Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb: Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Universität Bremen, 4. - 6. September 1989, Bd. 2 9783111353173, 9783484302617

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 380 [384] Year 1991

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Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb: Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Universität Bremen, 4. - 6. September 1989, Bd. 2
 9783111353173, 9783484302617

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Linguistische Arbeiten

261

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Universität Bremen, 4.-6. September 1989 Band 2

Herausgegeben von Eberhard Klein, Frangoise Pouradier Duteil und Karl Heinz Wagner

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb : Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Universität Bremen, 4. - 6. September 1989 / hrsg. von Eberhard Klein ... - Tübingen : Niemeyer, 1991 NE: Klein, Eberhard [Hrsg.]; Linguistisches Kolloquium ; Universität

Bd. 2(1991) (Linguistische Arbeiten ; 261) NE:GT ISBN 3-484-30261-5

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

Semantik & Pragmatik

l

Werner Abraham: Syntaktische und semantische Korrelate zum Lesartwechsel zwischen epistemischen und deontisch/volitiven Modalverben

3

J0rgen Chr. Bang, J0rgen D00r &: Harry Perridon: Three Aspects of Deixis

15

Abraham P. ten Gate: Bemerkungen zum deutschen und niederländisehen Futur

23

Klaus-Dieter Gottschalk: I DONT'T KNOW THAT p: Deniability

33

And The Iran-Contra Scandal

Michae] Herweg:

Grundzüge einer Temporalsemantik des Deutschen

43

Alexeij Kiivonosov: Der logische Schluß in der natürlichen Sprache

57

Jifina van Leeuven-Tumovcova: Über das 'Recht' und die 'Wahrheit'. Einige kultursemantische Anmerkungen

65

Ping-ge Li: Sprechhandlungsstrukturen in Brieftexten

75

Gerard Ligozat &: Helene Bestougeff: knowledge

temporal

83

Claudia Maienborn: Bewegungs- und Positionsverben: Zur Fakultativität des lokalen Arguments

95

Ewa Mioduszewska:

Reasoning

about

Conventional Implicature And Semantic Theory

107

Thanh Nguyen: Background Triggers

117

Astrid Reich: Objektbeschreibungen im Zweitspracherwerb

121

vi

Inhaltsverzeichnis

Diskursanalyse & Textlinguistik

131

Anette Bührig-Hollmann: Aushandlungsmöglichkeiten in Institutionen am Beispiel des forensischen Diskurses Peter Canisius & Georg Sitta: Textdeixis: Zum Verhältnis von Deixis, Substitution und Anaphora

133

Marlene Faber: Frühe Beiträge zur Gesprächsforschung von Moritz

143 153

LAZARUS, Hermann WUNDERLICH und Leo SPITZER

Adi Grewenig: Der 'Dialog' mit den Bürgerinnen: Zur 'Forumsfunk-

163

tion' von Diskussionssendungen im Fernsehen

Roland Kischkel: Alltagstheorien des Sprachgebrauchs und des Sprachverstehens in juristischen und politischen Diskursen

173

Peter-Paul König: Habermas, der Tod und die Kaiserin. Überlegungen zur Sequentialität von Sprechhandlungen anhand einiger Beispiele aus der Totentanzliteratur

185

Joachim Liedtke: Dynamik narrativer Texte

199

Christiane Nord: Textfunktion und Übersetzung. Überlegungen zur funktionalen Übersetzung am Beispiel von Zitaten

209

Elisabeth Rudolph: Überlegungen zur kommunikativen Situation und Intention des Sprechers

217

Thomas Schülting: "Soll das ein Witz sein?". Exemplarische Analyse des Handlungsmusters "Witzeerzählen"

227

Andrea Voigt:

239

Mißverständnisse im Dialog

Christine Weißert-Kilig: Wiedergabe persönlicher Erfahrungen in Erzählungen türkischer Frauen. Untersuchungen sprachlicher Ausdrucksmittel in Ausgangssprache (Türkisch) und Lernersprache (Deutsch)

249

Helmut Wiegers: Zur dialoggrammatischen Analyse von Außerungsbedeutungen

259

Wolfgang Wildgen: Erzählstrategien in konfliktär-institutionellen Situationen (richterliche Anhörungen in der psychiatrischen Anstalt)

275

Sprache, Gesellschaft und Kultur

283

Käthi Dorfmüller-Karpusa:

285

Stereotype und Kultur

Elisabeth Feldbusch: Schreiben — ein kulturhistorisches Phänomen?

295

Martin Haase: Sprachwandel aufgrund von Sprachkontakt

309

Vll

Manfred Peters: Gewaltsprache-Friedenssprache unter dem Aspekt sprachlicher Repräsentationen

319

Kirsten Ricker: Psycho- und soziolinguistische Auswirkungen von Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit

331

Peter Rosenberg: Deutsch in Osteuropa

341

Conny Stroh: Die Untersuchung der Sprachkontaktsituation an der deutsch-französischen Grenze (am Beispiel von Petite-Roselle/Ost-Lothringen)

355

Harald Weydt:

363

Zu den Sprachkenntnissen der Sowjetdeutschen

Inhaltsverzeichnis: Band l

Vorwort

Betriebslinguistik

l

Gisela. Brünner: Linguistik und Wirtschaft

3

Anne-Marie Henke:

Zur Geschichte der Betriebslinguistik

13

Reiner Pogarell: Betriebsorientierte Akzentverschiebungen in der Linguistenausbildung

21

Barbara Steigüber:

29

Reiner Pogarell:

Sprachmanagement

Podiumsdiskussion: Wirtschaft und Linguistik im Dialog

37

Florian Menz: Verbesserte Kommunikation als Dienstleistung: "KONTEXT. Institut für Kommunikations- und Textanalysen"

39

Claus Noack:

43

Linguistik und technische Dokumentation

Udo Schwingel:

Linguistik und Wirtschaft aus Unternehmenssicht

Mania Tjarks-Sobhani: für Linguisten

Informationstexte in der Industrie: Eine Aufgabe

45 47

Sprachtheorie

51

Johannes Bechert: Der Sprachbegriff der Linguistik und die Schwierigkeiten der Sprachkontaktforschung

53

Ljudmil Douridanoff:

65

Eine Existenzerhellung der linguistischen Analyse

Eveline Einhauser: Hat es in der Sprachwissenschaft eine "junggrammatisehe Revolution" gegeben?

71

Stefan Henzler: Der Handlungscharakter der Sprache bei Karl Bühler und Bronislav Malinowski Jürgen Kristophson: Kann man die Urheimat der Goten berechnen? Anmerkungen zu Zielen und Methoden der Linguistik

81 89

inJiaJisverzejchzus Jiff Nekvapil: From Functional Linguistic Stylistics to a General Stylistics of Human Activity Christoph Schroeder: Sprachlicher Ikonismus: Die Kodierung von Subjekt und direktem Objekt im Türkischen Hans G. Still: Vorbemerkungen zur Durchgründung von Kasussemaktivität Wilhelm Trampe: Ökologie der Sprache: Eine ökologische Perspektive in der Linguistik Heinrich Weber: Ist Wortstellung grammatisch oder pragmatisch motiviert? Bemerkungen zu einer problematischen Fragestellung

97 103 115 125 133

Phonologie

145

Anton Batliner: Ein einfaches Modell der Frageintonation und seine Folgen ffans Geisler: Regressiv-einseitige Fernmetathesen im Sardischen

147

Michael Prinz: Die Konfigurationalität der Silbenstruktur

169

Lexik

181

Richard J. Alexander: Interaktive Lexikologie

183

Gabriele Birken-Silverman: Zur Etymologie einer Bezeichnungen des 'Bukkels' in der Ostromania Jozef Darski: Die Verweiswörter im Deutschen

191

Manford Hanowell: Verbal Idiomatic Expressions ('Polynomial Verbs'): A New Approach to the Problem of Idiomaticity

207

Han a Krenceyova: Zum Problem der funktionalen Übersetzung expressiver Lexik Robert J. Pittner: Der Wortbildungstyp "Steigerungsbildung" im Deutsehen Klaus P. Schneider: Affektive Lexik: Kognitive, semantische und morphologische Aspekte

215

Syntax

243

Karin Bausewein: AcI-Konstruktionen und Valenz

245

Aizheng Chen: Klassifizierung chinesischer Nomen durch Zähleinheitswörter

253

Martine Dalmas: Zur Erweiterung des Begriffs "Umstandsangabe"

261

Luc Dehaspe & Karel van den Eynde: The Pronominal Approach to Verbal Valency: A formal description of speak, say, tell, and talk Günther Fliedl & Martina Maratschniger: Natürlichkeitstheoretische Syntax: Ein Modell und seine Anwendung

273

161

201

225 233

281

XI

Gerd Hentschel: Drei Strategien zur Verdeutlichung der Subjektrolle in russischen Sätzen: Zu Variation und Wandel im Russischen und zur typologischen Differenzierung slavischer Sprachen

29?

Michel Kefer:

311

Ulrich Luders:

Die Struktur kohärenter Konstruktionen im Deutschen Das sogenannte Passiv im Baskischen

317

Minyan Luo: Die Bedeutung einer linguistischen Analyse der Zielsprache auf der syntaktischen Ebene für den Fremdsprachenunterricht

325

Madeline Lutjeharms:

Syntaktische Analyse aus psycholinguistischer Sicht

337

Luzian Okon: Bemerkungen zum Gebrauch der Präpositionen französisch "de" und italienisch "di/da"

349

Wilhelm Oppenrieder:

357

Irreale Vergleichssätze

Stanka Stojanova-Jovceva: Adversative Nebensätze in der deutschen und bulgarischen Gegenwartssprache

367

Maria Thurmair: Zum Gebrauch der Modalpartikel denn in Fragesätzen. Eine korpusbasierte Untersuchung

377

Zygmunt Vetulani:

389

Lexical Preanalysis in a DCG Parser of Polish

Jinyang Zhu: Klassifizierung von Verben und Verbalsubstantiven im Deutsehen und Chinesischen Lew Zybatow: Wie selbständig sind unselbständige Sätze im Deutschen und Russischen?

397 407

Semantik & Pragmatik

Syntaktische und semantische Korrelate zum Lesartwechsel zwischen epistemischen und deontisch/volitiven Modalverben Werner Abraham Groningen

1. Rätselhafte Beschränkungen bei Modalverben Im folgenden stelle ich einige merkwürdige syntaktische Beschränkungen bei Modalverben (MV) im Deutschen vor, die m.W. in der deutschen Grammatik bisher unbeobachtet geblieben sind. Diese Einschränkungen beziehen sich auf den systematischen Lesartwechsel zwischen der modalen Grundbedeutung (deontisch bzw. volitiv) und der epistemischen Bedeutung bei Modalverben mit eingebetteten Infinitiven und zwar nach Aktionsarteigenschaften sowie bei periphrastischen Tempusbildungen. Diese Beschränkungen sind ohne ersichtlichen Zusammenhang. Diese komplementär verteilten lexikalischen Eigenschaften sollen mit aspektuellen Unterschieden zwischen DMV und EMV in einen quasi-erklärenden Zusammenhang gestellt werden. Ziel dieses Distributionsvergleichs ist es letztlich, zu Parallelen zwischen syntaktischen Erscheinungen und deren syntaktischen Erklärungen einerseits und semantischen Beschreibungen und Erklärungen andererseits vorzustoßen. D.h. ich nehme so etwas wie eine Schnittstelle zwischen Syntax und (verbaler Aktionsart-) Semantik ins Visier.1 Zunächst also die isolierten nichttrivialen Beschränkungen, die DMV und EMV trennen. Sie zerfallen in 3 globalere empirische Fakten. 1.1. EMV FEHLT BEI TERMINATIVER EINBETTUNG

Im allgemeinen haben MV zwei Lesarten: die modale Grundbedeutung (oben und passim abgekürzt DMV, d.h. "deontische Modalverblesart") sowie die epistemische (in der Literatur auch "inferentielle" oder "subjektive" genannt) Die Formen der MV in den verschiedenen Tempora sind dabei homonym außer dort, wo sie umlautfähige Stammvokale haben (also bei durfte /dürfte, mußte/müßte und konnte/könnte. Vgl. (la-c). Ich beschränke mich in der hier vorliegenden Version auf aktionsartsemantische Erscheinungen und Beschränkungen. Die Bremer Vortragsversion war um ein wesentliches Kapitel zur semantischen Valenz bei den Grundmodalen und den epistemischen Modalen erweitert, welches die aktionsartsemantischen Erklärungen erst auf eine entscheidende generalisierende Stufe hebt und die Erklärqualität damit weiter vertieft und unabhängig begründet. Dieser Abschnitt mußte hier ausgelassen werden.

4 (1)

Semantik a Er will/muß/kann/soll/mag b Er durfte zuhause arbeiten c Er dürfte zuhause arbeiten

zuhause sein

... DMV, EMV ... DMV, *EMV ...*DMV, EMV

Wegen der formalen Unterscheidbarkeit lasse ich DMV/EMV-Oppositionen wie durfte/dürfte und mußte /müßte im Moment außer Betracht. Es geht mir ausschließlich um die MV-Homonymie und ihre kontextuelle Desambiguierung. Ebenso sei können ausgeklammert, welches schon in seiner modalen Grundbedeutung epistemisch ist. Hier ist demnach nichts zu unterscheiden. Auch sollen eignet sich für die EMV/DMV-Unterscheidung nicht so gut, da es in seiner deontischen Bedeutung weithin obsolet geworden ist. Die EMV in (1) unterliegen jedoch einer merkwürdigen kontextuellen Abhängigkeit: Ist das abhängige Vollverbprädikat terminativ (inchoativ), so ist die Fügung zugunsten von DMV desambiguiert; d.h. die EMV-Lesart ist ungrammatikalisch. Vgl. (2). (2)

a Sie will/muß/soll/kann/mag einschlafen/Arztin ...DMV,*EMV werden b Sie will/muß/soll/kann/mag schlafen/Arztin sein ...DMV, EMV

Ein guter Distributionssicherer ist weiters ein solches Adverbial, das eine epistemische Lesart ausklammert, also etwa sicher (-lieh), gewiß, offensichtlich u.a. Diese epistemische Lesart ist zudem immer auf die Präsens- oder Imperfektprädikation beschränkt: Posteriorität verbietet sich bei EMV (siehe weiter unten). Wir werden von diesen Lesartschibboleths in Hinkunft verschiedentlich Gebrauch machen. Für (2a,b) sei dies durch den Leser selbst verifiziert. Es ließe sich argumentieren, daß durch den Ausfall von EMV bei terminativen Prädikaten eine Lücke im Tempusparadigma entsteht. Und es ließe sich im Anschluß daran fragen, wie der Deutsche genau das zum Ausdruck bringen will, was mit (2a) nicht ausdrückbar ist? Welche Strategie steht ihm bei Wahrung größter Ökonomie zur Verfügung? Betrachten wir dazu die Verteilungen in (3), mit Posterioritätsreferenz eindeutig indiziert durch das absolute Zeitadverbial 1992. (3)

a Sie will/muß/mag 1992 einen Diamanten kriegen /Arztin werden b Sie will/muß/mag/soll 1992 einen Diamanten haben /Arztin sein

...DMV, *EMV ...DMV, EMV

(3b) füllt die EMV-Lücke, die eingebettete terminative Infinitive wie in (3a) entstehen lassen, im Deutschen nicht (im Gegensatz etwa zum Dänischen; so nach VlKNER (1988) im Anschluß an HANSEN (1972)). D.h. unter Zukunftsreferenz der MV stellt sich keine epistemische Lesart ein — sie geht soz. in der modalen Grundbedeutung auf. Wir werden diese Beschränkung weiter unten auch für andere Zeitreferenzen überprüfen. Hier bieten sich jedenfalls übereinzelsprachliche Vergleiche, auch unter den germanischen Sprachen an. (4) faßt die Verteilung zwischen EMV/DMV und Terminativität zusammen.

Werner Abraham: Syntaktische und semantische Korrelate (4)

DMV + +

EMV +

Terminativität +terminativ -terminativ

Dies erlaubt die Annahme, daß im Deutschen die modale Grundbedeutung als unmarkierte, die epistemische wegen ihrer Beschränkung (Spalte 2) als abgeleitete, markierte zu betrachten ist. Dies liefert freilich noch keine systematische Erklärung für die beobachtete generalisierbare Verteilung in (2) und (3). Betrachten wir nach diesem 1. empirischen Faktum noch eine andere Verteilung, die ebenso systematisch, allerdings nur in der Tempusperiphrase auftaucht. 1.2. PERIPHRASTISCHE TEMPUSBILDUNG UND DIE EMV/DMV-TRENNUNG Die Beispiele unten lassen den Schluß zu, daß die in der deutschen Tempusperiphrastik verwendeten Auxiliarverben zusammen mit den Hauptverbformen in ihrer semantischen und/oder syntaktischen Spezifik für den Ausschluß der epistemischen Lesart verantwortlich sind. Ich gehe hier nur auf das Perfekt bzw. das Plusquamperfekt ein; die Futurperiphrastik verhält sich im Sinne von (3) völlig parallel (mit werden als inchoativem Verb!). (5) a Er hat(te) viel Geld verdienen wollen/müssen/sollen... DMV, *EMV b Er wollte/mußte/sollte viel Geld verdienen ... DMV, EMV Man beachte, daß die Bildungsmöglichkeit mit sein nicht mehr besteht und zwar unabhängig davon, ob die Hauptverben sein oder haben im Perfekt selegieren. Dies zeigt (6a) im Unterschied zu (6b): ankommen und sterben sind ja sein-Verben; vgl. (6a). (6)

a Er ist/*hat angekommen/gestorben b Er *ist/hat ankommen wollen/müssen/sollen ...DMV, *EMV Diese Verteilung weist nach — falls daran fürs Deutsche Zweifel bestehen mußten —, daß Tempus und Aspekt mit haben auf das Modalverb projiziert werden und nicht auf das Hauptverb. Dies ist nicht unwichtig, da in anderen germanischen Sprachen die lineare Abfolge eine andere Schlußfolgerung zur Tempus- und Aspektprojektion zulassen könnte. Man vgl. die AUX/V-Konversen zum Deutschen im Ndl. (wie das Deutsche eine strenge SOV-Sprache) und im Dänischen (mit SVO, allerdings mit einer mittelfeldartigen Zone; vgl. ABRAHAM 1988b; das folg. dän. Beispiel ist von VlKNER 1988: 6). (7) a NDL. : Hij *is/heefl willen/moeten aankomen b D. : Er hat ankommen wollen/müssen c DÄN.: Han har villet tjene mange penge er hat gewollt verdienen viel Geld

... MV-V/?V-MV ...*MV-V/V-MV ... MV-V/*V-MV

Man beachte, daß zu dieser konversen Deutung des Tempus-Aspekt-Skopus im Dänischen wohl die lineare Abfolge wie im Ndl., nicht jedoch die Partizipialmorphologie beim MV (die im Dt. wie im Ndl. durch den Infinitiv ersetzt ist) führen

Semantik könnte. Gleichwohl ist die AUX-Wahl im Deutschen und im Ndl. über jeden Zweifel diejenige, die sich auf das MV bezieht. Zudem entsteht eine andere Lesart, sobald wir Tempus und Aspekt am Hauptverb statt am MV realisieren. Man vergleiche (5a),(6b) mit MV-Periphrastik sowie (8) mit Hauptverbperiphrastik. (8)

a Er will/soll/muß Geld verdient haben ...*DMV, EMV b Er will/soll/muß angekommen sein ... DMV, EMV (c Er will/soll/muß Geld verdienen ... DMV, EMV) Vgl. hierzu die Generalisierung in (4) oben. Die Lesarten in (8), also bei Tausch von AUX und M gegenüber (5a) und (6b) in der Rolle von Trägern der Tempusund Aspektperiphrastik bieten die konverse Semantik zu der in (6). Die Folgerung, die unsere Distributionsbeobachtungen in diesem Abschnitt zulassen, sind in (9) und (10) zusammengefaßt. Man beachte, daß (9) nur über die MV-Periphrastik Aufschluß erteilt, während (10) die Beschränkung für die Hauptverbperiphrastik zusammenfaßt. Die Aussage über den Präsensinfinitiv am terminativen Hauptverb (HV), nämlich Ausschluß von EM wiederholt nur, was schon in (4) steckt. (9)

(10)

MV EMV DMV

Prät + +

MV EMV EMV DMV DMV

Ofterm. + +

Perfekt/Plusquamperfekt . Präs. inf. 2. Paiiizip+haben/sein + + +

+ +

Es wird sich zeigen, daß hinter (9) größere Generalisierbarkeit insofern steckt, als auch das Futurum mit werden durch den Präsensausdruck übernommen wird. D.h. (9) ist eine Beschränkung ausdrückbar für das, was sowohl haben/sein+PP als auch werden+Inf. als gemeinsames Merkmal eignet. Inhärente Terminativät beim Einzelverb verhält sich also distributionstechnisch ebenso wie die Tempusperiphrase (PP+haben/sein/werden). Damit ist eine enge Affinität zwischen Aktionsart und der Tempusperiphrase im Deutschen festgestellt. Die Frage nach einer gemeinsamen Erklärung dieser gemeinsamen Faktenlage wird damit freilich umso drängender. Kommen wir nun zum dritten empirischen Faktum. 1.3. ABFOLGE. SKOPUS UND DM-/EM-LESART Die Beobachtungen dieses Abschnitts knüpfen unmittelbar an die des vorigen an, erschließen jedoch ein neues empirisches Faktum. Wir behalten hier ausschließlich die linearen Abfolgen der Verbelemente im Auge, die im Deutschen im Unterschied

Werner Abraham: Syntaktische und semantische Korrelate

7

zum Ndl. und Dänischen (vgl. (6) und (7)) oben die strukturellen Subjazenzbeziehungen spiegeln. Daraus lassen sich folgende Operatoreneinschränkungen ableiten. (11) a für EMV gilt die Operatorbeziehung MOD(TEMP (p)); b für DMV gilt TEMP(MOD (p)); Man vgl. dazu die folgenden bestätigenden Beispiele sowie die an der Lexik und den Beispielen dichter orientierten Generalisierungen in (3a,b).: (12) a Er soll/muß in A. gewohnt haben ...*DMV, EMV b Es soll/muß ein Fehler gewesen sein ...*DMV, EMV (13) a Er hat in A. wohnen sollen ... DMV, *EMV b Es hat ein Fehler sein können ... DMV, *EMV (12a,b) entspricht der Skopuszuordnung in (lla) oben und (14a) unten, (13a,b) jener in (lib) sowie der Operatorbeziehung in (14b). (14) a b

VERMUT(ANTERIOR(V)) sollget-t hab- wohnANTERIOR(OBLIG(V)) hab- (ge-t) soll wohn-

...*DMV, EMV ... DMV, *EMV

Diese direkt an den Lesarten von (lla,b) und (12a,b) abgelesenen Verallgemeinerungen sind freilich immer noch erklärungsbedürftig. 1.4. Soweit die drei empirischen Beobachtungen. Es gelten andere Einschränkungen neben solchen Generalisierungen. Sie beziehen sich jedoch auf einzelne Selektionseigenheiten. So ist wollen nie für solche Subjekte einsetzbar (egal ob als DM oder als EM), die nicht menschlich sind. Dies unterscheidet das Deutsche vom Englischen und Niederländischen und erst recht von den skandinavischen Sprachen. Hier hat das Deutsche offenbar unter dem Einfluß der Vollverbbedeutung von wollen einen Sonderstatus. Andere Eigenheiten, etwa der MV im Ndl. liegen im Selektionsbereich für Subjekte (dat kan/mag/moet "das kann/darf/muß"); auch dies berührt meine Fragestellung hier nicht. Streben wir nun eine Erklärung der drei empirischen Fakten an. Dazu versuchen wir, Einblick in die Ereignisstruktur der MV-Verbkomplexe zu gewinnen. 2. DMV/EMV und zeitreferentielle Eigenschaften

2.1. Im Anschluß an die deutschen Distributionsunterschiede in 1.3. oben können wir fragen, wie derartige modale Beschränkungen innerhalb der Systematik der Ereignisreferenz erklärbar sind. Ich setze folgende Erklärschritte an, die jeweils weiter auszuführen und empirisch zu belegen sind. Grundbeziehungen: (15) a Zeitreferenz ist eine Beziehung zwischen den Reichenbachschen Referenzpunkten S und E (vgl. (11)): TEMP = [S,E] für hab- gewohnt bzw. habsollen b Modusreferenz ist die Beziehung zwischen den Referenzpunkten R und E (vgl. (12)): MOD = [R,E] für soll- /gewohnt haben] Realisiert für die periphrastischen Perfektreferenzen in (8) und(ll) gilt folgende empirische Generalisierung ("-r" ... "korreliert mit"):

8

Semantik

(16) a EMV + (E) which is used to indicate the historical dominance in the dialectical interdependency between the "bodily" and the "verbal" deixis.

Deictic Communication *=>

Linguistic Deixis

Social formation

Fig. 1 First, the model indicates the dominance of the former over the latter; secondly, it refers to the fact that extra-textual means constrain the interpretation of the linguistic configurations (sometimes we may turn the verbal expression into even the "opposite" meaning by means of bodily gestures which then function as a sort of overruling logical operators). Now and then the governing and binding context doesn't allow any bodily modification of the verbal expression; as for instance, if you sign a juridical paper you are trapped even though you otherwise are signalling different meanings. This case, however, does not invalidate our

16

Semantik

general rule expressed in fig. 1; it illustrates that Macht und Herrschaft (and other social relations) determine the correct interpretation of a text. The model is an implication of a general formulation on the dialectical interdependency between context and text.

2. The interdependency of deixis, anaphora and lexis On the one hand linguistic (or textual) deixis is constrained by the general pragmatic "rules" of (deictic) communication; on the other hand verbal deixis constrains and is constrained by the syntactic and semantic "rules" governing anaphora and lexis. In FIG. 2 we illustrate the dialectical relationship.

,. „ . . f Anaphora (Syntax) / , (Pragmatics) Deixis < T . /„ .· \ v ö ' [Lexis (Semantics) Social formation Fig. 2

The theoretical discussion on the relationship between deixis, anaphora and lexis is classical. BOSCH(1983) and LYONS(1977) give a good account of the history with reference to e.g. DlONYSISUS THRAX, APPOLONIUS DYSKOLUS, BÜHLER, BLOOMFIELD and CHOMSKY. Although several aspects are involved in the two thousand years' old discussion, we consider the traditional problematics as primarily concerned with the following questions: a) How do words (especially pronouns) or texts refer? b) Which are the logics that are governing and binding the words (especially pronouns) or texts? c) How do words or texts substitute each other? and d) How do we classify words as EITHER deixis OR anaphora OR lexis? We think that the major difficulty for the tradition is intimately connected with the last formulation and its tendency to treat words or texts AS IF they were exclusively constituted by one and only one logic and relationship.

3. The interdependency between endophoric and exophoric reference DAVID CRYSTAL(1985: 17, 43, 109, 114 et passim) distinguishes between ANAPHORA where the words refer backward, and CATAPHORA where the words refer forward. The two categories are subsumed under the category ENDOPHORA, which is contrasted with the category EXOPHORA "where the words refer directly to the extralinguistic situation". In FIG. 3 we have elaborated CRYSTAL'S model.

17

Bang, D00r &: Perridon: Three Aspects of Deixis

Deictic Anaphoric Cataphoric Endophoric Exophoric Sociiil formation

Fig. 3 Using our dialectical arrow FlG. 4 indicates the relations between endophoric and exophoric, or as we prefer to call them, INTRA- and EXTRA-TEXTUAL. Έ1' and Έ2' symbolize two entities in the text, and as illustrated the entities as well as their (intratextual) relationship are constrained by the (extratextual) context.

Intratextual

ft

ft

Context

ft

ft

Extratextual

Social formation

Fig. 4 Our point is that whatever we say about an isolated word is interdependently conditioned by a text in a context. If we interpret and define a word as an anaphora, a lexis and/or a deixis, then we coordinate the word with or within a text, some cotexts and some contexts. In three different texts (and contexts) an "identical" configuration of sounds or letters might be used differently; thus in the first text the configuration might primarily be used as an anaphora, in the second as a lexis, and in the third as a deixis. The configuration in question only "lives" by drawing on all three of the sources. Or in other words, when we use a word or a text we always use a triple system of reference implying dimensions that sometimes are more implicit. Our notion of REFERENCE makes it possible to talk about a general triple system of reference for any linguistic configuration, a system which consists of three interdependent parts, each of which may be more or less dominating. In FlG. 5 we have illustrated the triple system.

Semantik

18

Dimension of reference

Dominating reference

Lexical

Inter-textual

Anaphoric

Intra-textual

cataphoric (forward) INtext anaphoric (backward) symphoric (simultaneous)

Extra-textual

C-prod /^/-v*Ti CONtexti. C-cornm ~ U-cons C-derived

Deictic

Reference to /-i/~^ Α social & ] [lexicon &: COtext . ,. . , . Μ individual J ^grammar

. 4

Persons Time Place Logics

Fig. 5 4. The interdependency between textual, cotextual and contextual reference

4.1. TEXTUAL REFERENCE As is wellknown from syntactic studies, the configurations of a text constrain and define each other. Using the terms ANAPHORIC, CATAPHORIC and SYMPHORIC we distinguish between three different orientations, i.e. backwards, forwards and simultaneous reference. Our term SYMPHORIC refers to the relationship between simultaneous configurations, cf. the phenomenon of prosody and simultaneous talk in conversations. As the relations between the configurations are dialectically determined, it is a matter of interpretation whether two words in a string (sentential or extrasentential, spoken or written) constitute an anaphoric rather than a cataphoric relation. Which relation is the dominating one is partly determined by the SOCIAL TOPOS of the communicators and the INTENTIONS of the interpretation. Language uses are intentional activities; text-production as well as textinterpretation are always guided and implied by the ends of the speaker/hearer or writer/reader which are contextual conditions. As language use implies intentions, context-free languages or language uses are ATOPIAS, i.e. logically and historically impossible constructs. Even though a grammarian might interpret all the features of a sentence or a text as mutually referring to each other, it does not imply that the most dominating reference of the features is the textual one. Even as a part of a very nice wellformed self-consistent sentence, a feature might be interpreted rather as a cue referring to other frames and extra-sentential or -textual matters if we want a more correct interpretation. Conversely, some words without no obvious mutual relations or reference may for a closer examination constitute a sentence. The fact that some

Bang, D00r & Perridon: Three Aspects ofDeixis

19

features constitute an explicitly more coherent and consistent system of intrasentential or -textual references does not imply that these references are actually more important than some external references. 4.2. COTEXTUAL REFERENCE

COTEXTUAL REFERENCE implies other texts. When using a word in a text we imply the uses of a similar configuration in other relevant texts, and when using specific forms and word-orders in a text we imply the uses of similar syntactic configurations in other relevant texts. Cotextual references may be more implicit or more explicit. Talking together in our everyday conversation we implicitly draw upon our more or less common social lexicon and grammar. Now and then conflicts may force us to express a clearcut explicit reference to a specific text, in for instance juridical, scientific or bilingual contexts. According to the view presented here, it depends upon the relevant context(s), which of the available cotexts dominates; and it is wellknown that some persons in some contexts have the power and means to effectively use cotextual reference in tactic and strategic manoeuvres. A text may include cues or keys, that in a specific context define which of the available cotexts count as relevant ones and which not. In some contexts, however, some authorized cotexts may OVERRULE any cotextual reference, so that whatever you say will be interpreted AS IF you made that cotextual reference. (Our distinction between SOCIAL and INDIVIDUAL lexicon and grammar expresses the semantic dialectics between SOCIAL SENSE and INDIVIDUAL MEANING. cf. BANG (1987).) The textual reference aspects (ana-, cata- and symphoric reference) are, of course, useful in accounting for the temporal relationships between the text and cotexts in question. It is often very important to know if a specific text is produced before or later than a specific cotext. Very often an author writes the preface after the main text; this is an instance of a general strategic arrangement of intertextual reference, i.e. to place a specific cotext in a prominent place and time in order to determine some interpretations of a specific text. Does an authorized dictionary refer mostly ana- or cataphorically to the language it describes? The socalled 'pure' linguist might answer, that the dictionary is based upon up-to-date-data, and hence is anaphoric. The teacher of the language in question might teach the pupils to produce their texts in accordance with the standard, i.e. to use the dictionary cataphorically. From our dialectical point of view any dictionary and any grammar refer both ana- and cataphorically to the object language, and are themselves symphoric parts of it.

4.3. CONTEXTUAL REFERENCE CONTEXTUAL REFERENCE is the basis of the other modes of reference. In a way intra-textual as well as inter-textual reference could be seen as some denned subclasses of contextual reference, i.e. references to specific parts of the context,

20

Semantik

resp. a TEXT and a SET OF TEXTS. Contextual reference could then be defined as all references other than the intra- and inter-textual ones. However, to make a more material definition of contextual reference we have treated the constituents of verbal communication. Thus the terms represented in FlG. 5 result from such an analysis. We distinguish between three constituting contexts of a text: C-PROD = the context of the production and the producer(s), C-COMM = the context of the communication and the communicator(s) and C-CONS = the context of the consumption and the consumer(s). When we interpret a text, or some features of a text, it is often important to know and to define which of the three contexts we are considering, and why. The distinctions are needed when we are interpreting mass media texts and their very complex conditions for production, communication and consumption. (In the figure we have added a fourth category, C-DERIVED, referring to some derived sorts of contexts.) When we are talking about DEIXIS it is obvious that definitions and identifications of the actual and relevant contexts are needed. Let us consider Crystal's definition, deixis (deictic) A term used in LINGUISTIC theory to subsume those features of LANGUAGE with refer directly to the personal, temporal or locational characteristics of the SITUATION within which an UTTERANCE takes place, whose MEANING is thus relative to that situation; e.g. now/then, here/there, I/you, this/that are deictics ('deitic' or EXOPHORIC words). [...] (CRYSTAL 1985: 86)

What is THE situation within which an utterance takes place? Does a now refer to the time when the author produces the first manuscript, to the time when the editor sends the desk-top-disk to the printer, to the time when the publisher publishes the book, to the time when the last reader reads the book? Similar problems are implied in relation to any of our FOUR CORE CATEGORIES OF DEIXIS, i.e. PERSON, TIME, PLACE and LOGICS. We have to identify and define the relevant contexts for the explicit and implicit PERSONAL DEIXIS. Who is the first person pronoun / referring to and defining? Which are the textual cues that define, and refer to, the actual speaker, the actual author, the actual communicator? Who is the second person pronoun You referring to and defining, and which are the cues that define, and refer to, the actual hearer, the observer, the audience, the judge, the consumer? Is the third person pronoun she mostly defined and referred to from THE POINT OF VIEW of the first or the second person? (We do not agree with the thesis (formulated by e.g. John Lyons), that it is always the first person that determines the point of view. We think that it depends upon the actual social and personal relations between and among the participants in the communication in question, the actual conjuncture of Macht und Herrschaft.) TIME- and PLACE-DEIXIS imply similar considerations, and thus it is not always simple to define and identify 'THE spatio-temporal zero-point'. Our fourth deixis

Bang, D00T & Perridon: Three Aspects of Deixis

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category, LOGICS, refers to the explicit and implicit logics constituted by the text (cf. LOGICAL INDICATORS), and constituting the context (cf. the different rules, laws, senses, etc. that to different degrees are assumed and accepted by different individuals, and that more or less govern and bind our interpretations).

5. To open a text The four deictic aspects are mutually interdependent and are interdependently related with the lexical and the anaphoric aspects. We have experienced that a fruitful way "to open a text" is to investigate the deixis of the text in three aspects, the lexical, the anaphoric and the deictic aspect. That means that we re-examine the text and its constituents along three lines of questions (vide FlG. 5): a) Which are the deictic words of the text (such as /, you, she, now, here, therefore, the, that) and which lexica and other cotexts do they mostly or partly refer to? b) How are the deictic words and cues related to each other? c) Who and what are the actual constitutive contexts for and of the text? The priority of the three steps depends upon THE CONTEXT OF THE INVESTIGATION, which again is implied in any interpretation. Step a and step b represent the more HERMENEUTIC aspect of interpretation, step c the more ONTOLOGICAL one. Nevertheless all three aspects imply ontological matters and hermeneutical interpretation. A word, a text and a dictionary are members of the ontological reality as well as a speaker and a hearer are. But it is only speakers and hearers that can make interpretations. Concluding remarks When we analyze text-internal relations we imply knowledge of text-external matters and categories; and we imply knowledge of text-internal matters and categories when we analyze text-external relations. The reason for this is that text-internal and text-external matters are dialectically determined. Note In our lecture at the symposium we exemplified several points by referring to an analysis of a text, viz. "Preface" from LUDWIG WITTGENSTEIN, Philosophical Investigations. The text analysis is excluded here for reasons of saving space, but will be published in BANG &; D00R, Sprogteori IV, Odense Universitet.

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Semantik

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Bemerkungen zum deutschen und niederländischen Futur Abraham P. ten Gate Rijksuniversiteit Groningen

0. Einleitung

Die Diskussion um das Futur, insbesondere um die Form 'werden + Inf, wird sehr stark dominiert durch die Modalitätsfrage. BOGNER (1989: 58f) faßt die in dieser Angelegenheit vertretenen Ansichten zu drei Standpunkten zusammen, nl.: (1.) das sog. Futur I, werden + Infinitiv (Inf), hat primär temporale Funktion; (2.) Die Konstruktion hat sowohl temporale wie auch modale 'Bedeutung'; (3.) Die Konstruktion hat nur modale Bedeutung. Der erste und der dritte Standpunkt sind durch ihre Rigorosität provozierend und dadurch für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung besonders attraktiv, der zweite Standpunkt ist vorsichtig und auch etwas vage. Jeder Standpunkt hat sich mit Äußerungen wie (la) und (Ib) auseinanderzusetzen, in denen werden + Inf nicht ein zukünftiges, sondern ein zur Sprechzeit vorliegendes Ereignis betrifft: (la) (Ib)

Jan wird (schon) zu Hause sein. Jan ist zu Hause.

Anders als (Ib) haben Sätze wie (la) neben der temporalen Funktion (Gegenwartsbezug) immer auch eine modale Funktion, die sich als 'Vermutung' charakterisieren läßt. Diese modale Funktion ist mit werden + Inf fest verbunden, wenn die Konstruktion Präsensfunktion hat (vgl. DlELING 1982: 326). In einem Satz wie (Ic) ist die gleiche modale Funktion ('Vermutung') nicht auszuschließen, sie würde aber, wenn diese Lesart beabsichtigt wird, besser explizit zum Ausdruck gebracht. Das trifft auch zu für den Präsensgebrauch in diesem Satz, vgl. (Id): (Ic) (Id)

Jan wird zu Hause sein, wenn du morgen nach Bremen kommst. Jan ist zu Hause, wenn du morgen nach Bremen kommst.

Die Gründe für die 'Modalitätsanfälligkeit' von Futurausdrücken, bzw. die 'Modalverbhaftigkeit' (siehe BAUSEWEIN 1990, in diesem Band) von werden liegen in der Natur der Sache, also in der Eigenart des Futurs. So ist nach FABRICIUSHANSEN (1986: 140) "... gerade die Unentschiedenheit des Ereignisverlaufs das Kennzeichen der Zukunft gegenüber der Vergangenheit". Dem Futur wird in gleichem Sinne auch das Merkmal 'hypothetisch', mit dem das 'Mögliche' vom 'Faktischen' abgegrenzt werden soll, zugesprochen (Siehe MARSCHALL 1987: 124). Für die semantische Interpretation von Aussagen über zukünftige Ereignisse ist aber vor allem von ausschlaggebendem Belang, daß den in diesen Aussagen enthaltenen Propositionen kein Wahrheitswert zugeordnet werden kann: genauer gesagt, die Zuordnung eines Wahrheitswertes muß offen bleiben, bis sich das vorhergesagte Ereignis wohl oder nicht einstellt. COMRIE (1985: 44f) weist hier auf

24

Semantik

einen Unterschied gegenüber modalen Hilfsverbkonstruktionen hin, denn die von einem. Satz wie (2a) enthaltene Proposition kann sich als wahr oder falsch erweisen, während sich (2b) einer Wahrheitswertzuordnung entzieht. (2a)

Morgen wird es regnen.

(2b)

Morgen kann es regnen.

Die Problematik der Wahrheits- und Verwendbarkeitsbedingungen, die für das Futurtempus konstituierend ist, wird von FABRICIUS-HANSEN (1986: 135ff) erschöpfend behandelt. Sie stellt fest, daß die Wahrheitswertzuordnung für all diejenigen indikativischen Sachverhaltsbeschreibungen offen bleibt ("objektiv unentscheidbar" ist), die ein nach dem Sprechzeitpunkt is liegendes Ereignis betreffen oder aber auch solche Ereignisse, die zu ts noch nicht abgeschlossen sind. Bei der Auffassung, daß werden im Futur I nicht als temporales sondern primär als modales Hilfsverb zu betrachten ist, erübrigt sich die Frage nach der Zuordnung von Wahrheitswerten: (2a) und (2b) erhalten dann eine identische Interpretation. Mein Standpunkt ist, daß die werden + Inf-Konstruktion gewöhnlich eine temporale Funktion hat (sie unterscheidet sich demnach nicht von anderen Verbalgruppen mit einem finiten Verb), ja, daß das Futur, das aber mit werden + Inf nicht zusammenfällt, im temporalen System einen notwendigen Platz einnimmt. Mit werden + Inf verbinden sich aber auch leicht modale Funktionen,1 dies ist bei dieser Konstruktion sogar eher der Fall als bei anderen einfachen und zusammengesetzten Tempusformen: Bei der Verwendung von werden + Inf mit Gegenwartsbezug ist Modalität anscheinend sogar regelmäßig vorhanden. Modale Aspekte lassen sich zudem nicht nur mit werden + Inf, sondern auch mit der Präsensform verbinden. Sowohl (3a) wie (3b) haben neben einer temporalen Futurfunktion eine modale Funktion, die sich als Versprechen oder als die Erklärung einer festen Absicht charakterisieren läßt: (3a)

Ich werde es nie wieder tun.

(3b)

Ich tu es nie wieder.

Andererseits ist nicht einzusehen, weshalb Konstruktionen mit modalen Hilfsverben wie sollen und wollen nicht zusätzlich, in manchen Fällen vielleicht sogar überwiegend, eine temporale Funktion haben können.2 Bekannte Floskeln wie (4ab) und oder ein Satz wie (5) sind nicht unbedingt modal zu interpretieren.

1

(4a)

Auf diese Problematik will ich in Kapitel 3 eingehen.

(4b)

Dieses Thema soll weiter unten behandelt werden.

(5)

In der neuen Halle sollen ab 1995 monatlich 12 Flugzeuge montiert werden.

Vgl. auch HEIDOLPH ET AL. (1981: 510): "Auf Grund ihrer modalen Bedeutungskomponente sind [Futur I und Futur II] mit den Modalverbfügungen zu vergleichen ... , ohne daß sie deren relative semantische Eindeutigkeit aufweisen; dafür ist ihre temporale Komponente stärker ausgeprägt". 2 Vgl. auch GLAS (1984: 99ff). Nach GLAS gibt es aber immer einen stilistischen Unterschied zwischen Futurumschreibungen mit sollen und werden.

Abraham P. ten Cate: Zum deutschen und niederländischen Futur

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1. Beim Futur ist edles anders: die Tempussystematik 1.1 Das Futur nimmt, im Vergleich mit anderen Tempora, im Tempussystem eine besondere Position ein: während nämlich bei den Tempusformen in der Regel von verschiedenen Tempusfunktionen die Rede ist, ist es beim Futur fraglich, ob sich die temporale Funktion mit einer bestimmten Tempusform verbinden läßt. Die deutsche Perfektform z.B. erfüllt mehrere Funktionen. Zwei davon lassen sich durch die Begriffe 'präsentisches' (PERFpÄ/^5) und 'präteritales' Perfekt (PERFPÄ^T) kennzeichnen, aber nur das präsentische Perfekt, die 'eigentliche' Perfektfunktion, fällt mit der Perfektform zusammen: das präteritale Perfekt konkurriert mit der Präteritalform (vgl. TEN GATE 1989). Eine ähnliche Situation liegt beim Präsens vor: die Präsensform erfüllt eine Vielzahl von temporalen Funktionen, aber es gibt eine semantische Funktion Präsens, die (abgesehen von Präsensfunktionen von Präteritum und Futur I, die unter besonderen Bedingungen möglich sind) nur von der Präsensform getragen wird. Die Funktionen Präteritum und Plusquamperfekt haben nahezu eine 1:1 Relation zu den gleichnamigen Tempusformen: es gibt allenfalls besondere, marginale Funktionen, etwa in der Kindersprache und im historischen Präsens, die eine abweichende Interpretation verlangen. Bei der Funktion Futur, die mit dem Zeitschema (6) verknüpft ist (es gibt auch andere Futurfunktionen), ist in erster Linie an die Form werden + Inf zu denken (7a), die allerdings auch Präsensfunktion haben kann, aber schon aus (7b) geht hervor, daß das Präsens die Futurfunktion genauso gut erfüllt. Das Präsens ist schon rein quantitativ (vgl. etwa BRONS-ALBERT 1982) die eigentliche Form des Futurs: ein Standpunkt, der auch sprachhistorisch unterbaut werden kann: Neben der ursprünglich zum Ausdrücken des Futurs allein verfügbaren Präsensform kommen analytische Futurformen mit sollen, wollen und müssen nämlich erst seit Anfang der mittelhochdeutschen Periode vor, die Form werden + Inf, die die mittelhochdeutschen Formen allmählich verdrängt hat, ist sogar erst seit der frühneuhochdeutschen Periode belegt (vgl. BOGNER 1989). (6)

Peter wird (morgen) kommen.

t rs (7a) (7b)

te

Ich werde in Bremen einen Vortrag halten. Ich halte in Bremen einen Vortrag.

Wir haben also im Deutschen nebeneinander eine synthetische (Präsens) und eine analytische (werden + Inf) Form für die Futurfunktion. Außerhalb des Kontextes ist die Futurfunktion des Präsens natürlich nicht direkt einsichtig: so kann (7b) potentiell sowohl ein gegenwärtiges wie ein zukünftiges Ereignis beschreiben. Die Futurinterpretation wird durch die Beziehung zwischen ts und dem Kontext von ts, bzw. durch die Beziehung zwischen ts und einem anderen, etwa von einem Temporaladverb bezeichneten Zeitpunkt, ausgelöst; vgl. (7c). Übrigens ist auch werden + Inf ohne Kontext nicht immer interpretierbar, denn die Konstruktion kann ja auch Gegenwartsbezug haben. (7c)

Ich halte morgen in Bremen einen Vortrag.

