharakter hatten.130 Dies wiederum hing maßgeblich von der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 lit. b) UAbs. 2 der VO Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen131 ab, nach wie Rn. 84 f. (The Coca-Cola Company und Coca-Cola Enterprises, Inc./Kommission); verb. Rs. T-346 und 347/02, Slg. 2003, II-4251, Rn. 217 (Cableuropa SA u. a./Kommission); vgl. ferner: de Bronett, in: Schröter/Jakob/Mederer, Durchführungsvorschriften VO Nr. 17, Art. 2, Rn. 3 (in Bezug auf das Negativattest). 128 Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 66 ff. 129 EuG, ebenda, Rn. 74 und Rn. 75 ff. (90). 130 Vgl.: ebenda, Rn. 68.

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2. Teil: Abweichungsverbote

dem „die Entscheidung, mit der der Zusammenschluss für vereinbar erklärt wird, (. . .) sich außerdem auf die mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbundenen und für diese notwendigen Einschränkungen (erstreckt)“. Nach eingehender wörtlicher, systematischer und teleologischer Auslegung dieser Vorschrift132 hat das EuG den Entscheidungscharakter der offenbar nichttragenden Begründungselemente unter Hinweis darauf bejaht, dass die dort enthaltenen Einschränkungen mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden sowie für diese notwendig und daher als integraler Bestandteil der Genehmigung des Unternehmenszusammenschlusses anzusehen seien. Wie die Genehmigung des Zusammenschlusses selbst kämen auch diesen Erwägungen, die die Beklagte in der Begründung ihrer Genehmigungsentscheidung zu diesen Einschränkungen angestellt hatte, Entscheidungscharakter zu.133 Mit diesen Erwägungen nehme die Beklagte eine rechtliche Würdigung vor, die nach der streitigen Verordnungsbestimmung den materiellen Gehalt dessen bestimme, was sie im verfügenden Teil entscheide.134 Von ihnen gehe eine „Bindungswirkung“ aus.135 (b) Konsequenzen für den Gegenstand der materiellen Bestandskraft Die soeben gewonnene – erwartungsgemäße – Erkenntnis, dass allein die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung Rechtswirkungen entfaltet, bedeutet für die Bestimmung des Gegenstandes der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung, dass dieser die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil enthaltene Regelung umfasst. Dies bedeutet indes nicht zwangsläufig, dass der sachliche Umfang der materiellen Bestandskraft hierauf beschränkt bleibt, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass neben der Regelung möglicherweise zusätzlich bestimmte Teile der Begründung in materielle Bestandskraft erwachsen. Ob dies der Fall ist, wird im Gemeinschaftsrecht – soweit ersichtlich – nicht thematisiert. In der Judikatur sind jedoch Anhaltspunkte erkennbar, die vermuten lassen, dass auch bestimmte Teile der Begründung in den sachlichen 131 ABl. Nr. L 395/1, in der berichtigten (ABl. Nr. L 257/13) und durch die VO (EG) Nr. 1310/97 des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl. Nr. L 180/1) geänderten Fassung. 132 Vgl.: EuG, Rs. T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Rn. 74 ff. 133 Ebenda, Rn. 90. 134 Ebenda, Rn. 109. 135 Ebenda, Rn. 126.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Umfang der materiellen Bestandskraft einbezogen werden. In diese Richtung deuten jedenfalls die Ausführungen des EuG im Kontext der Frage des tauglichen Gegenstandes einer Nichtigkeitsklage:136 Es betont, die in der Begründung einer Entscheidung vorgenommenen Würdigungen könnten als solche nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein, da nur der verfügende Teil einer Entscheidung Rechtswirkungen entfalten und daher eine Beschwer enthalten könne, sofern die Würdigungen „nicht als Begründung für eine beschwerende Maßnahme den tragenden Grund ihres Tenors“ darstellten.137 Insbesondere vor dem Hintergrund der mit dieser Aussage verbundenen weiteren Erwägungen des EuG in den Gründen der genannten Gerichtsentscheidungen dürften diese Aussage wohl dahingehend zu verstehen sein, dass der tragende Grund einer – in diesem Kontext allein relevanten – belastenden Entscheidung anfechtbar ist, obgleich er selbst nach der Judikatur keine Rechtswirkungen entfaltet. Konsequenz der Anfechtbarkeit des tragenden Grundes ist dann aber, dass dieser, falls er nicht, nicht rechtzeitig oder endgültig erfolglos angegriffen wurde, unanfechtbar und damit auch materiell bestandskräftig wird.138 Mangels weiteren Fallmaterials oder einschlägiger Stellungnahmen in der Literatur lassen sich derzeit keine weitergehenden, gesicherteren Feststellungen treffen. Anhand der verfügbaren Quellen anderer mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen, namentlich der französischen Rechtsordnung, an der sich – wie bereits deutlich wurde – das Gemeinschaftsrecht hinsichtlich der Herausarbeitung des Rechtsinstituts der Bestandskraft offensichtlich wesentlich orientiert hat, lässt sich ebenfalls nicht feststellen, ob die materielle Bestandskraft im französischen Recht den tragenden Grund eines acte individuel erfasst. Im Hinblick auf den sachlichen Umfang der materiellen Rechtskraft, die der materiellen Bestandskraft allem Anschein nach als Vorbild dient, lässt sich im französischen Recht demgegenüber mit Gewissheit feststellen, dass dieser auch die tragende Gründe eines Urteils erfasst.139 Das Gemeinschaftsrecht mag sich insoweit wiederum am französischen Recht orientiert haben, wenn es die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen auf „diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen, die tatsächlich 136

Soweit ersichtlich, hat sich der EuGH diesbezüglich noch nicht geäußert. EuG, Rs. T-213/00, Slg. 2003, II-913, Rn. 186 (CMA CGM u. a./Kommission) unter Verweis auf EuG, Rs. T-138/89, Slg. 1992, II-2181, Rn. 31 (NBV und NVB/Kommission). 138 Unter Zugrundelegung der Annahme, dass auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der materiellen Bestandskraft fähig ist, umfasst diese wegen der von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit ebenfalls den tragenden Grund. 139 Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 1199. 137

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2. Teil: Abweichungsverbote

oder notwendigerweise Gegenstand der betreffenden gerichtlichen Entscheidung“140 sind, erstreckt. Diese Parallele auf der Ebene des sachlichen Umfangs der materiellen Rechtskraft könnte denn auch ein Indiz dafür sein, dass sich das Gemeinschaftsrecht wohl auch hinsichtlich des Gegenstandes der materiellen Bestandskraft am französischen Recht orientieren würde, vorausgesetzt, die materielle Bestandskraft würde dort in sachlicher Hinsicht wie ihr prozessrechtliches Vorbild auch die tragenden Gründe umfassen. Angenommen, die materielle Bestandskraft einer Entscheidung würde sich tatsächlich auch auf den tragenden Grund erstrecken, bliebe noch zu klären, ob der oder die tragenden Gründe einer Entscheidung in materielle Bestandskraft erwachsen. Es fällt auf, dass das EuG im Kontext der sekundärrechtlichen Handlungsform der Entscheidung – anders als die Judikatur im Kontext von Gerichtsentscheidungen – von dem anfechtbaren Grund einer belastenden Entscheidung lediglich im Singular spricht. Ob das EuG insoweit bewusst restriktiver als bei den Gerichtsentscheidungen verfährt oder nicht, lässt sich derzeit nicht feststellen. Dessen ungeachtet könnte die wiederholte Nennung (lediglich) des tragenden Grundes aber möglicherweise darauf hindeuten, dass, falls sich eine Regelung einmal auf mehrere Gründe stützen lassen sollte, möglicherweise nur derjenige dieser Gründe als der tragende Grund anzusehen ist, der sich als der eindeutigste und überzeugendste erweist. Abschließend sei im Kontext der Untersuchung des Gegenstandes der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Wiljo NV/Belgischer Staat141 verwiesen. Ungeachtet aller Unsicherheiten im Einzelnen dürfte dieses Urteil – neben der erwähnten Judikatur des EuG – wohl als weiteres Indiz zugunsten der Einbeziehung auch zumindest des tragenden Grundes einer Entscheidung in den sachlichen Umfang der materiellen Bestandskraft zu werten sein. Abgesehen davon ist dieses Urteil im Übrigen vor dem Hintergrund der rechtsvergleichenden Thematik umso interessanter, als es sich bei der streitgegenständlichen Handlung um eine Entscheidung handelt, mit der ein Antrag auf Erlass einer begünstigenden Entscheidung abgelehnt wird. 140 EuGH, Rs. C-281/89, Slg. 1991, I-347, Rn. 14 (Italienische Republik/Kommission); EuG, verb. Rs. T-305 u. a./94, Slg. 1999, II-931, Rn. 77 (Limburgse Vinyl Maatschappij NV u. a./Kommission). Vgl.: EuGH, Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-2555, Rn. 54 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). Vgl. auch: Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 27, Rn. 21 (Bindung an die tragenden Gründe der gerichtlichen Entscheidung). 141 Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Die Rechtssache Wiljo NV/Belgischer Staat beruht auf einem Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank van Koophandel Antwerpen, die mehrere Fragen nach der Auslegung der VO (EWG) Nr. 1101/89 des Rates vom 27. April 1989 über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt142 und nach der Gültigkeit einer bestimmten Entscheidung der Kommission, mit der diese einen Antrag der Klägerin auf Befreiung von dem durch Art. 8 Abs. 1 lit. a) dieser VO eingeführten Sonderbeitrag zum Abwrackfonds abgelehnt hatte, zum Gegenstand hat. Laut Urteilstatbestand143 hatte die Kommission entschieden, den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Zahlung eines Beitrags an den – aufgrund der einschlägigen VO errichteten – belgischen Abwrackfonds abzulehnen (verfügender Teil) mit der Begründung, das Schiff sei technisch für den Transport aller Arten von Flüssigladungen geeignet, es unterscheide sich hinsichtlich seiner Konstruktion und seiner Ausrüstung nicht wesentlich von konventionellen Tankschiffen und das Schiff trage aus diesem Grunde zu der Erhöhung der Kapazitäten der Flotte bei, die den in der Verordnung festgelegten Maßnahmen zur Strukturbereinigung unterlägen. Die Klägerin griff diese Entscheidung nicht an. Die Entscheidung wurde daher bestandskräftig. In dem vor dem belgischen Gericht anhängigen Verfahren, in dem sich die Klägerin gegen den von der zuständigen Behörde des Beklagten erhobenen Sonderbeitrag wendet, hat die Klägerin die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Entscheidung unter Berufung auf eine unzutreffende Würdigung der tatsächlichen Umstände geltend gemacht.144 Der EuGH hat seine Antwort auf das Vorlageersuchen des belgischen Gerichts wie folgt formuliert: „Das nationale Gericht ist an eine an den Eigentümer eines Schiffes gerichtete Entscheidung der Kommission, nach der es sich bei diesem Schiff nicht um ein Spezialschiff im Sinne von Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 (. . .) handelt, gebunden (. . .)“145. Diese Formulierung kann wohl nicht anders verstanden werden, als dass auch der die eigentliche Entscheidung, die Ablehnung des Befreiungsantrags, tragende Grund (bei diesem Schiff handelt es sich nicht um ein befreiungsfähiges Schiff) infolge Nichtanfechtung in formelle und damit in materielle Bestandskraft erwachsen ist. Wäre allein der verfügende Teil der Kommissionsentscheidung, die Antragsablehnung, bestandskräftig gewor142

ABl. Nr. L 116/25. Rn. 10 des Urteils. Vgl. dort die Differenzierung zwischen dem verfügenden Teil und der Begründung der Kommissionsentscheidung. 144 Vgl. bzgl. Einzelheiten: Rn. 28 f. des Urteils. 145 Tenor (entspricht Rn. 31 des Urteils); s. auch: Rn. 24. Hervorhebung durch Verfasserin. 143

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2. Teil: Abweichungsverbote

den, dürfte wohl anzunehmen sein, dass der EuGH – in dem Bewusstsein der Konsequenzen, die die Einbeziehung auch des tragenden Grundes in den Gegenstand der materiellen Bestandskraft nach sich zieht – seine Antwort auf die Vorlagefrage entsprechend anders formuliert hätte, und zwar in dem Sinne, dass das nationale Gericht an die bestandskräftige Entscheidung, mit der die Kommission den Antrag (ggfls. dann unter Hinzufügung, auf welchen Gründen die Ablehnung beruht) abgelehnt hat, gebunden ist. Für die Klägerin hat die offensichtliche Einbeziehung des tragenden Grundes in den sachlichen Umfang der materiellen Bestandskraft jedenfalls nicht unerhebliche Konsequenzen: Mit Eintritt der materiellen Bestandskraft ist sie nunmehr bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht nur an einer erneuten Antragstellung bei der zuständigen belgischen Behörde auf Befreiung von der Zahlung eines Sonderbeitrages an den belgischen Abwrackfonds gehindert; darüber hinaus steht für sie nunmehr außer Frage, dass es sich bei ihrem Schiff nicht um ein im Sinne der Gemeinschaftsverordnung befreiungsfähiges Schiff handelt. Diese Feststellung muss die Klägerin nun bei späteren Hoheitsentscheidungen gegen sich gelten lassen. bb) Persönlicher Umfang der materiellen Bestandskraft Der persönliche Umfang der materiellen Bestandskraft ist – ebenso wie ihr sachlicher Umfang – nicht positivrechtlich geregelt. In den persönlichen Umfang sind aber wohl alle diejenigen einbeziehen, die an dem mittels Entscheidung begründeten Gemeinschaftsrechtsverhältnis sachlich beteiligt und als von der nun materiell bestandskräftigen Entscheidung sachlich Betroffene unmittelbar gebunden sind. (a) Einbeziehung der Nichtentscheidungsträger Die an dem Gemeinschaftsrechtsverhältnis beteiligten Nichtentscheidungsträger, also der bzw. die Adressat(en) der Entscheidung sowie ggfls. betroffene Dritte (im Falle einer belastenden Entscheidung auf der Grundlage des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft allerdings nur die zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten)146 sind wohl ohne weiteres in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft einzubeziehen. Sofern eine Entscheidung an einen Mitgliedstaat gerichtet ist,147 werden nach der Judikatur sämtliche Organe dieses Mitgliedstaates gebunden.148 146 147

Vgl. dazu ausführlich bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b). s. zu seiner möglichen Adressatenstellung bereits oben, Einleitung, B. I.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Auf der Grundlage der in Bezug auf unmittelbar anwendbares primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht ergangenen Judikatur des EuGH149 gehören dazu alle Träger der öffentlichen Verwaltung einschließlich, soweit vorhanden, der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften. Außerdem bezieht der EuGH150 auch die mitgliedstaatlichen Gerichte in den Adressatenkreis ein. Die zuletzt genannte Aussage bedarf im Folgenden näherer Untersuchung, denn die Einbeziehung der mitgliedstaatlichen Gerichte in die Adressatenstellung würde bedeuten, dass nun auch diese Beteiligte des mittels Entscheidung begründeten Gemeinschaftsrechtverhältnisses sind und von der Entscheidung betroffen sind. Diese Annahme wäre allerdings bemerkenswert, stünde sie doch im Widerspruch dazu, dass in den von der Gewaltentrias geprägten Mitgliedstaaten zwar die Träger der öffentlichen Verwaltung, nicht jedoch die Gerichte an dem durch die einschlägigen Rechtsnormen bestimmten Rechtsverhältnis sachlich Beteiligte sind. Die Beteiligtenstellung der Träger der öffentlichen Verwaltung beruht darauf, dass ein Mitgliedstaat in ihnen als Rechtssubjekt, als Träger von Rechten und Pflichten präsent ist. Demgegenüber sind aber die Gerichte stets unbeteiligt und zwar selbst dann, wenn ihr staatlicher Rechtsträger Beteiligter des zu entscheidenden Rechtsverhältnisses ist. Die fehlende Beteiligtenstellung der Gerichte folgt aus dem Umstand, dass ein Mitgliedstaat die Gerichte als allein der Rechtsordnung an sich verpflichtete Instanzen konstituiert.151 Die Judikatur geht an anderer Stelle übrigens offenbar auch selbst nicht von einer Beteiligtenstellung der mitgliedstaatlichen Gerichte aus.152 Ein 148 EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345, Rn. 17 (Albako Margarinenfabrik Maria von der Linde GmbH & Co. KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); deutlich auch: GA Lenz, in: SÄe in den verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1985, 2289, Rn. 209 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); dem EuGH ohne weiteres folgend: Vogt, S. 183 f., auch S. 185; ders., in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, S. 213, 232 und 234. 149 EuGH, Rs. 103/88, Slg. 1989, 1839, Rn. 30 f. (Fratelli Constanzo SpA/Commune di Milano und Impresa Ing. Lodigiani SpA) (in Bezug auf eine unmittelbar anwendbare Richtlinie); Rs. C-224/97, Slg. 1999, I-2517, Rn. 30 (E. Ciola/Land Vorarlberg) (in Bezug auf unmittelbar anwendbares primäres Gemeinschaftsrecht); deutlich auch: GA Lenz, in: SA in Rs. 103/88, Slg. 1989, 1839, Rn. 28 ff. 150 EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345, Rn. 17 f. (Albako Margarinenfabrik Maria von der Linde GmbH & Co. KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); anders (unter Verwendung des an späterer Stelle [Zweites Kapitel, B. I. 1.] noch im Einzelnen darzustellenden Begriffs der Tatbestandswirkung): Kadelbach, S. 469; ihm folgend: Blanke, S. 515; ferner: Brenner/Huber, DVBl. 2001, 1013, 1014. 151 Vgl. zu der unterschiedlichen Stellung der Träger der öffentlichen Verwaltung und der Gerichte im Kontext des deutschen Rechts insgesamt: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 89 f.

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2. Teil: Abweichungsverbote

näherer Blick in das einschlägige Urteil des EuGH in der Rechtssache Albako Margarinenfabrik Maria von der Linde GmbH und Co. KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung zeigt, dass der EuGH auch in diesem Urteil wohl im Ergebnis keine Beteiligtenstellung der mitgliedstaatlichen Gerichte annimmt, wenn eine Entscheidung an den Mitgliedstaat, dem das betreffende Gericht angehört, gerichtet ist. Das Urteil erging auf ein Vorlageersuchen des Landgerichts Frankfurt/Main, in dem es den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage ersucht hat, ob Art. 189 Abs. 4 EWG-Vertrag (= Art. 249 Abs. 4 EG) dahingehend auszulegen sei, dass ein angerufenes Gericht der Bundesrepublik Deutschland durch eine bestimmte Kommissionsentscheidung daran gehindert werde, der zuständigen Behörde, die selbst nicht Adressat der Entscheidung sei, zu untersagen, sich in Durchführung der Entscheidung in einer Weise zu verhalten, die den innerstaatlichen Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb und über Zugaben zuwiderläuft. Die Beklagte handelte nämlich in Durchführung der bestimmten Kommissionsentscheidung zwar im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, aber unter Verstoß gegen deutsches Recht. Die Klägerin stützte ihre Klage demgemäss auf dieses gegen deutsches Recht verstoßende Verhalten der Beklagten. Unter Hinweis auf Art. 189 Abs. 4 EWG-Vertrag (= Art. 249 Abs. 4 EG), nach dem eine Entscheidung für diejenigen verbindlich ist, die sie bezeichnen (an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen seien für „alle Organe des jeweils bezeichneten Staates, einschließlich seiner Gerichte, verbindlich“153), in Verbindung mit dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts bejahte der EuGH154 die Vorlagefrage: Art. 189 Abs. 4 EWGVertrag (= Art. 249 Abs. 4 EG) sei dahingehend auszulegen, dass eine an einen Mitgliedstaat gerichtete Entscheidung ein Gericht dieses Mitgliedstaates daran hindere, einer exekutive Aufgaben wahrnehmenden mitgliedstaat152 EuGH, Rs. 216/82, Slg. 1983, 2771(Universität Hamburg/Hauptzollamt Hamburg-Kehrwieder); verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345 (Albako Margarinenfabrik Maria von der Linde GmbH & Co. KG/ Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 36 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement). Wenn das mitgliedstaatliche Gericht in diesen Fällen Beteiligter gewesen wäre, hätte es nicht mehr seine Aufgabe als gesetzlicher Richter wahrnehmen können. Dann liefe der auch im Gemeinschaftsrecht anerkannte Anspruch auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ins Leere [zur Anerkennung dieses Anspruchs im Gemeinschaftsrecht s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b)]. Er darf aber durch die Adressatenstellung des Mitgliedstaates jedenfalls nicht zu Lasten anderer Betroffener geschmälert werden (in diese Richtung wohl: Busse, EuZW 2002, 715, 720). 153 EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345, Rn. 17. 154 Ebenda, Tenor (entspricht Rn. 18 des Urteils).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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lichen Stelle (hier konkret: der Beklagten), die sich in der Durchführung der bestimmten Kommissionsentscheidung in einer dem mitgliedstaatlichen Recht zuwiderlaufenden Weise verhalte, dieses Verhalten zu untersagen. In seiner Stellung als Adressat einer Entscheidung hat ein mitgliedstaatliches Gericht demzufolge im Ergebnis lediglich den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehendem mitgliedstaatlichem Recht sicherzustellen; hierin erschöpft sich ganz offensichtlich seine Adressatenstellung. Allerdings ist in der Sache dann kein Unterschied zu dem Fall erkennbar, dass eine Entscheidung nicht an einen Mitgliedstaat gerichtet ist, denn auch dann hätte das mitgliedstaatliche Gericht den Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Abgesehen davon ließe sich eine Adressatenstellung mit diesem Inhalt ohnehin nicht vermeiden, handelt es sich bei der Entscheidung doch um ein supranationales Handlungsinstrument, vor der es auch für ein Gericht, dessen staatlicher Rechtsträger Adressat einer solchen Entscheidung ist, „kein Entrinnen“ gibt. Jedenfalls steht die Verpflichtung eines mitgliedstaatlichen Gerichts, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, aber außerhalb jeden Zusammenhangs mit einer Betroffenheit, wie sie für die mitgliedstaatlichen Träger der öffentlichen Verwaltung angenommen wird. Nach alledem ist deshalb davon auszugehen, dass im Falle einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung ein mitgliedstaatliches Gericht zwar wohl formell Adressat dieser Entscheidung ist, aber nicht Betroffener. Für ein Gericht bedeutet die Adressatenstellung lediglich die ohnehin bestehende Verpflichtung, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Was den EuGH letztlich bewogen haben mag, die Adressatenstellung eines mitgliedstaatlichen Gerichts mit diesem (ohnehin selbstverständlichen) Inhalt hervorzuheben, könnte möglicherweise der Umstand sein, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bis zu dem einschlägigen Urteil des EuGH von der Judikatur in ständiger Rechtsprechung155 lediglich in Bezug auf die sekundärrechtliche Handlungsform der Verordnung (Art. 249 Abs. 2 EG) anerkannt und bestätigt worden ist, während in der hier näher erörterten Rechtssache seine Anerkennung auch in Bezug auf eine an einen Mitgliedstaat gerichtete Entscheidung anstand.156 Als Ergebnis bleibt abschließend festzuhalten, dass im Falle einer staatengerichteten Entscheidung im Ergebnis allein die mitgliedstaatlichen Trä155

Grundlegend: EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 ff. (F. Costa/E.N.E.L.); ferner statt vieler: Rs. 14/68, Slg. 1969, 1, Rn. 5 ff. (6) (Walt Wilhelm u. a./Bundeskartellamt). 156 Vgl. zu diesem Hintergrund: GA Lenz, in: SÄe in verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289, 2331 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung).

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2. Teil: Abweichungsverbote

ger der öffentlichen Verwaltung als ihre Adressaten im (üblicherweise verstandenen) Sinne von Betroffenen anzusehen sind.157 (b) Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers (aa) Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft Neben den betroffenen Nichtentscheidungsträgern erfasst die materielle Bestandskraft auch den erlassenden Entscheidungsträger selbst.158 Diese scheinbar überraschende Einbeziehung auch des erlassenden Entscheidungsträgers in die subjektiven Grenzen der materiellen Bestandskraft erfolgt jedenfalls in der gemeinschaftsrechtlichen Literatur ohne nähere Begründung,159 während sich die Judikatur demgegenüber – soweit ersichtlich – mit der Frage, ob auch der erlassende Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft einzubeziehen ist, noch nicht speziell befasst hat. Standardmäßig spricht die Judikatur allerdings davon, eine Entscheidung werde „ihm (dem Adressaten) gegenüber“160 bzw. gegenüber einem Nichtadressaten, „(dem) Empfänger einer staatlichen Beihilfe“161 bestandskräftig. Aus dieser Formulierung kann indes nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, die 157 Möglicherweise meint dies auch: Greaves (ELRev. 21 [1996], 3, 13), wenn sie zwischen einem Mitgliedstaat und seinen Gerichten differenziert. 158 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 93 (geht von grundsätzlich vergleichbaren Grundsätzen für den subjektiven Umfang der Bestandskraft von Entscheidungen und von Verwaltungsakten aus und problematisiert in Rn. 93 f. dann allein die subjektiven Grenzen der Bestandskraft in Bezug auf die Nichtentscheidungsträger). 159 Z. B.: Lauwaars, S. 311; Schwarze, S. 1001; H. P. Ipsen, 25/1 (bezieht die Bestandskraft sogar allein auf den erlassenden Entscheidungsträger); Bockey, S. 67 (dort: Fn. 232); Brändel, BB-AWD 1965, 301, 302; Pache, EuZW 1994, 615, 617 (dort: Fn. 25). Alle genannten Stimmen betrachten die materielle Bestandskraft allerdings als bestandsbezogene Bindung. s. dazu bereits oben, 1. a) aa) (a) (aa). 160 Vgl. z. B.: EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 13 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 19 (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 29 und Rn. 37 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 34 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement); Rs. C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 74 (Kommission/EZB); EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 40 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-74/00 R, Slg. 2001, II-2367, Rn. 90 (Artegodan GmbH/Kommission). 161 Vgl. z. B.: EuGH, Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 20 (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 30 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 35 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Judikatur verneine eine Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft, denn diese Standardformulierungen wurden stets in Urteilen verwendet, in denen allein die Frage der Bestandskraft gegenüber einem Nichtentscheidungsträger in Rede stand; auf diese Frage sind dementsprechend auch die Urteilsgründe beschränkt. Wahrscheinlicher Grund für die in der Literatur angenommene Einbeziehung auch des erlassenden Entscheidungsträgers in die subjektiven Grenzen der materiellen Bestandskraft dürfte wohl der sein, dass sich das Gemeinschaftsrecht auch insoweit dogmatisch an die in den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen anerkannte Bestandskraft anlehnt.162 In der Tat wird etwa im deutschen Recht die Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft unter dem Stichwort „Doppelstellung der Verwaltung“163 thematisiert. Anhand eines Vergleichs der Stellung des erlassenden Entscheidungsträgers mit der eines Gerichts erläutert dort Sachs164 die Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers sinngemäß wie folgt: Ebenso wie ein Gericht trete der erlassende Entscheidungsträger als Entscheidungsinstanz auf. Insoweit sei er ein Rechtsanwendungsorgan, das außerhalb des durch die einschlägigen Rechtsnormen bestimmten Rechtsverhältnisses zu den Betroffenen stehe. Im Gegensatz zu den Gerichten, die der Staat als allein der Rechtsordnung an sich verpflichtete Instanzen konstituiere, die selbst dann unbeteiligt seien, wenn ihr staatlicher Rechtsträger Beteiligter des zu entscheidenden Rechtsverhältnisses sei, entscheide der erlassende Entscheidungsträger stets zugleich aber auch als sachlich Beteiligter,165 denn in seinen exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern trete der Staat oder ein sonstiger öffentlicher Rechtsträger als Rechtssubjekt, als Träger eigener Rechte und Pflichten auf. Bei der Ausübung seiner Kompetenzen stehe er in einem durch die einschlägigen Rechtsnormen bestimmten Rechtsverhältnis zu den Betroffenen und sei insoweit mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet. Dementsprechend gehe das (deutsche) Verwaltungsprozessrecht davon aus, dass über echte Streitigkeiten zwischen dem erlassenden Entscheidungsträger und den Betroffenen zu entscheiden sei. Die in § 121 VwGO 162

Z. B.: Brändel, BB-AWD 1965, 301, 302 spricht – in Anlehnung an die subjektiven Grenzen der Rechtskraft – von der Bindung der „Parteien“. 163 Becker, S. 56. Merten (NJW 1983, 1993, 1996) spricht von „Doppelfunktion“. 164 In: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 88 ff. in Verbindung mit den Rn. 98 ff. (er sieht als den erlassenden Entscheidungsträger allerdings grundsätzlich eher den Rechtsträger, nicht dagegen die Behörde an). Ihm offensichtlich folgend auch: Becker, S. 56 f.; Rohlfing, S. 176 ff. 165 s. hierzu auch: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 12 (der erlassender Entscheidungsträger werde von § 43 VwVfG als geborener Beteiligter vorausgesetzt).

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2. Teil: Abweichungsverbote

normierten subjektiven Rechtskraftgrenzen bestätigten die Stellung des erlassenden Entscheidungsträgers als auch Betroffenen. Die dort in Nr. 1 in der prozessualen Beteiligtenstellung dokumentierte sachliche Beteiligung des somit (grundsätzlich) stets auch in eigener Sache entscheidenden erlassenden Entscheidungsträgers erkläre, warum er als Betroffener der eigenen Entscheidung auch in den persönlichen Umfang der Bestandskraft einzubeziehen sei. Auch wenn dieser Vergleich im deutschen Recht vor dem Hintergrund der dort anzutreffenden Gewaltentrias, die es in dieser klassischen Form im Gemeinschaftsrecht nicht gibt,166 zu sehen ist, ist dieser dennoch geeignet, auch die Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers im Gemeinschaftsrecht zu veranschaulichen:167 Wie im deutschen Recht nimmt der erlassende Entscheidungsträger einerseits eine einem Gemeinschaftsgericht168 vergleichbare Stellung einer Entscheidungsinstanz ein. Insoweit tritt er wie dieses als Rechtsanwendungsorgan auf. Wie der erlassende Entscheidungsträger im deutschen Recht ist der erlassende Entscheidungsträger im Gemeinschaftsrecht andererseits stets zugleich aber auch sachlich Beteiligter. Bei der Ausübung der ihm gemeinschaftsrechtlich übertragenen Kompetenzen ist er sachlich Beteiligter des durch die einschlägigen Gemeinschaftsrechtsnormen bestimmten Gemeinschaftsrechtsverhältnisses. Wie im deutschen Recht steht dem nicht entgegen, dass der erlassende Entscheidungsträger, in der Praxis namentlich die Kommission als „Hüterin des Gemeinschaftsrechts“169,170 jedenfalls auch Allgemeininteressen wahrnimmt. Wie im deutschen Recht findet die sachliche Beteiligung des erlassenden Entscheidungsträgers übrigens Bestätigung im gemeinschaftsrechtlichen Prozessrecht. Im Gegensatz zum deutschen Recht existiert im Gemeinschaftsrecht zwar keine ausdrückliche Vorschrift über die persönlichen Rechtskraftgrenzen; es wird jedoch angenommen, dass sich diese auf die „Parteien“ erstreckt.171 Parteien sind bekanntlich die an einem Verfahren Beteiligten. Bei diesen handelt es sich um sachlich Beteiligte. Zu den Par166 Das Gemeinschaftsrecht kennt eine eigene, als „Funktionenteilung“ bezeichnete Form der Gewaltenteilung, vgl. dazu: Nicolaysen, § 6. 167 Hiervon geht offensichtlich auch Sachs (in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 93 in Verbindung mit den Rn. 88 ff.) aus. 168 Der EuGH und das EuG lassen sich wohl am ehesten mit dem mitgliedstaatlichen Vorbild der Gewaltentrias identifizieren, vgl.: Nicolaysen, § 6. Mit ihnen verfügt die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft über unabhängige Rechtsschutzinstanzen (vgl.: Hatje, in: Schwarze, Art. 7, Rn. 33). 169 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 211, Rn. 2. 170 Dass in der Praxis überwiegend die Kommission Entscheidungen erlässt, wurde bereits erwähnt, s. o., Einleitung, B. I. 171 Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 27, Rn. 21.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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teien in diesem Sinne gehört – wohl unbestritten – auch der erlassende Entscheidungsträger.172 Wegen der Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers sei klarstellend angemerkt, dass, soweit im Folgenden nicht ausdrücklich von dem „erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener“ die Rede ist, unter dem Begriff des erlassenden Entscheidungsträgers – wie im Übrigen in der Untersuchung insgesamt – der erlassende Entscheidungsträger in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz zu verstehen ist. (bb) Konsequenzen der Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in seiner Stellung als Betroffener in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft Die Einbeziehung des erlassenden Entscheidungsträgers in seiner Stellung als Betroffener in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft hat zur Folge, dass er mit Eintritt der materiellen Bestandskraft je nach seiner Stellung im konkreten Einzelfall – dogmatisch betrachtet – verschiedenartigen inhaltsbezogenen Bindungen unterliegt: Während er in seiner Stellung als Betroffener selbst sachlich Beteiligter des Gemeinschaftsrechtsverhältnisses und daher wie die anderen Beteiligten unmittelbar gebunden ist, steht er in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz außerhalb dieses Rechtsverhältnisses und unterliegt deshalb – wie dargelegt – aus Gründen der Rechtssicherheit einer bestandskraftabhängigen und demzufolge mittelbaren, über die Bindung der infolge der materiellen Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen vermittelten Bindung.173 Die Verschiedenartigkeit beider inhaltsbezogenen Bindungen spiegelt sich im Übrigen in ihren unterschiedlichen Zwecken wider: Das gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannte Abweichungsverbot soll ein widerspruchsfreies hoheitliches Handeln sichern;174 die inhaltsbezogene Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers in seiner Stellung als Betroffener bezweckt demgegenüber sicherzustellen, dass dieser in einem späteren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, in dem die selbst erlassene Entscheidung präjudizielle Wirkungen für die nun zu treffende Behörden- oder Gerichtsentscheidung entfaltet, eben diese für die eigene Rechtsposition hinnimmt.175 172

s. nur: Brändel, BB-AWD 1965, 301, 302. s. dazu oben, I. 1. a) bb). 174 s. o., Einleitung, A. 175 So im Kontext des deutschen Rechts: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 92; auch: Rohlfing, S. 180. 173

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2. Teil: Abweichungsverbote

cc) Zeitlicher Umfang der materiellen Bestandskraft Ebenso wie der sachliche und der persönliche Umfang ist auch der zeitliche Umfang der materiellen Bestandskraft nicht positivrechtlich geregelt. Einschlägige ausdrückliche Aussagen sind – soweit erkennbar – weder in der Judikatur noch in der Literatur zu finden. Allerdings deuten die Ausführungen des EuG in seinem Urteil in der Rechtssache The Coca-Cola Company und Coca-Cola Enterprises Inc./Kommission176 darauf hin, dass sich die inhaltsbezogene Bindung – und damit auch die materielle Bestandskraft – lediglich auf die im Zeitpunkt des Erlasses einer Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage bezieht.177 Unter Zugrundelegung dieser Judikatur werden von der materiellen Bestandskraft damit nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen der Sachlage, d.h. solcher tatsächlicher Umstände, die eine Änderung des der getroffenen Regelung zugrundeliegenden Sachverhaltes bewirken, oder der Rechtslage, d.h. der rechtlichen Voraussetzungen, auf deren Grundlage die Entscheidung erlassen wurde, nicht erfasst. Dies gilt sowohl zugunsten als auch zu Lasten der Betroffenen. Mangels weiteren einschlägigen Fallmaterials sind derzeit diesbezüglich keine weitergehenden Erkenntnisse zu gewinnen. Später eintretende Änderungen der Sach- oder Rechtslage kann der erlassende Entscheidungsträger wohl aber zum Anlass nehmen, um die materiell bestandskräftige Entscheidung zu überprüfen und, soweit ihre Änderung mittels actus contrarius zulässig ist,178 die bestandskräftige Entscheidung je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles aufzuheben oder abzuändern. Ein Betroffener hat seinerseits nur bei Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen einen Anspruch gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger auf Überprüfung und ggfls. Änderung der bestandskräftigen Entscheidung zu seinen Gunsten.179 b) Konsequenzen für den Umfang des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Aufgrund der im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger aner176

Verb. Rs. T-125 und 127/97, Slg. 2000, II-1733, Rn. 85. Zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt im Gemeinschaftsrecht s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (aa). 178 s. dazu im Einzelnen oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, A. 179 s. dazu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. III. (1) (a) (aa). 177

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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kannten Abweichungsverbotes ist dieser in dem sachlichen, persönlichen und zeitlichen Umfang an den Inhalt einer bestandskräftigen Entscheidung gebunden, in dem es die durch die materielle Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen sind: In sachlicher Hinsicht erfasst die mittelbare Bindung demzufolge die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung und allem Anschein nach auch – zumindest – ihren tragenden Grund. Hinsichtlich des persönlichen Umfangs hat der erlassende Entscheidungsträger zu beachten, dass die an dem mittels Entscheidung begründeten Gemeinschaftsrechtsverhältnis sachlich Beteiligten, d.h. der bzw. die Adressaten, ggfls. betroffene Dritte (im Falle einer belastenden Entscheidung allerdings insoweit nur zweifellos anfechtungsberechtigte Dritte im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft) sowie er selbst in seiner Stellung als Betroffener infolge der materiellen Bestandskraft unmittelbar gebunden sind. Eine mittelbare Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers bei einer später zu treffenden Entscheidung besteht in dieser Hinsicht demzufolge nur dann, wenn die von der nun zu erlassenden Entscheidung Betroffenen auch bereits alle von der materiell bestandskräftigen Entscheidung betroffen und daher in ihren persönlichen Umfang einbezogen sind. In zeitlicher Hinsicht umfasst die Bindung die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage. Bezüglich weiterer Einzelheiten hinsichtlich des Umfangs des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes wird auf obige, hier entsprechend geltende Darstellung verwiesen.180 II. Bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot 1. Bestehen des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes a) Bestehen und Geltungsgrundlage des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Neben dem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot besteht gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger ein – bislang in Judikatur und Literatur nicht näher bezeichnetes – bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot. Dieses ist nicht positivrechtlich geregelt, wird aber in der Literatur181 anerkannt. Auch die Judikatur geht offenbar von dem Bestehen eines solchen Abweichungsverbotes aus. Dies belegen Gerichtsentscheidun180 181

Lit. a). Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 226.

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2. Teil: Abweichungsverbote

gen, in denen der erlassende Entscheidungsträger seine inhaltsbezogene Bindung dadurch beendet hat bzw. hätte beenden können, dass er die Erstentscheidung durch eine neue, den veränderten tatsächlichen bzw. rechtlichen Verhältnissen angepasste Entscheidung ersetzt.182 Dieser Judikatur liegt offenkundig der Gedanke zugrunde, dass die Aufhebungsverbote konkludent das Bestehen von Abweichungsverboten voraussetzen.183 Unter Zugrundelegung der Annahme, dass auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der Bestandskraft fähig ist,184 wird das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot allein bei Vorliegen einer Entscheidung relevant, wenn und soweit diese belastende Rechtswirkungen entfaltet und daher zunächst anfechtbar ist. Von Bedeutung ist es insoweit entweder vor dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes, d.h. vor dem Eintritt der materiellen Bestandskraft einer (auch) belastenden Entscheidung gegenüber ihren Betroffenen oder aber unabhängig von dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes, d.h. dann, wenn eine (auch) belastende Entscheidung gegenüber betroffenen Dritten mangels zweifellosen Anfechtungsrechts im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft ihnen gegenüber nicht in Bestandskraft erwächst.185 Im Falle einer ausschließlich begünstigenden Entscheidung ist diese demgegenüber bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses allseitig unanfechtbar und damit bestandskräftig.186 In diesem Falle unterliegt der erlassende Entscheidungsträger ab dem Erlass dieser Entscheidung dem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot. b) Inhalt des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot beinhaltet eine Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an den Inhalt der von ihm selbst erlassenen Entscheidung.

182 Vgl.: EuG, Rs. T-331/94, Slg. 1997, II-1665, Rn. 92 (IPK-München GmbH/ Kommission); EuGH, Rs. 14/81, Slg. 1982, 749, Rn. 8 (Alpha Steel Ltd./Kommission). 183 s. zu diesem Gedanken bereits oben, Einleitung, A. I. 184 s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) (dort: Fn. 12). 185 Zum Erfordernis des zweifellosen Anfechtungsrechts s. oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b) sowie Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 2. a) bb) (a). 186 Zum Erlasszeitpunkt im Gemeinschaftsrecht s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, II. (1) (a) (aa).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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c) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot tritt als Folge der rechtlichen Existenz einer Entscheidung ohne Rücksicht auf deren (möglichen) Inhalt ein.187 Ob es in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, mit Eintritt der zeitlich ersten rechtlichen Existenz bereits mit Wirkung für oder gegen sämtliche Betroffene oder – entsprechend der relativen rechtlichen Existenz –188 lediglich beschränkt auf den betroffenen Einzelnen zur Entstehung gelangt, ist bislang – soweit ersichtlich – weder in der Judikatur noch in der Literatur thematisiert worden. d) Fortbestand des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Das gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannte bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot besteht, solange die Entscheidung (tatsächlich und rechtlich) existent ist.189 Eine zumindest teilweise erfolgreiche Nichtigkeitsklage etwa führt zur Beseitigung der Entscheidung aus der Gemeinschaftsrechtsordnung und entzieht der rechtlichen Existenz ihre Grundlage. Die rechtliche Existenz entfällt ferner im Falle der Aufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius.190 Auch in diesem Fall wird die Entscheidung aus der Gemeinschaftsrechtsordnung beseitigt; der rechtlichen Existenz wird durch den Wegfall der tatsächlichen Existenz ihre Grundlage entzogen. Da der erlassende Entscheidungsträger selbst für eine solche Aufhebung in der Regel zuständig ist,191 kann er seine Bindung auf eigene Initiative beenden. Seine Bindung an den Inhalt der von ihm erlassenen Entscheidung steht daher unter dem Vorbehalt der Aufhebung der Entscheidung mittels actus contrarius.192

187 Vgl.: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 226. Zur rechtlichen Existenz einer Entscheidung und ihrem (möglichen) Inhalt s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (bb) und (b). 188 Zur Relativität der rechtlichen Existenz s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (bb) (dort: Fn. 90). 189 Zur Existenz einer Entscheidung s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a). 190 Zur Aufhebung einer Entscheidung mittels actus contrarius s. o., Erster Teil, Zweites Kapitel, A. 191 s. o., Erster Teil, Zweites Kapitel, A. 192 Dasselbe gilt auch für das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot s. o., I. 1. c).

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2. Teil: Abweichungsverbote

e) Folgen des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Sobald und solange das Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger besteht, verbietet es ihm nicht nur den Erlass einer von der Erstentscheidung abweichenden Sachentscheidung,193 sondern auch den Erlass einer neuen Sachentscheidung in derselben Angelegenheit bei unveränderter Sach- und Rechtslage. Die Geltung des Wiederholungsverbotes bei einer späteren Entscheidungsfindung auch vor bzw. unabhängig von dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes dürfte das EuG wohl in seinem Beschluss in der Rechtssache M6/Kommission194 anerkannt haben. Dort hat es eine Entscheidung auch dann als lediglich bestätigenden Rechtsakt qualifiziert, obgleich die Erstentscheidung noch nicht bestandskräftig geworden war.195 Dies bedeutet, dass der erlassende Entscheidungsträger (auch) im Falle einer noch nicht bestandskräftigen Erstentscheidung bei gleicher Sach- und Rechtslage – vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der Erstentscheidung – keine weitere Entscheidung in derselben Sache erlassen darf. Jedenfalls vor dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes dürfte das Wiederholungsverbot allerdings in der Regel praktisch ohne Bedeutung sein, da der erlassende Entscheidungsträger einen erneuten Antrag in derselben Angelegenheit bei unveränderter Sach- und Rechtslage regelmäßig wohl eher als Beschwerde auslegen wird.196 2. Umfang des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Hinsichtlich des Umfangs des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes dürfte im Ergebnis grundsätzlich kein Unterschied zu dem Umfang bestehen, in dem der erlassende Entscheidungsträger infolge des an die materielle Bestandskraft angelehnten Abweichungsverbotes gebunden ist: Der erlassende Entscheidungsträger ist in sachlicher Hinsicht an die im Grundsatz allein in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung und allem Anschein nach auch zumindest an den sie tragenden Grund gebunden. Der persönliche Umfang bestimmt sich nach dem Kreis der von der Entschei193 Vgl. z. B. (allerdings für fehlende Präjudizialität): GÄin Stix-Hackl, in: SA in Rs. C-199/99 P, Slg. 2003, I-11177, Rn. 117 ff. (Corus UK Ltd./Kommission). 194 Rs. T-354/00, Slg. 2001, II-3177, Rn. 32. 195 Anders möglicherweise insoweit das französische Recht, vgl. dazu: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 748. Zur Rechtsfigur des bestätigenden Rechtsaktes s. o., I. 1. a) aa) (a) (bb). 196 In Bezug auf die entsprechende Konstellation im deutschen Recht: Seibert, S. 511. S. aber: EuG, Rs. T-354/00, Slg. 2001, II-3177, Rn. 32 (M6/Kommission).

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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dung Betroffenen. Im Gegensatz zu der an die materielle Bestandskraft angelehnten Bindung erfasst der Umfang der hier untersuchten bestandskraftunabhängigen Bindung ohne weiteres aber sämtliche betroffene Dritte. In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Bindung allein auf die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf obige, hier entsprechend geltende Darstellung verwiesen.197 III. Zusammenfassung Im Gemeinschaftsrecht bestehen gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger zwei Abweichungsverbote: ein bestandskraftabhängiges sowie ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot. 1. Mit dem Eintritt der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung unterliegt der erlassende Entscheidungsträger aus Gründen der Rechtssicherheit einem in Judikatur und Literatur bislang nicht näher bezeichneten Abweichungsverbot, das möglicherweise als wohl eher selbstverständlich bestehend anerkannt ist und eine auf Dauer angelegte Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an den Inhalt einer bestandskräftigen Entscheidung zum Gegenstand hat. Der erlassende Entscheidungsträger wird aufgrund dieses reflexartig ausgelösten Abweichungsverbotes dogmatisch betrachtet – im Verhältnis zu der Bindung eines aufgrund der materiellen Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig akzessorisch gebunden: Das Abweichungsverbot gelangt mit Eintritt der materiellen Bestandskraft zur Entstehung. Die materielle Bestandskraft wird ihrerseits durch den Eintritt der formellen Bestandskraft bewirkt, vorausgesetzt, es liegt eine der materiellen Bestandskraft fähige, d.h. (tatsächlich und rechtlich) existente Entscheidung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt vor. Aus dargelegten Gründen unbeantwortet bleiben muss die Frage, ob das Abweichungsverbot in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, bereits als Folge einer relativen oder erst infolge der absoluten materiellen Bestandskraft eintritt. In der Judikatur sind Anzeichen dafür erkennbar, dass bereits der Eintritt der relativen formellen Bestandskraft genügen könnte, um die materielle Bestandskraft zur Entstehung zu bringen. Demzufolge würde bereits der Eintritt einer relativen materiellen Bestandskraft das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot auslösen. Das Abweichungsverbot besteht, solange die das Abweichungsverbot führende materielle Bestandskraft fortbesteht. Deren Fortbestand hängt seiner197

s. o., I. 2.

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2. Teil: Abweichungsverbote

seits von dem der formellen Bestandskraft ab. Der erlassende Entscheidungsträger kann, sofern er die Entscheidung mittels actus contrarius aufhebt, den Fortfall der formellen Bestandskraft auf eigene Initiative herbeiführen. Seine Bindung steht daher unter dem Vorbehalt der Aufhebung der betreffenden Entscheidung mittels actus contrarius. Entsprechend den für die materielle Bestandskraft anerkannten Folgen bewirkt das Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger eine Bindung an den Inhalt der bestandskräftigen Entscheidung sowohl in den Fällen der Identität des Entscheidungsgegenstandes (es gilt das Wiederholungsverbot) als auch in denen seiner Präjudizialität. Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der bestandskräftigen Erstentscheidung darf der erlassende Entscheidungsträger daher keine abweichende zweite Sachentscheidung erlassen. Die Akzessorietät des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes wirkt sich auch auf den Umfang, in dem der erlassende Entscheidungsträger aufgrund des Abweichungsverbotes gebunden wird, aus. Der erlassende Entscheidungsträger ist in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht in dem Umfang an den Inhalt der bestandskräftigen Entscheidung gebunden, in dem die durch die materielle Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen selbst gebunden sind: In sachlicher Hinsicht umfasst die Bindung die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung, nicht jedoch die in der Begründung aufgeführten tatsächlichen Feststellungen bzw. rechtlichen Würdigungen, die den erlassenden Entscheidungsträger zu dem Erlass der Entscheidung bewogen haben. Vieles spricht jedoch dafür, dass neben der Regelung auch zumindest der sie tragende Grund bindet. In persönlicher Hinsicht erfasst die Bindung die von der Entscheidung Betroffenen, also den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener, den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte (im Falle einer zumindest auch belastenden Entscheidung allerdings nur die zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft). Die in persönlicher Hinsicht so gegebene Bindung bedeutet für den erlassenden Entscheidungsträger, dass er bei einer später zu treffenden Entscheidung nur dann gebunden ist, wenn sämtliche von der nun zu erlassenden Entscheidung Betroffenen auch bereits alle von der materiell bestandskräftigen Erstentscheidung betroffen und daher in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft dieser Entscheidung einbezogen sind. Sofern eine Entscheidung an einen Mitgliedstaat gerichtet ist, werden nach der Judikatur des EuGH sämtliche Organe des betreffenden Mitgliedstaates gebunden. Dazu gehören alle Träger der öffentlichen Verwaltung

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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einschließlich – soweit vorhanden – der Gemeinden oder sonstigen Gebietskörperschaften. Auch die mitgliedstaatlichen Gerichte gehören zu dem Adressatenkreis, sind aber nicht Betroffene. Für sie bedeutet die Adressatenstellung allem Anschein nach lediglich, dass sie – was im Grunde ohnehin selbstverständlich ist – den Vorrang des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen haben. In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Bindung lediglich auf die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Veränderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände werden demzufolge nicht von der Bindung erfasst. Dies gilt sowohl zugunsten als auch zu Lasten der Betroffenen. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass der erlassende Entscheidungsträger eine spätere Änderung der Sach- oder Rechtslage zum Anlass nimmt, um die bestandskräftige Entscheidung zu überprüfen und, soweit zulässig, mittels actus contrarius aufzuheben oder abzuändern. Bei Vorliegen wesentlicher neuer Tatsachen hat ein Betroffener einen Anspruch auf Überprüfung und ggfls. Änderung der materiell bestandskräftigen Entscheidung zu seinen Gunsten. 2. Neben dem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot erkennt das Gemeinschaftsrecht gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger auch ein – bislang in Judikatur und Literatur nicht näher bezeichnetes – bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot an. Dieses ist in der Literatur und wohl auch in der Judikatur anerkannt. Unter Zugrundelegung der Annahme, dass auch eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der Bestandskraft fähig ist, wird das Abweichungsverbot allein bei Vorliegen einer Entscheidung relevant, wenn und soweit sie belastende Rechtswirkungen entfaltet und deshalb zunächst anfechtbar ist. Von Bedeutung ist das Abweichungsverbot dann entweder vor oder aber – hinsichtlich nicht zweifellos anfechtungsberechtigter Dritter im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft – unabhängig von dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes. Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot, das eine Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an den Inhalt der von ihm erlassenen Entscheidung zum Gegenstand hat, tritt als Folge der rechtlichen Existenz einer Entscheidung ohne Rücksicht auf deren Inhalt ein. Ungeklärt ist, ob es in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, mit Eintritt der zeitlich ersten rechtlichen Existenz bereits mit Wirkung für und gegen sämtliche Betroffene oder – der relativen rechtlichen Existenz entsprechend – lediglich beschränkt auf den betroffenen Einzelnen zur Entstehung gelangt.

