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German Pages [324] Year 1993
de Gruyter Lehrbuch Mueller - Bevölkerungsstatistik und Bevölkerungsdynamik
Ulrich Mueller
Bevö I ke ru ngsstatisti k und Bevölkerungsdynamik Methoden und Modelle der Demographie für Wirtschafts-, Sozial-, Biowissenschaftler und Mediziner
W G DE
Walter de Gruyter • Berlin · New York 1993
PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Mueller Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim
Mit 52 Abbildungen und 53 Tabellen
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnähme
Mueller, Ulrich: Bevölkerungsstatistik und Bevölkerungsdynamik : Methoden und Modelle der Demographie für Wirtschafts-, Sozial-, Biowissenschaftler und Mediziner / Ulrich Mueller. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 ISBN 3-11-013870-0
© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: WB-Druck, Rieden. — Buchbinderische Verarbeitung: Dieter Mikolai, Berlin.
In dankbarer Erinnerung an Karl W. Deutsch (1912-1992)
Ithiel de Sola Pool (1917-1984)
Rudolf Wildenmann (1921-1993)
Vorwort Dieses Buch stellt im ersten und zweiten Kapitel die Methoden der beschreibenden Bevölkerungsstatistik, im dritten Kapitel grundlegende formale Modelle der Bevölkerungsdynamik dar. Die Gliederung einer Bevölkerung nach Raum, Geschlecht, Alter, Familienstand, Kinderzahl und Gesundheit ist der Kern aller ihrer Strukturen. Keine Verhaltens- und sozialwissenschaftliche Untersuchung menschlicher Bevölkerungen kann von dieser Kernstruktur absehen. Alle Untersuchungen der Gliederung einer Bevölkerung nach weiteren Merkmalen wie religiöser und ethnischer Gruppe, Staatsbürgerschaft, Erziehung, Beruf und Erwerbstätigkeit, Einkommen, nach der Zusammensetzung der Haushalte, in denen die Menschen der betrachteten Gesellschaft wohnen, und was sonst immer interessieren mag, sind sinnlos, wenn die Gliederung nach Raum, Geschlecht, Alter, Familienstand, Kinderzahl und Gesundheit nicht mitbedacht wird. Fragt man weiter, wie die betrachtete Gesellschaft in diesen Dimensionen zu der geworden ist, als die sie sich dem Auge darbietet, so fragt man in erster Linie nach der zeitlichen Verteilung und den Ursachen der Fundamentalereignisse Geburt, Wanderung, Partnerschaft, Fortpflanzung, Krankheit, Tod. Die Bevölkerungswissenschaft ist folglich ein Grundlagenfach, ihre Methoden und Modelle ein unerläßliches Handwerkszeug für alle Sozialforschung. Bevölkerungsdaten wurden schon früher gesammelt. Für einige Länder liegen seit dem 18. Jahrhundert fortlaufende Volkszählungsdaten vor: Island (1703), Schweden (1749), Dänemark und Norwegen (1769), USA (1790) (Imhoff 1977). Die Daten der Bevölkerungswissenschaft sind "harte" Daten", die sich leichter und eindeutiger erheben und quantitativ weiterverarbeiten lassen als die Daten in vielen anderen Bereichen der Sozialforschung. Datenlage, Zählbarkeit und der Bedarf des Staates nach Vorgaben für Besteuerung, Wehrdienst, Arbeitskräftebeschaffung und andere Interventionen haben dazu geführt, daß die Bevölkerungsstatistik sich schon früh auf ein Rüstzeug exakt festgelegter Maße einigte, und daß diese, sobald vorhanden, dann auch international akzeptiert wurden. Unter den Zweigen der empirischen Sozialforschung zeichnet sich die
vin Bevölkerungswissenschaft durch ihre quantitative Ausrichtung und die internationale Verbreitung ihrer grundlegenden Maße und Meßmethoden, wie auch durch den oft hohen Formalisierungsgrad ihrer Modelle aus. Bevölkerungswissenschaft ist aber nicht nur eine unerläßliche Wissensbasis für alle Sozialforschung. Beschäftigung mit der Bevölkerungswissenschaft schärft auch den Blick fur die stillen, aber nachhaltigen historischen Entwicklungen, die Gesellschaften nicht weniger formen als die dramatischen Ereignisse von politischen Revolutionen, technischen Innovationen, Kriegen. Die Beschäftigung mit der Bevölkerungswissenschaft lehrt einen nüchternen Blick, was den tatsächlich vorhandenen Gestaltungsraum planenden Handelns von Regierungen und Verwaltungen betrifft. Zu allen Zeiten haben Regierungen versucht, die Verteilung von Geburten, Heiraten, Familien, Kinderzahl, Wanderungen, und (seltener) Todesfalle im Volk zu steuern. Oft war der Erfolg nur gering, oft hielt er nicht lange vor, oft kamen Folgen zustande, die nicht beabsichtigt oder nicht erwartet waren. Das Buch ist breiter angelegt als einige andere Bücher über Bevölkerungsstatistik und Bevölkerungsdynamik, etwa indem die räumliche Verteilung von Bevölkerungen (Kapitel 1.7), die allgemeine Epidemiologie (Kapitel 1.13 und 2.7), oder ausgewählte Kapitel der Sozialstatistik (Religion, Rasse und ethnische Herkunft, Bildung, Erwerbstätigkeit und Einkommen, Familien- und Haushaltsstruktur - Kapitel 1.8 bis 1.12) mit dargestellt werden. Auch neuere Methoden und Modelle werden behandelt, die noch nicht zum Standardwerkzeug der Demographie gehören - stetig-zeitliche Ereignismaße (Kapitel 2.1), multidimensionale Tafelmethoden (Kapitel 2.8), Lebensverlaufsstrategien (Kapitel 3.2), stochastische Populationsmodelle (Kapitel 3.2). Entsprechend des gesteckten Rahmens enthält dieses Buch keine systematische Darstellung von Methoden der Datenerhebung, Techniken der Schätzung oder Korrektur fehlender oder fehlerhafter Daten, Verfahren der Datenanalyse, sowie von Methoden von Bevölkerungsvorausberechnungen und -prognosen. Alle diese Themen kommen im folgenden immer wieder zur Sprache, aber zusammenhängend nachlesen muß man darüber in anderen Büchern. Im Anhang 3 werden hierzu Hinweise gegeben. E. Jürgen Flöthmann (Bielefeld) machte mir die Daten für Abbildung 2.6.2 zugänglich, S. Srinivasan (Chicago) die Daten in den Tabellen 1.8.1 bis 1.8.6, Frans Willekens (Den Haag) die Tabellen 2.8.8 und 2.8.9, Anthony Wrigley (Cambridge) die Daten in der Tabelle 2.3.5. Kollegen am Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen in Mannheim und
IX anderswo halfen mir beim Sammeln der Daten oder lasen frühere Versionen des Buches: Frank Faulbaum, Caroline Kramer, Carola Schmid, Bernhard Schimpl-Neimans, Klaus G. Troitzsch, Stefan Weick, Erich Wiegand. Dagmar Haas schrieb das Manuskript, Angelika Scheuer erstellte die Druckvorlage.
Eine technische Vorbemerkung: Der laufende Index t bezieht sich auf exakte Intervallgrenzen der chronologischen Zeit (meist Jahre: 1989, 1990 usw.), der laufende Index χ oder y bezieht sich auf exakte Intervallgrenzen von Altersklassen (meist Altersjahre: 34, 35 usw. Jahre). Ereignisse (B1990,1991 = Geburten im Jahr 1990), Populationen (Px>x+n = Bevölkerung im Altersklassenintervall (x,x+n)) und Indizes (Index des Bevölkerungspotentials des Ortes i: IPPi ) werden mit großgeschriebenen, Quoten und Raten (bt,t+l = diskret-zeitliche Geburtenrate im Intervall (t,t+l); oder eine stetig-zeitliche Hazardrate u(t)) werden mit kleingeschriebenen Buchstaben gekennzeichnet. Fest etablierter Brauch erzwingt Ausnahmen: in Sterbetafeln werden die Überlebenden im Alter χ mit l x , die Gestorbenen im Intervall (χ,χ+n) mit dXjX+i bezeichnet. Die durchschnittliche restliche Lebenserwartung im Alter χ ist βχ, der Buchstabe e ohne Subskript ist stets die Eulersche Zahl, die Basis des natürlichen Logarithmus. Zeit- oder Altersklassenintervalle (t,t+n; χ,χ+n) sind stets rechts-ofFene Intervalle. Wo der Kontext eindeutig ist, wird auf eine Indizierung von Populationen, Ereignissen oder Raten nach Kalenderjahren verzichtet. Vektoren sind in diesem Buch stets Zeilenvektoren; Spaltenvektoren sind als transponierte Zeilenvektoren gekennzeichnet. Untergliederungen des Textes tragen eine ein-, zwei- oder dreistellige, Tabellen und Abbildungen eine dreistellige numerische Kennziffer ohne, Gleichungen eine mit Klammerung.
Inhaltsverzeichnis Einfuhrung 1 Zustandsmaße 1.1 Allgemeines über Zustandsmaße 1.2 Umfang einer Bevölkerung 1.3 Gliederung nach Geschlecht 1.4 Gliederung nach Alter 1.5 Gliederung nach Familienstand 1.6 Gliederung nach Kinderzahl 1.7
Gliederung nach räumlichen Verteilung
1 9 9 15 18 24 37 39 45
1.7.1 Kartographische Methoden 1.7.1.1 Punkt-Distanzmaße 1.7.1.2 Dichtemaße 1.7.2 Indexbildungen 1.7.2.1 Punkt-Distanz Indizes 1.7.2.2 Dichte-Indizes 1.8 Gliederung nach Religion 1.9 Gliederung nach Rasse und ethnischer Herkunft 1.10 Gliederung nach Schulbildung 1.10.1 Schüler- und Studentenpopulation 1.10.2 Qualifikationsmaße 1.11 Gliederung nach Erwerbstätigkeit und Einkommen 1.11.1 Erwerbstätigkeit 1.11.2 Gliederung nach Einkommen 1.12 Gliederung nach Familien- und Haushaltsstruktur
48 48 50 56 56 60 65 70 73 73 75 78 78 82 87
1.13 Gliederung nach Gesundheitszustand
89
2 Ereignismaße 2.1 Allgemeines über Ereignismaße 2.2 Ereignismaße des Geborenwerdens 2.3 Ereignismaße der Sterblichkeit
99 99 110 111
XII
2.4 2.5 2.6
2.7
2.8
2.3.1 Rohe und standardisierte Ereignismaße der Sterblichkeit 2.3.2 Sterbetafeln 2.3.3 Projektions-Matrizen Ereignismaße von Eheschließung und Ehetrennung Ereignismaße der Fruchtbarkeit Ereignismaße von Wanderungen 2.6.1 Definitionen und Abgrenzungen 2.6.2 Migrationsraten und andere Migrationsparameter.. 2.6.3 Migrationstafeln und kumulative Migrationsmaße 2.6.4 Multidimensionale Wanderungsmaße Ereignismaße von Gesundheitsstörungen 2.7.1 Ereignismaße 2.7.2 Messung des Erkrankungsrisikos 2.7.3 Ereignismaße von Infektionskrankheiten Multidimensionale Ereignismaße 2.8.1 Multi-Exit-Tafeln 2.8.2 Multi-Status-Tafeln
3 Reproduktivität 3.1 Reproduktionsmaße 3.2 Dynamische Populationsmodelle 3.2.1 Deterministische Populationsmodelle mit zeitinvarianten Vitalraten 3.2.2 Deterministische Populationsmodelle mit zeitabhängigen Vitalraten 3.2.3 Stochastische Populationsmodelle Anhang 1: Die Evolution der Sexualproportion Anhang 2: Einige elementare Rechenregeln fur Matrizen Anhang 3: Empfehlungen für weitere Beschäftigung mit demographischen Fragestellungen Literaturverzeichnis Namenverzeichnis Stichwortverzeichnis
112 122 140 143 154 171 171 176
. 178 179 186 186 190 201 205 205 211 221 222 229 230 255 258 271 273 281 287 297 301
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen Tab. 1.1.1: Anteile der Religionsgemeinschaften in zweifiktivenGemeinden. Tab. 1.1.2: Index religiöser Heterogeneität (am Beispiel von Tab. 1.1.1). Abb. 1.3.1: Sexualproportion Österreich, Jahresdurchschnitt 1990. Tab. 1.3.2: Sexualproportion der Gesamtbevölkerung ausgewählter Länder. Abb. 1.3.4: Kleinräumige Verteilung der Sexualproportion von nicht mit einem Partner zusammenlebenden Personen in der Altersgruppe 20-39, Schweden 1989. Abb. 1.4.1: Anteile von Jugend (0-15) und Alter (65+) an der Gesamtbevölkerung ausgewählter Länder 1990. Tab. 1.4.2: Berechnung des medianen Alters für die Bevölkerung Kenias (1990) und der Schweiz (1987) aus Aggregatdaten. Abb. 1.4.3: Altersstruktur Deutschland 1870-1990. Abb. 1.4.4: Altersstruktur Deutschland - Projektion 1990-2030. Abb. 1.4.5: Typen von Alterspyramiden. Abb. 1.4.6: Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands am 1.1.1990. Abb. 1.4.7: Altersaufbau - Altersgruppen in Prozent der Bevölkerung ausgewählter Länder. Abb. 1.4.8: Alterspyramide von Hong Kong nach Geburtsort Inland - Ausland. Tab. 1.4.9: Herkunftsgebiete der im Ausland geborenen Bevölkerung Argentiniens 1980. Abb. 1.4.10: Geschlechtsexzeß Alterspyramide Österreich, Jahresdurchschnitt 1990. Abb. 1.5.1: Altersabstand der Ehepartner bei der Heirat, Westdeutschland 1989. Tab. 1.6.1: Verteilungen der Familiengröße für 45-50 jährige Frauen (auf 1000) für verschiedene Länder. Tab. 1.6.2: Paritäts-Progressions-Quoten für 45-50 jährige Frauen (auf 1000) für verschiedene Länder (Tab. 1.6.1.). Abb. 1.6.3a: Paritäts-Progressions-Quoten für 45- bis 50jährige Frauen (1000), Länder mit intermediärer Absenkung, Zensusdaten 1978-82 (Tab. 1.6.2). Abb. 1.6.3b: Paritäts-Progressions-Quoten für 45- bis 50jährige Frauen (1000), Länder ohne intermediäre Absenkung, Zensusdaten 1978-82 (Tab. 1.6.2). Tab. 1.6.4: Paritäts-Progressions-Quote in Ostdeutschland 1962-1985. Abb. 1.6.5: Paritäts-Progressions-Quoten, Ostdeutschland 1962-1985. Tab. 1.7.1: Dichtemaße. Abb. 1.7.2: Entwicklung der Wohnfläche pro Person in Westdeutschland. Abb. 1.7.3: Bevölkerungsverteilung in der Schweiz 1960 (Ausschnitt). Abb. 1.7.4: Bevölkerungsverteilung auf der Erde und Wachstumsraten um 1980.
XIV Abb. 1.7.5: Zahl und Anteil der Kinder t+i bezeichnet, da dies in der etablierten Notation der Sterbetafeln üblich ist.)
m
•1000
M+l
(2.3.1)
Wie bereits dargelegt, handelt es sich dabei strenggenommen nicht um eine Expositions-Rate, da das erste halbe Jahr über Leute sterben, die nicht der Bezugspopulation im Nenner angehören, und das zweite halbe Jahr über Leute in der Bezugspopulation aufgeführt sind, die bereits gestorben und deshalb keinem Sterblichkeitsrisiko mehr unterworfen sind. Häufig sind fur kleinere räumliche Untergliederungen Bezugspopulationen nicht fortlaufend für alle Jahre verfügbar, oder man wünscht eine mehrere Jahre umfassende Glättung der Durchschnitte; in beiden Fällen geht es um Mittelwertbildung über η mehrere Jahre. Drei Formeln hierzu werden in der Literatur genannt:
(2.3.2) 2
η IdM+l m
t,t+i
t-1
•1000
(2.3.3)
2.3
EREIGNISMABEDER STERBLICHKEIT
113
,t+l m t,t+i
ι t-i
V
(2.3.4)
wobei η ungerade und k - y + j Der laufende Index t bezieht sich in diesem Buch immer auf Kalenderjahre. Hat man den Bevölkerungstrend nur für bestimmte Jahre (z.B. ein Zensus-Jahr), so wird man Formel (2.3.3) wählen; alle drei Formeln ergeben bei annähernd linearem Wachstum und geringen Fluktuationen der Bezugsbevölkerung nur geringfügig abweichende Ergebnisse. Rohe Sterberaten werden oft sowohl nach Zeitraum wie nach territorial oder sozial weiter untergliederten Teilbevölkerungen weiter differenziert: Man kann Vierteljahres- oder monatsweise Sterberaten berechnen, um saisonale Schwankungen oder Epidemienzüge feiner zu bestimmen. Oder aber man berechnet die Mortalitätsraten der Land- und der Stadtbevölkerung, verschiedener ethnischer Gruppen, nach Regionen. Tabelle 2.3.1 gibt eine Auswahl jüngst berechneter roher Mortalitätsraten für ausgewählte Länder, zusammen mit der durchschnittlichen Lebenserwartung (dieser Begriff wird in (2.3.15) erklärt). Es wird an den Zahlen offenkundig, daß ein unterschiedlicher Altersaufbau zweier Bevölkerungen den Vergleich von rohen Todesraten schwierig macht, weil die Sterbewahrscheinlichkeit stark vom Lebensalter abhängt. Die rohen Todesraten in Bevölkerung A können niedriger sein als in Bevölkerung B, weil in A die Menschen länger leben in Β (Vergleich Japan Indien), oder aber weil die Bevölkerung in A jünger ist als in Β (Vergleich Algerien - Österreich). Auf der einen Seite möchte man ein Ereignismaß der Sterblichkeit haben, welches geringere Werte annimmt, wenn die Menschen durch bessere Ernährung und bessere medizinische Versorgung länger leben. Andererseits ist die Sterbewahrscheinlichkeit in allen Gesellschaften massiv vom Lebensalter abhängig: so sehr auch die absolute Höhe in Abhängigkeit vom Lebensstandard und der medizinischen Versorgung schwankt, so ist ein gewisses Muster der Verteilung altersspezifischer Sterblichkeitsraten jedoch für alle Populationen der menschlichen Spezies gleich.
114
2
EREIGNISMAßE
Tabelle 2.3.1: Rohe Sterberaten und durchschnittliche Lebenserwartung ausgewählter Länder. rohe Sterberate (Gestorbene je 1000 Einwohner) Algerien USA Brasilien China Japan Indien Türkei BRD DDR Österreich Schweiz
9.1 8.8 7.9 6.7 6.4 10.9 8.4 11.2 12.4 10.9 9.3
durchschnittliche Lebenserwartung Männer (in Jahren)* 61.6 71.3 62.3 69.0 75.5 52.5 62.5 71.8 69.8 72.0 73.9
Alle Zahlen aus den Jahren 1985-89. * Der Begriff der durchschnittlichen Lebenserwartung wird in Gleichung (2.3.15) erklärt. Quelle: UN Demographic Yearbook 1989. Abbildung 2.3.2 zeigt drei unterschiedliche Verteilungsmuster altersspezifischer Sterberaten, die in der Natur zu finden sind. Muster 1 ist das beim Menschen zu beobachtende: nach Überleben des Risikos der Geburt und der ersten Monate verbleibt die Sterbewahrscheinlichkeit für den Großteil des Lebens auf sehr niedrigem Niveau. Muster 2 kann man etwa bei langlebigen Vögeln finden, die über die meiste Zeit des Lebens eine relativ altersunabhängige Mortalitätsrate aufweisen (Wilson 1975, 90). Verteilungsmuster 3 ist das in der Natur bei weitem häufigste, nämlich wenn große Mengen von Nachwuchs produziert werden, von denen der größte Teil in sehr frühem Alter wieder zugrundegeht. Nicht vergessen werden darf auch der Einfluß des Geschlechts: vom Augenblick der Zeugung an bis ins höchste Lebensalter sind in entwickelten Ländern die altersspezifischen Sterberaten fur das männliche Geschlecht höher (Tabelle 2.3.10); nur in sehr unterentwickelten Ländern kehren sich diese Verhältnisse für die geburtenintensivsten Lebensalter um. Die Ursa-
2.3
EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
115
chen für diese Übersterblichkeit des männlichen Geschlechts sind noch nicht völlig geklärt; sowohl genetische wie sozioökonomische Faktoren werden genannt. Abbildung 2.3.2: Drei Grundformen von Überlebenskurven (der Ordinate liegt der logarithmische Maßstab zugrunde).
