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German Pages 782 [784] Year 1992
de Gruyter Lehrbuch
Besonderes Verwaltungsrecht Herausgegeben von
Ingo von Münch und
Eberhard Schmidt-Aßmann Bearbeitet von
Peter Badura Karl Heinrich Friauf Philip Kunig Jürgen Salzwedel
Rüdiger Breuer Walter Krebs Franz Ruland Eberhard Schmidt-Aßmann
9., neubearbeitete Auflage
w DE
G 1992 Walter de Gruyter • Berlin • New York
Zitiervorschlag z.B. Badura in von Münch/Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 9. Aufl. 1992, S. 198
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-Ansi-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche
Bibliothek
— CIP
Einheitsaufnahme
Besonderes Verwaltungsrecht / hrsg. von Ingo von Münch und Eberhard Schmidt-Aßmann. Bearb. von Peter Badura . . . — 9., neubearb. Aufl. — Berlin; New York: de Gruyter, 1992 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-012428-9 kart. ISBN 3-11-013483-7 Gb. NE: Münch, Ingo von/Schmidt-Aßmann, Eberhard [Hrsg.]; Badura, Peter
©
Copyright 1992 by Walter de Gruyter 8c Co., 1000 Berlin 30.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Saladruck, 1000 Berlin 36. — Buchbindearbeiten: Lüderitz Sc Bauer, 1000 Berlin 61.
Vorwort zur neunten Auflage Die Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts zeigen eine unverminderte Wachstumskraft. Neben die bekannten Wachstumsfaktoren der neuen Gesetze, neuer Erkenntnisse der Rechtsprechung und der neuen Literatur sind seit dem Erscheinen der Vorauflage (1988) zusätzliche Impulse der nationalen und der supranationalen Rechtsentwicklung getreten: Die am 3. Oktober 1990 vollzogene Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands verlangt, die sich ausbildenden Verwaltungsrechtsordnungen der neuen Bundesländer und manche der Überleitungsregelungen, z. B. im Städtebaurecht, Umwelt- und Sozialrecht in die Darstellung einzubeziehen. Dazu gewinnen die Vorgaben der Europäischen Gemeinschaften für das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht zunehmend mehr an Gewicht. Die Fülle des Stoffes hat dazu veranlaßt, die in diesem Bande vertretenen Beiträge noch stärker auf die Pflichtfächer und die Wahlfächer der Ausbildungsordnungen zu konzentrieren. Im Kreis der Autoren haben sich daher Veränderungen ergeben: Otto Kimminich, Thomas Oppermann, Dietrich Rattschning und Walter Rudolf sind danach mit ihren Beiträgen nicht mehr vertreten. Sie waren an allen Vorauflagen beteiligt, und deshalb gebührt ihnen großer Dank. Zwei Beiträge sind ganz neu bearbeitet worden: Als Autoren wurden für das Baurecht Walter Krebs und für das Recht des öffentlichen Dienstes Philip Kunig gewonnen. Das Wasserrecht, das keinen eigenen Abschnitt mehr hat, wird in seinen umweltspezifischen Teilen von Rüdiger Breuer im Umweltschutzrecht mit behandelt. Eberhard Schmidt-Aßmann hat die Mitherausgeberschaft übernommen. Unverändert geblieben ist das seit der 1. Auflage (1969) verfolgte Ziel des Buches: nämlich den Studenten ein gut lesbares Lehrbuch an die Hand zu geben, darüber hinaus aber durch die wissenschaftlich-praktische Gestaltung des Buches allen mit dem Verwaltungsrecht Befaßten — insbesondere Richtern, Rechtsanwälten und Verwaltungsbeamten — ein Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, das trotz der Fülle des Stoffes Präzision und Übersichtlichkeit bietet. Auch in der vorliegenden 9. Auflage versteht sich dieses Lehrbuch als Ergänzung und Fortsetzung des in derselben Reihe erschienenen, von Hans-Uwe Erichsen und Wolfgang Martens (t) herausgegebenen Lehrbuchs „Allgemeines Verwaltungsrecht". Das Sachverzeichnis hat Frau Referendarin Annette Ballschmidt erstellt. Für Hinweise und Anregungen sind die Bearbeiter — jeder von ihnen trägt für den von ihm verfaßten Abschnitt die alleinige Verantwortung — und die Herausgeber dankbar. Im Dezember 1991 Teter Badura • Rüdiger Breuer • Karl Heinrich Friauf • Walter Krebs • Philip Kunig • Ingo von Münch • Franz Ruland • Jürgen Salzwedel • Eberhard Schmidt-Aßmann
V
Autoren- und Inhaltsübersicht* Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann Professor an der Universität Heidelberg Kommunalrecht Dr. Karl Heinrich Friauf Professor an der Universität Köln Polizei- und Ordnungsrecht
1
97
Dr. Peter Badura Professor an der Universität München Wirtschaftsverwaltungsrecht
179
Dr. Walter Krebs Professor an der Universität Münster Baurecht
265
Dr. Rüdiger Breuer Professor an der Universität Trier Umweltschutzrecht
391
Dr. Philip Kunig Professor an der Freien Universität Berlin Das Recht des öffentlichen Dienstes
517
Dr. Franz Ruland Professor, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Frankfurt a. M. Sozialrecht
603
Dr. Jürgen Salzwedel Professor an der Universität Bonn Straßen-und Verkehrsrecht
689
Sachverzeichnis
731
* Jedem Abschnitt ist eine ausführliche Gliederung vorangestellt.
VII
Abkürzungsverzeichnis A. a. A. a. E. a. F. a. M. aaO ABA AbfG abl. ABl. Abs. Abschn. abw. AbwAG Achterberg, AllgVwR Achterberg/Püttner, BesVwR AcP AFG AfK AG AGB AGBauGB AGBSHG AgrarR AK-GG AktG allg. ALR ANBA ÄndG Anh. Anl. Anm. AnV AO AöR ArbplSchG ArbRGgwart ArbSiStG ArbuR ArchVR arg. ARGEBAU Art.
Ausschuß anderer Auffassung am Ende alte Fassung anderer Meinung am angegebenen Ort Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung Abfallgesetz ablehnend Amtsblatt Absatz Abschnitt abweichend Abwasserabgabengesetz N. Achterberg, Allg. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1986 N. Achterberg, G. Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1990 Archiv für die civilistische Praxis Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Kommunalwissenschaften Ausführungsgesetz, Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz Agrarrecht, Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raums Alternativkommentar zum Grundgesetz Aktiengesetz allgemein Preußisches Allgemeines Landrecht Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit Änderungsgesetz Anhang Anlage Anmerkung Angestelltenversicherung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsplatzschutzgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit) Arbeitssicherstellungsgesetz Arbeit und Recht Archiv des Völkerrechts argumentum Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder Artikel IX
Abkürzungsverzeichnis ArV ASOG AtG, AtomG AtVfV Aufl. AuR AuS ausf. AVAVG AVB
B BA BAB1. bad.-württ. Bad.-Württ., BW Badura, StR BAföG BAG BAnz. BAT BauGB BauGBMaßnG baul. BauNVO BauO, BO BauR BauZVO Bay. bay., bayer. BayBS BayObLG BayRS BayVBl. BayVerfGH BB BBahnG BBankG BBauG BBergG BBesG BBG Bd. BDH BDHE BDO BDSG BEG
X
Arbeiterrentenversicherung Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin Atomgesetz Atomrechtliche Verfahrensverordnung Auflage s. ArbuR Arbeits- und Sozialrecht ausführlich Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Allgemeine Versorgungsbedingungen
BundesBundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsblatt baden-württembergisch Baden-Württemberg P. Badura, Staatsrecht, 1986 Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bundesangestellten tarifvertrag Baugesetzbuch MaßnahmenG zum BauGB baulich Baunutzungsverordnung Bauordnung Baurecht Bauplanungs- und Zulassungsverordnung Bayern bayerisch Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Rechtssammlung Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebsberater Bundesbahngesetz Bundesbankgesetz Bundesbaugesetz Bundesberggesetz Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Band Bundesdisziplinarhof Entscheidungen des Bundesdisziplinarhofs Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis Begr. Beil. Bek., Bekanntm. Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR BenzinbleiG ber. BErzGG bes. Betr. BfA BFH BFStrG BG bga-Berichte BGB BGBl. BGH BGHSt. BGHZ BgmVfg BGSG BHO Bibl. BImSchG BImSchV BK BKGG BKK BldW BliWaG Bln. bin., berl. BIStSozArbR BLV BMA BMI BMT-G II BMU BMV-Ä BNatSchG BNotO BO Bonner Kommentar, GG BPersVG
Begründung Beilage Bekanntmachung E.Benda, W.Maihofer, J.Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983 Gesetz zur Verminderung von Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotore berichtigt Bundeserziehungsgeldgesetz besonders Der Betrieb Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Bundesfernstraßengesetz Beamtengesetz, Die Berufsgenossenschaft Berichte des Bundesgesundheitsamts Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bürgermeisterverfassung Bundesgrenzschutzgesetz Bundeshaushaltsordnung Bibliothek Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnung Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Lsbl., Zitiervorschlag: BK Bundeskindergeldgesetz Die Betriebskrankenkasse Blätter der Wohlfahrtspflege Blindenwarenvertriebsgesetz Berlin berlinisch Blätter für Steuer-, Sozial-, Arbeitsrecht Bundeslaufbahnverordnung Bundesministerium für Arbeit Bundesminister des Innern Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesmantelvertrag-Ärzte Bundesnaturschutzgesetz Bundesnotarordnung s. BauO s. BK Bundespersonalvertretungsgesetz
XI
Abkürzungsverzeichnis BR-Drucks. BRAO BRat BRD, BRep. BReg. brem. BRep. BROG BRRG BRS BSchG, BSchVG BSG BSHG BStatG BStBl. BT(ag) BT-Drucks. BTOElt. BVA BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVG BW BWaldG BWVB1. BWVPr. bzw.
Drucksachen des Deutschen Bundesrates Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrat Bundesrepublik Deutschland Bundesregierung bremisch s. BRD Bundesraumordnungsgesetz Beamtenrechtsrahmengesetz Baurechtssammlung Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Bundesstatistikgesetz Bundessteuerblatt Bundestag Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundestarifordnung Elektrizität Bundesversicherungsamt Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Amtlichen Sammlung Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Bundesversorgungsgesetz Baden-Württemberg Bundeswaldgesetz s. VB1BW Baden-Württembergische Verwaltungspraxis beziehungsweise
ca. ChemG Cl l t S
circa Chemikaliengesetz Washingtoner Artenschutzabkommen
d. d. h. DÄ DAngVers. DAR DB dB DBP DDR DDT dems. ders. DGO DIN DirRufV Diss.
durch das heißt Deutsches Ärzteblatt Die Angestellten-Versicherung Deutsches Autorecht Der Betrieb dezibel Deutsche Bundespost Deutsche Demokratische Republik Dichloridiphenyltrichloräthan demselben derselbe Deutsche Gemeindeordnung Deutsches Institut für Normung e. V. Direktrufverordnung Dissertation
XII
Abkürzungsverzeichnis DJT DM DöD DOK DÖV DRiG DRiZ DRV DSchG dt. DtZ DuR DV DVB1. DVGW DVO DVP
Deutscher Juristentag Deutsche Mark Der öffentliche Dienst Die Ortskrankenkasse Die öffentliche Verwaltung Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsche Rentenversicherung Denkmalschutzgesetz deutsch Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Demokratie und Recht Die Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. Durchführungsverordnung Deutsche Verwaltungspraxis
e.V. ebd. EEA EEG EG EGBGB Einl. EinV EnWG Erg. Erichsen/Martens, AllgVwR ErstattungsG
eingetragener Verein ebenda Einheitliche Europäische Akte Enteignungsgesetz Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einleitung s. EV Energiewirtschaftsgesetz Ergebnis H.-U.Erichsen, W.Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988 Gesetz über das Verfahren für die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen Entscheidungssammlung Einkommensteuergesetz Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Energiewirtschaftliche Tagesfragen und so weiter Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag = Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft E. Eyermann, L. Fröhler, J. Kormann, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl. 1988 Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
ES EStG ESVGH ET etc. EuGH EuGRZ EuR EuZW EV, EinV EWG EWGV Eyermann/Fröhler, VwGO EzA
XIII
Abkürzungsverzeichnis f f. F. FAG FamRZ FeststG FEVG ff Fg. fin. FinArch. FlurbG Fn. Forsthoff, VwR FRG FS FStrG FuR G GAL GaststG GBl. geänd. GefahrstoffV gem. Gem. GemHVO GemKVO GemSOGB GenTG ges. GewArch. GewO GG ggf., ggfls. GGK GK-SGB GKÖD GmbH GMB1. GO GRe GRG Grundrechte
XIV
die nächste folgende Seite für Finanzausgleich Fernmeldeanlagengesetz Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegsschäden Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen die nächsten folgenden Seiten Festgabe finanziell Finanzarchiv Flurbereinigungsgesetz Fußnote E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 10. Aufl. 1973 Fremdrentengesetz Festschrift s. BFStrG Familie und Recht Gesetz Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte Gaststättengesetz Gesetzblatt geändert Gefahrstoffverordnung gemäß Gemeinde Gemeindehaushaltsverordnung Gemeindekassenverordnung Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes Gentechnikgesetz gesetzlich Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls s. v. Münch, GG Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsames Ministerialblatt Gemeindeordnung, Geschäftsordnung s. Grundrechte Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd. 1, 1. u. 2. Halbbd., hrsg. v. K. A. Bettermann, F. L. Neumann, H. C. Nipperdey, 1966/67; Bd. 2, hrsg. v. F. L. Neumann, H.C. Nipperdey, U. Scheuner, 2. Aufl. 1968; Bd.3, 1. u.
Abkürzungsverzeichnis
GS Gs. GuG GüKG GV NW GVBL, GVOB1. GVG GWB GZBW h.M. hamb., hbg. HandwO Hbg. HdbStR HDSW Hdwb Hess. hess. Hesse, VerfR
2. Halbbd., hrsg. v. K.A. Bettermann, H. C. Nipperdey, 1958/59; Bd.4, 1.Halbbd., hrsg. v. K.A. Bettermann, H.C. Nipperdey, U.Scheuner, 1960; 2.Halbbd., hrsg. v. K.A. Bettermann, H.C. Nipperdey, 1962; Zitiervorschlag: GRe Gesetzessammlung Gedächtnisschrift Grundstücksmarkt und Grundstückswert Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Kartellgesetz Baden-württembergische Gemeindezeitung
HÖV, HöV HRG Hrsg., hrsg. HS HStR HVerfR HwVG HZ
herrschende Meinung hamburgisch Handwerksordnung Hamburg s. Isensee/Kirchhof, HdbStR Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handwörterbuch Hessen hessisch K.Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 17. Aufl. 1990 Haushaltsgrundsätzegesetz Häftlingshilfegesetz hinsichtlich Hinweis Human Immunodeficiency Virus Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer Verordnung über die Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösemittel Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, hrsg. v. G. Püttner unter Mitarbeit von M. Borchmann, 2. Aufl., Bd. 1 Grundlagen 1981, Bd. 2 Kommunalverfassung 1982, Bd. 3 Kommunale Aufgaben und Aufgabenerfüllung 1983, Bd. 4 Die Fachaufgaben 1983, Bd. 5 Kommunale Wirtschaft 1984, Bd. 6 Kommunale Finanzen 1985 Handbuch für die öffentliche Verwaltung Hochschulrahmengesetz Herausgeber, herausgegeben Halbsatz s. Isensee/Kirchhof s. Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR Gesetz über eine Rentenversicherung der Handwerker Historische Zeitschrift
i. d. F. i. d. R. i. e. S. i. S. (von)
in der Fassung in der Regel im engeren Sinne im Sinne von
HGrG HHG hins. Hinw. HIV HKG HkW-VO HkWP
XV
Abkürzungsverzeichnis i.V. (mit) i. w. S. IHKG InfAuslR insbes. InvZulG Isensee/Kirchhof, HdbStR IUR
in Verbindung mit im weiteren Sinne Gesetz über die Industrie- und Handelskammern Informationsschrift für Ausländerrecht insbesondere Investitionszulagengesetz J. Isensee, P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1 u. 2 1987, Bd. 3 1988, Bd. 4 1990 Informationsdienst Umweltrecht
JA JbPostw. jew. Jh. JMB1NW JR jüng. jur. Jura JuS JZ
Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für das Postwesen jeweils Jahrhundert Nordrhein-westfälisches Justizministerialblatt Juristische Rundschau jünger juristisch Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
KAG Kap. Kennz. Kfz KGG KHG KJ KJHG Knack, VwVfG
KV KVG KVLG KWG
Kommunalabgabengesetz Kapitel Kennziffer Kraftfahrzeug Hessisches Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit Krankenhausfinanzierungsgesetz Kritische Justiz Kinder- und Jugendhilfegesetz H.-J. Knack (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1989 Kommentar s. HkWP Verwaltungsgerichtsordnung, erl. v. F. O. Kopp, 8. Aufl. 1989 Verwaltungsverfahrensgesetz, erl. v. F. O. Kopp, 4. Aufl. 1986, 5. Aufl. 1991 Die Kriegsopferversorgung Kreisgericht kritisch Kreisordnung Die Krankenversicherung Kommunale Steuer-Zeitschrift Kommunalselbstverwaltungsgesetz, Künstlersozialversicherungsgesetz Kassenärztliche Vereinigung Kommunalverfassungsgesetz Gesetz über eine Krankenversicherung für Landwirte Gesetz über das Kreditwesen, Kommunalwahlgesetz
LAbfG LadSchlG
Landesabfallgesetz Ladenschlußgesetz
Komm. KommHdb Kopp, VwGO Kopp, VwVfG KOV KreisG krit. KrO KrV KStZ KSVG
XVI
Abkürzungsverzeichnis LBeschG LBG LBO, LBauO LdR Leibholz/Rinck, GG LG LImSchG Lit. LKV LOG LPflG LP1G LROP LS Lsbl. LSG LStrG LuftVG LuftVZO LV(erf.) LVA LVerbO LVG, LVwG m. m. E. m. w. N. v. Mangoldt/Klein, GG Maunz/Dürig, GG Maunz/Zippelius, StaatsR Maurer, AllgVwR Mayer, VwR Mayer/Kopp, AllgVwR MBO MdE MDR ME med. MedR MOG Mrd.
Landbeschaffungsgesetz Landesbeamtengesetz Landesbauordnung Lexikon des Rechts G. Leibholz, H.J. Rinck, D. Hesselberger, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 6. Aufl. Lsbl. Landgericht Landes-Immissionsschutzgesetz Literatur Landes- und Kommunalverwaltung Nordrhein-westfälisches Gesetz über die Organisation der Landesverwaltung Landschaftspflegegesetz Landesplanungsgesetz Landesraumordnungsplan Leitsatz Loseblattsammlung Landessozialgericht Landesstraßengesetz Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesversicherungsanstalt Landschaftsverbandsordnung Landesverwaltungsgesetz mit meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Das Bonner Grundgesetz, erläutert von H. v. Mangoldt, 2. Aufl. neu bearb. v. F. Klein, 3. Aufl. neu bearb. v. Chr. Starck, Bd. 1 1966, Bd. 2 1966, Bd. 3, 2. Aufl. 1974, Bd. 1, 3. Aufl. 1985 Th.Maunz, G.Dürig, R.Herzog, R.Scholz, P.Lerche, H.-J. Papier, A. Randelzhofer, E. Schmidt-Aßmann, Grundgesetz, Kommentar, 4 Bde., 6. Aufl., Lsbl. Th.Maunz/R.Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Aufl. 1991 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 1990 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1 u. 2, 3. Aufl. 1924 E.Mayer, F.Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1985 Musterbauordnung Minderung der Erwerbsfähigkeit Monatsschrift für deutsches Recht Musterentwurf medizinisch Medizinrecht Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen Milliarde
XVII
Abkürzungsverzeichnis MTB II MTLII v.Münch, GG MuSchG N n. F. Nachw. NatSchG Nds. nds., nieders. NDV NF NJ NJW Nr. NRW NStZ NuR NVwZ NVwZ-RR NW, Nordrh.-Westf. nw, nordrh.-westf. NWVB1. NZA NZV O o. ä. Obermayer, VwVfG OBG OECD OEG OHG OLG ÖPNV ORDO örtl. östl. OVG PAG ParlStG PBefG PCB PCT PersV XVIII
Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder Grundgesetz-Kommentar, Hrsg. I.V.Münch, Bd. 1, 3.Aufl. 1985, Bd. 2, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, siehe GGK Mutterschutzgesetz s. nds. neue Fassung, neue Folge Nachweise Naturschutzgesetz Niedersachsen niedersächsisch Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge Neue Folge Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer s. NW Neue Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen nordrhein-westfälisch Nordrhein-westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Ordnung oder ähnliches Kl. Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 1990 Ordnungsbehördengesetz Organization for Economic Cooperation and Development Opferentschädigungsgesetz Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Öffentlicher Personennahverkehr Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft örtlich östlich Oberverwaltungsgericht Polizeiaufgabengesetz Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Personenbeförderungsgesetz Polychlorierte Biphenyle Polychlorierte Tetrakohlenwasserstoffe Die Personalvertretung
Abkürzungsverzeichnis PG Pkw PlafeR PlanzV POG PolG PolOrg.VO PostArch. pr., preuß. PrAllgGewO PrALR priv. PrOVGE PrWegeRG PVG PVS R RabelsZ
s. PolG Personenkraftwagen Planfeststellungsrecht Planzeichenverordnung Polizeiorganisationsgesetz Polizeigesetz Verordnung über die Organisation und Zuständigkeit der hessischen Vollzugspolizei Postarchiv preußisch Preußische Allgemeine Gewerbeordnung Preußisches Allgemeines Landrecht privat Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Preußisches Gesetz über die Reinigung öffentlicher Wege Polizeiverwaltungsgesetz Politische Vierteljahresschrift
RaumOR RdA RdE RdWW Redeker/v. Oertzen, VwGO Reg.Entw. RehaAnglG Rez. RGBl. RGZ Rh.-Pf. rheinl.-pfälz., rhpf RhPfVerfGH RiA RKG Rn. ROG RRG Rspr. RÜG RuStAG RV RVerwBl. RVO
Recht Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel Raumordnungsrecht Recht der Arbeit Recht der Elektrizitätswirtschaft Recht der Wasserwirtschaft K. Redeker, H.-J. v. Oertzen, VwGO: Kommentar, 9. Aufl. 1988 Regierungsentwurf Rehabilitationsangleichungsgesetz Rezension Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinland-Pfalz rheinland-pfälzisch Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz Das Recht im Amt Reichsknappschaftsgesetz Randnummer Raumordnungsgesetz Rentenreformgesetz Rechtsprechung Rentenüberleitungsgesetz Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Die Rentenversicherung, Rentenversicherung Reichsverwaltungsblatt Reichsversicherungsordnung
S S. s. s. o.
s. saarl. Seite, bei Gesetzeszitaten Satz siehe siehe oben XIX
Abkürzungsverzeichnis s. u. Saarl. saarl. sachl. SAE Schl.-H. schlesw.-holst., schlh SchlHAnz. SchrVfS SchwbG SF SG SGb SGB SGG SGV N W SH Slg. SOG sog. SozR SozSich. SozVers. Sp. SRH StabG StAnz. stat. StBauFG std. Steiner, BesVwR Stelkens u. a., VwVfG Stern, StaatsR, StR StGB StGH StGHG StHbKG StHG StPO str. StrG StrReinG StrlSchVO, StrSchV StrWG StT StuGB StuGR StuR
XX
siehe unten Saarland saarländisch sachlich Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schleswig-Holstein schleswig-holsteinisch Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriften des Vereins für Sozialpolitik Schwerbehindertengesetz Sozialer Fortschritt Sozialgericht Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblattes für das Land Nordrhein-Westfalen s. Schl.-H. Sammlung Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung sogenannte(r) Sozialrecht Soziale Sicherheit Die Sozialversicherung Spalte B. v. Maydell/F. Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 1 9 8 8 Stabilitätsgesetz Staatsanzeiger statistisch Städtebauförderungsgesetz ständig U. Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1 9 8 8 P. Stelkens, H. J . Bonk, K. Leonhardt, M . Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz: Kommentar, 3. Aufl. 1990 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, Bd. 2 1980, Bd. 3/1 1988 Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Staatsgerichtshofsgesetz Gesetz „Stiftung Hilfswerk behindertes Kind" Staatshaftungsgesetz Strafprozeßordnung strittig Straßengesetz Straßenreinigungsgesetz Strahlenschutzverordnung Straßen- und Wegegesetz Der Städtetag Städte- und Gemeindebund Städte- und Gemeinderat Staat und Recht (DDR)
Abkürzungsverzeichnis StuVwR StuW StVG StVO StVZO SVG
Staats- und Verwaltungsrecht Steuer und Wirtschaft Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Straßenverkehrs-Zulassungsordnung Soldatenversorgungsgesetz
TA teilw. TELEKOM TelwegG TGL Tschira/Schmitt Glaeser, VwPrR TuP TVG Tz.
Technische Anleitung teilweise Deutsche Bundespost, Betriebszweig Fernmeldedienste Telegraphenwegegesetz Technische Güter- und Lieferbestimmungen W. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, mitbegründet von O. Tschira, 9. Aufl. 1988, 10. Aufl. 1990 Theorie und Praxis der sozialen Arbeit Tarifvertragsgesetz Textziffer
u. u. a. u. U. Überbl. ÜberlG übl. Ule, VwPrR UmweltHG UmwR undeud. UnterhG UPR UTR UVP UVPG UWG UZwG
und unter anderen(m), und andere unter Umständen Überblick Überleitungsgesetz üblich C. H. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl. 1987 Umwelthaftungsgesetz Umweltrecht undeutlich Unterhaltsvorschußgesetz Umwelt- und Planungsrecht Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs
v. v. H. VA VB1BW VDE VDI VdK-Mitt. VDR VEnergR Verf. VerfGH VerfGHG Verk.Mitt. VersR
von vom Hundert Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verband deutscher Elektrotechniker e. V. Verein deutscher Ingenieure e. V. Mitteilungen des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer Verband deutscher Rentenversicherungsträger Veröffentlichungen des Instituts für Energierecht Verfassung Verfassungsgerichtshof Verfassungsgerichtshofsgesetz Verkehrsrechtliche Mitteilungen Versicherungsrecht XXI
Abkürzungsverzeichnis VerwArch. VerwRdSch. VerwRspr. VG VGH vgl. VGS VkBl. VO VOB Voraufl. Vorb. VR VRS VRspr., VerwRspr. VSSR WDStRL WG Vw VW VwGO VwR VwVfG WaStrG weit. WertV WG WHG WiGBl. WiR wiss. WissR WiVerw. WM WoGG Wolff/Bachof, VwR I Wolff/Bachof, VwR II Wolff/Bachof, VwR III Wolff/Bachof/Stober, VwR II WPfG WRV WUR WuW WVG WzS XXII
Verwaltungsarchiv Verwaltungsrundschau Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung über die Genehmigungspflicht für die Einleitung von Abwasser mit gefährlichen Stoffen in öffentliche Abwasseranlagen Verkehrsblatt, Amtsblatt des Bundesministers für Verkehr Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Vorauflage Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Verkehrsrechts-Sammlung Verwaltungsrechtsprechung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Versicherungsvertragsgesetz Verwaltung Volkswagen Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsrecht Verwaltungsverfahrensgesetz Wasserstraßengesetz weitere Wertermittlungsverordnung Wassergesetz, Wegegesetz Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsgesetzblatt Wirtschaftsrecht wissenschaftlich Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung Wirtschaft und Verwaltung, Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv Wertpapier-Mitteilungen Wohngeldgesetz H.-J. Wolff, O.Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 1974 H.-J. Wolff, O.Bachof, Verwaltungsrecht, Bd.2, 4. Aufl. 1976 H.-J. Wolff, O.Bachof, Verwaltungsrecht, Bd.3, 4.Aufl. 1978 H.-J. Wolff, O.Bachof, R.Stober, Verwaltungsrecht, Bd.2, 5. Aufl. 1987 Wehrpflichtgesetz Weimarer Reichsverfassung Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, Wirtschaft und Recht Wirtschaft und Wettbewerb Wasserverbandsgesetz Wege zur Sozialversicherung
Abkürzungsverzeichnis Z. z. B. z. T. ZA zahlr. ZAS ZBR ZDG ZevKR ZFA ZfB ZfBR ZfE ZfF ZfS ZfSH ZfU ZfW ZG ZGB-DDR ZGR ZHR ZIP zit. ZLR ZLW ZögU ZPO ZRP ZSR ZTR zul. Zust.VO SOG ZVersWiss
Zuweisung zum Beispiel zum Teil Zumutbarkeits-Anordnung zahlreich Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zivildienstgesetz Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Energierecht Zeitschrift für das Fürsorgewesen Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für Sozialhilfe Zeitschrift für Umweltpolitik Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Haushaltsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für das gesamte Luftrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform Zeitschrift für Tarifrecht zuletzt Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr in Niedersachsen Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft
XXIII
ERSTER ABSCHNITT
Kommunalrecht Eberhard Schmidt-Aßmann Gliederung I. Grundlagen 1. Gesetzeslage 2. Zur Entwicklung des Kommunalwesens II. Die Verfassungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG 1. Rechtssubjektsgarantie 2. Rechtsinstitutsgarantie a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft b) Allzuständigkeit (Universalität) c) Eigenverantwortlichkeit d) Gesetzesvorbehalt aa) Kernbereichsgarantie bb) Gemeindespezifisches materielles Aufgabenverteilungsprinzip... e) Sog. Gemeindehoheiten 3. subjektive Rechtsstellungsgarantie 4. Erstreckungsgarantien a) Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens b) Mitwirkungsrechte Spezialliteratur
Rn. 1— 7 2 3— 7 8 10—12 13 14—17 18 19 20—22 21 22 23 24 25—26 25 26
III. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden 1. Gewährleistungen im Grundgesetz a) partielle Finanzgarantien b) Grundrechte aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschafdicher Tätigkeit 2. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen
27—31 27—30 27 28-30 29 30 31
IV. Gemeinden und Staatsaufsicht 1. Aufgaben der Gemeinden a) Aufgabendualismus aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten bb) Auftragsangelegenheiten b) Aufgabenmonismus aa) interne Gliederung bb) Weisungsaufgaben als Mischform c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum . . . . 2. Rechtsaufsicht a) Aufsichtsmittel b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz
32—49 33—40 34—36 35 36 37—39 38 39 40 41—43 42 43 1
1. AbSChn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
3. Fachaufsicht a) Wesen und Regelungen b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen 4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck und Typik b) spezielle Genehmigungsvorbehalte aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium Spezialliteratur V. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) Vorbemerkungen a) Das Bild der Einheitsgemeinde b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden aa) kreisangehörige Gemeinden bb) kreisfreie Städte cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden 1. Gemeindeverfassungstypen (Überblick) 2. Der Gemeinderat a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus aa) Rechts- und Pflichtenstatus bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften b) interne Organisation und Verfahren des Rates aa) Ratsvorsitzender bb) Ratsgeschäftsordnung cc) Ratssitzungen dd) Ratsausschüsse c) Aufgaben des Gemeindesrates aa) Systematik bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick) 3. Der Gemeindevorsteher a) Status b) Aufgaben aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung cc) übertragene Angelegenheiten dd) Dringlichkeitsentscheidungen ee) Verwaltungschef ff) Vertretung der Gemeinde gg) Einspruchsrecht 4 . Besonderheiten der Magistratsverfassung 5. Kommunalverfassungsstreit a) Grundfragen und Entwicklung b) Einzelheiten Spezialliteratur VI. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung . . . 1. Kommunalwahlen a) Grundsätze b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen
2
44—45 44 45 46—49 46 47—49 48 49
50—84 50 50 51—54 52 53 54 55—58 59—61 59—61 60 61 62—66 63 64 65 66 67—69 68 69 70—79 71 72-79 73 74 75 76 77 78 79 80—81 82—84 83 84
85—92 86—87 86 87
Kommunalrecht 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen a) ehrenamtliche Tätigkeiten b) neuere Beteiligungsformen aa) schlichte Mitwirkungsmöglichkeiten bb) Mitentscheidungsmöglichkeiten 3. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften Spezialliteratur VII. Die Rechtsetzung der Gemeinden 1. Gemeindliche Satzungen a) Regelungstypus b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt c) Verfahren aa) allgemein bb) Verfahrensfehler d) Rechtsschutz gegen Satzungen 2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte a) Rechtsverordnungen b) inneradministrative Rechtssätze Spezialliteratur VIII. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner 1. öffentliche Einrichtungen a) Begriff b) Nutzungsrechte c) Benutzungsverhältnis aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell bb) Typenvielfalt 2. Einrichtungen mit Anschluß- und Benutzungszwang a) Tatbestand b) Grundrechtsfragen aa) Anschlußpflichtige bb) Anbieter gleichartiger Leistungen Spezialliteratur IX. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde 1. Begriffe und Abgrenzungen 2. kommunalrechtliche Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen b) kommunalrechtliche Schrankentrias c) Rechtsschutz 3. allgemeine wirtschaftsrechtliche Schranken 4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen a) Formenvielfalt aa) öffentlich-rechtliche Formen bb) privatrechtliche Formen b) Eigenbetriebe Spezialliteratur X. Finanzen und Haushalt 1. Gemeindefinanzsystem
1. Abschn. 88— 91 88 89 90 91 92
93 — 103 94— 99 94 95— 96 96 97 9 8 - 99 100—101 102—103 102 103
104—117 105 105-107 108 109—113 110 111-113 114 114-115 116 116 117
118 — 126 118 119 — 121 119 120 121 122 123 — 126 123 — 125 124 125 126
127—135 128 — 132 3
I.Abschn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
a) Steuereinnahmen aa) Gemeindesteuern bb) Steuererfindungsrecht b) Gebühren und Beiträge c) Finanzzuweisungen 2. Haushaltsrecht a) Haushaltssatzung, Haushaltsplan b) Haushaltsvollzug Spezialliteratur XI. Das Recht der Landkreise (Kreise) 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung a) Rechtssubjektsgarantie b) Rechtsinstitutsgarantie 2. Aufgaben der Kreise a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden aa) übergemeindliche Aufgaben bb) ergänzende Aufgaben cc) ausgleichende Aufgaben dd) die Kompetenz-Kompetenz 3. Die Organe des Kreises a) Kreistag b) Landrat c) Kreisausschuß 4. Staatliche Verwaltung im Kreis Spezialliteratur XII. Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände 1. Gesamtgemeinden 2. Höhere Gemeindeverbände 3. Zweckverbände a) interkommunale Zusammenarbeit b) insbes. Zweckverbandsbildungen
4
129 130 130 131 132 133 — 135 134 135
136—149 136—138 137 138 139—144 139 140—144 141 142 143 144 145 — 148 146 147 148 149
