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German Pages 255 [256] Year 1977
Mensch und Organisation 2 herausgegeben von W. H. Staehle
Helmut Schlicksupp
Kreative Ideenfindung in der Unternehmung Methoden und Modelle
w DE
G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1977
Dr. rer. pol. Helmut Schlicksupp Mitarbeiter am Batteile-Institut e.V., Frankfurt am Main Mit 79 Abbildungen im Text
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Schlicksupp , Helmut Kreative Ideenfindung in der Unternehmung : Methoden u. Modelle. - 1. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1977. (Mensch und Organisation ; 2) ISBN 3-11-006809-5
© Copyright 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit 8c Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Fotosatz Tutte, Salzweg-Passau. Druck: Karl Gerike, Berlin. Bindearbeiten: Lüdenitz Sc Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin.
Geleitwort
Die verstärkte methodische Analyse von Problemen in den wenig quantifizierbaren Bereichen der Betriebswirtschaften einerseits sowie Fragen bei der Entscheidungsvorbereitung und -findung in kleinen Gruppen hatten u. a. zu einer intensiven Beschäftigung mit der Ideen findung und -beurteilung geführt. Die Abhandlungen, die zu diesem Themenbereich in den letzten 10 Jahren erschienen sind, kranken zum großen Teil an einer fehlenden oder unzureichenden theoretischen Fundierung und/oder an fehlenden empirischen Belegen über Einsatz und Effizienz. Der hier vorgelegte 2. Band der Schriftenreihe „Mensch und Organisation" versucht, beide Mängel zu überwinden und darüber hinaus dem Praktiker situativ relativierte Anwendungsempfehlungen zu geben. Als langjähriger Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt über „Methoden und Organisation der Ideenfindung" am Batteile-Institut, Frankfurt/M., ist der Verfasser hierfür besonders qualifiziert. Die Arbeit gliedert sich in drei große Bereiche. Nach einem einführenden Kapitel, in dem die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung über die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung referiert und darüber hinaus mögliche Gründe für die relativ geringe Verbreitung dieser Methoden diskutiert werden, wird eine differenzierte Analyse von Problementstehung und -aufbau geliefert. Im zweiten großen Bereich werden die Grundmethoden der Ideenfindung (Morphologischer Kasten, Brainstorming und Synektik) sowie vielversprechende Weiterentwicklungen dieser Methoden vorgestellt. Die methodischen Varianten, die im Anschluß an die Darstellung der Grundmethoden entwickelt werden, stellen eine problemorientierte Bereicherung des Instrumentariums dar, die aufgrund der praxisnahen Konzipierung in vielen Unternehmen das besondere Interesse der Innovationsabteilungen finden werden. Aus der Erkenntnis heraus, daß das Wissen über Kreativitätstechniken allein keinesfalls zur erfolgreichen Anwendung und damit Steigerung der Problemlösungsfähigkeit führt, werden im letzten Bereich der Arbeit Aussagen über den Problemloser (Individuum oder Gruppe) und die Organisation des Problemlösens gemacht. Die Arbeit profitiert im besonderen M a ß e von diesem logischen Aufbau, der aber keineswegs zu einer formalistisch-abstrakten Darstellungsweise führt, sondern durch die Fülle der praktischen Beispiele zu einer äußerst anschaulichen und damit anregenden Lektüre verhilft. Auch der intime Kenner der Materie wird in dieser Arbeit viele, teilweise originelle Anregungen finden. Die Arbeit stellt ein überzeugendes Plädoyer für die verstärkte Verwendung von neuen Methoden der Ideenfindung und Problemlösung in Organisationen aller Art dar. Obwohl die Praxis verstärkt Forderungen nach permanenter Selbsterneuerung (Innovation) stellt und nach Methoden der Ideenfindung und -beurteilung sucht, überrascht dennoch die geringe Verbreitung der Methoden sowie vor allem das Feh-
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Geleitwort
len von entsprechenden institutionellen und organisatorischen Vorkehrungen zur erfolgreichen Anwendung der Verfahren. Der Verfasser führt die Diskrepanz zwischen artikuliertem Bedürfnis an Innovation sowie an diese unterstützenden Methoden und die ganz offensichtliche Zurückhaltung bei ihrer Anwendung und Einführung auf individualistische Normen in unserer Leistungsgesellschaft zurück, welche personengebundenen Leistungs- und Erfolgsnachweis als Grundlage für die individuelle Karriere fordert und zum andern zu einer Isolation in der Arbeitswelt führt, die einem produktiven Miteinander diametral entgegensteht. Darmstadt, im Frühjahr 1 9 7 6
Prof. Dr. Wolfgang H. Staehle
Vorwort
Etwa gegen Ende der 60er Jahre befaßten sich die deutschsprachigen Wirtschaftsmagazine verstärkt mit dem Phänomen der Kreativität und kreativitätsfördernden M e thoden, den sogenannten Methoden der Ideenfindung. Erörtert und untersucht wurden die Möglichkeiten für Unternehmungen, durch eine systematische Erschließung ihrer Kreativitätsreserven das Problemlösungsvermögen zu erhöhen und dadurch ihre Wettbewerbspositionen zu verbessern. Da aber die Verfahren der Ideenfindung und Kreativitätssteigerung nahezu generell ohne fundierte sachlich-inhaltliche Anwendungsempfehlungen vorgestellt wurden, blieb man in der Praxis reichlich verunsichert darüber, unter welchen äußeren Bedingungen und bei welchen Aufgabenstellungen eine effiziente Umsetzung vorgenommen werden konnte. Hinzu kam, daß Fehlschläge und Mißerfolge aus mangelhafter Erfahrung die Brauchbarkeit des Instrumentariums wieder in Frage stellten. Aus diesem Grunde gerieten die Methoden der Ideenfindung bald in ein Zwielicht von Erfolgsversprechungen einerseits und empfundener praktischer Sinnlosigkeit andererseits. Diese Situation war dem Battelle-Institut e . V . , Frankfurt, Anlaß, auf der Basis einer breit angelegten Untersuchung die Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung der Methoden der Ideenfindung in Unternehmungen der Wirtschaft zu überprüfen. Die Konzeption des Projektes erfolgte im Frühjahr 1 9 7 0 und sah die Form der Gruppenuntersuchung vor, d. h. eine gemeinsame Finanzierung durch mehrere Unternehmungen. Im Sommer 1 9 7 2 wurde der Untersuchungsbericht mit dem Titel „ M e t h o den und Organisation der Ideenfindung" etwa 9 0 Unternehmungen verschiedenster Branchen mit Sitz in der B R D , Schweiz, Niederlande, Dänemark, Finnland und Schweden ausgehändigt [3], Die inhaltlichen Schwerpunkte der Forschungsarbeiten waren — die Schaffung eines systematischen Überblicks über international verbreitete M e thoden der Ideenfindung, -
der experimentelle Nachweis optimaler, der Praxis entsprechender Anwendungs-
-
der Versuch der Zuordnung verschiedener Methoden auf ihnen entsprechende
bedingungen, Aufgabenstellungen, -
die Möglichkeiten der Verkettung mehrerer Methoden der Ideenfindung zu komplexen Problemlösungsprozessen,
— die Weiter- und Neuentwicklung von Methoden, — Fragen zur Einführung der Ideenfindung in eine Unternehmung. Seit 1 9 7 2 setzte das Battelle-Institut seine Arbeiten auf dem Gebiet „Ideenfindung" überwiegend mit inner- und außerbetrieblichen Seminarveranstaltungen sowie mit
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Vorwort
der beauftragten Organisation und Durchführung von Problemlösungskonferenzen fort. Das vorliegende Buch wurde in wesentlichen Punkten von den eben erwähnten Arbeiten des Battelle-Instituts angeregt, bei dem der Verfasser seit Anfang 1970 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Auch hier stehen im Mittelpunkt die Methoden der Ideenfindung, wobei versucht wurde, den Blickwinkel auf Problemlösungsprozesse allgemein zu erweitern. Die Methoden der Ideenfindung sollen auf diese Weise als Instrumentarium zur effizienten Bewältigung bestimmter Probleme gesehen werden, zur Stimulierung von Ideen als Ausgangspunkte für die Entwicklung wertvoller Problemlösungen. Die Rolle der Ideenfindung ist es, ein vielfältiges Anreizsystem zu bilden, d. h. im Bereich des Anwenders Impulse zur fortwährenden Selbsterneuerung zu geben. Grundsätzlich sind die Methoden der Ideenfindung universell anwendbar. Sie sind keineswegs funktionsbereichs- oder branchenspezifisch. Wenn hier vor allem auf den Einsatz des Instrumentariums der Ideenfindung in der Unternehmung eingegangen wird, so begründet sich dies zum einen aus der spezifischen Erfahrung, die der Verfasser dort sammeln konnte, zum anderen aus der Überzeugung, daß mit den Unternehmungen die größte Gruppe der potentiellen Anwender angesprochen wird. Es ist nicht sinnvoll, die Methoden der Ideenfindung abgegrenzt auf die Funktion der Anregung gedanklicher Ansätze darzustellen. Diese Methoden sind integrierter Bestandteil im übergeordneten Zusammenhang zur Gestaltung unserer Lebensbereiche. Diese Darstellung sucht deshalb, über methodische Fragen zur Ideenfindung hinaus auch weitere Aspekte des Problemlösens aufzugreifen und diese unter dem Gesichtspunkt effizienter Bewältigung zu behandeln. Ziel dieser Arbeit ist nicht, eine möglichst geschlossene Theorie des Lösens von Problemen anzubieten. Vielmehr soll ein besseres, vorstellungshaftes Verständnis bestimmter Phänomene von Problemlösungsprozessen geweckt werden. Dabei wird vor allem auch jener Personenkreis angesprochen, der sich bereits mit den Methoden der Ideenfindung befaßt hat und nun weiter in die daran angrenzende Materie eindringen möchte. Dieser Zweck wird mit einer situativen Interpretation der im Sachbereich geltenden Theorien und unter Einbeziehung eigener Erfahrungen aus der Praxis zu erreichen versucht. Eigene konzeptionelle Ansätze sollen als Denkanstöße verstanden werden, wie offene Fragen aufgegriffen und gelöst werden könnten. Eschborn, im Herbst 1976
Helmut Schlicksupp
Inhalt
1. Die 1.1 1.2 1.3 1.4
Methoden der Ideenfindung in der industriellen Unternehmung Innovation und Ideenfindung Die heuristischen Prinzipien der Methoden der Ideenfindung Die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung Vorurteile gegen die Ideenfindung
1.5 Die Intentionen dieser Arbeit 2. Problementstehung und Lösungsspielraum 2.1 Die Entstehung von Problemen 2.2 Problemdefinition und Lösungsspielraum 2.3 Die praktische Bedeutung der Problemdefinition und des Lösungsspielraums 2.3.1 Mängel der Problemdefinition 2.3.2 Variation des Lösungsspielraums 3. Der Aufbau von Problemen 3.1 Die Strukturqualität von Problemen 3.2 Die Komplexität von Problemen 3.3 Die Identifikation elementarer Problemarten 3.3.1 Die Strukturqualität von Lösungsprozessen 3.3.2 Definition der elementaren Problemarten 3.3.3 Beziehungen zwischen Elementarproblemen, Ideenfindung und Problemkomplexität 4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung 4.1 Der Morphologische Kasten, Brainstorming und Synektik als Grundmethoden 4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme der Grundmethoden . . 4.2.1 Die Methode des Morphologischen Kastens 4.2.2 Die Methode Brainstorming 4.2.3 Die Methode Synektik 4.3 Leistungsaspekte der Grundmethoden 4.3.1 Lösungsmenge 4.3.2 Lösungsqualität 4.4 Die Eignung der Grundmethoden zur Bewältigung der Elementarprobleme 5. Die Entwicklung methodischer Varianten 5.1 Konzentration auf die Hauptfunktion: Eine allgemeine Problemlösungsstrategie 5.2 Die Methode Sequentielle Morphologie 5.3 Die Methode T I L M A G
13 13 17 21 27 30 33 33 38 43 43 45 51 51 53 56 56 60 63 67 67 69 69 75 79 85 85 87 90 94 94 99 108
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Inhalt
5.4 5.5 5.6 5.7
Visuelle Synektik 114 Die Methode Nebenfeldintegration 117 DieSIL-Methode 119 Das Finden neuer P r o d u k t e - e i n spezifischer methodischer Ansatz 121 5.7.1 Produkt und Produktentwicklungsstrategien 122 5.7.2 Bedürfnisorientierte Produktsuche 124 6. Die problemlösende Einheit 133 6.1 Das Individuum als problemlösende Einheit 133 6.1.1 Die Problemlösungsfähigkeit des Individuums 133 6.1.2 Intelligenz und Kreativität als kognitive Fähigkeiten 141 6.1.3 Intelligenz, Kreativität und Problemlösungsprozesse 141 6.1.4 Individuum und Denkprozesse 144 6.1.4.1 Die Aspektmannigfaltigkeit des Denkens 144 6.1.4.2 Die Bildung von Strukturmustern 149 6.2 Die Gruppe als problemlösende Einheit 152 6.2.1 Die Problemlösungsfähigkeit von Gruppen 153 6.2.2 Die Eignung der Gruppe zur Lösung der Elementarprobleme . . . . 158 6.2.3 Die Synergie des Problemlösens in Gruppen 166 6.2.3.1 Einflußfaktoren der Gruppenleistung 166 6.2.3.2 Synergie und individuelle Problemlösungsfähigkeit 168 6.2.3.3 Synergie und Komplexität des Problems 171 6.2.3.4 Synergie, Gruppengröße und Lösungsvolumen 175 6.2.4 Die Anerkennung der Problemlösungsgruppe 184 7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen 187 7.1 Die Institutionalisierung der Ideenfindung 187 7.2 Problemlösungen (Aufgaben) als Determinanten organisatorischer Konzeption 190 7.2.1 Aufgaben und organisatorische Varietät 190 7.2.2 Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operation als Merkmale von Problemlösungsprozessen 192 7.2.3 Die Abgrenzung der Varietät von Organisationsstrukturen nach den Kriterien Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operation 196 7.3 Empfehlungen zur Gestaltung der organisatorischen Umgebung der Ideenfindung 202 Schlußbetrachtung 205 Anhang: Verfahrensbeschreibungen verbreiteter Methoden der Ideenfindung . . 209 Literaturverzeichnis 238 Stichwortverzeichnis 252
1. Die Methoden der Ideenfindung in der industriellen Unternehmung
1.1 Innovation und Ideenfindung Nach verbreiteter Auffassung unterscheidet sich unsere Gegenwart und Zukunft von vorangegangenen Epochen in Technik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft vor allem durch Instabilität und beschleunigten Wandel [31, S. 33; 135, S. 39; 162, S. 50ff.; 218, S. 337]. Kramer und Appelt stellen aus dieser Veränderungsdynamik für alle Unternehmungen u. a. folgende Auswirkungen fest [145, S. 11]: - Die fortschreitende Technologie zwingt zu neuen, verbesserten Produkten, Dienstleistungen und Problemlösungen. - Der Markt verlangt Produkte mit höherem wirtschaftlichen und funktionellen Nutzen. - Das Marketing erhält gegenüber der Produktion eine zunehmende Vorrangstellung. - Die zunehmende Konkurrenz erfordert Rationalisierung und Unternehmenswachstum. - Dem Markt müssen mehr und schneller als bisher Produkte angeboten werden. Als Folge dieser Auswirkungen sind wirtschaftliche Erfolge enger als jemals zuvor daran geknüpft, Änderungen von Technik und Gesellschaft nicht nur bereitwillig zu akzeptieren [59, S. 115], sondern sich schnell veränderten Bedingungen anpassen oder den Wettbewerbern gar mit neuen Entwicklungen und Konzepten zuvorkommen zu können [135, S. 39], Immer mehr neue Ideen über Produkte, Verfahren und Strategien müssen deshalb hervorgebracht, getestet und realisiert werden [41, S. 67]; mit den Worten von Argyris: „Modern organizations may not survive unless they are able to innovate" [8, S. 1]. Damit ist ein Stichwort angesprochen, das heute in fast keinem Titel eines Chefseminars mehr fehlt: „Innovation". Was verbirgt sich hinter diesem Begriff, der als Schlagwort verschlissen zu werden droht? Shephard definiert z. B. Innovation „When an organization learns to do things it did not know how to do before, and then proceeds to do so in a sustained way" [262, S. 470], Evans and Black meinen mit Innovation die Durchführung neuer Verfahren und Ideen [65, S. 519], während — im Sinngehalt gleich — nach Robertsen „innovation takes place via a process whereby a new thought, behavior, or thing, which is qualitative different from existing forms is conceived of and brought into reality" [244, S. 14], Weitere Deutungen des Begriffs „Innovation" geben Becker und Whisler [16, S. 462 ff.].
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1. Die Methoden der Ideenfindung
D a zweifelsohne Verbindungen zwischen der Innovationsfähigkeit und dem Erfolg einer Unternehmung bestehen [ 179, S. 4 ; 9 6 , S. 5 ff.] - im Hinblick auf Produktinnovationen wird dies z. B. sofort einsichtig —, hat man in den vergangenen Jahren die systematische Erforschung von Innovationsprozessen stark intensiviert. So zeigten beispielsweise Myers und Marquis in einer international beachteten empirischen Untersuchung Einflußfaktoren der erfolgreichen industriellen Innovation auf [ 2 0 3 ] . Auch eine Untersuchung der Einflüsse auf die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in industrielle Nutzung, die 1 9 7 3 am Battelle-Institut für das Rationalisierungskuratorium der Wirtschaft ( R K W ) durchgeführt wurde, kann als wesentlicher Beitrag zur Erforschung von Innovationsprozessen gewertet werden [78], Der Ablauf technischer Innovationen ist häufig untergliedert in die Phasen [ 2 8 7 , S. 1 2 5 ] -
Ideenfindung
— Problemlösung — Ausführung -
Verbreitung (Diffusion),
wobei Ideenfindung, Problemlösung und Ausführung in der Regel überlappt und iterativ verknüpft sind. (Brandenburg u. a. [ 3 1 , S. 17] unterscheiden in weitgehender sachlicher Uberdeckung als typische Zeitphasen technologischer Innovationen die Grundlagenphase, Inventionsphase, Innovationsphase und Diffusionsphase.) Die Ingangsetzung von Innovationsprozessen hat überwiegend zwei alternative Ursachen: die sich zufällig bietende Chance (z. B. ein überraschendes Forschungsresultat) oder das Bewußtwerden eines nur über Neuerungen lösbaren Problems. Während die traditionellen Innovationsanlässe eher im Bereich der zufälligen Chance zu suchen waren, gehen heute immer mehr Unternehmungen dazu über, ihre Innovationstätigkeit (insbesondere bei Produktinnovationen) systematisch zu forcieren [ 1 1 6 , S. 117]. Damit ist in verstärktem M a ß e eine Hinwendung zu den Phasen „Ideenfindung" und „Problemlösung" des Innovationsprozesses erforderlich. Hinterhuber bestätigt diese Notwendigkeit; er stellt in den USA eine „deutliche Konzentration der Mittel auf die marktorientierte Maximierung der ,Problem-Solving-Capacity' " fest [ 1 1 1 , S. 1 6 2 ] . Damit wird die Auffassung betont, daß das realisierbare M a ß an Innovationstätigkeit eng korrespondiert mit der spezifischen Problemlösungsfähigkeit einer Unternehmung. Die
allgemeine
Problemlösungsorientierung
in
der
jüngsten
Vergangenheit
förderte auch in der Betriebswirtschaftslehre erkennbar mehr Methodologien, die auf die Entwicklung von „Regeln für das Gewinnen von Erkenntnissen einschließlich des Interpretierens von Entscheidungen und einschließlich der Methoden der wissenschaftlichen Beratung der Praxis" [ 3 0 2 , S. 2 ] abzielen. Das gegenwärtige Interesse der Betriebswirtschaftslehre gilt dem Aufbau von Entscheidungsmodellen für das Auffinden optimaler bzw. befriedigender Problemlösungen [ 1 0 8 , S. 3].
1.1 Innovation und Ideenfindung
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Der Prozeß der Invention als Nukleus der Innovation (oder eben: der Erfindungsvorgang) entzieht sich weitgehend einer Bewältigung durch ausschließlich rationale und logische Methoden; die den Erfindungsprozeß kennzeichnende Problematik ist nicht „wohl-strukturiert". Die auf mathematisch-statistischer Entscheidungslogik aufbauenden sogenannten geschlossenen Entscheidungsmodelle [ 1 0 8 , S. 3 ] scheiden hier weitgehend aus. Vielmehr gewinnt „innerhalb des Systems der Wissenschaftsorganisation. . . die systematische Heuristik als ,Technologie' zur Rationalisierung der schöpferischen Denkprozesse eine zunehmende Bedeutung. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin, die die Phasen der geistig-schöpferischen Arbeit von Problemlösungsprozessen erforscht, die Anwendung der Prozesse effektiver gestaltet und die schnelle Erreichung von Pionier- und Spitzenleistungen gestattet" [ 1 9 9 , S. 151]. Der Begriff „Heuristiken" wird sehr vielseitig interpretiert. Als mögliche Auffassungen nennt Landa [ 1 4 7 , S. 3 3 4 ] — Regeln, welche die heuristische Tätigkeit hervorrufen und steuern, — psychische Prozesse, die diese Tätigkeit beeinflussen, — Mittel, die das Durchmustern von Varianten verkürzen können. Wir verstehen unter Heuristiken „bestimmte Vorgehensregeln zur Lösungsfindung, die hinsichtlich des angestrebten Zieles und unter Berücksichtigung der Problemstruktur als sinnvoll und erfolgversprechend erscheinen, aber nicht immer die optimale Lösung hervorbringen" [ 2 0 1 , S. 2 9 0 ] . Heuristiken haben also keine Lösungsgarantie [ 2 7 8 , S. 73], Die Anwendung heuristischer Prinzipien führt zu einer Reduzierung des Problemlösungsaufwandes, indem das Feld wahrscheinlich unzureichender Lösungen eliminiert und stattdessen ein Feld wahrscheinlich brauchbarer Alternativen angesteuert wird. „They represent any principle or device that contributes to the reduction in the average search to Solution by eliminating sets of alternatives likely to result in poor solutions while retaining sets o f alternatives which have a high probability o f yielding optimal or near optimal solutions" [ 2 7 7 , S. 59], In unseren produktiven Denkprozessen spielen bestimmte heuristische Prinzipien zur Hervorbringung von Problemlösungsansätzen eine entscheidende Rolle. Wenn wir den Prozeß der Innovation als Bewältigung einer Entscheidungssituation durch originelle, bisher unbekannte Lösungswege auffassen, muß hier auf die „Anwendung heuristischer Methoden und kreativer Leistungen zum Erarbeiten neuer Lösungen" [18, S. 2 7 ] zurückgegriffen werden. 1 Die Anerkennung der Bedeutung heuristischen Problemlösens setzt sich jedoch erst langsam durch [ 2 7 8 , S. 7 4 ; 2 7 9 , S. 113], 1
Levitt weist allerdings mit Recht darauf hin, daß es mit der Hervorbringung von neuen Ideen alleine nicht getan ist, sondern daß Ideenauswahl und -Verwirklichung die eigentlichen Schrittmacher für Innovationsprozesse sind: „ W h a t is often lacking is not creativity in the ideacreating sense but innovation in the action-producing sense, i. e. putting ideas to w o r k " [ 1 5 2 , S. 7 3 ] ,
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1. Die Methoden der Ideenfindung
bei einer noch deutlichen Bevorzugung algorithmisierter Entscheidungsprobleme. Die Heuristik als M e t h o d e der Ideenfindung, der Ideensuche und des in G e d a n k e n Experimentierens [117, S. 4 2 ] wird vielfach noch als unseriös und unnütz zurückgewiesen. N a c h unseren Erfahrungen mit P r o b l e m l o s e m in der industriellen Praxis zeigen diese eine unverkennbare Bevorzugung routinemäßiger und adaptiver [140, S. 143 f.] Entscheidungen, d. h. eines anhand bewährter A u s f ü h r u n g s p r o g r a m m e begründbaren Entscheidungsverhaltens (siehe A b b . 1).
innovative Entscheidungen
Abb. 1. Definition der Situation und Arten von Entscheidungen; Quelle: [140, S. 142]
Besondere Heuristiken zur effizienteren Bewältigung von schlechtdefinierten Entscheidungssituationen werden also aus unserer Sicht im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit noch unterschätzt. M a n akzeptiert die so entstehende methodische Lücke eher, als daß m a n bereit ist, der Aneignung von Heuristiken für die Bewältigung von Pioniersituationen (resp. innovativen Entscheidungssituationen) einen angemessenen Platz einzuräumen.
1.2 Die heuristischen Prinzipien der Methoden der Ideenfindung
17
1.2 Die heuristischen Prinzipien der Methoden der Ideenfindung Unter dem Thema „Methoden der Ideenfindung" wurde (im wesentlichen in den vergangenen zwei Jahrzehnten) ein Problemlösungsinstrumentarium erarbeitet, das sich für ein breites Spektrum schlechtstrukturierter Entscheidungssituationen als außerordentlich brauchbarer Lösungsgenerator erwiesen hat. Diesen Methoden sind bestimmte heuristische Prinzipien inkorporiert, welche die originäre Lösungsfindung begünstigen und insbesondere das kreative Element bei Problemlösungsprozessen verstärken [182, S. 133; 279, S. 120], Michael nennt „vor allem sechs Heuristiken, die uns beim Studium der Verfahren zur Ideenentwicklung immer wieder begegnen" [191, S. 74], und zwar Auflistungen, Kombinationen, Abstraktionen, explorative/normative Umschau, semantische/syntaktische Umformungen und freie Assoziationen. Die heuristischen Prinzipien werden entweder unmittelbar Bestandteil des Denkprozesses, wie die bewußte Variation und Kombination [193, S. 91], oder begünstigen diesen situativ durch Stimuli (z. B. Anregung von Assoziationen im Gruppen-Gespräch) und entsprechende Gestaltungen im psychisch-emotionalen Umfeld (z. B. Untersagung destruktiver Kritik). Im Hinblick auf die vorherrschenden Basisprinzipien und die charakteristische Vorgehensweise im Lösungsfeld können in vereinfachender Grobgliederung die MeSystematisch-analytische Methoden
Die Intuition anregende Methoden
- systematische Erfassung, Ordnung und Gliederung von problemrelevanten Elementen - systematische Kombination - systematische Variation
— wechselseitige Assoziation — semantische Intuition - Analogiebildung und Vergleichziehung - Strukturübertragung und Struktursynthese
Abb. 2. Heuristische Grundprinzipien der Methoden der Ideenfindung
Systematisch-analytische Methoden
Die Intuition anregende Methoden
- Morphologischer Kasten - Problemfelddarstellung - Attribute-Listing — Funktionsanalyse — Problemlösungsbaum — usw.
— Brainstorming — Brainwriting — Synektik — Semantische Intuition — usw.
Abb. 3. Verbreitete Methoden der Ideenfindung
1. Die Methoden der Ideenfindung
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thoden der Ideenfindung in systematisch-analytische Methoden einerseits und die Intuition anregende Methoden andererseits (siehe Abb. 2) unterschieden werden [ 8 2 , S. 2 9 8 ; 202], Ordnet m a n einige der bekanntesten Methoden der Ideenfindung in dieses Schema ein, dann ergeben sich die in Abb. 3 gezeigten Standorte. Diese Z u o r d n u n g (Abb. 3) hat jedoch insofern einen gewissen Grad an Willkür, daß die meisten Methoden sowohl analytische als auch intuitive Elemente enthalten [ 1 9 1 , S. 89], A A A A A A A A A A B B B B B B B B B C
Brainstorming und seine Abwandlungen 1 Klassisches Brainstorming 2 Anonymes Brainstorming 3 Didaktisches Brainstorming 4 Destruktiv-konstruktives Brainstorming 5 „And-also"-Methode 6 Creative Collaboration Technique 7 Buzz-Session (Diskussion 66) 8 Imaginäres Brainstorming 9 SIL-Methode* Brainwriting-Methoden 1 Methode 635 2 Brainwriting-Pool* 3 Ideen-Delphi* 4 Kärtchen-Befragung 5 Idea-Engineering 6 Collective-Notebook-Methode 7 Trigger-Technik 8 BBB Methode* ( = D 5 ) Methoden
der
schöpferischen
Orientierung C 1 Heuristische Prinzipien C 2 Suchfeldauflockerung C 3 Bionik D 1 Klassische Synektik D 2 Synektische Konferenz
D
Metboden der schöpferischen Konfrontation D 3 Visuelle Synektik* D 4 Reizwort-Analyse* D 5 BBB-Methode* (s. B 8 ) D 6 Force-Fit-Spiel* D 7 TILMAG-Methode* D 8 Nebenfeldintegration* D 9 Semantische Intuition* DIO Forced-Relationship D i l Katalog-Technik E E E E E E E E
Lösungsfindung durch systematische Strukturierung 1 Morphologischer Kasten 2 Funktionsanalyse 3 Attribute Listing 4 Problemfeld-Darstellung 5 Sequentielle Morphologie* 6 Problemlösungsbaum 7 Ablaufanalyse
F F F F F F F
1 2 3 4 5 6
Methoden der systematischen Problemspezifizierung Progressive Abstraktion Epistemologische Analyse KJ-Methode NM-Methode Hypothesen-Matrix* Relevenzbaum
* Diese Methoden wurden am Battelle-Institut, Frankfurt, entwickelt; davon insbesondere vom Verfasser die Methoden A9, B2, D7, D8, D9, E5 sowie F5. Abb. 4. Klassifikation der Methoden der Ideenfindung Quelle: [3, S. VII]
1.2 Die heuristischen Prinzipien der Methoden der Ideenfindung
19
Ein breiterer Uberblick über praktizierte Methoden der Ideenfindung führt zu dem Ergebnis, daß methodische Unterschiede in vielen Fällen mehr in einem äußerlichen Abweichen des Verfahrensrahmens liegen als im prinzipiellen Generatormechanismus selbst. Es ist deshalb ohne weiteres möglich, die Vielzahl der methodischen Erscheinungsformen in Gruppen gleicher oder ähnlicher Leistungsmerkmale zu klassi-
Methodengruppe
Verfahrensmerkmale
Wichtige Repräsentanten
A. Brainstormig und seine Abwandlungen
Ungehemmte Diskussion, in der keine Kritik geübt werden darf; phantastische Einfälle und spontane Assoziationen sollen geäußert werden
- Brainstorming — Diskussion 66
B. Brainwriting-Methoden
Spontanes Niederschreiben von Ideen auf Formulare oder Zettel; Umlauf von Formularen
— Methode 635 — Brainwriting-Pool — Ideen-Delphi
C. Methoden der schöpferischen Orientierung
Befolgung bestimmter Prinzipien bei der Lösungssuche
— Heuristische Prinzipien - Bionik
D. Methoden der schöpferischen Konfrontation
Stimulierung der Lösungsfindung durch Auseinandersetzung (Konfrontation) mit Bedeutungsinhalten, die scheinbar nicht mit dem Problem zusammenhängen
— Synektik — BBB-Methode -TILMAG-Methode — Semantische Intuition
E. Methoden der systematischen Strukturierung
Aufteilung des Problems in Teilkomplexe; Lösung der Teilprobleme und Zusammenfügen zu einer Gesamtlösung; Systematisierung von Lösungsmöglichkeiten
- Morphologischer Kasten - Morphologisches Tableau - Sequentielle Morphologie - Problemlösungsbaum
F. Methoden der systematischen Problemspezifizierung
Aufdeckung der Kernfragen eines Problems oder Problembereichs durch systematisches und hierarchisch-strukturierendes Vorgehen
- Progressive Abstraktion -K-J-Methode - Hypothesen-Matrix
Abb. 5. Verfahrensmerkmale der Methoden der Ideenfindung
- Relevanzbaum
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1. Die Methoden der Ideenfindung
fizieren. Man erkennt so rasch, daß die meisten Methoden der Ideenfindung Varianten weniger „Urmethoden" darstellen. Eine Zusammenfassung der Methoden der Ideenfindung unter durchführungs- und wirkungscharakteristischen Gesichtspunkten kann wie in Abb. 4 erfolgen. (Knappe Erläuterungen zu den Vorgehensweisen und Anwendungsbedingungen der Methoden in dieser Übersicht sind im Anhang dieser Arbeit in enger Anlehnung an [3] und [210a] zusammengestellt worden.) Für die dort beschriebenen Methodengruppen A bis E sind die in Abb. 5 aufgezeigten Durchführungsmerkmale typisch. Wenn wir einen Entscheidungsprozeß für schlecht-strukturierte Probleme gliedern in die Phasen (1) (2) (3) (4)
Problemanalyse und -definition, Suche alternativer Lösungen, Bestimmung der (relativ) besten Lösung, Lösungsausführung,
dann dienen die Methoden der Ideenfindung überwiegend als Hilfsmittel zur Bearbeitung der Phase (2): Suche nach alternativen Lösungen. Sie bauen dann auf dem analysierten und definierten Problem' auf, ohne eventuelle Mängel aus dieser Vorphase zu revidieren. Hieraus formulieren Kepner und Tregoe [132, S. 67] mißverstehend folgenden Vorwurf: „Die Methode der schöpferischen' Problemlösung . . . g e h t . . . von der unhaltbaren Voraussetzung aus, daß die charakteristischen Merkmale eines Problems und seine Ursache unwichtig sind." Diese von Kepner und Tregoe unterstellte Voraussetzung wird allerdings an keiner Stelle mit den Methoden der Ideenfindung in Verbindung gebracht. Vielmehr sieht man die Vorphase „Problemanalyse" als Prozeß eigener Art, der durchaus sinnvoll nach der von Kepner und Tregoe empfohlenen Vorgehensweise[132] bearbeitet werden kann. Insofern ergänzt sich das Instrumentarium von Kepner und Tregoe eher mit dem Instrumentarium der Ideenfindung, als daß es damit in Konflikt steht. Eine gewisse Sonderstellung nehmen die in Gruppe F (Abb. 4) zusammengefaßten Methoden ein. Ihr Leistungsbereich besteht im Aufzeigen von problemstrukturellen Zusammenhängen und in der Hervorhebung relevanter Problemgehalte. Sie können deshalb besonders vorteilhaft in der Eingangsphase von Problemlösungsprozessen eingesetzt werden [3, S. 165], Bei innovativen Entscheidungsprozessen ist die Definition der Situation fragmentarisch und vage [140, S. 145], Der Problemloser verfügt also zunächst nicht über ausreichende Informationen, um ausgehend von der Problemstellung mit zwingender Logik oder sicherer Systematik Lösungen erarbeiten oder sogar eine sichere Auswahl zwischen mehreren Alternativen treffen zu können [140, S. 145].
1.3 Die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung
21
Da die systematische Bewältigung von Innovationsproblemen in der Regel nicht (vollständig) möglich ist, können Lösungsansätze häufig nur über intuitiv-kreativen Zugang gefunden werden. Und weil — wie sich auch Einstein sinngemäß ausdrückte — oft kein logischer Weg zum Neuen führt, beruht unsere Innovationsfähigkeit also ganz erheblich auf dem Ausmaß der von uns entfalteten Kreativität [ 2 0 5 , S. 7 1 8 ; 2 4 6 , S. 64], Guilford wies bereits 1 9 5 0 eindringlich auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Kreativität hin [ 9 8 , S. 4 4 6 ] , ein Phänomen, das lange Zeit gern auf den Bereich der Künste abgedrängt wurde und dem man wenig Beachtung als problemlösende Fähigkeit schenkte. Immerhin bezogen sich von den rund 1 2 1 0 0 0 Titeln, die in den Psychological Abstracts bis zum Jahre 1 9 5 0 aufgeführt waren, nur 1 8 6 definitiv auf Kreativität [ 2 1 8 , S. 3 3 1 ] , Heute hingegen sieht man die am meisten verbreiteten M e thoden der Ideenfindung, begünstigt durch journalistische Darstellungen vor allem in Wirtschaftsmagazinen, in enger Verbindung - häufig sogar identisch - mit Kreativität. Dabei hat sich die Einstellung zur Kreativität allerdings insofern gewandelt, daß Kreativität heute ein stark beachtetes, positiv gewertetes Persönlichkeitsmerkmal ist.
1.3 Die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung Aus der nachlassenden Dichte thematisch auf Kreativität und Ideenfindung bezogener Veröffentlichungen und Seminare kann der Schluß gezogen werden, daß die erste große „Kreativitätswelle" abgeebbt ist. Durch Befragung von 5 0 0 Unternehmungen verschiedener Branchen versuchte das Battelle-Institut, Frankfurt, im Frühjahr 1 9 7 3 eine Bestandsaufnahme der bis dahin erfolgten Verbreitung kreativitätsfördernder Methoden in der Industrie zu machen. Die Befragung richtete sich vor allem auf Kenntnis und Anwendung der Methoden der Ideenfindung, auf Anwendungserfolge, Schwierigkeiten der Einführung und die Art der Einarbeitung in die Thematik. Die Auswertung von 1 2 5 zurückgesandten Fragebogen (Rücklaufquote 2 5 % ) führte zu folgenden Ergebnissen:
a) K e n n t n i s d e r M e t h o d e n der I d e e n f i n d u n g Vorgegeben wurden 12 Methoden der Ideenfindung und alternative, subjektiv einzuschätzende Kenntnisgrade. Die Methodenauswahl enthielt sowohl international verbreitete Methoden (z. B. Brainstorming, Synektik) als auch jüngere Methodenentwicklungen (z. B. Progressive Abstraktion). Sie repräsentierte in etwa das methodische Gesamtinstrumentarium. Die Spalten „gute Kenntnis" und „umfassendes Wissen" in Abb. 6 kennzeichnen ein methodisches Know-how, das zur erfolgreichen Anwendung einer Methode befähigen sollte. Brainstorming erreicht in dieser Hinsicht den höchsten Kenntnisstand ( 8 1 % ) , in deutlichem Abstand gefolgt von der Methode des Morphologischen Ka-
22
1. Die Methoden der Ideenfindung
stens und der Funktionsanalyse (je 3 8 % ) sowie von Synektik (27%). Der Bekanntheitsgrad dieser Methoden dürfte ihrer Behandlung in der Literatur ebenso entsprechen wie ihrer Aufnahme in die Programme von Wirtschafts- bzw. Industrie-Seminaren. Der relativ hohe Bekanntheitsgrad von Ideen-Delphi ist wahrscheinlich auf eine Verwechslung mit der Delphi-Methode als Prognose-Methode zurückzuführen. Battelle hat erst 1972 vorgeschlagen, den Verfahrensrahmen der Delphi-Methode auch zur Ideensuche zu nutzen. Dieser Vorschlag dürfte bisher kaum die ausgewiesene Verbreitung erlangt haben.
voll-
nur der
kommen
Name
unbekannt bekannt
G r a d der Kenntnis ungefähre gute Vor-
Kenntnis
stellungen
umfassendes
z
Wissen
(%)
Brainstorming
1
2
16
65
16
100
Diskussion 66
60
13
19
6
2
100
Methode 6 3 5
53
16
13
14
4
100
Ideen-Delphi
35
18
29
16
2
100
Idea-Engineering
72
16
8
4
-
100
Trigger-Technik
84
10
4
2
-
100
Synektik
33
14
26
23
4
100
Morphologischer
37
9
16
31
7
100
Funktionsanalyse
25
14
23
32
6
100
Attribute-Listing
64
19
13
4
-
100
Problemfeld-
56
12
25
5
2
100
68
13
12
5
2
100
Kasten
darstellung Progressive Abstraktion
Abb. 6. Kenntnis der Methoden der Ideenfindung (alle Branchen)
23
1.3 Die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung
Insgesamt ergaben sich bei dieser Frage höhere Werte der Kenntnis, als zunächst angenommen wurde. Der effektive Verbreitungsgrad der M e t h o d e n der Ideenfindung dürfte allerdings erheblich unter den Prozentzahlen von Abb. 6 liegen in Anbetracht der Vermutung, daß wahrscheinlich sehr viele der nicht antwortenden Unternehmungen dem Befragungsthema völlig fremd gegenüberstanden.
b) Anwendung der Methoden der Ideenfindung Diese Frage bezog sich auf die Anwendungshäufigkeit der M e t h o d e n in der Unternehmung und auf den eingeschätzten Erfolg der Anwendung. Anwendung im Unternehmen
Erfolg der Anwendung
(%) nie
(%)
manchmal häufig
gering
mittel, unbest.
groß
40,0
18,0
42,0
Brainstorming
17,5
61,5
Diskussion 66
84,5
5,5
-
43,0
57,0
Methode 635
89,5
9,0
1,5
69,0
8,0
23,0
Ideen-Delphi
85,0
12,5
2,5
47,0
16,0
37,0
Idea-Engineering
96,5
2,5
1,0
50,0
-
-
Trigger-Technik
100,0
21,0
-
-
-
-
50,0 -
Synektik
80,0
17,5
2,5
48,0
24,0
28,0
Morphologischer Kasten
73,5
19,0
7,5
57,5
6,0
36,5
Funktionsanalyse
65,0
23,0
12,0
20,5
18,0
61,5
Attribute-Listing
95,0
5,0
-
50,0
33,3
16,7
Problemfelddarstellung
91,0
6,5
2,5
36,0
28,0
36,0
Progressive Abstraktion
96,0
2,5
1,5
20,0
40,0
40,0
Abb. 7. Anwendungshäufigkeit und Anwendungserfolg der Methoden der Ideenfindung (alle Branchen)
24
1. Die Methoden der Ideenfindung
Während im Durchschnitt über alle Methoden ein Kenntnisgrad von 2 0 % angegeben wurde, reduziert sich bei gleichem Bezug die häufige Anwendung auf nur 4 % . Ideenfindung wird also erkennbar weniger praktiziert, als es das vorhandene Wissen über die betreffenden Methoden zuließe. Erstaunlich ist immerhin, daß Brainstorming in 82,5% aller Fälle manchmal oder häufig angewendet wird, obwohl anwendungsreife Kenntnis in „nur" 81 % aller Fälle angegeben wurde. Brainstorming muß demnach auch auf der Grundlage „ungefährer Vorstellungen" betrieben werden, etwa gemäß der unterschätzenden Meinung: Brainstorming kann jeder! Unsere Kontakte zur Industrie räumen in der Tat den Verdacht nicht aus, daß Brainstorming häufig ohne jede Teilnehmerschulung und nur mit vagen Kenntnissen über die Anforderungen der Methode recht freihändig gehandhabt wird. (Über diese Unschärfe der methodischen Handhabung beklagt sich Wallen [296] schon 1958.) Ferner scheint eine gewisse Neigung zu bestehen, jede nur halbwegs aufgelockerte Diskussion als Brainstorming zu bezeichnen. Diese operationale Unkompliziertheit, die man gegenüber Brainstorming empfindet, äußert sich auch in einer bereitwilligen Erfolgsidentifikation: 4 2 % halten den erzielten Anwendungserfolg für groß gegenüber nur 2 8 % in bezug auf Synektik. Diese unterschiedlichen Erfolgseinschätzungen können keinesfalls im Leistungsvermögen der Methoden per se begründet sein, sondern in unterschiedlichen Einstellungen, Methodenkenntnissen und methodischen Erfahrungen. Hierzu kann auch die nächste Frage interpretierend herangezogen werden,
c) Schwierigkeiten der Einführung und Anwendung Diese Frage war zweikanalig angelegt und untersuchte de facto-Schwierigkeiten bei Anwendern sowie vermutete Schwierigkeiten bei Nichtanwendern. Die Gegenüberstellung der Ergebnisse in Abb. 8 ermöglicht einen recht interessanten Vergleich, der folgende Ausdeutungen nahelegt: - Die Ablehnung der Methoden (z. B. im Hinblick auf den praktizierten Arbeitsstil oder die eingeschätzte Leistungsfähigkeit der Methoden) ist tatsächlich geringer als die Nichtanwender befürchten. - Man muß in der Praxis in höherem Maße mit unzureichenden Methodenkenntnissen arbeiten als erwünscht. Die Nichtanwender halten die Methoden für unproblematischer, als diese tatsächlich sind. - Zeit-, Termin- und Personalprobleme sind nicht der bedeutende Engpaß für die Organisation und Anwendung der Ideenfindung, für welchen sie gerne vorgegeben werden.