Quelle: Wilson und Bossert 1974, 101. Für die beiden Lebensalter mit den höchsten Sterbewahrscheinlichkeiten, das sehr junge und das sehr alte Lebensalter ergeben sich spezielle Probleme des Messens und Vergleichens, für das sehr alte aufgrund der geringen Besetzung der obersten Altersklassen in sehr ungleicher Sexualproportion, für das sehr junge Lebensalter aufgrund der Notwendigkeit einer besonders feinen Unterscheidung von Altersklassen. Die Vereinten Nationen empfehlen eine Aufgliederung der Säuglingssterblichkeit nach Geschlecht, Alter (weniger als 1 Tag, 1,2,3,4,5,6 Tage, 7-13, 14-20, 2127, 28 Tage bis 2 Monate, 2,3, ... 11 Monate) (siehe Tabelle 2.3.10) und möglichst auch nach Todesursachen. Während die Sexualproportion zwischen großen Bevölkerungen selten so unterschiedlich ist, daß dies großen Einfluß auf beobachtete Unterschiede in den rohen Mortalitätsraten haben könnte (kleinräumig und bezogen vor allem auf bestimmte Altersgruppen kann die Sexualproportion sehr wohl einen Einfluß auf die rohe Sterberate haben: in der Gruppe junger, noch überwiegend unverheirateter Erwachsener; und in höherem Lebensalter mit einem überall zu beobachtenden, aber in seinem Ausmaß variablen
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2
EREIGNISMAßE
Frauenüberschuß), spielen Unterschiede im Altersaufbau einen so massiven Einfluß, daß diese zum Zwecke des Quer- wie Längsschnittvergleichs aus den verwendeten Maßen durch Standardisierung ausgeschaltet werden müssen. Hierzu gibt es die direkte wie die indirekte Standardisierungsmethode, zu deren Verständnis man einen Zugang durch folgende Überlegung erhält: Die rohe Sterberate einer Bevölkerung kann man darstellen als das arithmetische Mittel der altersspezifischen Mortalitätsraten, gewichtet nach der relativen Besetzung der jeweiligen Altersklassen (die Angabe des Kalendeqahres t wird jetzt weggelassen): «n-Ìdx,x+i x-0
^1000 r
(2.3.5)
wobei dX(X+i die Zahl der Todesfalle in der x-ten Altersklasse (mit "ω" als der Untergrenze der obersten Altersklasse) der Beobachtungspopulation, Ρ die Beobachtungspopulation zur Jahresmitte, P x hingegen die Besetzung der x-ten Altersklasse in der Beobachtungspopulation ist. Die direkte Standardisierung nach Altersaufbau besteht nun darin, für die zu vergleichenden Bevölkerungen j denselben Altersaufbau anzunehmen; hierzu wird man im Regelfall den Altersaufbau einer dieser Bevölkerungen oder aber einen fiktiven Altersaufbau (Abbildung 2.3.3) wählen und dann die beobachteten altersspezifischen Mortalitätsraten der verschiedenen Bevölkerungen gleichermaßen mit dem gewählten Standardaltersaufbau zu gewichten. Die direkt standardisierte Mortalitätsrate m* der betrachteten Bevölkerung ist £ P(st.)v m * ( j ) - £d(j)x>x+1 — f lOOO xTo P(st.)
(2.3.6)
wobei j der Index der Bevölkerungen und χ der Index der Altersklasse ist. Für die Standardbevölkerung ist die standardisierte und rohe Mortalitätsrate identisch. Im Weltvergleich sind oftmals altersspezifische Sterberaten für ein Land nicht verfügbar. Ist wenigstens die relative Altersklassenbesetzung der Bevölkerung dieses Landes bekannt, so läßt sich eine indirekte Standardisierung vornehmen, nach der Formel:
2.3
m * *( j) - d( j)
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
m(st.) x ω
117
(2.3.7)
^ m(st.) x x + n ' P( j) x X-0
mit der indirekt standardisierten Mortalitätsrate m**, wobei d(j) die Gesamtzahl der Todesfalle in der beobachteten Bevölkerung j im Zeitraum, m(st) die rohe Mortalitätsrate der Standardbevölkerung, m(st)x die altersspezifische Mortalitätsrate der Standardbevölkerung und P(j)x die Besetzung der x-ten Altersklasse der beobachteten Bevölkerung j ist. Die indirekte Standardisierung gewichtet die rohe Sterberate der Standardbevölkerung mit den Quotienten aus beobachteter absoluter Zahl der Sterbefälle in der beobachteten Bevölkerung und der erwarteten absoluten Zahl der Sterbefälle in der beobachteten Bevölkerung, gegeben deren Altersaufbau, aber unterstellt, die beobachtete Bevölkerung hätte die altersspezifischen Mortalitätsraten der Standardbevökerung. Direkte Standardisierung gewichtet die altersspezifischen Mortalitätsraten der beobachteten Bevölkerung mit der Altersklassenverteilung der Standardbevölkerung. Indirekte Standardisierung gewichtet die altersspezifischen Mortalitätsraten der Standardbevölkerung mit der Altersklassenverteilung der beobachteten Bevölkerung. Die beiden Verfahren fuhren zu teilweise erheblich unterschiedlichen standardisierten Sterberaten für die Untersuchungsbevölkerung, wobei sich leider keine allgemeingültigen Aussagen über das Verhältnis der nach den beiden Methoden erhaltenen standardisierten Rate machen lassen. Man muß sich auch über die weiteren Begrenztheiten der geschilderten Standardisierungstechniken (zu denen noch weitere erfunden wurden, die sich aber nicht durchsetzen konnten) im klaren sein: 1. Standardisierte Mortalitätsraten sind immer nur in einem konkreten Vergleich sinnvoll, fur sich allein sind sie sinnlos, können also nicht aus einem statistischen Kontext in einen anderen exportiert werden. 2. Je nach Wahl der Standardbevölkerung ergeben sich für dieselbe Gruppe untereinander zu vergleichender Bevölkerungen jeweils verschiedene standardisierte Mortalitätsraten.
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2
EREIGNISMAßE
3. Je mehr sich verglichene Bevölkerungen in ihren relativen Altersklassenbesetzungen voneinander unterscheiden, desto größer ist der Einfluß der Wahl der Standardbevölkerung auf die Widerspiegelung von Veränderungen in den standardisierten Raten. Da es keinerlei allgemeine Regeln fur die Auswahl eines Standardaltersaufbaus gibt, bedeutet dies, daß die Methode der Standardisierung allgemein um so unzuverlässiger wird, je mehr der Altersaufbau der zu vergleichenden Bevölkerungen sich voneinander unterscheidet. Yerushalmi (1951) zeigte in einem lehrreichen Beispiel, daß mit der US-Bevölkerung von 1940 als Standard die direkt-standardisierte Todesrate desselben Jahres für die US-Bundesstaaten Lousiana 13.06 und New Mexico 13.05 per 1000 Personen betrug. Legte er jedoch die Bevölkerung von England und Wales von 1901 als Standard zugrunde, so waren die direkt standardisierten Todesraten von 1940 für Lousiana 10.14 und für New Mexico 11.68. Anknüpfend an die beschriebenen Standardisierungsverfahren können noch weitere Sterblichkeits-Indizes definiert werden. Der Index der relativen Sterblichkeit: yfÜK Jü)x_ ¿ P(j) d(st.)x
i 2 3 8 )
"
also die Summe der mit der relativen Altersklassenbesetzung der Beobachtungspopulation gewichteten Quotienten aus den Todesfällen in Beobachtungspopulation und Standardpopulation in dieser Altersklasse. Der Sterblichkeits-Index ist demgegenüber die Summe dieser Quotienten, gewichtet mit der Intervallbreite η der Altersklassen in Jahren:
ω d(st.) x wobei ω die Untergrenze der nach oben hin offenen höchsten Altersklasse ist. Grundsätzlich handelt man sich mit allen diesen und noch vielen anderen vorgeschlagenen Indizes dieselben Probleme wie mit der Standardisierung von Sterberaten ein, ohne irgendetwas zu gewinnen. Auf die Anwendung dieser Indizes sollte daher verzichtet werden.
2.3
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
119
Verschiedentlich wurden fiktive Altersstrukturen als Standardisierungsgrundlage vorgeschlagen, um die nachteiligen Effekte zu verringern, die sich aus der Verwendung standardisierter Raten ergeben (Tabelle 2.3.3): Tabelle 2.3.3: Altersstrukturen vonfiktiverStandardbevölkerungen zur Altersstandardisierung von Morbiditäts- oder Mortalitätsraten. Alter 01-4 5-9 10-14 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85+ Total
"Europa"
"Afrika"
2 400 9 600 10 000 9 000 9 000 8 000 8 000 6000 6 000 6 000 6 000 5 000 4 000 4 000 3 000 2 000 1000 500 500
1 600 6 400 7 000 7 000 7 000 7 000 7 000 7 000 7 000 7 000 7 000 7 000 6 000 5 000 4 000 3 000 2 000 1000 1 000
2 000 8 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 5 000 5 000 3 000 2 000 2 000 1 000 1000 500 300 200
100 000
100 000
100 000
"Welt"
Quelle: Waterhouse; Muir; Shanmugaratnam; Powell 1982. Vermeiden lassen sich die nachteiligen Effekte aber auch auf diese Weise nicht. Aus der beschriebenen Problematik gibt es einen Ausweg zu verläßlichen Mortalitätsmaßen unter Berücksichtigung verschiedenen Altersaufbaus nur durch die Anwendung von Tafelmethoden und von aus ihnen abgeleiteten Maßen. Eine geeignete Überleitung ergibt sich durch die Überlegung, wie man von den bisher dargestellten Sterblichkeitsraten, die strenggenommen allesamt Nicht-Expositions-Raten sind, zu Expositions-Raten kommt. Sterb-
120
2
EREIGNISMAßE
lichkeitsraten zielen letztlich auf eine Aussage auf das Sterberisiko, welchem eine Person aus der Bezugspopulation im Verlauf des Meßzeitraums unterworfen ist. Es stehen aber bei allen bisher beschriebenen Raten Personen in der Bezugspopulation, die dieser nicht während des gesamten Meßzeitraums angehörten. Für alle Altersgruppen gilt dies für die während des Meßzeitraums Gestorbenen, für die erste Altersklasse gehören hier außerdem auch diejenigen hinzu, die zu Beginn des Meßzeitraums noch nicht geboren waren. Ein weiteres Problem ist die Streuung der individuellen Lebenslänge in einer Altersklasse. Zur Altersklasse beispielsweise der 40-Jährigen im Jahre 1990 gehören alle diejenigen, die zwischen dem 1.1.1950 und dem 31.12. 1950 geboren sind. Sterben diese im Jahr 1990, so können sie zwischen dem 1.1. 1990 und dem 31.12. 1990 gestorben sein, haben also zur Zeit ihres Todes zwischen 14246 und 14976 Tage gelebt. Während dieser maximal 730 zusätzlich gelebten Tage wird sich das Sterberisiko in dieser Altersgruppe wohl nicht wesentlich verändert haben; dies ist jedoch der Fall im ersten Lebensjahr, während dessen sich, insbesondere zu Beginn, das Sterberisiko in sehr kurzen Zeiträumen deutlich ändert. Unmittelbar praktische Konsequenzen erheischt dies, wenn die Besetzung der ersten Altersklasse von einem Jahr zum anderen schwankt, was keinesfalls ungewöhnlich ist. Kriege und ökonomische Krisen fuhren oft zu einem abrupten Rückgang der Geburten, während die Sterbefalle sich demgegenüber langsamer ändern (Abbildung 2.5.1). Einige der Kleinkinder, die in einem Jahr sterben, sind im Voijahr geboren; unterscheiden sich die Geburtenzahlen der beiden Jahre, so fuhrt die Beziehung der Sterbefälle dieses Jahres mit der Besetzung der ersten Altersklasse zu einer verzerrten Schätzung des tatsächlichen Sterberisikos. Diese Verzerrung wird korrigiert durch Verfahren, durch die die Zahl der im aktuellen Jahr gestorbenen Kleinkinder nur zu einem Teil auf die in diesem Jahr lebenden Kleinkinder, zum anderen Teil jedoch auf die im vorhergehenden Jahr lebenden Kleinkinder bezogen wird. Sind die Geburtstage wie Todestage dieser Sterbefälle bekannt, so läßt sich direkt eine angepaßte Sterberate von Kleinkindern messen, entweder
2.3
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
121
nach der Formel d t,t+i +( jt,t+l
λν m(angepaßt) 11+1
t.t+1 :
t+l,t+2 . „„„ : — 1000
_ ^ (2.3.10)
BM+I
oder der Formel
m(angepaßt) t t + 1
wobei d
. t,t+l j t-i,t t t+l 11+1 — + — — 1000 B B t,t+i t—i,t
(2.3.11)
die Zahl der Sterbefálle im Jahr (t+l,t+2) unter den im
Verlauf des Jahres (t,t+l) Geborenen ist. In einem dritten Verfahren werden Sterbefälle unter Kleinkindern im Verlauf des Jahres (t,t+l) durch einen gewichteten Durchschnitt der Geburten der Jahre (t-l,t) und (t,t+l) geteilt. Die Gewichte separieren nach Geburtsjahr der Sterbefälle: d t,t + i
t,t+i J t,t+l +, dj t-l,t t,t+l t,t + i
und
f'-l-f'
wobei dann: u
m(angepaßt) t t + j
1 ö
t,t+l
tt+i +t
ö
1000
(2.3.12)
t-i,t
Häufig sind jedoch nicht die exakten Geburtstage der in einem Jahr j als "bis 1 Jahr alt" registrierten Todesfalle von Kleinkindern bekannt. Hier müssen dann die Separationsfaktoren geschätzt werden, was anhand vielfältiger Modellsterbetafeln möglich ist. Grundsätzlich gilt: je besser die medizinische Versorgung ist und je niedriger die Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit ist, desto früher ist der Altersgipfel der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit, und entsprechend verschieben sich die Separationsfaktoren. Shryock und Siegel (1976, 237) geben hier folgende Schätzer der Separationsfaktoren an (Tabelle 2.3.4).
122
2
EREIGNISMAßE
Tabelle 2.3.4: Schätzer von Separationsfaktoren in Abhängigkeit von der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit (vgl. Abbildung 2.3.12). Säuglings- und Kindersterblichkeit (Todesfälle pro 1000) 200 150 100 50 25 15
Separationsfaktoren f Γ .60 .67 .75 .80 .85 .95
.40 .33 .25 .20 .15 .05
Quelle: Shryock und Siegel 1976, 237.
2.3.2
Sterbetafeln
Eine den bisher dargestellten Ansätzen überlegene Technik der Erfassung und Zusammenfassung von Sterblichkeit, die grundlegend auch fur alle anderen Bereiche der Demographie wurde, ist die Methode von Sterbetafeln (englisch: life tables). Sterbetafeln können stets in einer von zwei Perspektiven konstruiert werden: als Generationen- oder Kohortensterbetafel und als Periodensterbetafel. Kohorte steht hier fur die Menge aller während eines Zeitraums - eines Jahres, eines Doppeljahres oder eines Jahrfünfts - Geborener. Die erste verfolgt den Absterbeprozeß einer realen Kohorte durch die wechselnden Sterberisiken der hundert Jahre ihres Erdenweges, die zweite betrachtet den Absterbeprozeß einer imaginären Kohorte unter den altersspezifischen Sterberisiken in den hundert Altersklassen, wie sie simultan in einem bestimmten kurzen Zeitraum (1,2,3 Jahre) herrschen. Betrachten wir zunächst Generationssterbetafeln, die, sofern Vergleichbarkeit angestrebt wird, stets von einem Anfangsbestand von 100.000 Individuen (Radix) ausgehen. Abgang ist nur durch Tod möglich. Als Illustration diene hier die Generationensterbetafel für die im Jahr 1876 in England und Wales geborenen Frauen (Tabelle 2.3.5). Die drei fundamentalen Funktionen einer Sterbetafel qX)X+n, l x , d x x + n lassen sich unmittelbar aus den Spalten 1 - 3 ablesen.
2.3 EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
123
Tabelle 2.3.5: Kohortensterbetafel: Frauen der Kohorte 1876, England und Wales. Alter χ (Jahre) 0*15101520253035404550556065707580859095100-
0.131964 0.114649 0.028040 0.014541 0.019657 0.020492 0.022419 0.025064 0.028634 0.033810 0.036533 0.049037 0.065874 0.098633 0.131855 0.204260 0.315422 0.450449 0.623438 0.800049 0.928917
Ix
dx,x+n
Lx,x+n
1000 868.036 768.517 746.968 736.106 721.636 706.848 691.001 673.682 654.392 632.267 609.168 579.296 541.135 487.761 423.447 336.954 230.671 126.765 47.735 9.545 0.678
131.964 99.519 21.549 10.862 14.470 14.788 15.847 17.319 19.290 22.125 23.099 29.872 38.161 53.374 64.314 86.493 106.283 103.906 79.030 38.190 8.867
913.486 3280.990 3792.503 3709.699 3646.673 3573.707 3497.462 3414.629 3323.570 3220.524 3107.628 2976.188 2807.194 2579.950 2286.314 1909.043 1422.455 887.744 420.093 126.301 18.245
e
x
50.914 57.602 60.792 57.469 53.277 49.292 45.268 41.244 37.236 33.255 29.325 25.335 21.504 17.833 14.495 11.297 8.532 6.296 4.454 3.028 1.911
* Zur Vermeidung ungleich langer Intervalle wird Altersklasse x=l im folgenden nicht berücksichtigt. Quelle: Case; Coghill; Harley; Pearson 1962. 1. do,i ist die Anzahl der im Altersintervall (0,1) Gestorbenen, dx>x+n die Anzahl der im Altersintervall (x,x+n) Gestorbenen. Das Altersintervall bezieht sich hier auf exaktes - nach Tagen gerechnetes - Lebenszeitintervall. 2. Sei lo der Anfangsbestand der Kohorte, das heißt: die Zahl der im Lauf des betrachteten Kalenderjahres t Geborenen. Von diesen erreichen im Verlauf des Kalenderjahres t+1 li = lo - do,i Überlebende das exakte Alter x=l.
124
2 EREIGNISMAßE
Von diesen Ii Überlebenden sterben di¿ Angehörige der Kohorte vor exakter Vollendung ihres zweiten Lebensjahres; entsprechend ist die Anzahl der Überlebenden, mindestens 2 Jahre alter Personen: I2 = h - d i ¿ , oder allgemein ausgedrückt Ιχ+n = l x - dxjx+n für mindestens χ Jahre alte Personen. 3. Die dritte Elementarfunktion ist die altersspezifische prospektive Sterbewahrscheinlichkeit: d χ,χ+η Q χ,χ+η ™ 1j χ Es sind qx>x+n und dX)X+n (diskrete) Ereignismaße, l x hingegen ist ein Zustandsmaß. Die Leserin beachte sorgfältig, daß die Altersklassen exakte Altersklassen (von Geburtstag zu Geburtstag) und nicht Kalendeijahre darstellen. Die Sterbefälle dX)X+n können sich folglich in n+1 verschiedenen Kalendeijahren ereignen, entsprechend sind auch die Zeitpunkte χ nicht jeweils ein Stichtag im Kalender, sondern streuen über ein ganzes Kalendeijahr. Es sind drei weitere Tafelfixnktionen abzuleiten: 4. Lx x+n ist die Anzahl der Lebensjahre, die die bis zum ihrem x-ten Geburtstag Überlebenden im Intervall (x,x+n) verleben. Hierzu wird wieder angenommen, daß die Todesfalle im Altersintervall (x,x+n) gleichverteilt sind, woraus sich ergibt, daß die im Intervall Gestorbenen im Durchschnitt gerade die Hälfte des Intervalls gelebt haben, während die bis zum Alter x+n Überlebenden das volle Intervall durchlebt haben. Es gilt also: Lx,x+n " O x + n
+
y^x,x+n)'n "Οχ
~γ^
χ χ + η
)·η
oder L^+n
" (l x+n + y O x " I x+n ) ) ' n " j O χ + 1 χ + η )
(2-3.13)
5. T x soll sein die Gesamtzahl der von den Überlebenden noch zu verlebenden Lebensjahre, also Τ1 χ - τ^ χ,χ+η τ+1τχ+η oder
2 . 3 EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
125
ω
Tx-^Lyy+n,
y = x,x + n,x + 2n...