26

Semantj'Jc

Das Eigenartige des Futurs ist also, daß sich hier eher die Frage nach der 'Bezeichnung von Zukünftigem' (vgl. BRONS-ALBERT (1982) und WEKKER (1976)) durch verschiedene verbale Formen stellt, als daß sich die Funktion mit einer bestimmten Verbform verbinden ließe. Wie schon festgestellt wurde, wird das Futur sogar vorzugsweise nicht mit der gleichnamigen Form zum Ausdruck gebracht.3 1.2 Ein Vergleich des deutschen Tempussystems mit Systemen anderer Sprachen wirkt außerordentlich relativierend. Dies betrifft einerseits Sprachen außerhalb des engeren indogermanischen Verwandtschaftsbereichs, wie das Türkische und das Suaheli, beides agglutinierende Sprachen, die ein Futurparadigma kennen, und das (biblische) Hebräische, das ein aspektual gegliedertes Verbparadigma hat, in dem das Tempus, und also auch das Futur, aus dem Kontext erschlossen oder aber als Funktion einer Aspektklasse interpretiert wird. Andererseits gibt es aber auch Kontraste zu enger mit dem Deutschen verwandten Sprachen wie dem Russischen, in dem der Aspekt gerade im Bereich des Futurs in die Tempuskategorie hineinwirkt; und dem Französischen, in dem es für die Futurfunktion neben einer synthetischen Form (H mourira) eine analytische ( mourir) gibt; die beiden Formen haben deutlich zu unterscheidende Funktionen, auf die ich gleich im Zusammenhang mit dem niederländischen Futurparadigma zurückkomme. Obwohl modaler Gebrauch der synthetischen Verbformen im Französischen nicht völlig ausgeschlossen ist, werden für den Ausdruck von Modalität gewöhnlich modale Zur Tempussystematik gehört auch noch Folgendes: Der Funktionsbegriff Futur ist immer dann anwendbar, wenn die Proposition ein nach ts und / oder dem Betrachtzeitpunkt, bzw. dem Betrachtzeitintervall tß vorkommendes Ereignis betrifft. Die bisher genannten Beispiele betrafen alle nach ts liegende Ereignisse (Schema 6), aber das Futur umfaßt natürlich mehr, nämlich, beim Futurgebrauch des Futur II (Futurum exactum), auch solche Ereignisse, die zwar nach ts aber vor t/? liegen (8, 8a); in diesen Fällen ist auch das Perfektum möglich (8b): (8)

(8a) (8b)

1

1

1

>

Der Brief wird ihn morgen abend erreicht haben. Der Brief hat ihn morgen abend erreicht.

Wenn das beschriebene Ereignis ganz oder teilweise mit ts zusammenfällt oder vor ts (und nach t/j) liegt, gibt es immer eine modale Funktion wie 'Vermutung' (8c-d): in dieser Hinsicht unterscheidet sich Futur II somit nicht von Futur I. Auch in der Ersetzbarkeit durch das Perfekt gibt es eine Parallele zum Futur I, für das das Präsens eintreten kann. (8c) (8d)

Der Brief wird ihn jetzt erreicht haben. Der Brief wird ihn gestern erreicht haben.

Auf das Futur II werde ich hier nicht mehr eingehen, da die Eigenschaften dieser Tempusform sich von denen des Futur I nicht prinzipiell unterscheiden. Auch die Verwendung von Futurformen im Zusammenhang mit dem historischen Präsens (wo die Futurformen nicht durch Präsens- oder Perfektformen ersetzt werden können) und das Futurum exactum praeteriti sollen uns hier nicht beschäftigen.

Abraham P. ten Gate: Zum deutschen und niederländischen Futur Elemente eingesetzt (H doit etre

maison statt

27

sera a la maison).

Bei aller Verschiedenheit der temporalen Systeme können hier übereinstimmend GABBAY/ROHRER (1979: 15) zitiert werden: "... all natural languages have the same expressive power no matter what their grammatical tense system is". Demnach steht fest, daß die Tatsache, daß das Deutsche und das Niederländische keine besondere synthetische Form für das Futur haben, unter diesem Gesichtspunkt vollkommen irrelevant ist: die temporalen Systeme von Sprachen mit und ohne eigene Futurformen unterscheiden sich grundsätzlich nicht. 2. Deutsch werden, niederländisch zullen / gaan Interessant ist ein Vergleich des deutschen und des niederländischen Futurs, nicht zuletzt wegen der ins Auge springenden Gemeinsamkeiten. Auch im Niederländischen übernimmt das Präsens normalerweise die Futurfunktion, während sich die Übersetzungsäquivalente von werden + Inf, nämlich zullen + Inf, in nichts von der deutschen Konstruktion unterscheidet. Auch zullen + Inf hat bei Gegenwartsbezug nur modale Funktion (8) und auch zullen + Inf hat ein defektives Paradigma: bei temporalem Gebrauch ist der Infinitiv ausgeschlossen (9a) und die Präteritalformen haben keine temporale Funktion (9b). (8) (9a) (9b)

Jan zal (wel) thuis zijn. Jan wird (schon) zu Hause sein. *Peter wil zullen vioolspelen. Peter will werden Geige spielen. Peter zou vioolspelen. Peter würde (wollte) Geige spielen.

Soweit die Gemeinsamkeiten. Interessanterweise kommt neben zullen + Inf eine zweite Konstruktion vor, nämlich gaan + Inf, die in vielen Fällen mit zullen + Inf konkurriert, da sich nämlich zullen + Inf oft ohne deutliche Bedeutungsveränderung durch die gaan + Inf-Konstruktion ersetzen läßt, die aber in manchen Fällen auch komplementär zu zullen + Inf ist. Gaan + Inf ist im Niederländischen 'normaler', üblicher als die Konstruktion mit zullen. Die Konstruktion kommt, soviel ich weiß, in den germanischen Sprachen sonst nicht vor: die friesische gean + Inf + te- Konstruktion ist nicht die Übersetzungsäquivalente von gaan + Inf; im Niederdeutschen gibt es hier und da gehen + und + Inf-Konstruktionen, die eher enumerativ sind und somit auch nicht direkt mit gaan + Inf verglichen werden können. Mir scheint, daß gaan + Inf mit der französischen aller + Inf- Konstruktion weitgehend vergleichbar ist. Die Funktionsbeschreibung des französischen aller + Inf bei GREVISSE (1986: 1230) deckt sich fast nahtlos mit derjenigen der

ANS (GEERTS ET AL. 1984): Aller "... marque souvent un futur proche, parfois aussi un futur relativement lointain mais considere comme ineluctable ..." (GREVISSE 1986: 1230). Häufig kann statt des Futurs oder des Präsens auch gaan + Inf gebraucht werden. Gaan bringt oft inchoativen Aspekt zum Ausdruck. Auch bezeichnet es zukünftige

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SemantiJc Vorgänge, die in der Gegenwart 'wurzeln': Futur und Präsens bezeichnen eher die 'reine' Zukunft (GEERTS ET AL. 1984: 474ff).4

Im Unterschied zu zullen kommt das temporale Hilfsverb gaan nicht vor in Verbindung mit hebben ('haben') und zijn ('sein') (vgl. 10), mit modalen Hilfsverben (11) (solche Kombinationen sind allenfalls regional möglich), und mit dem Vollverb gaan sowie Ableitungen und Zusammensetzungen mit gaan (12). (10)

Maria zal / *gaat geluk hebben / gelukkig zijn. Maria wird / geht Glück haben / glücklich sein.

(11)

Karel zal / *gaat willen speien. Karel wird / geht wollen spielen.

(12)

In het jaar 2000 zal / *gaat de wereld vergaan. Im Jahre 2000 wird / geht die Welt untergehen.

Gaan + Inf schließt modale Funktionen nicht aus, sie sind aber sekundär hinsichtlich der temporalen Funktion: gaan kann zullen deshalb nicht ersetzen in Verbindungen, in denen zullen + Inf Präsensbezug hat und somit sowohl temporal wie modal interpretiert werden soll: (13b) hat Futurinterpretation,5 (13a) kann auch Gegenwartsbezug haben. (13a)

Paul zal in de badkuip zitten. Paul wird in der Badewanne sitzen.

(13b)

Paul gaat in de badkuip zitten.

Paul geht in der Badewanne sitzen. Wenn ein zukünftiger Sachverhalt durch die jetzige Situation bedingt wird, ist gaan nicht oder nicht gut durch zullen ersetzbar. GEERTS ET AL. (1984: 474) sprechen hier auch von einem Vorgang, der die Folge einer vor oder zu t$ gefaßten Entscheidung ist: es gibt hier deutliche Übereinstimmungen mit GREVISSES Begriff 'ineluctable'; vgl. 14-15: (14) (15)

Jan en Marie gaan (*zullen) morgen trouwen / verhuizen. Jan und Marie gehen (werden) morgen heiraten / umziehen. Morgen gaat (*zal) het regenen. Morgen geht (wird) es regnen.

Anders als zullen kommt gaan als verbales Komplement von modalen Verben vor (16ab): (16a) *Paul wil Duits zullen leren. Paul will Deutsch werden lernen. 4

Zusammenstellung der Zitate und Übersetzung von mir, tC. Satz (13b) ist zweideutig. In der einen Lesart hat (13b) die Bedeutung von (13a), in der anderen, bevorzugten Lesart würde die Übersetzung lauten: 'Paul setzt sich in die Badewanne': gaan zitten ist dann ein komplexes Bewegungsverb. Hier wird die erste Lesart intendiert. 5

Abraham P. ten Gate: Zum deutschen und niederländischen Futur (16b)

29

Paul wil Duits gaan leren. Paul will Deutsch gehen lernen.

Verbindungen von gaan und zullen sind kaum akzeptabel. Am ehesten ist noch gaan als Komplement von zullen vorstellbar, da gaan dann eine besondere Nuance (z.B. Inchoativität) vermittelt oder als Bewegungsverb verstanden wird; vgl (17ab): (17a)

?Klaas zal morgen om 8 uur gaan vertrekken. Klaas wird morgen um 8 Uhr gehen abreisen.

(17b) ??Klaas gaat morgen om 8 uur zullen vertrekken. Klaas geht morgen um 8 Uhr werden abreisen.

In vielen Fällen ist kein deutlicher Unterschied zwischen gaan und zullen einerseits und dem Präsens andererseits feststellbar; die Form mit gaan ist dann im mündlichen Sprachgebrauch zu erwarten, im schriftlichen Sprachgebrauch aber keineswegs ausgeschlossen: vgl. (18): (18a)

Ik houd in Bremen een lezing.

(18b)

Ik zal in Bremen een lezing houden.

(18c)

Ik ga in Bremen een lezing houden. Ich halte in Bremen einen Vortrag (/werde/gehe ... halten).

gaan kann auch in Kontexten erscheinen, die eine modale Lesart suggerieren, z.B. im Befehl (19): (19)

Je zult / gaat die Brief schrijven / Je schrijft die brief!. Du wirst / gehst jenen Brief schreiben / Du schreibst jenen Brief!.

Zusammenfassend lassen sich die Unterschiede zwischen zullen und gaan so charakterisieren: mit zullen wird zum Ausdruck gebracht, daß ein Vorgang sich in der Zukunft abspielen wird. Da der Zukunftsbezug vorzugsweise mit dem Präsens geleistet wird, is zullen vor allem dann einsetzbar, wenn die Futurinterpretation nur von der verbalen Form abhängig ist. Ist auf Grund des Kontextes der Zukunftsbezug abzuleiten (dies ist fast immer der Fall), so mutet die Verwendung von zullen sehr nachdrücklich, fast pleonastisch an oder aber, der Ausdruck mit zullen soll, neben dem Zeitbezug, eine modale Lesart vermitteln. Äußerungen mit gaan + Inf konkurrieren mit zullen + Inf, aber solche Äußerungen werden, wenn der Kontext dies zuläßt, inchoativ interpretiert, sie bezeichnen eine unmittelbar bevorstehende Zukunft oder einen Vorgang, der einen besonderen Bezug zur is- Gegenwart hat. In der relativen Positionierung der Referenzpunkte (oder -Intervalle) tg, tß (der Betrachtzeitpunkt) und t# (der Aktzeitpunkt, bzw. das Aktzeitintervall) schlägt sich dieser Unterschied aber nicht nieder: der Unterschied ist mithin deiktisch nicht erfaßbar. (20a)

De trein vertrekt. Der Zug fährt ab.

30 (20b) (20c)

Semantik De trein Der Zug De trein Der Zug

zal vertrekken. wird abfahren. gaat vertrekken. geht abfahren.

Satz (20b) ist, mit nicht-modalem Zukunftsbezug, nicht unmöglich, macht aber einen komischen Eindruck; man sucht sofort eine modale Lesart: wird eine Zeitbestimmung hinzugefügt, ist eine modale Lesart immer noch möglich, sie ist aber nicht unverzichtbar. (20a) hat, ohne Kontextelemente, die eine Futurlesart erzwingen, Gegenwartsbezug. Durch (20c) wird zum Ausdruck gebracht, daß der Vorgang bevorsteht und unabwendbar ist; reiner Zukunftsbezug kann durch eine Adverbialbestimmung ausgelöst werden.6 3. Schluß (a) Das Deutsche hat kein Futur, die deiktisch-temporale Kategorie Futur wird durch die Verbformen Präsens, Futur I sowie (aber marginal) durch Modalverbverbindungen mit sollen und wollen zum Ausdruck gebracht. (b) Das Präsens ist die gebräuchlichste Formkategorie für die Realisierung des Futurs. Bei Gebrauch des Präsens sind modale Lesarten nicht ausgeschlossen. Gewöhnlich wird der Zukunftsbezug durch den Kontext (im weitesten Sinne) ausgelöst. (c) Futur I ist dann adäquat, wenn der Zukunftsbezug nicht aus dem Kontext erschlossen werden kann. Da dies fast nie der Fall ist, ist Futur I eine im Vergleich zum futurischen Präsens seltene Form, die nachdrücklich, fast pleonastisch wirkt. Ohne Kontexteinbettung könnte beim Futur I auch Gegenwartsbezug vorliegen. Eine natürlichere Lesart beim Futur I entsteht dann, wenn neben dem Zeitbezug eine modale Komponente angenommen wird. Dies ist die bevorzugte Lesart von werden + Inf, aber die nichtmodale, rein temporale Funktion ist nicht ausgeschlossen. (d) Für das Niederländische ist, durch das Vorkommen der gaan + Inf- neben der zullen + Inf-Konstruktion, eine kompliziertere Futurkategorie festzustellen. Bei der Unterscheidung der beiden Formen spielen Eigenschaften wie "Inchoativität" und "Gegenwartsbezug", vielleicht auch zeitliche Nähe zu t s ("Proximität", vgl 6

Es wäre in gewissem Sinne ästhetisch befriedigend, wenn der Unterschied zwischen Perfekt und Präteritum (nämlich, vereinfachend gesagt, Gegenwartsbezug für jene, 'reine' Vergangenheit für diese Kategorie), auch bei den Bezeichnungsmöglichkeiten zukünftiger Ereignisse auftauchen würde. Im Niederländischen klingt dieser Unterschied an, in soweit als gaan + Inf in bestimmten Kontexten durch den Gegenwartsbezug mit dem Perfekt, zullen -f Inf und das Präsens durch den fehlenden Gegenwartsbezug mit dem Präteritum vergleichbar sind. Die Unterschiede sind aber zu gering, zu wenig allgemein und vor allem zu wenig erforscht, um hierüber definitive Aussagen zu machen. Wenn (6) eine korrekte Wiedergabe der deiktischen Verankerung von Propositionen mit Zukunftsbezug ist, dann ist das Futur nicht das Spiegelbild des Vergangenheitstempus, nämlich des Präteritums, sondern des präsentischen Perfekts.

Abraham P. ten Gate: Zum deutschen und niederländischen Ritur

31

COMRIE 1985:83ff), eine Rolle. Da die beiden Formen aber auch konkurrieren, sind Generalisierungen hier mit der nötigen Vorsicht vorzunehmen. Die Konstruktion gaan + Inf kann, anders als zullen + Inf, nicht mit Gegenwartsbezug und dominierend modaler Lesart vorkommen.

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/ DON'T KNOW THAT p

Deniability And The Iran-Contra Scandal Klaus-Dieter Gottschalk Universität Tübingen

Presuppositions have been treated as semantic and pragmatic phenomena. When uttered in a positive sentence, presuppositions correspond to entailments. In a negative sentence, presuppositions can be cancelled explicitly and without contradiction; they depend on their context and on the situation of utterance. If semantics deals with the meaning of sentences and pragmatics with the meaning of utterances, then the entailments corresponding to the presuppositions uttered in positive sentences are semantic, while the presuppositions as such are a legitimate study of pragmatics. I want to illustrate that linguistic phenomena are worth studying in a broad sociopolitical context. For this purpose I have chosen quotations of / don't know that p from the Los Angeles Times reports on the Iran-Contra affair. The LA Times must have had somebody on their staff who enjoyed debunking officials by apt quotations. 1.0 Conventionally, utterances of the type / don't know that p do not convey any presupposition that p is held to be true. They are idiomatic expressions and do not mean the same as their literal paraphrase I'm not aware that p, which would sound contradictory. They rather mean I'm inclined to doubt that p (cf. LYONS 1977: 599). However, within a general atmosphere of political scepticism the LA Times managed stylistically to raise the very presupposition that p was the case — or at least the suspicion that p might be true. 2.0 The truth of (1)

The king of France is bald

is said to depend semantically on the truth of its presupposition (2)

There is a king of France.

The facts of the world and, therefore, the situation of utterance are allowed to have an impact on the truth of sentence (1). It is synthetically true if it has reference as in (2). While analytic truths are self-evident and entirely a matter of sentence semantics, the truth of (1) is also a pragmatic matter if it depends on reference at the time of utterance (cf. LEVINSON 1983: 204). 2.1 For the sake of argument I take BURTON-ROBERTS' (1989) revised theory of semantic presupposition for granted. His theory is based on a two-valued logic with truth value gaps. He accepts only one negation. Therefore the negated sentence not-S does not negate the presuppositions of S: "not-S is merely not expressive

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Semantik

of presupposition failure in S" (B-R 248). Accordingly, presupposition (2) is not negated in (3)

The king of France is not bald.

The speaker is still committed to (2). The same presupposition also holds for both (4)

Fred has stopped smoking

and

(5)

Fred has not stopped smoking.

However, if the presupposition (6)

Fred smoked

is false, no truth value is assigned to (4, 5). Both are neither true nor false. 2.2 The distinction between asserting and presupposing (2, 6) is in pretheoretical terms "that to ASSERT p is to be committed to p while COUNTENANCING the possibility that p might be false, but to PRESUPPOSE p is to be committed to p while NOT COUNTENANCING the possibility that p might be false" (B-R 177). Hence the ungrammatically of (7) vs. (8): (7)

*The king of France is bald, isn't there?

(8)

There is a king of France, isn't there?

It is impossible simultaneously (by means of one and the same sentence) both to assert and presuppose (2) (cf. B-R 80). One of the results of the theory is this: The explicit assertion of (2) entails the very proposition in (2); if the entailment is false, the assertion is false. On the other hand, the implicit presupposition of (2) may be false, and yet the falsity of the presupposition does not render the presupposing sentence (1) false. In that case, (1) is neither true nor false, i.e. it has no truth value unless there are grounds for its non-truth other than the falsity of its presupposition (B-R 206). 2.3 Similarly, the speaker of (9)

Fred knows that Warsaw is in Poland

is committed to the presupposition (10)

Warsaw is in Poland.

The speaker subscribes to the truth of (10) together with Fred, and to the truth of (9). Sentence (9) is logically true as long as its presupposition (10) is true. In (11)

Fred does not know that Warsaw is in Poland

the speaker is also committed to the truth of presupposition (10) and of his assertion (11). However, there is a pragmatic problem involved in (12)

Fred knows that Warsaw is in France

since the speaker seems to commit himself to the truth of

Klaus-Dieter Gottschalk: Deniability and the Iran-Contra Scandal (13)

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Warsaw is in France

by not correcting the error or, at least, ironically quoting Fred's misbelief. As a straightforward assertion, (12) is not true due to its false presupposition. But (12) is not false either; the presupposition failure accounts for the truth value gap. The semantic-logical truth value of (9) or (12) depends on reference in the actual or possible world. 2.3.1 In German as in English, we can logically check on the confession to a psychiatrist in (14a) Entweder ich bin ein Vogel, oder ich weiß nicht, daß ich keiner bin = (14b) Either I am a bird or I don't know that I'm not a bird,

Since "all intuitive presuppositions of disjuncts are inherited by their disjunction except where the negation of the presupposition is strongly entailed by another disjunct" these statements (14a, b) are true (B-R 159). The presupposition (15)

I am not a bird

is contradicted by the entailment "I am a bird"; therefore the disjunction does not inherit the presupposition (15). Conditionals behave similarly: "a conditional inherits the presuppositions of its antecedent and of its consequent except when the presupposed proposition is (strongly) entailed by the antecedent" (B-R 161). (16a) Falls ich kein Vogel bin, weiß ich nicht, daß ich keiner bin (16b) If I'm not a bird, I don' t know that I'm not.

The antecedent entails the presupposition of the consequent, i.e, (15). Another example of this type would be the cryptic answer to an enquiry where Hans was born: (17a) Entweder Hans wurde nicht in Afrika geboren, oder ich weiß nicht, daß er dort geboren wurde. (17b) Wenn Hans in Afrika geboren wurde, weiß ich nicht, daß er dort geboren wurde.

These complex sentences (14a, 16a, 17a,b) illustrate that even in German we can slip in utterances containing ich weiß nicht, daß p don't know that p\ When presuppositions in p are not inherited by complex sentences, the logical conditions allow us to select the conjunction daß in German. 2.3.2 The special status of (18)

I don't know that Warsaw is in France

is illustrated by the German translation (19)

Ich wüßte nicht, daß Warschau in Frankreich liegt.

Assuming that presupposition (13) in (18) is false, and assuming that the assertion of ignorance is true, sentence (18) is neither true nor false. In the positive sentence (20)

I know that Warsaw is in France,

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Semantik

presupposition failure results in a truth value gap as well. Although the speaker of (20) commits himself to the truth of the presupposition (13), his error has no truth value. 2.4 At this stage, the semantic analysis does not yet satisfactorily cope with the LA Times quotations, e.g. on Nov. 30, 86: (21)

In discussing the split within the White House staff on how to respond to the spreading scandal, one of the younger aides said: "Should we be sending arms to Iran? Is that breaking the law? It's a judgment call. Should we be sending profits from an Iranian arms deal to the contras? That's a judgment call, but I don't know that it breaks the law."

The speaker does not commit himself to the truth of "it breaks the law". That is no presupposition in (21)! Nor does HALL subscribe to the truth of "it was unauthorized" in (22)

"I don't know that it was unauthorized, "HALL corrected, when Rep ... Foley ... referred to "that unauthorized destruction of documents." (LA Times June 10, 87)

What happens may be described in pretheoretical terms: "no presupposing sentence is USED, though a presupposing sentence ... is MENTIONED — in mentioning a proposition, one neither asserts nor presupposes what the proposition asserts or presupposes" (B-R 238). So in (21, 22) the speakers characteristically do not claim that the proposition is false, but they literally claim that they do not know its truth. The proposition has to be treated as neither true nor false, for the speakers do not commit themselves to any truth value of the presupposition contained in the proposition. They are satisfied with the truth value gap of the proposition: For what is mentioned (as opposed to used) is, as it were, hermetically sealed in logical terms from its immediate (intrasentential) linguistic context. [···],in mentioning (rather than using) a proposition, a speaker is absolved of any responsibility for, or commitment to, any aspect of what he mentions. And it reveals his intention as being to object to a previous utterance, a previous USE of the proposition, rather than as denying that the proposition is true, asserting its falsity. (B-R 233)

2.5 Thus the co-operative reader/listener ignores any conflict between his own knowledge concerning the proposition mentioned and its presuppositions on the one hand and the ignorance claimed by the speaker on the other. He accepts that / don't know that p is neither true nor false. He also accepts the illocutionary force of the utterance. By the way, it is also possible to object to propositions that have not been explicitly used; it would be enough for them to be considered as given in the universe of discourse. 2.5.1 The unco-operative reader/listener ignores the special logical status of the embedded proposition (i.e. as being mentioned without any claim to its falsity or truth). He takes the utterance literally and expects the speaker to subscribe to the truth of what he is saying as if the proposition p was part of his assertion.

Klaus-Dieter Gottschalk: Deniability and the Iran-Contra Scandal

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Stylistically conditioned, the LA Times reader may be inclined to assess the presuppositions in SPEAKES' and WEINBERGER'S quotations as true and to conclude from. (23, 24): "There you are! He admits it in so many words." (23) (24)

I don't know that OLLIE NORTH ever briefed the President in private, one-to-one. (SPEAKES in LA Times Dec. 4, 86) [...] WEINBERGER said in an interview with The Times that "I'm not ready to leap to the conclusion that there was a diversion of funds." He said Meese's disclosure was based on statements by ... NORTH ... who since "has stopped talking". "I don't know that it happened," WEINBERGER said of the reported fund diversion. "Maybe skepticism is exactly the right word. [...]. All I'm saying is that I simply don't know and I don't know anybody who does." (LA Times Jan. 7, 87)

The unco-operative reader interprets / don't know that p parallel to You don't/He doesn't know that p and infers from the 1st person utterance as much as from the 2nd/3rd person utterance: a. In (24) WEINBERGER does not explicitly object to the proposition ii happened. Implicitly he must subscribe to the truth of the presupposition. So the speaker WEINBERGER "knows" that p. — This line of reasoning is based on the absurdity of Fred doesn't know that p and I don't know either, since the speaker ought to "know" what Fred doesn't know or else his choice of words sounds contradictory. — In (23), however, the reader would have to override the negative polarity item ever as a signal of the special status of the proposition. (Cf. B-R 236) b. In (24) WEINBERGER protests his ignorance of p. The entailment Ί am unaware of p' contradicts his responsibility for the presupposition in p. But if the presupposition in p is true and the assertion I don't know is not, then the sentence (24) is false; it is a mistake or a lie. 2.5.2 Summing up, we expect even the cooperative reader to take utterances of the type / don't know that p to be neither true nor false; they are liable to lack of truth value (cf. B-R 144). The unco-operative reader would readily impute contradictory speech behaviour to the politician: He would consider the sentence to be false because the speaker's commitment to the presupposition, which the reader believes to be true, does not match the entailment 'I'm not aware', which the reader does not accept as true since the speaker claims to be unaware of what he ought to know by presupposition. Logically, the sentence would be false if the entailment was false and the presupposition was true. 3.0 According to the co-operative principle the co-operative reader/listener would try to make sense of seemingly absurd or even contradictory utterances: Even when the maxim of manner "Be perspicuous" is being flouted, the maxim of quality "Do not say what you believe to be false" may have been observed. The same goes for the maxim of quantity "Make your contribution as informative as is required", which the speaker may have flouted by not explicitly cancelling the presupposition. He could have said: "I don't know that it breaks the law — in fact, it doesn't."

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Semantik

On the contrary, the uncooperative reader/listener jumps to conclusions: "He's beating about the bush", when he suspects the speaker to have flouted the maxim of quality along with those of manner and quantity. He tends to ignore the idiomatic status of the expression on the face of its imputed illogical and contradictory epistemics. But the maxim of relevance accounts for a different interpretation of the expression in the 1st person from the one in the 2nd/3rd person. Such an utterance can only be relevant if the meaning of the sentence type / don't know that p is not derived literally according to FREGE'S principle since the speaker cannot reasonably be expected to play the two conflicting parts at the same time, i.e. guaranteeing the truths of the presupposition in p as well as of the assertion about himself in the 1st person. 3.1 Much will depend on the speaker's credibility. Those readers who had enjoyed the caricature of REAGAN posing as General CUSTER and saying "I did not sell bows and arrows to the Indians, and I'm not going to do it again!"(ZA Times Nov. 21, 86) may have been inclined to take his words with a grain of salt (LA Times May 5, 87): (25)

Asked whether he knew that the aid, solicited from private donors with White House help, was used for weapons, REAGAN replied, "I don't know how that money was to be used and I have no knowledge that there was ever any solicitation by our people."

This roundabout denial (25) contrasts with the straightforward statement (26)

REAGAN has denied any knowledge of any illegal efforts to aid the contras. (LA Times June 10, 87)

In (25) the reporter chooses he knew and thereby presents the proposition in the subordinate clause as a fact; he invites the reader to presuppose its factivity. The question is restricted to whether REAGAN knew. Stylistically, REAGAN is made to refer that money anaphorically to the preceding aid, solicited/...]with White House help. Quoted in this context, his denial / have no knowledge that p could be understood to be a mere rejection of the phrase "with White House help", taking the solicitations and the funds for granted. The quotation is an innuendo for those who were influenced by very explicit articles like "Incredible,Uncredible", where the LA Times (Nov. 30, 86) wondered whether it was worse for REAGAN to be reproached of inefficiency or lack of credibility. They explained the concept of deniability ironically:"The White House staff must...protect the President's deniability by not allowing him to know everything and frankly, the President's own limitations tend to aid his deniability." And on May 15, 87 the LA Times insisted "Silly Legalisms Crowd Out Right Or Wrong": The White House defense of President REAGAN in the contra-funding matter fits the pattern. The defense is that he never knowingly condoned lawbreaking by subordinates. [...] Once cleared of a technical charge, officials are presumed to be in the clear — no matter how devious, careless, improper or unconstitutional their conduct.

Klaus-Dieter Gottschalk: Deniability and the Iran-Contra Scandal

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The Tower Commission Report was summarized in Newsweek (March 9, 87): It showed him (i.e. REAGAN) as a lackadaisical leader, poorly served by his advisers, a man who failed to do his job and didn't know what was going on behind his back.

REAGAN himself had asked the Commission to look into the scandal in answer to reproaches condensed by LA Times as early as Nov. 30, 86 in a cartoon raising the question whether the smoking gun couldn't be traced right back to the President himself. The smoking gun is circumstantial evidence of "who done it". 4.0 Prom November 86 to January 87, the Washington hierarchy became more and more involved in stonewalling and protecting the President. In (21) the junior aide discussed legalisms, alluding to the constitutional technicality whether Senator BOLAND's amendment to budgetary legislation did or did not tie the President's and his staff's hands in foreign policy. Within no time, the presidential spokesman SPEAKES had to come to the rescue (23). In early 87, the Secretary of Defense is protecting himself and the President without naming him specifically (24). Since he doesn't know anybody who knows about the diversion of Iranian funds to the contras, he implicitly says that the President doesn't know either. To be on the safe side, he does not say so explicitly. He only expresses his scepticism. Only 10 days later, Secretary of State SHULTZ has to step in: the LA Times reports (27)

SHULTZ although acknowledging that he and MCFARLANE had discussed the possibility of arms shipments to Iran several times, said: "I don't recall being told that the President had explicitly decided to authorize, in effect, the Israelis to ship arms. I just don't recall that."[...]Tm not challenging him, I'm just saying I have lots of notes in the records[...]. Maybe I'm missing something or have missed something, but I don't have any note about being formally notified,"SHULTZ said. MCFARLANE, who resigned as REAGAN'S adviser in December, 1985, recalled that the arms sales were discussed in more than 200 meetings and conversations that he held with top Cabinet officers in a three-month period of 1985 during which Israel was shipping U.S. arms to Iran with the apparent approval of the President. (LA Times Jan. 17,87)

Since the reporter uses factive recalled that p, he commits McFARLANE to the truth of what he recalls, including the factivity of the proposition in the relative clause "Israel was shipping U.S. arms to Iran with the apparent approval of the President". 4.1 SHULTZ, however, pleads lack of memory in (27). He avoids the presupposition going with 7 don't recall that p by recurring to weaker wordings: / don't recall being told, which only makes sense as the equivalent of 7 don't recall whether I was told, while positive 7 recall being told would have equalled factive 7 recall that p. And yet, in spite of his carefully worded disclaimer, he might evoke some other weak presupposition triggered by his use of told. Tell may convey that the speaker does not doubt the truth of what he has been told, LYONS (1977: 799) makes this point when comparing utterances like He said vs. He told me that it might be raining in London. — Of course, SHULTZ doesn't remember being told, so he cannot be held responsible for the presupposition supporting McFARLANE's words. In SHULTZ'S

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Semantii:

official jaxgon being told probably means formally notified, anyway. And yet, the LA Times correspondent may have enjoyed bringing out the full flavour of the presupposition in SHULTZ'S words, the likelihood of the presupposition "that the President had explicitly decided to authorize, in effect, the Israelis to ship arms." After all, the reporter did not cancel McFARLANE's presupposition in indirect speech. So the reader is left with the spicy presuppositions in SHULTZ'S disclaimer and McFARLANE's explicit recollection, the presupposition of the President's explicit or apparent approval. — All these are ways of insinuating what may have been the truth, without stating it explicitly for lack of evidence. 4.2 WEINBERGER'S scepticism and SHULTZ'S lack of memory were weak attempts at supporting the President without risking their own reputations, since they had not been in favour of the whole Iran-Contra policy as executed by the NSC staff. Since it was not enough for them to have said / don't know and / don't recall in support of the President's deniability, REAGAN had to speak up. On May 5, 87 the LA Times quotes him in (25). Apparently, vagueness is part of a politician's survival kit. And I suppose that the LA Times correspondent quoted REAGAN'S opaque wording on purpose. There is a cartoon in the LA Times (June 16, 87) with a psychiatrist asking REAGAN: "Now then, about when did the ol'memory start to go?" Aptly, the patient is exposed to the conflict of remembering at least his loss of memory. — Neutral reporting as in (26) would not have raised the question in some minds how it was epistemically possible for the President to deny any knowledge of what he is presupposed to accept as a fact. 4.3 Of course, people do talk like this without stumbling over the presuppositions linguists want them to infer. But in writing, the incongruity of I don' t know that p seems to show up more easily. So quoting politicians in this way is a witty device of focusing on their incongruities. Occasionally, even speakers of Washington officialese get bewildered at unexpected presuppositions. (28)

(29)

Mr. LIMAN: And the other thing that you knew was that the President[...]had asked the Attorney General to do a fact finding mission, that's correct, isn't it? NORTH: Actually I don't know that Admiral POINDEXTER, when he told me about the fact finding inquiry[...], that he specified that it was the President who had asked that that be done, but I did come to know that, that is correct]....] Mr. LIMAN: You say that you were not sure whether the Attorney General was conducting this inquiry at the request of the President, or at the request of the Admiral. That's what I heard you say. NORTH: No. What I said was, I don't know that the Admiral told me, on the 21st, that the President — at least, I don't recall knowing at the time — that the Admiral told me that this was being done at the request of the President. He may well have told me that. (Taking the Stand p. 366) Mr. LIMAN: Why didn't you tell the Attorney General [...] that Director CASEY knew? NORTH: As I said, I don't know that I did, or I don't know' that I didn't. I don't recall that conversation in any detail. (Taking the stand p. 343)

In (28) NORTH feels he is getting mixed up with his presuppositions at the congressional hearing and he tries to cancel them.

KJaus-Dieter Gottschalk: Deniability and the Iran-Contra Scandal

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5.0 It is interesting to see what happens when the idiomatic turn / don't know that p is rendered in indirect speech, in the 3rd person. In (30) Lt. Colonel NORTH'S secretary is reported to have rejected a suggestion (LA Times June 3, 87): (30)

HALL'S attorney[...]said[...]that she "doesn't know she mistyped the number" and believes that she accurately relayed the code NORTH had given her.

My students at CSULA did not only find this example rather extraordinary, some of the Californians also objected to (31). Apparently, not all speakers of American English are willing to accept the colloquialism in writing, at least not consciously. (31)

Two-year-old SEAN KEYTON [...]spent the night in near-freezing weather, clad only in pajamas. But he had plenty of help staying warm — from the family's four dogs, the loyal canines stood guard]....] "I don't know the dogs were heroes. Other people are saying that," Smith said. "But the dogs definitely protected the chM."(LA Times Nov. 18, 86)

My students were divided over the text. Some accepted the colloquialism, several corrected it by inserting whether p. Most students found the text either awkward or incorrect. But I assume they would not have balked at it in conversation or fast reading. 5.1 At Warsaw University I had the privilege of reading a similar paper to a student audience. They were reluctant about the Polish sentence (32a), but some found it acceptable on the spur of the moment: (32a)

Nie wiem, ze Jan chrapie

(32b)

Nie wiem, czy Jan chrapie

don't know that John snores'; don't know whether p'.

5.1.1 Since in German the acceptability of the expression Ich weiß nicht, daß p 'that p' is restricted to rare cases like (14, 16, 17), languages obviously differ in the extent to which they use this type of expression for the purpose of suspending the normal rules of logical inference. In English, the original function of / don't know that p may have been face-saving, both for speaker and addressee. For what you don't know or remember remains uncontroversial; it is subjectively neither true nor false. This also means that any claim to the truth of p is automatically rejected. Presumably the idiomatic expression feeds parasitically on the widespread phenomenon of transferred negation with English epistemic (non-factive) verbs like think. It may also profit from the grammatical status of that as a neutral or general service complementiser in object and relative clauses. 5.2 In the Iran-Contra affair, this devious jargon served a political purpose: deniability. But the cant may work both ways and give the politician the benefit of the doubt that he might be in the know, nevertheless. Since we interpret MENTION as the pragmatic reanalysis of a previous speaker's USE of p, we might now consider the possibility of re-reanalysing MENTION as USE of p (cf. B-R 235). The presupposition in p can go through, on re-reanalysis, if the context seems to aim at not resolving the truth-conditional contradiction between claimed ignorance and commitment to p, though re-reanalysing MENTION as USE will not quite undo the first

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Semantik

reanalysis of USE as metalinguistic MENTION. Either, to the politician's discomfort, the critic triggers this re-reanalysis as a reproach, or the politician condones such pragmatic re-reanalysis when it suits his reputation as a well-informed sly dog. The pragmatic re-reanalysis of MENTION as USE may be similar to the kind of semantic leakage found with idioms when a suitable context puns on the literal meaning of an otherwise idiomatic expression. 6.0 Postscriptum: In a letter dated January 16th, 1990, Dr. BURTON-ROBERTS was so kind as to point out where my draft paper deviated from his theoretical framework. In §1.0 I bank on the sense of "I am not so sure that p" emerging from "I don't know that p". However, the revised theory does not allow for (semantic) presupposition-cancellation without contradiction. But the contradiction can be made sense of by the hearer at the pragmatic level of utterance interpretation." As B-R puts it: "In addition to the presuppositional use of 'don't know', there does seem to be emerging a sense that amounts to Tm not so sure that [...]'. In this context (a context of public formal investigation), though, these people must be seen as trading on the equivocality for the purpose of political cover-up".

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Grundzüge einer Temporalsemantik des Deutschen* Michael Herweg Universität Hamburg

1. Gegenstand und theoretische Grundposition In diesem Beitrag wird eine generelle semantische Theorie der Tempora, diverser Arten von Adverbialen, speziell der Temporaladverbiale (vor zwei Tagen), Durativadverbiale (zwei Tage lang) und Zeitrahmen-Adverbiale (innerhalb von zwei Tagen), sowie der subordinierenden temporalen und durativen Konjunktionen in ihren Grundzügen vorgestellt und auf das Deutsche angewandt. Grundlegend für die hier vorgeschlagene Theorie ist die in der Temporalsemantik häufig vernachlässigte Unterscheidung der beiden semantischen Aspekte Perfektiv und Imperfektiv. Die bislang vorgeschlagenen Tempustheorien lassen sich global danach unterscheiden, ob sie auf die imperfektive oder die perfektive Konstellation zugeschnitten sind. Zu den Ansätzen des ersten Typs, die in der Tradition der klassischen Temporallogik stehen und die sich als propositionenorientierte Ansätze charakterisieren lassen, zählen u.a. BÄUERLE (1979), FABRICIUS-HANSEN (1986) und BALLWEG (1988). Sie gehen von der G rund Vorstellung aus, daß Sätze Propositionen ausdrücken, die zu bestimmten Zeiten wahr sind oder nicht. Die Tempora bestimmen die zeitliche Relation zwischen einem "Wahrheitsintervall" (FABRICIUSHANSEN 1986) der Proposition und einer Evaluationszeit, z.B. der Äußerungszeit. Zu den Ansätzen des zweiten Typs, die in der Tradition der Ereignissemantik von DAVIDSON (1967) stehen und die sich als ereignisorientierte Ansätze charakterisieren lassen, zählen u.a. WUNDERLICH (1970), SAURER (1984) und BÄUERLE (1988). Sie gehen von der Grundvorstellung aus, daß Sätze ausdrücken, daß Ereignisse zu bestimmten Zeiten stattfinden. Die Funktion der Tempora besteht darin, die Relation zwischen der Ereigniszeit und einer Evaluationszeit festzulegen. Beide Paradigmen übertragen ihre Analyseformate auf den jeweils entgegengesetzten Aspekt. Es läßt sich aber zeigen, daß die Resultate beider Generalisierungen inadäquat sind und die konkurrierenden Ansätze daher keine Allgemeingültigkeit für die Analyse der Tempusfunktionen in Aussagen beliebigen Aspekts beanspruchen können. Dieser Nachweis ist in komprimierter Form in LÖBNER (1988) und ausführlicher in HERWEG (1990) geführt worden. Ich verzichte daher hier auf eine Vorführung des Nachweises und stelle stattdessen eine Theorie vor, die die beiden komplementären Richtungen integriert. In dieser Theorie werden als Träger der beiden Aspekte in der logischen Bedeutungsrekonstruktion zwei elementare logische Typen von Satzradikalen, d.h. von Sätzen abzüglich der temporalen Information durch Tempus und gegebenenfalls Zeitangaben, eingeführt: Radikale, die für perfektive Ausdrücke stehen, und Radikale, die für imperfektive Ausdrücke stehen. Perfekt wird als aspektueller

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Funktor analysiert, der perfektive Radikale auf einen dritten Typ von Radikalen abbildet, sog. Perfektradikale. Die einfachen ("absoluten") Tempora Präsens, Präteritum und Futur werden ebenso wie Temporaladverbiale funktional auf Radikale der drei Typen angewandt und fungieren als spezifische Relationen zwischen der Evaluationszeit und einer durch das Radikal bereitgestellten, für den jeweiligen Radikaltyp charakteristischen Zeit. Der deiktische Charakter der absoluten Tempora wird durch besondere Komponenten in den tempusspezifischen Relationen repräsentiert. Die Unterscheidung der drei logischen Typen von Radikalen wird dahingehend ausgenutzt, daß die in der Literatur diskutierten und in unterschiedlichem Ausmaß behandelten charakteristischen aspektuellen Restriktionen von Durativadverbialen, Zeitrahmen-Adverbialen und Konjunktionen als spezifische Restriktionen von Funktoren bezüglich des logischen Typs ihrer Argumentradikale repräsentiert werden. In den semantischen Repräsentationen der Konjunktionen zeigen sich aufschlußreiche Parallelen zu den Bedeutungen der Tempora und Aspekte, die hier am Beispiel von nachdem aufgezeigt werden. Die Bedeutungen natürlichsprachlicher Ausdrücke werden durch Ausdrücke der Sprache der Prädikatenlogik mit -Abstraktion repräsentiert. Die Gesamtheit der -gebundenen Variablen in einer semantischen Repräsentation stellt die Argumentstruktur des betreffenden Ausdrucks dar. Als elementare Kombinationsoperation stellt der -Kalkül die funktionale Applikation von Funktoren auf ihre Argumente zur Verfügung. Dementsprechend können die hier vorgeschlagenen semantischen Repräsentationen die oben angedeuteten Funktor-Argument-Beziehungen der analysierten Ausdrücke formal erfassen. 2. Aspekte und Situationssorten Ich gehe von der im weiteren noch zu präzisierenden Vorstellung aus, daß Deklarativsätze Aussagen über das Vorliegen von Situationen, d.h. von Ereignissen, Prozessen oder Zuständen, machen. Die Aspekte Perfektiv und Imperfektiv betreffen nach COMRIES klassischer Charakterisierung (COMRIE 1976) die Perspektiven, unter denen die im Satz ausgedrückte Situation in bezug auf die Zeit präsentiert wird. Ein Satz im perfektiven Aspekt stellt eine Situation als einzelnes Ganzes dar, wobei die verschiedenen Zeitphasen, aus denen sich die Situation zusammensetzt, nicht unterschieden werden. Demgegenüber wird in einem Satz im imperfektiven Aspekt die Situation nicht als unanalysierte Einheit präsentiert, sondern mit explizitem Bezug auf die Existenz einer internen zeitlichen Struktur. Von den Begrenzungen, die für eine Einheit charakteristisch sind — im Fall von Situationen: ihr Anfang und ihr Ende —, wird dabei abgesehen. Perfektiver und imperfektiver Aspekt können in einer Sprache grammatikalisiert sein — im Englischen beispielsweise ist ein Spezialfall des imperfektiven Aspekt, der progressive Aspekt, grammatikalisiert —, mit lexikalischen Mitteln ausgedrückt werden oder kontextinduziert sein; s. die komplexen Sätze unter (1), in denen jeweils der Hauptsatz imperfektiv und der Nebensatz perfektiv ist:

Michael Herweg: Grundzüge einer Temporalsemantik des Deutschen

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(1)

a. John was reading a book, when I entered his room. b. Hans las in einem Buch, als ich sein Zimmer betrat. c. Hans las ein Buch, als ich sein Zimmer betrat. Der sprachliche Unterschied zwischen perfektivem und imperfektivem Aspekt korrespondiert mit einem konzeptuellen Unterschied auf Seiten der beschriebenen Situationen, nämlich mit dem Unterschied zwischen den beiden elementaren Situationssorten 'Ereignis' und 'Zustand/Prozeß'. Perfektive Sätze machen Aussagen über punktuelle oder durative Ereignisse: Sie drücken aus, daß in einem Zeitraum ein Ereignis eines bestimmten Typs als Ganzes stattfindet. Imperfektive Sätze machen Aussagen über Zustände oder Prozesse im Verlauf: Sie drücken aus, daß zu einer Zeit ein Zustand besteht oder ein Prozeß vor sich geht. Als kriteriale Kontexte zur Identifikation von perfektiven (d.h. Ereignis-) Aussagen und imperfektiven (d.h. Zustande- oder Prozeß-) Aussagen werden, z.T. unter Verwendung unterschiedlicher Terminologien, sowohl in der formalen (z.B. DOWTY 1979, KRIFKA 1986) als auch der informalen (z.B. VENDLER 1967) semantischen Literatur vor allem Durativ- und Zeitrahmen-Adverbiale benutzt: Ereignisaussagen sind nur mit Zeitrahmen-Adverbialen, Zustande- und Prozeßaussagen nur mit Durativadverbialen kombinierbar (s. (2), (3)). Weiterhin sind ausschließlich Ereignisaussagen mit Zahlangaben kombinierbar (s. (4)). Gelegentlich auftretende Kombinationsmöglichkeiten, die diesem Befund zu widersprechen scheinen, beinhalten grundsätzlich eine — jederzeit als solche erkennbare und im allgemeinen reduziert akzeptable — nichtkompositionale aspektuelle Uminterpretation der betreffenden Konstruktion, d.h. die Umdeutung einer Zustande- oder Prozeßaussage zu einer Ereignissaussage oder umgekehrt (s. HERWEG 1990). Aussagen, die eine solche Uminterpretation beinhalten, werden im weiteren durch "?" gekennzeichnet. (2)

a. Er schrieb seinen Aufsatz innerhalb von zwei Tagen, b. *Er schrieb seinen Aufsatz zwei Tage lang. (3) a. ?Er saß innerhalb von zwei Tagen an seinem Schreibtisch, b. Er saß zwei Tage lang an seinem Schreibtisch. (4) a. Er schrieb seinen Aufsatz dreimal. b. ?Er saß dreimal an seinem Schreibtisch. Die Konstruktionen unter (5) zeigen, daß sowohl aus der Negation einer Zustande- oder Prozeßaussage als auch aus der Negation einer Ereignisaussage eine Zustandsaussage resultiert. Dieses Ergebnis kann zur Ermittlung der Aspektforderungen von Funktorausdrücken an ihre Argumente ausgenutzt werden. (5)

a. Zwei Tage lang/*innerhalb von zwei Tagen schrieb er seinen Aufsatz nicht. b. Zwei Tage lang/Innerhalb von zwei Tagen saß er nicht an seinem Schreibtisch. Insgesamt läßt sich aus diesen und weiteren in der Literatur verwendeten Testkonstruktionen das folgende Bild gewinnen (s. LÖBNER 1988, HERWEG 1990): Für imperfektive Sätze ist die Konstanz der beschriebenen Situation für eine gegebene Zeit charakteristisch. Damit sind sowohl Zustande- und Prozeßaussagen

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im engeren Sinn als auch weitere Typen imperfektiver Aussagen wie z.B. habituelle und iterative Aussagen erfaßt. Charakteristisch für perfektive Sätze ist dagegen ein Moment der Veränderung. Sie machen Aussagen über das Stattfinden von Ereignissen; Ereignisse bestehen im allgemeinen in einer Zustandsveränderung. In bezug auf die genannten Situationssorten, d.h. die Entitäten, auf die perfektive und imperfektive Sätze konzeptuell bezogen werden, gilt: Zustände und Prozesse sind nach ihrer Dauer meßbar, aber nicht zählbar; zählbar sind immer nur Zustände und Prozesse in ihrer Gesamtheit genommen, d.h. insofern sie als Ereignisse behandelt werden. Diese bestehen im allgemeinen im Auftreten einer maximalen zusammenhängenden Phase des Zustands oder Prozesses (zum Phasenbegriff s.u., Abschnitt 4). Weiterhin besitzen Zustände und Prozesse ein Gegenteil, das dieselben Eigenschaften aufweist. Ereignisse sind dagegen zählbar, aber nicht meßbar, und sie besitzen kein Gegenteil, das selbst ein Ereignis ist. (Es gibt z.B. zu einem Ereignis des Typs 'Vortrag' kein gegenteiliges Ereignis eines Typs 'Nicht-Vortrag'; vgl. LÖBNER 1988.) Jedem Ereignis kann genau eine Zeit zugeordnet werden, zu der es stattfindet: Es besitzt eine definite Ereigniszeit. Die Beziehung zwischen einem Zustand oder Prozeß und den Zeiten, zu denen er besteht bzw. vor sich geht, ist dagegen indefinit (s. VENDLER 1967): Ein Zustand oder Prozeß, der während einer Periode besteht, besteht gleichermaßen zu beliebigen Teilen dieser Periode. Dieser Befund kann im Einklang mit etablierten formalsemantischen Theorien dahingehend zusammengefaßt werden, daß Ereignisse logisch heterogene, Zustände und Prozesse dagegen homogene Entitäten sind. Bezüglich ihrer logischen Eigenschaften müssen Zustande- und Prozeßaussagen nicht unterschieden werden; Prozesse können unter einer allgemeinen Situationssorte 'Zustand' subsumiert werden (s. GALTON 1984, LÖBNER 1988, HERWEG 1990). In dem hier vorgeschlagenen Ansatz wird die Unterscheidung zwischen heterogenen Ereignissen und homogenen Zuständen formal auf die folgende Weise rekonstruiert. Ereignisse sind logisch Individuen, die unter sortale Ereignistyp-Prädikate E fallen und für die gilt: Kein Teilereignis e' eines Ereignisses e vom Typ E ist ebenfalls vom Typ E. Zustände (und Prozesse) werden als Propositionen rekonstruiert, die für unsere Zwecke als Prädikate über Zeitindividuen betrachtet werden können. Es gilt: Wenn t eine Zeit ist, zu der ein Zustand S besteht (d.h. wenn S (t) wahr ist), dann besteht S auch zu allen Teilen t' von i. Den Kern einer Ereignisaussage bildet eine Prädikation -E(e), den Kern einer Zustandsaussage eine Prädikation S (t). Durch die Einführung von Ereignissen als Individuen eigener Sorte kann die oben beschriebene Grundvorstellung ereignisorientierter Ansätze in die Theorie integriert werden, durch die Behandlung von Zuständen als Propositionen bzw. Prädikaten über Zeiten die Grundvorstellung propositionenorientierter Ansätze. Die beiden herkömmlichen konkurrierenden Paradigmen in der Temporalsemantik haben den Unterschied zwischen Ereignissen und Zuständen bzw. den entsprechenden Aussagen dagegen in der einen oder anderen Richtung nivelliert.