25
1.3 Die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung
- D e r h e m m e n d e Einfluß durch Vorgesetzte wird von den Nichtanwendern offensichtlich überschätzt. - B e i den tatsächlich auftretenden und befürchteten interpersonellen
Konflikten
könnte es sich um eine unspezifische Konstante handeln, die unabhängig von Arbeitsmethoden oder anderen organisatorischen Gegebenheiten auftaucht. Die teilweise recht niedrigen Erfolgseinschätzungen aus der Anwendung der M e thoden der Ideenfindung haben ihre Ursache wahrscheinlich zu großen Teilen in m a n gelnder M e t h o d e n k e n n t n i s und -erfahrung. Gerade bei den M e t h o d e n der Ideenfindung klaffen theoretische A u f f a ß b a r k e i t und erfolgreiche praktische Anwendung sehr weit auseinander. N a c h unserer Kenntnis hat sich eine ganze Reihe von Unternehmungen zwar mit dem Instrumentarium der Ideenfindung bekannt gemacht, nach ersten Versuchen die Anwendung aber wieder „weil u n g e n ü g e n d " eingestellt. Folgende Schlußfolgerung bietet sich an: V o n den rein äußerlichen Verfahrensmerkmalen her gesehen scheinen die M e t h o d e n der Ideenfindung als so triviales Instrumentarium, d a ß selbst die Aneignung mehrerer Verfahren — so glaubt man — in längstens einem T a g erfolgen könnte. Und so geschieht es eben oft, d a ß man mit nicht mehr als der Erfahrung eines Seminartages - wieder zurück in der Unternehmung eine Ideenfindungssitzung oder eine Problemlösungskonferenz einberuft, die zum totalen M i ß e r f o l g führt. Die einhellige M e i n u n g der Beteiligten: Die angewendeten M e thoden sind v o l l k o m m e n untauglich!
Ursachen der Schwierigkeit
Qualifikation der Mitarbeiter
tatsächlich (Anwender)
vermutet (Nicht-Anwender)
9
17,5%
7
11,0%
Mangelnde Kenntnis in der Anwendung 17
32,5%
3
5,0%
Ablehnung der Methoden
9
17,5%
14
22,0%
Zeit-, Termin-, Personalprobleme
8
15,0%
12
19,0%
Vorgesetzte / Geschäftsleitung
2
4,0%
12
19,0%
Interpersonelle Konflikte
7
13,5%
8
13,0%
Sonstige
-
-
7
N = 52
100,0%
N = 63
.
11,0% 100,0%
Abb. 8. Tatsächliche (Anwender) und vermutete (Nicht-Anwender) Schwierigkeiten bei der Einführung und Anwendung der Methoden der Ideenfindung (alle Branchen)
26
1. Die Methoden der Ideenfindung
Leider verkennt man allzu häufig, daß sich ein effizienter Einsatz der Methoden der Ideenfindung nur aus einer angemessenen, intensiven Experimentierphase entwickeln läßt. Nur im Feld und nur über die Zahl der Anwendungsfälle kann man mit diesen Methoden zur innovativen Problemlösung vordringen. Dies zu betonen, d. h. die Erwartungshaltungen vernünftig abzustecken und die Methodeneinweisung durch eigenes, anschauliches und überzeugendes Training zu übernehmen, wäre die Aufgabe all jener, die dieses Instrumentarium gegen Entgelt verkünden.
d) Form der Einarbeitung Hier wurde nach der Art des Erwerbs methodischen Wissens gefragt. Auch jetzt war die Frage wiederum so formuliert, daß Anwender die erfolgte Form der Einarbeitung, Nichtanwender die gewünschte Form angeben konnten. Bemerkenswert ist der hohe Anteil selbständiger Einarbeitung in die Ideenfindung; zusammen mit der interkollegialen Wissensvermittlung ( 1 8 % ) belegt sie 6 5 % der Einarbeitungsformen bei Anwendern. In vielen Diskussionen mit Vertretern der Industrie kam jedoch immer wieder zum Ausdruck, daß die (wenig experimentelle) Selbstunterweisung in den Methoden der Ideenfindung keineswegs als ausreichende Grundlage zur erfolgreichen Anwendung empfunden wurde. Die weitgehend unzureichenden Einarbeitungsformen erklären deshalb die in der Befragung gezeigten Anwendungsschwierigkeiten durch methodische Halbkenntnisse und die damit verbundene Erfolglosigkeit am konkreten Problem.
Erfolgte bzw. als sinnvoll erachtete Form der Einarbeitung in Ideenfindung
Anwender
Interessierte Mitarbeiter arbeiten sich
Nicht-Anwender
47
42,0%
10
14,0%
18
16,0%
10
14,0%
18
16,0%
35
48,5%
29
26,0%
17
23,5%
selbständig ein Firmeninternes Training durch Unternehmenskräfte Firmeninternes Training durch externe Spezialisten Firmenexternes Training in SpezialSeminaren N = 112*100,0%
N = 7 2 * 100,0%
* Mehrfachnennungen waren zugelassen Abb. 9. Tatsächliche (Anwender) und erwünschte (Nicht-Anwender) Form der Einarbeitung in die Methoden der Ideenfindung (alle Branchen)
1.4 Vorurteile gegen die Ideenfindung
27
Die Einarbeitungswunschform der Nichtanwender besteht, u. E. folgerichtig, schwerpunktartig in firmeninternen Trainingsseminaren, die von externen Spezialisten durchgeführt werden. Diese im Trend liegende Einarbeitungsform (firmeninterne Seminare nehmen im Vergleich zu externen Veranstaltungen stark zu) ist ab einer bestimmten Teilnehmerzahl nicht nur die wirtschaftlich vorteilhafteste, sondern sie ermöglicht im internen Kreis auch die Behandlung firmenspezifischer Übungsbeispiele. Damit wird nicht nur die Brauchbarkeit der Methoden eindeutiger unter Beweis gestellt, sondern die zu aktuellen Problemen der Beteiligten erzielten Lösungsansätze führen darüber hinaus zu wichtigen Erfolgserlebnissen und erhöhen die Bereitschaft, das neue Instrumentarium anzunehmen. Die Ergebnisse der zitierten Befragung lassen vermuten, daß die Verbreitung der Methoden der Ideenfindung ihre Sättigungsgrenze noch nicht erreicht hat [213, S. 46]. Wir haben jedoch den Eindruck, daß sich die Verbreitungskurve heute in der ausklingenden Phase der Euphorie befindet, die vielleicht mehr Skepsis als Festigung beinhaltet. Gegenwärtig sind es überwiegend größere Unternehmungen, die einer systematischen Ideengewinnung und -Verwertung festen Platz einräumen, und — wie z. B. HENKEL in Düsseldorf — durch beachtliche Eigenentwicklungen zu einer „modernen Technologie geistiger Arbeitsprozesse" [20, S. 26] beitragen. Kleine und mittlere Unternehmungen sehen sich in gewisser Verkennung des tatsächlich erforderlichen Aufwands in der Regel weniger in der Lage, entsprechende personelle Kapazitäten freizustellen [104, S. 15]. Die steigende Anzahl der an Hochschulen vergebenen Arbeiten über Kreativität und Methoden der Ideenfindung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten berechtigt dennoch zu der Annahme, daß ein größeres Verständnis für heuristische Verfahren mit der heutigen Studentengeneration in die Wirtschaft getragen werden wird.
1.4 Vorurteile gegen die Ideenfindung Während unserer mehrjährigen praktischen Erfahrungen konnten wir feststellen, daß insbesondere folgende Vorurteile die Verbreitung und erfolgreiche Anwendung der Methoden der Ideenfindung einschränken: Vorurteil 1:
Die Methoden der Ideenfindung und Problemlösung sind auf unsere Probleme nicht anwendbar.
Entkräftung: Eine Analyse unterschiedlichster Probleme (vgl. Punkt 3.3.1) zeigt eine überraschende Gleichheit der grundsätzlichen Anforderungen an den Problemlösenden. Die heuristischen Prinzipien der Methoden der Ideenfindung wirken unmittelbar auf einige dieser Anforderungen ein. Sie sind deshalb weitgehend unabhängig von Branche und Funktionsbereich anwendbar. Kaufmann, Fustier und Drevet bestätigen diese Universalität am Beispiel Brainstorming [130, S. 25],
28 Vorurteil 2:
1. Die Methoden der Ideenfindung
Die Methoden der Ideenfindung können nur dann akzeptiert werden, wenn ihre Anwendung in allen Fällen zum Erfolg führt.
Entkräftung: Diese Forderung ist einfach unrealistisch; Methoden lassen sich allgemein beurteilen durch a) ihren Anwendungsbereich, d. h. die Menge der Probleme, aufweiche die Methode potentiell anwendbar ist [141, S. 14], sowie b) ihre Mächtigkeit. „Die Lösungsmächtigkeit einer Methode bestimmt sich nach deren immanenter Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Problem in einer gegebenen Aufgabenumwelt zu lösen, sowie der Dimension der Lösungsqualität" [140, S. 15]. Anwendungsbereich und Mächtigkeit von Methoden stehen in inverser Relation, d. h. eine Methode mit eng begrenztem Anwendungsbereich ist in der Regel sehr mächtig und vice versa. Hohe Mächtigkeit bedeutet, daß die Methode mit Sicherheit zu einer Lösung führt, die gleichzeitig das (theoretische) Optimum darstellt. Deterministische Methoden (quantitative Variable werden nach eindeutig definierten, gesetzmäßigen Bedingungen verarbeitet. Beispiel: Formel zur Festigkeitsberechnung) erzielen diese Mächtigkeit. Die „Methode" des völlig ungeordneten, regellosen (dummen) Vorgehens andererseits hat den größten potentiellen Anwendungsbereich; ihre Mächtigkeit ist deshalb denkbar gering: nur selten wird eine Lösung, noch seltener eine gute Lösung erzielt. Jene Heuristiken, die den Methoden der Ideenfindung inkorpoeriert sind, liegen in der Mächtigkeit zwischen beiden eben aufgezeigten Extremen; sie sind, abhängig von Art der Heuristik und Art des vorliegenden Problems, von unterschiedlicher Mächtigkeit. Zweifellos führt jedoch jede Heuristik im Vergleich zum ungeordneten Vorgehen innerhalb ihres Anwendungsbereichs zu besseren Lösungen. M. a. W.: Eine richtig durchgeführte Synektiksitzung zu einem gegebenen Problem zeitigt mehr und bessere Ergebnisse, als wenn wir uns einfach hinsetzen und warten, daß uns eben zu diesem Problem etwas einfällt. Vorurteil 3:
Der Nachweis der Leistungsfähigkeit der Methoden der Ideenfindung
hat an einem Kardinalproblem zu erfolgen. Entkräftung: Bei diesem Vorurteil besteht die Vermutung, daß der Argumentierende hofft, über eine ausgefallene Problemstellung die Methoden als „Versager" zurückweisen zu können. Bevorzugte „Prüfsteine" sind dabei Probleme ohne theoretischen oder praktischen Lösungsraum (z. B. Verlangen einer physikalischen Unmöglichkeit) genauso wie Probleme mit nicht ad-hoc beantwortbarer Komplexität (z. B. „Wie können wir den Gewinn verdoppeln?" „Wie kann man Kriege verhindern?"). Der Argumentierende begeht dabei in der Regel drei Fehler zugleich: Er verkennt die sinnvollen Anwendungsbereiche der Methoden der Ideenfindung, übergeht Gesetzmäßigkeiten im Problembereich und findet keine zieladäquaten, operablen Problemformulierungen.
1.4 Vorurteile gegen die Ideenfindung Vorurteil
4:
29
Ergebnislosigkeit ist eine Folge methodischer Fehlkonzeption.
Entkräftung: Eine E n t k r ä f t u n g dieses Vorurteils ergibt sich großteils aus den Anmerkungen zu Vorurteil 2. Die behauptete methodische Fehlkonzeption besteht in Wirklichkeit meist in der falschen D u r c h f ü h r u n g der M e t h o d e oder im Einsatz der M e t h o d e außerhalb ihres Anwendungsbereichs. Wenn man beispielsweise mittels Brainstorming die Dicke einer Stützmauer zu errechnen versucht, darf man die Erfolglosigkeit des Vorhabens nicht der M e t h o d e „Brainstorming" anlasten. Vorurteil 5:
Die systematische A n w e n d u n g der Ideenfindung ist zu teuer.
Entkräftung: Bevorzugter Gegenstand dieses Vorurteils sind die Kosten beim Problemlösen in Gruppen. Die Praxis zeigt jedoch, d a ß der Nutzen der Ideenfindung die verursachten Kosten in den weitaus meisten Fällen deutlich übersteigt. Wir werden hierzu in Kapitel 6.2 ausführlich Stellung nehmen. Vorurteil
6:
So einfache M e t h o d e n wie die der Ideenfindung m u ß m a n sich nebenher, ohne besonderen A u f w a n d aneignen können.
Entkräftung: Auch diesem Argument können wir nicht folgen. Es w u r d e schon angemerkt, d a ß die Schwierigkeiten der Ideenfindung weniger im Auffassen der methodischen Regeln denn im Gewinnen praktischer Anwendungserfahrungen liegen. Dies bedarf einer nicht unter Erfolgszwang stehenden experimentellen A u f b a u p h a s e [3, S. 264], Weiterhin sollten die organisatorischen Voraussetzungen zur dauerhaften Insitutionalisierung systematischer Ideenfindung geschaffen werden (vgl. Kapitel 7). Denn die Abwälzung der E i n f ü h r u n g der Ideenfindung auf wenige Initiatoren f ü h r t — dies ist uns aus vielen Fällen bekannt — häufig zu einem raschen Erliegen aller mit Ideenfindung verbundenen M a ß n a h m e n . Vorurteil
7:
Kreativität ist eine „zweischneidige Angelegenheit".
Entkräftung: Dieses Vorurteil wird zwar selten offen ausgesprochen, es ist verdeckt aber dennoch häufig vorhanden. Z w a r wird niemand lauthals die N o t wendigkeit zur Entfaltung von mehr Kreativität bestreiten, aber in vielen Fällen wehrt man sich gegen das Aufgeben tradierter Regeln, Verfahren, Gewohnheiten, Auffassungen usw. zugunsten der Schaffung kreativitätsfördernder Bedingungen [130, S. 9ff.]. Die Forderung nach Kreativität wird als ein bedrohendes Element für gew o h n t e O r d n u n g e n und bestehende Verhältnisse e m p f u n d e n . M a n wünscht zwar die Leistungssteigerung durch mehr Kreativität, scheut aber vielerorts den Preis ihrer Realisierung. Vielleicht bedarf es erst eines Wandels im Zeitgeist, ehe wir ein besseres Verständnis gegenüber einer kreativitätsoffenen Umwelt entwickeln [279, S. 121], Vorurteil
8:
Die M e t h o d e n der Ideenfindung zerstören die individuelle Leistungsposition.
30
1. Die Methoden der Ideenfindung
Entkräftung: Vereinzelte Teilnehmer an Seminaren, Vorträgen und in Problemlösungskonferenzen vermittelten uns durch Äußerungen und Verhalten den Eindruck, als befürchteten sie einen Vergleich der via Ideenfindung erzielten Ergebnisse mit ihren eigenen Leistungen. Der Gedanke schien sie zu bedrücken, daß eine Ideenfindungsgruppe plötzlich Ansätze zu einem Problem finden könnte, welches sie schon längere Zeit vergeblich zu lösen versuchten. Die betreffenden Teilnehmer neigten dann zu einer mehr oder weniger deutlich destruktiven Haltung, die sich auch in einer Abwertung erzielter Sitzungsergebnisse äußerte. Die Ursachen einer solchen Haltung auszuräumen dürfte nicht ohne weiteres möglich sein. Es bedarf dazu auch eines geänderten Gruppen- und Rollenverständnisses im Vergleich zu unseren jetzigen individuellen Leistungs- und Erfolgsnormen.
1.5 Die Intentionen dieser Arbeit Unsere praktischen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren, in welchen wir uns intensiv mit den Methoden der Ideenfindung, ihrer Anwendbarkeit und Übertragung befaßten, veranlassen uns, zu den oben skizzierten Vorurteilen folgende Gegenthesen aufzustellen: — Gemessen an ihrem potentiellen Nutzen sind die Methoden der Ideenfindung zu wenig verbreitet. - Die Methoden sind mit teilweise falschen Vorstellungen und Erwartungen belastet. - Die Möglichkeiten der Anwendbarkeit und ihre Grenzen werden oft nicht klar erkannt. — Die in der Praxis geschaffenen Anwendungsbedingungen für die Methoden der Ideenfindung sind häufig nicht optimal. - D i e organisatorischen Begleitmaßnahmen zur Institutionalisierung einer planmäßigen und systematischen Ideengewinnung und -Verwertung sind in der Regel unzureichend. M i t dieser Arbeit soll deshalb der Versuch unternommen werden, einige wichtige Aspekte von Ideenfindungs- und Problemlösungsprozessen aufzugreifen und in ihren Grundzügen zu beschreiben. Diese Beschreibung soll dem Zweck dienen, das Verständnis im Gegenstandsbereich zu verbessern und dem Praktiker einige Grundlagen für den darauf bauenden Einsatz heuristischer Ideenfindungs- und Problemlösungsmethoden zu vermitteln. Das Gebiet der Untersuchung läßt sich wie in Abb. 10 darstellen. Aus dem in Abb. 10 aufgezeigten Zusammenhang werden im Rahmen der Arbeit folgende Komponenten herausgegriffen und behandelt:
1.5 Die Intentionen dieser Arbeit
31
Abb. 10. Komponenten und Phasen von Problemlösungsprozessen
(1) Das Phänomen der Problementstehung und Besonderheiten des problembebedingten Lösungsvolumens (Kapitel 2). (2) Der Aufbau von Problemen und ihre Bedeutung für die Zuordnung und Entwicklung problemspezifischer Methoden (Kapitel 3). (3) Die Wirkungsweisen der wichtigsten Methoden der Ideenfindung und ihre Leistungskriterien (Kapitel 4). (4) Möglichkeiten der Erweiterung des verfügbaren methodischen Instrumentariums (Kapitel 5). (5) Die problemlösende Einheit, im Hinblick auf ihre kognitiven Voraussetzungen und prozeß-strukturelle Besonderheiten des Denkens sowie im Hinblick auf die Zahl der konstituierenden Individuen (Kapitel 6). (6) Die Organisation der Problemlösungsumgebung unter dem Gesichspunkt innovationsfördernder Gestaltungsprinzipien (Kapitel 7). Bei der Beantwortung dieser Fragestellungen geht es weniger um die Entwicklung eines den Gegenstandsbereich überdeckenden, geschlossenen theoretischen Ansatzes, so wie beispielsweise der Informationsverarbeitungsansatz der Entscheidungs- und Problemlösungstheorie psychologische und soziologische Erkenntnisse mit den Bezugsrahmen der Organisationstheorie und der Theorie kollektiver Entscheidungsprozesse in Einklang zu bringen versucht [140]. Unser Anliegen besteht vielmehr darin, praxisbezogene Analysen über vergleichsweise isolierte Phänomene anzustel-
32
1. Die Methoden der Ideenfindung
len, wobei Bezüge zu den jeweils zugrunde liegenden Theorien nur knapp angesprochen werden. Unsere überwiegend auf Erfahrung und Introspektion basierenden Beiträge werden in der Hoffnung zur Diskussion gestellt, gegebenenfalls brauchbare Interpretationen und praktisch-nützliche Transformationen bereits vorgeschlagener Theorien zu leisten und um vielleicht zu vereinzelten Sachfragen Anregungen für theoretische Fundierungen und tiefergehende Analysen geben zu können. Für den Gegenstandsbereich Ideenfindung und Problemlösung liegt eine geschlossene, alle denkbaren Situationen gleichermaßen abdeckende Theorie noch nicht vor. Solange, bis zur Schließung dieser theoretischen Lücke, ist der Praktiker auf einzelne Handlungstechniken angewiesen, deren theoretischer Unterbau nicht in allen Fällen besteht. Unsere Arbeit gilt dem Versuch, solche entscheidungstechnologischen Aussagen unter pragmatischen und situativen Aspekten zu treffen [38, S. 25 ff.].
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
Die in Unternehmungen auftauchenden Probleme sind sachinhaltlich von unendlicher Varietät. Um die enorme Unterschiedlichkeit möglicher Erscheinungsformen überhaupt verstehen und bewältigen zu können, müssen jeweilige Problem-Konkretisierungen auf ihre formal-strukturellen Gemeinsamkeiten reduziert werden. Eine hierfür taugliche Terminologie hat deshalb notwendigerweise Begriffe zu umfassen, die stark abstrahierend und generell verwendbar sind. Die Systemtheorie scheint uns solche Begriffe bereitzustellen. 2
2.1 Die Entstehung von Problemen Jedes Individuum befindet sich zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer ganz bestimmten Situation, bzw. es steht in Wechselwirkung mit bestimmten, es umgebenden Systemen. Ein System selbst kann beschrieben werden durch die Gesamtheit seiner funktionell in Relation stehenden Elemente [39, S. 17]. Die das Individuum umgebenden Systeme können von unterschiedlicher Komplexität sein und stehen ihrerseits zueinander in bestimmten Relationen. Jedes System und jedes Systemelement hat bestimmte Eigenschaften, d. h. es ist potentiell in der Lage, gewisse Funktionen auszuüben bzw. Wirkungen zu erzeugen. Durch die Verknüpfung von Elementen oder Systemen entstehen neue Systemstrukturen mit veränderten Relationen und Eigenschaften. Die das Individuum umgebenden Systemelemente bilden nicht nur physikalisch-materielle Konstrukte, sondern schließen auch immaterielle Größen ein. Das Individuum hat zu einem gegebenen Zeitpunkt über die es umgebende Situation bzw. die Gesamtheit der Systeme einen bestimmten Grad an Information, d. h. es hat eine gewisse Kenntnis über die Art der Systemelemente, deren Relationen zueinander, die Eigenschaften der Systeme, deren Abgrenzungen und wechselseitige Beziehungen. Die Strukturen der das Individuum umgebenden Systeme sind diesem also mehr oder weniger transparent. Durch existentielle Bedürfnisse oder durch Zwänge angeregt und über kognitive Eigenschaften befähigt bleibt das Individuum nicht passiver Bestandteil innerhalb der Situation, sondern tritt mit seiner Umgebung in eine kritische Auseinandersetzung. Dabei versucht das Individuum, die mit ihm in Wechselwirkung oder in Verbindung 2
Wir beziehen uns im folgenden auf die von Christen u. a. vorgeschlagenen Begriffsdefinitionen der Systemanalyse [39, S. 17ff.]. Auch Müller und Heinicke schlagen vor, Problemlösungsprozesse unter systemtheoretischen Aspekten zu behandeln [199, S. 152].
34
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
stehenden Systeme in Graden der Begünstigung oder Beeinträchtigung zu unterscheiden. Diese wertende Einschätzung erfolgt in Bezug auf die augenblickliche, aktuelle Orientierung, d. h. den auf das Zielbündel des Individuums gerichteten Handlungswillen. (Dabei wollen wir uns in Zustimmung mit Locke [159, S. 158] auf bewußt vorgenommene Handlungen beschränken: „ . . . consciousness is the regulation of action.") Als Orientierung soll also die Gesamtheit der Verhaltensrichtungen des Individuums im Hinblick auf die Erreichung seines Zielspektrums — d. h. die von ihm positiv bewerteten zukünftigen Zustände — bezeichnet werden. Inhaltlich kommt der Begriff „Orientierung" der Aufzählung von Bass nahe: „ . . . what persons actually did do, saw as important to do, and consciously preferred to do when confronted with alternatives in social solutions" [13, S. 261], Die Orientierung hat insofern auch motivationalen Charakter, als Beziehungen zwischen der Ausprägungsstärke des Handlungswillens und dem subjektiv zugemessenen Nutzwert des Zieles bestehen.
Abb. 11. Schematischer Ablauf bewußten Handelns
2 . 1 Die Entstehung von Problemen
35
Die Ziele des Individuums können scharf umrissen oder nur vage sein; sie schließen Einstellungen und Erwartungen mit ein [110, S. 7]. Die Zielentwicklung kann nach Gregory durch fünf Ursachen ausgelöst werden: neue Bedürfnisse entstehen, Veränderungen zerstören vorhandene Befriedigung, kompatible Gleichgewichte werden zerstört, natürliche Neugier herrscht vor oder Langeweile kommt auf [ 95, S. 64], Das Individuum versucht nun, in seiner Umgebung Elementkonstellationen zu begünstigen oder herbeizuführen, die seiner Orientierung entsprechen. Beeinträchtigende Konstellationen versucht es zu umgehen oder in begünstigende Konstellationen umzustrukturieren. Die dabei vollzogenen „Handlungen" können physisch sein, aber auch lediglich in Denkakten bestehen. Die bewußte Wechselwirkung des Individuums mit seiner Umgebung kann also in den Zusammenhang von Abb. 11 gebracht werden. In dieser schematischen Darstellung sind jene Größen enthalten, welche die Handlungsfähigkeit und den Handlungserfolg des Individuums im wesentlichen bestimmen. Dies sind vor allem: (1) Die Existenz von Zielen Da der Ablauf kognitiver Prozesse durch angestrebte Ziele gesteuert wird [110, S. 7], kann bewußtes menschliches Handeln nicht ohne die Bestimmung einer Zielsetzung erfolgen. Rein formal ist es dabei unerheblich, ob die Zielbildung von den ureigenen Bedürfnissen des Individuums aus erfolgt [95, S. 61] oder ob das Ziel von Dritten gesetzt wird (Zwang). In der Regel sind individuelle Zielstrukturen äußerst vielschichtig und ändern sich ständig im Zeitablauf, ohne daß man sich über die Art und die Gründe dieser Änderung recht bewußt zu werden braucht [31, S. 66]. (2) Der subjektiv eingeschätzte Zielwert Während die Existenz eines Zieles formal das psychische Antriebsgeschehen (Motivation) auslöst, spielt der eingeschätzte Zielwert hinsichtlich der Handlungsauswahl (Setzung von Prioritäten zwischen konkurrierenden Zielen) und der Handlungsintensität (Art und Stärke der Motivation) eine bestimmende Rolle. Von Dritten gesetzte Ziele werden z. B. häufig in Bezug auf die eigenen Nutzenvorstellungen als niedrigrangig empfunden, was sich wiederum auf die Motivation und die eingeschätzte Rationalität der auf das Ziel gerichteten Handlung auswirkt [64, S. B-177f.]l Da beispielsweise Jarosevskij von Untersuchungen berichtet, aus welchen eindeutig hervorgeht, daß ausgeprägte Motivation die Hervorbringung schöpferischer Gedanken begünstigt [125, S. 128 ff.], kann ein Zusammenhang zwischen subjektiver Zielattraktivität und Handlungserfolg unterstellt werden. Die von Locke experimentell nachgewiesene positive Korrelation von „degree of liking a task" und „task success" [158, S. 379 ff.] ist als weitere Bestätigung für das Bestehen dieses Mechanismus zu werten (vgl. hierzu auch [192, S. 2 3 ] ) .
36
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
(3) Die Eindeutigkeit des Zieles Das Individuum kann den von ihm erwünschten Sollzustand umso vollständiger definieren, je klarer und eindeutiger ihm sein Ziel bewußt ist. Je vollständiger weiterhin der Sollzustand als herbeizuführende Systemstruktur qualitativ und quantitativ beschrieben werden kann, desto präziser sind die daraus ableitbaren Hinweise über Art und Anzahl potentiell zielerreichender Handlungen [234, S. 51f], Wenn wir die Schwierigkeit des Umstrukturierungsprozesses von IST nach SOLL als die Ermittlung der Elemente des Sollsystems und deren Relationen auffassen, dann enthält die eindeutigere Zielformulierung hierüber mehr Informationen, hat an sich also bereits eine höhere „Lösungsqualität" [61, S. 12] und gibt mehr Aufschluß über die anwendbaren Umstrukturierungsregeln. Die Problematik einer von IST nach SOLL transformierenden Handlung steht damit in Abhängigkeit von der das SOLL definierenden Zieleindeutigkeit. Dieser Zusammenhang zwischen Problemspezifizierung und Lösungsqualität wird von Locke bestätigt [159, S. 169], (4) Kenntnis der verfügbaren Ist-Systeme Diese Kenntnis kann man auch als das Wissen des Individuums bezeichnen. Es bezieht sich nicht nur auf Kenntnisse über die aktuelle Umgebungssituation, sondern schließt das bisher akkumulierte Erfahrungswissen überhaupt ein. Handlungsschwierigkeiten und Handlungserfolge bei der Herbeiführung von Sollstrukturen sind wissensabhängig. Sie werden durch die Summe der dem Individuum bekannten Systeme und Umstrukturierungsregeln determiniert. Über je mehr Wissen ein Individuum verfügt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß es daraus ein geeignetes Muster für die zielerreichende Handlung findet. Wir haben gesehen, daß die Zielerreichung mit der Umstrukturierung der Beziehungssysteme der jeweiligen Situation verbunden ist und daß das Phänomen der Umstrukturierung als Charakteristikum für die Überführung der Ist-Situation in die Soll-Situation gelten kann [24, S. 362; 61, S. 28; 128, S. 37; 143, S. 67; 275, S. 273]. Das Individuum empfindet diesen Prozeß der Umstrukturierung als Problem, wenn es zunächst „nicht weiß, wie es zu diesem Ziel gelangen kann, also nicht auf wohlbekannte spezifische Techniken und Operationen zurückgreifen vermag" [275, S. 273] oder wenn „the relationships between the goal and the given are not apparent" [189, S. 1]. Ein Problem taucht auf oder entsteht also dann, wenn das Individuum eine gegebene Situation nicht sofort bestimmten Zielvorstellungen genügend umformen kann. Welche und wieviele Probleme das Individuum wahrnimmt ist situativ bestimmt und hängt wiederum von der Differenziertheit und Intensität der Orientierung ab, d. h. auch von der Aktivität, mit welcher der Mensch zu seiner Umgebung in Wechselwirkung tritt [175, S. 357].
2.1 Die Entstehung von Problemen
37
Der Problemlösungsprozeß des Individuums besteht im Entwurf und in der Durchführung von Maßnahmen, die zwischen der existierenden und der gewünschten Situation zu vollziehen sind [140, S. 137], Aus diesen elementaren Überlegungen wollen wir zu unserem Grundthema „Ideenfindung und Problemlösung in der Unternehmung" folgende Aussagen ableiten: 1. Eine differenzierte Orientierung begünstigt die Erkennung vitaler Probleme. Mitarbeiter in Unternehmungen werden problembewußter — mit steigendem Engagement und Interesse, — mit wechselnden Umgebungssituationen, d. h. Arbeitsinhalten und Aufgaben, — mit angemessenen Leistungsanreizen, z. B. im Hinblick auf Verantwortung, Anerkennung, Verhaltensfreiheit, Entgelt. 2. Der Mitarbeiter in einer Unternehmung bemüht sich umso nachdrücklicher um die aufgetretenen Probleme, je — vollständiger seine Ziele mit den Zielen der Unternehmung identisch sind, durch z. B. Mitbestimmung bei der Wahl zu bewältigender Aufgaben. — höher der Sinn ist, den er mit der Lösung des Problems verbindet, durch z. B. Jobenlargement oder Jobenrichment. Die Fähigkeit, sich hundertprozentig auch für die Probleme und Ziele Dritter einsetzen zu können, sich die Probleme anderer zu eigen machen zu können, zeichnet die Mitglieder erfolgreicher Arbeitsgruppen aus. 3. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Mitglied der Unternehmung ein ihm gestelltes Problem erfolgreich lösen kann, steigt mit — dem Wunsch, das Problem zu lösen, und mit der Freude, welche die Arbeit am Problem macht, durch z. B. geeignete Motivatoren und positives Arbeitsklima. — der Klarheit des zu erreichenden Ziels, z. B. durch grundlegende Informierung des Mitarbeiters oder seine Möglichkeit der eigenen Zielbildung. Die Aussagebereiche 1. bis 3. stehen mit den Bedingungen der erfolgreichen Anwendung der Methoden der Ideenfindung bzw. mit der Innovationsfähigkeit einer Unternehmung in enger Beziehung. Auf einige spezielle Aussagen wird im Verlaufe unserer Arbeit noch näher und anhand praktischer Beispiele einzugehen sein. Zunächst wollen wir jedoch einen weiteren grundlegenden Einflußfaktor auf die Lösbarkeit von Problemen diskutieren, nämlich das Lösungsvolumen bzw. den Lösungsspielraum eines Problems. Da die Leistungsfähigkeit der Methoden der Ideenfindung in praxi nicht zuletzt daran eingeschätzt wird, wieviele Alternativen sie zu einem gegebenen Problem erzeugen, spielen Fragen zur Manipulierbarkeit des Lösungsspielraumes auch zur Beurteilung der Methoden eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
38
2.2 Problemdefinition und LösungsSpielraum Nach Kirsch gehören zur Definition eines Problems die bei der Problemlösung zu beachtenden Werte, Ziele, Nebenbedingungen und Gegebenheiten [140, S. 145]. Die Definition enthält als denkbare Komponenten die Beschreibung eines Anfangszustandes und eines Endzustandes, die Beschreibung von transformierenden Prozessen und die Beschreibung von Zwischenzuständen [140, S. 145], Von diesen Komponenten gilt unser Interesse in Verbindung mit dem Lösungsspielraum oder -volumen (Hannig spricht in ähnlichem Zusammenhang vom „Möglichkeitenfeld" [103, S. 468]) in erster Linie der Beschreibung des Endzustandes: Der Lösungsspielraum eines Problems soll identisch sein mit der Menge erzeugbarer Strukturen bzw. Systeme, deren Eigenschaften den Anforderungen genügen, die das Individuum an einen akzeptierten Endzustand knüpft [204, S. 73], Nach dieser Auf-
Definition des Problems
Zahl der Anforderungen
Lösungsvolumen (Extensionen)
Benenne alle 1. Gegenstände
Eine. Es muß sich um Gegenstände handeln
sehr groß; geht gegen unendlich
2. die rund sind
Zwei
Immer noch außerordentlich groß, z. B. -Erde -Ball -Uhr -Hut - Apfel - usw.
3. und weiß sind
Drei
- Retorte
Das Lösungsvolumen hat erkennbar abgenommen: -Ei - Tennisball - Schneeball - Steckdose _ } _p
4. und massiv sind
Vier
Es können kaum noch Lösungen gefunden werden: -Billard-Kugel _>
Abb. 12. Realbeispiel zum Zusammenhang von Anzahl der Anforderungen an eine Lösung und Lösungsmenge
2 . 2 Problemdefinition und Lösungsspielraum
39
fassung ist der Lösungsspielraum nicht gleich dem Suchraum, wie dieser beispielsweise bei Michael [191, S. 43 ff.] beschrieben wird. Der Lösungsspielraum entspricht vielmehr der Zahl der im Suchraum auffindbaren Lösungen. Die von einer (akzeptierbaren) Lösung geforderten strukturellen bzw. funktionellen Eigenschaften können als Anforderungen bezeichnet werden, wie man auch die in der Praxis gebrauchten „Pflichtenhefte" als „Anforderungskataloge" bzeichnet [214, S. 156]. Im allgemeinen Sprachgebrauch findet man ebenso die Ausdrücke „Bedingungen, welchen eine Lösung genügen muß" wie auch „Randbedingungen des Problems". In der Wissenschaftstheorie versteht man jedoch unter Randbedingungen „die jeweils gegebenen individuellen, einmaligen, von Fall zu Fall wechselnden Sachverhalte" [260, S. 150]. Die Randbedingungen eines Problems sind also die spezifischen Ausgangsbedingungen oder Besonderheiten der Situation; sie kennzeichnen deren Gegebenheiten. Die Art und Anzahl der Anforderungen (die auch als zielbezogene Wunschund/oder Solleigenschaften aufgefaßt werden können) bestimmen nun unmittelbar die Dimension des Lösungsvolumens: Je vollständiger ein gewünschter Endzustand über die Art und Anzahl der obligatorischen Systemelemente, Relationen und Eigenschaften definiert ist, je geringer ist die Zahl der diesen Obligationen genügenden, bereits existierenden Systeme und je unwahrscheinlicher ist der Erfolg der entsprechenden Umstrukturierung der Ausgangsbedingung in ein solches System. Vice versa erweitert sich diese Zahl mit zunehmender Unbestimmtheit der Definition des Endzustandes. Die denkbare Lösungsmenge, die Lösungswahrscheinlichkeit und die Leichtigkeit der Lösungsfindung stehen also im umgekehrt-proportionalen Verhältnis zur Zahl der an eine Lösung gestellten Anforderungen. In Abb. 12 wird dieser Sachverhalt an einem einfachen Suchproblem (vgl. Punkt 3.3.2) demonstriert. An diesem Beispiel läßt sich leicht nachvollziehen, daß es mit steigender Zahl der Anforderungen zunehmend schwieriger wird, Extensionen der Problemdefinition (d. h. dem Problem entsprechende Lösungen) zu finden. Obwohl hierfür kein strenger Beweis erbracht werden kann, nehmen wir an, daß die Hinzunahme weiterer Anforderungen in die Problemdefinition zu einer überportionalen Einengung des Lösungsvolumens führt. Der Zusammenhang zwischen Zahl der Anforderungen und Ausdehnung des Lösungsvolumens könnte also einem hyperbolischen Verlauf folgen (Abb. 13). Im theoretischen Idealfall strebt das problemlösende Individuum ausschließlich jene Lösung an, die der vollständigen Problemdefinition in allen Anforderungen genügt [278, S. 62]. Dieser Idealfall setzt allerdings beim Individuum totale Kenntnis voraus über - die Systemeigenschaften des Istzustandes, - das Spektrum struktureller Konsequenzen aus der Überlagerung von Lösungsstruktur und Iststruktur,
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
40
— die Systemeigenschaften des Sollzustandes, — den G r a d der Übereinstimmung der ü b e r eine Lösung umstrukturierten Situation mit der G e s a m t h e i t aller Zielvorstellungen und — den G e s a m t u m f a n g des Lösungsvolumens.
E 3
"5 > V) W> C 3 w :0 -J
Lösungsvolumen = prop.
K hat den Charakter einer Konstanten und umfaßt die Zahl theoretisch möglicher Systemstrukturen (Lösungen) im Problembereich. (Bereits existente oder erzeugbare Lösungen)
Zahl der gesetzten Anforderungen Abb. 13. Zusammenhang zwischen Lösungsvolumen und Zahl der Anforderungen (nA) D a s Individuum entscheidet sich also dann objektiv rational, wenn es aus dem Ges a m t u m f a n g des Lösungsvolumens jene Lösung auswählt und realisiert, die der T o t a lität seiner aktuellen und vorhersehbaren Zielvorstellungen optimal gerecht wird. D a in den weitaus meisten Entscheidungssituationen die oben formulierten Transparenzbedingungen nicht erfüllt bzw. o h n e unangemessenen A u f w a n d nicht erfüllbar sind, akzeptiert das Individuum aber auch nicht-optimale, d. h. befriedigende Lösungen: es verhält sich subjektiv rational [ 2 7 8 , S. 6 0 ff.]. Dieses Verhalten wollen wir noch etwas näher beschreiben: D a s Individuum leitet den Problemlösungsprozeß durch eine Analyse der Ziele ein [ 1 4 3 , S. 1 9 2 ; 6 1 , S. 2 3 ] und formuliert daraus die Anforderungen an potentielle Lösungen. Diese Anforderungen sind nun untereinander durchaus nicht gleich, sondern zielspezifisch von unterschiedlicher Wertigkeit. Unterschiede in der Wertigkeit k ö n nen vom
Individuum d i c h o t o m
unter den Prädikaten
,,Muß-Charakter"
und
„ W u n s c h - C h a r a k t e r " [ 1 3 2 , S. 2 0 4 f f . ] oder aber in differenzierterer Abstufung gesehen werden. D a s Individuum selektiert im Regelfall alternative Lösungen nicht nach den Kategorien „ t a u g l i c h " und „ u n t a u g l i c h " , sondern es versucht innerhalb einer kontinuierlichen Werteskala zu unterscheiden. Die Skalierung dieser Werteskala verfeinert sich noch dadurch, d a ß potentielle Lösungen die Anforderungen nicht nur im Sinne einer J a - oder Nein-Feststellung, sondern auch graduell erfüllen können.
2.2 Problemdefinition und Lösungsspielraum
41
Graphisch könnte dies wie folgt dargestellt werden:
Abb. 14. Vektordarstellung der Lösungsqualität (L = Lösungsstruktur)
Abb. 15. Struktur der idealen Lösung (Lj)
42
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
Die Anforderungen A I bis A5 in Abb. 14 vertreten die Charakteristik des Problems derart, daß nur Strukturen als Lösungen (L) anzuerkennen sind, deren Strukturvektoren sich auf die Anforderungen richten und diese — wie bei A5 — möglichst erreichen. In dieser Darstellungsweise entspricht die Länge eines Vektors also dem Erfüllungsgrad der Anforderung; die Wertigkeiten der Anforderungen sind proportional den für sie eingezeichneten Längen der Pfeile. Die „ideale" Lösungsstruktur wäre folglich dadurch gekennzeichnet, daß die Lösungsvektoren alle Anforderungen gänzlich erreichen (Abb. 15). Nach unseren schon vorangegangenen Überlegungen ist das Volumen der existenten „idealen" Lösungen recht klein und tendiert mit zunehmender Zahl der Anforderungen gegen Null. Der Prozeß der Auffindung einer idealen Lösung ist unter der Setzung vieler Anforderungen dementsprechend aufwendig und der Prozeßerfolg in Frage gestellt. In der subjektiv-rationalen Entscheidung akzeptiert der Problemlösende auch Strukturen geringerer Wertigkeit als der des theoretischen Optimums (Maximums), d. h. er sucht vertretbare Kompromisse zwischen Lösungsaufwand und Lösungsqualität [140, S. 156; 278, S. 62]. Die Kompromißschließung geschieht durch Einbeziehung weiterer Lösungsvolumina nicht-idealer Struktur, in dem der Problemlösende — ursprünglich gestellte Anforderungen ganz aufgibt und/oder — die Erfüllungsgrade der Anforderungen reduziert [278, S. 62],
AI
Abb. 16. Struktur der „Schwellen-Lösung" (Ls)
2.3 Die praktische Bedeutung
43
Der Problemlösende verringert also die Qualitätsschwelle, über welcher von ihm akzeptierte Lösungen liegen müssen. Die Schwellenlösung in Abb. 16 stellt somit das Anforderungsminimum an „befriedigende" Lösungen dar; sie ist die Untergrenze des Bereichs „zulässiger" Lösungen [201, S. 23],
2.3 Die praktische Bedeutung der Problemdefinition und des Lösungsspielraums Die folgenden Beschreibungen praxisrelevanter Aspekte der Problemdefinition und des Lösungsspielraums gehen auf Beobachtungen und Erfahrungen zurück, die wir bei Problemlösungskonferenzen in der Industrie sammeln konnten.