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2. Teil: Abweichungsverbote

Das gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannte Abweichungsverbot besteht, solange die Entscheidung (tatsächlich und rechtlich) existent ist. Neben der Beseitigung der tatsächlichen Existenz durch eine zumindest teilweise erfolgreiche Nichtigkeitsklage oder Beschwerde führt eine seitens des insoweit regelmäßig zuständigen erlassenden Entscheidungsträgers u. U. auf eigene Initiative vorgenommene Aufhebung der Entscheidung mittels actus contrarius zu der (vollständigen oder teilweisen) Beseitigung der Entscheidung aus der Gemeinschaftsrechtsordnung. Unter diesem Vorbehalt steht die Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers. Sobald und solange das Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger besteht, ist er an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung gehindert. Im Hinblick auf den Umfang des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes besteht im Ergebnis – mit Ausnahme des hier weiter gefassten persönlichen Umfangs der Bindung, der sich auf sämtliche betroffene Dritte erstreckt – kein Unterschied zu dem Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes (vgl. insoweit obige Zusammenfassung).

B. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger im Kontext der Verwaltungsakte Im deutschen Recht bestehen gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger, d.h. der einen Verwaltungsakt erlassenden Behörde,198 Abweichungs198

So die weit überwiegende Ansicht in Judikatur und Literatur, vgl. z. B.: VGH BW, DÖV 1987, 214; BGH, NJW 1998, 3055, 3056; implizit auch: BFHE 197, 301, 303; ferner z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 14 ff.; Henneke, in: Knack, vor § 35, Rn. 27; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 3; Maurer, § 11, Rn. 6; Ammelburger, S. 26; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 5; Knoke, S. 99 sowie S. 100; Kutschera, S. 178; Domke, S. 50 ff. sowie S. 109; Stelkens, Rn. 481 (in Abgrenzung zu Rn. 485); Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 7; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 127 (in Abgrenzung zu Rn. 128); Detterbeck, Rn. 544; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 11 (in Abgrenzung zu Rn. 12); Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188 sowie 191; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; a. A. aber (Rechtsträger, dem die erlassende Behörde angehört): Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 88 sowie Rn. 106; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 12, Rn. 14, Rn. 16, Rn. 17 sowie Rn. 33; Becker, S. 56; Randak, JuS 1992, 33, 35; Kopp, DVBl. 1983, 392, 400; wohl auch: Rohlfing, S. 178. Die weit überwiegende Ansicht lehnt sich wohl an das in § 35 S. 1 VwVfG normierte Definitionsmerkmal „Behörde“ an, vgl. insoweit die für den Anwendungsbereich des VwVfG in § 1 Abs. 4 VwVfG enthaltene Legaldefinition einer Behörde; Behörde ist hiernach die Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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verbote in Gestalt der materiellen Bestandskraft und der (Selbst-)Bindungswirkung. Hinter der Bezeichnung „materielle Bestandskraft“ verbergen sich im deutschen Recht allerdings zwei – dogmatisch betrachtet – verschiedenartige inhaltsbezogene Bindungen, deren Verschiedenartigkeit auf der auch im deutschen Recht anerkannten und – im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht – an sich allein hier in der Lehre thematisierten Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers, also in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz und als von einem Verwaltungsakt Betroffener, beruht: zum einen die inhaltsbezogene Bindung der Betroffenen, zu denen eben auch der erlassende Entscheidungsträger gehört; zum anderen das gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz bestehende – und hier zu untersuchende – Abweichungsverbot. Die Problematik der Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers und seine dadurch bedingten verschiedenartigen inhaltsbezogenen Bindungen wurden bereits im vorangegangenen Länderbericht, und zwar auch in Bezug auf das deutsche Recht erörtert, so dass – zwecks Vermeidung von Wiederholungen – auf obige Ausführungen verwiesen wird.199 Im Hinblick auf die wegen der Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers gebotene Differenzierung dieser verschiedenartigen inhaltsbezogenen Bindungen bietet das deutsche Recht ein recht unklares Bild, wodurch die Darstellung der Problematik nicht gerade erleichtert wird. So wird in der Literatur die gebotene Differenzierung mit ihren Konsequenzen meist gar nicht, jedenfalls nicht erkennbar vorgenommen. Im Folgenden wird deshalb die Ansicht zugrundegelegt, die – richtigerweise – entsprechend differenziert. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist das als materielle Bestandskraft bezeichnete Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz. Da es sich hierbei aber – dogmatisch betrachtet – um eine im Verhältnis zu der gegenüber den Betroffenen anerkannten materiellen Bestandskraft mittelbare Bindung handelt, findet die gegenüber den Betroffenen bestehende materielle Bestandskraft notwendigerweise Eingang in die Untersuchung. Um dadurch bedingten eventuellen terminologischen und – damit verbunden – sachlichen Verwirrungen vorzubeugen, wird der Begriff der „materiellen Bestandskraft“ im Folgenden für die inhaltsbezogene Bindung der Betroffenen (einschließlich damit des erlassenden Entscheidungsträgers in seiner Stellung als Betroffener200) verwendet; mit der Bezeichnung „Abweichungsver199

s. o., A. I. 2. a) bb) (b). Aus Gründen der Kohärenz mit den anderen Abschnitten der vorliegenden Untersuchung ist, sofern nicht ausdrücklich von dem „erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener“ die Rede ist, unter dem Terminus des „erlas200

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2. Teil: Abweichungsverbote

bot der materiellen Bestandskraft“ ist dagegen die gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger (in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz) bestehende inhaltsbezogene Bindungswirkung gemeint. Zunächst wird im Folgenden das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft (Ziff. I.) und im Anschluss daran die (Selbst-)Bindungswirkung (Ziff. II.) dargestellt. Der Länderbericht endet mit einer Zusammenfassung der Lösungen, die das deutsche Recht im Hinblick auf die Frage der inhaltsbezogenen Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers bereitstellt (Ziff. III). I. Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft 1. Bestehen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft a) Bestehen und Geltungsgrundlage des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger besteht zunächst ein als „materielle Bestandskraft“ bezeichnetes201 Abweichungsverbot. Die Bestandskraft wird zwar in der Überschrift des Abschnitt 2 des Dritten Teils des VwVfG erwähnt, in den folgenden Vorschriften jedoch nicht – jedenfalls nicht ausdrücklich –202 geregelt.203 Das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft scheint aber sowohl in der Judikatur als auch in der Literatur – mehr oder weniger offenkundig – anerkannt zu sein.204 Wie das gegenüber den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmsenden Entscheidungsträgers“ derjenige in seiner Stellung als Entscheidungsinstanz zu verstehen. Vgl. zu der entsprechenden Terminologie im Gemeinschaftsrecht oben, A. I. 2. a) bb) (b) (aa). 201 So die wohl gängige Bezeichnung in Judikatur und Literatur, vgl. z. B.: FG Köln, EFG 2002, 846; FG des Saarlandes, EFG 2003, 1449; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 43 ff.; ders., in: Piepenbrock/Schuster, S. 152, 158 (auch K & R 2001, 13 f.); Battis, S. 174 f.; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395 f. i. V. m. S. 397; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Randak, JuS 1992, 33, 34 f.; vgl. auch: Becker, S. 56 f.; offenbar auch: Knoke, S. 92 ff. (99); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188 und 189; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; ähnlich („Bestandskraft“): Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 25. 202 Dies gilt namentlich auch für das hier zu untersuchende Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft. 203 Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 7. 204 Vgl. z. B. die oben (Fn. 201) aufgeführten Nachweise aus Judikatur und Literatur.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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licher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern anerkannte Aufhebungsverbot gelangt das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft reflexartig im Verhältnis zu dem Eintritt der materiellen Bestandskraft zur Entstehung.205 Auf die materielle Bestandskraft, die damit sozusagen das „auslösende Moment“ für die Entstehung des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft bildet, ist daher nun im Folgenden zunächst näher einzugehen. aa) Materielle Bestandskraft (a) Bestehen und Geltungsgrundlage der materiellen Bestandskraft Ungeachtet einer fehlenden – jedenfalls einer nicht vorhandenen ausdrücklichen – gesetzlichen Regelung der Bestandskraft geht die weit überwiegende Ansicht in Judikatur und Literatur davon aus, dass die Bestandskraft – ihrem prozessrechtlichen Vorbild der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entsprechend – nicht nur eine formelle, sondern auch eine materielle Komponente, die sog. „materielle Bestandskraft“206, besitzt.207 205 Im Gegensatz zu dem bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot, dessen Entstehung in der Literatur als reflexartig beschrieben wird, wird der reflexartige Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes nicht explizit erwähnt. In der Sache kann aber wohl nichts anderes gelten, zumal formelle und materielle Bestandskraft, die jeweils sozusagen das „auslösende Moment“ für die Entstehung einer bestandskraftabhängigen Bindungswirkung bilden, in aller Regel binnen einer juristischen Sekunde bewirkt werden. Wenn der Eintritt der formellen Bestandskraft das bestandskraftabhängige Aufhebungsverbot reflexartig auslöst, gelangt demzufolge auf die gleiche Art und Weise das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot zur Entstehung. Zum bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot s. bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. 206 So die gängige Bezeichnung in Judikatur und Literatur, z. B.: BVerfG, NVwZ 2002, 1101; BVerwG, NVwZ-RR 1992, 482, 483; BSG, NZA 1995, 320, 327; BFH, NVwZ 1984, 61; VGH BW, NVwZ 1987, 521; BayVGH, NVwZ 1987, 986, 987; BayVGH, NVwZ-RR 1992, 218, 219; VG Meiningen, LKV 2000, 410, 411; BGH, NVwZ 1987, 356; BGH, NVwZ 1990, 501; BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206 (s. aber S. 1207: „Bestandskraft“); BGH, NVwZ 2004, 763; ferner: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 6; Maurer, § 11, Rn. 5 ff.; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 31; Knoke, S. 92 ff.; Stelkens, Rn. 481; Detterbeck, Rn. 568; Battis, S. 174; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 125; Domke, S. 18 ff.; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 187 ff.; Kopp, DVBl. 1983, 392, 397 ff.; Merten, NJW 1983, 1993, 1994 und 1996; Ehlers, K & R 2001, 1, 4; ähnlich („Bestandskraft im materiellen Sinne“): Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 31. Häufig wird – v. a. in der Judikatur – allein die Bezeichnung „Bestandskraft“ verwendet: BVerfGE 60, 253, 269 ff.; BVerwGE 48, 271, 274 ff.; 50, 282, 289; 105, 370, 373; 117, 351, 354; BVerwG, DVBl. 1982, 1097; BVerwG, NVwZ-RR 1997,

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2. Teil: Abweichungsverbote

Wie bereits an früherer Stelle erwähnt, stellt diese nach heute offensichtlich weit überwiegendem Verständnis keine bestands-, sondern eine inhaltsbezogene Bindung dar.208 Als solche ist die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen sowohl in der Judikatur209 als auch in der Literatur210 wohl weitestgehend anerkannt.

355, 356; BVerwG, NVwZ 2005, 330, 331; VGH BW, NVwZ 2000, 589, 590; ferner: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 3 und Rn. 49. Weitere Bezeichnungen z. B.: BFH, NJW 2002, 1368 („Bindungswirkungen“); Kopp, DVBl. 1983, 392, 400 („materielle Rechtskraft“). Abweichende Bezeichnungen verbunden mit einem jeweils anderen Begriffsverständnis: Huxholl, S. 54 und S. 76 ff. („Tatbestandswirkung“); J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 171 ff. („Verbindlichkeit“); Seibert, S. 188 und S. 194 („Bindungswirkung“). 207 Einzelnachweise: s. etwa die in der vorangegangenen Fußnote aufgeführten Nachweise aus Judikatur und Literatur. Laut Kopp (DVBl. 1983, 392, 398) steht die Frage der Anerkennung der materiellen Bestandskraft als inhaltsbezogene Bindung sogar außer Streit. Grundlegend gegen eine materielle Komponente der Bestandskraft aber: Seibert, S. 168, S. 172 ff. sowie S. 202 (die Stabilisierung der Dauer der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes werde durch seine formelle Bestandskraft bewirkt; die mit Beginn der formellen Bestandskraft des Verwaltungsaktes eintretende Bestandsverfestigung verändere nicht den Charakter der Verbindlichkeit; Seibert wendet sich insbesondere gegen die mit dem Rückgriff auf die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen verbundene „Verdoppelung der Verbindlichkeit“). Ihm folgend: Blanke, S. 160 ff. (163), 170 f. (er übernimmt diesen Ansatz für die Aufhebungsverbote); Becker, S. 71 ff. (73). Gegen eine materielle Komponente der materiellen Bestandskraft ferner: Huxholl, S. 80; Krause, S. 158 und S. 183; i. E. wohl auch: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 178 ff. 208 s. o., Erster Teil, Zweites Kapitel, B. 209 Z. B.: BVerfGE 60, 253, 267 ff. (268 in Verbindung mit S. 269 f., auch S. 290); BVerfG, NVwZ 2002, 1101; BVerwGE 48, 271, 274 ff.; 105, 370, 373; BVerwG, NVwZ-RR 1992, 482, 483; BFH, NVwZ 1984, 61; VGH BW, NVwZ 1987, 521; VGH BW, NVwZ 2000, 589, 590; BGH, NVwZ 1990, 501; BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206. Bzgl. weiterer Nachweise vgl. die oben (Fn. 206) aufgeführte Judikatur. 210 Z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 31; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 31; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; Achterberg, § 23, Rn. 39; Stelkens, Rn. 481; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 125; Knoke, S. 92 ff. (99); Domke, S. 18 ff.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 188; Kopp, DVBl. 1983, 392, 397. Bzgl. weiterer Nachweise vgl. die oben (Fn. 206) aufgeführte Literatur. Speziell in Bezug auf einen betroffenen Dritten s. nur: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 5 i. V. m. seiner Kommentierung vor § 43, Rn. 31.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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(b) Begriff der materiellen Bestandskraft (aa) Materielle Bestandskraft Angesichts des in der Überschrift des Abschnitt 2 des Dritten Teils des VwVfG zwar erwähnten, gesetzlich allerdings jedenfalls nicht ausdrücklich definierten Terminus der Bestandskraft wird auch hinsichtlich der materiellen Bestandskraft angenommen, ihr sei der Inhalt zugrundezulegen, der ihr bereits vor dem In-Kraft-Treten des VwVfG zukam211. Die materielle Bestandskraft wurde in terminologischer Anlehnung an das prozessrechtliche Institut der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entwickelt, der nach wie vor Vorbildfunktion zugeschrieben wird, von der allerdings angesichts der zwischen gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakt bestehenden wesensmäßigen Unterschiede nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden darf.212 Die – heute als inhaltsbezogene Bindung qualifizierte – materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen meint Maßgeblichkeit im Sinne endgültiger Verbindlichkeit des Entscheidungsinhalts.213 Dementsprechend wird unter materieller Bestandskraft die Maßgeblichkeit im Sinne endgültiger Verbindlichkeit des Inhalts eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes verstanden.214, 215 211

Bzgl. der formellen Bestandskraft s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. I. 1. a). Zur Entwicklungsgeschichte der materiellen Bestandskraft: Seibert, S. 142 ff. (selbst allerdings gegen den Rückgriff auf die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen, vgl.: S. 168, S. 172 ff. sowie S. 202). Gegen einen Rückgriff auf die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen und statt dessen für eine eigenständige Begriffsbestimmung, die an der in der Rechtssicherheit gründenden Funktion der Bestandskraft, die in einem Verwaltungsakt getroffenen Regelung zu stabilisieren und zu verfestigen, ansetzt: Knoke, S. 99; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 187 f. Letztlich gelangen sie aber zu denselben Ergebnissen wie diejenigen, die eine Anlehnung an die materielle Rechtskraft befürworten. Die hinsichtlich der Anlehnung der materiellen Bestandskraft an die materielle Rechtskraft gebotene Zurückhaltung betonend, s. nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 43, Rn. 43. Zu den wesensmäßigen Unterschieden zwischen gerichtlicher Entscheidung und Verwaltungsakt s. bereits oben, Einleitung, B. II. 213 BVerfG, NVwZ 1989, 141, 142; ferner z. B.: Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 1; Seibert, S. 139; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 187. Dass die materielle Bestandskraft nach heutigem Verständnis eine inhaltsbezogene Bindung begründet, wurde bereits oben erwähnt: Erster Teil, Zweites Kapitel, B. 214 So bzw. in diesem Sinne z. B.: BVerfGE 60, 253, 267 ff. (268 [das Rechtsinstitut der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen bewirkt deren endgültige Verbindlichkeit] i. V. m. S. 269 f., auch S. 290); BVerwGE 49, 244, 249 (Hervorhebung des abschließenden Charakters der [materiellen] Bestandskraft); BVerwG, NVwZ 1983, 472, 473 (Hervorhebung des endgültigen Charakters der Verbindlichkeit ab Eintritt der Unanfechtbarkeit); BVerwG, NVwZ-RR 1997, 355, 356 (Hervorhebung der mit Eintritt der [materiellen] Bestandskraft verbundenen endgültigen Verbind212

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2. Teil: Abweichungsverbote

(bb) Abgrenzung zu der nur vorläufigen Verbindlichkeit Mit ihrer Qualifizierung als endgültige Verbindlichkeit wird die materielle Bestandskraft übrigens nicht selten von der durch den Eintritt der inneren Wirksamkeit bewirkten „Verbindlichkeit“216 eines (nicht nichtigen)217 Verwaltungsaktes abgegrenzt.218 In Abgrenzung zu der mittels materieller lichkeit); OVG NW, NWVBl. 2003, 62, 63 f.; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 31 (in 7. Aufl.: Hervorhebung der durch die materielle Bestandskraft bewirkten abschließenden Bindung); Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; Domke, S. 47 f., 55 und 58; Achterberg, § 23, Rn. 39; Kutschera, S. 173; Huxholl, S. 75; Braun, S. 32 (materielle Bestandskraft verschaffe eine „unangreifbare oder garantierte Verbindlichkeit“); Maurer, § 9, Rn. 39 (Hervorhebung des mit Eintritt der [materiellen] Bestandskraft verbundenen endgültigen Charakters der Rechtswirksamkeit) sowie § 11, Rn. 6 und Rn. 7 (a. E.); Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 125; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 31; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 3; Rohlfing, S. 155 (Hervorhebung des auf Dauer angelegten Charakters der materiellen Bestandskraft); Knoke, S. 97 (Hervorhebung des auf Dauer angelegten Charakters der materiellen Bestandskraft); Francke, in: Dannhauser/Dörr, S. 9, 18 (für seine „endgültige“ materielle Bestandskraft); Krebs, VerwArch. 67 (1976), 411, 415; Erichsen/ Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Kopp, DVBl. 1983, 392, 397 und 398; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Jeromin, NVwZ 1991, 543, 544; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Ehlers, K & R 2001, 1, 4. 215 Die endgültige Bindung schließt indes nicht aus, dass ein materiell bestandskräftiger Verwaltungsakt im Kollisionsfall mit unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht unanwendbar ist, vgl.: EuGH, Rs. C-224/97, Slg. 1999, I-2517, Rn. 33 (E. Ciola/Land Vorarlberg); zustimmend i. E.: Gundel, EuR 34 (1999), 781, 786 ff. (788); Epiney, NVwZ 2000, 35, 36; wohl auch: Potacs, in: FS für Ress, S. 729, 732 f.; kritisch: Schilling, EuZW 1999, 407 f. Für den EuGH steht ausschließlich der Verwaltungsakt als Handlungsform in der Normenhierarchie im Vordergrund, vgl. deutlich insoweit v. a. Rn. 33 des Urteils: Der EuGH spricht allein von dem Verwaltungsakt als einer „Bestimmung“. Das Wesen der dem Verwaltungsakt zukommenden Bestandskraft tritt demgegenüber völlig in den Hintergrund, s. insoweit auch deutlich die Ausführungen des GA Mischo in seinem Schlussantrag in dieser Rs. C-224/97, ebenda, Rn. 49. 216 „Verbindlichkeit“ lautet die gängige Bezeichnung dieser inhaltsbezogenen Bindung, vgl. z. B.: BVerwG, NVwZ 1983, 472, 473; BSGE 52, 168, 170; BFH, NVwZ 1984, 61; BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206; ferner: Maurer, § 11, Rn. 6 (s. aber: § 9, Rn. 66); Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 7; Battis, S. 174; Achterberg, § 23, Rn. 44; Forsthoff, S. 251; Schwerdtfeger, Rn. 33. Synonyme Bezeichnungen: „Bindungswirkungen“: Seibert, S. 194; Blanke, S. 152 f.; Detterbeck, Rn. 544; „Bindung“: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 9; Knoke, S. 100; Krause, S. 183; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188. 217 Nicht der Verbindlichkeit fähig ist ein nichtiger Verwaltungsakt; er ist unbeachtlich, vgl. z. B.: Schwerdtfeger, Rn. 33; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1. 218 Für die gesetzlich, namentlich in § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwVfG, nicht geregelte Verbindlichkeit (geregelt wird dort die Wirksamkeit eines Verwaltungs-

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Bestandskraft bewirkten endgültigen Bindung wird diese allein im Falle eines zumindest auch belastenden Verwaltungsaktes relevante Bindung219 als eine Art „Vorwirkung“220 qualifiziert. Wegen der zunächst noch eröffneten Möglichkeit, einen belastenden Verwaltungsakt anzugreifen, besitze die Verbindlichkeit einen lediglich „vorläufigen Charakter“221. Der mit der Einlegung eines anfechtungsrelevanten (außer-)gerichtlichen, förmlichen Rechtsbehelfs grundsätzlich eintretende Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 1 VwGO bedinge, dass die Verbindlichkeit „weniger stark“222 sei als die im Zeitpunkt allseitiger Unanfechtbarkeit des (auch) belastenden Verwaltungsaktes eintretende materielle Bestandskraft. Auf dieser Grundlage ist ein Verwaltungsakt, soweit er belastende Rechtswirkungen entfaltet, vor Eintritt seiner materiellen Bestandskraft daher lediglich vorläufig verbindlich.223 aktes, nicht jedoch die durch sie bewirkte Verbindlichkeit) wird eine gesetzliche Regelung für entbehrlich gehalten, da ihre Geltung mit der Ermächtigung zu dem Erlass eines Verwaltungsaktes als selbstverständlich mitgegeben sei (Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 7). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der inneren Wirksamkeit, vgl. z. B.: BVerwGE 105, 370, 372; BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; BGHZ 90, 17, 23; FG Hamburg, Urt. vom 5. November 2003, IV 227/00 (juris); ferner: Maurer, § 11, Rn. 6; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Detterbeck, Rn. 543 f.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 9; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 7; Domke, S. 55; Krause, S. 183; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411; ebenso diejenigen, die die Verbindlichkeit mit dem Begriff der inneren Wirksamkeit gleichsetzen: Knoke, S. 100; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 10; Seibert, S. 160 und S. 192 f.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188. Zur inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (1) (a) (bb). 219 Ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt wird aufgrund seiner von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit bereits mit seinem Erlass materiell bestandskräftig [zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (1) (a) (aa)]. Dass die Verbindlichkeit eines Verwaltungsaktes nur im Falle eines (auch) belastenden Verwaltungsaktes relevant ist, wird interessanterweise – soweit ersichtlich – in der Regel (Ausnahme wohl implizit: Maurer, § 11, Rn. 6) nicht beachtet. Sie wird vielmehr statt dessen ohne weiteres auch für begünstigende Verwaltungsakte angenommen, vgl. z. B.: Achterberg, § 23, Rn. 44; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 1; Schwerdtfeger, Rn. 33. 220 Merten, NJW 1983, 1993, 1996. Die materielle Bestandskraft als im Vergleich zur Verbindlichkeit „umfassender“ qualifizierend: Knoke, S. 99; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188. 221 Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15 (dort: Fn. 20); ähnlich („vorläufige Verbindlichkeit“ bzw. „vorläufige Wirksamkeit“): BVerwGE 49, 244, 249; vgl. auch: BVerwGE 116, 1, 4; BVerwG, NVwZ 1983, 472, 473; BayVGH, NJW 1981, 2076; OVG Saarland, NVwZ 1986, 578; ferner: Domke, S. 58; Weides, S. 47 (dort: Fn. 7). 222 Knoke, S. 100. Zu den einschlägigen anfechtungs- bzw. aufhebungsrelevanten Rechtsbehelfen im Einzelnen s. nur oben, Einleitung, D.

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2. Teil: Abweichungsverbote

Anlass für die Differenzierung zwischen einer vorläufigen und einer endgültigen Verbindlichkeit ist ganz offensichtlich, einen grundlegenden Unterschied zwischen einem gerichtlichen Urteil und einem Verwaltungsakt zu überwinden,224 der sich daraus ergibt, dass zwecks Herausarbeitung von inhaltsbezogenen Bindungen im Kontext der Verwaltungsakte grundsätzlich ein Rückgriff auf die materielle Rechtskraft befürwortet wird. Dieser grundlegende Unterschied besteht darin, dass ein Verwaltungsakt gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG bereits als Folge seiner inneren Wirksamkeit Rechtswirkungen entfaltet, während ein gerichtliches Urteil grundsätzlich225 demgegenüber erst – aber dann auch zugleich endgültig – mit Eintritt seiner absoluten formellen Rechtskraft bindet.226 Um die konzeptionelle Ausgestaltung der materiellen Bestandskraft mit der der materiellen Rechtskraft konform zu halten und außerdem eine Zersplitterung des Instituts der Bestandskraft selbst zu verhindern (andernfalls träte die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes als Folge seiner inneren Wirksamkeit vor der formellen Bestandskraft ein),227 wird der Begriff der materiellen Bestandskraft ausschließlich für die Zeit ab Beginn der absoluten formellen Bestandskraft reserviert, während in dem Zeitraum zwischen dem Eintritt der inneren Wirksamkeit und dem Beginn der absoluten formellen Bestandskraft lediglich eine Verbindlichkeit im o. g. Sinne angenommen wird.

223 Vgl. deutlich in diesem Sinne: Braun, S. 31 ff. (31); Merten, NJW 1983, 1993, 1996; auch diejenigen, die von einer Verbindlichkeit ohnehin erst ab Unanfechtbarkeit sprechen: BSGE 52, 168, 170; BGHZ 98, 85, 89 f. und 91; 112, 363, 367; BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 47; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2790; Jeromin, NVwZ 1991, 543, 544; Wilhelms, NJ 2005, 337, 340; wohl auch: Knoke, S. 98 f. (99); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; a. A.: Seibert, S. 192 ff. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass das Gesamtbild zu dieser Frage terminologisch und – darauf aufbauend – auch in der Sache recht diffus ist. 224 Angesprochen ist der von Merten (NJW 1983, 1993, 1996) – im Kontext der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden Abweichungsverbote – so bezeichnete und seitdem vielzitierte „Schönheitsfehler“. 225 Ausnahme: vorläufig vollstreckbare Urteile, vgl.: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 2; Oberheim, § 10, Rn. 7. 226 Seibert, S. 176; Kopp/Schenke, § 121, Rn. 2; Oberheim, § 10, Rn. 7. Gerichtliche Beschlüsse sind dagegen grundsätzlich sofort mit ihrem Ergehen wirksam, s. nur: Kopp/Schenke, ebenda. 227 Knoke, S. 99; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 52; Domke, S. 54; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; vgl. auch Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 13.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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bb) Bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger Die gegenüber den von einem Verwaltungsakt Betroffenen anerkannte materielle Bestandskraft ist für den erlassenden Entscheidungsträger als solche irrelevant. Wie im Gemeinschaftsrecht bedeutet dies jedoch nicht, dass die gegenüber den Betroffenen mit Eintritt der formellen Bestandskraft zur Entstehung gelangende materielle Bestandskraft für den erlassenden Entscheidungsträger ohne Bedeutung ist.228 Wie dort unterliegt der erlassende Entscheidungsträger offenkundig aus Gründen der Rechtssicherheit229 mit Eintritt der materiellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes gegenüber den Betroffenen vielmehr einem Abweichungsverbot in Gestalt einer dogmatisch betrachtet – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft ausgelösten (unmittelbaren) Bindung eines Betroffenen – mittelbaren und daher zwangsläufig akzessorischen Bindung an den Inhalt des nunmehr bestandskräftigen Verwaltungsaktes.230 b) Inhalt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Die in der materiellen Bestandskraft zum Ausdruck gebrachte Maßgeblichkeit des Inhalts eines materiell bestandskräftigen Verwaltungsaktes muss sich wohl konsequenterweise in dem Begriffsverständnis hinsichtlich des akzessorischen Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft widerspiegeln. Es hat daher zum Inhalt, dass der erlassende Entscheidungsträger abschließend an den Inhalt eines materiell bestandskräftigen Verwaltungsaktes gebunden ist.231 c) Voraussetzungen für den Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Aufgrund der Akzessorietät des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft im Verhältnis zu der gegenüber den Betroffenen anerkannten 228

Zum Gemeinschaftsrecht s. o., A. I. 1. a) bb). Daneben auch aus Gründen der Verfahrensökonomie, s.: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 39 (in Bezug auf sämtliche Abweichungsverbote). 230 Konzeptionell entspricht es damit dem bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot, s. dazu bereits ausführlich oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. (dort insbesondere: I. 2.). 231 Vgl. in diesem Sinne: FG Köln, EFG 2002, 846; ferner: Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; wohl auch: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4. 229

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2. Teil: Abweichungsverbote

materiellen Bestandskraft gelangt das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger nur und erst dann zur Entstehung, sobald die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen bewirkt wird. Dies ist der Fall, sobald ein der materiellen Bestandskraft fähiger Verwaltungsakt (aa) und ein sie bewirkender Umstand (bb) vorliegen: (aa) Der materiellen Bestandskraft fähig ist ein wirksamer Verwaltungsakt.232 Unerheblich ist, welchen Inhalt der Verwaltungsakt im konkreten Einzelfall hat.233 Seit dem Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 1982234 ist die namentlich in der älteren Judikatur235 und Literatur236 vertretene Ansicht, allenfalls sog. „streitentscheidende Verwaltungsakte“, d.h. Verwaltungsakte, die in einem gerichtsähnlichen Verfahren zustande kommen und „das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder einer Verpflichtung“ feststellen,237 seien der materiellen Bestandskraft fähig, obsolet. Dies gilt umso mehr, als diese Ansicht außerdem auf der – inzwischen ebenfalls überkommenen – Annahme beruht, die materielle Bestandskraft als Maßgeblichkeit setze die Unaufhebbarkeit des Verwaltungsaktes voraus.238 (bb) Wie ihr prozessrechtliches Vorbild der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen, die als Folge ihrer absoluten formellen Rechtskraft eintritt,239 wird die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes (erst) durch den Eintritt seiner absoluten formellen Bestandskraft bewirkt.240 232 Zur Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes s. bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. I. (1) (a). Ein nichtiger Verwaltungsakt ist nicht der materiellen Bestandskraft fähig; er ist für einen Betroffenen unbeachtlich, vgl. nur: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 5 i. V. m. seiner Kommentierung vor § 43, Rn. 31. 233 Abweichend (materielle Bestandskraftfähigkeit für deklaratorisch-feststellende Verwaltungsakte verneinend, da materielle Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG): Kollmann, DÖV 1990, 189, 194 f.; kritisch dagegen: Ammelburger, S. 43 (dort: Fn. 25); Randak, JuS 1992, 33, 38 (dort: Fn. 66). Zum (möglichen) Inhalt eines Verwaltungsaktes s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (1) (b). 234 E 60, 253, 270. 235 Aus der höchstrichterlichen Judikatur z. B.: BVerfGE 2, 380, 392 ff.; BVerwGE 4, 250, 252 f.; 23, 25, 26 f.; 48, 271, 276 f.; noch heute unter Bezugnahme auf die soeben aufgeführte Judikatur des BVerfG sowie des BVerwG vertreten von: BGHZ 112, 363, 366. 236 Vgl. noch heute: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 49. 237 BVerfGE 2, 380, 394. 238 Dazu: Seibert, S. 151. S. auch bereits oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. 239 Kopp/Schenke, § 121, Rn. 2; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 705, Rn. 1. 240 Seibert, S. 140; Knoke, S. 99; Achterberg, § 23, Rn. 39; Badura, in: Erichsen/ Ehlers, § 38, Rn. 46; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 51 f. i. V. m. mit Rn. 19; Sauer, DÖV 1971, 150, 157; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; a. A. (relative formelle Bestandskraft): Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 33; ganz anders (Be-

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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d) Fortbestand des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Die Konzeption des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft als an die materielle Bestandskraft angelehnte Bindung führt dazu, dass der Fortbestand des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft von dem der materiellen Bestandskraft abhängt. Das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft besteht daher gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger, solange die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen Bestand hat. Deren Fortbestehen bestimmt sich seinerseits nach dem Fortbestand der formellen Bestandskraft des betreffenden Verwaltungsaktes. Sobald die formelle Bestandskraft entfällt, wird der materiellen Bestandskraft die Grundlage entzogen. Die Fälle unmittelbarer oder mittelbarer Durchbrechungen der formellen Bestandskraft wurden bereits an früherer Stelle ausführlich dargestellt, so dass auf dortige Ausführungen verwiesen werden kann.241 Abschließend ist in diesem Kontext hervorzuheben, dass der erlassende Entscheidungsträger in eigener Initiative die an sich auf Dauer angelegte Bindung an den Inhalt eines von ihm selbst erlassenen Verwaltungsaktes beenden kann, sofern er den bestandskräftigen Verwaltungsakt mittels actus contrarius aufhebt, vorausgesetzt, eine solche Aufhebung ist zulässig.242 Das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft steht daher unter dem Vorbehalt der Aufhebung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes mittels actus contrarius.243 e) Folgen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Die im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft wirkt sich nicht nur auf dessen Entstehung und dessen Fortbestand, sondern auch auf kanntgabe bzw. die von ihm sog. „Bestandskraft im allgemeinen Sinne“): Francke, in: Dannhauser/Dörr, S. 9, 19, 22 f. Zu der streitigen Frage, ob die materielle Bestandskraft durch die relative oder die absolute formelle Bestandskraft bewirkt wird, s. auch: Randak, JuS 1992, 33, 34. Zur absoluten formellen Bestandskraft s. auch bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (2). 241 s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. III. 242 s. dazu bereits ausführlich oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. 243 Dieser Vorbehalt wird des öfteren mit in die Begriffsbestimmung des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft ausdrücklich einbezogen, vgl. z. B.: FG Köln, EFG 2002, 846; ferner: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 4; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 13; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189.

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2. Teil: Abweichungsverbote

die hierdurch bewirkten Folgen aus. Der erlassende Entscheidungsträger ist bei einer späteren Entscheidungsfindung daher in den Fällen an den Inhalt eines materiell bestandskräftigen Verwaltungsaktes gebunden, in denen die Betroffenen selbst gebunden sind. aa) Folgen der materiellen Bestandskraft bei einem später von dem erlassenden Entscheidungsträger zu erlassenden Verwaltungsakt Unter Rückgriff auf die für die materielle Rechtskraft anerkannten Folgen244 ist hinsichtlich der Folgen der materiellen Bestandskraft bei einem später von dem erlassenden Entscheidungsträger zu erlassenden Verwaltungsakt anerkannt,245 dass die durch die materielle Bestandskraft bewirkte Maßgeblichkeit der getroffenen Regelung sowohl in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes, d.h. in den Fällen, in denen der Inhalt eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes für einen später zu erlassenden Verwaltungsakt vorgreiflich ist, als auch in den Fällen seiner Identität, d.h. der Inhalt eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes wird bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens, gilt.246 244 Die materielle Rechtskraft zieht im Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes die Pflicht nach sich, den Inhalt einer materiell rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung bei einer späteren Entscheidungsfindung zwischen denselben Parteien in Bezug auf einen anderen Streitgegenstand zu berücksichtigen (zum Begriff des „Streitgegenstandes“ und seiner Bestimmung, s. etwa: Kilian, in: Sodan/Ziekow, Art. 121, Rn. 42 ff.; Anders/Gehle, Rn. 438 ff.), soweit ihr Inhalt hierfür vorgreiflich ist (vgl. etwa: Vollkommer, in: Zöller, vor § 322, Rn. 21; Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 8 und Rn. 9; Oberheim, § 10, Rn. 17; Lüke, JuS 2000, 1042, 1044; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 121, Rn. 19 f. [20], 24 ff.; Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, § 121, Rn. 5a). Im Falle der Identität des Entscheidungsgegenstandes bewirkt die materielle Rechtskraft die Unzulässigkeit einer neuen Klage über den gleichen Streitgegenstand zwischen denselben Parteien (vgl. etwa Volkommer, in: Zöller, vor § 322, Rn. 22; Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 8 und Rn. 11; Oberheim, § 10, Rn. 17; Lüke, JuS 2000, 1042, 1044; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 121, Rn. 19 f. [20], 21 ff. [in Rn. 20 auch – kurz – zu dem bekannten, wegen übereinstimmender Ergebnisse praktisch allerdings folgenlosen Streit zwischen der materiellen und der prozessualen Rechtskrafttheorie über die Frage, warum diese Folge eintritt]; a. A.: Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, § 121, Rn. 5). 245 Aufgrund des gegebenen Sachzusammenhangs beschränkt sich sie Darstellung an dieser Stelle auf die Folgen der materiellen Bestandskraft bei einem später von dem erlassenden Entscheidungsträger zu erlassenden Verwaltungsakt. Zu den Folgen der materiellen Bestandskraft bei später von den anderen Entscheidungsträgern zu erlassenden Gerichtsentscheidungen oder Verwaltungsakten, s. später, Zweites Kapitel, B. I. 5.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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bb) Konsequenzen für die Folgen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Für den erlassenden Entscheidungsträger hat der Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes zur Folge, dass er den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsaktes, ungeachtet etwa bestehender Rechtswidrigkeit, sowohl in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes als auch in denen seiner Identität bei einer späteren Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen hat.247 Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes mittels actus contrarius steht der Inhalt dieses Verwaltungsaktes nicht mehr zur Disposition des erlassenden Entscheidungsträgers.248 Er ist daher an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung gehindert. 2. Umfang des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Ähnlich wie im Gemeinschaftsrecht sagt die soeben gewonnene Erkenntnis, dass der erlassende Entscheidungsträger dem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot unterliegt, noch nichts über den konkreten Umfang seiner Bindung aus. Allerdings wirkt sich die im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät nicht nur auf das Bestehen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft, sondern – konsequenterweise – auch auf den Umfang aus. Der Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes reicht folglich – zumindest –249 so weit, wie der der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen. a) Umfang der materiellen Bestandskraft Wie im Gemeinschaftsrecht stellt sich die Frage des Umfangs der materiellen Bestandskraft in dreifacher Hinsicht.250 246 Z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 44 f(f).; Huxholl, S. 75; Kutschera, S. 175 f. (176); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189 f. (i. V. m. S. 190); Randak, JuS 1992, 33, 34; Kopp, DVBl. 1983, 392, 399; einschränkend aber (keine uneingeschränkte Geltung des Grundsatzes des „ne bis in idem“): Seibert, S. 124 f. Das Bestehen des Grundsatzes des „ne bis in idem“ war v. a. in der älteren Literatur nicht unumstritten, vgl. dazu nur: Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188. 247 Deutlich aus der Perspektive des erlassenden Entscheidungsträgers: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 44 ff. (vgl. auch Rn. 98 f.); Kutschera, S. 175 f. (176); Randak, JuS 1992, 33, 34. 248 Vgl.: FG Köln, EFG 2002, 846. 249 Eine weitergehende Bindung ist trotz ihres akzessorischen Charakters nicht per se ausgeschlossen.

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2. Teil: Abweichungsverbote

aa) Sachlicher Umfang der materiellen Bestandskraft (a) Grundsätzlicher Gegenstand der materiellen Bestandskraft Mit Ausnahme der an späterer Stelle darzustellenden sog. „Feststellungswirkung“ ist der sachliche Umfang der inhaltsbezogenen Bindungen und damit auch der der materiellen Bestandskraft gesetzlich nicht geregelt.251 Es obliegt daher sowohl der Judikatur als auch der Literatur, den Gegenstand der materiellen Bestandskraft zu bestimmen. Ebenso wie hinsichtlich der Frage des Bestehens der materiellen Bestandskraft greifen sie zur Lösung der Frage des sachlichen Umfangs der materiellen Bestandskraft auf die im (Zivil- und Verwaltungs-)Prozessrecht geltenden Regelungen zurück.252 Die dort existierenden ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen über die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen (§ 322 ZPO; § 121 VwGO) beinhalten speziell in Bezug auf deren Gegenstand die Aussage, dass die materielle Rechtskraft eintritt, soweit über den „Anspruch“ bzw. den „Streitgegenstand“ entschieden worden ist. Nach offenbar allgemeiner Ansicht253 sind diese Aussagen dahingehend zu verstehen, dass sich die Bindung lediglich auf die eigentliche Entscheidung des Gerichts über den Streitgegenstand, also den eigentlichen Subsumtionsschluss, nicht dagegen auf die in der Begründung enthaltenen tatsächlichen Feststellungen sowie rechtlichen Würdigungen einschließlich der Vorfragen, d.h. der Hauptfrage logisch vorgreiflichen Rechtsfragen254 erstreckt. Die eigentliche Entscheidung des Gerichts ist primär dem Tenor zu entnehmen, der unter Umständen allerdings anhand der Entscheidungsgründe auszulegen ist.255 250

s. o., A. I. 2. S. i. Ü. auch oben, Einleitung, D. s. auch: Seibert, S. 297. Zu der ausnahmsweise im Falle einer gesetzlichen Anordnung zulässigen Feststellungswirkung s. später, Zweites Kapitel, B. II. 1. b). 252 Vgl.: BGH, NVwZ 2004, 763; VG Meiningen, LKV 2000, 401, 411; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 53 f.; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15; Braun, S. 42; Rohlfing, S. 156; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 190; Kopp, DVBl. 1983, 392, 398; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Parallele ziehend auch: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 194 f.; widersprüchlich aber: Domke, S. 96 f. (einerseits spricht sie sich unter Ablehnung einer Übertragung der prozessrechtlichen Regelungen für eine eigenständige Bestimmung des sachlichen Umfangs aus, andererseits betrachtet sie die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen dann jedoch als äußerste Grenze der materiellen Bestandskraft). Dazu auch: Seibert, S. 302. 253 Statt vieler: Vollkommer, in: Zöller, vor § 322, Rn. 31; Reichold, in: Thomas/ Putzo, § 322, Rn. 17 ff. (Rn. 17 sowie Rn. 28); Jauernig, § 63 II. sowie III. 5.; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 121, Rn. 45; Kilian, in: Sodan/ Ziekow, Art. 121, Rn. 60; Kopp/Schenke, § 121, Rn. 18 ff. (Rn. 18); Seibert, S. 300. 254 Seibert, S. 309. 255 Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 17; Jauernig, § 63 III. 5.; Kopp/ Schenke, § 121, Rn. 18. 251

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Den prozessrechtlichen Regelungen entsprechend256 wird für den Gegenstand der materiellen Bestandskraft angenommen, er umfasse lediglich die verbindlich nach außen getroffene Regelung (verstanden als die „reine“ Rechtsfolge),257 nicht jedoch die zu ihrer Begründung im Verwaltungsakt angeführten tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Würdigungen einschließlich der Vorfragen.258 Während die Judikatur259 eine Bindung an in der Begründung enthaltene tatsächliche Feststellungen oder rechtliche Beurteilungen eines Einzelfalls für sich selbst unter Berufung auf die in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG normierte Rechtsschutzgarantie ausschließt, wird die Beschränkung auf die Regelung in der Literatur260 damit begründet, sie entspreche bei einem rechtmäßigen Verwaltungsakt der seitens des Gesetzgebers eingeräumten Sachentscheidungskompetenz. Die getroffene Regelung kommt idealiter in dem „verfügenden Teil“261 des Verwaltungsaktes zum Ausdruck.262 Dies setzt allerdings voraus, dass ein solcher als abgesonderter Bestandteil des Verwaltungsaktes vorhanden 256 Unter Hinweis auf die rechtsstaatlich höherwertige Funktion einer gerichtlichen Entscheidung wird der sachliche Umfang der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen gelegentlich als äußerste Grenze des Gegenstandes der materiellen Bestandskraft im Verwaltungsrecht bezeichnet, s.: BVerwGE 19, 153, 155; BGH, NVwZ 2004, 763; ferner: Braun, S. 42; Domke, S. 97; Rohlfing, S. 156. 257 Diese Klarstellung ist wichtig im Hinblick auf die noch an späterer Stelle zu behandelnde richterrechtliche „Feststellungswirkung“, s. dazu gleich unter lit. (b). 258 Z. B.: OVG NW, NWVBl. 2003, 62, 63 f.; OVG Niedersachsen, DÖV 1986, 199, 200; VG Koblenz, DVBl. 1977, 360, 362 f.; VG Meiningen, LKV 2000, 410, 411; BSG, NZS 2000, 210, 211; BGHZ 112, 363, 365; BGH, NVwZ 2004, 763; ferner: Seibert, S. 297 ff. (302 ff.) (für seine Bindungswirkung); Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 54; Ammelburger, S. 38; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 32; Rohlfing, S. 156 f.; Forsthoff, S. 258; Domke, S. 98 f.; Becker, S. 56; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; ders., K & R 2001, 1, 5; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 190; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2790; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; Randak, JuS 1992, 33, 34; a. A. (Regelung und tragender Grund): VGH BW, NVwZ 1987, 521; ferner: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 22; Kopp, DVBl. 1983, 392, 399; Merten, NJW 1983, 1993, 1996. 259 BVerfGE 61, 82, 111; 73, 339, 373; BVerwG, DÖV 1993, 1094, 1095. 260 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 55 (in Bezug auf das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft). 261 § 41 Abs. 4 S. 1 VwVfG spricht von „verfügendem Teil“; synonyme Bezeichnungen: „Tenor“: BFHE 175, 294, 298 und 300 (weitere Bezeichnung auf S. 298: „Ausspruch“); BSG, NZA 1995, 320, 327 (weitere Bezeichnungen: „Ausspruch“, „Verfügungssatz“); ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 56 (weitere Bezeichnung: „Entscheidungsausspruch“); Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 25; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15 (weitere Bezeichnung in Rn. 15 sowie Rn. 32: „Entscheidungssatz“); Kollmann, DÖV 1990, 189, 193; „Verfügungssatz“: BVerwGE 83, 182, 196; BSG, NZS 2000, 210, 211; ferner: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 17; „Spruch“: BVerwGE 80, 96, 98; „Entscheidungssatz“: VG Meiningen, LKV 2000, 410, 411; „Entscheidungsformel“: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 28

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2. Teil: Abweichungsverbote

ist. Sollte dies nicht der Fall sein, ist sie aus dem Gesamtzusammenhang des Verwaltungsaktes zu ermitteln.263 Ist demgegenüber zwar ein verfügender Teil vorhanden, kann ihm jedoch die getroffene Regelung nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden,264 ist ihr sachlicher Gehalt in entsprechender Anwendung des § 133 BGB zu ermitteln. Maßgeblich ist hiernach die in dem Verhalten des erlassenden Entscheidungsträgers nach außen zu Tage getretene Willensbetätigung, wie sie der Empfänger als verständiger und die erkennbar in die Entscheidung einbezogenen Zusammenhänge berücksichtigender Betroffener265 bei verständiger Würdigung verstehen konnte und durfte.266 Ausgehend vom Wortlaut des verfügenden Teils267 kann zu der Erläuterung des verfügenden Teils auch die Begründung des Verwaltungsaktes herangezogen werden.268 Diese kann für die Bestimmung des Regelungsgehaltes eines Verwaltungsaktes von entscheidender Bedeutung sein, da die dort enthaltenen tatsächlichen Feststellungen sowie rechtlichen Würdigungen – im Rahmen des Verfahrensgegenstandes –269 (weitere Bezeichnung in Rn. 18: „Entscheidungsteil [Rubrum]“); „Regelungsausspruch“: VG Koblenz, DVBl. 1977, 360, 363. 262 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 79; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 17. 263 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 56. 264 Praktisch relevant insbesondere bei ablehnenden Verwaltungsakten, dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 79; Sachs, in: ebenda, § 43, Rn. 56. 265 Zu diesem Maßstab: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 17. 266 BVerwGE 84, 220, 229; BFHE 175, 294, 299; OVG NW, NWVBl. 1995, 316; BGH, NJW 1985, 1335, 1336; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 28; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 22; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 35, Rn. 43; Seibert, S. 315; Ammelburger, S. 42; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 421; ähnlich: Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 190. Unklarheiten gehen zu Lasten des erlassenden Entscheidungsträgers, vgl.: OVG NW, NWVBl. 1995, 316; BFHE 175, 294, 300; ferner: Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 22; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 28. 267 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 47; Seibert, S. 315; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 421 und 443. 268 BVerwGE 84, 220, 229 ff.; OVG NW, NWVBl. 1995, 316; in diese Richtung wohl auch: VG Köln, DÖD 1990, 101, 102; ferner: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 79; Ammelburger, S. 38 ff.; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15 sowie Rn. 32; Kutschera, S. 178; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 28; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 17; Domke, S. 99; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 190. 269 Der Verfahrensgegenstand wird grundsätzlich in Anlehnung an den Streitgegenstand im Prozessrecht ermittelt, vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 56; Kutschera, S. 177; Kopp/Ramsauer, § 9, Rn. 24; Braun, S. 44; wohl auch: Forsthoff, S. 258; differenzierend: P. Stelkens/Schmitz, § 9, Rn. 98; kritisch: Rohlfing, S. 171 f.; Ammelburger, S. 40; Seibert, S. 306 ff. Synonyme Bezeichnung: „Entscheidungsgegenstand“: Kutschera, S. 177; Braun, S. 44; Kopp, DVBl. 1983,

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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den Inhalt des Verwaltungsaktes mitbestimmen;270 insbesondere kann der in der Begründung dargelegte Sachverhalt auf Umstände außerhalb des Verwaltungsaktes Bezug nehmen,271 vorausgesetzt, diese haben im Verwaltungsakt ihren Niederschlag gefunden.272 Sollte der Regelungsgehalt auch unter Heranziehung der Begründung nicht eindeutig zu bestimmen sein, ist nach wohl allgemeiner Ansicht273 grundsätzlich davon auszugehen, dass der erlassende Entscheidungsträger die Regelung in erschöpfender Würdigung der im Rahmen seiner rechtsstaatsmäßig festgelegten Prüfungs- und Entscheidungskompetenz einschlägigen Gesichtspunkte trifft.274 (b) Ausnahmsweise erweiterter Gegenstand der materiellen Bestandskraft Die herrschende Ansicht in Judikatur und Literatur275 erkennt allerdings folgende Abweichung von dem soeben dargestellten Grundsatz, den sachli392, 399; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 414. Die Bezeichnung „Entscheidungsgegenstand“ wird in der Literatur auch für den Begriff „Regelung“ verwendet: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 54; Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 29; Ammelburger, S. 38; Rohlfing, S. 156 sowie S. 169 f. (anders aber S. 167); Becker, S. 54; Randak, JuS 1992, 33, 34; Ehlers, K & R 2001, 1, 5. Zwecks Vermeidung von Missverständnissen, die angesichts der vielfältigen Verwendung derselben Bezeichnungen für sachlich Unterschiedliches leicht entstehen können, wird in der Literatur (P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 9, Rn. 102) klarstellend betont, nicht der Verfügungsgegenstand, sondern die Regelung bestimme den Gegenstand der inhaltsbezogenen Bindung. 270 Kutschera, S. 178; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 79. 271 Dies ist z. B. bei Bezugnahme auf einen Antrag der Fall (dazu: Seibert, S. 319 f.; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 44 sowie Rn. 79). 272 OVG NW, NWVBl. 1995, 316; ferner: Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 17; enger (Anhaltspunkt in der bekanntgegebenen Regelung notwendig): BFHE 175, 294, 299 f. 273 VG Koblenz, NJW 1980, 1410, 1411; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 55 sowie Rn. 59; Schmidt-Aßmann, in: Bachof/Heigl/Redeker, S. 569, 577 f.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 25; Domke, S. 99 f.; Erichsen/ Knoke, NVwZ 1983, 185, 190; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 423. 274 Ist der Regelungsgehalt dagegen eindeutig zu ermitteln, gilt dieser ab der Bekanntgabe, ungeachtet möglicher Überschreitung zugewiesener Kompetenzen, es sei denn, diese werden schwerwiegend und offenkundig verletzt, da der Verwaltungsakt dann nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig ist (dazu: BVerwGE 74, 315, 320; ferner: Stelkens, Rn. 482; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 78; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 12, Rn. 25). Ist der Regelungsgehalt indes in keiner Weise eindeutig zu bestimmen, ist von einem nichtigen Verwaltungsakt im Sinne des § 44 VwVfG auszugehen (Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 18). 275 Einzelnachweise in den nachfolgenden Fußnoten.