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3. Satzradikale, Perfekt, Tempora und Temporaladverbiale

In der formalen Bedeutungsrepräsentation nehme ich zwei logische Typen von Ausdrücken an,1 die imperfektive (unter (6.a), (6.b)) bzw. perfektive (6.c) Satzradikale repräsentieren, nämlich Zustandsradikale (7.a) und Ereignisradikale (7.b; vgl. die kategoriale Unterschiedung von Propositionen und Ereignisradikalen in GALTON 1984): (6)

a. Es kalt seib. Er an einem Aufsatz schreibc. Er das Zimmer betret(7) a. [Zustandsradikale] (5(· bedeutet die Übersetzung der Sätze der natürlichen Sprache in die Sprache der Logik (der "Syllogistik"). Das nicht vorhandene Urteil im Enthymem wird durch eckige Klammern markiert [...]. Formale und Halbformale Sprachmittel, die auf die Ursache, den Grund (die 2. Prämisse) oder auf die Folge (die Conclusio) hinweisen, sowie alle Mittel der Negierung werden durch Kursivschrift bezeichnet.

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II. Die überwiegende Mehrheit der Schlüsse des Modus "Barbara" werden in Form von Enthymemen dargestellt, in denen hauptsächlich nur die 2. Prämisse und die Conclusio vertreten sind, die im deutschen Text entweder einander vorangehen oder einander nachfolgen. Folglich beobachten wir unter den Enthymemen zwei verschiedene Typen, die sich durch verschiedene Reihenfolge der 2. Prämisse und der Conclusio unterscheiden: (2) - (3) und (3) - (2). 1) Die Enthymeme des Modells (2)-(3) (d.h. die 2. Prämisse geht der Conclusio voran) werden durch a) zwei selbständige Sätze, b) Satzgefüge, c) Satzreihe, d) einfache Sätze ausgedrückt. a) Die Conclusionen werden durch formale Sprachmittel eingeführt, die ganz deutlich davon zeugen, daß wir es dabei wirklich mit Conclusionen zu tun haben: (2) Und daß er ...bloß mein Geld wollte, das konnte ich ihm nicht verzeihen. (3) Darum habe ich ihn ... der Polizei übergeben. (S. 346) =$· (1) [Alle Menschen, die nur fremdes Geld wollen, werden der Polizei übergeben]. (2) Er wollte nur das Geld von ihr. (3) Er wurde der Polizei übergeben. Als halbformale Mittel für den Ausdruck des Schlusses treten in solchen Enthymemen die Konjunktionen und, also, dann, die Wortverbindung "in diesem Falle" auf: (2) Ein Geräusch schreckte sie empor ... (3) Und [= deshalb] sie legte ... den Riegel vor. (S. 242) =£·· (1) [Wer Angst hat, der legt den Riegel vor]. (2) Sie bekam Angst. Sie legte den Riegel vor. Meistenteils aber werden Enthymeme durch solche zwei selbständige Sätze ausgedrückt, in denen der logische Schluß durch semantische, konzeptuelle Bedeutung dieser Sätze ausgedrückt wird: (2) Andreas hatte inzwischen mehr Sekt getrunken, als ihm lieb war ... (3) Die Gedanken des jungen Mannes begannen zu vagabundieren. (S. 65) =>· (1) [Die Gedanken eines betrunkenen Mannes vagabundieren]. (2) Andreas war betrunken. (3) Seine Gedanken vagabundieren. (b) In Satzgefügen werden Nebensätze durch unterordnende Konjunktionen eingeführt (wenn, da, als je ... desto), die als formale Mittel der Schlüsse fungieren: (2) ... und jedesmal, wenn einer der Herren auf ihn zutrat, sich verbeugte und seinen Namen nannte, (3) schlug ihm das Herz höher. (S. 57) =>· (1) [Dem Menschen, dem man einschmeichelt, schlägt das Herz höher]. (2) Er war der Mensch, dem man einschmeichelt. (3) Im schlug das Herz höher. Als formales Mittel zum Ausdruck des logischen Schlusses dient auch die Verbindung des intensivierenden Adverbs so + Konjunktion daß (das Modell "so + A, D, N, V, + daß"): (2) Er kniff sie ... so stark in die Backe, (3) daß sie laut aufkreischte. (S. 247) = (1) [Alle Leute, denen man Weh tut, kreischen auf], (2) Er kniff sie stark in die Backe. (3) Sie kreischte laut auf. Als halbformale Mittel der Syllogismen treten unterordnende Konjunktionen sobald, seit, seitdem, nachdem, wie, wo auf: (2) ... und sobald er ... an dem Roulett zu verlieren begann (3), stand er auf und entfernte sich. (S. 337) => (1) [Wer an dem Roulett sein Geld verliert, der entfernt sich]. (2) Andreas begann das Geld zu verlieren. (3) Er entfernte sich. Den logischen Schluß erkennt man im Satzgefüge meistenteils nur an Hand der semantischen Bedeutung der Haupt- und Nebensätze: (2) Daß der große Abel seinen Titel nur der Gefälligkeit der Kollegen verdankt, (3) macht auf Andreas ... Eindruck (S. 15) ^· (1) [Die Gefälligkeit der Kollegen macht auf andere Leute Eindruck]. (2) Das war die Gefälligkeit der Kollegen. (3) Das machte auf Andreas Eindruck.

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c) Der logische Syllogismus kann auch in Satzreihen ausgedrückt werden. Zunächst über formale Mittel in den Conclusionen (denn, also, daher, deswegen, deshalb, darum): (2) Er begriff, daß er sie enttäuscht haben müsse, (3) daher ihre Entrüstung. (S. 248) = · (1) [ Wer enttäuscht ist, der wird dadurch entrüstet]. (2) Er hat sie enttäuscht. (3) Sie war dadurch entrüstet. Halbformale Mittel zum Ausdruck des Syllogismus (und, dann): (2) Er trat der Dame auf die Schleppe, (3) und sie zeigte ihm ein Gesicht voller Verachtung (S. 41) => (1) [Dem unhöflichen Mann zeigt die Dame ihre Verachtung]. (2) Er war ihr gegenüber unhöflich. (3) Sie zeigte ihm ihre Verachtung. Den Syllogismus erkennt man meistenteils an der semantischen Bedeutung der zwei aufeinander bezogenen Sätze: (2) Andreas sah ... ganze Goldhaufen ..., (3) es ward ihm ein wenig unheimlich zumute. (S. 81) =>· (1) [Wer ein Haufen Gold sieht, dem wird es unheimlich zumute]. (2) Er sieht ein Haufen Gold. (3) Es wird ihm unheimlich zumute. d) Der logische Syllogismus wird durch einfache Sätze ausgedrückt. Wenn man von den formalen Mitteln in den einfachen Sätzen spricht, so muß man dabei in erster Linie auf einfache Sätze mit Infinitivgruppen hinweisen. Die prädikative Grundlage (Subjekt + Prädikat) des einfachen Satzes spielt die Rolle der 2. Prämisse, und die Infinitivgruppe spielt die Rolle der Conclusio: (2) "Es gehört doch Energie dazu, (3) so etwas zu dichten", meinte sie ... (S. 135) ^ (1) [Nur der energische Mensch kann solche Verse dichten]. (2) Er ist energisch. (3) Er machte solche Gedichte. Wenn die Infinitivgruppe "um + zu + Infinitiv" der prädikativen Grundlage vorausgeht, so spielt sie die Rolle der 2. Prämisse: (2) Um sich Mut zu machen, (3) schlug er ... eine Wette vor ... (S. 342) = · (1) [Wer sich Mut machen will, der schlägt eine Wette vor]. (2) Er will sich Mut machen. (3) Er schlug eine Wette vor. Als halbformale Mittel treten in einfachen Sätzen aa) Präpositionen (aus, vor, bei, durch, infolge, nach, wegen u.a.), bb) getrennte Apposition, ausgedrückt durch Adjektive, Partizip II, Substantive auf. aa) (2) Infolge des Erlebten (3) waren seine Sinne förmlich erstarrt. (S. 55) => (l) [Wer starke Erlebnisse hat, dem sind seine Sinne erstarrt]. (2) Er hatte starke Erlebnisse. (3) Seine Sinne waren erstarrt, bb) (2) Aber müde des eigenen Glanzes, (3) senkte er ... die Lider (S. 315) => [Wer müde ist , der senkt seine Lider]. (2) Er war müde. (3) Er senkte die Lider. Vgl. auch (2) Schmerzlich berührt durch diesen Anblick, (3) hängte sie sich über die Rückenlehne ihres Stuhls. (S. 326); (2) ... und kaum im Besitze ihrer Freiheit. (3) begann sie in großen Sätzen .. ihren ... Gönner zu umkreisen (S. 324). Den Syllogismus kann man im einfachen Satz auch an Hand der semantischen Bedeutung erkennen: (2) Diese Anspielung auf seine eigene Stellung (3) verstimmte ihn vollends. (S. 240) =>· (1) [Wer eine Anspielung auf seine Person hört, der fühlt sich verstimmt]. (2) Er hörte eine Anspielung auf sich. (3) Er war verstimmt. 2) Die Enthymeme des Modells (3)-(2) (d.h. die Conclusion geht der 2. Prämisse voran) werden durch a) zwei selbständige Sätze, b) Satzgefüge, c) Satzreihe, d) einfache Sätze ausgedrückt.

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a) Formale Sprachmittel für den Ausdruck der Enthymeme (denn, weil — in der 2. Prämisse, darum, daher, deshalb — in der Conclusion): (3) Und ich habe dich doch erwartet ... (2) Denn ich wußte, ... daß du kommen wirst. (S. 240) = · (1) [Der Mensch, der kommen wird, wird erwartet]. (2) Er wird kommen. (3) Man erwartete ihn. Zu einem Mittel bei der Unterscheidung des Syllogismus gilt auch die semantische Bedeutung der zwei aufeinander bezogenen Sätze: (3) ... dachte Adelheid daran, ungesehen zu entkommen. (2) Sie mußte ein verkehrtes Zimmer betreten haben. (S. 143) = · (1) [Alle Leute, die ein ver- kehrtes Zimmer betreten, versuchen, ungesehen zu entkommen]. (2) Sie betrat ein verkehrtes Zimmer. (3) Sie entkam ungesehen. b) Satzgefüge mit formalen Sprachmitteln (weil, da, dadurch daß, dadurch ob): (3) "Die Empfehlung ... ist mir besonders wertvoll, (2) weil sie von einem ... Freunde kommt" (S. 27) =S> (1) [Die Empfehlung von Freunden ist besonders wertvoll]. (2) Das war die Empfehlung vom Freunde. (3) Diese Empfehlung war besonders wertvoll. Als halbformale Sprachmittel für den Ausdruck des logischen Syllogismus treten Konjunktionen wenn, als, sobald auf: (3) Auch fürchtete er, albern dazustehen, (2) wenn er noch länger schwieg. (S. 45) =>· (1) [Wer lange schweigt, sieht albern aus]. (2) Er schwieg lange. (3) Er sah albern aus. Als Erkennungszeichen für den Syllogismus gilt auch die semantische Bedeutung des Satzes: (3) "Es macht mich glücklich, (2) daß Sie sich meiner erinnern..." (S. 290). =>· (1) [Der Mensch, dessen man sich erinnert, fühlt sich glücklich] (2) Sie erinnert sich an ihn. (3) Er fühlt sich glücklich. c) Der logische Syllogismus wird durch die Satzreihe ausgedrückt. Dabei kann als formales Sprachmittel die Konjunktion denn fungieren: (3) Die Lokomotive ... ging langsam vorwärts, (2) denn die Schienen waren mit Schnee bedeckt (S. 135) =>· (1) [Die mit Schnee bedeckten Schienen erschweren die Bewegung der Lokomotive]. (2) Die Schienen waren mit Schnee bedeckt. (3) Die Lokomotive ging langsam vorwärts. Als Grundlage für den Aufbau des Syllogismus gilt allein die semantische Bedeutung des Satzes: (3) Sophie preßte die Lippen aufeinander, (2) das Spiel war verloren. (S. 356) =r- (1) [Dem Menschen, der verliert, sieht man das am Gesicht an]. (2) Sophie hat verloren. (3) Sie preßte die Lippen aufeinander. d) Das Enthymem wird auch in einem einfachen Satz vertreten. Dabei kann man formale Sprachmittel vermerken, die hauptsächlich als Infinitivgruppe auftreten: (3) ... der stehen blieb, (2) um Türkheimer zu begrüßen. (S. 275) => (1) /Alle, die jemand begrüßen wollen, bleiben stehen]. (2) Er wollte ihn begrüßen. (3) Er blieb stehen. Als formale Sprachmittel für den Ausdruck des Syllogismus gelten Präpositionen in Verbindung mit Substantiven: (3) Mehrere weibliche Masken enttäuschte er (2) durch seine Kälte. (S. 313) = · (1) [Der Mann mit Kälte enttäuscht Frauen]. (2) Er zeigte seine Kälte. (3) Er enttäuschte Frauen. In derselben Rolle treten auch die Präpositionen vor, wegen, über, für, von, zwecks, infolge, an, auf, seit, vermittels, nach u.a. in Verbindung mit ganz bestimmten Substantiven auf. Den logischen Schluß kann man im Satz auch aufgrund der semantischen Bedeutung erkennen: (3) Die glänzende Blässe ihres Gesichtes (2) verkündete ihren Triumph. (S. 157) ^ (1) [Bei seinem Triumph sieht der Mensch blaß aus]. (2) Sie hatte Triumph. (3) Sie sah blaß aus.

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III. Wie die Analyse des Textes an der Naht der Sprache und der Logik des Denkens, nämlich die Analyse der Sprachformen für den Ausdruck nur einer Form des Schlusses — des Modus " Barbara", gezeigt hatte, konnte man auf 400 Seiten des schöngeistigen Textes 1382 logische Schlüsse feststellen, die nach den Regeln des Modus "Barbara" gebaut sind. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen (1379) sind Enthymeme, in denen die 1. Prämisse ausgelassen und stillschweigend vorausgesetzt wird. Und nur drei Schlüsse sind in der natürlichen Sprache in voller logischer Form vertreten, z.B.: (3) "Ich tue, was in meinen Kräften steht. (2) Sie sind ein Kind des Volkes, mein liebes Fräulein, (1) und ich bin immer auf Seiten des Volkes zu finden, mein Herz ist bei ihm" . (S. 391) = · ( l ) [Jeder, der das Volk liebt, tut alles für das Volk]. (2) Er liebt sie, das Kind des Volkes. (3) Er tut. alles für sie. Von 1379 Enthymemen sind die meisten solche (1326), in denen die 1. Prämisse weggenommen ist. Sie haben die gegenseitige Reihenfolge der 2. Prämisse und der Conclusio entweder in der Form (2)-(3) (711), oder in der Form (3)-(2) (615). Auf diese Weise beginnt fast in der Hälfte der Enthymeme der Sprechende (Schreibende) mit der Conclusio und erst dann sucht er für seine Conclusio entsprechende Begründung. Das bedeutet, daß die in der natürlichen Sprache vertretene syntaktische Form für den Ausdruck des Schlusses "Barbara" fast für die Hälfte aller Fälle nicht neutral, nicht rein rationell ist, sondern emotionell gefärbt ist. Diese Behauptung findet ihre Bestätigung auch darin, daß die meisten Sätze zu den Sätzen der dialogischen Rede, meist mit expressiver Intonation und besonderen syntaktischen Konstruktionen gehören. Gerade in solchen Sätzen werden sehr oft modale Partikeln gebraucht. Die Enthymeme des Modus "Barbara" besitzen oft formale (in 329 von 1379 Enthymemen) sprachliche Mittel für den Ausdruck entweder der 2. Prämisse (unterordnende Konjunktionen da, weil, wenn, als; koordinierende Konjunktion denn; paarweise Konjunktion je ... desto; die Verbindung von Pronominaladverbien und unterordnenden Konjunktionen dadurch ... daß, dadurch ... ob; verstärkende Wortverbindung "so + Adjektiv (Adverb, Substantiv, Verb) + daß", oder der Conclusio (Folgerungskonjunktionen darum, daher, deshalb, deswegen, dann, so, also). An der Bildung der Enthymeme beteiligen sich auch halbformale Mittel (216 von 1379 Enthymemen): in der 2. Prämisse sind es unterordnende Konjunktionen sobald, seit, seitdem, nachdem, solange; in der Conclusio sind es Adverbien dann, denn, also, nun, nu; die Konjunktion und; Pronominaladverbien dadurch, dafür, darauf. Aber die meisten logischen Schlüsse (834 von 1379) werden als Enthymeme aufgrund der semantischen Bedeutung der zwei den Satz bildenden Zentren (Hauptsatz und Nebensatz bzw. zwei Satzglieder im einfachen Satz) erkannt. Die Lehre von der Wechselbeziehung der Sprache und der Logik des Denkens (der Denkformen) ist ein wichtiges Teilgebiet der allgemeinen Sprachwissenschaft. Ohne den Text von dem dargelegten Standpunkt aus analysieren zu können, bliebe unklar, wie der Mensch in der natürlichen Sprache Schlußfolgerungen zieht. Nach dem vorgeschlagenen Analyseverfahren des Textes wurde für uns die logischlinguistische Struktur des untersuchten Textes in bezug auf den untersuchten logischen Modus verständlicher: wir erkannten, wie sich auf die logische Struktur

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des Textes die Struktur der natürlichen Sprache legt. Es stellte sich heraus, daß der Mensch den Text aufgrund des Denkens vorausbedingt, indem er sein Denken in entsprechende sprachliche Form kleidet. Aber die Sprache ist nicht das einzige Ingrediens des Textes. Im Text liegt eine Nahtstelle mehrerer Wissenschaften, von denen die wichtigsten die Sprachwissenschaft und die Logik sind. Folglich stellt der Text gleichzeitig die Wechselwirkung ihrer Einheiten, d.h. der Gedankenformen und der Sprachformen für ihren Ausdruck ("die Form der Formen") dar. Der Text kann in der Sprachwissenschaft ohne irgendeine Spekulation nur vom Standpunkt der Integration der Sprachwissenschaft und der Logik, der Sprache und der Logik des Denkens, d.h. vom Standpunkt der Aufdeckung der Denkkategorie, und zwar der logischen Schlüsse und der Sprachformen für ihren Ausdruck untersucht werden. Dieser Weg ist die unbedingte Grundlage für die Erforschung der Textstruktur. Deshalb ist das Studium irgendwelcher anderer x-beliebigen Erscheinungen im Text, ob wir das wollen oder nicht, der ersteren Richtlinie unterstellt und kann nur auf dem Hintergrund der ersteren Richtung verstanden werden. Die Beschreibung aller linguistischen Erscheinungen findet einen objektiven Platz im System des Textes erst dann, wenn diese linguistischen Erscheinungen vom Standpunkt der Wechselbeziehung der Gedanken- und Sprachform erklärt werden können. Wenn der Sprachforscher linguistische Fragen des Textes außerhalb des Wichtigsten, d.h. der Wechselbeziehung der Gedanken- und Sprachkategorien, außerhalb der Wechselwirkung der "Gedankenformen" und der "Sprachformen", sondern nur auf der Grundlage der subjektiv verstandenen Bedingungen der Kommunikation untersucht, so führt das zu einer ziemlich einseitigen und oberflächlichen Analyse des Textes. Hier wurde eine volle logisch-linguistische Analyse des Textes eines bestimmten Umfangs durchgeführt. Es wäre höchst interessant zu erfahren, was wir entdecken könnten, wenn es uns gelungen wäre, von diesem Standpunkt aus die volle logischlinguistische Analyse der deutschen (bzw. der englischen, französischen, russischen u.s.w.) Sprache vorzunehmen. Die Analyse der lebendigen Sprache vom logischsprachlichen Standpunkt würde sowohl zur Erkenntnis ihrer logischen Struktur und der Art und Weise ihrer sprachlichen Representation führen, als auch uns die Möglichkeit geben, in den Denkprozeß der Menschen hineinzuschauen, den Grad und die Formen der Ausnutzung der "natürlichen" Logik im menschlichen Alltagsleben zu erkennen.

Über das 'Recht' und die 'Wahrheit' Einige kultursemantische Anmerkungen Jihna van Leeuven-Turnovcova Berlin

1. Die Nähe von 'Recht' und 'Wahrheit' In den slavischen Sprachen gibt es eine auffällige lexikalische Übereinstimmung zwischen den Ausdrücken für 'Recht' und 'Wahrheit'. Scheinbar oder tatsächlich unterschiedliche Sachbestände werden mit gleichlautenden und morphologisch verwandten Audrücken bezeichnet. Das kann nur eines bedeuten: die semantische Nähe bzw. Identität der Bezeichnungen ist nicht zufällig. Sie muß mit der Konzeption der zugrundeliegenden Begriffe zu tun haben. Neben der Synonymie von 'Recht' und 'Wahrheit' im Ar., wo man den Ausdruck pravda verwendete für: 1. 'Recht', 2. 'Gesetzessammlung', 3. 'Wahrheit' und 'Wahrhaftigkeit', gibt es diese Synonymie auch z.B. im Skr. Hier ist pravda: 1. 'Recht', 2. 'Rechtsverfahren', 3. 'Wahrheit'und 4. 'Gerechtigkeit'. Die lautliche Übereinstimmung der Formen ist jedoch nicht das Entscheidende. Entscheidend ist die semantische Verwandtschaft der Bezeichnungen. Verwandt sind z.B. c. pravo 'Recht', früher auch 'Rechtsverfahren', c. pravda 'Wahrheit', r. pravo und pravda in derselben Bedeutung und auch alle Ausdrücke für die 'Gerechtigkeit': c. spravedlnost, r. spravedlivost', skr. pravo und pravionost, slov. pravo, pravica, pravednost, pravda und opravdanost. Im slavischen Kommunikationskreis ist die semantische Nähe der Bezeichnungen für 'Recht' und 'Wahrheit' offenbar eine KULTURSEMANTISCHE KONSTANTE. Sie ist allerdings nicht auf die ehemaligen Slaven beschränkt: ähnlich wird es sich mit 'Recht' und 'Wahrheit' bei den Germanen und allen anderen "Barbaren" der Völkerwanderung verhalten haben. Noch im späteren Deutschen ist die Nähe zwischen Recht als einer juristischen Institution, von recht/rechtens/richtig als einer anerkannten Gültigkeit (vgl. es ist recht/richtig so 'es ist wie es sein soll' d.h. 'es ist in Ordnung so') und der 'Wahrheit' (vgl. er hat Recht: c. 'ma pravdu1) durchaus nachvollziehbar. Sind nun 'Recht' und 'Wahrheit' miteinander semantisch verbunden, so ist zu prüfen, wodurch sich diese Verbindung ergibt. Es könnte sein (und vieles spricht

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dafür), daß WAHRHEIT das gesellschaftlich Akzeptierte, Gebilligte ist. Nur was gebilligt wird, kann in einer relativ egalitären Gemeinschaft, die bei den "Barbaren" sicher anzunehmen ist, 'wahr' sein und daher auch als 'gerecht' gelten. Das ist schließlich der Grund, warum man dt. billig für 'recht', 'passend' und 'angemessen' auf der einen Seite und dt. Billigkeit als Äquivalent für 'Gerechtigkeit' und 'Rechtmäßigkeit' verwendet während man andererseits Unbill für 'Unrecht' und damit für 'Ungerechtigkeit' gebraucht. WAHR ist also nicht unbedingt nur das, was lediglich EXISTENT ist, sondern (und meistens) das, was für alle VERBINDLICH GILT und durch alle billigend ANERKANNT wird.

1.1. STATUS DER 'WAHRHEIT' ALS EINER 'VERBINDLICHKEIT' Für diese Auslegung der Zusammenhänge sprechen neben den slavischen die Ausdrücke für 'Wahrheit' im Latenischen und Germanischen, sowie ihre italienische und deutsche Fortsetzung. Lat. verus ist formal und morphologisch mit dt. wahr verwandt. Als wahr und verus gilt bzw. galt in diesen beiden Kommunikationskreisen offenbar eine Verbindlichkeit, die es zur RECHTLICHEN Verbindlichkeit nicht weit hatte. Das zeigt die Semantik der Wortsippe im Germanischen: auch wgerm. wära bedeutete 'wahr'.1 Diese wära-Verbindlichkeit tritt auf im: anord. värar Nom.Pl. 'Treuegelöbnis' anord. vär 'Göttin der Treueschwüre' ags. vär 'Dienstvertrag', 'Schutz', 'Treue', 'Bündnis', 'Huld' ahd. wära 'Bündnistreue', 'Huld' Den Übergang dieser 'Verbindlichkeit' zu der Bedeutung 'Recht' kennzeichnet ferner der mhd. Ausdruck wäre 'Vertrag' und 'Friede'. Sowohl als 'Vertrag' wie auch als 'Friede' ist diese wäre an eine rechtliche Verbindlichkeit gekoppelt. 'Friede' ist ebenfalls ein Rechtsterminus.2 Wir haben also auf der einen Seite sl. pravda 'Recht' und 'Wahrheit', auf der anderen wgerm. wära, dt. wahr und mhd. wäre 'Vertrag' und 'Friede'. In beiden Fällen handelt es sich um Verbindlichkeiten, die durch KONSENSUS Geltung Wgerm. wära hatte einen älteren Ausdruck ersetzt, der möglicherweise eine andere Wahrheitskategorie darstellte. Dieser Ausdruck ging auf die Wz. für 'sein' (dt. sind, lat. sunt) zurück: vgl. asächs. «öi/i'wahr', afries. /i'was einem zukommt', ags. aöÖ, anord. sannr, saör 'wahr'. Auch im Sl. gibt es neben der pravda noch eine "zweite" Wahrheit: die istina. Es ist eine Ableitung von derselben Wz., von der bestimmte Demonstrativpronomina gebildet werden (vgl. lat. iste). Es scheint, daß die eine eine '(konstatierende) Wahrheit' ist und lediglich die Existenz von Dingen feststellt, während die andere eine solche Existenz interpersonell konstituiert. 2 Auf der anderen Seite gehört die asl. vera 'Glaube' zu dieser Wurzel und auch semantisch in diesen Kontext. 'Glaube' ist ein Bestandteil der 'Treue'! Das zeigt sich noch im C., wo neben c. vira 'Glaube' die Negation: c. nevera für 'Untreue' steht. Ahnlich verhält es sich im Pol.

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erlangten. Wie dt. wahr und Wahrheit, lat. verus und veritas ist auch sl. pravda, skr. pravica, pravda primär eine Verbindlichkeit, die auf dem Konsensus basiert und überindividuelle Geltung hat.

1.2. 'GERECHTIGKEIT' IST 'BILLIGKEIT' Wenn nun die sl. pravda als 'Wahrheit' mit einer Verbindlichkeit einherging, dann muß dasselbe auch umgekehrt gegolten haben. Auch sl. pravda 'Recht', aber auch das nicht synonyme pravo muß mit einer konsensuellen Verbindlichkeit und über sie mit der 'Wahrheit' verbunden gewesen sein. Dieses RECHT muß — da es mit der WAHRHEIT einherging — durch den Konsensus getragen worden sein. Es ist gerade der Konsensus, der den Übergang von 'Recht' und 'Wahrheit' zur 'Gerechtigkeit' kennzeichnet. Zum einen im Südslavischen, z.B. in Skr., wo die Synonymie der Bezeichnungen auf eine konzeptionelle Übereinstimmung der Bedeutungen hinweist, zum anderen im Ost- und Westslawischen, wo wir keine Synonymie, dafür aber eine nahe semantische Verwandschaft finden. Im Skr. haben wir zwei Arten von 'Gerechtigkeit': die eine in skr. pravda, die andere im skr. pravo. Die proWo-'Gerechtigkeit' entspricht der dt. 'Billigkeit'. Sie ergibt sich nicht aus der Anwendung von Gesetzen, sondern aus dem sog. natürlichen Rechtsempfinden. Die pravo-'Gerechtigkeit' ist die, die mit der korrekten Anwendung von Regeln verknüpft ist oder besser gesagt: es ist die Gerechtigkeit, die die existierende Ordnung respektiert.3 Neben der konzeptionellen Übereinstimmung von 'Recht', 'Wahrheit' und 'Gerechtigkeit' haben wir aber im Skr. noch die pravednoat und pravicnost, sowie die prainca-'Gerechtigkeit'. Auch sie ist in Wirklichkeit die alte BILLIGKEIT und mit dem "natürlichen" Rechtsempfinden und somit mit der WAHRHEIT, nicht mit der Anwendung von Gesetzen, verknüpft. Ahnlich ist es übrigens im Ost- und Westslavischen: c. spravedlnost, r. spravedlivost' ist lediglich das aspektuell vollendete, perfektive 'Richtige'; also das, was man als RICHTIG anerkannt hat und als solches billigt. Dasselbe gilt für die dt. Ausdrücke. In dt. gerecht und Gerechtigkeit wird nur der vollendete Aspekt des Richtigen akzentuiert.4 Mit der Anwendung von Gesetzen hat diese Gerechtigkeit nichts zu tun. Die sl. und dt. GERECHTIGKEIT war — aus der Sicht der Ausdrücke, die sie noch heute kennzeichnen — die alte 'Billigkeit'! Solange 'Gerechtigkeit' mit 'Billigkeit', 'Recht' mit 'Wahrheit' einhergehen, wird es sicher nicht falsch sein, die Präge nach der Beschaffenheit eines so gekennzeichneten RECHTs zu stellen. Ein durch Konsensus getragener Rechtszustand ist — historisch gesehen — nur in der Etappe des sog. Gewohnheitsrechts möglich. Nur das mit dem Brauchtum 3

Die erste ist synonym mit dem Ausdruck für 'Wahrheit' (skr. pravda), die zweite ist synonym mit dem Ausdruck für 'Recht' (skr. pravo). 4 Vgl. die Präfixe: im R. und C. s- als Kennzeichen des vollendeten Aspektes, im Dt. das perfektive ge-.

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noch verknüpfte, also in der sozialen Praxis verankerte Recht wird durch Konsensus getragen und kann zugleich als WAHR gelten. Nur ein solches Recht kann man als GERECHT empfinden. Wir können mit Sicherheit sagen, daß das Recht, auf welches sich sl. pravda, dt. Recht (aber auch fr. droit, it. diritto, sp. derecho, engl. right) bezogen, das alte ungeschriebene Gewohnheitsrecht war. Die sl. Ausdrücke für 'Recht' reflektieren zweifellos eine historische Etappe, in der sich das Recht aus der relativen Einheit von Moral und Sitte im Brauch ergab und durch den allgemeinen Konsensus getragen war. Diesen Zug verliert ein jedes Rechtssystem im Laufe der Entwicklung. Dieses Gewohnheitsrecht der "Barbaren" war jedenfalls eines, in dem VERITAS — die konsensuelle Verbindlichkeit (pravda) — der AUCTORITAS und jeder anderen Rechtsinstitution vorausging.5

2. Das 'gerade' Recht Die ganze Sache wird komplizierter, wenn man die eigentliche Bedeutung, die Semantik der Ausdrücke selbst, nicht ihre Verwendung untersucht. Sl. pravo, pravda, aber auch dt. Recht, fr. driot, it. diritto, sp. derecho haben semantisch mit einem geraden Zählmodus zu tun, mit der Bedeutung 'gerade' bzw. 'geradeaus'6 Die Grundwörter prav- kennzeichnen horizontal und vertikal verlaufende GERADE LINIEN. Deshalb ist skr. prav ugao, c. pravy uhel (r. prjamougolnik) dasselbe wie der dt. rechte Winkel. Von dieser semantischen Grundlage — von der Bedeutung 'geradeaus' aus — werden in allen sl. Sprachen (und nicht nur hier) gesellschaftlich relevante Tätigkeiten bezeichnet. Dabei werden unterschiedliche Akzente gesetzt. Es gibt einerseits die Bedeutungsrichtung 'gerade machen', also 'richten* (vgl. r. pravif in dieser Verwendung); andererseits dann r. pravit' cem 'etwas lenken' und deshalb dann auch 'leiten', 'führen', 'herrschen' und 'regieren' (vgl. r. pravitel'stvo). Im Skr. ist praviti sogar zum Inbegriff einer jeglichen Tätigkeit geworden. 'Gerade machen' vertritt hier die Bedeutungen 'machen', 'tun', 'schaffen', 'bilden', 'verfertigen', 'bereiten', 'erzeugen' und folgerichtig auch 'errichten' und 'aufrichten'. Dieses kultursemantische Element — die Verbindung des Zählmodus GERADE mit einem mehr oder weniger spezifischen Tätigkeitsbegriff — ist aber nicht auf den slavischen Kommunikationskreis beschränkt. Auch im Dt. haben wir neben richten als 'gerade machen' auch richten als 'Urteil fällen' oder 'Recht sprechen' 5

Der Zusammenhang zwischen der Wahrheit und dem Recht ist ein wesentliches Kennzeichen des vorinstitutionellen Gewohnheitsrechts. Vgl. WESEL (1984: 47f) und POSPISIL (1982). 6 Vgl. VAN LEEUWEN (1989) und (1989a)

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bzw. 'meinen' und daneben noch errichten, aufrichten, verrichten, zurichten und ähnliches mehr.7 2.1. DAS 'GERADE' RECHT UND DIE WAHRHEIT Was hat aber der gerade Zählmodus mit dem 'Recht' oder der 'Wahrheit' zu tun? Diese Frage hatten sich Rechtshistoriker und Sprachwissenschaftler wiederholt gestellt, zumal sie die Erfahrung machten, daß dies keine slavisch-germanische Spezialität ist.8 Der in der antiken Literatur und in der Rechtsgeschichte belesene Experte antwortet hier am liebsten folgendermaßen: "Die Ausdrücke und Begriffe RECHT, RICHTIG und GERADE hängen einerseits zusammen mit der Vorstellung eines rechten, geraden Weges, der ohne Umwege zum Ziel führt, andererseits mit der Vorstellung einer aufrechten, 'geraden' Verhaltensweise" (eines Mannes, muß man hinzufügen, denn mit dem Verhalten von Frauen wird 'gerade' nicht assoziiert). Diese Erklärung, wie auch bestechend einfach und "einleuchtend" sie erscheinen mag, müssen wir verwerfen. Sie ist nichts anderes, als eine kultursemantische Metapher.9 'Recht'. 'Gerechtigkeit' — im Slavischen auch 'Wahrheit' — und der Zählmodus GERADE haben mit diesen Dingen erst sekundär zu tun. Ihre wahre kultursemantische Grundlage ist der gemeinsame indoeuropäische ORDNUNGSBEGRIFF. Dieser Ordnungsbegriif basiert prinzipiell auf dem Zählmodus GERADE, er ist mit diesem Zählmodus weitgehend identisch. Deshalb ist der Basisausdruck aller von Mensch und Gott erschaffener Ordnung die

REIHE. Man vgl. dt. Ordnung, eine Entlehnung aus dem Lat., wo ördo zum einen 'Reihe', zum anderen Ordnung' bezeichnete; aber auch die dt. Regel, eine Ableitung derselben Wz. (*reg-'gerade') von der dt. Recht stammt, dann auch die Metaphern für die 'Regel' und Ordnung', wie z.B. gr. kanon, lat. regula oder sl. pravi(d)lo. Es handelt sich immer um ein Werkzeug zur Herstellung gerader Linien, um einen Richtscheit. Auch im Sl. ist aber REIHE und ORDNUNG identisch. Sl. red ist zum einen 'Reihe', zum anderen Ordnung' und tritt auf z.B. in skr. red 'Reihe' neben skr. red 'religiöser Orden', in c. fada 'Reihe' neben c. fad Ordnung', Orden', 'gesellschaftliche Ordnung', dann aber auch in c. pofadek, r. porjadok 'Reihenfolge' Die Verwendung ist zweifach 'gerade': einmal horizontal, dann aber vertikal. Das ist für den Zusammenhang mit 'leiten' und 'herrschen' von großer Bedeutung. 8 Für die tschechische rechtshistorische Forschung vgl. z.B. VANECEK (1946: 114f). Die Verbindung der Bedeutungen 'gerade' und 'Recht' an der anderen Grenze des ide. Kommunikationskreises dokumentieren die Ausdrücke ai. rajistha, av. razista 'gerechteste' (eigentlich 'geradeste'). Vgl. PISANI (1934: 158). 9 Tatsächlich steht die Kategorie GERADE für die Klasse MÄNNLICH, die Kategorie KRUMM seit dem Altertum für die Klasse WEIBLICH. Mit diesen Zusammenhängen befasst sich unsere Studie "Rechts und Links in Europa". Vgl. VAN LEEUWEN ( 1989a).

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und Ordnung' usw.. Die sl. Verben kennzeichnen aber noch weitere Bereiche der Ordnung. Wir sehen das an skr. narediti, c. nafidit 'anordnen'10 skr. odrediti Ordnen', 'bestimmen', skr. podrediti, c. podfidit, 'unterordnen', skr. urediti 'in Ordnung (gehörige Reihenfolge) bringen', c. zafidit 'einrichten', 'herrichten', 'veranlassen' und anhand der Nomina: skr. obred, c. obfad 'Ritus', 'Zeremonie', narednik Offizier', c. ufednik 'Amtsmann', skr. poredak, c. pofadek Ordnung' usw.. Diese Ordnungsbezeichnungen sind horizontal und vertikal determiniert: wir nehmen allerdings ihre horizontale Ebene immer weniger wahr.11 Im Slavischen alternieren zur Bezeichnung eines GERADEN Zählmodus mehrere Typen von Ausdrücken. Mit diesen Ausdrücken werden regelmäßig gesellschaftliche, also auch politische Ordnungs- und Leitungsfunktionen gekennzeichnet.12 Nicht anders ist es aber in den germ, und romanischen Sprachen: man erinnere sich nur an lat. rex und regulus 'König', an lat. regiom 'Reich', fr. regime, dt. Reich usw.. Alle diese Ausdrücke sind auf demselben Prinzip aufgebaut, wie die sl. Rechts- und Ordnungsbezeichnungen. 2.2. DIE IDE. ORDNUNG IST GERADE Nun stellt sich also die Frage, woher es kommt, daß unsere Ordnungsbegriffe auf dem geraden Zählmodus basieren. Der gerade Zählmodus, das Ordnungsprinzip GERADE ist im ide. Kulturkreis das Prinzip der ORGANISATION. Und zwar ganz konkret und praktisch: jede technische Tätigkeit, v.a. aber der für die europäische Zivilisation charakteristische Städtebau ging und geht von dem geraden Zähl- und Baumodus aus. Außer der ovalen bzw. doppelapsidialen Paläste auf Malta und Gozo aus dem 3. Jahrtsd. v.u.Z. sind alle profanen Prachtbauten "gerade" gestaltet.13 DieetrusVgl. die konzeptionelle Identität der dt. Ausdrücke: dt. an-ord-nen basiert ebenfalls auf der 'Reihe'. Primär horizontal war z.B. obred 'Ritus'. Auch lat. ritus war übrigens horizontal (GERADE) determiniert. Dafür spricht zum einen die Handlung selbst, denn ein Ritus, ein Ritual besteht in der Wiederholung einer vorgegebenen Reihenfolge von Handlungen und seine Gültigkeit oder sein Erfolg ist von der fehlerlosen Befolgung dieser vorgegebenen Ordnung abhängig; zum anderen die germ. Verwandten des lat. ritus, wie z.B. gallorom. nmäre 'in eine Reihe ordnen' oder ahd. rtm neben 'Zahl' auch 'Reihe im Kreis stehender Menschen' und 'Reihenfolge'. Dasselbe galt zunächst für die Ausdrücke c. ufad 'Amt' und ufednik 'Amtsmann', die man heute nach der Ordnung in der Gesellschaft eher in ein vertikales Paradigma einordnen würde. Der ufednik war zunächst einer, der Dinge "der Reihe nach" zu erledigen hatte und der zugleich für die ('gerade') Ordnung zuständig war. 12 Vgl. die Ableitungen von prav- ('gerade') im Ostslavischen, wie r. pravitel'stvo, 'Regierung', r. pravitef 'Herrscher' und die Verwendung der Ausdrücke, die auf 'Reihe' zurückgehen im nafidit 'anordnen', dt. anordnen, überordnen, unterordnen, verordnen, engl. to order usw.. 13 Zum Gegensatz der 'ungeraden' und 'geraden' Formen in der materiellen Kultur vgl. VAN LEEUWEN (1989a).