2.3.1 Mängel der Problemdefinition Wie bereits erwähnt, dient die Problemanalyse der Klärung der Beziehung zwischen der Ist- und der Soll-Situation sowie dem Zielsystem des Problemlösenden [132, S. 73 ff.]. Im Hinblick auf analytische Vorklärungen leiden die Problemlösungsprozesse in der Praxis häufig unter folgenden Mängeln:
Das Zielsystem ist unbestimmt und vage. Dadurch entstehen beim kollektiven Problemlösen unverhältnismäßig lange Diskussionen um die Sollsituation. Es wird schwierig, ein operables Problem zu definieren und die vorgeschlagenen Lösungsansätze bleiben umstritten und kaum zu bewerten. Vage Zielformulierungen frustrieren, sie deformieren die Problemlösungsenergie, lassen Erfolgserlebnisse vermissen und geben dem Problemlösenden das Gefühl, sich umsonst bemüht zu haben. Ein vages Zielsystem fördert die Neigung, vor einem Problem zu kapitulieren oder sich von vornherein inaktiv zu verhalten. Insbesondere aus dem Forschungsbereich ist uns bekannt, daß Mitarbeiter über vage Zielvorgaben klagen. „Erfinden Sie etwas auf dem Gebiet der Fußpflege - aber es muß ein Knüller sein!" — so und ähnlich lauten häufig die an die Forschungsleitung gestellten und von dort weitergegebenen Aufgaben. Obwohl auch Marr berichtet, daß bei Forschungs- und Entwicklungsaufgaben die Ziele aus der Natur der Sache heraus nicht genau definierbar sind [171, S. 60], wurde uns gegenüber auch gelegentlich von Sachbearbeitern der Verdacht geäußert, daß die Vorgabe unpräziser Ziele eine bewußte Strategie mancher Vorgesetzten sei. Sie könnten dadurch jeden Vorschlag zurückweisen, weil mit der Problemstellung „etwas anderes gemeint worden sei".
44
2 . Problementstehung und Lösungsspielraum
Sollsituation und Zielsystem sind nicht kongruent. In diesem Fall sind die Lösungen des gestellten Problems nicht auf die eigentlichen Ziele ausgerichtet. Die Ursache liegt meist in einer Verkennung der Ist-Situation. Folgendes Beispiel soll diesen Sachverhalt illustrieren: Die einem T e a m vorgelegte Aufgabe bestand darin, alternative Verfahrensvorschläge zur Beschichtung von Folien zu entwickeln. In zwei Problemlösungskonferenzen wurde eine Anzahl Ideen erarbeitet, die später gemeinsam mit der Betriebsleitung diskutiert wurden. Erst bei dieser Diskussion stellte sich heraus, daß die eigentliche Problematik nicht in der Notwendigkeit einer Verfahrensveränderung bestand, sondern daß die Beschichtungsanlage ein Fertigungsengpaß war. N a c h der Neudefinition des Problems war die Lösung denkbar einfach: Die fehlenden Mengen wurden nach einer Wirtschaftlichkeitsrechnung kurzfristig durch Auftragsfertigung gedeckt.
Die Problemauffassung oder -formulierung kompliziert den Lösungsweg Stellen wir uns hierzu folgende Situation vor: Ein Tennisverein führt einen Wettkampf durch, für welchen 1 2 5 Spieler gemeldet sind. Es soll nach dem k. o.-System gespielt werden. Aus Planungsgründen stehen die Organisatoren vor dem „ P r o b l e m " , die Zahl der erforderlichen Spiele zu ermitteln. Die Art des gestellten Problems legt nahe, folgenden Routine-Algorithmus anzuwenden: a) 125 Spieler lassen sich zu 6 2 Spielpaarungen formieren; 1 Spieler erhält ein Freilos. b) Es verbleiben 6 2 + 1 = 6 3 Spieler; das ergibt 3 1 Paarungen (Spiele), wobei wiederum ein Freilos zu vergeben ist. c) Für die nun verbleibenden 3 1 + 1 Spieler müssen noch einmal 16 Spiele angesetzt werden usw. d) Die Gesamtzahl der Spiele ist 6 2 + 3 1 + 16 + . . . Gewiß kommt man auf diese Weise zum korrekten Ergebnis. Aber formulieren wir das Problem doch einmal in die Fragestellung um: „Wieviele Spieler müssen bei 125 Spielern ausscheiden, bis der Sieger feststeht?" Die Antwort liegt unmittelbar auf der Hand: 124. Und da bei jedem Spiel nur ein Spieler ausscheiden kann, ist damit gleichzeitig auch die Gesamtzahl der Spiele ermittelt. Aus dieser einfachen Umformulierung des Problems geht recht deutlich hervor, welche engen Abhängigkeiten zwischen der Art, eine Aufgabe zu sehen, und dem Lösungserfolg bestehen [ 1 3 9 , S. 3 3 0 ] , Auch hierzu soll aus der Praxis noch ein Beispiel angefügt werden: Für einen Kraftfahrzeughersteller sollte das Problem des Aquaplaning unter-
2.3 Die praktische Bedeutung
45
sucht werden (Regen schiebt sich ab einer gewissen Fahrgeschwindigkeit wie ein Wasserkeil zwischen Reifen und Haftgrund; der Wagen gleitet dann wie auf einer Eisschicht). Die ersten Lösungsversuche waren unbefriedigend, bis man die „richtige" Problemstellung fand: „Wie kann man das Wasser vor dem Reifen beseitigen oder verdrängen?" Plötzlich war der Weg für eine gute Lösung offen, die den Fahrtwind nutzt und die sich jetzt im Test befinden soll. Problemlösungen lassen sich nach unseren Erfahrungen dann besonders „zwingend" erarbeiten, wenn die wesentlichen problemrelevanten Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Relationen) in der als problematisch empfundenen Ist-Struktur erkannt worden sind. Hier kommen in der Praxis jedoch noch bemerkenswerte Unterlassungen vor, die eine Menge Problemlösungsenergie unnütz verzehren. Dies ist auch darauf zurückzuführen, daß dem Praktiker bisher nur wenige verläßliche Instrumente der Problemanalyse angeboten wurden. Eine Ausnahme bilden die Ansätze von Kepner und Tregoe [132], die vielfach erfolgreich von der Industrie übernommen werden konnten. Hilfestellungen geben auch die Methoden der Gruppe F aus Abb. 4, zum Beispiel die Progressive Abstraktion oder die Hypothesen-Matrix (siehe die Kurzbeschreibungen im Anhang). Dennoch sind auch diese Methoden nur Stückwerk. Allgemein ist die Situation noch dadurch gekennzeichnet, daß man zwar in jeder Literaturarbeit die Phase der Problemanalyse bei der Formalstruktur von Entscheidungsprozessen betont, aus den betreffenden theoretischen Überlegungen sind jedoch bisher zu wenige, praktikable Arbeitsmethoden hervorgegangen. Die Fähigkeit, ein Problem analysieren und vereinfachen zu können ist also grundsätzlich und in hohem Ausmaß mitentscheidend für den Erfolg eines Problemlösungsprozesses und gilt auch als ein hervorragendes Merkmal für Kreativität [216, S. 69], Eine neue Erkenntnis über die Problemsituation ist nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, weil sie in vielen Fällen den Einsatz anderer, effizienterer Problemlösungsstrategien und -methoden ermöglicht [117, S. 39].
2.3.2 Variation des Lösungsspielraums Wie schon erwähnt, entspricht der Lösungsspielraum bzw. das Lösungsvolumen der Zahl der möglichen Antworten auf ein gegebenes Problem, d. h. der Lösungsspielraum kann als die Summe der auffindbaren Extensionen der Problemdefinition bezeichnet werden. Problemdefinition und Lösungsvolumen stehen also in unmittelbarer Wechselwirkung. Je größer das Lösungsvolumen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, das Problem mit Erfolg zu lösen, d. h. eine akzeptable Extension zu finden. In der Praxis des Problemlösens können diese Zusammenhänge in folgenden Punkten kritisch werden:
46
2. Problementstehung und Lösungsspielraum » Problemdefinition *
Problematik der
Lösungsvolumen oder
Lösungsfindung
' Lösungsspielraum
Abb. 17. Wechselwirkungen zwischen Problemdefinition, Lösungsspielraum und Problematik der Lösungsfindung
Das gestellte Problem ist „überdefiniert", d.h. durch ein Zuviel an Anforderungen gekennzeichnet. Als Folge der „ Ü b e r d e f i n i e r u n g " reduziert sich der Lösungsspielraum so stark, d a ß bedingt durch die geringe Findewahrscheinlichkeit ( „ T r e f f e r q u o t e " ) der Ideenfluß z. B . einer Problemlösungsgruppe gegen Null geht. D a nahezu jede erdachte Lösungsmöglichkeit wieder verworfen werden m u ß , weil sie der S u m m e der Anforderungen nicht standhält, erlebt der Problemlösende ein nachhaltiges Gefühl der Frustration und kapituliert schließlich vor der Aufgabenstellung. N e h m e n wir zum Beispiel an, eine Unternehmung suche zum Z w e c k e der Diversifikation neue Produkte, an die folgende Anforderungen gestellt werden:
Lösungsspielraum „Kunststoffartikel" (A2)
17 Lösungsspielraum „Wegwerfartikel" (AI) 14
13
Lösungsspielraum ,3 „Produkte aus Anlage x " (A4) 11
12
16
Lösungsspielraum „medizinische Produkte" (A3)]
»15
Abb. 18. Reduktion von Lösungsspielräumen durch mehrere Anforderungen -
Es m u ß ein Wegwerfartikel sein ( A I ) ,
-
Das Produkt sollte ausschließlich aus Kunststoff bestehen ( A 2 ) ,
2.3 Die praktische Bedeutung
47
— Es sollte ausschließlich auf medizinischem Sektor Verwendung finden (A3), — Das Produkt muß auf einer vorhandenen Anlage zu wesentlichen Teilen gefertigt werden können (A4). In Abb. 18 repräsentiert die Fläche 1-2-3-4 die Menge aller denkbaren Wegwerfartikel, die Fläche 5-6-7-8 die Menge aller Produkte, die aus Kunststoff herstellbar sind usw. Da nun nicht alle Wegwerfartikel aus Kunststoff hergestellt sein können und nicht alle Kunststoffartikel zum Einmalgebrauch bestimmt sind, reduziert sich der Lösungsspielraum für die kombinierten Anforderungen „Wegwerfartikel" und „Kunststoff" entsprechend auf die Teilfläche 17-2-18-8. Analog bedeuten beispielsweise die Teilfächen 8-19-10-20: Menge der auf Anlage X herstellbaren Kunststoffartikel 8-19-21-18: Menge der auf Anlage X herstellbaren Kunststoff-Wegwerf-Artikel 8-19-22-23: Menge der auf Anlage X herstellbaren Kunststoff-Wegwerf-Artikel für den medizinischen Sektor. Der Lösungsspielraum, der allen gestellten Anforderungen gerecht wird, ist also recht klein geworden (siehe die schraffierte Fläche in Abb. 18). Um ein fiktives Zahlenbeispiel zu gebrauchen: Wenn nur 20% aller Wegwerfartikel aus Kunststoff bestehen und davon nur 5% auf der Anlage X hergestellt werden können von denen wiederum nur 1% im medizinischen Sektor Gebrauch finden kann, dann genügt nur jeder lOOOOste Wegwerfartikel allen Anforderungen der Diversifikationsaufgabe! Der Problemlösungsprozeß ist also entsprechend unergiebig, da es kaum gelingt, Extensionen der Problemdefinition zu finden. Für die Praxis kann daraus die Forderung abgeleitet werden, daß die Probleme durch ein „ O p t i m u m " an Lösungsanforderungen definiert sein sollten und daß die Vorgabe zuvieler Anforderungen insbesondere dann zu vermeiden ist, wenn „intuitive" Methoden der Ideenfindung angewendet werden sollen. Die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität des Menschen (Beachtung aller Anforderungen!) zeigt ansonsten recht klar die Grenzen der Lösungsfähigkeit [140, S. 89ff.]. Wir sind geneigt, dieses „Optimum" bei nur zwei bis vier, dafür aber grundsätzlichen Anforderungen (höchste Wertigkeit) zu sehen. Gibt man mehr Anforderungen vor, können die Denkprozesse von relativ unbedeutenden Anforderungen geleitet oder blockiert werden. Schränkt man die Anforderungen zu sehr ein, dann besteht die Gefahr, daß alle gefundenen Lösungen bei der nachfolgenden Bewertung wieder verworfen werden müssen.
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
48
Die Randbedingungen (Gegebenheiten) der Problemsituation werden unzutreffend eingeschätzt. Die Randbedingungen stellen jene Bedingungen dar, die als gegebene, unveränderliche Größen in problematischen Systemstrukturen und den Prozessen der Umstrukturierung beachtet werden müssen. Sie fließen in die Problemdefinition ein und determinieren die an potentielle Lösungen zu stellenden Anforderungen (wenigstens teilweise). Die Veränderung einer Randbedingung hat deshalb Auswirkungen auf den Lösungsspielraum und die Lösungsstrategie. Durch die Annahme falscher oder die Unterstellung vermeintlicher Randbedingungen werden häufig Problemlösungsprozesse unnötig erschwert oder deren erfolgreicher Abschluß gänzlich in Frage gestellt. Als anschauliches Beispiel für grundlos angenommene Randbedingungen möge die folgende kleine Denkaufgabe in Abb. 19 dienen. Die Versuchspersonen können diese Aufgabe solange nicht lösen, wie sie die vermeintliche Randbedingung aufrechterhalten, die Linien dürften die durch die Punkte umgrenzte Fläche nicht verlassen. Ist diese Randbedingung erst einmal aufgegeben, wird eine richtige Lösung sehr schnell gefunden. Die im Quadrat angeordneten neun Punkte sind durch vier gerade, in einem Zuge zu zeichnende Linien zu verbinden: •
•
•
•
•
•
•
•
•
Problem
Abb. 19. Denkaufgabe „Verbinde neun Punkte" als Beispiel für das subjektive Setzen von Randbedingungen
Auch bei der Aufgabe, vier Punkte so anzuordnen, daß jeder von jedem anderen gleich weit entfernt ist, neigt man dazu, sich eine ähnlich blockierende Randbedingung selbst zu setzen. Die meisten Problemloser gehen bei dieser Aufgabe davon aus, daß alle vier Punkte in einer Ebene liegen müßten. Erst die Zurückweisung der in der Problemdefinition selbst überhaupt nicht enthaltenen Randbedingung macht das Problem lösbar (Abb. 2 0 ) .
2.3 Die praktische Bedeutung
49
Abb. 20. Denkaufgabe „Vier Punkte in gleichem A b s t a n d " als Beispiel für das subjektive Setzen von Randbedingungen
Freilich sind die fälschlicherweise gesetzten Randbedingungen bei Problemen in der Industrie nicht unbedingt mit jenen der gezeigten Denkbeispiele vergleichbar, d. h. Fehlannahmen sind häufig wesentlich schwieriger zu erkennen. Doch auch dort lassen sich Fälle finden, in denen man offensichtlich von falschen Randbedingungen ausging. In einem Werk fielen bei der Herstellung von Zylinderkopfdichtungen große Mengen an Ausschnittmaterial an, und zwar in der Form von Ronden, kleinen Platten und Leisten. D a dieser Abfall einen hohen Wert verkörperte, suchte man nach lohnenden Weiterverwendungsmöglichkeiten. Lange Zeit ging man bei der Lösungsfindung davon aus, daß die Grundstoffe des Materials nicht regenerativ wiedergewonnen werden könnten. M a n suchte deshalb ohne großen Erfolg nach Einsatzmöglichkeiten für Ronden, Platten und Leisten. Erst als man systematisch Regenerierungsverfahren in die Überlegungen einbezog, vergrößerte man den Lösungsspielraum des Recycling-Problems und fand schließlich eine gute Weiterverwendungsmöglichkeit für das teuere Material. Ein anderes Problem betraf die Justierung von Gießkernen in einer Kokille. Alle zunächst erdachten Befestigungsprinzipien zeigten immer wieder Mängel. Schließlich wurde nach längeren Bemühungen die Frage gestellt, ob man denn auch das Gießteil selbst geringfügig konstruktiv verändern könnte. Da dies (entgegen der bisherigen Auffassung der Problemloser) ohne weiteres möglich war, konnte dann sehr schnell eine befriedigende Lösung erarbeitet werden. Diese wenigen Beispiele sollen verdeutlichen, daß der Problemlösende in vielen Fällen der Neigung unterliegt, Randbedingungen bzw. Beschränkungen in zu großer
50
2. Problementstehung und Lösungsspielraum
Zahl und als Datum zu sehen, obwohl sie tatsächlich fallengelassen werden könnten. 3 Sehr nützlich ist deshalb eine an den Anfang von Problemlösungsprozessen gestellte Analyse aller Freiheitsgrade, um sog. „flexible conflict-elements" [61, S. 4 7 ] in vollem Umfang zu erkennen und die dadurch zusätzlich gewonnenen Lösungsspielräume voll ausschöpfen zu können. Auch das gegenläufige Phänomen, nämlich die Überspielung von Anforderungen und die Außerkraftsetzung von Randbedingungen, wurde von uns beobachtet, und zwar besonders häufig in wenig geschulten Brainstorming-Gruppen. Der Ablauf der Problemlösungsprozesse im Brainstorming ist dann typischerweise der: 1. In den ersten Minuten ist die Gruppe produktiv und bringt mit großem Ideenfluß problemkonforme Lösungsansätze. 2. Die naheliegenden Lösungen sind erschöpft; nur noch vereinzelt kommen Ideen. Die Mitglieder der Gruppe fühlen sich sichtlich unwohl. 3. Ein Teilnehmer bringt einen Lösungsansatz, der nur zu einer erweiterten/ modifizierten Problemdefinition gehören könnte. 4. Das „ n e u e " Problem wird von allen Teilnehmern stillschweigend akzeptiert. Dann weiter wie 1. Welcher Mechanismus kann hinter diesem Problemlösungsverhalten stecken? Wir möchten es hypothetisch damit erklären, daß die Neigung, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, grundsätzlich auch für Denkvorgänge Gültigkeit besitzt. Das heißt, der denkende Mensch bevorzugt jene Problemdefinitionen, zu deren Extensionen er den leichtesten Zugang findet. Dadurch entsteht die Tendenz, Lösungsspielräume zu erweitern oder weitere Lösungsspielräume in den Problemlösungsprozeß einzubeziehen. Die dort gefundenen Lösungen genügen jedoch dann den Anforderungen aus der ursprünglichen Problemstellung weitgehend nicht mehr. Wir möchten deshalb den „ W e g des geringsten Widerstandes" hier so interpretieren, daß man innovative Lösungen häufig erst dann findet, wenn das Denken bereits „weh t u t " .
3
Unzutreffende Annahmen bzw. die Setzung vermeintlicher Randbedingungen können ganze Forschungsgebiete blockieren oder bestimmte Entwicklungsrichtungen von vornherein ausschalten. Die Geschichte kennt davon genügend Beispiele. Die Annahme, daß die Erde eine Scheibe sei, schreckte viele Jahrhunderte lang die Seefahrer von einer Exploration ferner Kontinente ab; die Annahme, die Erde sei der starre Mittelpunkt des Weltalls, verhinderte lange Zeit die Entfaltung der Astronomie. Gerne belächelt man die Fehler vergangener Zeiten. Doch auch die Wissenschaftler von heute tun gut daran, die Annahmen ihrer gerade gültigen Theorien bereitwillig immer wieder in Frage zu stellen und auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Das trifft keineswegs nur auf Grenzgebiete zu, wie bspw. die Parapsychologie. Auch in den vergleichsweise „abgesicherten" Wissenschaften wie z. B. der Betriebswirtschaftslehre, werden noch genügend Theorien und Modelle weitergetragen, deren „Grundpfeiler" wohl gewisser Korrekturen bedürfen.
3. Der Aufbau von Problemen
Ein tieferes Verständnis über den Aufbau von Problemen scheint uns deshalb besonders wichtig, weil erst aus diesem Verständnis heraus Aussagen über die Lösbarkeit der Probleme getroffen werden können. Das Interesse des problemlösenden Praktikers am Aufbau von Problemen ist insbesondere darin zu sehen, daß er aus der Kenntnis der Struktur eines vorliegenden Problems Hinweise darüber erhält, welche der ihm bekannten Methoden er mit größter Aussicht auf Erfolg anwenden kann. Darüber hinaus setzt ihn das Wissen über den Aufbau von Problemen in die Lage, sein Vorgehen verstehend zu ordnen, d. h. selbst methodisch schöpferisch zu werden. Im Rahmen unserer Arbeit wollen wir den Aufbau von Problemen unter drei Aspekten betrachten: Im Hinblick auf ihren Strukturierungsgrad, ihre Komplexität und besondere Anforderungen im Zuge ihrer Lösung.
3.1 Die Strukturqualität von Problemen Die grundlegenden Schwächen der entscheidungstheoretischen Ansätze der Betriebswirtschaftslehre bestanden anfänglich in der „unrealistischen Normierung des Verhaltens der Wirtschaftssubjekte" [108, S. 3], Die typischen Entscheidungsmodelle für z.B. betriebsindividuelle Problemsituationen basierten auf mathematisch-statistischer Entscheidungslogik, deren Anwendung eine Standardisierung der Verhaltensweisen des Entscheidungssubjektes voraussetzte [108, S. 3]. Die Modellmängel lagen überwiegend in der ungenügenden Erfassung der Wirklichkeit, welche die Aussagefähigkeit der gewonnenen Ergebnisse einschränkte und auf diese Weise oft echte Probleme zu völlig bedeutungslosen Rechenübungen werden ließ [238, S. 7]. Erst die Unterscheidung sogenannter geschlossener und offener Entscheidungsmodelle erlaubte eine Integration sozialwissenschaftlicher Nachbardisziplinen (insbesondere der Psychologie, Soziologie und Politologie) in die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie und ermöglichte so eine exaktere Darstellung des realen Ablaufs von Entscheidungsprozessen [108, S. 3 f.]. Beide Entscheidungsmodelle sollen in ihren Grundzügen kurz erläutert werden. Die auf mathematisch-statistischer Entscheidungslogik basierenden geschlossenen Entscheidungsmodelle beziehen sich auf vollständig definierte Probleme. Ein vollständig definiertes Problem ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: - Es kann mit numerischen Variablen, skalaren und Vektorgrößen beschrieben werden [278, S. 81], — Es umfaßt eine bestimmte, endliche Anzahl von Alternativen, die sich gegenseitig ausschließen [108, S. 3].
52
3. Der Aufbau von Problemen
- Es enthält hinreichend bekannte Konsequenzen, d. h. die Relationen zwischen den Systemelementen sind determiniert [108, S. 3], - Die Ziele sind klar formuliert [108, S. 3] und können durch einen Satz wohldefinierter Funktionen ausgedrückt werden [278, S. 81], - Es stehen Lösungsalgorithmen zur Verfügung, mit welchen die zielgerichtete Auswahl einer Alternative aus der vorhandenen Alternativenmenge möglich ist [108, S. 4; 278, S. 81]. „Geschlossene Entscheidungsmodelle sind entscheidbar im mathematischen Sinne" [108, S. 4], d.h. die vollständige Kenntnis der Problemgegebenheiten ermöglicht es dem Individuum, logisch, sicher und zwingend eine Lösung zu erzielen. Die eigentliche Problematik des Prozesses besteht dann nur darin, die — manchmal allerdings recht große — Anzahl der beteiligten Variablen ihren strukturellen Verbundenheiten entsprechend „richtig" zu verarbeiten. Anleitungen darüber, wie diese Verarbeitung logisch zu erfolgen hat, bezeichnen wir als Algorithmen: „An algorithm is a process of solving a problem that if followed guarantees that the problem will be solved in a finite number of steps if the problem has a Solution" [278, S. 3; 147, S. 335], Das mit dem Algorithmus verbundene Prädikat der Lösungsgarantie zeichnet dessen hohe Mächtigkeit aus: mit Sicherheit wird die optimale Lösung gefunden. (Die Optimierungskriterien sind in das zugrundeliegende Modell eingearbeitet.) Dementsprechend ist der Anwendungsbereich eines Algorithmus eng gefaßt und präzise zu beschreiben. Die Anwendungsfälle müssen im Hinblick auf die Art der beteiligten Variablen und das Ziel der Problemlösung absolut strukturgleich sein [201, S. 20]. Die in geschlossenen Entscheidungsmodellen behandelten Probleme nennen wir auch wohlstrukturierte Probleme, da nach der Problemformulierung die Lösung des Problems — sieht man von besonderen Anforderungen wie z. B. der kombinatorischen Optimierung einer Vielzahl von Variablen ab — grundsätzlich keine Schwierigkeiten mehr bereitet [92, S. 49; 108, S. 3], Grundsätzlich gilt, daß der Problemloser umso wahrscheinlicher zu einer Lösung kommt, je mehr Elemente der Problemsituation ihm bekannt sind[170, S. 74], So beruht die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Bearbeitung wohlstrukturierter Probleme auf der umfassenden Kenntnis der problembezogenen Strukturkomponenten; sie können ohne eigentliche Schwierigkeit durch Rückgriff auf eine geeignete Routine bewältigt werden. Probleme, die nicht mit Routineverhalten gelöst werden können, bezeichnet Holliger als „Pioniersituationen" [17]; sie sind schlecht-strukturiert, d.h. unvollständig definiert. Es fehlt ihnen wenigstens eines der Merkmale wohl-strukturierter Probleme [108, S. 5], Die Prozesse zur Lösung schlecht-strukturierter Probleme werden durch offene Entscheidungsmodelle darzustellen versucht [108, S. 5]. Viele betriebliche Entscheidungssituationen sind insofern schlecht- strukturiert, als z. B. ihre Ziele nicht in der für geschlossene Modelle notwendigen Weise starr sind
3 . 2 Die Komplexität von Problemen
53
oder als geeignete Problemlösungsalgorithmen nicht gefunden werden können [108, S. 5]. Der Charakter entsprechender Problemlösungsprozesse ist folglich pionierhaft und erschwert es dem Problemlösenden, sein Denken zielgerichtet zu gestalten [ 1 1 7 , S. 39]. In diesen Situationen impliziert die Lösung der Probleme die Entfaltung geistig schöpferischer Prozesse. Auch diese Probleme lassen sich methodisch unterstützen. Die entsprechenden Methoden sind allerdings nicht durch den inhaltlichen Gegenstand des Problems charakterisiert, sondern durch die abstrahierende Form des Herangehens an die Lösung [199, S. 152], Solche abstrahierenden Methoden — sogenannte heuristische Prinzipien - „stellen Verhaltensstrategien dar, die der Mensch auf Grund eigener oder fremder Erfahrungen entwickelt" [108, S. 5]. Sie begünstigen die Wahrscheinlichkeit der Lösungsfindung (heuriskein (griech.) = finden; heureka = ich hab's gefunden) bei schlecht-strukturierten Problemen, garantieren aber nicht den Lösungserfolg [140, S. 155; 278, S. 73], „Das Fehlen der Lösungsgarantie scheint so gesehen der Preis zu sein, der für den stark reduzierten Suchaufwand beim heuristischen Programm in Kauf genommen werden muß" [140, S. 156]. Wohlstrukturierte Probleme und schlechtstrukturierte Probleme sind keineswegs dichotom; vielmehr treten in der Praxis Probleme mit unterschiedlichsten Strukturierungsgraden auf. Diese unterschiedliche Strukturiertheit kann die Erkennung von Teilproblemen innerhalb eines komplexen Problems ebenso betreffen wie die Komponenten eines nicht weiter aufspaltbaren Teilproblems selbst, z. B. dessen Klarheit der Zielbezogenheit, Bekanntheit der problemimmanenten Logik usw. Da die Methoden der Ideenfindung aus bestimmten heuristischen Prinzipien konstituiert sind, können sie ex definitione nicht „intelligent" auf wohlstrukturierte Probleme angewendet werden [277, S. 58]; ihr sinnvoller Einsatz setzt den Typ des schlechtstrukturierten Problems voraus. Die angemessene Anwendung der Methoden der Ideenfindung bedingt demnach in erster Linie die Bestimmung des Strukturtyps eines vorliegenden Problems und die Zerlegung komplexer Probleme in Teilprobleme unterschiedlicher Strukturiertheit.
3.2 Die Komplexität von Problemen Unter dem Begriff „Komplexität" versteht Fuchs „ein Maß der Schwierigkeit, die ein Beobachter bei der Analyse der Struktur eines Organismus zu meistern hat" [73, Sp. 1618]. In Anlehnung an diese Definition bezeichnen wir ein Problem dann als hochkomplex, wenn es sich dem Problemlösenden als sehr umfangreiche Systemstruktur darbietet, bestehend aus einer Vielzahl von Systemelementen, mannigfachen Relationen und einer breiten Varietät von Eigenschaften. Komplexe Probleme sind demnach Probleme, die sich in ihrer Gesamtheit kaum gedanklich erfassen lassen [238, S. 7], Die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität des Menschen ist Ursache dafür, daß er Probleme gewisser Komplexität nicht mehr ganzheitlich umzustrukturie-
54
3. Der Aufbau von Problemen
ren vermag, zumal hierfür geeignete Methoden kaum zur Verfügung stehen [108, S. 6; 238, S. 7]. Der Umstrukturierungs- bzw. Problemlösungsprozeß bei komplexen Problemen muß sukzessive, in Teilschritten oder Etappen erfolgen [275, S. 279]. Das problemlösende Individuum wird deshalb bei komplexen Problemen zunächst mit der Schwierigkeit konfrontiert, den Lösungsvorgang in prozessuale Einheiten (Teilschritte) aufzuspalten und eine geeignete Reihenfolge der Verarbeitung dieser Einheiten zu bestimmen. Die Zerlegung eines Komplexproblems in Teilprobleme ist typisch für die Strategie von Problemlösungsprozessen [143, S. 178ff.; 287, S. 126], und die Fähigkeit der Prozeßorganisation durch Teilzielbildung und Verarbeitungssequenz wird zu einer eigenständigen Erfolgsdeterminante: „Es ist begründbar, daß ein rascher Lösungsprozeß mit einer dominierenden Teilzieldifferenzierung zusammenhängt" [143, S. 180; 204, S. 77]. Obwohl Hürlimann auf über 600 bekannte Problemlösungsmethoden hinweist [121, S. 93 ff.] und in seinen vorgeschlagenen Methodenklassifikationen unter den Rubriken „Sammeln und Ordnen" sowie „Deduktive Methoden" eine Reihe von Verfahren auflistet, mit welchen der Problemlösende die komplexe Wirklichkeit „in den Griff bekommen" und verstehend verändern können soll, bereitet in der Praxis die Entwicklung von Strategien zur Lösung komplexer, schlecht-strukturierter Probleme nach unserer Kenntnis noch erhebliche Schwierigkeiten. Methodische Lücken empfindet man insbesondere bei der Herauskristallisierung von logisch verknüpften Teilproblemen. Da hier kaum eindeutige, problemspezifische Verfahrenshilfen angeboten werden, ist die Neigung erkennbar, zu komplexe Probleme ganzheitlich bewältigen zu wollen. Dieser Gefahr unterliegt man auch häufig bei der Anwendung der Methoden der Ideenfindung. Die sich dabei einstellenden Mißerfolge sind vor allem bei den intuitiven Methoden der Ideenfindung erklärlich, denn der Anwendungsbereich dieser Methoden ist neben anderen Merkmalen durch geringe Problemkomplexität gekennzeichnet. Der in Ermangelung dieser Erkenntnis erfolglose Praktiker neigt schließlich dazu, die Methoden als solche zu diskreditieren, und ist über ihre Anwendbarkeit verunsichert. Es sollte deshalb verstärkt darauf geachtet werden, das Phänomen der Komplexität in der Leistungsbeschreibung von Methoden zu berücksichtigen. (Marks betont sogar, daß die Komplexität von Problemen als Grundlage einer Theorie des Problemlösens zu gelten habe [170, S. 74].) Dieser Hinweis ist jedoch nur Teil der allgemeinen und grundsätzlichen Forderung, die Anwendungsbereiche der in wachsender Flut vorgeschlagenen Methoden klar zu beschreiben und dem Problemlösenden gleichzeitig Anweisungen darüber zu geben, welchem Anwendungsbereich sein vorliegendes Problem zuzuordnen ist. Solche Spezifizierungen sind gerade für heuristische Problemlösungsverfahren in höchstem Maße wünschenswert [3, S. 18 ff.].
3.2
Die Komplexität von Problemen
55
Auch bei methodologischen Weiterentwicklungen ist die Komplexität der anstehenden Probleme von Bedeutung. Viele Weiterentwicklungen erfolgen dadurch, daß man den Anwendungsbereich einer allgemeinen Methode sachlich differenziert und eine methodische Fortentwicklung im Hinblick auf die Besonderheiten kleinerer Teilbereiche betreibt. Auf diese Weise erhält man zwar ein verzweigteres methodisches Instrumentarium, wobei aber das Einzelinstrument nun effizienter, dafür freilich in weniger Fällen, anwendbar ist. Eine Differenzierung der Anwendungsbereiche heuristischer Problemlösungsmethoden sollte fraglos über die Unterscheidung der nachfolgend beschriebenen elementaren Problemarten (vgl. Punkt 3.3) hinausgehen, da diese noch viel zu allgemein gefaßt sind. Sie könnte jedoch über eine Re-Synthese dieser „Mikro-Probleme" zu komplexeren Problemen erfolgen, wobei allerdings noch Unsicherheit über eine praktikable Synthetisierungsregel besteht. Bislang ist es uns jedenfalls noch nicht gelungen, eine anwendungsorientierte, umfassende Unterscheidung komplexer Probleme zu erarbeiten. Sie ließe sich synthetisch wie folgt erzeugen:
Erscheinungsvielfalt von Problemen
Prozeßanalyse
EP 1
Komplex-Problem 1
EP 2
Komplex-Problem 2
EP 3
Synthetisierungs-
EP 4
regel
Komplex-Problem 3 Komplex-Problem 4
EP 5 Elementarprobleme als Bausteine
operationale Klassifizierung komplexer Probleme
vorschlagsweise gelöst Abb. 21. Mögliches Vorgehen zur Klassifizierung komplexer Probleme
Aus der Erfahrung vieler Problemlösungsprozesse glauben wir resümieren zu können, daß Prozeßschwierigkeiten weniger bei der Wahl und Anwendung einer bestimmten Problemlösungshilfe (Methode) für einen problematischen Teilschritt des Lösungsprozesses bestehen, sondern daß die Strukturierung des Problems insgesamt und die Erarbeitung einer zielstrebigen Strategie die größeren Anforderungen stellen. Die Komplexität eines Problems erhält also per se problematischen Gehalt. Das Bedürfnis des Problemlösenden geht somit über die Kenntnis abgegrenzter Methoden
56
3. Der Aufbau von Problemen
hinaus nach Strategien, d. h. nach Regeln, wie mit mehreren Methoden in „vorgeschriebenem Verbund" komplexe Problemlösungsprozesse ganzheitlich organisiert und absolviert werden können (vgl. Punkt 5.7).
3.3 Die Identifikation elementarer Problemarten 3.3.1 Die Strukturqualität von Lösungsprozessen Die Untersuchung der Charakteristika von Problemlösungsprozessen soll helfen zu klären, ob die unendliche Vielfalt möglicher Prozesse im Hinblick auf die immanenten Prozeßqualitäten in Gruppen gleicher oder ähnlicher Anforderungen aufgegliedert werden können. Es handelt sich also um eine Frage der Typisierung und Kategorisierung von Problemen. Worin kann der Erkenntniswert einer solchen Kategorisierung liegen? Problemlösungsprozesse sind Prozesse der Umstrukturierung. Wenn es nun möglich wird, die spezifischen prozessualen Anforderungen aller Umstrukturierungsvorgänge klar zu erfassen, dann können die dort erkannten Bedingungen in methodische Anweisungen umgesetzt werden und beim Wiederauftauchen der gleichen Anforderungen als Lösungshilfen Verwendung finden. Dieser Gedanke entspricht im Grunde Duncan's Forderung, daß aus erkenntnistheoretischer Sicht als notwendige Vorstufe der Klärung von Problemlösungsprozessen mehr Schwergewicht auf die Bestimmung von Problemvariablen zu legen sei [60, S. 421]. Im Sinne eines situativen Ansatzes können dem Problemlösenden ferner dann wirksamere Lösungshinweise gegeben werden, wenn er die Art (Qualität) seines aktuellen Problems bestimmen kann und abgestimmt auf die Problemart Empfehlungen zur Methodenwahl vorfindet. Die Literatur verzeichnet nicht allzu viele Vorschläge darüber, nach welchen Gesichtspunkten das Spektrum aller erdenklichen Probleme klassifiziert werden könnte. Arnold beispielsweise erwähnt die Unterteilung der Probleme in „analytisch" und „kreativ" [10, S. 128]; Morris unterscheidet in einem Test „production-tasks", „discussion-tasks" und „problem-solving-tasks" [196, S. 547], Als Problemgruppen (aus insbesondere der Forschung) nennt Gregory Personal-, Gruppen-, Förderungsund Forschungsprobleme [95, S. 76], Süllwold wiederum zählt als Problemarten mathematische, geometrisch-räumliche, praktisch-technische und verbale Probleme auf [275, S. 274 f.]. Ebenso erwähnt Süllwold die Unterteilung der Probleme nach den Kriterien Komplexität und Strukturierungsgrad. Zwar kommt Süllwold in seiner Arbeit zu dem Ergebnis, daß die „intraindividuellen Leistungsschwankungen beim Lösen inhaltlich recht verschiedener Probleme oft relativ gering sind, daß also . . . zwischen vielen Problemaufgaben signifikante positive Korrelationen bestehen" und „daß bei dem Lösen auch äußerlich verschieden-
3 . 3 Die Identifikation elementarer Problemarten
57
artiger Probleme formal-identische Prozesse a b l a u f e n " [ 2 7 5 , S. 2 8 4 ] , er verfolgt aber nicht die Möglichkeit, diese unterschiedlichen Prozesse in der Form voneinander abgrenzbarer Problemarten herauszuarbeiten. Die Rechtfertigung des Versuchs, eine endlich begrenzte Zahl unterschiedlicher Anforderungsqualitäten in Problemlösungsprozessen zu identifizieren, die formalidentisch in verschiedensten Problemen immer wieder auftauchen, liefern uns Matjuskin und Landa. Während Matjuskin allgemein darauf hinweist, daß sich auch komplizierte intellektuelle Tätigkeiten aus abgrenzbaren, sich wiederholenden Bausteinen zusammensetzen [ 1 7 5 , S. 3 5 7 ] , fordert Landa präzise, daß auf der Grundlage einer Analyse der Aufgabentypen bestimmte Typen von Denkprozessen festzustellen seien [ 1 4 7 , S. 3 3 9 ] . Eine sich daran anschließende Frage kann also lauten: Gibt es bestimmte kognitive Elemente, die sich in verschiedensten Abfolgen zu Problemlösungsprozessen gleich welcher Komplexität aneinanderreihen lassen? Um in diesem Sinne zu weiterführenden Erkenntnissen zu gelangen, analysierte der Verfasser 1 9 7 2 im Rahmen einer Untersuchung des Battelle-Instituts [3] eine Anzahl heterogener, zufällig zusammengestellter Probleme daraufhin, welche spezifischen Anforderungen mit ihrer Auflösung verbunden sind. Diese Probleme lauteten im einzelnen: (1) Entwerfe einen neuen Flaschenverschluß (2) Erarbeite eine zugkräftige Werbeaussage für das Produkt X (3) Plane den Bau eines Wohnhauses (4) Konstruiere eine Maschine (5) Finde eine rentable Geldanlage (6) Pflüge ein Feld in minimaler Zeit (7) Löse eine mathematische Gleichung (8) Beurteile einen Menschen (9) Führe eine Diskussion (10) Suche einen neuen Kunststoff (11) Stelle einen KFZ-Defekt fest (12) Statte einen Wohnraum aus. Die Untersuchungsmethode bestand darin, alle Prozeßschritte und damit alle kognitiven Anforderungen bei der Lösung dieser 12 Probleme zu erfassen und möglichst genau festzuhalten. Die Aufzeichnungen hatten dabei gewisse Ähnlichkeiten mit den sogenannten „think-aloud-Protokollen" (der Problemloser wird aufgefordert, alle seine Gedanken im Verlaufe eines Problemlösungsprozesses verbal zu äußern). Zur knappen Veranschaulichung soll Problem (1) dienen:
Entwerfe einen neuen
Flaschenverschluß
Problemstellung: Es ist eine Limonadeflasche zu verschließen; an die Art des Verschlusses werden zunächst keine besonderen Anforderungen gestellt. Erwünscht ist nur, daß der Verschluß von bekannten Lösungen bei Limonadeflaschen abweicht.
58
3. Der Aufbau von Problemen
Auszug aus der Prozeßbeschreibung: „Vielleicht kann ich mir erst einmal einen Überblick über alle möglichen Verschlüsse machen. Was gibt es da: Kronenkorken, Stöpsel, Gummihauben . . . Wie verschließt man andere Gefäße, zum Beispiel Konservendosen? Ich kenne dort eine Lösung mit Aufreißring. Dünnes Blech hat eine umlaufende Sollbruchnaht, die Kraft zum Aufreißen bringt man mit einem Finger über einen Ring auf. Wie läßt sich das übertragen? Ich kann mir einen fest angebrachten Kunststoffverschluß mit Aufreißring ganz gut an einer Flasche vorstellen. Eventuell statt des Ringes einen Faden oder eine lange Lasche . . . Wie läßt sich der Verschluß noch öffnen? Man kann ihn durchstoßen, wie Milchbüchsen... Worauf kommt es beim Verschluß eigentlich a n ? . . . Die Limonade darf nicht austreten; ich muß also am Flaschenhals abdichten. Wie kann ich das? Von außen, von oben, von innen . . . Ein Korken dichtet von innen. Warum? Er ist in den Flaschenhals gepreßt, er übt von innen Flächendruck aus. Das wäre auch mit einem Gummi möglich. Wie kann ich den notwendigen Druck noch erzeugen? Luftdruck. Man könnte eine Art luftgepolsterten Korken verwenden. Oder ein Federelement... oder...?" Die nächste Aufgabe bestand nun darin, die in den Protokollen enthaltenen konkreten Denkschritte des Problemlösens tätigkeitsspezifisch zu verallgemeinern. Solchermaßen formalisiert vollzieht der Problemlösende laut obigem Protokollausschnitt z. B. folgende Prozeßqualitäten: -
er er er er er er er er er
faßt zusammen untersucht Strukturen fragt überträgt substituiert verändert erkennt Zusammenhänge listet auf sucht nach Möglichkeiten usw.
Alle 12 Probleme wurden in gleicher Weise wie dieses Beispiel durchgearbeitet und jene Tätigkeiten hervorgehoben, die auf spezifische Anforderungen der Problemlösungsprozesse hindeuteten. Eine Durchmusterung dieser Schlüsselbegriffe führte zu der Auffassung, daß sie sich in mehrere Gruppen einteilen lassen, die in sich jeweils einen homogenen Bedeutungsgehalt aufweisen. Nach der Bereinigung von Doppelnennungen beinhalten die Gruppen beispielsweise folgende Begriffe: Gruppe I Das Hauptmerkmal der Anforderungen ist ein Suchvorgang
Reservoir gleichartig überblicken suchen
3.3 Die Identifikation elementarer Problemarten
ungeordnet auflisten finden Charakter Erfahrung zusammenstellen sammeln Alternativen Gruppe II Das Hauptmerkmal der Anforderungen ist ein Vergleichs- oder Auswahlvorgang
vergleichen erkennen beurteilen wählen gegenüberstellen eignen Auswahl bestimmen festlegen Reihe bilden ordnen
Gruppe III Das Hauptmerkmal der Anforderungen ist ein Analyse- oder Erkennungsvorgang
verstehen auflösen fragen zerlegen Ausgangsgrößen Funktionen Analyse Systemzusammenhang Problembereich isolieren untersuchen abstrahieren
Gruppe IV Das Hauptmerkmal der Anforderungen ist ein Gestaltungs- oder Konstellationsvorgang
anpassen Phantasie Konfiguration substituieren übertragen gestalten konstellieren verbinden anordnen koordinieren
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60
3. Der Aufbau von Problemen abstimmen beeinflussen
Gruppe V Das Hauptmerkmal der Anforderungen ist eine Konsequenzfolge
Prinzipien logisch vorgehen physikalische Grenzen Mechanismus gesetzmäßig Mathematik Regel Zusammenhang optimieren systematisch sich ergeben Operationsschritt planmäßig
Alle von uns observierten Problemlösungsprozesse bestanden mosaikartig aus der Bewältigung von Einzelanforderungen, so wie diese in den Gruppen I bis V beschrieben sind. Wir vermuten deshalb, daß sich Problemlösungsprozesse gleich welcher Art aus diesen fünf Anforderungsqualitäten formal-identisch konstituieren, wobei lediglich Art und Anteil der Verkettung der Anforderungsqualitäten variieren.