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2. Teil: Abweichungsverbote

chen Umfang der materiellen Bestandskraft in Anlehnung an den der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen zu bestimmen, an: Offenbar veranlasst durch die vor allem in der Literatur anzutreffende Differenzierung zwischen den verschiedenen (möglichen) Inhalten eines Verwaltungsaktes,276 hat die Judikatur – über den grundsätzlichen Regelungsgegenstand in Gestalt der „reinen“ Rechtsfolge hinausgehend – in bestimmten Fällen in der Begründung eines Verwaltungsaktes als Vorfrage enthaltene rechtliche Feststellungen zum Bestandteil der Regelung neben der „reinen“ Rechtsfolge erhoben.277 Die von solchen zum Bestandteil der Regelung erhobenen rechtlichen Feststellungen ausgehende Bindungswirkung wird oft als „Feststellungswirkung“ bezeichnet.278 Klassisches Beispiel279 für einen diese Feststellungswirkung entfaltenden Verwaltungsakt bildet die Erteilung einer Baugenehmigung, die nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmung der jeweiligen Landesbauordnung, etwa § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NW280 (hiernach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen), auf Antrag erteilt wird. Nach der Judikatur281, die Zustimmung in der Literatur282 gefunden hat, beinhaltet die Regelung einer Baugenehmigung nicht nur die Baufreigabe (gestattender Teil der Regelung), 276 Dazu: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 138 (vor dem Hintergrund der vor allem in der Literatur vorgenommenen Differenzierung beschäftige sich die Judikatur mit der Frage, ob sich aus dem materiellen Recht Besonderheiten u. a. für die Bindung aufgrund eines Verwaltungsaktes ergeben). 277 Zur Erhebung rechtlicher Feststellungen zum Bestandteil der Regelung: Seibert, S. 128 f.; Huxholl, S. 59; Randak, JuS 1992, 33, 35. Die Bezeichnung dieser rechtlichen Feststellungen in ihrer Doppelrolle ist uneinheitlich: von „Inzidentfeststellungen“ sprechen: Seibert, S. 309 (synonyme Bezeichnung: „Zwischenfeststellungen“); Ammelburger, S. 44 ff.; Randak, JuS 1992, 33, 35; die Bezeichnung „sekundäre Aussagen“ verwendet: Schmidt-Aßmann, in: Bachof/Heigl/Redeker, S. 569, 578. 278 Dies gilt namentlich für die Judikatur: z. B.: BVerwGE 50, 282, 291; 58, 124, 127; OVG Niedersachsen, DÖV 1986, 199; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ 1987, 73, 74; OVG NW, NWVBl. 1988, 105, 108; OVG NW, NVwZ-RR 2002, 564, 565; OVG NW, DÖV 2004, 302, 304. Aus der Literatur wohl: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 65; dies., Bd. 2, § 50, Rn. 19 f. sowie § 48, Rn. 8. Vgl. zum Begriff im Übrigen: Seibert, S. 128 f. 279 Zu ähnlichen Beispielen, vgl.: BVerwG, DVBl. 1985, 401, 402 (Erteilung einer atomrechtlichen Genehmigung); OVG Niedersachsen, NVwZ 1985, 506, 507 (Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung). 280 Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 2000, GV NRW 2000, S. 255 mit Änderungen. 281 Ständige Rechtsprechung des BVerwG, z. B.: BVerwGE 26, 287, 288; 28, 145, 147; 42, 242, 245; 50, 282, 290; 58, 124, 127; 68, 241, 244; 69, 1, 3; 82, 61, 69; 84, 11, 13 f.; BVerwG, DVBl. 1989, 673, 674; ferner z. B.: OVG NW, NWVBl. 1988, 105, 108; OVG NW, DÖV 2004, 301, 304.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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sondern auch die umfassende Feststellung der Vereinbarkeit des Bauvorhabens einschließlich der ihm zugedachten Nutzung mit dem im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (feststellender Teil der Regelung). Allerdings erstreckt sich der feststellende Teil der Regelung der Baugenehmigung nicht – wie es z. B. der Wortlaut des § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NW nahe legen könnte –283 auf sämtliche öffentlich-rechtlichen Vorschriften, sondern lediglich auf diejenigen, die nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht Prüfungsgegenstand des betreffenden landesbauordnungsrechtlichen Verfahren sind.284 Die Feststellungswirkung erstreckt sich daher nicht auf solche öffentlich-rechtlichen Vorschriften, über deren Einhaltung in einem gesonderten Verfahren durch einen anderen Entscheidungsträger selbständig durch Verwaltungsakt entschieden wird.285 Mit dieser sachlichen Beschränkung des feststellenden Teils der Regelung der Baugenehmigung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in Konstellationen, in denen die Zulässigkeit eines Vorhabens von der Erteilung mehrerer, von verschiedenen Entscheidungsträgern der Exekutive zu erlassenden Genehmigungen, deren Voraussetzungen sich (teilweise) sachlich überschneiden (klassisches Beispiel286 insoweit: die für den Betrieb einer Gaststätte erforderliche – raumbezogene – Baugenehmigung nach der einschlägigen Landesbauordnung sowie die – im Wesentlichen personenbezogene – Gaststättengenehmigung nach dem GaststG287) abhängig ist, jeweils derjenige Entscheidungsträger (und nur dieser) mit bindender Wirkung eine Regelung trifft, der für ihren Erlass aufgrund der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sachlich zuständig ist,288 wobei im Falle kon282 P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 139; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2791; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; ablehnend aber: Huxholl, S. 58 ff (59 ff.). 283 „(. . .) öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen“ (Hervorhebung durch Verfasserin). 284 BVerwGE 82, 61, 69; 84, 11, 13 f.; OVG NW, DÖV 2004, 302, 304. Diese Einschränkung ist nunmehr etwa in § 64 Abs. 1 HessBauO (BauO für das Land Hessen vom 18. Juni 2002, GV Hessen 2002, 274) kodifiziert. 285 Vgl.: BVerwGE 74, 315, 324; 80, 259, 261; 82, 61, 69. 286 Zu diesem Beispiel: BVerwGE 80, 259, 261; BayVGH, NVwZ 1987, 429; VGH BW, GewArch. 2001, 432 f.; s. auch: Winkler, Jura 2006, 260 ff. (263 ff.). 287 Gaststättengesetz vom 5. Mai 1970 (BGBl. I 1970, 465) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 20. November 1998 (BGBl. I 1998, 3418 mit Änderungen). 288 BVerwGE 74, 315, 324 ff.; 80, 259, 261; BVerwG, NJW 1980, 1406. Zur Maßgeblichkeit der Sachentscheidungskompetenz auch: Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2793; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666 sowie 1669. In der Literatur wird der Aspekt, dass die gesetzlich eingeräumte Sachentscheidungskompetenz den Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes und damit den Gegenstand der Bindung be-

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2. Teil: Abweichungsverbote

kurrierender Kompetenzen derjenige Entscheidungsträger zur Sachentscheidung berufen ist, der im konkreten Fall den stärkeren Bezug zum Gegenstand der zu treffenden Regelung besitzt.289 Wie weit die Sachentscheidungskompetenz der gesetzlich eingeräumten Sachentscheidungskompetenz im konkreten Einzelfall reicht, ist dabei mittels Auslegung der einschlägigen Fachgesetze zu ermitteln.290 Im umgekehrten Falle, also im Falle der sachlichen Ablehnung eines Baugesuchs, verneint das BVerwG291 dagegen eine Feststellungswirkung. Die Regelung eines ein Baugesuch in der Sache ablehnenden Bescheides beinhaltet hiernach allein die Verneinung des geltend gemachten derzeitigen Anspruchs auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Dies hat das BVerwG in seinem grundlegenden Urteil im 48. Band292 entschieden. In diesem Rechtsstreit war das BVerwG mit der Frage der „Tragweite der Bestandskraft“293 eines ein Baugesuch sachlich ablehnenden Bescheides, d.h. mit der Frage befasst, ob Gegenstand der Bestandskraft eines solchen Bescheides die Regelung nur in Form der „reinen“ Rechtsfolge (hier also die Verneinung des geltend gemachten derzeitigen Anspruchs auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung) oder daneben auch die zugleich als Vorfrage relevante Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit (dies wäre ein Fall der hier behandelten Feststellungswirkung) ist. Unter Hinweis darauf, der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung habe – von der Einschlägigkeit auch des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG einmal abgesehen – seine Grundlage in Art. 14 Abs. 1 GG, hat das BVerwG294 zunächst festgestellt, die mögliche (und hier konkret von Seiten stimmt, unter dem Stichwort „Fachbindungsmodell“ als eine Lösungsmöglichkeit für die Handhabung paralleler Genehmigungen diskutiert (dazu nur: Jarass, S. 74 ff.): Sieht ein Gesetz eine umfassende Prüfung der Vereinbarkeit eines Vorhabens mit dem öffentlichen Recht vor, führt der mit dem Antrag befasste Entscheidungsträger im Rahmen des Genehmigungsverfahrens diese umfassende Prüfung durch; eine bindende Entscheidung trifft er indes ausschließlich in Bezug auf die Voraussetzungen, die in seine ihm gesetzlich eingeräumte Sachentscheidungskompetenz (sog. Fachkompetenz) fallen. Als alternative Lösungsmöglichkeit steht das sog. „Separationsmodell“ in Rede, nach dem bereits die Prüfungsbefugnisse getrennt werden, so dass ein Entscheidungsträger lediglich die Vorschriften prüft, deren Einhaltung in seine Fachkompetenz fallen (dazu nur: Jarass, S. 81 ff.). Ungeachtet der völlig unterschiedlichen Ausgangspunkte beider Modelle führen sie zu demselben Ergebnis: Stets setzt sich die „Fachbindung“ durch (Jarass, S. 82). 289 BVerwGE 74, 315, 324 f.; 80, 259, 262 f.; 84, 11, 14. 290 Dazu: Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2793 f. 291 Grundlegend: BVerwGE 48, 271, 275 ff.; ferner: 84, 11, 14 f.; BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 722 f. 292 E 48, 271. 293 BVerwGE 48, 271, 273 und 278 f. 294 Ebenda, S. 273 f.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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des Berufungsgerichts tatsächlich vertretene) Auffassung, der Antragsteller eines Baugenehmigungsverfahrens brauche nicht nur seinen derzeit (vermeintlichen) Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung in das Verfahren einzubringen, sondern die (vermeintliche) Bebaubarkeitsqualität seines Grundstücks als solche, führe dazu, dass, wenn die Genehmigungserteilung zu Unrecht abgelehnt, dies auf die fehlende Bebaubarkeit des Grundstücks gestützt und der ergehende Bescheid bestandskräftig werde, der Antragsteller die Bebaubarkeitsqualität gleichsam verspielt habe. Das BVerwG hat hierin einen Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gesehen, aus dem ein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz abzuleiten sei und das gewährleiste, dass der Antragsteller die Rechtmäßigkeit seines Bauvorhabens wenigstens einmal in einem mit allen rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren zur Prüfung stellen könne, oder genauer gesagt, dass er daran nicht durch die bereits eingetretene Bestandskraft einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung gehindert werde.295 Abgesehen von dieser grundsrechtsbezogenen Urteilsbegründung hat das BVerwG sein Urteil außerdem auf die wesensmäßigen Unterschiede der durch ein Urteil einerseits und einen Verwaltungsakt andererseits begründeten Bindung und ihrer Tragweite bei einer späteren Entscheidungsfindung gestützt.296 Insbesondere hat es insoweit hervorgehoben, im Gegensatz zu einem Urteil, mit dem eine auf Verpflichtung zur Baugenehmigungserteilung gerichtete Klage abgewiesen werde und dessen Rechtskraft auch die Frage der materiellen Rechtswidrigkeit umfasse, sei Entscheidungsgegenstand eines ein Baugesuch sachlich ablehnenden Verwaltungsaktes allein die Aussage, dass der geltend gemachte derzeitige Anspruch auf eine Genehmigungserteilung nicht bestehe.297 Dieses Urteil des BVerwG hat weniger wegen seines Ergebnisses als vielmehr wegen seiner Begründung und insoweit ganz offensichtlich allein wegen des grundrechtsbezogenen Teils seiner Begründung, nicht unerhebliche Kritik von Seiten der Literatur298 erfahren:299 Kritisiert wird in erster 295

Ebenda, 277. Ebenda, 275 ff. 297 In diesem Sinne: ebenda, 276 f. Dies betont ausdrücklich: BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 722 f. 298 Dem Ergebnis des Urteils des BVerwG zustimmend z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 18; Huxholl, S. 61 ff.; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2792; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1670; Kollmann, DÖV 1990, 189, 193; ablehnend z. B.: Kopp, DVBl. 392, 399 f.; (ihm folgend) Merten, NJW 1983, 1993, 1996; Seibert, S. 537 ff. (545) (allgemein in Bezug auf ablehnende Verwaltungsakte); für die materielle Bestandskraft auch der Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 13 f. 299 Umfassende Darstellung aus jüngerer Zeit bei: Rohlfing, S. 161 ff. 296

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2. Teil: Abweichungsverbote

Linie, das BVerwG habe dadurch, dass es im Ergebnis die sachliche Ablehnung eines Baugesuchs erst dann als maßgeblich betrachte, wenn ein Gericht sie gebilligt habe, den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz mit tatsächlich effektuiertem Rechtsschutz gleichgesetzt.300 Diese Gleichsetzung finde in der Verfassung jedoch keine Stütze; der in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verankerte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz bedeute ursprünglich, dass sich der Bürger zum Schutze vor der Verwaltung an einen neutralen Dritten, an ein Gericht, wenden können solle. Unter Hinweis auf die Judikatur des BVerfG wird vorgebracht, Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG garantiere das Recht des Bürgers auf eine „tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle“. Die Ansicht des BVerwG laufe aber darauf hinaus, dass das Gericht notwendigerweise Mitwirkender in dem Streit werde. Dies liege nicht im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG.301 Abgesehen hiervon wird die grundrechtsbezogene Begründung auch deshalb kritisiert, weil mit dieser Begründung das Institut der Bestandskraft von Verwaltungsakten, das als Gebot der Rechtssicherheit und damit der Rechtsstaatlichkeit auch einen verfassungsrechtlichen Hintergrund habe, überhaupt „aus den Angeln gehoben“ werden könnte. Nach dem gleichen Muster und mit demselben Ergebnis müsste man sich zur Überwindung der Bestandskraft dann auch auf andere Grundrechte berufen können.302 Abschließend ist in diesem Kontext festzustellen, dass eine Feststellungswirkung sachlich ablehnender Verwaltungsakte nicht stets ausgeschlossen ist. Das BVerwG selbst hat in seinem Urteil aus dem 48. Band ausdrücklich betont, seine dort getroffenen Feststellungen beschränkten sich allein auf die behördliche Ablehnung eines Baugenehmigungsantrags und gelten nicht für die Tragweite der Bestandskraft anderer Verwaltungsakte.303 Als Beispiel für einen Feststellungswirkung entfaltenden ablehnenden Verwaltungsakt ist die sachliche Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Vertriebenenausweises nach dem BVFG zu nennen, denn neben der Ablehnung der beantragten Ausweiserteilung selbst (als der „reinen“ Rechtsfolge) ist auch die negative Feststellung, dass der als Vorfrage für die Entscheidung über die Erteilung des Vertriebenenausweises relevante Vertriebenenstatus des Antragstellers nicht besteht, Bestandteil der Regelung.304 Einen Grund für die hier bejahte Feststellungswirkung nennt das 300

J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 192 f. Zum Ganzen: Rohlfing, S. 164 f. 302 Zum Ganzen: Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2792. 303 BVerwGE 48, 271, 278 f. Dies betont ausdrücklich: BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 723. 304 s. nur: BVerwG, DÖV 1993, 1094, 1095 (unter Hinweis darauf, dass diese Feststellungswirkung grundsätzlich nur im Verhältnis der Behörde zu dem Antrag301

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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BVerwG – soweit erkennbar – nicht. Die positive bzw. negative Feststellung hinsichtlich des Vertriebenenstatus hat allerdings Auswirkungen auf Ansprüche des Antragstellers in anderen Bereichen, für deren (Nicht-)Vorliegen die (positive bzw. negative) Feststellung des Vertriebenenstatus vorgreiflich ist. Vieles spricht deshalb dafür, dass hier aus eben diesem Grunde eine weitergehende Bindung gewollt ist. bb) Persönlicher Umfang der materiellen Bestandskraft Anders als im Prozessrecht, wo der persönliche Umfang der materiellen Rechtskraft in § 121 VwGO bzw. den §§ 325 ff. ZPO geregelt ist, ist der persönliche Umfang der materiellen Bestandskraft gesetzlich nicht geregelt. Um wie im Prozessrecht aber diejenigen zu erfassen, für die der betreffende Verwaltungsakt Gültigkeit beansprucht, werden alle diejenigen in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft einbezogen, für die der Verwaltungsakt bestimmt ist oder die von ihm betroffen werden (§ 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG).305 Eine Verfahrensbeteiligung im Sinne des § 13 VwVfG ist für eine sachliche Betroffenheit dabei nicht erforderlich.306 Neben dem erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener307 werden daher die übrigen von dem Verwaltungsakt Betroffenen, also – insbesondere –308 der bzw. die Adressaten sowie ggfls. betroffene Dritte.309 steller bestehe; eine Bindung gegenüber Dritten komme nur bei einer gesetzlichen Anordnung in Betracht). Die Feststellungswirkung besteht im Übrigen auch im Falle der Erteilung des Vertriebenenausweises (s. nur: BVerwG, ebenda). 305 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 85. 306 s. nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 87. Ausführlich insbesondere zu dem Verhältnis zwischen dem von § 13 VwVfG und dem von § 43 Abs. 1 S. 2 VwVfG erfassten Personenkreis: Seibert, S. 247 f. und S. 250 ff.; Rohlfing, S. 177 f. 307 s. zu diesbezüglichen Einzelheiten oben, A. I. 2. a) bb) (b) (aa). Ausdrücklich dessen Einbeziehung in den persönlichen Umfang der materiellen Bestandskraft bejahend z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 88 ff.; Becker, S. 56 f.; Rohlfing, S. 176 ff.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 191; Kopp, DVBl. 1983, 392, 400; Randak, JuS 1992, 33, 35. 308 In Anlehnung an die persönlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen wird auch die Einbeziehung von in den prozessrechtlichen Bestimmungen der §§ 325 ff. ZPO (in Verbindung mit § 173 VwGO) genannten Rechtsnachfolgern in Betracht gezogen, vgl. dazu nur: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 86. 309 Z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 88; Becker, S. 56; Rohlfing, S. 176; Maurer, § 11, Rn. 6; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Randak, JuS 1992, 33, 35; wohl auch: Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 191; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; enger (nur die Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 13 VwVfG einbeziehend): Huxholl, S. 75; Kopp, DVBl. 1983, 392, 400; Kopp/Ramsauer, § 43,

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2. Teil: Abweichungsverbote

Vor dem Hintergrund der rechtsvergleichenden Thematik ist in diesem Kontext abschließend auf die Frage einzugehen, wer konkret als Adressat eines Verwaltungsaktes gebunden wird, falls ein solcher an den Staat, d.h. den Bund oder ein einzelnes Bundesland310 gerichtet ist. Denkbar ist eine solche Konstellation etwa dann, wenn dem Bund oder einem Bundesland eine Baugenehmigung erteilt wird. Gebunden werden könnten in diesem Falle sämtliche Organe des Staates.311 Gegen eine Einbeziehung sämtlicher Organe spricht jedoch, dass eine Baugenehmigung dem Staat „wie einem Privatmann“, ihm also in seiner Stellung als Rechtssubjekt, als Träger von Rechten und Pflichten erteilt wird. In Fortführung des an früherer Stelle bereits dargelegten Gedankens, dass der Staat allein in seinen Verwaltungsbehörden als Rechtssubjekt präsent ist,312 dürfte einem dem Staat erteilte Baugenehmigung daher allein dessen jeweilige Verwaltungsbehörden binden. Dies würde etwa im Falle einer dem Bund erteilten Baugenehmigung im Einzelnen bedeuten: Gebunden würden alle Behörden und sonstigen Stellen der unmittelbaren Bundesverwaltung. Dies wären die obersten Bundesbehörden, etwa die Bundesregierung, ferner die Bundesoberbehörden, d.h. die den Bundesministerien nachgeordneten Behörden, die sachlich für bestimmte Verwaltungsaufgaben und örtlich für das gesamte Bundesgebiet zuständig sind (z. B.: das Bundeskriminalamt), sowie ggfls. nur für bestimmte Sachbereiche zuständige weitere Behörden (vgl. Art. 87 Abs. 1, 87 b GG), etwa der Auswärtige Dienst.313 Nicht gebunden würden demgegenüber die Behörden der mittelbaren Bundesverwaltung314 sowie die sog. „Beliehenen“315. cc) Zeitlicher Umfang der materiellen Bestandskraft Der Umfang der materiellen Bestandskraft ist auch in zeitlicher Hinsicht nicht geregelt. Die daher zu seiner Bestimmung berufene Judikatur und Literatur greifen auch zur Lösung dieser Frage auf das prozessrechtliche VorRn. 31; unter Bezugnahme auf die Kommentierung von Kopp/Ramsauer auch: BGH, NVwZ 2004, 763. 310 Z. B.: Zippelius/Würtenberger, § 15 I. 1. b); Maurer, § 21, Rn. 7. 311 So möglicherweise: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 24 i. V. m. Rn. 27. 312 s. o., A. I. 2. a) bb) (b) (aa). 313 Zum Ganzen: Maurer, § 22, Rn. 37 ff. 314 Mittelbare Bundesverwaltung liegt vor, wenn der Bund seine Verwaltungsaufgaben nicht selbst wahrnimmt, sondern rechtlich selbständigen Organisationen überträgt oder überlässt (vgl.: Maurer, § 23, Rn. 1). Hierzu gehören die rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, Anstalten und Stiftungen, vgl. auch § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (Maurer, ebenda). 315 Dazu: Maurer, § 21, Rn. 11.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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bild der materiellen Rechtskraft zurück.316 Diese bezieht sich stets nur auf die im Zeitpunkt der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage.317 Dementsprechend wird der zeitliche Umfang der materiellen Bestandskraft grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes erstreckt mit der Folge, dass spätere Veränderungen der der Regelung zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände von der Bindung nicht mehr erfasst werden.318 Wie im Gemeinschaftsrecht gilt dies sowohl zugunsten als auch zu Lasten der Betroffenen.319 Wie dort kann der erlassende Entscheidungsträger aber Änderungen der Sach- oder Rechtslage zum Anlass nehmen, den materiell bestandskräftigen Verwaltungsakt auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und, sofern eine Aufhebung bzw. Abänderung mittels actus contrarius zulässig ist,320 den bestandskräftigen Verwaltungsakt je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls aufheben bzw. abändern. Ein Betroffener selbst hat allein unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG einen Anspruch gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger auf Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes und ggfls. dessen Änderung zu seinen Gunsten.321 b) Konsequenzen für den Umfang des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft Wegen der an die materielle Bestandskraft angelehnten Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers ist dieser in dem sachlichen, persönlichen und zeitlichen Umfang gebunden, in dem es die durch die materielle Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen sind: In sachlicher Hinsicht ist der erlassende Entscheidungsträger an die verbindlich nach außen getrof316

Vgl. nur: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 95. In Bezug auf § 322 ZPO: Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, vgl.: Vollkommer, in: Zöller, vor § 322, Rn. 53; Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 35; in Bezug auf § 121 VwGO: Zeitpunkt, auf den die gerichtliche Entscheidung abstellt, vgl.: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 28. 318 FG Köln, EFG 2002, 846; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 95; Becker, S. 56; Domke, S. 113; Braun, S. 72 ff.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 191; Randak, JuS 1992, 33, 34. Zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt im deutschen Recht s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (1) (a) (aa). 319 s. o., A. I. 2. a) cc). 320 s. dazu ausführlich oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. 321 s. bzgl. § 51 VwVfG bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. III. (1) (a) (aa). 317

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2. Teil: Abweichungsverbote

fene Regelung, die idealiter in dem verfügenden Teil des Verwaltungsaktes zum Ausdruck kommt, gebunden. Grundsätzlich besteht die Regelung eines Verwaltungsaktes allein aus der Regelung verstanden als Subsumtionsschluss. Ausnahmsweise können aber auch diese „reine“ Rechtsfolge tragende rechtliche Feststellungen Gegenstand der Regelung sein (so die richterrechtlich entwickelte Feststellungswirkung). In persönlicher Hinsicht ist der erlassende Entscheidungsträger in den persönlichen Grenzen der materiellen Bestandskraft gebunden. Diese erstreckt sich auf die von dem Verwaltungsakt Betroffenen, also den bzw. die Adressaten, ggfls. betroffene Dritte sowie den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener. Der erlassende Entscheidungsträger ist in dieser Hinsicht jedoch nur dann bei einer späteren Entscheidungsfindung gebunden, wenn die von dem zu erlassenden Verwaltungsakt Betroffenen alle auch bereits in die persönlichen Grenzen des ihnen gegenüber materiell bestandskräftigen Erstverwaltungsaktes einbezogen waren.322 In zeitlicher Hinsicht ist der erlassende Entscheidungsträger allein an die im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes maßgebliche Sach- und Rechtslage gebunden. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf obige, hier entsprechend geltende Darstellung verwiesen.323 II. (Selbst-)Bindungswirkung 1. Bestehen der (Selbst-)Bindungswirkung a) Bestehen und Geltungsgrundlage der (Selbst-)Bindungswirkung Bereits vor dem Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft unterliegt der erlassende Entscheidungsträger einem bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbot, der sog. „(Selbst-)Bindungswirkung“324. 322 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 106 sowie Rn. 108 (bzgl. des erlassenden Entscheidungsträgers unter Einbeziehung auch des Rechtsträgers der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde). 323 Lit. a). 324 So die wohl am häufigsten gewählten Bezeichnungen: von „Bindungswirkung“ sprechen: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14; Knoke, S. 100; Domke, S. 54; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 189 (beschränkt auf die Bindung in anderen Verwaltungsverfahren); ohnehin: Seibert, S. 194; Blanke, S. 152; die Bezeichnung „Selbstbindungswirkung“ wählen: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 127; Ammelburger, S. 27 (s. aber andererseits: S. 10); Randak, JuS 1992, 33, 36. Synonyme Bezeichnungen:

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Die (Selbst-)Bindungswirkung ist gesetzlich, namentlich auch in § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwVfG, nicht geregelt.325 Nach nicht näher begründeter Ansicht des BVerwG326 bedarf sie auch keiner gesetzlichen Grundlage. Soweit ersichtlich, ist ihr Bestehen im Übrigen sowohl in der Judikatur327 als auch in der Literatur328 wohl allgemein anerkannt.329 Als Geltungsgrund der (Selbst-)Bindungswirkung wird angegeben, die ab Beginn der äußeren Wirksamkeit bestehenden Aufhebungsverbote seien nur dann sinnvoll, wenn auch bereits mit Eintritt der inneren Wirksamkeit ein Abweichungsverbot bestehe, die Aufhebungsverbote setzten daher konkludent das Bestehen von Abweichungsverboten voraus.330 Die bestandskraftunabhängige (Selbst-)Bindungswirkung ist allerdings nur dann relevant, wenn und soweit ein belastender und daher zunächst anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt. Im Falle eines ausschließlich begünstigenden Verwaltungsaktes ist dieser aufgrund seiner von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit bereits mit seinem Erlass bestandskräftig.331 In diesem Falle ist der erlassende Entscheidungsträger sofort dem Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft unterworfen. b) Begriff der (Selbst-)Bindungswirkung Der Begriff der (Selbst-)Bindungswirkung ist gesetzlich nicht definiert. Wohl überwiegend wird – heute –332 unter (Selbst-)Bindungswirkung die „Bindungskraft im materiellen Sinne“: Achterberg, § 23, Rn. 40; „Selbstbindung“: BGH, NJW 1998, 3055, 3056; BayVGH, NJW 1989, 3235, 3236; ferner: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 2 (alternativ: „Tatbestandswirkung“); „Tatbestandswirkung“: BVerwGE 60, 111, 117; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BFHE 175, 294, 298. 325 Dazu: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 12; a. A.: Ammelburger, S. 27 (Grundlage der Selbstbindungswirkung seien die §§ 43 Abs. 2, 48, 49 VwVfG). 326 E 60, 111, 117. 327 Vgl. z. B.: BGH, NJW 1998, 3055 f.; auch: BVerfGE 2, 380, 392; BVerwGE 15, 332, 335; 60, 111, 116 f. (S. 117: Bindung nur an einen positiven Bescheid); 60, 316, 322; 68, 241, 245; BayVGH, NJW 1989, 3235, 3236; BFHE 175, 294, 298. 328 Z. B.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 127; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14 ff.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 14 f.; Achterberg, § 23, Rn. 40; Randak, JuS 1992, 33, 36. 329 So auch der Befund von Randak (ders., JuS 1992, 33, 36). 330 Randak, JuS 1992, 33, 36 f. Vgl. auch bereits oben, Einleitung, A. I. 331 Zur Bestandskraftfähigkeit eines ausschließlich begünstigenden Verwaltungsaktes s. bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. I. 1. a). Zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt s. ebenfalls oben, ebenda, II. (1) (a) (aa). 332 Zum früheren (uneinheitlichen) Begriffsverständnis s. nur: Knoke, S. 100; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188.

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2. Teil: Abweichungsverbote

Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an den von ihm erlassenen und bekanntgegebenen Inhalt eines Verwaltungsaktes verstanden.333 Ihr prozessrechtliches Pendant wird in dem in § 318 ZPO (in Verbindung mit § 173 VwGO) neben dem Aufhebungsverbot als zweite Bindungswirkung normierten innerprozessualen Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Gericht gesehen.334 c) Voraussetzungen für den Eintritt der (Selbst-)Bindungswirkung Die (Selbst-)Bindungswirkung gelangt zur Entstehung, sobald ein ihr fähiger Verwaltungsakt, d.h. ein (äußere und innere) Wirksamkeit besitzender Verwaltungsakt jeden Inhalts vorliegt.335 Die (Selbst-)Bindungswirkung tritt dann – jedenfalls nach wohl überwiegender Ansicht in der Literatur –336 als 333 Vgl.: BVerfGE 2, 380, 392; BVerwGE 15, 332, 335; 60, 111, 116 f. (S. 117: Bindung nur an einen positiven Bescheid); 60, 316, 322; 68, 241, 245; BayVGH, NJW 1989, 3235, 3236; BGH, NJW 1998, 3055 f.; BFHE 175, 294, 298; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 51 und Rn. 127; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 3; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 2; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 5; Knoke, S. 100; Achterberg, § 23, Rn. 40; Kutschera, S. 178 f.; Ammelburger, S. 27 (anders S. 10; dort wird die Selbstbindungswirkung lediglich als Möglichkeit für den erlassenden Entscheidungsträger beschrieben, sich selbst zu binden); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395 f.; Merten, NJW 1983, 1993, 1996; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 172 f. und 184; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; Fluck, VerwArch. 80 (1989), 223, 227; Randak, JuS 1992, 33, 36. 334 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 127; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 2 i. V. m. Rn. 1; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395; Randak, JuS 1992, 33, 36. Zum zivilprozessualen Verständnis: Reichold, in: Thomas/Putzo, § 318, Rn. 4. 335 Zur Unerheblichkeit des konkreten Inhalts im Falle der (Selbst-)Bindungswirkung: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14; Seibert, S. 192 ff. (194); Kopp, DVBl. 1983, 392, 395; Randak, JuS 1992, 33, 36; speziell auch in Bezug auf einen deklaratorisch-feststellenden Inhalt: BVerwGE 8, 261, 267 f.; BayVGH, NJW 1989, 3235, 3236. Nichtigkeit schließt eine (Selbst-)Bindungswirkung aus (Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395 f.). Zum Erfordernis der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes sowie zu dessen (möglichen) Inhalt s. bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (1) (a). 336 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 52 und Rn. 126; Seibert, S. 208; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 5; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 3; Hubert Meyer, in: Knack, vor § 43, Rn. 31 sowie § 43, Rn. 14; Knoke, S. 100; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188; Merten, NJW 1983, 1993, 1196; Fluck, VerwArch. 80 (1989), 223, 227; Randak, JuS 1992, 33, 36; die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes und demzufolge den Beginn seiner äußeren Wirksamkeit als maßgeblichen Zeitpunkt befürwortend dagegen: BVerfGE 2, 380, 392; BGH, NJW 1998, 3055, 3056; ferner: Kutschera, S. 178; Ammelburger, S. 27.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

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Folge der inneren Wirksamkeit ein.337 Ob sie in den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, bei Beginn der zeitlich ersten inneren Wirksamkeit mit Wirkung für und gegen sämtliche Betroffene oder – der relativen inneren Wirksamkeit entsprechend –338 beschränkt auf den betroffenen Einzelnen eintritt, wird in Judikatur und Literatur nicht einheitlich beantwortet: Während der BGH339 von der zuerst genannten Möglichkeit ausgeht (er geht sogar davon aus, maßgeblicher Zeitpunkt sei bereits die zeitlich erste äußere Wirksamkeit), wird in der Literatur340 die zweite Möglichkeit befürwortet. d) Fortbestand der (Selbst-)Bindungswirkung Die (Selbst-)Bindungswirkung besteht, solange der Verwaltungsakt (äußere und innere) Wirksamkeit besitzt. Der Wegfall der äußeren Wirksamkeit infolge einer zumindest teilweise erfolgreichen Anfechtungs- oder Versagungsgegenklage bzw. eines zumindest teilweise erfolgreichen Widerspruchs entzieht der inneren Wirksamkeit ihre Grundlage.341 Die äußere Wirksamkeit kann daneben auch durch eine Aufhebung mittels actus contrarius fortfallen.342 Da insoweit der erlassende Entscheidungsträger regelmäßig zuständig ist, kann er seine Bindung in eigener Initiative beenden, vorausgesetzt, die Aufhebung des in Rede stehenden Verwaltungsaktes mittels actus contrarius ist zulässig. Wie das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft steht die (Selbst-)Bindungswirkung daher unter dem Vorbehalt der Aufhebung des betreffenden Verwaltungsaktes mittels actus contrarius.343 e) Folgen der (Selbst-)Bindungswirkung Sobald und solange der erlassende Entscheidungsträger der (Selbst-)Bindungswirkung unterliegt, ist er an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung gehindert.344 337 Zur inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. II. (1) (a) (bb). 338 Zur Relativität der inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes s. o., ebenda. 339 NJW 1998, 3055 f. (3056). 340 Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15. 341 Zu den einschlägigen aufhebungs- bzw. anfechtungsrelevanten Rechtsbehelfen s. o., Einleitung, D. 342 Dazu ausführlich oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. 343 s. o., I. 1. d). 344 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 127; Randak, JuS 1992, 33, 36; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 50, Rn. 2; Seibert, S. 192 ff. (einschränkend aber in

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2. Teil: Abweichungsverbote

Das Wiederholungsverbot dürfte jedoch vor dem Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft praktisch bedeutungslos sein, da der erlassende Entscheidungsträger einen erneuten Antrag in derselben Angelegenheit bei unveränderter Sach- und Rechtslage in aller Regel wohl eher als Widerspruch im Sinne des § 69 VwGO auslegen dürfte.345 Die Folgen der (Selbst-)Bindungswirkung werden im deutschen Recht insbesondere im Rahmen sog. „gestufter Verwaltungsverfahren“ relevant. Diese haben einen Antrag auf Erlass von bau-, atom- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen zum Gegenstand und sind dadurch gekennzeichnet, dass wegen der rechtlichen und tatsächlichen Komplexität dieser Genehmigungsverfahren der Prüfungsstoff in einzelne Genehmigungsstufen abgeschichtet wird. Dementsprechend werden anstelle einer einzelnen und zugleich abschließenden Gesamtgenehmigung sog. „Teilgenehmigungen“, d.h. Gestattungen jeweils eines Teils des Gesamtvorhabens erteilt.346 Diese stehen dergestalt in einem funktionalen Zusammenhang, dass die jeweiligen Teilgenehmigungen schließlich die Gesamtgenehmigung bilden.347 Neben den Teilgenehmigungen können zusätzlich auch sog. „Vorbescheide“, d.h. verbindliche Feststellungen einzelner Genehmigungsvoraussetzungen erlassen werden.348 Die (Selbst-)Bindungswirkung sichert in diesen Verwaltungsverfahren deren widerspruchsfreie Durchführung vor Eintritt der materiellen Bestandskraft einzelner Teilgenehmigungen oder Vorbescheide und damit vor Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger.349

Bezug auf das Wiederholungsverbot, vgl. S. 124 f.); Achterberg, § 23, Rn. 40; Kutschera, S. 178; Ammelburger, S. 10 und S. 27; Kopp, DVBl. 1983, 392, 395 f. (396); Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666; grundsätzlich auch: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 14; restriktiver (nicht zu Lasten eines Begünstigten): Henneke, in: Knack, vor § 35, Rn. 27; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 3; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 189 und 190; wohl auch: BVerwGE 15, 332, 335; 68, 241, 245. 345 Seibert, S. 511. 346 Zum Begriff der Teilgenehmigung s. nur: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 183. 347 Zur Relevanz der (Selbst-)Bindungswirkung im Rahmen gestufter Verwaltungsverfahren vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 128; Randak, JuS 1992, 33, 36. Zu den gestuften Verwaltungsverfahren vgl. nur: Becker, S. 13. 348 s. nur: Becker, S. 13. Zum Begriff des Vorbescheids s. nur: P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35, Rn. 83. 349 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 128.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

243

2. Umfang der (Selbst-)Bindungswirkung Der Umfang der (Selbst-)Bindungswirkung entspricht dem Umfang des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft.350 Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf obige Darstellung verwiesen.351 III. Zusammenfassung Das deutsche Recht erkennt gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger zwei Abweichungsverbote an: das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft und die bestandskraftunabhängige (Selbst-)Bindungswirkung. 1. Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger besteht das in Judikatur und Literatur – mehr oder weniger offenkundig – anerkannte Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft, das eine auf Dauer angelegte Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers zum Gegenstand hat. Dieses gelangt im Verhältnis zu dem Eintritt der – in Anlehnung an die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entwickelten – materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen reflexartig zur Entstehung. Dogmatisch betrachtet wird der erlassende Entscheidungsträger damit – im Verhältnis zu der infolge der materiellen Bestandskraft begründeten (unmittelbaren) Bindung eines Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig akzessorisch an den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsaktes gebunden: Das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft gelangt zur Entstehung, sobald die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen bewirkt wird. Die materielle Bestandskraft, unter der die Maßgeblichkeit des Inhalts eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes für die Betroffenen zu verstehen ist, tritt ein, sobald ein ihr fähiger, d.h. ein wirksamer Verwaltungsakt jeden Inhalts allseitig unanfechtbar wird, d.h. in absolute formelle Bestandskraft erwächst. Das offensichtlich insbesondere der Gewährleistung von Rechtssicherheit dienende Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft besteht, solange die materielle Bestandskraft fortbesteht. Ihr Fortbestand hängt von dem der formellen Bestandskraft ab. Hervorzuheben ist in diesem Kontext, dass der erlassende Entscheidungsträger in eigener Initiative den Fortfall der materiellen Bestandskraft herbei350

s. bzgl. dieses Befundes: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 128; Randak, JuS 1992, 33, 36. Vgl. etwa hinsichtlich des konkreten sachlichen Umfangs: BFHE 175, 294, 298; ferner Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 15. 351 s. o., I. 2. b).

244

2. Teil: Abweichungsverbote

führen kann, sofern er den betreffenden Verwaltungsakt mittels actus contrarius nach den grundsätzlich insoweit einschlägigen Bestimmungen der §§ 48 ff. VwVfG aufhebt. Seine Bindung steht aus diesem Grunde unter dem Vorbehalt eigener Aufhebung des bestandkräftigen Verwaltungsaktes mittels actus contrarius. In Einklang mit den für die materielle Bestandskraft anerkannten Folgen (sie gilt sowohl in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes als auch in denen seiner Identität; letzterenfalls bedeutet dies die Anerkennung eines Wiederholungsverbotes) bewirkt das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft, dass der erlassende Entscheidungsträger den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsaktes bei einem später zu erlassenden Verwaltungsakt sowohl in den Fällen der Identität des Entscheidungsgegenstandes (es gilt ein Wiederholungsverbot) als auch in denen seiner Präjudizialität als gegeben zugrundezulegen hat. Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes mittels actus contrarius ist der erlassende Entscheidungsträger daher an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung gehindert. Aufgrund der im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft angelehnten Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers ist dieser bei einem später zu erlassenden Verwaltungsakt in dem Umfang an den Inhalt des bestandskräftigen Erstverwaltungsaktes gebunden, in dem die von ihm Betroffenen infolge der materiellen Bestandskraft gebunden sind: In sachlicher Hinsicht umfasst die Bindung lediglich die verbindlich nach außen getroffene Regelung, die idealiter in dem verfügenden Teil des Verwaltungsaktes zum Ausdruck kommt. In Anlehnung an den sachlichen Umfang der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen beinhaltet die Regelung grundsätzlich nur den Subsumtionsschluss, d.h. die „reine“ Rechtsfolge. Die in der Begründung eines Verwaltungsaktes enthaltenen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Würdigungen einschließlich der Vorfragen werden daher nicht in den sachlichen Umfang einbezogen. Die Judikatur schließt eine Bindung an in der Begründung eines Verwaltungsaktes enthaltene tatsächliche oder rechtliche Feststellungen für sich selbst unter Hinweis auf die in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Rechtsschutzgarantie aus; in der Literatur wird die Beschränkung der Bindung auf die Regelung damit begründet, diese entspreche bei einem rechtmäßigen Verwaltungsakt der gesetzlich eingeräumten Sachentscheidungskompetenz. Wohl in Abweichung von dem – in Anlehnung an den sachlichen Umfang der materiellen Rechtskraft bestimmten – Gegenstand der materiellen Bestandskraft können ausnahmsweise auch die „reine“ Rechtsfolge tragende rechtliche Feststellungen zugleich Gegenstand der Regelung sein. Diese richterrechtlich entwickelte Ausnahme wird namentlich in der Judikatur als

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

245

Feststellungswirkung bezeichnet. Als klassisches Beispiel für einen diese Feststellungswirkung entfaltenden Verwaltungsakt wurde die Baugenehmigung genannt. Ihre verbindlich nach außen getroffene Regelung beinhaltet nach der Judikatur neben der Baufreigabe, dem gestattenden Teil der Regelung, auch die Feststellung der Vereinbarkeit des zur Genehmigung gestellten Bauvorhabens einschließlich der ihm zugedachten Nutzung mit denjenigen im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht Prüfungsgegenstand des betreffenden bauordnungsrechtlichen Verfahrens sind (feststellender Teil der Regelung). Nach einem weniger wegen seines Ergebnisses als vielmehr ganz offensichtlich allein wegen seines grundrechtsbezogenen Begründungsteils seitens der Literatur vielkritisierten Grundsatzurteil des BVerwG entfaltet ein ein Baugesuch sachlich ablehnender Bescheid demgegenüber keine Feststellungswirkung. Der Bauantragsteller braucht nach Auffassung des BVerwG lediglich seinen derzeit (vermeintlichen) Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung in das Verfahren einzubringen. Regelungsgegenstand eines das Baugesuch sachlich ablehnenden Bescheides ist demzufolge nur die Verneinung dieses derzeitigen Anspruchs auf Genehmigungserteilung. Ausdrücklich beschränkt das BVerwG in diesem Urteil die Ablehnung einer Feststellungswirkung allerdings auf die sachliche Ablehnung eines Baugesuchs und schließt eine Feststellungswirkung sachlich ablehnender Verwaltungsakte in anderen Bereichen nicht per se aus. Dies zeigt etwa auch die Anerkennung der Feststellungswirkung einer sachlichen Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Vertriebenenausweises nach dem BVFG. Entsprechend den prozessrechtlichen Bestimmungen (§ 121 VwGO; §§ 325 ff. ZPO) umfasst die Bindung in persönlicher Hinsicht alle diejenigen, für die der Verwaltungsakt bestimmt ist oder die von ihm betroffen sind (§ 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Ohne Rücksicht auf eine etwa vorhandene Verfahrensbeteiligung im Sinne des § 13 VwVfG werden alle von dem Verwaltungsakt sachlich Betroffenen erfasst. Bei diesen handelt es sich neben dem erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener insbesondere um den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte. Für den erlassenden Entscheidungsträger bedeutet die so gegebene Bindung in persönlicher Hinsicht, dass er bei einem später zu erlassenden Verwaltungsakt nur dann gebunden ist, wenn sämtliche in die subjektiven Grenzen der materiellen Bestandskraft einbezogenen Betroffenen auch Betroffene der nun zu erlassenden Zweitentscheidung sind. Ergeht ein Verwaltungsakt wie etwa eine Baugenehmigung an den Staat, dürften – in Fortführung des Gedankens, dass der Staat allein in seinen Verwaltungsbehörden als Rechtssubjekt präsent ist – die Verwaltungsbehör-

246

2. Teil: Abweichungsverbote

den des Staates gebunden werden. Im Falle eines an den Bund gerichteten Verwaltungsaktes hieße dies konkret, dass die Behörden und sonstigen Stellen der unmittelbaren Bundesverwaltung, die im Grundsatz zweistufig organisiert ist, gebunden würden. Nicht gebunden würden dagegen die Behörden und sonstigen Stellen der mittelbaren Bundesverwaltung sowie die Beliehenen. In zeitlicher Hinsicht umfasst die Bindung die im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes maßgebliche Sach- und Rechtslage. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Veränderungen der der Regelung zugrundeliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Umstände werden von der Bindung demzufolge nicht mehr erfasst. Dies gilt sowohl zugunsten als auch zu Lasten der Betroffenen. Nicht ausgeschlossen ist, dass der erlassende Entscheidungsträger aber Änderungen der Sach- oder Rechtslage zum Anlass nimmt, den materiell bestandskräftigen Verwaltungsakt zu überprüfen und ggfls. mittels actus contrarius aufzuheben, vorausgesetzt, dies ist zulässig. Ein Betroffener hat allein unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG einen Anspruch gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger auf Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes und ggfls. dessen Änderung zu seinen Gunsten. 2. Bereits vor dem Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft besteht gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger ein in Judikatur und Literatur – soweit ersichtlich – allgemein anerkanntes Abweichungsverbot, die sog. (Selbst-)Bindungswirkung. Deren Pendant wird in dem in § 318 ZPO (in Verbindung mit § 173 VwGO) neben dem Aufhebungsverbot normierten innerprozessualen Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Gericht gesehen. Unter (Selbst-)Bindungswirkung wird heute wohl überwiegend die Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers an den von ihm erlassenen und bekanntgegebenen Inhalt eines Verwaltungsaktes verstanden. Die (Selbst-) Bindungswirkung, die nur relevant ist, sofern ein Verwaltungsakt belastende Rechtswirkungen entfaltet und daher zunächst anfechtbar ist, tritt als Folge der inneren Wirksamkeit ein und setzt das Vorliegen eines wirksamen Verwaltungsaktes ohne Rücksicht auf seinen (möglichen) Inhalt voraus. Nach Ansicht des BGH gelangt die (Selbst-)Bindungswirkung in dem Falle, dass ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, mit Beginn der zeitlichen ersten äußeren Wirksamkeit mit Wirkung für und gegen sämtliche Betroffene zur Entstehung, während in der Literatur – der relativen inneren Wirksamkeit entsprechend – demgegenüber wohl eine relative, zudem an die innere Wirksamkeit anknüpfende (Selbst-)Bindungswirkung favorisiert wird. Die (Selbst-)Bindungswirkung besteht, solange der Verwaltungsakt wirksam ist. Sobald die äußere Wirksamkeit fortfällt, wird der inneren Wirk-

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

247

samkeit ihre Grundlage entzogen. Eine Bestandsbeseitigung kommt zum einen aufgrund einer zumindest teilweise erfolgreichen Anfechtungs- oder Versagungsgegenklage bzw. eines zumindest teilweise erfolgreichen Widerspruchs, zum anderen infolge Aufhebung des Verwaltungsaktes von Seiten des insoweit regelmäßig zuständigen erlassenden Entscheidungsträgers mittels actus contrarius in Betracht. Da der erlassende Entscheidungsträger die Bindung an den von ihm erlassenen Verwaltungsakt auf eigene Initiative beenden kann, wird sie – ebenso wie das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft – als unter dem Vorbehalt der Aufhebung des Verwaltungsaktes mittels actus contrarius stehend gekennzeichnet. Die (Selbst-)Bindungswirkung hindert den erlassenden Entscheidungsträger an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung. Praktisch relevant werden die Folgen dieses bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes insbesondere im Rahmen gestufter Verwaltungsverfahren. Hier sichert sie deren widerspruchfreie Durchführung vor Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft. Der Umfang der (Selbst-)Bindungswirkung entspricht dem Umfang, in dem der erlassende Entscheidungsträger aufgrund des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft gebunden ist (vgl. insoweit die obige Zusammenfassung).

C. Vergleich Sowohl das Gemeinschaftsrecht als auch das deutsche Recht erkennen gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger das Bestehen von jeweils zwei Abweichungsverboten an: je ein bestandskraftabhängiges (im deutschen Recht selbst auch als materielle Bestandskraft bezeichnet) sowie je ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot (im deutschen Recht als [Selbst-]Bindungswirkung bezeichnet). Unter Zugrundelegung der bereits dargelegten Annahme, dass – wie im deutschen Recht in Bezug auf einen ausschließlich begünstigenden Verwaltungsakt – auch im Gemeinschaftsrecht eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der Bestandskraft fähig ist, gewinnt das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot in beiden Rechtsordnungen allein bei Vorliegen einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes Bedeutung, wenn und soweit dieser Rechtsakt belastende Rechtswirkungen entfaltet und damit zunächst anfechtbar ist. Eine ausschließlich begünstigende Entscheidung bzw. ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt wird demgegenüber wegen ihrer bzw. seiner von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit bereits im Zeitpunkt des Erlasses (formell und damit materiell) bestandskräftig.