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kischen, griechischen und lateinischen Siedlungen der Kolonisationszeit — also der Zeit der Expansion, in der man nicht vom Bestehenden ausging, sondern Neues errichtete — sind genauso, wie die spanischen und portugiesischen Kolonialstädte "gerade" und rechteckig angelegt. Das heißt auch: sie sind planmäßig und rational angelegt und erstrecken sich entlang von "gerade" (im 90 Grad Winkel) sich schneidenden Straßen. Im Idealfall — so bei den Griechen regelmässig seit dem 5. Jh. v.u.Z. — war diese ORDNUNG so konzipiert, daß jedem das gleiche an Wohn- und Ackerfläche zukam: auch die Häuser wurden (im Idealfall) gleich.14 Das Ganze wurde als die Verkörperung der antiken griechichen Demokratie angesehen und —- in seiner Rechteckigkeit — sogar als schön empfunden.15 Der "gerade" Zählmodus war aber auch die Basis der Landvermessung, der Landverteilung, der Parzellierung und all dessen, was man mit dem ehemals Unteilbaren gemacht hat. Es ist die Form, die die private Nutzung und später auch das private Eigentum an Land und Ackerland möglich macht; eine Form, die die Voraussetzung der Abgabenwirtschaft und in diesem Sinne auch der HERRSCHAFT ist. Die Gerade ist deshalb auch die Grundlage jeder wissenschaftlich-mathematischen Spekulation, die aus dieser — durch praktische Gesichtspunkte bedingten — Landvermessung hervorging.16 Die gerade Linie ist das Organisationsprinzip einer sich organisierenden und um so mehr einer organisierten Gesellschaft. Ihre Bedeutung nimmt aber in einer jeden Gemeinschaft zu, die sich von dem zyklischen, reproduktiven Rythmus der Natur gelöst hat. Sie nimmt proportional zu, immer in Relation dazu, wie weit entfernt man von diesem Rythmus ist. Diese gerade Linie wird zum Organisationsprinzip einer Gemeinschaft, die von der REPRODUKTION zur PRODUKTON, von der Landwirtschaft zum Handwerk, von ländlicher zu städtischer Lebensweise und zur städtischen Kultur übergegeht. Deshalb ist dieses Organisationsprinzip GERADE eben bei den "zivilisierten", also den städtischen Kulturen am meisten ausgeprägt. Da die Organisations- und Ordnungsbegriffe auf dem Prinzip GERADE aufgebaut sind, kann auch das RECHT — ein wesentlicher Bestandteil dieser ORDNUNG — von ihm nicht abweichen! Deshalb sind die neueren Rechtsbezeichnungen (sl. 14

Diese prinzipielle 'Gleichheit', 'Gleichgestaltigkeit' und — da es dabei vorwiegend um Besitz und zunächst weniger um ideelle Größen ging — 'Gleichverteiltheit' bezeichnete man als isonomia. Isonomia war das Stichwort für ein spezifisches politisches Konzept. 15 Man vergesse aber nicht, daß dies eine "Rechts"-Demokratie war, eine nur Männern zugängliche Organisationsform. Die isonomia galt ja nur in und für die männliche Sozialsphäre. Die griechische Demokratie ist eine solche ohne Frauen und sie ist auf der Sklaverei aufgebaut. Man sollte diese ihre Mängel nicht aus den Augen verlieren! Im Übrigen würde es uns heute schwerfallen, solche geraden rechteckigen Formen immer noch schön zu finden! 16 Das gilt im gleichen Maße für die Baukunst wie für die Geometrie.

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pravo, dt. Recht, fr. droit usw.) auf der Grundlage von 'GERADE' aufgebaut und als Metonymien zu ORDNUNG' zu verstehen. 3. Das 'krumme' UNRECHT Den Gegensatz zu diesem 'GERADEN' RECHT bildet das UNGERADE, in Wirklichkeit aber das 'KRUMME' UNRECHT! Ich kann hier nur erwähnen, daß die Kategorien GERADE und KRUMM nicht nur mit RECHT und ORDNUNG, sondern grundsätzlich mit der Polarität von RECHT(s) und LINK(s) und auf einer anderen Ebene auch mit der Polarität der Prinzipien MÄNNLICH und WEIBLICH verbunden sind.17 Im Hinblick auf das Recht ist die Verbindung mit 'krumm', wie wir sie im Sl. krivda (c., r. und skr. 'Ungerechtigket', 'Unrecht' und 'Unbill'), außerordentlich bedeutend. Und zwar nicht nur wegen der begrifflichen und der kultursemantischen Polarität von GERADE und KRUMM, sondern auch kulturhistorisch. Wie das sl. pravo, pravda 'Recht', ist auch die sl. krivda im Bereich dessen angesiedelt, was wir heute dem Strafrecht entgegensetzen würden: also im Bereich des sog. materiellen zivilen Rechts. Das skr. kriv 'schuldig' und 'falsch' bezog sich, wie ursprünglich auch die skr. krivica 'Schuld', 'Verschulden' bzw. 'Verschuldung' auf Vergehen des materiellen Zivilrechts. Sie war nicht Bestandteil des Strafrechts, wie man aus der heutigen Verwendung von skr. krivicni zakon 'Strafgesetz' oder krivicni postupak 'Strafverfahren', krivicno delo 'strafbare Handlung' oder krivicno odel'en'e 'Kriminalabteilung' irrtümlich schlußfolgern könnte. Die sl. Bezeichnung für eine Straftat war die vrazda, nicht krivda. Deshalb ist die vrazda und nicht die krivda zur Bezeichnung für 'Feindschaft ' auf der einen, und von 'Mord ' auf der anderen Seite geworden. Im Südslavischen wird vrag neben für 'Feind' auch noch für den 'Satan' bzw. den 'Teufel' gebraucht.18 Vrazda und pravo gehörten zunächst überhaupt nicht zusammen; vrazda war Gegenstand einer privaten Rache, krivda 'Unrecht' aber das Gegenteil von pravda: es war ein Vergehen, das es zu KORRIGIEREN galt, damit wieder ORDNUNG einkehren konnte. Das sl. pravo war nicht nur ein Gewohnheits-, sondern zugleich und v.a. ein KOMPENSATORISCHES RECHT. Mit einer 'Korrektur' hing z.B. schon der 'Freispruch' in DUSANOV ZAKONIK 19 zusammen ; sie liegt auch weiterhin dem bulg . Ausdruck opravdavam 'freisprechen' zugrunde. Auch die skr. poprava 'Aussöhnung' (vor dem Gericht), auf die sich skr. otisli u sud na popravu 'sie gingen zum Gericht, um sich zu versöhnen' bezieht, war prinzipiell mit eine Korrektur, mit der Wiederherstellung der (alten) 17 18

Dazu vgl. VAN LEEUWEN (1989) und VAN LEEUWEN (1989a).

Die vrazda und der vrag haben formal und semantisch mit dem germ, wargas dem 'Wolf und 'Ausgestoßenen' zu tun. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war vrazda ein früher Ausdruck für die 'Fehde'. Vgl. VAN LEEUWEN (1989b). D. z. ist eine serbische Gesetzessammlung aus dem 14. Jh.

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Ordnung verbunden.20 Die Aussöhnung hat die Wiederherstellung des FRIEDENS in einer Gemeinschaft zur Aufgabe und zur Folge und der FRIEDE(N) ist zuerst ein Rechtszustand. Er basiert wiederum auf der Existenz und der Geltung von ORDNUNG. Diese alte RECHTS-ORDNUNG war aber keine primär vertikale, hierarchische und autoritäre Ordnung, wie die, die wir heute vor Augen haben. Sie war auch und v.a. horizontal und so sollte sie besser wieder werden. Abkürzungen: ac. afries. ags. ahd. anord. ar. asächs. asl. bulg. c. dt. gallorom. germ. engl. fr. ide. it. lat. mhd. ostsl. r. sl. slov. sp. südsl. wgerm. Wz.

alttschechisch altfriesisch angelsächsisch althochdeutsch altnordisch altrussisch altsächsisch altslavisch bulgarisch tschechisch deutsch galloromanisch germanisch englisch französisch indoeuropäisch italienisch lateinisch mittelhochdeutsch ostslavisch russisch slavisch slovenisch spanisch südslavisch westgermanisch Wurzel

LITERATUR LEEUWEN, JIRINA VAN - TURNOVCOVA 1989 Semantik und Symbolik von 'link(s)' und 'recht(s)'. In: Akten des 23. Linguistischen Kollquiums, Berlin (1988). Tübingen, 573-585. 1989a Rechts und Links in Europa. Ein Beitrag zur Semantik und Symbolik der Geschlechtspolarität.(= Balkanologische Veröffentlichungen des OEI an der Freien Universität Berlin). i.D. Vgl. skr. popraviti 'bessern', 'verbessern', aber auch 'zu Kräften kommen' und damit zugleich den alten Zustand (wie er vor einer Krankheit war) wiederherstellen'.

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1989b Pravo, pravda, krivda und vrazda. Ein Beitrag zur Semantik einiger slavischer Rechtsbegriffe. In: Zeitschrift für Balkcmologie. i.D. PISANI, V. 1934

Latio prövincia, il suffisso indoeuropeo enque le formazioni germaniche in -inga-, -unga-, -ingo-, -ungo-. In: Contributi armeni. Firenze.

POSPISIL, L. 1982

Anthropologie des Rechts. Recht und Gesellschaft in archaischen und modernen Kulturen. München. VANECEK, V. 1946

Pocatky prava a statu v Ceskoslovtnsku. Praha.

WESEL, U. 1984

Juristische Weltkunde. Frankfurt a.M.

Sprechhandlungsstrukturen in Brieftexten Ping-ge Li Bremen

Im Rahmen der Untersuchung von Briefen habe ich versucht, Sprechhandlungsstrukturen herauszuarbeiten, denn das Schreiben von Briefen ist eine Art Handeln und ich gehe davon aus, daß in der Briefkommunikation typische Handlungsmuster zu finden sind. Zu den Sprechhandlungsstrukturen gehören meines Erachtens 1. Sprechhandlungen wie Dank oder Entschuldigung, 2. Die Beziehungen der einzelnen Sprechhandlungen untereinander, 3. Kennzeichen der Sprechhandlungsstrukturen. Ich möchte hier in erster Linie den Punkt 2 und 3 thematisieren. Bevor ich zu meinen eigenen Überlegungen komme, möchte ich kurz auf die bisherigen Forschungsergebnisse eingehen. Bis jetzt haben v.a. BRANDT und einige andere Autoren im Lunder Symposium anhand der Geschäftsbriefuntersuchung zwei Strukturarten festgestellt, die hierarchische und die kooperative. In einer hierarchischen Textstruktur herrscht eine dominante Sprechhandlung vor (Sie nennen das Illokution1 ); in einer kooperativen Struktur dagegen sind mehr als eine dominante Sprechhandlung vorhanden. Die dominante Sprechhandlung wird von sekundären Sprechhandlungen unterstützt (BRANDT ET AL. 1982). Über die Beziehung zwischen einer dominanten Sprechhandlung und den subsidiären Sprechhandlungen haben die Autoren vom Lunder Symposium drei Typen genannt, und zwar Begründung, Schlußfolgerung und negative Begründung (BRANDT ET AL. 1982: 120ff.). Meine Überlegung geht dahin, über diese Beziehungsarten und Strukturarten hinauszugehen. Im folgenden möchte ich dies anhand eines Textes aus einem chinesischen Privatbrief darlegen (Xie-xin bi-du 'Pflichtlektüre für das Brief schreiben', 1986: 70-72), den ein Chinese an seinen Bruder geschrieben hat. Dieser Text dient teilweise als Ausgangspunkt, von dem sich strukturelle Erscheinungen, die nicht in diesem Brief vorgekommen sind, ableiten lassen. 0. Analysetext: (1) Da ich mich lange Zeit nicht mehr nach Dir erkundigt habe, mache ich mir aus der Ferne Gedanken um Dein Wohlbefinden und ich glaube, es geht Dir gut. (2) Alt und Jung in der Familie fehlt nichts, unser Leben verbessert sich ständig, und deshalb sei Du in der Ferne bitte nicht besorgt. Die Illokution ist mehr sachbezogen, während die Sprechhandlung hier sowohl sach- als auch beziehungsbezogen ist. Über diesen Unterschied vgl. SÄGER 1981, HÄRTUNG 1983.

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Semantii (3) Zur Zeit entwickelt es sich auf dem Lande erfreulicherweise sehr schnell. (4) Seit unser Dorf das Verantwortungsystem eingeführt hat, wird die Warenproduktion stark gefördert und die Landwirtschaft belebt, so daß sich das Einkommen der Dorfbewohner mehrfach erhöht. (5) Unsere Familie ist auch keine Ausnahme und führt ein immer besseres Leben, wie 'rapide wachsende Sesame beim Blühen'! (6) Ich glaube, es freut Dich bestimmt sehr, dies zu erfahren! (7) Da unsere Heimat bei ihrer großen Bevölkerungszahl über zu wenig Boden und infolgedessen über zu viele unaktivierte Arbeitskräfte verfügt, wird es schwierig, das Einkommen der Bauern und schließlich ihren Lebensstandard bloß durch Getreideproduktion zu erhöhen. (8) Deshalb ist die von der Bevölkerung erwünschte Weiterentwicklung der Warenproduktion eine dringende Aufgabe. (9) Durch die Praxis in den letzten Jahren wird bereits deutlich, daß die Entwicklung der Warenproduktion die Situation ländlicher Gebiete ändern kann und die Bauern dadurch reicher werden. (10) Zur Zeit kann die Warenproduktion in unserem Dorf wie folgt zusammengefaßt werden: (11) 1. ... (12-13) 2. ... (14-15) 3. ...2 (16) Seit Beginn dieses Jahres hat die Warenproduktion unserer Heimat wieder einen großen Fortschritt gemacht. (17) Vor kurzem hat die Kreisregierung unserer Gemeinde geholfen, uns einen Platz für die Gemüseproduktion, eine Fabrik für Fischfangnetzseile zu errichten und eine vielseitige Wirtschaft zu entwickeln, so daß die Produktion in verschiedenen Gebieten beflügelt wird. (18) Das erste Dokument vom Zentralkommitee hat bei uns Bauern wie ein Beruhigungsmittel gewirkt, so daß wir zuversichtlich, hoffnungsvoll und begeistert sind, uns für die Vier-Modernisierungen einzusetzen. (19) Mein ältester Bruder, da Du immer beschäftigt bist, hast Du schon mehrere Jahre Deine Heimat nicht mehr betreten und ich hoffe, daß Sie3 in diesem Jahr vorbeikommen, um die wunderschöne Landschaft im erneuerten ländlichen Gebiet mal kennenzulernen. (20) Wünsche Dir Gesundheit... "

Dieser Brief wird im zitierten Buch als "Bericht über neue Entwicklungen der Warenproduktion in der Heimat" betitelt (Xit-xin bi-du 'Pflichlektüre für das Briefschreiben' 1980: 70). 1. Einzelne Sprechhandlungen Einzelne Sprechhandlungen möchte ich aufgrund von Sätzen analysieren. Damit ist aber nicht gemeint, daß Sätze und Sprechhandlungen deckungsgleich sind. Aus Gründen der Einfachheit wird ein Satz durch die Interpunktion, etwa einen Punkt oder ein Ausrufezeichen abgegrenzt.4 Dabei kann ein Satz wie "ich mache mir 2

Weggelassen vom Verfasser. Im originalen Text steht an dieser Stelle das Siezen. 4 Ein Satz kann auch syntaktisch wie in der Dependenzgrammatik oder semantisch aufgrund der einzelnen Propositionen abgegrenzt werden; Vgl. BRINKER 1985: 25. 3

Ping-ge Li: Sprechhaadlungsstrukturen in Brieftexten

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Gedanken um Dich" eine Sprechhandlung vollziehen. Ein Satz kann aber auch mehrere Sprechhandlungen vollziehen, z.B. der erste Satz im Text Da ich mich lange Zeit nicht mehr nach Dir erkundigt habe, mache ich mir aus der Ferne Gedanken um Dein Wohlbefinden und ich glaube, es geht Dir gut.

enthält drei Sprechhandlungen: erstens die Feststellung einer unterlassenen Erkundigung, zweitens die Mitteilung der Sorge um den Bruder und drittens die Vermutung über seinen Zustand. Ein Satz kann also eine oder mehrere Sprechhandlungen aufweisen. Man kann dem Beispieltext folgende einzelne Sprechhandlungen entnehmen: Satz

3 4 5 6 7 8 9

10-15 16 17 18

19

Sprechhandlung 1. Feststellung, daß der Sender sich lange nicht mehr nach dem Wohlbefinden des Empfängers erkundigt hat; 2. Mitteilung, daß er sich um das Wohlbefinden des Empfängers Gedanken macht; 3. Vermutung, daß der Empfänger sich wohl fühlt; 4. Mitteilung, daß es der Familie gut geht; 5. Beruhigen des Empfängers dahingehend, sich keine Sorge um die Familie zu machen; 6. Bericht über die neue gute Situation auf dem Lande; 7. Bericht über die Situation im Dorf; 8. Bericht über die Verbesserung des Lebens der Familie; 9. Mitteilung der Überzeugung von der Freude des Bruders; Beschreibung der Bedingungen des Dorfs; 10. 11. Feststellung der Notwendigkeit der Warenproduktion; 12. Behauptung, daß positive Ergebnisse eine Verbesserung der Warenproduktion beweisen; 13-18.Detailberichte über die Warenproduktion; 19. Bericht über neuen Fortschritt in der Heimat; 20. Detailbericht; 21. Bestätigung der Politik; 22. Bericht über die Überzeugung der Bauern von der Notwendigkeit der Vier-Modernisierungen; 23. Feststellung, daß der älteste Bruder lange nicht mehr zu Hause gewesen ist; 24. Hoffen, daß der Bruder nach Hause kommt.

Diese einzelnen Sprechhandlungen stehen im Brieftext nicht zufällig lose nebeneinander, sondern sie weisen Relationen auf.

2. Beziehungen der Sprechhandlungen In diesem Beispieltext dominiert die Sprechhandlung Bericht, z.B. bei der Sprechhandlung 6-8, 13-20 und 22 geht es um Berichte. Dies entspricht auch dem Titel des Briefs, "Bericht über die Entwicklung der Warenproduktion in der Heimat". Die Relationen zwischen den einzelnen Sprechhandlungen sind vielfältig. Nach den Autoren vom Lunder Symposium bestehen im allgemeinen wie erwähnt drei Beziehungen in Sprechhandlungsstrukturen, und zwar Begründung, Schlußfolgerung

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Semaniii

und negative Begründung. Diese drei Relationen möchte ich hier an den Sprechhandlungen im Text einmal verdeutlichen und paraphrasieren: 1. BEGRÜNDUNG: Im ersten Satz z.B. teilt der Sender seinem Bruder seine Sorge um dessen Wohlbefinden mit und gibt dafür einen Grund an, nämlich er habe sich lange Zeit nicht mehr nach ihm erkundigt. Hier wird eine Sprechhandlung durch eine andere als Grund näher dargelegt. Dieser Beziehungstyp läßt sich paraphrasieren durch: "Ich tue p, weil q." 2. SCHLUSSFOLGERUNG: Im zweiten Satz z.B. teilt der Sender dem Bruder mit, daß es der Familie gut geht, und beruhigt somit den Bruder:"...sei Du in der Ferne nicht besorgt.". Hier leitet sich die Handlung Beruhigung als Folge aus einer anderen Handlung ab. Dieser Beziehungstyp kann paraphrasiert werden durch: "Ich tue p, deshalb q." 3. NEGATIVE BEGRÜNDUNG: Hätte der Sender im zweiten Satz zunächst dem Bruder mitgeteilt, daß es der Familie sehr gut geht und anschließend aber folgendes ausgedrückt: "...trotzdem solltest Du dich um die Familie mehr kümmern," dann würde zunächst ein Grund angeführt, der die Beschwerde eigentlich hätte verhindern müssen. Dieser Beziehungstyp läßt sich paraphrasieren durch: "Ich tue p, obwohl q." Ich habe über diese drei Beziehungstypen hinaus noch weitere Beziehungstypen gefunden, die ich jetzt im folgenden vorstellen möchte. 4. Den Berichterstattungen dieses Briefes werden noch weitere Handlungen hinzugefügt, wie Mitteilung der Sorge (2) oder Feststellung, daß der ältere Bruder lange nicht mehr zu Hause gewesen ist (23). Hier ergänzen diese weiteren Handlungen die dominierende Handlung. Ein Beziehungstyp, bei dem einer Sprechhandlung eine weitere oder mehrere hinzugefügt werden, kann man als ERGÄNZUNG bezeichnen und paraphrasieren durch: "Ich tue p, außerdem noch q." 5. Die dominierende Handlung Bericht läßt sich im Brief durch einzelne Detailberichte (6-8, 13-20, 22) spezifizieren. Dieser Beziehungstyp, in dem eine Sprechhandlung durch eine weitere oder mehrere spezifiziert wird, ist als PRÄZISIERUNG zu bezeichnen und zu paraphrasieren durch: "Ich tue p; P ist pi, p2, usw.."5 6. Schreibt der Sender im Brief: "Komm bitte mal vorbei, wenn Du Zeit hast", dann drückt sich im Wenn-Satz eine Bedingung für den Hauptsatz aus. Diese Beziehung, in der eine Handlung eine allgemeine Bedingung für eine andere Handlung darstellt, wird als BEDINGUNG bezeichnet. Sie läßt sich paraphrasieren durch: "Ich tue p, wenn q." 7. Im Brief kommt der Sender nicht direkt zum Bericht, sondern er bereitet den Bericht durch Handlungen wie Feststellung der unterlassenen Erkundigung (1), Mitteilung der Sorge um den Bruder (2) vor. Diese Beziehung, in der sich eine 5

Der Beziehungstyp 4 und 5 werden auch bei ROSENGREN aus semantischer Sicht thematisiert. ROSENGREN 1983: 158,189.

Ping-ge Li: Sprechhandlungsstrukturen in Brieftexten

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Sprechhandlung durch weitere vorbereitet, ist als VORBEREITUNG zu bezeichnen. Sie läßt sich paraphrasieren durch: "Ich tue erst p, dann q." 8. Der Sender fängt den Brief mit einer Feststellung der unterlassenen Erkundigung an. Damit drückt er sein schlechtes Gewissen aus. Wäre sein schlechtes Gewissen so groß, daß er es innerhalb des Briefs nochmals erwähnte, dann handelte es um eine WIEDERHOLUNG. Diese Beziehung, in der eine Sprechhandlung mehr als einmal geäußert wird, kann paraphrasiert werden durch: "Ich tue p. Und ich tue p noch einmal." 9. Der Sender hat im Brief die Hoffnung auf den Heimatbesuch des Bruders geäußert. Hätte er den Bruder ausdrücklich eingeladen und diese Einladung durch eine Bitte um Zusage unterstützt, dann hätte das bedeutet, daß er sich mit der Bitte vergewissern wollte, ob die Einladung gelingt oder nicht, um sich entsprechend darauf einstellen zu können. Dieser Beziehungstyp, in dem eine Handlung durch eine weitere Handlung gesichert werden soll, ist als SICHERUNG zu bezeichnen und zu paraphrasieren durch: "Ich tue p. Ich tue Sicherheitswegen q." 10. Drückte der Sender im Brief eine Einladung aus und kündigte weiter an:"Ich freue mich, Dich wieder zu sehen.", so bekräftigte er mit dieser Freudeerklärung die Einladung. Eine Beziehung, in der eine Sprechhandlung eine andere nachdrücklich bestätigt, wird hier als BEKRÄFTIGUNG bezeichnet. Dieser Beziehungstyp läßt sich paraphrasieren durch: "Ich tue p. Ich will p." Das sind 10 Beziehungstypen, die die Relationen der Sprechhandlungen im Brief aufzeigen. Zur Feststellung der Beziehungen kann man sich auf bestimmte Indikatoren im Text beziehen. Z.B. im ersten Satz kündigt die Feststellung Da ich mich lange Zeit nicht mehr nach dir erkundigt habe

durch die Konjunktion "da" eine BEGRÜNDUNG für die Sorge an. Und im zweiten Satz wird aus der Feststellung Alt und jung in der Familie fehlt nichts, unser Leben verbessert sich ständig eine SCHLUSSFOLGERUNG mittels "deshalb" geäußert, nämlich deshalb sei Du in der Ferne bitte nicht besorgt. Doch diese syntaktischen Mittel wie Adverb "deshalb" oder die Konjunktion "da" sind nicht das Entscheidende. Z.B. die Schlußfolgerung im zweiten Satz zwischen Alt und jung in der Ferne fehlt nichts und sei Du deshalb in der Ferne bitte nicht besorgt

kann auch ohne das Adverb "deshalb" wie Alt und jung in der Familie fehlt nichts und sei in der Ferne bitte nicht besorgt. aufgrund des Kontextes und des Alltagswissens festgestellt werden. Hier zeigt es sich, daß sich Beziehungen auch ohne syntaktische Indikatoren erkennen lassen.

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Semantik

Der Kontext und das Alltagswissen spielen neben syntaktischen Mitteln bei der Festlegung der Beziehungen eine große Rolle. 3. Kennzeichen der Sprechhandlungsstrukturen BRANDT und einige andere haben wie erwähnt die Illokutionsstrukturen in hierarchische und koordinative unterschieden. Man kann aber die Sprechhandlungsstrukturen noch detailierter beschreiben. Es läßt sich nämlich fragen, 1. welche Sprechhandlungen und Beziehungen ein Brief erfaßt; 2. wie diese Sprechhandlungen aufeinander folgen; 3. wie man an das Hauptanliegen herangeht. Zur 1. Frage, welche Sprechhandlungen und Beziehungen erfaßt ein Brief? Die erwähnten zehn Beziehungstypen tauchen bei der Unterstützung der dominierenden Handlung auf. Doch für die Unterstützung einer dominierenden Sprechhandlung sind nicht alle subsidiären Sprechhandlungen gleich zwingend notwendig. Einige sind unverzichtbar, z.B. die Detailberichte im Beispieltext sind zur Präzisierung der dominierenden Handlung Bericht über die Entwicklung der Warenproduktion unverzichtbar. Diese Art unverzichtbare Beziehungen bezeichne ich als primäre bzw. notwendige Beziehungen. Entsprechend nenne ich die Sprechhandlungen wie die Detailberichte, die in dieser Beziehung stehen, primäre bzw. notwendige Sprechhandlungen. Das Gegenexemplar dazu bilden sekundäre Beziehungstypen und Sprechhandlungen, die durch ihre Entbehrlichkeit gekennzeichnet sind. Z.B. die Handlung l, Feststellung, daß sich der Sender lange nicht mehr nach dem Wohlbefinden des Empfängers erkundigt hat, ist in einem Berichtsbrief nicht unerläßlich und spielt damit eine sekundäre Rolle. Beschränkt man einen Brief auf das Notwendige, meistens auf ein bestimmtes Vorhaben und verzichtet auf alles Nebensächliche bzw. Sekundäre, dann ist diese Art Briefstruktur als RESTRIKTIV zu bezeichnen, restriktiv in dem Sinne, daß sich die Briefstruktur nur auf das Notwendige beschränkt. Man kann aber einen Brief auch anders gestalten, wie etwa im Beispieltext, neben dem Notwendigen noch Sekundäres aufgreifen. Die notwendigen Berichte werden z.B. durch die 1. Handlung in bezug auf die Erkundigung nach dem Wohlbefinden des Bruders und durch die Handlung 5 Beruhigung des Bruders vorbereitet; und weiter wird der Bericht durch Hoffnung auf den Heimbesuch des Bruders ergänzt (24). Diese vorbereitenden oder ergänzenden Sprechhandlungen sind zwar nicht abwegig für einen Brief an einen Familienangehörigen, doch spielen sie im Vergleich zum Hauptanliegen Bericht eher eine sekundäre Rolle. Die Beziehungen der Vorbereitung und Ergänzung sind folglich auch sekundär. Ein Brief, in dem neben dem Notwendigen noch weiteres erzählt wird, weist eine EXTENSIVE Struktur auf, die vor allem durch die Ausgiebigkeit gekennzeichnet ist. Im Brief kann noch eine weitere Erscheinung vorkommen, worin das Notwendigste, das eigentliche Ziel nicht ausgedrückt, sondern um das Ziel herum erzählt wird. Um ein allgemeines Beispiel zu nennen: Mancher vermeidet doch bei der

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Absicht, sich Geld zu leihen, direkt auf das Ziel einzugehen und redet nur von eigenen finanziellen Problemen. Hier schweift man also vom Notwendigsten, nämlich der Absicht der Geldleihe ab. Diese Art Struktur ist als EXKURSIV zu bezeichnen. Diese drei Strukturarten, RESTRIKTIVE, EXTENSIVE und EXKURSIVE Struktur zeigen gemeinsam, was — Notwendiges oder Sekundäres — ein Brief erfaßt. Man kann dieses "was" auch unterschiedlich gestalten. Damit komme ich zur 2. Fragestellung, nämlich wie die Sprechhandlungen aufeinander folgen. Man kann etwas klar nacheinander darstellen. Sind mehrere Angelegenheiten in einem Brief zu erledigen, können sie eine nach der anderen dargestellt werden. Im Hauptteil des Beispieltexts berichtet der Sender in erster Linie und drückt im großen und ganzen klar nacheinander aus. Aus den Bedingungen des Dorfs (10) erschließt er die Notwendigkeit der Warenproduktion (11) und bekräftigt diese durch die Behauptung der positiven Ergebnisse in der Praxis (12). Die Ergebnisse werden anschließend durch Detailberichte über die Warenproduktion (13-18) und neue Fortschritte in der Heimat (19) präzisiert. Daraus zieht der Sender durch die Handlung 21 die Schlußfolgerung, daß die Politik richtig sei. Diese Art Struktur im Haupttext möchte ich als MONOCHRONE Struktur bezeichnen.6 Man kann aber das WAS auch anders gestalten. Man läßt mehrere Dinge nebeneinander laufen, die ineinander fließen oder sich verzahnen. In dem Beispieltext wird in der Sprechhandlung 7-10 z.B. erst über die Situation im Dorf berichtet (7), dann über die Familie (8), und anschließend zur Reaktion des Empfängers übergegangen (9), die schließlich wieder zum Bericht über das Dorf führt (10). Die drei komplexen Handlungen, nämlich Bericht über das Dorf und die Familie sowie die Zuwendung an den Bruder grenzen sich nicht klar ab, sondern fließen hier ineinander. Mit anderen Worten, verschiedene Berichtsebenen werden parallel auf einer Ebene dargestellt. Diese Art Struktur läßt sich als POLYCHRON bezeichnen.7 Mit der Gegenüberstellung von der MONOCHRONEN und POLYCHRONEN Struktur wird geklärt, ob in einem Text eine klare Teilung der Angelegenheiten zu erkennen ist. Darüberhinaus läßt sich auch untersuchen, wie man an ein Thema herangeht. Damit komme ich zur 3. Fragestellung. Im Beispieltext fängt z.B. der Sender nicht direkt mit einem notwendigen Bericht an, sondern geht schrittweise vom Persönlichen zum Allgemeinen, von der Erkundigung nach dem Wohlbefinden des Bruders über die eigene Sorge um ihn bis hin zum Bericht über die Familie und erst dann zum eigentlichen Hauptvorhaben, Bericht über die Situation auf dem Lande. Er geht also nicht direkt vor, sondern leitet den Haupttext allmählich ein. Der Brief weist somit eine PROGRESSIVE Struktur auf. Der Begriff "monochron" stammt von HALL. Damit bezeichnet er die Haltung zur genauen Zeiteinteilung, in der Dinge der Reihe nach erledigt werden. Diese genaue Zeiteinteilung findet hier auch im Briefschreiben ihre Parallele. Vgl. HALL 1985: 23ff. Auch der Begriff "polychron" findet sich bei HALL als Haltung zur Zeiteinteilung, in der versucht wird, alles gleichzeitig bzw. nebeneinander zu erledigen. Diese Haltung zur Zeit zeigt sich in der Briefstruktur, in der mehrere Sachen nebeneinander erfaßt werden. HALL 1985: 23ff.

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Semantik

Man kann aber auch einen Bericht ohne jegliche Vorbereitung bzw. Einleitung direkt ausdrücken, oder wenn nötig, sogar durch eine Stichwortzeile hervorheben. Geht das Ziel eines Briefs allen anderen Handlungen voran, ist diese Vorgehensweise als REGRESSIVE oder DIREKTE Struktur zu bezeichnen. Mit PROGRESSIVER und REGRESSIVER bzw. DIREKTER Struktur wird die Vorgehensweise bei einer Textorganisation beschrieben. Diese drei Gegenüberstellungen von 1. Restriktiver, extensiver und exkursiver, 2. Monochroner und polychroner, 3. Progressiver und regressiver bzw. direkter Struktur haben jeweils ihren eigenen Akzent; Die erste Gegenüberstellung differenziert sich durch das Notwendigkeits- und Ausgiebigkeitsstreben; die zweite unterscheidet sich in der unterschiedlichen Reihung der Angelegenheiten — Nacheinander oder Nebeneinander; die dritte bezeichnet eine unterschiedliche Herangehensweise im Hinblick auf das Hauptanliegen. 4. Zusammenfassung Mit den erwähnten Kriterien, v.a. mit den Beziehungen der Sprechhandlungen und mit den Kennzeichen der Sprechhandlungsstrukturen, kann man einen Brieftext detailierter beschreiben und dabei entsprechende Handlungsmuster herausarbeiten. Je nach dem, ob sich eine Untersuchung in einen sozialen oder kulturellen Rahmen stellt, können diese Handlungsmuster sozio- oder kulturrelevante Aussagen haben.

LITERATUR BRANDT, M./KOCH, W./MOTSCH, W./ROSENGREN, I./VIEHWEGER, D. 1983 Der Einfluß der kommunikativen Strategie auf die Textstruktur — dargestellt am Beispiel des Geschäftsbriefs. In: ROSENGREN (1983), 105-136. HALL, EDWARD T. 1976 Die Sprache des Raumes (The Hidden Dimension). Düsseldorf: Schwann. HÄRTUNG, WOLFDIETRICH 1983 B rief Strategien und Briefstruktur — oder: Warum schreibt man Briefe? In: ROSENGREN (1983), 215-218. SAGER, SVEN FREDERIK 1981 Sprache und Beziehung. Linguistische Untersuchungen zum Zusammenhang von sprachlicher Kommunikation und zwischenmenschlicher Beziehung. Tübingen: Niemeyer. ROSENGREN, INGER(HRG) 1983 Sprache und Pragmatik. Stockholm: Almquist &; Wiksell International. XIE-XIN BI-DU 1986 'Pflichtlektüre für den Briefverkehr'. Kangtong: Kangtonger Volksverlag.

Reasoning about temporal knowledge Gerard Ligozat / Helens Bestougeff CNRS Paris

0. Introduction The need for representing and reasoning on temporal knowledge arises in at least the following fields, which are cognate to the interests of Artificial Intelligence: - linguistics; - formal semantics; - computational linguistics; - logic. We are concerned here with what might be called temporal knowledge modeling: assuming a basic knowledge of temporal and aspectual phenomena in natural language, we look for a language allowing to represent them in a convenient way; that is, we ask for the following requirements for such a language: - its ontology should be related in a natural way to linguistic categories; - it should be able to express temporal and aspectual inference; - it should be realistic from a computational point of view; - it should possess sound mathematical foundations. The purpose of this paper is to describe the foundations of such a language, based on the notion of generalized intervals. 1. Representing temporal knowledge 1.1. THE GENERAL CONTEXT

A general paradigm in artificial intelligence associates representation, description and inference. To model intelligent reasoning about some phenomenon in the real world, we define a suitable language of representation; we then describe this phenomenon using this language; assuming it has reasoning capabilities, natural reasoning is modeled by inference at the representational level; finally, a process of generation can give answers to queries, conclusions, etc. 1.2. TEMPORAL KNOWLEDGE In the particular case of temporal inference on natural language sources, the real world source can be a text in natural language; the process of description extracts temporal information and builds a representing object in a temporal knowledge base; inference on this object models inference at the linguistic level, allowing a sophisticated interrogation of the knowledge base.

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Semantik

Assume for example the input contains: Peter was closing his suitcase when the notion struck him: he had forgotten to take his toothbrush. He went downstairs to get it. The system should be able to handle such questions as: Had Peter closed his suitcase when he realized he had forgotten his toothbrush? Did Peter go downstairs before beginning to close his suitcase? To this end, we have the following agenda: 1. Define a suitable language of representation; 2. Define and implement reasoning capabilities; 3. Find strategies for the process of description (from natural language data to representing objects); 4. Implement the generation of answers. In what follows, we concentrate on the first task.

2. The linguistic data A preliminary task is defining what in natural language is to be represented; although by no means an easy question, we can at least define a minimal class of phenomena which are relevant for temporal reasoning: tense; aspect; Aktionsart; adverbials; deixis

2.1. TENSE AND ASPECT In languages such as French, where the range of possible tenses is quite wide, especially for the past (iMPARFAIT, PASSE" DE>INI, PASSi COMPOSED PLUS-QUEPARFAIT, PASs£ ANTERIEUR.), tense plays an important role in determining temporal and aspectual information; we have to: - characterize the information brought about by tense / aspect and - account for it in the representation.

2.2. AKTIONSART Aktionsart or mode of process is usually, at least in the computational linguistics literature, described using Vendler's classification (VENDLER 1967), or variants of it (eg MOENS / STEEDMAN 1987). Recall this classification assigns four types to simple utterances: states: activities: accomplishments: achievements:

I know French; Max worked in the garden; Max built a sandcastle; Harry reached the top.

Gerard Ligozat/Helene Bestougeff:

Reasoning about temporal knowledge

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Adverbiale co-occur with, and influence the determination of these types; criteria can be deduced from the restrictions on co-occurrence (cf. DOWTY 1979). Prom the computational point of view, the concrete problem of effectively using this kind of classification on a large scale does not seem to have been addressed. Quite similar notions appear in the artificial intelligence literature. Two of the most influential proposals are. due to ALLEN (1983) and McDERMOTT (1982). For example, properties in the sense of ALLEN are analogous to states, events to accomplishments / achievements, and processes to activities. In Allen's systems; they have different types of validations: properties HOLD, events OCCUR, processes are OCCURRING. Different kinds of axioms are valid for each class. 2.3. DEIXIS Temporal refence in natural language is fundamentally centered on the speaker. The idea of associating indexes of reference is usually cited in connexion with the work of REICHENBACH (1947). Using E,R,S as indexes for the TIME OF EVENT, TIME OF REFERENCE and TIME OF SPEECH, the difference in English between PRETERITE, PRESENT PERFECT, and PLUPERFECT is represented as follows (Fig. 1):

E 5: E

E

B:

S

John visited Elsa

R q Ξ

John has visited Elsa

S

John had visited Elsa Fig. 1

The use of indexes of reference has been developped and generalized in a variety of directions. In connexion with the work on interval-based temporal ontologies (DOWTY 1979; van BENTHEM 1980; KAMP, 1981), temporal indexes which are periods are used; on the AI side, BRUCE (1972) defines a system where an arbitrary number of intermediate reference points is possible, giving rise to "tenses" in a generalized sense.

2.4. INFERENCE Inference on temporal knowledge should support at least three kinds of deductions: - on precedence: deduce from the data an ordering of the situations described ; - on aspect: typical is the inference about the degree of completion in: John was closing his suitcase when the phone rang, and: John had closed his suitcase when the phone rang.

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- on the type of validation: from John had been striking a match for ten minutes deduce a repetitive interpretation. Finally, the linguistic inferences have to interact with extra-linguistic notions of causality, persistence, etc., considered eg. by ALLEN and McDERMOTT (supra). 3. A language for representation

3.1. TEMPORAL SITES, PTS's, GENERALIZED INTERVALS The basic entity representing temporal kwowledge in our model is called a temporal site. A temporal site is constituted by a finite sequence of PTS's (polytyped strings), and of relations between the PTS's. Rather than a formal definition (see BESTOUGEFF / LlGOZAT 1985), we give a very simple example: John was closing his suitcase when Mary called Elsa

is represented by a temporal site containing a sequence of two PTS's; the first PTS has a sequence of three boundaries (beginning of "closing the suitcase", an opening boundary; suspension of "closing the suitcase", an opening boundary; time of speech); the second PTS also has three boundaries; the difference is on the second one, which is a "closing" boundary. Among the relations is one expressing that the beginning of "Mary calling Elsa" comes after John's beginning to close his suitcase. More generally: - PTS's are based on generalized intervals, which are finite increasing sequences of boundaries; - boundaries, and consequently intervals, are typed; - constraints are defined on possible validations: for example, a non culminating process can only be valid on a left-closed, right-open, interval. Since PTS's are based on generalized intervals, and relations between PTS's are of primary importance in reasoning about temporal information, it is of theoretical importance to elucidate the strucure of relations between generalized intervals; it is of computational importance to examine how to manage knowledge bases containing sets of them with given relations; in this respect, the cost of updating the base, maintaining its coherence, and retrieving information, is of practical importance. We consider these points in what follows.

3.2. THE ALGEBRAIC STRUCTURE OF RELATIONS Recall that a generalized interval is an increasing sequence of points (boundaries) in an ordered set. We talk of η-intervals if the number of points is n. We drop the qualification "generalized" and speak of intervals. Consequently, an interval in the usual sense is a 2-interval.

Gerard Ligozat/Helens Bestougeff: Reasoning about temporal knowledge

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We are interested in the relations between intervals. In the n = 1-case, there are three possible relations between two points (or 1-intervals) χ and α: χ > α, χ = a, χ < α. If η = 2, there are 13 relations, first explicitly considererd by ALLEN (1983). Six of them are , mi, oi, A, et, st, by exchanging the roles of χ and a; for instance, χ dt a means α d x, that is χ contains a. Finally, equality or coincidence (χ = α) is a thirteenth relation. The set of relations between intervals has a lot of algebraic structure: - transposition corresponds to exchanging the roles; in the η = 2-case, it exchanges < and >, τη and mi, etc; - time reversal corresponds to reversing the time axis; in the η = 2 case, this exchanges s and e, for instance; - composition of relations U and V expresses the possible relations between χ and y, if χ U a and α V y; for instance, in the η = 2 case, denote composition by a dot; then m-d = o + s + d, where + is to be read as a disjunction; that is: if χ meets α and α during j/, then either χ overlaps y or χ starts y or χ during y. Fig. 3 represents all possible cases.

ot>t>t»

Fig. 3

"

Semantik

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In other words, composition of relations satisfies a set of axioms which can be expressed by a transition table first made explicit in ALLEN (1983). In the general case, it can be shown that the set of relations between intervals (with a number of boundaries belonging to a fixed subset of the integers) gives rise to algebraic structures called relation algebras. The importance of these interval algebras comes from the fact that the temporal data bases can be interpreted as particular types of objects associated to these algebras. 3.3. THE GEOMETRIC STRUCTURE OF RELATIONS

Relations have a topological structure which expresses the intuitive notion of nearness between them. For example, consider two 2-intervals χ and a, with χ < α (Fig. 4). χ: a:

Fig. 4 Moving χ a little towards the right does not change the relation, until χ meets a; going still further, we get the relation overlap; then, depending on the relative lengths of χ and a, either χ starts a, or χ equals a, or a ends x, etc. Part of this information is expressed by the polygon H(2,2) of Fig.5 , which is labelled by the names of Allen's relations.

d

dt

Fig. 5 In the case of 3-intervals, the associated geometric object is a polyhedron #(3,3) (Fig. 6) with 20 vertices, 30 edges, 12 squares, and one cube (equality). In the general case, there is a geometric object H(p, q) representing the geometric structure of the set of relations of p-intervals to ^-intervals, which is a POLYTOPE (a polytope is is the generalization to arbitrary dimension of the notions of GRAPH,

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Fig. 6

POLYGON, POLYHEDRON). Moreover, there is an inductive way of constructing H(p,q) using the H(i,j) with smaller indices (i,j). The geometric structure of relations is of importance from the linguistic point of view: in fact, in many cases, the linguistic information does not determine one possible relation, but a subset of possible relations. However, this set is not just any subset. We hypothesize that in all linguistic situations, it is a connected subset, that is, it corresponds to a connected part of the representing polytope. As we shall see later, this property has important consequences for computation. Example Suppose we represent John was writing; Elsa was reading the paper.

It is reasonable to assume that the only indication we have in this case is that John's writing and Elsa's reading have a common subinterval. Then the subset of possible relations is represented by the square in Fig. 6.

3.4. WEAK REPRESENTATIONS Given a text, we would like to associate to it a temporal site. Such a temporal site has an underlying system of (generalized) intervals, that is: - a set of generalized intervals; - a set of relations between these intervals, satisfying suitable axioms.

SemantiJc

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It can be shown that such a system corresponds to the algebraic notion of a weak representation of the corresponding algebra, where the notion of a weak representation is a generalization of the classical notion of a representation.

Fig. 7 For example, Fig. 7 represents a weak representation of .4(2,2), composed of: 2 2-intervals x,y; the relation χ ο y. There is a natural way of constructing weak representations from sets of ordered points: one just uses the points as boundaries. The resulting weak representations are said to be closed. It can be shown that, conversely, there is a canonical way of associating to each weak representation its ordered set of boundaries. In this way, every weak representation can be embedded in its closure, which is the smallest closed weak representation containing it. This gives a partition of the class of weak representations into equivalence classes having isomorphic closures. The situation is illustrated in Fig. 8: both (a) and (b) are weak representations of .4(2,2); their common closure is (c). (a) two intervals x, y; one relation χ ο y; (b) two intervals z, i; one relation z d t; (a)x:

Η ι»»ι

(b)z: t:

Fig. 8 Finally, closed weak representations are in all respects equivalent to ordered sets of points. The practical side of these results is that they show how the language of generalized intervals is an improvement on the language of points, without any information being lost. Consider as an example: John was writing his paper when Mary visited Elsa

Gerard Ligozat/Helene Bestougeff: Reasoning about temporal knowledge

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Suppose the representation is 0.3

John writes

time of speech

Mary visits Elsa Fig. 9

a. In a point-base representation, we get: - 6 points; - relations αϊ < bi < 62 < 02 < 03 < 63; b. in a 2-interval-based representation: - 4 intervals; - relations i\ m 12, 13 m 14, is dii, 14 ο is; c. in the 3-interval-based representation: - 2 intervals a, 6; - one relation (which can be represented by a vertex of .ff (3,3), cf. Fig. 6). In other words, we have a much simpler ontology, at the price of having more complicated axioms. 3.5. TEMPORAL CONSTRAINT NETWORKS Practically, because of the indeterminacy of the temporal knowledge to be represented, we do not deal with weak representations directly, but with sets of constraints on them. This is best expressed using temporal constraint networks. By definition, a temporal constraint network (TCN) is a directed graph, with its edges labelled by elements of an interval algebra. Its vertices are interpreted as (generalized) intervals. Example Consider again John was writing; Elsa was reading the paper. Under the same assumptions as before, this can be represented by a TCN with one edge joining two vertices, where the edge is labelled by the sum of nine relations corresponding to the square in Fig. 6. Suppose we have to position a new interval which can be in a set of relations with respect to John's reading. We get a new TCN with three vertices. Is this new TCN still coherent, i.e. does it describe a possible weak representation with three intervals satisfying the constraints? Using the composition of relations, it is possible in any case to get a TCN with stronger constraints, by using constraint propagation methods. However, in the

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general case, there are TCN with maximal constraints describing no weak representation at all . From the computational point of view, the situation is as follows: Verifying consistency, for intervals other than points, is very costly in machine time (technically, it is a so-called NP-hard problem); Verifying necessary, weaker conditions is less costly (feasible in polynomial time), but not guaranteed to insure coherence. A way out of this situation is to consider networks with labels restricted to suitable subsets of the interval algebra. In some special cases, it is known that this leads to the possibility of verifying consistency in polynomial time. As already mentioned above, such seems to be the case for the restriction to suitably connected subsets of relations which appear naturally in the context of linguistic applications.