3.3.2 Definition der elementaren Problemarten Die Anforderungsqualitäten „suchen", „konstellieren", „Konsequenzen ziehen", „analysieren" und „auswählen" besitzen nach unserer Auffassung den Charakter von Elementarproblemen, aus welchen sich alle realen Problemlösungsprozesse zusammensetzen. (Wenn Pähl auch von Elementarproblemen spricht, so meint er dabei nicht wie hier unterschiedlich geartete Mikroprobleme im Sinne einer Problemtypologie; er bezeichnet damit abspaltbare Teilprobleme allgemein.) Diese Vermutung wird nicht nur durch die verbreitete Meinung unterstützt, daß die Problemzerlegung als solche typisch für das Lösen komplexer Probleme ist [108, S. 6]. Wir finden ein ähnliches Ergebnis bei Getzels, der sich ebenfalls mit der Bestimmung von Anforderungsqualitäten („skills required") bei Problemlösungsprozessen auseinandersetzt. Aus der „Taxonomy of Educational Objectives" zitiert Getzels folgende Anforderungen [84, S. 240f.]: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
„Knowledge, requiring recall Comprehension, requiring understanding of what is communicated Application, requiring the use of abstractions in concrete situations Analysis, requiring the dissecting of what is communicated Synthesis, requiring the organization of a pattern from seperate parts Evaluation, requiring the judgment of a subject against a standard of appraisal."
61
3 . 3 Die Identifikation elementarer Problemarten
Es fällt auf, daß die mit 1. bis 6. aufgelisteten „skills required" sich inhaltlich in etwa den in den Gruppen I bis V herausgestellten Anforderungen zuordnen lassen (vgl. Abb. 2 2 ) . Eine gewisse Parallele zu den Elementarproblemen sind auch die von Meili abgeleiteten vier „allgemeinen F a k t o r e n " , die in unterschiedlichen Verhältnissen bei Problemlösungsprozessen vom Problemlösenden abgefordert werden. Und zwar nennt Meili 4 : Komplexität =
Geistige Spannkraft für Strukturierungsvorgänge
Plastizität
=
Fähigkeit zur Umformung von Strukturen
Ganzheit
=
Voraussetzung für das Vereinigen von getrennten Inhalten
Flüssigkeit
=
Reichhaltigkeit und Leichtigkeit der Vorstellungs- und Ideenproduktion.
Auch für die „allgemeinen F a k t o r e n " von Meili können wir ungefähre Entsprechungen finden, nämlich Komplexität = Gruppe III Plastizität
1
Ganzheit
} =
Flüssigkeit
Gruppe IV
= Gruppe I.
Gruppe I
Suchvorgang
recall
Gruppe II
Auswahlvorgang
judgement of a subject against a standard of appraisal
Gruppe III
Analysevorgang
Gruppe IV
Konstellationsvorgang
dissecting of what is communicated organization of a pattern from separate parts
Gruppe V
Konsequenzfolgerung
understanding of what is communicated; use of abstractions in concrete situations
Abb. 2 2 . Identität der Elementarprobleme mit den in der T a x o n o m y of Educational Objectives aufgeführten „skills required"
Die Anforderungsqualitäten „auswählen" und „Konsequenzen ziehen" werden von Meili allerdings nicht erfaßt. Eine beinahe vollständige inhaltliche Überdeckung zeigt sich jedoch zwischen den Elementarproblemen und den von Guilford ermittelten kognitiven Operationen [99, S. 1 6 0 ] : 4
Meili, R.: Grundlegende Eigenschaften der Intelligenz, zitiert bei Süllwold [ 2 7 5 , S. 2 8 5 ]
62
3. Der Aufbau von Problemen
(1) Cognition = discovery or rediscovery or recognition (2) memory = retention of what has been recognized (3) divergent production = searching and seeking variety (4) convergent production = information can and does lead to one right answer (5) evaluation = decisions as to the goodness, correctness, suitability, or adequacy of what we know, remember and produce. Unterschiede zwischen den „ o p e r a t i o n a l factors of intellect" von Guilford und den G r u p p e n I bis V (Elementarprobleme) bestehen einmal in geringen inhaltlichen Abgrenzungsdifferenzen (z. B. Analyse versus „ c o g n i t i o n " ; Konstellation versus „seeking variety"), zum anderen darin, daß „divergent p r o d u c t i o n " auch eine Suchkomponente enthält, die wir entsprechend unserer Unterteilung der Operation „ m e m o r y " zuordnen würden. „ M e m o r y " enthielte dann nicht nur d a s Suchen in Gedächtnisinhalten, sondern ebenso die Suche in bisher unbekannten Erfahrungsbereichen. Im Lichte der vorangegangenen Erläuterungen wollen wir die in den G r u p p e n I bis V erfaßten Elementarprobleme nun wie folgt begrifflich bestimmen [3, S. 18 f.]:
1. Suchprobleme Die spezifische prozessuale Anforderungsqualität liegt in einem Suchvorgang. Gesucht wird eine Vielfalt von Strukturen, die sich in einem oder mehreren bestimmten Strukturmerkmalen („Suchkriterien") gleich oder ähnlich sind bzw. die gleiche oder ähnliche Eigenschaften aufweisen. D a s Suchen in diesem Sinne entspricht Dunckers „Problemlösen durch Reson a n z " [61, S. 7 5 ff.]. Er fordert für Suchkriterien folgende Eigenschaften: — Vollständigkeit und hoher Aussagewert — Kürze und Bündigkeit (nur Solleigenschaften!), — Korrektheit, d.h. es müssen Extensionen auftreten können, — Wahrnehmungsadäquanz. Die Anforderungsqualität des „ S u c h e n s " wird deswegen häufig fehlverstanden, weil m a n verbreitet vom „Suchen nach L ö s u n g e n " spricht, damit aber in Wirklichkeit alle Elementarprobleme global miterfaßt.
2. Auswahlprobleme Auswahlprobleme betreffen V o r g ä n g e der Bestimmung von Alternativen nach dem Gesichtspunkt ihrer Effizienz bzw. Erreichungsgrade im Hinblick auf ein gegebenes Ziel. Der Prozeß der Auswahl ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, daß aus dem Ziel Kriterien zur Bewertung abgeleitet werden, an welchen die Q u a l i t ä t der infrage stehenden Alternativen gemessen wird.
3.3 Die Identifikation elementarer Problemarten
63
3. Analyseprobleme Die Anforderung besteht im Erkennen von Strukturen, d. h. deren Elemente, deren Relationen zwischen den Elementen, und von Struktureigenschaften. Die Analyse beinhaltet allgemein die Klärung von Zusammenhängen. Die Auffassungen über „Analyse" sind insofern nicht einheitlich, als darunter einmal ausschließlich Prozeßmerkmale (wie im Sinne unserer Definition), zum anderen eine Phase des Problemlösungsprozesses verstanden wird. Eilon beispielsweise schließt in den Analysebegriff Überprüfung von Daten nach Inkonsistenzen, An- und Umordnung von Daten, Unterscheidung zwischen der Wichtigkeit von Informationen sowie Verarbeitung und Darstellung von Daten mit ein [64, S.B-176] und geht so weit über unsere Definition hinaus.
4. Konstellationsprobleme Die spezifische Anforderungsqualität dieser Problemart besteht darin, Elemente oder Systeme so zu konstellieren, d. h. anzuordnen, daß eine Systemstruktur mit Eigenschaften entsteht, die der Problemlösende als Sollzustand anstrebt oder die ihn diesem Zustand näherbringt.
5. Konsequenzprobleme Diese Problemart ist charakterisiert durch die logische Anwendung von Gesetzmäßigkeiten, seien diese bewiesen oder nur angenommen. Konsequenzprobleme betreffen Strukturveränderungen unter strenger Berücksichtigung der erkennbaren Relationen zwischen den Strukturelementen.
3.3.3 Beziehungen zwischen Elementarproblemen, Ideenfindung und Problemkomplexität Im Zusammenhang mit unserer Arbeit interessiert vor allem die Frage, ob und welche der Methoden der Ideenfindung zur Lösung der Elementarprobleme herangezogen werden können. Da eine tiefergehende Eignungszuordnung wichtiger Methoden der Ideenfindung zu den Elementarproblemen im folgenden Kapitel vorgenommen wird, wollen wir uns hier auf einige grundsätzliche Überlegungen beschränken. Es ist eine verbreitete Auffassung, bei Problemlösungsprozessen zwischen a) Prozessen zur Auffindung möglicher Lösungen und b) Prozessen zur Verifizierung von Lösungen zu unterscheiden [140, S. 147; 204, S. 72]. Da die Methoden der Ideenfindung speziell darauf abzielen, Lösungsalternativen zu generieren, sind sie auf Grund ihrer methodischen Konzeption nicht geeignet, unmittelbar zur Lösungsauswahl oder -Verifizierung eingesetzt zu werden. (Mittelbare Auswahlhilfen können sie natürlich darstel-
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3. Der Aufbau von Problemen
len; so ist z. B. der Morphologische Kasten zur vergleichenden Betrachtung von Alternativen gut geeignet.) Ohne deshalb auf weitere Besonderheiten von Bewertungsprozessen eingehen zu müssen [56, S. 30], können wir den Elementartyp „Auswahlproblem" von vornherein als von den Methoden der Ideenfindung nicht betroffen eliminieren. Weiterhin können wir aus der Überlegung, daß die Methoden der Ideenfindung auf Heuristiken beruhen (und heuristische Prinzipien nur bei offenen Entscheidungssituationen herangezogen werden), den Schluß ziehen, daß die Methoden der Ideenfindung auf wohlstrukturierte Probleme nicht anwendbar sind. Da nun aber Konsequenzprobleme ex definitione als wohlstrukturiert gelten müssen, fallen auch diese aus dem Anwendungsbereich der Methoden der Ideenfindung heraus. Beziehungen der Anwendung können deshalb nur zwischen den Methoden der Ideenfindung und Such-, Analyse- und Konstellationsproblemen hergestellt werden. Es ist offensichtlich, daß auch die Elementarprobleme selbst von unterschiedlicher Komplexität sein können. Höhere Komplexität eines Suchproblems bedeutet beispielsweise, daß ein umfangreicherer Satz von Suchkriterien vorgegeben wird oder daß der Suchbereich (Lösungsspielraum) sehr groß und differenziert ist. Bei Analyseproblemen ist die Komplexität proportional der Zahl der Elemente und Relationen im zu analysierenden System, und Konsequenzprobleme werden bspw. komplexer mit der Zahl der zu verarbeitenden Variablen. Für uns besteht eine wesentliche Beziehung zwischen Elementarproblemen, Problemkomplexität und der Entwicklung von Problemlösungsstrategien darin, daß sich nahezu alle realen Probleme in kleinere Einheiten, bis hin zu den Elementarproblemen, aufspalten lassen. Letzten Endes besteht also die Lösung eines Problems in der Abfolge der Lösung kleinerer Problemeinheiten. Unter diesem Blickwinkel sind die in der Literatur erwähnten Phasengliederungen von Problemlösungsprozessen als Makro-Prozesse zu verstehen, die bei genauer Betrachtung eines Problemlösungsprozesses aus einer Fülle von Iterationen und Rückkopplungen bestehen.
Abb. 23. Der Makro-Prozeß der Problemlösung als Sequenzfolge von Elementarproblemen
3.3 Die Identifikation elementarer Problemarten
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Nach dem Auftauchen eines Problems teilt man allgemein den nachfolgenden Lösungsprozeß in die Phasen Problemdefinition, Informationsbeschaffung, Bildung von Alternativen und Wahl einer Alternative ein. Diesen Phasen lassen sich die Elementarprobleme wie in Abb. 23 zuordnen. Die Lösung eines komplexen Problems besteht nun aber nicht - wie es die Phaseneinteilung nahelegen könnte — in der einmaligen Abfolge der Kette: AnalyseproblemSuchproblem—Konstellationsproblem—Konsequenzproblem—Auswahlproblem, sondern diese Elementarprobleme werden in verschiedensten Schlaufen solange durchlaufen, bis ein befriedigendes Ergebnis erreicht wird. Eine Kettenlänge von etwa 100 Elementarproblemen stellt dabei keineswegs ein Problem von außergewöhnlicher Komplexität dar. Diese Betrachtung ist besonders interessant im Zusammenhang mit den Arbeiten von Witte, in welchen er das Phasentheorem des Entscheidungsverlaufs (Abb. 23, Phasen der 1. Zeile) in Frage stellt. Witte kommt ebenfalls zu dem Schluß, daß sich die Phasen mehrfach wiederholen und in der Reihenfolge umkehren können: „Die im Theorem behaupteten Operationen der Informationsgewinnung, der Alternativensuche und der Alternativenbewertung sind großzahlig in Entscheidungsprozessen zu finden; sie kumulieren allerdings nicht temporal in abgrenzbaren Phasen, sondern verteilen sich unregelmäßig in der Zeitspanne zwischen Start und (Final-)Entschluß" [304, S. 644], Zur Verdeutlichung des Sachverhalts seien aus dem Komplexproblem „Entwickle einen Schreibtisch" beispielhaft Elementarprobleme herausgebrochen: Analyseprobleme: — Welche Funktionen muß der Tisch erfüllen? - Welche Belastungen wirken auf die Tischplatte ein? - Welche ergonomischen Anforderungen sind bei der Konstruktion zu berücksichtigen? Suchprobleme: - Welche Formen und Formate kann eine Tischplatte annehmen? — Welche Arbeitsmittel kann ein Schreibtisch beherbergen? - Aus welchen Materialien kann die Tischplatte sein? Auswahlprobleme: — Welches ist das geeignetste Format? — Welche Arbeitsmittel sollte der Tisch aufnehmen? - Welches Material ist für die Tischplatte am besten tauglich? Konstellationsprobleme: - Welche Rahmenkonstruktionen für Schreibtische sind denkbar? — Wie kann eine Schublade angebracht werden? — Wie kann ein Telefon in den Schreibtisch integriert werden?
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3 . D e r Aufbau von Problemen
Konsequenzprobleme: — Wie groß ist der Materialbedarf bei gegebener Konstruktion? — Wie stark muß bei bestimmten Belastungsfällen und Materialien die Tischplatte sein? — Welche Kippfestigkeit hat der Schreibtisch? Die Herauskristallisierung von Elementarproblemen, die (innerhalb ihrer Klassen) vergleichbare Anforderungen hinsichtlich der Prozeßqualitäten ihrer Lösung aufweisen, hat in Verbindung mit der Tatsache, daß die meisten in der Unternehmung auftauchenden Probleme komplex und aus diesen Elementarproblemen konstituiert sind, für den Problemlösenden folgende Konsequenz: (1) Wenn die Prozeßqualitäten der Elementarprobleme einerseits und die Lösungsmechanismen (Wirkungsprinzipien) der Methoden der Ideenfindung andererseits hinlänglich genau beschrieben werden können, dann lassen sich die Methoden der Ideenfindung unter Effizienzkriterien den Elementarproblemen zuordnen. (2) Wenn sich experimentell bestätigen läßt, daß die Methoden der Ideenfindung signifikante Leistungsunterschiede hinsichtlich der Bewältigung der Elementarprobleme zeigen, dann kann die Lösung eines gegebenen Komplexproblems dadurch tendenziell optimiert werden, daß man es in Elementarprobleme zerlegt und diese mit den jeweils geeignetsten Methoden der Ideenfindung behandelt. Natürlich hat die unter (2) geforderte Problemzerlegung ihre praktischen Grenzen. Zum Beispiel empfiehlt Gregory [95, S. 82], ein Problem dann nicht mehr weiter zu dekomponieren, - „wenn beim Aufteilen die Art der erforderlichen Information eindeutig ersichtlich wird. — wenn ein weiteres Unterteilen lächerlich oder unnötig erscheint. - wenn die Problemdefinition so kompakt wird, daß sie sich kaum noch von der Information unterscheidet. — wenn sich zeitlicher und finanzieller Aufwand sowie die voraussichtlichen Ergebnisse und Dringlichkeiten die Waage halten." Im folgenden Kapitel wird versucht, insbesondere die Beziehungen zwischen Methoden und Problemarten zu klären, um Aussagen über leistungsspezifische Zuordnungen treffen zu können. Dabei soll zunächst auf wesentliche Merkmale der Grundmethoden der Ideenfindung eingegangen werden.
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
4.1 Der Morphologische Kasten, Brainstorming und Synektik als Grundmethoden Bereits in Kapitel 1, Abb. 4, sind entsprechend den jeweils typischen Verfahrensmerkmalen die Methoden der Ideenfindung zusammengefaßt in die Gruppen A. B. C. D. E. F.
Brainstorming und Varianten Brainwriting und Varianten Methoden der schöpferischen Methoden der schöpferischen Methoden der systematischen Methoden der systematischen
Orientierung Konfrontation Strukturierung Problemspezifizierung.
Da die Methoden der Gruppe C generelle Heuristiken mit geringer heuristischer Kraft enthalten und ferner die Methoden der Gruppe F nicht primär als Instrumente zur Hervorbringung von Lösungsalternativen geeignet sind, konzentriert sich unser Interesse an den Methoden der Ideenfindung im wesentlichen auf die Gruppen A, B, D und E. Räumt man zusätzlich ein, daß zwischen den Methodengruppen A und B eine enge heuristische Verwandtschaft besteht, dann sind die Grundmethoden der Ideenfindung in den Gruppen A, D und E zu suchen. Nun ist wiederum für die Gruppe A Brainstorming, für D Synektik und für E der Morphologische Kasten von größter Repräsentanz. Sie können aus folgenden Gründen als Grundmethoden der Ideenfindung bezeichnet werden: Chronologie. Brainstorming, Synektik und der Morphologische Kasten sind die Vorgänger aller anderen Methoden in den entsprechenden Gruppen. Bereits im Jahre 1939 arbeitete Osborn an den Grundlagen von Brainstorming [207, S. XXII] und ebnete durch die rasche Verbreitung dieser Methode den Weg für viele weitere heuristische Problemlösungsverfahren. Auch innerhalb der Kreativitätsforschung war Brainstorming ein wesentlicher Anstoß. Gordon's erste Ansätze zur Entwicklung der Synektik lassen sich bis 1944 zurückverfolgen; nach langen Vorarbeiten gründete er im Beratungsunternehmen Arthur D. Little die erste synektische Erfindergruppe [212, S. 64], Im Jahre 1961 veröffentlichte Gordon eine umfangreiche Darstellung seiner Arbeiten [94],
68
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
Wie Brainstorming und Synektik fand auch die Renaissance morphologischen Gedankengutes in den USA ihren Ursprung. Zwar war der Astrophysiker Fritz Zwicky gebürtiger Schweizer aus dem Kanton Glarus, er verbrachte jedoch den größten Teil seines Lebens und Wirkens in den Vereinigten Staaten und erwarb sich dort durch einige grundlegende Arbeiten erste Anerkennung [311; 313], Mit der deutschsprachigen Ausgabe „Entdecken, Erfinden, Forschen im Morphologischen Weltbild" [310] begann - man darf dies ohne Übertreibung so nennen — der Siegeszug der Methode des Morphologischen Kastens 5 durch insbesondere die Schweiz, Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Die in Abb. 4 weiterhin aufgeführten Methoden der Ideenfindung sind spätere Entwicklungen als Brainstorming, Synektik oder die Methode des Morphologischen Kastens und gingen teilweise durch Modifikation aus diesen hervor. Heuristiken. Die in Brainstorming, Synektik und dem Morphologischen Kasten inkorporierten heuristischen Prinzipien sind Basisprinzipien zur Hervorbringung neuer und origineller Denkleistungen. Brainstorming beruht wesentlich auf dem Prinzip der freien Assoziation [77, S. 112; 191, S. 74; 296, S. 133] und Kombination [217, S. 286], während sich die heuristische Kraft des Morphologischen Kastens aus den Prinzipien der Problemzerlegung, Variation und Kombination ableitet [191, S. 74]. Bei Synektik sind es wiederum Assoziationen sowie Analogiebildungen und Strukturverknüpfungen (auch der Ausdruck „Superposition" wird in diesem Zusammenhang gebraucht [130, S. 55f.]), welche zur Lösungsfindung genutzt werden [296, S. 133], Daß die genannten heuristischen Prinzipien in produktiven bzw. kreativen Denkvorgängen oder bei Denkvorgängen schlechthin Schlüsselrollen einnehmen, geht aus dem Studium entsprechender Literatur deutlich hervor [1; 4 0 ; 4 9 ; 6 1 ; 160; 2 0 4 ; 2 0 6 ; 2 7 8 ; 283],
5
Zwicky beherrschte und vertrat freilich mehr morphologische Methoden als die des M o r p h o logischen Kastens alleine. V o n den etwa ein Dutzend von ihm vorgeschlagenen Wegen der Erkenntnisgewinnung seien beispielsweise noch genannt die Methode der systematischen Feldüberdeckung, die Methode der Negation und Neukonstruktion oder die Methode der gerichteten Intuition. Im Oktober 1 9 7 3 hatte der Verfasser anläßlich der ersten Arbeitstagung der kurz vorher gegründeten Fritz-Zwicky-Stiftung Gelegenheit, Fritz Zwicky in einem kleinen Kreis europäischer, theoretisch und praktisch arbeitender Morphologen persönlich näher kennenzulernen. Während der Diskussionen der Tagung vermittelte Zwickys Denkstil jedoch den Eindruck, daß viele seiner Methoden nicht ohne weiteres auf andere Menschen übertragbar, sondern eng an seine individuelle Genialität gebunden waren. Der Morphologische Kasten nimmt unter Zwickys Methoden insofern eine Sonderstellung ein, als er operational eindeutig und verständlich ist und damit die besten Voraussetzungen zur Übernahme und zum Nachvollzug bietet. Fritz Zwicky, der groß gewachsene, etwas kauzige, eigenwillige und oft unverstandene Denker verstarb überraschend zu Beginn des Jahres 1 9 7 4 ; es blieb ihm versagt, weitere grundlegende, mit größter Hingabe verfolgte Forschungsarbeiten zu verwirklichen.
4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
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Verbreitung. Brainstorming, Synektik und die Methode des Morphologischen Kastens sind nicht zuletzt wegen ihrer überdurchschnittlich weiten Verbreitung und häufigen Anwendung als Grundmethoden der Ideenfindung zu bezeichnen (vgl. Abb. 6 und Abb. 7). Die Aneignung des Instrumentariums der Ideenfindung sollte besonders auf diese Methoden ausgerichtet sein, und zwar nicht nur wegen der besonderen Leistungsfähigkeit von Brainstorming, Synektik und Morphologie [3, S. 100f.], sondern auch weil in der Praxis mit größter Wahrscheinlichkeit hierüber informierte Mitarbeiter zu finden sind. Der Ausnahmestellung entsprechend, die Brainstorming, Synektik und der Morphologische Kasten einnehmen, wollen wir uns im weiteren ausschließlich mit diesen Methoden befassen.
4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme der Grundmethoden Bei der Diskussion der Methoden Brainstorming, Synektik und Morphologischer Kasten werden wir an dieser Stelle auf ausführliche Beschreibungen der methodischen Durchführung verzichten, da synoptische Darstellungen über die wichtigsten Methoden der Ideenfindung sowie Einzelabhandlungen bereits in großer Zahl vorliegen [3; 40; 52; 63; 79; 82; 83; 130; 131; 94; 155; 224; 191; 310], Ferner ist auf den Anhang dieser Arbeit zu verweisen, der kurze Verfahrensbeschreibungen über mehr als 30 relativ verbreitete Methoden enthält. Wir werden uns daher auf eine Betrachtung der Wirkungsprinzipien der Grundmethoden beschränken und auf die Hauptprobleme ihrer Anwendung eingehen. Wir hoffen, dadurch dem Praktiker bei der selbständigen Organisation und Durchführung von Ideenfindungssitzungen eine gewisse Hilfestellung geben zu können. 4.2.1 Die Methode des Morphologischen Kastens Wirkungsprinzip Während unter dem Begriff „Morphologie" im engeren Sinne die „Lehre von den Strukturen, Gestalten" [302, S. 2] verstanden wird, gebraucht man den Ausdruck im weiteren Sinne auch synonym zu „Ordnung" allgemein. So können wir bei einer — nach gewissen Kriterien hergestellten — Ordnung von einer Morphologie sprechen, z.B. von einer Morphologie der Kristalle, wenn wir damit eine nach Systemen und Klassen des Gefügeaufbaus geordnete, zusammenfassende Darstellung aller Kristalle meinen. Die Morphologie in diesem Sinne strebt also an, eine Varietät tatsächlicher und möglicher Erscheinungsformen durch einen Satz geeigneter Gliederungskriterien geordnet zu erfassen.
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4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
Beim Einsatz des Morphologischen Kastens als Ideenfindungsmethode [11; 117; 133; 134; 2 2 8 ; 2 5 0 ; 3 1 2 ] besteht die erzeugte Varietät in der Darstellung der theoretisch denkbaren Lösungen zu einem gegebenen Problem. Damit erhebt der Morphologische Kasten den Anspruch eines Totallösungssystems [298, S. 29 f.]. Die Problematik der Erstellung eines Morphologischen Kastens ist durch diese Erklärung bereits offenkundig. Sie besteht im Auffinden der im besonderen Problem für potentielle Lösungen charakteristischen Elemente (Parameter, Dimensionen) sowie aller Werte (Ausprägungen), welche diese Elemente konkret annehmen können. Der Problemlösende zergliedert also in gedanklicher Vorwegerfassung die Solloder Lösungsstruktur z. B. unter funktionalen Gesichtspunkten in Strukturteile geringerer Komplexität. Diese Strukturteile werden oberbegrifflich definiert, d. h. ihrer Art und Zugehörigkeit zur Gesamtstruktur nach beschrieben. Das Totallösungssystem für die gegebene Problemstellung, d. h. die Zahl aller denkbaren Lösungsvarianten, entsteht dadurch, daß der Problemlösende für jedes allgemein formulierte Lösungselement nach konkreten Strukturen sucht, die eine entsprechende Stelle im Zusammenhang der Gesamt-(Lösungs-)Struktur einnehmen können.
Abb. 24. Abstrakte Darstellung kombinatorisch erzeugbarer Lösungsstrukturen
Wenn die Lösungskonstellation zum Beispiel die in Abb. 2 4 gezeigte Struktur hat, so kann diese zerlegt werden in die vier Teilstrukturen I, II, III und IV. Eine Zer-
4 . 2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
71
legungsstufe mit noch geringerer Komplexität der abgegrenzten Elemente wäre die Zerlegung in Struktur S =
A + ao,
B + bo,
C + co,
I
II
III
D + do ^
Für alle Elemente sind nun konkrete Teilstrukturen zu suchen, die auf Grund ihrer Konstellation so in die Gesamtstruktur integriert werden können, daß diese allen Anforderungen als Sollstruktur gerecht wird. Dabei kann es zu Abhängigkeiten der Art kommen, daß die Wahl einer Teilstruktur wegen ihres Wirkungszusammenhanges in der Gesamtstruktur die Wahl anderer Teilstrukturen einschränkt. Solche Abhängigkeiten sind natürlich unerwünscht, da sie die Zahl der kombinatorisch erzeugbaren Alternativen für die Gesamtstruktur erheblich reduzieren.
Strukturteile
Konkretisierungen (Ausprägungen)
(Parameter) A
AI
A2
A3
A4
ao
al
a2
a3
a4
ak
B
B1
B2
B3
B4
Bl
bo
bl
b2
b3
b4
C
C1
C2
C3
C4
CO
cl
c2
c3
c4
D
Dl
D2
D3
D4
DP
do
dl
d2
d3
d4
dq
,
Ai
Cn
bzw. in größerer Komplexität der Strukturteile: I
II
12
13
14
Ir
II
III
112
113
114
Iis
IV
IV1
IV2
IV3
IV4
rvu
Abb. 25. Morphologischer Kasten zu einem gegebenen Problem mit unterschiedlicher Komplexität der Parameter
72
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
Beispiel für Abhängigkeit zwischen den Teilstrukturen (Ausprägungen): a) Wird a l gewählt, muß auch c2 in die Gesamtstruktur aufgenommen werden. Oder: b) Wird a l gewählt, können sein.
b2 und d4 nicht Bestandteil der Gesamtstruktur
Das Totallösungssystem für alle Gesamtstrukturen bzw. der Morphologische Kasten für das gegebene Problem kann nun in Matrixform (siehe Abb. 25) dargestellt werden. (Der Ausdruck „Kasten" ist an sich irreführend; er hat sich aus einem räumlichen Beispiel mit 3 Parametern (Dimensionen!) erhalten.) In Abb. 25 sind A 1 . . . Ai, a l . . . ak, B 1 . . . B1 usw. die verfügbaren Teilstrukturen, die in die Gesamtstruktur für A, ao, B usw. eingesetzt werden können. Sind alle Teilstrukturen (Ausprägungen) in der Gesamtstruktur kompatibel, dann ergibt sich die Zahl der alternativen Lösungen (Gesamtstrukturen) als N =
i k l - m n o p - q ;
wurde in die komplexeren Teilstrukturen I bis IV disaggregiert, dann nimmt N mit der Wahrscheinlichkeit ab, mit welcher geeignete komplexere Strukturelemente in geringerem Maße gefunden werden können: N = r • s • t • u. Der Grad der über die Wahl der Parameter erfolgten Strukturierung des potentiellen Lösungsfeldes beeinflußt also die mit dem Morphologischen Kasten auffindbare Zahl alternativer Lösungen [191, S. 57], Anwendungsprobleme Während die Durchführung der meisten „intuitiven" Methoden der Ideenfindung die Partizipation von Laien oder gebildeten Laien als produktive Teilnehmer durchaus zuläßt, setzen analytisch-systematische Methoden ein vergleichsweise höheres Maß an problemspezifischem Wissen voraus. Da jede Morphologie das betreffende sachliche Gebiet vollständig ordnend und gestaltend durchdringen will, kann sie nur von demjenigen erstellt werden, der über profunde Fachkenntnisse verfügt.6 Die Anregungen eines Laien zur Gestaltung einer Zündkerze beispielsweise mögen sich zwar (zufällig!) als äußerst brauchbar erweisen, derselbe Laie ist aber nicht entfernt in der Lage, einen Morphologischen Kasten über Zündmöglichkeiten bei Verbrennungsmotoren aufzustellen. Es läßt sich leicht bestätigen, daß Morphologien, die von Fachfremden erarbeitet werden sollen, in den ersten Ansätzen stecken bleiben und nicht über das Stadium der 6
Bommer berichtet beispielsweise über ein Verhältnis von 1 2 : 3 6 bezüglich der erforderlichen Datenintensität zwischen Brainstorming und morphologischen Studien.
4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
73
Halbheit hinauswachsen. Der Morphologische Kasten wird deshalb nur demjenigen zum virtuos brauchbaren Instrument, der ihn auf Gebieten anwenden kann, auf welchen er auch fachlich Experte ist. Die Nützlichkeit oder der Gebrauchswert eines Morphologischen Kastens stehen und fallen mit der Bestimmung seiner Parameter. Daß der Schritt der Definition der Parameter das Kritikum dieser Methode ist, wird jeder sofort bestätigen, der sich einmal mit dieser Methode versuchte. Man unterschätzt den Morphologischen Kasten sehr, wenn man ihn als einfach zu handhabendes Trivialinstrument zur Generation beliebig großer Lösungsmengen erachtet, denn die richtige Erarbeitung der Parameter ist für sich ein Problem von oft höchster Anforderung. Die Schwierigkeit der Bestimmung der Parameter besteht allgemein darin, die Grobstruktur aller sich später kombinatorisch ergebender Lösungsvarianten bereits qualitativ vorzuempfinden — ein Prozeß, der höchste schöpferische Qualitäten abverlangen kann. „Steht" der Satz der Parameter allerdings erst einmal, dann ist der weitere Ausbau des Morphologischen Kastens nahezu eine Routineangelegenheit. Aus unseren Seminaren über Methoden der Ideenfindung wissen wir von der Schwierigkeit, überhaupt das Verständnis über die Natur eines Parameters im Lösungszusammenhang zu vermitteln. Diese Schwierigkeit ist auch darin begründet, daß sich die Problematik der Parameterwahl mit wechselnden Aufgabenstellungen immer wieder in anderem Lichte zeigt und daß — abgesehen von wenigen, unverbindlichen Empfehlungen - keine Regeln darüber bestehen, wie aus einer gegebenen Aufgabenstellung die Parameter zwingend herauskristallisiert werden können. Gewisse Anhaltspunkte zur Auffindung potentieller Parameter liefern jedoch fallweise — Funktions- und Ablaufanalysen, — die Anforderungen an die Aufgabenstellung bzw. eine Analyse des Zielsystems oder — die Analyse bereits bekannter Alternativen, die im Totallösungssystem des Morphologischen Kastens ebenfalls enthalten sein müßten (Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine). Gerade bei den ersten Versuchen mit dem Morphologischen Kasten verletzt man schnell die Bedingung der Unabhängigkeit zwischen den Parametern und beeinträchtigt dadurch die kombinatorische Synthese zu Variantenlösungen. Viele Erstanwender des Morphologischen Kastens neigen z. B. dazu, Parameter aufzunehmen, die an sich Folgegrößen im Verhältnis zu anderen Parametern darstellen. Hierzu zwei Beispiele: In einer Morphologie über Schrauben darf neben Länge, Durchmesser und Material nicht auch der Preis als Parameter erscheinen, denn dieser leitet sich von den ersten drei Parametern ab. Und in einer Morphologie der Bevölkerung kann der Parameter „Alter" nicht neben dem Parameter „Familienstand" auftauchen, da beide miteinander korrelieren und zum Beispiel die Kombination „sechsjährig-verwitwet" im
74
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
allgemeinen keine reale Erscheinungsform sein dürfte. Die Prüfung auf Unabhängigkeit der Parameter gehört also zu den unerläßlichen Proben beim Aufbau eines Morphologischen Kastens. In einer weiteren Prüfung sollte geklärt werden, ob die Parameter im Hinblick auf das Problem und seine Lösung wesentliche Elemente verkörpern (konstituierende Parameter) oder ob sie mehr oder weniger nebensächliche Strukturteile (modifizierende Parameter) vertreten. Generell ist zu empfehlen, den Parameter-Satz einer Morphologie bewußt knapp zu halten, dafür aber ausschließlich konstituierende Parameter einzubeziehen. Freilich gelingt es nur selten im ersten Anlauf, diesen Forderungen nach Unabhängigkeit und Wesentlichkeit der Parameter gerecht zu werden. Nach unserer Erfahrung hat sich die Vorgehensweise bewährt, zunächst eine Liste denkbarer Parameter quasi ins Unreine zu schreiben. An diesem Entwurf wird nun geprüft, ob die vorläufig skizzierten Parameter logisch voneinander unabhängig und sachlich wesentlich sind. Dabei ist die Qualität des erwogenen Parametersatzes an der Aufgabenstellung zu reflektieren. Man führt also immer wieder „gedankliche Probeläufe" durch, ob die Struktur des Parametersatzes potentielle Lösungen ausreichend genau beschreibt. Auf diese Weise wächst das Gerüst des Morphologischen Kastens allmählich und iterativ bis zu seiner endgültigen Form. Ferner wird man bei der Arbeit mit dem Morphologischen Kasten feststellen, daß hier die Gruppe als problemlösende Einheit nur bedingt tauglich ist. Vor allem kann hier weniger als bei anderen Methoden mangelndes Fachwissen durch Anhebung allein der Zahl der Mitglieder kompensiert werden. Die Komplexität der Materie und die Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen bei der Entwicklung eines Morphologischen Kastens sprechen für die Bearbeitung durch das fachkundige Individuum oder die Kleingruppe (2 bis 3 Mitglieder). Es leuchtet ein, daß die Konstruktion eines Totallösungssystems, wie es der Morphologische Kasten letztlich sein soll, andere Zeitaufwände erfordert als beispielsweise die Durchführung einer Brainstorming-Sitzung. Ein ausgearbeiteter Morphologischer Kasten ist ein Arbeitshilfsmittel von nahezu zeitloser Gültigkeit, dessen Erstellung allerdings selten im ersten Anlauf vollkommen gelingt. Oft sind, wie erwähnt, mehrere Revisionsschritte erforderlich (Austausch oder Umformung der Parameter, systematische Ergänzung der Ausprägungen), bis der Morphologische Kasten in eine aussagefähige Form gebracht werden konnte. Der Anwender sollte sich auf diesen Aufwand einstellen und keinesfalls von der Erwartung ausgehen, im „Ruck-Zuck-Verfahren" sein Problem via Morphologischer Kasten gründlich lösen zu können. Da es ohne weiteres möglich ist, daß ein Morphologischer Kasten zu einer gestellten Aufgabe einige Hunderttausend und mehr Lösungen ausweist, tritt als eigenes Problem das der Bewertung, d. h. des Auffindens der zieladäquatesten von allen ent-
4 . 2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
75
haltenen Alternativen, auf. Auch zur Bewältigung dieses Problems sind noch keine sicheren Regeln bekannt. Um das mit der Auswahl verbundene Mengenproblem einigermaßen bewältigen zu können, wurden zwar schon entsprechende EDV-Programme erprobt, 7 deren Leistungsfähigkeit aber (noch) nicht über grobe Annäherungen hinausgeht. Das Dilemma der Auswahl besteht grundsätzlich darin, daß jede denkbare Zweier-, Dreier-, Vierer-, usw. Kombination von Ausprägungen für sich auf ihre Vor- oder Nachteile untersucht werden muß, denn die Verkettung der Zeilenmaxima (d. h. der anscheinend zieladäquatesten Ausprägungen der Parameter) ist nicht notwendigerweise mit der überhaupt enthaltenen maximalen (oder optimalen) Alternative identisch. Das Auswahlinteresse per EDV geht deshalb zunächst dahin, mehrere gute oder sehr gute Lösungen zu identifizieren, um nicht alle Lösungen im Hinblick auf die absolut beste überprüfen zu müssen. Diese Strategie trifft natürlich auch auf die „Handauswahl" zu.
4.2.2 Die Methode Brainstorming Wirkungsprinzip Die von Osborn vorgeschlagene Methode „Brainstorming" [30; 67; 88; 174; 2 0 9 ; 210; 2 3 0 ] wird vor allem durch vier Regeln geprägt: 1. Kritik - insbesondere negative Kritik - ist allen Beteiligten während der Dauer des Brainstorming untersagt. Dieses strikte Prinzip, die Phase der Ideenfindung streng von der Phase der Ideenbewertung zu trennen (deferred judgement), hat sich als ausgezeichnete Regel bewährt, um die Produktivität in Problemlösungsgruppen sowohl quantitativ wie qualitativ zu erhöhen [32; 2 0 7 ; 2 0 8 ; 215]. 2. Freie Assoziationen sind ausdrücklich erwünscht. Jedes Mitglied der Brainstorming-Gruppe soll spontan und ungehemmt alle Gedanken äußern, von denen es glaubt, sie könnten mit dem gestellten Problem irgendwie in Verbindung gebracht werden. 3. Alle geäußerten Gedanken können und sollen von den Teilnehmern wechselseitig aufgegriffen werden. (Es kommt also darauf an, aus zwei guten Ideen eine sehr gute zu entwickeln.) Dies ist neben dem assoziativen Potential die zweite Quelle für synergetische Effekte der Brainstorming-Gruppe. 4. Es sollen in kurzer Zeit möglichst viele Lösungen produziert werden; der Ideenfluß sollte also so ausgeprägt wie möglich sein (Brain-„Storming"). Durch diese Aufforderung zur Spontanität wird der rationale Filter des Problemlösenden teilweise 7
Beispielsweise a m Battelle-Institut, Frankfurt, für eine Morphologie über Klimaanlagen im Rahmen eines weltweiten Projektes. Z u m EDV-Einsatz siehe ferner Koller [ 1 4 4 ] ,
4 . Die A n w e n d u n g der G r u n d m e t h o d e n der Ideenfindung
76
außer Funktion gesetzt, der normalerweise bewußt gewordene Gedanken in „falsch" und „richtig" unterscheidet und als „falsch" identifizierte Ansätze wieder verdrängt. Bei der Aufforderung zur Spontanität können nun Denkinhalte aus dem Unterbewußtsein mitgerissen werden, die sonst nicht mit dem Problem in Verbindung gebracht worden wären — aus denen sich aber zufallhaft sehr fruchtbare Lösungsansätze ergeben können. Die wechselseitige Anregung der Teilnehmer, die Stimulierung zu einer Fülle von Assoziationen, ist bei der Durchführung von Brainstorming einer der hervorragenden Wirkfaktoren zur Ideenproduktion. Wir wollen diesen Vorgang deshalb genauer betrachten. Das Phänomen der Bildung von Assoziationen kann (im Vorgriff auf Kapitel 6 . 1 . 4 . 1 ) über die „Relevanzprofile" erklärt werden, die das orientierte Individuum aus seiner Umgebung herauslöst und die im Gedächtnis mit vorrangiger „Erinnerungsbereitschaft" gespeichert werden. Nehmen wir an, der mnemische Schatz eines Individuums enthalte zwei Relevanzprofile, von welchen eines aus den Elementen A, B, C, D, E und F (in der Dominanzfolge), das andere — ebenfalls in der Folge ihrer Dominanz — aus den Elementen G, E, H, I, F und K aufgebaut ist. Wenn nun dem Individuum von außen ein Element — zum Beispiel E — bewußt gemacht wird, können folgende Assoziationsketten ablaufen: a) Die Nennung vergegenwärtigt ein Relevanzprofil, das E enthält, also entweder E
A, B, C, D, E, F oder
E - » G, E, H, I, F, K. b) Die Assoziationsfolge der Elemente eines Relevanzprofils läßt ein Element bewußt werden, das auch in einem anderen Relevanzprofil enthalten ist. Dieses gemeinsame Element wird zur Schaltstelle des „Umstieges" von einem auf das andere Relevanzprofil (RP): Initialfaktor
Assoziationsfolgc
Abb. 2 6 . Assoziative Verkettung zweier Relevanzprofile (Vgl. Kapitel 6 . 1 . 4 . 1 )
Es kann deshalb angenommen werden, daß der (scheinbar) intuitive Wechsel von Denkinhalten latent rational in „Umstiegen" über identische Elemente in den Denkinhalten begründet ist. Auch Mikulinskij und Jarosevskij vermuten ähnliche Zu-
4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
77
sammenhänge: „Häufig begegnet man der Ansicht, die Intuition sei etwas Irrationales, Alogisches . . . . Haben wir es tatsächlich mit einer alogischen Form des Denkens zu tun? Natürlicher scheint uns die Erklärung, daß der Forscher . . . es vermochte, von der einen, gewohnten, logischen Spur auf eine andere überzugehen. . . . Etwas anderes ist die Tatsache, daß weder der Forscher selbst noch der den schöpferischen Prozeß studierende Psychologe bislang die Mechanismen des Übergangs von der einen gewohnten Denkspur auf eine andere kennen" [192, S. 20], Die Initialfaktoren zur Bildung von Assoziationen können selbstverständlich sowohl intra- als auch interpersonell wirken. Da Brainstorming in der Regel von einer Problemlösungsgruppe ausgeübt wird, spielt dort natürlich die interpersonelle Assoziation bei der Hervorbringung von (Lösungs-)Strukturen die bedeutendere Rolle. Frei assoziierte Strukturen zeigen mit großer Wahrscheinlichkeit strukturelle oder sachliche Verwandtschaften zur Initialstruktur. Freie Assoziation ist deshalb alleine nicht immer ausreichend, um ausgehend von einer Problemsituation Strukturen zu finden, die „entfernt" genug liegen, daß mit ihnen eine „kreative" Lösung - über die Zusammenfügung weit auseinanderliegender Elemente — hervorgebracht werden kann [61, S. 10]. Brainstorming führt also auf Grund seiner methodischen Konzeption nicht zwangsläufig zu sehr originellen (kreativen) Lösungsansätzen.