150—157 153 — 154 155 156 156 157
1. Abschn.
Kommunalrecht
Gesetze Baden- Württemberg: GemeindeO vom 25.7.1955 i. d. F. vom 3.10.1983 (GBl. S. 578), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.1991 (GBl. S. 860). LandkreisO vom 10.10.1955 i.d.F. vom 19.6.1987 (GBl. S.288), geändert durch Gesetz vom 12.12.1991 (GBl. S.860). NachbarschaftsverbandsG vom 9.7.1974 (GBl. S.261). Gesetz über kommunale Zusammenarbeit i.d.F. vom 16.9.1974 (GBl. S. 408), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12.1990 (GBl. S. 860). Bayern: GemeindeO vom 25.1.1952 i.d.F. der Bekanntmachung vom 11.9.1989 (GVB1. S.585), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.8.1990 (GVB1. S. 268). LandkreisO vom 16.2.1952 i.d.F. der Bekanntmachung vom 11.9.1989 (GVB1. S.612), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.8.1990 (GVB1. S. 269). Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit vom 12.7.1966 (GVB1. S. 218, ber. S. 314), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.7.1982 (GVB1. S.471). VerwaltungsgemeinschaftsO für den Freistaat Bayern i.d.F. der Bekanntmachung vom 26.10.1982 (GVB1. S.965). Berlin: Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung vom 2.10.1958 (GVB1. S. 947), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.7.1989 (GVB1. S. 1289). Bezirksverwaltungsgesetz von Berlin i. d. F. vom 17.7.1989 (GVB1. S. 1494). Brandenburg: S. „Neue Bundesländer" am Ende dieser Aufstellung. Bremen: Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter vom 20.6.1989 (BremGBl. S. 241), zuletzt geändert durch Entscheidung des StGH vom 8.7.1991 (BremGBl. S. 239). Hamburg: BezirksverwaltungsG der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22.5.1978 (GVB1. S. 178), i. d. F. vom 27.6.1984 (GVB1. S. 135), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.9.1988 (GVB1. S. 179). Hessen: GemeindeO vom 25.2.1952 i. d. F. vom 1.4.1981 (GVB1.1S. 66), geändert durch Gesetz vom 26.6.1990 (GVB1.1 S. 197). Gesetz über den Umlandverband Frankfurt vom 11.9.1974 (GVB1.1 S. 427), geändert durch Gesetz vom 16.6.1988 (GVB1.I S.235). Hessische LandkreisO vom 25.2.1952 i. d. F. vom 1.4.1981 (GVB1.1 S. 97), geändert durch Gesetz vom 16.61988 (GVBl. I S. 235). Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 16.12.1969 (GVBl. I S. 307), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.6.1978 (GVBl. I S. 420). Mecklenburg-Vorpommern S. „Neue Bundesländer" am Ende dieser Aufstellung u. Ges. vom 13.8.1991 (GVBl. S. 292). Niedersachsen: Niedersächsische GemeindeO i. d. F. vom 22.6.1982 (Nds. GVBl. S. 229), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.3.1990 (Nds. GVBl. S. 115). Niedersächsische LandkreisO i.d.F. vom 22.6.1982 (Nds. GVBl. S.256), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.3.1990 (Nds. GVBl. S. 115). ZweckverbandsG vom 7.6.1939 i.d.F. der Verordnung vom 11.6.1940 (RGB1.I S.876), geändert durch Gesetz vom 30.7.1985 (GVBl. S. 246). 5
1. Abschn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
Nordrhein-Westfalen: GemeindeO i. d. F. der Bekanntmachung vom 13.8.1984 (GV NRW S. 475), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.4.1991 (GV NRW S.214). KreisO i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.8.1984 (GV NRW S.497), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.3.1990 (GV NRW 1987 S. 141). Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit i. d. F. der Bekanntmachung vom 1.10.1979 (GV NRW S. 621), geändert durch Gesetz vom 26.6.1984 (GV NRW S. 362). Rheinland-Pfalz: GemeindeO vom 14.12.1973 (GVB1. S.491), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.4.1991 (GVB1. S. 110). LandkreisO i.d.F. der Bekanntmachung vom 2.4.1991 (GVB1. S. 177), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.4.1991 (GVB1. S. 104). Zweckverbandsgesetz vom 22.12.1982 (GVB1. S. 476). Saarland: KommunalselbstverwaltungsG i.d.F. der Bekanntmachung vom 18.4.1989 (ABl. S.557). Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 26.2.1975 (ABl. S. 490), geändert durch Gesetz vom 18.1.1989 (ABl. S.321). Sachsen: S. „Neue Bundesländer", am Ende dieser Aufstellung. Sachsen-Anhalt: S. „Neue Bundesländer", am Ende dieser Aufstellung u. Ges. vom 30.8.1990 (GVB1. S.286). Schleswig-Holstein : GemeindeO vom 24.1.1950 (GVOB1. S.25) i.d.F. vom 2.4.1990 (GVOB1. S. 160). KreisO vom 27.2.1950 (GVOB1. S.49) i.d.F. vom 2.4.1990 (GVOB1. S. 193). AmtsO vom 17.6.1952 (GVB1. S.95) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2.4.1990 (GVOB1. S. 209). Landesverordnung über Nachbarschaftsausschüsse vom 29.10.1974 (GVB1. S.412). Landesverordnung über Ortsbeiräte vom 6.2.1970 (GVB1. S. 39), geändert durch Landesverordnung vom 19.9.1973 (GVB1. S.326). Gesetz über kommunale Zusammenarbeit i.d.F. der Bekanntmachung vom 2.4.1990 (GVOB1. S. 216). Thüringen: S. „Neue Bundesländer", am Ende dieser Aufstellung. Neue Bundesländer: Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17.5.1990 (GBl. DDR S. 255), das gemäß Art. 9 des Einigungsvertrages vom 30.8.1990 (BGBl. II S. 877) in Kraft bleibt, soweit es mit dem Grundgesetz ohne Berücksichtigung des Art. 143, mit dem in den neuen Ländern in Kraft gesetzten Bundesrecht sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der EG vereinbar ist und soweit im Einigungsvertrag sonst nichts anderes bestimmt wird.
Literatur I. Zum Kommunalrecht
allgemein
H.H. v.Arnim, Selbstverwaltung und Demokratie, AöR Bd. 106 (1988), 1 ff. H. Bethge, Parlamentsvorbehalt und Rechtsatzvorbehalt für die Kommunalverwaltung, NVwZ 1983, 577 ff. H. Borchert, Kommunalaufsicht und kommunaler Haushalt, 1976. S. Broß, Ausgewählte Probleme des Kommunalrechts, VerwArch 1989 (Bd. 80), 143 ff. 6
1. Abschn.
Kommunalrecht
W.Brückner, Die Organisationsgewalt des Staates im kommunalen Bereich, 1974. J. Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977. H.-U. Derlien /D. v. Queis, Kommunalpolitik im geplanten Wandel, 1986. D.Fürst/].}. Hesse/H.Richter, Stadt und Staat, 1984. R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984. H. Hill, Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nach der Reform, 1987 (zitiert: Hill, Funktion). H. Klüber, Das Gemeinderecht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 1972. L.Macher, Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens, 1971. H.Meier, Regionalplanung und kommunale Selbstverwaltung, 1984. K.-U. Meyn, Gesetzesvorbehalt und Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden, 1977. H. Müthling, Die Geschichte der deutschen Selbstverwaltung, 1966. A. v. Mutius, Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980. H. Pagenkopf, Kommunalrecht, 2. Aufl. Bd. 1, 1975, Bd. 2, 1976 (zitiert: Pagenkopf, KomR Bd. 1 u. 2). H.Preuss, Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1906 (Nachdruck 1965). G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1—5, 1981 ff (zitiert: Bearbeiter, HkWP). W. Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen, 1975. E.Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982 (zitiert: Schmidt-Jortzig, KomR). ders., Kommunale Organisationshoheit, 1979. H. Scholler, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 1990 (zitiert: Scholler, KomR). O.Seewald, Kommunalrecht, in: U.Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 1988, l f f . R. Stober, Kommunalrecht, 1987 (zitiert: Stober, KomR). B. Stüer, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, 1980. P.J. Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1990, S. 4 ff (zitiert: Tettinger, BesVerwR). W. Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 2. Aufl. 1967. Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. die jährl. Berichte von Erlenkämper, NVwZ 1984, 621; 1985, 795ff; 1986, 989ff; 1988, 21 ff; 1990, 116ff; 1991, 325ff. II. Zur Einführung in das Kommunalrecht der einzelnen Bundesländer: Baden- Württemberg: H.Maurer, Kommunalrecht, in: H. MaurerIR. Hendler, Baden-württembergisches Staatsund Verwaltungsrecht, 1989, 173 ff (zitiert: Maurer in: Maurer/Hendler, StuVwR BW). B. Reichert/A. Gern, Kommunalrecht, 4. Aufl. 1990. Bayern: F.-L.Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 7. Aufl. 1991 (zitiert: Knemeyer, KomR Bay). Hessen: H.Meyer, Kommunalrecht, in: H.Meyer/M.Stolleis, recht, 1986, 138 ff.
Hessisches Staats- und Verwaltungs-
Niedersachsen: H. Faber, Kommunalrecht, in: H. FaberlH.P. Schneider, Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1985, 225 ff. 7
1. Abschn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
Th.Elster, in: Z.Körte/B.Rebe, Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, 1986, 228 ff. ]. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, 1989 (zitiert: Ipsen, KomR Nds.). Nordrhein- Westfalen: H.-U. Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1988 (zitiert: Erichsen, KomR NRW). ders., Kommunalrecht, in: D.GrimmlH.J. Papier, Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, 105 ff. J. Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht, Nordrhein-Westfalen, 1984. Schleswig-Holstein: A. Galette/O.A. Laux, Kommentar zur Gemeindeordnung, Kreisordnung, Amtsordnung für Schleswig-Holstein, Bd. 1 und 2 Lsbg. Neue Bundesländer: S. Petzold, Zur neuen Kommunalverfassung in der DDR, DÖV 1990, 816. Th.Reiners, Kommunalverfassungsrecht in den neuen Bundesländern, 1991. G.Schmidt-Eichstaedt, Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17. Mai 1990, DVB1.1990, 848. G.Schmidt-Eichstaedt IS. Petzold IH.Melzer, u.a., Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung), 1990. Schützenmeister, Zur Entwicklung von Kommunaleigentum, Gemeindevermögen und kommunaler Selbstverwaltung im Rahmen des Einigungsvertrages, LKV 1991, 25 ff.
8
I.Abschn. I 1
Kommunalrecht
I. Grundlagen Als Kommunalrecht bezeichnet man die Summe derjenigen Rechtssätze, die sich 1 auf Rechtsstellung, Organisation, Aufgaben und Handlungsformen der Kommunalkörperschaften beziehen1. Zu den Kommunalkörperschaften zählen die Gemeinden, die Landkreise, die Kommunalverbände und Sonderverbände sowie die kommunalen Zweckverbände. Das Gemeinderecht ist ein Teil des Kommunalrechts — der wichtigste Teil, weil die Gemeinden die Basis des körperschaftlich gegliederten kommunalen Verwaltungsgefüges sind. Zudem enthalten die anderen Teile des Kommunalrechts oft Verweisungen auf die Regelungsgebiete des Gemeinderechts. Daher steht das Gemeinderecht im Zentrum auch dieses Beitrages (Abschnitt II—X), während das Recht der Landkreise und der sonstigen Gemeindeverbände nur knapp dargestellt wird (XI, XII).
1. Gesetzliche Grundlagen Weder für das Kommunalrecht als Ganzes noch für das Gemeinderecht existiert 2 eine geschlossene systematische Kodifikation. Wohl aber besteht in jedem Flächenstaat2 der Bundesrepublik eine Gruppe von Gesetzen, die die Hauptmaterien des Kommunalrechts abdecken. Hierzu zählen die Gemeinde- und Landkreisordnungen und die Zweckverbandsgesetze. Kommunalabgabengesetze und Vorschriften über das kommunale Eigenbetriebs-, Kassen- und Haushaltswesen ergänzen diesen engeren Kreis kommunalrechtlicher Gesetze3. Kommunalrecht ist also in seinem Kern Landesrecht. In einem weiteren Sinne freilich finden sich wichtige kommunalrechtliche Regelungen in vielen Bundes- oder Landesgesetzen4, die einzelne Materien des Verwaltungsrechts regeln (Fachgesetze), z.B. die gemeindliche Bauleitplanung im Baugesetzbuch, das kommunale Markt- und Jahrmarktswesen in der Ge1 2
3
4
Ähnlich Schmidt-Jortzig, KomR Rn. 1; Erichsen, KomR N R W 1. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg unterscheiden nicht zwischen staatlicher und gemeindlicher Aufgabenträgerschaft. Zum organisatorischen Aufbau und der Binnengliederung Hamburgs Haas, in: Hoffmann-Riem/Koch, Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1988, 91; Becker/Schneider, HkWP Bd. 2, 265. Zu Berlin, Machelet, HkWP Bd. 2, 2 6 4 ; speziell zur Eingliederung Ost-Berlins, Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin vom 3 . 9 . 1 9 9 0 , Art. 4 (GVB1. Be 1 9 9 0 , 1 8 7 7 ) und Gesetz vom 2 8 . 9 . 1 9 9 0 , § § 1 - 3 (GVB1. Be 1990, 2119); Finkelnburg, LKV 1991, 6; Ortloff, LKV 1991, 145. Bremen kennt zwar eine eigene kommunale Ebene; in der nachfolgenden Darstellung bleibt jedoch auch dieses Land wie die beiden anderen Stadtstaaten außer Ansatz; zu Bremen Heise, HkWP Bd. 2, 310. Darstellung der Rechtsgrundlagen bei Bliimel, HkWP Bd. 1, 229; zu den Rechtsgrundlagen in den neuen Bundesländern Scbmidt-Eichstaedt, DVB1. 1990, 848. Zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen, BVerfGE 26, 172 (182) und 77, 288 (298 f). Die daraus resultierende Rechtszersplitterung bereitet dem Studium ebenso wie jeder vereinheitlichenden Darstellung des Kommunalrechts erhebliche Schwierigkeiten. Die nachfolgenden Ausführungen wollen mit dem Text der jeweiligen Gemeindeordnung in der Hand gelesen werden. Zum Vergleich der Gemeindeordnungen Schmidt-Eichstaedtl Stadel Bor chmann, Die Gemeindeordnungen und die Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland (Lsbg.), mit Einführungen und synoptischen Tafeln im Anhang; vgl. dort auch die Nachweise zur kommunalrechtlichen Literatur.
9
1. Abschn. I 2
Eberhard Schmidt-Aßmann
Werbeordnung; Straßen-, Abfall-, Schul-, Sozialhilfegesetze — sie alle haben auch ihre kommunalrechtliche Seite, denn Gemeinden und Kreise sind zentrale Verwaltungsträger und finden in diesen Gesetzen die Grundlagen für ihre einzelnen Aufgabengebiete (Verwaltungsagenden).
2. Zur Entwicklung des Kommunalwesens 3
Das Wort Gemeinde bezieht sich ursprünglich auf ein bestimmtes Gebiet, die Allmende, eine Gemarkung, an der eine Gruppe von Personen gemeinsame Rechte und Pflichten besaß. Von diesem Realvermögen übertrug sich die Bezeichnung auf die in einem als Einheit verstandenen Gebiet ansässigen Rechtsgenossen, deren Ordnung aus der Notwendigkeit zur Erledigung gemeinsamer Pflichten erwuchs. Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich ein kommunales Gemeinwesen besonderer Art, die Stadt 5 . Hier siedelten sich neben den Handeltreibenden auch Handwerker an, die ihre Wohnstätte, häufig im Schutz einer Burg gelegen, gegen Angriffe von außen befestigten. Die Bürgerschaft gliederte sich in Gilden und Zünfte nach verschiedenen Erwerbszweigen. Diese Verbände führten häufig einen heftigen Streit um die politische Leitung des Gemeinwesens mit der Folge, daß soziale Schichtungen innerhalb der Städte mannigfache Differenzierungen schufen, so daß vielerorts nur Patrizier ratsfähig waren und eine hegemoniale Stellung erlangten. So wich das genossenschaftliche Prinzip, das einst wichtige Impulse zur Entwicklung dieser Gemeinden gegeben hatte, der Herrschaft einflußreicher Familien, die nun innerhalb der Stadt als Obrigkeit auftraten. Ein wesentliches Kriterium der Stadt war seit dem 13. Jahrhundert ihre Autonomie zur Rechtssetzung. Von größeren Orten, wie Nürnberg, Lübeck oder Magdeburg übernahmen Tochterstädte bis weit in die östlichen Staaten Europas ihre Verfassung, so daß „Stadtrechtsfamilien" entstanden, die in der Entwicklung des Rechts in Europa keine geringe Rolle spielen.
4
Mit der Entwicklung des absolutistisch regierten Territorialstaates erstarrte fast überall in Deutschland das kommunale Leben. Städte und Dörfer bildeten nicht viel mehr als obrigkeitliche Verwaltungsbezirke. Neu belebt und auf neue Rechtsgrundlagen gestellt wurde die Idee einer gemeindlichen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Hier waren es zunächst die Stein-Hardenbergschen Reformen, die auf dieses Gedankengut zurückgriffen 6 . Ihren klarsten Ausdruck fanden diese Überlegungen in der preußischen Städteordnung vom 19. November 1 8 0 8 , die ihren Zweck dahingehend umreißt, „den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeinde einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten". Zunächst eher als staatsorganisatorisches Prinzip gedacht, geriet die Selbstverwaltungsidee im weiteren Verlauf der Entwicklung stärker unter die vom süddeutschen Konstitutionalismus gespeisten Vorstellungen eines vorstaatlichen Status der Gemeinden 7 . § 1 8 4 der Paulskirchenverfassung von 1 8 4 9 und Art. 1 2 7 der Weimarer Reichsverfassung von 5 6
7
Scboller, KomR, 1 ff m. w. Nachw. Dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 2. Aufl., 1967, 102 ff und 172ff; Lange, in: FS f. W.Weber, 1974, 851. Hendler, Selbstverwaltung, 19 ff.
10
Kommunalrecht
1. Abschn. I 2 b
1919 führten die Selbstverwaltung der Gemeinden unter den Grundrechten auf. Die kommunalrechtliche Praxis dagegen blieb stets stärker der staatsorganisatorischen Deutung der gemeindlichen Selbstverwaltung verhaftet. Art. 28 Abs. 2 GG nimmt diese Gedanken auf und stellt die Selbstverwaltung in den Dienst einer gegliederten, freiheitswahrenden Demokratie (Rn. 8 ff). a) Der heutige Gebietszuschnitt und Bevölkerungsstand der Kommunalkörper- 5 schaffen in den bisherigen („alten") Ländern der Bundesrepublik geht im wesentlichen auf die Territorialreform zwischen 1967 und 1978 zurück8. Vor der Reform gab es in der Bundesrepublik ca. 2 4 0 0 0 Gemeinden; davon hatten 1 0 7 6 0 weniger als 500 Einwohner. Die Gebietsreform, die durch umfangreiche verwaltungswissenschaftliche Gutachten vorbereitet worden war, hatte sich eine Stärkung der Verwaltungskraft und die Lösung des Stadt-Umland-Problems („Einheit von Planungs- und Verwaltungsraum") zum Ziel gesetzt9. Mittel zur Erreichung dieses Zieles waren vor allem die Eingemeindung und der Gemeindezusammenschluß — teils auf freiwilliger Grundlage, teils durch Hoheitsakt verordnet. Die Zahl der Gemeinden ging dadurch bundesweit auf ein Drittel (8505) zurück. Länderweise fiel die Reduktion allerdings recht unterschiedlich aus: Während Nordrhein-Westfalen (2277 und 396) zu radikalen Eingemeindungen griff, verminderten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Zahl ihrer Gemeinden nur geringfügig und versuchten im übrigen, durch die Bildung zusätzlicher Gemeindeverbände (Verbandsgemeinden, Ämter) das Neuordnungsziel zu erreichen. In der gleichen Zeit ging die Zahl der kreisfreien Städte von 139 auf 92, die der Landkreise von 425 auf 235 zurück. b) Die Verfassung der DDR von 1949 hatte die gemein-deutsche Garantie 6 kommunaler Selbstverwaltung zunächst beibehalten. Praktische Bedeutung erlangte das Institut jedoch nicht; es wurde in den Folgejahren vielmehr zusammen mit der föderalen Gliederung der Länder als mit den Bedürfnissen des sozialistischen Staates unvereinbares Element planmäßig beseitigt10. Gemeinde, Städte und Landkreise fungierten danach im Sinne des „demokratischen Zentralismus" als nachgeordnete Vollzugsinstanzen. Nach der friedlichen und demokratischen Revolution von 1989 wurde neben der Wiederherstellung der Länder die Reaktivierung der Kommunen als Selbstverwaltungsträger ein wichtiges Ziel. Durch Gesetz vom 1 7 . 5 . 1 9 9 0 ist für Gemeinden und Landkreise eine rechtsstaatlich-demokratische Kommunalverfassung eingeführt worden, die die Idee der Selbstverwaltung in den Mittelpunkt stellt11. In ihren Grundzügen greift die Neuregelung auf die wesentlichen Gestaltungselemente zurück, die auch die Gemeinde- und Landkreisordnungen der alten Bundesländer bestimmen: Körperschaftsstatus der Kommunen (Rn. 10, 137 ff), differenzierte Aufgabenstruktur (Rn. 32), Satzungs- und Finanzhoheit u.a. (Rn.93ff, 127ff). Doch sind auch eigenständige Gestaltungselemente, 8 9
10
11
Dazu die Darstellung bei Mattenklodt, HkWP Bd. 1, 154. Zur Bewertung der Reformen aus heutiger Sicht Hill, Funktion, 129 ff.
Bauer, BayVBl. 1990, 263. Dazu Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1990, 848; Petzold, DÖV 1990, 816. 11
1. Abschn. I 2 c
Eberhard Schmidt-Aßmann
zumal in die Regelung der „inneren Kommunalverfassung", d. h. das Zusammenspiel zwischen Bürgermeister und Gemeindevertretung bzw. Landrat und Kreistag, eingeflossen (Rn. 76, 80) 12 . Das noch von der Volkskammer beschlossene Gesetz gilt als Landesrecht zunächst fort, bis die Länder eigene Gemeinde- und Landkreisordnungen erlassen haben werden13. Verfassungsrechtliche Grundlage, Rahmen und Grenze für die Kommunalordnungen in den neuen Bundesländern sind seit dem 3. Oktober 1990, wie in den alten Bundesländern auch, die Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und die Verfassungsvorgaben rechtsstaatlicher Verwaltung in Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4 und 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG. Gebietszuschnitt und Bevölkerungszahlen der Gemeinden und Kreise knüpfen an die bisherigen Verhältnisse14 an. Sie sind wesentlich kleiner dimensioniert als in den alten Bundesländern15: Von den insgesamt 7563 Gemeinden haben nahezu die Hälfte unter 500 und nur 15 über 100 000 Einwohner. Die Zahl der Landkreise beträgt 189. Inwieweit eine Gebietsreform angestrebt und damit zu größeren Kommunalkörperschaften gelangt werden sollte, muß nach manchen ernüchternden Erfahrungen in anderen Bundesländern sorgfältig erwogen werden16. 7
c) In jüngster Zeit werden auch die europäischen Dimensionen des Kommunalwesens deutlicher17. Die stärksten Impulse gehen dabei natürlich vom Recht der Europäischen Gemeinschaften aus. Manche Gemeinde befürchtet ihnen gegenüber, in den Sog einer Zentralisierung zu geraten, der wenig Rücksicht auf die gewachsenen deutschen Kommunalstrukturen und ihre spezifischen Absicherungen nehmen wird18. Und in der Tat werden manche kommunalen Verwaltungsbereiche durch ihre Bindung an europarechtliche Vorgaben für lokal getroffene Entscheidungen weniger steuerbar werden. Dazu tritt mit der Pflicht zur Beachtung eines immer engermaschigen Netzes von Rechtsregeln, die zunehmend auch an kommunale Amtsträger gerichtet sind19, eine erhebliche Zunahme der Arbeitsbelastung. Auf der anderen Seite sollten die Chancen, die die Europäisierung des Rechts-, Wirtschaftsund Soziallebens auch über den Bereich der EG-Mitgliedstaaten hinaus bietet, von Städten und Gemeinden positiv als Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten Einzelheiten dazu im jeweiligen Kontext der nachfolgenden Darstellung; in den Einzelnachweisen der Gemeindeordnungen in den Fn. folgen die neuen Bundesländer mit dem Zitat KVG den in alphabetischer Reihenfolge nachgewiesenen anderen Landesrechten nach. 13 Art. 9 Einigungsvertrag vom 3 0 . 8 . 1 9 9 0 (BGBl. II 889). 1 4 Nachweise bei Bauer (Fn. 10). l s Nachweise bei Schmidt-Eichstaedt (Fn. 11), 852. " Bauer, BayVBl. 1990, 2 6 3 (267); Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1990, 848 (852). 17 v.Lennep, Hessische Städte- und Gemeinde-Zeitung 1988, 3 8 3 f; Siedentopf, DÖV 1988, 891 (895); Mombaurl v. Lennep, DÖV 1988, 9 8 8 (991 f); Blair, DÖV 1 9 8 8 , 1 0 0 2 (1008); Kreiner, RiA 1989, 141; Spannowsky, DVB1. 1991, 1120 ff. 18 Rengeling, DVB1. 1990, 8 9 4 m. w. Nachw. 1 5 Zur Direktwirkung nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzter EG-Richtlinien EuGH DVB1. 1990, 6 8 9 ; Pieper, DVB1. 1990, 6 8 4 (685); Jarass, NJW 1991, 2 6 6 5 ff; zur kommunalen Leistungsverwaltung Bleckmann, NVwZ 1990, 820.
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Kommunalrecht
I . A b s c h n . II
erfaßt und genutzt werden, um die Idee einer Selbstverwaltung im europäischen Zeitalter auszubilden. Ein Ansatz hierzu ist mit der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung gemacht, die die Mitglieder des Europarats 1985 unterzeichnet haben20. Die Charta will gewisse Grundelemente der kommunalen Selbstverwaltung europaweit sichern.
II. Die Verfassungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG Gemeinden sind nach heutigem Verständnis Teil des Staates. Sie üben Staatsge- 8 walt aus, die sich gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 i. V. mit Art. 28 Abs. 1 GG vom Volk ableiten muß21. Als Verwaltungsträger sind sie der vollziehenden Gewalt i. S. von Art. 20 Abs. 3 GG zuzuordnen. Im dualistischen Einteilungsschema der Bundesstaatlichkeit (Bund/Länder) gehören sie zum Organisationsbereich der Länder und bilden hier das Zentrum jenes Verwaltungsteilbereichs, den man „Selbstverwaltung" nennt und der „Staatsverwaltung" (i. S. staatsunmittelbaren, behördlichen Verwaltungsvollzuges) gegenüberstellt22. Gleichwohl wäre mit dieser Zuordnung die besondere Stellung der Gemeinden im Staat nur unvollständig beschrieben. Nicht nur in der Politik werden die Kommunen gern als „dritte Säule" oder „dritte Ebene" bezeichnet. Auch das Grundgesetz nimmt von ihnen mehrfach neben Bund und Ländern Notiz und macht ihr Verhältnis zu diesen etablierten Gewalten zum Gegenstand genauerer Regelungen. Es ist geradezu das Lebensgesetz der gemeindlichen Verwaltung, daß sie sich immer in einer Doppelrolle befindet: Teil organisierter Staatlichkeit zwar, aber eben doch nicht in jenem engeren Sinne hierarchisch aufgebauter Entscheidungszüge, sondern als dezentralisiert-partizipative Verwaltung mit einem eigenen Legitimationssystem, das der Bürgernähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität verbunden sein soll. Das Grundgesetz hat sich für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute „gegliederte Demokratie" 23 entschieden. So ist es nur konsequent, wenn Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG für die beiden wichtigsten Typen von Kommunalkörperschaften (Landkreise und Gemeinden) zwingend vorsieht, das Volk müsse in ihnen genauso wie in Bund und Ländern eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Volksvertretung haben. Diese wichtigen Verbindungslinien zwischen Selbstverwaltungsidee und demokratischer Verfassungsstruktur, die freilich nicht ein in jeder 20
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23
Der Deutsche Bundestag hat dem Vertragswerk durch Gesetz vom 2 2 . 1 . 1 9 8 7 (BGBl. II 65) zugestimmt. Der Text der Charta ist u.a. abgedruckt in NVwZ 1988, 1111. Dazu Knemeyer, DÖV 1988, 997. BVerfGE 83, 37 ff. Rudolf, in: Erichsen/Martens, AllgVwR, §5611 mit Hinw. auf Forsthoff, VwR, 1979, 471 ff. BVerfGE 52, 95 ( U l f ) . 13
1. Abschn. II 1
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Hinsicht spannungsfreies Verhältnis beider Komponenten kennzeichnen, konstituieren auch die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden und müssen zur Auslegung der „Selbstverwaltungsgarantie" (Art. 28 Abs. 2 GG) herangezogen werden 24 . 9 Das Verhältnis der Gemeinden zum Staat wird vor allem durch jenen Normenkomplex bestimmt, den man etwas verkürzend die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung nennt. Die wichtigste Bestimmung dieses Gefüges ist Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, der von einigen Komplementärbestimmungen des Grundgesetzes umlagert (Rn. 25 f) und durch das Landesverfassungsrecht teils wiederholt, teils ergänzt wird (Rn. 31). Nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG muß den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Vorschrift ist keine bloße Normativbestimmung für eine gesetzliche Ausformung, sondern unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, das Gesetzgeber, Verwaltung und Judikative im Bund und in den alten wie in den neuen Bundesländern bindet. Auch „benachbarte" Hoheitsträger (Landkreise, Nachbargemeinden) haben sie zu respektieren25. Keine Wirkung entfaltet Art. 28 Abs. 2 GG dagegen im Verhältnis der Gemeinde zu privaten Dritten 26 . Die Tatsache, daß eine Materie zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört, ergibt folglich noch kein eigenständiges Eingriffsmandat der Gemeinde in Rechtspositionen Privater. Hier hat sich die Gemeinde an das zu halten, was für die öffentliche Verwaltung allgemein zu beachten ist (Grundrechte, Gesetzesvorbehaltslehre). Im einzelnen erleichtert man sich die Arbeit, wenn man innerhalb des Art. 28 Abs. 2 S. 1 drei „Garantieebenen" trennt: die Rechtssubjektsgarantie (1), die Rechtsinstitutionsgarantie (2), die subjektive Rechtsstellungsgarantie(3)27.
1. Rechtssubjektsgarantie 10
Gewährleistet wird als erstes, daß es überhaupt Gemeinden als Elemente des Verwaltungsaufbaus geben muß. Gemeinde in dem von der Verfassung vorausgesetzten Sinne ist „ein auf personaler Mitgliedschaft zu einem bestimmten Gebiet beruhender Verband, der die Eigenschaft einer (rechtsfähigen) Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt" 28 . Die Garantie bezieht sich also nicht auf eine beliebig zugeschnittene Verwaltungseinheit, sondern auf einen bestimmten Typus. Dazu gehören eine gewisse Überschaubarkeit des gemeindlichen Raumes, die von einer 24
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14
Grundlegend BVerfGE 79, 127 (149 f), und 83, 3 7 (54 f); Schocb, VerwArch. 1990 (Bd. 81), 18; Clemens, NVwZ 1990, 8 3 4 m.w.Nachw. Ferner Hendler, Selbstverwaltung, 3 0 2 ff; ders., in: HStR Bd. 4 (1990), § 106 Rn. 12 ff; Hill, Funktion, 18 ff; Frotscher, in: FS f. v.Unruh, 1 2 7 ; Schuppert, dort 183; ders., AöR 1 9 8 9 (Bd. 114), 1 2 7 ; v.Unruh, DÖV 1986, 2 1 7 ; v. Arnim, AöR 1988 (Bd. 106), 1; Schmidt-Aßmann, FS f. Sendler, 1991, 121 ff. BVerwGE 67, 321 (322). A.A.: Schmidt-Jortzig, KomR R n . 5 2 3 . So Stern, StR Bd. 1, § 12 II 4 b. Stern, in: BK R n . 8 0 zu Art. 28 GG.