3.6. IMPLEMENTATION OF THE FORMALISM In summary, the general procedure for representing temporal knowledge in a text is as follows: 1. Associate to each elementary utterance a PTS, to be inserted in a current temporal site; 2. A PTS is based on a generalized interval, with extra information; 3. Linguistic analysis results in a set of constraints on the type of the PTS and on possible relations; 4. A current TCN represents the underlying structure of the current site; adding a new vertex, with constraints on its relations to other vertices, leads to propagating new constraints and reducing indeterminacy. 4. Conclusion

We have described a language for representing temporal knowledge based on the notion of generalized intervals. - This language offers a concise and natural way of expressing temporal situations in linguistics. - Because it can be entirely based on algebraic notions, it has sound theoretical foundations, the notion of a weak representation of a relation algebra playing a key role. - This language allows to express constraints on possible representing objects in terms of temporal constraint networks, which are suitable objects for computation.

Gerard Ligozat/Helene Bestougeff: Reasoning about temporal knowledge REFERENCES ALLEN J.F. 1983 Maintaining Knowledge about Temporal Intervals. In: Corrvm. of the ACM 26(11), 832-843. VAN BENTHEM, J.F.K. 1980 Points and Periods. In: ROHRER Ch. (ed.), Time, Tense, and Quantifiers. Tübingen: Niemeyer, 91-116. BESTOUGEFF H., LIGOZAT G. 1985) Parametrized abstract objects for linguistic information processing. In: Proceedings of the European Chapter of the Association for Computational Linguistics. Geneva,107-115. 1989 Outils logiques pour le traitement du temps: de la linguistique a I'intelligence artificielle. Paris: Masson. BRUCE, B.C. 1972 A Model for Temporal References and Its Application in a Question Answering Program. In: Artificial Intelligence 3, 1-25. COMPUTATIONAL LINGUISTICS 1988 Computational Linguistics 14(2), June 1988, Special Issue on Tense and Aspect. COMRIE B. 1976 Aspect. Cambridge: Cambridge University Press. DOWTY D.R. 1979 Word Meaning and Montague Grammar. The Semantics of Verbs and Times in Generative Semantics and in Montague's PTQ. Dordrecht: Reidel. DOWTY D. (ED.) 1986 Tense and Aspect in Discourse. Linguistics and Philosophy 9(1), (special issue). KAMP H. 1979 Events, Instants and Temporal Reference. In: BÄUERLE R., EGLI U., VON STECHOW A. (eds.), Semantics from different points of view, Berlin: Springer, 376-417. LIGOZAT G. 1986 Pointset intervalles combinatoires. In: T.A. Informations 27(1), 3-15. MCÖERMOTT, D. 1982 A Temporal Logic for Reasoning about Processes and Plans. In: Cognitive Science 6, 101-155. MOENS, M. / STEEDMAN, M. 1987 Temporal Ontology in Natural Language. In: Proc. of the 25th Annual Meeting of the ACL, Stanford, 1-7. REICHENBACH, H. 1947 Elements of Symbolic Logic. New York: The Free Press, 1966.

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Bewegungs- und Positionsverben: Zur Fakultät ivität des lokalen Arguments* Claudia Maienborn Universität Hamburg

1. Theoretischer Rahmen

Den hier angestellten Überlegungen zur Fakultativität des lokalen Arguments von Bewegungs- und Positionsverben1 liegt eine Konzeption der Semantik zugrunde, die der Kognitiven Linguistik verpflichtet ist und ein modular organisiertes mentales Repräsentationssystem voraussetzt. Gemäß der in diesem Beitrag vertretenen Auffassung, die sich an den Arbeiten von BIERWISCH und LANG (s. z.B. BIERWISCH 1982, 1983; LANG 1985; BIERWISCH/LANG 1987) orientiert, nimmt die Rekonstruktion der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zwei Repräsentationsebenen in Anspruch: die innerhalb des Sprachsystems angesiedelte SEMANTISCHE EBENE sowie die das Begriffssystem konstituierende KONZEPTUELLE EBENE. Die semantische Ebene dient der Spezifikation der grammatisch determinierten Bedeutungsanteile, d.h. derjenigen Bedeutungsstrukturen, die systematisch auf syntaktische Strukturen bezogen sind und den kompositionalen Aufbau der Bedeutungsrepräsentation gewährleisten. Auf der konzeptuellen Ebene erfolgt die Interpretation der semantischen Strukturen in Abhängigkeit vom Kontext und dem verfügbaren begrifflichen Wissen, wie etwa dem Wissen über die Beschaffenheit von Objekten, den charakteristischen Verlauf von Situationen, Kausalzusammenhänge. Bedeutung wird im Rahmen dieser auf grammatische Strukturbildung einerseits und begriffliche Fundierung andererseits ausgerichteten Semantikkonzeption als Resultat der Integration des semantischen und des konzeptuellen Bedeutungsanteils verstanden. Die konkrete Gestaltung der Interaktion zwischen der semantischen und der konzeptuellen Repräsentationsebene wird dabei durch den jeweiligen Untersuchungsgegenstand wesentlich mitbestimmt. Neben den bereits vorliegenden Arbeiten zu Nomina (BlERWISCH 1982, 1983), symmetrischen Prädikaten (LANG 1985), Dimensionsadjektiven (BlERWISCH/LANG 1987), lokalen Präpositionen (HERWEG 1989a) und temporalen Konjunktionen (HERWEG 1989b) halte ich die Fakultativität des lokalen Arguments von Bewegungs- und Positionsverben für einen weiteren geeigneten Ansatzpunkt, um die Schnittstelle zwischen der semantischen und der konzeptuellen Ebene im Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse des lokalen Verbsystems auszuloten. Teile dieses Beitrags entstanden im Rahmen des Projekts LILOG-Raum an der Universität Hamburg. Dieses Projekt wird von der IBM Deutschland GmbH, Stuttgart, gefördert, der ich für die Unterstützung danke. Für Anregungen und Kommentare danke ich Carola Eschenbach, Christopher Habel und Michael Herweg. Die Klasse der Bewegungs- und Positionsverben, die ich im weiteren auch als lokale Verben bezeichnen werde, umfaßt Bewegungsverben wie gehen, laufen, Positionsverben wie stehen, sitzen und lokale Kausativa wie stellen, legen.

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2. Semantische Struktur lokaler Verben Im weiteren gehe ich davon aus, daß dem an der Seite von lokalen Verben auftretenden Lokaladverbial der Status eines syntaktischen Komplements zukommt, das Lokaladverbial semantisch mithin als Argument fungiert. Wenn auch im Deutschen kein eindeutiges, für den gesamten Verbbestand einschlägiges syntaktisches Kriterium zur Unterscheidung von Komplementen und Adjunkten verfügbar ist, so lassen sich dennoch die verschiedentlich vorgeschlagenen Kriterien zu einer relativ zuverlässigen Entscheidungshilfe bündeln, die im Falle der lokalen Verben das Lokaladverbial als Komplement ausweist. Dieses lokale Argument gilt als das wesentliche Charakteristikum der Klasse der lokalen Verben und dient zur Abgrenzung gegenüber anderen Verbklassen (s. MAIENBORN 1989). Die interne semantische Struktur lokaler Verben weist im wesentlichen zwei Komponenten auf (vgl. die ausführlichere Diskussion in MAIENBORN 1989): eine zwischen einem Individuum und einer Raumentität bestehende LOKALISIERUNGSRELATION und ein MODUSPRÄDIKAT. Die Lokalisierungsrelation repräsentiert die Lokalisierung des vom externen Argument denotierten Individuums relativ zu dem Ort bzw. Weg, den das lokale Argument denotiert. Das Modusprädikat repräsentiert die mit dem jeweiligen Verb verbundene spezifische Art und Weise der Position bzw. Bewegung des Individuums und stellt damit die idiosynkratische Bedeutungskomponente dar. Die Identifikation der Strukturkomplexe, die dem Positions- bzw. Bewegungsmodus zugrundeliegen, derjenigen Bedeutungskomponenten also, die eine Differenzierung beispielsweise der Positionsverben stehen, sitzen, hocken, knien, kauern usw. bzw. der Bewegungsverben gehen, rennen, laufen, schleichen, kriechen usw. zulassen, erfolgt auf der konzeptuellen Ebene, da eine strukturelle Analyse der Modi auf begriffliches Wissen angewiesen ist. Hierzu zählt etwa das Wissen über die Gestalt- und Lageeigenschaften von Objekten und den daraus resultierenden Restriktionen an die Kombinierbarkeit mit lokalen Verben (s. LANG/CARSTENSEN 1989). Über das auf der semantischen Ebene eingeführte Prädikat für den Positions- bzw. Bewegungsmodus hat das Sprachsystem zwar Zugang zu den entsprechenden konzeptuellen Strukturkomplexen, ist aber nicht an der Differenzierung der verschiedenen Modi beteiligt. Mit dem Prädikat für den Positions- bzw. Bewegungsmodus steht somit innerhalb des Sprachsystems ein "semantisches Etikett" für konzeptuelle Strukturzusammenhänge zur Verfügung. Die Leistungsfähigkeit der hier vertretenen Semantikkonzeption beruht im wesentlichen auf der Interaktion der beiden angenommenen Repräsentationsebenen. Erst das Zusammenspiel der semantischen und der konzeptuellen Repräsentation gewährleistet die Flexibilität der sprachlichen Bezugnahme auf begrifflich vermittelte Zusammenhänge. Eine Form der Interaktion ist mit der konzeptuellen Spezifikation von semantischen Einheiten, z.B. dem semantischen Prädikat für den Positions- bzw. Bewegungsmodus, gegeben. Semantische Einheiten werden auf konzeptuelle Strukturen bezogen und erfahren dadurch eine begriffliche Fundierung. Die Gegebenheiten des lokalen Verbsystems deuten jedoch über diese konzeptuelle Fundierung und Differenzierung hinaus auf weiterreichende Interaktionsformen hin. Im weiteren werde ich anhand der Rekonstruktion der semanti-

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sehen und konzeptuellen Aspekte der Fakultativität des lokalen Arguments einen Vorschlag für die Interaktion der semantischen und der konzeptuellen Repräsentationsebene im Bereich der lokalen Verben entwickeln. 3. Fakultativität des lokalen Arguments Sätze wie die unter (1) und (2) aufgeführten, in denen das Fehlen des lokalen Arguments keine Ungrammatikalität verursacht, werden im allgemeinen zum Anlaß genommen, das von Bewegungs- und Positionsverben geforderte lokale Argument als fakultativ zu kennzeichnen. Positionsverben wie wohnen, lehnen oder lokale Kausativa wie stellen, legen erzwingen allerdings die Realisierung ihres lokalen Arguments (s. (3) - (4)). (1)

a. Rita sitzt. b. Rita steht. c. Rita kniet. (2) a. Rita geht. b. Rita läuft. c. Rita humpelt. (3) a. *Rita wohnt. b.*Rita lehnt. (4) a. *Rita stellt das Buch. b. *Rita legt die Decke. In bezug auf die Fakultativität des lokalen Arguments bieten lokale Verben somit auf den ersten Blick ein heterogenes Erscheinungsbild, das keine global zutreffende Charakterisierung gestattet. Dieser Befund führt in der Regel zu der Entscheidung, die Fakultativität des lokalen Arguments verbspezifisch zu handhaben, d.h. für jedes Verb individuell zu entscheiden, ob die Präsenz des lokalen Arguments erzwungen wird oder nicht. Diese Lösung des Fakultativitätsproblems ist inadäquat, weil lokalen Verben damit ein unsystematisches Verhalten gerade im Zusammenhang mit dem lokalen Argument unterstellt wird, also dem Charakteristikum, das sie gegenüber anderen Verbklassen auszeichnet. Einer systematischen Erklärung der zwischen Bewegungs- und Positionsverben und ihrem lokalen Argument bestehenden Beziehung wird damit der Boden entzogen. Die Strategie einer verbspezifischen Handhabung der Fakultativität versagt vollends angesichts von Bewertungsschwankungen, die bei variierendem externen Argument auftreten. Die Sätze unter (5) und (6) illustrieren dies am Beispiel der Positionsverben liegen und stehen. (5)

(6)

a. b. c. d. a. b. c. d.

Rita liegt in der Hängematte. Rita liegt. Das Buch liegt im Regal. ?Das Buch liegt. Der Teppich liegt im Flur. ?Der Teppich liegt. Das Zimmer liegt im Erdgeschoß. *Das Zimmer liegt. Rita steht vor der Uni. Rita steht. Das Buch steht im Regal. ?Das Buch steht. Das Haus steht am Stadtrand. ??Das Haus steht. Der Wald steht auf der Anhöhe. *Der Wald steht.

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Der Verzicht auf die Realisierung des lokalen Arguments ist mit unterschiedlichen Graden der Akzeptabilität verbunden. Sätze wie (7) und (8) zeigen zudem die Möglichkeit von Bewertungsumpolungen, die bei zunächst als ungrammatikalisch eingestuften Sätzen wie (7.a) bzw. (8.a) unter Hinzutreten eines Modaladverbs stattfinden. (7)

a. *Das Zimmer liegt. b. Das Zimmer liegt ruhig. (8) a. *Der Wald steht. b. Der Wald steht schwarz und schweiget . . . (Matthias Claudius) Die Beispielsätze (5) - (8) verdeutlichen, daß keine generelle Aussage über die Verzichtbarkeit des lokalen Arguments von Bewegungs- und Positionsverben möglich ist. Die Fakultativität des lokalen Arguments stellt sich nicht als ein Phänomen dar, dessen Auftreten entweder sanktioniert ist oder nicht, sondern wird als unterschiedlich akzeptabel bewertet. Im weiteren soll unter Ausnutzung der spezifischen Eigenschaften und Prinzipien der semantischen und der konzeptuellen Repräsentationsebene ein Erklärungsansatz für das Phänomen der Fakultativität des lokalen Arguments entwickelt werden, der den Akzeptabilitätsabstufungen Rechnung trägt und die dem Verhältnis zwischen dem lokalen Verb und seinem lokalen Argument zugrundeliegende Systematik aufdeckt. 4. Interaktion semantischer und konzeptueller Strukturen Eine zentrale Annahme der Kognitiven Linguistik betrifft die Modularität des mentalen Repräsentationssystems. Der für semantische Fragestellungen relevante Ausschnitt des kognitiven Gesamtsystems umfaßt das syntaktische, das semantische und das konzeptuelle Modul. Jedes dieser Module verfügt über eigene Wohlgeformtheitsbedingungen, die auf jeweils inhärente Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen sind. Infolgedessen sind syntaktische, semantische und konzeptuelle Wohlgeformtheitsbedingungen zu unterscheiden, die einzeln betrachtet und hinsichtlich ihres Beitrags zu einer globalen Bewertung untersucht werden können. Dabei konstituieren die syntaktischen und semantischen Wohlgeformtheitsbedingungen den sprachlichen Anteil der für die Bewertung eines Satzes ausschlaggebenden Restriktionen und bilden damit das genuin sprachliche Wissen, auf dessen Basis Grammatikalitätsurteile erfolgen. Eine genauere Betrachtung des Phänomens der Fakultativität des lokalen Arguments im Hinblick auf die verschiedenen Dimensionen der Wohlgeformtheit kann zur Lokalisierung und Klärung der Ursachen für die schwankenden Akzeptabilitätsurteile einen wesentlichen Beitrag leisten. Vom syntaktischen Standpunkt aus ist das PP-Komplement von Bewegungsund Positionsverben grundsätzlich als fakultativ auszuweisen. Die Bewertung eines Satzes wie (9.a) als grammatikalisch im Gegensatz zu einem Satz wie (9.b), der als ungrammatikalisch zurückgewiesen wird, kann nicht auf syntaktische Prinzipien zurückgeführt werden. Die Sätze unter (9) genügen gleichermaßen den syntaktischen Wohlgeformtheitsbedingungen, so daß '*' anderweitig begründet werden muß.

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(9)

a. Rita steht. b.*Der Wald steht. Ebensowenig können unterschiedliche Ausprägungen von semantischen und konzeptuellen Merkmalen einzelner dem syntaktischen Paradigma der lokalen Verben angehörenden Verben auf die syntaktische Wohlgeformtheit Einfluß nehmen. Wiederum sind es nicht syntaktische Faktoren, die die Ungrammatikalität von (10.c - d) gegenüber (10.a - b) zu verantworten haben. (10)

a. Rita sitzt. b. Rita hockt. c. *Rita wohnt. d.*Rita lehnt. Auf der syntaktischen Ebene wird somit eine für alle lokalen Verben verbindliche Haltung gegenüber dem Fakultativitätsproblem eingenommen, indem das PP-Komplement grundsätzlich als fakultativ ausgewiesen wird. Für die Abstufungen und Einschränkungen der Akzeptabilität von Sätzen, in denen ein lokales Verb ohne lokale PP auftritt, liefert die syntaktische Ebene keinerlei Anhaltspunkte. Wie stellt sich das Fakultativitätsproblem auf der semantischen Ebene dar? Argumente sind in der semantischen Struktur der Verben verankert. Innerhalb der internen Verbstruktur dienen Argumentvariablen als Platzhalter für den semantischen Beitrag der entsprechenden Argumente und gewährleisten den kompositionalen Aufbau der VP-Bedeutung. Wird ein vom Verb gefordertes Argument durch die strukturelle Umgebung nicht bereitgestellt und damit die entsprechende interne Argumentvariable nicht gesättigt, bricht die Bedeutungskomposition ab. Es liegt eine semantisch defekte Struktur vor, die gegen die semantischen Wohlgeformtheitsbedingungen verstößt. Auf der semantischen Ebene erweist sich eine variable Handhabung der Argumentanforderungen eines Verbs als nicht zulässig, weil ein massiver Eingriff in die Bedeutungsstruktur des Verbs damit verbunden ist. Das heißt für Bewegungs- und Positionsverben ist das lokale Argument semantisch unverzichtbar. Wird es nicht durch eine lokale PP bereitgestellt, bleibt die innerhalb der Verbstruktur vorgesehene, an der Lokalisierungsrelation beteiligte Orts- bzw. Wegvariable ungesättigt.2 Die Fakultativität des lokalen Arguments von Bewegungs- und Positionsverben führt also zu einem Konflikt: Die syntaktischen Wohlgeformtheitsbedingungen lassen das Fehlen des lokalen Arguments zu, die semantischen Wohlgeformtheitsbedingungen hingegen verlangen seine Präsenz. Eine Möglichkeit, diesen Konflikt zu beheben, ist mit der kontextuellen Rekonstruktion des lokalen Arguments gegeben. Das fehlende lokale Argument wird aus dem sprachlichen oder außersprachlichen Kontext rekonstruiert und die lokale Argumentvariable des Verbs mit einer entsprechend bereitgestellten Konstanten belegt. Präteritale Aussagen machen den semantischen Defekt deutlicher: (i) ?? Rita lag. (ii) ?? Rita lief, (iü) ?? Der Schrank stand.

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(11)

a. Ich muß um 10 Uhr in der Uni sein, b. Fährst du mich? (12) a. Morgen bin ich im Institut. b. Kommst du auch? In den Beispieltexten (11) und (12) stellt jeweils der a.-Satz eine lokale Angabe bereit, die zur kontextuellen Rekonstruktion des im b.-Satz fehlenden lokalen Arguments herangezogen werden kann. Unter Umständen sieht das Rekonstruktionsverfahren zusätzliche Operationen vor; so muß im Falle der Sätze unter (11) und (12), gesteuert durch die Argumentanforderungen der Bewegungsverben fahren und kommen, die durch den Kontext bereitgestellte Ortsangabe in eine Wegangabe konvertiert werden. Analog konstruierte Texte mit Positionsverben, s. (13), bzw. lokalen Kausativa, s. (14), zeigen, daß die kontextuelle Rekonstruktion des lokalen Arguments offenbar nur eingeschränkt wirksam ist. In den Texten unter (13) und (14) stellen die a.-Sätze zwar eine Lokalangabe bereit, womit das in den b.-Sätzen fehlende lokale Argument kontextuell eindeutig rekonstruierbar wäre; von dieser Möglichkeit kann jedoch kein Gebrauch gemacht werden: Die kontextuelle Rekonstruktion ist blockiert. (13)

a. Ich habe ihr das Buch ins Fach gelegt, b. *Es liegt immer noch. (14) a. Das Sofa soll an die Wand. b. *Stdlst du es? Die Frage nach den diesem Verhalten zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten kann hier nicht thematisiert werden, zumal es sich nicht um ein spezifisches Problem lokaler Verben handelt. Eine Erklärung der Anwendungsrestriktionen für die kontextuelle Rekonstruktion ist vielmehr in eine allgemeine Theorie lexikalischer Ellipsen einzubetten. An dieser Stelle soll lediglich festgehalten werden, daß die kontextuelle Rekonstruktion eines lokalen Arguments als Strategie zur Behebung der Diskrepanz zwischen den syntaktischen Komplement- und den semantischen Argument-Anforderungen lokaler Verben nur im Zusammenhang mit Bewegungsverben systematisch verfügbar ist, ansonsten aber eine marginale Option darstellt.

5. Existentielle Bindung des lokalen Arguments Eine für die Klasse der lokalen Verben global wirksame Strategie der Behebung des Konflikts zwischen syntaktischen und semantischen Wohlgeformtheitsbedingungen stellt die existentielle Bindung des lokalen Arguments dar. Wird ein semantisches Argument syntaktisch nicht realisiert, so kann die entsprechende Argumentvariable auf der semantischen Ebene als existentiell gebunden betrachtet werden. Auf diese Weise wird der kompositionale Aufbau der VP-Bedeutung aufrecht erhalten und ein Verstoß gegen die semantischen Wohlgeformtheitsbedingungen verhindert. Der syntaktisch sanktionierten Fakultativität des lokalen Arguments von Bewegungsund Positionsverben wird somit auf der semantischen Ebene durch die existentielle Bindung der Weg- bzw. Ortsvariable Rechnung getragen. Ich verstehe die existentielle Bindung eines Arguments als ein Hilfsmittel, dessen sich die semantische Ebene bedient, um einen Defekt zu vermeiden. Eine

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solche Reparaturmaßnahme verlangt allerdings eine inhaltliche Motivation und Interpretation. Das heißt im Falle der Bewegungs- und Positionsverben stellt sich die Frage, welche Deutung die existentielle Bindung des lokalen Arguments erhält und welche Konsequenzen sich für die Satzbedeutung ergeben. Als Ansatzpunkt für eine konzeptuelle Deutung der existentiellen Bindung des lokalen Arguments betrachte ich die Abstraktion vom Lokalisierungsort. Bleibt die sprachliche Spezifikation des lokalen Argumente aus, so wird von dem konkreten Lokalisierungsort abstrahiert, da dieser in der Außerungssituation als irrelevant eingeschätzt wird, unabhängig davon, ob er bekannt ist oder nicht. In bezug auf die beiden Komponenten der semantischen Struktur lokaler Verben, Lokalisierungsrelation und Positions- bzw. Bewegungsmodus, geht mit der Abstraktion vom Lokalisierungsort eine Defokussierung der Lokalisierungsrelation einher. Sie besagt nunmehr lediglich, daß das Individuum lokalisiert wird, nicht jedoch wo. In den Vordergrund rückt die Art und Weise der Lokalisierung. Das heißt die Moduskomponente wird fokussiert. Voraussetzung für die Interpretation der existentiellen Bindung des lokalen Arguments als Abstraktion vom Lokalisierungsort ist, daß eine Fokussierung auf den Positions- bzw. Bewegungsmodus prinzipiell möglich ist und in der Außerungssituation sinnvoll gedeutet werden kann. Die Modus-Fokussierung ist nur dann zulässig, wenn das zu lokalisierende Individuum über einen Variationsspielraum seiner Position im Raum verfügt. Ist ein derartiger Spielraum vorhanden, so kann eine der möglichen Positionierungen herausgegriffen und gegenüber den übrigen Varianten ausgezeichnet werden - dies leistet die Modus-Fokussierung -, besteht dieser Spielraum nicht, so fehlt die Grundlage für eine solche Kontrastierung. Das zu lokalisierende Individuum muß also konzeptuelle Auflagen erfüllen, damit die Modus-Fokussierung zulässig und die existentielle Bindung des lokalen Arguments legitimiert ist. Mit der in LANG (1987) entwickelten Konzeption der OBJEKTSCHEMATA liegt ein Vorschlag zur Kodierung der Gestalt- und Lageeigenschaften von Objekten vor. Objektschemata geben Auskunft über die Beweglichkeit von Objekten, über Positionierungsalternativen und über kanonische Positionierungen. Sie stellen damit das Wissen zur Verfügung, auf das bei der Überprüfung des Positions- bzw. Bewegungspotentials von Objekten im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Modus-Fokussierung rekurriert werden muß. Den Objektschemata beispielsweise von menschlichen Körpern, Schränken oder Weinflaschen ist zu entnehmen, daß die betreffenden Objekte sowohl den mit liegen als auch den mit stehen assoziierten Positionsmodus einnehmen können und so die Grundvoraussetzung für die Modus-Fokussierung, nämlich das Verfügen über einen Positionierungsspielraum, erfüllen. In den Beispielsätzen (15) - (17) ist die Fokussierung auf den Positionsmodus grundsätzlich zulässig. Die Objektschemata z.B. von Zimmern und Bergen lassen demgegenüber keine Positionierungsalternativen zu; eine ModusFokussierung ist infolgedessen konzeptuell unzulässig, die existentielle Bindung des lokalen Arguments in (18) nicht legitimiert. (15)

a. Rita steht, b. Rita liegt.

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(16)

a. Der Schrank steht, b. Der Schrank liegt. (17) a. Die Weinflasche steht, b. Die Weinflasche liegt. (18) a. *Das Zimmer liegt, b. *Der Berg steht. Die im Zusammenhang mit der Fakultativität des lokalen Arguments von Bewegungs- und Positionsverben auftretenden Akzeptabilitätsschwankungen reflektieren die abhängig vom jeweiligen Äußerungskontext unterschiedlich eingeschätzte Plausibilität der Modus-Fokussierung. Unterstützt der Außerungskontext die Kontrastierung von Positions- bzw. Bewegungsmodi, so werden hohe Akzeptabilitätsbewertungen erzielt. Nimmt man beispielsweise für die Sätze unter (19) einen Umzug als Außerungskontext an, werden die Sätze uneingeschränkt akzeptiert. (19)

a. Der Teppich liegt. b. Der Schrank steht. c. Die Lampe hängt. Eine Umzugssituation ist durch das Erreichen eines Zielzustandes charakterisierbar, der über die normale bzw. gewünschte Position des Umzugsguts definiert ist. Damit macht die Kontrastierung zweier Positionszustände, eines ausgezeichneten Zielzustandes und eines über die Negation des Zielzustandes definierten Anfangszustandes, den Kern einer Umzugssituation aus und bietet einen geeigneten Ansatzpunkt für eine Modus-Fokussierung. Ebenso erfüllt z.B. ein Erdbeben als Außerungskontext für (20) die Funktion der Kontrastierung von Positionszuständen. Im Gegensatz zu der stark eingeschränkten Akzeptabilität relativ zu einem neutralen Kontext (s. (6.c)) ist Satz (20) völlig akzeptabel, wenn die Bewertung relativ zu einem Äußerungskontext erfolgt, der einen Kontrast von Positionsmodi herstellt. (20) Das Haus steht. Das bei der Bewertung der Akzeptabilität eines Satzes relativ zu einer Äußerungssituation geforderte kontextunabhängige Grundschema sieht die Etablierung eines Kontrastes von Positionszuständen und damit eine innerhalb der Äußerungssituation angelegte Motivation der Modus- Fokussierung vor. Leistet die Äußerungssituation eine solche Motivation, wird der Satz uneingeschränkt akzeptiert. Ist die Äußerungssituation nur bedingt oder gar nicht auf das Grundschema zurückzuführen, werden entsprechende Abstriche an der Akzeptabilität vorgenommen. Akzeptabilitätsbewertungen betreffen nach dieser Sichtweise ausschließlich konzeptuelle Aspekte der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. Die bei lokalen Verben auftretenden Akzeptabilitätsschwankungen sind nicht auf Eigenschaften des Sprachsystems zurückzuführen, reflektieren also nicht etwa syntaktische oder semantische Unregelmäßigkeiten innerhalb der Klasse der lokalen Verben, sondern werden auf der konzeptuellen Ebene ausgelöst. Bei der Bewertung der Sätze (19) und (20) ist es das Wissen über den zugrundegelegten Äußerungskontext, das die Kontrastierung von Positionsmodi ermöglicht.

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Die Motivation der Modus-Fokussierung erfolgt auf der konzeptuellen Ebene. Auf der semantischen Ebene ist mit Phasenquantoren wie schon und noch die Möglichkeit gegeben, einen Wechsel von einer Phase zu der dazu komplementären Phase zu etablieren (s. LÖBNER 1989). In Kombination mit lokalen Verben legen Phasenquantoren den Übergang von einer Positions- bzw. Bewegungsphase in die dazu komplementäre Positions- bzw. Bewegungsphase fest. Phasenquantoren stellen damit den für die Modus-Fokussierung erforderlichen Kontrast auf der semantischen Ebene her (s. (21)). Konzeptuell vorausgesetzt wird dabei, daß das Objekt über einen Positionierungsspielraum verfügt (s. (22)). (21)

a. Der Teppich liegt schon. b. Die Lampe hängt noch. c. Das Auto fährt noch nicht. d. Das Haus steht immer noch / nicht mehr / schon wieder (22) a. *Hamburg liegt längst an der Elbe, b. *Der Berg steht schon wieder. Das bei der Bewertung der Sätze (19) und (20) herangezogene Wissen über den Außerungskontext leistet dasselbe wie die Phasenquantoren in (21). Während das Kontrastpotential durch Phasenquantoren semantisch induziert wird und die Bewertung damit keinen Akzeptabilitätsschwankungen unterliegt, stellt die Kontrastierung in (19) und (20) bestimmte Anforderungen an die Außerungssituation, die unterschiedlich gut erfüllt werden können, was zu unterschiedlichen Graden der Akzeptabilität führt. Neben der mit Phasenquantoren gegebenen Möglichkeit, komplementäre Positions- bzw. Bewegungsphasen zu etablieren, verfügt das Sprachsystem auch über Ausdrucksmittel, um kontrastive Beziehungen zwischen Positions- bzw. Bewegungsmodi herzustellen. In den Sätzen unter (23) werden konkurrierende Modi explizit kontrastiert. In den Sätzen unter (24), in denen ein lokales Verb mit einem Modaladverb kombiniert wird, erfolgt eine Kontrastierung zu Kombinationen mit konkurrierenden Modaladverbien. (23)

a. Das Buch steht nicht, es liegt. b. Rita wohnt nicht, sie haust. c. Rita geht nicht, sie schleicht. d. Soll ich die Weinflaschen legen oder stellen? e. Soll ich den Karren schieben oder ziehen? (24) a. Das Zimmer liegt ruhig. b. Rita sitzt aufrecht. c. Rita wohnt schön. d. Rita läuft schnell. e. Der Schrank steht quer. Durch die Kombination eines lokalen Verbs mit einem Modaladverb eröffnet sich ein größeres Kontrastpotential, dessen sich die konzeptuelle Ebene bei der Erfüllung der konzeptuellen Auflagen an die existentielle Bindung bedienen kann. Das Kontrastpotential des Modus eines Positionsverbs wie z.B. liegen umfaßt das zu dem Modus 'liegen' komplementäre 'nicht-Hegen' sowie alle zu 'liegen' kontra-

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stiven Positionsmodi wie 'stehen', 'sitzen' usw. Durch die Kombination mit einem Modaladverb wird das Kontrastpotential um das Kontrastpotential des Adverbs erweitert. Vor diesem Hintergrund sind die unter (7) und (8) aufgeführten Bewertungsumpolungen zu erklären. Mit dem Hinzutreten des Modaladverbs werden Positionierungsalternativen eröffnet, die die Fokussierung auf den Positionsmodus rechtfertigen. In Satz (24.a) ist die Modus-Fokussierung und damit die existentielle Bindung des lokalen Arguments zulässig, da das Modaladverb ruhig einen Kontrast zu der Alternative, daß das Zimmer nicht ruhig liegt, herstellt. 6. Fazit Die konsequente Unterscheidung einer sprachspezifischen und einer begrifflichen Bedeutungsrepräsentationsebene eröffnet einen systematischen Zugang zu dem Phänomen der Fakultativität des lokalen Arguments von Bewegungs- und Positionsverben, der das heterogene Erscheinungsbild der Klasse der lokalen Verben auf Prinzipien des semantischen und des konzeptuellen Systems zurückzuführen vermag. Mit dem semantischen Mechanismus der existentiellen Bindung eines Arguments steht ein Mittel zur Verfügung, um den innerhalb des Sprachsystems aufbrechenden Konflikt zwischen der syntaktischen Ebene, die das lokale Argument grundsätzlich als fakultativ ausweist, und der semantischen Ebene, die die Präsenz des lokalen Arguments zwingend vorschreibt, zu beheben. An den Einsatz dieses Mechanismus ist die konzeptuelle Auflage geknüpft, daß die durch ihn ausgelöste Fokussierung auf den Positions- bzw. Bewegungsmodus konzeptuell zu motivieren ist, was eine Kontrastierbarkeit von alternativen Modi voraussetzt. Mit Phasenquantoren, Modaladverbien und expliziten Kontrastierungen stehen sprachliche Ausdrucksmittel zur Verfügung, um den erforderlichen Kontrast bereits auf der semantischen Ebene anzulegen. Wird der Kontrast erst auf der konzeptuellen Ebene hergestellt, so treten Akzeptabilitätsschwankungen auf, die auf die vielfältigen, abhängig vom jeweils zugrunde gelegten Äußerungskontext unterschiedlich bewerteten Möglichkeiten, die konzeptuelle Auflage an die existentielle Bindung zu erfüllen, zurückzuführen sind. Eine semantische Analyse lokaler Verben, die es bei der Abstraktion vom Lokalisierungsort als Deutung der existentiellen Bindung eines syntaktisch nicht realisierten lokalen Arguments beläßt, die also beispielsweise die Bedeutung des letzten Satzes des unter (25) aufgeführten Textes als ein in der Vergangenheit vollzogenes Gehen des Sprechers an einen nicht weiter spezifizierten Ort veranschlagt, greift meines Erachtens zu kurz. (25) "Es ist schon sechs Jahre, daß ich nicht mehr in Wien lebe, und auch viele Jahre vorher war ich nicht mehr im Museum." "So? Ich bin oft dort herumgegangen, auch vor diesem Bild bin ich gestanden. Ja, gegangen bin ich, früher einmal." Arthur Schnitzler (1900): Frau Berta Garlan Eine adäquate semantische Analyse dieses Satzes setzt die Interpretation des Mechanismus der existentiellen Bindung als Fokussierung auf den mit gehen assoziierten Bewegungsmodus voraus und signalisiert die Notwendigkeit einer konzeptu-

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eilen Motivation dieser semantischen Maßnahme. Ohne Einzelheiten der speziellen Äußerungssituation oder Eigentümlichkeiten des Sprechers einzubeziehen, kann allein aufgrund des sprachlichen Wissens und des in den Objektschemata kodierten begrifflichen Wissensausschnitts sowie der Kenntnis der Interaktionsprinzipien zwischen der semantischen und der konzeptuellen Ebene als Bedeutungsgerüst die Kontrastierung des mit gehen verbundenen Bewegungsmodus, dessen der Sprecher in der Vergangenheit mächtig war, gegenüber einem alternativen, zum Zeitpunkt der Äußerung herrschenden Bewegungsmodus des Sprechers angenommen werden. Die inhaltliche Füllung dieser semantisch-konzeptuellen Rahmenbedingungen erfolgt in Abhängigkeit von der Außerungssituation, die im Falle des Textes (25) den Sprecher zum Äußerungszeitpunkt als gelähmt ausweist und damit eine konzeptuelle Motivation der Fokussierung auf den Bewegungsmodus liefert. Wesentlich ist, daß nicht allein pragmatische, die spezielle Äußerungssituation betreffende Erwägungen die Last der Rechtfertigung der existentiellen Bindung des lokalen Arguments zu tragen haben, sondern daß bereits durch das kontextunabhängige semantisch-konzeptuelle Bedeutungsgerüst entscheidende Weichenstellungen für die Interpretation vorgenommen werden.

LITERATUR BIERWISCH, MANFRED 1982 Formal and Lexical Semantics. In: Linguistische Berichte 80/82, 3-17. 1983 Semantische und konzeptuelle Repräsentationen lexikalischer Einheiten. In: R. RUZICKA/W. MOTSCH (HRSG.): Untersuchungen zur Semantik. Berlin: Akademie-Verlag (studia grammatica 22), 61-99. BIERWISCH, MANFRED/LANG, EWALD (HRSG.) 1987 Grammatische und konzeptuelle Aspekte von Dimensionsadjektiven. Berlin: Akademie-Verlag (studia grammatica 26/27). HERWEG, MICHAEL 1989a Ansätze zu einer semantischen Beschreibung topologischer Präpositionen. In: CH. HABEL/M. HERWEG/K. REHKÄMPER (HRSG.): Raumkonzepte in Verstehensprozessen. Interdisziplinäre Beiträge zu Sprache und Raum. Tübingen: Niemeyer, 99-127. 1989b Semantik von Tempus, Aspekt und subordinierenden temporalen Konjunktionen. Dissertation, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. LANG, EWALD 1985 Symmetrische Prädikate: Lexikoneintrag und Interpretationsspielraum. Eine Fallstudie zur Semantik der Personenstandslexik. In: Linguistische Studien Reihe A, Arbeitsberichte 127, 75-112. 1987 Semantik der Dimensionsauszeichnung räumlicher Objekte. In: M. BIERWISCH / E. LANG (HRSG.), 287-458. LANG, EWALD/CARSTENSEN, KAI-UWE 1989 OSKAR — ein PROLOG-Programm zur Repräsentation der Struktur und Verarbeitung räumlichen Wissens. In: D. METZING (HRSG.): GWAI-89. 13th German Workshop on Artificial Intelligence. Berlin u.a.: Springer, 234-243.

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LÖBNER, SEBASTIAN 1989 Wahr neben falsch. Habilitationsschrift, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf MAIENBORN, CLAUDIA 1989 Semantische und konzeptuelle Aspekte der Bedeutungskonstitution: Verbalphrasen der Bewegung und Lage. Magisterarbeit, Universität Hamburg.

Conventional implicature and semantic theory Ewa Mioduszewska Warsaw University, Poland

The term 'conventional implicature' was introduced by H.P. GRICE (1975, 1978) as a pragmatic notion functioning within his theory of conversation. According to him, the CORE EXAMPLES OF CONVENTIONAL IMPLICATURE INDUCING EXPRESSIONS (CIIEs) are sentential connectives: but — implicating contrast and therefore — implicating causal connection. The list of CIIEs in Grice's sense has been extended to include discourse and social deictics and words such as even, yet (LEVINSON 1983: 128), and particles such as too, either, also, only, implicative verbs (KARTTUNEN AND PETERS 1975, 1979); they also included in this class factive verbs, and cleft and pseudo-cleft constructions. These expressions, however, give rise to presuppositions and entailments rather than to conventional implicatures. GRICE (1975: 56-59) set up several tests to differentiate between different types of implicatures (particularized conversational, generalized conversational, conventional). SADOCK (1978) gave arguments suggesting the inadequacy of most of the tests. However, the arguments against the calculability test do not hold in the situation when an implication cannot be calculated with the help of the Cooperative Principle and its maxims -then it is definitely not a conversational implicature. The detachability test can detect conventional implicatures on the assumption of their non-truth-conditionality. According to the original predictions of the tests, conversational implicatures are calculable from the Cooperative Principle and its maxims, cancellable, non-detachable, non-conventional, induced not by what is said but by the saying of it, and freely reinforceable. On the other hand, conventional implicatures are non-calculable, non-cancellable, detachable, conventional, induced by what is said and not by the saying of it. According to Grice, conventional implicatures arise solely because of the conventional force of the expressions involved, yet they are ultimately rooted in the underlying assumption of cooperation in conversation. Therefore, they are part of what is implicated and not of what is said. A closer look at the behaviour of the core examples if CIIEs suggests that apart from being non-calculable and detachable, conventional implicatures are mutually exclusive with entailments, non-truth-conditional in character, restrictively indeterminate, and, contrary to what Grice claimed, restrictively cancellable. Entailments of sentences with CIIEs differ from their putative conventional implicatures because the latter remain intact under negation and are cancellable without leading to contradiction: (1) entails

John managed to solve the problem

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SemantiJc

(la)

John solved the problem

(2)

John didn't manage to solve the problem

entails (2a)

and (3)

John didn't solve the problem, *John managed to solve the problem, but he didn't solve it

is a contradiction. (4) John managed (didn't manage) to solve the problem implicated (4a) John tried to solve the problem; there was some difficulty

and (5)

John managed to solve the problem without any

involved

difficulty

is not a contradiction. Putative conventional implicatures are not truth-conditional in character. Sentences containing CIIEs are truth-conditionally (materially) equivalent to sentences in which the expression was replaced by another one, not inducing the implication in question but otherwise equivalent: (6) (6a)

John came but Mary didn't John came and Mary didn't

(7)

John managed to solve the problem

(7a)

John solved the problem

Putative conventional implicatures seem to be cancellable, as sentence (5) shows. However, the type of cancellability differs from the one characteristic of conversational implicature (the latter by adding 'but I didn't mean to imply that [implication]'). As WILSON (1975: 116) puts it If there is no explicit or implicit cancellation, an audience is entitled to attribute (the belief expressed in the implicature) to the speaker, (subject of the sentence), or to themselves, or to someone else germane to the discussion. When the suggestion is cancelled, it is not really cancelled but merely reinterpreted as coming from someone other than the speaker. Thus, in (5) from cancellation of the implicature associated with the implicative verb manage (namely that there was some difficulty and effort involved) means that the speaker knows that there was no such difficulty, yet he also knows that somebody else (has) believed that there was such a difficulty. Since conventional implicatures are not calculable in any way from the Cooperative Principle and its maxims, it is more justified to treat them as belonging to what is said and not to what is implicated. The belief expressed in the implicature is "said" while the attribution of the belief to a concrete participant of the conversation may be a matter of pragmatics. Conventional implicatures are indeterminate in that it is not easy to formulate them in an explicit, univocal way and in that there may

Ewa Mioduszewska: Conventional implicature and semantic theory

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be more than one of them induced by a given CUE. On the other hand, they are determinate in that there is always the same set of them associated with a given CUE, whenever the latter is used. A non-exhaustive list of conventional implicature-inducing expressions in English would include discourse and social deictic expressions, particles such as even, yet, also, too, either, some sentential connections (e.g., but, therefore, moreover), implicative verbs and many other predicates (e.g. (WILSON 1975: 113-154) deprive, spare, abnormal, odd). Here are some examples of conventional implicatures induced by various CIIEs. The examples, in which the conventional implicatureinducing expressions are in capitals, do not aspire at establishing conventional implicatures of each item in the form that could be included in a lexicon. What they are to show is the implications that would follow from such implicatures in these particular cases. (8) (8a) (9) (9a)

Mary was poor BUT she was honest Being poor tends to preclude being honest He is an Englishman; THEREFORE he is brave His being brave is a result of his being an Englishman

(10) (lOa) (11) (lla) (12) (12a) (13) (13a) (14) (14a) (15) (15a) (16) (16a) (17) (17a)

He MANAGED to solve the problem Solving the problem wasn't easy John SUCCEEDED in coming on time Coming on time wasn't easy John SPARED her the effort Undertaking the effort was undesirable EVEN Bill likes Mary Of the people under consideration, Bill is the least likely to like Mary George is a Catholic and Mary is honest, TOO All Catholics are honest George is a bad student and he doesn't care for his family, EITHER Being a bad student and not caring for one's family go together Here is your umbrella, SIR The person addressed is socially distant or superior to the speaker ANYWAYS, / want to tell you this A change of subject is signalled

The first attempt to incorporate Grice's conventional implicature into a wider and precisely articulated theory of meaning was undertaken by KARTTUNEN AND PETERS (1975, 1979). Unfortunately, the account was not successful for two reasons: under the heading of conventional implicature language phenomena of very different nature were conflated and the framework itself did not give a principled possibility to distinguish between truth-conditional and conventional but not truth-conditional meaning.

110

Semantik

Karttunen and Peters mention (A) too, either, also, even, only, implicative verbs and (B) factive verbs, cleft and pseudo-cleft sentences as conventional implicature-inducing expressions (CIIIEs). However, even according to their own criteria of calculability, detachability, and cancellability, it is impossible to maintain that items in group, (A) give rise to implicatures of the same type as those in group (B). According to Karttunen and Peters, sentences (a) below conventionally implicate their (b) counterparts. The (c) sentences are counterparts of the (a) ones but with the implication in question detached, and the (d) versions check for the possibility of the implications' cancellation.