(23.14)
y=x
wobei ω wieder die Untergrenze der obersten Altersklasse ist. 6. Die durchschnittliche restliche Lebensdauer e* zum Zeitpunkt χ ist die mittlere Anzahl an Jahren, welche ein überlebendes Individuum im Alter χ noch zu durchleben hatte. Sie ergibt sich als ex
(23.15) 1X
Die durchschnittliche Lebensdauer eines Neugeborenen ist dann
e
°
To " ιο Γ-
Das Haupteinsatzgebiet von Generationen - oder Kohortensterbetafeln liegt ihrer Natur nach in der historischen Demographie, da für eine Kohorte erst etwa 100 Jahre später eine praktisch abgeschlossene Geschichte ihrer Sterblichkeit vorliegt. Zur Illustration sollen vier Tafelfunktionen dieser Kohortensterbetafel, nämlich die Sterbewahrscheinlichkeiten qx>x+n, die Anzahl der Überlebenden l x , die Anzahl der Sterbefälle dX)X+n, sowie die restliche Lebensdauer βχ jeweils gegen das Lebensalter aufgetragen werden (Abbildungen 2 . 3 . 6 , 2 . 3 . 7 , 2 . 3 . 8 , 2 . 3 . 9 ; siehe Tabelle 2 . 8 . 1 ) . In dem initialen Anstieg der restlichen Lebenserwartung spiegeln sich in den ersten Jahren von einem hohen Niveau rasche Abfall der Sterblichkeit wider. Für die demographische Praxis wichtiger ist der zweite Typ einer Sterbetafel, die Periodensterbetafel. Hierbei wird die Sterblichkeit eines Jahres (in der Praxis oft gemittelt über die eines Zensusjahres zusammen mit dem vorhergehenden und nachfolgenden Jahr) nach Altersklassen aufgeschlüsselt und dann eine fiktive Kohorte mit einer Radix von 1000, 10000 oder 100.000 durch diese altersklassenspezifische Sterbewahrscheinlichkeiten = Überlebensfilter geschickt. Da diese Kohorte fiktiv ist, können für sie individuell exakte Altersklasse und
126
2
EREIGNISMAßE
Abbildung 2.3.6: Frauenkohorte 1876 England und Wales, Sterbetafelfunktion: q^x+n: Sterbewahrscheinlichkeit im Intervall.
Abbildung 2.3.7: Frauenkohorte 1876 England und Wales, Sterbetafelfunktion: l x : Überlebende im Alter x.
Quelle: Case; Coghill; Harley; Pearson 1972.
2.3
EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
Abbildung 2.3.8: Frauenkohorte 1876 England und Wales, Sterbetafelfunktion: d x x + n : Gestorbene im Intervall.
Abbildung 2.3.9: Frauenkohorte 1876 England und Wales, Sterbetafelfunktion: restliche Lebenserwartung im Alter x.
Quelle: Case; Coghill; Harley; Pearson 1972.
127
128
2
EREIGNISMAßE
der Sterbefälle im Intervall (χ,χ+η), von der aus bei der Periodensterbetafel alle anderen Funktionen direkt abgeleitet werden (es ist keine Kontrolle über die Zahl der Überlebenden möglich), über die prospektive Sterbewahrscheinlichkeit berechnet wird, das heißt die Zahl der Todesfalle bezogen auf den Bevölkerungsstand in der betreffenden Altersklasse zum Intervallbeginn, und nicht zur Intervallmitte wie bei der Sterberate m x x + n (2.3.1):
qx,x+n
m χ x+n ρ
(2.3-16)
1 + 2 m x,x+n Es sei nochmals betont, daß die auch in dieser Korrektur steckende Annahme der Gleichverteilung der Sterbefälle im Beobachtungsintervall nur eine Approximation ist, die insbesondere im ersten Lebensjahr zu nicht hinnehmbaren Fehlern fuhren kann. Überdies ergibt sich durch die Approximation einer eigentlich ja kontinuierlichen altersabhängigen Dichtefunktion mittels einer Intervallfunktion ein Fehler, der um so mehr verzerrt, je größer das gewählte Intervall ist. Als Beispiel einer Periodensterbetafel ist die Periodensterbetafel Westdeutschlands für die Jahre 1986-88 abgedruckt (Tabelle 2.3.10). Eine solche Periodensterbetafel wird interpretiert als die Generationensterbetafel einer Population mit stationären altersspezifischen Sterberisiken, also einer in ihrer Sterblichkeit stabilen Bevölkerung. Die wichtigste Sterbetafelfunktion einer Generationensterbetafel, nämlich die mittlere restliche Lebensdauer ab dem exakten Alter χ wird für die Periodensterbetafel interpretiert als die mittlere restliche Lebenserwartung dieser fiktiven Kohorte, beziehungsweise eines jetzt lebenden Individuums im Alter χ unter der Annahme stationärer Sterblichkeitsrisiken in den noch verbliebenen Altersklassen. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist eine Maßzahl der zu einem bestimmten - gegebenenfalls in der jüngsten Vergangenheit liegenden Zeitpunkt herrschenden Mortalitätsverhältnisse, welche die Nachteile standardisierter Sterberaten oder Sterbewahrscheinlichkeiten nicht aufweist: es findet auch bei statistischer Berücksichtigung des Altersaufbaus keine Verzerrung der Sterbeverhältnisse der einen im Vergleich mit den Sterbeverhältnissen anderer Bevölkerungen statt.
2.3
EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
129
Die durchschnittliche Lebenserwartung läßt sich mittels Schätzmethoden auch dann berechnen, wenn man die exakte Altersverteilung von Todesfallen in einer Bevölkerung nicht kennt: aus der Altersverteilung lebender Kinder und den Geburtenzahlen läßt sich die Altersverteilung der Kindersterblichkeit schätzen; aus Sterberaten lassen sich prospektive Sterbewahrscheinlichkeiten schätzen. Sind nur einige altersspezifische Sterberaten bekannt und sind diese nur über größere Intervalle definiert (5 oder 10 Jahre), so können aus den daraus aufgestellten "abgekürzten" Sterbetafeln dann die "vollständigen" Sterbetafeln mit 1-Jahresintervallen berechnet werden. Damit kann man fur alle Länder dieser Erde, oft auch für Teilbevölkerungen, Periodensterbetafeln aufstellen und aus ihnen als zentrale Maßzahl der Sterbeverhältnisse einer Bevölkerung die durchschnittliche Lebenserwartung berechnen, die zugleich einer der zentralen Indikatoren der Lebensverhältisse in dieser Bevölkerung ist. Von entsprechend großer praktischer Bedeutung ist das Verhältnis zwischen Generationen- oder Kohortensterbetafeln und Periodensterbetafeln und damit auch zwischen der von ihnen abgelesenen durchschnittlichen Lebensdauer, die für den zweiten Tafeltyp als durchschnittliche Lebenserwartung interpretiert wird. Periodensterbetafeln dienen der Prognose: sie sollen die (restliche) Lebenserwartung noch lebender Personen vorhersagen, unter der Voraussetzung gleichbleibender Sterblichkeitsverhältnisse für die nächsten 100 Jahre - solange noch einige der jüngsten jetzt lebenden Individuen überleben werden. Darüber hinaus kann man Veränderungen der durchschnittlichen Lebenserwartung als von der jeweiligen Besetzung der Altersklassen unabhängiger Indikator der Veränderung des allgemeinen Sterberisikos und damit der allgemeinen Lebensverhältnisse einer Gesellschaft auffassen - etwa um die Verbesserung der medizinischen Betreuung zu messen, oder aber auch, um die Verelendung einer Bevölkerung quantitativ zu erfassen - etwa wenn festgestellt wird, daß die durchschnittliche Lebenserwartung der Bewohner des Stadtteils Harlem in New York unter die von Bangladesh gesunken ist (DIE ZEIT 10. Januar 1992). Eine solche Verwendung des Begriffs der durchschnittlichen Lebenserwartung ist freilich nicht unproblematisch: der ganze Ansatz von Periodensterbetafeln geht von der Annahme stabil bleibender Sterblichkeitsverhältnisse aus; nun soll der Begriff der durchschnittlichen Lebenserwartung dazu benutzt werden, um - etwa in Form einer Zeitreihe - die Veränderung der Sterblichkeit zu messen.
130
2
EREIGNISMAßE
Tabelle 2.3.10: Allgemeine Sterbetafel 1986/88 för die Bundesrepublik Deutschland. Männer Sterbe-
Vollendetes Alter
X
Oberlebende im Alter χ 'x
Wochen
0 1 2 3 Monate
100 000 99 619 99 5Î2 99 516
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11_ Jahre
100 000 99 486 99 400 99 326 99 264 99 216 99 180 99 153 99130 99 111 99 096 99 084
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
100 000 99 075 99 005 98 956 98 921 98 891 98 862 98 835 98 809 98 786 98 764
Von den Überlebenden im Alter χ Gestoibe-ne wahrscheinlichkei bis zum Alter insgesamt im Alter χ t vom Alter χ bis x+1 noch zu durchlebte bis unter x+1 durchlebende x+1 Jahre Jahre «"x Ix für eine Woche während einer Woche 361 0,00380607 67 0,00067257 36 0,00036464 •30 •0,00029945 während e. ßr einen Monat Monats 514 0,00513709 86 0,00086295 75 0,00075282 61 0,00061732 48 0,00048815 35 0,00035623 27 0,00027482 23 0,00023541 19 0,00019441 0,00014581 14 13 0,00012645 9 0,00008997 ßr ein Jahr während eines Jahres 925 0,00925273 70 0,00070529 0,00049307 49 0,00035530 35 30 0,00030589 29 0,00029097 27 0,00027641 25 0,00025775 23 0,00023576 21 0,00021668 20 0,00020463
* In den übrigen Tagen des 1. Lebensmonats.
L
e
x
x>x
Durchschnittliche Lebenserwartung im Alter χ in Jahren e
x
1913 1909 1908 •2 571
7 221 175 7 219 262 7 217354 7 215 446
72,21 72,47 72,50 72,51
8 300 8 287 8 280 8 275 8 270 8 267 8 264 8262 8260 8 259 8 257 8 257
7221 175 7 212 875 7 204 588 7 196 308 7 188 034 7 179 764 7 171 497 7163 233 7154 971 7146 711 7 138 453 7 130 195
72,21 72,50 72,48 72,45 72,41 72,37 72,31 72,24 72,18 72,11 72,04 71,98
99 237 99 040 98980 98 938 98 906 98 676 98 848 98 822 98 797 98 775 98 754
7 221 175 7 121 939 7022 899 6 923 918 6 824 980 6 726 074 6 627 198 6 528 350 6 429 528 6 330 731 6 231 956
72,21 71,88 70,93 69,97 68,99 68,02 67,03 66,05 65,07 64,09 63,10
2.3
Vollendetes Alter
X 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57
Überlebende im Alter χ 'x 98 744 98 724 98 704 98 681 98 652 98 612 98 557 98 483 98 389 98 284 98 175 98 068 97964 97 862 97 763 97 664 97 567 97468 97 367 97 262 97 153 97 039 96 920 96 794 96 661 96 519 96 367 96 203 96 026 95 834 95 624 95 394 95 141 94 863 94 555 94 216 93 841 93 428 92 973 92 471 91917 91 305 90 630 89 887 89 071 88177 87 204
Gestorbene im Alter χ bis unter x+1
20 21 23 29 40 55 74 94 105 108 107 104 102 99 98 98 99 101 105 109 114 119 126 133 142 152 164 177 192 210 230 253 279 307 339 375 413 455 502 554 612 675 743 816 893 974 1 058
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
Sterbewahrscheinlichkeit vom Alter χ bis x+1 Ix 0,00020218 0,00020926 0,00023283 0,00029344 0,00040200 0,00055534 0,00075125 0,00095645 0,00106913 0,00110194 0,00109139 0,00106503 0,00103813 0,00101645 0,00100325 0,00100130 0,00101285 0,00103836 0,00107643 0,00112194 0,00117247 0,00122951 0,00129498 0,00137346 0,00146739 0,00157643 0,00170033 0,00184126 0,00200292 0,00218931 0,00240516 0,00265040 0,00292755 0,00323949 0,00358825 0,00397516 0,00440134 0,00487349 0,00540080 0,00599270 0,00665469 0,00739081 0,00820182 0,00908183 0,01002896 0,01104374 0,01212705
Von den Oberlebenden im Alter χ insgesamt bis zum Alter noch zu x+1 durchlebte durchlebende Jahre Jahre E
98 734 98 714 98 692 98 666 98 632 98 584 98 520 98 436 98 336 98 229 98 122 98 018 97 913 97 812 97 714 97 616 97 517 97417 97 314 97207 97 096 98 979 98 857 98 728 96 590 96 443 96 285 96 115 95 930 95 729 95 509 95 268 95 002 94 709 94 386 94 029 93 635 93 201 92 722 92 194 91611 90 968 90 259 89 479 88 624 87690 86 675
A
6 133 201 6 034 467 5 935 753 5 837 061 5 738 395 5 639 764 5 541 179 5 442 659 5 344 223 5 245 887 5 147 657 5 049 536 4 951 520 4 853 607 4 755 795 4 658 081 4 560 465 4 462 948 4 365 531 4 268 217 4 171 009 4 073 914 3 976 934 3 880 078 3 783 350 3 686 760 3 590 317 3 494 032 3 397 917 3 301 987 3 206 258 3 110 749 3 015 462 2 920 480 2 825 771 2 731 386 2 637 357 2 543 722 2 450 521 2 357 799 2 265 605 2 173 994 2 083 026 1 992 768 1 903 289 1 814 665 1 726 974
131
Durchschnittliche Lebenserwartung im Alter χ in Jahren e
x 62,11 61 12 60 14 59,15 58,17 57,19 56,22 55,26 54,32 53,37 52,43 51,49 50,54 49,60 48,65 47,69 46,74 45,79 44,84 43,88 42,93 41,98 41,03 40,09 39,14 38,20 37,26 36,32 35,39 34,46 33,53 32,61 31,69 30,79 29,88 28,99 28,10 27,23 26,36 25,50 24,65 23,81 22,98 22,17 21,37 20,58 19,80
132
2
EREIGNISMAßE
Vollendetes After
Oberlebende im After χ
Gestorbene im After χ bis unter x+1
X
x
1 1 1 1 1 1 1 1
640 300 554 726 470 341 387 238 305 511 225 261 146 593 069 614 994 438 921 185 849 979 760 953 714 249 650 012 588 394 529 550 473 631 420 786 371 149 324 840 281 951 242 550 206 668 174 299 145 399 119 880 97613 78 430 62130 48 480 37228 28106 20 840 15 161 10 809 7 545 5 151 3 435 2 235 1 417 875 525 306
Durchschnittliche Lebenserwartung im After χ in Jahren e
x 19,04 18,29 17,55 16,83 16,11 15,41 14,73 14,05 13,39 12,75 12,12 11,50 10,90 10,32 9,76 9,22 8,70 8,21 7,73 7,28 6,85 6,44 6,06 5,69 5,35 5,03 4,72 4,43 4,17 3,91 3,68 3,46 3,25 3,06 2,88 2,72 2,56 2,42 2,28 2,16 2,04 1,94 1,84
2.3
EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
Tabelle 2.3.10: (Fortsetzung) Allgemeine Sterbetafel 1986/88 fur die Bundesrepublik Deutschland. Frauen Vollendetes Alter
Oberlebende im Alter X
Gestorbene im Alter χ bis unter x+1
X
•x
"x während einer Woche 285 48 28 •30 während e. Monats 390 67 55 41 29 26 23 20 20 13 9 9 während eines Jahres 702 58 40 27 20 18 17 16 15 15 14
Wochen
0 1 2 3 Monate
100 000 99 715 99 667 99 640
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Jahre
100000 99 610 99 544 99 488 99 447 99 418 99 392 99 369 99 349 99 329 99 316 99 307
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
100 000 99 298 99 241 99 201 99174 99 153 99136 93 119 99 103 99 088 99 073
Sterbewahrscheinlichkeit vom Alter χ bis x+1
Von den Oberlebenden im Alter χ bis zum Alter insgesamt noch zu x+1 durchlebende durchlebte Jahre Jahre e
Ix fir eine Woche
0,00285109 0,00047636 0,00027598 •0,00029729 während eines Monats 0,00389737 0,00066924 0,00055597 0,00041270 0,00029349 0,00025780 0,00023257 0,00020506 0,00019916 0,00013251 0,00008987 0,00008692 während eines Jahres
1914 1911 1910 •2 574
0,00701617 0,00058210 0,00040231 0,00027287 0,00020425 0,00017883 0,00016900 0,00016092 0,00015494 0,00015022 0,00014556
* In den übrigen Tagen des 1. Lebensmonats.