248

2. Teil: Abweichungsverbote

Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht gelten sämtliche Abweichungsverbote bei jedem Inhalt einer existenten Entscheidung bzw. eines wirksamen Verwaltungsaktes. Die bestandskraftabhängigen Abweichungsverbote gelten zudem ohne Rücksicht auf die begünstigende und/ oder (auch) belastende Natur der von dem Rechtsakt ausgehenden Rechtswirkungen. Die hinsichtlich der Frage der inhaltsbezogenen Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers in beiden Rechtsordnungen bereitgestellten Lösungen weisen im Grundsatz nur Übereinstimmungen, allerdings auch einen, zugleich grundlegenden Unterschied auf: I.1. Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht unterliegt der erlassende Entscheidungsträger aus Gründen der Rechtssicherheit einem Abweichungsverbot, das durch den Eintritt der materiellen Bestandskraft, durch die die von einer Entscheidung bzw. einem Verwaltungsakt Betroffenen auf Dauer an deren bzw. dessen Inhalt gebunden werden, reflexartig ausgelöst wird. Wie bei dem an früherer Stelle bereits untersuchten bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot erweist sich die Entstehung dieses bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes als prompte Reaktion auf die im Interesse der Rechtssicherheit mit Eintritt der materiellen Bestandskraft bei den Betroffenen bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des Gemeinschafts- bzw. Verwaltungsrechtsverhältnisses. Übereinstimmend begründet das Abweichungsverbot damit – dogmatisch betrachtet – eine mittelbare, d.h. über die durch die materielle Bestandskraft begründete (unmittelbare) Bindung der Betroffenen vermittelte, auf Dauer angelegte Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers. Der mittelbare Charakter dieser Bindung bedingt zwangsläufig eine akzessorische, d.h. in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang an die materielle Bestandskraft angelehnte Bindung: Übereinstimmend gelangt das Abweichungsverbot mit Eintritt der materiellen Bestandskraft zur Entstehung, wobei im Gemeinschaftsrecht nicht abschließend zu klären ist, ob das Abweichungsverbot in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, bereits durch eine relative oder – wie im deutschen Recht der Fall – erst durch eine absolute materielle Bestandskraft bewirkt wird.352 352 Wie berichtet, gibt es zwar in der Judikatur möglicherweise Anhaltspunkte dafür, dass die materielle Bestandskraft im Gemeinschaftsrecht bereits als Folge der relativen formellen Bestandskraft eintritt und daher das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot dementsprechend bereits infolge der relativen materiellen Bestandskraft zur Entstehung gelangen würde; da diese mögliche Erkenntnis aber derzeit noch zu unsicher ist, wird von einem tiefergehenden Vergleich dieser möglichen konzeptionellen Divergenz abgesehen.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

249

In beiden Rechtsordnungen hängt das Fortbestehen des Abweichungsverbotes von dem der materiellen Bestandskraft ab. Dessen Fortbestand bestimmt sich wiederum nach dem der formellen Bestandskraft. Aufgrund der bereits an früherer Stelle gewonnenen Erkenntnis, dass die formelle Bestandskraft sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht im Grundsatz auf Dauer angelegt ist und demnach nur ausnahmsweise aufgrund die Rechtssicherheit im Einzelfall überwiegender anderer öffentlicher Interessen beseitigt werden kann,353 bedeutet dies, dass die materielle Bestandskraft und demzufolge das an sie angelehnte Abweichungsverbot allenfalls ausnahmsweise wegfallen kann. Entsprechend der in beiden Rechtsordnungen anerkannten Folgen der materiellen Bestandskraft hindert das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot den erlassenden Entscheidungsträger – vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der bestandskräftigen Erstentscheidung – an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung. 2. Aufgrund der sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht bestehenden Akzessorietät des Abweichungsverbotes auch hinsichtlich des Umfangs der hierdurch begründeten Bindung ist der erlassende Entscheidungsträger bei einer später zu erlassenden Entscheidung bzw. einem später zu erlassenden Verwaltungsakt nur in dem Umfang an den Inhalt einer bestandskräftigen Entscheidung bzw. eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes gebunden, in dem die Betroffenen durch die materielle Bestandskraft selbst gebunden sind. Ein Vergleich des Umfangs des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes lässt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede erkennen: Übereinstimmend erstreckt sich die Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers in zeitlicher Hinsicht allein auf die im Erlasszeitpunkt maßgebliche Sach- und Rechtslage. Übereinstimmend umfasst die Bindung in persönlicher Hinsicht die von der Entscheidung bzw. dem Verwaltungsakte Betroffenen, d.h. – insbesondere –354 der bzw. die Adressat(en), betroffene Dritte (im Falle einer zumindest auch belastenden Entscheidung mit Rücksicht auf den gemeinschaftsrechtlich anerkannten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz allerdings nur zweifellos anfechtungsberechtigte Dritte im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft) sowie der erlassende Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener. Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat bzw. der Staat Adressat einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes ist, zeigt ein Vergleich der jeweils 353

s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, C. Im deutschen Recht offenbar jedenfalls auch Rechtsnachfolger. Die Frage, ob dies im Gemeinschaftsrecht der Fall ist, ist – soweit ersichtlich – völlig offen. 354

250

2. Teil: Abweichungsverbote

gebundenen Organe und Stellen, dass die durch eine solche Entscheidung begründete Bindung in persönlicher Hinsicht wesentlich weiter reicht als die durch einen solchen Verwaltungsakt bewirkte Bindung. Im Gemeinschaftsrecht werden – neben den mitgliedstaatlichen Gerichten –355 sämtliche Träger der öffentlichen Verwaltung gebunden, während es im deutschen Recht lediglich die der unmittelbaren Staatverwaltung zugehörigen Verwaltungsbehörden sein dürften. Diese Divergenz dürfte im Wesentlichen schlicht auf den Einsatz der Entscheidung als supranationales Handlungsinstrument zurückzuführen sein. Als Regelungsinstrument einer supranationalen Rechtsordnung356 steht die Entscheidung über den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Wird nun eine Entscheidung an einen Mitgliedstaat gerichtet, wird dieser ohne Rücksicht auf seine konkrete Staatsform, wie etwa die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG), als Gesamtstaat gebunden.357 Dies verwundert allerdings nicht wirklich, denn die Mitgliedstaaten sind jeweils als Gesamtstaaten Vertragspartei des EG-Vertrages. So ist etwa die Bundesrepublik Deutschland als Bund, d.h. als organisierter Staatenverbund mit eigener Staatsqualität358 und damit als Gesamtstaat Vertragspartei des EG-Vertrages.359 Hinsichtlich des sachlichen Umfangs der Bindung bestehen im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht Gemeinsamkeiten, aber zugleich auch der wohl gravierendste Unterschied in der konzeptionellen Ausgestaltung 355 Die Adressatenstellung bedeutet – wie berichtet – für diese allem Anschein nach nur, dass sie den Vorrang des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen haben. Wie die Gerichte der deutschen Gerichtsbarkeit sind sie keine Betroffenen. 356 s. dazu bereits oben, Einleitung, B. II. 357 Vgl. auch: Müller-Graff, in: Dauses, Bd. 1, A. I., Rn. 69 (gebunden werden die „Mitgliedstaaten als solche“). Vgl. auch: GA Lenz, in: SA in verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289, Rn. 206 i. V. m. Rn. 209 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung) (einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung komme die Qualität eines Rechtssatzes zu; gebunden seien alle staatlichen Organe). 358 Zippelius/Würtenberger, § 14 I. 1. b). 359 Vgl. in diesem Kontext auch die Bestimmung des Art. 32 Abs. 1 GG, nach dem der Bund für die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten zuständig ist; hierzu soll auch eine zwischenstaatliche Einrichtung wie die Europäische Union gehören (Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 32, Rn. 13; a. A.: Pernice, in: Dreier, Bd. II, Art. 32, Rn. 24; Fastenrath/Groh, in: Friauf/Höfling, Bd. 2, Art. 32 [2004], Rn. 33; wohl auch: Streinz, in: Sachs, Art. 32, Rn. 9a; auch: Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 32, Rn. 4). Vgl. ferner den Europaartikel Art. 23 GG, der in seinem Anwendungsbereich den Art. 32 GG verdrängt (s. nur: Jarass, in: Jarass/ Pieroth, Art. 23, Rn. 4). In Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG heißt es: „(. . .) Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union (. . .)“; Art. 23 Abs. 6 S. 2 GG spricht von: „(. . .) gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes (. . .)“.

1. Kap.: Gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger

251

des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes: Übereinstimmend besteht in beiden Rechtsordnungen zunächst eine Bindung an die in einer Entscheidung bzw. einem Verwaltungsakt getroffene Regelung, verstanden als die „reine“ Rechtsfolge. Allem Anschein nach erstreckt sich Bindung im Gemeinschaftsrecht außerdem aber anscheinend stets auch auf zumindest den tragenden Grund der Regelung. Das Gemeinschaftsrecht folgt insoweit offenbar den Regelungen derjenigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, die in Anlehnung an den sachlichen Umfang der materiellen Rechtskraft in den sachlichen Umfang der materiellen Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung – möglicherweise noch infolge römisch-rechtlichen Einflusses –360 neben dem verfügenden Teil eines Hoheitsaktes auch tragende Begründungselemente in die Bindung miteinbeziehen.361 In der deutschen Rechtsordnung ist eine Bindung auch an Begründungselemente eines Hoheitsaktes demgegenüber grundsätzlich nicht vorgesehen.362 Für die Bestimmung des Gegenstandes der materiellen Bestandskraft und demzufolge des Gegenstandes des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft erweist sich der enger gefasste sachliche Bindungsumfang als Folge der Anlehnung an die prozessrechtlichen Regelungen über die Bestimmung des Gegenstandes der materiellen Rechtskraft. Dort hat sich der Gesetzgeber mit der in § 322 ZPO enthaltenen Regelung über die sachlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft363 bewusst gegen die gemeinrechtliche Elementenlehre von Savignys entschieden, nach der sich die Rechtskraft auch auf die Gründe erstrecken sollte, um den gesamten Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung gegen spätere, widersprechende gerichtliche Entscheidungen abzusichern. Die bewusste gesetzgeberische Entscheidung gegen die gemeinrechtliche Elementenlehre von Savignys erfolgte aus Furcht vor einer zu weitgehenden Erstreckung der Rechtskraft auch auf solche in den Gründen enthaltenen tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen, deren Tragweite und Folgen für die Parteien nicht über360

Zum (allerdings offenbar unterschiedlich interpretierten) sachlichen Umfang der Rechtskraft im römischen Recht s. Gaul, in: FS für Flume, S. 443, 473 f. (im Kontext der Erörterung der seitens von Savignys vertretenen „Rechtskraft der Gründe“). 361 s. etwa das französische Recht [s. o., A. I. 2. a) aa) (b)]. 362 Seibert, S. 130. Ausnahme: nach ständiger – nicht unbestrittener (vgl. nur: Pestalozza, § 20, Rn. 90 f. [91]) – Judikatur des BVerfG binden auch die tragenden Gründe einer Entscheidung des BVerfG, soweit sie Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten (z. B.: BVerfGE 1, 14, 37; 19, 377, 392; 40, 88, 93 f.). Diese Ansicht beruht auf einer extensiven Auslegung des § 31 Abs. 1 S. 1 BVerfGG. 363 An § 322 ZPO hat sich der Gesetzgeber bei der erst später geschaffenen Bestimmung des § 121 VwGO offensichtlich orientiert.

252

2. Teil: Abweichungsverbote

schaubar sind und – vor dem Hintergrund der im Zivilprozessrecht herrschenden Dispositionsmaxime – auch nicht beabsichtigt waren.364 Anders als im Gemeinschaftsrecht binden im deutschen Recht demzufolge tragende Teile der Begründung als solche nicht. Sie binden dort jedoch ausnahmsweise über die richterrechtlich entwickelte Feststellungswirkung, durch die als Vorfragen relevante rechtliche Feststellungen zum Bestandteil der Regelung erhoben werden, also selbst zugleich auch Regelungscharakter erhalten. Im Ergebnis bleibt es aber dabei, dass – im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht – im deutschen Recht allein die Regelung bindet, mag deren Gegenstand auch die „reine“ Rechtsfolge tragende Feststellungen umfassen. Sofern die Feststellungswirkung aber besteht, ergeben sich – praktisch gesehen – indes keine Unterschiede zu der gemeinschaftsrechtlichen Lösung, denn nach beiden Konzeptionen wird die Bindung im Ergebnis jeweils um eine als Vorfrage relevante rechtliche Feststellung erweitert. II. Wenn und soweit eine (auch) belastende Entscheidung bzw. ein (auch) belastender Verwaltungsakt vorliegt, besteht gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht bereits vor bzw. – im Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf nicht zweifellos anfechtungsberechtigte Dritte – auch unabhängig von dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot, das im deutschen Recht in Anlehnung an das in § 318 ZPO (in Verbindung mit § 173 VwGO) normierte innerprozessuale Abweichungsverbot entwickelt wurde und als (Selbst-)Bindungswirkung bezeichnet wird. Im Gegensatz zum deutschen Recht, wo als Geltungsgrund für die (Selbst-)Bindungswirkung angeführt wird, die ab dem Eintritt der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes bestehenden Aufhebungsverbote setzten konkludent das Bestehen von Abweichungsverboten voraus, wird – soweit ersichtlich – im Gemeinschaftsrecht kein Geltungsgrund für das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger genannt. Angesichts des erwähnten Sachzusammenhangs, in dem die Judikatur das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot anerkannt haben dürfte, ist allerdings zu vermuten, dass es sich im Gemeinschaftsrecht um denselben Geltungsgrund wie im deutschen Recht handelt. Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot tritt im Gemeinschaftsrecht als Folge der rechtlichen Existenz einer Entscheidung und im deutschen Recht auf der Grundlage der wohl überwiegend vertretenen Auffassung als Folge der inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes ein. Jeden364

Vgl. zum Ganzen: Seibert, S. 300.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

253

falls auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei der (Selbst-)Bindungswirkung um ein absolutes bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot. Im Gemeinschaftsrecht ist die Frage dagegen völlig offen. Ein Vergleich erweist sich an dieser Stelle daher als nicht ergiebig. Übereinstimmend hängt der Fortbestand des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes von dem Fortbestehen der Existenz der Entscheidung bzw. der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes ab. In beiden Rechtsordnungen steht die Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers allerdings unter dem Vorbehalt der Aufhebung der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes mittels actus contrarius. Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes mittels actus contrarius ist der erlassende Entscheidungsträger sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung gehindert. Übereinstimmend ist der erlassende Entscheidungsträger schließlich in dem Umfang an den Inhalt der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes gebunden, in dem er aufgrund des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes gebunden ist (vgl. die diesbezüglichen rechtsvergleichenden Ausführungen oben365).

2. Kapitel

Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern Entsprechend dem Aufbau des Ersten Kapitels beginnt das Zweite Kapitel mit den Darstellungen des Bestehens von Abweichungsverboten und ihrem Umfang gegenüber den anderen Entscheidungsträgern im Kontext der Entscheidungen (Abschnitt A.) und im Kontext der Verwaltungsakte (Abschnitt B.). Im Anschluss daran werden die Lösungen, die beide Rechtsordnungen im Hinblick auf die Frage der Bindung der anderen Entscheidungsträger an den Inhalt einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen nachfolgender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren bereitstellen, verglichen (Abschnitt C.).

365

Ziff. I. 2.

254

2. Teil: Abweichungsverbote

A. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern im Kontext der Entscheidungen Hinsichtlich der Frage des Bestehens von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern, d.h. den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern und den Gerichten,1 ist im Gemeinschaftsrecht allem Anschein nach danach zu unterscheiden, ob das Bestehen eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern oder ob das Bestehen eines Abweichungsverbotes gegenüber den Gerichten in Rede steht. Dementsprechend werden beide Fragen getrennt behandelt. Zunächst wird das Bestehen und der Umfang eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern untersucht (Ziffer I.). Auf der Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Begriffsverständnisses in Bezug auf den erlassenden Entscheidungsträger2 sind unter den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf Gemeinschaftsebene die Kommission, die von den in Art. 7 Abs. 1 S. 1 EG genannten Organen der EG dasjenige Organ ist, das – jedenfalls vorrangig – als Exekutivorgan agiert,3 sowie andere, mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete, exekutive Aufgaben wahrnehmende Entscheidungsträger4 und auf mitgliedstaatlicher Ebene die Behörden der mitgliedstaatlichen Träger der öffentlichen Verwaltung zu verstehen. Im Anschluss daran werden das Bestehen und der Umfang eines Abweichungsverbotes gegenüber den Gerichten, d.h. dem EuGH, dem – aufgrund des Vertrages von Nizza institutionell vom EuGH getrennten –5 EuG sowie den mitgliedstaatlichen Gerichten dargestellt (Ziffer II.). Die uneingeschränkte Einordnung auch der mitgliedstaatlichen Gerichte unter die anderen Entscheidungsträger mag dabei auf den ersten Blick verwundern angesichts der – bereits erwähnten – Möglichkeit, eine Entscheidung an einen Mitgliedstaat zu richten, wodurch auf der Grundlage des bereits erörterten Urteils des EuGH in der Rechtssache Albako Margarinenfabrik Maria von 1

s. o., Einleitung, A. I. s. o., Erstes Kapitel, A. 3 Vgl.: Kugelmann, in: Streinz, Art. 211, Rn. 2. Da die Kommission dasjenige Gemeinschaftsorgan ist, das eine Entscheidung in der Praxis am häufigsten erlässt, tritt sie als anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger praktisch nur ausnahmsweise in Erscheinung. 4 Vgl. dazu bei: Schreiber, S. 42 ff. 5 Zu dieser grundlegenden Änderung: Huber, in: Streinz, Art. 220, Rn. 3. 2

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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der Linde GmbH und Co. KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung sämtliche Organe des betreffenden Mitgliedstaates, also auch seine Gerichte, als Adressaten gebunden werden.6 Die obige nähere Untersuchung dieses Urteils führte aber zu der Erkenntnis, dass nach der richtig verstandenen Judikatur des EuGH die mitgliedstaatlichen Gerichte an dem mittels staatengerichteter Entscheidung begründeten Gemeinschaftsrechtsverhältnis stets unbeteiligt sind und daher niemals Adressaten in dem (üblicherweise verstandenen) Sinne von Betroffenen sind. Ihre rein formelle Adressatenstellung steht daher der Einordnung unter die anderen Entscheidungsträger nicht entgegen.7 Es folgt eine Zusammenfassung der gemeinschaftsrechtlichen Lösung der Frage der Bindung der anderen Entscheidungsträger an den Inhalt einer Entscheidung bei ihrer späteren Entscheidungsfindung (Ziffer III.). I. Bestehen und Umfang eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern 1. Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes a) Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Soweit ersichtlich, hat die Judikatur bislang noch nicht explizit das Bestehen eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern als solches anerkannt. Insbesondere kann diesbezüglich nicht auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Granaria BV/Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten8 zurückgegriffen werden, in dem der EuGH unter Hinweis auf die Notwendigkeit, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in der Gemeinschaft zu wahren, sinngemäß entschied, „alle dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Personen und Stellen“ seien an Gemeinschaftsrechtsakte ohne Rücksicht auf deren Gültigkeit gebunden, solange und soweit diese nicht für ungültig erklärt worden seien. Da dieses Urteil in Bezug auf die sekundärrechtliche Handlungsform der Verordnung (Art. 249 Abs. 2 EG) erging, waren die dort an6

Vgl. oben, Erstes Kapitel, A. I. 2. a) bb) (a). Als ohnehin unproblematisch erweist sich die Einordnung eines mitgliedstaatlichen Gerichts unter die anderen Entscheidungsträger, sofern eine Entscheidung nicht an einen Mitgliedstaat, sondern etwa an eine juristische Person des Privatrechts gerichtet ist, vgl. z. B. die Fallkonstellation in der Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585 (Wiljo NV/Belgischer Staat). 8 Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, Rn. 4 ff. 7

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2. Teil: Abweichungsverbote

gesprochenen Personen und Stellen sämtlich Adressaten der Verordnung. Für die – hier interessierende – Frage der inhaltsbezogenen Bindung der anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger als Rechtsanwendungsinstanzen ist das Urteil des EuGH daher nicht einschlägig.9 Angesichts eines bislang – soweit ersichtlich – fehlenden entsprechend generell formulierten, expliziten Bekenntnisses zugunsten des Bestehens eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern10 ist die Judikatur darauf hin zu überprüfen, ob sie das Bestehen eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutiven Entscheidungsträgern wenigstens der Sache nach anerkennt. aa) Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene Um herauszufinden, ob die Judikatur ein Abweichungsverbot gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene anerkennt, sind nur solche Sachgebiete für die Untersuchung geeignet, die folgende zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllen: Erstens muss das Gemeinschaftsrecht in diesem Sachbereich den Erlass der sekundärrechtlichen Handlungsform der Entscheidung vorsehen; zweitens müssen die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger auf mitgliedstaatlicher Ebene tatsächlich als andere Entscheidungsträger auftreten, m. a. W.: sie dürfen nicht bereits Adressat der Entscheidung sein.11 9 Diese Annahme wird übrigens durch eine Formulierung des EuGH in einem späteren Urteil bestätigt: Unter Verweis auf das Urteil des EuGH in der erwähnten Rechtssache Granaria BV spricht der EuGH in dem späteren Urteil davon, „alle Rechtssubjekte des Gemeinschaftsrechts“ seien verpflichtet, die „volle Wirksamkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane anzuerkennen, solange diese nicht vom Gerichtshof für ungültig erklärt worden (seien) (. . .)“ (EuGH, verb. Rs. 46/87 und 227/88, Slg. 1989, 2859, Rn. 64 [Hoechst AG/Kommssion]). Angesprochen sind daher allein die Adressaten eines Gemeinschaftsrechtsaktes, im Falle einer Entscheidung demnach die von ihr Betroffenen. Für die Frage der inhaltsbezogenen Bindung von Entscheidungsträgern als Rechtsanwendungsinstanzen ist diese Judikatur deshalb nicht einschlägig (a. A. – unzutreffenderweise – wohl Nettesheim [ders., in: Grabitz/Hilf, Art. 249, Rn. 226], der unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Hoechst AG von einer Beachtlichkeit aller Rechtsakte für „alle Rechtsanwender des EU-Rechts“ ausgeht). 10 Anders etwa das deutsche Recht, vgl. z. B.: BVerwG, BVerwGE 117, 351, 355 („alle Staatsorgane“); BGH, NJW 1998, 3055 f. 11 Aus diesem Grunde erweist sich etwa der Bereich des europäischen Beihilfenrechts als für die hier zu untersuchende Frage ungeeignet.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Als insoweit geeignetes Sachgebiet erweist sich das europäische Wettbewerbsrecht, das darüber hinaus ohne Zweifel auch überaus praxisrelevant ist. Das europäische Wettbewerbsrecht stellt zudem ein Sachgebiet dar, das für sich widersprechende Regelungen geradezu prädestiniert ist, weil auf diesem Gebiet sowohl die Kommission als auch die zuständigen mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Entscheidung darüber, ob sich ein Unternehmen im Einklang mit dem europäischen Wettbewerbsrecht verhält oder nicht, zuständig sind.12 Während die Kommission ihre Entscheidung allein auf der Grundlage des europäischen Wettbewerbsrechts trifft, entscheiden die zuständigen mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden auf der Grundlage des mitgliedstaatlichen und des europäischen Wettbewerbsrechts, solange die Kommission nicht selbst ein Wettbewerbsverfahren einleitet und selbst entscheidet (vgl. insoweit Art. 11 Abs. 6 VO Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln13).14 Zu dem Prüfungsprogramm eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens auf mitgliedstaatlicher Ebene gehört daher neben der Frage der Vereinbarkeit des wettbewerbserheblichen Verhaltens eines Unternehmens mit dem mitgliedstaatlichen Recht auch die Frage seiner Vereinbarkeit mit dem europäischen Wettbewerbsrecht. Für die von einer mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde zu treffende Verwaltungsentscheidung bildet der Prüfungspunkt der Vereinbarkeit eines wettbewerbserheblichen Verhaltens eines Unternehmens mit dem europäischen Wettbewerbsrecht eine Vorfrage.15 Hat die Kommission diesbezüglich bereits eine Entscheidung erlassen, stellt sich aufgrund der von ihr ausgehenden präjudiziellen Wirkungen hier die Frage nach dem Bestehen eines Abweichungsverbotes gegenüber den mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden bei ihrer späteren Entscheidungsfindung.

12

Selbstverständliche Voraussetzung für die parallele Zuständigkeit ist, dass ein wettbewerbsrelevantes Verhalten in Rede stehen muss, das den zwischenstaatlichen und nicht lediglich den innerstaatlichen Handel tangiert. 13 ABl. Nr. L 1/1 vom 4. Januar 2003. Sie ist am 1. Mai 2004 in Kraft getreten (vgl. Art. 45 Abs. 2 der VO) und löst die VO Nr. 17 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages (nichtamtliche Bezeichnung: KartellVO) vom 6. Februar 1962 (BGBl. II, S. 93 mit Änderungen) ab, vgl. Art. 43 Abs. 1 der VO. 14 Zu den parallelen Zuständigkeiten s. nur: Streinz, Rn. 980. 15 Die mitgliedstaatliche Behörde prüft die Vereinbarkeit des Verhaltens mit dem europäischen Wettbewerbsrecht und trifft insoweit eine Regelung, die aber für die Kommission wohl nicht bindend ist (vgl.: EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 48 [Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und HB Ice Cream Ltd./Masterfoods Ltd.] [Verneinung einer Bindung der Kommission an eine mitgliedstaatliche Gerichtsentscheidung]).

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2. Teil: Abweichungsverbote

Eine Analyse der einschlägigen Judikatur ergibt, dass diese tatsächlich das Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden anerkennt: In der Rechtssache Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und HB Ice Cream Ltd./ Masterfoods Ltd.16, ein Vorabentscheidungsverfahren, das mehrere Fragen des Irischen Supreme Court im Hinblick auf die Auslegung der Artt. 81, 82 und 295 EG zum Gegenstand hatte,17 hat der EuGH der Sache nach ein Abweichungsverbot auch gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene anerkannt. Gestützt auf die sich aus Art. 5 EGV (= Art. 10 EG) ergebende, „alle Träger der öffentlichen Gewalt in den Mitgliedstaaten“18 bindende „Verpflichtung, alle zur Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen und von solchen Maßnahmen abzusehen, die geeignet sind, die Verwirklichung der Ziele des Vertrages zu gefährden“, in Verbindung mit Art. 189 Abs. 4 EGV (= Art. 249 Abs. 4 EG) verbietet er diesen den Erlass einer der existenten19 Kommissionsentscheidung zuwiderlaufenden, von ihr abweichenden Entscheidung.20 Für eine mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörde bedeutet dies zunächst, dass sie bei ihrer späteren Entscheidungsfindung an eine Kommissionsentscheidung gebunden ist, sofern diese eine Regelung hinsichtlich der Vereinbarkeit des wettbewerbserheblichen Verhaltens eines Unternehmens mit dem europäischen Wettbewerbsrecht trifft. Hierin erschöpft sich allerdings die dadurch begründete Bindung nicht. Vielmehr begründet Art. 249 Abs. 4 EG in Verbindung mit dem auch der sekundärrechtlichen Handlungsform der Entscheidung zukommenden Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehendem mitgliedstaatlichem Recht21 eine darüber hinausgehende Bindung dergestalt, dass die mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörde wegen der der Kommissionsentscheidung zuerkannten Vorrangstellung vor entgegenstehendem mitgliedstaatlichen Recht auch im Hinblick auf die von ihr 16

s. den Fundstellennachweis in der vorangegangenen Fußnote. In dem hier interessierenden Kontext ging es im Kern um die Frage der Bindung eines mitgliedstaatlichen Rechtsmittelgerichts an eine wettbewerbsrechtliche Kommissionsentscheidung, die im Widerspruch zu dem vorinstanzlichen Urteil stand, vgl. zu der Vorlagefrage im Wortlaut, Rn. 18 des Urteils. 18 Hierzu sind ohne Zweifel auch die der exekutiven Gewalt zugehörigen Träger der öffentlichen Verwaltung zu zählen. 19 Ausweislich des Sachverhaltes steht eine existente, nicht eine bestandskräftige Entscheidung in Rede (vgl. EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 16 [Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und HB Ice Cream Ltd./Masterfoods Ltd.]). 20 Im konkreten Fall traf diese Verpflichtung ein mitgliedstaatliches Gericht. 21 s. zum Vorrang des Gemeinschaftsrecht bereits oben, Erstes Kapitel, A. I. 2. a) bb) (aa). 17

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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an sich autonom zu entscheidende Frage der Vereinbarkeit des wettbewerbserheblichen Verhaltens mit mitgliedstaatlichem Recht an den Inhalt der Kommissionsentscheidung gebunden ist. Das Ergebnis der von der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde zu erlassenden Regelung ist also durch die Kommissionsentscheidung bereits vorgezeichnet. Ist etwa ein wettbewerbsrelevantes Verhalten eines Unternehmens nach europäischem Wettbewerbsrecht verboten, nach mitgliedstaatlichem Recht dagegen erlaubt, so setzt sich aufgrund des Anwendungsvorrangs der Kommissionsentscheidung das europäische Wettbewerbsrecht und damit das Verbot durch. Die mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörde darf der Kommissionsentscheidung nicht durch die Anwendung ihres mitgliedstaatlichen Rechts die „praktische Wirksamkeit“ nehmen (effet utile-Prinzip).22 Die namentlich in der erwähnten Rechtssache Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und HB Ice Cream Ltd./Masterfoods Ltd. ergangene Judikatur des EuGH23 hat nunmehr übrigens in Art. 16 VO Nr. 1/2003, der auch „Homogenitätsklausel“24 genannt wird, sogar positivrechtlichen Niederschlag gefunden. In Bezug auf die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden sieht der – im Interesse der Gewährleistung von Rechtssicherheit und einer einheitlichen Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft in einem System paralleler Zuständigkeiten geschaffene –25 Art. 16 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 vor, dass die Wettbewerbsbehörden dann, wenn sie nach den – nunmehr insgesamt unmittelbar anwendbaren –26 Artt. 81 und 82 EG über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer (existenten) Kommissionsentscheidung sind, keine Regelung erlassen dürfen, die jener Entscheidung zuwiderläuft. In der Literatur wird die Frage des Bestehens eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entschei22 Vgl. zu den sich aufgrund des Vorrangs der Kommissionsentscheidung ergebenden Rechtsfolgen: Streinz, Rn. 981; Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81, Rn. 24 und Rn. 16 ff. 23 Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 49 ff. Vgl. zuvor bereits: EuGH, Rs. 234/89, Slg. 1991, I-935, Rn. 47 (S. Delimits/Henninger Bräu AG). 24 Bartels, ZfRV 2002, 83, 94. 25 Vgl. Begründungserwägung Nr. 22 der VO Nr. 1/2003; ferner: Malferrari, EuR 36 (2001), 605, 609. Das Anliegen, Rechtssicherheit und eine einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft in einem System paralleler Zuständigkeiten zu gewährleisten, ist insbesondere auch vor dem Hintergrund des mit der VO Nr. 1/2003 eingeführten dezentralisierten Systems der Anwendung der Artt. 81, 82 EG zu sehen, mit dem eine größere Effizienz erreicht werden soll, vgl. dazu nur: Begründungserwägungen Nrn. 1 ff. der VO Nr. 1/2003. 26 Auch Art. 81 Abs. 3 EG ist jetzt unmittelbar anwendbar, vgl. Art. 1 Abs. 2 der VO (s. auch die Begründungserwägung Nr. 4 der VO). Zu dieser durch Art. 1 Abs. 2 der VO herbeigeführten wesentlichen Änderung: Weitbrecht, EuZW 2003, 357.

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2. Teil: Abweichungsverbote

dungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene im Kontext der Frage der „Bindungswirkung“ von sog. Negativattesten im Sinne des Art. 2 VO Nr. 17, in denen die Kommission feststellt, nach den ihr bekannten Tatsachen bestehe kein Anlass zum Einschreiten gegen ein bestimmtes unternehmerisches Verhalten, zwar thematisiert; soweit ersichtlich, bezieht sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung allerdings in Wirklichkeit gar nicht auf die Frage der Bindungswirkung von Negativattesten, sondern vielmehr auf die ihr vorgeschaltete Frage, ob ein solches Negativattest überhaupt eine Regelung in der Sache trifft.27 Sofern insoweit dann angenommen wird, dass ein existentes Negativattest eine Regelung in der Sache trifft, wird ihm auch Bindungswirkung gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden zugeschrieben.28 Abgesehen davon wird in der Literatur29 – offensichtlich in Anlehnung an das im deutschen Recht anerkannte Abweichungsverbot der Tatbestandswirkung –30 gelegentlich von einer „Tatbestandswirkung“ einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Beihilfeentscheidung im Hinblick auf die den zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden obliegende Rückforderungspflicht gesprochen. Da aber in dieser Fallkonstellation die rückforderungsverpflichtete mitgliedstaatliche Behörde selbst Adressat der Kommissionsentscheidung ist, kann eine Tatbestandswirkung hier gerade nicht greifen.31 bb) Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf Gemeinschaftsebene Wie bei den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene fehlt in der Judikatur – soweit ersichtlich – bislang ein allgemein formuliertes, explizites Anerkenntnis des Bestehens eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf Gemeinschaftsebene. Dessen ungeachtet existiert jedoch Rechtsprechung, die das Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes auch gegenüber diesen 27 Vgl. zugunsten einer Sachentscheidung nur: Ehricke, ZHR 158 (1994), 170, 176 ff.; gegen eine Entscheidung in der Sache nur: Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81, Rn. 29 (vgl. auch Rn. 27 ff. mit einem Überblick über den Diskussionsstand). 28 Ehricke, ZHR 158 (1994), 170, 180 f.; in diesem Sinne wohl auch: Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 81, Rn. 29 ff., wenn er denn in dem Erlass eines Negativattestes den Erlass einer – nach seinen Worten – „inhaltlichen Regelung“ sähe. 29 Kadelbach, S. 469; ihm folgend: Blanke, S. 515; ferner: Brenner/Huber, DVBl. 2001, 1013, 1014. 30 Dazu ausführlich später, B. 31 s. auch oben, Fn. 11.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Entscheidungsträgern der Sache nach belegt. Konkret handelt es sich um das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission/Rat der Europäischen Union32. In diesem Urteil hat der EuGH eine Entscheidung des Beklagten, mit der dieser – gestützt auf Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EG – eine mitgliedstaatliche Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt hatte, für nichtig erklärt. Gemäß Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EG kann der Rat „einstimmig auf Antrag eines Mitgliedstaates entscheiden, dass eine von diesem Staat gewährte oder geplante Beihilfe in Abweichung von Art. 87 oder von den nach Art. 89 erlassenden Verordnungen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar gilt, wenn außergewöhnliche Umstände eine solche Entscheidung rechtfertigen.“ Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EG regelt nach Auffassung des EuGH33 einen Ausnahme- und Sonderfall, denn an sich ist gemäß Art. 88 Abs. 1 EG die Kommission für die fortlaufende Überprüfung von Beihilfen zuständig. Art. 88 EG geht somit davon aus, dass die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt in einem geeigneten Verfahren zu erfolgen hat, dessen Durchführung – vorbehaltlich einer gerichtlichen Kontrolle – Angelegenheit der Kommission ist. Die Artt. 87 und 88 EG verleihen der Kommission damit eine zentrale Rolle bei der Feststellung der etwaigen Unvereinbarkeit einer Beihilfe.34 In der erwähnten Rechtssache hatte der Beklagte nun – gestützt auf Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EG – eine mitgliedstaatliche Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt, obgleich die Klägerin auf der Grundlage des Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 EG bereits zuvor dieselbe mitgliedstaatliche Beihilfe in weiten Teilen für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und deshalb deren Rückforderung angeordnet hatte. Im Hinblick auf die hier zu untersuchende Frage der Anerkennung des Bestehens eines Abweichungsverbotes sind die Würdigungen des EuGH von Interesse, in denen er sich zu der Frage geäußert hat, ob der Beklagte befugt war, eine Entscheidung in Bezug auf eine Beihilfe zu erlassen, die bereits zuvor Gegenstand einer negativen Entscheidung der Klägerin war. Der EuGH35 hat diese Frage mit der Begründung verneint, die in Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 und UAbs. 4 EG enthaltenen Regelungen zeigten, dass der 32 33

Rs. C-110/02, Slg. 2004, I-6333. Ebenda, Rn. 30 f. (unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3

EG). 34 Zum Ganzen: ebenda, Rn. 29. S. auch: GA Jacobs, in: SA in der Rs. C-110/02, ebenda, Rn. 20 ff. (er bezeichnet die in Art. 88 Abs. 2 EG vorgesehene Zuständigkeitsverteilung als „Beziehung der Vorgreiflichkeit“). 35 Zum Ganzen: ebenda, Rn. 32 ff. Vgl. auch: GA Jacobs, in: SA in Rs. C-110/02, ebenda, Rn. 20 ff.

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2. Teil: Abweichungsverbote

Beklagte nach Ablauf der fraglichen Frist nicht mehr befugt sei, eine Entscheidung nach diesem UAbs. 3 über die betreffende Beihilfe zu erlassen. Auf diese Weise werde der Erlass von Entscheidungen mit einem widersprüchlichen verfügenden Teil vermieden. Diese zeitliche Beschränkung der Befugnisse des Beklagten in den Fällen, in denen die Klägerin bereits das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 EG eröffnet, aber noch keine Entscheidung erlassen habe, mit der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt werde, und der Umstand, dass nach Ablauf der Dreimonatsfrist des UAbs. 4 dieser Bestimmung nur noch die Kommission zur Entscheidung über die betreffende Beihilfe befugt ist, zeigten außerdem, dass der Beklagte nicht mehr ermächtigt sei, die ihm nach dem genannten UAbs. 3 übertragene Ausnahmebefugnis auszuüben, um eine Beilhilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären, wenn der betroffene Mitgliedstaat keinen Antrag nach Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 EG an ihn gerichtet habe, bevor die Klägerin die betreffende Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und so das Verfahren nach UAbs. 1 dieser Bestimmung abgeschlossen habe. Der EuGH hat damit das Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber dem Rat als einem anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger auf Gemeinschaftsebene anerkannt. Der Konzeption dieses Abweichungsverbotes als bestandskraftunabhängige inhaltsbezogene Bindungswirkung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung der Klägerin offenbar bereits in Bestandskraft erwachsen war.36 Die Bestandskraft der Entscheidung hat dem EuGH allerdings den Hinweis darauf ermöglicht, dass die von ihm vorgenommene Auslegung des Art. 88 Abs. 2 UAbs. 2 EG zur Gewährleistung von Rechtssicherheit beitrage, da sich durch sie verhindern ließe, dass „über ein und dieselbe staatliche Beihilfe von der Kommission und vom Rat nacheinander widersprüchliche Entscheidungen erlassen werden“37. Die Bestandskraft einer Entscheidung trägt nach Auffassung des EuGH38 zur Rechtssicherheit bei. Die Literatur39 erkennt das Bestehen eines bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahr36 Vgl. insoweit die eher beiläufige Erwähnung der „Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung“ in Rn. 35 des Urteils. Auch GA Jacobs geht ganz offensichtlich von einer bestandskraftunabhängiegn Konzeption des Abweichungsverbotes aus, vgl. ders., in: SA in Rs. C-110/02, ebenda, Rn. 23: „Hätte der Rat eine zeitlich unbegrenzte Handlungsbefugnis auch dann noch, wenn die Kommission über die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt entschieden hat, könnte er tätig werden, selbst wenn ein Verfahren über eine frühere Entscheidung der Kommission vor dem Gerichtshof begonnen oder sogar abgeschlossen worden wäre.“ 37 Rs. C-110/02, ebenda, Rn. 35. 38 Ebenda.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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nehmenden Entscheidungsträgern auf Gemeinschaftsebene offensichtlich generell ohne weiteres an. Eine über die generelle Feststellung, dass die „Gemeinschaftsorgane“ bzw. die „Gemeinschaft“ und damit auch die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger an eine existente Entscheidung gebunden sind, hinausgehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Frage findet – jedenfalls soweit erkennbar – bislang nicht statt. b) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern tritt als Folge der rechtlichen Existenz einer Entscheidung, die deren tatsächliche Existenz voraussetzt, ein.40 Ungeklärt ist insoweit allerdings bislang, ob das Abweichungsverbot in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, durch den Beginn der zeitlich ersten rechtlichen Existenz bereits mit Wirkung für und gegen sämtliche Betroffene oder – entsprechend der relativen rechtlichen Existenz –41 beschränkt auf den betroffenen Einzelnen ausgelöst wird. Allem Anschein nach gelangt das Abweichungsverbot ohne Rücksicht darauf, welchen Inhalt die Entscheidung im konkreten Einzelfall hat, zur Entstehung. Diese Annahme lässt sich anhand des Inhalts der Kommissionsentscheidung belegen, die in dem Urteil des EuGH in der bereits erwähnten Rechtssache Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und HB Ice Cream Ltd./ Masterfoods Ltd.42 relevant war. Diese Kommissionsentscheidung beinhaltet u. a. die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 85 Abs. 1 EGV (= Art. 81 Abs. 1 EG) und gegen Art. 86 EGV (= Art. 82 EG) (a), die Ableh39

Vgl.: Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 249, Rn. 30; Bleckmann, Rn. 458. Bzgl. der Konzeption als bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot s. Schmidt (ebenda). Sie verweist auf Art. 249 Abs. 4 EG, nach der eine Entscheidung „in allen Teilen verbindlich“ sei. Diese Geltungsgrundlage dürfte sie – wohl unausgesprochen – in Verbindung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Gesetz und Recht) sehen, um eine Bindung der anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger zu begründen. 40 Vgl.: EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 50 (Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und HB Ice Cream Ltd./Masterfoods Ltd.) (die maßgebliche Kommissionsentscheidung ist noch nicht bestandskräftig; außerdem stellt der EuGH bzgl. der Bindung auf Art. 249 Abs. 4 EG ab); ferner: Schmidt, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 249, Rn. 30. Zur rechtlichen Existenz einer Entscheidung s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a) (bb). 41 Zur Relativität der rechtlichen Existenz s. o., ebenda. 42 Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369.

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2. Teil: Abweichungsverbote

nung des Antrags auf Freistellung gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV (= Art. 81 Abs. 3 EG) (b) sowie die Verpflichtung der Klägerin und offensichtlich Widerbeklagten, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen (c):43 (a) Bei der Feststellung der Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG und gegen Art. 82 EG handelt es sich um einen deklaratorisch-feststellenden Entscheidungsinhalt.44 (b) Hinsichtlich einer Freistellungsentscheidung gemäß Art. 81 Abs. 3 EG45 ist anerkannt, dass diese einen rechtsbegründenden, somit einen rechtsgestaltenden Inhalt besitzt.46 In dem umgekehrten Fall, d.h. im Falle der Ablehnung eines Antrags auf Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG dürfte die Entscheidung demzufolge einen anspruchsverneinenden und somit ebenfalls rechtsgestaltenden Inhalt haben. Die Ablehnung der Freistellung stellt nichts anderes als die Kehrseite ihrer Gewährung dar. (c) Die Verpflichtung, Zuwiderhandlungen abzustellen, stellt eine sog. Verbotsverfügung dar.47 c) Fortbestand des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Das gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern anerkannte bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot besteht, solange die Entscheidung (tatsächlich und rechtlich) existent bleibt. Der Fortbestand der Existenz wurde bereits an früherer Stelle dargestellt, so dass hier auf dortige Ausführungen verwiesen werden kann.48 d) Folgen des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot hat für die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger zur Folge, dass 43

Zu diesen Entscheidungsinhalten im Einzelnen, vgl.: Rn. 14 f. des Urteils. Bockey, S. 70. Dass das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot auch bei einer Entscheidung mit konstitutiv-feststellendem Inhalt zur Entstehung gelangt, zeigt die Kommissionsentscheidung, die in dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission/Rat der Europäischen Union von Bedeutung war, s. dazu oben, lit. a) bb). 45 Angesichts der nunmehr in Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 enthaltenen Legalausnahme dürfte eine Freistellungsentscheidung nach der neuen Rechtslage entbehrlich sein. 46 Bockey, S. 70; Ehricke, ZHR 158 (1994), 170, 173. 47 Bockey, S. 23 (dort: Fn. 29). 48 s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. (1) (a). 44

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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sie bei ihrer Entscheidungsfindung an dem Erlass einer abweichenden Sachentscheidung gehindert sind.49 Sie sind verpflichtet, den Inhalt einer präjudizielle Wirkungen entfaltenden, existenten Entscheidung – ungeachtet ihrer möglichen Rechtswidrigkeit –50 bei ihrer eigenen Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen. Vor dem Hintergrund des auch der Handlungsform der Entscheidung zukommenden Anwendungsvorrangs vor entgegenstehendem mitgliedstaatlichem Recht führt das Abweichungsverbot – wie bereits dargelegt – für die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger auf mitgliedstaatlicher Ebene außerdem zu einer noch weitergehenden Bindung, indem die in der Entscheidung enthaltene Regelung zugleich das Ergebnis der seitens der mitgliedstaatlichen Entscheidungsträger zu erlassenden Regelung vorzeichnet.51 Auch die von ihnen auf der Grundlage des mitgliedstaatlichen Rechts zu erlassende Regelung darf nicht dem Regelungsgehalt der gemeinschaftsrechtlichen Entscheidung widersprechen. 2. Umfang des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes Die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger dürften aufgrund des ihnen gegenüber anerkannten bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes – zumindest –52 in dem Umfang gebunden sein, in dem der erlassende Entscheidungsträger aufgrund des ihm gegenüber bestehenden bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes gebunden ist.53 Unter Zugrundelegung dieser Annahme sind die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger in sachlicher Hinsicht an die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung gebunden. Vieles spricht allerdings dafür, dass sie daneben auch zumindest an den die Regelung tragenden Grund gebunden sind. In persönlicher Hinsicht erfasst die Bindung die von der Entscheidung Betroffenen, d.h. den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener, den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte. Wie bei dem erlassenden Entscheidungsträger bedeutet die so gegebene Bindung für die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger, dass 49

Vgl. dazu bereits oben, lit. a), insbesondere lit. aa). Nur die rechtlich inexistente Entscheidung ist unbeachtlich, s. nur: GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1019 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/ Kommission). 51 s. o., lit. a) aa). 52 Eine weitergehende Bindung ist an sich nicht ausgeschlossen, vorliegend aber nicht ersichtlich. 53 s. bzgl. des Umfang seiner Bindung oben, Erstes Kapitel, A. II. 2. 50

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2. Teil: Abweichungsverbote

sie bei ihrer Entscheidungsfindung an den Inhalt der präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung nur dann gebunden sind, wenn die von der Erstentscheidung Betroffenen nun sämtlich auch von der nun zu treffenden Entscheidung betroffen sind. In zeitlicher Hinsicht umfasst die Bindung lediglich die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf obige, hier entsprechend geltende Darstellung verwiesen.54 II. Bestehen und Umfang eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber dem EuGH, dem EuG und den mitgliedstaatlichen Gerichten 1. Bestehen eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes a) Bestehen und Geltungsgrundlage eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Gegenüber dem EuGH, dem EuG und – im Grundsatz –55 den mitgliedstaatlichen Gerichten besteht ein richterrechtlich anerkanntes56 Abweichungsverbot, das durch den Eintritt der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung reflexartig ausgelöst wird.57 Die materielle Bestandskraft bildet demzufolge sozusagen das „auslösende Moment“. Ähnlich wie bei dem gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern anerkannten bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbot und entsprechend dem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger knüpft das Abweichungsverbot gegenüber den Gerichten an die durch die materielle Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit 54

s. o., Erstes Kapitel, A. II. 2. Ausnahme: anderslautende gesetzliche Bestimmungen wie etwa Art. 16 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 (sieht eine bestandskraftunabhängige Bindung mitgliedstaatlicher Gerichte vor). 56 Einzelnachweise aus der Judikatur folgen im Laufe der Darstellung. Soweit ersichtlich, findet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung diesbezüglich nicht statt. 57 Sofern eine belastende Entscheidung Gegenstand der Überprüfung im Rahmen eines Nichtigkeitsklageverfahrens vor dem EuGH oder dem EuG ist, besteht diesen gegenüber das Abweichungsverbot selbstverständlich nicht. Mitgliedstaatliche Gerichte sind dagegen – wie bereits ausgeführt – nicht für die Aufhebung einer Entscheidung zuständig, s. o., Einleitung, D. 55

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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innerhalb des mittels Entscheidung begründeten Gemeinschaftsrechtsverhältnisses an.58 Die Judikatur spricht aus diesem Grunde ausdrücklich von einer Bindung „durch“59 bzw. „an“60 die materielle Bestandskraft. Aufgrund der materiellen Bestandskraft werden die Betroffenen an sich auf Dauer an den Inhalt der nunmehr bestandskräftigen Entscheidung gebunden. Das gegenüber den Gerichten in diesem Augenblick reflexartig ausgelöste Abweichungsverbot stellt eine prompte Reaktion auf diese unter den Betroffenen eingetretene Rechtsbeständigkeit dar. Wohl deshalb stützt die Judikatur61 das Abweichungsverbot auf den Grundsatz der Rechtssicherheit. Wie bei den soeben bereits erwähnten anderen bestandskraftabhängigen Bindungswirkungen handelt es sich bei dem gegenüber den Gerichten anerkannten Abweichungsverbot nach alledem – dogmatisch betrachtet – um eine mittelbare, d.h. über die durch die materielle Bestandskraft begründete (unmittelbare) Bindung der Betroffenen vermittelte Bindung der Gerichte an den Inhalt einer bestandskräftigen Entscheidung.62 Der mittelbare Charakter der Bindung bedingt zwangsläufig eine akzessorische Bindung. Die richterrechtliche Anerkennung eines bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes auch gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten63 bedarf im Folgenden wohl noch näherer Erörterung, zumal diese unter den Generalanwälten nicht nur Zustimmung gefunden hat.64 Die Frage der Anerkennung eines Abweichungsverbotes auch gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten steht in einem Spannungsverhältnis zwischen der den mitgliedstaatlichen Gerichten im Kontext des Art. 234 EG eingeräumten Verfahrensautonomie und der dem Vorabentscheidungsverfahren in der Variante als Gültigkeitsprüfung zuerkannten Funktion, systembedingte Rechtsschutzdefizite zu kompensieren. Das in Art. 234 EG geregelte Vorabentscheidungsverfahren basiert auf der Verfahrensautonomie der mit58 Vgl. oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. sowie Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a). 59 EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 25 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft). 60 EuGH, Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 24 und Rn. 31 (Wiljo NV/Belgischer Staat). 61 EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-844, Rn. 25 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 24 (Wiljo NV/Belgischer Staat). 62 Dies zeigen im Übrigen auch bereits genannten Formulierungen der Judikatur, die von einer Bindung durch bzw. an die Bestandskraft spricht. 63 EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 25 (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 24 und Rn. 31 (Wiljo NV/Belgischer Staat). 64 Näheres dazu später.