(A) (18a) (18b) (18c) (18d) (19a) (19b) (19c) (19d)

Even Bill likes Mary Other people besides Bill like Mary. Of the people under consideration, Bill is the least likely to like Mary Bill likes Mary Even Bill likes Mary; in fact it's easier to understand that he does than that Peter does John managed to sit through a Chinese opera Sitting through a Chinese opera requires some effort for John John sat through a Chinese opera John managed to sit through a Chinese opera without a slightest effort

(B) (20a) (20b) (20c) (20d) (21a) (21b) (21c) (21d)

Bill realized that Mary came Mary came *Bill realized that Mary came although she didn't come It was Mary who got the job Someone got the job *It was Mary who got the job although no one got it

Group (A) of Karttunen and Peter's CIIEs contains items which give rise to truly detachable implicatures as the (c) sentences show, whereas factives and clefts induce non-detachable implicatures. Since the latter are said to be also entailed, they are repeated as part of the logical form of relevant sentences. If so, there is no way of saying the same, i.e. of expressing the same, Groups (A) and (B) differ also in the possibility of the putative conventional implicature's cancellation. The former allows for it, the latter gives no such option as the (d) versions show. It follows that if one wants to call all (18b)-(21b) conventional implicatures, the only common criterion one has is non-calculability. Unfortunately, also entailments are non-calculable. In order to show a difference between entailments and conventional implicatures, it is necessary to distinguish truth-conditional and conventional but non-truth-conditional meaning. The distinction was discussed

Ewa Mioduszewsia: Conventional implicature and semantic theory

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by KARTTUNEN AND PETERS (1979), as well as by D. WILSON (1975) and D, BLAKEMORE (1987). The former analysis, based on the behaviour of sentences with conventional implicatures in larger grammatical constructions seems to be misguided. According to KARTTUNEN AND PETERS (1979: 13) (22)

/ just noticed that even Bill likes Mary

means that I have just noticed that Bill likes Mary and not that I have noticed that other people like her. The scope of notice is said to apply only to the proposition that constitutes the truth-conditions of the embedded clause in (22) and not its conventional implicature. On closer inspection the distinction collapses. In (23) / just noticed that your car is blue what I mean is not that (24)

I just noticed that you have a car

even though in saying (23) I do commit myself to (25)

You have a car

where (25) is not a conventional implicature but an entailment or presupposition of Your car is blue. It follows that behaviour in larger constructions is a very poor guidance to distinguishing between truth-conditional and conventional meaning. WlLSON's view (1975: 143) on the interrelation between truth-conditional and nontruth-conditional "portions" of meaning comes down to the claim that the speaker commits himself to the former, but as to the latter, the hearer may attribute it to the speaker, or himself, or someone mentioned in the sentence. This claim is confirmed by the fact that conventional implicatures may be restrictively cancellable without leading to contradiction. Blakemore's account of conventional implicature stems from the theory of relevance developed by SPERBER AND WILSON (1986). It is interesting to find out if conventional implicature may be accounted for directly within this framework without any modifications introduced to it. SPERBER AND WILSON (1986: 182) deny that there are conventional implicatures in Grice's sense. They suggest that what has been called conventional implicature should be reanalysed as pragmatically determined aspects of the explicit content of an utterance. Let us see how such implicatures may be derived as part of explicature rather than as an implication of an utterance, by analysing the hearer's interpretation of the speaker's utterance (26)

John managed to call me yesterday

Recovering the content of an utterance involves the ability to identify the individual words it contains, to recover the associated concepts, and to apply the deductive rules attached to their logical entries. In this way we get the analytic implications of a given assumption. Analytic implications constitute necessary and sufficient conditions for understanding an utterance, though not for understanding its synthetic implications. In the case of (26), the following situation may be envisaged: manage can serve as a label, pointing to the concept, whose logical entry may include both (la) and (Ib) or only (la):

112

(1) analytic elimination rule (a): X—manage—Υ entails X—Υ analytic elimination rule (b): X—manage—Υ entails Υ—difficult

Semantik

for—X

According to (la, b), (26) would analytically imply (27) a: John called me yesterday (rule (a)) b: Calling me yesterday was difficult for John (rule (b)) On this interpretation of manage, the hearer has as part of the explicature of (26) two analytic implications (27a, b). Together with other analytic implications of (26), such as John did something, John called someone, and Someone did something, they constitute the necessary and sufficient conditions for grasping the meaning of (26) and should be recoverable whenever (26) is. Let us imagine that the hearer reacts to (26) by saying (28) / know. I was there when he called you. In fact he had no difficulties in reaching you (28) is relevant to the speaker because (among others) one of its contextual effects is contradictory to the analytic implication (27b) of (26). As a result, the speaker of (26) decides to abandon the implication (27b), although he had presented it as certain, because he takes the hearer (who is also the speaker of (28)) to be trustworthy. In the situation when contradicting or conflicting assumptions arise, their strength should be compared and the weaker one should be erased. At the same time (SPERBER AND WILSON 1986: 115), any assumption which analytically implies the weaker one and the weaker of any pair of assumptions which synthetically imply the weaker one are also erased, i.e. when the speaker decides to abandon (27b), he should also abandon (26), since the latter analytically implies the former. Obviously, this he neither wants nor can do. The conclusion is that there can be no deductive rule in the logical entry for the concept labelled manage to the effect that it analytically implies difficulty. So the first (la and b) interpretation of manage is unacceptable. Since the framework allows for logical entries which provide some logical specification of the concept without fully denning it, the logical entry for manage could be of the form (la) only. The relevant information about the difficulty involved should then be shifted to the encyclopaedic entry for the concept and formulated as a schema, a miniscript, or a prototype. Then, on hearing (26), the hearer would have access to the encyclopaedic entry in question and could recover the assumption that John had some difficulty in calling the speaker. Also, on hearing (28), the speaker erases that assumption, which he had formulated earlier, without having to erase (26). This solution involves several problems. The encyclopaedic entries are said to possibly vary among speakers. To account for implicative verbs, implications and other conventional implicatures, the relevant parts of entries for concepts associated with these items should be invariant among speakers, and have a slightly different character than that of encyclopaedic entries described by Sperber and Wilson. In the relevance theory, analytic implications of utterances are said to

Ewa Mioduszewska: Conventional implicature and semantic theory

113

constitute necessary and sufficient conditions for the truth-conditional part of the meaning of an utterance. Conventional implicatures, described as the invariant part of encyclopaedic entries for concepts associated with CIIEs, should also be a part of the explicature of an utterance, constituting its conventional but not truth-conditional meaning. D. BlAKEMORE (1987) suggests a different account of conventional implicature within the theory of relevance. The account rests heavily on the modifications introduced to the relevance framework. The theory of relevance, thought not committed to, does not preclude the distinction between truth-conditional and non-truth-conditional but conventional meaning. BLAKEMORE's (1987: 75) modifications exclude such a possibility, in spite of her claim that "the fact that linguistic meaning can play both a truthconditional role and a non-truth-conditional one is the central concern of this study". According to her, semantic (= linguistic) meaning corresponds to the logical form of a sentence. This logical form is not connected with the truth-conditions of sentences because they do not have any. Sentences do not have truth-conditions because it is impossible to find the conditions under which, for example sentences with deictic expressions such as (29)

I arrived today

are true. What may have truth-conditions is context and relevance-dependent prepositional content of a given utterance. This, however, is no longer a matter of semantics but of pragmatics. The claim that sentences have no truth-conditions seems to follow from equating the inability to specify the actual truth-values of propositions in utterances with the inability to specify truth-conditions. Only the establishment of actual truth-values requires taking context into consideration. There exist expressions and constructions which are not translatable into the logical form of a sentence nor are they part of the prepositional content of an utterance. Nevertheless, they add to the conveyed meaning. According to Blakemore, these expressions are what has here been called conventional implicature inducing expressions (CIIEs). Of these, Blakemore analyses sentential connectives in detail, suggesting that the analysis may be extended to cover other CIIEs. According to the analysis, sentential connectives function as semantic constraints on relevance. They impose a constraint on the pragmatic computations a proposition may enter into. They are accountable for in purely procedural terms which show the way in which elements of linguistic structure map directly onto computations (i.e. mental processes) themselves. So, "conventional implicatures should be analysed as linguistically specified contraints on context" (BLAKEMORE 1987: 76). In the following example (30)

This suggestion can be cancelled without contradiction. So it is an implicature so is an instruction to interpret the proposition it introduced as a logical consequence. Blakemore's proposal faces numerous problems. If linguistic semantics deals exclusively with logical forms of sentences, then it is important to know how sen-

114

Semantj'i

tences are translated into these forms. Traditional logical translations are not justified because the forms are not related to the truth-conditions of sentences since there are no such things. Consequently, the forms must be derivable according to the rules of a linguistic theory (as it is, for example, in Government and Binding), for otherwise they are non-existent. On the other hand, the logical forms of sentences must constitute the starting point for a fully developed propositional content of an utterance whose truth-conditions are determinable. Sentential connectives and other conventional implicature-inducing expressions are said to be part of neither the logical form of a sentence nor the propositional content of an utterance. In the original relevance theory there is no place for information of this type. The word so functioning as la label directs us neither to the logical nor encyclopaedic entry of the concept as there is no concept associated with this word, but directly to mental computations. While establishing a logical form of a sentence is a matter of the language input system and determining propositional content involves global inferential processes, the question is what type of processes are to be involved in the case of words with only procedural meaning. Another difficulty arises when one wants to decide which language expressions carry exclusively this procedural meaning. Clearly, CIIEs other than sentential connectives such as implicative verbs or social deictic expressions require logical and/or encyclopaedic entries as well for establishing their conventional implicatures. Even among sentential connectives, BLAKEMORE (1987: 80) herself distinguishes such as therefore, which apart from procedural, have also truth-conditional meaning. Consequently, procedural meaning as characterized by Blakemore, apart from raising theoretical doubts, does not allow us to distinguish the type of meaning presented here as conventional implicature from other types of implications. Saying that conventional implicatures are constraints on context is obviously not enough because every language expression or construction constraints the choice of context in one way or another. After a brief presentation of what is understood under the term of conventional implicature and of the range of phenomena the term covers, it is argued that the phenomena should be accounted for by a semantic rather than a pragmatic theory. It is suggested that they form a homogeneous class of cases and that this homogeneity should be reflected in such a theory. Several semantic models are then examined to see whether what has been called conventional implicature is describable in their terms. It is finally argued that a partly truth-conditional and partly non-truth-conditional semantic account is necessary to adequately handle the cases under discussion. Such an account may be incorporated into a wider theory of communication, for example, into Wilson and Sperber's theory of relevance. ACKNOWLEDGEMENT The core of this paper was prepared during my stay in West Germany as a research fellow of the Alexander von Humboldt Foundation.

Ewa Mioduszewska: Conventional implicature and semantic theory

115

REFERENCES BLAKEMORE, D. 1987 Constraints on Relevance. Oxford: Blackwell. COLE, P. (ED.) 1978 Syntax and Semantics 9: Pragmatics. New York: Academic Press. COLE, P. AND J. MORGAN (EDS.) 1975 Syntax and Semantics 3: Speech Acts. New York: Academic Press. GRICE, H .P. 1975 Logic and conversation. In: P. COLE AND J. MORGAN (EDS.), 107-142. 1978 Further notes on logic and conversation. In: P. COLE (ED.), 113-128. KARTTUNEN, L. AND PETERS, S. 1975 Conventional implicature in Montague grammar. Proceedings of the First Annual Meeting of the Berkeley Linguistic Society, 266-278. KARTTUNEN, L. AND PETERS, S. 1979 Conventional implicature. In: C.-K. OH AND D. DINNEEN (EDS.), 1-56. LEVINSON, S. 1983 Pragmatics. Cambridge: CUP. OH, C.-K. AND D. DINNEEN (EDS.) 1979 Syntax and Semantics 11: Presupposition. New York: Academic Press. SADOCK, J. 1978 On testing for conversational implicature. In: P. COLE (ED.), 281-307. SPERBER, D. AND WILSON, D. 1986 Relevance: Communication and Cognition. Oxford: Blackwell. WILSON, D. 1975 Presuppositions and N on-Truth-Conditional Semantics. New York: Academic Press.

Background Triggers T. Nguyen University of Manchester

There is in French a category of expressions (e.g., meme, aussi, egalement, au moins, presque ... in some of their uses) known as "adverbes paradigmatisants" (cf. N0LKE 1983) on account of the fact that they presuppose a "paradigme" (the approximate English equivalent of which I take to be "category" or "hierarchy", depending on the context) of similar elements. Thus in: Meme Pierre est venu (in Eng.: even Pierre came) meme presupposes that Pierre was not the only one who came. In the same way aussi in: Pierre a aussi mange du crabe (in the sense that he has had crabmeat among other things) according to one interpretation presupposes that Pierre has had other things as well. Concerning the presupposed hierarchy, the following phenomenon can be observed in the case of au moins and presque. If you were to say: (1) H est au moins premier secretaire (in Eng.: he is at least first secretary) the utterance will seem comprehensible enough in the absence of contextual cues of the relevant sort. This, however, is not the case with: (2) Π est au moins chasseur de crocodiles (in Eng.: he is at least a crocodile hunter) where it is not in the least clear what else the referent of 'il' is more likely to be. No such contrast appears to exist between: (3) H est presque ambassador (in Eng.: he is almost an ambassador)

and (4)

H est presque chasseur de crocodiles (in Eng.: he is almost a crocodile hunter)

where the absence of a readily available hierarchy in which to insert 'chasseur de crocodiles' does not give rise to the same comprehension problems one had in (2). A further point to take into consideration is that (for present purposes) (3) lends itself to two types of interpretations:

118

Semantik

- one, which involves availing oneself of the diplomatic hierarchy (an instance of what I shall be referring to as "pre-established hierarchies" ); - the other, which leaves the option open — in the sense that it would be acceptable to say (3) of someone who is not a diplomat. (1), in contrast, would be rather strange in similar circumstances without additional context. So far what we have got is two sets of facts: a. the asymmetry presented by the two pairs of utterances (— each of which is characterized by the same structure on the semantic as well as syntactic level): where (2) and (1) differ markedly with regard to their degree of "comprehensibility", no such contrast appears to be present in the case of (4) and (3). b. (1), unlike (4), is less amenable to an interpretation involving a non preestablished hierarchy. Taken together, these observations would seem to indicate that at least as far as au mains is concerned, there may be some constraint at work with respect to the type of knowledge that should be drawn upon in order to instanciate the hierarchy involved. In other words, the role of such a constraint would be (among other things) to indicate which sources of information are to be accessed as well as, perhaps, the order in which this should be done. The idea that at least some of N0LKE's adverbs may function as background triggers — that is, activate specific types of sources of knowledge, and this, in a certain order — would seem to suggest that their investigation could be relevant to the problem of background knowledge in comprehension, a problem which is directly linked with that of the demarcation line between semantics and pragmatics. Another reason for studying them has to do with what one might learn about the types of knowledge language acknowledges and — hopefully — their internal structure. An investigation of this nature — as might be expected — immediately raises major methodological problems. For instance, how does one go about deciding that a given sourse, Si, is the preferred source; or, how does one find out whether there is a hierarchy of preferred sources (or to what extent there is one?). These are just two of the most pressing questions. Rather than go into the details of these questions at this point, I would like to devote the remaining space to a discussion of two types of objections this presentation has elicited. Objection 1 (Oi): There is no phenomenon as such. The difference pointed out between (1) and (2) would simply vanish if someone were to have in her background a pre-established hierarchy for "chasseur de crocodiles" as well as for "premier secretaire". In response to this I would like to argue that, correct as the latter point may be, it does not provide enough grounds to dismiss the phenomenon out of existence. Oi rests on the assumption (A) that the decision regarding the existence of the phenomenon was arrived at on the basis of the difference between (1) and (2)

T. Nguyen: Background Triggers

119

alone -— which is not the case: as one may recall, it was rather the asymmetry (among other things) between the two pairs of utterances (respectively (l)-(2) and (3)-(4)) which motivated it. Now, assuming, for the sake of the argument that A is correct, one still cannot say that the difference between (1) and (2) does not qualify as a form of regularity because it is dependent on the nature of the background involved. Such a position, indeed, cannot be adopted unless one is prepared to discount as proper phenomena those which only occur under particular circumstances. To be consistent one would further have to renounce the whole array of linguistic tests involving the manipulation of context for the purpose of bringing out semantic differences which would otherwise go undetected, if they are not simply dismissed as intuitive. One last problem with O\: to the extent that it amounts to saying that given sufficient context, any well formed utterance can be interpreted, it cannot without inconsistency, be used in support of the claim that all well-formed utterances present the same level of interpretability. Objection 2 (02): The reason why presque makes no significant distinction between the two types of hierarchies may have nothing to do with background triggering. The fact — if there is one — could simply be due to a higher level instruction, which would be different for au mains and for presque: one, for instance, to the effect that the content of the presupposed hierarchy should — in the case of presque, but not of au mains — be derived from the relevant conceptual structure (e.g., the one corresponding to "ambassadeur" or "chasseur de crocodile" in our example). Assuming that the existence of the phenomenon is not in dispute and that what we are talking about is alternative accounts rather than the nature of things, there are reasons for adopting the solution I have proposed (let us call it AI\ AI will be one connected with 02). As an objection to the level of description 02 is based on the assumption that given two "equivalent" descriptions, the one using linguistic parameters is to be preferred. Together with the autonomy of the field, concern for an undue proliferation of concepts would seem to be the underlying motivation. The first thing one may want to point out is that A\ and AI are not "equivalent" accounts (at different levels of description). As appears to be more general than AI, which would require, for presque alone (at least) an additional instruction, as the one suggested has nothing to say about the interpretation involving the pre-established hierarchy. Another advantage of A\ is that, if corroborated, it should have more farreaching scientific implications. Concern for the autonomy of the field can take a number of forms. It can manifest itself in the nature of parameters used to select or circumscribe phenomena or in the type of questions one wants to ask about them, to name but two. The phenomenon under discussion would seem to fall within the domain of linguistics to the extent that it is linked with the occurrence of linguistic 'markers' and arises in contexts which provide no cues as to the interpretation intended. This for the first point. Now, with regard to the second, whether or not it is permissible to ask the types of questions I have asked — that is, in terms of

120

Semantik

constraints on background knowledge — very much depends on whether there is a viable alternative. The answer, I am afraid, is negative in so far as the phenomenon is neither syntactic, nor semantic. To close this discussion, there is one last point I would like to draw attention to: the instructions I have in mind would not be concerned with contents as such, but with types and structures of contents.

REFERENCES BRISLIN, R. / BOCHNER, S. / LONNER, W. (EDS.) 1975 Cross-cultural perspectives on learning. Sage/Halsted Press. LAKOFF, GEORGE 1973 Hedges: a study in meaning criteria and the logic of fuzzy concepts. In: Journal of Philosophical Logic 2, 458-580. N0LKE, HENNING 1983 Les adverbes paradigmatisants: function et analyse. Revue Romane ηηπιέτο special 23. ROSCH, ELEANOR 1975 Universals and cultural specifics in human categorization. In: BRISLIN, BOCHNER AND LONNER (1975).

Objektbeschreibungen im Z weit spracherwerb Astrid Reich FU Berlin

1. Einfuhrung Dieser Beitrag beschäftigt sich mit semantischen Aspekten von sprachlichen Produktionen, mit denen Zweitsprachenlerner konkrete Objekte identifizieren, mit denen sie auf Objekte referieren. Es sollen somit einige Überlegungen angestellt werden, die in den größeren Rahmen einer Untersuchung zum ungesteuerten Erwerb des Deutschen durch polnischsprachige Lerner gehören (s. auch REICH im Ersch.). Ziel dieses größeren Vorhabens ist die Untersuchung der Referenz auf Objekte, d.h. der benutzten Objektbezeichnungen bzw. Objektbeschreibungen im besonderen Hinblick auf eine Einordnung möglicher Ersatzstrategien, die von Zweitsprachenlernern verwandt werden, um 'lexikalische Lücken' im Bereich der Objektbezeichnungen 'auszugleichen'. Allerdings betreffen nur ein Teil der von den Lernern benutzten Ausgleichstrategien den semantischen Bereich, in vielen Fällen werden lexikalische Problemfälle eher in der Interaktion mit dem Gesprächspartner gelöst — durch explizites Nachfragen, durch Korrekturen, etc. — oder durch mimische und gestische Darstellungen. Auch kann man die Verwendung von muttersprachlichen bzw. drittsprachlichen Bezeichnungen beobachten; aus semantischer Perspektive stellt jedoch der Einsatz einer fremdsprachlichen Bezeichnung eine besondere Form der Suche nach einem synonymen Ausdruck dar. Diese letztgenannte Ersatzmöglichkeit verweist auf die Tatsache, daß sich die einzelnen in der Analyse zu trennenden Bereiche (Semantik, Interaktion, Bezeichnungsinventar von Erst- oder Drittsprachen) letztendlich in einer umfassenden Untersuchung der Referenz auf Objekte zusammenhängend betrachtet werden müssen, da die Lerner das gesamte Reservoir ihrer sprachlichen Handlungsmöglichkeiten einsetzen und häufig Kombinationen aus verschiedenen Vorgehens weisen wählen, wie Bsp. l zeigt, das aus einer Nacherzählung des Chaplin-Films 'Modern Times' stammt:

BSP. l (REFERENZOBJEKT: HÜTTE, BARACKE) i:

1: i: 1: i: 1:

/.../ zehn tage später" eh eh sie hat gesagt zum chaplin" ich habe eh ein wohnung" ne ein haus aber das ist nich pa/ palas" aber eh m/ möglich mit ihm möglich mit ihm möglich im des/ im das haus leben mh" ?und wie ist das möglich? eh (h) m/ na möglich eh w/ ?wie ist das möglich eh in das haus ach sie/ sie &denkt& &sie h& no sie ha/sie hat gesagt eh das is mh eh nich/ nich eh schöne wohnung" aber eh das ist haus zu leben & ?ja? & &ach so& mh

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Semantik

i:

(h) aber eh + ich nich wie/ wie im deutsche das is *rudera* das is eh *rudera*

1: i:

das is dasselbe eh das ist haus eh eh w/ wo alles ist nich in Ordnung eine baracke oder \ = =baracke oder ja no eh das haus das war eine baracke

Die Identifizierung des Referenzobjekts geschieht auf allen drei erwähnten Ebe-

nen: 1. lexikalisch-semantische Beschreibung: eine wohnung/ein haus/das ist nich palas/möglich in das haus leben/nich schöne wohnung/das ist dasselbe das ist haus wo alles ist nich in Ordnung 2. interaktive Seite: Nachfragen ('ja"')/Markieren von Nichtwissen/Hilfegesuch ('ich weiss nich')/ Übernahme des Angebots vom Gesprächpartner: 'baracke' 3. Bezeichnungsinventar der Muttersprache: das is *rudera*1 Die angesprochene semantische Fragestellung, der Referenz auf Objekte interessiert also nicht an sich, sondern im Hinblick auf die Erforschung des ungesteuerten Erwerbs des Deutschen als Zweitsprache. Wenn noch die ersten Projekte (z.B. das Heidelberger Projekt 'Pidgin-Deutsch') zum ungesteuerten Zweitspracherwerb überwiegend mit Fragen der Morphologie und Syntax von Lernervarietäten befaßt waren, weitete sich in den letzten Jahren das Forschungsfeld stark. Diese Tatsache zeigt sich z.B. in den unterschiedlichen Untersuchungsbereichen des europäischen Großprojektes 'Second Language Acquisition by Adult Immigrants (1982-1987)', das in fünf europäischen Ländern durchgeführt und von der EUROPEAN SCIENCE FOUNDATION (ESF) gefördert wurde: diese Untersuchungsbereiche waren u.a. die Erlernung von sprachlichen Mitteln zum Ausdruck temporaler und lokaler Konzepte, auch solchen der personalen Referenz, die Bearbeitung interaktiver Problemfälle (Mißverstehen) sowie die Erforschung des wachsenden Lernerlexikons. Die Beschäftigung mit Referenz, verschiedenen Konzeptbereichen und der globalen Struktur des Lexikons verdeutlichen die stärkere semantische Ausrichtung der neueren Zweitsprachenerwerbsforschung. Die Untersuchung der Referenz auf Objekte, der Objektbezeichnungen und Ersatzstrategien befindet sich somit an der Schnittstelle verschiedener aktueller Interessensfelder. 2. Bedeutungskonzepte und Zweitspracherwerb

Eine wichtige Frage in der Semantik ist die nach dem Aufbau von Bedeutung, nach der Struktur einzelner Bedeutungskonzepte und, damit verbunden, die Frage nach möglichst adequaten Beschreibungsverfahren. Arbeiten, die sich mit Bedeutung in der Alltagskommunikation auseinandersetzen, versuchen diese mithilfe semantischer (Sinn)relationen, mithilfe von Komponentenanalysen, von Wortfelduntersuchungen oder Stereotypenanalysen zu beschreiben. Hinter diesen Beschreibungsverfahren stehen z.T. unterschiedliche Bedeutungstheorien, solche, die eine komponentielle oder solche, die eine eher holistische Auffassung poln. 'Hütte, Baracke'

Astrid Reich: Objektbeschreibungen im Zweitspracherwerb

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vertreten, Bedeutungstheorien, die von relativ konstanten oder andere, die von variablen Wort(kern)bedeutungen ausgehen und eine starke Abhängigkeit vom Verwendungskontext annehmen. In welcher Art von Untersuchungen wird solchen Fragen nachgegangen? Es sind vor allem Studien zu Bedeutungserklärungen (QUASTHOFF/HARTMANN 1982, KOHLMANN et al. 1988), Studien zur Verwendung von Bezeichnungen in Verbindung mit spezifischen Referenten (LABOV 1976, RÖSCH 1973). Von Interesse sind in diesem Zusammenhang ebenfalls die Arbeiten zum Erwerb und der Verwendung von Bezeichnungen im Erstspracherwerb (PlAGET/lNHELDER 1975, CLARK 1973, SZAGUN 1980). So zeigt CLARK (1973), daß Kinder erst allmählich, durch schrittweise Einbeziehung semantischer Merkmale, die vollständige, d.h. erwachsenensprachliche Bedeutung von Wörtern erlernen. Auch die Zweitsprachenerwerbsforschung kann m. M. Antworten geben auf die Frage nach der Repräsentation von Bedeutung und nach der Relevanz möglicher Beschreibungs verfahren: 1. Zweitsprachenlerner müssen mit ihrem begrenzten sprachlichen Repertoire ökonomisch umgehen, d.h. sie verbalisieren nur das Notwendigste, um Bedeutungsinhalte zu vermitteln.2 Das sogenannte 'Notwendigste', so die Hypothese, wird ein zentraler Bestandteil eines jeweiligen Bedeutungskonzepts sein. 2. Zweitsprachenlerner sind, gerade aufgrund ihres begrenzten Repertoires, darauf angewiesen, viele ihnen nicht zur Verfügung stehende Bezeichnungen durch Bedeutungserklärungen zu paraphrasieren, konventionalisierte Bezeichnungen, die in der Zielsprache dazu dienen, außersprachliche Wirklichkeit zu identifizieren. Es gibt also reichhaltiges Material, um Bedeutungserklärungen — im weitesten Sinn — auf ihre formale Struktur und ihre semantische Komponenten hin zu untersuchen. Dieser Beitrag will keine Ergebnisse vorweisen, sondern vielmehr an Beispielen die Möglichkeiten einer semantischen Analyse von Lerneräußerungen diskutieren und damit Hinweise geben auf die Relevanz solcher Untersuchungen. Bevor dazu übergegangen wird, das Korpus vorzustellen, sollen zwei Begriffe erklärt werden, die in dem Beitrag Verwendung finden: 1. Referenz/Referieren verweist auf die Identifikation von Objekten, sei es durch Bezeichnung oder durch Beschreibung, d.h. durch verschiedene sprachliche Formulierungen; 2. Denotation bezieht sich auf die Vorgehensweise des Bezeichnens, ist also eine Möglichkeit Referenz zu stiften; unter den Denotaten unterscheide ich diejenigen, die in der Zielsprache konventionalisiert sind, von denjenigen, die lernersprachlich verwendet werden. 2

"Learners are often as explicit as need be, and no more" (CARROLL/DIETRICH 1985: 335)

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Semantik

3. Korpus Die Daten, die in dieser Pilotstudie untersucht werden, entstammen dem Korpus des Berliner DFG-Projektes P-MoLL (Projekt 'Modalität von Lernervarietäten im Längsschnitt'),3 das den ungesteuerten Zweitspracherwerb polnischsprachiger Lerner in einer Longitudinalstudie (Aufnahmen, die knapp drei Jahre dauerten und über drei Zyklen verteilt waren) untersucht. Die monatlichen Aufnahmen umfassten regelmäßig verschiedene Diskurstypen, wie z.B. Erzählung, Instruktion, Meinungsäußerung oder Problemlösung. Sporadisch wurden auch Situationen wie Beratungsgespräche, Konfliktaushandlungen und Beschreibungen aufgenommen. Die hier untersuchten Aufnahmen hatten zum Ziel, Objekte, die auf einer Photovorlage zu sehen waren (z.B. ein Diaprojektor, ein Regenschirm oder ein Totenschädel), von den Lernern identifizieren zu lassen, möglichst durch die konventionalisierte Bezeichnung oder, im Falle des Nichtwissens, durch andere sprachliche Formulierungen. Die Identität des jeweiligen Referenten sollte einem Interviewer übermittelt werden, der einen prototypischen Repräsentanten der jeweiligen Objektklasse zeichnen mußte. Das Datenmaterial stammt von drei Lernern, die zum Zeitpunkt der Aufnahme seit zwei bis drei Jahren in Berlin weilten, und die unter den acht, über alle drei Zyklen beobachteten Informanten zu der fortgeschritteneren Gruppe gehören. Der größere Teil der geforderten Objektbezeichungen stellte kein Problem für sie dar; dennoch gaben diejenigen Äußerungen der Informaten, die dazu dienten, fehlende konventionalisierte Objektbezeichnungen zu ersetzen, Aufschluß über lernersprachliche Strategien der Bedeutungsübermittlung. 4. Diskussion von Beispielen (Pilotstudie) Die Grundfrage lautet also: wie wird die Identität der jeweiligen Objekte übermittelt, mit Hilfe welcher Bedeutungselemente und -relationen, wenn die übliche, konventionalisierte Objektbezeichnung nicht zur Verfügung steht? Folgende Aspekte wurden in der Pilotstudie näher betrachtet: 1. die grundlegende Unterscheidung zwischen zwei Verfahren: der Denotation und der Beschreibung (Deskription); 2. das vom Lerner angebotene semantische Relationsgefüge (aus Synonymic — Hyponymie — Antonymie), das er zwischen nicht gewußter Bezeichnung und eventuell stattdessen verwandter Bezeichnungen entwickelt; 3. diejenigen Bedeutungselemente (semantischen Merkmale), auf die die Lerner forkussieren, um die Identität eines Referenten zu übermitteln; In der Folge werden einige Beispiele diskutiert, die in dem gewählten Korpus(ausschnitt) auffallen, sei es, weil sie als Phänomen häufig auftreten und damit einen allgemeingültigeren Charakter haben könnten, sei es, weil sie methodische Probleme verdeutlichen.4 3

Projektleiter: NORBERT DITTMAR; weitere Mitarbeiter: ROMUALD SKIBA, MAGDALENE SCHUMACHER, HEINER TERBORG die Beispiele sind bewußt auf die für die semantische Analyse in Betracht kommenden Komponenten zusammengekürzt, sind also keine originalen Transkriptionsausschnitte

Astrid Reich: Objektbeschreibungen im Zweitspracherwerb

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In vielen Fällen läßt sich ein allmähliches Herantasten an die Identität des Referenten konstatieren; zunächst wird ein Rahmen gegeben, dann diverse prototypische Merkmale sowie auch Angaben zur Zugehörigkeit zu Gattungen, zu einem Feld von verwandten Objekten; dieses Vorgehen verdeutlicht das Bsp. 2:

BSP. 2 (REFERENZOBJEKT: KLEIDERBÜGEL) -hier der kleidung das is jacke (nich weiss wie heißt) (das is schwer) b-hak mit kleidung c-welcher da um schrank d-wie umzehen jacke muß na diese hak e-das is hak aber andere hak (ich finde zu schwer) (vielleicht andere) f-das is hak nach welcher hose umzehen g-ungefähr wie ellipse (a-stereotyper Funktionsrahmen, b-Denotieren eines Hyperonyms oder eines Synonyms,5 c-stereotyper lokaler Rahmen, d-Funktion in Verbindung mit dem Lernerdenotat, e-das denotierte Hyperonym hat auf ein 'falsches' Hyponym verwiesen —+ ein zweites Hyponym ist gesucht, oder:6 Einschränkung der Synonymbeziehung, fdas denotierte Hyperonym verweist mittels neuer Funktionsangabe auf ein zweites Hyponym, -stereotyp-individuelle7 Formangabe)

Auf den ersten Blick fallen in dem Korpus die vielen Angaben zur Funktion der zu bezeichnenden Objekte auf (s. Bsp. 3, aber auch Bsp. 2). Vermutlich nimmt jedoch die Funktion eines Objektes — sollte es für den Menschen eine besitzen8 — unter den stereotypen Merkmalen eine herausragende Stellung ein und drängt Form- und andere Angaben in ihrer Wichtigkeit zurück. Die Rolle der Funktionsangaben müßte jedoch in einem größeren Korpus eingehender untersucht werden.

BSP. 3 (REFERENZOBJEKT: REGENSCHIRM) -das is Versicherung von regnet b-das wie du spazieren und regnet (a-Funktion, b-Funktionsrahmen)

Am Bsp. 4 kann man vor allem sehen, wie der fortgeschrittenste Lerner auch mit Platzhaltern, d.h. Vagheitsbezeichnungen umzugehen versteht, einer Technik, die bei mutter sprachlichen Sprechern beobachtet wird, wenn ihnen ein Denotat unbekannt ist (z.B. bei fachsprachlichen Bezeichnungen) oder im Moment des Sprechens entfallen ist: 5

eine Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten kann auf der Grundlage der Lerneräußerung nicht getroffen werden 6 s. Fußnote 5 7 eventuell bezogen auf die konkrete (individuelle) Photovorlage 8 wie z.B. ein Diaprojektor - im Gegensatz zu einem Totenschädel

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Semantik

ESP. 4 (REFERENZOBJEKT: TOILETTE) -im badezimmer es gibt in die ecke solche tolles ding der mann muß jedes tag minimum zwei drei mal benutzen mit weisse klappen und bisachen wosser (weißt du was ist das?) klobecken (oder ich weiß nich genau) (a-Verwendung von 'ding') Beispiel 4 und auch Beispiel 5 zeigen ein weiteres, öfters verwandtes Verfahren: bevor der eigentliche Versuch unternommen wird, das Referenzobjekt zu denotieren oder mittels einzelner semantischer Merkmale zu beschreiben, wird ein stereotyper lokaler Rahmen in einem Einführungsschritt angegeben: BSP. 5 (REFERENZOBJEKT: BIERFASS) a-wenn gehst du in keller da sind einen großes regal da oben kannst du sehen steht die bier vom fast fastbür... (a-Verwendung von 'keller' als lokalem Rahmen; in Bsp. 4 war es ein 'badezimmer') Die Pilotstudie deckt jedoch auch Schwierigkeiten auf, die bei der ersten Analyse auftreten: die theoretisch und a priori getroffene Unterscheidung zwischen der denotierenden und der deskriptiven Vorgehensweise, die auch in der Regel in der Literatur getroffen wird,9 scheint in einigen Vorkommen des Korpus durchaus problematisch zu sein, wie das Bsp. 6 illustriert:

BSP. 6 (REFERENZOBJEKT: BIERFASS) trinkst du viel bier? bierbecken holzbierbecken holzbiertanken das sind die alte dinger nein nicht becken warst du einmal im dorf? a-vielleicht hast du gesehen die sauerkraft oder sauergurken sind auch in solche becken (a-zwar wird das Objekt 'bierfaß' durch ein Lernerdenotat 'becken' bezeichnet, gleichzeitig wird jedoch, im Sinne einer Analogie, auf einen weiteren prototypischen Funktionszusammenhang des Referenzobjektes — nämlich das Einlegen von Sauerkraut oder Sauergurken in Fassern — durch Beschreibung fokussiert) 9

z.B. in den Ersatzstrategien-Typologien von TARONE 1977, BIALYSTOK/FRÖHLICH 1977, FAERCH/KASPER 1980, POULISSE/BONQAERTS/KELLERMANN 1984 u.a.; s. aber auch im Gegensatz dazu LYONS 1977: 179!

Astrid Reich: Objektbeschreibungen im Zweitspracherwerb

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Man kann also feststellen, daß die beiden Vorgehensweisen miteinander verbunden werden und sich keineswegs ausschließen. Noch deutlicher wird die problematische Unterscheidung in den Lernerkomposita, die vor allem der fortgeschrittenste Lerner produziert: sie sind gleichzeitig eine in der Zielsprache nicht konventionalisierte Bezeichnung (oft auch nicht nach deutschen Kompositionsregeln gebildet), stellen aber durch die Zusammensetzung einzelner prototypischer semantischer Merkmale durchaus eine Form der Beschreibung dar. Beispiel dafür sind die ersten 'Angebote' in Bsp. 6 ('bierbecken': funktionsspezifisches Objekt + synonyme 'Form'bezeichnung; 'holzbierbecken': hinzu kommt eine stereotype Materialangabe, 'holzbiertanken': die Synonymie wird über eine 'Behältnis'angabe ausgedrückt) sowie das Bsp. 7: BSP. 7 (REFERENZOBJEKT: KLEIDERBÜGEL) -auf eine röhre ist ein kleiderhänger

(a-'kleiderhänger': funktionsspezifisches Objekt + Funktion) Ein letztes Problem muß ebenfalls erwähnt werden: es ist — zumindest in diesem Korpus — schwierig, die 'klassischen' semantischen Relationen von 'Synonymic', 'Hyponymie' etc. zu bestimmen; die Lerner machen aufgrund ihres begrenzten Repertoires keine oder wenig Angaben darüber, ob sie die von ihnen angebotenen Ersatzbezeichnungen als äquivalent (synonym), über- (Gattungsangabe) oder untergeordnet (z.B. durch Angabe eines Beispiels) ansehen;10 sie scheinen vielmehr Ähnlichkeitshinweise zu geben, die, sollten sie nicht ausreichen, im Laufe einer Erklärung durch zusätzliche semantische Merkmale konkretisiert werden. Wichtig scheint also allein die Tatsache zu sein, daß die angebotene Bezeichnung mit der gesuchten eine Reihe von (möglichst) prototypischen Merkmalen teilt. In ihrer formalen Struktur ähneln solche Vorkommen dem 'genus proximum und differentia specifica'. 5. Ausblick Trotz der noch zu lösenden methodischen Probleme scheint mir die semantische Analyse des Datenmaterials im Hinblick auf folgende, die Zweitsprachenerwerbsforschung interessierende Problembereiche ein erfolgversprechender Weg zu sein: 1. die Darstellung von Entwicklungsphasen im Spracherwerb, d.h. der sytematisch-variable Übergang von elementaren zu ausgebauten Lernervarietäten: es ist schon anhand des kleinen, hier vorgelegten Korpusausschnitts zu vermuten, daß sich die Ersatzstrategien der Lerner in Abhängigkeit von der Komplexität der jeweiligen Lernervarietät stark voneinander unterscheiden; 2. der Vergleich zwischen verschiedenen Lernern des gleichen Niveaus kann verdeutlichen, inwieweit Lerner individuell verschiedene Vorgehensweisen wählen; die Ergebnisse einer systematischen Analyse einer größeren Datenmenge können durch die Korrelation mit außersprachlichen Faktoren u.U. die 10

z.B. die Formulierung ''hak mit kleidung' in Bsp. 2: hier wird vom Lerner nicht signalisiert, ob er '/iafc' als Synonym oder als Hyperonym versteht

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Semantik Bedeutung sozialer Faktoren, wie Bildungsstand, Art des Berufes, etc. aufzeigen.

LITERATUR BIALYSTOK, ELLEN/FRÖHLICH, MARIA 1977 Second Language Learning and Teaching in Classroom Settings: The Learning Study. Toronto: The Modern Language Centre, OISE. BROWN, D.H./YoRio, C.A./CRYMES, R.H. (EDS.) 1977 On TESOL '77: Teaching and Learning English as a Second Language. Washington D.C., TESOL. CARROLL, MARY/DIETRICH, RAINER 1985 Observations on Object Reference in Learner Languages. In: Linguistische Berichte 98, 310-337. CLARK, EVE 1973 What's in a Word? On the Childs Acquisition of Semantics in His First Language. In: MOORE (1973), 65-110. FAERCH, CLAUS/KASPER, GABRIELE 1980 Processes and Strategies in Foreign Language Learning and Communication. In: /Sflf/· 5.1,47-118. KOHLMANN, UTE ET AL.

1988

Textstruktur und sprachliche Form. (Ms.).

LABOV, WILLIAM 1976 Die Bedeutung von Wörtern und ihre Abgrenzbarkeit. In: LABOV (1976), 223-254. 1976 Sprache im sozialen Kontext. Kronberg/Ts.: Scriptor (im Deutschen herausgegeben von NORBERT DITTMAR und BERT-OLAF RIECK). LYONS, JOHN 1977 Semantics, vol. I. Cambridge etc.: Cambridge University Press. MOORE, TIMOTHY E.(ED.) 1973 Cognitive Development and the Acquisition of Language. New York/London: Academic Press. PALMER, FRANK 1977 Semantik — Eine Einführung. München: Beck. PIAGET, JEAN/INHELDER, BÄRBEL 1975 Die Entwicklung des räumlichen Denkens beim Kinde. Stuttgart: Klett. POULISSE, NANDA/BONOAERTS, THEO/KELLERMAN, ERIC 1984 On the Use of Compensatory Strategies in Second Language Performance. In: ISBU8.1, 70-105. QUASTHOFF, UTA/HARTMANN, DIETRICH 1982 Bedeutungserklärungen als empirischer Zugang zu Wortbedeutungen. In: Deutsche Sprache 10, 97-118.

Astrid Reich: ObjeJctbeschreibungen im Zweitspracherwerb

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REICH, ASTRID im Ersch. Designation et description d Ob jets — Strategies de compensation, (erscheint in den Akten des VHe Coüoque International 'Acquisition d'une Langue Etrangere', Juni 1989). RÖSCH, ELEANOR 1973 On the Internal Structures of Perceptual and Semantic Categories. MOORE (1973), 111-144. SZAGUN, GISELA 1980 Sprachentwicklung beim Kind. Schwarzenberg.

Eine Einführung.

In:

München: Urban &

TARONE, ELAINE 1977 Conscious Communication Strategies in Interlanguage. A Progress Report. In: BROWN/YORIO/CRYMES (1977), 194-203.

Diskursanalyse & Textlinguistik

Aushandlungsmöglichkeiten in Institutionen am Beispiel des forensischen Diskurses Annette Bührig-Hollmann Bielefeld

1. Einleitende Bemerkungen

Bei dem Versuch einer Rekonstruktion des Aushandlungskonzeptes in der Interaktionsforschung stößt man direkt oder vermittelt auf den Aufsatz von THOMAS SCHEFF "Negotiating Reality" (1968). Verlaßt man sich auf ihn, so findet das Aushandlungskonzept vornehmlich in zwei Institutionskontexten mit unterschiedlichen Gegenstandsbereichen Anwendung: den amerikanischen Strafrechtsprozessen und den Interaktionsabläufen in Krankenhäusern. Wir konzentrieren uns hier auf den juristischen Strang, dessen Ursprung das unter anderem, von NEWMAN (1966) untersuchte Phänomen der sogenannten 'bargain justice' im amerikanischen Rechtswesen ist. Hierbei handelt es sich um die Entscheidungsfindung über Schuld und Unschuld des Angeklagten, die häufig nicht erst in einer öffentlichen Verhandlung, sondern in einem vorgeschalteten Verhandlungsprozeß herbeigeführt wird. Anklagevertreter und Angeklagter bzw. sein Verteidiger handeln demnach ein Geständnis des Angeklagten aus, welches seinen Forderungen (auf Strafmilderung) und denen der Justiz (auf eine schnelle Abwicklung des gesamten Verfahrens) Rechnung trägt. Der Verhandlungsprozeß zeichnet sich nach SCHEFF durch eine Folge von Vorschlägen (Offers') und Reaktionen auf diese Vorschläge ('responses') aus, die so lange fortgesetzt wird, bis eine Situationsdefinition erreicht wird, die für alle Beteiligten akzeptabel ist. Die Ausführungen in Abschnitt 2 enthalten einleitende Bemerkungen zu den institutionellen Bedingungen des forensischen Diskurses, speziell zu den Anforderungen an Zeugenaussagen, um die es hier vor allem gehen wird. 2. Einige Eigenschaften des forensischen Diskurses Institutionen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, daß die ihrem Kontext zuzurechnenden Kommunikationsabläufe in unterschiedlicher Weise vorstrukturiert sind. In diesem Sinne beeinflussen auch die Merkmale juristischer Kommunikation die hier beobachtbaren Aushandlungen. Die in diesem Zusammenhang wichtigsten Rahmenbedingungen sollen im folgenden dargestellt werden, ohne damit den Anspruch auf einen vollständigen Überblick erheben zu können oder wesentlich neue Aussagen zu diesem Forschungsbereich machen zu wollen. Es geht hier vielmehr um die Darstellung der institutionellen Merkmale und ihren Einfluß auf Aushandlungsgespräche. Es genügt für unser Vorhaben, ein weites Verständnis von Institutionen vorauszusetzen. Institutionen gelten demnach als gesellschaftliche Apparate, in denen,

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Diskursanalyse — Textlinguistik

und das wird hier ausschlaggebend sein, zwei Gruppen miteinander agieren, die sich im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Handlungsvoraussetzungen als Professionelle und Laden in bezug auf Institutionen beschreiben lassen. Charakteristische Unterscheidungsmerkmale zwischen Professionellen und Laien nennt EHLICH: - Die Mitarbeiterinnen der Institutionen erfüllen eine zugewiesene Aufgabe und sind eingebunden in die Hierarchie der Verwaltung; die Bürgerinnen handeln als einzelne im eigenen Interesse bzw., weil sie betroffen sind. - Die Mitarbeiterinnen verfügen über Routinen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben; für viele Bürgerinnen sind Verwaltungskontakte einmalige oder seltene Anlässe. - Die Mitarbeiterinnen haben aufgrund ihrer Ausbildung ein berufliches Fachwissen für die Erledigung ihrer Aufgaben; die Bürgerinnen haben dieses Wissen zumeist nicht. (EHLICH/BECKER-MROTZEK/FICKERMANN 1989: 6) Ausgangspunkt gerichtlicher Kommunikation sind Konfliktfälle im sozialen Bereich. Dabei handelt es sich um Konflikte, die von den am Konflikt Beteiligten selbst nicht gelöst werden können. Der gesamte forensische Diskurs umfaßt die Bereiche der Feststellung der Konfliktfälle (Ermittlungsbehörden, Gericht), die Instanzen, die die Fälle bis zu ihrer Lösung bearbeiten (Gerichte), und diejenigen, die dafür Sorge tragen, daß gefundene Lösungen ausgeführt, bzw. eingehalten werden (Strafvollzug). HOFFMANN unterscheidet entsprechend zwischen - dem Vorfeld - der Realitätsbereich, auf den Recht angewendet wird und in dem der institutionelle Zugriff erfolgt; - dem Verfahren - der institutionell geregelte Ablauf rechtsförmiger Sachverhaltskonstitution und Rechtsanwendung; - dem Vollzug - der Bereich der Durchsetzung des richterlichen Machtanspruchs, wobei spezifische Institutionen (z.B. das Gefängnis) beteiligt sind. (Vgl. HOFFMANN 1983b: 8) Linguistisch bearbeitet ist bisher vor allem das Verfahren dieser Diskursform (nicht zuletzt wohl wegen der relativ einfachen Zugänglichkeit wie der öffentlicher Hauptverhandlungen in der Straf- und Ziviljustiz). In den folgenden Abschnitten ist das Vorfeld des forensischen Diskurses von besonderem Interesse, in dem Fachleute und Laien vor dem Hintergrund institutioneller Rahmenfestlegungen die sprachliche Zurichtung von Sachverhalten betreiben, die als Grundlage für Rechtsentscheidungen dienen. Die "Entstehung von 'Fällen' aus Lebenssachverhalten" vollzieht sich an der Schnittstelle von alltäglichem zu institutionellem Diskurs (vgl, ders., 8). Hier geht es vor allem um die Aufnahme des Sachverhalts, also unter anderem darum, zu klären, was der Fall ist. 2.1 BEMERKUNGEN ZUR ZEUGENVERNEHMUNG Im Hinblick auf die richterliche Zeugenvernehmung während der Verhandlung prüft der Anwalt, ob die Aussagen der ihm zur Verfügung stehenden Zeugen im Sinne der institutionell vorgegebenen Bedingungen relevant sind. Die Vernehmung eines Zeugen zur Sache bezieht sich entweder

Annette Bührig-Hollmann: Aushandlungsmöglichkeiten in Institutionen

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- auf das "Tatereignis, soweit er es wahrgenommen hat und sich erinnern kann; und/oder - zu sonstigen Ereignissen, die in irgendeiner relevanten Beziehung zum Tatereignis oder zur Kategorisierung des Angeklagten bzw. anderer Zeugen stehen (Randereignisse)". (HOFFMANN 1983b: 313) Vom Zeugen wird eine Aussageform gefordert, die die Perspektive eines in das wiedergegebene Geschehen nicht involvierten Beobachters beinhaltet; 14sie muß austauschbar sein und ablösbar von der jeweiligen Person, die berichtet.'' (ders., 272) Das formelle Programm, der Zivilprozeßordnung verpflichtet laut § 138 die vor Gericht streitenden Parteien dazu, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und wahrheitsgemäß abzugeben (vgl. LAUTMANN, R. 1972: 77). "Die Prozeßrechtsdogmatik leitet daraus den Grundsatz der Wahrheitspflicht her" (ders., 77), doch die Wahrheitspflicht der Parteien wird allseits nur wenig ernst genommen. So sind es Richter gewohnt, einander fast gänzlich widersprechende Schriftsätze zu lesen, in denen jede Partei einen ihr günstigen Sachverhalt darstellt und ungünstige Fakten leugnet oder unerwähnt läßt. Die Faktenselektion der konkurrierenden Parteien und ihrer Anwälte wird allgemein akzeptiert. Jede Seite braucht nur das vorzutragen, was ihren Standpunkt stützt. Während der Verhandlungen erfragen die Richter von den vorgeladenen Zeugen vor allem die Fakten, die von den Parteien ausdrücklich vorgetragen werden; alternative oder ergänzende Fakten zu erforschen erlauben sich Richter nur in seltenen Fällen, obwohl dies nach dem formellen Verfahrensprogramm möglich ist (vgl. LAUTMANN 1972: 63). Es existiert jedoch nur eine begrenzte Kapazität für die Informationsaufnahme und -Verarbeitung. Gemessen an der Komplexität ihrer Entscheidungsprobleme stehen den Richtern nur begrenzte Mittel in zeitlicher und materieller Hinsicht zur Verfügung. So werden Zeugen nur sehr selten in ein Gespräch über das zu bezeugende Ereignis verwickelt, um so den betreffenden Sachverhalt zu rekonstruieren. Üblicherweise besteht weder die Bereitschaft noch die nötige Zeit, sich auf Sprachgewohnheiten und Wissensinhalte der Zeugen in dieser Weise einzulassen. Die Sprache einer Gerichtsverhandlung ist so spezifisch, daß nur professionell Beteiligte (etwa Kaufleute und Juristen) verstehen und reden können; allenfalls ein Gebildeter aus der oberen Mittelschicht kann hier folgen und gelegentlich sich einschalten. (LAUTMANN 1972: 65) Andere Beteiligte erhalten nur ein eingeschränktes Rederecht. In der Verhandlung beschränken sich ihre Beiträge auf das Beantworten von Fragen. Sie bleiben von einer Teilnahme an der Problemlösung ausgeschlossen. Der Selektionsmechanismus des Gerichtsverfahrens schlägt sich in der Vernehmung vor allem darin nieder, daß die Zeugenaussage auf einen minimalen Ereignisausschnitt beschränkt werden kann, auch wenn das Recht auf zusammenhängende Darstellung gegeben ist. (HOFFMANN 1983a: 314)

Nach dem Motto 'In der Kürze liegt die Würze' wird der Zeuge dazu gezwungen, sich möglichst knapp und dabei präzise auszudrücken.