7 7 7 7
A
Durchschnittliche Lebenserwartung im Alter χ in Jahren e
x
867942 866 028 864 117 862 207
78,68 78,89 78,90 78,91
8 308 8 298 8 293 8 289 8 286 8 284 8 282 8 280 8 278 8 277 8 276 8 275
7 867942 7 859 633 7 851335 7 843 042 7 834 753 7 826 467 7 818183 7 809 902 7 801 622 7793 343 7 78} 067 7 776 791
78,68 78,90 78,87 78,83 78,78 78,72 78,66 78,59 78,53 7846 78,39 78,31
99 428 99 269 99 221 99 187 99 163 99144 99 127 99 111 99 095 99 080 99 065
7 867942 7 768 515 7 669 246 7 570 025 7470 838 7 371 675 7272 530 7 173 403 7 074 292 6 975 197 6 876117
78,68 78,23 77,28 76,31 75,33 74,35 73,36 72,37 71,38 70,39 69,40
133
134
2
EREIGNISMAßE
Vollendetes Alter
Oberlebende im Alter X
Gestorbene im Alter χ bis unter x+1
X
'x
«•x
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 36 39 40 41 42 43 44 45 46 47 46 49 50 51 52 53 54 55 56 57
99 058 99 044 99 029 99 013 98 995 98 974 98 947 98 916 98 881 98 843 98 806 98 768 98 731 98 694 98 657 98 619 98 579 98 538 98 493 98 446 98 395 98 340 98 280 98 216 98 146 98 071 97 988 97 896 97796 97 685 97 564 97 431 97 286 97 127 96 954 96 766 96 562 96 341 96 102 95 842 95 559 95 252 94918 94 553 94 156 93 723 93 252
Sterbewahrscheinlichkeit vom Alter χ bis x+1 Ix
14 15 16 18 21 26 31 36 38 38 37 37 37 38 38 40 42 44 47 51 55 60 64 70 76 83 91 101 111 121 133 145 159 173 188 204 221 240 260 282 307 334 364 397 433 471 513
0,00014541 0,00015053 0,00016145 0,00018143 0,00021642 0,00026465 0,00031427 0,00035989 0,00037930 0,00038021 0,00037635 0,00037350 0,00037488 0,00038030 0,00038843 0,00040148 0,00042107 0,00044694 0,00047935 0,00051838 0,00056113 0,00060617 0,00065448 0.00070909 0,00077277 0,00084734 0,00093243 0,00102703 0,00112998 0,00124130 0,00136182 0,00149165 0,00163114 0,00178004 0,00193834 0,00210732 0,00228910 0,00248752 0,00270558 0,00294644 0,00321347 0,00351063 0,00383967 0,00420037 0,00459548 0,00502924 0,00550657
Von den Überlebenden im Alter χ bis zum Alter insgesamt x+1 noch zu durchlebende durchlebte Jahre Jahre Lx 99 051 99 036 99 021 99 004 98 984 98 960 98 932 98 898 98 862 98 824 98 787 98 750 98 713 98 676 98 638 98 599 98 558 98 516 98 470 98 421 98 368 98 310 98 248 98 181 98 109 98 029 97 942 97 846 97 740 97 624 97 497 97 358 97 206 97 041 96 860 96 664 96 452 96 221 95 972 95 700 95 406 95 085 94735 94 355 93 940 93 488 92 995
e
A
6 777051 6 678 000 6 578964 6 479 943 6 380 939 6 281 955 6 182 994 6 084 063 5 985 164 5 886 302 5 787 478 5 688 691 5 589 941 5 491 228 5 392 552 5 293 914 5 195 316 5 096 757 4 998 242 4 899 772 4 801 351 4 702 984 4 604673 4 506 425 4 408 244 4 310 135 4 212 106 4 1 1 4 164 4016319 3 918 578 3 820 954 3 723 456 3 626 098 3 528 892 3 431 851 3 334 991 3 238 327 3 141 875 3 045 654 2 949 682 2 853 962 2 758 577 2 663 492 2 568 756 2 474 402 2 380 462 2 286 974
Durchschnittliche Lebenserwartung im After χ in Jahren e
x 68,41 67,42 66,43 65,45 64,46 63,47 62,49 81,51 60,53 59,55 58,57 57,60 56,62 55,64 54,66 53,68 52,70 51,72 50,75 49,77 48,80 47,82 46,85 45,88 44,91 43,95 42,99 42,03 41,07 40,11 39,16 38,22 37,27 36,33 35,40 34,48 33,54 32,61 31,69 30,78 29,87 28,96 28,06 27,17 26,28 25,40 24,52
2.3
Vollendetes Alter
X 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100
Oberlebende im Alter X •x 92 738 92 179 91 569 90 903 90 178 89 387 88 526 87 587 86 565 85 451 84 236 82 909 81 459 79 869 78 124 76 206 74 096 71 775 69 230 66 447 63 419 60 148 56 640 52 912 48 992 44 916 40 734 36 501 32 282 28 146 24160 20 393 16 903 13 738 10 935 8511 6 468 4 792 3 457 2 425 1651 1 090 697
Gestorbene im Alter χ bis unter x+1 «•x 560 610 665 725 791 862 939 1 022 1 114 1215 1326 1 451 1 589 1745 1918 2110 2 320 2 546 2 783 3 027 3 271 3 508 3 728 3 920 4 075 4182 4 233 4 219 4 137 3 985 3 768 3 490 3 164 2 804 2 424 2 043 1675 1335 1033 774 561 393 266
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
Sterbewahrscheinlichkeit vom Atter χ bis x+1 Ix 0,00603497 0,00661957 0,00726641 0,00798036 0,00876797 0,00963803 0,01060190 0,01187357 0,01287022 0,01421714 0,01574689 0,01749662 0,01951155 0,02184461 0,02455262 0,02769375 0,03131667 0,03546931 0,04020081 0,04555720 0,05158370 0,05832385 0,06581702 0,07409448 0,08318420 0,09311436 0,10390808 0,11558164 0,12814474 0,14159943 0,15593851 0,17114658 0,18719990 0,20406498 0,22169854 0,24004619 0,25904212 0,27860994 0,29866365 0,31911001 0,33984804 0,36077261 0,38177510
Von den Oberlebenden im Alter χ bis zum Alter insgesamt x+1 noch zu durchlebte durchlebende Jahre Jahre Sc 92 459 91 874 91236 90 541 89 782 68956 88 056 87076 86 006 84 843 83 572 82 164 80 664 78 997 77 165 75 151 72 936 70 503 67 838 64 933 61 784 58 394 54 776 50 952 46 954 42 825 38 618 34 392 30 214 26 153 22 276 16 648 15 320 12 337 9 723 7 489 5 630 4 125 2 941 2 038 1370 893 564
e x"x 2 193 979 2101520 2 009 647 1918411 1 827 870 1 736 088 1 649 131 1 561 075 1 473 999 1 387 992 1 303 148 1 219 576 1 137 392 1 056 728 977 731 900 566 825 415 752 479 681 977 614 139 549 206 487 422 429 028 374252 323 300 276 346 233 521 194 903 160 512 130 298 104 145 61 868 63 221 47 900 35 563 25 841 18 351 12 721 8 597 5 656 3 618 2 248 1355
135
Durchschnittliche Lebenserwartung im Alter χ in Jahren e
x 23,66 22,80 21,95 21,10 20,27 19,44 18,63 17,82 17,03 16,24 15,47 14,71 13,96 13,23 12,52 11,82 11,14 10,48 9,85 9,24 8,66 8,10 7,57 7,07 6,60 6,15 5,73 5,34 4,97 4,63 4,31 4,01 3,74 3,49 3,25 3,04 2,84 2,65 2,49 2,33 2,19 2,06 1,94
136
2
EREIGNISMAßE
Dieses Problem verlangt danach, nicht nur die Güte des Indikators zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern auch die Güte einer Zeitreihe des Indikators zur Messung der Veränderung der Sterbeverhältnisse empirisch zu testen. Solche langfristigen Vergleiche zwischen der Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung anhand von Periodensterbetafeln und der tatsächlich dann erreichten durchschnittlichen Lebensdauer sind für einige Länder möglich; zur Illustration (nach Dinkel 1984) wird hier ein Vergleich für Schweden von 1780 bis zur Gegenwart wiedergegeben (Abbildung 2.3.11): Abbildung 2.3.11: Lebensdauer/Lebenserwartung in Kohorten- und Periodenperspektive, Schweden 1780-1925, Männer. Lebensdauer/Lebenserwartung
20
1780
1800
1820
1840
1860
1880
1900
1920
1940
Quelle: Keyfitz und Flieger 1968, gezeichnet nach Dinkel 1984. Zwei Unterschiede zwischen Perioden- und Kohortensterbetafeln sind an der Graphik abzulesen: 1. Bei sinkendem Sterberisiko unterschätzt, bei steigendem Sterberisiko überschätzt die Periodensterbetafel eines Jahres die tatsächliche Lebensdauer der Geburtskohorte dieses Jahres. 2. Die an der Periodensterbetafel abgelesene durchschnittliche Lebenserwartung schwankt stärker als die tatsächliche durchschnittliche Lebensdauer der entsprechenden Kohorte. Grund ist, daß positive wie negative
2.3
EREIGNISMAßE DER STERBLICHKEIT
137
Einflüsse (gute Ernten, neue Impfungen, neue Medikamente; Kriege, Epidemien), denen reale Kohorten ja eben nur während der wenigen Jahre des realen Geschehens ausgesetzt sind, sich auf die imaginäre Kohorte einer Periodensterbetafel gegebenenfalls simultan in allen Altersklassen niederschlagen. Dinkel (1984) macht noch auf einen dritten Fall einer Diskrepanz zwischen Perioden- und Kohortensterbetafeln aufmerksam: es werde angenommen, das Sterberisiko verringere sich in jüngeren Altersgruppen in kurzer Zeit erheblich, um dann auf einem geringeren Niveau wieder stabil zu werden. Dann kann, wenn dadurch seit frühem Alter gesundheitlich schwächere Personen in Altersgruppen ab 60 kommen, die Sterblichkeit in diesen Altersgruppen steigen. Im Ergebnis wird, wenn die ersten durch die im jugendlichen Alter zusätzlich Überlebenden zahlenmäßig stärker besetzten Jahrgänge in diese höheren Altersklassen kommen, kurzfristig die durchschnittliche Lebenserwartung sinken, obwohl natürlich in jeder Altersklasse mehr Personen überleben als vorher, und folglich die durchschnittliche Lebensdauer der Kohorten gestiegen ist. Dieses wäre ein Beispiel eines in vielen Bereichen der Demographie zu beobachtenden Kohorten-Inversions-Eflektes: verschiebt sich die Reduzierung einer Kohorte durch ein Ereignis (Tod, Heirat, Elternschaft) nur in der Verteilung über das Lebensalter, wobei die "Disposition" der Kohortenmitglieder fur dieses Ereignis aber unverändert bleibt, so verschieben sich gegensinnig zu den "Hochs" auch die "Tiefs" der Ereignisraten im Lebenslauf der Kohorte. In Periodenbetrachtungsweise schwanken entsprechend die durchschnittlichen Überlebens- = Verweildauern der aus den Daten eines Intervalls synthetisierten fiktiven Kohorte. (Zum Kohorten-Inversions-EfFekt ausfuhrlich Hobcraft; Menken; Preston 1982). In Kapitel 2.1 wurde die Schätzung von Überlebensfunktionen und anderen Tafelfunktionen im Intervall angesprochen und hier die beiden einfachsten Schätzer bereits dargestellt, nämlich der konventionelle lineare Schätzer S χ+η " S
x
( l - q χ,χ+η )
oder der exponentielle Schätzer ς
a
χ+η
_ 3ς ρe -Y" χ
mit konstanter stetig-zeitlicher Sterberate γ.
138
2
EREIGNISMAßE
Andere Schätzer, die für Schätzungen für größere Intervalle - etwa 10 Jahre - praktisch wichtig sind, sind etwa die nach Reed-Merrell, nach Chiang, nach Greville, nach Keyfitz-Frauenthal, nach Schoen. Diese und weitere können nachgelesen werden in Namboodiri (1991, 85-96) oder Smith (1992, 186-220). Die altersspezifischen Sterberaten variieren nicht völlig unabhängig voneinander, ihre Verteilung folgt bei allen Bevölkerungen im groben der Form in Abbildung 2.3.f.- 2.3.h. die beobachteten Sterberaten in gewissen Altersklassen korrelieren oft hoch mit denen in anderen. Zugleich hat man für viele Bevölkerungen nur unvollständige Daten, aus denen eine Sterbetafel nicht konstruiert werden kann. Von großer praktischer Bedeutung sind nun Verfahren, für solche Fälle mit unvollständigen oder fehlerbehafteten Daten komplette Sterbetafeln aus Modell-Sterbetafeln mit Hilfe einer Schätzfunktion zu erstellen. Wie wir gesehen haben, lassen sich alle Sterbetafelfunktionen aus der Sequenz der altersspezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten qX)X+n ableiten. Das Schätzen einer kompletten Sequenz von qX)X+n geht wie folgt vor sich: 1. Man wählt sich eine Reihe von vollständigen Sterbetafeln mit hochwertigen Daten; 2. Man wählt sich eine Sterbetafelfunktion gx> für eine oder einige wenige bestimmte Altersklassen x'; 3. Man definiert eine Schätzfiinktion f(gx-), die eine komplette Sequenz von q x x + n aus empirischen Werten von gx· vorhersagt; 4. Man testet diese Schätzfunktion an Hand der vorhandenen, als Standard dienenden Sterbetafel und legt die Parameter dieser Schätzfunktion nach irgendeinem statistischen Gütekriterium (z.B. Maximum Likelihood) fest; 5. Man ermittelt in der betrachteten Bevölkerung den oder die Werte von gX', dem Argument der Schätzfunktion; 6. Man schätzt die fehlenden Werte der Sterbetafel der beobachteten Bevölkerung mit Hilfe der Schätzfunktion aus den beobachteten Werten von gx·. Drei Verfahren seien hier kurz erwähnt: 1. Das erste in der Literatur beschriebene Verfahren war das von Statistikern der Population Branch des Department of Social Affairs der Vereinten Nationen, welches die aus der Säuglingssterblichkeit, q0,i, also der Wahrscheinlichkeit des Todes im ersten Lebensjahr, alle anderen altersspezifischen Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten mit regressionsanalyti-
2.3
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
139
sehen Methoden schätzte. Getestet wurde die Schätzfunktion an Sterbetafeln aus 158 Ländern. Das Verfahren gilt als überholt. 2. Das immer noch weitestverbreitete Verfahren stammt von Coale und Demeny (1966, 1983). Sie unterteilten ihre Standardsterbetafeln in vier Untergruppen, Typ "Ost", "West", "Nord" und "Süd", die aus insgesamt 326 Sterbetafeln aus verschiedenen Erdteilen (überwiegend Europa) zusammengefaßt wurden. Als Prädiktor wird die restliche Lebenserwartung eio im Alter von 10 Jahren gewählt. Die Autoren beschreiben zwei verschiedene Schätzfunktionen: die eine schätzt
qx
x+n
- A e
die andere schätzt
q „ „. n '
x
+Bxe10,
(Ax+Bxe10)
10000
,
wobei Α, Α', Β und B' aus der Standardsterbetafel geschätzte Parameter sind. Die Sequenz von qx>x+n wird dann aus einem Mix der nach den beiden Verfahren erhaltenen Werte geschätzt. 3. Brass (1971, 1975) nimmt an, daß die Logitfunktion der Wahrscheinlichkeit, vor dem exakten Alter χ zu sterben, bei allen empirisch zu beobachtenden Bevölkerungen i und j ineinander durch eine lineare Transformation überfuhrt werden kann.
In
l~l(i)x
, KO i
< A + B-ln ,
l-l(j): Kj)x
Diese Annahme wird damit begründet, daß die relative Zahl der Gestorbenen im Verlauf der Zeit (das Komplement der Überlebensfunktion) theoretisch dem logistischen Wachstumsmodell entsprechen müßte. Das Verfahren von Brass besteht nun darin, aus einer vorhandenen Standardsterbetafel von Bevölkerung j die Sterbetafel von Bevölkerung i zu generieren, indem man aus den vorhandenen Werten für Bevölkerung i die Parameter A und Β schätzt. Bei fest vorgegebener Standardsterbetafel j definieren die Parameter A und Β jeweils eine ganze Familie von Modellsterbetafeln, wobei eine Variation der beiden Parameter folgende Wirkung hat:
140
2 EREIGNISMAßE
Bei festem A bewirkt ein Β größer als Eins eine höhere Säuglings- und eine niedrigere Alterssterblichkeit als in der Standardtafel, ein Β kleiner als Eins hat den entgegengesetzten Effekt. Bei festem Β fuhrt ein A größer als Null zu einer Erhöhung, ein A kleiner als Null zu einer Erniedrigung der durchschnittlichen Lebenserwartung im Vergleich zur Standardsterbetafel j. Brass hat zwei Standardsterbetafeln vorgegeben, eine "General Standard" und eine "African Standard" Tafel. Modellsterbetafeln haben eine große praktische Bedeutung für die Schätzung fehlender Daten der allgemeinen Sterblichkeitsentwicklung, sowohl für gegenwärtige Gesellschaften mit unzureichender Bevölkerungsstatistik, wie auch für Bevölkerungen der Vergangenheit. Eine ausführliche Darstellung des Forschungsstands findet sich in Dinkel (1989, Kapitel vn).
2.3.3
Projektions-Matrizen
Von den Kohorten - wie Periodentafeln führt ein einfacher Schritt zu Projektions-Matrizen. (Ein kurzer Überblick über die grundlegenden Definitionen und Rechenregeln mit Matrizen findet sich im Anhang 2). Wir betrachten eine Kohorte, wobei wir wiederum die Daten der Frauen des Jahrgangs 1876 von England und Wales und als Radix, das heißt als Besetzung der ersten Altersklasse zum Zeitpunkt t=0, den Wert 1 wählen. Der Vektor der Altersklassenbesetzung ist definiert als:
z ( t ) - ( l 0 0 1, d 0 ,i h
d1>2 ... 1 w+n dw,w+n )
(2-3.17)
Nun wissen wir aus d χ,χ+η 1 χ,χ+η ™ j1 χ daß: 1 x+n
=
1 χ (l
oder allgemein
1 x,x+n
(2.3.18)
2.3
EREIGNISMABE DER STERBLICHKEIT
1 χ - 1 ο Γ ! ! 1 - «I y,y+n ) - 1 o f f p y,y + n y-0 y-0
y = 0, n , 2 n ...
141
(2.3.19)
wobei (l-qx>x+n) = Ρχ,χ+η die zu qX(x+n komplementäre Wahrscheinlichkeit ist, daß ein Individuum vom exakten Alter χ bis zum exakten Alter x+n überlebt. Zugleich wissen wir x-n.
dχ,χ+η -q x> x+n -lo n ( 1 - c l y . y + n )
y = 0,n,2n...
y-0
Vereinbarungsgemäß gibt es zum Zeitpunkt t = 0 noch keine Gestorbenen, es git also do = 0. Wir können nun (2.3.17) (2.3.18) und (2.3.19) kompakt in Matrixform schreiben z(t+n) = z(t) Ρ z(kn) = z(0) P k k = 0,1,2,3...
(2.3.20)
wobei Ρ die Matrix in Tabelle 2.3.12 (die Überlebens- und Sterbewahrscheinlichkeiten sind als Beispiel aus Tabelle 2.3.5 entnommen) ist. Die rechte Seite von Gleichung (2.3.20) ist für höhere Werte von k sehr schwierig zu berechnen, wenn man die Matrix Ρ tatsächlich k mal mit sich selbst zu multiplizieren hat. Ein weitaus schnelleres Verfahren wird kurz in Kapitel 3.2 bei Gleichung (3.2.2) oder im Anhang 2 dargestellt. Sobald wir eine Periodensterbetafel vor uns haben und annehmen, daß für einen bestimmten betrachteten Zeitraum von mehreren Intervallen hin die Sterbewahrscheinlichkeiten gleich bleiben sollen, können wir nun mit der Gleichung (2.3.20) für beliebige Altersklassenbesetzungen berechnen, wie sich die Altersklassenbesetzung dieser zu Beginn vorhandenen Individuen in den folgenden Intervallen entwickeln wird. Mit Projektions-Matrizen hat man ein sehr leistungsfähiges mathematisches Instrument zur Berechnung zukünftiger (wie auch vergangener) Zustände an die Hand bekommen, das in Kapitel 2.6 und dann in Kapitel 2.8 noch gründlicher und in Kapitel 3 zur Sprache kommen wird. Dort wird gezeigt, wie man ganz analog zu Sterbewahrscheinlichkeiten auch Geburtenwahrscheinlichkeiten in Projektions-Matrizen aufnehmen kann und damit auch das Nachwachsen neuer Kohorten modellieren kann.
142
2
EREIGNISMAßE
Tabelle 2.3.12: Projektionsmatrix für Überlebens- und Sterbewahrscheinlichkeiten aus Tabelle 2.3.5 (Altersklasse x=l wurde zur Vermeidung ungleich langer Zeitintervalle nicht berücksichtigt). Altersklasse x/ Kalenderjahre t lo do Is lo do 15 do.5 Ρ = ... 195 d90.95 Uoo d95,c (0) ist die Zahl der Ehen, die sich bei gleicher Zahl der jeweils heiratenden Männern und Frauen in dieser Kohorte und der beobachteten Heiratshazardrate, aber ohne Anwesenheit einer Heiratsverknappung ergäbe. Zur Berechnung dieser Hazardrate schlägt Schoen (1988, 122ÍF., 171ÍF.) ein kompliziertes Verfahren vor und diskutiert verschiedene Schätzverfahren; hierauf kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Bei ähnlicher Lebenserwartung und nicht zu großem Altersabstand bei der Eheschließung zwischen den Geschlechtern ist der Nenner von (2.4.12) in grober Annäherung das gewichtete Mittel der beiden Glieder des Zählers. Positive Werte des Marriage Squeeze Index zeigen an, daß proportional mehr Männer als Frauen jeweils heiraten, negative Werte das Gegenteil. Schoen (1988, 182) berechnete den Heiratsverknappungs-Index für eine Reihe von Ländern im Zeitraum 1966-1975 und berechnete zugleich den Anteil durch die jeweilige Verknappung nicht zustandegekommener Ehen (Tabelle 2.4.2). Es zeigt sich, daß sowohl Verknappungs-Index wie Anteil "verlorener" Ehen auf der Ebene der Bevölkerung ganzer Nationen in normalen Zeiten nur geringe Werte annehmen. Dies ist freilich ganz anders, sobald man kleinräumige Bevölkerungen betrachtet; insbesondere durch geschlechtsselektive Migration kommen hier oft erhebliche Ungleichgewichte bei der Sexualproportion Unverheirateter
2.4
EREIGNISMAßE VON EHESCHLIEßUNG UND EHETRENNUNG
153
zustande. Ein drastisches Beispiel beschreibt Oberg (1990): die Bergbaugebiete in Nordschweden mit einer Sexualproportion von bis zu 3 0 0 Männern auf 100 Frauen bei Alleinstehenden in der Altersgruppe 20-39.
Tabelle 2.4.2: Heiratsverknappungindex für 25 ausgewählte Länder 1966-1975.
Land und Erhebungsjahr
Jordanien (1970) Costa Rica (1973) Mexiko (1970) Philippinen (1970) Chile (1971) Panama (1970) Österreich (1975) Israel (1972) Belgien (1970) Griechenland (1971) Tunesien (1971) DDR (1975) Schweiz (1970) Kanada (1971) Tschechoslovakei (1970) Rumänien (1966) Ungarn (1975) Italien (1973) BRD (1975) Niederlande (1975) Australien (1971) Frankreich (1972) Hong Kong (1971) England und Wales (1974) Schweden (1975)
Quelle: Schoen 1988, 182.