Anwendungsprobleme Brainstorming wird häufig als die am leichtesten erlern- und praktizierbare Methode der Ideenfindung angesehen. Die teilweise naiven Standpunkte, die viele Anwender gegenüber Brainstorming einnehmen, führen jedoch zu einer Verwässerung der methodischen Durchführung, so daß häufig jede nur einigermaßen lockere Unterhaltung gerne als Brainstorming deklariert wird (vgl. S. 24). Daß auch ein Brainstorming-Team eine angemessene Trainingsphase absolvieren sollte, bevor es diese Methode zu beherrschen weiß, wird ganz offensichtlich, wenn man die Übungssitzungen von Brainstorming-Neulingen exakt analysiert. Dabei fällt als erstes und sehr deutlich auf, daß die Basisregel des Brainstorming, sich jeder negativen Kritik möglichst zu enthalten, immer wieder übertreten wird. Wir sind zu stark darauf ausgerichtet, Vorschläge, mit denen wir konfrontiert werden, kritisch auf ihre Minuspunkte hin zu untersuchen, als daß wir diese Verhaltensneigung ohne weiteres aufgeben könnten. (Dabei soll gar nicht die Frage gestellt werden, ob dies geschieht, weil es leichter fällt zu kritisieren als einen konstruktiven Vorschlag zu machen oder weil wir glauben, uns über Kritik an Dritten selbst profilieren zu können.) Selbstverständlich kann man es in relativ kurzer Zeit erreichen, BrainstormingSitzungen formal kritiklos zu gestalten. Diese rein formale Entsprechung von Osborn's Basisregel reicht jedoch für ein effizientes Brainstorming keineswegs aus. Wir hatten nach vielen, äußerlich konfliktfrei abgelaufenen Brainstormings die Teilnehmer nach ihren Eindrücken befragt. Sehr häufig hörten wir dann von manchen Teil-
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4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
nehmern (überwiegend von solchen, die auf dem Problemgebiet sachkundig waren), daß ihnen innerlich wegen der Unvernunft und Undurchführbarkeit vieler Ideen „die Haare zu Berge gestanden" hätten und sie sich sehr zurückhalten mußten, um nicht gegen die empfundene Sinnlosigkeit vieler Vorschläge nachdrücklich zu protestieren. Nur um des „Spiels" Willen hätten sie ihre Widersprüche unterdrückt. Obwohl also das Brainstorming formal korrekt ablief, war es dennoch von unsichtbaren Spannungen geladen. Diese wirkten sich vor allem auf die Nachphase des Brainstormings aus, auf die Beurteilung des Ergebniswertes der Sitzung, und erzeugten bei vielen Teilnehmern wenig Bereitschaft für ein wiederholtes Brainstorming. Es kann einem Teilnehmer also zwar gelingen, äußere Kritik zu unterdrücken; von da an ist es jedoch noch ein weiter Weg bis zur vorbehaltlosen Akzeptanz aller im Brainstorming hervorgebrachten Vorschläge in dem anerkennenden Verständnis, daß auch unsinnige Ideen zu überraschenden, äußerst brauchbaren Lösungsansätzen Anregungen geben können. Doch selbst mit der Akzeptanz der Ideen Dritter ist es nicht genug, solange man noch seinen eigenen Gedanken zu kritisch gegenübersteht. Immer wieder trifft man im Brainstorming auf Teilnehmer, die sichtlich bemüht sind, nur solche Beiträge zu liefern, die abgewogen und abgesichert sind und die jeder Kritik standhalten. Dies jedoch macht ein Brainstorming noch nicht aus, vor allem, weil solche Beiträge selten über allgemein bekanntes Wissen zum Problem hinausgehen. Solange man nicht die Fähigkeit erreicht, seinen eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen, und den Mut besitzt, die Vorstellungen der eigenen Phantasie anderen mitzuteilen, solange wird sich ein Brainstorming mehr oder weniger in den Bahnen konventioneller Diskussionen bewegen. Natürlich birgt auch allzu große Phantasie die Gefahr, daß das Brainstorming in eine Vorstellung gekonnter Situationskomik entgleitet, die zwar durchaus nicht ohne intellektuellen Reiz sein kann, zur Problemlösung aber nichts mehr beiträgt. (In solche Situationen gerät man nach unserer Erfahrung besonders leicht bei geistiger Ermüdung; Ideenfindungssitzungen sollten deshalb nicht zu lang sein und nicht am Ende des Arbeitstages stattfinden.) Die Schwierigkeit bei der Teilnahme an Brainstorming besteht also auch in der Entwicklung zweckgerichteter Phantasie. Genauso, wie man sich darin üben sollte, seine (negative) Kritik in Zaum zu halten, sollte man sich bemühen, die Ideen der anderen Teilnehmer zu verstehen, deren positive Aspekte aufzugreifen und mit eigenen Gedanken weiterzuentwickeln. Auch diese Empfehlung wird nach unseren Beobachtungen in vielen Brainstorming-Sitzungen zu wenig befolgt. Das Brainstorming verliert dadurch erheblich an Synergie. Zweifellos bestehen zwischen den Regeln „keine Kritik" und „Ideen Dritter aufgreifen" enge Verbindungen. Hat man gegen eine Idee (oder gegen die Person, welche die Idee vorbringt) auch nur die geringsten inneren Vorbehalte, dann läßt die Be-
4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
79
reitschaft merklich nach, sich diese Idee quasi zu eigen zu machen, sie zu überdenken und auszugestalten. Daß negative Kritik (Beispiele: Das funktioniert niemals! Woher wollen denn Sie das wissen?! Das ist ein alter Hut! usw.) eine Brainstorming-Sitzung abwürgen kann, wird den Teilnehmern in der Regel bewußt. Gelegentlich denkt man aber zu wenig daran, daß auch übertriebene positive Kritik (Beispiele: Das ist die Idee! Da hat unser Chef mal wieder den Vogel abgeschossen! usw.) unerwünscht ist. Durch positive Kritik werden nicht nur einzelne Teilnehmer über Gebühr vor anderen hervorgehoben (die anderen Teilnehmer empfinden dies oft als Zurücksetzung), sondern es kann auch der Eindruck entstehen, daß man das „Ei des Columbus" nun gefunden habe und weiteres Nachdenken über das Problem nicht mehr lohne. Positive Kritik begünstigt also tendenziell eine unangemessene Präjudizierung einzelner Lösungsalternativen und saturiert den Problemlösungsprozeß. Schließlich sei von den Anwendungsproblemen bei Brainstorming noch die Stimulierung der Gruppe erwähnt. Jedes Brainstorming durchläuft unterschiedliche Phasen des Ideenflusses, der einmal sehr stark sein kann, dann aber auch wieder einmal gegen Null tendiert. Bei sehr schwachem Ideenfluß reicht das assoziative Potential der Gruppe häufig nicht zu einem Wiederaufschwung des Brainstormings aus. Es ist deshalb ratsam, gerade bei Brainstorming-Gruppen in der Einübungsphase einen Moderator zu bestimmen, der geschickt auf die Einhaltung der Brainstorming-Regeln achtet [95, S. 206] und stimulierend auf die Ideenproduktion der Teilnehmer einwirkt. (Damit soll jedoch nicht gesagt werden, daß eine Brainstorming-Sitzung keine schöpferische Pause verträgt!) Die Stimulierung kann zum Beispiel durch bestimmte Reizfragen erfolgen, die man an eine geäußerte Idee anknüpft („Kommen wir zu weiteren Alternativen, wenn wir daran etwas verkleinern, umkehren, weglassen, ersetzen, hinzufügen, usw.?") oder indem man weitere, bisher nicht beachtete Lösungsrichtungen anregt. Der Moderator, der in Brainstorming erfahren sein sollte, profitiert bei der Stimulierung der Teilnehmer davon, wenn er sich vor der Sitzung in das Problem vertieft und den Lösungsspielraum so gut es geht vorstrukturiert hat. Er darf die Gruppe allerdings keinesfalls in bestimmte Lösungsrichtungen drängen wollen. Geübte „Brainstormer" werden von sich aus den Ideenfluß immer wieder zu stimulieren versuchen. Sie können auf die Rolle des Moderators in der Gruppe verzichten.
4.2.3 Die Methode Synektik Wirkungsprinzip Analysen autobiographischer Berichte von Wissenschaftlern und Künstlern [285, S. 24 ff.] führten zu der Erkenntnis, daß kreative Denkprozesse häufig durch den Phasenablauf
80
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
— intensive Beschäftigung mit dem Problem, — Inkubation (Entfernung v o m Problem; unterbewußte Denktätigkeit), — spontanes Bewußtwerden einer Lösungsidee, gekennzeichnet sind. Die Methode Synektik will diesen Phasenablauf simulieren [93; 232; 247]:
Kreativer Prozeß (Phasen)
Verfahrensstufen der „Klassischen Synektik"
Intensive Beschäftigung mit dem Problem — Strukturierung - Information - Problemverständnis — Lösungsversuche
1. Problemübermittlung, -definition und -analyse 2. Spontane Lösungen (purge) 3. Evtl. Umformulierung des Problems dahin, wie es die Gruppe nun auffaßt
Entfernung vom Problem — zeitliche und örtliche Entfernung — Wechsel der Tätigkeiten — körperliche Entspannung
4. Bildung direkter Analogien zur Problemstellung (z. B. aus der Natur) 5. Bildung persönlicher Analogien zu einer direkten Analogie (Identifikationen) 6. Bildung symbolischer Analogien (Kontradiktionen) zu einer Identifikation 7. Bildung von direkten Analogien (z. B. aus der Technik) zu einer Kontradiktion
Herstellung von Verbindungen - ungehemmte Denkprozesse - Assoziationen - unterbewußte Strukturvergleiche
8. Analyse einer direkten Analogie von 7. 9. Übertragung der festgestellten Strukturelemente auf das Problem (force-fit)
Spontane Lösungsideen; Geistesblitz
10. Entwicklung von Lösungsansätzen aus dem force-fit
Abb. 27. Phasenverlauf des kreativen Prozesses und korrespondierende Verfahrensstufen der Methode Synektik;Quelle: [3, S. 69] N a c h dem vorbereitenden Verfremdungsprozeß liegt der Kern der eigentlichen Lösungsgenerierung im Force-Fit, der „gewaltsamen" Umformung problemfremder Strukturen in Lösungsansätze. Dieser Vorgang diente zur N a m e n s g e b u n g für die Methode: synechein (griech.) = Zusammenfügen scheinbar zusammenhangloser Sachverhalte. Die operationale Identität zwischen dem Force-Fit („schöpferische Konfrontation") und einem kreativen Prozeß liegt in der - logisch nicht immer ohne weiteres einsehbaren - Reorganisation beziehungsweise Verschmelzung auseinanderliegender Strukturelemente oder -teile zu einer neuen Struktur (vgl. Kap. 6.1.2), die den Anfor-
4.2 Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
81
derungen an eine Lösung zum gegebenen Problem standhält. Formal besteht dieser Prozeß in — der analogen Übernahme einer Fremdstruktur als Lösungskonzept oder — der Kombination (Verbindung) von Strukturen oder — einer Strukturüberlagerung. 8 Die Leistungsfähigkeit der Methode Synektik besteht nun vor allem darin, Bereiche der zum Problem naheliegenden Strukturen zu überwinden und unkonventionelle Struktursynthesen als Lösungsgestalten in Betracht zu ziehen, da oft aus solchen alleine ein Problem beantwortet werden kann.
Abb. 28. Synektische Einbeziehung entfernter Strukturen zur Lösungsgewinnung
In Abb. 28 sei P ein gegebenes Problem; V n bedeute jenes Volumen an Strukturen, welche zum Problem „naheliegen". Naheliegende Strukturen sind dabei jene, die dem Problemlösenden über die problemimmanenten Merkmale assoziativ (bzw. durch Nachdenken über das Problem) vorrangig bewußt werden [61, S. 10]. Vn enthält also jene Bestandteile des Erfahrungswissens des Problemlösenden, die mit dem Problem gemeinsame Elemente aufweisen. Mit V n ist das Volumen bestimmt, innerhalb dessen sich üblicherweise auch eine Brainstorming-Gruppe durch freie Assoziation bewegen würde. 8
Oates führt hierzu aus: „ T h e cross-fertilization rule lies at the heart of all creative thinking approaches. It underlies the need to bring together unlikely combinations - the juxtaposition of elements which are not normally associated with each o t h e r " [206, S. 18]. Duncker stellt ähnlich fest: „ T h e decisive points in thought-processes, the moments of sudden comprehension, of the „ A h a ! " , of the new, are always at the same time moments of which a sudden restructuring of the thought material takes place . . . " [61, S. 29]. Das Phänomen der „ J u x t a p o s i t i o n " findet sich auch in der Erklärung des „lateralen D e n k e n s " [47, S. 61].
82
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
Findet der Problemlösende in Vn keine als Lösung taugliche Struktur, wird er dazu neigen, den Problemlösungsprozeß als nicht erfolgreich abschließbar zu beenden. Er glaubt, die Lösung sei unmöglich. Neben V n existiert jedoch ein weiteres Reservoir Vra an Strukturen, die mögliche Bestandteile der Problemlösung sein können. Dieses Reservoir wird mit der Methode Synektik erschlossen: Ausgehend vom Problem P setzt ein Verfremdungsprozeß an, der über mehrere Stufen führt, den Bereich Vn verläßt und bei Strukturen endet, die der Problemlösende nicht ohne weiteres mit dem Problem in Verbindung gebracht hätte. (In Abb. 28) ist der Verfremdungsprozeß als Weg S 1-S2-S3-S-4 dargestellt.) Diese Strukturen nun'in Lösungsgesichtspunkte zu transformieren ist der Zweck des Force-Fit. Die Lösungsfindung über naheliegende und entfernte Strukturen soll an einem einfachen Beispiel erläutert werden. Problem: Es sollen neue Gestaltungsansätze für herkömmliche Betten gefunden werden. Als assoziative Ausgangspunkte zur Lösungsfindung bieten sich nun an z.B. Ruhehaltung, Bequemlichkeit, waagerechtes Liegen usw., die zu folgenden konkreten Assoziationen führen mögen: Sessel, Hängematte, Tisch, Federn, Nest usw. Zunächst wird der Problemlösende versuchen, die naheliegenden Assoziationen in Lösungen umzusetzen. Ausgehend von dem Begriff „Tisch" werden ihm beispielsweise die Elemente bewußt — glatte, ebene Fläche, — Schublade, — dient zum Essen, zum Arbeiten usf. Eine Übertragung dieser Elemente auf das Problem könnte eventuell zu der Idee führen, das Bett konvertibe'l zu gestalten, es ggf. tagsüber mit einer Platte abzudecken, um zusätzliche Nutzflächen (für Essen, Arbeit) zu schaffen, es mit Ablagemöglichkeiten (Schubladen) zu versehen und so weiter. Begriffe, wie z. B. Maulwurf, Schreibmaschine oder Luftballon werden dem Problemlösenden im Zusammenhang mit „Bett" mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bewußt; ihre Strukturen bleiben als eventuell brauchbare Lösungskeime ungenutzt. Dennoch solche Strukturen heranzuziehen und kreativ zu transformieren ist nun aber gerade ein Prinzip der Synektik. Nehmen wir also an, der Verfremdungsprozeß hätte (zufällig) zum Begriff „Schreibmaschine" geführt. Als typische Elemente fallen dem Problemlösenden dabei ein — Walze zum Spannen und Transport des Papiers,
4.2
Wirkungsprinzipien und Anwendungsprobleme
83
— Zeilenabstandsveränderung, - austauschbarer Kugelkopf usw.
Abb. 29. Naheliegende Assoziationen und entfernte Strukturen zum Problem „Neukonzeption von Betten"
Im Force-Fit zum Problem „Bett-Gestaltung" könnte daraus plötzlich die Idee auftauchen, das Leintuch des Bettes über Walzen am Kopf- und Fußende zu halten und zu spannen. Bei ausreichend großen Tuchrollen könnte ferner durch Weitertransport mehrfach frisches Laken freigegeben werden. Der Gedanke der Zeilenabstandsveränderung könnte reorganisiert werden in den Lösungsansatz, die sonst ebene Schlafauflage an verschiedenen Stellen anhebbar zu gestalten, um eine orthopädisch gesunde Topographie zu schaffen; der austauschbare Kugelkopf kann mit Kopfstütz-Mechanismen in Verbindung gebracht werden usw. Fraglos kann der Problemlösende den Force-Fit in jenem Maße vielseitiger und ergiebiger durchführen, in welchem er in größerer Vielfalt an den zu übertragenden
84
4 . Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
Strukturen (Begriffen, Gegenständen) „Eigenschaften, Bedeutungen, Funktionen entdeckt, die . . . ( i h m ) . . . bis dahin entweder ganz verborgen geblieben waren oder nur gelegentlich bemerkt und als peripher erlebt wurden, weil sie im üblichen Umgang mit dem Gegenstand nicht benötigt wurden, in dem Zusammenhang, in dem der Gegenstand zumeist auftritt, keine Rolle spielen" [275, S. 279], Die „Sensibilität für die Aspektmannigfaltigkeit der Gegenstände" [275, S. 284; 81, S. 18] ist also eine fundamentale Fähigkeit, welche die erfolgreiche Absolvierung synektischer Prozesse voraussetzt [218, S. 333; 265, S. 11; 61, S. 39],
Anwendungsprobleme Über die rein methodische Beschreibung der Synektik hinaus findet man in der Literatur gelegentlich auch Realbeispiele über Bedingungen und Ergebnisse der Anwendung dieser Methode [6; 178]. Sie bestätigen, daß Synektik zu den leistungsstärksten Methoden der Ideenfindung zu zählen ist [191, S. 72], Trotz erwiesener Anwendungserfolge bleibt die synektische Vorgehensweise jedoch keineswegs unumstritten. Bei nahezu allen unseren Seminaren entzündete sich die Diskussion insbesondere immer wieder an dem von Gordon vorgeschlagenen Verfremdungsprozeß, der die Teilnehmer über direkte, persönliche und symbolische Analogien vom Problem weg in andere Erfahrungsbereiche führen will. In der konkreten Anwendung der Methode Synektik verfallen ungeübte Teilnehmer gerne dem Fehler, alle Schritte des Verfremdungsprozesses auf ihre Zweckbezogenheit zur Lösungsfindung unmittelbar rationalisieren zu wollen. Die mittelbare Wirkung der in den persönlichen und symbolischen Analogien enthaltenen denkpsychologischen Mechanismen wird dabei verkannt und — da sie nicht offensichtlich und direkt mit dem Problem in Bezug zu bringen ist - in ihrer Sinnfälligkeit angezweifelt. Die dadurch hervorgerufene innere Distanz zum Vorgehen steht einem Engagement für die Methode entgegen und verhindert dadurch den für kreatives Verhalten wichtigen persönlichen Aufschluß. Sieht man von der Einsicht in den synektischen Prozeß ab, dann bereiten auch die Anforderungen der einzelnen Verfremdungsstufen vielen Teilnehmern erhebliche Mühe. Während direkte Analogien in der Regel ohne allzu große Schwierigkeiten gefunden werden können, fehlt es oft bei den persönlichen Analogien, die ein elementares, geradezu körperliches Verständnis für die Aufbau- und Wirkungsbesonderheiten analoger Lösungsstrukturen fördern sollen, an dem nötigen Einfühlungsvermögen. Anstatt sich mit einem Gegenstand vorbehaltlos zu identifizieren, weicht man häufig auf eine Betrachtung und Beschreibung äußerer Merkmale der Analogie aus, ohne die für kreatives Verhalten so wichtige emotionale Komponente willentlich zu entwickeln. Auch die Bildung symbolischer Analogien, mit welchen man Aussagen aus den persönlichen Analogien phantasievoll-irrational-widersprüchlich (in semantischer
4.3 Leistungsaspekte der Grundmethoden
85
Transformation) zu umschreiben versucht, bereitet anfangs erkennbare Schwierigkeiten. Erschwerend ist dabei, daß hier dem Synektik vermittelnden Trainer selbst Grenzen gesetzt sind, denn die inhaltlichen Anforderungen der symbolischen Analogien können kaum erklärend mitgeteilt werden; die mittelbare Erklärung durch eine Fülle von Beispielen ist vielleicht dabei der beste und verständlichste Weg. Der Verfremdungsprozeß der Synektik wird insbesondere dann nur sehr zögernd vollzogen, wenn die Mitglieder der Gruppe hierarchisch heterogen sind und noch keine informellen Beziehungen zueinander aufgebaut haben. Es werden erhebliche Hemmungen erkennbar, die Analogiephasen der Methode frei durchzuspielen. Offensichtlich scheuen viele Teilnehmer den Anschein der Lächerlichkeit, wenn sie sich beispielsweise vor ihren Mitarbeitern in der persönlichen Analogie in die Rolle einer Schnecke oder Dampfpfeife versetzen sollen. Solche Hemmungen bauen sich freilich mit der Dauer des Zusammenspiels einer Synektikgruppe immer mehr ab, vor allem, wenn einige Sitzungen gute Lösungen erbrachten. Nur bei relativ wenigen Teilnehmern konnten wir bisher feststellen, daß ihnen das Prinzip der Lösungsfindung durch Strukturübertragungen (Force-Fit; schöpferische Konfrontation) ausgesprochen schwer fiel. In den meisten Fällen eignete man sich diese Heuristik schnell an, und die Fülle der damit erzielten Ideen wurde allgemein mit Überraschung zur Kenntnis genommen. Da die Phase des Force-Fit weitestgehend unter den Bedingungen durchgeführt werden sollte, die für Brainstorming gültig sind, treten auch hier viele der für Brainstorming typischen Anwendungsprobleme auf.
4.3 Leistungsaspekte der Grundmethoden 4.3.1 Lösungsmenge Der Anspruch des Morphologischen Kastens geht dahin, möglichst alle ein Problem beantwortenden Lösungen aufzuzeigen. Es kann deshalb von vornherein eine sehr große Anzahl von Lösungen erwartet werden. Bei der parametrischen Zerlegung einer Lösungsstruktur in Elemente geringster Komplexität und bei Auflistung aller denkbaren, diese vertretenden Ausprägungen (Konkretisierungen) tendiert bei den meisten Problemen die Zahl der Lösungen nach Unendlich. (Enthält doch bereits ein Morphologischer Kasten mit nur 10 Parametern und jeweils 10 Ausprägungen zehn Milliarden Lösungs-Alternativen!) Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß mit zunehmender Differenzierung durch Parameter die Ähnlichkeit zwischen bestimmten Alternativen zunimmt, wobei im Extremfall zwischen vereinzelten Alternativen qualitative Unterschiede kaum oder nicht mehr festgestellt werden können.
86
4. Die Anwendung der Grundmethoden der ldeenfindung
Wie schon erwähnt, sind die Parameter einer Morphologie hinsichtlich der qualitativen Bestimmung der Lösungsalternativen von unterschiedlicher Prägung. Für jedes Problem existieren wenige, sogenannte konstituierende Parameter, welche die Kernstrukturen der Lösungen bestimmen und im eigentlichen Sinne Alternativen bilden. Andere Parameter wiederum - und zwar die Mehrzahl der auffindbaren — beziehen sich auf periphere Gestaltungseinzelheiten der Lösungen, deren Variation im Grunde genommen für den Problemlösenden nicht entscheidungswirksam ist. Die ausgestaltenden (modifizierenden) Parameter vervielfachen also die Lösungszahl lediglich um Scheinalternativen. Sie bedeuten für den Problemlösenden nur Ballast, der den Auswahl- und Bewertungsprozeß unnötig kompliziert. Auch ohne ausgestaltende Parameter liegt jedoch die Lösungszahl eines Morphologischen Kastens um mehrere Potenzen über dem quantitativen Ergebnis etwa einer Brainstorming-Sitzung zum selben Problem, selbst wenn diese, wie Oates [206, S. 18] großzügig meint, 200 Ideen in 20 Minuten hervorbringt. Wir halten diesen Wert von Oates allerdings für eine absolute Obergrenze; nach unseren Erfahrungen kann man durchaus von einem ergiebigen Brainstorming sprechen, wenn zu einem Problem mittlerer Anforderung mit etwa 7 Teilnehmern rund 50 Lösungsansätze in 30 Minuten aufgezeigt wurden. Der Ideenausstoß von Brainstorming und Synektik hält sich in etwa die Waage, 9 wobei jedoch eine Synektiksitzung den 3- bis 6fachen Zeitaufwand einer Brain• =Einzellösung
Synektik, Brainstorming
Morphologischer Kasten*
' d i e Feinheit der Rasterung ist der Zahl der Parameter und der Zahl ihrer Ausprägungen proportional Abb. 30. Prinzip der Überdeckung eines Lösungsvolumens durch Synektik, Brainstorming und den Morphologischen Kasten 9
Bouchard ist darüber anderer Ansicht und weist eine höhere Produktivität (Anzahl von Ideen) von Synektik- gegenüber Brainstorming-Gruppen nach. Er betont gleichzeitig, daß Menge und Qualität von Lösungen hoch korrelieren, d. h. daß Synektik auch unter qualitativen Leistungsgesichtspunkten Brainstorming überlegen ist [27, S. 4 1 8 ff.]. Vergleiche hierzu auch Punkt 4.5
4 . 3 Leistungsaspekte der Grundmethoden
87
storming-Sitzung verlangt. Bei diesem Vergleich müssen wir allerdings einschränkend darauf verweisen, daß wir mit Synektik in der Regel andere Probleme als mit Brainstorming bearbeiteten (vgl. Punkt 4.5). Die zahlenmäßigen Lösungsergebnisse von Brainstorming, Synektik und dem Morphologischen Kasten korrespondieren naturgemäß mit den Generierungsprinzipien dieser Methoden. Während man bei Brainstorming und Synektik das theoretische Lösungsvolumen (VL ) des Problems quasi mit einem unregelmäßigen Streufeuer belegt, soll es mit dem Morphologischen Kasten systematisch und lückenlos durchgearbeitet werden. Brainstorming und Synektik bergen also das Risiko in sich, gewisse grundsätzliche Bereiche des Lösungsvolumens nicht einzubeziehen. 4.3.2 Lösungsqualität Aus mehreren Gründen ist ein Vergleich der Grundmethoden im Hinblick auf die mit ihnen erzielbare Lösungsqualität ungleich schwieriger als für die Lösungsmenge. Die Bereiche sinnvoller Anwendung der Methoden sind nicht vollkommen deckungsgleich. Erprobt man deshalb zwei Methoden am selben Problem, dann liegt dieses sehr wahrscheinlich ungleich entfernt von den Anforderungsidealen, denen jede Methode für sich am besten entsprechen kann. Schmitt-Grohe gibt zwar Rangplätze für die Leistungsfähigkeiten verschiedener Methoden der Ideenfindung an [256, S. 72 f.], die Aussagefähigkeit einer solchen Einschätzung scheint uns jedoch ohne die Definition entsprechender Anwendungsbereiche fraglich zu sein. Während für ein bestimmtes Problem alternative Lösungen ohne weiteres in eine qualitative Rangreihe gebracht werden können, ist es außerordentlich kompliziert, wenn nicht unmöglich, Alternativen zu verschiedenen Problemen qualitativ gegeneinander abzuwägen. Die Schwierigkeit besteht darin, allgemein gültige Bewertungskriterien zu finden, mit welchen gleichzeitig die Lösungen zu verschiedenen Problemen zutreffend beurteilt werden können. Um auf diese Weise Lösungen miteinander vergleichbar zu machen, zieht Parnes z. B. einmal die Kriterien „usefulness" und „uniqueness" heran [219, S. 122 f.], ein anderes Mal die Originalität als relative Seltenheit einer Lösung [220, S. 3]. Henle [109, S. 32 f.] stützt sich auf „correctness, novelty, freedom and harmony", und Mednick [ 186, S. 221] verweist auf die Distanz der Strukturelemente, aus welchen eine Lösung kombiniert wurde. Alle diese Hilfsgrößen haben mindestens eines gemeinsam: Sie sind sehr unpräzise, schlecht zu quantifizierende Kriterien für die vergleichende Bewertung von Lösungen zu unterschiedlichen Problemen. Stellt man die mit einem Morphologischen Kasten einerseits und mit Brainstorming oder Synektik andererseits erarbeiteten Lösungen einander gegenüber, dann scheitert ein Vergleich auch an den unterschiedlichen Konkretisierungsgraden. Lösungen aus
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
88
dem Morphologischen Kasten sind zwar vollständig im Hinblick auf den groben Rahmen ihrer Struktur, im Detail aber häufig noch unbestimmt. Mit Kreativtechniken — also beispielsweise Synektik und Brainstorming — gefundene Lösungen sind hingegen im charakteristischen Kern genau beschrieben, erklären aber selten die Lösungsstruktur in ihrer Gesamtheit. Einigermaßen treffend könnten also die Lösungen aus dem Morphologischen Kasten als Gerüste, die aus Synektik und Brainstorming als Keime bezeichnet werden. Beide sind noch, wenn auch auf unterschiedliche Art, unvollständig. Die unterschiedliche Konkretisierung von Lösungsansätzen erschwert nicht nur die Vergleichbarkeit der Leistungsfähigkeit von Methoden, sondern ist per se ein grundsätzlicher Unsicherheitsfaktor in der Lösungsbewertung. (Zur Bewertungsproblematik allgemein siehe [17].) Bewertungsökonomische Gesichtspunkte verleiten den Praktiker dazu, Auswahlprozesse zwischen konkurrierenden Alternativen möglichst frühzeitig, quasi im embryonalen Ideenstadium durchzuführen. Da Ideenkeime aber noch zu einem breiten Spektrum qualitativ entwickelt bzw. ausgestaltet werden können, besteht die Gefahr, daß potentiell hervorragende Ansätze latent bleiben und vorschnell eliminiert werden [220, S. 3]. Es ist deshalb dringend davon abzuraten, etwa ein Brainstorming-Protokoll als Grundlage zur anschließenden Lösungsbewertung heranzuziehen. Vor diesem Schritt, der Lösungsbewertung, sollten alle Ideen oder Lösungsansätze sorgfältig überprüft werden, ob und wie sie noch ausgestaltet oder modifiziert werden können. Oft lassen sich dabei aus einem einzigen Ansatz weitere vier oder fünf Varianten ableiten, die den Charakter echter Alternativen besitzen. Sogar zunächst völlig sinnlos erscheinende Ideen können in dieser Ausarbeitungsphase plötzlich zu wertvollen und ungewöhnlichen Lösungen umstrukturiert werden. Ausarbeitung von Lösungsansätzen durch Strukturergänzung (Komplettierung)
Strukturvertiefung (Detaillierung)
Lösungen aus dem Morphologischen Kasten Lösungen aus Synektik und Brainstorming
Abb. 31. Richtung der erforderlichen Ausarbeitung von Lösungsansätzen aus Brainstorming und Synektik sowie dem Morphologischen Kasten
4.3 Leistungsaspekte der Grundmethoden
89
Die Methoden der Ideenfindung stellen als unmittelbares Anwendungsergebnis also selten für sich schon bewertungsfähige Lösungen zur Verfügung — sie schaffen dazu nur die Voraussetzung. Wenn wir die Ausarbeitung von Lösungen im wesentlichen als Strukturergänzungen und -Vertiefungen erklären, dann bedürfen „morphologische Lösungen" eher der Detaillierung, „synektische Lösungen" eher der Komplettierung. Da die Ausarbeitung von Lösungen ihrerseits mit einer Anreicherung gedanklicher Leistungen über die Ideengenese hinaus verbunden ist, verzerren ausgearbeitete Lösungen zwangsläufig die Vergleichbarkeit der nur die Lösungskerne generierenden Methoden. Die Bestimmung der Qualität von Lösungen verursacht in der Praxis der Ideenfindung häufig ernsthafte Schwierigkeiten. Dabei ist der Bewertungsvorgang noch relativ einfach, wenn es sich um eine reine „Mengenproblematik" handelt. Hier ist der Blickwinkel überwiegend ökonomisch und resultiert in der Forderung, den Lösungsaufwand — und damit auch die Vielzahl der Lösungsbewertungen - hinsichtlich Zeit und Geld zu optimieren [194, S. 4; 252, S. 229]. Es sind also Kompromisse zu schließen zwischen dem Aufwand zur qualitativen Überprüfung konkurrierender Lösungen und der Sicherheit der Entscheidung. Rigorose, in der Vorbereitung ungenügende Entscheidungen werden dabei nicht selten im Nachhinein dadurch zu rechtfertigen versucht, daß man verworfene Alternativen nachträglich bagatellisiert und ihre potentiellen Chancen herabspielt [21, S. 61]. Das Mengenproblem der Ideenfindung — es stehen zuviele Lösungen zur Auswahl an — wirkt sich ferner anreizmindernd auf die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Ideengenese aus. Denn viele Ideen müssen in den Entscheidungsgremien zwangsläufig zu einer hohen Rückweisungsquote führen, die unter ungünstigen Umständen sogar zu einer Rückweisungsroutine entartet. Die Neigung, in eine Rückweisungsroutine zu verfallen, konnten wir bei der Durchführung von Diversifikationsaufgaben in den Phasen beobachten, wenn die Liste der Produktvorschläge (in der Regel 100 bis 150 Vorschläge) der Geschäftsleitung zur Selektion vorgelegt wurde. Nach anfänglich intensiver Begutachtung eines jeden Vorschlags und der Diskussion seiner Vor- und Nachteile nahm die jedem Vorschlag gewidmete Zeit merklich ab und die Tendenz zur ungeprüften Ablehnung zu. Der einzelne Vorschlag verlor innerhalb einer großen Anzahl an Bedeutung und seine Eignung oder Nichteignung zur Lösung der gestellten Aufgabe wurde nicht mehr mit gebührender Sorgfalt registriert. Der ideenproduzierenden Einheit - sei es Gruppe oder Individuum — ist deshalb eine selbst durchzuführende Reduzierung der zu einem Problem erarbeiteten Alternativen anzuraten, ehe entsprechende Vorschlagslisten in die zuständigen Entscheidungsgremien eingebracht werden. Die Anerkennung vorgeschlagener Problemlösungen ist jedoch nicht nur ein Pro-
90
4 . Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
blem der Menge, sondern kann beispielsweise auch dadurch schwierig werden, daß der Entscheidende nicht mit dem Problemlösenden identisch ist [211, S. 45f.]. Ursachen einer möglichen Zurückweisung können dann in mangelnder Übereinstimmung der individuellen Problem- und Lösungsauffassungen bestehen oder auch dadurch bedingt sein, daß der Entscheidende aus zwischenmenschlichen Konkurrenzmotiven die Leistung des Vorschlagenden nicht anerkennen will. Gegenteilig hierzu kann natürlich auch eine objektive Bewertung durch unreflektierte Übereinstimmung, also durch konformes Verhalten [289; 44], verzerrt werden.
4.4 Die Eignung der Grundmethoden zur Bewältigung der Elementar-Probleme Eine Untersuchung der Methoden Morphologischer Kasten, Synektik und Brainstorming im Hinblick auf ihre Eignung zur Lösung von Such-, Analyse- und Konstellationsproblemen hilft, die situativ angemessenen Anwendungsbereiche dieser Methoden zu orten. Damit sollen dem Praktiker Hinweise zur effizienteren Anwendung dieser Methoden an die Hand gegeben werden. Die Frage nach den problemspezifischen Leistungen der Methoden der Ideenfindung wurde u. a. bei den Forschungsarbeiten zum Projekt „Methoden und Organisation der Ideenfindung" [3] am Batteile-Institut, Frankfurt, aufgegriffen. Bei diesen Arbeiten wurde die Notwendigkeit zur quantitativen Bewertung jeweils erzielter Lösungen festgestellt, ohne die der Nachweis nicht erbracht werden kann, daß eine Methode X beispielsweise auf Probleme des Typs A besser abgestimmt ist als auf die des Typs B. Es mußten also qualitätsbestimmende Kriterien aufgestellt werden, mit denen sich Lösungen zu verschiedensten Problemen vergleichen lassen. Die Suche nach solchen Kriterien macht deutlich, daß die Forderung nach Allgemeingültigkeit eines Kriteriums stets von einem Verlust an Aussagefähigkeit und Schärfe des Kriteriums begleitet ist (vgl. Punkt 4.4.2). Schließlich einigten wir uns auf den (nicht voll befriedigenden) Kompromiß, die vorliegenden Lösungsansätze, die zu verschiedenen Problemen mit verschiedenen Methoden gewonnen worden waren, im Hinblick auf deren - Originalität, - Nutzen und - Durchführbarkeit einzuschätzen [3, S. 11 Anhang]. Diese Begriffe, denen eine rechte „Griffigkeit" fehlt, wurden wie folgt erklärt: Unter Originalität eines Vorschlages sollte die „Eleganz" seiner Lösungskonzeption und die Abhebung von herkömmlichen, bekannten Ansätzen bewertet
4 . 4 Die Eignung der Grundmethoden
91
werden. Die Benotung der Originalität beinhaltet somit das neue, ungewöhnliche und überraschende Element einer Lösung. Durchführbarkeit sollte die technischen und organisatorischen Schwierigkeitsgrade der Realisierung eines Vorschlags kennzeichnen. Fallweise konnte und mußte die Durchführbarkeit jedoch auf rechtliche oder soziale Normen bezogen werden, die bei der Realisierung zu überwinden gewesen wären. Der Nutzen sollte in der Zielerfüllung des realisierten Vorschlages gesehen werden. Als Meßwerte konnten je nach der Problemstellung Umsatzerwartungen, technische Leistungen, Erwirken eines Verhaltens usw. dienen. Das Notenspektrum lag in den Grenzen von 0 bis 5. Vereinbarungsgemäß sollte die Note 0 dann vergeben werden, wenn das Kriterium auf evidente Art und Weise unerfüllt blieb, die Note 5 dann, wenn das Kriterium auf (nahezu) ideale Weise erfüllt worden war [3, S. 11 Anhang]. Die Summe der Notengebung über Originalität, Nutzen und Durchführbarkeit wurde als Komplexqualität der benoteten Lösung bezeichnet; da jeweils drei Bewerter auftraten (die bei der Lösungsfindung nicht beteiligt waren), konnte ein Vorschlag maximal 3 x 5 x 3 = 45 Punkte erhalten. Besondere Unsicherheiten empfanden die Bewerter bei der Einschätzung der „Originalität" der Lösungen. Da weder qualitativ noch quantitativ eindeutige Bezugspunkte bei der Bewertung vorgegeben werden konnten, mußten sie sich auf ihre subjektive Interpretation des Begriffes zurückziehen. Die Sichtung der Bewertungsprotokolle zeigt deshalb für dieses Kriterium eine relativ breite Streuung der abgegebenen Noten. (Interessanterweise zogen einige Vorschläge die Noten 0 und 5 für Originalität gleichzeitig auf sich. „Hohe Originalität" und „Blödsinn" scheinen also in der Praxis der Ideenbewertung recht eng nebeneinander zu liegen.)
BRAINSTORMING
SYNEKTIK
O
D
N
O-N
O
D
N
O-N
Konstellationsprobleme
8,18
6,98
6,19
22,35
8,74
5,81
5,84
20,43
Suchprobleme
7,12
8,12
6,63
21,87
7,51
6,34
5,47
19,32
Analyseprobleme
6,39
7,94
6,46
20,79
7,48
8,47
7,62
23,57
Abb. 3 2 . Durchschnitte erzielter Lösungsqualitäten von Brainstorming und Synektik bei der Bewältigung unterschiedlicher Elementarprobleme im Hinblick auf verschiedene Qualitätskriterien. Es sind jeweils alle Lösungen einer Sitzung einbezogen. Legende: O = Originalität, D = Durchführbarkeit, N = Nutzen; O—N = Summe über O, D und N
4. Die Anwendung der Grundmethoden der Ideenfindung
92
Die Abb. 32 und 33 enthalten die ausgewerteten Ergebnisse des Vergleichs der Eignungen von Brainstorming und Synektik. Insgesamt wurden 24 Ideenfindungssitzungen mit vergleichbarer Schwere der Problematik in den Vergleich aufgenommen. Davon konnten 9 dem Typ „Konstellationsproblem" zugerechnet werden, 8 fielen in die Kategorie „Suchprobleme" und bei weiteren 7 handelte es sich um „Analyseprobleme". Bildete man Bewertungsdurchschnitte über alle in den Sitzungen erzielten Lösungen, dann ergab sich der in Abb. 32 gezeigte Eignungsvergleich [3, S. 40 Anhang]. Hinsichtlich des Bewertungskriteriums Originalität zeigten sich synektisch gefundene Lösungen den Brainstorming-Ergebnissen überlegen, und zwar bei allen Problemarten. Die Unterschiede waren jedoch relativ gering. Mit Ausnahme der Analyseprobleme wurden die Brainstorming-Ansätze unter den Gesichtspunkten Durchführbarkeit und Nutzen andererseits im Mittel höher bewertet. Die Komplexqualität der Lösungen aus Brainstorming lag damit ebenfalls über jener der mit Synektik erzielten Ansätze. In Abb. 33 sind lediglich die Zahlenwerte der jeweils fünf besten erzielten Lösungen aufgenommen [3, S. 41/42 Anhang]. Diese Einengung dürfte für den Praktiker aufschlußreicher sein als ein globaler Qualitätsdurchschnitt über alle Lösungen, wie er in Abb. 32 ausgewiesen ist. Denn in der Praxis können „immer nur wenige Lösungen in die engere Wahl gezogen oder verwirklicht werden" [3, S. 15 Anhang].
BRAINSTORMING
SYNEKTIK D
O-N
O
D
N
O-N
O
Konstellationsprobleme
8,97
7,74
8,50
25,21
10,4
8,02 8,68
27,10
Suchprobleme
8,50
9,50
9,10
27,10
10,1
8,37 8,93
27,40
Analyseprobleme
6,70
8,79
7,75
23,24
9,43 10,43 9 , 9 7
29,83
N
Abb. 33. Durchschnitte erzielter Lösungsqualitäten von Brainstorming und Synektik bei der Bewältigung unterschiedlicher Elementarprobleme im Hinblick auf verschiedene Qualitätskriterien. Es sind jeweils nur die besten fünf Lösungen einer Sitzung einbezogen. Legende: wie Abb. 32.
In Bezug auf die jeweils fünf besten Lösungsansätze aus einer Ideenfindungssitzung waren die mit Synektik gefundenen Ergebnisse den Brainstorming-Resultaten bei allen Problemarten für alle Bewertungskriterien überlegen. Die Auswertungen zeigen lediglich zwei Ausnahmen: Durchführbarkeit und Nutzen der erzielten Lösungen aus Suchproblemen wurden bei Brainstorming besser als bei Synektik beurteilt.