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2. Teil: Abweichungsverbote

gliedstaatlichen Gerichte. Es liegt in ihrer ausschließlichen Kompetenz, im Rahmen eines bei ihnen anhängigen Rechtsstreits für den – für eine Vorabentscheidung ausschließlich zuständigen –65 EuGH bindend zu beschließen, ob und – bejahendenfalls – inwieweit dieser um Vorabentscheidung ersucht werden soll (vgl. auch den Wortlaut des Art. 234 Abs. 2 [„Gericht eines Mitgliedstaats“] und Abs. 3 EG [„einzelstaatliche(s) Gericht“]).66 Hat ein mitgliedstaatliches Gericht in einem laufenden Verfahren Zweifel an der Gültigkeit einer Entscheidung, deren Regelung präjudizielle Wirkungen für die zu treffende gerichtliche Entscheidung entfaltet, ist es unter den in Art. 234 EG normierten Voraussetzungen berechtigt (ggfls. sogar verpflichtet, vgl. Art. 234 Abs. 3 EG), die streitentscheidende Gültigkeitsfrage dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung vorzulegen. Ersucht das mitgliedstaatliche Gericht den EuGH tatsächlich um Vorabentscheidung, eröffnet es dem EuGH hierdurch die Möglichkeit, die streitgegenständliche Entscheidung mittels (quasi) erga omnes wirkender Ungültigerklärung de facto aufzuheben, soweit sie sich als ungültig erweist.67 Dadurch ist das vorlegende mitgliedstaatliche Gericht letztlich maßgeblich an einer – wenn auch nur faktischen –68 Aufhebung der streitgegenständlichen Entscheidung beteiligt. 65 Für Vorlageverfahren nach Art. 234 EG ist ausschließlich der EuGH zuständig, wie sich im Umkehrschluss aus Art. 225 Abs. 1 UAbs. 1 EG ergibt. Von der in Art. 225 Abs. 3 UAbs. 1 EG enthaltenen Regelung wurde bislang kein Gebrauch gemacht. 66 EuGH, Rs. 126/80, Slg. 1981, 1563, Rn. 8 (Salonia/Poidomani); ferner: GA Slynn, in: SA in Rs 216/82, Slg. 1983, 2771, 2795 (Universität Hamburg/Hauptzollamt Hamburg-Kehrwieder); Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 11, Rn. 3; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 234, Rn. 41 und Rn. 51; Schwarze, in: Schwarze, Art. 234, Rn. 32 und Art. 241, Rn. 10; Busse, EuZW 2002, 715 und 720. Die Prozessparteien können die Vorlage lediglich anregen (s. die soeben aufgeführten Nachweise). 67 Zur (quasi) erga omnes-Wirkung der Ungültigerklärung: Dauses, in: Dauses, Bd. 2, P. II., Rn. 243; Borchardt, in: Lenz, Art. 234, Rn. 58; Wegener, in: Calliess/ Ruffert, Art. 234, Rn. 33; Koenig/Pechstein/Sander, Rn. 823; Schima, S. 101. Diese Ansicht beruht auf den Ausführungen des EuGH in der Rs. 66/80 (Slg. 1981, 1191, Rn. 13 [ICC/Administrazione delle Finanze dello State]), in der er die Wirkung der Ungültigerklärung dahingehend beschrieb, sie „(stelle) für jedes andere Gericht einen ausreichenden Grund dar, (die für ungültig erklärte) Handlung bei den von ihm zu erlassenden Entscheidungen als ungültig anzusehen.“ Die Ungültigerklärung lässt den Bestand der Entscheidung unberührt (GA Slynn, in: SA in Rs. 216/82, Slg. 1983, 2772, 2795 [Universität Hamburg/Hauptzollamt Hamburg-Kehrwieder]). Für die Entfernung des Bestandes der Entscheidung hat nach Ungültigerklärung der erlassende Entscheidungsträger zu sorgen (Annacker, S. 99 f.; dies., EuZW 1995, 755, 760). 68 Die faktische Aufhebung einer Entscheidung meint ihre Aufhebung durch Außer-Kraft-Setzen ihrer Rechtswirkungen, s. o., Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (a) (bb). Die tatsächliche Existenz der Entscheidung bleibt unberührt.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Für die hier interessierende Frage, ob in diesem Falle gegenüber diesem mitgliedstaatlichen Gericht ein Abweichungsverbot anzuerkennen ist, ist die Befugnis des mitgliedstaatlichen Gerichts, den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen, im Lichte der dem Vorabentscheidungsverfahren zuerkannten zweiten Funktion, nämlich Individualrechtsschutz zu gewähren,69 zu sehen. In der Variante als Verfahren der Gültigkeitsprüfung erfüllt das Vorabentscheidungsverfahren eine ähnliche Rechtsschutzfunktion wie das Nichtigkeitsklageverfahren und dient der Kompensation von systembedingten Rechtsschutzdefiziten.70 Ungeachtet dessen, dass bei Vorliegen der Handlungsform der Entscheidung ein entsprechendes Kompensationsbedürfnis nur im Falle eines nicht zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten besteht, hat aber nach der Konzeption des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzsystems – theoretisch – jeder Adressat und jeder betroffene Dritte die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit einer präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung vor einem mitgliedstaatlichen Gericht in der Absicht einredeweise geltend zu machen, über eine erfolgreiche Vorabentscheidung des EuGH die Ungültigerklärung der betreffenden Entscheidung und damit ihre faktische Entfernung aus der Gemeinschaftsrechtsordnung zu erreichen.71 Damit wäre der Weg für eine mittelbare Anfechtung frei.72 Wie an früherer Stelle bereits ausführlich dargelegt, schließt die Judikatur eine solche mittelbare Anfechtungsmöglichkeit jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit aus.73 Die Anerkennung der materiellen Bestandskraft einer Entscheidung verhindert deren mittelbare Anfechtung. An die materielle Bestandskraft bindet die Judikatur nun (mittelbar) auch das mitgliedstaatliche Gericht mit der Folge, dass es auf Dauer an den Inhalt der bestandskräftigen Entscheidung gebunden ist, da dieser für die Betroffenen außer Frage steht. Ein Vorlagebeschluss ist ab diesem Zeitpunkt unzulässig.74 Das mitgliedstaatliche 69 Zu den beiden Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG z. B.: Dauses, in: Dauses, Bd. 2, P. II., Rn. 32 ff.; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 234, Rn. 6 ff. 70 Allgemein zum Kompensationsgedanken: Dauses, in: Dauses, Bd. 2, P. II., Rn. 41 f. 71 s. bereits oben, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (a) (bb) [dort unter lit. (a)]. 72 Vgl. oben, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (a) (bb) [dort insbesondere die hier interessierende, unter lit. (a) dargestellte Konstellation]. 73 Ebenda. 74 Bartels, ZfRV 2002, 83, 90 f. Vor Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung gegenüber dem betreffenden Adressaten oder zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten ist ein Vorlagebeschluss dieses Gerichts dagegen zulässig, vgl. z. B.: EuGH, verb. Rs. 133 bis 136/85, Slg. 1987, 2289, Rn. 11 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung); EuG, Rs. T-34/02 R, Slg. 2002, II-2803, Rn. 92 (B./Kommission); Rs. T-181/02 R, Slg. 2002, II-5081, Rn. 108 (Neue Erba Lautex GmbH Weberei und Veredelung/Kommission). Etwas anderes gilt, wenn bereits ein Nichtigkeitsklageverfahren vor dem EuGH oder dem

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2. Teil: Abweichungsverbote

Gericht ist nach alledem verpflichtet, den Inhalt der materiell bestandskräftigen Entscheidung ungeachtet etwa bestehender Zweifel an ihrer Gültigkeit bei seiner Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen. Diese Judikatur, mit der der EuGH die zugunsten der mitgliedstaatlichen Gerichte bestehenden Vorlagemöglichkeiten nach Art. 234 EG einschränkt und dadurch auch gegenüber den an sich autonom vorlageberechtigten mitgliedstaatlichen Gerichten ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot anerkennt, ist bei den Generalanwälten nicht nur auf Zustimmung,75 sondern auch z. T. auf scharfe Kritik gestoßen. So wird diese Judikatur etwa kritisiert als ein Widerspruch zu dem dem Vorabentscheidungsverfahren zugrundeliegenden Geist der Zusammenarbeit zwischen einem mitgliedstaatlichen Gericht und den Gemeinschaftsgerichten; sie stelle eine Absage an diesen Geist der Zusammenarbeit dar und laufe letztlich auf eine „Denaturierung des Vorabentscheidungsverfahrens“ hinaus.76 Ferner wird ihr eine Verfälschung der autonomen Stellung des Vorabentscheidungsverfahrens vorgeworfen.77 Mit der Frage, ob ein mitgliedstaatliches Gericht bei Vorliegen einer bestandskräftigen Entscheidung auch dann an dem Erlass eines zulässigen Vorlagebeschlusses gehindert ist, wenn der Vorlagebeschluss ausschließlich von Amts wegen erfolgen würde, war die Judikatur – soweit ersichtlich – indes bislang noch nicht befasst.78 Ausschließlich von Amts wegen erfolgen würde der Vorlagebeschluss, wenn das mitgliedstaatliche Gericht eine Vorlage an den EuGH wegen eigener Zweifel an der Gültigkeit der präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung in Erwägung zieht, ohne dass eine Prozesspartei die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung einredeweise EuG anhängig ist; dann ist das Verfahren vor dem mitgliedstaatlichen Gericht auszusetzen, bis über die Nichtigkeit endgültig entschieden ist (EuGH, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Rn. 57 und Rn. 59 [Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und umgekehrt] [unklar dann Rn. 60]; im Ergebnis ebenso: GA Cosmas, in: SA in Rs. C-344/98, ebenda, Rn. 57; Malferrari, EuR 36 [2001], 605, 611; Bartels, ZfRV 2002, 83, 90 ff.), es sei denn, das mitgliedstaatliche Gericht hält „unter den gegebenen Umständen“ eine Vorlage für dennoch gerechtfertigt (EuGH, Rs. C-344/98, ebenda, Rn. 57; offen ist, wann diese vorliegen können, vgl. dazu: Malferrari, EuR 36 [2001], 605, 612). 75 GA Jacobs, in: SA in Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 25 (TWD GmbH/ Bundesminister für Wirtschaft); i. E. ebenso: Pache, EuZW 1994, 615, 619 f. 76 GA Tesauro, in: SA in Rs. C-408/95, Slg. 1997, I-6315, Rn. 18 (Eurotunnel SA u. a./SeaFrance). 77 GA Cosmas, in: SA in Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Fn. 34 (Masterfoods Ltd./HB Ice Cream Ltd. und umgekehrt). 78 Die Urteile, in denen der EuGH das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot anerkannt hat, betrafen sämtlich Konstellationen, in denen eine Partei die Rechtswidrigkeit einer präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung einredeweise geltend macht.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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geltend gemacht und eine Vorlage angeregt hat, oder wenn es andere als eventuell seitens einer Prozesspartei vorgetragene Gründe entdeckt, die Zweifel an der Gültigkeit dieser Entscheidung wecken, weshalb das mitgliedstaatliche Gericht eine Vorlage an den EuGH für erforderlich hält. Ungeklärt ist daher insoweit noch, ob in diesen Fällen dem mit der materiellen Bestandskraft verbundenen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit oder die einem mitgliedstaatlichen Gericht in Art. 234 EG eingeräumte verfahrensrechtliche Autonomie Vorrang einzuräumen ist. Zugunsten des Vorrangs der Rechtssicherheit könnten allerdings die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Kommission/Königreich Belgien79 sprechen. Wörtlich führt der EuGH dort aus: „Die Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes kann zwar trotz Ablaufs der in Artikel 173 Absatz 3 (= Art. 230 Abs. 5 EG) festgelegten Frist im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 des Vertrages (= Art. 234 EG) in Frage gestellt werden; dieses Verfahren, das für alle Rechtsakte der Organe vorgesehen und ausschließlich an den Bedürfnissen der innerstaatlichen Gerichte ausgerichtet ist, dient jedoch Zwecken und unterliegt Regeln, die sich von jenen unterscheiden, die für die in Artikel 173 des Vertrages genannten Klagearten gelten. Somit vermag dieses Verfahren keine Abweichung von dem Grundsatz des sich aus dem Ablauf der Klagefrist ergebenden Rechtsausschlusses zu rechtfertigen, wenn man nicht Artikel 173 seines rechtlichen Sinngehaltes entkleiden wollte.“ Diese Ausführungen verdeutlichen, dass das Vorabentscheidungsverfahren ungeachtet seiner ausschließlich an den Bedürfnissen der mitgliedstaatlichen Gerichte orientierten Ausrichtung80 nach Auffassung des EuGH dennoch in das allgemeine Klagensystem des EG-Vertrages einzubeziehen ist. Folglich dürfte diesem Verfahren keine Sonderstellung im Klagensystem des EGVertrages zukommen, sondern vielmehr auch insoweit die Gewährleistung von Rechtssicherheit wohl oberste Priorität genießen. Im Übrigen läge die uneingeschränkte Bindung der mitgliedstaatlichen Gerichte auf einer Linie mit der Judikatur, die ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot gegenüber dem EuGH und dem EuG anerkennt. Andernfalls wären die mitgliedstaatlichen Gerichte weniger stark gebunden als die Gemeinschaftsgerichte, bei denen die mit Eintritt der Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des betreffenden Gemeinschaftsrechtsverhältnisses im Interesse der Rechtssicherheit zu einer Durchbrechung ihrer Bindung an Recht und Gesetz führt.

79

Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, Rn. 25. Dies impliziert die prinzipielle Anerkennung ihrer verfahrensrechtlichen Autonomie. 80

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2. Teil: Abweichungsverbote

b) Voraussetzungen für den Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot gelangt gegenüber den Gerichten aufgrund seiner Akzessorietät im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft nur und erst dann zur Entstehung, sobald die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen eingetreten ist. Wann dies im Einzelnen der Fall ist, wurde bereits an früherer Stelle dargelegt, so dass diesbezüglich auf dortige Darstellung verwiesen wird.81 Ungeklärt ist allerdings bislang, ob das Abweichungsverbot in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, als Folge einer relativen oder erst als Folge einer absoluten materiellen Bestandskraft eintritt. Wie bereits erwähnt, gibt es wohl gewisse Anhaltspunkte in der Judikatur dafür, dass die materielle Bestandskraft möglicherweise bereits durch eine relative formelle Bestandskraft bewirkt wird.82 Für das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot würde dies bedeuten, dass es bereits als Folge einer relativen materiellen Bestandskraft zur Entstehung gelangt. Diese Erkenntnis ist allerdings wenig gesichert. c) Fortbestand des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Aufgrund der im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät des gegenüber den Gerichten anerkannten Abweichungsverbotes besteht dieses, solange die materielle Bestandskraft selbst fortbesteht. Der Fortbestand der materiellen Bestandskraft wurde bereits an früherer Stelle erörtert, so dass diesbezüglich auf dortige Darstellung verwiesen werden kann.83 d) Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Der akzessorische Charakter des gegenüber den Gerichten anerkannten Abweichungsverbotes wirkt sich auch auf seine Folgen aus. Dessen Folgen richten sich nach den Folgen, die die materielle Bestandskraft für die Betroffenen im Rahmen nachfolgender Verfahren vor dem EuGH, dem EuG bzw. den mitgliedstaatlichen Gerichten nach sich zieht. Auf diese Folgen ist im Folgenden zunächst näher einzugehen.

81 82 83

s. o., Erstes Kapitel, A. I. 1. b). s. o., ebenda. s. o., Erstes Kapitel, A. I. 1. c).

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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aa) Folgen der materiellen Bestandskraft im Rahmen nachfolgender Verfahren vor dem EuGH, dem EuG bzw. den mitgliedsstaatlichen Gerichten Die materielle Bestandskraft führt zu einer auf Dauer angelegten Bindung der Betroffenen an den Inhalt einer materiell bestandskräftigen Entscheidung in nachfolgenden Gerichtsverfahren, in denen der Inhalt dieser Entscheidung für die zu treffende Gerichtsentscheidung präjudizielle Wirkungen entfaltet. Sie erstreckt sich auf alle nachfolgenden Verfahren vor dem EuGH, dem EuG und den mitgliedstaatlichen Gerichten, in denen der präjudizielle Wirkungen entfaltende Inhalt einer bestandskräftigen Entscheidung im Wege der Geltendmachung der Einrede seiner Rechtswidrigkeit in Frage gestellt werden könnte. Dadurch, dass die Möglichkeit der einredeweisen Geltendmachung als allgemeiner Grundsatz anerkannt ist, kann die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung dementsprechend an sich in allen Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten und den mitgliedstaatlichen Gerichten geltend gemacht werden.84 Mit Eintritt der materiellen Bestandskraft ist die einredeweise Geltendmachung der Rechtswidrigkeit dieser bestandskräftigen Entscheidung jedoch insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen. Sie ist ab diesem Zeitpunkt unzulässig,85 es sei denn, die nun84 Vgl.: Röhl, ZaöRV 60 (2000), 331, 360; ders, in: Schmidt-Aßmann/SchöndorfHaubold, S. 319, 345; Ehricke, in: Streinz, Art. 241, Rn. 2 f., Rn. 6. 85 In Bezug auf ihre Geltendmachung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor dem EuGH oder dem EuG z. B.: im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 33 Abs. 2 bzw. Art. 36 Abs. 2 EGKS-Vertrag: EuGH, Rs. 265/82, Slg. 1983, 3105, Rn. 7 (Usinor/Kommission); Rs. 76/83, Slg. 1984, 859, Rn. 4 (Usines Gustave Boel und Fabrique de fer de Maubeuge/Kommission); Rs. 270/82, Slg. 1984, 1195, Rn. 11 (Estel NV/Kommission); Rs. 348/82, Slg. 1984, 1409, Rn. 6 (IRO/Kommission); Rs. 81/83, Slg. 1984, 2951, Rn. 12 (Acciaierire e Ferriere Busseni SpA/Kommission); Rs. 64/84, Slg. 1985, 1829, Rn. 16 (Queenborough Rolling Mill Company Ltd./Kommission); im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 88 Abs. 2 UAbs. 2 EG: EuGH, Rs. 156/77, Slg. 1978, 1881, Rn. 21 ff. (Kommission/Königreich Belgien); Rs. C-74/91, Slg. 1992, I-5437, Rn. 10 (Kommission/BRD); Rs. C-183/91, Slg. 1993, I-3131, Rn. 10 (Kommission/Griechische Republik); Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 34 (Kommission/Portugiesische Republik) (unter Hinweis auf eine dies zulassende Bestimmung im EG-Vertrag); im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 91 BeaSt. (Art. 236 EG): EuGH, Rs. 20/65, Slg. 1965, 1111, 1117 (U. Collotti/EuGH); EuG, Rs. T-60/92, Slg. 1993, II-911, Rn. 19 und Rn. 23 ff. (M. Noonan/Kommission) (bestätigt durch EuGH, Rs. C-448/93 P, Slg. 1995, I-2321 [Kommission/M. Noonan]). In Bezug auf ihre Geltendmachung im Rahmen eines bei einem mitgliedstaatlichen Gericht anhängigen Verfahrens z. B.: EuGH, Rs. C-188/92, Slg. 1994, I-833, Rn. 13 ff. (Rn. 14, Rn. 17 f.) (TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft); Rs. C-178/95, Slg. 1997, I-585, Rn. 19 ff. (Rn. 21 und Rn. 28 f.) (Wiljo NV/Belgischer Staat); Rs. C-239/99, Slg. 2001, I-1197, Rn. 35 f. und Rn. 40 (Nachi Europe GmbH/Hauptzollamt Krefeld); Rs. C-241/01, Slg. 2002, I-9079, Rn. 36 (National Farmers’ Union/Secrétariat général du gouvernement).

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2. Teil: Abweichungsverbote

mehr bestandskräftige Entscheidung ist Bestandteil eines sog. „komplexen Verwaltungsvorganges“. Hierbei handelt es sich um eine Konstellation, in der (mindestens) zwei Entscheidungen in der Weise eng miteinander verbunden sind, als die eine auf der anderen sachlich aufbaut.86 Im Gemeinschaftsrecht hat diese Konstellation im Kontext sog. „mehraktiger Verfahren“ im Bereich der Personalangelegenheiten (konkret: externer Auswahlverfahren) praktische Relevanz erlangt.87 Nach der Judikatur handelt es sich bei einem externen Auswahlverfahren um ein fünfaktiges Verfahren: Beginnend mit der Ausschreibung eines Auswahlverfahrens schließen sich die Zulassung zu Auswahl- und Prüfungsverfahren, die Prüfungsdurchführung, die Erstellung der Eignungsliste, die zwar an sich nur vorbereitenden Charakter hat, jedoch dann anfechtbar ist, wenn der Prüfungsausschuss die Aufnahme eines Bewerbers ausdrücklich verweigert, sowie schließlich die Ernennung an.88 Aufgrund der besonderen Natur eines solchen Verfahrens ist der Rechtsbehelfsberechtigte nach Auffassung des EuGH89 nicht verpflichtet, in einem Verfahren vor dem EuGH oder dem EuG90 jede einzelne Entscheidung gesondert unmittelbar anzugreifen, sondern darf im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine spätere Entscheidung die Rechtswidrigkeit einer früheren Entscheidung – ungeachtet eventuell inzwischen eingetretener materieller Bestandskraft – geltend machen. Mit der Anerkennung dieser Ausnahme greift die Judikatur offensichtlich auf das französische Recht zurück: Dort ist die exception d’illégalité in Bezug auf actes individuels unzulässig,91 es sei denn, der bestandskräftige acte individuel ist im Rahmen einer sog. „opération complexe“ ergangen.92 Vor Eintritt der Bestandskraft ist die Geltendmachung der Einrede der Rechtswidrigkeit einer Entscheidung demgegenüber zulässig, s. nur: EuG, Rs. T-34/02 R, Slg. 2002, II-2803, Rn. 92 (B./Kommission). s. dazu auch oben, Fn. 74. 86 In diesem Sinne: EuGH, Rs. C-448/93 P, Slg. 1995, I-2321, Rn. 19 (Kommission/M. Noonan). 87 Zu mehraktigen Verfahren: Karpenstein, in. Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 30. 88 Zum Ganzen: Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Art. 236, Rn. 30. Die Ausschreibung eines Auswahlverfahrens stellt zwar eine abstrakt-generelle Maßnahme dar (GA Léger, in: SA in Rs. C-448/93 P, Slg. 1995, I-2321, Rn. 15 [Kommission/M. Noonan]), kann aber als solche im Rahmen der Artt. 90 und 91 BeaSt. angefochten werden (EuG, Rs. T-60/92, Slg. 1993, II-911, Rn. 21 [M. Noonan/Kommission]). 89 EuGH, Rs. C-448/93 P, Slg. 1995, I-2321, Rn. 17 und Rn. 19 (Kommission/M. Noonan). 90 Soweit ersichtlich, ist diese Ausnahme bisher nur in Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten relevant geworden. 91 Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 768; ders., Droit administratif général, Rn. 1016; Peiser, S. 253. 92 Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 781; ders., Droit administratif général, Rn. 1016; Peiser, S. 253. Relevant wird eine opération complexe etwa im

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Die materielle Bestandskraft gilt ferner nicht in auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklageverfahren. Die Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EG stellt – wie bereits berichtet – einen eigenständigen Rechtsbehelf dar, so dass eine materiell bestandskräftige Entscheidung der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nicht entgegensteht, es sei denn, der Schadensersatzkläger begehrt in Wirklichkeit die faktische Aufhebung der bestandskräftigen Entscheidung, indem er seinen Schadensersatzantrag auf Zahlung des Betrages richtet, der exakt dem Betrag der mittels inzwischen bestandskräftiger Entscheidung begründeten Zahlungsverpflichtung entspricht. In diesem Ausnahmefall ist die Schadensersatzklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.93 bb) Konsequenzen für die Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Mit Ausnahme der Fälle, in denen die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen nicht gilt (bei Entscheidungen, die Bestandteil eines komplexen Verwaltungsvorganges sind; grundsätzlich bei einer auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklage),94 sind der EuGH, das EuG und die mitgliedstaatlichen Gerichte in den Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes an den Inhalt der betreffenden bestandskräftigen Entscheidung auf Dauer gebunden. Ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung95 haben die Gerichte ihren Inhalt bei ihrer eigenen Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen. 2. Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes Die soeben gewonnene Erkenntnis, dass die Gerichte als andere Entscheidungsträger einem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot unterliegen, Rahmen von Auswahlverfahren im öffentlichen Dienstrecht, vgl. dazu und zu weiteren Beispielen: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 782 ff. 93 Vgl. zum Ganzen bereits oben, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (a) (bb) [dort unter lit. (b)]. Vor Eintritt der Bestandskraft gilt diese Ausnahme dagegen nicht, da dann keine Umgehung der zwingenden Klagefristen droht, vgl. in diesem Sinne z. B.: EuG, Rs. T-186/98, Slg. 2001, II-1633, Rn. 76 (Compania Inpesca SA/Kommission); Rs. T-166/98, Rn. 122 (Cantina sociale di Dolianova coop. rl/Kommission) (noch nicht in amtlicher Sammlung); EuGH, Rs. C-310/97 P, Slg. 1999, I-2555, Rn. 59 (Kommission/Assi Domän Kraft Products AB u. a.). 94 Auf die Konsequenzen dieser Ausnahmen wird an späterer Stelle noch im Detail eingegangen (s. lit. C.). 95 Nur die rechtlich inexistente Entscheidung ist unbeachtlich, s. nur: GA Mischo, in: SA in Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005, 1019 (Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/ Kommission).

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2. Teil: Abweichungsverbote

besagt noch nichts über den Umfang der hierdurch begründeten Bindung. Die im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des Abweichungsverbotes wirkt sich allerdings nicht nur auf dessen Bestehen, sondern – konsequenterweise – auch auf den dadurch begründeten Bindungsumfang aus. Die Gerichte sind demnach – zumindest –96 in dem Umfang gebunden, in dem die Betroffenen infolge der materiellen Bestandskraft gebunden sind. Der Umfang der materiellen Bestandskraft wurde bereits an früherer Stelle ausführlich erörtert, so dass diesbezüglich auf obige Darstellung verwiesen wird.97 Für den Umfang des gegenüber den Gerichten bestehenden bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes bedeutet dies im Wesentlichen, dass sie in sachlicher Hinsicht an die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung, nicht jedoch an die in der Begründung einer Entscheidung aufgeführten tatsächlichen Feststellungen bzw. rechtlichen Würdigungen gebunden sind. Allem Anschein nach bindet neben der Regelung zumindest auch der sie tragende Grund. In persönlicher Hinsicht erfasst die Bindung die von der Entscheidung Betroffenen, also den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener, den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte (im Falle einer zumindest auch belastenden Entscheidung allerdings nur die zweifellos anfechtungsberechtigten Dritten im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft). Die so gegebene Bindung der Gerichte in den persönlichen Grenzen der materiellen Bestandskraft bedeutet, dass sie bei ihrer späteren Entscheidungsfindung nur dann an die materielle Bestandskraft der präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung gebunden sind, wenn die von der materiell bestandskräftigen Entscheidung Betroffenen mit den Beteiligten der nun zu treffenden Gerichtsentscheidung identisch sind. In zeitlicher Hinsicht umfasst die Bindung lediglich die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage. III. Zusammenfassung 1. Die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger unterliegen einem bislang in Judikatur und Literatur nicht näher bezeichneten Abweichungsverbot, das, wie die gewählte Anknüpfung an Art. 249 Abs. 4 EG in Verbindung mit Art. 10 EG bzw. wohl dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) zeigt, als 96 Eine weitergehende Bindung ist trotz ihrer Akzessorietät nicht ausgeschlossen, vorliegend aber nicht erkennbar. 97 s. o., Erstes Kapitel, A. I. 2.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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bestandskraftunabhängige Bindungswirkung konzipiert und im Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts, das einen für sich widersprechende Einzelfallentscheidungen geradezu prädestinierten Bereich darstellt, in Art. 16 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 sogar positivrechtlich geregelt ist. Das Abweichungsverbot tritt als Folge der rechtlichen Existenz einer Entscheidung, die deren tatsächliche Existenz voraussetzt, allem Anschein nach unabhängig davon ein, welchen Inhalt sie hat. Ungeklärt ist insoweit bislang, ob es in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, mit Eintritt der zeitlich ersten rechtlichen Existenz bereits mit Wirkung für und gegen sämtliche Betroffene oder – der Relativität der rechtlichen Existenz entsprechend – beschränkt auf den betroffenen Einzelnen zur Entstehung gelangt. Das gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern anerkannte Abweichungsverbot besteht, solange die präjudizielle Wirkungen entfaltende Entscheidung existent bleibt. Es bewirkt, dass die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger bei ihrer späteren Entscheidungsfindung an dem Erlass einer abweichenden Regelung in der Sache gehindert sind. Vor dem Hintergrund des auch der Handlungsform der Entscheidung zukommenden Anwendungsvorrangs zieht das Abweichungsverbot für die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger auf mitgliedstaatlicher Ebene eine noch weitergehende Bindung nach sich, indem die in der Entscheidung enthaltene Regelung zugleich das Ergebnis der seitens der mitgliedstaatlichen Entscheidungsträger zu erlassenden Regelung vorzeichnet. Auch die von ihnen auf der Grundlage mitgliedstaatlichen Rechts zu erlassende Regelung darf nicht dem Regelungsgehalt der Gemeinschaftsentscheidung widersprechen. Der Umfang der infolge des bestandskraftunabhängigen Abweichungsverbotes begründeten Bindung der anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger umfasst in sachlicher Hinsicht die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung. Allem Anschein nach bindet daneben auch zumindest der sie tragende Grund. In persönlicher Hinsicht erfasst die Bindung die von der Entscheidung Betroffenen, d.h. den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener, den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte. Bei ihrer Entscheidungsfindung sind die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger daher nur dann an den Inhalt der präjudizielle Wirkung entfaltenden Entscheidung gebunden, wenn die von dieser Entscheidung Betroffenen sämtlich auch von der nun zu erlassenden Regelung betroffenen sind.

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2. Teil: Abweichungsverbote

In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Bindung lediglich auf die im Zeitpunkt des Erlasses maßgebliche Sach- und Rechtslage. 2. Gestützt auf den Grundsatz der Rechtssicherheit besteht im Gemeinschaftsrecht gegenüber dem EuGH, dem EuG und grundsätzlich auch den mitgliedstaatlichen Gerichten ein richterrechtlich anerkanntes, bestandskraftabhängiges, bislang nicht näher bezeichnetes Abweichungsverbot, das aufgrund seiner Bestandskraftabhängigkeit dogmatisch betrachtet als – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft begründeten (unmittelbaren) Bindung eines Betroffenen – mittelbare und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig akzessorische, auf Dauer angelegte Bindung an den Inhalt einer bestandskräftigen, präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung konzipiert ist. Die richterrechtliche Anerkennung des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes auch gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten führt zu einer Einschränkung der ihnen im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG an sich eingeräumten Verfahrensautonomie. Der EuGH lässt die Verfahrensautonomie hinter der mit dem Eintritt der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen verbundenen Rechtssicherheit zurücktreten, weshalb seine Judikatur von einzelnen Generalanwälten scharf kritisiert wird. Offen ist, ob ein mitgliedstaatliches Gericht in den Fällen, in denen es ausschließlich von Amts wegen eine Vorlage an den EuGH wegen Zweifel an der Gültigkeit einer bestandskräftigen, präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung in Erwägung zieht, aufgrund der Bestandskraft dieser Entscheidung an einer zulässigen Vorlage gehindert ist oder ob in einer solchen Konstellation die dem mitgliedstaatlichen Gericht eingeräumte Verfahrensautonomie Vorrang genießt. Möglicherweise hat die Gewährleistung von Rechtssicherheit auch in dieser Konstellation Vorrang vor der Verfahrensautonomie. Das an die materielle Bestandskraft angelehnte Abweichungsverbot gelangt nur und erst dann zur Entstehung, sobald die materielle Bestandskraft gegenüber den Betroffenen eingetreten ist. Ungeklärt ist insoweit bislang, ob das Abweichungsverbot in den Fällen, in denen eine Entscheidung mehrere Betroffene berührt, als Folge einer relativen oder erst als Folge einer absoluten materiellen Bestandskraft zur Entstehung gelangt. In der Judikatur sind Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die materielle Bestandskraft in diesen Fällen bereits als Folge einer relativen formellen Bestandskraft eintritt. Demzufolge erscheint es möglich, dass das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot bereits durch eine relative materielle Bestandskraft ausgelöst wird.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Aufgrund der an die materielle Bestandskraft angelehnten Bindung der Gerichte sind diese auf Dauer an den Inhalt der präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung gebunden, solange deren materielle Bestandskraft fortbesteht. Die im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehende Akzessorietät des gegenüber den Gerichten anerkannten Abweichungsverbotes wirkt sich auch auf dessen Folgen aus: Entsprechend den Folgen der materiellen Bestandskraft sind die Gerichte grundsätzlich in allen nachfolgenden Verfahren, in denen die bestandskräftige Entscheidung für die zu treffende Gerichtsentscheidung präjudizielle Wirkungen entfaltet, an ihren Inhalt gebunden und haben ihn bei ihrer Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen. In offensichtlicher Anlehnung an das französische Recht gilt für die Gemeinschaftsgerichte jedoch etwas anderes im Falle einer bestandskräftigen Entscheidung, die Bestandteil eines komplexen Verwaltungsvorganges ist, sowie grundsätzlich auch im Falle einer auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklage. Der Umfang des gegenüber den Gerichten anerkannten bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes an den Inhalt einer bestandskräftigen Entscheidung bestimmt sich wegen der im Verhältnis zu der materiellen Bestandskraft bestehenden Akzessorietät nach dem Umfang, in dem die aufgrund der materiellen Bestandskraft unmittelbar gebundenen Betroffenen gebunden sind. Dies bedeutet, dass die Bindung der Gerichte in sachlicher Hinsicht die grundsätzlich nur in dem verfügenden Teil einer Entscheidung enthaltene Regelung sowie – allem Anschein nach – zumindest auch an den die Regelung tragenden Grund umfasst. In persönlicher Hinsicht sind die Gerichte nur in den persönlichen Grenzen der materiellen Bestandskraft gebunden mit der Folge, dass die Gerichte bei ihrer späteren Entscheidungsfindung nur dann den Inhalt einer bestandskräftigen, präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung als gegeben zugrundezulegen haben, wenn sämtliche von der bestandskräftigen Entscheidung Betroffene nun an dem anhängigen Rechtsstreit beteiligt sind. In zeitlicher Hinsicht erfasst die Bindung der Gerichte lediglich die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage.

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2. Teil: Abweichungsverbote

B. Bestehen und Umfang eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen Entscheidungsträgern im Kontext der Verwaltungsakte Unter Zugrundelegung der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur98 entfaltet ein Verwaltungsakt gegenüber den anderen Entscheidungsträgern99 „Tatbestandswirkung“100. Zu den anderen Entscheidungsträgern gehören – neben den Gerichten –101 die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger. Auf der Grundlage des in 98

Einzelnachweise später. s. zu dem im Rahmen dieser Untersuchung verwendeten Begriff der anderen Entscheidungsträger bereits oben, Einleitung, A. I. 100 So die überwiegende Bezeichnung in Judikatur und Literatur, z. B.: BVerfGE 83, 182, 197; BVerwGE 59, 310, 315; 74, 315, 320; 95, 341, 362; 115, 10, 13; 117, 351, 354 f.; BVerwG, NVwZ 1987, 496 und 497; BVerwG, NVwZ-RR 1992, 482, 483; BVerwG, NVwZ-RR 2002, 387; BSGE 89, 13, 16; BSG, GewArch. 1997, 320, 322 und 323; BFHE 197, 301, 303; BAGE 62, 280, 286; BayVGH, BayVBl. 1982, 52; VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60 (zugleich „Bindungswirkungen“); BayOLG, DÖV 1979, 830, 831; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 16 ff.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4 f.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17 ff.; Wolff/Bachof/ Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64 (s. aber Rn. 63: „Drittbindungswirkung“); dies., Bd. 2, § 48, Rn. 8; Detterbeck, Rn. 544; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 4; Huxholl, S. 53; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Rohlfing, S. 264; Knoke, S. 101; Maurer, § 11, Rn. 8; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Becker, S. 58; Berg, in: FS für Maurer, S. 529, 530 (Überschrift Ziff. 1.) i. V. m. S. 531; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; ders., K & R 2001, 1, 5; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188 f.; Kopp, DVBl. 1983, 392, 400; Merten, NJW 1983, 1993, 1997; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2982 f.; ders., NJW 1986, 1315, 1316; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2790; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411 f.; Peine, JZ 1990, 201, 207 f.; Kollmann, DÖV 1990, 189 f.; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 221; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 91; von Bogdandy, VerwArch. 93 (1992), 53, 93; Althammer, JZ 2005, 253, 254. Synonyme Bezeichnung: „Drittbindungswirkung“: BSG, NZA 1995, 320, 327. Beschränkt auf gestaltende Verwaltungsakte: „Gestaltungswirkung“ (vgl. dazu: Seibert, S. 74 sowie S. 88 f.). Zu weiteren Bezeichnungen später, da mit sachlichen Differenzierungen verbunden. 101 Z. B.: BVerwGE 68, 241, 245; 117, 351, 355; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BVerwG, DVBl. 1989, 673, 674; BSG, NZA 1995, 320, 327; BFHE 197, 301, 303 f.; BAGE 62, 280, 286; BGHZ 78, 145, 147 sowie 150; 112, 363, 365; 121, 131, 134; 122, 1, 5 sowie 6; BGH, NJW 1998, 3055; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 16 ff.; Maurer, § 11, Rn. 8; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 5; Wolff/ Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 63 f.; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 4; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 9; Huxholl, S. 53; Knoke, S. 101; Achterberg, § 23, Rn. 41; Domke, S. 58 f.; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Henneke, in: Knack, vor § 35, Rn. 32; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Kopp, DVBl. 1983, 392, 400; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1667; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 221; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 91. 99

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Judikatur und Literatur weit überwiegenden Begriffsverständnisses im Hinblick auf den erlassenden Entscheidungsträger102 handelt es sich bei diesen um sämtliche anderen Behörden des Rechtsträgers, dessen eine Behörde den betreffenden Verwaltungsakt erlassen hat, sowie die Behörden der anderen Träger der öffentlichen Verwaltung,103 und zwar grundsätzlich sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene.104 I. Bestehen der Tatbestandswirkung 1. Begriff der Tatbestandswirkung Ebensowenig wie das Abweichungsverbot der Tatbestandswirkung als solches gesetzlich geregelt ist,105 ist der Begriff der Tatbestandswirkung legaldefiniert. Nach einer sowohl in der Judikatur106 als auch in der Literatur107 häufig verwendeten Kurzbeschreibung ist unter Tatbestandswirkung die Bindung der anderen Entscheidungsträger an die Existenz und den InDie Gerichte als andere Entscheidungsträger wurden bereits oben hervorgehoben, s. o., Einleitung, A. I. 102 s. o., Erstes Kapitel, B. 103 Vgl. z. B.: BVerwG, NVwZ 1987, 496; BSG, NZA 1995, 320, 327; VG Köln, DÖD, 1990, 101, 102; BFHE 197, 301, 303; BGH, NJW 1998, 3055 f.; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 16 ff.; Maurer, § 11, Rn. 8; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 4; Huxholl, S. 53; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Knoke, S. 101; Achterberg, § 23, Rn. 41; Domke, S. 58 ff.; Detterbeck, Rn. 544; Henneke, in: Knack, vor § 35, Rn. 30 sowie Rn. 32; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Knöpfle, BayVBl. 1983, 225, 228; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 221; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 91. 104 Zu den persönlichen Grenzen der Abweichungsverbote vor dem Hintergrund des Bundesstaates, vgl. ausführlich: Seibert, S. 271 ff. In der Regel wird dieser Aspekt allerdings nicht thematisiert, vgl. aber: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 109; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 18. Beispiele aus der Judikatur: BVerwGE 90, 65, 71; OVG Niedersachsen, NVwZ 1988, 560. Wie im Gemeinschaftsrecht hängt die Frage, wer im Einzelnen dem Kreis der anderen Entscheidungsträger angehört davon ab, wer im konkreten Einzelfall Adressat des betreffenden Verwaltungsaktes ist. 105 Vgl. auch: Ammelburger, S. 9; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411; Peine, JZ 1990, 201, 207. 106 Z. B.: BVerwGE 59, 310, 315; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BAGE 62, 280, 286; BGHZ 122, 1, 5. 107 Z. B.: Henneke, in: Knack, vor § 35, Rn. 32; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4; Ammelburger, S. 8; Knoke, S. 101; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 19; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Merten, NJW 1983, 1993, 1997; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 221; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 91.

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2. Teil: Abweichungsverbote

halt eines Verwaltungsaktes zu verstehen.108 Hinter dieser Kurzbeschreibung verbirgt sich eine terminologische und darauf aufbauend sachliche Differenzierung zwischen der sog. „Tatbestandswirkung i. e. S.“109 und der sog. „Tatbestandswirkung (i. w. S.)“110, wobei die Tatbestandswirkung i. e. S. als Sonderfall der Tatbestandswirkung (i. w. S.) angesehen wird.111 108

Vgl. zu diesem doppelten Inhalt der Tatbestandswirkung auch: Domke, S. 59 f. So die Bezeichnung in Abgrenzung zur Tatbestandswirkung (i. w. S.): BSG, NZA 1995, 320, 327 (wählt selbst die Bezeichnung „Drittbindungswirkung“); ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 145; Huxholl, S. 53; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Seibert, S. 77 ff.; Becker, S. 59; Randak, JuS 1992, 33, 35. Von „Tatbestandswirkung“ sprechen: BVerwGE 59, 310, 315; 95, 341, 362; BVerwG, NVwZ 1987, 496 und 497; BGHZ 117, 159, 168; FG Köln, EFG 2002, 846; ferner: Knoke, S. 101; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4; Henneke, in: Knack, vor § 35, Rn. 30 und Rn. 32; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64 (alternative Bezeichnung: „Feststellungswirkung“); Domke, S. 64 f.; Stelkens, Rn. 485; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 230; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Merten, NJW 1983, 1993, 1997; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 178; Kollmann, DÖV 1990, 189 f. Die Bezeichnung „erweiterte besondere Tatbestandswirkung“ bevorzugt: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 24. 110 „Tatbestandswirkung“ stellt die in Judikatur und Literatur wohl überwiegend gewählte Bezeichnung dar, z. B.: BVerfGE 83, 182, 197 und 198; BVerwGE 59, 310, 315; 74, 315, 320; 95, 341, 362; BVerwG, NVwZ 1987, 496; VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60 (alternative Bezeichnung: „Bindungswirkung“); BGH, NJW 1998, 3055 f.; BGH, NVwZ 2004, 763; BayOLG, DÖV 1979, 830, 831; BAGE 62, 280, 286; FG Köln, EFG 2002, 846; ferner: Maurer, § 11, Rn. 8; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 18 ff.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4 f.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 4; Knoke, S. 101; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Becker, S. 58; Rohlfing, S. 264 ff.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2982 ff.; ders., NJW 1986, 1315, 1316; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 221 ff.; von Bogdandy, VerwArch. 93 (1992), 53, 93; Ehlers, K & R 2001, 1, 5. Von „Tatbestandswirkung i. w. S.“ sprechen: Huxholl, S. 53; Seibert, S. 77 [Überschrift lit. a)] und S. 79 (selbst aber für die Bezeichnung „Bindungswirkung“). Weitere Bezeichnungen: „Bindungswirkung“: BVerwGE 80, 259, 261; 84, 11, 14; 85, 54, 61 und 62; 114, 332, 337; VG Köln, DÖD 1990, 101, 102; VG Darmstadt, GewArch. 2002, 435, 436; BFHE 196, 191, 193 und 194; BGHZ 73, 114, 118; 95, 28, 37; 117, 159, 165; ferner: Seibert, S. 194; Becker, S. 73; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 412 (in Bezug auf Verwaltungsverfahren); „Maßgeblichkeit“: Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228 f.; „Fremdbindungswirkung“: Detterbeck/ Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 27; „Drittbindungswirkung“: BSG, NZA 1995, 320, 327; „Drittbindungswirkung i. w. S.“: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 63; „Verbindlichkeit“: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 178; „Feststellungswirkung“ (im Falle feststellender Verwaltungsakte): BVerwGE 50, 282, 289 und 291; 72, 226, 230 und 231; 90, 65, 71; OVG Berlin, NVwZ 2000, Beilage I, 19; BSGE 75, 241, 252; „materielle Bestandskraft“: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 101 (für den Zeitraum ab Eintritt der absoluten formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes; vorher könne von einem Verwaltungsakt eine „Beachtlichkeit“, die er als Abweichungsverbot i. w. S. qualifiziert, ausgehen, s. dazu ausführlich später noch im Text). 109

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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a) Tatbestandwirkung i. e. S. Der Begriff der Tatbestandswirkung wurde aus dem Zivilprozessrecht übernommen, wo er seinen Ursprung hat.112 Im Zivilprozessrecht bedeutet „Tatbestandswirkung“113 nach ganz überwiegender Ansicht,114 dass die Existenz einer gerichtlichen Entscheidung zur Tatbestandsvoraussetzung einer materiell- oder prozessrechtlichen Rechtsfolge erhoben wird. Die Tatbestandswirkung wird nicht vom Klagebegehren umfasst, ist daher weder Gegenstand der Verhandlung noch der gerichtlichen Entscheidung, sondern tritt automatisch, d.h. unabhängig vom Willen der Parteien oder des Gerichts ein,115 indem sie kraft Gesetzes an das bloße Vorhandensein einer gerichtlichen Entscheidung anknüpft.116 Dementsprechend wird im Verwaltungsrecht eine Tatbestandswirkung i. e. S. dann angenommen, wenn nach materiellem Recht der Erlass eines Verwaltungsaktes als solcher Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge ist (Beispiel: § 12 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AuslG a. F., in dem gleich vierfach eine Tatbestandswirkung i. e. S. enthalten war)117,118 d.h. die 111 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 145 (für das Verhältnis zwischen der Tatbestandswirkung i. e. S. und der von ihm angenommenen Beachtlichkeit). 112 Seibert, S. 71. Im Jahre 1908 wurde die Tatbestandswirkung von Kuttner für das Zivilprozessrecht in dem dort bis zum heutigen Tage gültigen engeren Sinne herausgearbeitet (dazu nur: Seibert, S. 75). Im Jahre 1913 wurde der Begriff der Tatbestandswirkung von Kormann aus dem Zivilprozessrecht in das Verwaltungsrecht übernommen (näher dazu: Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 226; Seibert, S. 75; Domke, S. 63). Zu seiner Geltung im Verwaltungsprozessrecht s. nur: Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 121, Rn. 38. 113 Synonyme Bezeichnungen: „Reflexwirkung“ bzw. „materiell-rechtliche Nebenwirkung“: Jauernig, § 61 IV. 114 Statt vieler: Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 2; Jauernig, § 61 IV.; Lüke, JuS 2000, 1042, 1042 und 1046; vgl. auch: Seibert, S. 71. 115 Jauernig, § 61 IV.; vgl. auch: Seibert, S. 71. Beispiele bei: Reichold, in: Thomas/Putzo, § 322, Rn. 2. 116 Seibert, S. 71; Lüke, JuS 2000, 1042, 1042 und 1046. 117 Dazu: Randak, JuS 1992, 33, 35. Weitere Beispiele bei: Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, § 43, Rn. 147 ff. (unter Rn. 147 auch ein weiteres, insbesondere vor dem Hintergrund der rechtsvergleichenden Thematik interessantes Beispiel: hinsichtlich des Grundsatzes „ne bis in idem“ für das die erneute Bestrafung ausschließende Vorliegen eines ersten Bußgeldbescheides [unter Hinweis auf OLG Saarbrücken, NJW 1982, 3183, 3184]; dazu später, C. I. 1.). 118 BVerwG, NVwZ 1987, 496, 497; BSG, NZA 1995, 320, 327; BGHZ 117, 159, 168; vgl. auch: BVerwGE 94, 94, 95 f.; 94, 98, 99; 95, 341, 361 f.; BVerwG, DVBl. 2002, 414, 415; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 145; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 24 f.; Wolff/ Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 129; Domke,

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2. Teil: Abweichungsverbote

bewirkte Rechtsfolge ist nicht Bestandteil der Regelung des Verwaltungsaktes; sie tritt vielmehr allein deshalb ein, weil ein Rechtssatz vorsieht, dass das Vorliegen eines Verwaltungsaktes bestimmten Inhalts den Eintritt dieser Rechtsfolge automatisch auslöst.119 b) Tatbestandswirkung (i. w. S.) Im Gegensatz zum Zivilprozessrecht erfährt der Begriff der Tatbestandswirkung im Verwaltungsrecht eine Begriffserweiterung.120 Nach weit überwiegender Ansicht in Judikatur121 und Literatur122 enthält die Tatbestandswirkung neben der soeben genannten Tatbestandswirkung i. e. S. eine zweite Komponente, die Tatbestandswirkung (i. w. S.),123 die die Bindung an den Inhalt eines Verwaltungsaktes zum Gegenstand hat. S. 64 f.; Stelkens, Rn. 485; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 230; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 177 f.; Kollmann, DÖV 1990, 189 f.; Randak, JuS 1992, 33, 35. Kritisch in Bezug auf die Einordnung dieses Phänomens als Wirkung des Verwaltungsaktes: Ammelbuger, S. 9. 119 Zum Ganzen: Seibert, S. 81 f.; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 24 f. 120 Diese geht wohl auf Kormann (s. bereits oben, Fn. 112) zurück, der die Tatbestandswirkung i. e. S. um die Gestaltungswirkung, d.h. die den konstitutiven Rechtsakten zukommende rechtsändernde Wirkung erweiterte. Die von ihm vorgenommene Differenzierung zwischen feststellenden und gestaltenden Verwaltungsakten wurde später vielfach allerdings ignoriert (zum Ganzen: Seibert, S. 75 f.). Diese Begriffserweiterung gilt übrigens auch im Verwaltungsprozessrecht, vgl. nur: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 5. 121 Z. B.: BVerfGE 83, 182, 197; BVerwGE 59, 310, 315; 74, 315, 320; 80, 259, 261; 85, 54, 61; 95, 133, 138; 95, 341, 362; 114, 332, 337; 117, 351, 355; BVerwG, NVwZ 1980, 1406; BVerwG, NVwZ 1987, 496; VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60; OVG NW, NWVBl. 2003, 62, 64; VG Köln, DÖD 1990, 101, 102; VG Darmstadt, GewArch. 2002, 435, 436; FG Köln, EFG 2002, 846; BSGE 75, 241, 252; BSG, NZA 1995, 320, 327; BGHZ 73, 114, 117; 86, 356, 359; 112, 363, 365; 122, 1, 5; BGH, NJW 1988, 1026, 1027; BGH, NJW 1996, 2791, 2792; BGH, NJW 1998, 3055 f.; BGH, NVwZ 2004, 763; BayOLG, DÖV 1979, 830, 831; OLG Düsseldorf, NJW 1996, 3020; BAGE 62, 280, 286. 122 Z. B.: Maurer, § 11, Rn. 8; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 18 ff.; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4 f.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 4; Huxholl, S. 53; Knoke, S. 101; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Seibert, S. 192 ff.; Blanke, S. 152 f.; Domke, S. 59 ff.; Ammelburger, S. 8 f.; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Becker, S. 58; Rohlfing, S. 264 f. und S. 267; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 8; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Kopp, DVBl. 1983, 392, 400; Merten, NJW 1983, 1993, 1997; J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 176 ff.; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2982 ff.; ders., NJW 1986, 1315, 1316; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411 f.; Peine, JZ 1990, 201, 207; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 211 und 223; von Bogdandy, VerwArch. 93 (1992), 53, 93; a. A. aber (nur für eine Tatbestandswirkung i. e. S.): Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 145; Seibert, S. 81; Randak, JuS 1992, 33, 35; ablehnend auch: Domke, S. 61 ff. (63).