Heiratsverknappungsindex (Marriage squeeze index (MSI)) 0.1403 0.1202 0.0806 0.0789 0.0579 0.0401 0.0307 0.0303 0.0252 0.0247 0.0238 0.0170 0.0098 0.0084 0.0082 0.0078 0.0073 0.0070 0.0039 -0.0076 -0.0107 -0.0197 -0.0203 -0.0349 -0.0416
Anteil durch Heiratsverknappung "verlorener" Ehen 0.0330 0.0093 0.0082 0.0125 0.0066 0.0006 0.0013 0.0073 0.0092 0.0040 0.0077 0.0020 0.0002 0.0004 0.0003 0.0019 0.0004 0.0002 0.0000 0.0001 0.0008 0.0009 0.0029 0.0078 0.0010
154
2
EREIGNISMAßE
2.5
Ereignismaße der Fruchtbarkeit
Zunächst eine terminologische Klarstellung: Fertilität ist die biologische Fähigkeit, Kinder zu erzeugen und auszutragen, Fruchtbarkeit (Fekundität) ist die fallweise Realisierung dieser Fähigkeit (im angelsächsischen demographischen Schrifttum haben die beiden Begriffe fertility und fecundity eine genau vertauschte Bedeutung). Fruchtbarkeitsmessungen beziehen sich auf solche Realisierungen, auf das Auftreten von Fertilität nur insofern, als dies Teil des physiologischen Lebenszyklus ist: bei Frauen von den Menarche bis etwa zum 50. Lebensjahr, beim Mann von der Pubertät bis ins hohe Alter. Fruchtbarkeit ist ein Mehrfachrisiko, dessen Messung gegenüber der Messung der Mortalität und der Geburtlichkeit zusätzliche Probleme aufwirft: 1. Geburten können als Ereignisse auf Mütter wie auf Väter bezogen werden, die sich bezüglich Alter und sozioökonomischer Merkmale oft unterscheiden. Praktisch wird mit dieser Problematik so umgegangen, daß die Rolle des Vaters in der Demographie ausgeblendet wird. Männerbezogene Fruchtbarkeitsmaße sind selten, die Mutter-Kind-Beziehung steht im Mitelpunkt der demographischen Fruchtbarkeitsmessung. 2. Nicht die gesamte Population unterliegt dem Risiko. Vor dem 15. Lebensjahr werden Männer wie Frauen nur sehr selten Eltern. Nach dem 45. Lebensjahr sind Geburten bei Frauen selten, ebenso wie Vaterschaft bei älteren Männern. Von den 681 537 Lebendgeburten in Westdeutschland 1989 hatten 291 eine über 45 Jahre alte Mutter und 3450 einen über 50 Jahre alten Vater (Statistisches Bundesamt 1989). Meßtechnisch wichtig ist das kurzfristige Herausfallen schwangerer Frauen aus der Risikopopulation: eine schwangere Frau unterliegt nicht dem Risiko des Schwangerwerdens. Gibt es etwa in einer Bevölkerung pro Frau bis zum Klimakterium 8 Lebendgeburten und 2 Fehlgeburten, so verbringt eine Frau etwa ein 1/4 ihrer fruchtbaren Jahre im Zustand der Schwangerschaft und gehört währenddessen nicht zur Risikopopulation. Eine praktische Anwendung: für Frauen während einer Schwangerschaft müssen in einem Geburtenkontrollprogramm keine empfängnisverhütenden Mittel bereitgestellt werden. Fruchtbarkeit ist nicht nur ein Ereignis eines erwachsenen Paares, es ist auch ein Ereignis für das Kind. Eigenschaften des Kindes wirken auf die Eltern zurück, wie deren Eigenschaften auf das Kind einwirken: Stirbt ein Kind sogleich nach der Geburt, so wird die nächste Schwangerschaft der
2.5
EREIGNISMAßE DER FRUCHTBARKEIT
155
Mutter früher eintreten; die Zahl der schon vorhandenen Kinder wie das Alter der Mutter haben einen erheblichen Einfluß auf die Mortalität eines hinzukommenden Kindes. In modernen Gesellschaften variiert die Fruchtbarkeit stärker als die Mortalität, oft in Abhängigkeit von der Konjunktur oder politischen Ereignissen. Gerade wenn man solche Zusammenhänge erfassen will, muß zeitlich sehr exakt gemessen werden. Viermal haben sich in diesem Jahrhundert die absoluten Geburtenzahlen in einer Reihe von Industrieländern in kurzer Frist massiv geändert: sie stiegen nach den beiden Weltkriegen, als die Männer aus Krieg und Gefangenschaft zu ihren Frauen zurückkamen; sie fielen in der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre und nach der Einführung hormonellen Empfängnisverhütung Anfang der 60er Jahre (Abbildung 2.5.1). Wir beginnen wieder mit einfachen Expositions-Raten. 1. die allgemeine Fruchtbarkeitsrate bezieht die Zahl der Geburten eines Jahres auf den Bestand der Frauen in üblicherweise fruchtbarem Alter zur Jahresmitte
Abbildung 2.5.1 : Geburten- und Sterberate für Deutschland (1946-1989 Westdeutschland).
Quelle: Statistisches Bundesamt 1972, 1980, 1991.
156
2 EREIGNISMAßE
b
of
1000 oder b
15,49
of
—
1000
(2.5.1)
15,44
Da die von Frauen zwischen dem 45. und 49. Lebensjahr geborenen Kinder nur einen sehr kleinen Teil aller Geburten ausmachen, ist die zweite Variante von (2.5.1) die weiter verbreitete. Es werden in diesem Kapitel nur diskret-zeitliche Fruchtbarkeitsraten besprochen. Die stetig-zeitliche "intrinische" Fruchtbarkeitsrate für Bevölkerungen mit stabiler Altersklassenverteilung wird in Kapitel 3.2 behandelt. Es lassen sich allgemeine Fruchtbarkeitsraten für ausgewählte Frauengruppen definieren: Eheliche und nichteheliche Fruchtbarkeit, ländliche und städtische, ethnisch spezifische, religionsspezifische usw. Praktisch bedeutsam ist die Aufschlüsselung nach dem Alter der Mutter. Es lassen sich altersspezifische Fruchbarkeitsraten definieren:
"χ,χ.η-^Ρ^ΙΟΟΟ
(2.5.2)
X+-D
2
wobei Βχ^+η die Zahl der im Bezugsjahr beobachteten Geburten zwischen dem x-ten und dem (x+n)-ten Geburtstag der Mütter und Sx+ die Zahl der Frauen in dieser Altersgruppe in der Mitte des Beobachtungszeitraums ist. Abbildung 2.5.2 und 2.5.3 zeigt die Altersverteilung der Lebendgeburten in 5-Jahresaltersklassen für die drei deutschsprachigen und drei weitere Länder. Deutlich wird sichtbar, daß die Frauen der drei europäischen Länder mit den Geburten nicht nur später beginnen, sondern auch damit früher wieder aufhören als die Frauen der anderen Länder - die durchschnittlich 8.74 Geburten pro Frau im ostafrikanischen Ruanda müssen sich, wenn man nicht sehr bemühte Annahmen machen will, über eine längere Lebensspanne erstrecken als die 1.57 Geburten pro Schweizerin. Um den Einfluß verschiedener Altersverteilungen bei der Messung der Fruchtbarkeit in verschiedenen Gesellschaften auszuschalten, können verschiedene Wege gegangen werden, deren Technik dem Leser jetzt nicht mehr ganz fremd sein wird. Einmal kann man, analog zur Alters-
2.5
EREIGNISMABE DER FRUCHTBARKEIT
Abbildung 2.5.2: Altersverteilung der Geburten ausgewählter Länder 1985-89.
Atter der MOtter -â· Österreich -»-Deutschland -»Schweiz -»-Bolivien -θ-Pakistan •Ruanda
Quelle: Demographie Yearbook UN 1989.
Abbildung 2.5.3: Altersverteilung der Geburten ausgewählter Länder 1985-89.
Atter der Matter -Ér Schweiz (1.570) + Österreich (1.442) »Deutschland (1.416) -»-Ruanda (8.737) -©-Bolivien (6.060) •Pakistan (6.486)
Quelle: Demographic Yearbook UN 1989.
157
158
2
EREIGNISMAßE
Standardisierung von Mortalität und Nuptialität standardisierte allgemeine Fruchtbarkeitsraten b*, sowohl für Längsschnitts- wie für Querschnittsvergleiche berechnen, indem man das mit der relativen Besetzung der Altersklassen in der Standardbevölkerung (st) gewichtete arithmetische Mittel der altersspezifischen Fruchtbarkeitsraten der jeweils beobachteten Bevölkerung j bildet:
γ
B ( j ) y , y + n "1000
y = 1 5 , 1 5 + n , 1 5 + 2 n ...
15,49
(2.5.3) Die Probleme solcher altersstandardisierten Raten sind auch hier gegeben: die Wahl der Standardbevölkerung ist unvermeidlich willkürlich; entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse - was beispielsweise deren Verwendung für Vergleiche in einem anderen Kontext erheblich beschränkt. Vor allem aber werden Veränderungen in einer oder einigen wenigen Altersklassen der einen betrachteten Bevölkerung keinesfalls proportional invariant in den standardisierten Raten abgebildet. Eine weitere wichtige Spezifizierung von Fruchtbarkeitsraten ist die nach Ehedauer, da in allen Gesellschaften das Fruchtbarkeitsrisiko ganz überwiegend Frauen in Ehen oder eheähnlichen Verbindungen betrifft, ist die Ehedauer von zentraler Bedeutung für die kumulierte Fruchtbarkeit. Wichtig ist ferner das mittlere Alter der Mutter (MAM = mittleres Alter bei der Mutterschaft); da die fruchtbaren Jahre der Frau hinreichend deutlich abgegrenzt sind, muß nicht auf den Median als Maß der zentralen Tendenz zurückgegriffen werden.
MAM -
ω
y = 0,n,2n...
(2.5.4)
y-0
Das mittlere Alter der Mütter ist das mit den altersspezifischen Geburtenzahlen gewichtete arithmetische Mittel der Mittelwerte der fortlaufenden Altersklassen, geteilt durch die Summe der Geburtenzahlen der jeweiligen
2.5
EREIGNISMAßE DER FRUCHTBARKEIT
159
Alterklassen. Das mittlere Alter der Mutter dient als Indikator, wann im Lebenslauf die Frauen einer Gesellschaft ihre Kinder bekommen und ist damit eine wichtige Maßzahl der Geschwindigkeit der Bevölkerungsdynamik. Analog wird der mittlere Generationenabstand Τ als das mittlere Alter der Mutter bei der Geburt ihrer Töchter definiert. Dieses Maß spielt in Modellen der Populationsdynamik (3.2.11 ff) eine wichtige Rolle. Ein sich für den Vergleich zwischen verschiedenen Bevölkerungen sofort ergebendes Problem ist, daß bei ansonsten gleichen Gegebenheiten dieses mittlere Alter der Mutter nicht unabhängig von der Zahl der geborenen Kinder sein kann. Teilweise kann dieses Problem durch die Berechnung paritätsspezifischer Geburtenraten angegangen werden, indem man nach ersten, zweiten, dritten etc. Geburten und auch noch nach dem Alter der Mutter differenziert. Allerdings stößt dann wieder der kognitive Apparat des Betrachters an seine Grenzen, wenn er verschiedene Bevölkerungen nach je ein oder zwei Dutzend simultan zu berücksichtigender Raten vergleichen soll. In einer technisch analogen Problemlage wendet man bei der Mortalitätsmessung Tafelmethoden (einschließlich der Schätzung von Übergangsraten in vorgebenen Verteilungen) an. Solche Methoden sind allerdings bei der Fruchtbarkeitsmessung weniger angebracht, da Fruchtbarkeit, anders als der Tod, sich bei einigen Menschen gar nicht, bei anderen mehrfach ereignet. Dabei treten die mehrfach möglichen Ereignisse nicht unabhängig voneinander auf: die Zahl und Geburtszeitpunkt bereits vorhandenen Kinder ist eine starke Determinante der Eintrittswahrscheinlichkeit weiterer Geburten. Tafelmethoden (einschließlich Übergangsraten) haben für die Prognose der restlichen Fruchtbarkeitsbiographie einer noch im fruchtbaren Alter stehenden Kohorte von Frauen durchaus praktische Bedeutung. Dabei werden jeweils paritätsspezifische Tafeln oder Überlebensfunktionen berechnet, mit jeweils anders zu definierenden Risikopopulationen. Korrekterweise muß dabei Mortalität dieser Frauen als konkurrierendes Risiko mit erfaßt werden (dazu Kapitel 2.8) Nach dem Vorbild von Modell-Sterbetafeln zur Schätzung der altersspezifischen Mortalität bei unvollständigen Daten hat man auch ModellFruchtbarkeitstafeln zur Schätzung der altersspezifischen Fruchtbarkeit bei unvollständigen Daten aufgestellt. Da die Fruchtbarkeit vor allem kurzfristig wesentlich stärker unter dem Einfluß ökonomischer und politischer Faktoren schwankt, die Fruchtbarkeit bestimmter Altersklassen also viel schlechter aus der Fruchtbarkeit
160
2
EREIGNISMAßE
benachbarter Altersklassen vorhergesagt werden kann, sind dem Einsatz von Modell-Fruchtbarkeitstafeln allerdings wesentlich engere Grenzen gesetzt als dem von Modell-Sterbetafeln. Auch hier enthält Dinkel (1989, Kapitel VII) einen ausfuhrlichen Übertilick. Die praktisch bedeutsamste Lösung des Problems unterschiedlicher Altersverteilungen bei der Messung der Fruchtbarkeit sind aber nicht Tafelmethoden, sondern kumulative Raten. Wir beginnen wieder mit der über die Lebensjahre einer realen Kohorte kumulierten Fruchtbarkeitsrate: CFR X - J) ( b y y + n ) · 1000 y = 0,n,2n ...
(2.5.5)
y-0
ist die kumulierte Fruchtbarkeitsrate einer Frauenkohorte bis zum Alter x. Ist χ = 49, also ist wegen Erlöschens der Fortpflanzungsfähigkeit eine weitere Kumulation nicht möglich, so spricht man von kompletter Fruchtbarkeitsrate CFR = CFR49 Tabelle 2.5.4 zeigt die Kumulation der Fruchtbarkeit für US amerikanische Frauen des Jahrgangs 1916 (geboren zwischen 1.1.1916 und 31.12. 1916) bis zum Alter χ (Kalenderjahr 1916 + x) (Shryock und Siegel 1976, 289). Die Mortalität ist bei der Berechnung dieser über eine Kohorte kumulierten Fruchtbarkeitsrate nicht berücksichtigt. Es stellt sich in Befragungen in Vollerhebungen (Zensen) wie in Stichprobenbefragungen - die Frage, in welchem Verhältnis die von Frauen im Alter χ angegebene Zahl lebend geborener Kinder (CEB = Children Ever Born) zu der kumulativen Fruchtbarkeitsrate derselben Kohorte wie die Befragten steht. In kumulative Fruchtbarkeitsraten geht ja auch die Fruchtbarkeit von Frauen ein, die während ihrer fruchtbaren Jahre sterben und folglich mit 50 Jahren nicht mehr befragt werden können. Wenn Migration entweder ausgeschlossen oder als fruchtbarkeitsneutral vernachlässigt werden kann, so gilt: wenn die individuelle Mortalität in einer Kohorte bis zum Alter χ unabhängig von der individuellen Zahl der Geburten ist, so ist die kumulative Fruchtbarkeit dieser Kohorte bis zum Alter χ identisch mit der Zahl der lebenden Geburten, die überlebende Frauen dieser Kohorte im Alter χ angeben. Gibt es jedoch eine Oberster-
2.5
EREIGNISMAßE DER FRUCHTBARKEIT
161
blichkeit der überfruchtbaren Frauen (Übersterblichkeit der überfruchtbaren Frauen) so wird die von den Überlebenden im Alter χ angegebene Gesamtzahl der Geburten unter der kumulativen Fruchtbarkeitsrate der Kohorte im Alter χ liegen. Gibt es umgekehrt aber eine Untersterblichkeit der überfruchtbaren Frauen, so wird die von den Überlebenden im Alter χ angegebene Gesamtzahl der Lebendgeburten über der kumulativen Fruchtbarkeitsrate der Kohorte im Alter χ liegen.
Tabelle 2.5.4: Kumulierte Fruchtbarkeitsrate: Die Fruchtbarkeit des Geburtsjahrgangs 1916-17 US-amerikanischer Frauen. Kumulative Fruchtbarkeitsrate
Altersspezifische Geburtenraten kumuliert bis
Rate pro 1000 Frauen
Prozent der kompletten Rate
Referenzdatum (l.Januar)
20 25 30 35
.244 .891 1.590 2.088
1937 1942 1947
Bis Alter 40
2.362
10.0 36.5 65.1 85.5 96.7
Bis Alter 45 Bis Alter 50
2.438 2.442
99.8
1962 1967
Alter
Bis Bis Bis Bis
Alter Alter Alter Alter
100.0
1952 1957
Alter
Kalenderjahr
19 24 29 34 39
1936 1941 1946
44
1961 1966
49
1951 1956
Quelle: Shryock und Siegel 1976, 289. Schematisch: positive Korrelation Mortalität-Fruchtbarkeit bis zum Alter x: CEB X < CFRX keine Korrelation Mortalität-Fruchtbarkeit bis zum Alter x: CEB X = CFRX negative Korrelation Mortalität-Fruchtbarkeit bis zum Alter x: CEBX > CFRX Aus einem Literaturüberblick von Voland und Engel (1989) ergibt sich für die meisten Gesellschaften - traditionelle wie moderne - ein inverser Zu-
162
2
EREIGNISMAßE
sammenhang zwischen Mortalität und Fruchtbarkeit über das ganze Leben - erst bei sehr vielen Geburten (10 und mehr) sinkt bei Frauen in modernen Gesellschaften die Lebenserwartung wieder. Die Mortalität unfruchtbarer oder unterdurchschnittlich fruchtbarer Frauen fällt also - kaum wegen ihrer Fertilitätsstörung als vielmehr wegen Grundkrankheiten, die auch ihre Fertilität beeinträchtigen - stärker ins Gewicht als die fortpflanzungsbedingte Mortalität überdurchschnittlich fruchtbarer Frauen. Ganz analog, wie man in der Messung der Mortalität und der Nuptialität von der Kohorten- oder Generationenperspektive auf die Periodenperspektive übergehen kann, so kann man nun eine fiktive Kohorte von Frauen durch die altersspezifischen Fruchtbarkeitsraten eines oder dreier Jahre (Zensusjahr plus das vorausgehende und nachfolgende Jahr) hindurchwandern lassen und die sich ergebenden kumulativen Fruchtbarkeitsraten als die einer zum Stichjahr in die Fruchtbarkeit einsteigenden Kohorte bei stationärem Fruchtbarkeitsrisiko auffassen. Die kumulative Fruchtbarkeitsrate einer solchermaßen konstruierten fiktiven Kohorte bis zum Alter χ wird als die Totale Fruchtbarkeitsrate TFR: χ TFR X = 2 ) b y y + n -1000 y = 0,n,2n ...
(2.5.6)
y-0
aus den altersspezifischen Fruchtbarkeitsraten by)y+n berechnet. Ein anderer Typ von Kumulationsmaß mißt nicht die kumulierten Geburtenzahlen bis zum Alter x, sondern den Anteil der Frauen in einem Alter x, die ein bestimmtes Paritätsniveau erreicht haben: der Anteil der Frauen, die z.B. 2 und mehr Lebendgeburten erlebt haben. Dieses Maß erhält man in einer gewissen Analogie zur Sterbetafelmethode, wobei das einzige Ereignis das Eintreten des jeweiligen paritätsspezifischen Fruchtbarkeitsrisiko ist. Durch Subtraktion des Anteils der Frauen mit Mindestparität n+1 im Alter χ vom Anteil der Frauen mit Mindestparität η von den Überlebenden im Alter χ kann der Anteil der Frauen mit exakter kumulativer Parität η berechnet werden. Nicht-Expositions-Raten von Fruchtbarkeit, also Geburtenraten, gehören systematisch zur Messung von Geburtsereignissen (Kapitel 2.2) und sind dort abgehandelt.