Kommunalrecht
1. Abschn. II 1
„raumgemeinschaftlichen Einheit" (Werner Weber) sprechen läßt 29 , sowie die Rechtsfähigkeit und die Gebietshoheit. Gemeinden sind rechtsfähige Einheiten (Verwaltungsträger). Es muß ihnen also von der Rechtsordnung allgemein die Fähigkeit zuerkannt sein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein30. Die Rechtsfähigkeit schafft „Bewegungsfähigkeit" im Rechtsverkehr und ist so rechtstechnisch der Garant einer Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Gemeinden besitzen ferner Gebietshoheit, weil ihr Verhältnis als Verband zu ihren Verbandsmitgliedern nicht wie bei anderen Körperschaften auf punktuellen Zuordnungskriterien, sondern kraft Gesetzes umfassend durch den Wohnsitz begründet wird. Gemeinden sind Körperschaften in dem qualifizierten Sinne einer Gebietskörperschaft31. Für sie gilt: quid-quid est in territorio, etiam est de territorio32. Die Garantie eines solchermaßen geformten Verwaltungsträgers gilt nicht der 11 einzelnen Gemeinde in ihrem überkommenen Bestände, sondern grundsätzlich nur institutionell: Dem Staat ist es durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht verwehrt, eine Gemeinde aufzulösen und sie mit einer anderen Gemeinde zusammenzuführen. Verwehrt ist es ihm aber, die gemeindliche Verwaltungsebene ganz oder überwiegend zu beseitigen oder an die Stelle der Gemeinden des beschriebenen Typs unselbständige Verwaltungseinheiten zu setzen33. Daneben enthält Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG indirekt aber auch eine beschränkt individuelle Rechtssubjektsgarantie. Gegen ihren Willen34 darf die einzelne Gemeinde nämlich nicht beliebig, sondern nur nach vorheriger Anhörung und nur aus Gründen öffentlichen Wohles aufgelöst oder in ihrem Gebietszuschnitt geändert werden35. Es war diese beschränkt individuelle Bestandsgarantie, die in der kommunalen Gebietsreform (Territorialreform) vor den Verfassungsgerichten vielfach bemüht worden ist und in einigen Fällen zur Nichtigkeit einer Neugliederungsmaßnahme geführt hat, weil entweder die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt war, oder die Maßnahme durch keinerlei greifbare Gemeinwohlgründe gedeckt war. Letztere bilden einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der den neugliedernden Instanzen zwar einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt, gerichtlich jedoch auf eine prinzipielle Zweckeignung und auf die Einhaltung des Übermaßverbots überprüft werden kann. 29 30 31
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Schmidt-Jortzig, DÖV 1989, 142 (146). Rudolf, in: Erichsen/Martens, AllgVwR, § 56 II. BVerfGE 52, 95 (117 f); str. ist, inwieweit die Universalität zum Begriff der Gebietskörperschaft gehört. Die überwiegende Meinung geht dahin, zumindest die subsidiäre Universalität des Wirkungskreises für ein konstituierendes Merkmal der Gebietskörperschaft zu halten, während andere (Nachw. BVerfGE 52, 95 [118]) es genügen lassen, wenn die Summe der Einzelzuständigkeiten zur effektiven Universalität neigt. Pagenkopf, KomR Bd. 1, 26. Roters, in: v.Münch, GG Rn. 36 zu Art. 28. Nicht garantiert sind gemeindliche Binnengliederungen, z.B. Bezirke, Ortschaften (vgl. unten R n . 5 0 , 92). Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG schützt allerdings die Gemeinden nicht gegen sich selbst. Das Recht auf Selbstauflösung durch Eintritt in eine andere Gemeinde ist länderweise verschieden geregelt, z. B. für BW anerkannt in Art. 74 Abs. 2 LV BW. Vgl. ferner Saarl. VerfGH DVB1. 1984, 325. BVerfGE 50, 195 (202); Stern, StR Bd. 1, § 12 I I 4 c m. w. Nachw. 15
Eberhard Schmidt-Aßmann
1. Abschn. II 2 a aa 12
Zur Rechtssubjektsgarantie rechnet auch der Schutz des Gemeindenamens36 als eines Statuselements, das der Individualisierung und der bürgerschaftlichen Integration dient. Der Name ist vielfach historisch überkommen. Zusätze („Bad", „Markt") gehören zwar nicht direkt dazu, genießen aber, wenn sie rechtens geführt werden, den gleichen Rechtsschutz. Die Gemeindeordnungen enthalten darüber Einzelregelungen. Der rechtens geführte Name ist dann gegen Beeinträchtigungen nicht nur im Zivilrechtsverkehr gemäß § 12 BGB, sondern auch im Rechtsverkehr mit anderen Hoheitsträgern geschützt37. 2. Rechtsinstitutionsgarantie
13
Die zweite Garantieebene des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist die Gewährleistung der Institution „gemeindliche Selbstverwaltung"38. Die meisten im kommunalrechtlichen Schrifttum behandelten Probleme liegen auf dieser Ebene: Die Übertragung einer bisher gemeindlichen Aufgabe auf einen anderen Verwaltungsträger, die Einführung eines staatlichen Weisungsrechts, die Aufstellung eines qualifizierten Fachplans, die Auferlegung finanzieller Belastungen — sie alle stellen immer wieder die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit der Institutionsgarantie. Die Tatbestandsmerkmale dieser Garantieebene sind: die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (a), die Allzuständigkeit (b) und die Eigenverantwortlichkeit (c), die freilich unter einem Vorbehalt gesetzlicher Ausformung stehen (d).
14
a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Darunter sind solche Aufgaben zu verstehen, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben" 39 . Auf die Verwaltungskraft der Gemeinde soll es hierbei nicht ankommen40. Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr die Ausrichtung auf das bürgerschaftliche Engagement: Gemeint sind Angelegenheiten, die „den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen"41.
15
aa) Zahlreiche Fragen lassen sich bereits nach dieser Definition lösen. So gehören z.B. die Außenpolitik, die Verteidigungspolitik oder Maßnahmen der Globalsteuerung nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis. Die Gemeinde und ihre Organe haben kein uneingeschränktes allgemeinpolitisches Mandat42. Wohl aber kann eine einzelne Frage aus einem solchen Politikbereich ausnahmsweise in den Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hineinragen, wenn sie einen spezifischen Bezug zu einer bestimmten Gemeinde annimmt, eine einzelne Gemeinde z.B. in Durchführung eines verteidigungspolitischen Konzepts als Standort für 36
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BVerfGE 59, 216 (225 ff); ausf. Winkelmann, Das Recht der öffentlich-rechtlichen Namen und Bezeichnungen, 1984, bes. 47 ff; Bethge, Jura 1985, 44. BVerwGE 44, 351 (355) und DÖV 1980, 97 f. Dazu ausführlich Knemeyer, in: FS f. v.Unruh, 209; Stern, StR Bd. 1, § 12 II4d. BVerfGE 79, 127 (151) unter Bezugnahme auf BVerfGE 8, 122 (134); 52, 95 (120). BVerfGE 79, 127 (150). BVerfG aaO. BVerfG aaO 147; BVerwG NVwZ 1991, 682 (683); Lehnguth, DÖV 1989, 655; Schoch, JuS 1991, 728 ff.
Kommunalrecht
1. Abschn. II 2 a bb
besondere militärische Einrichtungen vorgesehen wird43. Ähnliches gilt für Städtepartnerschaften44 und — nicht zuletzt im Zuge einer stärkeren Europäisierung (Rn. 7) — für den kommunalen Jugendaustausch und die staatsgrenzenüberschreitende Zusammenarbeit im nachbarlichen Bereich45. Demgegenüber wären großangelegte Projekte der Entwicklungszusammenarbeit mit Staaten der Dritten Welt regelmäßig nicht von der Selbstverwaltungsgarantie gedeckt46. Ist eine Angelegenheit danach keine solche der örtlichen Gemeinschaft, so hat das zwei Konsequenzen: Zum einen fällt sie aus dem die Gemeinde berechtigenden Schutzgehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG heraus; der Staat kann über sie verfügen, ohne an das gemeindespezifische Aufgabenverteilungsprinzip dieser Vorschrift gebunden zu sein. Neben seiner berechtigenden Funktion wirkt Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zweitens aber auch kompetenzbeschränkend, insofern Gemeinden Materien, die eindeutig nicht Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind, nicht zum Gegenstand ihrer Aktivitäten machen können, es sei denn, der Gesetzgeber habe ihnen solche Aufgaben zusätzlich zugewiesen (Rn. 36). Man kann das als kommunalrechtliche ultra-vires-Lehre bezeichnen. bb) In manchen Bereichen ist es allerdings schwer, eine bestimmte Aufgabe nach 16 der genannten Definition den Angelegenheiten der örtlichen oder aber einer nichtörtlichen Gemeinschaft eindeutig zuzuweisen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist der Aufgabenkreis vom Zuschnitt der Gemeinden, ihrer Einwohnerzahl, flächenmäßigen Ausdehnung und Struktur abhängig. Bei manchen Aufgaben schwankt die Zuordnung zudem in der historischen Entwicklung („Wanderungsprozesse"). So wurde die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien (Strom, Gas) ursprünglich als Kommunalaufgabe verstanden, ging dann mit zunehmender technischer Zentralisierung vielfach auf regionale und überregionale Versorgungsunternehmen über und wird erst im Zusammenhang mit der Fernwärme unter dem Stichwort „örtliche Versorgungskonzepte" neuerdings wieder als Angelegenheit örtlicher Politik entdeckt47. Neben solchen Fällen von Wanderungsprozessen stehen Sachverhalte, an denen die örtliche und die überörtliche Gemeinschaft gleichermaßen interessiert und beteiligt sind („Gemengelagen"). Beispiele finden sich in der Raumplanung. Die Standorte und Trassen regional bedeutsamer Verkehrs- und Versorgungsanlagen treffen immer zugleich das Gebiet einer einzelnen Gemeinde. Ist die raumrelevante Planung solcher Einrichtungen darum eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, eines anderen Verwaltungsträgers oder ein mixtum compositum? Ähnliche Fragen ergeben sich im Umweltschutz48. 43
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BVerwG NVwZ 1991, 684 f; DVB1.1991,451 ff und DVB1.1991,494 f; VGH BW NVwZ 1984, 659 (661 f) und DÖV 1988, 476; BayVGH DVB1. 1989, 158 (160) und NVwZ-RR 1990, 211. BVerwG, NVwZ 1989, 469 und NVwZ 1991, 695; Blumenwitz, in: FS f. v.Unruh, 747; Dauster, NJW 1990, 1084; Tettinger/Pielow, NW VB1. 1989, 184. Hoppe/Beckmann, DVB1. 1986, 1; Beyerlin, Rechtsprobleme, 173 ff. Einzelheiten bei Schmidt-]ortzig, DÖV 1989, 142; Treffer, StT 1989, 3 4 1 ; Heberlein, DÖV 1990, 374 und DÖV 1991, 9 1 6 ; Meßerschmidt, DV 1990, 425. Schmidt-Aßmann, in: FS f. Fabricius, 1989, 251 ff; Tettinger, NRW VB1. 1989, 1; Löwer, Energieversorgung, 213 ff; ders., DVB1. 1991, 132 ff. Dazu Schmidt-Aßmann, NVwZ 1987, 265; Hoppe, DVB1. 1990, 609. 17
I . A b s c h n . II 2 c
Eberhard Schmidt-Aßmann
17
Dieses Abgrenzungsdilemma ist oft beschrieben worden49. Zuweilen hat es Autoren veranlaßt, eine Neukonzeption der Selbstverwaltungsgarantie jenseits des Verfassungstextes zu suchen50. Die ganz herrschende Ansicht hält jedoch an dem Tatbestandsmerkmal der „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" fest 51 . Sie orientiert sich an der Definition des Bundesverfassungsgerichts in der Art einer Faustregel und gewinnt ihre Ergebnisse materienspezifisch, indem sie prüft, ob eine Angelegenheit erstens nach überkommener Gesetzeslage und eingespielter Praxis gemeindlich oder übergemeindlich wahrgenommen worden ist, und inwiefern sie zweitens in gemeindlicher Trägerschaft eine sachangemessene, für die spezifischen Interessen der Einwohner förderliche und auch für den Bestand anderer Gemeindeaufgaben notwendige Erfüllung finden kann 52 . Unter Umständen nimmt sich auch der Gesetzgeber dieser Qualifizierungsaufgaben an; tut er es, so darf er eine verfassungsrechtlich nur begrenzt überprüfbare Typisierungs- und Einschätzungsermächtigung nutzen53.
18
b) Allzuständigkeit (Universalität): Soweit eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegt, fällt sie nach dem Garantiegehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich in den gemeindlichen Aufgabenbereich. Der Gesetzgeber kann zwar auch für solche Angelegenheiten im Rahmen seines Regelungsvorbehalts eine andere Zuständigkeit begründen; er ist dabei aber Schranken unterworfen (s. Rn. 20). Liegt keine anderweitige Zuweisung vor, so ist die Gemeinde regelungsbefugt. Dieser Grundsatz gilt auch für den Zugriff auf neue Sachaufgaben (Recht der Spontanität)54.
19
c) Eigenverantwortlichkeit: Selbstverwaltung besteht darin, daß die eigenen Angelegenheiten „in eigener Verantwortung" geregelt werden können. Eigenverantwortlichkeit heißt Freiheit von Zweckmäßigkeitsweisungen anderer Hoheitsträger, insbesondere des Staates55. Darin liegt der politische Gestaltungsspielraum der Gemeinden, ohne den die Verpflichtung zu einem eigenen, direkt gewählten Legitimationssystem (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) sinnlos wäre. Die Eigenverantwortlichkeit bezieht sich grundsätzlich auf das Ob, Wann und Wie der Aufgabenwahrnehmung; sie drückt sich in einem Ermessen im weitesten Sinne aus. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ermächtigt zu eigenverantwortlicher Regelung. Eine Festlegung der Gemeinden auf bestimmte Formen hoheitlichen Handelns ist damit nicht gemeint. Regelung heißt jede zulässige Art von Aufgabenerledigung; sie mag sich in den Formen des öffentlichen oder des privaten Rechts, direkt oder indirekt durch Einschaltung Dritter, planerisch, spontan oder routinemäßig vollziehen. Oft Roters, Mitwirkung, 25 ff; Brohm, DVB1. 1984, 283; ders., DÖV 1989, 429 ff; SchmidtJortzig, DÖV 1989, 142. 50 Burmeister, Neukonzeption, 1 ff; Roters, Mitwirkung, 5 ff; Darstellung und Kritik bei Stern, StR B d . l , § 1 2 IUI und Schmidt-]ortzig, KomR Rn. 4 9 8 - 5 0 1 ; Antikritik bei Roters, in: v. Münch, GGK Rn. 41 zu Art. 28. 5 1 Std. Rspr. des BVerfG: jüngst BVerfGE 79, 127 (152). 5 2 Ähnlich Schmidt-Jortzig, KomR Rn.466ff; ders., DÖV 1989, 142 (145 f). « BVerfGE 79, 127 (153 f). 54 Stern, in: BK Rn. 87 zu Art. 28 GG. 55 Schmidt-Jortzig, KomR Rn. 480; Erichsen, KomR NRW 329.
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Kommunalrecht
1. Abschn. II 2 d
wird sich eine effektive Regelung nicht ohne eigene rechtssatzmäßige Absicherung vollziehen lassen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG legt die Rechtsordnung deshalb darauf fest, den Gemeinden mindestens ein Rechtsinstitut zur allgemeinen Regelung (Breitensteuerung) ihrer Angelegenheiten verfügbar zu halten. Daher gehört auch die gemeindliche Rechtsetzungshoheit zum Garantiebereich (Rn. 95 ff). Nicht entbindet die Eigenverantwortlichkeit dagegen von der Beachtung der Gesetze und des Rechts. Das folgt schon aus der Gesetzesbindung der Exekutive (Art. 20 Abs. 3 GG), der alles gemeindliche Handeln verpflichtet ist. Dem korrespondiert die als Rechtmäßigkeitskontrolle wirksame Aufsicht des Staates über die Gemeinden (Rn. 41 ff). So selbstverständlich das ist, so liegen hier doch Gefahren für die gemeindliche Gestaltungsfreiheit; denn der Staat hat es weitgehend in der Hand, seine Zweckmäßigkeitsvorstellungen in Gesetzesformen zu gießen und die Gemeinden dann auf den Gesetzesvollzug festzulegen. Soll Art. 28 Abs. 2 GG durch eine zu weit getriebene Verrechtlichung nicht ausgehöhlt werden, so muß eine kommunalspezifische Fassung des Bestimmtheitsgebotes und der Gesetzestatbestandlichkeit verlangt werden56. d) Gesetzesvorbehalt: Gewährleistet ist die Selbstverwaltung „im Rahmen der 20 Gesetze". Der Vorbehalt bezieht sich auf beide Garantieelemente (Eigenverantwortlichkeit und Universalität)57. Er ist ein Vorbehalt, der den Gesetzgeber zur Ausformung des Garantiegehalts, zur Fixierung immanenter Grenzen, aber auch zu Eingriffen in verfassungsunmittelbare Garantiebereiche ermächtigt 58 . Die Einrichtung der gemeindlichen Selbstverwaltung bedarf, wie das Bundesverfassungsgericht gerade in jüngerer Zeit betont, „der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung" 59 . Das hat sich auch schon oben (Rn. 14) bei der Bestimmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gezeigt. Gesetz i. S. des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sind neben Landes- und Bundesgesetzen auch Rechtsverordnungen60 und Satzungen anderer Hoheitsträger, z. B. eines Landkreises oder eines Regionalverbandes. Verwaltungsvorschriften geben dagegen für sich keinen Bindungsrahmen; sie können insbesondere ein kommunales Ermessen nicht dirigieren61. Der Gesetzesvorbehalt kann zur Achillesferse der Garantie werden, wenn man ihm nicht seinerseits Grenzen setzt. Die dogmatischen Schwierigkeiten mit solchen Grenzen sind aus der in manchen Strukturen ähnlichen Problematik grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte bekannt. Literatur und Rechtsprechung hatten denn auch bisher die aus der Grundrechtsdogmatik bekannten Schranken einer Respektivierung des Kernbereichs und des Obermaßverbots herangezogen62. In der Rastede56 57 58
Ausführlich dazu Janssen, Grenzen, 128 ff. BVerfGE 56, 2 9 8 (312); 79, 127 (146). Ganz herrschende Meinung: BVerfGE 56, 298 (309f), 79, 127 (143); Maunz, in: Maunz/
Dürig, GG Rn. 51 f zu Art. 28; a.A.: Roters, in: v. Münch, GGK Rn.51ff zu Art. 28; 59 60 61
62
Schmidt-Jortzig, KomR R n . 4 8 6 ; auch Burmeister, Neukonzeption, 2 7 ff, 84 ff. BVerfGE 79, 127 (143). BVerfGE 26, 2 2 8 (237); 56, 2 9 8 (309). Besonderheiten gelten jedoch für nicht rechtssatzförmig festgelegte Ziele der Raumordnung i.S.d. § § 5 Abs.4 ROG, 1 Abs.4 BauGB, s.u. Krebs, 4. Abschn. R n . 9 5 ; Erbguth, DVB1. 1983, 305. BVerfGE 5 6 , 2 9 8 (312 f); Blümel, in: FS f. v.Unruh, 265 (269 ff) m.w.Nachw.
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1. Abschn. II 2 e
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Entscheidung geht das Bundesverfassungsgericht jedoch von einer solchen „Parallelisierung" grundrechtlicher und organisatorisch-institutioneller Gewährleistungsgehalte ab. Danach ist neben der Kernbereichsgarantie (aa) nun ein aus dem Sinnzusammenhang des Art. 28 Abs. 2 GG direkt zu erschließendes Aufgabenverteilungsprinzip beachtlich (bb)63. 21
aa) Die Kernbereichsgarantie (Wesensgehaltsgarantie) schützt „das Essentiale, das man aus einer Institution nicht entfernen kann, ohne daran Struktur und Typus zu ändern'"C4. Um diesen Kern zu bestimmen, wird wiederum auf die historische Entwicklung, aber auch auf das aktuelle Erscheinungsbild der Selbstverwaltung abgestellt*5. Eine exakte Abgrenzung fällt gleichwohl oft schwer, wenn es darum geht, ob eine einzelne Handlungsmöglichkeit oder gar nur eine spezifische Form ihrer Wahrnehmung zum Wesensgehalt gehört. So läßt sich zwar allgemein feststellen, daß die Bebauungsplanung nicht nur überhaupt eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, sondern sogar zum Kern des kommunalen Aufgabenbestandes zählt. Ob das aber auch für alle 26 Festsetzungsarten gilt, aus denen sich nach § 9 Abs. 1 BauGB der Bebauungsplan zusammensetzt, ist damit noch nicht gesagt. Nicht gesagt ist damit auch, inwieweit die Bebauungsplanung in einzelnen Bezügen nicht doch durch staatliche Vorgaben dirigiert werden kann. Ein gegenständlich festumrissener Aufgabenkatalog ist der Kernbereich nicht66. Nur in seltenen Fällen besonders krasser oder rabiater Eingriffe des Gesetzgebers wird der Wesensgehalt daher als absolute Sperre wirksam werden.
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bb) Gemeindespezifisches materielles Aufgabenverteilungsprinzip: Es setzt dem Gesetzgeber insofern Schranken, als er Angelegenheiten mit örtlich relevantem Charakter, die Regel-Ausnahme-Systematik des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG respektivierend, den Gemeinden nur aus Gründen des Gemeininteresses entziehen und einem anderen Träger nur zuweisen darf, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre67. Verwaltungspraktische Gründe oder allgemeine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen reichen dazu nicht. Die die gesetzliche Entscheidung tragenden Gründe müssen das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip überwiegen. Diese zweite Schranke des Gesetzgebers im Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist also in der Art eines „WechselwirkungsKonzepts" zu entfalten, das dem Gesetzgeber eine erhebliche Darlegungslast aufbürdet, wenn er von der Regelzuweisung der Verfassung abweichen will. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die gesetzgeberische Entscheidung im Streitfall nicht nur auf ihre Willkürfreiheit, sondern auf ihre Vertretbar keitts.
23
e) Sog. Gemeindehoheiten: Der Verdeutlichung des verfassungsgemäßen Aufgabenkreises dienen mehrere eingeführte Begriffe, die man als „Gemeindehoheiten" " 64 65 66 67
68
20
BVerfGE 79, 127 (146, 149); dazu Schock, VerwArch. 1990 (Bd. 81), 18 (28). Stern, StR Bd. 1, § 12 II14b, 416. Std. Rspr. des BVerfG, BVerfGE 38, 258 (278 f); 76, 107 (118); 79, 127 (146). BVerfGE 79, 127 (146). BVerfGE 79, 127 (154); Schmidt-Aßmann, FS-Sendler, 1991, 121 (135 ff). Zum umgekehrten Fall gesetzlicher Aufgabenzuweisung vgl. Petz, DÖV 1991, 320 ff. BVerfG aaO; krit. Schoch (Fn. 63), 38.
Kommunalrecht
1. Abschn. II 2 e
bezeichnen kann 69 . Genauer betrachtet handelt es sich nicht um isolierte oder ausschließliche Gemeindekompetenzen und schon gar nicht um eindeutige Fixierungen von Wesensgehaltselementen. Die Begriffe bündeln vielmehr eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, ohne für sie alle eine isolierte eigenverantwortliche kommunale Entscheidungsbefugnis verfassungsfest zu postulieren. Die Rechtsnatur dieser „Hoheiten" läßt sich durch zwei allgemeine Aussagen umschreiben: Jede dieser Hoheiten ist in ihrem Grundgedanken (nicht in allen Einzelausprägungen) für die Selbstverwaltungsgarantie unverzichtbar; denn sie beziehen sich auf elementare Handlungssektoren (insbes. Raum, Personal, Finanzen). Keine dieser Hoheiten besteht aber ohne gesetzliche Rahmenvorgaben und staatliche Einschränkungen. So bezeichnen sie eher einen eingespielten, sich freilich auch ständig wandelnden Dogmenbestand, der das von der herrschenden Anschauung für Rechtens erachtete Zusammenspiel von Staat und Gemeinde wiedergibt. — allgemeine Planungshoheit: Sie bezeichnet die Befugnis, die eigenen Angelegenheiten nicht nur von Fall zu Fall zu erledigen, sondern aufgrund von Analyse und Prognose erkennbarer Entwicklungen ein Konzept zu erarbeiten, das den einzelnen Verwaltungsvorgängen Rahmen und Ziel weist70. Da Planung, genau betrachtet, keine zusätzliche Sachaufgabe, sondern eine Methode der Aufgabenerledigung ist, folgt die Planungskompetenz grundsätzlich der Sachkompetenz. Die Gemeinden besitzen also, insofern nichts anderes bestimmt ist, für ihre Angelegenheiten auch die Planungshoheit. Ergebnisse ihrer planerischen Tätigkeit sind Organisations- und Geschäftsverteilungspläne, Infrastrukturpläne (z.B. Kindergärten-, Altersheim-, Sportstättenbedarfspläne). Für die Planung der wichtigen Ressourcen Raum und Finanzen gelten Besonderheiten (vgl. Raumplanungshoheit, Finanzhoheit). In jüngerer Zeit wird dieser Bereich allgemeiner planerischer Entfaltungsmöglichkeiten gern als „Selbstgestaltungsrecht" der Gemeinden bezeichnet71. Über die Bindungskraft solcher Pläne gegenüber anderen Hoheitsträgern oder privaten Dritten ist damit noch nichts gesagt. — Raumplanungshoheit ist ein Sonderfall der allgemeinen Planungshoheit72. Sie umfaßt die Befugnis, für das eigene Gebiet die Grundlagen der Bodennutzung festzulegen. Entsprechend dem hohen Grad gesetzlicher Fixierung des gesamten öffentlichen Raumplanungssystems bestehen für die gemeindliche Raumplanungshoheit zahlreiche Vorschriften des einfachen Rechts, die den Begriff der örtlichen Angelegenheiten verdeutlichen, konkretisieren und abgrenzen. Ausdrucksformen der kommunalen Raumplanungshoheit sind der Bebauungsplan (§ 9 BauGB) und der gesamtgemeindliche Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB)73. 69
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73
Dazu Stern, StR Bd. 1, § 12 JI4d; Tettinger, BesVerwR Rn.26; Wolff/BachoflStober, VwR II § 8 6 Rn. 51 ff. Zur Planung allgemein vgl. Erichsen, in: Erichsen/Martens, AllgVwR §§21—23. Langer, VerwArch. 1989 (Bd. 80), 352, 378 m.w.Nachw. BVerfGE 56, 298 (310 ff) und 7 6 , 1 0 7 (118); BVerwGE 81, 95 und 111; Schmidt-Aßmann, VerwArch. 1980 (Bd. 71), 117; Steinberg, DVB1. 1982, 13; Hoppe, in: FS f. v.Unruh, 555; Widera, Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung kommunaler Planungshoheit, 1985; Langer, VerwArch. 1990 (80) 352; Brohm, DÖV 1989, 429; BayVerfGH NVwZ 1987, 1069; BVerfGE 76, 107 (117ff). S. u. Einzeldarstellung bei Krebs, 4. Abschn. Rn. 16 ff. 21
1. Abschn. II 3
Eberhard Schmidt-Aßmann
— Personalhoheit74 könnte man in einem weiten Sinne als Befugnis definieren, sowohl über die allgemeinen Fragen des eigenen Personalwesens (Stellenplanung, Einstellungs- und Beförderungsvoraussetzungen, Besoldungs- und Vergütungsmaßstäbe) als auch über die konkreten Maßnahmen der Personaleinstellung, der Beförderung und des Personaleinsatzes nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wird traditionell nur ein Ausschnitt aus diesem Kreis personalrelevanter Maßnahmen gerechnet. Er betrifft im wesentlichen nur Einzelentscheidungen, „vornehmlich die Befugnis, das Personal, insbesondere die Gemeindebeamten auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen"75. Die allgemeinen Entscheidungen, z. B. des Laufbahn- und Besoldungswesens, werden seit langem von überörtlichen Instanzen getroffen. — Organisationshoheit: Sie ist die Befugnis, den Aufbau und das Zusammenspiel der eigenen Beschluß- und Vollzugsorgane, gemeindeinterner räumlicher Untergliederungen, gemeindeeigener Einrichtungen und Betriebe sowie deren Geschäftsgang zu regeln76. Die Gemeinden haben hier traditionell einen breiten Entfaltungsspielraum, den sie z. B. mit ihrer Hauptsatzung und ihren Anstaltsordnungen ausfüllen. Gesetzliche Grenzen bringen vor allem das Kommunalverfassungsrecht (Rn. 50 ff) und das Gemeindewirtschaftsrecht (Rn. 118 ff). — Rechtsetzungshoheit: Sie ist um einer effektiven eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung willen notwendig. Ausgeübt wird sie vor allem durch den Erlaß von Satzungen (Rn. 93 ff). — Finanzhoheit77: Sie „gewährt den Gemeinden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens"78. Dazu gehört als Basis auch das Recht auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung79. Seit je gab es in diesem Sektor freilich zahlreiche staatliche Eingriffsbefugnisse (vgl. zu weiteren Finanzgarantien Rn. 27, 31 und 127 ff). 3. Subjektive Rechtsstellungsgarantie 24
Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährt den Gemeinden kein Grundrecht80. Nach dem Verständnis unserer Verfassung sind die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus. Damit ist zwischen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und die bürgerlichen Grundrechtsgewährleistungen eine klare Zäsur gelegt. Andererseits beläßt es Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Gemeinden nicht beim objektiven Konstitutionsprin74
75 76
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78 79
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22
Lecheler, in: FS f. v. Unruh, 541; Schmidt-Aßmann, in: FS f. Ule, 1977, 461; BVerwG NVwZ 1985, 415f. Zur Personalhoheit des Dienstherrn allgemein s.u. Kunig, 6.Abschn. Rn. 29 ff., 127 ff. Stern, HkWP Bd. 1, 214 mit Nachw. der Rspr. in Fn. 67. Dazu Pagenkopf, KomR Bd. 1, 68 ff; allgemein Schmidt-]ortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, 26 ff. Grawert, in: FS f. v.Unruh, 587; VerfGH NRW DVB1. 1983, 714 ff; BayVerfGH DÖV 1989, 306. Zu Konzessionsabgaben BVerwG DÖV 1991, 289 f. BVerfGE 26, 228 (244). Kirchhof, HkWP Bd. 6, lff; offengelassen in BVerfGE 81, 25 (36); Henneke, Jura 1986, 568; VerfGH NRW NJW 1985, 2321; Meis, Beziehungen, 20 ff. So die h. M.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG Rn. 56 zu Art. 28.
1. Abschn. II 4 b
Kommunalrecht
zip, sondern gewährt eine subjektive Rechtsstellung81. Die einzelne Gemeinde kann vom Garantieverpflichteten die Einhaltung der Gewährleistung verlangen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wird folglich von einer Reihe von Unterlassungs-, Beseitigungs-, Teilhabe- und gegebenenfalls auch Leistungsansprüchen begleitet. Dazu zählt auch ein Anspruch auf Gerichtsschutz, der unmittelbar aus der materiellen Garantienorm des Art. 28 Abs. 2 GG folgt. Ob sich die Gemeinden außerdem auf Art. 19 Abs. 4 GG stützen können, ist streitig82. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben; jedenfalls auf der Ebene des derzeit geltenden einfachgesetzlichen Prozeßrechts werden die aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden subjektiven Rechte der Gemeinden mit den subjektiven Rechten der Bürger gleich behandelt (§§40, 42 Abs. 2 VwGO). Ergänzt wird der gemeindliche Rechtsschutz durch die kommunale Verfassungsbeschwerde83 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, §91 BVerfGG). Das Institut dient der Verteidigung speziell der Rechte aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG 84 gegen Verletzungen durch Gesetze. Gesetze i. S. dieser Vorschriften sind auch Rechtssätze unterhalb des förmlichen Gesetzes85. Bei der Verletzung durch ein Landesgesetz ist die Subsidiaritätsklausel zugunsten der Landesverfassungsgerichte zu beachten (Rn. 31). 4. Erstreckungsgarantien Zum Gehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gehören schließlich einige Grundsätze, die sich zwar nicht unmittelbar aus dem Verfassungstext ergeben, aber notwendig Ergänzungen und Erstreckungen darstellen. a) Hierher zählt zum einen der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhal- 25 tensS6. Es handelt sich um eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht anderer Hoheitsträger auf gemeindliche Belange. Bei der weitreichenden gesetzlichen Durchnormierung der gemeindlichen Rechtsstellung ist dieser Grundsatz auf wenige Fälle der Lückenfüllung beschränkt. Keinesfalls unterbindet er „harte" Entscheidungen, die nach dem Gesetz gegenüber den Gemeinden getroffen werden müssen. Zu vermeiden sind nur unnötige Belastungen und Nebenfolgen. Bei der generalklauselartigen Unbestimmtheit dieses Grundsatzes verschwimmen die Grenzen zwischen Rechtsund Stilfragen; im Umgang mit ihm ist daher Vorsicht geboten. b) Als eine Erstreckungsgarantie wird man auch jene Fälle zu behandeln haben, 26 in denen den Gemeinden ein verfassungsunmittelbares Mitwirkungsrecht an staatlichen Planungen zuerkannt worden ist87. Teilweise handelt es sich bei diesen Pagenkopf, KomR Bd. 1, 59 m. w.Nachw. Nachw. bei Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG Rn. 43 zu Art. 19 IV. 83 Burmeister, JA 1980, 17 ff; Sachs, BayVBl. 1982, 37 ff. 84 Stern, StR Bd. 1, § 1 2 II 8 a; zum sog. „Rügepotential" der kommunalen Verfassungsbeschwerde Blümel, in: FS f. v. Unruh, 265 (297 f). 85 BVerfGE 71, 25 (34); 76, 107 (114); Erichsen, KomR NRW 339 ff; ob auch Gewohnheitsrecht und Richterrecht dazu gehören, bleibt in BVerfG NVwZ 1987, 123 offen. 86 Macher, Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens, 1971; Stern, StR Bd. 1, § 12 115 m.w.Nachw. 87 Schmidt-Aßmann, AöR 1976 (Bd. 101), 520; Hoppe, in: FS f. v.Unruh, 555 (573). 81
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1. A b s c h n . III 1 a
Planungen um originäre örtliche Angelegenheiten, die durch Gesetz ausnahmsweise einem anderen Verwaltungsträger zur Entscheidung übertragen worden sind; hier folgt das gemeindliche Mitwirkungsrecht aus dem Gedanken der Kompensation88. Teilweise handelt es sich aber auch um Planungen von überörtlicher Substanz, die jedoch wegen erheblicher Auswirkungen auf die einzelne Gemeinde zu einem Mitwirkungsrecht — regelmäßig in der Form des Anhörungsrechts — führen 89 .