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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2. Bestehen und Geltungsgrundlage der Tatbestandswirkung Wie bereits erwähnt, ist die Tatbestandswirkung als solche gesetzlich nicht geregelt. Eine gesetzliche Anordnung wird allerdings auch für entbehrlich gehalten.124 a) Nach offenbar überwiegender Ansicht in Judikatur und Literatur stellt die Tatbestandswirkung ein Abweichungsverbot dar, das sich auf den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Bindung an Recht und Gesetz) in Verbindung mit § 43 VwVfG gründet.125 Diese Ansicht nimmt daher an, ein (rechtswirksamer) präjudizielle Wirkungen entfaltender Verwaltungsakt sei – grundsätzlich –126 von allen anderen Entscheidungsträgern zu beachten und bei ihrer Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen. Dies hat das BVerwG in einem Urteil aus dem Jahre 2003127 (erneut) ausdrücklich und unter eindeutiger Anknüpfung (bereits) an die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes entschieden. Obgleich nach dem diesem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt der fragliche Verwaltungsakt schon in materielle Bestandskraft erwachsen war, hat das BVerwG die Tatbestandswirkung ausdrücklich an den rechtswirksamen Verwaltungsakt und damit gerade nicht an die durch die materielle Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb 123

Insoweit kann der Tatbestandswirkung (i. w. S.) eine sog. „Legalisierungswirkung“ zukommen (erstmals verwendet in BVerwGE 55, 218, 221 ff.; kritisch: Peine, JZ 1990, 201, 205 ff.). Mit ihr wird ein spezieller Fall der Tatbestandswirkung (i. w. S.) beschrieben (Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4 [dort: Fn. 18]). Sie dient als Schlagwort für die Beschreibung einer bestimmten Wirkung einer auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Vorschriften erteilten wirksamen Genehmigung: Soweit ihr sachlicher Umfang reicht, schließt die Genehmigung die Möglichkeit aus, das in Ausübung dieser Genehmigung an den Tag gelegte Verhalten auf der Grundlage anderer Rechtsvorschriften gegen den Begünstigten zu verwenden (Beispiel: BVerwG, NVwZ 2000, 1206 [im Kontext einer wasserrechtlichen Erlaubnis]). Zur Legalisierungswirkung im straf-, steuer- und zivilrechtlichen Zusammenhang, vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 141 ff.; im Kontext der Haftung für Altlasten: Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 408 ff. 124 Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 23 (die Tatbestandswirkung sei eine „reguläre Folge“ der Wirksamkeit). 125 Eindeutig: BVerwGE 117, 351, 355. Vgl. auch: Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; ders., NJW 1986, 1315, 1316; Domke, S. 61. s. zur Herleitung der Bindung an Verwaltungsakte aus der Bindung an Recht und „Gesetz“, das in Art. 20 Abs. 3 GG allein Rechtsnormen und daher keine Verwaltungsakte umfasst, bereits oben, Einleitung, A. II. (dort: Fn. 24). 126 Eine Bindung besteht selbstverständlich nicht, soweit ein Gericht oder ein anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger im konkreten Einzelfall zu der Überprüfung und der Aufhebung des betreffenden Verwaltungsaktes berufen ist, s. dazu im Einzelnen: Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228. 127 BVerwGE 117, 351, 355.

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2. Teil: Abweichungsverbote

des Verwaltungsrechtsverhältnisses angeknüpft. Diese Auffassung entspricht der offenbar überwiegenden Ansicht in der übrigen Judikatur128 und in der Literatur129. Die Anknüpfung bereits an die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass sowohl die Tatbestandswirkung i. e. S. als auch die Tatbestandswirkung (i. w. S.) auf der Grundlage der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur als jeweils bestandskraftunabhängige Komponenten des Abweichungsverbotes der Tatbestandswirkung konzipiert sind. Als Grund für die bereits ab Wirksamkeit des Verwaltungsaktes einsetzende, auf Dauer angelegte Bindung der anderen Entscheidungsträger an dessen Existenz und dessen Inhalt wird ein „ungeschriebener kompetenzrechtlicher Grundsatz“ angeführt, „nach dem die gewalten- und funktionenteilende rechtsstaatliche Zuständigkeitsordnung, die Regelungslücken und -überschneidungen vermeiden und ein homogenes System der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt schaffen will, verlangt, dass Gerichte und Verwaltungsbehörden im Verhältnis zueinander wie unter sich (bindende) Hoheits128

Bzgl. der Tatbestandswirkung i. e. S. z. B.: BVerwGE 59, 310, 315; 95, 341, 361 f. (362); BVerwG, NJW 1980, 1406; BVerwG, NVwZ 1987, 496 und 497. Bzgl. der Tatbestandswirkung (i. w. S.) z. B.: BVerwGE 59, 310, 315; 85, 54, 61; 95, 133, 138; 95, 341, 361 f. (362); 114, 332, 337; BVerwG, NJW 1980, 1406; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BSGE 75, 241, 252; 89, 13, 16; BSG, NZA 1995, 320, 327 ff.; BGH, NJW 1996, 2791, 2792; auch (allerdings liegt lt. Sachverhalt jeweils bereits ein bestandskräftiger Verwaltungsakt vor): BVerwGE 66, 315, 318 ff.; 72, 8, 12 ff.; 80, 259, 261; 105, 370, 372; BVerwG, DVBl. 2002, 414, 415; BFHE 197, 301, 303; VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60; OVG BlnE 19, 33 ff.; VG Köln, DÖD 1990, 101, 102; VG Darmstadt, GewArch. 2002, 435, 436; FG Köln, EFG 2002, 846; BGHZ 73, 114, 117; 78, 145, 147 und 150; 121, 131, 134 ff.; 122, 1, 5; BGH, NJW 1988, 1026, 1027; BGH, NJW 1998, 3055 f.; BGH, NVwZ 2004, 763; BayOLG, DÖV 1979, 830, 831. 129 Bzgl. der Tatbestandswirkung i. e. S. z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 23 und Rn. 25; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Domke, S. 65; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4 f.; Knoke, S. 101; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 129; Huxholl, S. 52 i. V. m. S. 53; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188 f.; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; ders., NJW 1986, 1315, 1316. Bzgl. der Tatbestandswirkung (i. w. S.) z. B.: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 43, Rn. 13, Rn. 4 f.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64 (beschränkt auf gestaltende und konstitutiv-feststellende Verwaltungsakte); dies., Bd. 2, § 48, Rn. 8; Ule/Laubinger, § 56 Rn. 4; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; Detterbeck, Rn. 544; Stelkens, Rn. 481; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Knoke, S. 101; Achterberg, § 23, Rn. 42; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Seibert, S. 192 ff. (für seine Bindungswirkung); Blanke, 152 f.; Ammelburger, S. 8; Maurer, § 11, Rn. 8; grundsätzlich auch: Kopp/ Ramsauer, § 43, Rn. 23; a. A. aber etwa: Merten, NJW 1983, 1993, 1997 (nimmt ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot an).

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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akte in der Weise respektieren, dass sie die in ihnen getroffenen Regelungen ihren eigenen Entscheidungen zugrundelegen“130. b) Abweichend von dieser offenbar überwiegenden Auffassung in Judikatur und Literatur differenziert eine andere, in der Literatur namentlich von Sachs vertretene Ansicht131: In Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht qualifiziert Sachs132 die Tatbestandswirkung i. e. S. als bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot. Anders als die überwiegende Ansicht bevorzugt er anstelle der bestandskraftunabhängigen zweiten Komponente der Tatbestandswirkung, der Tatbestandswirkung (i. w. S.), das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft.133 Seiner Ansicht nach rechtfertigt – grundsätzlich –134 erst die mit Eintritt der formellen Bestands130 Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228 (allerdings beschränkt auf „kompetenzgerechte“ Verwaltungsakte); nahezu wortgleich (aber bezogen auf verbindliche Hoheitsakte): OVG NW, NVwZ 1983, 55; VG Köln, DÖD 1990, 101, 102; ferner: Domke, S. 61 f.; Kollmann, DÖV 1990, 189, 192; ähnlich: BVerwGE 92, 272, 278; BVerwG, NJW 1980, 1406; BFHE 197, 301, 303; BGHZ 78, 145, 150 und 152; ferner z. B.: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4; Seibert, S. 259 ff.; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 49; Forsthoff, S. 105; Kirchhof, NJW 1986, 1315, 1316; Booß, VerwArch. 78 (1987), 91 f.; Ortloff, NJW 1987, 1665, 1666 f.; von Bogdandy, VerwArch. 93 (1992), 53, 93; wohl auch: Kutschera, S. 182 (Stichwort: „Einheit der Verfassung“); anders Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 92 (für den Geltungsgrund der Sicherung der in der Rechtssicherheit gründenden Klarstellungs- und Stabilisierungsfunktion des Verwaltungsaktes). 131 Einzelnachweise im Folgenden. 132 Vgl. die systematische Einordnung bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Überschrift Ziff. 2. vor Rn. 126, Rn. 126 sowie Rn. 145 ff. (dort Erörterung der Tatbestandswirkung i. e. S.); ferner bei Randak, JuS 1992, 33, 35, Überschrift Ziff. III. und dort Ziff. 1., unter der er die Tatbestandswirkung i. e. S. abhandelt. Soweit ersichtlich, dürfte die bestandskraftunabhängige Konzeption der Tatbestandswirkung i. e. S. unstreitig sein. 133 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 100 f. sowie Rn. 115 f.; ebenso: Merten, NJW 1983, 1993, 1997; Randak, JuS 1992, 33, 34 f.; für die Gerichte auch: Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 25 ff. (Rn. 26 ff.). 134 Die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger sollen grundsätzlich erst ab dem Eintritt der Bestandskraft einem Abweichungsverbot unterliegen (vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 100; offen aber bzgl. denkbarer Ausnahmefälle). Gegenüber den Gerichten soll dagegen wohl uneingeschränkt erst ab dem Eintritt der Bestandskraft ein Abweichungsverbot zur Entstehung gelangen (vgl.: ders., ebenda, Rn. 115 f. [s. aber andererseits Rn. 100: Hier scheint er es für möglich zu halten, dass auch bereits zuvor ausnahmsweise ein Abweichungsverbot zur Entstehung gelangt]). Sachs sieht die Frage des Bestehens von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern, insbesondere gegenüber den Gerichten, ohnehin als in vielen Punkten offen an (vgl.: ders., ebenda, Rn. 102), hält selbst aber ein prinzipielles Abweichungsverbot gegenüber allen später entscheidenden Stellen für geboten, zumal eine vielfältig gegliederte, kompetenzverteilende Organisation der öffentlichen Gewalt den Bürger als Einheit entgegentreten müsse (vgl.: ders., ebenda, Rn. 103).

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2. Teil: Abweichungsverbote

kraft135 bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des mittels Verwaltungsaktes begründeten Verwaltungsrechtsverhältnisses die Annahme eines Abweichungsverbotes auch gegenüber den anderen Entscheidungsträgern.136 Entscheidender Grund für ein dann auch ihnen gegenüber anzuerkennendes Abweichungsverbot137 sei das rechtsstaatliche Anliegen der Rechtssicherheit, das die Durchbrechung der Bindung an das Gesetz auch gegenüber den anderen Entscheidungsträgern, insbesondere gegenüber den Gerichten, allein zu legitimieren vermöge; der von der anderen Ansicht zugunsten der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) vorgebrachte Geltungsgrund der Gewaltenteilung betone zwar die Gleichwertigkeit der Exekutiven als Staatsfunktion, sei aber nicht der ausschlaggebende Grund, um ein Abweichungsverbot gegenüber den anderen Entscheidungsträgern zu rechtfertigen.138 Im Gegensatz zu einem bestandskräftigen Verwaltungsakt komme einem noch anfechtbaren Verwaltungsakt nicht ein solches Gewicht für die Rechtssicherheit zu, dass ihr bereits generell der Vorrang vor der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung eingeräumt werden dürfte; er biete grundsätzlich keine geeignete Grundlage, um eine Bindung der anderen Entscheidungsträger an das Gesetz zu durchbrechen.139 Die Anerkennung des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft gegenüber den anderen Entscheidungsträgern anstelle der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) würde bedeuten, dass die anderen Entscheidungsträger – wie der erlassende Entscheidungsträger mit Eintritt der materiellen Bestandskraft – reflexartig und demzufolge dogmatisch betrachtet – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft begründeten (unmittelbaren) Bindung der Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen140 und Umfang akzessorisch an den Inhalt eines bestandskräftigen, präjudizielle Wirkungen entfaltenden Verwaltungsaktes gebunden sind.141 135 Im Einklang mit dem Prozessrecht versteht Sachs unter formeller Bestandskraft allein die absolute formelle Bestandskraft, s.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 19. 136 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 116. 137 Einschränkend aber gleichwohl in Bezug auf die Gerichte, vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 116 (Abweichungsverbot sei „grundsätzlich“ gerechtfertigt mit Eintritt der formellen Bestandskraft; offen aber bzgl. denkbarer Ausnahmen). 138 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 115. 139 Vgl. zum Ganzen: Sachs, ebenda, Rn. 100. 140 Vgl. dazu: BGH, NJOZ 2002, 1205, 1206. 141 s. bzgl. der entsprechenden Konzeption des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes oben, Erstes Kapitel, B. I. 1.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Neben dem Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft erkennt Sachs142 ein auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Bindung an Recht und Gesetz) gestütztes, bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot i. w. S. an, das, wie die von ihm gewählte Bezeichnung „Beachtlichkeit“ zweifelsohne zum Ausdruck bringen soll, ganz offensichtlich zum Inhalt hat, dass die anderen Entscheidungsträger die durch einen Verwaltungsakt bewirkten Rechtsänderungen zu beachten haben, ohne dabei insoweit aber bereits einem Abweichungsverbot im üblicherweise verstandenen Sinne143 zu unterliegen.144 Angesichts der Wirkung, die Sachs der von ihm vertretenen Beachtlichkeit zuschreibt, nämlich die, dass die anderen Entscheidungsträger die durch einen gestaltenden oder konstitutiv-feststellenden Verwaltungsakt145 bewirkten Rechtsänderungen, also die durch ihn geschaffene neue Rechtslage bei der eigenen späteren Entscheidungsfindung unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieses präjudizielle Wirkungen entfaltenden Verwaltungsaktes als gegeben zugrundezulegen haben,146 dürfte sich – ungeachtet der andersartigen Konzeption von Beachtlichkeit und Tatbestandswirkung (i. w. S.) – praktisch gesehen ein Unterschied zu der überwiegend vertretenen Tatbestandswirkung (i. w. S.) allein bei den deklaratorisch-feststellenden Verwaltungsakten ergeben: Während die deklaratorisch-feststellenden Verwaltungsakte allem Anschein nach Tatbestandswirkung (i. w. S.) entfalten,147 schließt Sachs148 eine Beachtlichkeit deklaratorisch-feststellender Verwaltungsakte mangels durch sie bewirkter Rechtsänderung aus. Diese sollen erst mit Eintritt des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft „maßgeblich“ werden.149 142 In: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 129 ff. Ihm folgend: Randak, JuS 1992, 33, 37 ff. 143 Zu dem üblichen und auch dieser Untersuchung zugrundeliegenden Begriffsverständnis bzgl. des Abweichungsverbotes s. o., Einleitung, A. I. 144 Deutlich insoweit: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 134 (Seiberts Kritik an einer doppelten Verbindlichkeit ginge an dieser andersartigen Grundlage vorbei). Deutlich auch: Randak, JuS 1992, 33, 37 (Verbindlichkeit liege erst ab Eintritt der Bestandskraft vor). 145 Nur diese Inhalte sollen seiner Ansicht nach die für eine auf Art. 20 Abs. 3 GG gestützte Beachtlichkeit notwendige Rechtsänderung enthalten, vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 129 und Rn. 131 i. V. m. Rn. 139. Vgl. auch: Randak, JuS 1992, 33, 37 ff. 146 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 134. Vgl. auch: Randak, JuS 1992, 33, 37. 147 s. an dieser Stelle nur: Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228. Weitere Nachweise später, Ziff. 3. 148 In: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 131. Vgl. auch: Randak, JuS 1992, 33, 38 f. 149 Randak, JuS 1992, 33, 39; vgl. auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 131.

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2. Teil: Abweichungsverbote

c) Auch die Judikatur scheint vereinzelt ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) vorzuziehen.150 Noch weitergehender, da – augenscheinlich – sogar nicht einmal ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot anerkennend, erscheint die Judikatur des BGH etwa151 im Kontext der – vor dem Hintergrund der rechtsvergleichenden Thematik der vorliegenden Untersuchung besonders interessierenden – Amtshaftung. In ständiger Rechtsprechung vertritt der BGH152 die Ansicht, ein zur Entscheidung über einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB (in Verbindung mit Art. 34 GG) berufenes Zivilgericht dürfe einen Verwaltungsakt unabhängig von dessen materieller Bestandskraft auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen und ggfls. als rechtswidrig qualifizieren. Die Frage der Rechtmäßig- bzw. der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, auf dessen (angeblich) rechtswidrigen Erlass die Amtshaftungsklage gestützt wird, bildet dabei für die Zivilgerichte eine Vorfrage für die Begründetheit des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs. Regelmäßig weist der BGH in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Differenzierung geboten sei, ob der in Rede stehende Verwaltungsakt Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war oder nicht. Bejahendenfalls erfasse die Rechtskraft eines die Klage als unbegründet abweisenden Urteils auch die Feststellung der materiellen Rechtmäßigkeit.153 Dann könne ein Amtshaftungsanspruch nicht mehr mit der Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes begründet werden. Einem ohne gerichtliches Erkenntnis bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt komme indes eine gleichartige, auch die Zivilgerichte bindende Wirkung nicht zu. Mit Rücksicht auf die verschiedenartigen Funktionen des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Urteils bestünden bedeutsame Unterschiede, die es 150 Insbesondere: BGHZ 112, 363, 366 f. (der Hinweis auf Knöpfle [vgl. S. 367] ist allerdings wohl unzutreffend, da seine „Maßgeblichkeit“ bereits ab Wirksamkeit des Verwaltungsaktes gilt); auch: BSGE 52, 168, 170; möglicherweise auch: BGHZ 98, 85, 89 f. und 91; 117, 159, 167. 151 Bzgl. eines anderen Bereichs s. z. B.: BGHZ 117, 159, 166. 152 Z. B.: BGHZ 112, 363, 365; 86, 356, 359; 95, 28, 37; 117, 159, 166; 127, 223, 225; 113, 17, 18 ff. (S. 21: Hinweis auf fehlende Identität des Streitgegenstandes zwischen [unterbliebener] Anfechtungsklage und Amtshaftungsklage; kritisch dazu: Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 29; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 121); BGH, NJW 1979, 2097, 2098; BGH, NJW 1983, 2823 (in Bezug auf einen Geldleistungsverwaltungsakt); BGH, NJW 1999, 1247, 1251; BGH, NJW 1994, 1950. Einen Kurzüberblick über die Judikatur des BGH bietet Axer, DVBl. 2001, 1322, 1326. 153 s. etwa zu dem Umfang der Rechtskraft eines stattgebenden oder sachabweisenden Anfechtungsurteils nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 21; Steinweg, NJW 2003, 3037, 3038.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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verbieten, „der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes auch hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit bindende Wirkung für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beizumessen“154. Die Judikatur des BGH hat in der Literatur sowohl Zustimmung als auch Ablehnung erfahren:155 Vor dem Hintergrund der rechtsvergleichenden Thematik der Untersuchung erscheint ein Gegenargument besonders erwähnenswert, das auf das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit gestützt wird. Es wird vorgebracht, die Rechtssicherheit gebiete, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt einer gerichtlichen Überprüfung zu entziehen, unabhängig davon, ob es sich um eine Überprüfung seitens der Verwaltungsoder der ordentlichen Gerichtsbarkeit (im Rahmen eines Amtshaftungsverfahrens) handele. Die in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt enthaltene Regelung gelte unabhängig von ihren rechtlichen Voraussetzungen und losgelöst von einem dem Verwaltungsakt möglicherweise anhaftenden Rechtsmangel.156 Eine andere, namentlich von Sachs vertretene Ansicht157 wertet die Judikatur des BGH demgegenüber nicht als unterbliebene Anerkennung (jedenfalls) des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft. Sachs sieht in der – seiner Ansicht nach – im Ergebnis zutreffenden Unterscheidung des BGH danach, ob der angeblich rechtswidrig erlassene Verwaltungsakt Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war oder ob der betreffende Verwaltungsakt ohne gerichtliches Erkenntnis bestandskräftig geworden ist, die Grundlage dafür geschaffen, die Bindungsfrage von der Amtshaftungsproblematik zu lösen.158 Seiner Auffassung nach stünde das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft der Qualifizierung eines auch bestandskräftigen Verwaltungsaktes als rechtswidrig aufgrund des dadurch begründeten sachlichen Bindungsumfangs ohnehin nur dann entgegen, wenn der Entscheidungsgegenstand des betreffenden Verwaltungsaktes die Feststellung seiner eigenen Rechtmäßigkeit umfassen würde.159 154

BGHZ 113, 17, 20. Bzgl. des zuvor Ausgeführten s. ebenfalls: BGH, ebenda. Zustimmend etwa: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 123; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 21; Steinweg, NJW 2003, 3037, 3038 f.; Papier, in: Münchener Kommentar, Bd. 5, § 839, Rn. 382; Battis, S. 176; offenbar auch: Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 16; im Ergebnis ebenso: Detterbeck/Windthorst/ Sproll, § 11, Rn. 26 ff.; Beaucamp, DVBl. 2004, 352, 356 (mit Überblick über den Meinungsstand, vgl. S. 353 ff.). Ablehnend etwa: Jeromin, NVwZ 1991, 543 ff.; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vorbem. § 113, Rn. 16; Kopp/ Ramsauer, § 43, Rn. 22. 156 Vgl. zum Ganzen: Jeromin, NVwZ 1991, 543, 544. 157 Einzelnachweise im Folgenden. 158 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 123. 159 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 121; s. auch: Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 29. 155

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2. Teil: Abweichungsverbote

Wohl einhellig wird in der Literatur insoweit die Ansicht vertreten, – vorbehaltlich besonderer Anhaltspunkte für die Annahme des Gegenteils –160 treffe ein Verwaltungsakt keine Regelung in Bezug auf seine (eigene) Rechtmäßigkeit.161 Zur Begründung wird – neben dem Hinweis auf § 48 VwVfG, der eine Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nach Unanfechtbarkeit zulasse –162 insbesondere auf die zwischen einem Urteil und einem Verwaltungsakt bestehenden wesensmäßigen Unterschiede (ein Urteil werde von einem Gericht als neutrale Instanz zwecks verbindlicher Klärung der Rechtslage als solcher gefällt, während dies gerade nicht zu dem Aufgabenbereich eines der Exekutiven angehörenden Entscheidungsträgers gehöre; dieser regele als regelmäßig sachlich Beteiligter vielmehr ein Rechtsverhältnis in Verfolgung eines Gestaltungsinteresses)163 hingewiesen; ferner wird betont, allein die Tatsache, dass ein Entscheidungsträger aufgrund seiner Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtmäßigkeit der eigenen zu treffenden Entscheidung vor ihrem Erlass zu prüfen habe, bedeute nicht zwangsläufig, dass das Ergebnis dieser Prüfung Teil der Regelung werde,164 zumal gerade angesichts der Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG davon auszugehen sei, dass der erlassende Entscheidungsträger jedenfalls rechtmäßig handeln wolle, so dass ein dennoch rechtswidriges Handeln wohl lediglich einen „Betriebsunfall“ darstelle.165 Davon, dass ein Verwaltungsakt – jedenfalls grundsätzlich – keine Regelung hinsichtlich seiner eigenen Rechtmäßigkeit trifft, geht eben auch der BGH166 aus. 160 So: Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 29; auch: Sachs, in: Piepenbrock/ Schuster, S. 152, 163 f. 161 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 121; ders., in: Piepenbrock/Schuster, S. 152, 163 f. (164) (s. auch: ders., K & R 2001, 13, 23); Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 11, Rn. 29; Rohlfing, S. 158 ff.; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 21; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 16 (anders noch: Ehlers, K & R 2001, 1, 5 [kritisch dazu aber: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 121 (dort: Fn. 302)]); Kollmann, DÖV 1990, 189, 196; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 92; Steinweg, NJW 2003, 3037, 3038 f. 162 Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 16. 163 Sachs, in: Piepenbrock/Schuster, S. 152, 164 (s. auch: ders., K & R 2001, 13, 23); vgl. auch: Kollmann, DÖV 1990, 189, 193. Zu den wesensmäßigen Unterschieden zwischen einem Urteil und einem Verwaltungsakt s. auch oben, Einleitung, B. II. 164 Sachs, in: Piepenbrock/Schuster, S. 152, 163 (s. auch: ders., K & R 2001, 13, 23). 165 Stelkens, Rn. 486. 166 Dies ist ständige Rechtsprechung des BGH, z. B.: BGHZ 113, 17, 18 ff.; 86, 356, 359; 112, 363, 365; 117, 159, 166 sowie 167; 122, 1, 5; 127, 223, 225; BGH, NJW 1979, 2097, 2098; BGH, NJW. 1994, 1950; BGH, NJW 1999, 1247, 1251 (offengelassen, ob dies auch für Planfeststellungsbeschlüsse gilt); offengelassen in: BGHZ 95, 28, 35 ff. (37).

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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d) Abschließend ist im Kontext der Frage des Bestehens der Tatbestandswirkung (i. w. S.) noch kurz auf verschiedentlich anzutreffende Judikatur einzugehen, die als Nichtanerkennung der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) bzw. sogar des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft aufgefasst werden könnte. Dabei handelt es sich zunächst um vereinzelte Urteile, in denen die Judikatur den Standpunkt vertreten hat, der Inhalt eines Verwaltungsaktes sei nur dann für ein Gericht bindend, wenn der (auch bestandskräftige) Verwaltungsakt gerichtlich bestätigt worden sei.167 Die Judikatur beruft sich dabei auf das oben bereits dargestellte Urteil des BVerwG aus dem 48. Band168. Wie berichtet, hatte sich das BVerwG in diesem Urteil aber mit der Frage zu befassen, ob die in einem Bescheid, mit dem ein Bauantrag sachlich abgelehnt wird, als Vorfrage für diese Ablehnungsentscheidung relevante Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit des Bauvorhabens Feststellungswirkung entfaltet, d.h. ob die Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit des Bauvorhabens zugleich zum Bestandteil der Regelung erhoben wird und dadurch an der Bindung teilnimmt. Das BVerwG hatte somit nicht über die Frage des „Ob“ einer Bindung, sondern vielmehr über die Frage der „Tragweite“ der Bindung zu entscheiden.169 In Abweichung von der an sich gebotenen Objektivität eines Länderberichts ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die aus dem Urteil des BVerwG hergeleitete Annahme des BGH, ein Abweichungsverbot bestehe offensichtlich prinzipiell nur im Falle gerichtlich bestätigter Verwaltungsakte, nicht dem dort Entschiedenen entspricht und damit der Anerkennung der Tatbestandswirkung (i. w. S.) – wie im Übrigen auch des vereinzelt bevorzugten Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft – nicht entgegengehalten werden kann. Der Anerkennung der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) – wie auch der Anerkennung des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft – steht schließlich auch nicht die Judikatur, namentlich die des BGH170, entgegen, die (allerdings nur scheinbar) das Bestehen eines Abweichungsverbotes – in der Sache ähnlich wie die zuvor erwähnte Judikatur, wohl aber ohne Berufung auf das Urteil des BVerwG aus 48. Band – nur bei (verwaltungs-)gerichtlich bestätigten Verwaltungsakten, also auf167 s. nur: BGHZ 90, 17, 23. Mit dieser Problematik befassen sich auch: Sachs, in: Piepenbrock/Schuster, S. 152, 160 f.; ders., K & R 2001, 13, 22; Ehlers, K & R 2001, 1, 4 f. 168 BVerwGE 48, 271 (dort: S. 275 ff.). s. o., Erstes Kapitel, B. I. 2. a) aa) (b). 169 Ausdrücklich: BVerwGE 48, 271, 273 und 278 f. Dies wird auch in späteren Urteilen hervorgehoben: BVerwG, VerwRspr. 29 (1978), 721, 723; BVerwGE 84, 11, 14: „Es geht (. . .) darum, wie weit (seine) Regelung inhaltlich reicht; (. . .).“ 170 s. nur: BGHZ 90, 4, 12.

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2. Teil: Abweichungsverbote

grund materieller Rechtskraft, annimmt. Der BGH bejaht eine Bindung der Zivilgerichte an die Rechtskraft eines Urteils, mit dem ein Verwaltungsgericht einen angegriffenen Verwaltungsakt für rechtmäßig erklärt hat. Offensichtlich hat er hierbei die wechselseitige Bindung der Gerichte unterschiedlicher Gerichtszweige an die Rechtskraft von Urteilen, die von einem Geicht eines jeweils anderen Gerichtszweiges erlassen wurden, im Blick. Die Betonung der wechselseitigen Bindung auf der Ebene der Gerichte bietet aber wohl keinen Raum für die Annahme, der BGH verweigere mit dieser Judikatur die Anerkennung eines Abweichungsverbotes, insbesondere des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft. Aus gerichtlicher Sicht scheint die Hervorhebung der rechtskraftbedingten wechselseitigen Bindung der Gerichte unterschiedlicher Gerichtszweige vielmehr durchaus naheliegend, denn: Wenn ein zuständiges Fachgericht einen Verwaltungsakt rechtskräftig für rechtmäßig erklärt, ist ein Zivilgericht an diese Entscheidung gebunden. Bemerkenswerter dürfte wohl eher sein, dass noch im Jahre 1984171 die Bindung eines Zivilgerichts an ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts unter Hinweis auf die „grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Gerichtszweige“172 begründet wird. 3. Voraussetzungen für den Eintritt der Tatbestandswirkung Ihrer offenbar überwiegend anerkannten Konzeption als insgesamt bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot entsprechend gelangt die Tatbestandswirkung gegenüber den anderen Entscheidungsträgern – grundsätzlich –173 mit Eintritt der inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes zur Entstehung.174 In den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, soll die Tatbestandswirkung gegenüber sämtlichen Betroffenen 171 Aus diesem Jahre stammt das in der vorangegangenen Fußnote genannte Urteil des BGH. 172 BGHZ 90, 4, 12. Immerhin soll es sich bei der Anerkennung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Gerichtszweige aber um eine ständige Rechtsprechung handeln (so der BGH, ebenda). 173 Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn eine gesetzliche Bestimmung wie etwa § 34 Abs. 1 S. 1 VermG (Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, Vermögensgesetz vom 23. September 1990 [BGBl. II 1990, 885, 1159], neugefasst durch Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 [BGBl. I 2005, 205 mit Änderung]) vorsieht, dass ein auf der Grundlage des VermG erlassener Verwaltungsakt erst mit Eintritt seiner Unanfechtbarkeit Rechtswirkungen entfaltet. In diesem Falle gelangt dementsprechend auch die Tatbestandswirkung selbstverständlich erst zu diesem Zeitpunkt zur Entstehung. Beispiel im Kontext des § 34 Abs. 1 S. 1 VermG aus der Judikatur: BGH, NJW 1998, 3055, 3056. Der Eintritt der inneren Wirksamkeit stellt daher lediglich die Mindestvoraussetzung für den Beginn der Tatbestandswirkung dar, s.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 126; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 25.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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eintreten, sobald der Verwaltungsakt einem Betroffenen gegenüber „existent“ geworden ist.175 174

In Bezug auf die Tatbestandswirkung i. e. S. z. B.: BVerwGE 59, 310, 315; 95, 341, 361 f. (362); BVerwG, NJW 1980, 1406; BVerwG, NVwZ 1987, 496 und 497; ferner statt vieler: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Erichsen, in: Erichsen/ Ehlers, § 13, Rn. 4 f.; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; Domke, S. 65. In Bezug auf die Tatbestandswirkung (i. w. S.): – gegenüber anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern, vgl. z. B.: BVerwGE 59, 310, 315; 114, 332, 337; BVerwG, NJW 1980, 1406; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BSGE 75, 241, 252; 89, 13, 16; BSG, NZA 1995, 320, 327 ff.; auch (allerdings liegt lt. Sachverhalt bereits ein bestandskräftiger Verwaltungsakt vor): BVerwGE 66, 315, 318 ff.; 72, 8, 12 ff.; 80, 259, 261; BVerwG, DVBl. 2002, 414, 415; BFHE 197, 301, 303; VG Köln, DÖD 1990, 101, 102; VG Darmstadt, GewArch. 2002, 435, 436; OVG BlnE, 19, 33 ff.; FG Köln, EFG 2002, 846; BGH, NJW 1998, 3055 f.; ferner: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2, § 48, Rn. 8; Ule/Laubinger, § 56, Rn. 4; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 8; Knoke, S. 101; Achterberg, § 23, Rn. 42; Schäfer, in: Obermayer/Fritz, § 43, Rn. 12; Seibert, S. 192 ff.; Blanke, 152 f.; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; Ammelburger, S. 8; Maurer, § 11, Rn. 8; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; ders., NJW 1986, 1315, 1316; grundsätzlich auch: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 23; einschränkend (nur in Bezug auf gestaltende sowie konstitutiv-feststellende Verwaltungsakte): Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64; a. A.: diejenigen Stimmen in der Literatur, die das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft bevorzugen [s. Nachweise oben, Ziff. I. 2. lit. b) (dort: Fn. 131 ff.)]. – gegenüber Gerichten der allgemeinen oder besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit, vgl. z. B.: BVerwGE 59, 310, 315; 85, 54, 61; 95, 133, 138; 95, 341, 361 f. (362); 114, 332, 337; BVerwG, NJW 1980, 1406; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BSGE 75, 241, 252; 89, 13, 16; BSG, NZA 1995, 320, 327 ff.; auch (allerdings liegt lt. Sachverhalt bereits ein bestandskräftiger Verwaltungsakt vor): BVerwGE 72, 8, 12 ff.; BVerwG, NVwZ 2002, 414, 415; VGH BW, NVwZ-RR 1990, 59, 60; FG Köln, EFG 2002, 846; BGH, NVwZ 2004, 763; ferner: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 5; Hans Meyer, in: Meyer/Borgs, § 43, Rn. 9; vgl. im Übrigen die in Bezug auf andere, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger aufgeführten Nachweise aus der Literatur; einschränkend: Achterberg, § 23, Rn. 42 (Tatbestandswirkung gehe nur von gestaltenden Verwaltungsakten aus); Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64 (Tatbestandswirkung gehe nur von gestaltenden sowie von konstitutiv-feststellenden Verwaltungsakten aus); a. A.: diejenigen Stimmen in der Literatur, die das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft bevorzugen (s. o.). – gegenüber Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit, namentlich der Zivilgerichte, vgl. z. B.: BGH, NJW 1996, 2791, 2792; auch (allerdings liegt lt. Sachverhalt in einigen Entscheidungen bereits ein bestandskräftiger Verwaltungsakt vor): BVerwGE 95, 133, 138; 95, 341, 361 f. (362); BVerwG, NVwZ 1987, 496; BVerwG, NVwZ 2002, 414, 415; FG Köln, EFG 2002, 846; BGHZ 73, 114, 117; 78, 145, 147 und 150; 121, 131, 134 ff.; 122, 1, 5; BGH, NJW 1988, 1026, 1027; BGH, NJW 1998, 3055 f.; BGH, NVwZ 2004, 763; BayOLG, DÖV 1979, 830, 831; ferner: vgl. die oben in Bezug auf die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie die anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger aufgeführten Nachweise aus der Literatur; speziell zur Tatbestandswirkung gegenüber

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2. Teil: Abweichungsverbote

Der Tatbestandswirkung fähig ist ein Verwaltungsakt, soweit er (äußere und innere) Wirksamkeit besitzt.176 Als unschädlich wird daher die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes etwa infolge Überschreitung der sachlichen Zuständigkeit bei Erlass des Verwaltungsaktes angesehen, vorausgesetzt, dieser Verstoß führt nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes.177 Allem Anschein nach entfaltet ein Verwaltungsakt ferner Tatbestandswirkung unabhängig davon, welchen Inhalt er hat.178 4. Fortbestand der Tatbestandswirkung Ein Verwaltungsakt entfaltet Tatbestandswirkung, solange er wirksam bleibt. Über das Fortbestehen der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes wurde bereits an früherer Stelle ausführlich berichtet, so dass insoweit auf obige Darstellung verwiesen werden kann.179 den Strafgerichten: Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2982 ff.; ders., NJW 1986, 1315 f.; a. A.: BVerfG, NJW 1992, 35, 36 (mangels gesetzlicher Bestimmung keine Bindung des Strafgerichts an einen bestandskräftigen Körperschaftssteuerbescheid in Bezug auf die Höhe der hinterzogenen Körperschaftssteuer); wohl auch: BGHZ 98, 85, 88 ff.; möglicherweise auch: BGHZ 117, 159, 167; ferner: vgl. diejenigen Stimmen in der Literatur, die das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft bevorzugen (s. o.). 175 So: BGH, NJW 1998, 3055 f. (3056). „Existent“ hieße nach deutscher Rechtsterminologie „äußere Wirksamkeit“; ablehnend: Wilhelms, NJ 2005, 337, 341 (maßgeblicher Zeitpunkt ist seiner Ansicht nach die individuelle Bekanntgabe, also die relative innere Wirksamkeit). Soweit ersichtlich, liegt kein weiteres einschlägiges Material aus der Judikatur oder der Literatur vor. 176 In Bezug auf die Tatbestandswirkung i. e. S.: BVerwG, NJW 1980, 1406; ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17; Domke, S. 65. In Bezug auf die Tatbestandwirkung (i. w. S.): BVerwG, BVerwGE 117, 351, 355; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 23. Nichtigkeit schließt eine Tatbestandswirkung aus, vgl. in Bezug auf die Tatbestandwirkung i. e. S.: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 19; Kollmann, DÖV 1990, 189, 190 (dort: Fn. 5); a. A.: Seibert, S. 82 (Eintritt der Tatbestandswirkung hinge im Falle der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes allein von der Ausgestaltung des jeweiligen Rechtssatzes ab); vgl. in Bezug auf die Tatbestandwirkung (i. w. S.): BVerwG, BVerwGE 117, 351, 355; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 16; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 19; Kollmann, DÖV 1990, 189, 190 (dort: Fn. 5). Zum Erfordernis der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes s. bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, B. I. (1) (a). 177 BVerwGE 74, 315, 320. 178 So jedenfalls: Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196, 223; Seibert, S. 192 ff. (193 f.); Blanke, S. 153; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; Knöpfle, BayVBl. 1982, 225, 228; a. A. (Tatbestandswirkung i. w. S. gilt nicht für lediglich deklaratorischfeststellende Verwaltungsakte): Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1, § 20, Rn. 64; Achterberg, § 23, Rn. 42; anders dagegen aber insoweit wohl: BVerwGE 72, 8, 12 und 14 (allerdings liegt lt. Sachverhalt bereits ein bestandskräftiger Verwaltungsakt vor). 179 s. o., Erster Teil, Erstes Kapitel, B. I. (1) (a).

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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5. Folgen der Tatbestandswirkung Die bestandskraftunabhängige Tatbestandswirkung hat für die anderen Entscheidungsträger zur Folge, dass sie die Existenz und den Inhalt eines präjudizielle Wirkungen entfaltenden, wirksamen Verwaltungsaktes anzuerkennen und ohne Rücksicht auf dessen mögliche Rechtswidrigkeit bei ihrer späteren Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen haben.180 Soweit ersichtlich, dürfte die Tatbestandswirkung grundsätzlich in jedem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes gelten. Hierfür könnte jedenfalls sprechen, dass die von Verwaltungsakten ausgehende Tatbestandswirkung im Wesentlichen der Tatbestandswirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen entsprechen soll. Letztere hat anerkanntermaßen zur Folge, dass die Existenz und der Inhalt jeder vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung für alle Gerichte und Behörden verbindlich sind, es sei denn, eine gesetzliche Anordnung bestimmt etwas Gegenteiliges oder die betreffende Gerichtsentscheidung bildet im konkreten Einzelfall den Gegenstand gerichtlicher Überprüfung.181 Weitergehende Einschränkungen werden – jedenfalls soweit ersichtlich – für die Tatbestandswirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen nicht diskutiert. Nichts anderes ist demzufolge wohl für die Tatbestandwirkung eines Verwaltungsaktes anzunehmen. Sie gilt – selbstverständlich – ausnahmsweise nicht, soweit ein anderer Entscheidungsträger im konkreten Einzelfall zur Überprüfung und Aufhebung eines Verwaltungsaktes berufen ist.182 Außerdem wird sie wohl gesetzlich ausgeschlossen werden können. Eine verschiedentlich in der Literatur vertretene Auffassung bejaht eine Ausnahme schließlich im Falle der richterrechtlich entwickelten Feststellungswirkung.183 Zum Schutze der Gewährleistung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG soll eine solche Feststellungswirkung nur zulässig sein, wenn für einen Betroffenen wegen der ihm obliegenden Anfechtungslast vorhersehbar bzw. eindeutig bzw. konkret erkennbar ist, dass eine in der Begründung des Verwaltungsaktes als Vorfrage enthaltene rechtliche Feststellung zum Bestandteil der Regelung erhoben wird.184 180 Z. B.: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 17 und Rn. 20; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 19; vgl. auch: SchleswigHolsteinisches OLG Vergabesenat, Beschluss vom 24. September 2004, 6 Verg 3/04 (juris). 181 s. nur: Kopp/Schenke, § 121, Rn. 5. 182 s. statt vieler: Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 5; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 91. 183 s. zu dieser Feststellungswirkung bereits ausführlich oben, Erstes Kapitel, B. I. 2. a) aa) (b). 184 Schmidt-Aßmann, in: Bachof/Heigl/Redeker, S. 569, 578 f. (fordert eine formalisierte Eindeutigkeit; die zum Bestandteil der Regelung erhobenen rechtlichen

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2. Teil: Abweichungsverbote

Die Erkennbarkeit der Folgewirkungen für einen Betroffenen soll anhand eines objektiven Maßstabs zu bestimmen sein,185 wobei der Regelungsdichte, der rechtlichen Ausgestaltung sowie der Überschaubarkeit der Verfahrensabfolgen eine besondere Bedeutung zukommen sollen.186 Von ihren eigenen Befürwortern wird diese Einschränkung jedoch als wenig praxisrelevant eingestuft.187 Nicht nur deshalb, sondern vor allem auch, um eine Vergrößerung der Unsicherheit über die Reichweite der Bindung zu vermeiden, wird denn auch der Verzicht auf ein als so vage charakterisiertes Zusatzkriterium gefordert.188 II. Umfang der Tatbestandswirkung Soweit ersichtlich, wird die Frage des Umfangs der gegenüber den anderen Entscheidungsträgern bestehenden, bestandskraftunabhängig konzipierten Tatbestandswirkung in der Judikatur in der Regel nicht behandelt.189 Auch in der Literatur wird diese Frage – jedenfalls soweit erkennbar – regelmäßig nicht thematisiert.190 Die daher nur vereinzelt vorhandenen einschlägigen Quellen lassen aber vermuten, dass der Umfang der Tatbestandswirkung unter Rückgriff auf das Prozessrecht, namentlich wohl das Verwaltungsprozessrecht, bestimmt wird. Letztlich dürfte der Umfang der Tatbestandswirkung aber wohl – jedenfalls im Grundsatz – dem Umfang der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten, bestandskraftunabhängig konzipierten (Selbst-) Feststellungen sollen seiner Ansicht nach im Tenor des Verwaltungsaktes selbst zu finden sein); ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Einl., Rn. 209 (hier für eine konkrete Erkennbarkeit); Braun, S. 90 f. (für Vorhersehbarkeit); Domke, S. 118 ff. (für eindeutige Erkennbarkeit); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 191 f. (für eindeutige Erkennbarkeit). Einen anderen Ansatz zur Bestimmung des Regelungsgehalts eines Verwaltungsaktes und insbesondere einer von ihm sog. Inzidentfeststellung wählt Seibert (S. 322 ff.) (ihm folgend: VG Köln, DÖD 1990, 101, 102 f.; kritisch zu diesem Ansatz: Huxholl, S. 67 ff.; Rohlfing, S. 172 f.). Seiner Ansicht nach soll der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes, namentlich die Frage, ob eine Inzidentfeststellung vorliegt, mit Hilfe des Kriteriums der mit dem Erlass des Verwaltungsaktes intendierten rechtlichen Ordnung ermittelt werden. 185 Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 192; Domke, S. 119. 186 Schmidt-Aßmann, in: Bachof/Heigl/Redeker, S. 569, 578 f.; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 192; Domke, S. 119. 187 Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 192; Braun, S. 91 (dort: Fn. 27); Domke, S. 119. 188 Vgl.: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 113 (im Kontext der Reichweite des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft). 189 Bzgl. Ausnahmen s. später. 190 Bzgl. Ausnahmen s. später.

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Bindungswirkung entsprechen. Wie bereits an früherer Stelle ausgeführt, bestimmt sich der durch sie begründete Bindungsumfang nach dem des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft, dessen Bindungsumfang sich seinerseits nach dem Umfang der materiellen Bestandskraft richtet.191 Wie dort ist hinsichtlich des Umfangs der Tatbestandswirkung zwischen dem Umfang in sachlicher, in persönlicher und in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren. 1. Sachlicher Umfang der Tatbestandswirkung a) Grundsatz In sachlicher Hinsicht sind die anderen Entscheidungsträger infolge der Tatbestandswirkung offensichtlich grundsätzlich allein an die Regelung eines Verwaltungsaktes gebunden,192 mag diese ggfls. auch zum Bestandteil der Regelung erhobene tragende rechtliche Feststellungen enthalten (so die richterrechtlich entwickelte Feststellungswirkung). Im Grunde erfasst die Bindung daher nicht die in der Begründung eines Verwaltungsaktes enthaltenen tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Würdigungen. b) Ausnahme: Feststellungswirkung In Durchbrechung dieses Grundsatzes193 und in offensichtlicher Anlehnung an die im Verwaltungsprozessrecht anerkannte Feststellungswirkung,194 möglicherweise aber dadurch zugleich in Abweichung von den ansonsten zum Vorbild genommenen Regelungen über die sachlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft zivilgerichtlicher Entscheidungen195 können andere Entscheidungsträger – und nur diese (!) – an in der Begründung ent191

s. o., Erstes Kapitel, B. II. 2. Z. B.: BVerwGE 74, 315, 320; BVerwGE 66, 310, 318; 72, 8, 9; 95, 133, 138; 95, 341, 362; BVerwG NVwZ 1987, 496 und 497; BFHE 175, 294, 298; BSGE 52, 168, 174; BSG, NZA 1995, 315, 327; OVG NW, DVBl. 2003, 55, 58 f.; BGHZ 112, 363, 365; 122, 1, 5; BGH, NVwZ 2004, 763; Schleswig-Holsteinisches OLG Vergabesenat, Beschluss vom 24. September 2004, 6 Verg 3/04 (juris); ferner: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 18 (anders aber: Rn. 28); Knoke, S. 101; Rohlfing, S. 265; Detterbeck, Rn. 544; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2983; in diesem Sinne wohl auch: OVG Thüringen, DÖV 2005, 303. 193 Zur systematischen Einordnung der hier in Rede stehenden Feststellungswirkung: Seibert, S. 130; vgl. auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 151 (im Verhältnis zum Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft); Fischer, NVwZ 2004, 1057, 1059 (dort: Fn. 18). 194 Vgl. etwa: Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 121, Rn. 39; Kopp/Schenke, § 121, Rn. 6. 192

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2. Teil: Abweichungsverbote

haltene, die Regelung tragende tatsächliche oder rechtliche Feststellungen gebunden werden.196 Die in diesem Falle begründete Bindung wird sowohl in der Judikatur als auch in der Literatur gängigerweise als „Feststellungswirkung“ bezeichnet.197 Im Gegensatz zu der oben bereits dargestellten, richterrechtlich entwickelten Feststellungswirkung erstreckt sich die Bindung hier auf ein tragendes Begründungselement, das nicht zum Bestandteil der Regelung erhoben wird.198 Da die hier behandelte Erstreckung der inhaltsbezogenen Bindung auf tragende Begründungselemente dem Verwaltungsakt aber an sich fremd ist und außerdem nicht an bewirkte Rechtsänderungen anknüpft (dieser Umstand ist im Hinblick auf die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Bindung der Verwaltung und Rechtsprechung an Recht und Gesetz beachtlich), wird die – infolge Wirksamkeit des Verwaltungsaktes eintretende –199 Feststellungswirkung nur dann als zulässig erachtet, wenn sie im konkreten Fall gesetzlich angeordnet ist.200 Als Bei195 Der Begriff der Feststellungswirkung scheint im Zivilprozessrecht nicht eindeutig zugeordnet zu sein: Übereinstimmend soll er als Synonym für die materielle Rechtskraft stehen (s. nur: Seibert, S. 128). Uneinigkeit besteht wohl darüber, ob mit Feststellungswirkung allein die Bindung an die in der Gerichtsentscheidung erlassene „reine“ Rechtsfolge (dazu: Seibert, S. 128) oder aber die Bindung auch an tragende Gründe der Gerichtsentscheidung bezeichnet wird (dazu z. B.: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 322, Rn. 9; Reichold, in: Thomas/ Putzo, § 322, Rn. 17 ff.). 196 Z. B.: BVerwGE 95, 341, 362; BVerwG, NVwZ-RR 2005, 739, 741; BSG, NZA 1995, 320, 327; ferner: Stelkens, Rn. 485; Detterbeck, Rn. 545; Seibert, S. 129 (vgl. auch: S. 130); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 151; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, § 13, Rn. 4; Knoke, S. 101; Maurer, § 11, Rn. 9; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 26; Badura, in: Erichsen/Ehlers, § 38, Rn. 49; Rohlfing, S. 270; Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 22; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 130; Huxholl, S. 55; Achterberg, § 23, Rn. 43; Becker, S. 60; Ehlers, in: Liber Amicorum, S. 1, 12; ders., K & R 2001, 1, 5; Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 188 f.; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2790; Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406, 411; Kollmann, DÖV 1990, 189, 190 und 191; Randak, JuS 1992, 33, 35; ablehnend: J. Ipsen, DV 17 (1984), 169, 178 (kritisch dagegen aber: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 153); Domke, S. 67 ff. (69); Ammelburger, S. 10. 197 Vgl. die in der vorangegangenen Fußnote aufgeführten Nachweise aus Judikatur und Literatur. Synonyme Bezeichnung: „Bindungswirkung“: BVerwGE 95, 341, 362. Laut Seibert (ders., S. 129) ist dieses Begriffsverständnis auf Kormann zurückzuführen. 198 Vgl. zu diesen verschiedenen Formen der Feststellungswirkung: Seibert, S. 128 f. Zur zuerst dargestellten Feststellungswirkung s. o., Erstes Kapitel, B. I. 2. a) aa) (b). 199 Knoke, S. 101; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 27 (unter Hinweis darauf, dass die innere Wirksamkeit lediglich die Mindestvoraussetzung darstelle); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 189. 200 BVerwGE 95, 341, 362; BVerwG, NVwZ-RR 2005, 739, 741; BSG, NZA 1995, 320, 327; ferner: Maurer, § 11, Rn. 9; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 151; Seibert, S. 130 (sogar nur bei eindeutigem Wortlaut); Rohlfing, S. 270;

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spiele für die äußerst selten anzutreffende Feststellungswirkung seien § 42 S. 1 AsylVerfG und § 21 Abs. 1 BauGB (a. F.) genannt.201 Der sachliche Umfang der Feststellungswirkung bestimmt sich dabei ausschließlich und abschließend nach der einschlägigen gesetzlichen Anordnung.202 2. Persönlicher Umfang der Tatbestandswirkung Dem Umfang der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten (Selbst-)Bindungswirkung entsprechend dürfte der persönliche Umfang der Tatbestandswirkung die von dem betreffenden Verwaltungsakt Betroffenen, d.h. den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener, den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte umfassen.203 Dies bedeutet, dass ein anderer Entscheidungsträger bei seiner späteren Entscheidungsfindung nur in diesen persönlichen Grenzen, d.h. bei Identität der von dem Erstverwaltungsakt Betroffenen und der von der nun zu treffenden Behörden- oder Gerichtsentscheidung Betroffenen gebunden ist. 3. Zeitlicher Umfang der Tatbestandswirkung Dem zeitlichen Umfang der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger bestehenden (Selbst-)Bindungswirkung entsprechend dürfte die durch die Tatbestandswirkung begründete Bindung der anderen Entscheidungsträger in zeitlicher Hinsicht allein die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage umfassen,204 so dass spätere Veränderungen der der Regelung zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage von der Bindung nicht mehr erfasst werden.