4.4 Die Eignung der Grundmethoden
93
Da, wie schon erwähnt, die Lösungen aus einem Morphologischen Kasten unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten von den Lösungen aus Brainstorming und Synektik abweichen, konnte der Morphologische Kasten nicht in diesen Leistungsvergleich einbezogen werden. Die Vergleichbarkeit ist ferner deshalb nicht ohne weiteres möglich, weil der Prozeß des Aufbaus eines Morphologischen Kastens in sich komplex ist und mehrere Anforderungsqualitäten enthält. Die Auswahl der Parameter z. B. wendet sich in hohem Maße an analytische Fähigkeiten, die Ermittlung der Ausprägungen hat eine dominierende Suchkomponente und die Ermittlung einzelner Lösungsalternativen stellt eine Strukturkombination dar. Der Morphologische Kasten könnte deshalb schon eher als eine ganze Strategie, denn eine strikte Methode gelten und bietet die Integration anderer Methoden der Ideenfindung geradezu an. Aus diesen Überlegungen heraus wollen wir die Eignung der Grundmethoden zur Bewältigung der Elementarprobleme so umreißen:
Vorliegendes Problem
geeignete Methode
Suchproblem
Brainstorming
Konstellationsproblem
Synektik
Ermittlung der Parameter (Analyse-Problem)
z. B. Funktionsanalyse, evtl. Brainstorming
Ermittlung der Ausprägungen (Such- oder Konstellationsproblem)
Brainstorming oder Synektik
Morphologischer Kasten
Abb. 34. Zuordnung von Methoden der Ideenfindung und Problemarten
Gemäß unseren experimentellen Ergebnissen treffen die erwähnten Leistungsvorteile der Grundmethoden der Ideenfindung hinsichtlich der Elementarprobleme lediglich über eine große Zahl der Fälle zu. Es handelt sich also um keine streng verbindlichen Empfehlungen. Im Einzelfall können durchaus mit einer „ungeeigneten" Methode hervorragende Ergebnisse erzielt werden. Der Prozeß der Lösungsfindung wird situativ von vielen Einflußfaktoren bestimmt. Einige davon, wie Zieleindeutigkeit, gesetzte Anforderungen oder Lösungsvolumen haben wir bereits in Kapitel 2 diskutiert. Andere, wie kognitives Klima oder kognitive Stimulusqualität werden wir noch behandeln (Kapitel 6). Die Wahl der Methode ist also bei der Ideenfindung nur einer unter den die gesamte Situation kennzeichnenden, erfolgswirksamen Faktoren.
5. Die Entwicklung methodischer Varianten
Im Verlaufe der Untersuchung „Methoden und Organisation der Ideenfindung" [3] entwickelte das Projektteam des Battelle-Instituts 13 neue Methoden der Ideenfindung und Problemlösung, die sich teilweise eng an bereits bekannte Methoden anlehnen, teils aber auch neue methodische Elemente beinhalten. Davon werden im folgenden einige methodische Entwicklungen besprochen; sie gehen im wesentlichen auf die Mitarbeit des Verfassers zurück. Die methodischen Varianten wurden unter nachstehenden Absichten entwickelt: a) Erweiterung des Ansatzes bzw. der Leistungsfähigkeit bereits verbreiteter Methoden. Die Entwicklungen weisen im Hinblick auf die Bewältigung von Problemlösungsprozessen weitere Leistungsmerkmale auf. (Beispiel: Integration eines Bewertungsverfahren in den Morphologischen Kasten = Sequentielle Morphologie.) b) Verwendung eines anderen Ideen-Generations-Mechanismus, einer anderen Heuristik oder methodischen Strategie. (Beispiel: Visuelle Synektik; TILMAG.) c) Vertikale Erweiterung des Anwendungsbereichs von Methoden im Verlauf des Problemlösungsprozesses durch Methodenabstimmung und -kombination. (Beispiel: Methodischer Set zum Finden neuer Produkte.)
5.1 Konzentration auf die Hauptfunktion: Eine allgemeine Problemlösungsstrategie Untersuchungen des Prozesses kreativer Lösungsfindung weisen darauf hin [61, S. 8; 277, S. 60], daß sich neue Ideen überaus selten als komplexe Lösungsgestalten offenbaren, sondern meist nur als (wesentlicher) Kern, der quasi die Schlüsselstruktur der Lösung enthält. Indirekt können wir daraus folgern, daß die Strukturkomponenten einer Lösung in unterschiedlichem Umfang deren Gesamtqualität für ein gegebenes Problem konstituieren, bzw. verschieden wichtige Funktionen erfüllen; die „functional values" [61, S. 4 f . ] der Strukturkomponenten unterscheiden sich also voneinander. Umgekehrt kann bereits aus der Zielanalyse einer Problemstellung ermittelt werden, welches Funktionsspektrum von potentiellen Lösungen zu erfüllen ist, und es ist möglich, im Hinblick auf den Problemlösungszweck diese Funktionen nach ihrer Wertigkeit zu staffeln. (Diese Betrachtungsweise wird typischerweise in der Wertanalyse angestellt.) So wie wahrnehmungspsychologisch die Hauptaufgabe der Strukturerkennung in
5 . 1 Konzentration auf die Hauptfunktion
95
der Reduzierung umfangreicher Umgebungen liegt [140, S. 3], sollte analog das Problemlösungsbemühen auf jene Anforderungselemente des Problems gerichtet werden, deren Lösung als substantiell für die Aufgabe, als „nervus rerum" aufzufassen ist. Diese Konzentration ist angesichts der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität des Menschen umso dringender, als der Versuch einer ganzheitlichen Lösungserfassung bei komplexen Problemsituationen nicht nur nahezu unmöglich ist, sondern daneben die Gefahr herbeiführt, daß man sich in Nebensächlichkeiten verirrt. Jene Problemlösungsstrategie scheint also die effizientere zu sein, welche sich zu Beginn des Problemlösungsprozesses auf die Hervorbringung einer geeigneten Schlüsselstruktur zur Hauptfunktion jeder potentiellen Lösung konzentriert und die fehlenden Strukturkomponenten sukzessive zu ergänzen versucht. Die Lösungsfindung mit dem Morphologischen Kasten stimmt offensichtlich nicht mit dieser Strategie überein. Hier sehen die Anwendungsregeln vor, daß bereits im Eingangsschritt alle wichtigen Lösungselemente qualitativ vorzuempfinden sind. Tendenziell führt damit die Methode des Morphologischen Kastens zu einer Präformierung der Lösungsmenge. Die konkreten Alternativen werden zu Varianten mit größerem oder kleinerem Abweichungsspielraum von einer vorgezeichneten Grobstruktur. Kreative Lösungen hingegen erfassen in der Regel nur Partialstrukturen, die allerdings im Hinblick auf die noch auszubauenden, vollständigen Lösungsgestalten die geforderten Kernfunktionen (ideal) erfüllen. Der intuitive Gedanke ist also nicht wie bei der systematischen Lösungsfindung (z. B. mit dem Morphologischen Kasten) an eine vorgeprägte Gestaltqualität gebunden; er beinhaltet Lösungskerne, d. h. orientiert sich in der Regel an der zu erfüllenden Hauptfunktion relativ zum Problem. 10 Damit bleibt die Wahrscheinlichkeit hoch, daß intuitiv originellere oder „kreativere" Lösungen gefunden werden können als bei strukturellen Rahmensetzungen, wie diese zum Beispiel beim Morphologischen Kasten mehr oder weniger erfolgen. Je detaillierter also Zielvorgaben im Lösungsprozeß berücksichtigt werden müssen, desto starrer ist die Struktur potentieller Lösungen von vornherein fixiert, d. h. desto einheitlicher werden die Ausprägungsformen möglicher Lösungen. Will man zu neuartigen, originellen Lösungen vorstoßen, sollten deshalb zwei Näherungen möglichst weit erfüllt sein: 1. Die vorgegebenen Funktionsanforderungen sind auf wesentliche Kernansprüche zu reduzieren. 2. Lösungsstrukturen sind so wenig komplex wie möglich vorzufassen. Diese Forderungen zielen auf eine Problemlösungsstrategie hin, mit der zu einer vorgegebenen Problemstellung zunächst Kernstrukturen produziert werden, die suk10
Den Vorteil einer solchen Abstraktion betont auch Pähl [ 2 1 4 , S. 1 5 7 ] ; vgl. im Anhang ferner die Intentionen der Methode Progressive Abstraktion.
5. Die Entwicklung methodischer Varianten
96
zessive zu vollständigen Lösungen auszuarbeiten sind. Nachrangige Funktionsanforderungen werden also nur stufenweise berücksichtigt. Duncker bestätigt die Sinnfälligkeit dieses Vorgehens: „ . . . the général or ,essential' properties of a solution genetically précédé the specific properties; the latter are developed out ofthe former" [61, S. 8], Aus diesen Überlegungen kann geschlossen werden, daß die Wahrscheinlichkeit, originelle Lösungen zu finden, im Morphologischen Kasten im umgekehrten Verhältnis zum Grad der Differenzierung und Detaillierung der Parameter steht. (Dies bekräftigt die Empfehlung, sich auf wenige, aber wesentliche Parameter zu beschränken! Vgl. S. 74.) Es ist deshalb erfolgversprechender, den Lösungsprozeß zunächst auf jene Funktion auszurichten, der im Problemzusammenhang höchste Bedeutung beizumessen ist. Angestrebt wird also, den Freiheitsgrad der Strukturentwicklung von Lösungen während des Lösungsprozesses so groß wie möglich zu halten und diesen nicht vorschnell durch die Setzung von „Eckwerten" (z. B. über Parameter) einzuengen. Es soll nun versucht werden, diese allgemeine Strategie in einem Beispiel umzusetzen. Dazu wählen wir die Problemstellung: Es sind Alternativen
zu den herkömmlichen
Gartengrills
zu
entwickeln.
Nach den Vorgehensregeln von Zwicky zum Aufbau eines Morphologischen Kastens würde man nun als erstes die wesentlichen Problem- bzw. Lösungselemente ermitteln, z.B. — Art der Hitzeerzeugung, — Regulierung der Hitze, Parameter
Ausprägungen
Art der Hitze-
feste
flüssige
chemische
Elektri-
Sonnen-
erzeugung
Brenn-
Brenn-
Reaktion
zität
energie
stoffe
stoffe
Regulierung
an der
Kühl-
Distanz-
der Hitze
Energie-
mittel-
ver-
quelle
zufuhr
änderung
Auflegen
Hängen
Klemmen
zerlegbar;
fest; mobil
stationär
Arretierung des Bratobjektes Bauprinzip
mobil Abb. 3 5 . Morphologischer Kasten über Gartengrills
Stecken
5.1
Konzentration auf die Hauptfunktion
97
- Arretierung der Bratobjekte, — Bauprinzip, und dann den Morphologischen Kasten durch Suche nach Ausprägungen wie in Abb. 35 komplettieren. Beim Aufbau eines Morphologischen Kastens über einen vertrauten Problembereich (jeder kennt z. B. Gartengrills hinlänglich gut aus eigener Anschauung) neigt man dazu, an einer aus der Erfahrung bekannten Systemstruktur bei der Lösungsfindung gedanklich anzuknüpfen. Diese Neigung verringert jedoch die Wahrscheinlichkeit, originelle und ungewöhnliche Lösungen zu finden; ihr wirkt die Forderung entgegen, sich zunächst bei der Lösung eines Problems auf die Hauptfunktion zu konzentrieren und für diese alle grundsätzlich denkbaren Lösungsrichtungen ins Kalkül zu ziehen. In unserem Beispiel sei eine Lösung durch folgende Hauptfunktion geprägt: Nahrungsmittel, insbesondere Fleisch verschiedener Art und Zubereitungsform, sind zu garen respektive zu braten. Um sich selbst in dieser Frühphase noch nicht voreilig auf bestimmte Lösungsrichtungen festzulegen, wird zunächst eine Analyse aller Freiheitsgrade der Gestaltung durchgeführt. 1. Analyse:
Was kennzeichnet den Prozeß der Garung von Nahrungsmitteln? Ergebnis: Es liegt eine Stoffumwandlung vor.
2. Exploration:11
Wie sind Stoffumwandlungen grundsätzlich durchführbar? Ergebnis: Durch — mechanische — thermische und — chemische Einwirkungen.
3. Überprüfung der Randbedingungen und Anforderungen:
4. Konsequenzen:
11
Der umzuwandelnde Stoff ist Fleisch. Die Umwandlung muß bis in einen Zustand erfolgen können, welcher der Auffassung „gebraten" entspricht. - Mechanische Einwirkungen sind ungünstig. — Thermische Einwirkungen bieten sich an. — Chemische Einwirkungen sind zu überprüfen.
Vergleiche in diesem Zusammenhang das analytische Vorgehen von Pähl [214, S. 159], Die in den Stufen 1 bis 10 usw. herausgestellten Prozeßschritte sind nicht (notwendigerweise) mit den besprochenen Elementarproblemen identisch und können komplexere Denkoperationen umfassen.
5. Die Entwicklung methodischer Varianten
98
Die möglichen „Richtungen" für Lösungsansätze können auf diesem, wenngleich noch sehr hohen, Aggregationsniveau bereits abgetastet werden. Das Verwerfen einer denkbaren Richtung sollte jedoch erst nach genauer Überprüfung aller Chancen erfolgen. Im Beispiel sollen vorerst thermische Einwirkungen weiterhin untersucht werden. Später wären die chemischen Einwirkungen in einer Rückkopplungsschleife erneut aufzugreifen. 5. Exploration:
Welche Möglichkeiten thermischer Einwirkung gibt es? Ergebnis: a) Wärmeleitung b) Wärmestrahlung c) Wärmekonvektion
6. Analyse:
zu a):
Kontakt des Bratobjektes mit heißer Oberfläche bzw. Umgebungsfläche. Möglichst große Flächenberührung ist erwünscht.
zu b): Jeder Körper, der wärmer als seine Umgebung ist, strahlt an diese Wärme ab. Die Wärmestrahlen sind geradlinig; sie können reflektiert (umgelenkt) werden. zu c):
7. Exploration:
Das Medium zum Wärmetransport kann alle Aggregatzustände (fest, flüssig, gasförmig; Mischformen) einnehmen.
aus a): Gibt es eine das Bratgut eng umhüllende Heizquelle, z. B. Flüssigkeit oder Folie? Wie kann man das Bratgut der Heizquelle anpassen? aus b): Können Bratgut und Heizquelle zueinander in Relativbewegung (allseitige Bestrahlung) sein? Kann Mehrfachreflektion zur allseitigen Bestrahlung reflektiert werden? Läßt sich eine umhüllende Strahlenquelle entwickeln? aus c):Kann Heißluft (Gas) zum Braten verwendet werden? Kann das Konvektionsmedium im Kreislauf geführt werden?
8. Überprüfung der Randbedingungen und Anforderungen: 9. Konsequenzen:
Das Bratgut kommt in ungleichmäßiger Form vor. Der Bratvorgang soll einfach überwacht werden können. Die Ansätze aus a) scheinen ungünstiger zu sein; jene aus b) und c) sind detaillierter zu entwickeln.
5 . 2 Die Methode Sequentielle Morphologie
10. Exploration:
99
Welche Gestaltungsprinzipien für umhüllende Heizquellen (Wärmestrahlung oder -konvektion) sind denkbar? usw.
Wir wollen das Beispiel an dieser Stelle abbrechen; vollständig ausgeführt würde es den hier angemessenen Rahmen sprengen. Aber auch bis hierher wurde deutlich, daß die Strategie der Konzentration auf die Hauptfunktion folgende Schritte enthält, die in wechselnder Abfolge den Problemlösungsprozeß charakterisieren: Analysen. Die wesentlichen Zusammenhänge auf den jeweils erreichten, inhaltlichen Ebenen sind zu klären. Explorationen. Es ist zu erkunden, welche grundsätzlichen Handlungsalternativen oder Möglichkeiten sich bei auftauchenden Fragen, Verzweigungen usw. anbieten. Überprüfung von Randbedingungen und Anforderungen. In Rückkopplung auf das Zielsystem soll zwischen Alternativen entschieden werden, die sich aus den Explorationen ergeben. Konsequenzen. Ausklammerung ungünstiger Suchrichtungen; Bestimmung der aussichtsreichen Problemlösungspfade. Eine Problemlösungsstrategie, die aus diesen Schritten aufgebaut ist, soll den Problemlösenden in erster Linie davor bewahren, grundlegende Alternativen zu übergehen und sich vorschnell auf (sekundäre) Gestaltungseinzelheiten möglicher Lösungen festzulegen. Die Lösungsfindung soll hier auf höchster prinzipieller Ebene beginnen und sich erst sukzessive in größere Detailliertheit verästeln. Dabei empfiehlt es sich, mit dem Prozeßfortschritt die Zahl der zu berücksichtigenden Anforderungen an Lösungen zu erhöhen, um aus der zunehmenden Zahl der sich anbietenden Verzweigungen eindeutiger die Suchrichtungen mit höchster Erfolgschance bestimmen zu können. Erst wenn im Hinblick auf die Hauptfunktion die „optimale" Lösungsrichtung abgesteckt werden konnte, sollten Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung von Lösungen in den Problemlösungsprozeß aufgenommen werden.
5.2 Die Methode Sequentielle Morphologie Wie der Name bereits vermuten läßt, handelt es sich bei der Methode Sequentielle Morphologie um eine Modifikation des Morphologischen Kastens, die wesentliche Elemente der Strategie „Konzentration auf die Hauptfunktion" enthält. Mit ein Anlaß zur Entwicklung der Sequentiellen Morphologie waren Probleme der Praxis im Umgang mit dem Morphologischen Kasten, die hier noch einmal kurz dargestellt werden sollen. Während das allgemeine Konstitutionsprinzip des Morphologischen Kastens recht
100
5. Die Entwicklung methodischer Varianten
schnell verstanden werden kann, liegen beobachtbare Anwendungsschwierigkeiten vor allem in der Suche und Auswahl der Parameter. Diese Phase ist verständlicherweise besonders kritisch, da die Festlegung der Parameter den Problemlösungserfolg bereits wesentlich determiniert. Die strukturelle Transformation einer genau zu definierenden Aufgabenstellung in ein Parametergerüst setzt eine qualitative LösungsVorweg-Erkennung voraus und erfordert nicht nur eine sachliche Durchdringung des Systemzusammenhanges und zielgerichtetes Abstraktionsvermögen, sondern ebenso eine klare Strukturierung des potentiellen Lösungsraumes. So gesehen ist der Morphologische Kasten eher ein Ordnungsinstrument denn ein Mechanismus, mit dem man quasi automatisch und zwingend innvovative Lösungsmengen zu gleich welchen Problemen generieren kann. Der Lösungserfolg korreliert hier also hoch mit den Qualitäten des Problemlösenden. Die von uns in praxi registrierten Durchführungsmängel (Vgl. S.72f.) liegen insbesondere — in der Verletzung der Unabhängigkeitsbedingung der Parameter, — in der Hinzunahme unerheblicher, modifizierender Parameter, — in der Abweichung von der „Lösungsrichtung" durch die Aufnahme sachlich unzutreffender Parameter, — in der Neigung zur Überdimensionierung (zuviele Parameter), sowie — in der Lösungsauswahl. Eine Korrektur dieser Mängel ist zwar bis zu bestimmten Graden durch Hinweise möglich, wie z. B. — Prüfung der Bedeutung der Parameter auf ihren Beitrag zur Problemlösung; Unterscheidungkonzeptioneller (Grundstruktur der Lösung) und modifizierender Parameter. — Inhaltliche Überprüfung der Parameter. Oberbegriffe, — Einzelprinzipien, — Bedingungen oder Restriktionen sind beispielsweise keine Parameter. Diese Hinweise genügen jedoch häufig nicht für eine problemgerechte Ausführung. Die Entwicklung der Variante „Sequentielle Morphologie" fußt nun auf folgenden Überlegungen: a) Der Problemlösungsprozeß soll insofern abgesichert werden, daß eine zielgerechte Repräsentation der Lösungen durch die Parameter gewährleistet wird. b) Das eigentliche Neue an Lösungen besteht oft in der Reorganisation nur weniger, aber grundsätzlicher und strukturprägender Teilelemente. Es gilt, diese Elemente zu erkennen und hervorzuheben. c) Die Auswertung eines Morphologischen Kastens stellt an den Praktiker oft ein nur
5.2 Die Methode Sequentielle Morphologie
101
schwer zu bewältigendes Mengenproblem. Es sollte ein Verfahren zur Identifizierung brauchbarer Alternativen entwickelt werden. Mit der Variante „Sequentielle Morphologie" sollen entsprechend Forderungen
diesen
a) potentielle Parameter in ein problembezogenes Relevanzprofil gebracht werden, b) die prägenden Charakteristika von essentiellen Lösungskernen hervorgehoben werden mit dem Ziel, c) Grundsatzentscheidungen zwischen konkurrierenden Alternativen in eine noch aufwandsarme Frühphase zu verlegen. Wir empfehlen, bei der Arbeit mit der Sequentiellen Morphologie nach folgenden Stufen zu verfahren: (1) Problemanalyse und -definition. Ermittlung aller das Lösungssystem konstituierenden Parameter. (2) Ableitung jener Bewertungskriterien aus dem problemspezifischen Zielsystem, die zur Qualitätseinschätzung potentieller Lösungen herangezogen werden müssen. (3) Gewichtung der Bewertungskriterien nach ihrer relativen Bedeutung zum Zielsystem. (4) Analyse und quantitative Bestimmung des Zusammenhanges zwischen den durch die Parameter determinierten Lösungselementen und den Bewertungskriterien. In diesem Schritt gilt es zu prüfen, wie stark ein Parameter mit der Gesamtqualität potentieller Lösungen korreliert, bzw. wie stark sein qualitätsgestaltender Einfluß ist. Es empfiehlt sich hier — wie auch bei den Gewichten für die Bewertungskriterien — die Meßzahlen der Korrelation auf das Spektrum Null ( = nicht qualitätsgestaltend) bis Eins (= sehr stark qualitätsgestaltend) abzustimmen. (5) Bildung der Produkte aus Gewicht des Bewertungskriteriums mal qualitätsgestaltender Einflußfaktor für alle Parameter und alle Bewertungskriterien. (6) Aufsummierung der sich jeweils für einen Parameter ergebenden Produktwerte und Bildung einer Rangreihe für die Parameter. (7) Suche nach Ausprägungen für die beiden wichtigsten Parameter; Anordnung der Parameter und Ausprägungen in der für den Morphologischen Kasten typischen Weise. (8) Ermittlung der optimalen Ausprägungskombination der beiden Hauptparameter unter Einbeziehung der hierfür relevanten Bewertungskriterien; die Kombination stellt die Kernstruktur weiterzuentwickelnder Lösungen dar. Eine Auswahlentscheidung kann in der Tat schon jetzt erfolgen, denn der
102
5. Die Entwicklung methodischer Varianten
Wesensgehalt der Lösung ist in den meisten Fällen durch die beiden Hauptparameter bestimmt. Vergleiche hierzu auch Tauber: „One heuristic is based on the Observation, that the majority of the positive interaction effects are at the two-factor-level; i. e. the ,heart' of m o s t . . . ideas can be described in a two-word-combination... even though the idea is incomplete" [ 277, S. 60], (9) Sukzessive Integration der nächstwichtigen Parameter und Detaillierung der Lösungsgestalt. Die Methode Sequentielle Morphologie soll zunächst an einem einfachen Beispiel, dann an einem ausführlicheren Arbeitsbeispiel illustriert werden. Beispiel I: Eine vierköpfige Familie steht vor der Anschaffung eines Kraftfahrzeugs. Es sollen alle Kaufmöglichkeiten aufgezeigt und eine rationale Auswahl getroffen werden. (1) Ermittlung der wesentlichen Parameter für eine Morphologie von Kraftfahrzeugen im Sinne der Aufgabe. Als Parameter werden bestimmt: P 1 = Bautyp P2 = Ausstattungsklasse P3 = Motorleistung P 4 = Zustand (Alter) P5 = Antriebsprinzip (2) Die Familie kommt überein, im Sinne der späteren Nutzung des Kraftfahrzeugs den Kaufentscheid in erster Linie nach den Kriterien - Raumangebot, - Repräsentanz und - Betriebskosten zu fällen. (3) Die Kriterien sind von unterschiedlicher Wertigkeit; man legt folgende Gewichte fest: K l = Raumangebot K2 = Repräsentanz K3 = Betriebskosten
Gewicht = 0,5 Gewicht = 0,8 Gewicht = 1 , 0
(4) N u n gilt es zu prüfen, wie weit die Parameter als qualitätsdeterminierende bzw. -gestaltende Elemente die kriteriell zu bewertenden Eigenschaften der Alternativen bestimmen. Es ist also eine Art „Ziel-Gestalt-Korrelation" durchzuführen (Abb. 36). (5) Die Wertigkeiten der Parameter (WP) ergeben sich laut Abb. 36 aus den zeilenweisen Summen der Produkte von Korrelationskoeffizient mal Kriteriengewicht: WP 1 = 0,9 x 0,5 + 0,2 x 0,8 + 0,1 x 1,0 = 0,71
5.2 Die Methode Sequentielle Morphologie
WP2 WP3 WP4 WP5
= = = =
0,4 x 0,5 + 0,7 x 0,8 + 0,0 X 1,0 0,2 X 0,5 + 0,6 x 0,8 + 0,8 x 1,0 0,0 X 0,5 + 0,9 X 0,8 + 0,6 X 1,0 0,2 X 0,5 + 0,1 X 0,8 + 0,0 X 1,0
Der Parameter
103
= = = =
0,76 1,38 1,32 0,18
korreliert* mit Raumangebot (Kl = 0,5)
Repräsentanz (K2 = 0,8)
Betriebskosten (K3 = 1,0)
Bautyp (PI)
0,9
0,2
0,1
Ausstattungsklasse (P2)
0,4
0,7
0,0
Motorleistung (P3)
0,2
0,6
0,8
Zustand (P4)
0,0
0,9
0,6
Antriebsprinzip (P5)
0,2
0,1
0,0
* Die Korrelationen sollen auf sachverständigen Schätzungen beruhen Abb. 36. Korrelationen zwischen Parametern und Auswahlkriterien im Beispiel „Kauf eines Kraftfahrzeugs"
(6) Ihren Wertigkeiten entsprechend bilden die Parameter nun folgende Rangreihe abnehmender Bedeutung: 1. 2. 3. 4. 5.
Motorleistung (P3) Zustand (Alter) (P4) Ausstattungsklasse (P2) Bautyp (PI) Antriebsprinzip (P5)
(7)— (9) Die eigentliche Erarbeitung der Sequentiellen Morphologie beginnt mit der Auflistung der Ausprägungen für die beiden wichtigsten Parameter, Motorleistung (P 3) und Zustand (P4). N u n wird bereits eine optimale Verknüpfung der betreffenden Ausprägungen gesucht, wobei die Kriterien mit hoher Korrelation hilfeleistend herangezogen werden. Im Beispiel ist dies für P3 vor allem K3 (Betriebskosten) und für P 4 vor allem K2 (Repräsentanz). In der ersten Sequenz (Abb. 37) erfolgt eine Einengung der in die Wahl zu
104
5 . Die Entwicklung methodischer Varianten
ziehenden Kraftfahrzeuge auf Typen mit 76 bis 100 PS Motorleistung und den für Vorführwagen reduzierten Preisen. Parameter
Ausprägungen
Motorleistung
bis 25 PS
2 6 - 5 0 PS
Zustand
fabrikneu
Vorführ- (p "" Jahreswagen \ wagen \
Ausstattungsklasse
Standard
Export
5 1 - 7 5 PS
s /
7 6 - 1 0 0 PS O
über 100 PS
durchschn. Gebrauchtw.
de Luxe
s"
Bautyp
Limousinen- ' Coupé
Antriebsprinzip
Heckmotor Antrieb v.
\
Heckmotor A. hinten
Caravan
Cabriolet
Frontmotor A. vorne
Frontmotor A. hinten
Mittelmotor A. h. oder v.
Abb. 3 7 . Sequentielle M o r p h o l o g i e über K r a f t f a h r z e u g e als Grundlage eines Kaufentscheids
Nun wird in der nächsten Sequenz der Parameter „Ausstattungsklasse"angeschlossen und im Hinblick auf das Kriterium Repräsentanz (höchste Korrelation) die Ausprägung „de Luxe" festgelegt, usw. Eine Übersicht der Parameter-Wertigkeiten zeigt, daß P5 (Antriebsprinzip) eine vergleichsweise sehr geringe Wertzahl erhielt. Dieser Parameter hat deshalb auf die Entscheidungsbildung keinen Einfluß; der Problemlösungsprozeß kann somit vor der vierten Sequenz abgebrochen werden. Beispiel II: Ein Unternehmen, das Bauzubehör-Produkte herstellt und vertreibt, möchte in den Bereich „Wandbeläge" diversifizieren. Auf Grund der augenblicklichen Unternehmenssituation stellt man an ein Diversifikationsobjekt folgende Anforderungen: Es soll auf vorhandenen Anlagen hergestellt werden können, über das augenblickliche Vertriebsnetz absetzbar sein, einen ausreichenden Umsatz gewährleisten, auf das derzeitige Produktionsprogramm abgestimmt sein und möglichst geringe Anlaufkosten verursachen. Zuerst werden die Parameter einer Morphologie von Wandbelägen unsystematisch aufgelistet: PI P2 P3 P4 P5
= = = = =
Basismaterial Beschaffungsform Einsatzort Einsatzzweck Qualitätsniveau
P6 P7 P8 P9
= = = =
Angebotsform Programmausbau Veredelung im Einsatz Verlegung
5.2 Die Methode Sequentielle Morphologie
105
Als nächstes werden die Kriterien formuliert, nach welchen die Auswahl konkurrierender Produkt-Alternativen vorgenommen werden soll. Die Kriterien werden sodann nach unternehmensspezifischen Gesichtspunkten gewichtet (Gewichte in Klammern): K l = Auslastung vorhandener Anlagen (1,0) K 2 = Anpassung an das Vertriebssystem (0,7) K 3 = Marktvolumen (0,7) K 4 = Abstimmung auf das derzeitige Produktionsprogramm (0,5) K 5 = Investitionskosten (0,8) Wie in Beispiel I werden nun die Korrelationskoeffizienten zwischen den Parametern als „Produktelemente" und den Kriterien als „ProduktauswahlElemente" eingeschätzt:
K l (1,0)
K 2 (0,7)
K 3 (0,7)
K 4 (0,5)
K 5 (0,8)
PI
0,8
0,0
0,1
0,3
0,5
P2
0,5
0,0
0,0
0,1
0,4
P3
0,0.
0,8
0,7
0,7
0,0
P4
0,0
0,4
0,9
0,7
0,0
P5
0,3
0,2
0,4
0,1
0,2
P6
0,8
0,1
0,5
0,3
0,6
P7
0,4
0,3
0,6
0,4
0,3
P8
0,0
0,2
0,7
0,2
0,0
P9
0,0
0,1
0,4
0,1
0,0
Abb. 38. Korrelationen zwischen Parametern und Auswahlkriterien im Beispiel „ W a n d b e l ä g e "
Daraus WP1 = WP2 = WP3 = WP4 = WP5 =
ergeben sich folgende Wertigkeiten der Parameter: 0 , 8 x 1 , 0 + 0 , 0 x 0 , 7 + 0 , 1 x 0 , 7 + 0 , 3 x 0 , 5 + 0,5 x 0 , 8 = 0,5 x 1,0 + 0,0 x 0,7 + 0,0 x 0,7 + 0,1 x 0,5 + 0,4 x 0,8 = 0,0 x 1,0 + 0,8 x 0 , 7 + 0 , 7 x 0,7 + 0,7 x 0,5 + 0,0 x 0,8 = 0,0 x 1,0 + 0,4 X 0,7 + 0,9 x 0,7 + 0,7 x 0,5 + 0,0 x 0,8 = 0,3 x 1,0 + 0,2 X 0,7 + 0,4 x 0,7 + 0,1 x 0,5 + 0,2 x 0,8 =
1,52 0,87 1,40 1,26 0,93
106
5. Die Entwicklung methodischer Varianten
WP6 WP7 WP 8 WP9
+ = = =
0,8 0,4 0,0 0,0
x 1,0 + 0,1 x 0,7 + 0,5 x 0,7 + 0,3 x 0,5 + 0,6 x 0,8 = x 1,0 + 0,3 x 0,7 + 0,6 x 0,7 + 0,4 x 0,5 + 0,3 x 0,8 = x 1,0 + 0,2 x 0,7 + 0,7 x 0,7 + 0,2 x 0,5 + 0,0 x 0,8 = X 1,0 + 0,1 x 0,7 + 0,4 x 0,7 + 0,1 x 0,5 + 0,0 x 0,8 =
1,85 1,47 0,73 0,40
Aus den bisherigen Schritten lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 1. Die wichtigsten Gestaltungsparameter für die gestellte Aufgabe sind — P6, Angebotsform und — P I , Basismaterial. 2. P2, P8 und P9 können wegen ihrer geringen Wertigkeit bei der Lösungsfindung vorläufig vernachlässigt werden. 3. Für die Sequentielle Morphologie empfiehlt sich gemäß der Wertigkeiten der Parameter folgende Verarbeitungsreihe: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Angebotsform (P6) Basismaterial (PI) Programmausbau (P7) Einsatzort (P3) Einsatzzweck (P4) Qualitätsniveau (P5).
4. Bei der sequentiellen Lösungsgewinnung sollten die interessantesten Ausprägungen der Parameter insbesondere nach Maßgabe folgender Kriterien ausgewählt werden: Ausprägungen zu: Angebotsform Basismaterial Programmausbau Einsatzort Einsatzzweck Qualitätsniveau
im Hinblick auf: K l , K3, K5 K l , K5 K3 K2, K3, K4 K l , K5 K3
Die Sequentielle Morphologie beginnt wiederum mit der Bestimmung von Kernstrukturen aus den beiden wichtigsten Parametern und deren Ausprägungen. Im Falle des Beispiels scheinen insbesondere zwei Kombinationen die Ziele der Diversifikation optimal zu erfüllen: Wandbeläge auf der Basis von Glas-Matten und Keramik-Korn. Im Beispiel (Abb. 39) wird nur die Grundidee „KeramikKorn" weitergeführt. Nach den weiteren Sequenzen kann die erarbeitete Produktidee so beschrieben werden: Zu prüfen sind die Herstellungs- und Vertriebsmöglichkeiten für KeramikKörner als Wandbelag im Sanitärbereich. Das Produkt soll nach dem Do-it-
TZU > \ SolidQualität
1 1 So ,' u 1
Qualitätsniveau
N •< StandardQualität
Schutz Dämmung -O SurrogatQualität
\
PrestigeQualität
'b—
funktionale Anpassung 0=
Fassaden
Spezialservice
"ñ
Einsatzzweck
y
«5 « 3 Sanitärbereich
4J e rt 2
Wohnbereich
0
\ «« M N D.
Einsatzort
O > N
i 1 1 VorratsJi> räume
jy
\ .a
Produktvariation
Keramik
starre, räumliche Elemente c \ J3
Programmausbau
starre, flächige Elemente v
Holz
Folie
Ausprägungen
BehelfsQualität
Pflegevorteil
Kulturhallen
Kunststoff
Ü c 3ft- o
Basismaterial
Angebotsform
Parameter
Fabrikation Hallen
Leder
Paste
Textilien
5.2 Die Methode Sequentielle Morphologie 107
3 =0 N -C j - §
•g N -S5 W5 c s
a —
c
/
V-
n), nicht -kooper ativ
i 1
2
3
4
5
6
7
8
Gruppengröße n —» Abb. 6 4 . Erfolgswahrscheinlichkeiten des „Dreier-Modells" in Abhängigkeit von Gruppengröße und Kooperation Quelle: [ 3 0 9 , S. 1 0 0 ]
Aus den Kurvenverläufen von Abb. 64 geht hervor, daß unter Zipse's Modellannahmen die kooperierende Gruppe einem zahlenmäßig entsprechenden, nicht-kooperativen Äquivalent auf jeden Fall überlegen ist. Der Kurvenausschnitt dieser Abbildung ist allerdings insofern irreführend, als er auch für sehr große kooperative Gruppen die Erfolgswahrscheinlichkeit 1,0 suggeriert; dies dürfte jedoch der Wirklichkeit widersprechen. Nach unseren Erfahrungen lassen sich größere Gruppen (10, 12 und mehr Teilnehmer) nur sehr schwer koordinieren, so daß die Reibungsverluste die Erhöhung des Problemlösungspotentials überkompensieren. Die Kurve p + (n) in Abb. 64 hat deshalb im weiteren Verlauf wahrscheinlich die Charakteristik einer Produktionsfunktion.
6.2 Die Gruppe als problemlösende Einheit
171
Für uns verblüffend wirklichkeitsnah ist jedoch die ausgewiesene hohe Erfolgswahrscheinlichkeit von Gruppen zwischen fünf und acht Teilnehmern: diese Gruppengröße bestätigte sich auch in vielen praktischen Problemlösungen als optimal [3, S. 79, 106], Ebenso ist die aus dem Modell hervorgehende Steigerung der Erfolgswahrscheinlichkeit von 49% auf 91% beeindruckend, wenn eine nicht-kooperative Gruppe von fünf Personen auf Kooperation übergeht. Aber auch das Maß „Erfolgswahrscheinlichkeit" läßt sich kaum auf die Praxis der Ideenfindung und Problemlösung übertragen, da dort selten eine „Lösung gefunden oder nicht gefunden wird", sondern weil man in der Regel mehrere alternative Lösungen unterschiedlicher Qualität hervorbringt, ohne das denkbare Optimum zu kennen. Wegen der realitätsfernen Annahmen des Modells ist dessen empirischer Gehalt also doch gering, und Zipse selbst bescheinigt seinem Modell nur eine grobe Annäherung an die Wirklichkeit [309, S. 101]. So ist beispielsweise dem Modell die Annahme implizit, daß die problemlösenden Kooperationshandlungen in der Gruppe ideal und völlig konfliktlos ablaufen - eine Annahme, deren Gültigkeit für die Praxis sehr schnell bestritten werden muß. Auch die Nutzbarmachung der Eigenschaften Ratio, Intuition und Memoria kann keinesfalls so mechanistisch gesehen werden, wie es das Modell unterstellt. Insbesondere probabilistische Kalküle mit der Intuition sind wohl, so wie im Modell vollzogen, kaum gerechtfertigt. Dennoch scheint uns der Ansatz von Zipse eine fruchtbare Anregung zu bieten, wie man sich synergetischen Effekten beim Problemlösen in Gruppen nähern kann. 6.2.3.3
Synergie und Komplexität
des
Problems
Zur Diskussion synergetischer Effekte der Gruppe bei der Lösung komplexer Probleme gehen wir von einem Problemlösungsfall aus, der durch folgende Eigenschaften charakterisiert ist: a) Auffindbare Lösungen sind komplex und setzen sich aus mehreren Lösungselementeri zusammen. b) Die Lösungselemente sind voneinander unabhängig. c) Die Anforderungen zur Ermittlung der Lösungselemente sind unterschiedlich. d) Alle Lösungselemente bestimmen die Qualität der Gesamtlösung zu gleichen Teilen. e) Die Mitglieder der Problemlösungsgruppe sind nicht gleich in ihrem Wissen und in ihrer Problemlösungsfähigkeit. f) Der Problemlösungsprozeß ist frei von störenden Einflüssen gleich welcher Art. Ferner sei angenommen, daß im Hinblick auf das der Aufgabenstellung zu Grunde liegende Ziel der maximale Qualitätswert, den ein Lösungselement theoretisch erreichen kann, 100 Einheiten betrage, daß eine Gesamtlösung (GL) aus 6 Lösungsele-
6. Die problemlösende Einheit
172
menten (LE) bestehe und daß drei Problemloser (A, B und C) mit der Bearbeitung beauftragt seien. D a die Problemloser unterschiedlich mit Fähigkeiten und Wissen ausgestattet sind, werden sie sehr wahrscheinlich die einzelnen Lösungselemente auch mit unterschiedlichem Erfolg bearbeiten [62, S. 548], Auf diese Weise könnten sich folgende Ergebnisse einstellen: LÖSUNGSELEMENTE L E I + LE2 + LE3
+ LE4
+ LE5
+ LE6
= Qualität GL
Problemloser A Problemloser B Problemloser C
60 75 65
+ 45 + 50 + 65
+ 80 + 75 + 30
+ 85 + 80 + 80
+ 70 + 60 + 75
+ 70 + 35 + 40
= 410 = 375 = 355
Gemeinsame Lösung ABC
75
+ 65
+ 80
+ 85
+ 75
+ 70
= 450
Abb. 65. Qualitäten einer individuell und gemeinsam erarbeiteten Komplexlösung
Leistungseinheiten (E)
Akzeptanzbereich für die kollektive Durchführung v körperlicher Arbeiten'
Akzeptanzbereich für die kollektive Durchführung ^ geistiger Arbeiten (Problemlösungen) \| Nf S2
1
2
3
4
5
6
7
n = Gruppengröße; Sl, S2 = Akzeptanzschwellen Abb. 66. Akzeptanzbereiche für kollektives körperliches und geistiges (Problemlösen) Arbeiten
6 . 2 Die Gruppe als problemlösende Einheit
173
In unserem Beispiel ist A der erfolgreichste Problemloser und erreicht über alle Lösungselemente insgesamt 410 Qualitätseinheiten. B und C liegen dahinter mit 375 und 355 Einheiten an zweiter und dritter Stelle. Dennoch sind B und C in Teilaspekten der Problemlösung überlegener als A: B erledigte LEI am besten von allen, C tat dies bei LE2 und LE5. Hätten A, B und C folglich das Problem gemeinsam bearbeitet, wäre ihre gemeinsame Lösung mit 450 Qualitätseinheiten bewertet worden, also etwa 10% besser als das Ergebnis ihres besten Einzellösers. Der „synergetische Multiplikator" (Qualität der gemeinsamen Lösung / Qualität der besten Einzellösung) dieser Dreiergruppe hätte also im Beispiel den Wert 1,1 angenommen. Durch die Betrachtung der Problemlösung als Integral von Teillösungen wird somit erkennbar, „daß in Gruppensituationen auch geringe Fähigkeiten und kleine Beiträge für die Gesamtlösung nützlich sein können" [243, S. 61]. Durch verbreitete Sätze, wie „Die Gruppe leistet mehr als die Summe (!) ihrer Mitglieder" oder Titel von Veröffentlichungen wie,, 1 + 1 > 2 " [181], wird in der Praxis oft der unhaltbare Eindruck erweckt, die Gruppenleistung habe zumindest der Summe der zu erwartenden Einzelleistungen zu entsprechen. Tatsächlich können wir aus unserer Erfahrung bestätigen, daß die Leistungen von Gruppen nicht selten unter diesem „Mengenaspekt" gewogen und für zu leicht befunden werden. Diese Art der Beurteilung von Gruppenleistungen ist jedoch zu oberflächlich und kann keinesfalls realistischen Erwartungen entsprechen. Während zweifellos bei vielen körperlichen Arbeiten die Bedingung 1 + 1 = 2 anzuerkennen ist, unterliegen kollektive gedankliche Prozesse einer anderen, ungünstigeren Produktivitätscharakteristik. Ohne hierfür einen empirischen Beleg anführen zu können, vermuten wir, daß für geistige Arbeiten prinzipiell die in Abb. 66 eingetragenen Beziehungen gelten. Die in Abb. 66 links von der Stufenlinie S1 liegende Fläche enthält den synergetisch akzeptierbaren Leistungsbereich für Gruppen und körperliche Arbeiten. Das Gruppenergebnis ist wenigstens das n-fache des Arbeitsergebnisses eines Gruppenmitglieds bei n Mitgliedern. Die Stufenlinie für geistige Arbeiten (S2) kann, wie wir annehmen, wesentlich flacher als S1 verlaufen. Ihr Anstieg ist zunächst unbestimmt und ergibt sich erst konkret aus dem Wert, der jeweiligen Problemlösungen zuerkannt wird. Ist der Nutzen aus einer Problemlösung sehr groß, dann rechtfertigt bereits eine geringfügige Verbesserung der erzielten Lösungsqualität die Problembearbeitung durch eine Gruppe bzw. die Hinzunahme weiterer Problemloser. Dabei kann selbstverständlich eine Gruppe nicht beliebig vergrößert werden, da ähnlich dem Ertragsgesetz der Leistungszuwachs der Gruppe nach einer bestimmten Gruppengröße mit jedem weiteren Gruppenmitglied progressiv abzunehmen scheint. Diese Rückläufigkeit der Leistung stellten wir schon bei Gruppen mit 12, 14 und mehr Teilnehmern fest. Bei der praktischen Arbeit tendieren größere Gruppen zu mehr Konflikten und zu der Eigenart,
174
6. Die problemlösende Einheit
sich in kleinere Einheiten aufzuspalten. Wir nehmen an, daß bei diesem Phänomen die Kommunikationsbeziehungen zwischen den Teilnehmern eine wesentliche Rolle spielen. Daß Gruppenarbeit selbst bei nur geringfügigen Ertragssteigerungen gegenüber der Einzelarbeit berechtigt sein kann, sei noch einmal an einem kleinen Rechenexempel illustriert: Ein Unternehmen produziert und verkauft von einem Produkt jährlich 1 Million Stück. Die Herstellungskosten betragen 2 DM/Stück. Durch wertanalytische Überlegungen sollen kosteneinsparende Produktveränderungen vorgenommen werden. Fall A: Ein beauftragter Wertanalytiker schlägt Maßnahmen vor, die die Herstellungskosten pro Stück auf 1,95 D M senken würden. Die neue Lösung erarbeitet der Wertanalytiker an einem Tag. Fall B: Derselbe Spezialist ruft eine Kollegengruppe zusammen. Man erarbeitet — auch mit Methoden der Ideenfindung — an einem Tag mit fünf Mitarbeitern eine Gesamtlösung, nach welcher das Produkt mit 1,94 D M hergestellt werden könnte. Fall C: Ein Team aus 2 0 Personen beschäftigt sich zwei Monate lang (40 Arbeitstage) mit der Aufgabe. Es gelingt, die Herstellungskosten auf 1,87 D M zu senken. Für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zu den Fällen A, B und C wollen wir annehmen, daß die Personalkosten pro Mann und Tag 5 0 0 D M betragen und daß die Produktverbesserung drei Jahre wirksam bleibt. Es sollen keine Investitionskosten anfallen. Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich folgende Erträge: Fall A :
Jährliche Einsparung
=
Einsparung in 3 Jahren
= 150000 DM
5 0 0 0 0 DM
abzüglich Kosten der - 500 DM
Lösungsfindung
= 149500 DM Fall B :
Jährliche Einsparung
=
Einsparung in 3 Jahren
= 180000 DM
60000 DM
abzüglich Kosten der Lösungsfindung
- 2500 DM = 177500 DM
175
6 . 2 Die G r u p p e als p r o b l e m l ö s e n d e Einheit Fall C :
Jährliche Einsparung
=
E i n s p a r u n g in 3 J a h r e n
= 390000
130000 DM
abzüglich Kosren der L ö s u n g s f i n d u n g
_ 400OOO D M = -10000
DM
DM
A b b . 6 7 . A u f w ä n d e und E r t r ä g e bei unterschiedlichen A n s t r e n g u n g e n der L ö s u n g s f i n d u n g
Aus diesem Beispiel - dessen fiktivem Zahlenmaterial natürlich jede Beweiskraft abgesprochen werden kann — geht hervor, daß die Problemlösungsstrategie des Falles B für die Unternehmung die kostengünstigste ist. Für uns soll das Rechenexempel lediglich den Hinweis verdeutlichen, daß eine Anhebung der Lösungsqualität auf Grund von Gruppenarbeit um nur 20% (6 anstelle von 5 Pfennigen Einsparung pro Stück) zu einer so beträchtlichen, absoluten Ertragssteigerung führen kann, daß dadurch der Mehraufwand der Problemlösungsgruppe reichlich überkompensiert wird (im Beispiel: 30:2). Selbst kleine Zuwächse der Problemlösungsfähigkeit können also für eine Unternehmung äußerst lohnend sein [23 6* S. 8], Im Beispiel ist C der Fall eines unangemessen großen Problemlösungsaufwandes, den die Einsparungen nicht mehr decken. Die Strategie C liegt damit außerhalb des Akzeptanzbereichs für die kollektive Problembearbeitung. 6.2.3.4
Synergie, Gruppengröße
und
Lösungsvolumen
Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind die Ergebnisse einfacher Tests, die der Verfasser im Sommersemester 1971 mit Studenten der TH Darmstadt durchführte. Es handelte sich dabei um Übungen zur Bestimmung der Ausprägungsstärke intellektueller Faktoren, wie solche beispielsweise nach Guilford divergente Denkfähigkeiten kennzeichnen. (Zur Durchführung vergleichbarer Tests siehe z. B. Soueif und ElSayed [264] ). Die Tests wurden in gleicher Form vor und nach einem einsemestrigen Seminar über Kreativität und Methoden der Ideenfindung durchgeführt. Unser Zahlenmaterial bezieht sich auf die Tests im ersten Durchlauf. Die 32 Versuchspersonen (bei einem Test waren es nur 29) hatten alle Testfragen in Einzelarbeit beantwortet, also in der Form der nicht-kooperierenden Gruppe. Die Anweisungen zu den Tests wurden je einmal laut verlesen. Sie lauteten: Test I.Ihre Aufgabe besteht darin, Gegenstände zu suchen, die ganz oder in einem charakteristischen Merkmal kreisförmig sind. Die Kreisform kann dabei ideal oder angenähert sein (z. B. Kopf eines Strichmännchens). Ergänzen Sie auf dem vorliegenden Formular die vorgegebenen Kreise mit wenigen Strichen zu der Figur Ihrer Vorstellung und schreiben Sie die Deutung - möglichst in einem Wort — unter die Skizze. Suchen Sie soviele Lösungen wie möglich im Sinne dieser Aufgabenstellung. Die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit beträgt drei Minuten.