Spezialliteratur R.Bauer, Zur Verwaltungsstruktur der Deutschen Demokratischen Republik, BayVBl. 1990, 263; W.Berg, Grundfragen kommunaler Kompetenzen, BayVB1.1990, 33; U.Beyerlin, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 1988; P. Blair, Die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung in den europäischen Staaten, DÖV 1988, 1002; J. Burmeister, Die kommunale Verfassungsbeschwerde im System der verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten, JA 1980, 17; Th. Clemens, Kommunale Selbstverwaltung und institutionelle Garantie, NVwZ 1990, 834; M.Dauster, Kommunale Deutschlandpolitik?, NJW 1990, 1084; W. Erbguth, Zu Rechtsfragen regionaler Energieversorgungskonzepte, DVB1.1983, 305; D.Frers, Zum Verhältnis zwischen Gemeinde und Gemeindeverband nach Art. 28 II GG, DVB1.1989, 449; H. Heberlein, Kommunale Zusammenarbeit mit Gemeinden und Kreisen in der DDR, BayVBl. 1990, 268; ders., Rechtsprobleme kommunaler Entwicklungshilfe, DÖV 1990, 37; H.-G. Henneke, Das Gemeindefinanzierungssystem, Jura 1986, 568; R.Hinkel, Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung, NVwZ 1985, 225; W. Hoppe, Umweltschutz in den Gemeinden, DVB1.1990, 609; A.Janssen, Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, 1990; S. Langer, Gemeindliches Selbstgestaltungsrecht und überörtliche Raumplanung, VerwArch. 1989 (Bd. 80), 352; G. Lehnguth, Allgemeinpolitische Erklärungen und Beschlüsse von Gemeinden, DÖV 1989, 655; W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989; C. Meis, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Bund und Gemeinden, 1989; W. Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen, 1975; M.Sachs, Die kommunale Verfassungsbeschwerde im System der verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten, BayVBl. 1982, 37; B.Schlüter, Das Gemeinderecht in der neuen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg, VB1BW 1987, 54; E. Schmidt-Aßmann, Der Umweltschutz im Spannungsfeld zwischen Staat und Selbstverwaltung, NVwZ 1987, 265; E.Schmidt-Jortzig, Gemeindliche Selbstverwaltung und Entwicklungszusammenarbeit, DÖV 1989, 142; R. Steinberg, Verwaltungsgerichtlicher Schutz der kommunalen Planungshoheit gegenüber höherstufigen Planungsentscheidungen, DVB1.1982, 13; G. Treffer, Rechtliche Aspekte der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit, StT 1989, 341; G.Ch. v.Unruh, Demokratie und kommunale Selbstverwaltung, DÖV 1986, 217; B. Widera, Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung kommunaler Planungshoheit, 1985.
III. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden 1. Gewährleistungen im Grundgesetz 27
a) partielle Finanzgarantien: Unter den Bestimmungen des Grundgesetzes, die die Stellung der Gemeinden im Staat weiter absichern, haben einige finanzverfas88 Blümel, WDStRL 36 (1977), 171 (245 ff). 89 BVerwGE 51, 6 (13 f); std. Rspr., jüngst BVerwGE 81, 95 (106). 24
Kommunalrecht
1. Abschn. II 1 b aa
sungsrechtliche Vorschriften einen wichtigen Rang90. Hierher gehören vor allem die Realsteuergarantie (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 1 GG), die Ertragshoheit der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 2 GG), die Beteiligung der Gemeinden am Aufkommen der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 5 GG) und die Aussicht auf einen Prozentsatz am Länderanteil des Aufkommens der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 7 GG). Diese Vorschriften ergänzen die schon in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG angelegte kommunale Finanzhoheit (Rn. 23), indem sie ihr Teile ihres realen Substrats liefern (Rn. 127 ff)91. b) Grundrechte: Umstritten ist, inwieweit sich Gemeinden außer auf ihre speziel- 28 len Gewährleistungen auch auf Grundrechte92 berufen können. Systematisch gehört dieses Problem in den Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG 93 , demzufolge die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die kaum noch überschaubare Literatur94 zu diesem Thema vermittelt zuweilen den Eindruck, für manchen sei die rechtsstaatliche Welt nur dann in Ordnung, wenn möglichst alle grundgesetzlichen Freiheitssicherungen möglichst gleichmäßig auf möglichst alle nur denkbaren Schutzsituationen verteilt sind. Daß damit die differenzierten Garantien und Sicherungsmechanismen nivelliert und um ihre spezifische Wirkung gebracht würden, wird dabei zu wenig beachtet95. Jedenfalls für die Gemeinden als universelle Verwaltungsträger des örtlichen Bereichs muß die grundrechtliche Hauptsicherungslinie doch wohl eindeutig zwischen verwaltender Kommune und verwaltetem Bürger und nicht zwischen verwaltender Kommune und verwaltendem Staat verlaufen. Im einzelnen sind zu trennen: aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung: Soweit die Gemeinden öffentliche 29 Aufgaben (Selbstverwaltungs- oder Fremdaufgaben) — in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form — wahrnehmen, versagte ihnen die herrschende Ansicht96 schon bisher die Grundrechtsfähigkeit. In diesem Bereich ist weder eine „grundrechtstypische" eigene Gefährdungslage der Gemeinden gegeben, noch ist ihr Handeln dem Lebensbereich ihrer Bürger so unmittelbar zugeordnet, daß ihnen daraus in der Art eines „Durchgriffs" grundrechtliche Substanz zuwachsen kann97. 90 91
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97
Systematisch Stern, StR Bd. 1, § 12 117. Sie sind daher auch nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG rügefähig; aber Str.: Nachweise bei Stern, StR Bd. 1, § 12 II 8; differenzierend BVerfGE 71, 25 (37f). Für Justizgrundrechte BVerfGE 61, 82 (104, 109). Nicht jedoch in den des Art. 28 Abs. 2 GG. Nachweise bei v. Mutius, in: BK Rn. 78 ff zu Art. 19 Abs. 3 GG; Stern, StR Bd. 3, § 71, III 4, VII6; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG, 1985, 25 ff; Broß, VerwArch. 1986 (Bd. 77), 65. Zutreffend Burmeister, Neukonzeption, 1 ff. Stern, in: BK Rn. 70 zu Art. 28 GG; v. Mutius, in: BK Rn. 133 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Dürig, in: MaunzlDürig, GG Rn.48 zu Art. 19 Abs. 3; Bethge, AöR 1979 (Bd. 104), 265 ( 2 7 7 - 2 7 9 ) ; BGHZ 63, 196 ff. BVerfGE 45, 63 (78 f); ebenso für die als Anstalten öffentlichen Rechts organisierten Sparkassen BVerfGE 75, 192 (200). 25
1. A b s c h n . II 2
Eberhard Schmidt-Aßmann
Das gilt selbst dann, wenn es sich um ein gemeindeeigenes Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt, z. B. ein als Aktiengesellschaft betriebenes Wasserversorgungsunternehmen 98 . 30
bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit: Für diese Bereiche wurde in der Literatur bisher ein Grundrechtsschutz, z. B. der Art. 12 und 14 GG, überwiegend für möglich gehalten". Dem ist das Bundesverfassungsgericht jedoch im Sasbach-Beschluß 100 entgegengetreten: Die Rechtsordnung billige den Gemeinden zwar die Möglichkeit zu, privatrechtliches Eigentum innezuhaben, das besage jedoch nicht, daß dieses auch grundrechtsgeschützt sein müsse; vielmehr fehle es auch hier an einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage". Das Gericht weist dazu auf zahlreiche Vorrechte („Fiskusprivilegien") hin, die das Eigentum öffentlich-rechtlicher Körperschaften genießt. „Auch die mannigfachen Einflußmöglichkeiten über staatsinterne Wege schließen jedenfalls eine Vergleichbarkeit mit der ,Abhängigkeit' des Bürgers, die materielle Grundrechtsverbürgungen besonders dringend macht, aus" 1 0 1 . Dem ist im Ergebnis zuzustimmen 102 . Allerdings werden neue Abgrenzungsfragen aufgeworfen. Können Gemeinden sich künftig wenn nicht mehr auf Grundrechte, so doch auf grundrechtskonkretisierende Normen des einfachen Rechts berufen? Das wird man auch nach dem Sasbach-Beschluß bejahen müssen 103 .
2. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen 31
Keine gesonderte Behandlung erfahren hier die Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen 104 . Die meisten von ihnen sind zwar „gesprächiger" als Art. 28 BVerfGE 45, 63 ff; zur Frage, inwieweit Unternehmen privater Rechtsform, an denen neben Gemeinden auch Private beteiligt sind (gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen), Grundrechtsfähigkeit zukommt; Schmidt-Aßmann, in: FS f. Niederländer, 1991, 3 8 3 ; Zimmermann, JuS 1991, 2 9 4 ff. 99 v. Mutius, in: BK Rn. 103 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Pagenkopf, KomR Bd. 1, 3 2 f; Stern, in: BK Rn. 71 zu Art. 28 GG; W. Weber, Staats- und Selbstverwaltung, 3 7 ; a. M. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG Rn. 48 zu Art. 19, Abs. 3 GG; Bethge, AöR 1979 (Bd. 104), 265, 2 9 7 ff. 1 0 ° BVerfGE 61, 82 (105 f); vgl. aber auch 70, 1 (20). 101 BVerfGE 61, 82 (106) mit Verweis auf Dürig, in: Maunz/Dürig, GG R n . 4 6 zu Art. 19 Abs. 3; ebenso BVerwG NVwZ 1989, 2 4 7 (249). 1 0 2 Ebenso Ronellenfitsch, JuS 1983, 5 9 4 (589); Papier, in: Maunz/Dürig, GG Rn. 192 ff zu Art. 14; kritisch: Mögele, NJW 1983, 805. Für die LV Bay. die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden bejahend BayVerfGH NVwZ 1985, 2 6 0 ; dazu Bambey, NVwZ 1985, 2 4 8 ff; Bethge, NVwZ 1985, 4 0 2 . 103 Bambey, DVB1. 1983, 9 3 6 ff (938); vgl. auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG R n . 1 9 8 zu Art. 14 GG; OVG Lüneburg DVB1. 1984, 895 ff und NVwZ 1987, 9 9 9 (1001); VGH Kassel, NVwZ 1987, 9 8 7 (999). 1 0 4 Art. 69, 71 - 7 6 LV BW; Art. 9 - 1 2 und 83 LV Bay.; Art. 137 und 138 LV Hess.; Art. 4 4 , 45 LV Nds.; Art. 78, 79 LV N W ; Art. 49, 5 0 LV Rh.-Pf.; Art. 1 1 7 - 1 2 3 LV Saarl.; Art. 4 6 - 4 9 LV Schl.-H. 98
26
1. Abschn. IV
Kommunalrecht
Abs. 2 S. 1 GG 1 0 5 ; doch ist durch die breite Entfaltung, die die Garantie der Bundesverfassung in Rechtsprechung und Lehre erfahren hat, eine weitgehende „Standardisierung" erfolgt 106 . (Den Bearbeiter eines juristischen Falles, in dem eine Landesverfassungsgarantie einschlägig ist, entbindet das freilich nicht von der exakten Auseinandersetzung mit dem Verfassungstext!). Eigenständige Garantieerweiterungen finden sich vor allem für die Finanzhoheit 107 . Die Garantien der Landesverfassungen und des Grundgesetzes bestehen nebeneinander 108 : Landesgesetzgebung und Landesexekutive haben beide Garantien zu beachten, während Bundesrecht nur an Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gebunden ist. Dem Bund ist in Art. 28 Abs. 3 GG zudem zu gewährleisten aufgegeben, daß die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des Art. 28 Abs. 2 GG entspricht; ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch der Gemeinden auf ein bestimmtes Handeln des Bundes folgt daraus m. E. nicht 109 . Besonderes Gewicht erlangen die Landesgarantien wegen der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG durch eigenständige kommunale Rechtsschutzgarantien vor den Landesverfassungsgerichten 110 .
IV. Gemeinden und Staatsaufsicht Die gemeindliche Verwaltung untersteht der Aufsicht des Staates. Die Staatsauf- 32 sieht111 wird in gewissen Bereichen als eine auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkte Rechtsaufsicht (2), in anderen Bereichen als eine auch die Zweckmäßigkeit umgreifende Fachaufsicht (3) wirksam. Um die Grundgedanken des Aufsichtswesens zu verstehen, sollte man zunächst den Bestand der von den Gemeinden
105
Art. 83 der BayLV und § 2 Abs. 2 KVG beschreiben den gemeindlichen Wirkungskreis durch eine Auflistung; mehr als behutsam verwendbares Argumentationsmaterial wird damit jedoch nicht geboten, denn weder sind die Aufzählungen erschöpfend gemeint, noch könnte sich eine landesrechtliche Konkretisierung gegenüber abweichendem Bundesrecht durchsetzen; zu § 2 Abs. 2 KVG in diesem Sinne Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1990, 848 (849).
106
Roters, in: v. Münch, GGK Rn. 32 zu Art. 28.
107
Zur Verfassungsdirektive des Art. 78 Abs. 3 LV N R W (Kostenausgleich für neue Aufgabenzuweisungen) VerfGH N R W NVwZ 1985, 8 2 0 ff und DÖV 1989, 3 1 0 , auch OVG Münster, NVwZ 1988, 77 ff. Ferner Art. 71 Abs. 3, Art. 73 LV BW; Art. 83 Abs. 3 LV Bay.; Art. 137 LV Hess.; Art. 4 5 LV Nds.; Art. 4 9 Abs. 5 LV Rh.-Pf.; Art. 41, 4 2 LV Schl.-H. Zur örtlichen Raumplanung als Bestandteil der Selbstverwaltungsgarantie gem. Art. 11 Abs. 2 LV Bay. vgl. BayVerfGH NVwZ 1987, 1 0 6 9 f.
108
Stern, StR Bd. 1, § 12 116.
10 »
Anders Stern, StR Bd. 1, § 12 116. Art. 76 LV BW i . V . m . § 5 4 StGHG BW; Art. 130 Abs. 1, 4 9 LV Rh.-Pf.; Art. 123 LV Saarl. i. V. m. § 4 9 VerfGHG Saarl.; ferner § 52 VGHG NW. Vgl. dazu Hoppe, in: Starckl Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Bd. 2, 1983, 2 5 7 ff. Knemeyer, HkWP B d . l , 2 6 5 ; Rudolf, in: Erichsen/Martens, AllgVwR, § 5 6 IV3; Erich-
110
111
sen, DVB1. 1985, 943 ff; Schröder, JuS 1986, 371 ff.
27
1. Abschn. IV 1 a bb
Eberhard Schmidt-Aßmann
wahrgenommenen Aufgaben betrachten112 (1). Das Aufsichtssystem ist aufgabenorientiert.
1. Aufgaben der Gemeinden 33
Eine rechtlich aussagekräftige Gliederung des Aufgabenbestandes wird dadurch erschwert, daß die Gemeindeordnungen der Länder in den Begriffen und im Grundkonzept voneinander abweichen; zudem arbeiten die beiden wichtigsten Gliederungsmodelle — das dualistische (a) und das monistische (b) — mit Trennlinien, die mit den Hauptbegriffen der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie zwar vereinbar, nicht aber vollständig harmonisiert sind.
34
a) Aufgabendualismus: Das dualistische Modell folgt der überkommenen Aufteilung der öffentlichen Aufgaben nach ihrer Substanz und trennt danach Selbstverwaltungsaufgaben und Staatsaufgaben. Für die Gemeinden bilden die Selbstverwaltungsaufgaben den eigenen Wirkungskreis, während Staatsaufgaben auf sie nur im Wege gesetzlicher Übertragung i. d. R. als Auftragsangelegenheiten überkommen113.
35
aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten: Zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zählen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sofern solche nicht ausnahmsweise durch Gesetz einem anderen Träger überwiesen sind. Dieser Kreis wird bereits durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG konstituiert; er kann sich aber erweitern, insofern durch einfache Gesetze den Gemeinden auch solche Aufgaben zugewiesen werden können, die an sich nicht eindeutig solche der örtlichen Gemeinschaft sind oder bei denen eine örtlich-überörtliche Substanzenmischung vorliegt (Rn. 22). Jedenfalls macht dieser gesamte Bereich den festen eigenen Aufgabenkreis der Gemeinden aus, der nur durch Gesetz geändert werden kann. Staat und Gemeinden stehen sich hier im Außenrechtsverhältnis gegenüber, dessen typische Schutzinstrumente (Gesetzesvorbehalt; Verfahren, Gerichtsschutz) den Gemeinden zugute kommen. Rechte aus dem eigenen Wirkungskreis sind Rechte i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO. Dem Staat fehlt die Befugnis zu Zweckmäßigkeitsweisungen. Innerhalb dieses Bereichs unterscheiden die Gemeindeordnungen regelmäßig zwischen freien Selbstverwaltungsaufgaben (z.B. Bau von Sportstätten, Museen), bei denen die Gemeinden allein entscheiden können, ob sie diese Aufgabe überhaupt in Angriff nehmen und wie sie sie durchführen wollen, und Pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, bei denen das Ob der Aufgabenwahrnehmung gesetzlich festgelegt ist (z. B. Bauleitplanung, Baulandumlegung, z.T. Schulbau).
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bb) Auftragsangelegenheiten: Den übertragenen Wirkungskreis machen die Auftragsangelegenheiten aus. Bei ihnen fallen Aufgabensubstanz und Aufgabenwahrnehmung auseinander. Die Aufgabensubstanz ist und bleibt staatlich114. Das Gesetz 112 113
114
28
Dazu Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 9 ff; Maurer, AllgVwR, § 23 Rn. 12 ff. Art. 7 GO Bay.; § 4 GO Nds.; § 2 Abs. 1 GO Rh.-Pf.; § 5 KSVG Saarl.; §§ 2, 3 KVG. Vgl. Ipsen, NdsKomR 72 ff; Knemeyer, BayKomR Rn. 122 f. BVerwGE 19, 121 (123); vgl. auch BVerwG NVwZ 1983, 610 (611).
Kommunalrecht
1. Abschn. IV 1 b bb
überträgt den Gemeinden nur die Ausführung. Damit verbunden ist ein staatliches Weisungsrecht, das — wenn es nicht ausdrücklich begrenzt ist — als unbegrenztes existiert. b) Aufgabenmonismus: Das monistische Gliederungsschema, das auf den sog. 37 Weinheimer Entwurf 115 zurückgeht, möchte, statt zwischen staatlichen und gemeindeeigenen Aufgaben zu trennen, von einem einheitlichen Begriff der öffentlichen Aufgaben ausgehen. Die Erfüllung aller dieser Aufgaben soll im Gemeindegebiet grundsätzlich allein und in eigener Verantwortung den Gemeinden obliegen, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen116. Freilich ist damit das Problem des Staatseinflusses noch nicht gelöst. ija) interne Gliederung: Auch das monistische Modell kommt nicht ohne interne 38 Anerkennung einer Aufgabentrias aus: freie Aufgaben, Pflichtaufgaben und Weisungsaufgaben, d. h. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gemäß einem gesetzlich festgelegten staatlichen Weisungsrecht. Das Weisungsrecht wird in der Gesetzespraxis für das einzelne Aufgabengebiet teils als beschränktes 117 , teils als unbeschränktes118 eingeräumt. Pflichtaufgaben nach Weisung sind die ordnungsbehördlichen Aufgaben der Gemeinden und ihre Tätigkeit als untere Verwaltungsbehörden 119 . Während sich die freien und die Pflichtaufgaben, transponiert man sie auf das dualistische Schema, einigermaßen unproblematisch als solche des „eigenen Wirkungskreises" wiederfinden, besteht über eine vergleichbare Zuordnung der Weisungsaufgaben seit langem Streit 120 : Sind sie die alten Auftragsangelegenheiten unter „neuem Etikett", sind sie den Auftragsangelegenheiten wenigstens insoweit verwandt, daß man beide unter dem Oberbegriff der „Fremdverwaltung" 121 im wesentlichen gleichbehandeln kann, sind sie im Gegenteil echte Selbstverwaltungsaufgaben oder aber ein Mischgebilde mit je gesondert zu ermittelnden Konsequenzen? bb) Weisungsaufgaben als Mischform: Keine der beiden eindeutigen Zuordnun- 39 gen entspricht dem Aufgabenzuschnitt: Das Weisungsrecht paßt nicht zur Selbstverwaltungsaufgabe; die Begrenztheit dieses Rechts wiederum steht einer Einstufung als Auftragsangelegenheit entgegen. Überhaupt ist die gesetzliche Ausgestaltung, die die Weisungsaufgaben im Recht der einzelnen Bundesländer gefunden haben, zu unterschiedlich, um die typischen, mit der dualistischen Einstufung geklärten Probleme auch hier einheitlich lösen zu können — und nur das ist ja der Sinn des Qualifikationsstreits. Weisungsaufgaben sind auf dem Hintergrund eines dualistischen Schemas eine Zwischenform, für die die dogmatischen Konsequenzen nur 115
116 117 118
Entwurf einer G O für die Länder der Bundesrepublik Deutschland, erarbeitet von den Landesinnenministern und den kommunalen Spitzenverbänden 1948 in Weinheim. § 2 Abs. 1 G O B W ; § 4 GO Hess.; § 3 Abs. 2 G O N R W ; § 3 Abs. 1 GO Schl.-H. Z . B . § 9 Abs.2 O B G N R W . § 51 PolG B W ; § 2 5 LVG BW.
119
Friauf, 2. Abschn. Rn. 162.
120
Zum Streitstand Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 2 0 m.w.Nachw.; Maurer, AllgVwR, § 2 3 R n . 1 6 ; Erichsen, KomR N R W , § 59 f; Dehmel, Wirkungskreis, 9 1 - 1 0 0 . Schmidt-Jortzig, KomR R n . 5 4 1 , im Anschluß an WolfflBacboflStober, VwR II, § 86 X .
121
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1. Abschn. IV 1 c
Eberhard Schmidt-Aßmann
nach genauerer Analyse der Gesetzeslage gefunden werden können122. Dabei mögen zunächst zwei Aussagen hilfreich sein, selbst wenn sie nur Faustregeln sind: — Wie Auftragsangelegenheiten sind Weisungsaufgaben dann zu behandeln, wenn es sich um Ländervollzug im Auftrage des Bundes nach Art. 85 GG 123 , um Fälle des Art. 84 Abs. 5 GG oder um Bereiche handelt, in denen das Gesetz den Staatsbehörden ein unbeschränktes Weisungsrecht zuerkennt. — In Bereichen dagegen, in denen das Weisungsrecht beschränkt ist, stehen die Weisungsaufgaben den Selbstverwaltungsangelegenheiten näher; denn hier wächst den Gemeinden sozusagen außerhalb der Tatbestandsmerkmale des Weisungsrechts ein eigener Rechtskreis zu. Von diesen Faustregeln unabhängig werden die Weisungsaufgaben in der Spezialfrage der zuständigen Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 VwGO) einheitlich als Auftragsangelegenheiten behandelt. Den Widerspruchsbescheid erläßt nicht die Gemeinde, sondern die nächsthöhere Behörde124. Ebenfalls unabhängig von den genannten Faustregeln können Weisungen grundsätzlich nicht auf die Handlungsformen des Außenrechts (Verwaltungsakt, Rechtsverordnung) festgelegt werden. Schon der Begriff „Weisung" steht dem entgegen. Vor allem aber passen die Institute der Verwaltungsverfahrensgesetze (Anhörungs-, Beratungs-, Begründungszwang), die mit der Qualifikation als Verwaltungsakt automatisch ins Spiel kämen, für das Verhältnis der Gemeinde zum Staat in Weisungsmaterien nicht. Die Frage, inwieweit Gemeinden gegen staatliche Weisungen um Gerichtsschutz nachsuchen können, ist damit noch nicht negativ entschieden, denn die Rechtswegeröffnung hängt heute anders als früher nicht mehr davon ab, daß die angegriffene Maßnahme als Verwaltungsakt eingestuft wird (Rn. 45). 40
c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum: Das unter a) und b) behandelte Spektrum öffentlicher Aufgaben und Aufgabenträgerschaft erschöpft die Erscheinungsformen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum nicht vollständig. Das Bild von der Einheit der Verwaltung auf der Ortsebene125 ist daher mehr Wunsch als Wirklichkeit. — Sonderbehörden: Zum einen gibt es zahlreiche Aufgaben, die der Staat auch „vor Ort" durch eigene Sonderbehörden wahrnimmt. Traditionell zählen hierher die Tätigkeiten der Finanz-, Arbeits- und Wehrverwaltung sowie der Gewerbeaufsichtsämter. Das Landesrecht kennt vielfältige weitere Fälle (z.B. Schulämter, Eichämter, Flurbereinigungsbehörden). Auch die Tätigkeiten von Bahn und Post müssen hierher gerechnet werden. — Organleihe: Eine Sonderform staatlicher Verwaltung begründen ferner diejenigen Gesetze, die ein einzelnes Gemeindeorgan ohne Rückbindung an seine 122 123
124 125
30
Zutreffend Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 22. Zur Sonderstellung der durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Auftragsverwaltung vgl. die „Transmissionsklauseln" § 129 Abs. 3 GO BW, § 16 Abs. 1 LOG NRW. Z.B. § 7 AGVwGO NRW; Kopp, VwGO § 73 Rn.4. In manchen Landesverfassungen (z. B. Art. 137 LV Hess., Art. 44 LV Nds., Art. 78 Abs. 2 LV NRW) wird der Grundsatz der Einheit der örtlichen Verwaltung garantiert, nicht jedoch im Grundgesetz; a. A.: Stern, in: BK Rn. 93 zu Art. 28 GG.
1. Abschn. IV 2 a
Kommunalrecht
originäre kommunale Trägerkörperschaft mit einer staatlichen Aufgabe betrauen. In diesen Fällen der Organleihe116 wird das betreffende Organ der staatlichen Verwaltung inkorporiert und unterliegt als solches allen Aufsichtsrechten des staatlichen Instanzenzuges. Bei gemeindlichen Organen sind solche Fälle selten127; der Standardfall dagegen findet sich auf der Landkreisebene (Rn. 149).
2. Rechtsaufsicht Die Rechtsaufsicht128 („Kommunalaufsicht", „allgemeine Aufsicht") ist die Stan- 41 dardaufsicht des Staates über die Tätigkeit der Gemeinden129. Sie folgt aus dem parlamentarischen System und aus der Gesetzesbindung der Verwaltung und gehört notwendig zum Körperschaftsstatus der Gemeinde. Rechtsaufsicht heißt Überprüfung der Rechtmäßigkeit. Wo Maßstäbe des Rechts fehlen, mangelt der Rechtsaufsicht der Kontrollmaßstab. Der dogmatischen Vorstellung nach hat die Aufsichtsbehörde die gleichen rechtsmethodischen Schritte zu vollziehen, wie wir sie sonst bei der gerichtlichen Rechtskontrolle kennen: Ermessensfehler sind Rechtsfehler nach Maßgabe der § 40 VwVfG, § 114 VwGO 130 . Bei den Selbstverwaltungsaufgaben ist der Staat grundsätzlich auf diese Art der Aufsicht beschränkt. Systematisch lassen sich eine repressive, d. h. nachträglich einsetzende, und eine präventive, d.h. vor Vollendung eines gemeindlichen Rechtsaktes eingreifende Rechtsaufsicht unterscheiden131. Die Gemeindeordnungen regeln unter der Überschrift „Aufsicht" zusammenhängend nur die repressive Rechtsaufsicht132, während sich präventive Aufsichtsvorgänge verstreut vor allem in den einzelnen Vorschriften finden, die bestimmte gemeindliche Handlungen staatlicher Genehmigung unterstellen. Demgemäß wird auch in diesem Beitrag verfahren (zu Genehmigungen Rn.46ff). Den normalen Instanzenzug der Rechtsaufsichtsbehörden stellen die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung dar: der Innenminister — der Regierungspräsident — und, sofern es um kreisangehörige Gemeinden geht, das Landratsamt (Oberkreisdirektor) als untere staatliche Verwaltungsbehörde. a) Aufsichtsmittel133: Aufsichtsvorgänge vollziehen sich in der Praxis vielfach 42 durch informelle Kontakte zwischen Gemeinde und Aufsichtsbehörde (Beratung, Dazu Scbmidt-Eicbstaedt, HkWP Bd. 3, 28 f; Ericbsen, KomR N R W 98: „Institutionsleihe". 1 2 7 Z. B. § 4 7 Abs. 3 GO N R W ; § 62 Abs. 1 Ziff. 3 GO Nds; s. aber auch § 146 a GO Hess. 1 2 8 Ausführlich Knemeyer, HkWP Bd. 1, 2 7 1 ; Ericbsen, DVB1. 1985, 9 4 3 ff. 129 BVerfGE 78, 331 (341): „Die Kommunalaufsicht ist das verfassungsrechtlich gebotene Korrelat der Selbstverwaltung". 1 3 0 Dazu Ericbsen, in: Ericbsen!Martens, AllgVwR, § 12 112. 1 3 1 Systematisch WolffIBachof/Stober, VwR II, § 8 6 R n . l 7 8 f f ; Scbmidt-Jortzig, KomR Rn. 86 ff; Tettinger, BesVwR, § 11; Scholler, KomR, § 12. 1 3 2 §§ 118 ff GO BW; Art. 108 ff GO Bay.; §§ 135 ff GO Hess.; §§ 127 ff GO Nds.; § § 1 0 6 ff GO N R W ; §§ 117ff GO Rh.-Pf.; §§ 1 2 7 f f KSVG Saarl.; § § 1 2 0 f f G O Schl.-H.; § § 6 3 f f KVG. 133 Scbmidt-Jortzig, KomR R n . 8 6 f f ; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 2 7 2 ff. 126
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1. Abschn. IV 2 a
Eberhard Schmidt-Aßmann
Anregung, Korrekturvorschlag). Die Aufsicht soll den Gemeinden bekanntlich helfen und möglichst ohne Konfrontation erfolgen. Wenn das aber nicht zum Erfolg führt, muß das Recht allerdings auch zwangsweise gegen die Gemeinde durchgesetzt werden können. Für diese Eingriffsfälle halten die Gemeindeordnungen ein Instrumentarium bereit, das in der Art einer Klimax von einfachen Informationsrechten bis zu „schweren Geschützen" (z.B. Ersatzvornahme, Staatsbeauftragter) reicht. In Einzelheiten weichen die Gemeindeordnungen voneinander ab; zu den üblichen Mitteln gehören: — Informationsrecht: Soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, kann sich die Rechtsaufsichtsbehörde über einzelne Angelegenheiten unterrichten. Verlangt werden können die Vorlage von Akten, die Erstellung von Berichten, die Einsichtnahme in Bücher. Eine generelle Vorlagepflicht, z.B. für alle Ratsbeschlüsse, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden134. — Beanstandungsrecht: Rechtswidrige Handlungen (Beschlüsse, Anordnungen) kann die Aufsichtsbehörde beanstanden und ihre Korrektur durch die Gemeinde verlangen, sofern die Gemeinde mit einer solchen Korrektur nicht erneut gegen das Gesetz verstoßen müßte135, indem sie z.B. zu einer rechtlich nicht möglichen Rücknahme eines Verwaltungsakts (§48 VwVfG) angehalten wird. Die in einigen Gemeindeordnungen vorgesehene „aufschiebende Wirkung" der Beanstandung136 gilt nicht für die Außenwirksamkeit des betreffenden Aktes; sie enthält aber ein Vollzugsverbot an die Gemeinde. — Anordnungsrecht: Erfüllt die Gemeinde die ihr nach Gesetz und Recht obliegenden Pflichten nicht, so kann die Aufsichtsbehörde anordnen137, daß die Gemeinde die notwendigen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist nachholt. Das Anordnungsrecht ist das auf gemeindliches Unterlassen bezogene Korrelat zur Beanstandung, die auf rechtswidriges Tun reagiert. — Ersatzvornahme: Kommt die Gemeinde einem der vorstehend genannten Verlangen der Aufsichtsbehörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht nach, so ist die Aufsicht befugt, die notwendigen Maßnahmen an Stelle und auf Kosten der Gemeinde selbst durchzuführen. Hier wird die Aufsicht u.U. auch gegenüber Dritten tätig. Im Vorgang der Ersatzvornahme liegt also regelmäßig ein Doppelakt: ein Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde, der die Ausübung des Aufsichtsmittels zum Regelungsgegenstand hat, und ein zweiter Akt, dessen Rechtsnatur sich aus seinem Regelungsumfeld heraus bestimmt und der folglich z.B. Realakt, Akt der Normsetzung, aber auch eine privatrechtliche Willenserklärung sein kann 138 . 134
136 137 138
32
Knemeyer, HkWP Bd. 1, 272. Erichsen, DVB1. 1985, 943 ff; Mögele, BayVBl. 1985, 519 ff; OVG Münster, NVwZ 1987, 155. Z.B. § 121 Abs. 1 S.3 GO BW; § 108 Abs.2 GO NRW; § 6 6 Abs.2 KVG. In allen Gem.Ord.; vgl. allerdings Art. 112 S.2 GO Bay. („auffordern"). Ausführlich dazu Schnapp, Die Ersatzvornahme in der Kommunalaufsicht, 1972; OVG Münster, DVB1. 1989, 1009 f und 1273 (Auflösung einer Schule).