2.5
EREIGNISMAßE DER FRUCHTBARKEIT
163
Beim Übergang vom Kohortenkumulationsmaß zum Periodenkumulationsmaß begegnet man den bekannten Problemen bei der Schätzung kumulativer Kohortenraten durch kumulative Periodenraten: 1. Bei tatsächlich steigenden kohortenkumulativen Maßen unterschätzt, bei tatsächlich sinkenden kohortenkumulativen Maßen überschätzt das Periodenkumulationsmaß TFRX die Kohortenkumulation CFRX. Häufig wird die komplette Fruchtbarkeitsrate CFR einer Kohorte durch die totale Fruchtbarkeitsrate desjenigen Jahres geschätzt, in dem diese reale Kohorte das mittlere Alter der Mutterschaft erreicht. Dabei ergibt sich als zusätzliche Fehlerquelle, daß Veränderungen der kumulativen Fruchtbarkeit im Regelfall stets einen Einfluß auf das mittlere Alter bei der Mutterschaft haben. Leicht einsichtig ist, daß Höhe und Altersverteilung der alterspezifischen Fruchtbarkeitsraten nicht unabhängig ist von dèr kumulativen Fruchtbarkeit, gleichgültig, ob diese nun in Perioden oder Kohortenperspektive betrachtet wird, siehe nochmals Abbildung 2.5.2 und 2.5.3. Man darf nicht vergessen, daß auch das mittlere Alter der Mutterschaft einer realen Kohorte, solange sie noch fruchtbar ist, bei diesem Verfahren aus PeriodenFruchtbarkeitsraten der betreffenden Bevölkerung geschätzt wird. 2. Das Periodenkumulationsmaß schwankt stärker im Verlauf der Zeit als das Kohortenkumulationsmaß, da bestimmte Ereignisse (konjunkturelles Auf und Ab, Einführung neuer Verhütungsmethoden, pronatalistische Sozialpolitik), die reale Kohorten eben nur einmal durchleben, sich bei fiktiven Kohorten, deren lebenslanges Fruchtbarkeitsrisiko aus den Risiken vieler realer Kohorten in einem kurzen Zeitabschnitt synthetisiert wird, entsprechend auch in aller fruchtbaren Altersklassen auswirken. Beide erwähnten Effekte lassen sich an einer graphischen Darstellung des Verlaufs der kompletten Fruchtbarkeitsrate CFR 1865-1960 und der totalen Fruchtbarkeitsrate TFR 1895-1990 der gesamtdeutschen Bevölkerung zeigen (Abbildung 2.5.5): Bei tatsächlich steigender Kinderzahl pro Frauenleben unterschätzt, bei tatsächlich sinkender Kinderzahl überschätzt die Periodenkumulation die Kohortenkumulation, so wie auch die Periodenkumulation im zeitlichen Verlauf stärker schwankt als die Kohortenkumulation (vgl. Abbildung 2.3.11). 3. In einer Kombination beider Effekte könnte es gelegentlich dazu kommen, daß sich die beiden kumulativen Maße kurzfristig in verschiedene Richtungen entwickeln: beispielsweise wenn bei tendenziell sinkender Gesamtzahl von Lebendgeburten im Verlauf von Kohorten plötzlich eine Si-
164
2 EREIGNISMAßE
tuation eintritt, in der zugleich relativ schon etwas ältere Frauen aufgehobene Geburten nachholen, während relativ jüngere Frauen Geburten vorziehen. Abbildung 2.5. S: Kumulative Fruchtbarkeit in Perioden- und Kohortenperspektive, Deutschland: Frauen Kohorten 1865-1960. Kohortenspezifische Kumulative Fruchtbarkeitsrate
Totale Fruchtbarkeitsrate 30 Jahre später 5
Λ
—CFR —TFR - 30 Jahre später g
4
3
3
2
9
1
1
0 1870
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
0 1960
Geburtsjahrgänge
CFR-Werte für Kohorten 1955 und 1960 z.T. geschätzt. CFR bis 1935, TRR bis 1945 Deutsches Reich; danach Westdeutschland. Quelle: Festy 1979; Schwarz 1991, 1993. Solche Verhältnisse herrschten in den USA nach Eintritt in den 2. Weltkrieg: der schlagartig einsetzende Wirtschaftsboom nach mehr als einem Jahrzehnt der Depression, zugleich mit der Perspektive, daß die Männer womöglich bald in den Krieg ziehen mußten, führte zu einem so scharfen Anstieg der Geburtenrate, daß Whelpton (1946) für 1942 eine allgemeine Fruchtbarkeitsrate für erste Geburten (nicht: Geborene!) weißer USAmerikanerinnen im Alter von 15 bis 49 Jahren von 1084 pro 1000 Frauen berechnete - eine logische Unmöglichkeit für eine reale Kohorte. Die TFR dieses Jahres dürfte sich gegenüber den Voijahren sprunghaft erhöht haben. Die kohortenkumulierten Fruchtbarkeitsmaße für die beteiligten Frauenkohorten schwankten jedoch nur wenig (Festy 1979, 301). Bei der Untersuchung der historischen Veränderungen der Fruchtbarkeit spielte früher eine Zeit lang das Konzept der natürlichen Fruchtbarkeit ei-
2.5
EREIGNISMABE DER FRUCHTBARKEIT
165
ne Rolle: das physiologische Maximum, zu dem, wie man glaubte, vormoderne Gesellschaften tendierten. Mit der Modernisierung seien dann Empfängnisverhütung und Geburtenbeschränkung aufgekommen. Ein lebendes Beispiel für eine solche maximale Fruchtbarkeit, die als "natürliche Fruchtbarkeit" gedeutet wurde, wurde die in Nordamerika lebende deutschstämmige Sekte der Hutterer gefunden, die in der Tat die höchste jemals beobachtete Fruchtbarkeit einer geschlossenen Bevölkerungsgruppe aufwies. Die altersspezifischen Fruchtbarkeitsraten auf Jahresbasis für verheiratete Hutterer Frauen 1921/1930 gibt Tabelle 2.5.6 wieder:
Tabelle 2.5.6: Jährliche Fruchtbarkeitsraten verheirateter Hutterer Frauen, Periode 1921-1930. Altersgruppe
Fruchtbarkeitsrate
15-19
.300
20-24
.550
25-29
.502
30-34
.447
35-39
.406
40-44
.222
45-49
.061
Quelle: Wunsch und Termote 1978, 270. Coale (1969) definierte unter Verwendung dieser Zahlen einen Index der allgemeinen Fruchtbarkeit und dann nochmals spezifiziert einen Index der ehelichen und einen Index der unehelichen Fruchtbarkeit, der jeweils die altersspezifischen Fruchtbarkeitsraten (allgemein, ehelich, unehelich) der Beobachtungspopulation, jeweils dividiert durch die altersspezifische Fruchtbarkeitsraten verheirateter Hutterer-Frauen der erwähnten Periode aufsummiert. Die Berechnung entsprechender Indexwerte zeigte, daß auch in den fruchtbarsten Ländern der Welt das allgemeine Fruchtbarkeitsniveau immer noch deutlich unter dem der Hutterer Frauen liegt, was nicht überraschen kann. Ein darüber hinausgehender Informationsgewinn bei der Verwendung dieser Indizes ist nicht zu erkennen. Das Konzept der natürlichen Fruchtbarkeit verschwand aus der bevölkerungswissenschaftlichen Diskussion, als die anthroplogische Forschung zeigte, daß auch in den
166
2
EREIGNISMAßE
primitivsten Jäger- und Sammlergesellschaften - durch lange Stillzeiten, sexuelle Abstinenz und Kindestötung - Empfängnisverhütung und Geburtenkontrolle praktiziert wird. Die Messung der männlichen Fruchtbarkeit Angesichts der Regel der Juristen "mater certa, pater incertus", angesichts der Tatsache, daß in allen Gesellschaften der Erde mehr Kinder bei ihren Müttern als bei ihren Vätern leben, und nicht zuletzt auch wegen des praktischen Gesichtspunkts, daß die Fruchtbarkeit bei Frauen zeitlich einheitlicher als bei bei Männern begrenzt ist, wird die Fruchtbarkeitsdynamik im Regelfall unter den Blickwinkel des Fruchtbarkeitsrisikos der Frauen betrachtet. Nur für besondere Fragestellungen berechnet man Fruchtbarkeitsrisiken für Männer. Die allgemeine Fruchtbarkeitsrate fur Männer bezieht die Zahl aller Geburten eines Zeitraums auf die Zahl der Männer im Alter zwischen 15 und 54 Jahren zur Zeitraumsmitte. Wegen der höheren Altersbegrenzung ist die männliche Risikobevölkerung im allgemeinen umfangreicher als die weibliche sowohl im selben Stichjahr wie in derselben Kohorte, so daß einfache Fruchtbarkeitsraten für Männer, solange sie nicht altersspezifisch aufgeschlüsselt sind, niedriger als die der Frauen sind. Für die Beurteilung der Fruchtbarkeit von Männern sind kumulative Maße ebenso wichtig, wie dies bei den Frauen der Fall ist. Zur Veranschaulichung seien die allgemeinen Fruchtbarkeitsraten (2.5.1) und die Totalen Fruchtbarkeitsraten (2.5.5) von Männern denen von Frauen gegenübergestellt (Shryock und Siegel 1976, 293) (Tabelle 2.5.7). Wie vorausgesagt liegen die einfachen Fruchtbarkeitsraten der Männer unter den der Frauen. Die Totale Fruchtbarkeitsrate von Männern muß in einer stationären Bevölkerung gleich der mit dem Kehrwert der Sexualproportion gewichteten Totalen Fruchtbarkeitsrate der Frauen sein, also niedriger liegen. Bei den meisten Entwicklungsländern in Tabelle 2.5.7 liegt jedoch die TFR für Männer über der für Frauen. Der Grund hierfür dürfte sein, daß bei dem allgemein höheren Alter der Ehemänner in einer rasch wachsenden Bevölkerung die Kohorten der Ehefrauen stärker besetzt sind als die Kohorten der Väter ihrer Kinder. Dies führt mittelbar zu dem Problem, daß es genauso wie bei der Untersuchung von Heiratsereignissen so auch bei der Untersuchung der Frucht-
2.5 EREIGNISMABE DER FRUCHTBARKEIT
167
barkeit unbefriedigend ist, mit einem Ein-Geschlecht-Modell zu arbeiten, in dem Partner des jeweils anderen Geschlechts als eine im Überfluß zur Verfügung stehende Ressource behandelt wird und alle Festlegungen und Einschränkungen ausschließlich in den inneren Verhaltenspositionen des Geschlechts beruhen, welches man gerade untersucht. Es bietet sich an, die Ansätze von Zwei-Geschlechter-Modellen der Heiratsdynamik auch auf die Zwei-Geschlechter Fruchtbarkeitsdynamik anzuwenden. Ausgeführte Modelle hierzu sind aber seltener als bei der Analyse der Heiratsdynamik. In Analogie zum Heiratsverknappungs-Index MSI ((2.4.12) hat Schoen (1985) auch einen Index der FruchtbarkeitsVerknappung BSI (Birth Squeeze Index) vorgeschlagen: BSI
TFR m - T F R f TFR2
(2.5.7)
Tabelle 2.5.7: Vergleich männlicher und weiblicher Fruchtbarkeitsmaße, für ausgewählte Länder (um 1960).
Country and year
Altersdifferenz Väter-Mütter in Jahren (Median)
Quotient Väter-Mütter Allgemeine Totale FruchtbarFruchtbarkeitsrate keitsrate
Chile (1960)
4.5
0.891
1.224
0.879
1.285
Costa Rica (1963)
6.1
El Salvador (1961)
6.8*
England und Wales (196)
2.6
Ungarn (1961) Israel (1963)
4.3 5.2
Panama (1960)
6.4
Polen (1963) USA (1960)
3.6 5.2 3.0
Jugoslavien (1961)
3.7
Puerto Rico (1960)
* 1962. ** Nicht verfügbar. Quelle: Shryock und Siegel 1976,293.
0.739 0.806 0.791 0.837 0.844 0.907 0.803 0.853
1.413* 0.987 1.072 1.090 1.200
1.029 1.339 1.047 1.090
168
2
EREIGNISMAßE
wobei TFR2 die Totale Fruchtbarkeitsrate ist, die sich ergäbe, wenn bei gleicher Zahl von Männern und Frauen in den entsprechenden Altersklassen die beobachtete Fruchtbarkeitsrate ohne Verknappung wirksam wäre. Tabelle 2.5.8: Geburtenverknappungsindex für 22 ausgewählte Länder 1963-1974. (1) Land und Erhebungsjahr
(2) Totale (3) Totale (4) ZweiFruchtbarkeits- Fiuchtbarkeits Gechlechterrate Männer -rate Frauen Totale Fruchtbarkeits -rate TFRf TFR(2)= TFR m ((2)+(3))/2
1. Philippinen, 1973 2. Jordanien, (1974) 3. Tunesien, 1971 4. Puerto Rico, 1970 5. Israel, 1974 6. Panama, 1973 7. Chile, 1968 8. Peru, 1969 9. USA, 1970 10. Polen, 1974 11. Costa Rica, 1973 12. Cuba, 1970 13. Rumänien, 1964 14. Canada, 1971 15. Yugoslavien, 1973 16. Uruguay, 1973 17. Ungarn, 1974 18. Norwegen, 1972 19. Bulgarien, 1967 20. Australien, 1963 21. Hong Kong, 1974 22. England und Wales, 1973
4.61 9.42 7.78 4.08 4.56 5.38 4.22 5.45 2.80 2.49 4.31 4.05 1.93 2.30 2.43 2.79 2.37 2.42 2.05 3.19 3.09 2.03
3.41 7.09 6.00 3.16 3.70 4.50 3.62 4.70 2.49 2.26 3.91 3.70 1.80 2.14 2.32 2.66 2.31 2.37 2.03 3.21 3.20 2.28
4.01 8.25 6.89 3.62 4.13 4.94 3.92 5.07 2.65 2.38 4.11 3.88 1.87 2.22 2.37 2.73 2.34 2.39 2.04 3.20 3.15 2.15
(5) Geburtenverknappungsindex (Birth squeeze index) BSI= ((2)-(3))/(4) 0.300 0.283 0.259 0.255 0.210 0.178 0.152 0.147 0.117 0.098 0.095 0.092 0.075 0.071 0.047 0.047 0.030 0.018 0.011 -0.006 -0.034 -0.112
Quelle: Schoen 1988, 198. Offenbar auch wegen der Mehrfachereignis-Problematik bei der Fruchtbarkeit wählt Schoen fur diesen Bezugswert TFR2 hier einfach das arithmetische Mittel aus weiblicher und männlicher TFRf und TFRm.
2.5
EREIGNISMAßE DER FRUCHTBARKEIT
169
Für eine Reihe von Ländern ist in Tabelle 2.5.8 der nach (2.5.7) berechnete Index der Fruchtbarkeitsverknappung aufgeführt - wie zu erwarten, sind die höchsten Werte, also die größte Verknappung von männlichen Fortpflanzungspartnern, in rasch wachsenden Bevölkerungen der dritten Welt zu beobachten. Andererseits zeigen die Werte auch, daß in nur langsam wachsenden Bevölkerungen die kumulativen Fruchtbarkeitsmaße für beide Geschlechter nahe beisammen liegen, so daß für große Gesellschaften das Ein-Geschlecht-Fruchtbarkeitsmodell mit der sogenannten demographischen Dominanz des weiblichen Geschlechts eine brauchbare Arbeitsgrundlage bleibt. Lokal oder zeitlich begrenzt gilt dies freilich nicht. Der erste Fall - lokal deutlich ungleiche Sexualproportionen unverheirateter jüngerer Personen wurde bereits angesprochen (Oberg 1990). Für den zweiten Fall einer Ehe- und Fortpflanzungspartnerverknappung: große Verluste junger Menschen eines Geschlechts über einige aufeinanderfolgende Geburtsjahrgänge - in den allermeisten Fällen kriegsbedingte Verluste beim männlichen Geschlecht - haben Dinkel und Milenovic (1992) ein beeindruckendes Beispiel geliefert: die größten Verluste im zweiten Weltkrieg bei deutschen Soldaten gab es in den Jahrgängen 19181926. Entsprechend waren dann die Heirats- und Elternschaftschancen der überlebenden Männer höher als die der ihnen auf dem Heiratsmarkt nach dem Krieg gegenüberstehenden Frauen. Dinkel und Milenovic (1992) verglichen Kinderlosigkeit und kumulierte Fruchtbarkeit dieser Männerkohorten mit den Werten für jeweils drei Jahre jüngerer Frauenkohorten (3 Jahre ist der - stabile - mediane Altersabstand der Ehepartner bei ersten Ehen im Nachkriegsdeutschland bis heute) und zeigten, daß die komplette Fruchtbarkeit erst bei den Kohorten 1927/1930 wieder zwischen den Geschlechtern ausgeglichen war, wie bei einer im wesentlichen stationären Bevölkerung zu erwarten ist. In den Kohorten zuvor ist nicht nur die kumulierte Fruchtbarkeit der Männer höher, sondern auch die endgültige Kinderlosigkeit bei den Männern, die sonst - entsprechend der universell zu beobachtenden größeren Varianz der Fruchtbarkeit bei den Männern im Regelfall über der der Frauen liegt, liegt hier ausnahmsweise unter der der Frauen (Abbildung 2.5.9 und 2.5.10). Ähnliche Befunde erhob Kuczynski (1932) für die Heirats- und Fruchtbarkeitsdynamik nach Geschlechtern für Frankreich nach dem 1. Weltkrieg (auch Kapitel 3.1).
170
2
EREIGNISMAßE
Abbildung 2.5.9: (oben) Endgültige Fruchtbarkeit von Männern und Frauen der Kohorten 1902-1940. Abbildung 2.5.10: (unten) Anteil kinderloser Männer und Frauen der Kohorten 1902-1940.
2-4
6-7
8-10
11-13
14-16
17-«
20-22
d u um 3 J ä h r t i ü n g e r · Frauen
23-26
β
26-28
29-31
32-34
36-37
38-40
Männer
Prozent
26
16
10
1002-4
6-7
8-10
11-13
14-16
17-19
20-22
23-26
26-28
29-31
Geburtajahrgänge Männer
Quelle: Dinkel und Milenovic 1992.
I
I um 3 J a h r e J ü n g e r e
Frauen
32-34
36-37
38-40
2.6
2.6 2.6.1
EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
171
Ereignismaße von Wanderungen Definitionen und Abgrenzungen
Die demographische Migrationsforschung befaßt sich mit Wohnortverlegungen. Dabei spielt keine Rolle, ob die betreffende Person noch weitere Wohnsitze hat. Nur vorgetäuschte Wohnortverlegungen oder -neugründungen lassen sich nur schwer von echten unterscheiden, da hinter jenen ja immer das Motiv eines Zugangs zu anders nicht erreichbaren Rechten oder das Umgehen von anders nicht zu vermeidbaren Pflichten steht, welches zu verschweigen die Betreffenden gute Gründe haben. Alle räumliche Mobilität ohne Wohnortwechsel (Fahrten zur Arbeitsstelle, zum Einkaufen, zu Freunden, Verwandten, in den Urlaub) werden nicht als Migration gewertet, auch Einberufung zum Wehrdienst nicht. Gemäß internationaler Übereinkunft werden auch zeitlich begrenzte Auslandsaufenthalte von Diplomaten, von im Ausland akkreditierten Journalisten, von offiziell immatrikulierten Studenten, Praktikanten und Personen in ähnlicher Lage nicht als Migration gewertet. Keine Übereinstimmung besteht in der Literatur bei der Behandlung von saisonalen Wanderungen, wie sie in der Land- und Forstwirtschaft, in der Gastronomie und bei Kleinhändlern und anderen Gewerben häufig vorkommen. Wesentlich schwieriger noch ist die Abgrenzung nach Gebiet und Wanderungsdistanz. Ist ein Umzug über die Straße schon eine Wanderung? Manche der damit verbundenen Entscheidungen und Konsequenzen wären auch bei größerer Distanz dieselben, andere nicht. Die amtliche Statistik mit deren Daten man üblicherweise zu arbeiten hat, weist Wohnsitzänderungen innerhalb einer Gemeinde im Regelfall nicht als Wanderungen aus. Praktisch gleichlautend definieren die Statistischen Jahrbücher der Schweiz, Österreichs und Deutschlands Wanderung als Wohnungswechsel von einer politischen Gemeinde in eine andere. Der Bezug und die Aufgabe von weiteren Wohnsitzen wird jeweils als ein eigenständiges Wanderungsereignis behandelt. Umzüge innerhalb einer Gemeinde bleiben außer Betracht. Unbefriedigend ist hier natürlich, daß Gemeindegröße und andere Verwaltungsgrenzen in massiver Weise die Klassifikation von Wanderungsereignis beeinflussen. Ein Umzug aus dem Innenbereich einer Großstadt ins grüne Umland wird je nach lokaler Gebietsgliederung gar nicht, als Gemeindegrenzen, Bun-
172
2
EREIGNISMAßE
deslandgrenzen oder womöglich sogar als Staatsgrenzen überschreitende Wanderung klassifiziert werden. Wanderungsdistanzen werden nur selten in den amtlichen Statistiken aufgeführt (Übersicht in Long; Tucker; Urton (1988)). Solche Distanzen differenzieren auch sozial: bei kürzeren Entfernungen in eine benachbarte Gemeinde muß eine Wanderung nicht mit einem Arbeitsplatzwechsel oder einem weitgehenden Austausch der regionalen Netze - Vereine, Geschäftsbeziehungen, Bekannte - einhergehen. Bei Wanderungen über die Grenzen einer Region hinaus wird es im allgemeinen einen direkten Zusammenhang zwischen zurückgelegter Distanz und dem Anpassungsstress am neuen Wohnort geben. Migrationsdistanzmaße von besonderem demographischen Interesse sind Heiratskreise, das heißt die entweder nach Durchschnitten oder nach geeigneter Perzentilengliederung dargestellte räumliche Distanz zwischen den Wohnorten von Ehepartner vor der Heirat. Heiratskreise sind eine seit langem vielfach bearbeitete Fragestellung der Sozialgeographie, meist als Fallstudien einzelner Gemeinden. Überraschend ist die auch für moderne Industriegesellschaften und auch in ihren städtischen Segmenten geringe durchschnittliche Heiratsdistanz. Einen Überblick über Fallstudien im deutschsprachigen Raum findet sich in Bähr; Jentsch; Kuls (1992, 235-239). Dort, wo Wanderungsdistanzen bekannt sind, sieht sich die Migrationsforschung schon auf der einfachsten Ebene einer ganzen Reihe von methodischen Problemen gegenüber, die sich in dieser Breite bei der Messung der anderen demographischen Fundamentalprozesse nicht stellen: 1. Für die meisten Fragestellungen wird man das beobachtete Gebiet weiter untergliedern wollen, also entweder die Zu- und Abwanderungen eines bestimmten Teilgebiets betrachten, oder aber sich für die Richtungen der Wanderungsströme innerhalb größerer Räume interessieren. Da man auch im ersten Fall sich praktisch nie damit begnügen kann, Ziel- wie Herkunftsorte von Wanderungen nicht weiter zu differenzieren, hat man es bei der Erfassung immer gleich mit mehreren möglichen Ausgangs- und Zielgebieten zu tun, deren Zahl nur durch die Statistik, nicht durch die Sache selbst begrenzt ist. Das Problem erschwert sich bei der Einbeziehung staatsgrenzenüberschreitender Wanderung. 2. Wanderungen weisen im Verhältnis zu den anderen Fundamentalprozessen eine viel größere Variabilität zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen verschiedener Berufe, Bildungsstufen, Wohnorte auf.