176
6. Die problemlösende Einheit
Test 2: Bitte zeigen Sie möglichst viele Lösungen zu folgender Problemstellung auf: Sie wohnen im dritten Stockwerk eines Hauses und wollen einen Gegenstand - z. B. einen Korb — durch ein Fenster bis auf die Straße hinunter lassen. Sie haben jedoch kein Seil. Welche Gegenstände lassen sich in einem durchschnittlich ausgestatteten Haushalt finden, die Sie zur Herstellung eines Seiles verwenden können? (Drei Minuten). Test 3: Bitte zeigen Sie möglichst viele Lösungen zu folgender Problemstellung auf: Sie sind mit einem Wagen unterwegs, als plötzlich das Kühlwasser kocht. Womit könnten Sie von einem nahegelegenen Bach Wasser holen? (Drei Minuten). Test 4: Bitte zeigen Sie möglichst viele Lösungen zu folgender Problemstellung auf: Sie wollen dringend Ihren Freund sprechen und suchen seine Wohnung auf. Niemand öffnet jedoch auf Ihr Klingeln. Ihr Freund ist offensichtlich nicht zuhause. Da Sie nicht warten können, wollen Sie eine Nachricht hinterlassen, die Ihren Freund bei der Heimkehr auf Ihren Besuch aufmerksam macht. Was können Sie tun? (Drei Minuten). Test 5: Bitte zeigen Sie möglichst viele Wege auf, wie man ein Feuer entfachen kann. (Drei Minuten). Test 6: Sie sehen vor sich die Buchstabenfolge A R E O M B T. Aus diesen Buchstaben Sie können einige davon weglassen, dürfen aber keinen doppelt verwenden — bilden Sie möglichst viele sinnvolle Wörter [37, S. 318] des deutschen Sprachgebrauchs. Ein Wort besteht aus mindestens zwei und höchstens sieben Buchstaben. (Drei Minuten). Bei der Diskussion der Testergebnisse wollen wir uns folgender Begriffe bedienen: Mit Bruttoproduktion (BP) bezeichnen wir die Summe aller Nennungen über alle Versuchspersonen. Unter der Nettoproduktion (NP) hingegen verstehen wir die Anzahl der unterschiedlichen Nennungen; NP ergibt sich also aus BP unter Abzug aller Doppel- bzw. Mehrfachnennungen. Ferner ist mit Einzelproduktion (EP) die durchschnittliche Zahl der Nennungen je Versuchsperson und Testaufgabe gemeint. Damit lassen sich die Testergebnisse wie in Abb. 68 darstellen. Wie aus dieser Zusammenfassung hervorgeht, ergaben sich zwischen den Tests 1 bis 6 sowohl hinsichtlich BP als auch NP beträchtliche Abweichungen: Test 6 beispielsweise erbrachte insgesamt doppelt soviele Nennungen für BP wie Test 4; die Nettoproduktion von Test 1 hinwiederum übertraf das Ergebnis von Test 4 um mehr als das Vierfache. Hohe Werte bei der Nettoproduktion (z.B. Test 1) weisen daraufhin, daß dem Problem eine große Lösungszahl immanent ist — es hat ein ausgedehntes Lösungsvolu-
6.2 Die Gruppe als problemlösende Einheit
177
men. Andererseits ist geringe Nettoproduktion ein Indiz dafür, daß für das betreffende Problem nur relativ wenige Lösungen existieren.
BP
NP
n
Test 1
284
102
29
9,8
Test 2
274
54
32
8,57
Test 3
271
48
32
8,45
Test 4
183
25
32
5,7
Test 5
231
30
32
7,2
Test 6
364
57
32
11,4
VP
EP
Abb. 68. Zusammenfassung der Testergebnisse
Die jeweiligen Ergebnisse der Bruttoproduktion lassen schließen, ob ein Problem „leicht" oder „schwer" ist, d. h. ob eine Versuchsperson in der gegebenen Zeit viele oder nur wenige Lösungen finden kann. Gleiches geht natürlich auch aus den Werten von EP hervor. Die Effizienz der nicht-kooperierenden Gruppe kann nun beschrieben werden als proportional dem Verhältnis NP:BP; sie ist ferner durch den Quotienten NP: Zeit bestimmt. Geht NP:BP gegen Eins, dann sinkt die Redundanz der Lösungsfindung und wenig oder keine Problemlösungsenergie geht für die Hervorbringung von Doppellösungen verloren. Es ist einsichtig, daß bei der nicht-kooperierenden Gruppe - das Lösungsvolumen, - die Gruppengröße und - die Gleichartigkeit der Erfahrungsinhalte der Problemlösenden ursächlich mit der zu erwartenden Redundanz der Lösungsfindung (und damit mit der Effizienz der Problemlösungsgruppe) zusammenhängen. Unsere Testergebnisse erlauben uns, dies für die beiden zuerst genannten Größen - Lösungsvolumen und Gruppengröße — zu demonstrieren. Wir gehen dabei so vor, daß wir die Testbogen jeweils eines Tests in eine zufällige Reihenfolge bringen und dann die Nennungen in der Darstellungsform der LorenzKurve [223, S. 59 f.] für die Nettoproduktion (NP) akkumulieren. Für die Tests 1 bis 6 erhalten wir dann die Abb. 69 aufgezeigten Kurvenverläufe.
6. Die problemlösende Einheit
178 TEST 1
TEST 2
TEST 3
TEST 4
TEST 5
TEST 6
Abb. 69. Darstellung der akkumulierten Nettoproduktion bei den Tests 1 bis 6
6.2 Die G r u p p e als problemlösende Einheit
179
Die Produktion der nicht-kooperierenden Gruppe ist dann „ i d e a l " , wenn überhaupt keine Doppelarbeit erfolgt, wenn also N P = BP wird. Der Beitrag eines jeden Gruppenmitglieds geht nun unmittelbar in die Nettoproduktion ein. Der Kurvenverlauf ist in diesem Falle mit der Diagonale identisch:
Abb. 7 0 . „Ideale", nicht-redundante Produktion der nicht-kooperierenden G r u p p e
Abb. 7 1 . Ungünstigster Fall der Gruppenproduktion: Die Gruppenleistung ist gleich der Leistung nur eines Mitgliedes
180 Im Extrem ungünstig ist die Gruppenproduktion, bare Ergebnisse findet oder wenn die Leistung aller kommen überdeckt. Jetzt ist BP = n • NP, und außer deren keinen weiteren Beitrag zur Nettoproduktion
6. Die problemlösende Einheit
wenn nur ein Mitglied brauchMitglieder sich inhaltlich volleinem Mitglied bringen alle an(Abb. 71).
Aus diesen Besonderheiten geht unmittelbar hervor, daß die Leistungsbedingungen einer Gruppe sich dann dem Ideal nähern, wenn die Fläche F (vgl. Abb. 71) zwischen der Akkumulationslinie der Nettoproduktion und der Diagonalen gegen Null geht. Dies ist offensichtlich bei Test 1 am ehesten erreicht, während Test 4 am deutlichsten von dieser Forderung abweicht (vgl. Abb. 69). Wenn wir zwischen diesen beiden Tests die Gruppengröße und die Erfahrungsinhalte der Problemlösenden als annähernd gleich setzen, müßte gemäß unseren vorhergehenden Überlegungen die Unterschiedlichkeit der Testergebnisse ursächlich auf unterschiedliche problemspezifische Lösungsvolumina, bzw. damit auf die Art der Probleme, zurückzuführen sein. Auch Scott und Mitchell sehen solche Beziehungen: „The relations between group size and Output seem to depend mostly upon the type of task upon which people are working" [259, S. 121], Diese Vermutung wird tatsächlich dadurch bestätigt, daß die Nettoproduktion bei Test 1 102 Nennungen, bei Test 4 aber nur 25 Nennungen betrug. Dieses ungünstige Verhältnis beim Problem (Test) 4 könnte nun jedoch manipulativ durch eine Variation der Guppengröße und eine gleichzeitige Senkung der Anforderungen an den Umfang der Nettoproduktion besser gestaltet werden. Reduziert man beispielsweise die Zahl der zum Problem „geforderten" Alternativen auf 22, dann wird bei gleicher zufälliger Akkumulation diese Nettoproduktion schon bei der Auszählung von nur 11 Testbogen erreicht (Abb. 72). Durch diese manipulative Veränderung der Gruppengröße und die Reduktion der Anforderung an die Gruppenleistung wurde die Produktivität der Gruppe (Beitrag zur Nettoproduktion je Mitglied) erheblich gesteigert: Nur ca. 35% der Gruppenmitglieder erbringen immerhin noch rund 90% der Nettoproduktion, bezogen auf die Ausgangssituation. Diese Überlegungen, die auf die Arbeitsergebnisse nicht-kooperierender Gruppen zurückgehen, wollen wir nun auch auf kooperierende Gruppen übertragen. Dazu wagen wir die Hypothese, daß kooperierende Gruppen in Abhängigkeit von Problemart und Gruppengröße bestimmten Produktivitätscharakteristiken unterliegen und daß entsprechende Kurvenverläufe, ab jeweils zu ermittelnden Gruppengrößen, für jedes weitere Gruppenmitglied abnehmende Grenzbeiträge zum Gruppenergebnis zeigen. Bestätigt sich diese Hypothese, dann läßt sich weiterhin folgern: 1. Auch unter der Voraussetzung konstanter Kooperationsqualität existiert für jedes Problem eine „Grenzlösung", deren Qualität mit der Hinzunahme weiterer Problemloser in die Gruppe nicht mehr überschritten werden kann.
181
6.2 Die Gruppe als problemlösende Einheit
100% NP = 25 Nennungen
O
- i -
n = 11
A
n = 32
Abb. 72. Variation der Gruppenproduktivität durch Variation von Gruppengröße und geforderter Lösungsmenge
2. Im Hinblick auf die erzielbaren Grenzlösungen existieren für unterschiedliche Problemarten entsprechende maximale Gruppengrößen. (Die Grenzlösung wird durch den Nettobeitrag des n-ten Gruppenmitglieds erreicht.) 3. Die Gruppengröße läßt sich optimieren, sobald das Gruppenergebnis (Qualität der gemeinsamen Lösung) und der Problemlösungsaufwand der Gruppe quantifiziert werden. Ubertragen wir einmal unsere bisherigen Gedanken auf das Beispiel „Senkung der Herstellungskosten eines Produkts durch Wertanalyse" (Seite 174 f.). Für die Optimierung der Problemlösung sei vorausgesetzt, daß wir verfügen über — die Produktionscharakteristik von Gruppen zur Bearbeitung des Problems als Funktion der Gruppengröße (bei gleichbleibender Lösungsdauer), — die Möglichkeit, Gruppenergebnis und Gruppenaufwand in monetären Größen (DM) darzustellen, und — den Ertrag der (theoretisch denkbaren) Grenzlösung. Unter den getroffenen Annahmen ergeben sich aus Abb. 73 beispielhaft diese Konsequenzen: — Die optimale Problemlösungseinheit ist eine Gruppe aus 10 Mitgliedern. Die von ihr erzielte Lösungsqualität bringt einen maximalen Ertrag (größte Differenz
182
6. Die problemlösende Einheit
Kosten der Problemlösung Ertrag der Problemlösung in 3 Jahren (= Lösungsqualität)
8
9
10
11
12
13
Gruppengröße
Abb. 73. Modellhafte Ermittlung der optimalen Gruppengröße beim Problembeispiel „Herstellungskosten"
zwischen Einsparung und Kosten). Die optimale Gruppengröße ergibt sich aus der tangentialen Berührung der Kostenkurve mit der Produktivitätscharakteristik als f(n). - Die Unternehmung sollte keine höherwertige Lösung anstreben als die in Abb. 73 angegebene, da sonst der Mehrertrag von den Mehrkosten überkompensiert wird. Wird die Grenzlösung angestrebt (denkbar beste Lösung), übersteigen die Gesamtkosten den Gesamtertrag. - Gibt sich die Unternehmung mit einer geringeren Lösung zufrieden, dann verzichtet sie auf erzielbare Erträge. Wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, daß diese Überlegungen in vieler Hinsicht nur eine Gedankenspielerei sind. Die Wirklichkeit des Problemlösens weicht in wesentlichen Belangen von den Annahmen ab, die wir unseren Schlußfolgerungen zu Grunde legten. Um nur einige Einwände zu nennen:
6 . 2 Die Gruppe als problemlösende Einheit
183
— Die Qualifikationen der Problemloser sind nicht so homogen, daß man daraus eine Produktionsfunktion ableiten könnte. — Kreative Denkprozesse haben ein nicht berechenbares Maß an Zufälligkeit. — Die Kooperationsqualitäten von Gruppen sind nicht konstant und generalisierbar, sondern unterliegen in hohem Grade situativen Gegenheiten. — Die Lösungsspielräume zu schlecht-strukturierten Problemen sind kaum überschaubar. Die potentiellen Zugewinne an Lösungsqualität sowie die Grenzlösung können nicht oder nur sehr vage angegeben werden. Andererseits vertreten jene Ansätze, die wir vorhin so idealtypisch auf das Problem „Senkung der Herstellungskosten" angewendet haben, einige der dringendsten Fragen aus der Praxis des Problemlösens. Schon bei der Organisation einer Problemlösungskonferenz besteht Unsicherheit darüber, wieviele Teilnehmer man einberufen sollte. Vier? Fünf? Sechs? Was könnte ein Siebenter zusätzlich bringen? Lohnt es sich, noch einen achten oder neunten Teilnehmer heranzuziehen? Sollten acht Mitarbeiter für zwei Tage oder vier Mitarbeiter eine Woche lang auf das Problem angesetzt werden? Sind die bisher erzielten Lösungen ausreichend? Oder sollte noch mehr Energie auf das Problem verwendet werden? Welche Chancen haben wir bei einer Fortführung des Problemlösungsprozesses? Können wir das Problem X mit einer ähnlichen Gruppenkonzeption attackieren wie das Problem Y? Sollte das Problem von einem einzelnen Mitarbeiter bearbeitet werden oder von mehreren parallel oder von einer Gruppe? Freilich sind unsere bisherigen Überlegungen noch zu wenig ausreichend, um diese oder ähnliche Fragen erschöpfend zu beantworten. Ihr Sinn soll als Anstoß verstanden werden, wie die Bedingungen effizienten Problemlösens in Gruppen möglicherweise ermittelt werden könnten, um daraus für den Praktiker Empfehlungen abzuleiten, wie er situativ die problemlösende Einheit mit optimierender Tendenz konstituieren sollte. Zwei Sachverhalten ist bei weiteren Untersuchungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen: der Produktionscharakteristik von Problemlösungsgruppen als Funktion der Gruppengröße und der Bearbeitbarkeit von unterschiedlichen Problemtypen durch eine Gruppe schlechthin. Wir glauben, daß Empfehlungen aus solchen Untersuchungen, die dann beispielsweise lauten könnten: — Produktverbesserungen sind in Teams von 2 bis 4 Mann zu erarbeiten. — Für die Konzeption von verkaufsfördernden Maßnahmen ist eine Sechsergruppe besonders geeignet. — Zur Suche neuer Produkte ist eine Gruppe von 5 bis 8 Mitarbeitern am vorteilhaftesten. in der Praxis des Problemlösens durchaus als wertvolle Hilfestellungen anerkannt werden würden.
184
6. Die problemlösende Einheit
6.2.4 Die Anerkennung der Problemlösungsgruppe Die Frage, ob eine Gruppe besser Probleme zu lösen vermag als ein Individuum, gehört zu den klassischen Untersuchungsgegenständen der Sozialpsychologie [90, S. 604], Wie wir sahen, liegen allerdings über die Effizienz des Problemlösens in Gruppen recht unterschiedliche Ergebnisse vor. Obwohl in den meisten Arbeiten die Meinung vertreten wird, daß Gruppen bessere Leistungen erzielen als Einzellöser [90, S. 604], sind offensichtlich die situativen Ausgangsbedingungen entscheidend, die einmal für und ein anderes Mal gegen die Gruppe als problemlösende Einheit sprechen können. Z u solchen Bedingungen zählen sicherlich die Art des zu behandelnden Problems sowie das absolute Leistungsvermögen und die Leistungsstruktur der Problemlösenden (vgl. Punkt 6.1.1). Uber die Zahl aller Fälle betrachtet scheint heute der Einzelarbeit noch über Gebühr der Vorzug vor Gruppen gegeben zu werden. Diese aus unserer Erfahrung gewonnene Vermutung bestätigt sich auch durch Untersuchungen darüber, auf welchem Wege in der Vergangenheit überwiegend Ideen für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten gefunden wurden [12, S. 156 ff.]. Damit muß die Frage nach Gründen der Präferierung der Einzelarbeit gestellt werden. Aus zahlreichen Gesprächen mit vielen Mitarbeitern in verschiedensten Unternehmungen blieb bei uns der Eindruck zurück, daß die herrschenden Normen unserer Leistungsgesellschaft noch immer weitgehend den streng personengebundenen Leistungs- und Erfolgsnachweis als Grundlage des Vorwärtskommens voraussetzen. Hier wird die Gruppe insofern zum Dilemma, als sie zwar einerseits zu absolut höheren Leistungen zu führen vermag, andererseits aber die Zurechenbarkeit persönlicher Leistungsanteile am Gesamtergebnis verwischt. In nicht wenigen Problemlösungskonferenzen fielen uns Teilnehmer auf, die zwar recht interessiert die Beiträge aller anderen Mitglieder verfolgten, sich selbst aber bewußt jeder konstruktiven Äußerung enthielten. Ohne daß wir dies streng beweisen können, glauben wir aus diesem Verhalten den Schluß ziehen zu dürfen, daß jene Teilnehmer die Gruppe in gewisser egoistischer Absicht lediglich als Vehikel benutzten, um sich dort in der Hoffnung mit Ideen anzureichern, diese zu gegebener Zeit als Ausfluß des eigenen Genies vorzuweisen. Ebenso war zu beobachten, daß manche Teilnehmer regelrecht erschrocken waren, nachdem sie - offensichtlich ohne dies eigentlich zu wollen — einen guten Beitrag in die Gruppe einbrachten; dieser Beitrag war ihnen damit für spätere persönliche Profilierungszwecke verlorengegangen. Die Eingabe von Wissen in eine Gruppe wird also in der betrieblichen Situation häufig als Schwächung der eigenen Leistungsposition empfunden. Gewiß ist die im Hinblick auf Individualkarrieren erfolgende Negierung der Gruppenarbeit nicht der einzige Grund für deren relativ geringe Verbreitung. Hinzu kommt, daß ein spürbares Unbehagen gegenüber Solidarisierungen tendenziell die Bildung von Arbeitsgruppen hemmt. Ebenso ist ferner die Ansicht begründet, Einzel-
6.2 Die Gruppe als problemlösende Einheit
185
arbeit werde deshalb präferiert, weil die Bedingungen für effektives Gruppenwirken noch zu wenig bekannt und beherrschbar sind [9, S. 63], Dem Einzellöser wird also obwohl man das nicht immer gerne zugibt — häufig nur deshalb der Vorzug eingeräumt, weil man (noch) nicht in der Lage ist, gut funktionierende, synergistische Teams zu organisieren [19, S. 15]. Angesichts der von Lippitt formulierten Voraussetzungen ist man geneigt zuzustimmen, daß sich in der Tat die Gruppe als problemlösende Einheit selbst diskreditieren kann, wenn sie unter unzureichenden Bedingungen und Kenntnissen praktiziert. Lippitt verbindet mit erfolgreicher Teamarbeit folgende Voraussetzungen [157]: Teamarbeit verlangt (1) Verständnis für und Hingabe zu den Gruppenzielen. (2) daß die unterschiedlichen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder optimal genutzt werden. (3) Flexibilität, ein Gespür für die Bedürfnisse Dritter und die Ermutigung zu kreativem Verhalten. (4) partizipative Führung. (5) von der Gruppe, ihr eigenes Vorgehen stets aufs Neue kritisch zu überprüfen, um sich in der eigenen Funktion zu verbessern. (6) die Entwicklung spezieller Strategien im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweils zu lösenden Probleme. (7) ein begünstigendes organisatorisches Klima und die Unterstützung durch das Management. (8) die konsequente Nutzung von Methoden und Regeln zur Bewältigung von Entscheidungsprozessen und Lösung von Problemen, wie — eine klare Definition des Problems, — eine Anerkennung der für das Problem verantwortlichen Personen, — ungehemmte Kommunikation bei der Ideen-Produktion, — eine angemessene Gruppengröße, — leistungsfähige Verfahren zur Überprüfung der gefundenen Alternativen, — Maßnahmen zur Verstärkung der Anerkennung einer getroffenen Entscheidung, — aufrechte Anerkennung des Gruppenentscheids durch den Leiter oder Moderator der Gruppe, — vorbehaltlose Zustimmung aller Gruppenmitglieder zu den angewendeten Verfahren und Methoden. (9) Vertrauen und Offenheit zwischen allen Team-Mitgliedern. (10) eine ausgeprägte Identifikation eines jeden Mitglieds mit der Gruppe als Einheit. Aus Punkt (5) der Aufzählung von Lippitt (ähnliche Eigenschaften sieht auch Likert [154, S. 166] in effizienten Arbeitsgruppen) geht indirekt hervor, daß effektive Teamarbeit nicht ad hoc erzielbar ist, sondern als Ergebnis eines Lernprozesses verstanden werden muß. Darauf weist auch Trebeck hin [284, S. 92],
186
6. Die problemlösende Einheit
Es wäre also unvernünftig, den Wert oder Unwert der Gruppe als problemlösende Einheit an wenigen und unzulänglichen Versuchen messen zu wollen. Es bedarf vielmehr — und dies gilt in vollem Umfang auch für die Institutionalisierung der Methoden der Ideenfindung - einer intensiven, von Vorurteilen freien Trainingsphase, bevor sich Gruppen als homogene Leistungseinheiten in den Prozeß der kollektiven Problemlösung einarbeiten und sich am konkreten Problem bewähren können. Dann werden auch die nicht unmittelbar ergebnisbezogenen Vorteile der Teamarbeit deutlich, wie beispielsweise eine Verbesserung der innerbetrieblichen Informations- und Kommunikationsbeziehungen oder eine Verbesserung des Arbeitsklimas schlechthin. Diese positiven Auswirkungen der Gruppenarbeit wurden uns aus der Praxis mehrfach bestätigt. Vielleicht geraten Gruppen auch deshalb leichter in das Hintertreffen, weil sie dazu neigen, ihre Arbeitsergebnisse im Vergleich zum Individuum eher unterzubewerten [60, S. 417], Vielleicht ist es aber auch eine Eigenart unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die Isolation in der Arbeitswelt höher als das Miteinander einzuschätzen. Immerhin wurde mithilfe des Semantischen Differentials festgestellt, daß Deutsche den Begriff „Einsamkeit" entschieden positiver bewerten als Amerikaner [283, S. 179],
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
7.1 Die Institutionalisierung der Ideenfindung Erklärlicherweise sind die Methoden der Ideenfindung für eine Unternehmung (gleiches gilt natürlich für jeden anderen Anwender) von beschränktem Nutzen, solange nicht sichergestellt ist, daß dieses Instrumentarium systematisch auf geeignete Probleme angesetzt wird. Eine angemessene Praktizierung ist jedoch ungewiß, wenn die Initiative zur Ideenfindung stillschweigend dem Ermessen einzelner Mitglieder der Organisation überlassen wird und wenn die Unternehmensleitung nicht ausdrücklich ihre Zustimmung zur Ideenfindung gibt und dafür (klar definierte) Handlungsspielräume setzt. Im Regelfall kann also nicht erwartet werden, daß die systematische Ideenfindung über einzelne Mitarbeiter in die Unternehmung eindringt und sich dort etabliert. Sie ist vielmehr im Sinne einer arbeitsorganisatorischen Maßnahme zu institutionalisieren. Die Einführung der Methoden der Ideenfindung in eine Unternehmung oder in einen Unternehmungsbereich bedingt dort zwar keine „Revolution", nötigt aber in vielen Fällen zu einer Revision der organisatorischen Gegebenheiten. Davon können insbesondere die Informations- und Kommunikationsbeziehungen, Arbeitsteilung, Standardisierung und Autonomie der Mitarbeiter betroffen sein. Entsprechende Kompetenzen für organisatorische Neuregelungen sind an die Managementfunktion gebunden; in der hierarchischen Struktur reichen sie allgemein bis herunter auf die Ebene der Abteilungsleitung. Sollen in einer Unternehmung bzw. in einem Unternehmungsbereich Mitarbeiter in die Methoden der Ideenfindung eingewiesen werden, dann zeigt es sich nach unserer Erfahrung als äußerst vorteilhaft, die Stelleninhaber der jeweils darüber liegenden Managementebene(n) ebenfalls und vorab mit dem Instrumentarium der Ideenfindung vertraut zu machen (z. B. Geschäftsleitung, Funktionsbereichsleitung, Hauptabteilungs- und Abteilungsleitung). Auf diese Weise finden sich die erforderlichen Promotoren, die alle mit der Einführung der Ideenfindung verbundenen Maßnahmen unterstützen. Als nächster Schritt sind etwa 10 bis 20 Mitarbeiter auszuwählen — am besten fachliche Generalisten [43, S. 138 f.] —, die intensiv in den Methoden der Ideenfindung trainiert und geschult werden. Ein solches Training kann über rein methodische Fragen der Ideenfindung hinausgehen und zum Beispiel mit Vorteil auch gruppendynamische Aspekte einschließen [269, S. 414 ff.].
188
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
Die zu schulenden Mitarbeiter, sie bilden die Kerngruppe [43, S. 186], sollten aus jenen Arbeitsbereichen der Unternehmung zusammengezogen werden, die besonders häufig mit schlecht-strukturierten (Innovations-) Problemen konfrontiert werden [3, S. 267], Dies trifft insbesondere auf Marketing, Forschung und Entwicklung oder auf Abteilungen mit Spezialaufgaben zu, wie „Neue Produkte", „Diversifikation" oder „Innovation". Nachdem die Mitglieder der Kerngruppe ein ausreichendes Methodentraining am besten durch einen externen Spezialisten — erfahren haben, sollte ihnen eine bestimmte Experimentierzeit zugestanden werden. Während dieser Zeit können sie ihr methodisches Know-how an Problemen aus der eigenen Arbeit erproben, ohne einem Erfolgszwang ausgesetzt zu sein. Diese Experimentierzeit (ein angemessener Umfang scheint uns bei 15 bis 30 Anwendungsfällen und einem halben Jahr zu liegen) dient nicht nur der Perfektion methodischer Praxis und der Sammlung von Erfahrungen, bei welcher Aufgabenstellung die einzelnen Methoden am besten eingesetzt werden können, sondern ermöglicht es ferner, daß weitere Mitglieder der Unternehmung mit dem Instrumentarium der Ideenfindung vertraut gemacht werden. Von der Kerngruppe kann also ein „Schneeballeffekt" ausgehen, der mit der Zeit die ganze Unternehmung erfaßt. In einigen uns bekannten Unternehmungen wurde die Verantwortung zur Organisation und Durchführung von Ideenfindungssitzungen bzw. Problemlösungskonferenzen an eine Stabstelle gebunden, die der Marketingleitung, der Forschungsleitung o. ä. zugeordnet ist. Auch die unmittelbare Unterstellung einer „Stabstelle Ideenfindung" unter die Unternehmungsleitung wird als günstige organisatorische Eingliederung angesehen [31, S. 156], Schon bei mittlerer Unternehmensgröße und konsequenter Anwendung der Ideenfindung kann diese Stelle zwei bis drei Mitarbeiter hauptamtlich in Anspruch nehmen. Die Leistung der Stabstelle beginnt in dem Augenblick, in welchem ihr eine Problemstellung (aus gleich welchem Aufgabengebiet oder Unternehmensbereich) gemeldet wird. Daraufhin setzt man sich mit dem Problemsteller in Verbindung und analysiert gemeinsam das Problem gründlich, um aufbauend auf diese Analyse eine Problemlösungsstrategie und geeignete Methoden zu empfehlen. Da die Stabstelle (im Verlaufe der Zeit) über das in der Unternehmung verfügbare personelle Know-how informiert ist, übernimmt sie die Organisation eines fachlich und methodisch kompetenten Teams, dessen Rückgrat Mitglieder der ehemaligen Kerngruppe bilden können. Zur Organisation der Ideenfindungssitzung gehört ebenso die Ausarbeitung eines Briefings über das Problem, das den Mitgliedern des Teams vorab zugeschickt wird, wie die Vereinbarung von Sitzungszeit und Sitzungsort oder die Bereitstellung der erforderlichen arbeitstechnischen Hilfsmittel (Tonband- und/oder Video-Anlage, Tafeln, Flip-Charts, Notizpapier, Informationsmaterial über das Problem, Zusammenfassung der Ergebnisse bisheriger Lösungsversuche usw.). Dieser Aufgabenumfang erfordert, daß die Stabstelle mit entsprechenden Kompetenzen und Budgets
7 . 1 Die Institutionalisierung der Ideenfindung
189
auszustatten ist [43, S. 188 f.] und daß innerhalb der Unternehmung durchgesetzt wurde, daß Mitarbeiter aus allen Bereichen zeitweise für Problemlösungskonferenzen der Stabstelle freigestellt werden können. Ist der Problemsteller auch mit den anzuwendenden Methoden vertraut, kann er ohne weiteres die Moderation der anberaumten Ideenfindungssitzung(en) übernehmen. Voraussetzung ist dann natürlich ein vorurteilsfreies Leitungsverhalten, welches die Mitglieder der Problemlösungsgruppe nicht einengend in bestimmte Lösungsrichtungen drängt. Weitere Rollen des Problemstellers können die des Protokollanten (ein sachlich einwandfreies und vollständiges Protokoll zu führen ist eine durchaus fordernde Aufgabe!) oder die eines Jurors (Schiedsmannes) sein, der an strittigen Problemlösungsverzweigungen über das weitere Vorgehen aus seiner Sicht entscheiden kann. Die Leistung einer „Stabstelle Ideenfindung" muß mit der Beendigung der Problemlösungskonferenz keinesfalls erschöpft sein. Ihre Mitarbeiter können zusammen mit dem Problemsteller (bzw. dessen Arbeitsteam) die erzielten Ergebnisse sichten, überarbeiten, ordnen und bewerten, wobei wiederum Teams, nun aber mit überragender fachlicher Qualifikation einzuberufen sind. Z u m Aufgabengebiet kann ferner die Organisation des betrieblichen Vorschlagswesens gehören oder eine allgemeine „Methodenpflege", die auch etwa Prognosemethoden einschließt. Aus wirtschaftlichen und technischen Gründen können in der Regel nur wenige der Lösungen realisiert werden, die mit Methoden der Ideenfindung zu einem Problem hervorgebracht wurden. Da in den nicht realisierten Alternativen jedoch oft ein beachtliches Gedankengut steckt, sollte man diese in einer zentralen Dokumentation erfassen. Eine solche Ideensammelstelle kann nach Arbeitsgebieten, Abteilungen, Disziplinen usw. gegliedert sein und stellt mit der Zeit ein immenses Reservoir für Anregungen dar. Der Nutzen einer Speicherung guter Ideen wird zudem sofort einsichtig, wenn man bedenkt, daß es bei dem heuristischen Charakter der Ideengenese durchaus der Fall sein kann, daß ein bestimmter guter Gedanke nie mehr ein zweites M a l auftaucht. D a ß die Institutionalisierung der Ideenfindung in der Unternehmung keinesfalls reibungslos abläuft, sondern viele Hindernisse zu überwinden hat, wurde schon durch die Nennung verbreiteter Vorurteile gegen die Ideenfindung angedeutet (vgl. Punkt 1.4). Auf Grund unserer Erfahrungen mit einer großen Zahl von Unternehmungen, die sich für Ideenfindung interessierten, wollen wir aber noch einmal betonen, daß sich nachhaltig erfolgreiche, systematische Ideenfindung in einer Unternehmung nur verwirklichen läßt, wenn man diese Hindernisse gezielt zu beseitigen versucht und wenn die Entscheidungsträger der Organisation diese Form der Problemlösung voll und ganz unterstützen und fördern. Z u r Institutionalisierung und systematischen Anwendung der Ideenfindung ist ferner die Einsicht von größter Wichtigkeit, daß Innovation keinen einmaligen Akt, sondern einen permanenten Prozeß im Geschehen einer Unternehmung darstellt.
190
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
7.2 Problemlösungen (Aufgaben) als Determinanten organisatorischer Konzeption Bei unseren bisherigen Ausführungen zur organisatorischen Eingliederung der Ideenfindung blieben die Instrumentalvariablen organisatorischer Konzeptionen noch ausgeschlossen. Wir werden uns jetzt der Frage widmen, ob und wie sich eine Unternehmung in Abhängigkeit von den von ihr zu bewältigenden Aufgaben im Hinblick auf diese Variablen organisieren sollte.
7.2.1 Aufgaben und organisatorische Varietät „Nach Auffassung der überwiegenden Zahl der deutschsprachigen Literatur ist die Aufgabe Ausgangspunkt jeglicher organisatorischer Betätigung" [267, S. 84], d. h. organisatorische Regelungen zielen i. d. R. auf die bestmögliche Aufgabenerfüllung ab. 22 Die besondere Bedeutung der Aufgabe als Gestaltungskriterium für industrielle Organisationen ist vor dem Hintergrund neuerer organisationstheoretischer Arbeiten allerdings unter folgenden Einschränkungen zu sehen: Wie Staehle in einer kritischen Würdigung feststellt [267, S. 27 ff.], liegt die Unzulänglichkeit bisheriger Organisations- und Managementtheorien darin, daß sie nur jeweils Teilaspekte des Forschungsobjektes „Organisation und Führung" erfassen und diese nur partiell gültigen Aussagen unzulässigerweise verallgemeinern [267, S. 1, 27], Diese Einseitigkeit der Betrachtung gilt sowohl für die von Staehle unterschiedenen „monistischen" (klassische und neoklassische) und „dualistischen" Theorien der Organisation und Führung. Die klassischen Organisationstheorien stellen formelle Aspekte der Organisation und Führung in den Vordergrund. Schwerpunkte der Behandlung sind die Problemkreise Arbeitsteilung, skalare und funktionale Prozesse, Organisationsstruktur und Kontrollspanne [267, S. 28], Unter der Annahme wirtschaftlich-rationalen Handelns aller Systemmitglieder ist das Anreizsystem monetär, hierarchische Beziehungen sind scharf differenziert, das entscheidungsrelevante Wissen, Verantwortung und Autorität wachsen mit zunehmender Nähe zur Spitze der (bürokratischen) Pyramide. „Das blinde Befolgen formeller Regeln und Vorschriften sowie die Überbetonung von Dis-
22
Vergleiche hierzu [15, S. 2 6 0 f f . ; 48, S. 101; 177, S.22; 240, S. 5 6 8 ; 243, S. 4 0 ; 2 5 8 , S. 81], Müller [200, S. 7 2 8 ] führt explizit aus: „Die Qualität der Organisationsstruktur bemißt sich an der Rationalität der Aufgabenerfüllung." Fiedler und Anderson [4, S. 2 3 5 ] weisen daraufhin, daß sogar noch zu wenig Augenmerk darauf gelegt wird, die Organisation auf Besonderheiten der Aufgaben abzustimmen.
7.2 Problemlösungen als Determinanten
191
ziplin führen . . . zu Starrheit und mangelnder Anpassungsfähigkeit der Organisation" [267, S. 30], Die neoklassischen Theorien heben insbesondere die informellen Aspekte von Organisationen hervor. In Erweiterung zu den klassischen Modellen werden Annahmen über das Wesen und die Motivation der Organisationsmitglieder einbezogen, wobei die von Maslow aufgestellte Bedürfnispyramide zu einem bestimmenden Element im Aussagensystem wird [267, S. 31]. Obwohl die neoklassischen Organisations- und Managementtheorien „der einseitigen Ausrichtung der klassischen Theorie auf die formalen Aspekte der Organisation . . . begegnen . . . , muß die mangelnde theoretische Bewältigung des Problems der Integration sachlicher und menschlicher Aspekte kritisiert werden" [267, S. 33], Dualistische Theorien stellen dichotomisch jeweils zwei idealtypische Modelle der klassischen und neoklassischen Theorien einander gegenüber, die quasi als Grenzmodelle apostrophiert werden. In der Regel wird dabei eine deutliche Wertung zugunsten des einen oder anderen Modells vorgenommen [267, S. 7, 36], „Zusammenfassend können die dualistischen Theorien . . . als ein Fortschritt gegenüber den monistischen gewertet werden, als sie in der Kontingenz und der Komplexität der Systeme und ihrer Umwelten besser gerecht werden und erstmals den situationalen Charakter von Organisations- und Führungsmaßnahmen zu berücksichtigen versuchen" [267, S. 60/61], In dieser Wertung von Staehle wird jene Lücke der Organisationstheorien angesprochen, die es nach dem derzeitigen Erkenntnisstand am dringlichsten zu schließen gilt. Es fehlt eine Theorie situativer Relativierung, die weg vom (unzutreffenden) Anspruch allgemeingültiger Organisationsprinzipien den Ansatz erlaubt, Instrumentalvariablen, Zielvariablen und Situationsvariablen integrativ in organisatorische Gestaltungsempfehlungen zu verarbeiten [267, S. 1; 110, S. 5], Neuere organisationstheoretische Ansätze in dieser Richtung gelten dem Bemühen, zwischen Aufgabe, Organisation und Mitarbeiter zu koordinierenden und harmonisierenden Konzepten zu gelangen, die unter den Bezeichnungen Situationstheorie der Organisation [267, S. 1] odercontingency-theory [198, S. 6 2 , 6 7 f f . ] zusammengefaßt werden. Eine Situationstheorie der Organisation und Führung muß notwendigerweise über ein Modell abgebildet werden, „das möglichst viele Einflußgrößen der Situationsbeschreibung und möglichst viele alternative Gestaltungs- und Führungsmaßnahmen einbezieht, so daß Aussagen über eine möglichst große Zahl von in der Wirklichkeit vorkommenden Kombinationsmöglichkeiten gemacht werden können" [267, S. 5], Die Grundannahme einer Situationstheorie der Organisation lautet, daß „there is not one best organizational approach" [198, S. 62], „daß es nicht einen einzigen richtigen Weg der Organisation und Führung unterschiedlicher Systeme geben kann, sondern mehrere" [267, S. 8], Dabei betreffen organisatorische Differenzierungen nicht nur Vergleiche zwischen Gesamtsystemen, sondern ebenso die ein Gesamtsystem
192
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
konstituierenden Untersysteme [26, S. 136]. Mit anderen Worten: Die Situationstheorie räumt mehr oder weniger ausdrücklich ein, daß in einer Unternehmung mehrere Organisationsformen nebeneinander existieren können oder sogar sollen. Staehle gewinnt nach einem Studium relevanter empirischer Untersuchungen den Eindruck, „daß folgenden vier unabhängigen Variablen eine überdurchschnittliche Bedeutung bei der Bestimmung von Struktur und Verhalten sozio-technischer Systeme zukommt: 1. 2. 3. 4.