Kommunalrecht
1. Abschn. IV 2 b
— weitere Aufsichtsmittel: Länderweise unterschiedlich eingeführt sind darüber hinaus weitere Aufsichtsmittel für schwere Fälle, z. B. die Bestellung eines Staatsbeauftragten139, die Auflösung des Gemeinderates140 oder die vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Bürgermeisters141. b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz: Die eingreifenden Aufsichtsmittel 43 unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zuweilen ist ausdrücklich vorgesehen, daß zunächst das gemeindeinterne Kontrollsystem einzuschalten ist 142 . Generell dürfen Aufsichtsmaßnahmen nur durchgeführt werden, wenn sie dem öffentlichen Wohl dienen. Mit Ausnahme des Informationsrechts setzen alle Aufsichtsmaßnahmen rechtswidriges Gemeindehandeln voraus. Die Rechtswidrigkeit folgt primär aus Rechtssätzen des öffentlichen Rechts. Verstöße gegen privatrechtliche Vorschriften reichen jedenfalls dann nicht aus, wenn sie nur den Interessen des Privatrechtsverkehrs dienen143. Eine zum Einschreiten berechtigende Rechtsverletzung liegt auch dann vor, wenn sich ein Gemeindeorgan mit Materien beschäftigt, die wegen ihres überörtlichen Charakters nicht in seinen Kompetenzbereich fallen (Rn. 14 ff). Auch bei Vorliegen des Aufsichtsfalles ist die Aufsichtsbehörde, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, nicht zum Einschreiten verpflichtet, sondern kann nach Ermessen entscheiden (Opportunitätsprinzip)144. Klare Fälle einer Ermessensschrumpfung dürften selten sein, sind aber nicht ganz auszuschließen. In keinem Falle haben private Dritte einen Rechtsanspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten; denn Aufsichtsvorschriften sind nicht einmal beiläufig ihren Interessen zu dienen bestimmt145. Adressat der genannten Aufsichtsmaßnahmen ist die Gemeinde als solche, die in ihrem Körperschaftsstatus dem Staat (Aufsichtsbehörde) im Außenverhältnis entgegentritt146. Regelnde Maßnahmen der Aufsichtsbehörde haben daher unstreitig die Qualität eines Verwaltungsaktes. Für ihren Erlaß sind, soweit das Kommunalrecht keine gleichlautenden oder entgegenstehenden Vorschriften enthält, ergänzend die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder einschlägig. Der Gerichtsschutz147 der Gemeinden richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Soweit die Gemeindeordnungen darauf verweisen, kommt ihnen angesichts des § 40 Abs. 1 S. 1, § 42 Abs. 2 VwGO nur deklaratorische Bedeutung zu 148 . » » § 124 GO BW; Art. 114 GO Bay.; § 141 GO Hess.; § 132 GO Nds.; § 110 GO NRW; § 124 GO Rh.-Pf. ; § 134 KSVG Saarl.; § 127 GO Schl.-H. 1 4 0 Art. 114 Abs. 3 GO Bay.; § 141 a GO Hess.; § 54 Abs. 1 GO Nds.; § 111 GO NRW; § 125 GO Rh.-Pf.; § 5 3 Abs. 2 KSVG Saarl.; § 4 4 GO Schl.-H. 1 4 1 § 128 GO BW; Art. 114 Abs. 3 GO Bay. 1 4 2 § 108 GO NRW; dazu OVG Münster DVB1. 1985, 172. 1 4 3 OVG Münster DVB1. 1963, 862 ff; gegen dieses Subsidiaritätsdogma Hassel, DVB1. 1985, 695 ff. 1 4 4 Str.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 268 f; ferner Borchert, DÖV 1978, 721 ff. 1 4 5 H . M . ; vgl. Knemeyer, HkWP Bd. 1, 270; vgl. Schnapp, DVB1. 1971, 4 8 0 ff; Maurer, in: Maurer/Hendler, StuVwR BW 2 5 6 ; auch BVerwG DÖV 1972, 723 (LS); OVG Koblenz DÖV 1986, 152 f. 1 4 6 OVG Münster DVB1. 1981, 2 2 7 f; Fehrmann, DÖV 1983, 311 (317). 1 4 7 Dazu Schmidt-Jortzig, KomR Rn. 101 f; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 275. 148 Schmidt-Jortzig, KomR Rn. 102.
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1. Abschn. IV 3 b
Eberhard Schmidt-Aßmann
3. Fachaufsicht 44
a) Wesen und Regelungen: Als Fachaufsicht149 bezeichnet man die besondere Aufsicht in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. der Weisungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen enthalten hierüber nur marginale Vorschriften und verweisen im übrigen auf die einschlägigen Fachgesetze150. Das Wesen der Fachaufsicht liegt in der ihr zugeordneten Weisungsbefugnis. Diese Befugnis ist im dualistischen Aufgabenmodell grundsätzlich unbegrenzt151, während sie im monistischen Modell für das einzelne Aufgabengebiet gesetzlich besonders verliehen sein muß. Weisungen erstrecken sich auf die Handhabung des gemeindlichen Ermessens und sind selbst vorrangig von Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit bestimmt. Damit bekommt die Aufsicht eine ganz andere Funktion: Repressive Kontrolle und präventive Steuerung fließen hier zusammen. Eine immanente Grenze aller Weisungsrechte liegt darin, daß sie Sachentscheidungen steuern sollen. Wie die Gemeinde die organisatorischen Voraussetzungen dafür schafft, muß ihr dagegen selbst überlassen bleiben152. Fachaufsicht ist nicht Dienstaufsicht153. Die Weisungsrechte werden von den zuständigen Fachbehörden ausgeübt, die mit den allgemeinen Aufsichtsbehörden häufig, aber keinesfalls durchgängig identisch sind. Außer zur Ausübung des Weisungsrechts sind die Facfeaufsichtsbehörden zu Eingriffen in den gemeindlichen Bereich nicht berechtigt154. Kommt eine Gemeinde einer Weisung nicht nach, so ist allein die Recfeisaufsicht berechtigt, darauf mit ihren allgemeinen Aufsichtsmitteln zu reagieren; die Fachaufsichtsbehörden haben sich an sie zu wenden.
45
b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen: Dieses Problem wird heute eher in den Begründungsschritten als im Ergebnis kontrovers behandelt155. Dabei sollte zwischen der generellen Zulässigkeit einer gemeindlichen Klage, der richtigen Rechtsschutzform und der im Rahmen der Klagebefugnis und der Begründetheit zu behandelnden Frage nach den verletzten gemeindeeigenen Rechten unterschieden werden: — Unbestreitbar ist, den Gemeinden wird der Rechtsweg auch gegen fachaufsichtliche Maßnahmen nicht generell versperrt. Solche Maßnahmen sind keine gerichtsfreien Hoheitsakte, sondern Vorgänge, über die nach Maßgabe des öffentlichen Rechts zu entscheiden ist (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). — Davon unabhängig besteht der Streit um die Rechtsnatur fachaufsichtlicher Weisungen. Er hat Bedeutung für die Bestimmung der statthaften Klageart: Stuft man Weisungen als Verwaltungsakte ein, ist um Rechtsschutz mit der Anfechtungs149
150 151
152 153 154 155
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In N R W „Sonderaufsicht". Dieser Begriff wird sonst anderen Fällen (vgl. unten 4) vorbehalten; Pagenkopf, KomR Bd. 1, 3 7 2 , 385 ff. Darstellung bei Knemeyer, HkWP Bd. 1, 2 7 6 ff. Zu Besonderheiten des Art. 109 Abs. 2 GO Bay. Knemeyer, HkWP Bd. 1, 2 8 1 ; VGH München DÖV 1978, 100 f. Schmidt-Jortzig, KomR R n . 5 4 8 f . Unterscheidung bei Wolff/Bachof, VwR II, § 7 7 I I c 2 . Ausdrücklich: § 129 Abs. 2 GO BW; Art. 116 Abs. 1 S.2 GO Bay. Dazu: Knemeyer, HkWP Bd. 1, 2 7 8 f, 2 8 0 ; Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 4 8 8 ff; Erichsen, DVB1. 1985, 9 4 3 (947); Stober, KomR, § 12 112; Tettinger, BesVwR, § 11 Rn. 184ff.
1. Abschn. IV 4 a
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klage nachzusuchen. Tut man das nicht — und manche verwaltungsverfahrensrechtlichen Konsequenzen sprechen dafür, es generell nicht zu tun156 — so bleibt der Gemeinde immer noch die allgemeine Leistungsklage. — Die für allgemeine Leistungs- wie für Anfechtungsklagen gleichermaßen entscheidende Frage ist die nach den verletzten subjektiven Rechten157. Sind solche nachweisbar, so kann der Rechtsschutz nicht scheitern. Auf der Basis des monistischen Aufgabenmodells lassen sich solche gemeindeeigenen Rechte leichter ausmachen, weil hier alles, was außerhalb des gesetzlichen Weisungstatbestandes liegt, dem gemeindlichen Rechtskreis anwächst. Hält sich die Weisung nicht im Rahmen dieses Tatbestandes, so trifft sie sozusagen von selbst auf gemeindliche Rechte. Aber auch bei den Auftragsangelegenheiten des dualistischen Modells ist die Betroffenheit gemeindeeigener Rechte nicht auszuschließen; denn die Gemeinden bleiben auch hier mit ihrer Verwaltungsorganisation Körperschaften. Das Weisungsrecht darf, selbst wenn die Sachaufgabe staatliche Angelegenheit ist, nicht in den gemeindlichen Organisationsvorbehalt eingreifen158. Inwieweit eine Betroffenheit eigener Rechte nach der Konstellation des Einzelfalls immerhin möglich ist, inwieweit sie wirklich vorliegt und rechtsverletzend wirkt, ist dann eine Frage der Aufteilung des Prozeßstoffes auf die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfende Klagebefugnis und die letztendlich entscheidende Begründetheit. Hält sich die fachaufsichtliche Maßnahme im Rahmen der ihr durch das Recht gezogenen Grenzen, so mag sie so unzweckmäßig sein, wie sie will — ein gemeindliches Rechtsmittel kann dann keinen Erfolg haben. Gleiches gilt wegen der umfassenden Verantwortung der Fachaufsicht i. d. R. dann, wenn Gemeinde und Aufsichtsbehörde über die richtige Auslegung der materiellen Vorschriften des jeweiligen Fachgesetzes streiten159. 4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck und Typik: Die Aufsicht ist nicht notwendig darauf beschränkt, 46 nachträglich korrigierend tätig zu werden. Oft ist es für alle Beteiligten besser, die Aufsichtsinteressen werden erfüllt, bevor das Kalb in den Brunnen gefallen ist. Auch die informellen Mittel der Beratung und Besprechung lassen sich besser vorab 156
So auch Meyer-Borgs, VwVfG, 2. Aufl., § 3 5 Rn.49; HessVGH, NVwZ-RR 1990, 4 ; a. M.: Knemeyer, HkWP Bd. 1, 279, 280; Schmidt-]ortzig, JuS 1979, 488 (491); differenzierend Kopp, VwGO, Rn.45 zum Anh. § 4 2 m.w. Nachw.; OVG Lüneburg NVwZ 1982, 385 f; VGH München DÖV 1978, 100f. Anfechtungsklage hat die Gemeinde ausnahmsweise dann zu erheben, wenn sie sich gegen Entscheidungen der Aufsichtsbehörde wendet, die diese als Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in einem von einem Dritten gegen eine gemeindliche Entscheidung angestrengten Widerspruchsverfahren getroffen hat. Der Widerspruchsbescheid erhält seinen Verwaltungsaktcharakter aus seiner Außenwirksamkeit gegenüber dem Dritten und behält ihn auch der Gemeinde gegenüber. Vgl. BVerwG NVwZ 1982, 310 f.
BVerwG NJW 1978, 1820; BVerwG NVwZ 1983, 610 (611). 158 Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 488 (490). 1 5 9 VG Köln DVB1. 1985, 180 ff. Zur strukturell vergleichbaren Problematik der Aufsicht des Bundes über die Länder in Bundesauftragsangelegenheiten nach Art. 85 GG vgl. BVerfGE 81, 310 (338 f). 157
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1. Abschn. IV4bbb
Eberhard Schmidt-Aßmann
einsetzen. Freilich birgt gerade die präventive Aufsicht auch die Gefahr, daß sie über eine Mitgestaltung zur Besserwisserei ausartet, weil hier die notwendige Distanz zwischen Aufsichtsbehörde und Gemeinde leichter verlorengehen kann. Folglich muß das präventive Aufsichtswesen besonders sorgfältig gesetzlich geordnet sein. Aufsichtsmittel, die der Gemeinde verbindlich etwas vorschreiben wollen, bedürfen gesetzlicher Grundlage. Fehlt es daran, so können die Staatsbehörden nicht tätig werden. Im übrigen haben sich solche Mittel auf Vorgänge zu beschränken, in denen sich ein besonderes „Gefährdungs"- oder ein spezielles „Mitsprachepotential" angesammelt hat. Zu den Instrumenten der präventiven Aufsicht gehören als mildere Mittel Anzeige- oder Vorlagepflichten160; sie sind Rechtstechniken, die der Aufsichtsbehörde die Kontrolle erleichtern sollen. Vor allem aber sind gesetzliche Genehmigungsvorbehalte Mittel präventiver Aufsicht. 47
b) spezielle Genehmigungsvorbehalte: Sie finden sich als Erfordernisse aufsichtsbehördlicher Genehmigung, Zustimmung oder Bestätigung, z. B. bei Gebietsänderungen und im gemeindlichen Wirtschaftsrecht, eingeschränkt auch beim Satzungsrecht (Rn. 96 f) und in Fachgesetzen, z. B. gegenüber der gemeindlichen Bauleitplanung (§§ 6 , 1 1 BauGB) 161 . Nicht einheitlich zu beantworten ist die Frage, inwieweit die Aufsichtsbehörde auf die reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt ist oder ihrer Genehmigungsentscheidung auch Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde legen darf. Nach überwiegender Ansicht müssen mehrere Typen von Genehmigungsvorbehalten unterschieden werden162:
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aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung: Der Normaltatbestand gestattet allein eine Rechtskontrolle. Die Genehmigung ist hier rechtliche Unbedenklichkeitserklärung. Solche Vorschriften finden sich dort, wo der gemeindliche Rechtsakt mit besonderen rechtlichen Risiken behaftet ist oder weitreichende rechtliche Folgen hat. Wenn keine zusätzlichen Genehmigungsmaßstäbe genannt sind oder aus dem Kontext zwingend erschlossen werden können, ist allein eine Rechtskontrolle als das die Gemeinden am wenigsten belastende Mittel zulässig. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Rechtsakt gegen berücksichtigungsfähige Rechtsvorschriften nicht verstößt. Die Gemeinde hat auf die Genehmigung einen Rechtsanspruch, den sie mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage verfolgen kann 163 .
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bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium: Daneben kennt das Gemeinderecht traditionell aber auch solche Genehmigungstatbestände, die den Staat zu einer mehr oder weniger umfassenden Zweckmäßigkeitskontrolle ermächtigen. So unterliegt z.B. die Veräußerung (historisch) wertvoller Gegenstände des Gemeindevermögens einer Genehmigung, bei der es nicht allein um die Rechtmäßigkeit geht, sondern deren Sinn gerade darin liegt, gemeindliches Vermögen vor gemeindlicher 160
161 162
163
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Systematisch: Keller, Genehmigung, 50 ff; Humpert, Genehmigungsvorbehalte, 16 ff und 63 ff; ders., DVB1. 1990, 804 ff. S. u. Krebs, 4. Abschn. Rn. 114. Dazu Salzwedel, AfK 1, 1962, 203ff; W.Weber, Staats- und Selbstverwaltung, 123 (129 f); WolffIBachoflStober, VwR II, § 86 Rn. 180; Humpert, Genehmigungsvorbehalte, 63 ff. OVG Münster OVGE 19, 192 ff.
1. Abschn. IV 4 b bb
Kommunalrecht
Unbedachtsamkeit in Schutz zu nehmen164. Ähnliches gilt für Genehmigungen gemeindlicher Kreditaufnahmen oder gegenüber der Eingehung von Bürgschaften 165 . Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verbietet solche Tatbestände nicht grundsätzlich, denn auch die hier betroffene Eigenverantwortlichkeit steht unter einem Gesetzesvorbehalt (Rn. 20). Größere Probleme werfen — freilich nur für landesgesetzliche Genehmigungsvorbehalte — diejenigen Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen auf, die die Staatsaufsicht außerhalb der Weisungsaufgaben ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeitsprüfung beschränken166. Teilweise hat man versucht, diese Verfassungsbestimmungen nur auf die repressive Aufsicht zu beziehen und die präventiven Aufsichtsvorgänge ganz aus dem Garantiebereich auszuklammern167. Angängig ist das freilich nur bei Materien, die wegen eines eindeutigen staatlichen Mitgestaltungsinteresses ohnehin in den Grenzbereichen des örtlichen Wirkungskreises liegen und die man als Angelegenheiten eines staatlich-gemeindlichen Kondominiums bezeichnen kann: gemeindliche Gebietsänderungen168, Zweckverbandsbildungen, Wappen- und Siegelführung. Bei den meisten Genehmigungstatbeständen des Kommunalwirtschaftsrechts dagegen geht es ganz vorrangig um örtliche Belange, um einen Schutz der Gemeinde vor sich selbst. Eine exakte Regelung enthält hier allein Art. 75 Abs. 1 S. 2 der bad.-württ. LV, der die Genehmigungsmaßstäbe in den Grundzügen selbst normiert. Will man auch in den anderen Bundesländern die notwendige und eingespielte Präventivkontrolle weiterhin für zulässig ansehen, so bleibt nur der Weg, den Genehmigungsmaßstab auf einen freilich weit zu interpretierenden Rechtsbegriff der „Wirtschaftlichkeit" zurückzuführen und den Genehmigungsvorbehalt so als eine (weite) Rechtmäßigkeitskontrolle zu deuten169.
Spezialliteratur H.Borchert, Legalitätsprinzip oder Opportunitätsprinzip für die Kommunalaufsicht?, DÖV 1978, 721 ff; H. H. Dehmel, Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970; H.-U.Ericksen, Kommunalaufsicht — Hochschulaufsicht, DVB1.1985, 943 ff; P. P. Humpert, Genehmigungsvorbehalte im Kommunalverfassungsrecht, 1990; D. Keller, Die staatliche Genehmigung von Rechtsakten der Selbstverwaltungsträger, 1976; R. Mogele, Das Zusammenspiel von Gemeinderecht und Verwaltungsverfahrensrecht bei der rechtsaufsichtlichen Beanstandung gemeindlicher Verwaltungsakte, BayVBl. 1985, 5 1 9 ff; E. Schmidt-]ortzig, Rechtsschutz der Gemeinden gegenüber fachaufsichtlichen Weisungen bei der Fremdverwaltung, JuS 1979, 4 8 8 ff; F.E. Schnapp, Zum Funktionswandel der Staatsaufsicht, DVB1.1971, 4 8 0 f f ; M.Schröder, Grundfragen der Aufsicht in der öffentlichen Verwaltung, JuS 1986, 371 ff.
164 165
166 167 168 169
Beispiele bei WolfflBachof/Stober, VwR II, § 86 Rn. 180. Borchert, Kommunalaufsicht, 162 ff; Pagenkopf, KomR Bd. 2, 2 4 3 ; VG Köln, DVB1. 1986, 7 3 7 ff. § 137 Abs. 3 LV Hess.; Art.44 Abs. 5 LV Nds.; Art. 78 Abs. 4 S. 1 LV NRW. Keller, Genehmigung, 71 ff m.w. Nachw. Spies, NVwZ 1984, 630 f. BayVerfGH DÖV 1989, 306 (307); vgl. auch OVG Münster, DÖV 1991, 611 f.
37
1. Abschn. V b bb
Eberhard Schmidt-Aßmann
V. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) Vorbemerkungen Das Recht des internen Gemeindeaufbaus, das man auch das Gemeindeverfassungsrecht nennt, beschäftigt sich mit den Arten und dem Zusammenwirken der Gemeindeorgane. Es weist einen erheblichen Variantenreichtum im Ländervergleich auf, der vor allem historisch zu erklären ist. Gleichwohl gibt es vereinheitlichende Grundannahmen und Grundzüge. Hier sind vorab die externen Grundannahmen kurz zu erläutern. 50
a) Das Bild der Einheitsgemeinde: Gemeinsam gehen alle Gemeindeordnungen vom Bild der Einheitsgemeinde aus. Die Einheitsgemeinde, so wie sie Gewährleistungsträger des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist — ohne Rücksicht auf ihre Größe, Verwaltungskraft, Versorgungsfunktion —, ist das Bezugsobjekt, an das das Gemeinderecht seine Regelungen standardmäßig knüpft170. Sie ist nach außen mit ihrem Körperschaftsstatus die Einheit, die ihre Bürger umschließt und in einem rechtstechnischen Sinne ihren Organen und Untergliederungen Rückhalt und Zuordnung gibt. Weder interne Untergliederungen (Ortschaften, Gemeindebezirke [Rn. 92]) noch Zusammenschlüsse von Gemeinden zu neuen Verwaltungsträgern (Verwaltungsgemeinschaften, Samtgemeinden [Rn. 150 ff]) sind in diesem Rechtssinne Gemeinden.
51
b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden: Allerdings kann das Verwaltungsrecht nicht die Augen davor verschließen, daß in der Realität der Gebietszuschnitt, die Raumsituation, die Bevölkerungszahlen und die Leistungskraft der Gemeinden erheblich voneinander abweichen und zu Differenzierungen auch des Rechtsstatus veranlassen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen kreisangehörigen und kreisfreien Gemeinden171, die sich an der unterschiedlichen Größe und Verwaltungskraft orientiert und daraus Konsequenzen für die Zuständigkeiten zieht. Vor allem bei der gesetzlichen Zuweisung von Auftragsangelegenheiten/Weisungsaufgaben wird auf diese Unterscheidung oft Bezug genommen.
52
aaj kreisangehörige Gemeinden: Die allermeisten Gemeinden der Bundesrepublik sind kreisangehörig. Ohne ihre rechtliche Selbständigkeit anzutasten, besteht „oberhalb" — nicht eigentlich über ihnen — ein Gemeindeverband (Landkreis, Kreis), um diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen (Rn. 136 ff).
53
bb) kreisfreie Städte: Kreisfreie Städte (Stadtkreise) sind diejenigen größeren Städte, denen der Status der Kreisfreiheit besonders zuerkannt ist. Länderweise variieren die Schwellenwerte, an denen man sich bei dieser Entscheidung ausrichtet, 170
171
38
Dieser für alle Gemeindeordnungen geltende Satz ist klar ausgedrückt in § 81 KVG: Gemeinden im Sinne dieses Gesetzes sind die kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie kreisfreien Städte. Zu Differenzierungen vgl. Hiepas, AfK 1990, 70 ff. Daneben gibt es Sonderformen; z. B. „stadtverbandsangehörige" G. (§ 4 Abs. 2 KSVG Saarl.).
1. Abschn. V 1
Kommunalrecht
nicht unerheblich. Insgesamt gibt es 108 kreisfreie Städte. Sie sind Gemeinden nach dem Bild der Einheitsgemeinde; insofern ist der Begriff des „Stadtkreises" (BW) irreführend. Ihr Aufgabenbestand ist wegen ihrer größeren Leistungsfähigkeit aber schon auf natürliche Weise größer als der der kreisangehörigen Gemeinden. Außerdem sind ihnen diejenigen Aufgaben übertragen, die im Landkreis von den Kreisorganen erfüllt werden, die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden. Was im Landkreis von unterschiedlichen Verwaltungseinheiten (kreisangehörigen Gemeinden, Landkreisen, Landratsamt als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde) geleistet wird, erfüllen die kreisfreien Städte „in einer Person". cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden: Die kreisangehörigen Gemeinden 54 haben unter sich wiederum stark voneinander abweichende Einwohnergrößen und Erscheinungsformen: kreisangehörig sind die vor allem in den neuen Bundesländern anzutreffenden Kleingemeinden mit nicht mehr als 500 Einwohnern; kreisangehörig kann aber auch eine Gemeinde mit 1 0 0 0 0 0 Einwohnern und total städtischem Gepräge sein. Um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen, stellen die Gemeindeordnungen der meisten Flächenländer eine — Niedersachsen und NordrheinWestfalen zwei — besondere Kategorien einer größeren kreisangehörigen Gemeinde zur Verfügung 172 . Die Erlangung dieses besonderen Status setzt das Erreichen eines länderweise (zwischen 2 0 000 und 60 000) variierenden Einwohnergrenzwertes und außer in Hessen einen besonderen staatlichen Akt der Statusverleihung voraus. Gemeinden mit privilegiertem Status erfüllen in den meisten Ländern neben ihren Aufgaben als kreisangehörige Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis auch einen Teil derjenigen Aufgaben, die sonst nur von den kreisfreien Städten, im Landkreis aber normalerweise von den Kreisverwaltungsorganen als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde wahrgenommen werden. Außerdem bestehen für privilegierte kreisangehörige Gemeinden Abweichungen im normalen Instanzenzug der Rechtsaufsicht. 1. Gemeindeverfassungstypen (Überblick) Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind Gemeinden handlungsfähig durch 55 ihre Organe. Alle Gemeindeordnungen kennen wenigstens zwei Hauptorgane, den Gemeinderat als zentrales Beschlußorgan und ein Hauptverwaltungsorgan, das in den meisten Ländern monokratisch (Gemeindevorsteher: Bürgermeister, Gemeindedirektor), in einigen Ländern kollegial (Magistrat) verfaßt ist 173 . Status und gegenseitige Zuordnung dieser Organe sind in den deutschen Ländern stets recht unterschiedlich geregelt worden 174 . Die Geschichte des Kommunalrechts überliefert zur Kennzeichnung der wichtigsten Gemeindeverfassungstypen die Begriffe Bürgermeister-, Magi172
Übersicht bei Schleberger, HkWP Bd. 2, 199; nicht vorgesehen in den neuen Bundesländern, § § 8 , 9 KVG; dort ist der Schwellenwert der Einwohnerzahl zur Erlangung des Status der kreisfreien Stadt niedriger angesetzt: 5 0 0 0 0 E.
173
Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 87 Rn. 3 ff.
174
v. Mutius, Jura 1981, 126; zur Machtverteilung der beiden Hauptorgane in den einzelnen
Verfassungstypen vgl. Schmidt-Eichstaedt, AffC 1985, 20; Wallerath, DÖV 1986, 533; Wehling, HkWP Bd. 2, 230; zu Reformfragen Saipa, DÖV 1991, 637 ff; Hillmann, DÖV 1991, 41 ff.
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1. Abschn. V 1
Eberhard Schmidt-Aßmann
strats- und Ratsverfassung, die auch heute noch gebräuchlich sind. Sofern mit diesen Begriffen schlagwortartig dasjenige Organ mit dem größeren Gewicht genannt werden soll, verwirren die Bezeichnungen mehr als daß sie erhellen. Die grundgesetzlich vorgeschriebene Direktwahl des Gemeinderats (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) gibt diesem Gremium heute in allen Gemeindeverfassungstypen einen natürlichen Vorrang. Variationsmöglichkeiten bestehen daher nur (noch) in der Frage, ob der Gemeinderat allein das allzuständige Gremium sein oder ob ihm ein ebenfalls aus einer Direktwahl hervorgegangenes oder durch einen festen Kompetenzbereich qualifiziertes zweites Organ von politischem Eigengewicht an die Seite gestellt werden soll. Die derzeitigen Gemeindeverfassungstypen zeigen, daß auch dieser beschränkte Spielraum den Eigenwilligkeiten der Landesgesetzgebung kaum Einhalt gebietet. Keine Gemeindeordnung gleicht hier der anderen; zum Teil gibt es innerhalb desselben Landes zwei Modelle je nach der Größenklasse der Gemeinden. Die Unterschiede in der Begrifflichkeit, mit der die Gemeindeorgane belegt werden, machen die Sache noch bunter. Ein hohes Maß an Einheitlichkeit besteht allein unter den fünf neuen Bundesländern, in denen das noch vor dem Beitritt verabschiedete Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (RH. 6) als Landesrecht zunächst fortgilt. Unübersichtlich wie die Materie sind auch die Einteilungsversuche des kommunalrechtlichen Schrifttums. Keine Bezeichnung gibt ein Modell lupenrein wieder. Mehr als Orientierungspunkte sind alle Begriffe nicht. Entscheidend bleibt die Detailregelung der jeweils einschlägigen Gemeindeordnung. Für den Uberblick mögen wenige Bezeichnungen genügen, die die derzeitigen Gemeindeverfassungstypen zu „Familien" zusammenfassen175: 56
— norddeutsche Ratsverfassung176: Ihr liegt ein vom englischen Kommunalrecht beeinflußter Monismus zugrunde: Der Idee nach wird die Verwaltung der Gemeinde ausschließlich durch den Gemeinderat bestimmt, während der vom Rat gewählte Hauptverwaltungsbeamte nur Vollzugsorgan der Ratsentscheidungen sein soll. Diesem Modell folgen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In beiden Ländern hat sich allerdings nach und nach ein gemäßigter Monismus durchgesetzt, in dem auch der Hauptverwaltungsbeamte mit einem eigenständigen Kompetenzbereich ausgestattet worden ist. — süddeutsche Ratsverfassung177: Sie ist durch einen gemäßigten Dualismus bestimmt: Die zentrale Position des Gemeinderates ist gewahrt. Dazu tritt jedoch der aus eigener Volkswahl hervorgegangene Bürgermeister, der Verwaltungschef und stimmberechtigter Ratsvorsitzender ist. Dieser Gemeindeverfassungstypus herrscht in Baden-Württemberg und Bayern. 175
176
177
40
Wolff/Bachof'/Stober, VerwR II, § 8 7 Rn.66; Schaubilder bei Scbmidt-Jortzig, KomR Rn. 116 ff. Einzeldarstellung bei Berg, HkWP Bd. 2, 222; Erichsen, KomR NRW 67 ff; Ipsen, KomR Nds., 135 f. Einzeldarstellung bei Webling, HkWP Bd. 2, 230 ff; Reichart/Gern, KomR BW 151 ff; Maurer, in: Maurer/Hendler, StuVwR BW 201 ff; Knemeyer, KomR Bay., Rn. 230.
Kommunalrecht
1. Abschn. V 1
— Magistratsverfassung17S: Sie steht bei aller Anerkennung der zentralen Stel- 57 lung des Rates dem dualistischen Modell näher. Die laufende Verwaltung besorgt ein vom Rat gewählter Gemeindevorstand, der kollegial verfaßte Magistrat (Bürgermeister und Beigeordnete). Diesem Typus folgen Hessen und für Städte Schleswig-Holstein. Ansätze finden sich ferner in Rheinland-Pfalz. — Bürgermeisterverfassung179: Der Bürgermeister erhält sein Gewicht nicht 58 durch eine eigene Volkswahl; er wird vielmehr vom Gemeinderat gewählt und ist mit qualifizierter Mehrheit von diesem vorzeitig abberufbar. Gleichwohl hat der Bürgermeister durch einen festen gesetzlichen Kompetenzenstamm, durch seine Funktion als Verwaltungschef und als Ratsvorsitzender eine gewichtige Position. Wesentlich ist die Trennung von Beschluß- und Ausführungsorgan. Das Grundmodell findet sich in der rheinischen Bürgermeisterverfassung. Heute ist es in unterschiedlichen Varianten im Gemeinderecht von Rheinland-Pfalz, des Saarlands und von Schleswig-Holstein vorgesehen: Mit dem Bürgermeister als stimmberechtigtem Ratsvorsitzenden (echte BgmVfg) oder als nicht stimmberechtigtem Ratsvorsitzenden (unechte BgmVfg) 180 . Für die neuen Bundesländer hat sich das KommunalverfassungsG (Rn. 6) um ein eigenes Modell bemüht 181 , das bewährte Elemente aus den anderen Bundesländern in der Art einer „eklektizistischen Gemeindeverfassung" verbindet: Die aus unmittelbarer Volkswahl hervorgegangene Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung) ist als oberstes Willens- und Beschlußorgan für alle Angelegenheiten zuständig, soweit nicht dem Bürgermeister durch Gesetz oder Beschluß bestimmte Angelegenheiten übertragen sind. Der Bürgermeister wird von der Gemeindevertretung für die Dauer von vier Jahren gewählt 182 . Er ist Leiter der Gemeindeverwaltung, vertritt die Gemeinde im Rechtsverkehr und erledigt in eigener Zuständigkeit alle Angelegenheiten, die nicht von der Gemeindevertretung wahrgenommen werden; gerade der letztere Tatbestand ( § 2 7 Abs. 3 S. 3 KVG) umschreibt einen rechtlich zwar abhängigen, faktisch jedoch bedeutenden Kompetenzenkreis. Außerdem sitzt der Bürgermeister dem als Koordinations- und Planungsgremium gedachten Hauptausschuß, nicht aber der Gemeindevertretung vor, die einen eigenen „Gemeindevertretervorsteher" wählt. — Für kreisfreie Städte mit mehr als 1 0 0 0 0 0 Einwohnern ist die Möglichkeit eröffnet, nach näherer Bestimmung der Hauptsatzung dem Bürgermeister ein Gremium zuzuordnen, dem alle Beigeordneten angehören und das mit dem Bürgermeister gemeinsam entscheidet (§28 Abs. 5 KVG); insofern läßt sich von Elementen der Magistratsverfassung sprechen.
178 179 180
Einzeldarstellung bei Schneider, HkWP Bd. 2, 209 ff und unten Rn. 80. Einzeldarstellung bei Dreibus, HkWP Bd. 2, 241. § 36 Abs. 1 und 3 GO Rh.-Pf. einerseits, § 42 KVSG Saarl. andererseits.
181
Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1990, 848 (850 f).
182
Inwieweit einzelne der neuen Bundesländer bei der Verabschiedung eigener Gemeindeordnungen zum Modell der süddeutschen Ratsverfassung mit einem direkt vom Volk gewählten Bürgermeister überwechseln, bleibt abzuwarten; vgl. Petzold, DOV 1990, 816 (820).