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DislfursanaJyse — Textlinguistik

3. Bemerkungen zur Anwaltstätigkeit

Zu den generellen Aufgaben des Anwalts während des Gesprächs mit den Zeugen seines Mandanten gehört es, ihre Aussagen im Hinblick auf die bevorstehende Verhandlung 'wasserdicht' zu machen. Dazu ist es erforderlich, eine Reihe von Daten aufzunehmen, wobei nach EHLICH u.a. zwischen der Erhebung geläufiger und der schwieriger Daten, für die ein besonderes Fachwissen erforderlich ist, unterschieden wird. Die Schwierigkeit von Daten ergibt sich daraus, daß Sachverhalte des alltäglichen Lebens in eine institutionell geforderte Form gebracht werden müssen. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um äußere ... sondern auch um inhaltliche Anforderungen (EHLICH u.a. 1989: 19)

Den Zeugen bereitet es unter anderem aufgrund mangelnder Kenntnisse über die spezifischen sprachlichen Anforderungen an seine Aussagen Schwierigkeiten, alltagsweltliche Sachverhalte in relevante Daten zu überführen, was in 3.1 illustriert werden soll.

3.1 BEISPIELFALL Es handelt sich bei unserem Beispiel um Ausschnitte aus einem Anwaltsgespräch (Anwalt, Mandant, Zeugen) kurz vor dem ersten Gerichtstermin. Gegenstand des Gesprächs ist neben der Rekonstruktion des Unfallgeschehens (ein Verkehrsunfall mit erheblichen Sachschaden) vor allem eine Aussage der Gegenpartei, die im Streitgespräch zwischen dem Mandanten des Anwalts und der Gegenseite nach dem Unfall getätigt worden ist und von zwei Zeugen mitangehört wurde. Bei den beiden Zeugen handelt es sich um den Bruder des Mandanten (ZI) und seiner Freundin (Z2). 1 ZI ZI 2

A Z2

' '

. un dann sachte ebn der andere'. Namen weiß ich nicht mehrdas e r ' , immer

mit

zwei Autos da nebenher fahn würde*

Meier Meier .. nebenander herfahn würde'. an der Stelle nedas versteh ich nicht- mit zwei Autos'

das er mit seinem Wagen' an also er/

Z2

ja "an der Stelle". un das . is normalereinem ändern vorb ifahnZI

weise unmöglich'. es gibt ne/s gibt ne/

A

ja ne' ((lacht)) das will

A : ich gar nicht/das ist ja ihre persönliche Meinung- was hat er jetzt ZI:

das er immer mit zwei . Autos- . oder ebn das- . n

A : konkret gesagt" ZI: entgegenkommendes Auto- . mit ihm da immer durchpassen würde'.

Annette Bührig-Hollmann: Aushandlungsmöglichkeiten in Institutionen

10

Z1

oder das er da immer durchfahn würde', mit zwei . Autosja' (

mit zwei Autos'das irritiert mich' irgendwie" Z2 12 13 14 15

137

ZI

)

er also er hat/nein/

mit

A

hat mit zwei Autos- er kann ja nu nich mit zwei Autos fahn". das-

ZI A

mit nein ändern entgegenkommenden" das er am/an einem ändern Wagen- . der n jo "/irgendwie- . ich weiß den genauen Wortlaut auch

ZI A

vorbeifahn würde". ja" hat er was

ZI

nich mehr' ah". können sie sich an den genauen Wortlaut ungefähr

A

16 A

erinnern'

Im Vordergrund des Interesses steht die Aussage des Herrn Meier (Name ist geändert), daß er kurz vor dem Zusammentreffen der am Unfall beteiligten Fahrzeuge nicht abgebremst habe, weil, so zitiert ihn der Zeuge in 2 und 3, (er immer mit zwei Autos da nebenher fahn würde' .. nebenander herfahn wurde*, an der Stelle'). ZI korrigiert in 3 seine Formulierung selbst schon etwas, doch dem Anwalt scheint das nicht zu reichen. In 3 und 4 (das versteh ich nicht - mit zwei Autos) lehnt er Zls Formulierung ab und reformuliert sie in 4 und 5 (das er mit seinem Wagen an einem ändern vorbeifahn-). ZI stimmt dieser Reformulierung in 5 zu (ja an der Stelle), fährt dann aber fort mit seiner Einschätzung und Bewertung des Unfallgeschehens in 5 und 6 (un das is normalerweise unmöglich'). Hierbei wird er abrupt vom Anwalt in 6 und 7 unterbrochen (ja ne 'das will ich ja ganich/das ist ja ihre persönliche Meinung), und in 7 und 8 fragt er ZI, was Herr Meier nun wirklich gesagt habe (was hat er jetzt konkret 'gesagt%). In 8-10 gibt ZI daraufhin mehrere Formulierungsangebote: (das er immer mit zwei . Autos- . oder ebn- . das- . n entgegenkommendes Auto, -mit ihm da immer durchpassen wurde '. oder das er da immer durchfahn würde '. mit zwei . Autos-). Diese werden vom Anwalt in der darauffolgenden Zeile zurückgewiesen (-mit zwei Autos das irritiert mich irgendwie). In 12 führt er den Grund für seine Zurückweisung an: (er kann ja nu nich mit zwei Autos fahn). Daraufhin macht ZI ein weiteres Formulierungsangebot in 13 (mit nem ändern entgegenkommenden). Hier versucht er klarzumachen, was jedem längst klar ist, daß nämlich Herr Meier natürlich nicht mit zwei Autos unterwegs war, sondern ein anderes passierte. Doch das reicht dem Anwalt noch nicht. Wiederum formuliert er die vermeintliche Aussage der Gegenpartei in 13 und 14 (das er an einem anderen Wagen vorbeifahn wurde l ). Auch dieser Reformulierung stimmt ZI zu (wie schon in 5); so oder so ähnlich hat sich die Gegenseite geäußert - aber ganz genau kann er es eben nicht mehr sagen (jo irgendwie ich weiß den genauen Wortlaut auch nicht mehr, in 14 und 15). Der Anwalt stoppt an dieser Stelle die Folge von Formulierungsangeboten und Gegenangeboten. Er wendet sich in 15 an Z2, in der Hoffnung, daß sie sich an den 'genauen Wortlaut' der Gegenseite

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DisJcursanaJyse — Textlinguistik

'ungefähr erinnern kann'. Zeilen l- bilden einen Komplex aufeinander bezogener Äußerungen zweier alternierender Sprecher, der nach KALLMEYER die typische Grundstruktur von Aushandlungsprozessen illustriert (vgl. KALLMEYER 1981: 94). Der Zeuge formuliert seine Version der ausschlaggebenden Aussage der Gegenpartei. Er schafft somit einen Rahmen für die Folgeäußerung des Anwalts (2 und 3). Der Anwalt bezieht sich mit seiner Äußerung auf die Vorgabe des Zeugen; er erklärt sie für unverständlich und macht einen Gegenvorschlag (4 und 5). Der Zeuge stimmt der Reformulierung des Anwalts zu (5). (An dieser Stelle tritt eine Nebensequenz ein, die der Anwalt schnell unterbindet). Ab Zeile 8 bemüht sich der Zeuge, den Reformulierungsvorschlag aufzugreifen und nach einigem Hin und Her münden diese Äußerungen in der vorläufigen Interpretation der Zeugenaussage durch den Anwalt (13 und 14). Nach KALLMEYER läßt sich dieses Gespräch zwischen Zeuge und Anwalt als eine Folge von Angeboten, Gegenangeboten, deren Interpretationen und schließlich dem, wenn auch nur vorläufigen, Akzeptieren eines Formulierungsangebots verstehen. Der Aushandlungsprozeß gewährleistet, so KALLMEYER, daß es sich hierbei um eine sozial hergestellte und damit von beiden Seiten akzeptierte, tatsächliche Interpretation handelt. Tatsächlich wird hier aber keineswegs ausgehandelt im engeren Sinn. Die Festlegung auf eine Formulierung erfolgt hier nicht auf 'soziale Art und Weise', wie KALLMEYER es sieht. Vergegenwärtigen wir uns die Zurückweisung des Anwalts in 11, betrachten wir seine Beurteilung in 39-40 und in 42, wo erneut über den vermeintlich genauen Wortlaut der Gegenseite Unklarheit herrscht, so wird klar, daß hier nicht zwei gleichberechtigte Gesprächspartner gemeinsam eine Einigung erzielen wollen. Die anfänglichen Äußerungen des Zeugen verdeutlichen, daß es diesem gar nicht klar ist, worauf es dem Anwalt überhaupt ankommt. Dessen Reformulierung wird zwar zugestimmt (5), dann aber fährt der Zeuge fort mit seiner Bewertung des Unfallgeschehens, die der Anwalt in 6 und 7 abbricht. Es ist der Anwalt, der das weitere Gespräch lenkt und den Zeugen dazu bringt, sich wieder auf die Aussage der Gegenseite zu konzentrieren. Letztlich scheitert das ganze Bemühen um eine brauchbare Zeugenaussage (wenn man sich das Ende dieser Sequenz anschaut), weil der Zeuge nicht erkennt, daß die Fragen des Anwalts sich eben nicht um die Rekonstruktion eines 'wörtlichen Zitats' drehen. Der Anwalt benötigt vor allem eine deutliche, widerspruchsfreie Formulierung, eine Zeugenaussage, mit der er vor Gericht operieren kann (etwa: "An der Stelle passen zwei Autos aneinander vorbei"). Es kommt ihm gar nicht darauf an, daß sich der Zeuge Wort für Wort an die Formulierung des Herrn Meier erinnert. Der Anwalt weiß, wie wichtig es bei der Verhandlung sein wird, eine hieb- und stichfeste Zeugenaussage zu präsentieren, vor allem dann, wenn die Gegenseite leugnet, jemals eine ähnliche Aussage getätigt zu haben. Ein Zeuge, der bei einer eventuellen Konfrontation - Aussage gegen Aussage - sich in vagen Formulierungen verliert, ist für seine Arbeit wertlos. In diesem Fall wäre es hilfreich und sinnvoll gewesen, wenn der Anwalt den Hintergrund und die Zielrichtung seiner Bemühungen dem Zeugen erläutert hätte.

Annette Bührig-Hollmann: Aushandlungsmöglichkeiten in Institutionen

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4. Abschließende Bemerkungen Mit dem Wissen des Anwalts um die Bedingungen vor Gericht im allgemeinen und um die Anforderungen an Zeugenaussagen im speziellen verknüpft sich eine asymmetrische Verteilung der Rollen zwischen den Beteiligten: auf der einen Seite der Anwalt, der Profi innerhalb dieses Rahmens, und auf der anderen Seite der Zeuge als Laie. Neben diesem Wissensvorsprung, den der Anwalt vor dem Zeuqen besitzt und der seine Machtposition ausmacht, ist es außerdem die Verpflichtung des Anwalts gegenüber seinem Mandanten, die ihn, den Anwalt, dazu veranlaßt, Kontrolle über den Prozeß der Sachverhaltsrekonstruktion zu besitzen. Der Anwalt ist dazu verpflichtet, den für die weitere Bearbeitung eines Rechtsfalls relevanten Sachverhalt möglichst vollständig zu ermitteln, was für ihn eine mühevolle Rekonstruktion erfordert, da er in aller Regel vor Bruchstücken des wahren Sachverhalts steht, die er von seinem Mandanten (und dessen Zeugen) "auch häufig erst nach vielen Mühen dargelegt erhält." (COMMICHAU, G. 1988: 6) Die korrekte Sachverhaltsrekonstruktion ist aber nicht nur Voraussetzung einer gewissenhaften Anwaltstätigkeit, sondern es ist darüber hinaus die vertragliche Hauptpflicht jedes Anwalts gemäß Anwaltshaftung § 18.1. Bei einer Verletzung dieser Pflicht macht sich der Anwalt gegenüber seinem Mandanten schadensersatzpflichtig. Die Rekonstruktion des Sachverhalts mündet in einer schriftlichen Aktennotiz des Anwalts und dient diesem letztlich zur Beweissicherung des erörterten Sachverhalts. Nicht zuletzt diese Umsetzung der mündlichen Form der Zeugenaussage in die schriftliche Form der Aktennotiz verlangt eindeutige Formulierungen, das heißt, es werden an das Gespräch Maßstäbe des schriftlichen Diskurses angelegt, wovon der Zeuge natürlich nichts weiß. Der Anwalt bewegt sich innerhalb eines Spannungsgefüges zweier Überzeugungen: Auf der einen Seite gelten Recht und Gerechtigkeit nicht als Konstruktionsprodukte (diese Auffassung sichert letztlich den moralischen Wert, dem das Recht zukommt), und auf der anderen Seite weiß jeder, der einmal in einen Rechtsstreit verwickelt war, daß sich Rechtssprechungen auf Kompromisse stützen. Der Konflikt zwischen diesen konkurrierenden Auffassungen verbietet dem Anwalt transparentes Verhalten (z.B. gegenüber einem Zeugen), auch wenn die Darstellung seiner Absichten Mißverständnisse vermeiden könnte. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß hier nicht wie so oft in der verstehend-rekonstruierenden Analyse von Agent-Klienten-Situationen der Agent als Funktionsträger der Institution kritisiert werden sollte. Es kam hier vielmehr darauf an zu zeigen, daß auch der Agent (bzw. der Anwalt) dem Druck der Institution unterworfen ist. Zusammenfassend stellen wir fest: Innerhalb des forensischen Diskurses (sieht man hier von den Fällen der sogenannten 'bargain justice' ab) gibt es vor allem wegen der asymmetrischen Wissensverteilung zwischen Agent und Klient keine Möglichkeit für Aushandlungen. Dies gilt in ähnlicher Weise sicherlich für alle Typen institutioneller Kommunikation. Damit wird nicht bestritten, daß Interaktionssituationen (auch unter institutionellen Rahmenbedingungen) auf komplexen Interpretationsprozessen der an der Interaktion Beteiligten beruhen. Spricht man innerhalb dieses Kontextes jedoch von ausgehandelten Gesprächsergebnissen, so

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DiskurscUialyse — Textlinguistik

wird der Begriff extensional ausgeweitet (auf Aushandlungspartner mit unterschiedlicher Machtposition) und damit intensional entleert.

ANHANG Annette Bührig-Hollmann: Ausschnitte aus einem Anwaltsgespräch 31 ZI:

ja also das 'weiß ich jetzt nich/ich hab nur die

32 ZI: Antwort mitgekriegt "von ihm'. dat kann ich jetzt nich genau sagen" OnilglH7 Heritunhf *U·!· der dauuohen AuulMtor

Abb. 2: Deutsche Aussiedler aus Polen/Oder-Neiße-Gebiete gewisse Möglichkeiten erhielten, die deutsche Kultur und Sprache zu pflegen und Ende 1950 auch erste deutschsprachige Grundschulen eingeführt wurden, galten die "Autochthonen", das waren etwa l ,4 Millionen, von denen die meisten im oberschlesischen Industriegebiet lebten, als germanisierte Polen, die zu repolonisieren waren. Für sie wurden keine deutschen Schulen eingerichtet, der Gebrauch der deutschen Sprache galt bei ihnen mehr noch als bei den "anerkannten Deutschen" als Zeichen antipolnischer, ja sogar faschistischer Gesinnung. Zwischen 1955 und 1959 siedelten im Rahmen der Familienzusammenführung etwa 250.000 Deutsche in die Bundesrepublik über. Seither bestritt die polnische Regierung die Existenz einer deutschen Minderheit. Bis 1960 wurden die deutschen

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Abb. 3: Aussiedler aus Rumänien (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

Schulen aufgelöst, deutsche Zeitungen wurden eingestellt. Wie wir von Informanten wissen, wurde in den ersten Jahren nach dem Krieg die deutsche Sprache zu Hause noch gepflegt, auch wurde die Beichte häufig noch auf Deutsch vorgenommen, man sprach Deutsch, wenn man "unter sich" war, d.h. im Gespräch mit Deutschen, und zwar meist mit Alteren und insbesondere auf dem Land. Den Kindern wurde die deutsche Sprache zumeist nicht mehr vermittelt. Der Gebrauch des Deutschen in der Öffentlichkeit galt als gefährlich: In Oberschlesien sprach man auf der Straße Oberschlesisch, in der Schule und mit Behörden dagegen Polnisch, soweit man dazu in der Lage war. Der polnische Regionaldialekt — durchsetzt mit einer Fülle deutscher Lexeme ("Kleid", "Rock", "Bluse", "Schnitte") — diente dabei häufig dem Ausdruck eines stark ausgeprägten Regionalbewußtseins: In erster Linie war man Oberschlesier, nicht Pole. Dies galt allerdings nur noch in geringem Maße für die Angehörigen der jüngeren Generation. Bei ihnen ist auch in der Regel keine muttersprachliche Deutschkompetenz mehr erhalten. Wenn Deutschkenntnisse vorhanden sind, sind sie in der Schule oder an der Hochschule erworben worden, also im Schulunterricht "Deutsch als Fremdsprache", im in den letzten Jahren möglich gewordenen erweiterten Deutschunterricht oder im Germanistikstudium an einer von zehn polnischen Universitäten bzw. Hochschulen.

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SOWJETUNION Bei der sowjetischen Volkszählung von 1970 gaben 66,8%, also etwa 2/3 der rund 2 Millionen Sowjetdeutschen an, Deutsch als Muttersprache zu sprechen. 1979 waren dies noch 57%. Aussiedlerbefragungen, die wir in Friedland unter gerade aus der Sowjetunion ausgesiedelten Sowjetdeutschen durchführten, zeigen ähnliche Ergebnisse, wie sie PETER HlLKES vom Osteuropainstitut München kürzlich vorgelegt hat (vgl. Tab.l): Tabelle 1: Deutsche Aussiedler aus der Sowjetunion - Muttersprache nach Geburtsjahren (N=450) Hdt. Dial. Zwspr. Nichtdt. Geburtsjahr 67,4 2,6 1905-1935 Pl 27,9 2,1 14,7 1936-1955 P2 28,9 52,9 3,5 1956-1966 P3 21,9 40,6 37,5 insgesamt in % 58,2 28,0 2,7 11,1 Quelle: HILKES/KLOOS (1988: 5)

Die Deutschkompetenz bei den Sowjetdeutschen ist wesentlich höher als bei den aus den polnischen Gebieten Ausgesiedelten. Diese Kompetenz ist nur zum geringeren Teil eine Hochdeutschkompetenz, sie ist eine Dialektkompetenz. Und: Die Deutschkenntnisse nehmen von Generation zu Generation ab. Das Studium dieser drei Phänomene ist vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt außerordentlich interessant. Wenden wir uns zunächst der Erhaltung der Dialekte und ihrer Entwicklung zu. Wie INGEBORG FLEISCHHAUER (1988) feststellt, lassen sich bei den Deutschen in der Sowjetunion bezüglich ihrer Herkunft drei Gruppen unterscheiden: der deutsch-baltische Adel, das deutsche Städtebürgertum, die deutschen Kolonisten — zunächst Bauern, später auch Handwerker — , die auf Einladung von Katharina II. seit 1762 planmäßig vor allem an der Wolga und nördlich des Schwarzen Meeres angesiedelt wurden. Zwischen 1764 und 1769 wurden 120 deutsche Dörfer gegründet, einige um Petersburg und in der Nordukraine, die meisten (104 Kolonien) an der mittleren und unteren Wolga. Die versprochenen Privilegien, Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Steuerfreiheit für bis zu 30 Jahren, Selbstverwaltung und staatliche Unterstützung bei der Umsiedlung, fanden ihr größtes Echo in Hessen und in den rheinfränkischen Gebieten, in der Pfalz, in Nordbaden und im Nordelsaß, aber auch in Nordbayern und sogar in Ostmitteldeutschland. Nach 1780 wurden 240 weitere Kolonien gegründet, vor allem in Südrussland, im sog. "Neurussland", in der Ukraine und auf der Krim. Unter den Siedlern waren westpreussische Mennoniten, das waren Niederdeutsche und Niederländer, die in Westpreußen Zuflucht gefunden hatten und von dort eine ostniederdeutsch geprägte Mundart, das sog. Werderplatt, mitbrachten. Vor allem aber kamen württembergische Separatisten, in der Hauptmasse schwäbische Mundartsprecher, sowie evangelische und katholische Ostpreußen.

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Als letzte Kolonisationswelle wurden 200 Kolonien Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Wolhynien gegründet. Die Siedler rekrutierten sich aus sehr unterschiedlichen Gebieten, es waren sog. "schlesische Stabschläger" darunter (Holzfäller), mennonitische Viehzüchter, pommersche Ackerbauern, Menschen aus dem Danziger Raum, aus der Rheinpfalz und aus polnischen Gebieten. Ihre Sprache war eine eigenständige, dem Hochdeutschen näherstehende Mundart mit einigen ostmitteldeutschen Merkmalen. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde eine Reihe von Tochterkolonien gegründet. Diese Neugründungen fanden zuerst in der näheren Umgebung statt, später drang man bis nach Ufa, Tscheljabinsk, Orenburg, Omsk, ins Altai-Gebiet, nach Nord- Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Tadschikistan. Vor dem 1. Weltkrieg gab es bereits 2100 deutsche Dörfer mit 1,5 Millionen Einwohnern, davon 1000 Dörfer in der Ukraine, 550 Dörfer in Wolhynien, 200 große Dörfer an der Wolga. Diese Dörfer waren in der Regel weit verstreut, sie entwickelten daher keine einheitliche Sprachgemeinschaft mit einer Ausgleichssprache. Sie lebten meist in Isolation von der russischen oder ukrainischen Umgebung. Hierzu trug auch ein Nebeneinander von freien deutschen Bauern und russischen Leibeigenen bei. Auch die unterschiedliche Religion spielte eine Rolle: Es gab kaum Mischsiedlungen von russisch-orthodoxen, evangelischen, katholischen, mennonitischen Siedlern. Die Existenz von geschlossenen deutschen Siedlungen war jedoch die Hauptbedingung für den Erhalt der Mundarten. Überdies war der Einfluß der in der Sowjetunion so genannten "Literatursprache" auf die deutschen Bauern relativ gering. Ein standardnahes Hochdeutsch wurde vor allem in den Schulen vermittelt, die meist von den Kirchen betrieben wurden. Die deutschen Siedlungen, insbesondere die im Schwarzmeergebiet, prosperierten in der Folgezeit stark. Nach nationalistischen Bestrebungen in der Zeit vor der Revolution, bis hin zur Deportation von rund 200.000 Kolonisten aus Wolhynien nach Sibirien, bedeutete die Gründung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen 1924, die Gründung von zwölf deutschen Rayons (Landkreisen) in der Ukraine, in Georgien, Aserbeidschan, auf der Krim und in der Region Altai sowie die Bildung von insgesamt 550 nationalen deutschen Dorfsowjets einen ungeheuren Aufschwung für die deutsche Kultur und Sprache. Ein deutsches Bildungswesen wurde aufgebaut, das vom Kindergarten bis zur Hochschule reichte. In der Wolga-Republik konnten bis Ende der 30er Jahre fünf Hochschulen, elf Fachhochschulen, ein deutsches Nationaltheater, ein Kindertheater, ein Staatsverlag und eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften gegründet werden. Nach bereits ersten Einschränkungen ab Mitte der 30er Jahre außerhalb der Wolga-Republik bedeutete der Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 das Ende aller nationalen Minderheitsrechte der Sowjetdeutschen. Mit dem Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 "über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons wohnen" wurden 400.000 Wolgadeutsche, etwa 80.000 Deutsche aus anderen Gebieten des europäischen Teils der Sowjetunion und rund 25.000 Personen aus Georgien und Aserbeidschan nach Sibirien und Mittelasien deportiert. Tausende starben auf

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den Transporten oder in ihren Verbannungsorten sowie in der "Trudarmee" (Arbeitsarmee) an Hunger, epidemischen Krankheiten oder Schwäche. Von den rund 200.000 Deutschen, die nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im "Reichskommissariat Ukraine" gelebt haben und bei deren Rückzug im "Warthegau" angesiedelt werden sollten, wurden die allermeisten nach Kriegsende in die UdSSR "repatriiert". Erst 1955 wurde das Regime der Sondersiedlungen aufgehoben, die Insassen durften den Ort ihres Gewahrsams verlassen, jedoch nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Und erst mit dem Dekret über die Teilrehabilitierung vom 29. August 1964 wurden die "wahllos erhobenen Anschuldigungen gegen die deutsche Bevölkerung" zurückgenommen. Deportationen und anschließende Binnenmigration hatten jedoch zu einer im Vergleich mit den Vorkriegsjahren völlig neuen Bevölkerungsverteilung der Deutschen in der Sowjetunion geführt. Während irn Jahre 1926 etwa 85% der Sowjetdeutschen im europäischen Teil der UdSSR lebten und 15% im asiatischen, waren im Jahre 1979 nur noch 20% im europäischen Teil verblieben, 80% siedelten im asiatischen Teil der Sowjetunion, darunter 46,5% in Kasachstan. Zwar haben sich die Bedingungen für die Sowjetdeutschen in den letzten Jahren verbessert, jedoch kann von einer vollen Rehabilitierung keine Rede sein. Seit 1957 erscheint die deutschsprachige Wochenzeitschrift "Neues Leben", die von der Prawda herausgegeben wird, seit 1956 die "Rote Fahne" (dreimal wöchentlich) in Slawgorod, seit 1967 die "Freundschaft", eine in Zelinograd herausgegebene Tageszeitung. Es gibt eine Reihe von deutschsprachigen Rundfunksendungen, unter anderem in Alma-Ata, Frunse, Barnaul, Omsk, Zelinograd, Karaganda, eine deutsche Fernsehsendung von Radio Alma-Ata, ein deutsches dramatisches Theater, das vor kurzem nach Alma-Ata umgezogen ist, einen deutschen Klub in Omsk, deutschsprachige Verlage in Barnaul, Kaliningrad. Seitdem 1957 die Reorganisation des Unterrichts in deutscher Muttersprache für Kinder und Erwachsene eingeleitet wurde, ist auf Antrag und bei einer Meldung von zehn Kindern pro Klasse auch muttersprachlicher Deutschunterricht ab der ersten Klasse wieder möglich. In der Praxis zeigen sich zahlreiche Beschränkungen. Die Eltern haben Angst, ihre Kinder anzumelden. Es gibt kaum Lehrmaterial, wenig Lehrer, die noch dazu schlecht ausgebildet sind. (Diese Lehrer werden von ihren Schülern als "Man kann so — man kann so"-Lehrer bezeichnet, da sie häufig auf Schülerkritik an ihren Deutschkenntnissen mit eben diesem Spruch reagieren.) Auch die Wiederzulassung der Kirchen unterliegt in der Realität zahlreichen Einschränkungen. Die Kirchen, die wichtige Domänen der deutschen Sprache darstellen, durften bis vor kurzem keine Gottesdienste für Kinder und Frauen durchführen. Es mangelt an Bibeln und Gesangbüchern. Zur Beschaffung von Bibeln werden Abgesandte bis in die baltischen Republiken geschickt. Gegenwärtig sind in der UdSSR von den existierenden 500 evangelisch- lutherischen Gemeinden etwa 220 staatlich registriert. Die Zahl der Mennoniten wird auf etwa 50.000 in rund 50 Gemeinden geschätzt, vor allem im Gebiet Orenburg und in der Region Altai. Es gibt 20 bis 30 staatlich registrierte katholische Gemeinden. Die deutsche Sprache ist fest mit dem kirchlichen Leben verbunden, es werden deutsche

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Lieder gesungen, es werden Hochzeiten und Beerdigungen in deutscher Sprache abgehalten, wenn dies auch vor allem für die ältere Generation gilt. Deutsch in der Öffentlichkeit zu sprechen, war in den Jahren des "großen Schweigens" praktisch unmöglich. Man konnte nicht sprechen wie die "Faschisten". In gemischten Dörfern wird Deutsch nur in der Familie, unter Freunden, in der Kirche, wenn vorhanden, gesprochen. In deutschen Dörfern kann je nach Gesprächspartner auch bei der landwirtschaftlichen Arbeit, im Laden, in Diskussionen Deutsch gesprochen werden, selten jedoch in der Kolchos-Versammlung oder beim Vortrag. Es zeichnet sich hier also eine deutliche diglossische Domänen-Verteilung ab. Es gibt bis heute keine zusammenhängende Beschreibung der deutschen Dialekte in der Sowjetunion. Die meisten Arbeiten auf diesem Gebiet enden spätestens 1945, darüberhinaus gibt es einige Einzelarbeiten, unter anderem von sowjetischen Kollegen. Die Arbeit des großen VIKTOR SCHIRMUNSKI harrt noch einer Fortsetzung. Wichtige Materialien, wie z.B. die meisten Karten des Wolgadeutschen Sprachatlas von DINGES und Nachzeichnungen von DULSON, sind leider verloren gegangen. Hinsichtlich der deutschen Sprache, die die Sowjetdeutschen sprechen, lassen sich dennoch bereits einige interessante Aspekte festhalten: a. Sprachproben, die wir von sowjetdeutschen Informanten aufgenommen haben, zeigen eine starke DIALEKTALE PRÄGUNG die fernab des geschlossenen deutschen Sprachgebietes nur in geringem Maße dem Einfluß der deutschen Standardsprache unterliegt. Eine Beeinflussung durch die sog. "Literatursprache" wirkt hauptsächlich über die Kirche, die Schule (sofern schulischer Deutschunterricht besucht wird) und über die "Institution" der Großmütter, die die deutsche "Literatursprache" beherrschen, sofern sie vor 1941 die Schule besucht haben. Bücher und Zeitschriften fallen zum großen Teil als Einflußquelle aus, deutsche Bücher sind ohnehin kaum zu erhalten, deutsche Zeitschriften werden nur von relativ wenigen gelesen, oft scheitert dies schon daran, daß Angehörige der jüngeren Generation große Mühe haben, lateinische Schrift zu lesen. Zwar finden sich eine Reihe von Russizismen in der dialektalen Rede unserer Informanten, auch kann man z.T. von einem "slawischen Akzent" sprechen, das Zäpfchen-r fehlt meist, aber dennoch sprechen viele noch Deutsch, und zwar — mit Ausnahme der ehemaligen Wolhynien-Deutschen — Dialekt. Ein Vergleich einer Sprachprobe eines sowjetdeutschen Dialektsprechers mit einer Probe eines aus der Bundesrepublik zeigt eine deutlich höhere Dialektalität auf seiten des Sowjetdeutschen. b. Gleichwohl stellen wir selbst bei diesen Sprechern in gewissem Umfang DIALEKTALE VARIATIONEN fest. Die Sprecher verfügen häufig über mehrere "Sprachlagen" und sind imstande, zwischen mehreren Registern zu wechseln. Auch hierzu verfügen wir über mehrere Sprachproben. Dialektsprecher im Dorf Tobolino in Kasachstan etwa wechseln sofort in ein ausgeprägter dialektales Register, als der Interviewer den Raum verläßt. Eine mennonitische Familie Niederdeutsch sprechender Informanten verfügt offenbar über vier verschiedene Varietäten: Untereinander sprachen sie einen ausgeprägten kleinregionalen Ortsdialekt aus der Umgebung von Orenburg. Von einer niederdeutschen Gesprächspartnerin aus der Bundesrepublik angesprochen, wechselten

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sie sofort in eine Art niederdeutsche "Umgangssprache" — so verzichteten sie etwa auf einige auffällige Dialektmarker des mennonitischen Niederdeutsch, auf sogenannte "primäre Dialektmerkmale" (SCHIRMUNSKl), die in der Alltagssprache durchaus noch präsent sind, wie unter anderem die Palatalisierung des "k" in bestimmten Positionen, z.B. in "moakjt" (Markt), "flekjt" (flickt), "etj" (ich), "maltj" (Milch). Wurden sie von uns im Interview hochdeutsch angesprochen, so wechselten sie wiederum in eine standardnähere Varietät. Daneben beherrschen sie in unterschiedlichem Maße Russisch. c. Zur Frage der DIALEKTMISCHUNG: Zwar sind fast alle diese Dialekte in unterschiedlichem Ausmaß Dialektmischungen. Mundartenausgleich betont bereits SCHIRMUNSKl 1928. Dialektmischung wird schon für die Zeit der Auswanderung der Kolonisten aus Deutschland angenommen. Um so mehr haben die Deportationen und Umsiedlungen über viele tausend Kilometer zu sprachlicher Heterogenität geführt. Andererseits scheint die Vorstellung einer "gleichberechtigten" Mischung, wie zumeist, irrig zu sein: Es handelt sich in der Regel um eine gerichtete Mischung. Bereits in der Wolgarepublik und auch in der Ukraine haben sich bestimmte dialektale Formen als dominant durchgesetzt. Nur so ist es zu erklären, daß auch heute noch Informanten in der Lage waren, relativ genau Sprachproben nach der ursprünglichen Herkunft ihrer Sprecher zu lokalisieren (vgl. den Beitrag von H. WEYDT). Es läßt sich bisher keine Evidenz für eine Einheitsvarietät "Sowjetdeutsch" finden. Auch scheint es nicht so, als ob die Verschiedenartigkeit der miteinander in Kontakt tretenden Dialekte zu einer Annäherung an das Hochdeutsche oder aber aus Verständigungsgründen — an das Russische geführt hätte. Statt dessen findet meistens ein Wechsel in Richtung einer als dominant angesehenen Mundart statt. So wissen wir von Informanten, daß im Falle des Dialektkontakts zwischen niederdeutschen und oberdeutschen Mundartsprechern regelmäßig eine Annäherung an den oberdeutschen Dialekt stattfindet. Eine weitere durchaus verbreitete Folge des Dialektkontaktes, die in der Bundesrepublik äußerst selten ist, ist die Mehrdialektalität der Sprecher. Wir fassen zusammen: Selbst die extreme Durchmischung der verschiedene Dialekte sprechenden Sowjetdeutschen in Folge der Deportationen und anschließenden Migrationen hat nicht zu einer vermeintlich regellosen Dialektmischung geführt, sondern wir stellen klar gegliederte Dialektstrukturen fest. Gleichwohl finden wir eine dialektale Variation, die von ausgeprägten, konservierten Ortsdialekten zu hochdeutsch-näheren Formen führt. Im Falle von Dialektkontakt findet eine "gerichtete Mischung" statt, Dominanzen sind erkennbar. Ein sprachwissenschaftlich interessantes Phänomen stellt die Mehrdialektalität dar.

2. Ethnisch-kulturelle Bedingungen und Motivationen, die für Sprachverlust oder -bewahrung entscheidend sein können Wir haben es bei den Sowjetdeutschen mit einem selten in solcher Klarheit von den Betroffenen selbst formulierten Fall von Sprachloyalität als Ausdruck und Mittler ethnischer und kultureller Identität zu tun. Es ist selbst für einen Sprachwissenschaftler ungewöhnlich, wenn Menschen — auf die Frage angesprochen, welchen

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Wert sie der deutschen Sprache beimessen — zu weinen beginnen. Die deutsche Sprache gilt vielen befragten Sowjetdeutschen als SYMBOL IHRER ETHNISCHEN IDENTITÄT als Deutsche. Die Sprache mußte in den langen Jahren der offiziellen Versuche, diese ethnische und kulturelle Identität zu beseitigen, als Stellvertreter deutscher Kultur, wenn man so will, als "Heimatersatz" fungieren. Es hat den Anschein, als ob nach den zahlreichen Stationen der Umsiedlung bei vielen Sowjetdeutschen keine tatsächliche Verwurzelung mehr in ihren neuen, mittelasiatischen Wohngebieten stattgefunden hat. Man konnte sagen: Die deutsche Sprache war das einzige, was man immer bei sich tragen konnte, wenn man schon sonst nichts mitnehmen konnte. Hierbei spielte die FAMILIE eine wichtige Rolle. Die Großfamilie war der Ort, der sich am stärksten als Refugium der deutschen Sprache anbot. Auch heute noch wird innerhalb der Familie, und zwar insbesondere mit den älteren Mitgliedern, am meisten Deutsch gesprochen, unter anderem bei Familienfesten (vgl. HiLKES/KLOOS (1988:6)). Folglich nimmt es nicht wunder, wenn die Frage des Ehepartners in vielen Familien für sehr wichtig erachtet wird. Die Eltern sind meist dagegen, daß ihr Sohn oder ihre Tochter einen russischen Ehepartner nimmt. Es steht die Befürchtung dahinter, daß auf diese Weise die Familie als Domäne der deutschen Sprache zerstört würde. Eine weitere wichtige Bedingung, die für Erhalt oder Verlust der deutschen Sprache mit verantwortlich sein kann, ist die Existenz von GESCHLOSSENEN SIEDLUNGEN, von denen heute noch einige in den genannten Gebieten bestehen, jedoch in weit geringerem Maße als früher. Ein wichtiger Faktor für das Anschwellen des Aussiedlerstroms ist der Sog des Aussiedlerstroms selbst. Die meisten befragten Sowjetdeutschen äußerten die Befürchtung, daß es bald nur noch deutsche Namen, aber keine DeutschSprechenden mehr gebe. Diese Aussicht ist nicht unrealistisch: Es zeichnet sich ein GENERATIONSWEISE VOLLZOGENER SPRACHVERLUST ab: Die Großeltern sprechen ein stark dialektal gefärbtes Deutsch, verwenden einige Russizismen, können in unterschiedlichem Maße Russisch, u.a. davon abhängig, wann und wie lange sie die Schule besucht haben. Die Eltern sind in der Regel zweisprachig, sprechen Deutsch und Russisch, mitunter Russisch schon besser, z.T. etwas Kasachisch. Es zeigen sich Unterschiede in der Dialektalität, die häufig eine Folge unterschiedlicher Bildung sind. So wird etwa an den pädagogischen Hochschulen Hochdeutsch gelernt. Die Domäne welcher Sprache die Privatsphäre ist, hängt stark ab vom Ehepartner. Die Kinder sprechen in der Regel Russisch, mit einzelnen deutschen Lexemen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Kindergarten, in dem der Einfluß des Russischen übermächtig wird. Eine Ausnahme in dieser Abstufung scheinen die Mennoniten darzustellen. Wichtig erscheinen hier REGIONALE UNTERSCHIEDE. Am größten ist die Tendenz des Sprachverlustes bei jungen Städtern im europäischen Teil der Sowjetunion. Generell liegen die Werte für das Deutsche als Muttersprache in den anderen Republiken höher als in der RSFSR.

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Während 1970 bei der sowjetischen Volkszählung im Durchschnitt der UdSSR zwei Drittel der Deutschen angegeben hatten, ihre Muttersprache sei Deutsch, waren dies in Kasachstan 75%, in Kirgisien etwa 79% und in Tadschikistan mehr als 81%. Die Zahlen für die RSFSR differieren bereits, wenn man zwischen dem europäischen Teil und dem asiatischen Teil der russischen Republik unterscheidet: Gaben im asiatischen Teil etwa 60% der Deutschen als Muttersprache Deutsch an, waren dies im europäischen Teil 46%. Die Unterscheidung zwischen Stadt- und Landbevölkerung macht in der RSFSR weitere 20% aus (in Kasachstan 10%), d.h. Landbewohner liegen 10% über dem Durchschnitt, Stadtbewohner 10% darunter. Die höheren Werte im nicht-europäischen Teil der UdSSR könnten sich dadurch erklären, daß dort der Assimilationsdruck möglicherweise geringer ist, daß im europäischen Teil eine gewisse Modernisierung ihre Wirkung zeigt und hier auch der Anteil der Stadtbevölkerung unter den Deutschen bei 60% liegt, während er im asiatischen Teil bei nur 40% liegt. Wenig Evidenz gibt es für die Annahme, daß in der RSFSR ein höherer Anteil von Deutschen als Muttersprache Russisch angibt, weil ihnen kulturell die Russen näherstünden. Wenn auch die mittelasiatischen Völker mitunter als die "Schwarzen" bezeichnet werden, so war es doch die Politik der Russifizierung, die die ethnische Identität der Deutschen in der Sowjetunion am meisten bedrohte. Es lassen sich, wie wir gesehen haben, eine Reihe von objektiven Bedingungen angeben, die für das Festhalten an der deutschen Sprache wichtige Voraussetzungen dargestellt haben. Hierzu gehört die Existenz geschlossener Siedlungen, hierzu gehört die institutionelle Unterstützung durch insbesondere Schule und Kirche, hierzu gehört auch, daß die Sowjetunion immer eine Nationalitätenpolitik betrieben hat, d.h., daß sie die Sowjetdeutschen — im Guten wie im Schlechten — immer als Kollektiv behandelt hat. Dies könnten wichtige Unterschiede zur Situation in Polen etwa sein. Dennoch muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß das Festhalten an der Sprache aufgrund eines KULTURELLEN ODER ETHNISCHEN ZUGEHÖRIGKEITSGEFÜHLS eine unabhängige Größe ist. Die Sowjetdeutschen haben in ihrer großen Mehrheit trotz Widrigkeiten nie aufgehört, sich als Deutsche zu empfinden. Deutsche Kultur wurde gepflegt, wenn uns dies auch mitunter als wenig substantiell erscheint. Hierzu gehört die Art der Wohnungseinrichtung ebenso wie bestimmte Sauberkeitsvorstellungen, Haus und Hof betreffend, aber auch das Feiern deutscher Feste (Weihnachten mit Weihnachtsliedern, Ostern mit Ostereiern), die Ausrichtung von Hochzeiten und Beerdigungen nach deutschem Brauch, der "Strudele" und die "Hienersuppe". Zum wichtigsten Ausweis der ethnischen Identität aber wurde neben der Abstammung die deutsche Sprache. Wir können sagen: Die SPRACHLOYALITÄT wird von den Sowjetdeutschen selbst zu einem entscheidenden Kriterium ihrer ethnischen Identität gemacht. Die schwindende Sprachkompetenz gehört daher zu den meistgenannten Aussiedlungsgründen. Die sowjetdeutschen Aussiedler sind durchaus keine Wirtschaftsflüchtlinge. Sie weisen immer wieder darauf hin, daß es ihnen in der Sowjetunion ökonomisch relativ gut gegangen ist, und die Antwort auf entsprechende Vorhaltungen in der

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Zeitschrift "Neues Leben" ist durchaus typisch: "Warum wollen sie ausreisen? Es geht ihnen doch gut." "Ich möchte gern, daß meine Enkel nicht nur die Kühe auf deutsch hüten." (Neues Leben, 28.6.1989, S.13) Und es ist ebenso typisch, wenn in der Gründungserklärung der Unionsgesellschaft der Sowjetdeutschen "Wiedergeburt" als zentraler Punkt hervorgehoben wird: "Wir wollen, daß die Vertreter aller Nationalitäten alle Möglichkeiten für die Erhaltung und Entwicklung ihrer Muttersprachen und ihrer Nationalkultur haben."(Neues Leben, 3.5.1989). Wenn auch Sprachloyalität von vielen als entscheidendes Kettenglied ethnischer Identität verstanden wird, so geht doch die Kovarianz von ethnischer Zugehörigkeit und Sprachkompetenz keineswegs immer auf: Von den 2 Millionen Sowjetbürgern, in deren Paß als Nationalität "deutsch" eingetragen ist, gibt nur noch l Million Deutsch als Muttersprache an. Da von vielen Sowjetdeutschen der Sprachverlust als ein Aussiedlungsmotiv benannt wird, wäre es für alle Seiten sicher lohnenswert herauszufinden, unter welchen Bedingungen sie ihre kulturelle und sprachliche Identität auch in der Sowjetunion gewahrt sehen würden. Die Erforschung der deutschen Sprache in der Sowjetunion liefert uns eine Reihe von interessanten Erkenntnissen, die die Beschreibung der deutschen Dialekte und ihrer Entwicklung unter besonderen Bedingungen betreffen, die uns Prozesse des Sprach- und auch Dialektkontakts besser verstehen lassen und die uns Bedingungen und Motivationen verdeutlichen, die für Sprachbewahrung oder Sprachverlust entscheidend sind. Interessanterweise spielt für die sowjetdeutschen Aussiedler wie für die "eingesessenen" Bürger der Bundesrepublik die Frage der Sprache eine entscheidende Rolle. Hier zu besserem Verständnis beizutragen könnte eine Aufgabe der Sprachwissenschaft sein. So könnte die hohe Dialektkompetenz der Sowjetdeutschen ein Grund sein, der Bundesregierung zu empfehlen, bei der Frage der Ansiedlung dieser Menschen nicht allein von Aufnahmequoten, sondern auch von Dialektregionen auszugehen, um ihnen eine Akzeptanz und Integration zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. LITERATUR FLEISCHHAUER, INGEBORG 1983 Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt. (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 46). HILKES, PETER, KLOOS, HERBERT 1988 Deutsche in der Sowjetunion: Sprachkompetenz und Sprachverhalten. Ergebnisse einer Befragungsstudie mit deutschen Spätaussiedlern aus der Sowjetunion. (= Forachungsprojekt "Deutsche in der Sowjetgesellschaft". Arbeitsberichte Nr. 10). München: Osteuropa-Institut München. MICEWICZ, TERESA M. 1975

Bilingualism in Upper Silesia. Its Psycho- and Sociolinguistic Problems. Warszawa: Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego. (= Dissertationes Universitatis Varsoviensis).