2.6
EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
173
Tabelle 2.6.1: Selektivität der Wanderungen in der bayerischen Planungsregion Donau-Wald 19761. Stellung im Beruf Aibeiter Angestellte Beamte Selbständige
Altersgruppen 0.86 1.27 1.3 0.21
15-24 J 25-34 J 35-44 J 45-54 J 55-64 J >65 J
2.53 1.32 0.53 0.27 0.53 0.54
Wirtschschaftssektor
Familiengröße
Land-und Forstwirtschaft 0.01 Produzierendes Gewerbe 0.65 Dienstleistungsbereich 1.77
ohne Kind 1 Kind 2 Kinder 3+ Kinder
Familienstand Ledig Verheiratet Übrige
1.27 0.92 0.89
Schulbildung2
1.84 Volksschule 0.6 1.39 Volksschule und Lehre 0.84 0.46 Weitere Schulbildung 1.70 0.23
1. Schriftliche Befragung von 320 An- und Abmeldern in 16 ausgewählten Gemeinden; angegeben ist jeweils das Verhältnis zwischen dem Anteil der jeweiligen Gruppe an den Wanderern und der Bevölkerung, Werte unter 1 weisen somit auf eine unterproportionale, Werte über 1 auf die überproportionale Beteiligung an den Wanderern hin. 2. Kennziffer abweichend definiert, Werte daher mit anderen nicht voll vergleichbar. Quelle: Genosko 1980, 730 ff. Einige einfache univariate Auszählungen einer Stichprobe von 320 Anund Abmeldern in 16 Gemeinden der bayerischen Planungsregion DonauWald 1976 (Genosco 1980) gaben einen Eindruck von der auch nach dem sozioökonomischen Status ungleichen Verteilung des Wanderungsrisikos der deutschen Bevölkerung. Angegeben ist jeweils der Quotient zwischen dem Anteil der jeweiligen Merkmalskategorie an der Wandererstichprobe und an der Bevölkerung des Zielgebiets. Werte unter 1 drücken einen unterdurchschnittlichen, Werte über 1 einen überdurchschnittlichen Anteil der betreffenden Merkmalskategorie an der Wanderungsstichprobe aus (Tabelle 2.6.1).
174
2
EREIGNISMAßE
Abbildung 2.6.2: Altersspezifische Binnenwanderungsraten im Jahr 1989 zwischen den alten Bundesländern (pro 1000 Einwohner).
3. Die Migrationswahrscheinlichkeit ist nicht unabhängig vom Alter, aber in verschiedenen Bevölkerungsgruppen jeweils deutlich anders verteilt (Flöthmann 1992). Es gibt zwar einen Häufigkeitsgipfel von Wanderungen im sehr frühen Kindesalter (zusammen mit den Eltern) und einen im jüngeren Erwachsenenalter (18-35), bedingt durch Ausbildung, Arbeitsplatzsuche, Beziehen einer eigenen Wohnung, es gibt aber keine Lebensalter, in denen Wanderungen nicht oder nur sehr selten vorkommen (wie bei Heiraten und Geburten). Wanderungen von älteren Menschen nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sind in manchen Staaten (Frankreich, USA) bereits ein häufiges Phänomen; wieweit dies auch der Fall in den deutschsprachigen Ländern sein wird, wird abzuwarten sein (Abbildung 2.6.2).
4. Geschlechtsunterschiede können ein viel größeres Ausmaß annehmen als bei Nuptialität, Fekundität, Mortalität: in einer strikt seßhaften patrilokalen Bevölkerung, wo stets die Frau nach der Heirat zum Mann zieht, wandern alle verheirateten Frauen einmal im Leben, die Männer überhaupt nicht. In allen Industrieländern zeigen etwa die Wanderungen junger alleinstehender Erwachsenen deutliche Geschlechtsunterschiede. Die Wanderungen junger Frauen sind stärker in die Großstädte gerichtet, Wanderungen junger Männer in kleine Gemeinden häufiger als beim anderen Geschlecht (Oberg 1990).
2.6
EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
175
5. Wanderungen sind nicht nur mehrfach möglich, sie können auch in einen verlassenen Zustand zurückfuhren: Rückwanderungen an einen Ausgangsort. Diese Eigenschaft erneuerbarer Zustände weist die Nuptialität auch auf. 6. Zeitspannen zwischen zwei Ereignissen können stärker variieren als bei Fundamentalereignissen. Es gibt gewiß mehr Menschen, die zweimal in einem Jahr ihren Wohnort wechseln, als Leute, die in einem Jahr zweimal heiraten oder gar zweimal Eltern werden. Andererseits sind Intervalle von 50 Jahren zwischen zwei Wohnortswechseln durchaus nicht ungewöhnlich. Die Frage, wieweit man auch weit zurückliegende Wanderungen und die Intervalle zwischen solchen in den Analysen überhaupt berücksichtigen sollte, stellt sich so bei anderen mehrfach auftretenden demographischen Fundamentalereignissen nicht. Bejaht man die Frage auch für Wanderungen uneingeschränkt, so steht man meist schwierigen methodischen Problemen gegenüber. 7. Auch in Ländern mit gut organisiertem Personalregister ist die Qualität von Wanderungsdaten schlechter als bei Geburt, Eheschließung, Tod. Meist liegen die Zahlen für Zuzüge eines Gebietes unter denen für Wegzüge, weil das Unterlassen einer Abmeldung weniger Unannehmlichkeiten mit den Behörden bereitet als das Unterlassen einer Anmeldung, deshalb häufiger vergessen wird. Zweitwohnsitze werden oft nicht angemeldet. Hat ein Land kein Einwohnermeldewesen, beruht also seine Migrationsstatistik auf Volkszählungen und Mikrozensen, ergänzt durch Stichprobenbefragungen, so ist mit einer erheblichen Unterregistrierung von Wanderungsereignissen zu rechnen: Befragte erinnern sich schlecht, hochmobile Bevölkerungsgruppen sind schwierig zu erreichen, die entsprechenden Fragen beziehen sich meist nur auf die letzten 1-2 Wanderungen, so daß also gerade die ereignisreichsten Migrationsbiographien unvollständig erhoben werden. Über Schätz- und Datenkorrekturverfahren unterrichtet die Spezialliteratur (Anhang 3). 8. Schließlich ist als weitere Besonderheit zu nennen, daß mit der Konstruktion von Expositions-Raten und auch von Nicht-Expositions-Raten nach Art der rohen Geburten- oder Sterberate sich viele Fragen nicht bearbeiten lassen. Es werden Ereignismaße notwendig, die nicht mehr nach dem allgemeinen Schema: "Risikomanifestation bezogen auf durchlebte Zeiteinheiten in der Risikopopulation im Beobachtungszeitraum" definiert sind.
176
2.6.2
2
EREIGNISMAßE
Migrationsraten und andere Migrationsparameter
Es liegt auf der Hand, daß die Berücksichtigung von Einwanderungen in ein betrachtetes Gebiet bei der Konstruktion eines relativen Ereignismaßes ausschließt, daß dieses eine Expositions-Rate sein kann. Eine Einwanderung kann nicht einer individuellen Person des Zielgebietes als Manifestation eines individuellen Risikos zugeordnet werden. Grundsätzlich kann man nur Binnenwanderungsraten oder Auswanderungsraten als RisikoExpositions-Raten definieren: - Die Binnenwanderungsrate M(m m)
'
P(m)
(2.6.1)
bezieht die Zahl M(m,m) der Wanderungsereignisse im Beobachtungszeitraum von einem Ort im Beobachtungsgebiet m nach einem Ort in demselben auf den Bevölkerungsstand zur Zeitraumsmitte. - Die Auswanderungsrate M(m,N-m) — P(m)
(2.6.2)
hat stattdessen die Zahl der Wanderungsereignisse zu allen von m verschiedenen Gebieten N-m im Zähler. - Die Einwanderungsrate
M(N - m,m) P(m)
(2.6.3)
von allen N-m von m verschiedenen Gebieten in das beobachtete Gebiet hinein ist keine Expositions-Rate. Zwei wichtige absolute Ereignismaße sind die Summe (Wanderungsvolumen, Bruttowanderung) und die Differenz aller Ein- und Auswanderungsbewegungen in und von einem Gebiet: (Wanderungsbilanz, Wanderungssaldo, Nettowanderung); Nettowanderung wird je nach Übergewicht von Ein- oder Auswanderungen als Wanderungsgewinn oder Wanderungsverlust gekennzeichnet. Von diesen Werten lassen sich als relative Ereignismaße definieren:
2.6
EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
177
- die Bruttowanderungsrate
M(N
(2.6.4) W
und - die Nettowanderungsrate M(N - m, m) - M(m, Ν - m) P(m)
(2.6.5)
Genaugenommen ist letzteres Maß gar keine Rate mehr (hat jemand schon einmal einen Nettowanderer gesehen?). Häufig interessiert man sich für die Wanderungsströme zwischen zwei Gebieten m und η und kann dann Wanderungsintensitäten zwischen m und η definieren. - Einwanderungsintensität von m nach η M(m, n) P(m) + P(n)
(2.6.6)
- Auswanderungsintensität nach m von η M(n,m) P(m) + P(n)
(2.6.7)
problematisch ist freilich bei solchermaßen konstruierten Intensitäten, daß hier jeglicher Vergleich mit den Wanderungsströmen von und zu dritten Gebieten verloren geht. Ein gelegentlich aussagekräftiges Maß ist der Quotient aus Wanderungsbilanz und Wanderungsvolumen (Nettowanderung und Bruttowanderung), bezeichnet als - Wanderungseffizienz M ( n , M - n ) - M ( N — m, mj M(m,Ν - m) + M(N - m, m)
(2.6.8)
178
2
EREIGNISMADE
welcher den Anteil aller Ein- und Auswanderungen bezeichnet, der im betrachteten Gebiet am Ende des Beobachtungszeitraums zu einer Veränderung der Einwohnerzahl gefuhrt hat. Ein großes Wanderungsvolumen kann dennoch nur zu einer bescheidenen Wanderungsbilanz fuhren, insbesondere wenn man einen längeren Beobachtungszeitraum wählt. Solches läßt sich typischerweise bei der Analyse der Wanderungsströme in und von Universitätsstädten oder bei der Arbeitsmigranten beobachten. Sowohl bei der Arbeitsmigration von Südeuropa nach Nord- und Südamerika, wie auch von der Wanderung türkischer Arbeiter nach Deutschland konnte und kann man eine erhebliche Rückwanderung beobachten. Hier will man wissen, welcher Anteil der Wanderungen tatsächlich zu einer dauerhaften Bevölkerungsverschiebung gefuhrt hat.
2.6.3
Migrationstafeln und kumulative Migrationsmaße
Analog zu Mortalitäts-, Nuptialitäts-, oder Fekunditätstafeln kann man Migrationstafeln aufstellen, die das Abschmelzen einer Radix vom gewählten Ausgangsalter der realen oder fiktiven Kohorte aus im Lauf der Jahre beschreiben, wobei es, anders als bei Mortalitätstafeln, aber analog zu Nuptialitätstafeln und Fekunditätstafeln, einen Restbestand von Individuen gibt, der das Ereignis - hier ein Wegzug - nie erlebt, also gegen das Migrationsrisiko immun ist. Es ist offensichtlich, daß solche Migrationstafeln nur aus einem vollständigen Satz von altersspezifischen Expositions-Raten (also Binnenwanderungs- oder Auswanderungsraten bezüglich eines betrachteten Gebietes) berechnet werden können. Man kann in Analogie zu den kumulativen Fruchtbarkeitsraten auch kumulierte Wanderungsrisiken erfassen und hierzu die mittlere Verweildauer berechnen. Oder aber man summiert die altersspezifischen Wanderungsraten über die geeigneten Abschnitte auf und bildet analog komplette (in Kohortenbetrachtung) oder totale (Periodenbetrachtung) Wanderungsraten über bestimmte Lebensabschnitte oder das ganze Leben. Da sich nach Ausbildung, Beruf und anderen, sozioökonomischen Merkmalen unterschiedene Bevölkerungsgruppen in ihrem absoluten Wanderungsrisiko und seiner Altersverteilung ganz erheblich unterscheiden, wird man sich beim Aufstellen mittlerer Verweildauern von Wanderungen, be-
2.6
EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
179
ziehungsweise bei den verwendeten kumulativen Wanderungsmaßen auf entsprechend ihrem globalen Wanderungsrisiko nach homogene Teilbevölkerungen begrenzen. Im internationalen Vergleich mögen Verweildauer- oder Kumulationsdurchschnitte auch für Gesamtbevölkerungen aufschlußreich sein. Wilber (1963) etwa berechnete für die US-amerikanische Gesamtbevölkerung eine (beschränkt auf County-Grenzen überschreitende Wanderungen) totale Migrationsrate von 4000 pro 1000 Personen in einer durchschnittlichen Lebenslage. Die Zahl dürfte heute allerdings niedriger liegen (Rogerson 1987). Analog aber den Brutto-Kumulations-Maßen und den einfachen Tafelmethoden bei der Messung von Nuptialität und Fekundität wird die Brauchbarkeit dieser Meßverfahren auch bei der Migrationsforschung durch das Außerachtlassen der Möglichkeit von Mehrfachereignissen, die in einen einmal verlassenen Zustand wieder zurückfuhren können, ebenso wie des konkurrierenden Risikos der Sterblichkeit ganz erheblich eingeschränkt. Eine Lösung des ersten Problems wird im folgenden Kapitel gegeben, das Problem des konkurrierenden Risikos der Sterblichkeit wird in Kapitel 2.8 behandelt.
2.6.4
Multidimensionale Wanderungsmaße
Interessiert man sich nun für den Einfluß von Zu- und Abwanderungen auf ein einziges Gebiet, so sind die eindimensionalen = skalaren Wanderungsmaße ausreichend. Häufig interessiert man sich jedoch für Wanderungsströme zwischen mehreren Gebieten, hier sind multidimensionale Maße gefordert. Kartographische Verfahren können eine große Menge einzelner Informationen simultan übermitteln - etwa die Darstellung kleinräumiger Wanderungssalden wie in Abbildung 2.6.3. Bei einer solchen Darstellung muß man entweder die Bruttowanderung oder die Nettowanderung unberücksichtigt lassen, außerdem lassen sich die tatsächlichen Wanderungsströme vielleicht in ihrer unterschiedlichen Stärke durch unterschiedlich dicke Pfeile markieren, etwa wie in Abbildung 2.6.4, doch sind der Übermittlung quantitativer Informationen durch diese Darstellungsform naturgemäß enge Grenzen gesetzt. Eine Möglichkeit, die räumliche Gerichtetheit der Wanderungsströme innerhalb eines Gebietes durch einige wenige Maßzahlen zu erfassen, be
180
2
EREIGNISMAßE
Abbildung 2.6.3: Wanderungssalden der Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 30 Jahren in den Raumordnungsregionen in der Bundesrepublik Deutschland 1981-1985.
& unter -50 % o Y / A
-50 bis unier -25 mittlere Werte
[
;, j
H H
25 bis unter 50 50 und mehr % o
Grenze der Raumordnungsregionen Grenze der Teilräume der Raumordnungsregionen
Quelle: Bahr und Gans 1988, 83. steht darin, alle Wanderungsströme zwischen den Teilgebieten als Vektoren aufzufassen und den resultierenden Brutto- oder Nettovektor aller Einzelvektoren am Bevölkerungsschwerpunkt des betrachteten Gebiets (1.7.2.1) ansetzen zu lassen (Tarver; Gurley; Skees 1967). Auch hier ist, so interessant das Verfolgen eines solchen Vektors durch vergangene Jahrzehnte hindurch sein mag, die Aussagekraft dieses Maßes zum Ver-
2.6 EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
181
Abbildung 2.6.4: Flüchtlingsströme in Afrika 1985/86.
UGANDA
ALGERIA
WESTERN SAHARA /
EGYPT
NIGER SENEGAL
y CHAO
SUDAN
. 7
ETHIOPIA
NIGERIA I CAMEROON
'CENTRAL AFRICAN REPUBLIC
r
V"'V
KENYA ZAIRE
•TANZANIA
ZAHL DER FLÜCHTLINGE
4 I B
ANGOLA
250 001 - 500 000 100001-250000
NAMIBIA f
J
BOTSWANA
50001-100000 10001- 50000
SOUTH AFRICA
«10000 Quelle: Kliot 1987,117. ständnis gegenwärtiger und der Vorhersage zukünftiger Entwicklungen gering. Das überlegene Maß zur Erfassung der Wanderungsströme zwischen den Untergliedeningen eines betrachteten Gebietes ist die Aufstellung einer Projektions-Matrix (zu diesem Begriff Kapitel 2.3.3; Beispiele realer Wanderungsmatrizen in Wils 1993) von Wanderungswahrscheinlichkeiten zwischen den einzelnen Gebieten.