41
1. Abschn. V 2 a
Eberhard Schmidt-Aßmann
2. Der Gemeinderat 59
a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus: Der Gemeinderat183 ist die gewählte Repräsentation der Bürgerschaft; gleichwohl ist er kein Parlament184, sondern, wie die Gemeinde insgesamt, Teil der Exekutive. Begriffe und Regeln des Parlamentsrechts lassen sich nur im Ausnahmefalle auf ihn übertragen185. Soweit er als „Vertretungskörperschaft" bezeichnet wird, liegt dem ein erweiterter Körperschaftsbegriff zugrunde; jedenfalls ist damit dem Rat keine Rechtsfähigkeit zuerkannt. Letztere besitzt allein die Gemeinde, deren Organ er ist. Das schließt nicht aus, daß der Gemeinderat intern im Verhältnis zu anderen Gemeindeorganen Träger von organschaftlichen Rechten ist und diese gerichtlich durchsetzen kann (Rn. 82 f). Mitglieder des Gemeinderates186 sind die aus unmittelbaren Wahlen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) hervorgegangenen Gemeindevertreter. Die Mitgliederzahl richtet sich nach der Einwohnergröße. Zu den solchermaßen gewählten Mitgliedern tritt in einigen Ländern der Bürgermeister als Mitglied und Vorsitzender des Gemeinderates187. Die Mitglieder haben ein kommunalrechtliches Mandat eigener Prägung, das die meisten Gemeindeordnungen mit dem Rechts- und Pflichtenstatus ehrenamtlich Tätiger bezeichnen188. Jedenfalls sind sie Inhaber eines öffentlichen Amtes189 — auch im haftungsrechtlichen Sinne (Art. 34 GG i.V.m. §839 BGB) 190 - , nicht jedoch (Ehren-)191 Beamte192. Die Institute der parlamentarischen Immunität und Indemnität sind dem kommunalrechtlichen Mandat fremd193. Die Ratsmitglieder entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung; an Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden194. 183
184 185
186
187
188 189 190 191
192
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194
42
Die Bezeichnung der Gemeindevertretung ist in den verschiedenen Bundesländern nicht einheitlich: „Gemeinderat" in BW, Bay., Rh.-Pf. und Saarl.; „Rat" in NRW und Nds.; „Gemeindevertretung" in Hess., Schl.-H., KVG. „Stadtverordnetenversammlung" in Bremerhaven und in den Städten Hessens und der neuen Bundesländer; vgl. allgemein Ehlers, Jura 1988, 337. BVerfGE 78, 344 (348). M.Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, 37ff; Erichsen, KomR NRW 76; eher für eine Übertragbarkeit BayVerfGH NVwZ 1985, 823; Frowein, HkWP Bd. 2, 84. In manchen Gemeindeordnungen werden die Mitglieder der Gemeindevertretung selbst als „Gemeinderat" bezeichnet, z. B. § 25 Abs. 1 GO BW. BW; Bay.; Rh.-Pf.; nur Vorsitz: Saarl., Schl.-H.; vgl. Borchmann, NVwZ 1983, 457 (458 f). Zweifelhaft für NRW, dazu Erichsen, KomR NRW 76; Müller, JuS 1990, 997. § 30 Abs. 1 KSVG Saarl. Std. Rspr. BGH NJW 1989, 976 (938). Ausnahmen dann, wenn Mitglied der Gemeindevertretung zugleich oberstes Verwaltungsorgan ist: vgl. § 70 Abs. 3 GO Nds.; §48 GO Schl.-H. „Berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder" gem. Art. 40, 41 GO Bay. werden zu Beamten auf Zeit ernannt; sie haben eine Doppelstellung. WolfflBachoflStober, VwR II, § 86 Rn. 145. Ausnahme in Bayern: Art. 51 Abs. 2 GO (nur für Abstimmungsverhalten). So ausdrücklich z. B. § 32 Abs. 3 GO BW, § 30 Abs. 1 GO NRW; § 22 Abs. 3 KVG; vgl. auch Frowein, DÖV 1976, 44 ff; BayVerfGH NVwZ 1985, 823 ff.
Kommunalrecht
1. Abschn. V 2 a bb
aa) Rechts- und Pflichtenstatus: Im einzelnen wird der Status des Ratsmitglieds 60 durch ein Netz von Regelungen bestimmt195, in dem dem Hauptrecht auf Mandatsausübung und einigen Annexrechten (Aufwandsentschädigung, Fürsorge bei Dienstunfall) eine Anzahl von Pflichten gegenübersteht. Mit ihnen versuchen die Gemeindeordnungen das für die Selbstverwaltung erwünschte, aber auch prekäre Element eines Entscheidens in geringer Distanz zum Sachvorgang rechtsstaatlich auszubalancieren. Hierher gehören außer den im wahlrechtlichen Vorfeld liegenden Unwählbarkeitsregeln196 ein Verschwiegenheitsgebot197 und gewisse Neutralitätspflichten. So darf ein Ratsmitglied regelmäßig Ansprüche und Interessen eines anderen gegen die Gemeinde nicht geltend machen, soweit er nicht als gesetzlicher Vertreter handelt („kommunales Vertretungsverbot")198. bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften: Im kommunalen Alltag besonders 61 bedeutsam sind die Vorschriften der Gemeindeordnungen über den Ausschluß befangener Ratsmitglieder199. Sie haben einen ähnlichen Aufbau wie § 20 VwVfG, betreffen aber andere Vorgänge und Adressaten. Kommunalrechtliche Mitwirkungsverbote bestehen bei Angelegenheiten, die dem Ratsmitglied selbst, seinen Familienangehörigen oder sonstigen natürlichen oder juristischen Personen, zu denen eine spezielle Bindung besteht, einen unmittelbaren200 Vorteil oder Nachteil bringen können. Das gilt nicht bei Vorteilen oder Nachteilen, die nur darauf beruhen, daß jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen berührt werden — konkret: Der hundebesitzende Ratsherr darf beim Erlaß der Hundesteuersatzung gleichwohl mitwirken, nicht aber der im Planbereich Eigentum besitzende Ratsherr beim Erlaß eines Bebauungsplanes201. Entscheidend ist, ob ein „individuelles Sonderinteresse" vorliegt202. Das Verbot erstreckt sich auf Abstimmungen, aber auch auf die Entscheidungsvorbereitung203. Es zwingt dazu, die Beratung zu verlassen204; bei öffentlicher Sitzung ist ein Verweilen im Zuhörerraum zulässig205. Die Mitwirkung eines an sich ausgeschlosWolffIBachoflStober, VwR II, § 86 Rn. 140 ff; Frowein, HkWP Bd. 2, 86; OVG Koblenz NVwZ 1987, 1105; OVG München NVwZ 1987, 154; OVG Münster NVwZ-RR 1989, 317. 19« Meyer, HkWP Bd. 2, 69. 197 OLG Frankfurt NVwZ 1982, 215; VG Minden NVwZ 1983, 495 f. 1 9 8 § § 1 7 Abs. 3 GO BW; § 2 6 GO Hess.; § 2 4 Abs. 1 S.2 GO NRW; BVerfGE 41, 231 (241 ff); 52, 42 (53 ff); BVerfGE 56, 99 (107ff) - Bürogemeinschaft - ; 6 1 , 6 8 (72 ff) Sozietät - BVerfG (1. Kammer des 2. Senats) NJW 1988, 654; BVerwG NJW 1988, 1994; BVerwG DÖV 1990, 255 - Richteramt - ; Schach, Vertretungsverbot, 11, 27ff; ders., JuS 1989, 531. 1 9 9 § 18 GO BW; Art. 43 GO Bay.; § 25 GO Hess.; § 26 GO Nds.; § 30 Abs. 2 i. V. m. § 23 GO NW; § 22 GO Rh.-Pf.; § 27 KSVG Saarl.; § 22 GO Schl.-H.; § 22 VII KVG. 20» Krebs, VerwArch. 71 (1980), 181; v. Arnim, JA 1986, 1. 201 OVG Münster OVGE 27, 60 ff; anders für Flächennutzungspläne: OVG Münster BauR 1979, 477 ff; BW VGH, VB1BW 1985, 22 und VB1BW 1986, 270; BVerwGE 79, 200 (203); OVG Koblenz NVwZ 1989, 674; HessVGH NVwZ-RR 1989, 609. 202 Borchmann, NVwZ 1982, 17; v. Arnim, JA 1986, 1 (3 m.w.Nachw.). 2 0 3 OVG Lüneburg NVwZ 1982, 200; VGH BW NVwZ 1987, 1104 f. 2 0 4 Ausdrücklich z.B. § 18 Abs.5 GO BW; § 2 3 Abs.4 GO NRW; § 2 6 Abs.5 GO Nds. 2 0 5 § 23 Abs. 4 GO NRW; OVG Koblenz NVwZ 1982, 204. 195
43
I.Abschn. V 2 b aa
Eberhard Schmidt-Aßmann
senen Ratsmitglieds macht den Beschluß ohne Rücksicht auf das Stimmenverhältnis rechtswidrig (abstrakte Kausalität)206, regelmäßig mit der Folge der Unwirksamkeit. Umgekehrt wird man dann, wenn ein materiell mitwirkungsbefugtes Mitglied vom Gemeinderat fälschlich ausgeschlossen worden ist, auf die konkrete Kausalität abstellen müssen207, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist208. Da sich Verstöße gegen das Mitwirkungsverbot zu einer Dauerkrankheit von Ratsbeschlüssen entwickelt hatten, erklären die meisten Gemeindeordnungen sie heute ausdrücklich nur für einen gewissen Zeitraum für rechtsrelevant und danach, sofern es nicht zu einer besonderen Rüge gekommen ist, für unbeachtlich (Rn. 98) 209 . 62
b) interne Organisation und Verfahren des Rates: Der Gemeinderat ist ein Kollegialgremium, für dessen ordnungsgemäße Entscheidungsfindung die Gemeindeordnungen zahlreiche Organisations- und Verfahrensregelungen treffen210.
63
aa) Ratsvorsitzender211: In den Ländern der Bürgermeister- und der süddeutschen Ratsverfassung ist der Bürgermeister kraft Amtes Ratsvorsitzender. In den anderen Ländern wählt der Gemeinderat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden. Dem monistischen Modell Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens entspricht es, daß der gewählte Ratsvorsitzende die anspruchsvolle Bezeichnung „Bürgermeister" führt, während sich der Hauptverwaltungsbeamte mit der Amtsbezeichnung des „Gemeindedirektors" zufriedengeben muß. Der Vorsitzende beruft die Sitzungen des Gemeinderates ein. Er leitet die Verhandlung und hat für den ordnungsgemäßen Ablauf212 der Sitzung Sorge zu tragen. Im Regelfalle wird sich das durch die normalen Handlungen (Aufruf der Tagesordnungspunkte, Worterteilung, Führen einer Rednerliste) bewirken lassen. Die Gemeindeordnungen ermächtigen den Vorsitzenden jedoch auch, notfalls Ordnungsmaßnahmen213 (z.B. Wortentzug, Sitzungsausschluß) gegen störende Ratsmitglieder zu treffen214, schwerere Ordnungsmaßnahmen sind in einigen Ländern nur auf Grund eines Gemeinderatsbeschlusses zulässig215. Außerdem übt der Vorsitzende gegenüber externen Störern das Hausrecht aus; die entsprechenden Ausdrücklich § 1 8 Abs. 6 GO BW; § 2 7 Abs. 6 KSVG Saarl.; anders Art. 4 9 Abs. 3 GO Bay., dazu BGH DVB1. 1967, 618 f. Einschränkend für die Abfolge mehrerer Beschlüsse BVerwGE 79, 2 0 0 ; OVG Koblenz, NVwZ 1989, 674. 2 0 7 Str.; a. A. v. Arnim, JA 1986, 1 (6). 2°« Anderes bestimmt in § 18 Abs. 6 GO BW; dazu VGH BW DÖV 1987, 4 4 8 . 209 Hill, DVB1. 1983, 1. 2 1 0 Zu Informationsrechten einzelner Ratsmitglieder, z. B. Protokolleinsicht, vgl. VGH Kassel NVwZ 1988, 8 7 ; VGH BW VB1BW 1989, 96, VGH BW NVwZ-RR 1990, 3 6 9 ; speziell zum Minderheitenschutz Scholtis, Minderheitenschutz in kommunalen Vertretungskörperschaften, 1986. 2 1 1 Einzeldarstellung bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 9 0 ff. 212 Foerstemann, HkWP Bd. 2, 104 ff. 213 Foerstemann, HkWP Bd. 2, 106 ff; OVG Koblenz NVwZ 1988, 80; Hess VGH, DÖV 1990, 6 2 2 . 2 1 4 Hierzu gehört auch die Verhängung eines Rauchverbotes (OVG Münster DVB1. 1983, 53 ff und DVB1. 1991, 4 9 8 ff); Verbot des Plakettentragens (OVG Koblenz DÖV 1986, 632). 2 1 5 Z . B . Art.53 Abs. 1 GO Bay.; § 3 6 Abs.3 S.2 GO BW.
206
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Kommunalrecht
1. Abschn. V 2 b cc
Vorschriften der Gemeindeordnungen216 begründen ein spezielles öffentlich-rechtliches Hausrecht, das für die Sitzung anderen Hausrechten vorgeht 217 . bb) Ratsgeschäftsordnung118: Allgemeine Fragen des Verhandlungsganges und 64 der Ratsorganisation (Sitzungstage, Sitz- und Stimmordnung) werden üblicherweise in einer Geschäftsordnung niedergelegt, die jeder Rat sich zu geben ermächtigt ist. Die Geschäftsordnung ist keine gemeindliche Satzung, sondern ein besonderer inneradministrativer Rechtssatz, der nur die Ratsmitglieder bindet 219 und folglich über diesen Kreis hinaus förmlich nicht weiter bekannt gemacht sein muß. Anderen Gemeindeorganen oder Dritten kann die Geschäftsordnung keine neuen Pflichten auferlegen. Ob Geschäftsordnungsverstöße die Unwirksamkeit der betreffenden Entscheidung nach sich ziehen, ist streitig 220 . Geschäftsordnungen können regelmäßig mit einfacher Mehrheit abgeändert werden 221 . Soll bestimmten geschäftsordnungsmäßigen Regeln erhöhte Beständigkeit beigelegt werden, so müssen sie förmlich als Satzung erlassen werden 222 . cc) Ratssitzungen: Das Forum für die Meinungsbildung und Entscheidungen des 65 Gemeinderats soll unbeschadet aller vorbereitenden Ausschußtätigkeit die Ratssitzung sein, die regelmäßig223 öffentlich stattzufinden hat 224 . Eine ordnungsgemäße Entscheidungsfindung setzt voraus, daß die Sitzung vorschriftsgemäß einberufen worden ist 225 . Die dazu erforderliche Tagesordnung muß die Verhandlungsgegenstände so exakt nennen, daß die Ratsmitglieder wissen, was auf sie zukommt 226 . Sie ist außerdem öffentlich bekanntzumachen. Die Festlegung der Tagesordnung fällt grundsätzlich in die Kompetenz des Ratsvorsitzenden; die Ratsmitglieder können die Aufnahme eines Gegenstandes beantragen 227 . Eine Ergänzung der Tagesord216
217 218
219
220 221 222
223 224
225 226
227
§ 36 Abs. 1 GO BW; Art. 53 Abs. 1 GO Bay.; § 4 4 Abs. 1 GO Nds.; § 36 Abs. 1 GO N R W ; § 3 6 Abs. 2 GO Rh.-Pf.; § 4 3 Abs. 1 KSVG Saarl.; § 3 7 GO Schl.-H. Speziell zur Abwehr von Tonbandaufnahmen in Ratssitzungen, BVerwG NJW 1991, 118 f. So auch Erichsen, StuVwR NRW, 152; vgl. aber auch OVG Münster, DVB1. 1991, 4 9 5 f. Ausführlich Foerstemann, HkWP Bd. 2, 108 ff, mit Katalog der in den Geschäftsordnungen regelmäßig behandelten Gegenstände; Rothe, DÖV 1991, 4 8 6 ff. H. M.; vgl. Schmidt-Jortzig, KomR Rn. 4 1 7 ; VGH BW ESVGH 22, 180 (181 ff); Foerstemann, HkWP Bd. 2, 108 m.w.Nachw. in F n . 1 1 4 ; differenzierend GernIBerger, VB1BW 1983, 165 f. Zur Normenkontrolle gem. § 4 7 Abs. 1 Nr. 2 VwGO vgl. BVerwG NVwZ 1988, 1119 f. Zum Streitstand Foerstemann, HkWP Bd. 2, 109 Fn. 119; Erichsen, KomR NRW, 9 0 f. Auch stillschweigend; aber Str.; Foerstemann, HkWP Bd. 2, 109 mit Fn. 118. Einige Gemeindeordnungen sehen für bestimmte Fragen wahlweise eine Regelung durch Geschäftsordnung oder Hauptsatzung vor. HkWP Bd. 2, 97 ff; Schnapp, VerwArch. 1987 (Bd. 78), 4 0 7 ff. Ausführlich Foerstemann, Die Öffentlichkeit ist gewahrt, wenn der Zutritt jedermann ohne Ansehen der Person möglich ist; allgemeine Beschränkungen aus Kapazitätsgründen des Sitzungsraumes sind zulässig. Verstöße gegen das Öffentlichkeitsgebot stellen schwere Verfahrensfehler dar, die i. d. R. zur Nichtigkeit der solchermaßen gefaßten Beschlüsse führen; Heermann, Gemeinderatsbeschluß, 2 5 2 f. Einzelheiten dazu bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 93 ff; Gern, VB1BW 1984, 64 ff. VGH Kassel, NVwZ 1988, 82 f: Beschlußvorlagen brauchen nicht vorab zugeleitet werden; VGH BW, VWB1BW 1989, 9 6 ; und NVwZ-RR 1990, 369. Inwieweit ein solcher Antrag wegen der Unzuständigkeit des Rates vom Ratsvorsitzenden abgelehnt werden darf, ist länderweise unterschiedlich geregelt; Schoch, DÖV 1986, 132; BayVGH NVwZ 1988, 83 ff; VGH BW NVwZ 1984, 659.
45
1. Abschn. V 2 b dd
Eberhard Schmidt-Aßmann
nung in der Sitzung ist nach den einschlägigen Vorschriften nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Ladungsmängel sind wesentliche Verfahrensmängel. Die Durchführung der Sitzung verlangt die Anwesenheit des für die Beschlußfähigkeit erforderlichen Mitgliederquorums228. In der Sitzung sind die Verhandlungsgegenstände zu beraten und gegebenenfalls einer Entscheidung zuzuführen. Die wichtigsten Entscheidungsformen sind die auf Verfahrens- oder Sachfragen bezogenen Abstimmungen, die im Regelfall öffentlich durch Handaufheben erfolgen und bei denen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet229, und Personalauswahlentscheidungen in der Form von Wahlen, für die die Gemeindeordnungen teilweise diffizile Detailregelungen enthalten230. 66
dd) Ratsausschüsse231: Die Organisationskompetenz des Rates erstreckt sich darauf, Ausschüsse zu bilden232. In einigen Fällen, z. B. für Haushaltsfragen, ist die Bildung in manchen Ländern sogar gesetzlich vorgeschrieben (Pflichtausschüsse233J. Die Ausschüsse sind Unterorgane des Rates234. Sie sollen grundsätzlich das Parteienspektrum des Rates widerspiegeln235. Oft ist außerdem die Zuziehung sachkundiger Bürger zulässig236. Die primäre Aufgabe der Ausschüsse237 ist die vorherige Beratung und weitere Aufklärung einer Angelegenheit, über die später der Gemeinderat beschließen soll (beratende A.). Daneben hat der Rat aber auch das Recht, Ausschüsse mit ratsvertretender Beschlußkompetenz einzusetzen (beschließende A.); ausgenommen sind Vorbehaltsaufgaben des Rates oder anderer Gemeindeorgane (Rn. 68). Über die Einrichtung beschließender Ausschüsse und die dem Rat verbleibenden Einflußmöglichkeiten auf Ausschußbeschlüsse, z. B. durch ein Rückholrecht, treffen die Gemeindeordnungen unterschiedliche Regelungen238. 228
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46
§ 3 7 Abs. 2 GO BW; Art. 51 GO Bay.; § 5 3 GO Hess.; § 4 6 GO Nds.; § 3 4 GO N R W ; § 39 GO Rh.-Pf.; § 4 4 KSVG Saarl.; § 38 GO Schl.-H.; § 23 Abs. 4 KVG. Daneben kennt das Kommunalrecht qualifizierte Abstimmungsformen und qualifizierte Mehrheiten; vgl. die Nachweise bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 103. Foerstemann, HkWP Bd. 2, 103 f. Zum Gemeinderatsprotokoll Röper, NVwZ 1986, 1003 f. Allgemein Körner, HkWP Bd. 2, 129. Keine Ratsausschüsse und folglich nicht öffentlich-rechtlich organisiert sind die Ratsfraktionen als Zusammenschlüsse von Ratsmitgliedern einer bestimmten politischen Richtung. Zu ihrer Rechtsstellung Bick, Die Ratsfraktion, 1 9 8 8 ; Erdmann, DÖV 1988, 9 0 7 ; VGH Bay., NJW 1988, 2 7 5 4 ; OVG Münster, NJW 1989, 1105. Z . B . § 4 1 Abs.2 GO N R W ; § 4 5 Abs.2 GO Schl.-H.; § 4 9 Abs. 1 KSVG Saarl.; § 2 6 Abs. 3 KVG. Nicht alle gemeindlichen Ausschüsse sind jedoch Ratsausschüsse; nicht z.B. der Umlegungsausschuß nach § 4 6 BauGB, der Gutachterausschuß nach § 192 BauGB. Art. 33 Abs. 1 GO Bay.; § 51 Abs. 2 GO Nds.; § 49 Abs. 2 KSVG Saarl.; § 2 6 Abs. 2 KVG; BVerwG DÖV 1978, 4 1 5 ; VGH BW BWVPr. 1977, 2 0 4 (206). § 41 GO BW; § 51 Abs. 7 GO Nds.; § 4 2 Abs. 3 GO N R W ; § 4 4 Abs. 1 GO Rh.-Pf.; § 4 6 Abs. 2 GO Schl.-H.; § 2 6 Abs. 9 KVG. Nicht Ausschüsse sind Beiräte, z. B. Ausländerbeiräte gem. § 5 0 a KSVG Saarl. Sie können mit beratenden und anregenden Aufgaben betraut werden, nicht aber verbindliche Entscheidungen für die Gemeinde treffen. § 39 Abs. 3 S. 5 GO BW; § 5 0 Abs. 1 S. 5 GO Hess.; § 4 4 Abs. 3 GO Rh.-Pf.; § 2 7 Abs. 1 GO Schl.-H.
Kommunalrecht
1. Abschn. V 2 c aa
c) Aufgaben des Gemeinderates: Entsprechend seiner zentralen Stellung hat 67 der Rat die wichtigsten Führungs- und Kontrollaufgaben in der Gemeinde 239 . Die Führungsaufgaben werden in Planungen, Rechtsetzungsakten und wichtigen Einzelentscheidungen einschließlich der bedeutsamen Personalentscheidungen erfüllt. Für die Kontrollaufgaben gegenüber der Gemeindeverwaltung stellt das Kommunalrecht eine Reihe von Informations- und Auskunftsrechten zur Verfügung, denen entsprechende Berichts- und Rechnungslegungspflichten der Gemeindeverwaltung korrespondieren 240 ; ein förmliches Enquêterecht, wie es parlamentarische Gremien besitzen, existiert dagegen nicht 241 . Im übrigen ist der Aufgabenbestand des Rates entsprechend den einzelnen Gemeindeverfassungstypen unterschiedlich ausgebildet. aa) Systematik: Zur Orientierung innerhalb der Detailregelungen bietet sich eine 6 8 Dreiteilung an: des Rates: Diese in allen Gemeindeordnungen anzutref— Vorbehaltsaufgaben fende Gruppe umfaßt eine Reihe sehr wichtiger Aufgaben, die der Rat, von Dringlichkeitsfällen abgesehen, selbst entscheiden muß. Das Gesetz verbietet es, solche Entscheidungen zu delegieren; zulässig und üblich ist auch hier allerdings die Delegation der Entscheidungsvorbereitung. — variabler Aufgabenkreis: In diese Gruppe fallen alle Aufgaben, die der Rat zwar nicht notwendig entscheiden muß, die er aber entscheiden kann. Die Regelungstechniken der Gemeindeordnungen sind hier unterschiedlich: Teilweise fallen diese Aufgaben originär zunächst dem Rat zu, der sie allgemein oder im Einzelfall delegieren kann. Teilweise wird für Aufgaben dieser Art aber auch eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten eines anderen Organs gesetzlich begründet; der Gemeinderat ist dann jedoch ermächtigt, die Sache an sich zu ziehen. anderer Organe: Hierher zählen alle diejenigen Aufgaben, — Vorbehaltsbereich die die Gesetze einem anderen Organ, z. B. dem Bürgermeister oder dem Gemeindedirektor, zur eigenständigen und alleinigen Wahrnehmung übertragen. Auf diese Aufgaben kann der Rat weder Zugriff nehmen noch sonst verbindlich in sie hineinregieren. Für die süddeutsche Ratsverfassung mit ihrer starken Stellung des Bürgermeisters ist dieser dritte Bereich wesensnotwendig; vor allem die Zuständigkeiten des Bürgermeisters für die Geschäfte der laufenden Verwaltung, für Dringlichkeitsentscheidungen und sein gemeindeinternes Einspruchsrecht gehören hierher. Aber auch die anderen Gemeindeverfassungstypen (Rn. 59, 69) kennen solche Vorbehaltsaufgaben anderer Organe, sei es des Gemeindedirektors (Eilentscheidungen, Einspruch), sei es, wie in Niedersachsen, des Verwaltungsausschusses242 oder des Bürgermeisters in den neuen Bundesländern. 239
240
§ 2 4 GO BW; Art. 30 GO Bay.; § 5 0 GO Hess.; § 4 0 GO Nds.; § § 2 8 , 4 0 GO N R W ; § 33 GO Rh.-Pf.; § 37 KSVG Saarl.; § 3 0 GO Schl.-H.; § 21 Abs. 1 KVG; verwaltungspolitisch dazu Wallerath, DÖV 1986, 5 3 3 ff. Darstellung bei Knirsch, Information und Geheimhaltung im Kommunalrecht, 1987;
Ehlers, DVB1. 1990, 1 (7). 241
Zur Sachverständigenanhörung nach § 35 GO Rh.-Pf. vgl. OVG Koblenz DÖV 1984, 33 ff; allgemein Schmidt-]ortzig, KomR Rn. 194 ff.
242
§ 5 7 GO Nds.; Ipsen, KomR Nds., 156 f.
47
1. Abschn. V 3 69
Eberhard Schmidt-Aßmann
bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick): Zu den nicht delegierbaren Vorbehaltsaufgaben gehört der harte Kern der Führungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen legen ihn durchgängig in langen Aufgabenkatalogen fest 243 . Bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen finden sich darin übereinstimmend u. a. folgende Materien: — Erlaß, Änderung und Aufhebung von Satzungen und anderem Ortsrecht, — Besetzung der Ausschüsse des Rates, — Regelung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Gemeindebediensteten, — Beschlußfassung über den Gemeindehaushalt, — Beschlußfassung über Errichtung, Erweiterung oder Auflösung wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinde. Weiter zählen die meisten Gemeindeordnungen hierher: die Festlegung allgemeiner Richtlinien, nach denen die Verwaltung geführt werden soll, die Entscheidung über die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen und die Entgelte und Tarife, ferner Gebietsänderungen und wichtige Ehrungen. Im übrigen wird das Zusammenspiel zwischen dem Gemeinderat und den anderen Organen auch hier nicht allein durch Rechtsregeln repräsentiert. Natürlich gibt es allenthalben auch über die Kompetenzgrenzen hinweg informelle und formelle Kontakte zwischen den gemeindlichen Entscheidungsträgern: Eine rigide Trennung wäre ganz unangemessen. Initiative, Vorbereitung, Entscheidung und Vollzug sollen vielfältig miteinander verwoben sein. Bei den Vorbehaltsaufgaben ist nur die Entscheidungskompetenz besonders festgeschrieben.
3. Der Gemeindevorsteher 70
Das zweite Hauptorgan der Gemeinde ist der Gemeindevorsteher 244 . Für die dualistisch ausgerichtete süddeutsche Rats- und die Bürgermeisterverfassung leuchtet das ohne weiteres ein; Gemeindevorsteher ist hier der Bürgermeister (Oberbürgermeister) als monokratisch organisierte Instanz. Auch die Magistratsverfassung kennt ein zweites Hauptorgan mit eigenen Kompetenzen; organisiert ist es jedoch nicht monokratisch, sondern kollegial und nötigt daher zu einer gesonderten Behandlung (Rn. 80 ff). Einzig in der norddeutschen Ratsverfassung möchte man das Fehlen eines zweiten Hauptorgans erwarten; doch haben sich auch hier Aufgaben eines typischen Konkretionsorgans 245 in einer Fülle angesammelt, daß man den Gemeindedirektor (Oberstadtdirektor) als ein zweites Hauptorgan bezeichnen kann. 243
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245
48
§ 39 Abs. 2 GO BW; Art. 32 Abs. 2 GO Bay.; § 51 GO Hess.; § 40 Abs. 1 GO Nds.; § 28 Abs. 1 GO NRW; §32 Abs. 2 GO Rh.-Pf.; §35 KSVG Saarl.; §28 GO Schl.-H.; §21 Abs. 3 KVG. Begriff nach WolffIBachoflStober, VwR II, § 87 Rn. 19. Seine Bezeichnung ist länderweise verschieden: In Bayern: „Erster Bürgermeister"; sonst „Bürgermeister", in kreisfreien Städten „Oberbürgermeister". In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird ihm eine derartige Amtsbezeichnung vorenthalten. Er heißt dort „Gemeinde-" bzw. „Stadt-" oder „Oberstadtdirektor". Es finden sich auch die Bezeichnungen „Hauptgemeindebeamter" oder „Hauptverwaltungsbeamter". Zu diesem Begriff Schmidt-Jortzig, KomR Rn. 62.