Huxholl, S. 55; Siegmund, in: Brandt/Sachs, D Rn. 130; Achterberg, § 23, Rn. 43; Ammelburger, S. 10; Becker, S. 60; Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 26; Knöpfle, BayVBl. 1982, 255, 230; Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2790. 201 Zu diesen und weiteren Beispielen: Hubert Meyer, in: Knack, § 43, Rn. 22; Ammelburger, S. 10 (dort: Fn. 37); Randak, JuS 1992, 33, 35. In der Literatur wird stets § 15 Abs. 5 S. 1 BVFG a. F. (ähnlich jetzt: § 15 Abs. 1 S. 2 BVFG für den Spätaussiedlerstatus) als Beispiel genannt (ablehnend aber: Seibert, S. 131 f.; auch: Randak, JuS 1992, 33, 35). 202 BSG, NZA 1995, 320, 327; ferner: Kopp/Ramsauer, § 43, Rn. 27. 203 Vgl. bzgl. des persönlichen Umfangs der (Selbst-)Bindungswirkung oben, Erstes Kapitel, B. II. 2. 204 Anders wohl: Seibert, S. 223 ff. (sieht für seine Bindungswirkung wohl den Zeitpunkt der Abfassung des Verwaltungsaktes als maßgeblich an).

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2. Teil: Abweichungsverbote

III. Zusammenfassung 1.a) Auf der Grundlage der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur entfaltet ein Verwaltungsakt gegenüber den anderen Entscheidungsträgern Tatbestandswirkung. Diese beinhaltet zwei Komponenten: die aus dem Zivilprozessrecht übernommene Tatbestandswirkung i. e. S., die vorliegt, wenn nach materiellem Recht der Erlass eines Verwaltungsaktes als solcher Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge ist, und die über das zivilprozessuale Begriffsverständnis hinausgehende Tatbestandswirkung (i. w. S.), die eine Bindung auch an den Inhalt eines Verwaltungsaktes zum Gegenstand hat. Dabei wird die Tatbestandswirkung i. e. S. als Sonderfall der Tatbestandswirkung (i. w. S.) angesehen. Nach offenbar überwiegender Ansicht gründet sich die Tatbestandswirkung auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Bindung an Recht und Gesetz) in Verbindung mit § 43 VwVfG. Unter Hinweis auf die Gewaltenteilung knüpft die Bindung der anderen Entscheidungsträger an die Existenz und den Inhalt eines Verwaltungsaktes nach dieser Ansicht (bereits) an den Eintritt der Wirksamkeit dieses Verwaltungsaktes an. Die Tatbestandswirkung stellt hiernach in ihren beiden Komponenten ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot dar. Anders als diese offenbar überwiegende Ansicht differenziert eine andere, in der Literatur namentlich von Sachs vertretene Ansicht: In Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung sieht Sachs in der Tatbestandswirkung i. e. S. ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot. Abweichend von der überwiegenden Ansicht bevorzugt Sachs aber anstelle der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft. Seiner Auffassung nach rechtfertigt grundsätzlich erst die mit Eintritt der allseitigen Unanfechtbarkeit bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des Verwaltungsrechtsverhältnisses die Annahme eines Abweichungsverbotes gegenüber den anderen Entscheidungsträgern. Entscheidender Grund für ein ab diesem Zeitpunkt auch ihnen gegenüber anzuerkennendes Abweichungsverbot sei das rechtsstaatliche Anliegen der Rechtssicherheit, das die Durchbrechung der Bindung an das Gesetz auch gegenüber den anderen Entscheidungsträgern, vor allem gegenüber den Gerichten, allein zu legitimieren vermöge. Die Anerkennung des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft gegenüber den anderen Entscheidungsträgern anstelle der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) würde bedeuten, dass die anderen Entscheidungsträger mit Eintritt der materiellen Bestandskraft reflexartig und demzufolge dogmatisch betrachtet – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft begründeten unmittelbaren Bindung der

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig akzessorisch an den Inhalt eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes gebunden sind. Neben dem Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft erkennt Sachs ein auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Bindung an Recht und Gesetz) gestütztes bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot i. w. S., die Beachtlichkeit, an. Wie der gewählte Terminus der Beachtlichkeit ganz offensichtlich zum Ausdruck bringen soll, hat die Beachtlichkeit zum Inhalt, dass die anderen Entscheidungsträger die durch einen Verwaltungsakt bewirkten Rechtsänderungen zu beachten haben, ohne dabei insoweit aber bereits einem Abweichungsverbot im üblicherweise verstandenen Sinne zu unterliegen. Angesichts der Wirkung, die Sachs der Beachtlichkeit zuschreibt, dürfte sich – ungeachtet der andersartigen Konzeption von Beachtlichkeit und Tatbestandswirkung (i. w. S.) – praktisch gesehen ein Unterschied zu der überwiegend vertretenen Tatbestandswirkung (i. w. S.) allein bei den deklaratorisch-feststellenden Verwaltungsakten ergeben, denn diese entfalten allem Anschein nach Tatbestandswirkung (i. w. S.), während Sachs jedoch eine Beachtlichkeit deklaratorisch-feststellender Verwaltungsakte mangels durch sie bewirkter Rechtsänderungen ausschließt. Sie sollen erst mit Eintritt der materiellen Bestandskraft maßgeblich werden. Vereinzelt scheint auch die Judikatur ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung (i. w. S.) vorzuziehen. In der Literatur umstritten ist die Einordnung der ständigen Rechtsprechung des BGH im Kontext der Amtshaftung. Nach dieser Rechtsprechung darf ein zur Entscheidung über einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB (in Verbindung mit Art. 34 GG) berufenes Zivilgericht einen Verwaltungsakt unabhängig von dessen materieller Bestandskraft auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen und ggfls. als rechtswidrig qualifizieren, wobei die Frage der Rechtmäßig- bzw. der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, auf dessen angeblich rechtswidrigen Erlass die Amtshaftungsklage nun gestützt wird, für das Gericht eine Vorfrage für die Begründetheit des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs darstellt. Regelmäßig weist der BGH in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Differenzierung geboten sei, ob der angeblich rechtswidrig erlassene Verwaltungsakt Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war (dann erfasse die Rechtskraft eines die Klage als unbegründet abweisenden bzw. eines der Klage stattgebenden Urteils auch die Festsstellung der materiellen Rechtmäßig- bzw. Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes) oder nicht. Einem ohne gerichtliche Erkenntnis bestandskräftig ge-

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2. Teil: Abweichungsverbote

wordenen Verwaltungsakt kommt nach Auffassung des BGH eine gleichwertige, die Zivilgerichte bindende Wirkung grundsätzlich nicht zu. Die mit Rücksicht auf die verschiedenartigen Funktionen des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Urteils bestehenden bedeutsamen Unterschiede verbieten seiner Ansicht nach, die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes auch hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit bindende Wirkung für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beizumessen. Diese ständige Rechtsprechung des BGH wird von Teilen der Literatur mit der Begründung abgelehnt, das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit gebiete, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt jedweder gerichtlichen Überprüfung zu entziehen; die in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt enthaltene Regelung gelte unabhängig von ihren rechtlichen Voraussetzungen und losgelöst von einem dem Verwaltungsakt möglicherweise anhaftenden Rechtsmangel. Eine andere, namentlich von Sachs vertretene Ansicht wertet diese Judikatur des BGH dagegen nicht als unterbliebene Anerkennung (jedenfalls) des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft. Die – nach Ansicht von Sachs – im Ergebnis zutreffende Unterscheidung des BGH danach, ob der in Rede stehende Verwaltungsakt Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war oder ob er ohne gerichtliches Erkenntnis bestandskräftig geworden ist, bildet seiner Ansicht nach die Grundlage dafür, die Bindungsfrage von der Amtshaftungsproblematik zu lösen. Nach seiner Auffassung wäre die Qualifizierung eines (auch bestandskräftigen) Verwaltungsaktes als rechtswidrig wegen des sachlichen Umfangs des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft ohnehin nur dann ausgeschlossen, wenn der Entscheidungsgegenstand des betreffenden Verwaltungsaktes die Feststellung seiner eigenen Rechtmäßigkeit umfassen würde. Dass ein Verwaltungsakt auch die Frage seiner eigenen Rechtmäßigkeit feststellend regelt, wird in der Literatur nahezu einhellig aus verschiedenen Gründen grundsätzlich verneint. Hiervon geht eben auch der BGH in ständiger Rechtsprechung aus. Der Anerkennung der Tatbestandswirkung (i. w. S.) steht schließlich nicht die vereinzelt anzutreffende Judikatur, insbesondere die des BGH, entgegen, die – unzutreffenderweise bzw. nur scheinbar – das Bestehen der Tatbestandswirkung (i. w. S.) (wie auch das Bestehen des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft) von dem Vorliegen eines (verwaltungs-)gerichtlich bestätigten Verwaltungsaktes, mitunter daher allein aufgrund der materiellen Rechtskraft, bejaht. b) Die Tatbestandswirkung gelangt grundsätzlich mit Eintritt der inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes zur Entstehung. In den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, soll die Tatbestandswirkung gegenüber den anderen Entscheidungsträgern nach Ansicht des

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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BGH eintreten, sobald der betreffende Verwaltungsakt einem Betroffenen gegenüber „existent“ geworden ist. Allem Anschein nach ist ein Verwaltungsakt jeden Inhalts der Tatbestandswirkung fähig. Tatbestandswirkung entfaltet ein Verwaltungsakt nur, solange er (äußere und innere) Wirksamkeit besitzt. Die Tatbestandswirkung bewirkt, dass die anderen Entscheidungsträger die Existenz und den Inhalt eines präjudizielle Wirkungen entfaltenden Verwaltungsaktes ohne Rücksicht auf dessen mögliche Rechtswidrigkeit anzuerkennen und bei einer späteren Entscheidungsfindung als gegeben zugrundezulegen haben. Sie dürfte grundsätzlich in jedem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes gelten. 2. Der Umfang der gegenüber den anderen Entscheidungsträgern bestehenden Tatbestandswirkung wird vermutlich unter Rückgriff auf das Prozessrecht, insbesondere anscheinend das Verwaltungsprozessrecht, bestimmt. Dessen ungeachtet dürfte der Umfang der Tatbestandswirkung letztlich aber wohl – jedenfalls im Grundsatz – dem Umfang der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten, bestandskraftunabhängig konzipierten (Selbst-)Bindungswirkung entsprechen. Deren Bindungsumfang richtet sich nach dem des Abweichungsverbotes der materiellen Bestandskraft, für dessen Umfang seinerseits der Umfang der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen maßgeblich ist. Im Einzelnen bedeutet dies im Wesentlichen: In sachlicher Hinsicht sind die anderen Entscheidungsträger offensichtlich grundsätzlich allein an die Regelung eines Verwaltungsaktes gebunden. Im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung können die anderen Entscheidungsträger darüber hinaus auch an tragende tatsächliche oder rechtliche Feststellungen gebunden werden. Diese offenbar in Anlehnung an die im Verwaltungsprozessrecht anerkannte, nur ausnahmsweise im Falle einer gesetzlichen Anordnung zulässige Feststellungswirkung wird – wie im Verwaltungsprozessrecht – Feststellungswirkung genannt. Ihr sachlicher Umfang richtet sich ausschließlich und abschließend nach der einschlägigen gesetzlichen Anordnung. In persönlicher Hinsicht umfasst die Tatbestandswirkung wohl die von dem Verwaltungsakt Betroffenen, also den erlassenden Entscheidungsträger in seiner Stellung als Betroffener, den bzw. die Adressaten und ggfls. betroffene Dritte. Die anderen Entscheidungsträger sind daher bei einer später zu treffenden (behördlichen oder gerichtlichen) Entscheidung nur dann an die Existenz und den Inhalt eines präjudizielle Wirkungen entfaltenden Verwaltungsaktes gebunden, wenn die von dem Erstverwaltungsakt Betroffenen

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2. Teil: Abweichungsverbote

und die von der nun zu erlassenden Behörden- oder Gerichtsentscheidung Betroffenen identisch sind. In zeitlicher Hinsicht dürfte die Tatbestandswirkung nur die im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes maßgebliche Sach- und Rechtslage umfassen mit der Folge, dass spätere Veränderungen der der Regelung zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage von der Bindung mit mehr erfasst werden.

C. Vergleich Sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht bestehen gegenüber den anderen Entscheidungsträgern Abweichungsverbote, die vereinzelt sogar positivrechtlichen Niederschlag gefunden haben (vgl. Art. 16 VO Nr. 1/2003 im Gemeinschaftsrecht; die Tatbestandswirkung i. e. S. sowie die ausnahmsweise im Falle einer gesetzlichen Anordnung zulässige Feststellungswirkung im deutschen Recht). Sämtliche Abweichungsverbote gelten sowohl im Gemeinschaftsrecht (hier jedenfalls allem Anschein nach) als auch im deutschen Recht (hier auf der Grundlage der wohl überwiegend vertretenen Auffassung in Judikatur und Literatur) bei sämtlichen Inhalten einer existenten Entscheidung bzw. eines wirksamen Verwaltungsaktes und offensichtlich ohne Rücksicht auf die begünstigende und/oder (auch) belastende Natur der von ihr bzw. ihm ausgehenden Rechtswirkungen. Letzterer Gesichtspunkt wird in beiden Rechtsordnungen übereinstimmend im Kontext der Abweichungsverbote gegenüber den anderen Entscheidungsträgern – soweit ersichtlich – nicht thematisiert. Dies dürfte dafür sprechen, dass die Abweichungsverbote – wohl eher selbstverständlich – unabhängig von der Natur der von einer Entscheidung bzw. einem Verwaltungsakt ausgehenden Rechtswirkungen bestehen. Eine Gegenüberstellung der Lösungen, die beide Rechtsordnungen hinsichtlich der Frage der inhaltsbezogenen Bindung der anderen Entscheidungsträger bereitstellen, lässt erkennen, dass diese Lösungen zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch einige grundlegende Unterschiede aufweisen: I.1. Bereits im Hinblick auf die Anerkennung des Bestehens von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern divergieren beide Rechtsordnungen im Ansatz: Das Gemeinschaftsrecht differenziert – ohne Angabe von Gründen – je nach Adressat des Abweichungsverbotes zwischen verschiedenartigen inhaltsbezogenen Bindungswirkungen. Gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern nimmt es offensichtlich das Bestehen eines – aus Art. 249 Abs. 4 EG in Verbindung mit Art. 10 EG bzw. anscheinend dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) folgenden – be-

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standskraftunabhängigen Abweichungsverbotes an. Gegenüber dem EuGH, dem EuG und – nicht unbestritten unter den Generalanwälten – im Grundsatz auch gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten erkennt es demgegenüber ein auf den Grundsatz der Rechtssicherheit gestütztes bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot an. Im deutschen Recht entfaltet dagegen ein Verwaltungsakt auf der Grundlage der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur gegenüber sämtlichen anderen Entscheidungsträgern bestandskraftunabhängig Tatbestandswirkung, die sich auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Bindung an Recht und Gesetz) in Verbindung mit § 43 VwVfG gründet. In Anlehnung an die im Verwaltungsprozessrecht anerkannte Tatbestandswirkung, zugleich aber dadurch abweichend von dem zivilprozessualen Verständnis des Abweichungsverbotes der Tatbestandswirkung (hier existiert – wie berichtet – allein eine Tatbestandswirkung i. e. S.), legt das deutsche Recht dabei seinem Abweichungsverbot anscheinend ein im Vergleich zum Gemeinschaftsrecht erweitertes Begriffsverständnis zugrunde, indem es ausdrücklich zwischen der Bindung der anderen Entscheidungsträger an die Existenz und an den Inhalt eines Verwaltungsaktes differenziert, der Tatbestandswirkung also zwei Komponenten zuweist. Die als Tatbestandswirkung i. e. S. bezeichnete Bindung an die Existenz eines Verwaltungsaktes wird dabei als Sonderfall der Bindung an den Inhalt eines Verwaltungsaktes, der Tatbestandswirkung (i. w. S.), angesehen. Auch wenn im Gemeinschaftsrecht Anhaltspunkte für eine entsprechende terminologische und darauf aufbauend sachliche Differenzierung als solche – soweit ersichtlich – nicht erkennbar sind, bedeutet dies keineswegs, dass im Gemeinschaftsrecht eine der Tatbestandswirkung i. e. S. vergleichbare Bindung nicht doch der Sache nach existiert. Dass dem tatsächlich so ist, lässt sich unter Hinzuziehung eines im deutschen Recht als Beispiel für die Tatbestandswirkung i. e. S. anerkannten Falles belegen: Unter Hinweis auf einen Beschluss des OLG Saarbrücken aus dem Jahre 1992205 wird eine Bindung kraft Tatbestandswirkung i. e. S. hinsichtlich des Grundsatzes „ne bis in idem“ für das die erneute Bestrafung ausschließende Vorliegen eines ersten Bußgeldbescheides bejaht.206 Eine solche Bindung ist auch dem Gemeinschaftsrecht nicht unbekannt. Im Bereich des Wettbewerbsrechts etwa erkennt die Judikatur207 eine Bindung hinsichtlich des Grundsatzes „ne bis in idem“ für das die erneute Verurteilung ausschließende Vorliegen einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Bußgeldentscheidung an. 205

NJW 1992, 3183, 3184. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 147. 207 EuGH, verb. Rs. C-238 u. a./99 P, Slg. 2002, I-8375, Rn. 59 (Limburgse Vinyl Maatschappij NV u. a./Kommission); EuG, Rs. T-15/02, Slg. 2003, II-213, Rn. 35 f. (BASF AG/Kommission). 206

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2. Teil: Abweichungsverbote

Was die Konzeption der im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht jeweils bestehenden Abweichungsverbote gegenüber den anderen Entscheidungsträgern anbetrifft, stimmen beide Rechtsordnungen insofern überein, als das deutsche Recht die Bindung sämtlicher anderen Entscheidungsträger und das Gemeinschaftsrecht die Bindung der anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger bestandskraftunabhängig ausgestalten. Anknüpfungspunkt für die Bindung bildet bereits die Existenz einer Entscheidung bzw. die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes. Jedenfalls im deutschen Recht (im Gemeinschaftsrecht lässt sich entsprechendes nur vermuten) wird diese Konzeption mit der Gewaltenteilung (im Gemeinschaftsrecht müsste man von Funktionentrennung sprechen) begründet. Für die Begründung eines Abweichungsverbotes gegenüber den Gerichten stellt die Funktionenteilung indes gerade nicht den ausschlaggebenden Grund dar. Ausschlaggebender Grund ist insoweit vielmehr das rechtsstaatliche Anliegen der Rechtssicherheit. Ein Abweichungsverbot gegenüber den Gerichten ist nach der insoweit eindeutigen Judikatur des EuGH nur und erst dann gerechtfertigt, sobald sich die Rechtsbeziehungen innerhalb des Gemeinschaftsrechtsverhältnisses stabilisiert haben, d.h. ab Eintritt der Bestandskraft der betreffenden Entscheidung. Solange eine belastende Entscheidung demgegenüber noch angefochten werden kann, sind die Gerichte an Recht und Gesetz gebunden. Erst mit Eintritt der Bestandskraft wird die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz zugunsten der Rechtssicherheit durchbrochen. Konzeptionell bedeutet diese Judikatur, dass die Gerichte einem bestandskraftabhängigen Abweichungsverbot unterliegen, durch das sie – der Konzeption des gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger anerkannten bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes entsprechend – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft bewirkten (unmittelbaren) Bindung der Betroffenen – mittelbar und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig akzessorisch an die betreffende Entscheidung gebunden sind. Diese gemeinschaftsrechtliche Lösung der Frage der Bindung der Gerichte an eine präjudizielle Wirkungen entfaltende Entscheidung entspricht der im deutschen Recht namentlich von Sachs bevorzugten, im Länderbericht ausführlich dargestellten Lösung der Bindungsfrage sämtlicher anderen Entscheidungsträger.208 2. Übereinstimmend gelangt das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht – grundsätzlich –209 208

s. o., B. I. 2. [dort unter lit. b)].

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zum frühestmöglichen Zeitpunkt zur Entstehung, d.h. sobald die Entscheidung rechtlich existent wird bzw. der Verwaltungsakt innere Wirksamkeit erlangt. Von einem Vergleich des Entstehungszeitpunktes in den Fällen, in denen eine Entscheidung bzw. ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, wird aufgrund der insoweit noch völlig ungeklärten Rechtslage im Gemeinschaftsrecht an dieser Stelle abgesehen. Das im Gemeinschaftsrecht gegenüber den Gerichten anerkannte bestandskraftabhängige Abweichungsverbot tritt dagegen reflexartig als Folge des Beginns der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen ein. Übereinstimmend besteht das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot in beiden Rechtsordnungen, solange die Entscheidung bzw. der Verwaltungsakt wirksam bleibt. Das Fortbestehen des im Gemeinschaftsrecht gegenüber den Gerichten anerkannten bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes hängt demgegenüber von dem Fortbestand der materiellen Bestandskraft ab. 3. Übereinstimmend haben die Abweichungsverbote unabhängig von ihrer bestandskraft(un-)abhängigen Konzeption zur Folge, dass die anderen Entscheidungsträger den Bestand und den Inhalt der präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung bzw. des präjudizielle Wirkungen entfaltenden Verwaltungsaktes bei ihrer Entscheidungsfindung im Rahmen nachfolgender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren als gegeben zugrundezulegen haben. Abgesehen etwa von dem Fall des gesetzlichen Ausschlusses der Tatbestandwirkung sowie von der im Kontext der richterrechtlich entwickelten Feststellungswirkung verschiedentlich in der Literatur geforderten, wenig praxisrelevanten und daher hier nicht weiter erörterten Beschränkung dieser Feststellungswirkung auf die Fälle, in denen die Folgewirkungen eindeutig erkennbar bzw. vorhersehbar sind, gilt die Tatbestandswirkung im deutschen Recht im Übrigen offenbar in jedem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes. Gleiches gilt für das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern im Gemeinschaftsrecht. Bedingt durch die supranationale Handlungsform der Entscheidung in Verbindung mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts besteht bei den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene zudem die Besonderheit, dass sie über diese übliche Bindung hinaus dahingehend gebunden werden, dass der Entscheidungsinhalt auch das Ergebnis der an sich allein am Maßstab mitgliedstaatlichen Rechts zu treffenden Behördenentscheidung vorzeichnet. 209 Ausnahme im deutschen Recht im Falle einer anderslautenden gesetzlichen Bestimmung (z. B.: § 34 Abs. 1 S. 1 VermG).

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2. Teil: Abweichungsverbote

Auch für die mitgliedstaatlichen Gerichte gilt das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot in allen Fällen der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes. Gegenüber den Gemeinschaftsgerichten gilt das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot demgegenüber nicht in jedem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes. In offensichtlicher Anlehnung an entsprechende Ausnahmen im französischen Recht erkennt die Judikatur – wie berichtet – zwei Ausnahmen an,210 auf die im Folgenden rechtsvergleichend näher einzugehen ist: a) Die erste Ausnahme betrifft eine bestandskräftige Entscheidung, die Bestandteil eines komplexen Verwaltungsvorganges ist. Ungeachtet der an sich mit Eintritt der Bestandskraft bewirkten Rechtsbeständigkeit innerhalb des Gemeinschaftsrechtsverhältnisses sind der EuGH oder das EuG bei ihrer Entscheidungsfindung, für die eine früher erlassene, bestandskräftig gewordene Entscheidung präjudizielle Wirkungen entfaltet, nicht aus Gründen der Rechtssicherheit an den Inhalt dieser bestandskräftigen Entscheidung gebunden, sondern bleiben wegen der besonderen Natur eines komplexen Verwaltungsverfahrens vielmehr weiterhin an Recht und Gesetz gebunden. Die besondere Natur des komplexen Verwaltungsverfahrens bildet also den maßgeblichen Grund dafür, dass die Bindung des EuGH oder EuG an Recht und Gesetz nicht mit Eintritt der Bestandskraft der früher erlassenen, präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit durchbrochen wird. Soweit ersichtlich, ist dem deutschen Recht eine entsprechende oder auch nur vergleichbare Konstellation unbekannt. Im Gegenteil, gerade in einer ihr zumindest vergleichbaren Konstellation sachlich zusammenhängender, zeitlich nacheinander von demselben exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger erlassener (Voll-)Verwaltungsakte ist nach den aus dem deutschen Recht gewonnenen Erkenntnissen wohl eher davon auszugehen, dass die Tatbestandswirkung – wie auch sonst – uneingeschränkt gilt. Nichts anderes dürfte im Übrigen dann anzunehmen sein, wenn anstelle der bestandskraftunabhängigen Tatbestandswirkung das Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft eingreifen würde. Im deutschen Recht sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das im Interesse der Rechtssicherheit reflexartig ausgelöste Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft gegenüber einem Gericht wieder zugunsten seiner Bindung an Recht und Gesetz eingeschränkt wird. Dies gilt umso mehr, als gerade im Falle eines präjudizielle Wirkungen entfaltenden, belastenden Verwaltungsaktes die Rechtsbeständigkeit innerhalb des Verwaltungsrechtsverhältnisses ja allein auf der unterbliebenen Anfechtung dieses 210

s. o., A. II. 1. d) bb).

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

311

Verwaltungsaktes beruht, obgleich der anfechtungsberechtigte Betroffene bei einem komplexen Verwaltungsvorgang weiß (jedenfalls aber wissen könnte und müsste), dass noch weitere, sachlich auf einen zuvor erlassenen Verwaltungsakt aufbauende Verwaltungsakte folgen. Auf der Grundlage der aus dem deutschen Recht gewonnenen Erkenntnisse ist nicht davon auszugehen, dass der belastete Betroffene in einer entsprechenden Situation von seiner Anfechtungslast befreit würde. Mit Blick auf die Anfechtungslast eines belasteten Betroffenen erweist sich das Gemeinschaftsrecht damit in diesem Punkt als recht entgegenkommend ihm gegenüber. Dies spiegelt sich zwangsläufig in der fehlenden Bindung der Gemeinschaftsgerichte wider. b)aa) Die zweite Ausnahme besteht im Kontext einer auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklage, die – wie berichtet – nach ständiger Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte einen im Verhältnis zur Nichtigkeitsklage selbständigen Rechtsbehelf darstellt. Der EuGH und das EuG sind im Grundsatz berechtigt, z. B. Schadensersatz wegen Erlasses einer rechtswidrigen Geldleistungsentscheidung zuzusprechen, auch wenn diese bereits in Bestandskraft erwachsen ist. Dies bedeutet, dass die Bestandskraft einer Entscheidung ein Gemeinschaftsgericht nicht daran hindert, die in Rede stehende Entscheidung als rechtswidrig zu qualifizieren. Dies entspricht der Rechtslage im deutschen Recht, vorausgesetzt, der betreffende Verwaltungsakt ist ohne gerichtliches Erkenntnis bestandskräftig geworden.211 In Übereinstimmung mit der bereits dargestellten, nicht unbestrittenen ständigen Rechtsprechung des BGH im Kontext der Amtshaftung sieht demzufolge das Gemeinschaftsrecht die mit Eintritt der Bestandskraft verbundene Rechtssicherheit offenbar nicht als beeinträchtigt an.212 Im Gegensatz zum deutschen Recht wird jedoch im Gemeinschaftsrecht – soweit ersichtlich – der Umstand, dass ein zur Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch wegen Erlasses einer rechtswidrigen bestandskräftigen Entscheidung berufenes Gemeinschaftsgericht trotz der Bestandskraft dennoch nicht daran gehindert ist, den in Rede stehenden Rechtsakt als rechtswidrig zu qualifizieren, nicht weiter hinterfragt und ergründet.213 Nicht anders als im deutschen Recht dürfte die insoweit angenommene Nichtbin211 s. zur entsprechenden Rechtslage im deutschen Recht oben, B. I. 2. c). Offensichtlich entspricht dies übrigens auch der Rechtslage im französischen Recht, denn auch dort soll die Bestandskraft eines acte individuel der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Erlasses eines rechtswidrigen acte individuel nicht entgegenstehen, vgl.: Chapus, Droit administratif général, Rn. 1016. 212 Entsprechendes gilt offenbar auch im französischen Recht, vgl.: Chapus, Droit du contentieux administratif, Rn. 768 i. V. m. Rn. 780. 213 Entsprechendes gilt allem Anschein nach übrigens auch für das französische Recht.

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2. Teil: Abweichungsverbote

dung eines Gemeinschaftsgerichts aber auf die Festlegung dessen, was Gegenstand der materiellen Bestandskraft ist, zurückzuführen sein. Im deutschen Recht umfasst die materielle Bestandskraft in sachlicher Hinsicht allein die getroffene Regelung.214 Auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des BGH, die in Teilen der Literatur zustimmend aufgegriffen wurde, enthält die Regelung eines Verwaltungsaktes keine Feststellung hinsichtlich seiner eigenen Rechtmäßigkeit.215 Im Gemeinschaftsrecht216 erstreckt sich der sachliche Umfang der materiellen Bestandskraft neben der Regelung allem Anschein nach zumindest auch auf den sie tragenden Grund. Eher selbstverständlich wird dabei davon ausgegangen, dass weder die Regelung einer Entscheidung noch die Regelung tragende Begründungsteile eine Feststellung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung beinhalten.217 bb) Auch wenn ein zur Entscheidung über einen auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzanspruch wegen Erlasses einer für rechtswidrig erachteten Geldleistungsentscheidung berufenes Gemeinschaftsgericht daher nicht gehindert wird, diese auch im Falle ihrer Bestandskraft auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und ggfls. als rechtswidrig zu qualifizieren, die Bestandskraft selbst die Zuerkennung von Schadensersatz demnach nicht ausschließt, sind der EuGH und das EuG dennoch hieran gehindert, wenn sie dadurch die bestandskräftige Entscheidung faktisch aufheben würden.218 Einer auf mittelbare Aufhebung gerichteten Schadensersatzklage versagt das Gemeinschaftsrecht jedwede Erfolgsaussicht. Eine solche Schadensersatzklage, die unter Umgehung der für die unmittelbare Anfechtung einschlägigen Rechtsbehelfsfristen erhoben wird, ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Korrelat für das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz ist nach alledem nicht die Bestandskraft, sondern die von der Judikatur dem Bereich der Zulässigkeit einer Schadensersatzklage (hier dann unter dem Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses) zugeordnete Voraussetzung des Inhalts, dass eine Umgehung der besonderen Voraussetzungen der Artt. 230, 232 EG verhindert werden muss.219 Im Ergebnis entspricht dies der Rechts214

s. o., Erstes Kapitel, B. I. 2. a) aa). s. o., B. 2. c). 216 Bzgl. der Rechtslage im Gemeinschaftsrecht s. o., Erstes Kapitel, A. I. 2. a) aa) (b). 217 s. o., Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (bb) [dort unter lit. (b)]. 218 Bzgl. der Ausführungen hier und im Folgenden s. o., Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (bb) [dort unter ad (b)]. Dort auch zur Anlehnung an das französische Recht. 219 Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 44 (dort auch zu einer denkbaren alternativen Zuordnung in Form eines negativen Tatbestandsmerkmals). 215

2. Kap.: Gegenüber anderen Entscheidungsträgern

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lage im deutschen Recht: Hier wird ein zur Entscheidung über einen auf § 839 BGB (in Verbindung mit Art. 34 GG) gestützten Amtshaftungsanspruch wegen Erlasses eines angeblich rechtswidrigen Verwaltungsaktes berufenes Gericht durch die Bestandskraft selbst nicht daran gehindert, dem Kläger Schadensersatz zuzusprechen.220 Dies gilt auch in dem Falle, dass ein Betroffener als Schadensersatz den von ihm infolge pflichtwidriger, mittlerweile bestandskräftiger Gebührenfestsetzung zu Unrecht gezahlten Mehrbetrag geltend macht221 und – im Erfolgsfalle –222 in Höhe des zuerkannten Schadensersatzes im Ergebnis die faktische Aufhebung des bestandskräftigen Gebührenbescheides erwirkt.223 Wie im Gemeinschaftsrecht bildet auch im deutschen Recht somit nicht die Bestandskraft selbst das Korrelat für das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz; im deutschen Recht ist es vielmehr § 839 Abs. 3 BGB, der einen Amtshaftungsanspruch nur und erst dann unbegründet sein lässt, wenn der Anspruchsteller – schuldhaft –224 die Schadensabwendung mittels Inanspruchnahme eines primärrechtlichen Rechtsbehelfs unterlassen hat.225 Nach der gesetzlichen Konzeption des § 839 BGB ist die Bestandskraft daher lediglich im Rahmen des § 839 Abs. 3 BGB von Bedeutung.226 Beide Lösungen unterscheiden sich nach alledem lediglich in dem konzeptionellen Aspekt, dass das Korrelat für das Verhältnis zwischen Primärund Sekundärrechtsschutz im deutschen Recht sozusagen in Gestalt eines negativen Tatbestandsmerkmals besteht und (erst) auf der Ebene der Begründetheit des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs relevant wird, während es im Gemeinschaftsrecht (bereits) auf der Zulässigkeitsebene im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses von Bedeutung ist. II. Hinsichtlich des Umfangs der gegenüber den anderen Entscheidungsträgern bestehenden bestandskraft(un-)abhängigen Abweichungsverbote sehen das Gemeinschaftsrecht und das deutsche Recht übereinstimmend vor, dass sich die Bindung der anderen Entscheidungsträger in persönlicher Hinsicht auf die von der Entscheidung bzw. von dem Verwaltungsakt Betroffenen erstreckt und in zeitlicher Hinsicht allein die im Zeitpunkt des Erlasses 220

Vgl. dazu nur: BGHZ 113, 17, 22. Vgl. die Fallkonstellation in: BGHZ 113, 17. 222 Wie geschehen in: BGHZ 113, 17. 223 Vgl. auch: Beaucamp, DVBl. 2004, 352, 353. 224 Zu dem insoweit anzulegenden Maßstab s.: BGHZ 113, 17, 25. Es handelt sich hierbei um ein „Verschulden gegen sich selbst“ (BGHZ 113, 17, 22). 225 Vgl.: BGHZ 113, 17, 22; ferner: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 43, Rn. 123. 226 Papier, in: Münchener Kommentar, Bd. 5, § 839, Rn. 382; auch: BGHZ 113, 17, 22; dazu ferner: Schröder, DVBl. 1991, 751, 754. 221

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2. Teil: Abweichungsverbote

der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes maßgebliche Sach- und Rechtslage umfasst. In sachlicher Hinsicht werden die anderen Entscheidungsträger in beiden Rechtsordnungen an die in einer Entscheidung bzw. einem Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden. Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, das eine Bindung der anderen Entscheidungsträger allem Anschein ausnahmslos stets auch zumindest an den die Regelung tragenden Grund vorsieht, kommt eine derartige Erstreckung der Bindung der anderen Entscheidungsträger auch an tragende Begründungsbestandteile im deutschen Recht – offensichtlich jedenfalls in Anlehnung an die im Verwaltungsprozessrecht anerkannte Feststellungswirkung – nur ausnahmsweise bei Vorliegen einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung in Betracht. Der Grund für den in beiden Rechtsordnungen in der Regel divergierenden sachlichen Bindungsumfang dürfte darin zu sehen sein, dass das Gemeinschaftsrecht insoweit – entsprechend dem sachlichen Umfang der Bindung der Betroffenen sowie des erlassenden Entscheidungsträgers – wohl den Regelungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen folgt, die in Anlehnung an den Gegenstand der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen in den sachlichen Umfang der Bestandskraft exekutiver Einzelfallentscheidungen – möglicherweise noch infolge römisch-rechtlichen Einflusses – neben dem verfügenden Teil eines Hoheitsaktes auch tragende Begründungselemente in die Bindung einbeziehen; die im deutschen Recht im Grundsatz nicht bestehende Bindung der anderen Entscheidungsträger an tragende Begründungselemente ist demgegenüber letztlich auf die – bereits an früherer Stelle dargelegte – bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen die gemeinrechtliche Elementenlehre von Savignys zurückzuführen.227 Wie bei der verwaltungsprozessualen Feststellungswirkung sind die anderen Entscheidungsträger hier nur ausnahmsweise im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung, d.h. nur dann an tragende Begründungselemente gebunden, sofern sich der Gesetzgeber im Einzelfall etwa aus Gründen des materiellen Rechts bewusst zugunsten eines sachlich erweiterten Bindungsumfangs entschieden hat.

227

Vgl. zum Ganzen, auch zum Gemeinschaftsrecht oben, Erstes Kapitel, C. I. 2.

Schlussbetrachtung A. Zusammenfassung der Vergleichsergebnisse I. Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern 1. Bestehen eines Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern Der Vergleich hat die Erkenntnis gebracht, dass die für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen (ordentlicher) aufhebungsrelevanter (außer-)gerichtlicher, förmlicher Rechtsbehelfsverfahren1 zuständigen Entscheidungsträger2 aus Gründen der Rechtssicherheit einem weitestgehend entsprechenden, zumal übereinstimmend bestandskraftabhängig konzipierten Aufhebungsverbot unterliegen. Übereinstimmend knüpft die bestandsbezogene Bindung dieser Entscheidungsträger an die infolge der formellen Bestandskraft bewirkte Rechtsbeständigkeit innerhalb des mittels Entscheidung bzw. Verwaltungsaktes begründeten Gemeinschafts- bzw. Verwaltungsrechtsverhältnisses an. Dogmatisch betrachtet stellt die im Verhältnis zu dem Eintritt der formellen Bestandskraft reflexartige Entstehung des Aufhebungsverbotes ganz offensichtlich eine mittelbare, d.h. über die aufgrund der Unanfechtbarkeit unmittelbar gebundenen Betroffenen (im Gemeinschaftsrecht neben dem/den Adressaten allein ein zweifellos anfechtungsberechtigter Dritter im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache TWD GmbH/Bundesminister für Wirtschaft) vermittelte Bindung an den Bestand einer zumindest auch belastenden Entscheidung bzw. eines (auch) belastenden Verwaltungsaktes dar, wobei diese mittelbare Bindung zwangsläufig eine akzessorische Bindung der zuständigen Ent1

Im Gemeinschaftsrecht sind dies Nichtigkeitsklageverfahren bzw. Beschwerdeverfahren; im deutschen Recht handelt es sich um Anfechtungs-, Versagungsgegenklage- bzw. Widerspruchsverfahren. 2 Im Gemeinschaftsrecht sind dies der EuGH, das EuG bzw. der erlassende Entscheidungsträger; im deutschen Recht sind es die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. der erlassende Entscheidungsträger und die Widerspruchsbehörde.

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Schlussbetrachtung

scheidungsträger bedingt. Ihre Bindung ist in Entstehung, Fortbestand und (im deutschen Recht grundsätzlich auch ihrer) Folge an die durch die formelle Bestandskraft bewirkte unmittelbare Bindung der Betroffenen angelehnt. Übereinstimmend gelangt das Aufhebungsverbot im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht zur Entstehung, sobald eine existente, (auch) belastende Entscheidung unabhängig von ihrem Inhalt bzw. ein die äußere Wirksamkeit und zumindest die Fähigkeit zu seiner inneren Wirksamkeit besitzender, (auch) belastender Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf seinen Inhalt infolge des Ablaufs von Rechtsbehelfsfristen einschlägiger Rechtsbehelfe oder der Erschöpfung des Rechtsweges3 unanfechtbar geworden ist. Es besteht übereinstimmend fort, solange die an sich auf Dauer angelegte formelle Bestandskraft nicht ausnahmsweise insbesondere aus Gründen der die Rechtssicherheit im Einzelfall überwiegenden rechtsstaatlichen Forderung materieller Gerechtigkeit in durchaus vergleichbaren, zumal übereinstimmend restriktiv auszulegenden Fällen unmittelbar oder mittelbar durchbrochen wird und dadurch nachträglich fortfällt. Der in beiden Rechtsordnungen anerkannten relativen formellen Bestandskraft entsprechend stellt das bestandskraftabhängige Aufhebungsverbot eine relative bestandsbezogene Bindungswirkung dar. Übereinstimmend hat das Aufhebungsverbot in beiden Rechtsordnungen zur Folge, dass die zuständigen Entscheidungsträger zur Zurückweisung eines wegen Unanfechtbarkeit der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes unzulässigen einschlägigen Rechtsbehelfs verpflichtet sind. Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, wo diese Folge ausnahmslos gilt, unterliegt sie im deutschen Recht einer Einschränkung im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens. In ständiger Rechtsprechung hält das BVerwG die Widerspruchsbehörde aufgrund der ihr als „Herrin des Vorverfahrens“ zukommenden Sachherrschaft in dem Falle, dass die Unzulässigkeit des Widerspruchs auf seiner verfristeten Einlegung beruht, für grundsätzlich nicht verpflichtet, diesen Widerspruch zurückzuweisen. Nicht beantwortet werden konnte die Frage, ob diese die ansonsten bestehende akzessorische Bindung ausnahmsweise durchbrechende Einschränkung auch dann gilt, wenn der erlassende Entscheidungsträger – wie regelmäßig der Fall – in Wahrnehmung seiner Funktion als Abhilfebehörde im Sinne des § 72 VwGO handelt.

3 Das deutsche Recht kennt weitere Fälle (wirksamer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverzicht, verfahrensrechtliche Verwirkung des Anfechtungsrechts), die im Gemeinschaftsrecht bislang nicht relevant geworden sind.

Schlussbetrachtung

317

2. Bestehen von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern Im Hinblick auf die Frage des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern4 ist als Vergleichsergebnis festzuhalten, dass diese Entscheidungsträger sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht grundsätzlich entsprechenden, zumal entsprechend konzipierten Aufhebungsverboten unterliegen. In beiden Rechtsordnungen wird der zuständige Entscheidungsträger nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung an Recht und Gesetz) mit Erlass einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes an deren bzw. dessen Bestand gebunden. Diese Bindung ist in beiden Rechtsordnungen indes nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit dem Bestehen eines Aufhebungsverbotes. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang des Gesetzes) kann eine nachträgliche Bestandsaufhebung vielmehr durchaus noch in Betracht kommen. Ob Aufhebungsverbote bestehen, bestimmt sich im Gemeinschaftsrecht in der Regel nach richterrechtlich entwickelten allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen und im deutschen Recht grundsätzlich nach den §§ 48 ff. VwVfG. Diese Regelungen, die hinsichtlich der (Un-)Zulässigkeit einer (Teil-)Aufhebung danach differenzieren, ob die Rücknahme oder der Widerruf eines begünstigenden oder belastenden Rechtsaktes mit Wirkung ex tunc oder ex nunc in Rede steht, gelten in beiden Rechtsordnungen für eine Entscheidung bzw. einen Verwaltungsakt jeden Inhalts und ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende formelle Bestandskraft des aufzuhebenden Rechtsaktes. In beiden Rechtsordnungen eröffnen sie dem zuständigen Entscheidungsträger grundsätzlich ein Ermessen hinsichtlich der von ihm zu treffenden Entscheidung, ob eine zulässige Aufhebung letztlich tatsächlich erfolgt. Bejahendenfalls bewirkt eine existente bzw. wirksame Aufhebungsentscheidung eine unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft. Aufhebungsverbote bestehen ausnahmslos im Falle eines rückwirkenden Widerrufs einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden allgemeinen Verwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 2 VwVfG (im Falle eines rückwirkenden Widerrufs eines begünstigenden, zweckgebundenen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 3 4 Im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht ist dies regelmäßig der erlassende Entscheidungsträger; ausnahmsweise ist es ein anderer, exekutive Aufgaben wahrnehmender Entscheidungsträger (im Gemeinschaftsrecht nur ein solcher auf Gemeinschaftsebene).

318

Schlussbetrachtung

VwVfG besteht nach dem Willen des Gesetzgebers demgegenüber lediglich grundsätzlich ein Aufhebungsverbot). Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, das auf der Grundlage der in der Literatur vertretenen Auffassung das Bestehen eines Aufhebungsverbotes im Falle eines rückwirkenden Widerrufs einer belastenden Entscheidung nur ausnahmsweise anerkennt, besteht ein ausnahmsloses Aufhebungsverbot im deutschen Recht außerdem, soweit der rückwirkende Widerruf eines belastenden Verwaltungsaktes in Rede steht (arg e contr. § 49 Abs. 1 VwVfG). Aufhebungsverbote bestehen im Grundsatz im Falle der Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 oder Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex tunc. Während die Zulässigkeit der rückwirkenden Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG von je zwei materiell-rechtlichen Voraussetzungen, den rechtsstaatlichen Geboten der Rechtssicherheit und/bzw. des Vertrauensschutzes Rechnung tragenden Voraussetzungen abhängig ist (Einhaltung einer angemessenen Frist bzw. § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG und Berücksichtigung schutzwürdigen Vertrauens), wird die Zulässigkeit einer rückwirkenden Rücknahme eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG allein an die Einhaltung der – praktisch allerdings bedeutungslosen – Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG geknüpft. Wegen der „stärkeren Staatsbezogenheit“ eines derartigen sonstigen Verwaltungsaktes soll etwa bestehender Vertrauensschutz nach dem Willen des Gesetzgebers gerade kein Zulässigkeitshindernis für eine Rücknahme mit Wirkung ex tunc darstellen. Aufhebungsverbote bestehen im Grundsatz ferner, soweit die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 2 oder die eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex nunc in Rede steht. Es gelten bzw. es gilt insoweit die soeben genannte(n) jeweilige(n) Zulässigkeitsvoraussetzung(en). Ob auch im Gemeinschaftsrecht im Falle einer zukunftsgerichteten Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung grundsätzlich ein Aufhebungsverbot besteht, ließ sich nicht abschließend klären. Gesichert dürfte die Erkenntnis sein, dass in dieser Rücknahmekonstellation die Zulässigkeitsvoraussetzung der Einhaltung einer angemessenen Frist – allerdings ohne erkennbaren Grund – nicht gilt. Unter Berücksichtigung der Judikatur des EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache A. Herpels/Kommission sowie der daraus gezogenen Schlussfolgerungen der Literatur spricht aber einiges dafür, dass eine Rücknahme mit Wirkung ex nunc außerhalb des öffentlichen Dienstrechts im Falle überwiegenden Vertrauensschutzes ausgeschlossen ist.

Schlussbetrachtung

319

Beide Rechtsordnungen (im Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage der in der Literatur vertretenen Auffassung) erkennen des weiteren das Bestehen eines Aufhebungsverbotes im Grundsatz im Falle eines Widerrufs einer begünstigenden Entscheidung bzw. eines begünstigenden, (nicht) zweckgebundenen Geld- oder Sachleistungsverwaltungsaktes im Sinne des § 49 Abs. 2 oder Abs. 3 VwVfG mit Wirkung ex nunc an. Im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht, dem eine vergleichbare Regelung de lege lata unbekannt ist, existiert im deutschen Recht die Bestimmung des § 50 VwVfG, die unter den dort genannten Voraussetzungen – vor allem aus Gründen der Verfahrenserleichterung – zum Nichtbestehen von ansonsten zugunsten begünstigender Verwaltungsakte anerkannten Aufhebungsverboten führt. Sowohl im Gemeinschaftsrecht (unter Zugrundelegung der in der Literatur vertretenen Auffassung) als auch im deutschen Recht besteht ein Aufhebungsverbot ausnahmsweise, soweit ein Widerruf einer belastenden Entscheidung bzw. eines belastenden Verwaltungsaktes mit Wirkung ex nunc beabsichtigt ist. Kein Aufhebungsverbot besteht in beiden Rechtsordnungen (im Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage der in der Literatur vertretenen Ansicht) im Falle der Rücknahme einer belastenden Entscheidung bzw. eines belastenden Verwaltungsaktes mit Wirkung ex tunc oder ex nunc. II. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger und den anderen Entscheidungsträgern 1. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger Im Hinblick auf die Fragen des Bestehens und des Umfangs von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger hat der Vergleich die Erkenntnis gebracht, dass sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger jeweils zwei grundsätzlich entsprechende, zumal grundsätzlich entsprechend konzipierte Abweichungsverbote bestehen: ein bestandskraftabhängiges, im deutschen Recht selbst materielle Bestandskraft genanntes Abweichungsverbot und ein bestandskraftunabhängiges, im deutschen Recht als (Selbst-)Bindungswirkung bezeichnetes Abweichungsverbot. Unter Zugrundelegung der Annahme, dass – ebenso wie im deutschen Recht in Bezug auf einen ausschließlich begünstigenden Verwaltungsakt – im Gemein-

320

Schlussbetrachtung

schaftsrecht eine ausschließlich begünstigende Entscheidung der Bestandskraft fähig ist, ist das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot in beiden Rechtsordnungen allein bei Vorliegen einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes von Bedeutung, wenn und soweit dieser Rechtsakt belastende Rechtswirkungen entfaltet und damit zunächst anfechtbar ist. Übereinstimmend gelten sämtliche Abweichungsverbote bei jedem Inhalt einer existenten Entscheidung bzw. eines wirksamen Verwaltungsaktes. Die bestandskraftabhängigen Abweichungsverbote gelten zudem ohne Rücksicht auf die begünstigende und/oder (auch) belastende Natur der von dem Rechtsakt ausgehenden Rechtswirkungen. a) Sowohl das Gemeinschaftsrecht als auch das deutsche Recht erkennen das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot aus Gründen der Rechtssicherheit an. Seine durch den Eintritt der materiellen Bestandskraft ausgelöste reflexartige Entstehung erweist sich als Reaktion auf die im Interesse der Rechtssicherheit mit der Bestandskraft herbeigeführte Rechtsbeständigkeit innerhalb des Gemeinschafts- bzw. des Verwaltungsrechtsverhältnisses. Dogmatisch betrachtet handelt es sich daher ganz offensichtlich um eine – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft bewirkten unmittelbaren Bindung der Betroffenen – mittelbare und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig an die materielle Bestandskraft angelehnte Bindung. Zusammenfassend bedeutet dies: Übereinstimmend gelangt es mit Eintritt der materiellen Bestandskraft zur Entstehung, wobei ein Vergleich bzgl. der Frage, ob das Abweichungsverbot in den Fällen, in denen eine Entscheidung bzw. ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, als Folge einer relativen oder erst einer absoluten materiellen Bestandskraft bewirkt wird, aufgrund der insoweit ungeklärten Rechtslage im Gemeinschaftsrecht nicht durchgeführt werden konnte. In beiden Rechtsordnungen ist das Abweichungsverbot als im Grundsatz auf Dauer angelegte inhaltsbezogene Bindung konzipiert. Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der Erstentscheidung mittels actus contrarius hindert es den erlassenden Entscheidungsträger übereinstimmend an dem Erlass einer abweichenden zweiten Sachentscheidung. Der Umfang des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes erfasst in zeitlicher Hinsicht in beiden Rechtsordnungen allein die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes maßgebliche Sach- und Rechtslage. In persönlicher Hinsicht werden sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht die von der Entscheidung bzw. dem Verwaltungsakt Betroffenen gebunden. Wie der Vergleich einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung mit einem an den Staat gerichteten Verwaltungsakt gezeigt hat, reicht die durch die supranationale Hand-

Schlussbetrachtung

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lungsform der Entscheidung begründete Bindung in persönlicher Hinsicht ungleich weiter als die insoweit durch einen Verwaltungsakt hervorgerufene Bindung. Im Gemeinschaftsrecht wird bei Einsatz der Entscheidung der Mitgliedstaat als Gesamtstaat und damit ohne Rücksicht auf seine konkrete Staatsform gebunden. Übereinstimmend wiederum sind dann allerdings nur die Träger der öffentlichen Verwaltung (im deutschen Recht einschränkend wohl nur die Behörden und Stellen der unmittelbaren Staatsverwaltung) als von einer solchen Entscheidung bzw. von einem solchen Verwaltungsakt Betroffene anzusehen. In beiden Rechtsordnungen umfasst die Bindung in sachlicher Hinsicht übereinstimmend die in einer Entscheidung bzw. einem Verwaltungsakt getroffene Regelung, mag diese im deutschen Recht u. U. auch eine tragende rechtliche Feststellung beinhalten (so die richterrechtlich entwickelte Feststellungswirkung). Wohl in Anlehnung an die Regelungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, die – möglicherweise noch infolge römisch-rechtlichen Einflusses – auch tragende Begründungselemente in die Bindung einbeziehen, erstreckt sich die Bindung im Gemeinschaftsrecht demgegenüber offenbar stets darüber hinaus allem Anschein nach auch zumindest auf den die Regelung tragenden Grund, ohne dass dieser – wie bei der richterrechtlich entwickelten Feststellungswirkung im deutschen Recht der Fall – zugleich Bestandteil der Regelung wird. Sofern im deutschen Recht eine Feststellungswirkung besteht, wird die Bindung des erlassenden Entscheidungsträgers – praktisch gesehen – in beiden Rechtsordnungen um eine als Vorfrage relevante rechtliche Feststellung erweitert. b) Bereits vor bzw. – im Gemeinschaftsrecht auch unabhängig von – dem Eintritt des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes unterliegt der erlassende Entscheidungsträger sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht einem bestandskraftunabhängigen, im deutschen Recht als (Selbst-)Bindungswirkung bezeichneten Abweichungsverbot, dessen Bestehen im deutschen Recht (und wohl auch im Gemeinschaftsrecht) auf dem Gedanken beruht, dass die ab Beginn der äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes (bzw. ab Beginn der tatsächlichen Existenz einer Entscheidung) bestehenden Aufhebungsverbote konkludent Abweichungsverbote voraussetzen. Übereinstimmend gelangt das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot durch den Eintritt der rechtlichen Existenz einer Entscheidung bzw. der inneren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes zur Entstehung, wobei ein Vergleich bezüglich der Frage, ob es sich bei dem Abweichungsverbot um eine absolute oder relative inhaltsbezogene Bindungswirkung handelt, aufgrund der insoweit völlig offenen Rechtslage im Gemeinschaftsrecht nicht durchgeführt werden konnte.