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REITER, NORBERT 1960 Die polnisch-deutschen Sprachbeziehungen in Oberschlesien. Wiesbaden. (= Veröffentlichungen der Abteilung für alavische Sprachen und Literaturen des Osteuropa-Instituts (Slavisches Seminar) an der Freien Universität Berlin 23). SCHIRMUNSKI, VIKTOR

1928

Die deutschen Kolonien in der Ukraine. Geschichte, Mundarten, Volkskunde. Moskau: Zentralvölkerverlag der Sowjetunion.

Volkslied,

Die Untersuchung der Sprachkontaktsituation an der deutsch-französischen Grenze (am Beispiel von Petite-Roselle/Ost-Lothringen)

Conny Stroh Universität Bremen

0. Einleitung Ost-Lothringen, Deutsch-Lothringen, Lorraine thioise, Lorraine germanophone, la Moselle germanophone, — viele Bezeichnungen für ein Gebiet im Herzen Europas, an der Schnittstelle zwischen Germania und Romania. Ebensoviele Bezeichnungen für die Sprache, die man dort spricht: Fränkisch, Platt, Deutsch, Dialekt, francique, patois. Allzuoft wird Ost-Lothringen — also genauer, der Teil des Departement Moselle, in dem seit etwa dem Jahr 1000, seit 1945 allerdings mit stark rückläufiger Tendenz, Mosel-, Rheinfränkisch und z.T. Elsässisch gesprochen werden — mit dem Elsaß gleichgestellt; vor allem die sprachliche Situation im Elsaß wird auf Ost-Lothringen übertragen, häufig mit dem Zusatz, man könne davon ausgehen, daß die Lage des Dialekts in Ost-Lothringen noch hoffnungsloser sei als im Elsaß. Ich möchte mit meiner Untersuchung der sprachlichen Situation in einer ost-lothringischen Grenzgemeinde einen kleinen photographischen Ausschnitt der Sprachkontaktsituation an der saarländisch-lothringischen Grenze liefern, einer Situation, die sicherlich mit den elsässischen Verhältnissen vergleichbar, jedoch nicht identisch ist. 1. Untersuchungsgebiet, Gewährspersonen und Vorgehen Im Sommer 1985 führte ich in Petite-Rosselle, einer Gemeinde von etwa 7000 Einwohnern an der lothringisch-saarländischen Grenze, eine nicht-repräsentative sprachsoziologische Untersuchung durch, bei der ich vier Männer und vier Frauen aus vier verschiedenen Altersgruppen anhand eines Fragebogens nach ihrem Sprachgebrauch in verschiedenen Sprechsituationen (z.B. in der Familie, am Arbeitsplatz, auf der Post etc.) befragte. Vorkriegsgeneration nannte ich die Altersgruppe, die vor 1926 geboren wurde, ihre gesamte Schulzeit also in der "französischen Zeit" absolvierte, Kriegsgeneration sind die während des Krieges Eingeschulten, die teilweise Deutsch, teilweise Französisch als Unterrichtssprache hatten. Die nach 1939 geborene Generation nannte ich Nachkriegsgeneration und die heute über Zwanzigjährigen nannte ich die Jüngere Generation. In Petite-Rosselle existieren, wie in der gesamten Lorraine thioise, dem deutschsprachigen Teil der Moselle, der durch die seit etwa dem Jahr 1000 bestehende Sprachgrenze von dem romanischen Teil Lothringens getrennt ist, Französisch seit 1945 als offizielle herrschende und Fränkisch, ein westmitteldeutscher Dialekt, als inoffiziell beherrschte Sprache nebeneinander. (Siehe Karte l am Ende des Textes). Ich mußte also von einer Diskrepanz zwischen Aussagen über Sprachverhalten

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und tatsächlichem Sprachgebrauch ausgehen. Aus diesem Grunde versuchte ich, nach Ausfüllen des Fragebogens, von der offiziell wirkenden Befragungssituation zu einer der alltäglichen Erzählform angepaßteren Form des Interviews bzw. Gesprächs überzugehen, indem ich Fragen nach bestimmten Lebensphasen (Kindheit, Schulzeit, Beruf) und nach herausragenden Ereignissen im Leben der Interviewten (Kriegs- und Nachkriegszeit) stellte. In der Befragungssituation mit Fragebogen waren die Gewährspersonen darauf reduziert, auf meine Fragen zu antworten. Das heißt, in dieser Situation ist der Befrager aktiv, er bestimmt, beherrscht das Gespräch. Eine so dominante Stellung des Interviewers verstärkt die ohnenhin von jeglicher Befragungssituation ausgehende Beeinflußung dahingehend, daß der Befragte entweder seine Antworten nach der von ihm angenommenen Erwartung des Befragers ausrichtet oder daß der Interviewte eingeschüchtert ist und meint, nichts wichtiges zum Thema beitragen zu können. Durch die lockerere Erzählform sollten die Gewährspersonen dahin gebracht werden, ihre Geschichte zu erzählen, das zu erzählen, was sie zum Thema beitragen wollen. Mit Ausnahme von einer Befragten ließen sich alle Gewährspersonen auf diese Form des Gesprächs ein. Die Vertreterin der Jüngeren Generation war sehr wortkarg, was zum einen daran liegen mag, daß sie weniger zu erzählen hatte oder der Tatsache geschuldet war, daß sie die Sprachenfrage nicht sonderlich interessierte, da sie selbst einsprachig ist. 2. Dialektgeographie, Soziolinguistik,Ideolinguistik und sozio-ökonomische Faktoren Bei der in der Untersuchung angewandten Methode handelt es sich um eine Mischung aus Fishman's Domänenkonstrukt, durch das der Fragebogen strukturiert war, aus Oral History, d.h. Geschichtsschreibung aus der Sicht aller Gesellschaftsgruppen, nicht nur aus der Sicht einer Elite und aus Biographieforschung, die davon ausgeht, daß sich in der Biographie eines Individuums die gesellschaftliche Entwicklung abbildet. Nach Auswertung der Fragebögen kam ich, wie alle einschlägigen Arbeiten über Lothringen und über das Elsaß, zu dem Ergebnis, daß sich der Dialektgebrauch seit 1945 auf den privaten und halbprivaten Bereich zurückzieht und daß über die Jüngere Generation Französisch allmählich auch in den privaten Bereich eindringt. Inzwischen bin ich zu der Auffassung gelangt, daß festzustellen, daß eine dominante Sprache, die über Herrschaftsinstrumente wie Sprachpolitik, Medien, Schrift und Literatur verfügt, eine dialektale Sprachform verdrängt, die durch die neuere Geschichte stark in Verruf gekommen ist, nur ein erster Schritt ist auf dem Wege zur Beantwortung der Frage, wie, wann und warum es zur heutigen Situation gekommen ist, wie die Betroffenen die Situation sehen, über welche Einstellungen und über welches Sprachbewußtsein sie verfügen und ob es Strategien zur Aufrechterhaltung der beherrschten Sprache gibt. Um sich ein umfassendes Bild über die Gesamtsituation machen zu können, müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden: - Die Region muß dialektgeographisch eingeordnet werden. - Die soziolinguistische Situation muß umrissen werden.

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- Ideolinguistische Gegebenheiten sollten daxgestellt werden. - Sozio-ökonomische Faktoren müssen untersucht werden.

2.1. ZUR DIALEKTGEOGRAPHIE In der Lorraine thioise wird Fränkisch, eine westmitteldeutsche Mundart gesprochen. Das Fränkische teilt sich in Mittelfränkisch und Rheinfränkisch. Das zum Mittelfränkisch zählende Moselfränkisch wird an der luxemburgischen Grenze, um Cattenom, Sierck und Thionville gesprochen. Dieser Dialekt unterscheidet sich vom Moselfränkischen um Bouzonville dadurch, daß er sich eher dem Letzebuergsch annähert und auch luxemburgisch Fränkisch genannt wird. Um Boulay nennen die Dialektsprecher ihre Mundart Bolcher Platt. Um Forbach, Sarreguemines, St. Avoid und Freyming-Merlebach spricht man Rheinfränkisch, das um Bitche und Sarrebourg dem Elsässischen ähnelt. 2.2.

ZUR SOZIOLINGUISTISCHEN SITUATION

Die m.W. einzige veröffentlichte neuere soziolinguistische Arbeit über die Lorraine germanophone ist die Dissertation von WALTER HOFFMEISTER Sprachwechael in Ost-Lothringen von 1977. HOFFMEISTER geht von einer bilingualen Situation in Lothringen aus, ohne zwischen Standarddeutsch und Dialekt zu unterscheiden. Den Begriff des Bilingualismus durch Triglossie in Lothringen zu ersetzen, schlagen PIERRE CADIOT in seinem Artikel Situation linguistique de la Moselle germanophone: un triangle glossique in P.H. NELDE Sprachkontakt und Sprachkonflikt von 1980 und DANIEL LAUMESFELD in seiner unveröffentlichten Dissertation über La diglossie en Lorraine luxembourgeophone von 1984 vor. Das Konzept der Triglossie erscheint auch mir geeigneter, die lothringische Situation zu erfassen, da einerseits eine Diglossie von Deutsch und Französisch anzunehmen bedeuten würde, den Dialekt nicht als eigenständige Sprachform mit eigenen Werten anzuerkennen, andererseits die Annahme einer fränkisch-französischen Zweisprachigkeit hieße, daß der standarddeutschen Sprache keinerlei Bedeutung in Ost-Lothringen zukäme, was aber angesichts des nicht zu unterschätzenden Einflusses von Standarddeutsch als Mediensprache (Fernsehen, Radio, Zeitschriften) ein Fehlschluß wäre. Wir haben es also in Lothringen mit einer gesellschaftlichen Dreisprachigkeit zu tun, was heißt, daß diesen drei Sprachen eine Bedeutung in der Gesellschaft zukommt; individuell existiert jedoch, je nach Alter, sozialem Status und Geschlecht, Ein-, Zwei- oder Dreisprachigkeit. Einsprachig französisch können Angehörige der Jüngeren Generation sein. Ausschließlich dialektsprachig können heute über Neunzigjährige sein. Zweisprachige, die Fränkisch und Französisch sprechen, sind meist Angehörige der Vorkriegs- und der Kriegsgeneration. Dreisprachig mit Deutsch, Fränkisch und Französisch können Angehörige der Kriegsgeneration sein, die teilweise Deutsch, teilweise Französisch als Unterrichtssprache hatten. 2.3. IDEOLINGUISTISCHE FAKTOREN

Diesen Begriff verwendet Laumesfeld in seiner Dissertation und meint damit Einstellungen zu Sprache, Sprachbewußtsein und Werte, die mit einer Sprache verbunden werden. Ohne näher auf die reichs-bzw. nazideutsche und französische

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Sprache, Gesellschaft, Kultur

Schul- und Sprachpolitik eingehen zu wollen, möchte ich nur erwähnen, daß es während der Nazizeit vielen Lothringern unmöglich gemacht wurde, sich weiterhin mit dem Dialekt zu identifizieren. Die Parallele, die in der Nachkriegszeit von der französischen Zentralregierung propagandistisch zwischen Dialektsprecher und Nazianhänger hergestellt wurde, hat vollends bewirkt, daß bei den Lothringernein Minderwertigkeitskomplex, ein Gefühl, vernachlässigt und an den Rand geschoben zu sein, entstanden ist. Dieses Randgruppengefühl drückt sich in Aussagen aus wie etwa: "Die Saarländer wurden gefragt, zu welchem Land sie gehören wollen. Uns hat man nie gefragt" oder "Die Bretonen sprechen ihre Sprache, die Elsässer sprechen ihre Sprache, nur unser Dialekt ist nicht als Sprache anerkannt." Die Elsässer, die die gleiche Behandlung wie die Lothringer in der Nachkriegszeit erfahren haben, konnten inzwischen wieder Selbstbewußtsein entwickeln und sich auf die eigene Sprache, auf die eigene Geschichte und auf eigene Traditionen besinnen, was unter anderem sicher auf die Renaissance der Regionalismusbewegung im Zusammenhang mit der Anti-AKW-Bewegung der siebziger Jahre zurückzuführen ist und auch der Tatsache geschuldet ist, daß das Elsaß eine zusammenhängende Region ist mit einem relativ einheitlichen Dialekt und einem kulturellen Zentrum. Die Lorraine thioise dagegen stellt ein Drittel des Departements Moselle dar, das mit den Departements Meurthe-et-Moselle, Meuse und Vosges seit dem Dekret vom 2.Juni 1960 die Region Lorraine bildet und über kein wirkliches Zentrum verfügt. Die Gründe, warum die Regionalismusbewegung nicht, wie zwischen den beiden Weltkriegen, auch die Lorraine gennanophone erfaßte, wären noch genauer zu untersuchen. Symptomatisch für die sprachliche Situation in Ost-Lothringen ist die Tatsache, daß es keine einheitliche Bezeichnung für den Dialekt im Sprachgebrauch der Lothringer gibt. Man spricht von Platt, Plattdeutsch, unser Patois, Patois, Deidsch, nicht das richtige Deutsch etc. Spricht ein Informant, beispielsweise ein Sechzigjähriger, 1929 geboren, von Deutsch, kann das bedeuten, daß er die Sprache meint, die er unter den Nationalsozialisten sprechen mußte. Höchstwahrscheinlich wird für ihn diese Sprache mit negativen Erinnerungen verknüpft sein. Deutsch kann aber auch der Dialekt sein, den er zu Hause sprach, mit dem er also einerseits Positives wie Kindheit und Geborgenheit verbindet, es kann aber andererseits auch Negatives damit assoziiert werden, weil in der "französischen Zeit" Dialektsprechen in der Schule verboten war. Im Zusammenhang mit der Kindererziehung kann der Begriff Deutsch = Dialekt ebenfalls negativ besetzt sein, da soziale Benachteiligung damit verbunden ist. Das bedeutet, daß sehr präzise mit den Begriffen umgegangen werden muß und man sich darüber im klaren sein muß, daß die Werte, die mit den einzelnen Sprachen verbunden werden, je nach Gesprächsituation und je nach Alter, Geschlecht und sozialem Status oder angestrebtem sozialen Status des Informanten variieren können. Was die Untersuchungssituation vereinfachen kann, ist die große Bereitschaft der Lothringer, über ihre Situation zu sprechen. Dies bestätigte mir der Leiter der Action Culturelle du Bassin Houiller Lorrain, einer von 23 Gemeinden des Kohlebeckens, vom Regionalrat Lorraine und der Zentralregierung in Paris finanzierten Vereinigung, die die kulturelle Dezentralisierung vorantreiben soll. Diese Organisation initiierte Ende der siebziger Jahre anhand

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von in Haushalten gesammelter Fotos eine Interviewaktion, bei der die Vergangenheit, Traditionen und die Zukunft der Region angesprochen werden sollten. Das Interesse der Lothringer war so groß, daß sich zeitweilig Schlangen Auskunftswilliger vor dem Centre Culturel bildeten. 2.4. SOZIO-ÖKONOMISCHE FAKTOREN

Hier beziehe ich mich auf die Darstellung von D. Laumesfeld. In Ost-Lothringen befinden sich zwei große Industriereviere. Auf dem linken Moselufer, links und rechts der Orne und der Fensch hat das Eisenerzvorkommen viele ausländische Arbeitskräfte angezogen. Dadurch sind viele kleine fränkischsprachige Ortschaften von den sich neu bildenden Industriestädten aufgesogen worden. In diesen Industriezentren herrscht Mehr- bzw. Vielsprachigkeit vor. Französisch ist dort Verkehrssprache, der Dialekt ist ganz zurückgedrängt. Um Merlebach, St.Avoid und Forbach befindet sich das Kohlebecken. Hier konnte der Dialekt lange der französischen Standardsprache widerstehen, da Fränkisch die Sprache der Fabriken und der Kohlegruben war, trotz großen Anteils ausländischer Arbeiter. In den Gegenden nahe der Industriezentren hat sich eine spezifische Kultur herausgebildet, die des Arbeiter-Bauern, die etwa seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts besteht. Der Bauer wird Fabrikarbeiter, wandert aber nicht in die Industriezentren ab, sondern bleibt in seinem Dorf und behält ein kleines Stück Land, das seine Frau bewirtschaftet. So konnten sich alte Traditionen und die Regionalsprache lange Zeit erhalten. ·· 3. Methodische Überlegungen

Aus der bisherigen Darstellung der Situation in Ost-Lothringen folgt, daß die herkömmlichen Methoden, mit denen die Sprachkontaktsituation in der Lorraine thioise untersucht wurde, zu überprüfen sind.

3.1. TRIGLOSSIE STATT DIGLOSSIE Der Begriff des Bilinguismus bzw. der Diglossie ist durch den Begriff der Triglossie zu ersetzen. Man kann in Ost-Lothringen nicht von einer stabilen bilingualen bzw. diglossischen Situation ausgehen, wie FERGUSON und FlSHMAN bei ihre Definition von Diglossie. In seinem Artikel Bilinguism with and without iiglossia, diglosiia with and without bilinguism beschreibt FlSHMAN, wie der Titel des Artikels präzise ausdrückt, vier mögliche Konstellationen von individuellem Bilinguismus und sozialer Diglossie. In Ost-Lothringen existieren nun aber mehrere der von FlSHMAN beschriebenen Konstellationen zur gleichen Zeit in Mikrogemeinschaften der Sprachgemeinschaft. Für eine bestimmte Altersgruppe ist beispielsweise stabile Diglossie anzunehmen: die Vorkriegsgeneration verwendet in der Öffentlichkeit Französisch, in privaten Gesprächen den Dialekt. Das heißt, hier trifft die erste Konstellation zu, Diglossie und Bilinguismus. Die Kategorie weder Diglossie noch Bilinguismus trifft auf die Jüngere Generation zu, die unter sich einsprachig ist. Nur im Umgang mit den Großeltern sind sie u.U. gezwungen, den Dialekt zu sprechen. Hier muß also berücksichtigt werden, daß die sprachliche Situation, wie

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sie sich uns heute darstellt, Resultat der Geschichte ist. Welche Konstellation für welche Sprecher zutrifft, hängt in erster Linie vom Alter des Sprechers ab und in gewisser Weise auch von seiner Einstellung zur jeweiligen Sprache. 3.2. DOMÄNENKONSTRUKT

Das Domänenkonstrukt muß hinterfragt werden. Warum sind bestimmte Sprachen an bestimmte Domänen gebunden und mit bestimmten Werten verbunden? In erster Linie ist von sozialen Beziehungen auszugehen, die die Sprachwahl bestimmen.

3.3. QUALITATIV STATT QUANTITATIV-STATISTISCH Eine quantitativ-statistische Herangehensweise ist aus folgenden Gründen in meinem Untersuchungsgebiet nicht angebracht: - Es handelt sich weder um eine homogene Sprachgemeinschaft noch um eine stabile Sprachkontaktsituation. Die zwangsläufige Vereinheitlichung durch einen standardisierten Fragebogen ließe zu viele Aspekte unbeachtet. - Es handelt sich um ein Abweichphänomen, d.h. die Situation ist nicht in allen Punkten mit anderen Sprachkontaktsituationen zu vergleichen. Beispielsweise ist der Dialekt über die in Frankreich übliche negative Besetzung des Begriffs Patois hinaus in Verruf gekommen und ist dennoch Intimsprache für viele Lothringer, was sich höchstwahrscheinlich in widersprüchlichen Aussagen der Befragten über ihr Sprachbewußtsein ausdrücken wird. - Ein Fragebogen würde die Sprecher zu sehr in den ideologischen Rahmen einer Standardsprache (Deutsch, Französisch) einschließen. - Es gibt zu viele unklare Begriffe, wie z.B. Muttersprache und, wie ich schon ausgeführt habe, eine zu uneinheitliche Benennung des Dialekts, was zu Mißverständnissen und Verzerrungen fuhren könnte.

4. Die biographische Methode Die biographische Methode erscheint mir für die Erfassung der sprachlichen Situation in Ost-Lothringen die geeignete Herangehensweise. Der theoretische Hintergrund dieser Methode ist die Auffassung, daß eine Gesellschaft mittels der Biographie jedes beliebigen Gesellschaftsmitgliedes transparent gemacht werden kann. Auf den sprachbiographischen Ansatz angewendet bedeutet das, daß Sprache nicht im luftleeren Raum existiert, sondern ein gesellschaftliches Produkt ist und sich im Laufe der Zeit entwickelt. Durch die Biographie einzelner Gesellschaftmitglieder kommt man der gesamten Situation des Sprachkontaktes und der Sprachentwicklung näher. Gesellschaftliche Wirklichkeit, die anhand von Einzelbiographien rekonstruiert wird, ist natürlich kein Abbild der Gesellschaft sondern von den Befragten interpretierte Realität. Die biographischen Interviews, die durch Fragen nach verschiedenen Lebensphasen strukturiert werden, werden ergänzt durch teilnehmende Beobachtung. Die Interviews werden transkribiert. Anhand der darin enthaltenen Informationen,

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Übergang Fränlci«rh-Al«inynni!mli

X X XX X X

Übergang Luxemburgisch-FränkJsch-Moselfräiikisdi Übergang Moselfränkisch-RIieinfränkisch Deutsch-französiche Sprachgrenze Staatsgrenze D6partementsgrenze

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die mit Informationen aus offiziellen Quellen und aus teilnehmender Beobachtung verglichen werden, soll die sprachliche Situation in diesem Sprachkontaktgebiet näher beleuchtet werden. Auf diese Weise soll eine Region, die bisher von Linguisten stiefmütterlich behandelt wurde, transparenter gemacht werden, wobei die Lothringer selbst zu Wort kommen sollen.

LITERATUR CADIOT, PIERRE 1980 Situation linguistique de la Moselle germanophone: un triangle glossique. In: NELDE (1980), 325-335. FERGUSON, CHARLES 1959

Diglossia. In: Word 15, 325-340.

FISHMAN, JOSHUA A. 1967 Bilinguism with and without diglossia, diglossia with and without bilinguism. In: Journal of Social Issues 23, 2, 29-38 HOFFMEISTER, WALTER 1977 Sprachwechsel in Ost-Lothringen. Soziolinguistische Untersuchung über die Sprachwahl von Schülern in bestimmten Situationen. Wiesbaden: Steiner. LAUMESFELD, DANIEL 1984 La Diglossie en Lorraine luxembourgeophone: pratiques et ideologies. Paris: Universite Rene Descartes, Paris V; unveröffentlichte Dissertation. NELDE, PETER H. (ED.) 1980 Sprachkontakt und Sprachkonflikt. Wiesbaden: Steiner. STROH, CONNY 1987 Sprachwahl in Petite-Rosselle (Ost-Lothringen). Universität Bremen. Unveröffentlichte Staatsexamensarbeit zum 1. Staatsexamen.

Zu den Sprachkenntnisssen der Sowjetdeutschen Harald Weydt FU Berlin

Der folgende Bericht gibt Einblick in ein Forschungsprojekt, das sich mit verschiedenen Aspekten der deutschen Sprache in Osteuropa (und den asiatischen Teilen der SU) beschäftigt, einem Problemkomplex, der gerade in jüngster Zeit wieder sehr aktuell geworden ist. Dabei interessiert uns besonders die Präge, wie ethnische Identität und Sprache miteinander zusammenhängen. Aus diesem großen Bereich soll hier ein kleiner Teilausschnitt behandelt werden. Er betrifft nur die Sprachkenntnisse der Deutschen in der Sowjetunion. Die Ausführungen dazu gliedern sich folgendermaßen: 1. Vorurteile über die Sprachkenntnisse der Sowjetdeutschen 2. Unsere Untersuchungen 3. Ergebnisse 4. Konsequenzen: a. für die Rolle der Sprache als Träger ethnischer Identität, b. für das Sprachenlernen, c. für die Verwaltungsmaßnahmen der Behörden. 1. Vorurteile über die Sprachkenntnisse der Sowjetdeutschen Auch ein wohlmeinender Beobachter, gerade, wenn er sich umfassend um Information bemüht, wird im allgemeinen etwa folgendes Bild entwickeln: Die Sprachkenntnisse gehen von Generation zu Generation zurück.1 Die jüngere Generation sei kaum mehr in der Lage, Gespräche auf Deutsch zu führen. Auch die unter den Erwachsenen, die von sich selber angeben, Deutsch zu sprechen, könnten mit Deutschen nur sehr mühsam auf Deutsch kommunizieren. Dieses liest man immer wieder in der Presse, dies war auch der Tenor einiger Fernsehsendungen. Das allgemeine Urteil über die Sowjet deutschen dürfte sich auch aus einem Transfer speisen, der von den viel zahlreicheren Erfahrungen mit den polnischen Aussiedlern gewonnen wurde. Bei den nach Deutschland kommenden Polen ist aus Gründen, die gesondert darzustellen sein werden, tatsächlich die Sprachkenntnis, besonders derjenigen, die nicht bis 1945 ihre Schulbildung abgeschlossen hatten, sehr gering. Man überträgt dieses gerne auf ein Gesamtbild der aus dem sozialistischen Lager einwandernden Deutschen. 1

Das spiegelt sich z. B. in den Ergebnissen der Volkszählungen in der SU: während 1970 noch 66,8% der etwa 1,8 Millionen Deutschen Deutsch als Muttersprache angaben, waren es 1979 nur noch 57%. Zu einer Fülle von statistischen Daten zur Sprachkompetenz, die allerdings alle auf Selbstangaben beruhen, siehe HILKES/KLOOS (1988).

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Nicht zuletzt kommt aber dieses Urteil wohl auch aus den Erfahrungen mit Sowjetdeutschen, deren Sprachkenntnisse in Unterhaltungen mit Bundesdeutschen sicher als defizitär empfunden werden. Bei unseren Interviews, die wir mit Sowjetdeutschen gemacht haben, die gerade erst, d.h. Stunden zuvor, in die Bundesrepublik gekommen waren, stellten sich, um nur ein sofort ins Auge springendes Merkmal zu nennen, heraus, daß sie einfache Fragen oft nicht verstanden, und daß sie etwa nicht verstanden, wenn man sie mit der Form "Sie" als Höflichkeitsform anredete. Sie hatten dann den Eindruck, daß man von anderen sprach, etwa von ihren Kindern, und dieses führte zu starken Kommunkationsschwierigkeiten, die bei beiden Gesprächspartnern das Gefühl einer Kommunikationsunsicherheit zurückließen. 2. Unsere Untersuchungen Wir haben eine Reihe sehr eingehender Interviews mit Sowjetdeutschen durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, daß eine besonders gute Gesprächsatmosphäre und eine gesteigerte Aussagebereitschaft entstand, wenn wir zunächst Sprachproben aus der SU vorspielten. Wir hatten aus umfangreichem Material2 fünf kurze Proben entnommen;3 in ihnen erzählen Sprecher sowjetdeutscher Dialekte je ein bewegendes persönliches Ereignis aus ihrer Geschichte. Unsere Interviews begannen dann mit Fragen zur Verständlichkeit und leiteten zur Situation des Deutschen über. Diese Proben sind für bundesdeutsche Hörer, selbst wenn sie über ein relativ großes Variantenspektrum verfügen, und sogar wenn sie dialektologisch interessiert und vorgebildet sind, beim ersten und zweiten Anhören kaum zu verstehen. Wir haben diese Proben unseren sowjetdeutschen Informanten vorgespielt. Dies waren vor allem Deutsche, die gerade aus der SU angekommen waren (wenige Stunden zuvor hatten sie sich noch in der SU befunden, und wir waren neben den Beschäftigten im Aufnahmelager Friedland die ersten Bundesbürger, mit denen sie sprachen). Außerdem beziehe ich mich in diesem Bericht zur Vervollständigung des Bildes auf zwei weitere eingehende Interviews: mit einem Informanten, der bereits seit einem Monat, und mit einem, der seit acht Jahren in Deutschland lebt. Wir wollten in den Interviews zunächst feststellen, wie gut unsere Informanten diese Texte verstehen und ob sie Unterschiede im Verständnis aufweisen, je nach dem, wie nahe die vorgespielte Probe ihrem eigenen Dialekt stand. Dahinter stand u. a. die Frage, ob ein Grund für den Niedergang der deutschen Sprache sein könnte, daß sich die Sprecher der verschiedenen Dialekte in den neuen Den Kollegen Prof. Dr. Hugo Jedig und Dr. Nina Berendt (beide Omsk), die dieses Material zur Verfügung gestellt haben, sei hiermit herzlich gedankt. 3 a) Oberhessischer Dialekt aus dem Dorf Pobotschino bei Omsk, die Einwohner stammen ursprünglich aus dem Wolgagebiet; b) rheinpfälzischer Dialekt, ursprünglich aus dem Wolgagebiet mit südfränkischem Einschlag aus der Ukraine, aus dem Dorf Udaljnoje im Altai-Gebiet; c) südfrankischer Dialekt , ursprünglich aus der Ukraine, aus dem selben Dorf wie b); d) schwäbischer Dialekt, aus dem Dorf Michailowka in Kasachstan, ursprünglich aus Rosenberg bei Tiflis (Georgien); e) Nordbairisch aus dem Dorf Jamburg im Altaigebiet, ursprünglich aus Jamburg in der Ukraine.

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Gebieten, in denen sie als Folge des Zweiten Weltkrieges angesiedelt worden waren, untereinander nicht mehr verstanden, oder daß sie Kommunikationsschwierigkeiten hatten, wenn sie zusammentrafen oder in Dörfern zusammenleben mußten, und ob sie sich deshalb vielleicht der russischen Sprache zur Uberbrückung bedienten, wie es z. B. die Indianer in Nordamerika mit dem Englischen zu tun gezwungen sind, um sich über Stammesgrenzen hin zu verständigen. Eine ähnliche Frage war schon im Zusammenhang mit der Aufgabe der deutschen Sprache in den USA diskutiert worden. In der Untersuchung von CH. SCHWARTZKOPFF (1987: 353 u.a.) zur Anglisierung der Deutschen in Wisconsin hat sich die These W. ElCHHOFFS nicht bestätigen lassen, einer der Gründe für das Verschwinden des Deutschen sei gewesen, daß die in weit voneinander gelegenen Farmen siedelnden Deutschen verschiedene Dialekte sprachen und sich deshalb untereinander nicht auf deutsch verstanden. Wir haben unsere Informanden zu diesen Sprachproben gefragt, ob sie diese Dialekte lokalisieren könnten, und ob sie Leute oder Familien kennten, die in dieser Weise sprechen.

3. Ergebnisse In unseren Interviews stellte sich heraus, daß die Deutschkenntnisse der Aussiedler erheblich besser sind, als es dem oben skizzierten Urteil entspricht. Dabei ist allerdings ein Punkt außerordentlich wichtig: Daß man den Bestandteil "Deutsch" in "Deutschkenntnisse" nicht einschränkt auf Hochdeutsch. Wir haben es vielmehr mit Sprechern des Deutschen zu tun, die zwar das Deutsche als erste und Muttersprache sprechen, nicht aber das Hochdeutsche. Man muß also die Rede vom Deutschen als umfassendem Diasystem ganz ernst nehmen und sich die Situation mit allen Konsequenzen vor Augen führen. Die Dialektsprecher im westeuropäischen deutschen Sprachgebiet haben einen ständigen Kontakt mit der Standardsprache und deren Schrift, die sie in der Schule lernen, sie stehen unter Einfluß des deutschen Fernsehens und leben in einer mobilen deutschen Gesellschaft und mit Gesprächspartnern, die mit ihnen Hochdeutsch sprechen, alles Faktoren, die bei den Sowjetdeutschen nicht gegeben sind. Bei diesen, sofern sie ihre Schulbildung bis 1941 nicht bereits abgeschlossen hatten, ist der Kontakt mit der deutschen Schrift im allgemeinen schon deshalb nicht gegeben, weil sie ein anderes Schriftsystem haben, nur kyrillische Buchstaben kennen und deshalb große Schwierigkeiten hätten, deutsche Texte, wenn sie ihnen je zugänglich wären, zu lesen. Es gibt zwar eine Reihe von deutschen Zeitungen in der Sowjetunion ("Freundschaft", "Rote Fahne", "Neues Leben"),4 diese scheinen (wenigstens in den Städten) auch relativ leicht zu bekommen zu sein, aber ihre Lektüre ist erstens mühsam, eben weil die Schrift völlig unvertraut ist, und war zweitens bis vor kurzer Zeit uninteressant, da man den Inhalt schon vorher in der russischen Presse lesen konnte. Leseschwierigkeiten bestehen auch für Über die recht geringen Nutzungen dieser Zeitungen siehe HiLKES/KLOOS (1988: 17ff).

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Sprache, Gesellschaft, Kultur

Leute, die das lateinische Schriftsystem kennen, etwa aus dem englischen Fremdsprachenunterricht. Es ist doch außerordentlich schwer, das deutsche Klangbild hinter dieser Schrift zu erkennen. Man muß außerdem beachten, daß die meisten der Deutschen in der SU keine Intellektuellen und keine Akademiker sind (auch DlETZ 1986: 1). Sie sind im allgemeinen Bauern, oder sie kommen aus bäuerlichem Milieu und sind im Zuge der Industrialisierung in die Städte abgewandert. Kontakte zur deutschen Hochsprache sind äußerst spärlich. Einige unserer Informanten haben in der Schule (über die Qualität der Lehrer gab es unterschiedliche Urteile; sicher sprachen sie nicht muttersprachlich), einige auch als Teil der polytechnischen Ausbildung an der Hochschule Deutsch gelernt; wir gewannen den Eindruck daß unsere Informanten durch diese Stütze ihr Deutsch sichern und dem Hochdeutschen wesentlich annähern konnten. Unsere Untersuchungsergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Einerseits ist es sicher eine Tatsache, daß die Deutschkenntnisse der Deutschen in der Sowjetunion von Generation zu Generation stark nachlassen.5 Andererseits: Die mittel- und oberdeutsch Sprechenden, auch diejenigen, denen wir nach den hochdeutsch geführten Interviews eine nicht allzu hohe Kenntnis zugeschrieben hätten, zeigten bei Anhören der Aufnahmen ein für uns erstaunlich gutes Hörverständnis. Sie hörten offensichtlich mit viel Verständnis zu und waren über die Situation sofort im Bild. Fast alle haben die Texte gut verstanden, wie wir an Antworten auf die Bitte, den Text zusammenzufassen, erkannten; sie gaben auch Kommentare ab und konnten den gesamten Handlungsablauf wesentlich besser verfolgen als wir selber. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Mißt man die Sprachkompetenz dieser Sprecher am Verständnis eines Textes in dem Deutsch, das in der SU gesprochen wird, so übersteigt ihre Kompetenz z. B. unsere sehr deutlich. Wir, die Interviewenden, wären weniger in der Lage, uns auf ihre Sprechweise einzulassen, als sie es gegenüber unserer konnten. Auch die These, daß die Deutschen sich aufgrund ihrer Dialektverschiedenheit nicht verstehen, hat sich nicht bestätigt. Wir haben uns vorgenommen, zu untersuchen, wie sich das sprachliche Miteinander im einzelnen gestaltet, wenn Sprecher verschiedener Dialekte aufeinandertreffen und zusammen leben müssen. Verständnisschwierigkeiten tauchen offenbar nicht auf, die Dialektunterschiede sind den Sprechern jedoch durchaus bewußt. Einer unserer Informanten hatte ein ganz ausgezeichnetes Differenzierungsvermögen, er kam uns vor wie ein sowjetdeutscher Dr. Higgins und traf sehr genau die Angaben, die bei der Aufnahme gemacht worden waren. Allerdings gibt es offensichtlich eine bedeutende Sprachbarriere innerhalb der deutschen Dialekte: Sie liegt zwischen den plattdeutsch sprechenden Mennoniten, von denen wir eine Familie aus Ohrenburg interviewen konnten, und den übrigen (mittel- und oberdeutschen) Dialekten. Die Mennoniten sprachen untereinander plattdeutsch, offenbar flüssiger und sicherer als unsere anderen Informanten, sie 5

Dies ist die sicher repräsentative Selbstaussage von ziemlich vielen Deutschen, und mit der wichtigste Auswanderungsgrund: Die Deutschkenntnisse der Kinder lassen sich in der Sowjetunion nicht erhalten, und es ist abzusehen, daß sie ihr Deutschtum verlieren.

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verfügten aber auch über eine gewisse Kompetenz im Hochdeutschen. Ihre plattdeutsche Kompetenz, die viel ausgeprägter ist als die hochdeutsche, wird in den Entscheidungen, die bei der Ankunft in der Bundesrepublik für sie getroffen werden, im allgemeinen überhaupt nicht berücksichtigt. Es war erstaunlich zu sehen, wie Leute, die hochdeutsch relativ unbeholfen wirkten, auf plattdeutsch ausgezeichnet miteinander kommunizieren konnten. Wir baten eine Betreuerin, die auf einem Hof in Schleswig-Holstein bei den plattdeutsch sprechenden Großeltern aufgewachsen war, sich mit den Mennonniten zu unterhalten, und die Unterhaltung klappte vorzüglich.

4. Konsequenzen Hier seien nur drei Konsequenzen aus unseren bisherigen Untersuchungen skizziert. a) Für die Rolle der Sprache als Träger ethnischer Identität Es wird deutlich, daß die deutsche Identität für die Sowjetdeutschen eng an die Sprache gebunden ist, sie fällt jedoch nicht mit ihr zusammen. Einer unserer Informanten etwa fühlte sehr als Deutscher, sogar stärker als die übrigen Mitglieder der Großfamilie, er sprach aber kaum deutsch. Er hatte schon einmal in seinem Leben eine Krise durchgemacht, während derer er sich schämte, ein Deutscher zu sein und wünschte, ein Russe zu sein; danach aber war er zu einem leidenschaftlichen Vertreter des Deutschtums geworden. Er war sich dessen bewußt, daß er eine defiziente deutsche Identität besaß. Aus seinen Worten sprach eine große Entrüstung darüber, daß man ihm nicht die Gelegenheit gegeben hatte, mit der Sprache diese volle Identität zu erwerben. Andererseits, selbst wenn man in Einzelfällen wie dem gerade geschilderten von so etwas sprechen kann wie einer "deutschen Identität ohne deutsche Sprache", muß man sagen, daß, und dieses wurde sehr glaubhaft und immer wieder, parallel und ohne Ausnahme vorgetragen, die Aussiedler gerade deshalb in die Heimat zurückstreben, weil sie sehen, daß ihre Kinder und Enkel im Begriff sind, die deutsche Sprache ganz zu verlieren. DRESSLER (1974) nennt diese Phase des Sprachtodes, in der die aktuelle Generation die sterbende Sprache noch in der Nichtöffentlichkeit spricht, sie aber nicht mehr an die nächste Generation weitergibt, "terminal". Die Deutschen in der SU sehen diesen sprachlichen Befund in engem Zusammenhang mit dem Verlust des Deutschtums und sehen als einzige Möglichkeit, ihren Kindern das für sie wertvolle Deutschtum zu erhalten, die Rückkehr in "die Heimat". Dieses ist in den von uns geführten Interviews allerwichtigstes und größtes Motiv zur Ausreise; ein Wirtschaftsflüchtlingstum läßt sich aus unseren Erfahrungen in gar keiner Weise ableiten, auch dann nicht, wenn große Überraschung und Freude über unser Warenangebot (und die Freundlichkeit der Bevölkerung (!)) gar nicht verheimlicht wird.6 6

Auch HILKES/KLOOS (1989: 8) stellen fest, daß "die Befragten mit den materiellen Lebensverhältnissen [...] relativ zufrieden waren" und "aufgrund der mangelnden Unterstützung und Pflege der deutschen Sprache und Kultur sahen die Interviewten in der Ausreise und dem Leben in der Bundesrepublik die einzige Chance, Deutsche zu bleiben"

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b) Für das Sprachenlernen Praktische Konsequenzen lassen sich auch aus einem realistischen Bild des spezifischen Sprachenlernens ziehen. Unter unseren Informanten war einer, der bereits einen Monat in Deutschland war. Er berichtete, er habe bisher nicht das Gefühl, etwas Neues zu lernen; er nehme eigentlich keine neuen Wörter und Wendungen auf, sondern er befinde sich in einer Phase, in der er sich an sprachliche Elemente erinnere, die er früher einmal gehört habe. Sicher ist er eben jetzt gezwungen, deutsch über Gegenstandsbereiche zu sprechen, über die er vorher nur auf Russisch gesprochen hat. Das ist ein wichtiger Befund, über den man sich in Zusammenhang mit der sprachlichen Integration der Aussiedler Gedanken machen sollte. Man sollte auf der Grundlage solcher Aussagen ein didaktisches Konzept erarbeiten, das sich die zum Teil latenten Kenntnisse optimal zu Nutze macht. c) Für die Verwaltungsmaßnahmen der Behörden Die Dialekte als unmittelbare Formen der identitätstragenden Sprache sind außerordentlich wichtig für diese Menschen. Leider wird die Aufteilung der Aussiedler auf die einzelnen Bundesländer völlig frei von irgendwelchen sprachlichen Kriterien durchgeführt. So werden plattdeutschsprechende Mennoniten beliebig irgendeinem Bundesland zugeteilt. Dabei liegt doch auf der Hand, daß dem Plattdeutschen so verbundene Leute in Bayern oder in Süddeutschland völlig fehl am Platze sind, während sie sich in sprachlicher Hinsicht sehr gut in Norddeutschland, etwa in Schleswig-Holstein, Bremen oder Niedersachsen, integrieren könnten. Auch eine dem Dialekt verhaftete plattdeutsch sprechende bundesdeutsche Familie hätte generationenlange Integrationsschwierigkeiten, wenn sie im süddeutschen Raum angesiedelt würde. Die Verteilung der deutschen Aussiedler rein nach administrativen Gesichtspunkten wie etwa dem, wo noch etwas "frei" und welches Land "zu" ist, erinnert fast an die Aufteilung Afrikas durch die Kolonisatoren, die einfach ihre Grenzen zogen, und Stammesgrenzen und sprachliche Zusammengehörigkeiten in keiner Weise berücksichtigten.

LITERATUR DIETZ, BARBARA 1986

Deutsche in der Sowjetgesellschaft. Statistische Grundlagen einer Befragungsstudie mit deutschen Spätaussiedlern aus der Sowjetunion, München: Osteuropa-Institut (=Forschungsprojekt "Deutsche in der Sowjetunion", Arbeitsbericht Nr. 1).

DRESSLER, WOLFGANG 1974

Minderheitssprachen als Spannungsfaktoren. In: Wissenschaft und Weltbild 27(4): 243-252.

FLEISCHHAUER, INGEBORG 1983

Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. Stuttgart: Deutsche Verlage-Anstalt (=Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 46).

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RILKES, PETER UND HERBERT KLOOS 1988 Deutsche in der Sowjetunion: Sprachkompetenz und Sprachverhalten. Statistischer Anhang von Herbert Kloos. München: Osteuropa-Institut (=Forschungsprojekt "Deutsche in der Sowjetunion", Arbeitsbericht Nr. 10). 1989 Deutsche in der Sowjetunion: Zwischen Ausreise- und Autonomiebewegung. Statistischer Anhang von Herbert Kloos. München: Osteuropa-Institut (=Forschungsprojekt "Deutsche in der Sowjetunion", Arbeitsbericht Nr. 12). ROSENBERG, PETER 1990 Deutsch in Osteuropa. In diesem Band. SCHWARTZKOPFF, CHRISTA

1987

German Americans. Die sprachliche Assimilation der Deutschen in Wisconsin. Stuttgart: Franz Steiner (=Deutsch als Muttersprache in den Vereinigten Staaten, Teil III. Deutsche Sprache in Europa und Übersee. Bericht und Forschungen Bd. 12).