Kommunalrecht
1. Abschn. V 3 b aa
a) Status: Bürgermeister/Gemeindedirektoren sind Wahlbeamte. Die jeweils für 71 eine gewisse Zeit von Jahren erfolgende Wahl nimmt in Baden-Württemberg246 und Bayern247 direkt das Volk, in den anderen Bundesländern der Gemeinderat vor. Der Gewählte wird nach Maßgabe des Beamtenrechts zum Beamten auf Zeit ernannt. Er ist im Regelfall hauptamtlich tätig; für kleinere Gemeinden kennen alle Gemeindeordnungen den ehrenamtlich tätigen Bürgermeister im Status eines Ehrenbeamten. Sofern nicht besondere Vorschriften für kommunale Wahlbeamte248 bestehen, gilt das allgemeine Beamtenrecht249. Eine Besonderheit des Kommunalrechts ist die Abwahlmöglichkeit, die alle250 Gemeindeordnungen dem Rat gegenüber einem von ihm gewählten Bürgermeister/ Gemeindedirektor einräumen251. Das Institut soll einer grundsätzlichen „Gleichgestimmtheit" zwischen Gemeindevertretung und Gemeindevorstand dienen252. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist umstritten, im Ergebnis aber anzuerkennen 253 . Freilich muß, z. B. durch qualifizierte Abwahlmehrheiten, sichergestellt sein, daß das Instrument im Kommunalrecht nicht dazu mißbraucht wird, die Gemeindeverwaltung parteipolitischen Wechselbädern auszusetzen. b) Aufgaben: Im Aufgabenbestand machen sich auch hier die unterschiedlichen 72 Gemeindeverfassungstypen deutlich bemerkbar. Vorbehaltlich genauen Studiums des jeweiligen Landesrechts lassen sich die folgenden Grundzüge erkennen: aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz: Zu den Standardaufgaben des Gemeindevor- 73 standes gehört es, die Beschlüsse des Rates und der Ausschüsse verwaltungsmäßig vorzubereiten254 und unter der Kontrolle des Rates auszuführen. Sofern zu letzterem außenwirksame Rechtshandlungen notwendig sind, ist das (Außen-)Vertretungsrecht (Rn. 78) der Transmissionsriemen, um dieselben vorzunehmen. Im übrigen dürfen Vorbereitungs- und Ausführungsaufgaben nicht als bloß technische Hilfsfunktionen unterbewertet werden. Schon die verwaltungsmäßige Vorbereitung der Ratsbeschlüsse — die meinungsbildende Vorbereitung sollen vor allem die Ratsausschüsse leisten — gibt dem Gemeindevorsteher im kommunalen Verfassungsleben Gewicht. Wesentlich erhöht ist dieses Gewicht natürlich dort, wo der Gemeindevorsteher zugleich Ratsvorsitzender ist (Rn. 63). 38
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214
G über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 1 4 . 8 . 1 9 6 3 (BGBl. I 685); § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StabG. - Jahresgutachten 1990/91, BT-Drucks. 11/8472. - Heinze, Staat 6, 1969, 433; Brohm, in: FS f. Forsthoff, 1972, 37; ders., HStR, II, § 36; Molitor (Hrsg.), Zehn Jahre Sachverständigenrat, 1973; Scholz, DÖV 1973, 843; Kämper, Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 1989. Art. 88 GG, G über die Deutsche Bundesbank vom 2 6 . 7 . 1 9 5 7 (BGBl. I 745, zuletzt geänd. d. G vom 2 0 . 2 . 1 9 9 1 , BGBl.I 481). - BVerwGE 41, 334; von Spindler/Becker/Starke, Die Deutsche Bundesbank, 4. Aufl., 1973; Stern, Staatsrecht, II, 1980, 463 ff; Coburger, Die währungspolitischen Befugnisse der Deutschen Bundesbank, 1988; Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1988, 68 ff; Grämlich, BBankG, WährungsG, MünzG, 1988; Hahn, Währungsrecht, 1990, 238 ff; Schmidt, in: Achterberg/Püttner, BesVwR, 3/47 ff. §§ 48 ff GWB. Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1989/90 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (S 50 GWB), BT-Drucks. 12/847. - Günther, Z H R 125 (1963), 38; 10 Jahre Bundeskartellamt, 1968; Zuck, N J W 1971, 1633. G vom 9 . 1 0 . 1 9 5 4 (BGBl. I 281). §§ 53 ff GüKG. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981. Stober, J Z 1984, 105. — Zur kommunalen Wirtschaftsförderung s. Anm. 205, zur Wirtschaftstätigkeit der Gemeinden s. Rn. 111. Lerche, BayVBl. 1987, 321; Ossenbühl, Staat 28, 1989, 31. BVerfGE 81, 310; BVerfG DVB1. 1991, 534. Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958; Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974; Oberndorfer, WiV 1979,129; Brohm, in: Fg. f. von Unruh, 1983, 777; Tettinger, ebd., 809; Hendler, DÖV 1986, 675. -
Wirtschaftsverwaltungsrecht
3. Abschn. III 1 b
die Kammern der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft auf dem Prinzip der körperschaftlichen Selbstverwaltung beruhenden Kammern der freien Berufe, z. B. der Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, die wegen der von ihnen angebotenen gehobenen Dienstleistungen und Geschäftsbesorgungen außerhalb des Gewerberechts stehen, werden als ein besonderer Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung angesehen147. Bei den Kammern der Selbstverwaltung der Wirtschaft handelt es sich organisationsrechtlich und äußerlich um Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung mit einem bestimmten Bezirk, die für die Vertretung der Interessen ihrer körperschaftlich zusammengeschlossenen Mitglieder das Recht der Selbstverwaltung besitzen und unter Staatsaufsicht stehen. Die Bildung dieser Verwaltungseinheiten entspringt allerdings nicht dem Organisationsprinzip der Dezentralisation, d. h. dem Gedanken, eine Verwaltungsaufgabe durch Ausgliederung aus der unmittelbaren Staatsverwaltung besser erledigen zu können, sondern der Absicht, die kollektive Interessenwahrung in einzelnen Wirtschaftszweigen durch die öffentlichrechtliche Organisation der Interessenten zu begünstigen und bis zu einem gewissen Grade zu disziplinieren; neben den eigenen Angelegenheiten der Mitglieder spielen bei den Trägern der wirtschaftlichen Selbstverwaltung übertragene Angelegenheiten nur eine geringe Rolle. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der hier meist bestehenden Zwangsmitglied- 59 schaft und damit der „ Verkammerung" der Wirtschaft überhaupt beurteilt sich nicht nach Art. 91GG, dessen Schutzbereich nur die privatautonome Assoziation erfaßt und deshalb die „negative" Vereinigungsfreiheit nur bei privatrechtlichen Organisationsformen schützt148. Die Praxis zieht die allgemeine Handlungsfreiheit heran; danach hindert es Art. 21 GG nicht, daß der Staat sich bei der „legitimen Aufgabe der Förderung der Wirtschaft" der Hilfe von Einrichtungen bedient, die er auf gesetzlicher Grundlage aus der Wirtschaft heraus sich selbst bilden läßt und die durch ihre Sachkunde die Grundlage dafür schaffen helfen, daß staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen149. Die Industrie- und Handelskammern150 haben die Aufgabe, das Gesamtinteresse 60 der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen, für die Förderung der
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Selbstverwaltung der Wirtschaft findet auch durch nicht rechtsfähige, bestimmten Behörden zugeordnete Gremien statt, wie z. B. die Frachtenausschüsse der Binnenschiffahrt gem. § § 2 2 f f BSchG (BVerwGE 31, 359). Brandstetter, Der Erlaß von Berufsordnungen durch die Kammern der freien Berufe, 1971; Hahn, Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung der verkammerten freien Berufe, 1974; Badura, Dt. Architektenbl. 1979, BY 67. — Zu den Grenzen der Satzungsgewalt der Kammern: BVerfGE 33, 125 (Facharzt-Urteil); BVerwG DÖV 1973, 311; zu den Grenzen der Aufgaben einer Ärztekammer: BVerwG NJW 1982, 1300 m. Anm. Redeker, NJW 1982, 1266. Abw. Hesse, VerfR, Rn.414. BVerfGE 15, 235; 32, 54. Zur Mitgliederklage auf Einhaltung des Verbandszwecks: Meßerschmidt, VerwArch. 1990, 55. G zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18.12.1956 (BGBl. I 920), zuletzt geänd. d. G v. 14.12.1976 (BGBl. 13341). - FrentzeU 215
3. Abschn. III 1 b
Peter Badura
gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Die Kammern wirken an der Berufsausbildung mit. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen gehört nicht zu ihren Aufgaben. Kammerzugehörige, die durch Beiträge die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Kammern aufzubringen haben, sind natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Kammerbezirk entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten und mit dieser gewerbesteuerpflichtig sind 151 ; von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind die nicht in das Handelsregister eingetragenen freiberuflich tätigen Personen und Inhaber land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe sowie die Inhaber von Handwerksbetrieben und von handwerksähnlichen Betrieben ( § 2 IHKG, Art. 23 SteueränderungsG 1961, § § 1 8 ff, 90II HandwO). Der Inhaber eines Handwerksbetriebs, der außerdem eine nicht-handwerkliche Gewerbetätigkeit ausübt, ist insoweit Pflichtmitglied der Industrie- und Handelskammer 152 . 61
Die Handwerkskammern153 haben die Aufgabe, die Interessen des Handwerks zu wahren und zu fördern und an der Berufsausbildung mitzuwirken ( § § 9 0 ff HandwO). Eine betriebliche Beratung der Mitglieder hält sich im Rahmen der Kammeraufgaben, nicht jedoch eine wirtschaftliche Betätigung der Kammer 154 . Die Mitgliedschaft der Handwerkskammer beim Deutschen Handwerkstag und beim Zentralverband des Deutschen Handwerks dient der Erfüllung der Kammeraufgaben und kann rechtlich nicht beanstandet werden 155 . Mitglieder der Handwerkskammern sind die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe im Kammerbezirk sowie die Gesellen und Lehrlinge dieser Gewerbetreibenden. Die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher
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Jäckel/Junge, Industrie- und Handelskammergesetz, 5. Aufl., 1991; Fischer, Unternehmerschaft, Selbstverwaltung und Staat, 1 9 6 4 ; Leibholz, Die Stellung der Industrie- und Handelskammern in Gesellschaft und Staat, 1966; Wülker, Der Wandel der Aufgaben der Industrie- und Handelskammern in der Bundesrepublik, 1972. BVerwGE 16, 2 9 5 ; 22, 5 8 ; 55, 1; BVerwG GewArch. 1984, 350. - Beitragspflicht: HessVGH DÖV 1987, 5 4 8 ; OVG N W DÖV 1987, 5 5 0 ; BVerwG WUR 1990, 173. BVerwG NJW 1978, 389. Fröhler, Die Staatsaufsicht über die Handwerkskammern, 1 9 5 7 ; ders., Das Organisationsrecht der Handwerksordnung, 1 9 7 3 ; Chesi, Struktur und Funktionen der Handwerksorganisation in Deutschland seit 1933, 1 9 6 6 ; KolbenschlaglPatzig, Die dt. Handwerksorganisation, 1968; Stober, Rechtsfragen bei Mitgliederklagen auf Einhaltung des Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches innerhalb der Handwerksorganisation, 1984. OVG Koblenz GewArch. 1980, 3 3 9 ; OVG Lüneburg GewArch. 1986, 2 0 1 . - Ress, in: Gs. f. Schultz, 1987, 3 0 5 .
BVerwG NJW 1987, 338 mit Anm. Pietzcker, NJW 1987, 305 und SiegertlSternberg, GewArch. 1986, 300.
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Wirtschaftsverwaltungsrecht
3. Abschn. III 1 b
Betriebe tragen durch Beiträge zur Deckung der Kosten bei, die durch die Errichtung und Tätigkeit der Handwerkskammer entstehen (§ 113 HandwO)156. Die Handwerksinnungen stellen einen freiwilligen Zusammenschluß der selb- 62 ständigen Handwerker desselben Handwerks oder verwandter Handwerke auf der Kreisebene dar und sollen die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder fördern (§§52 ff HandwO). Sie werden von der zuständigen Handwerkskammer beaufsichtigt (§ 75 HandwO) und sind fachlich zu Landesinnungsverbänden (§ 79 HandwO) und örtlich zu Kreishandwerkerschaften (§ 86 HandwO) zusammengeschlossen. Die Landesinnungsverbände und die Kreishandwerkerschaften sind in Rechtsformen des Privatrechts organisiert. Die Tariffähigkeit der Innungen und Innungsverbände (§§54111 Nr. 1, 82 Nr. 3 HandwO) verletzt Art. 9 III GG nicht157. Innungen und Innungsverbände sind für den Wirkungskreis, in dem sie Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen, nicht grundrechtsfähig. Soweit sie dagegen durch einen hoheitlichen Eingriff als Interessenvertretung und nicht in ihrer Funktion als Teil der staatlichen Verwaltung betroffen sind, können sie sich auf Grundrechte berufen158. Für das Recht der Landwirtschaftskammern besteht eine bundesrechtliche Rege- 63 lung, die gemäß Art. 74 Nr. 17 GG möglich wäre, noch nicht. In einer Anzahl von Bundesländern sind jedoch Landwirtschaftskammern auf landesrechtlicher Grundlage errichtet worden159. In Anlehnung an die in Art. 165 WeimRVerf. vorgesehenen Wirtschaftsräte, in 64 denen Vertreter der Unternehmer und der Arbeitnehmer zusammenwirken sollten, haben Bremen160 und Rheinland-Pfalz161 Wirtschaftskammern errichtet. Das Grundgesetz hat lediglich in Übereinstimmung mit Art. 156 WeimRVerf. eine gemeinwirtschaftliche Selbstverwaltung für sozialisierte Produktionsmittel in Betracht gezogen (Art. 15). Bis in die jüngste Zeit ist nach dem Vorbild des Reichswirtschaftsrates der Weimarer Republik162 und der Wirtschaftsräte in einigen westeuropäischen Verfassungen von verschiedenen Seiten eine quasiparlamentarische Repräsentation der organisierten Interessen der Wirtschaft in einem „Bundeswirtschaftsrat" oder „Wirtschafts- und Sozialrat" gefordert worden163. Ein derartiges Verfassungsorgan, das beratend oder beschließend (sei es auch nur im Rahmen eines Rechts zur Gesetzesinitiative) an der Wirtschafts- und SozialgesetzBVerwG NJW 1977, 1893. BVerfGE 20, 312. 158 BVerfGE 68, 193; 70, 1/20 f. - Seidl, in: FS f. Zeidler, 1987, Bd. 2, 1459. 159 Vgl z B. das niedersächs. G über Landwirtschaftskammern i. d. F. vom 1 . 6 . 1 9 6 7 (GVB1. 223). Der Bayer. Bauernverband ist eine Körperschaft des öffentl. Rechts mit freiwilliger Mitgliedschaft; VO Nr. 106 vom 2 9 . 1 0 . 1 9 4 6 (BayRS 7800-2-E), Bek. vom 1 7 . 2 . 1 9 6 0 (StAnz. Nr. 9). — Sauer, Landwirtschaftliche Selbstverwaltung, 1957. Art. 46 BremVerf., G vom 2 3 . 6 . 1 9 5 0 (GVB1. 71). 161 Art. 71 ff VerfRhPfalz, G vom 2 1 . 4 . 1 9 4 9 (GVB1.I 141). 162 Art. 165 WRV; VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat vom 4 . 5 . 1 9 2 0 (RGBl. 858). 163 Entwurf eines G über die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates: BT-Drucks. VI/2514. — Bryde, Zentrale wirtschaftspolitische Beratungsgremien in der Parlamentar. Verfassungsordnung, 1972; Steinberg, DÖV 1972, 837; Kupp, Die „öffentlichen" Funktionen der Verbände und die demokratisch-repräsentative Verfassungsordnung, SchrVfS
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3. Abschn. III 1 c
Peter Badura
gebung oder an der gesamten Gesetzgebungstätigkeit einschließlich des Haushaltsgesetzes beteiligt wäre, würde zu den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie in einen gewissen Widerspruch treten; es könnte jedenfalls nicht ohne eine Verfassungsänderung errichtet werden. Während ein Wirtschafts- und Sozialrat als Werkzeug überbetrieblicher Mitbestimmung oder als korporativ-professionelle Ergänzung des Parlamentarismus verstanden wird, stehen die auf anderen Vorstellungen beruhenden Arbeitskammern ihrem Prinzip nach in einer Spannungslage zu den Koalitionen und der Koalitionsfreiheit164. Die Europäischen Gemeinschaften haben den Einfluß der organisierten Interessen in Organen mit beratender Funktion institutionalisiert, nämlich in dem Wirtschafts- und Sozialausschuß von EWG und EAG und in dem Beratenden Ausschuß der EGKS165. 65
c) Wirtschaftsverbände, Koalitionsfreiheit: Als privatrechtlich organisierte Vereinigungen des Wirtschaftslebens bestehen die Koalitionen (Art. 9 III GG) und die Wirtschafts- oder Unternehmensverbände (Art. 91 GG). Koalitionen sind freiwillige und überbetriebliche Vereinigungen entweder von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern („Gegnerfreiheit") mit dem Ziel der Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen, aber nicht notwendig mit Tarifwilligkeit und Streikbereitschaft166. Wirtschaftsverbände sind Vereinigungen von fachlich gleichartigen Unternehmen zur Wahrung und Förderung der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Interessen und deren Zusammenschlüsse in regionalen Spitzenverbänden, wie z. B. der Bundesverband der Deutschen Industrie167. Die Wirtschaftsverbände können für ihren Bereich Wettbewerbsregeln168 aufstellen und bei der Kartellbehörde deren Eintragung in das Register für Wettbewerbsregeln beantragen (§§28 ff GWB). Ein von ihnen ausgeübter diskriminierender Organisationszwang ist kartellrechtlich 74/11, 1973, 1251; Donner, DVB1. 1974, 183; Böckenförde, Staat 15 (1976), 4 5 7 ; Stern, JöR 25 (1976), 103; Saipa, AöR 102 (1977), 4 9 7 ; Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980. 164 BVerfGE 38, 281. — Zacher, Arbeitskammern im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1971; Gass, DÖV 1960, 778; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973. 165 Art. 193 ff EWGV, Art. 165 ff EAGV, Art. 5 des Abkommens über gemeinsame Organe für die europ. Gemeinschaften vom 2 5 . 3 . 1 9 5 7 ; Art. 18, 19, 48 EGKSV. — Zellentin, Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG und Euratom, 1962; Brüske, Der Wirtschaftsund Sozialausschuß der Europ. Gemeinschaften, 1979. >«« BVerfGE 18, 18; Ramm, JuS 1966, 223; BAGE 21, 98; 23, 320; BAG J Z 1977, 470. Badura, ArbRGgwart 15 (1978), 17. 167 Nicklisch, Die Koppelung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgeberverbänden, 1972; Völpel, Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972; Steinberg, ZRP 1972, 2 0 7 ; ders., PVS 14 (1973), 27; Leßmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, 1976; von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977; Berg, Verwaltung II (1978), 71; Ipsen, ZGR 1980, 548; Schmidt, in: Achterberg/Püttner, BesVwR, 3 / 3 5 ff. 168 BGHZ 46, 168; Oehler, Wettbewerbsregeln als Instrument der Wettbewerbspolitik, 1968 (Rez. Schüller, ORDO X X I [1970], 407). 218
Wirtschaftsverwaltungsrecht
3. Abschn. III 1 c
verboten ( § § 2 7 , 35 12 GWB). Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind präsumtive Partner einer „konzertierten Aktion" ( § 3 StabG). Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) ist, über ihre individualrechtliche Wirkung 6 6 hinaus, ein tragender Grundsatz der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung 169 . Sie gewährleistet jedermann das Recht, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben, sich in ihnen zu betätigen und aus ihnen auszutreten. Das Grundrecht ist auch ein Bestands- und Betätigungsrecht der Koalitionen selbst. Zu dem geschützten Tätigkeitsbereich der Koalitionen gehören alle Vorkehrungen und Verhaltensweisen, die der Erhaltung und Organisation der Koalition und der Verfolgung ihrer koalitionsmäßigen Ziele dienen, so beispielsweise die Tätigkeit im Rahmen der Betriebsverfassung, die Werbung neuer Mitglieder, der Abschluß von Tarifverträgen (Tarifautonomie) 170 und der Arbeitskampf (Streik, Aussperrung) 171 . Die Koalitionsfreiheit der Koalitionen und die Koalitionsfreiheit der einzelnen können in Konflikt geraten, entweder im Hinblick auf die Organisation und Willensbildung der Koalitionen 172 — „innerverbandliche Demokratie", Organisationszwang — oder im Verhältnis der Koalitionen zu den Nichtorganisierten und deren „negativer" Koalitionsfreiheit 173 — bes. Differenzierung nach der GewerkDietz, GRe. III/l, 417; Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1955; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971; ders., Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, 1972; Zöllner, AöR 98 (1973), 71; Badura, RdA 1974, 129; ders., RdA 1976, 275; Säcker, ArbRGgwart 12 (1975), 17; Söllner, ArbRGgwart 16, 1979, 19; Scholz, ZA 1980, 357; Schwerdtfeger, in: Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers (Beitr. z. ausl. off. Recht u. Völkerrecht, Bd. 75/1), 1980, 149; Fuchs, in: HVerfR, 733; Seiter, AöR 109 (1984), 88. - BVerfGE 4, 96; 17, 319; 18, 18; 19, 303; 20, 312; 28, 295; 34, 307; 38, 281; 38, 386; 42, 133; 44, 322; 50, 290/366ff; 51, 77/87f; 55, 7; 57, 220/244ff; 58, 233; 60, 162/169 f; BVerfG NJW 1991, 2549. 1 7 0 Tarifvertragsgesetz i.d.F. v. 25.8.1969 (BGB1.I 1323). Materialien zur Entstehung des TVG vom 9.4.1949, ZfA 4 (1973), 129; Herschel, ebd. 183. - BVerfGE 4, 96; 34, 307; 44, 322; 50, 290/369; 55, 7/20 ff; 58, 233/246 ff. - Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., 1977; Zöllner, Arbeitsrecht, 3. Aufl., 1983, 296 ff; Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, 1987; Sachs, RdA 1989, 25; Jarass, NZA 1990, 505; Lerche, in: FS f. Steindorff, 1990, 897. 171 BVerfGE 38, 386; BVerfG NJW 1991, 2549; BAG 1, 291; BAG AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 23, 292; 33, 140; BAG EzA §615, 7 BGB Betriebsrisiko; BAG SAE 1983,217; BAG J Z 1986,596; BAG J Z 1989,750 mit Anm. Konzen; BAG J Z 1989, 85 mit Anm. Löwisch. — Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968; Scheuner, RdA 1971, 327; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975; ders., RdA 1986,165; Konzen, AcP 1977,1977,473; Scholz!Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982; Picker, Der Warnstreik, 1983; Badura, DB 1985, Beilage Nr. 14/85; Buchner, RdA 1986, 7; Richardi, RdA 1986, 146; Scholz, ZFA 1990, 377. 172 Richardi, AöR 93 (1968), 243. — Zur Zulässigkeit des Ausschlusses eines Gewerkschaftsmitglieds: BGH NJW 1973, 35; BGHZ 102, 265; BGH NJW 1991, 485. 173 BVerfGE 50, 290/367; BVerfG J Z 1981,23; BAG J Z 1969, 105. - Biedenkopf, J Z 1961, 346; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, 1974; Seiter, J Z 1979, 657; ders., J Z 1980, 749; Hanau/Kroll, JZ 1980, 181. 169
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3. Abschn. III 2 a
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schaftszugehörigkeit in tariflichen Regelungen. Die Koalitionsfreiheit ist drittens die Gewährleistung eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems im Sinne des kollektiven Arbeitsrechts mit frei gebildeten Koalitionen als Tarifparteien (Institutsgarantie) 174 . Das Grundrecht statuiert im Bereich der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den grundsätzlichen Vorrang der Tarifautonomie vor einer zwingenden gesetzlichen Regelung und garantiert so einen „Kernbereich" verbandsmäßiger Aushandlung und Entscheidung.
2. Ziele, Wirkungsfelder und Werkzeuge a) Verwaltungszwecke und Rechtsformen: Die Aufgaben des Staates für die Wirtschaftspolitik, im Grundgesetz durch die Verfassungsidee des sozialen Rechtsstaates und die konjunkturpolitische Maxime, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen, nur der Grundlinie nach vorgezeichnet (Art. 201, 109 II GG), werden durch die Gesetzgebung bestimmt. Sie erscheinen auf der Ebene des Vollzugs als Verwaltungszwecke behördlichen Handelns. Die Eigenart dieser Verwaltungszwecke und das Bedürfnis nach einem den wahrzunehmenden Aufgaben angepaßten Instrumentarium des Vorgehens haben eine bewegliche Vielfalt von Rechtsformen hervorgebracht 175 . Das gilt für die Organisation, besonders aber für die Entscheidungsverfahren und Tätigkeitsformen der planenden, beeinflussenden, lenkenden, gebietenden und leistenden Verwaltung. Der punktuelle „Eingriff" der Exekutive ist jenseits der klassischen Wirtschaftsaufsicht vielfach in größere Zusammenhänge der Planung, Ordnung und Gestaltung eingebettet, so etwa augenfällig in der strukturpolitischen Leistungsverwaltung. Unter dem Blickwinkel der die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisse bestimmenden Verwaltungszwecke sind die eingesetzten Rechtsformen des Verwaltungshandelns häufig austauschbar. 68 Der Staat verläßt nirgends sein durch Verfassung und Gesetz vorgezeichnetes Wirkungsfeld, auch wenn er sich privatrechtlicher Gestaltungsformen bedient. Die Art und Weise der Bindung der Exekutive wird allerdings durch die Wahl der organisatorischen und funktionellen Rechtsformen beeinflußt, ist also im Lichte parlamentarisch vermittelter politischer Verantwortlichkeit und rechtsstaatlicher Meßbarkeit nicht bedeutungslos. Ausschlaggebend bleibt überall die Unterscheidung des in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsform wahrgenommenen Verwaltungshandelns von der privatautonomen 67
17 175
BVerfGE 4, 9 6 ; 50, 2 9 0 / 3 6 6 ff. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1 9 3 8 ; ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd.I, 1953, 4 7 ff;
Lerche, DÖV 1961, 486; Badura, DÖV 1966, 624; Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967; Stern, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, 1969; Bachof/Brohm, W D S t R L 30, 1972, 193, 2 4 5 ; Haverkate, Rechtsfra-
gen des Leistungsstaates, 1983; Bohne, VerwArch. 75, 1984, 343; Becker, DÖV 1985, 1003;
Ossenbühl,
Umweltpflege durch behördliche Weisungen und Empfehlungen,
1986; Bauer, VerwArch. 78, 1987, 241; Robbers, DÖV 1987, 272.
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3. Abschn. III 2 a
und privatwirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen und der privaten Haushaltet Die in privatrechtlichen Organisations- oder Handlungsformen auftretende Verwaltung verfolgt unterschiedliche Verwaltungszwecke. Das ist hauptsächlich bei den weitgefächerten Aktivitäten der Leistungsverwaltung zu beachten. Die Verwaltungstätigkeit in Erfüllung von „Daseinsvorsorge" (Forsthoff) gewährt Leistungen und Vorteile allein zum Zwecke der Befriedigung eines durch die Hilfsquellen des Begünstigten oder die Arbeitsweise des Marktes nicht gedeckten Bedürfnisses, wie bei der Sozialversicherung oder bei den kommunalen Versorgungsbetrieben. In anderen Fallgruppen der Leistungsvergabe wird zusätzlich oder vorherrschend ein Gestaltungs- oder Lenkungszweck verfolgt, wie vor allem bei der Subventionsverwaltung. Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand rechnet dort, wo sie eine öffentliche Versorgungsaufgabe erfüllt, wie bei dem Großteil der Dienstleistungsangebote der Unternehmen der Deutschen Bundespost, zur Leistungsverwaltung, hingegen bei der unternehmerischen Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr nicht zur öffentlichen Wirtschaftsverwaltung in Ausführung der Gesetze. Die Beteiligung des Staates und sonstiger Verwaltungsträger, besonders der 69 Gemeinden, am Privatrechtsverkehr führt zu der Frage, ob die Exekutive sich damit den rechtsstaatlichen und verwaltungsrechtlichen Bindungen entziehen kann und wie ein Privater über Privatautonomie und Vertragsfreiheit verfügt. Die Lehre vom „Verwaltungsprivatrecht" (Hans J. Wolff) trifft hier eine Unterscheidung danach, ob die Exekutive öffentliche Verwaltung in privatrechtlicher Form ausübt, also die Gestaltungsmöglichkeit des Privatrechts nur als eine äußerliche Form für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben verwendet, oder aber als ununterscheidbarer Teilnehmer des allgemeinen Privatrechtsverkehrs („fiskalisch") auftritt. Nur im ersten Fall ist die Tätigkeit der Exekutive trotz ihrer privatrechtlichen Einkleidung nach Grund, Inhalt und Wirkung Ausübung vollziehende Gewalt, z.B. bei der Vergabe von Subventionen als Darlehen oder Bürgschaft, und muß deshalb „verwaltungsprivatrechtlich" gebunden sein177. Das gilt auch bei einer Vereins- oder gesellschaftsrechtlichen Verselbständigung eines Wirkungskreises der Verwaltung; ein der Organisationsform nach privatrechtliches Unternehmen der Daseinsvorsorge gehört zur öffentlichen Hand 178 . Demgegenüber betrachtet die Praxis — entgegen vielfacher Kritik — die Beteiligung der Exekutive am Privatrechtsverkehr im Rahmen des Auftragswesens der öffentlichen Hand („fiskalische Hilfsgeschäfte") und der Wirtschaftstätigkeit öffentlicher Unternehmen („erwerbswirtschaftliche" Staatstätigkeit), soweit nicht unmittelbar Verwaltungszwecke erfüllt werden, als verwaltungsprivatrechtlich nicht gebundene Verwaltungstätigkeit. Eine Bindung an die Grundrechte scheidet danach aus, soweit die Exekutive nicht kraft 176
177
178
Folgerichtig können sich staatlich beherrschte Beteiligungsgesellschaften nicht auf Grundrechte berufen (BVerfGE 45, 63/78 f; 61, 82/100 ff; BVerfG N J W 1980, 1 0 9 3 ; BVerfG N J W 1990, 1783); dagegen Schmidt-Aßmann, BB Beilage 34, 1990; Koppensteiner, N J W 1990, 3 1 0 5 . B G H Z 29, 76; 52, 3 2 5 ; 65, 2 8 4 / 2 8 7 ; 91, 8 4 / 9 6 f f ; B G H DVB1. 1985, 793. - Wolffl Bachof, V w R I, § 23 IHb; Siebert, in: FS f. Niedermeyer, 1953, 2 1 5 ; Ehlers, DVB1. 1983, 4 2 2 ; ders., Verwaltung in Privatrechtsform, 1984. BVerfGE 45, 63/78 ff. S. Fn. 176.
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besonderer Vorschriften über Vorrechte verfügt, wie z. B. durch das Netzmonopol der DBP TELEKOM (§ 1 II FAG), oder nicht im Einzelfall zu Lasten Dritter, insb. privatwirtschaftlicher Konkurrenten, Verwaltungspotential lenkend eingesetzt wird. 70 Das Auftragswesen der öffentlichen Hand179 ist haushaltsrechtlich gebunden und durch Verwaltungsvorschriften, insb. die Verdingungsordnungen180, detailliert geregelt. Eine verwaltungsprivatrechtliche Grundrechtsgeltung besteht grundsätzlich nicht, doch wird das Schutzbedürfnis Dritter durch das Wettbewerbsrecht erfaßt181. Im Vordergrund steht nicht die Beschaffung von Büromaterial o.a., sondern die sehr ausgedehnte Investitionstätigkeit, vor allem im Bausektor, mit der die öffentliche Hand einen so bedeutsamen Teil der Gesamtnachfrage einnimmt, daß sie als Medium antizyklischer Konjunkturpolitik geeignet ist (§§61, 10, 11 StabG). Neben einzelnen Bestimmungen mit wirtschaftspolitischer Zielsetzung, wie z. B. § 50 BBahnG, finden sich Regelungen des Beschaffungswesens, die aus sozialpolitischen Gründen die Bevorzugung bestimmter Personengruppen bei der Auftragsvergabe vorschreiben, z. B. § 74 BundesvertriebenenG. Der durch derartige Vorschriften Begünstigte kann bei rechtswidriger Nichtbeachtung der ihm zukommenden Präferenz, die ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis — neben den privatrechtlichen Rechtsbeziehungen des Auftragswesens — begründet, Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten erheben182. Aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien — Lieferkoordinierungsrichtlinie vom 22. März 1988 (ABl. Nr. L127 vom 20.5.1988), u. a. - wird das öffentliche Beschaffungswesen bis zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes bei Vergaben mit einem Auftragswert von über 200.00 ECU EG-weit nach einheitlichen Verfahren gestaltet. Ein rechtswidrig übergangener Interessent wird danach ein Nachprüfungsverfahren einleiten und ggf. Schadensersatz verlangen können. 71
b) Wirtschaftsaufsicht: Einzelne Zweige wirtschaftlicher Betätigung oder bestimmte wirtschaftliche Handlungsweisen werden durch das Gesetz im öffentlichen Interesse oder zum Schutz spezifisch betroffener Dritter Anforderungen unterworfen, deren Einhaltung durch die Behörde mit Hilfe der gesetzlichen Kontrollbe179
180
181
182
222
Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, 1963; Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978; ders., AöR 107, 1982, 61; ders., NVwZ 1983, 121; Dohmen, JbDBP 1985, 198. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB A.B./DIN 1960/61, 9. Aufl., 1980; Nicklisch/ Weick, Verdingungsordnung für Bauleistungen, Teil B, 2. Aufl., 1991; Ebisch/Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 3. Aufl., 1973. — Die in Teil A der VOB aufgestellten Richtlinien und Regeln für die Vergabe von Bauleistungen sind keine Schutzgesetze i.S.d. §82311 BGB (BGH VersR 1965, 764). BGHZ 36, 91 = J Z 1962, 176 m. Anm. Stern = DVB1. 1962, 298 m. Anm. Zeidler; BVerwG GewArch. 1970, 285. — Zur Frage des Schadensersatzes, auch nach Kartellrecht (§§2611, 35 GWB), bei willkürlicher „Auftragssperre": OLG Stuttgart JuS 1974, 4 5 6 ; OLG Düsseldorf DÖV 1981, 537 m. Anm. Pietzcker. BVerwG BB 1969, 1084; BVerwG DVB1. 1970, 866 m. Anm. Hoffmann-Becking, VerwArch. 62, 1971, S. 191; BVerwG DÖV 1971, 705. - Bettermann, DVB1. 1971, 112.
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3. Abschn. III 2 b
fugnisse sichergestellt werden kann 183 . Die gesetzlichen Anforderungen, die der Abwehr von Gefahren oder Nachteilen dienen sollen, aber auch auf Gestaltung von Wirtschaftsabläufen zielen können, erscheinen als Maßstäbe der Behörde, die auf dieser Grundlage von ihren Eingriffsbefugnissen je nach der Ermächtigung präventiv oder repressiv Gebrauch macht. Genehmigungspflichten sind eine Technik präventiver Wirtschaftsaufsicht, während Anzeigepflichten die Behörde auf einen Sachverhalt repressiven Einschreitens aufmerksam machen können. Aufgaben und Befugnisse der Wirtschaftsaufsicht finden sich herkömmlich im 72 Gewerberecht, dessen „gewerbepolizeiliche" Normen die Wahrung bestimmter Standards der Zuverlässigkeit und der Sachkunde oder der räumlichen und sachlichen Mittel der Gewerbeausübung sicherstellen sollen, z.B. im Reisegewerbe, im Gaststättenrecht und im Verkehrsgewerbe184. Eingehend geregelt sind die Versicherungsaufsicht über private Versicherungsunternehmen durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen185 und die Bankenaufsicht über die Kreditinstitute, Bausparkassen und Hypothekenbanken, die in der Hand des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen liegt186. Als ein Zweig der Gewerbeaufsicht war bis zum Erlaß des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 15. März 1974 auch die Überwachung lästiger Anlagen ausgestaltet (vormals § § 16 ff GewO, jetzt §§ 4 ff BImSchG); noch heute ein Bereich der Gewerbeaufsicht ist die Prüfung überwachungsbedürftiger Anlagen (§§24 ff GewO). Die Aufsicht über die Energieversorgungsunternehmen nach dem Gesetz zur 73 Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz, EnWG) vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1451), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 1977 (BGBl. I S. 2750), enthält im Interesse der sicheren und billigen 183
184 185
186
Bullinger, W D S t R L 22, 1965, 2 6 4 ; Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1 9 6 7 ; Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1 9 7 1 ; Ehlers, in: Achterberg/Püttner, BesVwR, Bd. I, 1990, 65; Mösbauer, Staatsaufsicht über die Wirtschaft, 1990; Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, 338 ff. Siehe unten unter IV. Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen i. d. F. d. Bek. vom 1 3 . 1 0 . 1 9 8 3 (BGBl. I 1261), zuletzt geändert durch das EinV-Gesetz vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. II 885); Gesetz über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vom 3 1 . 7 . 1 9 5 1 (BGBl. I 480), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 1 8 . 2 . 1 9 8 6 (BGBl. I 268). - Goldberg, Versicherungsaufsichtsgesetz, 1980; Prölss/ Schmidt/Frey, Versicherungsaufsichtsgesetz, 10. Aufl., 1989; Weber, ZVersWiss. 50, 1961, 3 3 3 ; ders., in: Braess (Hrsg.), 25 Jahre Institut für Versicherungswissenschaft an der Universität zu Köln, 1966, S. 5 1 ; ders., ZVersWiss. 57, 1968, 2 2 7 ; Scholz, ZVersWiss. 73, 1984, 1; Mösbauer, DÖV 1985, 811; ders., BB 1987, 1688; Tigges, Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht, 1985. Gesetz über das Kreditwesen i.d.F.d.Bek. vom 1 1 . 7 . 1 9 8 5 (BGB1.I 1472), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 2 5 . 6 . 1 9 9 0 (BGBl. II 5 1 8 ) ; Gesetz über Bausparkassen i. d. F. d. Bek. vom 1 5 . 2 . 1 9 9 1 (BGB1.I 4 5 4 ) ; Hypothekenbankgesetz i . d . F . vom 5 . 2 . 1 9 6 3 (BGBl. I 81, ber. S.368), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1 9 . 1 2 . 1 9 8 5 (BGBl. I 2355). - BVerfGE 14, 197; BVerwG DVB1. 1988, 4 4 2 ; BährelSchneider, KWGKommentar, 3. Aufl., 1986; ReischauerlKleinhans, KWG, Stand 1989. — Eine Amtshaftung zugunsten der Einlagengläubiger wegen fehlerhafter Ausübung der Aufsichtsbefugnisse scheidet aus (§ 6 II KWG i. d. F. des ÄndG vom 2 0 . 1 2 . 1 9 8 4 , BGBl. I 1693). 223
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Energieversorgung Aufsichtsmaßstäbe und Eingriffsbefugnisse mit wirtschaftslenkender Zielsetzung187. Der Energieaufsicht unterliegen Energieanlagen188 und — ohne Rücksicht auf Rechtsformen und Eigentumsverhältnisse — alle Unternehmen und Betriebe, die andere mit elektrischer Energie oder Gas versorgen oder Betriebe dieser Art verwalten (öffentliche Energieversorgung). Die Energieversorgungsunternehmen stehen überwiegend im Anteilseigentum der öffentlichen Hand 189 . Die zentralen energierechtlichen Aufsichtsbefugnisse sind die Investitionskontrolle gem. § 4 EnWG 190 und die Ermächtigung zur „Gestaltung" der Energiepreise und der Lieferungsbedingungen gem. § 7 EnWG 191 . Soweit die Preisaufsicht durch die Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt.) vom 18. Dezember 1989 (BGB1.I S. 2255) reicht, wird die allgemeine kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht verdrängt 192 . Da die Gestaltung der Preise und sonstigen Vertragsbedingungen ein wesentliches Element der unternehmerischen Vertragsfreiheit ist, kann die Energieaufsicht nur bei einem Verstoß gegen rechtlich festgelegte Bindungen der Energieversorgungsunternehmen eingreifen193. 74 Die wettbewerbsrechtliche (kartellrechtliche) Aufsicht und die Preisaufsicht dienen der Sicherung grundlegender überfachlicher Verhaltensanforderungen im Wettbewerb und in der Vertragsgestaltung. Die Wirtschaftsaufsicht nach dem Kartellgesetz194 schützt die Wettbewerbsordnung und den marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Das Zweite Änderungsgesetz vom 3. August 1973 (BGBl. I S. 917) hat die Aufsichtsbefugnisse durch die Einführung einer präventiven und repressiven Kon187
ObernoltelDanner, Energiewirtschaftsrecht, 4. Aufl., Stand 1 9 8 9 ; Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, 1982 ff; Jarass, Staat 17, 1978, 5 0 7 ; Büdenbender, Energierecht, 1982; Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl., 1983; Papier, in: FS f. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, 5 2 9 ; Matthiesen, Die staatliche Einwirkung zur Sicherung der Energieversorgung und ihre Grenzen, 1987; Baur (Hrsg.), Reform des Energiewirtschaftsgesetzes, 1991.