Systemumwelt, Organisationsaufgabe, Transformationstechnologie, Organisationsmitglieder" [267, S. 70].
Zwar kann der Organisationsaufgabe als unabhängige Variable ein gewisser dominierender Einfluß auf organisatorische Gestaltungen nicht abgesprochen werden, 23 die ausschließlich aufgabenbezogene Ableitung von Organisations- oder Managementmaßnahmen würde allerdings den Anforderungen eines situationstheoretischen Ansatzes nicht genügen. Dies bleibt zu berücksichtigen, wenn wir uns im weiteren damit befassen, wie die Merkmale von Aufgaben in organisatorische Konzeptionen umsetzbar sind. Hieraus folgende Überlegungen sind deshalb lediglich als Bausteine zu werten, die gegebenenfalls in eine übergreifende Theorie eingeordnet werden können.
7.2.2 Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operation als Merkmale von Problemlösungsprozessen Es besteht kein Zweifel darüber, daß organisatorische Differenzierungen und manageriale Gestaltungshinweise dann zureichender vorgeschlagen werden können, sobald eine angemessene Systematisierung von Aufgaben oder Problemen verfügbar ist [268], Die überwiegende Zahl der Beschreibungsversuche von Aufgaben ist noch zu unpräzise und allgemein, um aussagefähige Verbindungen zu organisatorischen Konsequenzen herstellen zu lassen. Häufig versucht man, die Vielfalt möglicher Aufgaben mit dualistischen Attributen etwa folgender Art zu erfassen: 24 programmierbar strukturiert stabil 23
— unprogrammierbar — unstrukturiert — veränderlich
Siehe hierzu Morse und Lorsch [198, S. 62]: „. . . rather the best approach depends on the nature of the work to be done." Vgl. ferner [15, S. 2 6 0 ; 119, S. 21; 162, S. 4 9 ; 2 0 0 , S. 739; 2 9 0 , S. 105],
24
Siehe entsprechende Termini z. B. bei [9, S. 7 1 ; 42, S. 5 0 7 f f . ; 110, S. 1; 116, S. 2 1 7 f f . ; 169, S. 47; 2 0 0 , S. 738 ff.].
7 . 2 Problemlösungen als Determinanten
bestimmt homogen gewiß routinisierbar rational, logisch spezifisch
193
— unbestimmt — heterogen — ungewiß — nicht routinisierbar — irrational, alogisch — unspezifisch usw.
Diese Polarisierung halten wir für ungenügend zur Determinierung jener denkbaren Vielfalt von Organisationsformen, wie sie, neben anderen Einflußgrößen, durch die reale Diversifiziertheit von Aufgaben bedingt sein mögen. Wir stehen somit vor dem Dilemma, daß wir zwar einerseits die Varietät der Aufgaben in einer Unternehmung (innerhalb bestimmter Bandbreiten) mit einer entsprechenden Varietät organisatorischer Substrukturen überdecken sollen, andererseits aber nicht über eine operable Problem-Klassifikation verfügen. Aus diesem Grunde soll nun untersucht werden, ob eine Analyse von Problemlösungsprozessen
Hinweise
darüber ergeben kann, wie mehrere Organisationsstrukturen nebeneinander und aufgabenbezogen gestaltet werden könnten. Im Laufe der Arbeit wurde ein Problemlösungsprozeß als Vorgang beschrieben, der eine problematische Ist-Situation in eine problemfreie Soll-Situation überführt. Dieser Prozeß ist gekennzeichnet a) subjektiv (d. h. für den Problemlösenden) durch die Gewinnung von Informationen bzw. durch Vermehrung der (Er-)Kenntnisse über Systemelemente und Relationen im interessierenden Problembereich oder Systemzusammenhang. b) objektiv (d. h. im problematischen Sachverhalt) durch eine Umstrukturierung von Systemanordnungen in Richtung auf eine zielentsprechende Sollstruktur als Ergebnis der Informationsverabeitung. Die Intentionen eines Problemlösenden bestehen also darin, problemrelevante Informationen zu gewinnen und diese Informationen zielgerichtet bzw. problemreduzierend zu verarbeiten (vgl. Abb. 74). Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung sind in der Regel iterativ
Informationsgewinnung
Informationsverarbeitung Abb. 7 4 . Informationsgewinnung und -Verarbeitung als Merkmale von Problemlösungsprozessen
194
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
verknüpft: Die Umstrukturierung der Problemsituation ist notwendigerweise wissensabhängig, setzt im Ergebnis aber gleichzeitig auch Wissen frei. 25 Weiterhin entscheidend für den Erfolg des Problemlösenden ist seine Kenntnis über geeignete Prozeßstrategien zur Zielrichtung seiner Vorgehensweise. Je mehr er Rückgriff auf Regeln nehmen kann, die seine Operationen der Informationsverarbeitung bzw. Umstrukturierung mit größtmöglicher Sicherheit dem Ziel oder der Lösung näherbringen, desto zwingender kann er das Problem bewältigen. Als wesentliche Bestimmungselemente von Problemlösungsprozessen können wir demnach festhalten: 1. Klarheit und Eindeutigkeit der Zielsetzung (Z). 2. Wissen über das Problem; Informationsstand (I). 3. Spezifität der Informationsverarbeitungsregeln oder Operationen
(O).
Zwischen diesen drei Elementen bestehen folgende wechselseitigen Abhängigkeiten: 1. Zwischen Z und I: Die Möglichkeit einer eindeutigen Zielformulierung ist eng mit dem Informationsstand über das zielbezogene System verbunden. Typisch für viele Organisationen ist die Ausbildung von Zielhierarchien, d. h. untergeordnete Ziele leiten sich von übergeordneten Zielen ab. Die Zielbildung auf einer bestimmten Ebene wird dadurch abhängig von Informationen über die Ziele auch anderer Ebenen. Informationsbeschaffungen zur Bewältigung zielerreichender Problemlösungsprozesse sind effizient nur dann möglich, wenn die Ziele nicht nur vage vorgegeben, sondern klar definiert sind. (Die Zielbildung innerhalb der Unternehmung ist ein permanenter Vorgang, d. h. die Ziele wandeln sich im Zeitverlauf [14, S. 346; 268]. Auf das Problemlösungsverhalten unter Zieländerungen soll hier jedoch nicht eingegangen werden.) 2. Zwischen O und Z.Operationen sind zielgerichtetes Handeln; Ziele können nicht oder nur schlecht erreicht werden, wenn der Problemlösende über ungenügende Handlungsanweisungen (Operationen) verfügt. Andererseits besteht auch eine operationale Unsicherheit, wenn Handlungsziele nicht eindeutig gesetzt werden können. Diesen Zusammenhang spricht Walz mit dem Hinweis an, daß die Problemlösungsfähigkeit einer Unternehmung — zum Beispiel gemessen an ihrem Ideenausstoß — auch von jenem Maße abhängt, in welchem die potentiellen Problemloser über die Ziele der Unternehmung unterrichtet sind [297, S. 48 ff.]. 25
Information oder Wissen über problematische Sachverhalte ist ganz allgemein Voraussetzung für die Prozesse ihrer Lösung [ 2 4 8 , S. 1 5 7 ] . Und: „Der Umfang des erforderlichen Informationsgehaltes, der bis zur Lösungsfindung aufgenommen und verarbeitet werden muß, bildet die allgemeine F o r m , durch die eine Problemlage ganz generell gekennzeichnet werden k a n n . " [ 1 4 3 , S. 1 6 8 ] .
7.2 Problemlösungen als Determinanten
195
3. Zwischen I und O: Die Auswahl einer adäquaten Methode (Operation) kann nur unter genauer Kenntnis der Problem-Situation getroffen werden. Es muß also die Zuordnung möglich sein, welche der dem Problemlösenden bekannten Methoden am vorteilhaftesten auf die Problemsituation angewendet werden kann. Je mehr Informationen über den Problemsachverhalt vorliegen, umso spezieller - und damit mächtiger — ist eine potentiell anwendbare Methode. Bei geringer Kenntnis der Problemsituation bleibt hingegen in höherem Maße unbestimmt, ob und welchen Beitrag die ausgewählte Operation zur Zielerreichung leistet. Unter der Voraussetzung der Zielkonstanz kann der Fortschritt eines Problemlösungsprozesses abstrakt durch die Verringerung der Distanz zwischen Problem und Lösung auf Grund der vorgenommenen Operationen dargestellt werden (Abb. 75).
ZS = Zwischenstruktur Abb. 75. Problemlösungsfortschritt als Distanzverringerung zwischen Problem und Lösung
Die Distanzverringerung von d 0 (Ausgangssituation vor Ingangsetzung des Problemlösungsprozesses) auf Null (Identität mit der Soll-Situation bzw. Lösung) ist in der Regel begleitet von a) einer Informationsgewinnung, d. h. einer zunehmenden Strukturiertheit (Transparenz) des Problembereichs, b) der zunehmenden Möglichkeit, effizientere (spezifischere) Operationen durchführen zu können, c) der wachsenden Fähigkeit zu eindeutigeren Zielformulierungen [18, S. 29]. Mit zunehmender Strukturiertheit des Problems, d. h. mit erhöhter Kenntnis über Eigenschaften des problematischen Systems, sinkt die Unsicherheit im Hinblick auf die vorzunehmenden Operationen. Der Charakter des Problemlösungsprozesses verliert dadurch heuristische und gewinnt deterministische Merkmale. Je deterministischer aber das Problem ist, je direkter kann eine Operation in Lösungsrichtung erfolgen. Der Erkenntnisprozeß bei der Lösung schlecht-strukturierter Probleme hat also quasi eine sich selbst verstärkende Wirkung. Wenn wir die Eigenschaft „Grad der Strukturierung" eines Problems gesondert
196
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
herausgreifen, läßt sich der Fortschritt des Lösungsprozesses so veranschaulichen wie in (Abb. 76). Ausrichtung des Problem-
Ausrichtung des Pro-
lösungsprozesses auf
blemlösungsprozesses
Informationsgewinn
auf Umstrukturierung
H Problem unstrukturiert
Prozeßrichtung
Problem vollkommen strukturiert
— Ziel vage — Informationsbedürfnis groß — Operationen unsicher und von geringer Mächtigkeit
TENDENZ
>
— Ziel klar — Informationsbedürfnis gering — Operationen eindeutig und zielgerichtet und von großer Mächtigkeit
Abb. 76. Problemlösungsfortschritt und Prozeßstrukturiertheit
Probleme des linken Pols können, wie dies Holliger tut, als Pioniersituationen bezeichnet werden. Für sie sind Routinen oder Methoden entweder nicht vorhanden oder ihre Anwendbarkeit ist in Frage gestellt. Der Problemlösende muß sich in „das Feld des Wissens Schritt für Schritt vortasten, mit der Bereitschaft, improvisierte Methoden fallweise zu ändern" [116, S. 219]. In der weiteren Prozeßfolge verliert jedoch die Informationsgewinnung zugunsten der Informationsverarbeitung (Umstrukturierung) an Bedeutung [18, S. 32],
7.2.3 Die Abgrenzung der Varietät von Organisationsstrukturen nach den Kriterien Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operation Die allgemeine organisationskonzeptionelle Relevanz der Aufgabenmerkmale - Zielklarheit, - Informationsbedarf und - Spezifität der Operation sei durch die Erläuterung folgender Beziehungen illustriert: In einer Unternehmung unterscheiden sich die Probleme der Geschäftsleitung, der Spartenleiter, der Abteilungsleiter, der Sachbearbeiter usw. im Hinblick auf Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operationen. Auf der Geschäftsleitungsebene sind Ziele in der Regel generell (z.B. Umsatzwachstum), der Informationsbedarf ist groß (z. B. Kenntnis über Marktgegebenheiten), und die Wahl der geeignetsten Operationen ist nicht eindeutig vollziehbar (z.B. Senkung der Preise oder Erweiterung des Produktionsprogramms). Am Ende der hierarchischen Kette, der Verrich-
7 . 2 Problemlösungen als Determinanten
197
tungsebene, hingegen sind die Arbeitsziele meist speziell (z. B. Stanzen von Blechteilen), der Informationsbedarf ist sehr gering (z.B. einmalige Einweisung in den Arbeitsablauf), und die Operationen sind streng determiniert (z.B. Bedienung einer Maschine). Dementsprechend lassen sich Aufgaben der Verrichtungsebene stärker routinisieren, während Aufgaben höherer hierarchischer Ebenen tendenziell einen ausgeprägteren Problemcharakter erhalten [110,S. 12]. Im Hinblick auf die zu bewältigenden Aufgaben können wir also annehmen, daß mit abnehmender Hierarchie-Ebene — Ziele eindeutiger werden, — das Informationsbedürfnis abnimmt und — mehr deterministische Operationen durchgeführt werden können. Organisatorische Gestaltungsempfehlungen lassen sich nun unmittelbar an die Kriterien Z, I und O anknüpfen 2 6 und können beispielsweise beinhalten, daß mit zunehmender hierarchischer Stufe — die internen Kommunikationsmöglichkeiten sowie die Kommunikation über das Unternehmen hinaus freier werden sollten (stärkeres Bedürfnis nach mehr und verschiedenartigeren Informationen [14, S. 348]); — Operationen weniger reglementiert werden sollten, da die Wahl einer adäquaten Methode nicht immer a priori festgelegt werden kann; — flexible Zielrevisionen möglich sind. Durch die permanente Informationsaufnahme und -Verarbeitung kommt es zu häufigen Bedeutungsänderungen in den Arbeitsgebieten, die jeweils mit den unternehmensspezifischen Gegenheiten zu koordinieren sind. Für den weiteren Versuch einer Abgrenzung aufgabenbezogener Organisationsstrukturen wollen wir die Kriterien Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operation wie folgt transformieren: Die unterschiedlichen Ausprägungsmöglichkeiten von Zielklarheit fassen wir unter dem Blickwinkel der Zielbezogenheit des Aufgabenbearbeiters zusammen in die drei Skalenwerte — Zielfestlegung, — Zielverarbeitung und — Zielbestimmtheit. Zielfestlegung bedeutet für das Individuum in der Organisation, daß es innerhalb seines Aufgabenbereichs entscheidend an der Zielbildung beteiligt ist, wie dies bei26
Dabei darf freilich nicht vergessen werden, daß diese Betrachtung für ein organisatorisches Konzept nur Partialcharakter haben kann, da andere, wesentliche Variable der Organisations-Situation unberücksichtigt bleiben.
198
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
spielsweise oft für Seniormitarbeiter in der Forschung zutrifft [168, S. 36]. Die Zielfestlegung betrifft generelle oder übergeordnete Ziele, die in einer für die Unternehmung gültigen Zielhierarchie i. d. R. relativ hoch einzuordnen sind. Diese Ziele geben oft nur Richtungen und Politiken an; selten können aus ihnen zielerreichende Maßnahmen unmittelbar abgeleitet werden. Unter Zielverarbeitung ist sowohl die Herausbildung von Unterzielen als auch eine (häufig daraus folgende) Zielkonkretisierung zu verstehen. Gegenüber der Zielfestlegung hat das Individuum bei der Zielverarbeitung einen eingeengteren Freiheitsgrad; sie bedarf jedoch subjektiver Interpretation und bietet dem Zielverarbeitenden nicht von vorneherein Klarheit, sondern ist in sich noch problematisch. Eine Aufgabe ist für ein Individuum zielbestimmt, wenn aus der Zielbeschreibung für es eindeutig hervorgeht, ob eine Ausführung sein Handlungsziel erreicht bzw. welche von mehreren Alternativen diesem am nächsten kommt. Den je nach Aufgabe verschiedenen Informationsbedarf und die unterschiedliche Spezifität ansetzbarer Operationen wollen wir ebenfalls in drei Ausprägungen darstellen, die nun auf die notwendigen Dispositionsfähigkeiten des Aufgabenbearbeiters zurückgeführt werden. Dabei ordnen wir dem Informationsbedarf eine beschaffende (Information erhält den Charakter von Ware, die beschafft werden muß) und der Spezifität der Operationen eine Verhaltensdispositionsfähigkeit zu. 27 Die Beschaffungs- und Verhaltensdispositionsfähigkeit sollen in die Ausprägungsstufen - keinerlei Dispositionsfähigkeit, - eingeschränkte Dispositionsfähigkeit und - volle Dispositionsfähigkeit differenziert werden. Formal-kombinatorisch ergeben die Ausprägungen von Zielbezogenheit, Beschaffungs- und Verhaltensdispositionsfähigkeit 27 aufgabenspezifische Abgrenzungsmöglichkeiten, auf welche organisatorische Strukturen abgestimmt werden könnten. Folgende Überlegungen lassen jedoch eine Einengung der kombinatorischen Varianten angeraten erscheinen: Die mit dem Begriff „Zielfestlegung" verbundenen Kompetenzen setzen flankierend volle Dispositionsfähigkeit voraus. Ebenso sollte die Zielverarbeitung wenigstens mit eingeschränkten Dispositionsfähigkeiten gekoppelt sein. Damit werden die aufgabenbezogenen organisatorischen Differenzierungsmöglichkeiten, wie in Abb. 77 veranschaulicht ist, auf nurmehr 14 Varianten reduziert. Die verbleibenden 14 Alternativen zur Beschreibung von Aufgabentypen lassen sich wiederum — wenn man der Zielbeziehung eine gewisse Dominanz einräumt — auf 27
Über die Bedeutung der Dispositionsfähigkeit in der Arbeitsumgebung vgl. [216, S. 67].
7 . 2 Problemlösungen als Determinanten B bl b2 b3
199
= Beschaffungsdispositionsfähigkeit (BD) = keine BD = eingeschränkte BD = unbeschränkte (volle) BD
Abb. 77. Vorschlag einer aufgabenspezifischen Abgrenzung organisatorischer Strukturen innerhalb einer Unternehmung
drei Ebenen verteilen, wobei die Ebene I eine, die Ebene II vier und die Ebene III neun Varianten (s. Abb. 77) einschließt. Diese Art der Abgrenzung weist dann gewisse Parallelen zu den Subsystemen „Politiksystem", „Innovationssystem" und „Operationssystem" von Bleicher auf [23, S. 166 ff.]. Die Unterscheidung der Ebenen I bis III wäre daraufhin zu diskutieren, ob sie als grobe Gliederungsrichtlinie für organisatorische Konzeptionen in Betracht gezogen werden kann. Diese Grobbereiche ließen sich dann gegebenenfalls weiter in vier (Ebene II) bzw. in neun (Ebene III) Feinbereiche aufspalten, welchen die in der Unternehmung zu bewältigenden Aufgaben zuzuordnen wären. In enger Anlehnung an Hill [110, S. 9] vertreten wir die Ansicht, daß die wesentlichen Elemente einer Organisationsform durch die Instrumentalvariablen — Autonomie der Mitglieder; Zentralisierungsgrad, — Strukturtyp, Hierarchie der Beziehungen, — Führungsstil, Partizipation, — Information und Kommunikation,
200
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
Zielbeziehung
Zielbestimmtheit
Zielverarbeitung
Zielfesdegung
Autonomie
keine Autonomie
begrenzte Autonomie
volle Autonomie
Hierarchie der Beziehungen
streng hierarchische Anordnung
lockere hierarchische Beziehungen
hierarchische Loslösung
Verhaltensdispositionsfähigkeit
keine VD
eingeschränkte VD
unbeschränkte (volle) VD
Standardisierung
Programmierung
wenig vorgeschriebene Prozesse
keinerlei Anweisungen
Führungsstil
autonom
partizipativ
laissez-faire
Arbeitsteilung
Spezialisierung
Verantwortung für ganze Bereiche
unscharf
Beschaffungs dispositionsfähigkeit
keine BD
eingeschränkte BD
unbeschränkte (volle) BD
Information und Kommunikation
formell vorgeschrieben
nach innen völlig offen
nach innen und außen völlig offen
Abb. 78. Parameter für organisations-strukturelle Abgrenzungen und Zuordnung von Instrumentalvariablen
-
Arbeitsteilung und
— Standardisierung ausreichend gekennzeichnet sind. Die in Abb. 7 7 vorgeschlagenen organisatorischen Strukturvarianten können nun konkretisiert werden, wenn man diese Instrumentalvariablen den Parametern Zielbeziehung, Beschaffungs- und Verhaltensdispositionsfähigkeit mit entsprechenden Ausprägungen zuordnet [Abb. 7 8 ] . Dieser Vorschlag zur Abgrenzung einer Varietät aufgabenspezifischer Substrukturen in Unternehmungen, der auf einer Kombination von organisatorischen Instrumentalvariablen mit den Prozeßmerkmalen Zielklarheit, Informationsbedarf und Spezifität der Operationen von Aufgabenbewältigungen beruht, soll und kann nur als grober Ansatz verstanden werden. Um situativen Ansprüchen zu genügen, müßte er
7 . 2 Problemlösungen als Determinanten
wenigstens noch eine weitere Anzahl von Variablen
201 aus den Bezugssphären
„ M e n s c h " und „Systemumwelt" einschließen. Eine Einbeziehung dieses Ansatzes bei der Gestaltung der Unternehmensorganisation setzt zunächst voraus, daß eine Abgrenzung organisatorischer Teilbereiche vorzunehmen ist. Dabei kann man sich grundsätzlich an der herkömmlichen Funktionsbereichsgliederung orientieren, berücksichtigt aber bei weiterer Feingliederung verstärkt, daß jeweils Bereiche mit gleicher oder ähnlicher Aufgabenstruktur gebildet werden. Innerhalb dieser Bereiche sind die Aufgaben nun daraufhin zu analysieren, welche Ausprägungen für die Merkmale Zielbeziehung, Verhaltens- und Beschaffungsdispositionsfähigkeit zu ihrer Bewältigung erforderlich sind. Aus den gefundenen Ausprägungen leitet man sodann (z. B. in Verbindung mit Abb. 7 8 ) die entsprechende Gestaltung der Instrumentalvariablen ab. Versuchen wir diese Vorgehensweise an der in Punkt 7 . 1 erwähnten „Stabstelle für Innovation". Welche organisatorischen Regelungen wären für sie tendenziell angemessen? Die mit der Lösung von Innovationsproblemen angestrebten Ziele sind in aller Regel relativ vage. Im Falle der Produktinnovation wird beispielsweise ein weiterer Umsatzträger gesucht, der lediglich bestimmten Anforderungen an den Mindestumsatz, die Auslastung der Fertigungskapazitäten, das vorhandene Know-how und der Abstimmung an das schon vorhandene Produktprogramm entsprechen soll. Die Bearbeitung der Aufgabe setzt innerhalb dieses breit gesteckten Ziels eine relativ große Freiheit bei der Formulierung von Subzielen voraus, die etwa die Komplexität eines potentiellen Produktes, die Ausrichtung auf bestimmte Nachfragebereiche, anzuwendende Technologien oder die Wahl weiterer, erfolgversprechender Suchfelder betreffen. Ferner muß gewährleistet sein, daß das Projektteam (wir nehmen an, die Aufgabe sei an ein T e a m vergeben) seine Vorgehensweise flexibel auf die Erfordernisse des jeweils erreichten Problemlösungsstandes abstimmen kann, daß man in der Lage ist, im Bedarfsfalle Fachleute der gerade erforderlichen Qualifikation hinzuziehen zu können, daß man ggf. Laboruntersuchungen in Auftrag geben kann, technische oder Marktdaten beschaffen, Messen besuchen, Patentschriften einsehen und konkurrierende Produkte ankaufen kann usw. Aus dieser skizzenhaften Beschreibung geht hervor, daß die Aufgabe „Produktinnovation" (stellvertretend für andere Innovationsprobleme) ein ausgeprägtes M a ß an Zielverarbeitung, unbeschränkte Verhaltensdispositionsfähigkeit und — in Bezug auf Information und Kommunikation — ebenso unbeschränkte Beschaffungsdispositionsfähigkeit erfordert. (Hinsichtlich der Beschaffung von Sachgütern oder der Vergabe von Unteraufträgen ist eine budgetär eingeschränkte Dispositionsfähigkeit angemessen.) In Verbindung mit Abb. 78 wäre entsprechend der eben geschilderten Aufgabenmerkmale für die „Stabstelle Innovation" folgende organisatorische Regelung sinnvoll:
202
7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
— Begrenzte Autonomie, — lockere hierarchische Beziehungen, — geringe Bindung an Anweisungen, — partizipativer Führungsstil, wenn nicht „Laissez-faire", — unscharfe Arbeitsteilung, — Informations- und Kommunikationsbeziehungen nach innen und außen völlig offen. Bei diesen Empfehlungen darf freilich keinesfalls außer acht gelassen werden, daß sie alleine aus Aufgabenmerkmalen abgeleitet sind und andere wesentliche Komponenten der Situation (z. B. Dringlichkeit der Problemlösung, Struktur der Mitarbeiter) hier vernachlässigt wurden, die im realen Fall in die Entscheidung über die angemessenste Organisationsform eingehen sollten.
7.3 Empfehlungen zur Gestaltung der organisatorischen Umgebung der Ideenfindung Unsere bisherigen Betrachtungen über Aufgaben als Determinanten für organisatorische Konzeptionen galten dem Versuch, für eine durch Aufgaben gekennzeichnete Situation aus instrumentellen Variablen einen situationsadäquaten organisatorischen Rahmen zu konstituieren. Der konzeptionelle Ansatz knüpfte dabei an zwei Punkten an: der Differenzierung der Aufgaben der Organisation (beschrieben über transformierte Prozeßmerkmale) und einem Satz von organisatorischen Instrumentalvariablen. D a dieser Ansatz nur als konzeptioneller Entwurf zu verstehen ist und deshalb nicht bis in konkrete organisatorische Gestaltungsvorschläge für alle realen Aufgaben einer Unternehmung ausgeführt wurde, konnte auch das u.E. optimale Umfeld für die Praxis der Ideenfindung nur in Konturen umrissen werden. In der Absicht, diese Lücke im Interesse der Anwender der Methoden der Ideenfindung wenigstens teilweise zu schließen und um näher auf die Bedingungen einzugehen, die bei der Institutionalisierung der Ideenfindung in der Unternehmung möglichst weit erfüllt sein sollten, wird eine synoptische Darstellung von organisatorischen Gestaltungsempfehlungen angeboten. Die empfohlenen Ausprägungsformen der Instrumentalvariablen stellen einen repräsentativen Querschnitt über die heute in der Literatur vertretenen Auffassungen darüber dar, wie sich Unternehmungen zur Anhebung ihrer Innovationsfähigkeit und Überlebenschance - damit wird der Bezug zu den Methoden der Ideenfindung hergestellt - organisieren sollten. Die Zusammenfassung erfolgt in Abb. 79.
7.3 Empfehlungen zur Gestaltung der organisatorischen Umgebung
203
InstrumentalVariablen
Empfohlene Ausprägungsformen
Begründung
Autonomie; Zentralisierungsgrad
Verteilte Verantwortung 1
Probleme, die schnelles Reagieren auf äußere Umstände erfordern, werden rascher gelöst. 1 Förderung der Kreativität 2
Ausgeprägte Autonomie bei der Problembearbeitung 2 Ausdehnung der Verantwortungsbereiche 3 Weitgehende Autonomie 4 Delegation von Verantwortung und Autorität 5 Hierarchie; Strukturtyp
Geringe formale Statusunterschiede 6 Nicht-hierarchische, funktionelle Integration 7 Struktur wenig formal ausgeprägt 8 Lockere Strukturanordnungen; matrixorien tiert 9 Offen für Informationen 1 0 Gliederung in kleine, sich überlappende Systemeinheiten 11 Geringe Anzahl hierarchischer Ebenen 12 Ermöglichung horizontaler und diagonaler Beziehungen 13
Führungsstil; Partizipation
Demokratisch, kooperativ, verständnisvoll 14 Demokratisch 1 5
Intensiver Gedankenaustausch zwischen Führenden und Geführten 1 6 Mitarbeiter-orientiert 17
Quellenhinweise zu Abb. 79: 1) [245, S. 550] 2) [271, S. 42] 3) [169, S. 47]
Hoher Grad an Experimentierfreude, Innovation und Kreativität 3 Bedürfnis erfolgreicher Wissenschafder 4 Erhöhung der Produktivität 5
Gesteigerte Problemlösungsfähigkeit von Kollektiven 6 Probieraufgaben werden besser gelöst 7 Bessere Bewältigung wechselnder Anforderungen 8 Größere Anpassungsfähigkeit 9 Bedingung für innovative Planungsprozesse 10 Freiheit für kreatives Verhalten 1 1 Organisatorische Spannungen und Konflikte werden abgebaut 1 2 Entfaltung von Kreativität 13
Unterstützt unprogrammierbare, innovative Entscheidungen 14 Von höchster Bedeutung für ein kreatives und innovatives Organisationsklima 15 Senkt Widerstand gegen Neuerungen auf ein Minimum 1 6 Höhere Produktivität 1 7
4) [226, S. 161] [87, S. 46] [183, S. 415] 5) [276] 6) [200, S. 739]
7) 8) 9) 10)
[148, S. 82] [241, S. 599] [241, S. 601] [18, S. 27]
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7. Organisatorische Voraussetzungen zum Lösen von Problemen
InstrumentalVariablen
Empfohlene Ausprägungsformen
Information; Kommunikation
Kollektive arbeiten besser bei komplexen und/oder unbestimmten Aufgaben 1 8 Weitgehende Information über die Höherer Ideenausstoß 19 Ziele der Organisation 1 9 Hohes M a ß informeller Freude am Experimentieren mit Kommunikation 2 0 neuen Ideen nimmt zu 20 Stark ausgeprägter InformationsBedeutung für den Erfolg von fluß21 F & E-Aufgaben 2 1 Freie und offene Kommunikation Hoher Grad an Experimentierzwischen den Menschen—nicht den freude, Innovation und Kreativität 22 Stellen 22
Begründung
Nicht formal eingeschränkt; netzartige Ausbildung 18
Intensive wechselseitige Kommuni- Bedürfnis erfolgreicher Wissenkation 2 3 schaftler 23 24 Freie Kommunikation Begünstigt Problemlösungen und Entscheidungsfindungen 24 Arbeitsteilung
Standardisierung
Funktionen der einzelnen Mitarbeiter bleiben relativ unscharf 2 5 ; Verantwortungen für einen abgegrenzten Bereich an Rechten, Pflichten und Methoden entfallen. Wenig Differenzierung und Spezialisierung 26
Kollektive arbeiten bei komplexen und/oder unbestimmten Aufgaben besser 25
Geringe Routinisierung und Standardisierung (Programmierung) von Prozessen 27 Wenig vorgeschriebene Prozesse und Regeln; generelle Anweisungen 28 Wenig Routineregelungen 29
Bei hoher Komplexität und niedriger Spezifität der Aufgaben 2 7
Abbau organisatorischer Spannungen und Konflikte 2 6
Hoher Grad an Experimentierfreude, Innovation und Kreativität 2 8 Abbau organisatorischer Spannungen und Konflikte 29
Abb. 79 Ausprägungen organisatorischer Instrumentalvariabler, die den Einsatz von Methoden der Ideenfindung tendenziell begünstigen 23) [226, S. 161] [87, S. 46] 11) [182, S. 148] 17) [127, S. 264 ff.] 24) [14, S. 348] 12) [42, S. 508]; [183, S. 415] 18) [200, S. 739] 25) [200, S. 739] 13) [14, S. 349] 19) [12, S. 156ff.] 26) [42, S. 508] 14) [9, S. 71] 20) [9, S. 61] 27) [110, S. 12] 15) [172,S. 23]; [120,S.32ff.] 21) [251, S. 1] 28) [169, S. 47] 16) [87, S. 44] 22) [169, S. 47]; [66, S. 28] 29) [42, S. 510]
Schlußbetrachtung
Die wohl wichtigsten Formalziele bei der Konzeption moderner organisatorischer Strukturen bestehen in der Sicherung (1) der Produktivität der Leistungserfüllung, (2) originärer Problemlösungsfähigkeit, (3) von Flexibilität und Anpassungsfähigkeit und (4) der Interessen der Organisationsteilnehmer. Wir wollen hierzu einige Erläuterungen anfügen: Zu (1): Das Wirtschaftlichkeitskriterium verlangt, alle Systemprozesse (Aufgabendurchführung) mit hoher Produktivität zu vollziehen [110, S. 8]. Zu (2): Größere Anforderungen an die Problemlösungsfähigkeit der Organisationsmitglieder stellen sich mit zunehmender Komplexität und Veränderlichkeit der Aufgaben [110, S. 12]. Sind die Aufgaben schlecht strukturiert bzw. unbestimmt, ist vor allem ein höheres Maß angewandter Kreativität erforderlich [172, S. 5; 41, S. 72; 169, S. 47; 286, S. 391]. Zu (3): Größere Varietät der durchzuführenden Aufgaben und sich wandelnde Umgebungsbedingungen erfordern eine elastische organisatorische Anpassungsfähigkeit [119, S. 21; 162, S. 49; 290, S. 105], Zu (4): Die Einheitlichkeit der Interessenlagen der Mitglieder einer Organisation läßt sich allgemein als Maßstab für die Bewertung von Konflikt heranziehen [254, Sp. 863], Die Ursachen der Entstehung von Konflikten können äußerst vielschichtig sein und sich beispielsweise in der Machtverteilung zwischen den Organisationsmitgliedern, in der Differenz zwischen formeller und informeller Organisation oder in Zielverschiedenheiten begründen. Ein Beispiel für die zuletzt genannte Konfliktursache sind Abweichungen zwischen den allgemeinen Zielen der Organisation und den besonderen beruflich-wissenschaftlichen Interessen mancher ihrer Mitglieder [168, S. 39], Völlige Konfliktlosigkeit in pluralistischen Strukturen kann durchaus nicht als Normalfall gelten, sondern wird von Dahrendorf geradezu als pathologische Erscheinung eingestuft [254, Sp. 864], Unter der Voraussetzung, daß sie kontrolliert ausgetragen werden, sind Konflikte (auch) in (industriellen) Organisationen über die Herausbildung differenzierter Meinungen, Standpunkte, Ziele usw. eine wesentliche Voraussetzung für Leistungsfähigkeit. Das Ziel einer Organisation sollte deshalb nicht darin bestehen, Konflikte grundsätzlich zu vermeiden, sondern Wege zu finden, Konflikte produktiv zu verarbeiten. Ein wichtiges Mittel hierzu ist die Stärkung der Kohäsion
206
Schlußbetrachtung
zwischen den Organisationsmitgliedern, bei der die Bildung von Kooperationsformen wiederum eine bedeutende Rolle spielt. Das Konzept des Organization Development kann als Instrument gesehen werden, um damit über die Harmonisierung individueller Bedürfnisse und organisatorischer Notwendigkeiten Konflikte zu regulieren [122, S. 103 ff.; 177, S. 22], In der konkreten Organisation wird durch deren aktuelle Strukturen, Prinzipien und Regelungen determiniert, bis zu welchem Grad die mit (1) bis (4) genannten Formalziele erreicht werden können; die Art und Varietät der aktuellen Aufgaben andererseits bestimmt, bis zu welchem Grad diese Formalziele überhaupt erreicht werden brauchen. Das Dilemma vieler Organisationen besteht nun darin, daß die Ausprägungen der Instrumentalvariablen die Erreichung jener Ziele blockieren, die im Hinblick auf die zu bewältigenden Aufgaben erreicht werden sollten. Es gehört zu den Eigenarten von Organisationen, Regeln zu ihrer eigenen Stabilisierung aufzustellen und routinisierende Prozesse herauszubilden. Solche Regeln bestehen konkret in Vorschriften über das Informations- und Kommunikationsverhalten, über Bewilligungen, über die Arbeitsteiligkeit, Arbeitsmethoden, Kompetenzabgrenzungen und so weiter. Organisationen tendieren also dazu, Regelmechanismen zu entwickeln, die mehr oder weniger auf die Unterstellung stabiler Umweltsituationen und entsprechend gleichförmige Problemsituationen im Systeminneren gerichtet sind [31, S. 114]. Auf diese Weise geraten Organisationen in ein Dilemma, sobald sie andere Aufgaben bewältigen sollen als jene, auf deren Beherrschung in der Vergangenheit alle Regelungen abgestimmt wurden [191, S. 141 ff.; 104, S. 15; 237, S. 87], Vor diesem Hintergrund besteht eines der wesentlichsten Probleme der Unternehmungen unserer Tage darin, sich Fähigkeiten zum Management der Instabilität und Flexibilität zu erwerben. Es ist der Konflikt zu lösen, wie einerseits eine Organisation als synergetische, geschlossene Einheit aufrechterhalten werden kann, wobei andererseits aber ihre inneren Bindungen und starren Reglementierungen so weit gelockert sein müssen, damit unverzögerte Reorganisationen zur Anpassung an neue Bedingungen der Umwelt möglich sind. Somit gilt es, Konzepte dafür zu finden, wie organisatorische Stabilität und Kontinuität mit der Forderung nach permanenter Selbsterneuerung (Innovation) in Einklang gebracht werden kann. Mit Sicherheit wird das bürokratische Organisationsmodell den notwendigen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Anpassungen nicht mehr gerecht, die heute und in Z u k u n f t von den meisten Unternehmungen vollzogen werden müssen. Die Gründe liegen in den Erscheinungen unserer Zeit: Wirtschaftlich in internationale Verflechtungen integriert und an technologische Wandelprozesse gekoppelt, vermehren sich für jede Unternehmung die Anlässe reagierenden Handelns — das Phänomen der Unbeständigkeit erhält seine eigene Problematik. Gleichzeitig prägen Tendenzen zur Humanisierung, Demokratisierung und Liberalisierung den Geist unserer Zeit und zwingen dazu, neue Ordnungen zu finden.
Schlußbetrachtung
207
Viele Anzeichen weisen heute schon darauf hin, daß die Berücksichtigung der Belange der gesellschaftlichen Umwelt in Planungen und Entscheidungen sich zunehmend in unternehmenspolitischen Grundsätzen niederschlägt [55, S. 17], daß also eine wachsende Anzahl von Unternehmungen die Herausforderung annimmt, traditionelle Gewinnziele und gesellschaftliche Verantwortung sinnvoll zu integrieren [55, S. 18]. Die sich anbahnende Überwindung der klassischen Frontstellung zwischen Individuum und Organisation geht dabei freilich nicht nur von plötzlichen und tieferen Einsichten des modernen Managements in die gegenwärtigen Strömungen der Sozialphilosophie aus. Ein quer durch alle Bevölkerungsschichten gehendes, stärkeres politisches und gesellschaftliches Bewußtsein und eine sich weiter ausprägende Tendenz zur Demokratisierung von Entscheidungsprozessen stellen die Unternehmungen vor neue Anforderungen, denen nicht nur durch die Veränderungen in den Aufgaben einzelner Bereiche, sondern auch durch sich neubildende Gesamtstrukturen der Unternehmungen in Zukunft Rechnung getragen werden muß. Die Diskussionen um Mitbestimmung, die Bildung von Bürgerinitiativen und Verbraucherschutzorganisationen sind nicht übersehbare Indizien für eine Umstrukturierung der bestehenden Verhältnisse wirtschaftlicher und politischer Macht, deren Auswirkungen in noch verstärktem Maße auch auf die Beziehungen der Unternehmung zu ihren Mitarbeitern erwartet werden kann. Die sich heute bereits abzeichnenden Tendenzen sprechen dafür, daß die kommenden Jahre insbesondere durch einen Wandel zu partizipativen Mangement-Stilen und Führungssystemen, zu physisch und psychisch verbesserten Arbeitsumwelten, zu einer Verwischung der hierarchie-typischen Aufgabenteilung und Verantwortung sowie zu demokratischerer Entscheidungsbildung gekennzeichnet sein werden [55, S. 18]. Eine Entwicklung in Richtung auf eine gleichmäßigere Machtverteilung, auf Statusnivellierungen und die Entkrampfung sozialer Beziehungen, insbesondere der Arbeitsbedingungen, begünstigt zweifellos die Herausbildung von Lebensformen, die für eine Entfaltung individueller Kreativität und eine Steigerung der Produktivität geistiger Schaffensprozesse Voraussetzung sind. Gleichzeitig jedoch überlastet sie dem Individuum in bisher nicht gekanntem Umfang die Verantwortung und die moralische Verpflichtung, die erworbene Freiheit und Macht nicht ausschließlich in den Dienst egoistischer Ziele zu stellen, sondern auch jenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zu widmen, deren Erfüllung letztlich den Macht- und Freiheitsanspruch erst legitimiert. So spiegelt sich das Mikroproblem einer Organisation, entsprechende Regeln zur Erfüllung ihrer Aufgaben bei gleichzeitiger Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder zu finden, in dem Makroproblem unserer kulturellen und gesellschaftlichen Strukturierung. Hier wie dort sind es letztlich unsere Qualitäten als Sozialwesen Mensch, unsere Ansichten und Einsichten, Vernunft, Vertrauen, Verantwortung, Hingabe und Liebe, die bestimmen, unter welchen Bedingungen wir leben können, leben wollen
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Schlußbetrachtung
oder leben müssen. Viele tausend Jahre Geschichte zeugen davon, daß unsere soziale Lernfähigkeit nur sehr begrenzte Fortschritte zuläßt und viele Rückschläge hinnehmen muß. Unsere Zukunft liegt darin, dennoch unverdrossen immer wieder das Bessere zu suchen.
Anhang
Verfahrensbeschreibungen verbreiteter Methoden der Ideenfindung Die Verfahrensbeschreibungen verbreiteter Methoden der Ideenfindung sind in der Reihenfolge der Darstellung auf die Abb. 4 (Klassifikation der Methoden der Ideenfindung) abgestimmt. Dabei werden nacheinander zwei Darstellungsweisen gebracht: 28 1. Eine tabellarische Übersicht aller in Abbildung 4 aufgeführten Methoden, unter Bezug auf wesentliche Merkmale und Bedingungen der Anwendung (Abstimmung auf Problemarten, empfohlene Gruppengröße, Zeitaufwand usw.). 2. Die Erklärung der methodischen Prozesse, d. h. Erläuterung der Vorgehensweisen bei der Anwendung der Methoden. Die Darstellungen sind so knapp gehalten, daß der Laie davon in den meisten Fällen nicht ausreichend auf eine eigene praktische Anwendung vorbereitet wird. Hier empfiehlt sich zunächst das Studium weiterer Literatur und der Erwerb von Anwendungswissen aus der Übung.
28
In enger Anlehnung der Darstellungsreihenfolge und verbalen Ausführung an [3, S. 26 ff.] und [ 2 1 0 a , S. 5 1 ff.].
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