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Schlussbetrachtung

Das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot besteht in beiden Rechtsordnungen fort, solange die Entscheidung existent bzw. der Verwaltungsakt wirksam bleibt. Vorbehaltlich gleichzeitiger Aufhebung der Erstentscheidung bzw. des Erstverwaltungsaktes ist der erlassende Entscheidungsträger bei einer späteren Entscheidungsfindung, für die eine früher erlassene Entscheidung bzw. ein früher erlassener Verwaltungsakt präjudizielle Wirkungen entfaltet, an dem Erlass einer abweichenden zweiten Regelung in der Sache gehindert. Übereinstimmend ist der erlassene Entscheidungsträger in dem Umfang an den Inhalt des präjudizielle Wirkungen entfaltenden Rechtsaktes gebunden, in dem er aufgrund des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes gebunden ist. Diesbezüglich wird auf obige Zusammenfassung der Vergleichsergebnisse verwiesen.5 2. Bestehen und Umfang von Abweichungsverboten gegenüber den anderen Entscheidungsträgern Als Ergebnis des Vergleichs der im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht bestehenden Abweichungsverbote gegenüber den anderen Entscheidungsträgern und des durch sie begründeten Bindungsumfangs ist zunächst festzuhalten, dass es sich teilweise um entsprechende, zumal entsprechend konzipierte Abweichungsverbote handelt, die zudem im Gemeinschaftsrecht (hier jedenfalls allem Anschein nach) und im deutschen Recht (hier auf der Grundlage der wohl überwiegend vertretenen Auffassung in Judikatur und Literatur) unabhängig von dem Inhalt einer existenten Entscheidung bzw. eines wirksamen Verwaltungsaktes und offensichtlich ohne Rücksicht auf die Natur der von dem betreffenden Rechtsakt ausgehenden Rechtswirkungen gelten. Festzuhalten ist aber auch, dass die Abweichungsverbote ungeachtet ihrer zahlreichen Gemeinsamkeiten auch einige wesentliche Unterschiede aufweisen. Bereits im Ansatz divergieren die in beiden Rechtsordnungen bereitgestellten Lösungen grundlegend: Ohne Angabe von Gründen differenziert das Gemeinschaftsrecht offensichtlich je nach Adressat des Abweichungsverbotes zwischen verschiedenartigen inhaltsbezogenen Bindungswirkungen (gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern wohl ein aus Art. 249 Abs. 4 EG in Verbindung mit Art. 10 EG bzw. anscheinend dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung [Bindung an Recht und Gesetz] hergeleitetes bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot; gegenüber dem EuGH, dem EuG und – unter den Generalanwälten nicht unbestritten – im Grundsatz auch gegen5

s. o., lit. a).

Schlussbetrachtung

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über den mitgliedstaatlichen Gerichten ein auf den Grundsatz der Rechtssicherheit gestütztes bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot), während das deutsche Recht auf der Grundlage der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur einheitlich gegenüber den anderen Entscheidungsträgern die bestandskraftunabhängige Tatbestandswirkung anerkennt, deren Geltungsgrundlage in dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Bindung an Recht und Gesetz) in Verbindung mit § 43 VwVfG gesehen wird. Inhaltlich übereinstimmend (im deutschen Recht ausdrücklich, vgl. die Differenzierung zwischen der Tatbestandswirkung i. e. S. und der Tatbestandswirkung [i. w. S.]; im Gemeinschaftsrecht implizit) aber dürfte sich die durch das jeweilige Abweichungsverbot bewirkte Bindung der anderen Entscheidungsträger sowohl auf die Existenz als auch auf den Inhalt einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes beziehen, wobei die Bindung an die Existenz eines solchen Rechtsaktes – im Einklang mit dem deutschen Recht – wohl als Sonderfall der Bindung an dessen Inhalt zu begreifen ist. Konzeptionell stimmen die in beiden Rechtsordnungen bereitgestellten Lösungen insofern überein, als das deutsche Recht die Bindung sämtlicher anderer Entscheidungsträger unter Berufung auf die Gewaltenteilung und das Gemeinschaftsrecht, wo sich der mögliche, zugleich aber auch wahrscheinliche Geltungsgrund der Funktionenteilung nur vermuten lässt, die Bindung der anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträger bestandskraftunabhängig ausgestalten. Anknüpfungspunkt für die Bindung bildet bereits die Existenz einer Entscheidung bzw. die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes. Anders als das deutsche Recht (hier unter Zugrundelegung der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur) konzipiert das Gemeinschaftsecht die Bindung der Gerichte6 bestandskraftabhängig. Nicht die Funktionentrennung, sondern allein das rechtsstaatliche Anliegen der Rechtssicherheit stellt den ausschlaggebenden Grund für die Anerkennung eines Abweichungsverbotes auch gegenüber den Gerichten dar. Solange das mittels Entscheidung begründete Gemeinschaftsrechtsverhältnis noch nicht aufgrund Eintritts der Bestandskraft stabilisiert ist, räumt der EuGH der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz Vorrang ein. Die Anerkennung eines reflexartig zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen zur Entstehung gelangenden Abweichungsverbotes führt bei den Gerichten dogmatisch betrachtet zu einer – im Verhältnis zu der durch die materielle Bestandskraft bewirkten (unmittelbaren) 6 Bzgl. der mitgliedstaatlichen Gerichte vorbehaltlich anderslautender gesetzlicher Bestimmungen, wie etwa Art. 16 Abs. 1 VO Nr. 1/2003.

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Schlussbetrachtung

Bindung der Betroffenen – mittelbaren und daher in Entstehung, Fortbestand, Folgen und Umfang zwangsläufig akzessorischen Bindung an die präjudizielle Wirkungen entfaltende Entscheidung. Diese gemeinschaftsrechtliche Lösung der Bindungsfrage hinsichtlich der Gerichte entspricht der im deutschen Recht namentlich von Sachs bevorzugten Lösung der Bindungsfrage sämtlicher anderer Entscheidungsträger. Übereinstimmend gelangt das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht (hier jedenfalls im Grundsatz) zur Entstehung, sobald die Entscheidung existent wird bzw. der Verwaltungsakt innere Wirksamkeit erlangt. Von einem Vergleich des Entstehungszeitpunktes in den Fällen, in denen eine Entscheidung bzw. ein Verwaltungsakt mehrere Betroffene berührt, wurde wegen der insoweit völlig offenen Rechtslage im Gemeinschaftsrecht abgesehen. Das im Gemeinschaftsrecht gegenüber den Gerichten anerkannte bestandskraftabhängige Abweichungsverbot tritt demgegenüber reflexartig erst als Folge des Beginns der materiellen Bestandskraft gegenüber den Betroffenen ein. Übereinstimmend besteht das bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot in beiden Rechtsordnungen, solange die präjudizielle Wirkungen entfaltende Entscheidung existent bzw. der präjudizielle Wirkungen entfaltende Verwaltungsakt wirksam bleibt. Das Fortbestehen des im Gemeinschaftsrecht gegenüber den Gerichten anerkannten bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes hängt dagegen von dem Fortbestand der materiellen Bestandskraft ab. Übereinstimmend bewirken die bestandskraft(un-)abhängigen Abweichungsverbote eine Bindung der anderen Entscheidungsträger an den Bestand und den Inhalt einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes, so dass diese Entscheidung bzw. dieser Verwaltungsakt im Rahmen nachfolgender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, in denen dieser Rechtsakt für die dort zu treffende Behörden- oder Gerichtsentscheidung präjudiziell ist, als gegeben zugrundezulegen ist. Von dem Falle eines gesetzlich angeordneten Ausschlusses der Tatbestandswirkung sowie von selbstverständlich bzw. nur theoretisch denkbaren Ausnahmefällen einmal abgesehen, gilt die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes im deutschen Recht im Übrigen offenbar in jedem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes. Dies entspricht der Rechtslage im Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf das gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern anerkannte bestandskraftunabhängige Abweichungsverbot. Bedingt durch die supranationale Handlungsform der Entscheidung in Verbindung mit dem auch bei ihr anerkannten Vorrang des Gemeinschaftsrechts besteht bei den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entschei-

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dungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene zudem die Besonderheit, dass sie über die übliche Bindung an eine präjudizielle Wirkungen entfaltende Entscheidung hinaus dahingehend gebunden werden, dass der Entscheidungsinhalt auch das Ergebnis der an sich allein am Maßstab mitgliedstaatlichen Rechts zu treffenden Behördenentscheidung vorzeichnet. Sofern das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot – wie grundsätzlich der Fall – gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten besteht, gilt dieses für sie in jedem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes, während das bestandskraftabhängige Abweichungsverbot gegenüber den Gemeinschaftsgerichten demgegenüber nur grundsätzlich im Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes gilt. Eine dem deutschen Recht fremde Ausnahme erkennt die Judikatur im Falle einer bestandskräftigen Entscheidung an, falls sie Bestandteil eines komplexen Verwaltungsvorganges ist. Ungeachtet der Bestandskraft dieser im Rahmen nachfolgender Gerichtsverfahren präjudizielle Wirkungen entfaltenden Entscheidung verneint die Judikatur eine Bindung der Gemeinschaftsgerichte unter Berufung auf die besondere Natur dieses Verfahrens. Bei der zweiten, auch dem deutschen Recht bekannten Ausnahme, der Zulässigkeit einer auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklage wegen Erlasses einer rechtswidrigen, bestandskräftigen Entscheidung, handelt es sich – wie der Vergleich gezeigt hat – an sich weniger um eine Ausnahme von der Geltung des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes in einem Falle der Präjudizialität des Entscheidungsgegenstandes als vielmehr um eine Frage des Regelungsgehaltes einer bestandskräftigen Entscheidung. Wie im deutschen Recht in Bezug auf einen Verwaltungsakt ist auch im Gemeinschaftsrecht davon auszugehen, dass die in einer Entscheidung getroffene Regelung keine Feststellung hinsichtlich seiner eigenen Rechtmäßigkeit enthält. Die diesbezüglich in der Judikatur wiederum anerkannte Ausnahme von dieser „Ausnahme“, nämlich die unter Umgehung der für die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz geltenden Voraussetzungen begehrte faktische Aufhebung der bestandskräftigen Entscheidung im Wege einer auf Art. 288 Abs. 2 EG gestützten Schadensersatzklage, ist auch dem deutschen Recht bekannt. Das Gemeinschaftsrecht und das deutsche Recht divergieren insoweit nicht im Ergebnis, dem Ausschluss der faktischen Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung bzw. eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes, sondern lediglich im Lösungsweg: Während das Gemeinschaftsrecht eine faktische Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung bereits auf der Ebene der Zulässigkeit (fehlendes Rechtsschutzbedürfnis; Verfahrensmissbrauch) ausschließt, erfolgt der Ausschluss einer faktischen Aufhebung

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erst auf der Ebene der Begründetheit (§ 839 Abs. 3 BGB als negative Tatbestandsvoraussetzung). Hinsichtlich des Umfangs der in beiden Rechtsordnungen jeweils anerkannten Abweichungsverbote sehen sowohl das Gemeinschaftsrecht als auch das deutsche Recht übereinstimmend vor, dass die Bindung in persönlicher Hinsicht die von der Entscheidung bzw. dem Verwaltungsakt Betroffenen und in zeitlicher Hinsicht allein die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung bzw. des Verwaltungsaktes maßgebliche Sach- und Rechtslage umfasst. In sachlicher Hinsicht sehen beide Rechtsordnungen wiederum vor, dass die anderen Entscheidungsträger an die in einer Entscheidung bzw. einem Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden sind. Im Gemeinschaftsrecht werden die anderen Entscheidungsträger darüber hinaus – offenbar in Anlehnung an möglicherweise römisch-rechtlich beeinflusste mitgliedstaatliche Regelungen – allem Anschein nach zumindest auch den die Regelung tragenden Grund gebunden. In Anlehnung jedenfalls an die im Verwaltungsprozessrecht anerkannte Feststellungswirkung ist die Bindung der anderen Entscheidungsträger auch an tragende Begründungselemente im deutschen Recht demgegenüber nur ausnahmsweise im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung, d.h. einer bewussten Abweichung des Gesetzgebers von dem ansonsten grundsätzlich abgelehnten erweiterten sachlichen Bindungsumfang vorgesehen.

B. Bewertung der Vergleichsergebnisse I. Die rechtsvergleichende Untersuchung des Bestehens von Aufhebungsverboten gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes zuständigen Entscheidungsträgern sowie des Bestehens und Umfangs von Abweichungsverboten gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger und den anderen Entscheidungsträgern lässt erkennen, dass das Gemeinschaftsrecht und das deutsche Recht in weiten Teilen gleichwertige, zumal insoweit weitgehend entsprechende Lösungen bereitstellen, die überwiegend (auch) bezwecken, Rechtssicherheit7 zu gewährleisten. Die Rechtssicherheit kann ihrerseits nur in bestimmten Fällen aufgrund eines dann ausnahmsweise überwiegenden anderen öffentlichen Interesses, wie etwa der rechtsstaatlichen Forderung materieller Gerechtigkeit 7 Insbesondere im Rahmen der Aufhebungsverbote gegenüber den für die Aufhebung mittels actus contrarius zuständigen Entscheidungsträgern tritt neben bzw. an die Stelle der Rechtssicherheit der Vertrauensschutz, die „in das Subjektivrechtliche gekehrte Idee der Rechtssicherheit“ (Müller, S. 52 [dort: Fn. 192] für das deutsche Recht; für das Gemeinschaftsrecht vgl.: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 14 [dort: Fn. 26]).

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oder des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (Vorrang des Gesetzes), überwunden werden. Mit diesem gleichgerichteten Bemühen beider Rechtsordnungen, in erster Linie Rechtssicherheit zu gewährleisten, findet übrigens die an früherer Stelle geäußerte Erkenntnis, primäres Anliegen jeder Rechtsordnung sei die Schaffung von Ordnung, uneingeschränkt Bestätigung.8 II. Abgesehen davon hat der Rechtsvergleich jedoch auch vereinzelt wesentliche Unterschiede, in einem Punkt sogar eine grundlegende Divergenz der im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht bereitgestellten Lösungen erkennbar werden lassen. 1. Eine wesentliche Divergenz besteht zunächst hinsichtlich der Folgen des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes gegenüber den für die Aufhebung einer Entscheidung bzw. eines Verwaltungsaktes im Rahmen von Beschwerde- bzw. Widerspruchsverfahren zuständigen Entscheidungsträgern, konkret: die grundsätzliche Nichtgeltung der Folge des bestandskraftabhängigen Aufhebungsverbotes gegenüber – jedenfalls – der Widerspruchsbehörde im Falle eines verfristet eingelegten Widerspruchs. Diese gegenwärtige Rechtslage stellt eine bemerkenswerte, akute und daher änderungsbedürftige Gefährdung der Rechtssicherheit im deutschen Recht dar. Sie resultiert aus der dargelegten ständigen Rechtsprechung des BVerwG. Diese hat zur Folge, dass im Falle eines verfristet eingelegten Widerspruchs die Widerspruchsfrist des § 70 VwGO im Grundsatz zur Disposition der Widerspruchsbehörde gestellt ist.9 In diesem Punkt bietet das deutsche Recht keine befriedigende Lösung. Wenn einem anderen als dem erlassenden Entscheidungsträger de lege lata eine Aufhebungskompetenz im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zugewiesen wurde, dann sollte dieser – wie übrigens auch der erlassende Entscheidungsträger – im Interesse der Rechtssicherheit nach Eintritt der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes in jedem Falle zur Zurückweisung eines verfristet eingelegten Widerspruchs verpflichtet sein. Der Judikatur wird zu Recht entgegengehalten, die Widerspruchsfrist des § 70 VwGO sei nicht disponibel, insbesondere auch nicht im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens ohne Drittbeteiligung.10 Entgegen der Ansicht der Judikatur dient sie auch in dieser Konstellation nicht vornehmlich den Interessen der Widerspruchsbehörde, sondern im gleichen Maße auch u. a. den Interessen des erlassenden Entscheidungsträgers11 an Bestandsschutz und 8

s. Einleitung, A. II. Eingehend dazu: Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 8 ff. 10 Z. B.: Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 8; Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 70, Rn. 40. 11 Unterstellt, dieser ist nicht mit der Widerspruchsbehörde identisch. 9

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damit an Rechtsbeständigkeit sowie Rechtssicherheit und außerdem dem übergeordneten öffentlichen Interesse an der Vermeidung unnötiger Prozesse mit dem Ziel, die Gerichte von übermäßiger Inanspruchnahme zu entlasten.12 Abgesehen davon ermöglicht die Judikatur eine Umgehung der formellen Bestandskraft, wenn sie der Widerspruchsbehörde gestattet, die formelle Bestandskraft unter Außerachtlassung der zu ihrer Durchbrechung anerkannten Voraussetzungen zu beseitigen.13 Dies wiegt umso schwerer, als die Widerspruchsbehörde – entgegen der Ansicht der Judikatur – mangels Devolutiveffekts14 grundsätzlich15 keine Sachherrschaft im Rahmen des Widerspruchsverfahrens besitzt. 2. Eine wesentliche Divergenz weisen die im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht bereitgestellten Lösungen hinsichtlich der Folgen des bestandskraftabhängigen Abweichungsverbotes gegenüber den anderen Entscheidungsträgern, konkret: der im Gemeinschaftsrecht richterrechtlich anerkannten Nichtbindung eines Gemeinschaftsgerichts im Falle einer bestandskräftigen Entscheidung, die Bestandteil eines komplexen Verwaltungsvorganges ist, auf. Diese gegenwärtige Rechtslage stellt ebenfalls eine bemerkenswerte, akute und daher änderungsbedürftige Gefährdung der auch mit dem Eintritt der Bestandskraft einer solchen Entscheidung verbundenen Rechtssicherheit dar. Wie bereits an früherer Stelle ausgeführt, erweist sich diese offensichtlich allein mit Blick auf die Anfechtungslast eines Betroffenen entwickelte Ausnahme in einer solchen Konstellation als doch recht großzügig ihm gegenüber.16 Da aber gerade im Rahmen eines komplexen Verwaltungsvorganges Betroffene doch mit dem Erlass weiterer, sachlich auf einer zuvor erlassenen Regelung aufbauenden Entscheidungen rechnen müssen, ist kein triftiger Grund erkennbar, der rechtfertigen könnte, die mit Eintritt der Bestandskraft der früher erlassenen Entscheidung eingetretene Rechtsbeständigkeit „ins Leere laufen“ zu lassen. Insbesondere kann der vom EuGH angeführte Grund der besonderen Natur eines komplexen Verwaltungsvorganges nicht überzeugen. Die Komplexität des Verfahrens könnte nur dann einen triftigen Grund darstellen, wenn mit der Komplexität des Verwal12 Zu den öffentlichen Interessen, vgl.: Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 8; vgl. auch: Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 70, Rn. 40. 13 In diesem Sinne auch: Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 9; Dolde, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 70, Rn. 40. 14 Ein verfristeter Widerspruch löst diesen nicht aus. Dazu: Dolde, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 70, Rn. 40. 15 Ausnahmen: im Falle eines zu ihren Gunsten eröffneten Selbsteintrittsrechts oder ihrer Identität mit dem erlassenden Entscheidungsträger (Pietzner/Ronellenfitsch, § 42, Rn. 11). 16 s. o., Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 3. a).

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tungsvorgangs eine – am Maßstab rechtsstaatlicher Gesichtspunkte zu beurteilende – unzumutbare Beschränkung der Transparenz für einen Betroffenen einhergehen würde und daher eine Entlastung des Betroffenen von seiner Anfechtungslast aus Gründen der Rechtsklarheit geboten wäre. Anhaltspunkte dafür, dass die Transparenz eines komplexen Verwaltungsvorgangs in rechtsstaatlich unzumutbarer Weise eingeschränkt wird, sind indes nicht erkennbar. 3. Eine weitere wesentliche Divergenz weisen die im Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht bereitgestellten Lösungen im Hinblick auf den sachlichen Umfang der gegenüber dem erlassenden Entscheidungsträger und den anderen Entscheidungsträgern bestehenden Abweichungsverbote auf. Im Gegensatz zum deutschen Recht, wo der erlassende Entscheidungsträger stets allein an die in einem Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden ist17, während die anderen Entscheidungsträger demgegenüber ausnahmsweise im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung auch an die Regelung tragende Begründungsbestandteile gebunden sind,18 erstreckt sich die Bindung sämtlicher Entscheidungsträger im Gemeinschaftsrecht allem Anschein nach wohl stets auch zumindest auf den die Regelung tragenden Grund einer Entscheidung. Hier dürfte die im deutschen Recht bereitgestellte Lösung der gemeinschaftsrechtlichen Lösung vorzuziehen sein, da die im deutschen Recht grundsätzlich anerkannte Beschränkung auf die Regelung nicht nur im Einklang mit der gesetzlich vorgesehenen Kompetenzverteilung steht (a), sondern auch im Interesse der Rechtsklarheit liegt (b): (a) Die Beschränkung der Abweichungsverbote auf die Regelung entspricht bei Vorliegen eines rechtmäßigen Rechtsaktes der gesetzlich zugewiesenen Sachentscheidungskompetenz. Die getroffene Regelung entspricht in diesem Falle dem, was der erlassende Entscheidungsträger mit Blick auf die Kompetenzverteilung nach dem Willen des Gesetzgebers entscheiden darf, soll oder u. U. sogar muss, ohne dabei in die Sachentscheidungskompetenz eines anderen Entscheidungsträgers einzugreifen. Zu einem solchen Eingriff kommt es, wenn sich die von einem erlassenen Rechtsakt ausgehende Bindung nicht nur auf seine Regelung, sondern – über die eigentliche, gesetzlich zugewiesene Sachentscheidungskompetenz hinaus – auch auf den die Regelung tragenden Grund erstreckt, sofern der tragende Grund, der für den erlassenden Entscheidungsträger selbst lediglich eine Vorfrage bildet, möglicher Regelungsgegenstand eines anderen Rechtsaktes ist, des17

Mag deren Gegenstand neben der „reinen“ Rechtsfolge aus Gründen des materiellen Rechts auch eine an sich nur als Vorfrage relevante rechtliche Feststellung mitumfassen (so der Inhalt der richterrechtlich entwickelten Feststellungswirkung). 18 Ebenfalls als Feststellungswirkung bezeichnet.

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sen Erlass nach der gesetzlich vorgesehenen Kompetenzverteilung an sich in die Sachentscheidungskompetenz eines anderen Entscheidungsträgers fällt. Ganz abgesehen davon ist der tragende Grund auch dann, wenn lediglich die Regelung bindet, nicht völlig bedeutungslos, sondern besitzt als Auslegungshilfe für die Bestimmung des Inhalts der Regelung eine u. U. entscheidende Bedeutung. (b) Die Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Kompetenzverteilung stellt jedoch nicht den einzigen Grund dar, der zugunsten einer Beschränkung der Bindung auf die Regelung spricht. Diese liegt vielmehr zudem auch im Interesse der Vorhersehbarkeit des Gegenstandes und des Umfangs bindende Rechtswirkungen entfaltender Rechtsakte, kurz: im Interesse der Rechtsklarheit. Insbesondere für einen Nichtentscheidungsträger entspricht die Beschränkung der Bindung auf die Regelung dem, was er, wenn er einen Entscheidungsträger um Erlass eines Rechtsaktes ersucht, an verbindlicher Entscheidung erwarten kann und darf oder mit dem er, falls ein Entscheidungsträger ihm gegenüber von Amts wegen tätig wird, rechnen muss und darf. Dessen ungeachtet ist in diesem Zusammenhang allerdings abschließend festzustellen, dass die Erweiterung des Gegenstandes der Abweichungsverbote aber durchaus im Interesse einer Rechtsordnung liegen mag. Dies dürfte in besonderem Maße für die Gemeinschaftsrechtsordnung zutreffen, die als supranationale Rechtsordnung fortlaufend um eine effektive Durchsetzbarkeit erlassener Gemeinschaftsrechtsakte bemüht sein muss, um ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Das Hinwegsetzen über die eigentliche Kompetenzverteilung durch Einbeziehung zumindest auch des tragenden Grundes in den Gegenstand der Abweichungsverbote kann gerade in dem für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts wichtigen Verhältnis zwischen einem erlassenden Entscheidungsträger (in der Praxis – wie erwähnt – regelmäßig die Kommission)19 und den anderen Entscheidungsträgern auf mitgliedstaatlicher Ebene die Handlungsmarge des erlassenden Entscheidungsträgers erweitern und die Verwirklichung der mit dem Erlass eines Rechtsaktes verfolgten Ziele erleichtern. Die Gemeinschaftsrechtsordnung wird daher die in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen offenbar vorgesehene generelle Einbeziehung tragender Begründungselemente dankbar aufgegriffen haben, bietet diese Erweiterung der bindende Rechtswirkungen entfaltenden Bestandteile eines Rechtsaktes um den tragenden Grund einer Entscheidung doch die Möglichkeit, auf diesem Wege eine weitergehende und intensivere Bindung im Interesse der Verwirklichung ge19

s. o., Einleitung, B. I.

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meinschaftsrechtlicher Ziele zu erreichen. Eine solche Handhabung liegt im Ergebnis auf einer Linie mit dem Gedanken des effet utile.20 4. Eine grundlegende Divergenz besteht schließlich bei den gegenüber den anderen Entscheidungsträgern anerkannten Abweichungsverboten, konkret: der im Ansatz unterschiedlichen Konzeption beider Rechtsordnungen im Hinblick auf die Anerkennung bestandskraft(un-)abhängiger Abweichungsverbote. Im Gegensatz zum deutschen Recht, wo auf der Grundlage der offenbar überwiegenden Ansicht in Judikatur und Literatur ein wirksamer Verwaltungsakt gegenüber den anderen Entscheidungsträgern bestandskraftunabhängig Tatbestandswirkung entfaltet, differenziert das Gemeinschaftsrecht – allerdings ohne Angabe eines Grundes für die Differenzierung – offensichtlich je nach Adressat des Abweichungsverbotes: gegenüber den anderen, exekutive Aufgaben wahrnehmenden Entscheidungsträgern – wie im deutschen Recht – ein bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot und gegenüber dem EuGH, dem EuG und – grundsätzlich auch – den mitgliedstaatlichen Gerichten ein bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot. In Fortführung des Gedankens, dass das oberste Ziel wohl jeder Rechtsordnung die Schaffung von Ordnung mit Hilfe der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden ist,21 stellt sich zwangsläufig die Frage, ob eine Bindung der anderen Entscheidungsträger bereits vor Eintritt der Bestandskraft22 diesem Ziel dienlich und daher erforderlich ist. Diese Frage ist wohl zu verneinen. Rechtssicherheit entspringt dem mittels Entscheidung bzw. Verwaltungsakt begründeten Gemeinschafts- bzw. Verwaltungsrechtsverhältnis. Solange eine belastende Entscheidung bzw. ein belastender Verwaltungsakt noch anfechtbar ist und – damit zwangsläufig verbunden – aufhebbar ist, geht von einem solchen Rechtsverhältnis eben noch keine Rechtsbeständigkeit und Verlässlichkeit der Rechtslage aus, an die das rechtsstaatliche Anliegen der Rechtssicherheit im Interesse auch der gesamten Rechtsordnung anknüpfen könnte. Es scheint deshalb nicht gerechtfertigt, in Durchbrechung der – dem rechtsstaatlichen Anliegen der Rechtssicherheit gleichwertig gegenüberstehenden – Bindung an Recht und Gesetz die anderen Entscheidungsträger bereits zu diesem Zeitpunkt prinzipiell an 20

s. dazu bereits oben, Einleitung, B. I. (dort: Fn. 47). s. dazu bereits oben, Einleitung, A. II. 22 Relevant ist diese Frage damit nur in Bezug auf zumindest auch belastende Entscheidungen bzw. Verwaltungsakte wegen der dann zunächst bestehenden Anfechtbarkeit. Ausschließlich begünstigende Entscheidungen bzw. Verwaltungsakte werden aufgrund der von vornherein bestehenden allseitigen Unanfechtbarkeit bereits mit dem Erlass bestandskräftig, s. dazu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) (dort: Fn. 12), II. (1) (a) (dort: Fn. 49), (aa), (2) (dort: Fn. 121) sowie B. I. 1. a) (dort: Fn. 190), II. (1) (a) (dort: Fn. 205), (aa), (2) (dort: Fn. 295). 21

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eine noch anfechtbare Entscheidung bzw. einen noch anfechtbaren Verwaltungsakt zu binden, zumal andernfalls die anderen Entscheidungsträger, die ja völlig außerhalb dieses noch instabilen und ungeklärten Rechtsverhältnisses stehen, zu diesem Zeitpunkt stärker gebunden wären als die Beteiligten des Rechtsverhältnisses selbst. Hierfür ist kein vernünftiger Grund erkennbar, insbesondere auch nicht die Berufung auf die Gewalten- bzw. Funktionenteilung. Diese hebt zwar die Gleichwertigkeit der einzelnen Staatsgewalten bzw. das institutionelle Gleichgewicht hervor, vermag aber wohl nicht die vorzeitige Bindung der anderen Entscheidungsträger zu begründen.23 Vorzuziehen wäre daher – jedenfalls im Grundsatz – die im Gemeinschaftsrecht für das gegenüber den Gerichten anerkannte Abweichungsverbot gewählte Konzeption einer bestandskraftabhängigen, inhaltsbezogenen Bindungswirkung gegenüber sämtlichen anderen Entscheidungsträgern in beiden Rechtsordnungen.

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Wolff, Hans J./Bachof, Otto/Stober, Rolf: Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl., München 1999 (zitiert: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1). – Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl., München 2000 (zitiert: Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2). Woude, Marc H. van der: Liability for administrative acts under Article 215 (2) EC, in: Heukels, Ton/McDonnell, Alison (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, Kluwer Law International, The Hague/London/Boston 1997, 109 (zitiert: van der Woude, in: Heukels/McDonnell). Zippelius, Reinhold/Würtenberger, Thomas: Deutsches Staatsrecht, 31. Aufl., München 2005. Zöller, Richard (Hrsg.): Zivilprozessordnung, 25. Aufl., Köln u. a. 2005 (zitiert: Bearbeiter, in: Zöller). Zweigert, Konrad/Kötz, Hein: An Introduction to Comparative Law, 3. Aufl., Clarendon Press, Oxford 1998.

Sachverzeichnis Abänderungsklage 110 Abhilfebehörde siehe Widerspruchsverfahren abrogation 161 Abweichungsverbot(e) – Begriff 19 f., 38, 164 [siehe auch bestandskraftabhängiges ~, bestandskraftunabhängiges ~, ~ der materiellen Bestandskraft, (Selbst-)Bindungswirkung, Tatbestandswirkung] – Verhältnis zu Aufhebungsverboten 20 f. – Zweck 20 Abweichungsverbot der materiellen Bestandskraft – Abweichungsverbot 225, 249 – Adressat 212 f. 221 – akzessorische Bindung 221, 223, 223 f., 248, 288 – Begriff 213 f., 214, 247 – Fortbestand 223, 249 – Geltungsgrundlage 214 – Inhalt 221 – persönlicher Umfang 39, 238, 249 f. – Rechtssicherheit 221, 248, 288 – reflexartige Entstehung 214 f., 248, 288 – sachlicher Umfang 38 f., 237 f., 250 ff., 329 ff. – Voraussetzungen 221 f., 248 – Wiederholungsverbot 225, 249 – zeitlicher Umfang 39, 238, 249 acte créateur de droit 161 acte individuel 127, 172, 178, 182, 193, 274 acte non créateur de droit 161 acte réglementaire 172

actus contrarius – Rechtsnatur 33 [siehe auch Rücknahme, Widerruf] – unmittelbare Durchbrechung der formellen Bestandskraft 75 f. akzessorische Bindung siehe bestandskraftabhängiges Aufhebungsverbot, bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot Amtshaftung 290 ff., 311 ff. andere Entscheidungsträger 19, 254 f., 280 f., 280 Anfechtung – mittelbare ~ 170 ff., 269 – unmitelbare ~ 169 f., 312 Anfechtungsklage 83, 101 f., 151 Anfechtungsklageverfahren 34 f., 37, 40, 41, 79, 83, 85, 100, 151, 152 angemessene Frist 127 ff., 130, 160 angemessener Zeitraum 123 [siehe auch angemessene Frist] atypische Rechtsakte 54 Aufhebung siehe Rücknahme, Widerruf Aufhebungsverbot(e) – Adressaten 33 ff., 40, 41, 79, 115, 118, 137 – Begriff 19, 32, 40, 118, 137 [siehe auch bestandskraftabhängiges ~, Rücknahme, Widerruf] – Zweck 2 Ausgangsbehörde siehe Widerspruchsverfahren äußere Wirksamkeit – Beginn 87 ff. – Begriff 86 – Fortbestehen 92 f. – relative ~ 87, 105

Sachverzeichnis Auswahlermessen 121 f., 141, 147 f., 157 Baugenehmigung siehe Regelungsgegenstand Beachtlichkeit 289 begründender Teil siehe Begründung Begründung 38 f., 187, 189, 226, 227 ff., 299 ff. – und Tenor 189 ff., 227 [siehe auch tragende Gründe] Beschwerde 70 Beschwerdeverfahren 34, 37, 38, 41, 41 f., 45, 70, 77, 79, 170, 208 Bestandskraft siehe formelle Bestandskraft, materielle Bestandskraft bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot – Abweichungsverbot 186, 249, 275, 309 ff. – Adressaten 183, 266 – akzessorische Bindung 183, 184, 185 f., 187, 204 f., 248, 267, 272, 276, 308 – Fortbestand 185, 249, 272, 309 – Geltungsgrundlage 183 – persönlicher Umfang 39, 205, 249 f., 276, 313 – Rechtssicherheit 183, 248, 307 – reflexartige Entstehung 166, 183, 248, 266, 267 – relatives ~ 184, 248, 272 – sachlicher Umfang 38 f., 205, 250 f., 276, 314, 329 ff. – Voraussetzungen 184, 248, 272, 306, 309 – Wiederholungsverbot 186, 249 – zeitlicher Umfang 39, 205, 249, 276, 313 f. bestandskraftabhängiges Aufhebungsverbot – akzessorische Bindung 50, 51, 72, 84, 105 f., 116 – Durchbrechungen siehe Fortbestand

– – – – –

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Folge(n) 77, 111 ff., 117 Fortbestand 72 ff., 106 ff., 117 Geltungsgrundlage 50 Rechtssicherheit 50, 84, 115 reflexartige Entstehung 42 f., 50, 79, 84, 115 – relatives ~ 72, 105, 116 – Voraussetzungen 51 ff., 84 ff., 116 bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot – Abweichungsverbot 208, 253, 264 f., 309 – Fortbestand 207, 253, 264, 309 – Gegenstand 206 – Geltungsgrund 252, 307 – Geltungsgrundlage 205 f., 306 – persönlicher Umfang 39, 208 f., 253, 265 f., 313 – sachlicher Umfang 38 f., 208, 253, 265, 314, 329 ff. – Voraussetzungen 207, 248, 252, 263 f., 306, 308 f. – Wiederholungsverbot 208, 253 – zeitlicher Umfang 39, 209, 253, 266, 313 f. Bestandsschutz 126, 132, 142, 144, 153 bestätigende Entscheidung siehe bestätigender Rechtsakt bestätigender Rechtsakt 179 ff., 186, 208 Bindung an Recht und Gesetz 118, 137, 156, 285, 289, 292, 300, 306, 307, 331 Bindungswirkungen – Arten siehe Aufhebungs-, Abweichungsverbot – Begriff 1 – entwicklungsgeschichtliche Prägung der Dogmatik der ~en im deutschen Recht 30 f. décision confirmative 181

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Sachverzeichnis

„Doppelstellung der Verwaltung“ 201 [siehe auch Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers] Doppelstellung des erlassenden Entscheidungsträgers 201 ff., 213 Drittwirkung siehe Entscheidung, Verwaltungsakt effet utile 259, 331 Einrede der Rechtswidrigkeit 170 ff., 175 f., 273 Entscheidung (Art. 249 Abs. 4 EG) – Aufbau 38 f., 187 – bestätigende ~ siehe bestätigender Rechtsakt – Definition 26 – Existenz siehe Existenz – Handlungsform siehe Handlungsinstrument – Handlungsinstrument 25, 27, 28, 31 – Individualisierungsfunktion 25 – Inhalt 67 f. – Klarstellungsfunktion 25 – materiell-rechtliche Rechtsquelle 26 – mit Drittwirkung 71, 120 – rechtliche Inexistenz siehe rechtliche Inexistenz – Rechtswirkungen entfaltende Bestandteile 188 ff. Entscheidung mit Drittwirkung siehe Entscheidung Entscheidungsfrist 146, 149, 160, 161, 162 Entscheidungsgegenstand siehe Regelungsgegenstand Entscheidungsträger siehe erlassender ~, andere ~ Entschließungsermessen 121, 141, 147, 157 erlassender Entscheidungsträger 42, 79, 118, 165, 212 Erledigung 56, 67, 93 Ermessensreduzierung „auf Null“ 139, 158

Erschöpfung des Rechtsweges 68, 71, 101, 103, 110, 116 Erstbehörde siehe Widerspruchsverfahren exception d’illégalité 170, 172, 176, 178, 274 Existenz 51, 52 ff. [siehe auch tatsächliche ~, rechtliche ~] faktische Aufhebung 175, 178, 269, 275, 312, 313 Feststellungswirkung 226, 229 ff., 238, 252, 293, 297, 299 ff., 306, 309, 314, 321, 326, 329 ff. formelle Bestandskraft – absolute ~ 104 f., 184, 222 – Adressaten 46 ff., 83, 115 – Anlehnung an formelle Rechtskraft 30 f., 81 – auslösendes Moment 43, 80 – Begriff 42, 43, 45, 79, 81 f. – Durchbrechungen siehe Fortbestand – Folge 77, 111 – Fortbestand 72 ff., 105 ff., 117, 122, 140, 157 – Geltungsgrundlage 43 f., 83 – Rechtssicherheit 44 – relative ~ 71, 104 f., 184 – Unanfechtbarkeit 45, 81 f., 116 – Unangreifbarkeit 43 – Voraussetzungen 51 ff., 84 ff. formelle Rechtskraft – absolute ~ 104 – Begriff 81 – Unanfechtbarkeit 81 – Vorbildfunktion 30 f., 81, 104 Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (und Rechtsprechung) 22 f., 38, 61, 73, 118, 122, 129, 130, 137, 156, 285, 288, 289, 306, 307, 327 gestufte Verwaltungsverfahren 242 Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes 49, 297

Sachverzeichnis Gründe siehe Begründung – tragende ~ siehe dort Homogenitätsklausel 259 innere Wirksamkeit – Beginn 99 f. – Begriff 93 f. – Fortbestehen 100 – relative ~ 99 komplexer Verwaltungsvorgang 274, 275, 310 f., 328 f. materielle Bestandskraft – Abgrenzung zur Verbindlichkeit 218 ff. – absolute ~ 248 – Abweichungsverbot 186, 224, 273 – Anlehnung an materielle Rechtskraft 30 f., 217, 220, 222, 224, 227, 235, 236 f. – auslösendes Moment 166, 215, 266 – Begriff 166, 182 f., 213, 215 [siehe auch Maßgeblichkeit] – Fortbestand 185, 223, 249 – Geltungsgrundlage 216 – Maßgeblichkeit 169 ff., 217 – persönlicher Umfang 196 ff., 235 f. – relative ~ 184 – sachlicher Umfang 187 ff., 226 ff. – Unabänderlichkeit 137 f., 167 ff. – Voraussetzungen 184, 222 – Wiederholungsverbot 186, 224 – zeitlicher Umfang 204, 236 f. materielle Gerechtigkeit 22, 23, 107, 108, 110, 117, 326 materielle Rechtskraft – absolute ~ 222 – Maßgeblichkeit 217 – persönlicher Umfang 235 – sachlicher Umfang 193 f., 226 – Unabänderlichkeit 137 f.

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– Vorbildfunktion 30 f., 138, 166, 215, 222 – zeitlicher Umfang 236 f. mehraktige Verfahren 274 modifizierter Vertrauensschutz 150 ff., 162 f. „nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis“ 102 Negativattest 260 Nichtigkeit siehe Verwaltungsakt Nichtigkeitsklage 45, 47, 77, 109, 116, 170, 171, 188, 189, 191, 193, 207 – Frist 68 f. – und Schadensersatzklage 173 f., 177 f., 275, 311 ff. Nichtigkeitsklageverfahren 33 f., 37, 40, 41, 41 f., 45, 68 f., 77, 109, 170, 173 f., 177 f., 188 f., 193, 207, 269, 311 ff. opération complexe 274 ordre public 70 Plaumann-Formel 48 rechtliche Existenz – Beginn 63 ff. – Begriff 53, 56 f. – Fortbestehen 67 – relative ~ 71 rechtliche Inexistenz 60 ff., 122, 158 Rechtmäßigkeit siehe Regelungsgegenstand Rechtsbehelfsfristen 68 ff., 101 ff., 116 Rechtserkenntnisakt 30 Rechtsfrieden 21, 30, 331 Rechtsklarheit 127, 158, 329, 330 Rechtskraft siehe formelle Rechtskraft, materielle Rechtskraft Rechtssicherheit 21 f., 23, 44, 47, 49, 50, 61 f., 65, 70, 72, 75, 76, 77, 83,

352

Sachverzeichnis

84, 95, 105, 107, 108, 110, 115, 117, 124, 129, 145, 158, 160, 170, 176, 182, 183, 203, 221, 234, 248, 249, 259, 262, 267, 269, 271, 273, 288, 291, 307, 308, 310, 311, 326 f., 327 f., 328, 331 Rechtsstaatsprinzip 21, 22, 141 Rechtswegerschöpfung 68, 71, 101, 103, 110 recours de pleine jurisdiction 178 recours en réparation 178 recours pour excès de pouvoir 127, 161, 181 Regelung – Begriff 189, 227 – ~sgegenstand siehe dort Regelungsgegenstand – Bestimmung des ~es 190 f., 227 ff. – Erteilung einer Baugenehmigung 230 ff. – Feststellung eigener Rechtmäßigkeit 173, 291 f., 311 f. – Identität des ~es 186, 224, 225 – Präjudizialität des ~es 186, 224, 225, 275, 297, 309 ff. – „reine Rechtsfolge“ 227, 238, 251, 252 [siehe auch Feststellungswirkung] – sachliche Ablehnung einer Baugenehmigung 232 ff. – sachliche Ablehnung eines Vertriebenenausweises 234 f. Regelungsgehalt siehe Regelungsgegenstand Rücknahme – actus contrarius 33, 157 – Begriff 120 f., 138 f. – begünstigender Entscheidungen 123 ff., 130 f., 160, 161 f., – begünstigender Verwaltungsakte 141 ff., 160 f. – belastender Entscheidungen 129, 131, 163

– belastender Verwaltungsakte 146 f., 163 – Durchbrechung der formellen Bestandskraft siehe formelle Bestandskraft (Folgen) – zuständiger Entscheidungsträger 36, 118, 137 Rücknahmeverfahren – selbständiges Verwaltungsverfahren 27, 33 – zuständiger Entscheidungsträger 36 sachlicher Umfang siehe bestandskraftabhängiges Abweichungsverbot, bestandskraftunabhängiges Abweichungsverbot, materielle Bestandskraft, materielle Rechtskraft Schadensersatzklage (Art. 288 Abs. 2 EG) 173 f., 177 f., 275, 311 ff. (Selbst-)Bindungswirkung – Abweichungsverbot 241, 242, 253 – Adressat 212 f., 238 – Begriff 238, 239 f., 247, 252 – Fortbestand 241, 253 – Geltungsgrund 239, 252 – Geltungsgrundlage 239 – persönlicher Umfang 39, 243, 253 – sachlicher Umfang 38 f., 243, 253, 329 ff. – Voraussetzungen 240 f., 248, 252 – Wiederholungsverbot 241 f., 253 – zeitlicher Umfang 39, 243, 253 supranationale Rechtsordnung 31, 250, 330 Tatbestandswirkung – Abweichungsverbot 297 f., 309 – Adressat 280 f. – Anlehnung an die prozessrechtliche ~ 283, 297, 298, 299, 307, 314 – Begriff 280, 281 ff., 307 – Fortbestand 296, 309 – Geltungsgrund 286 f., 308 – Geltungsgrundlage 285, 307

Sachverzeichnis – persönlicher Umfang 39, 301, 313 – sachlicher Umfang 38 f., 299 ff., 314, 329 ff. – ~ i. e. S. 282, 283 f., 307 – ~ i. w. S. 282, 284, 307 – verwaltungsprozessuale ~ 284 – Voraussetzungen 294 ff., 306, 308 f. – zeitlicher Umfang 39, 301, 313 f. – zivilprozessuale ~ 283 tatsächliche Existenz – Begriff 53 – Beginn 53 f. – Fortbestehen 55 f. Teilgenehmigung 242 Tenor und Gründe 38 f., 189, 227 [siehe auch Regelung, Regelungsgegenstand] tragende Gründe 192 ff., 205, 208, 251 f., 265, 276, 314, 329 ff. [siehe auch Feststellungswirkung] Unabänderlichkeit siehe materielle Bestandskraft, materielle Rechtskraft Unanfechtbarkeit siehe formelle Bestandskraft, formelle Rechtskraft Unangreifbarkeit siehe formelle Bestandskraft Verbindlichkeit – Abgrenzung zur materiellen Bestandskraft 218 ff. Verfassungsbeschwerde 109, 110 f. verfügender Teil siehe Tenor Vermögensschutz 143, 153 Vermutung der Gültigkeit 58, 95 Verpflichtungsklage siehe Versagungsgegenklage Verpflichtungsklageverfahren siehe Versagungsgegenklageverfahren Versagungsgegenklage 83, 100, 101 f., 111, 241 Versagungsgegenklageverfahren 34 f., 40, 41, 83, 85, 100, 101, 111, 241

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Vertrauensschutz 124 ff., 129, 130, 131, 132, 134, 141 ff., 142, 143 f., 144, 145, 147, 148, 149, 152, 153, 160, 161 f., 163 [siehe auch modifizierter ~] Vertriebenenausweis siehe Regelungsgegenstand Verwaltungsakt – Aufbau 38 f. – Definition 27 – Gerichtsurteile als Vorbild 29 – Handlungsform siehe Handlungsinstrument – Handlungsinstrument 25, 28 – Individualisierungsfunktion 25 – Inhalt 101 – Klarstellungsfunktion 25 – materiell-rechtliche Rechtsquelle 26 – mit Drittwirkung 112, 139, 151 – Nichtigkeit 96 ff. – streitentscheidender ~ 222 Verwaltungsakt mit Drittwirkung siehe Verwaltungsakt Verwirkung 101, 103 f., 116 Verzicht 101, 103, 116 Vollziehbarkeitstheorie 100 Vorbescheid 242 Vorrang des Gesetzes 23, 24, 73, 122, 157, 327 wesentliche neue Tatsachen 72 f., 117, 122, 181, 204 Widerruf – actus contrarius 33, 157 – Begriff 120 f., 139 – begünstigender Entscheidungen 132, 133 f., 159, 162 – begünstigender Verwaltungsakte 148 f., 159, 162 – belastender Entscheidungen 132 f., 134, 159, 163 – belastender Verwaltungsakte 149 f., 159, 163

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Sachverzeichnis

– Durchbrechung der formellen Bestandskraft siehe formelle Bestandskraft (dort: Folgen) – zuständiger Entscheidungsträger 36, 118, 137 Widerrufsverfahren – selbständiges Verwaltungsverfahren 27, 33 – zuständiger Entscheidungsträger 36 Widerspruch 83, 101, 151 Widerspruchsbehörde 35 f. Widerspruchsverfahren 35, 37, 38, 40, 41, 79, 85, 92, 111 ff., 117, 150, 327 f. – Abhilfebehörde siehe zuständige Entscheidungsträger – Ausgangsbehörde siehe zuständige Entscheidungsträger – Erstbehörde siehe zuständige Entscheidungsträger

– Widerspruchsbehörde – „Herrin des Vorverfahrens“ 112, 113 [siehe auch zuständige Entscheidungsträger] – zuständige Entscheidungsträger 35 f., 41 Wiederaufgreifen unanfechtbar abgeschlossener Verwaltungsverfahren 106 ff., 117 Wiederaufnahme des Verfahrens 76 f., 109 f., 110, 114 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 72, 75, 106, 108 f., 117 Wiederholungsverbot siehe materielle Bestandskraft, bestandskraft(un-)abhängiges Abweichungsverbot Wirksamkeit 85 f. [siehe auch äußere ~, innere ~] wohlerworbenes Recht 130 „zweifellos“ anfechtungsberechtigter Dritter 46 ff., 63, 65 f., 69, 115, 176, 196, 249, 252, 269, 276