182
2
EREIGNISMAßE
Beispielsweise habe ein Gebiet η Teilgebiete mit Bevölkerungszahlen Z¡, zu einem bestimmten Zeitpunkt t und den Wanderungsströmen Z¡j in dem Zeitraum (t,t+l). Die nicht oder nur innerhalb ihres Teilgebietes Umgezogenen werden mit Zu bezeichnet. Der Zeitraum sei so kurz bemessen, daß Mehrfachwanderungen während dessen sehr selten sind und vernachlässigt werden können. Man kann dann sowohl in absoluten wie in relativen Größen die Wanderungsströme in dem betrachteten Gebiet vollständig durch je eine Matrix beschreiben. Tabelle 2.6.5 gibt ein einfaches Zahlenbeispiel. Tabelle 2.6.5: Beispiel einer Matrix von Wanderungsströmen: absolute Zahlen. Ein Gebiet mit den Teilgebieten a¡ mit i=l,2,3,4 habe zum Zeitpunkt die Bevölkerungszahlen z\ = 40 000, z2 = 20 000, z 3 = 20 000, Z4 = 10 000. Im Zeitraum ti wandern von a¡ nach aj, beziehungsweise verbleiben in ai, in absoluten Zahlen nach
ai
a2
a3
von ai a2 a3 34
36 000 500 2 000 3 000
2 000 18 000 1 000 200
1 000 500 16 000 500
1 000 1 000 1 000 9 000
40 000 20 000 20 000 10 000
Total
38 800
21 200
18 000
12 000
90 000
a4
Die Zeilensummen bilanzieren den Ausgangszustand t, die Spaltensummen den Zustand zum Zeitpunkt t+1. Weiter könnte man nun die absoluten Wanderungsströme als Anteil an der Gesamtpopulation ausdrücken, also die einzelnen Elemente der Matrix durch die Zahl 90000 teilen und dann berechnen, welcher Anteil der Gesamtbevölkerung im Beobachtungszeitraum von ai nach aj wanderte. Dieses Vorgehen hätte jedoch den entscheidenden Nachteil, daß man damit keine Risikoexpositionen mehr vor sich hätte - nur der Teil der Bevölkerung, der zum Zeitpunkt t beispielsweise in a2 sitzt, ist dem Risiko der Wanderungen von nach ai, a2, a3 und a4 im Zeitraum (t,t+l) ausgesetzt. Man wählt deshalb stattdessen einen anderen Ansatz, welcher von echten Risikoexpositionen ausgeht und überdies den Vorteil hat, einem ein mathematisches Instrument von großer Leistungskraft in die Hand zu ge-
2.6
EREIGNISMAßE VON WANDERUNGEN
183
ben: Man berechnet die Übergangswahrscheinlichkeiten jeweils bezogen auf die Ausgangsbevölkerung der Teilpopulationen (Tabelle 2.6.6). Tabelle 2.6.6: Beispiel einer Matrix von Wanderungsströmen: Übergangswahrscheinlichkeiten. Im Zeitraum ti wandern von a, nach aj, beziehungsweise verbleiben in ai, nach Anteilen pij der Teilpopulationen nach 31
32
33
34
.9 .025 .1 .03
.05 .9 .05 .02
.025 .025
.025 .05 .05 .9
von ai a2 a3 34
.8
.05
IPij j 1 1 1 1
Man kann nun zwei Annahmen machen: 1. daß die Wanderungsrisiken für jedes Teilgebiet und jede Richtung über den betrachteten und auch noch einige weitere Zeiträume gleich bleiben; 2. daß die Wanderungsrisiken von der Verteilung der Einwohnerzahlen auf die Teilgebiete a¡ unabhängig sind. Für reale, hinreichend groß gewählte Bevölkerungen, in denen die jährlichen Wanderungsrisiken ja meist unter denen des gewählten Zahlenbeispiels in Tabelle 2.6.5 liegen werden, und für einen Zeitraum von etwa 5 Jahren sind diese beiden Annahmen nicht von vorneherein unvernünftig. Empirische Untersuchungen haben auch für sehr mobile Gesellschaften eine relative Stabilität der Wanderungswahrscheinlichkeiten zwischen Regionen nachgewiesen. Die drei US-Bundesstaaten etwa, die im Jahrzehnt 1980-89 die meisten Binnenmigranten anzogen - California, Florida, Texas - taten dies auch in den vorhergehenden Dekaden (Smith 1992, 287). Mit diesen Annahmen hat man die Projektions-Matrix der Wanderungswahrscheinlichkeiten als eine Markov-Matrix definiert, mit der damit die Wanderungsströme der betrachteten Bevölkerung als Markov-Prozeß modelliert werden. Bezogen auf unser Modell besteht ein Markov-Prozeß, grob gesprochen, aus folgenden Elementen:
184
2
EREIGNISMAßE
1. Eine Population, auf k Zustände z¡ verteilt dergestalt, daß jedes Element sich zu jedem Zeitpunkt in einem und genau einem Teilzustand z¡ befindet - hier in einer der Teilbevölkerungen. Die Besetzung der Teilzustände wird in Anteilen zwischen 0 und 1 gemessen, die in der Summe 1 ergeben. Diese Besetzung der Teilmengen wird auch als Zustandsvektor bezeichnet. z-(zl7
z 2 , ... z k )
mit 2 z i - 1
(2·6·9)
2. Eine Matrix H von Übergangswahrscheinlichkeiten p¡j, die angeben, mit welchen Wahrscheinlichkeiten sich ein Element, welches sich zum Zeitpunkt t im Zustand i befindet, sich zum Zeitpunkt t+1 in den Zuständen zi, Ζ2 ... Zk befinden wird. Es wird unterstellt - wie erwähnt - daß diese Matrix H weder eine Funktion von ζ noch von t ist. Man hat damit einen zeitinvarianten, diskreten Markov-Prozeß definiert, in dem der Zustandsvektor ζ - der die Verteilung der gesamten Population auf ihre Teilmengen beschreibt - zu jedem Zeitpunkt t durch den Zustandsvektor zu irgendeinem anderen - früheren oder späteren - Zeitpunkt t' und der Matrix Η von Übergangswahrscheinlichkeiten vollständig determiniert ist und auch einfach berechnet werden kann. Mit dem Zustandsvektor z(t) und der Matrix Η aus Tabelle 2.6.6 ergeben sich zu den Zeitpunkten t+1, t+2, t+3 ... folgende Zustandsvektoren: z(t) z(t+l) z(t+2) z(t+3) z(t+4)
40000 38800 37610 36464.9 35386.50
20000 21200 22160 22924.1 23528.58
20000 18000 16500 15380.75 14550.84
10000 12000 13730 15230.25 16534.09
z(t+20)
27587.88
24259.45
12942.16
24510.52
z*
26724.89
24890.83
12838.43
25545.85
Es fallt auf, daß die Abweichungen der Zustandsvektoren mit voranschreitender Zeit geringer werden: die räumliche Verteilung der Population wird trotz unveränderter relativer Wanderungsströme stabil bei z*. Nicht alle Markovprozesse fuhren zu einem zeitinvarianten Zustandsvektor bei zeitlich unbegrenzt weiterlaufenden Wanderungsströmen. Eine hierfür not-
2.6
EREIGNISMABE VON WANDERUNGEN
185
wendige Bedingung ist, daß jeder mögliche Zustand von jedem möglichen Zustand aus in derselben Anzahl von Schritten direkt erreicht werden kann, so wie in unserem Beispiel jeder Zustand z¡ von jedem anderen Zustand Zj in einem Schritt erreicht werden kann. Diese Eigenschaft des durch die Matrix H beschriebenen Markovprozesses ist gleichbedeutend damit, daß H primitiv ist (dieses Ergebnis ist eine Anwendung des PerronFrobenius Theorems auf Markov-Prozesse; dazu Anhang 2). Für ein nicht zu langes Zeitintervall können, in dem Maße, wie die Modellannahmen erfüllt sind, die Wanderungsströme eines Gebietes in brauchbarer Annäherung durch die Matrix H von Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Teilgebieten der betrachteten Gliederungshilfe und durch einen Zustandsvektor ζ zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitintervalls beschrieben werden. Es können weiterhin sowohl die Annahme der Zeitinvarianz der Übergangsraten aufgegeben wie auch der Prozeß in kontinuierlicher Zeit modelliert werden. Ein wichtiger Hinweis: es handelt sich bei den Elementen der in Tabelle 2.6.5 angegebenen Matrix um Übergangswahrscheinlichkeiten, die im Verlauf des Intervalls (t,t+l) sich manifestierende Risiken auf die Teilbevölkerung zum Zeitpunkt t und nicht zum Zeitpunkt t+0.5 beziehen; mit anderen Worten: es handelt sich bei den Elementen einer Markov-Matrix nicht um diskret-zeitliche Expositions-Raten, sondern um diskret-zeitliche Übergangswahrscheinlichkeiten (vergleiche dazu (2.3.1) und (2.3.16)). Unbefriedigend ist natürlich bei diesem bislang vorgestellten Modell von Wanderungen zwischen einer Mehrzahl von Teilgebieten, deren Maßzahlen Zustandsvektoren und die Markov-Matrix von Übergangswahrscheinlichkeiten sind, daß damit eine unsterbliche und zugleich stationäre Bevölkerung unterstellt wird. Bestenfalls könnte man von außen dem Prozeß ein zahlenmäßiges Wachstum hinzufugen, also dekretieren, daß die betrachtete Bevölkerung im Intervall (t,t+l) z.B. um 2% zunehme - dies bezöge sich aber dann gleichmäßig auf alle Individuen dieser Bevölkerung. Die Modellierung der Altersabhängigkeit des Migrationsrisikos, sowie die Modellierung der alters- wie gegebenenfalls teilgebietsabhängigen Mortalität als alternatives Risiko ist hier noch nicht geleistet, kann aber, wie der Leser in Kapitel 2.8 über multidimensionale Ereignismessung erfahren kann, im Rahmen des allgemeinen Modells Markov-Prozeß durchaus geleistet werden.
186
2 EREIGNISMAßE
2.7
Ereignismaße von Gesundheitsstörungen
2.7.1
Ereignismaße
Die wichtigsten Ereignismaße von Gesundheitsstörungen = Ereignismaße der Morbidität sind die Inzidenz, die spezifische Mortalität, und die Letalität. Alle diese Maße müssen für Vergleiche altersstandardisiert werden. Die Inzidenz ζ ist die - üblicherweise auf ein Jahr bezogene - ExpositionsRate der Neuerkrankungen an einer bestimmten Krankheit oder Krankheitsgruppe:
Inzidenz ζ t t + n
Et =—•— p
(2.7.1)
4„
Die spezifische Mortalität m(s) ist die Rate der Sterblichkeit an einer bestimmten Krankheit in der Gesamtbevölkerung: d s M ( )t,t+n ( ) t ,t + n — »P t+i„
m s
x + n + T x + n
e
x
durchschnittliche restliche Lebensjahre derjenigen, die bis zum exakten Alter χ überlebt haben Tx 1
X
Es gebe nun genau k einander ausschließende Möglichkeiten j, aus der Zahl der Überlebenden der Tafel auszuscheiden. Praktischerweise ist eine Residualkategorie "sonstiges Ausscheiden" vorzusehen. Wir haben dann: 1. die spezifische Gestorbenenzahl für Ursache j im Intervall (χ,χ+η) mit
k 2 d ( j ) χ,χ+η ~ d χ,χ+η j
(2.8.1)
2.8
MULTTDIMENSIONALE EREIGNISMAßE
207
2. die spezifische Überlebendenzahl l(j) fur Ursache j wird aus der spezifischen und der totalen Gestorbenenzahl zurückgerechnet, da es im allgemeinen niemandem bei der Geburt anzusehen ist, woran dieses Individuum dereinst sterben wird:
l(j)o -1» ·
yd ¿ j y.y+">
. y = 0,n,2n ...
(2.8.2)
y
Diese Zahl ist hier also auch bei Generationensterbetafeln eine abgeleitete Größe. 3. Die spezifische Sterbewahrscheinlichkeit für Ursache j im Intervall ist: • q(j)x,x + n
x,x+n ρ 1 χ
» (2.8.3)
4. Die Anzahl der Lebensjahre im Intervall, die von den bis zum exakten Alter χ Überlebenden der Teilkohorte l(j)x erlebt werden, ist L(jU„-n(l(j)x-id(j)x,x+n)
(2.8.4)
im konventionellen linearen Modell. Wie bei der einfachen Sterbetafel kann die Überlebensfunktion im Intervall auch noch mit anderen Modellen geschätzt werden (Kapitel 2.3). 5. Die Gesamtzahl der Lebensjahre, die die bis zum exakten Alter χ Überlebenden l(j)x in allen noch folgenden Intervallen noch erleben werden, ist T(j) χ - L(j) x>x+n + T(j) x + n
(2.8.5)
6. Die durchschnittliche todesursachenspezifische Lebenserwartung ist e(j)x
T(j)x l(j)x
(2.8.6)
und kann hier besser gedeutet werden als die restliche Lebenserwartung einer Person im Alter x, falls diese Person an der spezifischen Ursache j sterben wird.
208
2 EREIGNISMAßE
Mittels L(j)x )x +n kann man direkt die altersspezifische Sterberate fur die Ursache j bestimmen: d(j)X(X+n m(j)x,x+n - 7 7 7 ; M.J/ x,x+n
(2·8·7)
Als Beispiel wählen wir die ursachenspezifische Perioden-Sterbetafel des Jahres 1985 für weiße US-amerikanische Männer (Tabellen 2.8.2, 2.8.3, 2.8.4, 2.8.5) die nach vier Todesursachen spezifiziert (nach Namboodiri 1991,114ff).
Tabelle 2.8.2: Absolute Zahl der Gestorbenen nach Ursachen: weiße US Männer 1985. Gestorbene: Altersgruppe
(0,1) (1,5) (5,10) (10,15) (15,20) (20,25) (25,30) (30,35) (35,40) (40,45) (45,50) (50,55) (55,60) (60,65) (65,70) (70,75) (75,80) (80,85) (85-)
Bevölkerung insgesamt insgesamt Malignóme (in 1,000) 1,561 5,937 6,990 7,099 7,747 8,817 9,251 8,636 7,608 6,023 4,946 4,638 4,773 4,583 3,822 2,902 1,926 1,051 695
16,218 3,111 1,815 2,400 8,807 13,775 14,005 14,097 15,429 17,478 22,707 35,640 60,582 90,456 114,175 135,744 137,460 115,596 130,583
Quelle: Namboodiri 1991, 114.
48 260 293 265 447 635 946 1,374 2,094 3,296 5,465 9,986 18,853 28,716 34,528 36,824 32,213 21,972 16,850
Kreislauf
Unfälle
alle anderen Ursachen
469 130 60 91 244 415 749 1,344 2,910 5,292 8,726 15,295 26,647 41,017 53,835 66,613 70,152 62,613 76,059
414 1,457 995 1,586 7,317 11,428 10,041 8,101 6,377 4,908 3,897 3,652 4,171 3,962 3,523 3,556 3,471 2,760 2,801
15,287 1,264 467 458 799 1,297 2,269 3,278 4,048 3,982 4,619 6,707 10,911 16,761 22,289 28,751 31,624 28,251 34,873
2.8 MULTIDIMENSIONALE EREIGNISMAßE
209
Tabelle 2.8.2 enthält die Rohdaten des Jahres 1985. Tabelle 2.8.3 gibt für jede Altersgruppe die relative Verteilung der Todesfalle auf die vier Ursachengruppen wieder. Tabelle 2.8.4 gibt die Tafelfunktionen qXjX+Ib l x , dx,x+n und dQ^x+n wieder. Tabelle 2.8.5 gibt schließlich die Tafelfunktionen l x und l(j)x wieder.
Tabelle 2.8.3: Relative Zahl der Gestorbenen nach Ursachen: weiße US Männer 1985. Gestorbene: Altersgruppe (0,1) (1,5) (5,10) (10,15) (15,20) (20,25) (25,30) (30,35) (35,40) (40,55) (45,50) (50,55) (55,60) (60,65) (65,70) (70,75) (75,80) (80,85) (85-)
insgesamt 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00 1.00
Malignóme Kreislauf
Unfälle
alle anderen Ursachen
0.0029597 0.0835744 0.1614325 0.1104167 0.0507551 0.0460980 0.0675473 0.0974675 0.1357185 0.1885799 0.2406747 0.2801908 0.3111980 0.3174582 0.3024130 0.2712753 0.2343445 0.1900758 0.1290367
0.0255272 0.4683382 0.5482094 0.6608333 0.8308164 0.8296189 0.7169582 0.5746613 0.4133126 0.2808012 0.1716211 0.1024691 0.0688488 0.0438003 0.0308561 0.0261964 0.0252510 0.0238763 0.0214500
0.9425946 0.4063002 0.2573003 0.1908333 0.0907233 0.0941561 0.1620136 0.2325317 0.2623631 0.2278293 0.2034174 0.1881874 0.1801030 0.1852945 0.1952179 0.2118031 0.2300597 0.2443943 0.2670562
0.0289185 0.0417872 0.0330579 0.0379167 0.0277052 0.0301270 0.0534809 0.0953394 0.1886059 0.3027806 0.3842868 0.4291526 0.4398501 0.4534470 0.4715130 0.4907252 0.5103448 0.5416537 0.5824571
Quelle: Namboodiri 1991, 115. Bei der Aufstellung dieser Tabellen wurde so verfahren: zunächst wurden die allgemeinen altersspezifischen Sterberaten m x x + n aufgrund der absoluten Todeszahlen und der Bevölkerung in den Altersklassen zur Jahresmitte geschätzt. Nach einem speziellen Schätzer, der auf Chiangs (dazu Ende Kapitel 2.3) Methode beruhte, wurden die allgemeinen altersspezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten qXjX+n berechnet. Aufgrund von Tabelle 2.8.2 und der Aufteilung der Todesfälle nach Ursache in den einzelnen
210
2 EREIGNISMAßE
Altersgruppen in Tabelle 2.8.3 wurden dann die Sterbetafeln 2.8.4 und 2.8.5 erstellt.
Tabelle 2.8.4: Sterbetafel nach Ursachen: weiße US Männer 1985. Gestorbene: Altersgruppe
Sterbewahrscheinlichkeit im Intervall
Oberlebende
Ίχ,χ+η
Ix
insgesamt
Malignome
Kreislauf
Unfälle
alle anderen Ursachen
d(j)x,x+n
dx,x+n
(0,1)
0.0102963
100,000
1,030
3
30
26
971
(1,5)
0.0020935
98,970
207
17
9
97
84
(5,10)
0.0012974
98,763
128
21
4
70
33
(10,15)
0.0016892
98,635
167
18
6
110
32
(15,20)
0.0056696
98,468
558
28
15
464
51
(20,25)
0.0077813
97,910
762
35
23
632
72
(25,30)
0.0075402
97,148
733
50
39
525
119
(30,35)
0.0081297
96,416
784
76
75
451
182
(35,40)
0.0100924
95,632
965
131
182
399
253
(40,45)
0.0144126
94,667
1,364
257
413
383
311
(45,50)
0.0227125
93,302
2,119
510
814
364
431
(50,55)
0.0377473
91,183
3,442
964
1,477
353
648
(55,60)
0.0616213
87,741
5,407
1,683
2,378
372
974
(60,65)
0.0942409
82,334
7,759
2,463
3,518
340
1,438
(65,70)
0.1392760
74,575
10,387
3,141
4,897
321
2,028
(70,75)
0.2097450
64,189
13,463
3,652
6,607
353
2,851
(75,80)
0.3024560
50,726
15,342
3,595
7,830
387
3,530
(80,85)
0.3024560
35,383
15,125
2,875
8,193
361
3,696
(85,-)
1.0000000
20,258
20,258
2,614
11,800
434
5,410
Quelle: Namboodiri 1991, 117.
2.8
MULTTDIMENSIONALE EREIGNISMAßE
211
Tabelle 2.8.5: Überlebende nach zukünftigen Todesursachen: weiße US Männer 1985. Überlebende: Altersgruppe insgesamt Ix
0 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85
100,000.00 98,970.37 98,763.17 98,635.04 98,468.42 97,910.14 97,148.27 96,415.75 95,631.92 94,666.76 93,302.37 91,183.25 87,741.32 82,334.59 74,575.30 64,188.75 50,725.48 35,383.27 20,258.35
Malignóme l(j)x
22,134.89 22,131.84 22,114.53 22,093.84 22,075.45 22,04711. 22,011.99 21,962.51 21,886.11 21,755.12 21,497.83 20,987.80 20,023.41 18,340.84 15,877.60 12,736.57 9,084.32 5,488.95 2,614.07
Kreislauf l(j)x
48,310.57 48,280.79 48,272.13 48,267.90 48,261.58 48,246.11 48,223.16 48,183.98 48,109.25 47,927.22 47,514.11 46,699.76 45,222.64 42,844.49 39,326.07 34,428.67 27,821.91 19,992.09 11,799.62
Unftlle lG)x
6,441.97 6,415.68 6,318.65 6,248.40 6,138.29 5,674.47 5,042.41 4,517.22 4,066.78 3,667.87 3,284.74 2,921.05 2,568.36 2,196.11 1,856.25 1,535.76 1,183.07 795.67 434.54
alle anderen Ursachen l(j)x
23,112.58 22,142.05 22,057.87 22,024.90 21,993.10 21,942.45 21,870.72 21,752.04 21,569.77 21,316.55 21,005.70 20,573.64 19,926.91 18,953.14 17,515.39 15.487.75 12,636.19 9,106.56 5,410.12
Quelle: Namboodiri 1991, 116.
2.8.2
Multi-Status-Tafeln
Dieser multidimensionale Tafeltyp bietet gegenüber der Multi-Exit-Tafel einige zusätzliche Schwierigkeiten, so daß wir mit einem einfachen Zahlenbeispiel beginnen, dann eine Heirats- und eine Migrationstafel, die beide auf realen Daten beruhen, wiedergeben, und dann erst den allgemeinen Fall darstellen werden. Ein einfaches Zahlenbeispiel Wir denken uns eine Multi-Status-Heiratstafel für nur ein Geschlecht (Frauen oder Männer) aus. Wir betrachten eine Kohorte von 10.000 Frau-
212
2 EREIGNISMAßE
en und unterstellen, daß jeweils exakt zum 20., 40., 60., 80. und 100. Geburtstag genau ein Statusübergang stattfindet, und zwar entweder von unverheiratet (u) zu verheiratet (m), von unverheiratet zu tot (d), von verheiratet zu unverheiratet, oder von verheiratet zu tot. Vor dem 20. Geburtstag sei keine Frau verheiratet. Die Übergangswahrscheinlichkeiten seien realistisch gewählt: die Heiratswahrscheinlichkeit soll mit dem Alter ab, die Eheauflösungswahrscheinlichkeit (durch Tod der Partner) zunehmen, die Sterblichkeit Verheirateter soll etwas geringer als die Unverheirateter sein. Kompakt können wir diese Übergangswahrscheinlichkeiten als Matrix schreiben wie in Tabelle (2.8.6) Die Matrix G in Tabelle 2.8.6 ist so zu lesen: die Übergangswahrscheinlichkeit von Zustand i nach Zustand j findet sich in Position gij . Von 100 unverheirateten Frauen im Alter 40 beispielsweise werden 20 Jahre später 40 unverheiratet sein, 30 werden verheiratet, und 30 werden verstorben sein. Wenden wir nun die Gleichung z(n)-z(0)Gk
(2.8.8)
an, wobei z(i):
z(0) - ( l(u)0l(m)0l(d)0 0 «(20) - ( 0 l(u)20l(m)20l(d)20 ... «O««)-(
0
0
-
0 0
) )
l(u)100l(m)100l(d)100) )
der Vektor der Besetzung der jeweiligen Altersklasse ist und für n=20 => k=l; n=40 => k=2; n=60 k=3; n=80 => k=4; n=100 => k=5 vereinbart wird. Wir erhalten dann eine Multi-Status-Heiratstafel für unsere imaginäre Kohorte, wie in Tabelle 2.8.7: Wir können noch mehr mit Gleichung (2.8.8) berechnen: wir können für alle denkbaren Lebensläufe die Zahl der Frauen berechnen, die diese durchlaufen haben (Tabelle 2.8.8).
2.8
Ρ Τ3
MULTTDIMENSIONALE EREIGNISMAßE
213
o
§
o
o
o
o
o
o
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ό II
O
214
2
EREIGNISMAßE
Tabelle 2.8.7: Fiktive Multi-Status-Heiratstafel aufgrund der Übergangswahrscheinlichkeiten in Tabelle 2.8.6.
Alter
q(u)x.x+n
q(m)x,x +n
d(m)xx+n
0
.2
10 000
0
2 000
0
20
.2
.1
4 000
4 000
800
400
40
.3
.2
2 000
4 800
600
960
60
.4
.3
1 760
3 480
704
1 044
1 924
1 568
1 924
1 568
0
0
80
1
0
d(u)x,x+„
l(m)x
Ku)x
1
100
Tabelle 2.8.8: Lebensläufe einer fiktiven Kohorte von 10 000 Frauen aufgrund der Übergangswahrscheinlichkeiten in Tabelle 2.8.6. Sequenztypus ¿20 "20^40 Π120