188
Steiner, in: FS f. Fabricius, 1989, 271.
189
BrüggemeierlDamm, Kommunale Einwirkung auf gemischtwirtschaftliche Energieversorgungsunternehmen, 1988; Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und
Wirtschaft, 1989; ders., DÖV 1991, 132; Püttner, DÖV 1990, 461. 190 191
Ossenbühl, Rechtliche Probleme der Investitionskontrolle gemäß § 4 EnWG, 1 9 8 8 . Badura/Kern, Maßstab und Grenzen der Preisaufsicht nach § 1 2 a BTOElt., 1 9 8 3 ; Börner (Hrsg.), Probleme des § 1 2 a BTOElt., 1983; Knöchel, Die Preisaufsicht nach dem
Energiewirtschaftsgesetz, 1989; Kuhnt, ET 1990, 446; Ossenbühl, ET 1991, 90.
-
BVerfGNJW 1982, 1511 (Liefersperre). 192
193
194
Lukes, in: Fg. f. Kummer, 1980, 401; ders., BB 1980, 1593; Immenga, Strompreise zwischen Kartell- und Preisaufsicht, 1982. BayVGH ET 1990, 93 nimmt weitergehend eine selbständige „Konkretisierungsbefugnis" der Preisaufsichtsbehörde an. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 2 7 . 7 . 1 9 5 7 , jetzt i. d. F. d. Bek. vom 2 0 . 2 . 1 9 9 0 (BGBl. I 235). - Frankfurter Kommentar, 1958 ff; Gemeinschaftskommentar,
hrsg. von Müller-Henneberg und Schwartz, 3. Aufl., 1972 ff; Langen/Niederleithingerl Schmidt, Kommentar zum Kartellgesetz, 5. Aufl., 1 9 7 7 ; Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 1 9 8 1 ; Frhr. von Gamm, Kartellrecht, 2. Aufl., 1 9 9 0 ; Commichau/Schwartz, Grundzüge des Kartellrechts, 1 9 8 1 ; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983; Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., 1 9 8 7 ; Emmerich, Kartellrecht, 6. Aufl., 1991.
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Wirtschaftsverwaltungsrecht
3. Abschn. III 2 c
zentrationskontrolle erweitert195. Die allgemeine Preisaufsicht mit Hilfe der die „Aufrechterhaltung des Preisstandes" als Maßstab verwendenden Generalklausel des § 2 Preisgesetz erlaubt nur ordnungssichernde Regelungen und Verfügungen, nicht dagegen eine aktiv wirtschaftsgestaltende Preislenkung196. Fachlich speziellere Ermächtigungen erlauben weitergehende Bindungen und Eingriffe, z.B. bei der Gestaltung von Verkehrstarifen oder im Energiepreisrecht. Während die Wirtschaftsaufsicht das wirtschaftliche Verhalten Privater darauf- 75 hin überwacht, ob es mit den maßgeblichen Normen des Wirtschaftsverwaltungsrechts übereinstimmt, und diese Übereinstimmung notfalls erzwingt, wird bei der Indienstnahme Privater für die Erfüllung von Verwaltungszwecken die privatwirtschaftliche Tätigkeit insgesamt oder in einzelnen Hinsichten im öffentlichen Interesse in Anspruch genommen197. Das kann in der Weise geschehen, daß Private zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe dadurch herangezogen werden, daß ihnen einzelne öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, wie z. B. bei der Durchführung der Währungsumstellung durch die Banken, beim Abzug und der Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben durch den Arbeitgeber oder bei der Pflicht von Verkehrsunternehmen, Schwerbehinderte unentgeltlich zu befördern. Verfassungsrechtlich handelt es sich um eine Regelung der Berufsausübung, deren Zulässigkeit an Art. 121 GG i. V. mit Art. 31 GG zu messen ist. Darüber hinaus wird im Fall des „beliehenen Unternehmers" einer natürlichen 76 Person oder einer juristischen Person des Privatrechts die Befugnis übertragen, gegenüber Dritten öffentlich-rechtlich zu handeln, wie z.B. bei den Technischen Überwachungsvereinen (§ 24 c GewO, § 29 StVZO) 198 . Die Beleihung darf kraft des organisatorischen Gesetzesvorbehalts nur durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes erfolgen199. c) Wirtschaftslenkung: Unter Wirtschaftslenkung versteht man alle staatlichen 77 Maßnahmen, durch die auf den wirtschaftlichen Prozeß eingewirkt werden soll, um 195
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Scholz, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971; ders., Entflechtung und Verfassung, 1981; Kleinmann/Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, 1977; Windbichler, Unternehmensverträge und Zusammenschlußkontrolle, 1977; Selmer, Unternehmensentflechtung und Verfassung, 1981; Cannenbleyl'Moosecker, Fusionskontrolle, 1982. — Viertes Hauptgutachten der Monopolkommission 1980/1981 (BT-Drucks. 9/1982); Stellungnahme der BReg., BT-Drucks. 10/409 (26.9.1983). - Gemeinschaftsrecht: VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 395/1 vom 30.12.1989). Müller-Laube, JuS 1991, 184. Übergangsgesetz über Preisbildung und Preisüberwachung (PreisG) vom 10.4.1948 (WiGBl. 27), fortgeltend gemäß G vom 2 9 . 3 . 1 9 5 1 (BGBl. I 223). - BVerfGE 8, 274; 53, 1 mit Anm. Meng, DVB1. 1980, 613; 65, 248. BVerfGE 22, 380; 30, 292; 57, 139; 68, 155. - Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 104; Ipsen, in: Fg. f. Kaufmann, 1950, 141; ders., AöR 90, 1965, 393; Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959; Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen?, 1963; OssenbühllGallwas, WDStRL 29, 1971, 137, 211; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982. BVerwGE 29, 166; BGH DÖV 1968, 135; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975; Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, 1977; PüttneriLosch, in: Jeserich / Pohl/ von Unruh (Hrsg.), Dt. Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, 1987, 368. OVG Münster JZ 1980, 93. 225
3. A b s c h n . III 2 d
Peter Badura
einen wirtschafte-, sozial- oder gesellschaftspolitisch erwünschten Zustand oder Ablauf des Wirtschaftslebens herzustellen oder zu erhalten, ohne Rücksicht auf die Rechtsform der Maßnahmen als verwaltungsrechtliches oder zivilrechtliches Gesetz, als Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder privatrechtliches Rechtsgeschäft 200 . Wirtschaftslenkung entspringt dem Sozialgestaltungsauftrag des Staates und unterscheidet sich einerseits von der rechtlichen Ordnung des Privatrechtsverkehrs nach dem Maßstab der Privatautonomie und andererseits von der Begründung von Aufgaben und Befugnissen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. 78 Ein Beispiel für die wirtschaftslenkende Regulierung des Absatzes einzelner Produkte sind die für die Ernährungswirtschaft charakteristischen Marktordnungen101. Bei einer Marktordnung werden der Wettbewerb und die durch ihn ausgeübten Wirkungen auf den Preis, den Inhalt der Austauschbeziehungen, die Art und Weise des Warenverkehrs und die Produktionsstruktur ganz oder teilweise durch öffentlich-rechtliche Regelungen ersetzt. Der Grund dafür ist, daß wegen struktureller Gegebenheiten in dem betroffenen Bereich unter den Bedingungen marktwirtschaftlicher Konkurrenz wirtschaftspolitisch unerwünschte Nachteile für die Produzenten oder die Konsumenten eintreten würden. Durch die Marktordnung wird mit Hilfe eines vielgestaltigen Bündels gesetzlicher und administrativer Maßnahmen ein Ausgleich der bis zu einem gewissen Grade widerstreitenden Ziele der befriedigenden Versorgung der Verbraucher und der angemessenenen Entlohnung der Produzenten über den (gelenkten) Preis angestrebt, wie etwa durch die Festsetzung von Höchst-, Mindest-, Rieht- und Interventionspreisen. Die Marktordnung ist ein Instrument der Wirtschaftslenkung, das hauptsächlich in der landwirtschaftlichen Produktion zur Anwendung kommt; ein anschauliches Beispiel ist die auf Art. 40 EWGV beruhende Getreidemarktordnung 202 . Staatliche Kontroll- und Überwachungspflichten zur Durchführung einer Marktordnung verlagern das unternehmerische Risiko nicht auf den Staat. Die Aufsicht dient nur dem Allgemeininteresse, nicht auch dem Schutz der am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Unternehmen 203 . 79
d) Subventionen: Die öffentlichen Finanzhilfen, die als Subventionen an Unternehmen oder sonstige Anbieter von Waren oder Dienstleistungen vergeben werden, 200
BVerwGE 71, 183/190. Hensel, Marktordnung, HDSW 7 (1961), 161; Götz, Marktordnungsrecht, in: Hdwb. des Agrarrechts II, 1982, Sp.448. 202 Getreidegesetz i.d.F. vom 3 . 8 . 1 9 7 7 (BGB1.I 1521); V O des Rates vom 2 9 . 1 0 . 1 9 7 5 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. Nr. L 281/1); G zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) vom 3 1 . 8 . 1 9 7 2 (BGBl.I 1617), jetzt i.d.F. des 2 . Ä n d G vom 2 7 . 8 . 1 9 8 6 (BGB1.I 1389); G über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen vom 2 3 . 6 . 1 9 7 6 (BGB1.I 1608, 2902), geändert durch G vom 2 3 . 7 . 1 9 8 7 (BGB1.I 1675), dazu Eiden, DVB1. 1988, 1087. Boest, Die Agrarmärkte im Recht der EWG, 1984; Barnstedt, Die Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, 1988. — Ein Verzeichnis der Grundverordnungen für die gemeinsamen landwirtschaftlichen Marktorganisationen findet sich in Sartorius, Bd. II, Nr. 177. 2 °3 BGH NJW 1987, 585 (Milchmarktordnung). 201
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Wirtschaftsverwaltungsrecht
3. Abschn. III 2 d
verfolgen im Regelfall strukturpolitische Ziele 2 0 4 . Die subventionsweise zugewandte Begünstigung knüpft im Hinblick auf ein bestimmtes öffentliches Interesse an das privatwirtschaftlich bestimmte Unternehmens- oder Betriebsziel an und führt dem Begünstigten Mittel zu, die das Unternehmen oder der Betrieb marktwirtschaftlich nicht erworben hat. Die dadurch bewirkte Kostenentlastung und die daraus abgeleitete Übernahme des unternehmerischen Risikos durch den öffentlichen Haushalt hat seinen Grund darin, daß das geförderte Unternehmen oder der Betrieb eine strukturpolitische Eigenschaft aufweist, die im öffentlichen Interesse die Förderungswürdigkeit auslöst und die Abgrenzung der begünstigten Gruppe von Wirtschaftssubjekten rechtfertigt. Durch die Praxis der Wirtschaftsförderung, wie sie bei der Lenkung der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung, bei der energie- und sozialpolitischen Beeinflussung des Kohlenbergbaus und bei den regionalen Strukturmaßnahmen zu beobachten sind, werden wesentliche Wirtschaftszweige, einzelne Wirtschaftsregionen oder selbst einzelne Unternehmen von besonderer regionaler oder sektoraler Bedeutung in Produktions- und Wettbewerbsbedingungen, in Struktur und Wachstum zum Medium der Wirtschaftslenkung und von politischen Entscheidungen abhängig. Die Wirtschaftsförderung ist hauptsächlich Sache des Staates, doch ist sie auch den Gemeinden aufgrund und in den Grenzen ihrer Selbstverwaltungsaufgabe erlaubt 2 0 5 . Der reißend angeschwollene Umfang der Wirtschaftsförderung durch staatliche 80 Finanzhilfen, die nur zu einem Teil auf einem besonderen Gesetz beruhen und häufig nur aufgrund eines Ansatzes im Haushaltsgesetz nach Maßgabe von Richtlinien der Exekutive ausgeschüttet werden, korrespondiert mit einem hier besonders auffälligen Einfluß der organisierten Interessen. Politisch gesprochen hat die vereinfachende Paradoxie eine gewisse Berechtigung, mit Subventionen interveniere „weniger der Staat in die Wirtschaft als die Wirtschaft in den Staat" (Volkmar Götz). Die Verpflichtung der Subventionspolitik auf die sehr allgemeinen Richtlinien des § 1 StabG (§ 1 2 1 StabG) verspricht kaum eine Bändigung des Subventionismus, doch bringt der von der Bundesregierung alle zwei Jahre vorzulegende Subventionsbericht (§ 12 II—IV StabG) 2 0 6 wenigstens eine größere Durchsichtigkeit und so vielleicht den Anstoß zu einer stärkeren Planmäßigkeit der Wirtschaftsförderung. Die ordnungs- und wettbewerbspolitischen Risiken des Subventionswesens lassen sich nur durch strenge und unbestechliche Festlegung und Überwachung des 204
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206
Köttgen, DVB1. 1953, 485; Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, 1956; ders., in: HStR, Bd. IV, 1990, § 92; Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966; Ipsen/Zacher, WDStRL 25,1967, 257, 308; Badura, WiV 1978, 137; Tettinger, GewArch. 1981, 105; Ehlers, VerwArch. 74, 1983, 112; Friauf, 55.DJT, 1984, Sitzungsbericht M; Oldiges, NJW 1984, 1927; Henseler, VerwArch. 77, 1986, 249; Jooss, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, 1987, 283; Stober, WiV 1989, 57; Schmidt, in: Achterberg/ Püttner, BesVwR, Bd. I, 1990, 3/53 ff. Köttgen, Der heutige Spielraum kommunaler Wirtschaftsförderung, 1963; Altenmüller, DVB1. 1981, 619; Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981; Knemeyer, WiV 1989, 92; Ehlers (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990. - BVerwG JZ 1990, 591 mit Anm. Ehlers. Bericht der BReg. über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1987 bis 1990 (Zwölfter Subventionsbericht), BT-Drucks. 11/5116. 227
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öffentlichen Interesses bei der Einführung, Abwicklung und Beibehaltung der einzelnen Förderungsmaßnahmen in Grenzen halten 2 0 7 . Die Abgrenzung des Kreises der durch eine bestimmte Subventionierungsmaßnahme zu begünstigenden Wirtschaftssubjekte ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung, die vor allem dem Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit (Art. 3 1 GG) unterliegt 208 . Die durch die Subventionierung bewirkte Veränderung der Chancengleichheit im Wettbewerb bedarf der sachlichen Rechtfertigung durch ein hinreichend gewichtiges öffentliches Interesse, d. h. ein definiertes strukturpolitisches Ziel. 81 Das Bestreben, durch eine Begrenzung und Reduzierung des Subventionswesens den finanzpolitischen Spielraum der öffentlichen Hand zu sichern 209 , der ordnungspolitischen Irregularität fortdauernder Subventionierung und insb. der Erhaltungssubventionen Rechnung zu tragen und solche Förderungsmaßnahmen zurückzuführen, die ihren Zweck verfehlt haben oder wegen veränderter Umstände nicht mehr erfüllen 210 , darf ungeachtet der Fehlschläge nicht nachlassen. Die Gewährung einer Subvention begründet grundsätzlich keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand für das Interesse an einer Weitergewährung der Förderung 211 . Der Nutzen und der Erfolg einer Subventionierungsmaßnahme und die Frage der finanzpolitischen „Beherrschbarkeit" von Subventionen sind Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Beurteilung 212 . 82 Wirtschaftsverwaltungsrechtlich gesehen sind Subventionen Geldleistungen, die in Verfolgung eines bestimmten wirtschaftsgestaltenden Zweckes an einen privaten Unternehmer als Angehörigen eines zu fördernden Wirtschaftszweiges oder wegen des Standortes seines Betriebes durch einen Verwaltungsträger im Rahmen eines besonderen Rechtsverhältnisses in Gestalt von Zuschüssen, Krediten 2 1 3 , Zinserleichterungen, Prämien oder Bürgschaften vergeben werden. Subvention im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften über den Subventionsbetrug (§ 2 6 4 StGB, Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen vom 2 9 . 7 . 1 9 7 6 , BGBl. I, S. 2 0 3 4 , 2 0 3 7 ) ist eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an (private
Antwort der BReg. auf eine Große Anfrage: Subventionspolitik der BReg., BT-Drucks. 8/ 3429. 208 yon Münch, AöR 85 (1960), 2 7 0 ; Kreussler, Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber, 1973. - BVerwG DÖV 1973, 317. 2 0 9 Siehe das Subventionsabbaugesetz vom 2 6 . 6 . 1 9 8 1 (BGBl. I 537); RegEntw., BT-Drucks. 9 / 9 2 ; Finanzplan des Bundes 1980 bis 1984, BT-Drucks. 9 / 5 1 ; Stellungnahme des BRates und Gegenäußerung der BReg., BT-Drucks. 9 / 2 1 7 . — Stern/Werner, Subventionsabbau. Notwendigkeit und Möglichkeiten, 1987. 2 1 0 Die Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau soll eine Fehlleitung von Subventionen durch die Erhebung einer Abschöpfungsabgabe ausgleichen (BVerfGE 78, 249). 2 1 1 BVerfGE 72, 175 betr. eine zins- und tilgungsbegünstigte Darlehensförderung. 212 Hansmeyer, Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, 1963; ders., FinArch. 30, 1971/72, 103; Andel, Subventionen als Instrument des finanzwirtschaftlichen Interventionismus, 1970; Schetting, Rechtspraxis der Subventionierung, 1973. 2 1 3 Hier ergeben sich besondere Rechtsgestaltungen, wenn sich die Verwaltung zur Kreditvergabe einer Bank bedient: BVerwGE 30, 211; BGH NJW 1964, 2 0 6 0 ; BayVerfGH NJW 1961, 163; BayVGH DVB1. 1967, 383. 207
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oder öffentliche) Betriebe oder Unternehmen, die wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und der Förderung der Wirtschaft dienen soll (§ 2 6 4 VI StGB) 214 . Steuervergünstigungen sind mangels eines besonderen Subventionsverhältnisses nur im wirtschaftlichen, nicht aber im wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Sinn als Subventionen anzusehen („verdeckte" Subventionen). Die Investitionszulage nach § 4 a InvZulG 1975 ist keine Steuervergünstigung, sondern eine Subvention 215 . Erfolgt die Vergabe einer Subvention nicht aufgrund eines besonderen Gesetzes, 83 dient als direktiver Maßstab für den Inhalt der Verwaltungsvorschriften (Richtlinien), die als normative Grundlage für die Entscheidung über Subventionierungsanträge durch das zuständige Ministerium erlassen werden, der Zweck der Subvention, wie er durch den Haushaltsansatz der zu vergebenden Mittel festgelegt ist 216 . Das Haushaltsgesetz kann für sich allein individuelle Ansprüche Begünstigter nicht begründen (§ 3 HGrG) und kommt deshalb als eine dem Gesetzesvorbehalt entsprechende gesetzliche Grundlage für Subventionsgewährungen nicht in Betracht 217 . Verfassungsrechtlich ist zwischen der dem parlamentarischen Budgetrecht unterliegenden haushaltswirtschaftlichen Bereitstellung der zu vergebenden Mittel und der normativen Grundlage des Subventionsverhältnisses der öffentlichen Hand zu dem Subventionsempfänger (Subventionsstatut) zu unterscheiden. Eine besondere gesetzliche Grundlage ist jedenfalls dann erforderlich, wenn die Förderung des Begünstigten in einem notwendigen Zusammenhang mit der Belastung eines Dritten steht, wie z. B. bei Ausgleichsabgaben und -leistungen 218 oder im Fall eines Eingriffs in die Chancengleichheit einer Wettbewerbsbeziehung 219 , oder wenn der Gewährleistungsanspruch eines Grundrechts spezifisch betroffen wird, wie z. B. bei Pressesubventionen 220 , bei der Filmförderung 221 oder bei Förderungen im Bereich der Religion 222 . Die Vergabe von Subventionen erfolgt im Einzelfall durch Bewilligungsbescheid 84 und regelmäßig aufgrund einer Ermessensentscheidung. Ein Anspruch des Bewerbers auf Gewährung oder Weitergewährung einer Subvention kann sich durch normative Rechtsbegründung und sonst nur kraft Gleichheitssatzes oder kraft eines besonderen Vertrauenstatbestandes, z.B. einer Zusage, ergeben 223 . Unter engen Voraussetzungen kann nach Grundsätzen der willkürfreien Folgerichtigkeit oder „System"gebundenheit ein Anspruch unmittelbar auf Zahlung eines bestimmten Findeisen, J Z 1980, 7 1 0 ; Ranft, NJW 1986, 3 1 6 3 . BVerwG NJW 1985, 1972. 21 « BayVGH BayVBl. 1970, 4 0 8 ; OVG Lüneburg GewArch. 1970, 2 8 3 . 2 1 7 BVerfGE 38, 121, 2 1 8 BVerwGE 6, 2 8 2 ; 18, 3 5 2 ; 58, 45. Gündisch, NVwZ 1984, 4 8 9 ; Jarass, NVwZ 1984, 4 7 3 ; Breuer, in: HStR, Bd. VI, 1989, 1016ff. 219 Jarass, NVwZ 1984, 4 7 3 . S.u. R n . 8 5 . 2 2 ° BVerfGE 80, 124; VG Berlin DÖV 1975, 134 mit Anm. Scholz; OVG Berlin DVB1. 1975, 905. - Schenke, GewArch. 1977, 313. 2 2 1 G über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz) i. d. F. d. Bek. vom 1 8 . 1 1 . 1 9 8 6 (BGB1.I 2046). 2 2 2 OVG N W DVB1. 1990, 999. 2 2 3 BGH J Z 1975, 4 8 5 ; OVG Hamburg GewArch. 1975, 2 0 ; OVG Münster DVB1. 1980, 648. 214
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Subventionsbetrages gegeben sein 2 2 4 . Besondere Fallgestaltungen können es rechtfertigen, eine Subvention durch öffentlich-rechtlichen Vertrag zu gewähren 2 2 5 . Eine fehlerhaft geleistete und eine zweckwidrig verwendete Subventionsleistung kann durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden. Bei fehlerhafter Vergabe entsteht dieser Erstattungsanspruch jedoch nur, wenn der Bewilligungsbescheid zurückgenommen werden darf (§ 4 8 VwVfG) und zurückgenommen worden ist 2 2 6 . Die eine Zeitlang maßgeblichen Vorschriften des Haushaltsrechts (§ 4 4 a B H O und die Landeshaushaltsordnungen) über den Widerruf von Zuwendungsbescheiden, insb. wegen zweckwidriger Verwendung, und über die Erstattung der fehlerhaft gewährten oder zweckwidrig verwandten Zuwendung 2 2 7 sollen in das Verwaltungsverfahrensrecht übernommen werden ( § § 4 9 Abs. 3 , 4 9 a VwVfG) 2 2 8 . Die Rückforderung von Beihilfen, die aufgrund von Rechtsvorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts gewährt worden sind, ist durch die nationalen Behörden grundsätzlich nach nationalem Recht zu bemessen 2 2 9 . 85 Subventionen stellen durchweg zumindest in ihren Wirkungen eine Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse dar; die Strukturpolitik, von der sich typischerweise der jeweilige Subventionszweck ableitet, zielt gerade auf die Beeinflussung der Bedingungen ab, unter denen die begünstigte Wirtschaftsleistung den Markt erreicht. Es können sich deshalb über das Subventionsverhältnis zwischen der Verwaltung und dem Begünstigten hinaus rechtlich faßbare Beziehungen auch zu beeinträchtigten Konkurrenten des Begünstigten ergeben. Die Beeinträchtigung des Konkurrenten kann in seinem willkürlichen Ausschluß aus dem Kreis der Subventionsempfänger 2 3 0 oder in einer willkürlichen Verminderung seiner Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Insoweit als eine Subventionsvergabe die Chancengleichheit im Wettbewerb (Art. 3 1 GG) oder die Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 1 GG) eines Konkurrenten des Begünstigten und damit die rechtlich geschützten Interessen eines Drittbetroffenen berührt, ist sie ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Da Subventionen eine Begünstigung nationaler Wirtschaftszweige und damit eine Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt der Europäischen Gemeinschaften zur Folge haben können, ist die Subventionspolitik der Mitgliedstaaten europarechtlich beschränkt (Art. 4 lit. c E G K S V ; Art. 9 2 - 9 4 E W G V p i . 224 225
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BVerwGE 55, 349 mit Anm. Erichsen, VerwArch. 1980, 289. HessVGH NVwZ 1990, 879; Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979; Menger, in: FS f. Ernst, 1980, 301. — Ein Konkurrent kann Rechtsschutz im Wege der Feststellungsklage erlangen (OVG Münster GewArch. 1984, 227, mit Anm. Knuth, JuS 1986, 523). BVerwG NJW 1977, 1838; BVerwG GewArch. 1977, 264; BVerwG DVB1. 1983, 810; OVG Lüneburg NVwZ 1985, 499 und 500. VGH Kassel NVwZ 1990, 879; Dommach, DÖV 1981, 122; Jarass, DVB1. 1984, 855; Weides, JuS 1985, 364. Gesetzentw. d. BReg., BT-Drucks. 11/3920. BVerwG BayVBl. 1987, 87; Papier, in: Die Bedeutung der Europ. Gemeinschaften für das dt. Recht und die dt. Gerichtsbarkeit, 1989, 51. BVerwGE 30, 191. Börner/Bullinger (Hrsg.), Subventionen im Gemeinsamen Markt, 1978; Rengeling, JZ 1984, 795; Bleckmann, WiV 1989, 75; Leisner, GewArch. 1990, 377 (Verstromungssubventionierung).
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Subventionsmaßnahmen können verfassungsrechtlich durch den allgemeinen 86 sozialstaatlichen Schutz- und Gestaltungsauftrag, aber auch durch grundrechtliche Schutzpflichten gerechtfertigt sein, wie z. B. im Fall der privaten Ersatzschulen (Art. 7IV GG). Grundrechtliche Schutzpflichten finden ihren Grund in der Förderung individueller Freiheit. Deshalb ist es selbstverständlich, daß der Geschützte eine angemessene Eigenleistung erbringen muß und nicht etwa vom allgemeinen unternehmerischen Risiko, insb. im Wettbewerb mit anderen Anbietern, freizustellen ist232. e) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte: Die wirtschaftslenkenden 87 Gesetze und die zu ihrem Vollzug ergehenden Rechtsverordnungen und Verwaltungsakte der Exekutive greifen mit sehr vielgestaltigen Rechtswirkungen in die unternehmerischen Entscheidungen und den Privatrechtsverkehr ein. Ein Hauptansatzpunkt dieser Rechtssätze und Maßnahmen ist die Vertragsfreiheit, die etwa durch preisrechtliche Regelungen, öffentlich-rechtliche Genehmigungspflichten oder dadurch beschränkt sein kann, daß ein Kontrahierungszwang die freie Wahl des Vertragspartners ausschließt. Durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes kann ein bestimmtes Verhalten geboten233 oder verboten234 sein oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zugunsten der Behörden der Wirtschaftsverwaltung235 begründet werden. Genehmigungspflichten für die Aufnahme wirtschaftlicher Berufe, für bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten oder für bestimmte Verträge ermöglichen zur Gewährleistung gesetzlicher Anforderungen eine vorbeugende Überwachung im Interesse der Gefahrenabwehr, der Wirtschaftslenkung oder sonstiger Verwaltungszwecke (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt)236. Nebenbestimmungen, die begünstigenden Verwaltungsakten beigefügt werden, insbes. Auflagen, sollen sicherstellen, daß die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden, wie z. B. bei Erlaubnissen (§51 GaststG, § 16 PBefG, u. a.), oder das mit der Entscheidung angestrebte Ziel nachhaltig erreicht wird, wie z.B. bei der Bewilligung einer Subvention (§ 36 VwVfG)237. Wirtschaftslenkende Verwaltungsakte unterscheiden sich von Polizeiverfügun- 88 gen, obwohl sie ebenso wie diese individuelle Adressaten haben, dadurch, daß sie zwischen einer Gruppe von Verwaltungsunterworfenen, die durch dieselbe wirtschaftliche Situation verbunden sind, eine bestimmte Ordnung herstellen und in diesem Sinne nicht nur individuelle Verhaltensweisen, sondern kollektive Wirkungen erreichen wollen. Diese Verwaltungsakte sind nicht allein von dem zweiseitigen 232 233
234
23J
236 237
BVerfGE 75, 40/68. Z. B. ein Beimischungszwang zur Sicherung der Verwertung von Rohstoffen inländischer Erzeugung (z. B. früher nach dem G über die Unterbringung von Rüböl aus inländischem Raps und Rübsen vom 1 2 . 8 . 1 9 6 6 , BGBl. 1966 I 497). - BayVGH DVB1. 1970, 9 7 7 ; BVerwG NJW 1974, 2247 und 2250. Z. B. das Verbot des Vertriebs und des Ankaufs bestimmter Waren im Reisegewerbe (§ 56 GewO) oder die Untersagung eines Energieversorgungsunternehmens (§ 8 EnWG). Z. B. die allgemeine Auskunftspflicht nach der VO über Auskunftspflicht vom 1 3 . 7 . 1 9 2 3 (RGBl. 1923 I 723) oder die zahlreichen Auskunftspflichten im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht (u.a. § § 1 4 , 16, 24 KWG; § 3 EnWG; § § 9 , 16IV, 23 GWB). Dörschuck, Typen- und Tarifgenehmigungen im Verwaltungsrecht, 1988. BVerwGE 6, 282, 291; 24, 129; 29, 261. - Lange, AöR 102 (1977), 337. 231
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Verhältnis zwischen der Verwaltung und dem Adressaten rechtlich zu erfassen. Sie haben eine „Dritt-" oder „Doppelwirkung"23*, so bei der Veränderung der Wettbewerbslage durch die Subventionierung eines Konkurrenten oder bei der Genehmigung eines Linienverkehrs neben einem Altunternehmen (vgl. § 13 II Nr. 2 PBefG). Die Rechtsvorschriften, die der Behörde die Grundlage zur Entscheidung über derartige Verwaltungsakte bieten, normieren zugleich mit den Voraussetzungen für die Genehmigung oder Bewilligung die im Interesse und zum Schutz der Drittbetroffenen für nötig gehaltenen Anforderungen. Der Dritte kann daher aus diesen Bestimmungen einen Abwehranspruch oder — sofern dem Verwaltungsakt keine Hindernisse entgegenstehen — einen Anspruch auf Nebenbestimmungen zur Sicherung seiner Rechte ableiten. 89 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine begünstigende Erlaubnis oder Bewilligung nicht nur die Erwerbschancen, sondern auch die Rechtsstellung eines Konkurrenten des Begünstigten berührt, ist bisher vornehmlich unter dem prozeßrechtlichen Blickwinkel der Verfassungsbeschwerde und der Klagebefugnis bei der Verwaltungsklage (§4211 VwGO; „Konkurrentenklage") behandelt worden. Der Dritte („Konkurrent") ist in einer ihn zur Verwaltungsklage berechtigenden Weise beschwert, wenn zwischen ihm und dem Adressaten des Verwaltungsaktes ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und wenn er sich kraft der einschlägigen Rechtsvorschriften oder kraft des grundrechtlich geschützten Rechts auf gleiche Wettbewerbsfreiheit (Art. 21, 31 GG) auf eine durch die Verwaltungsmaßnahme betroffene Rechtsposition berufen kann, die durch eine Rechtsverletzung verkürzt worden sei 239 . Das wirtschaftliche Interesse eines Gewerbetreibenden, daß die Zahl seiner Konkurrenten nicht durch Neuzulassung vermehrt oder durch Ausschluß vermindert werde, genießt keinen rechtlichen Schutz, es sei denn das Gesetz hat aus besonderen Gründen eine derartige Rechtsstellung geschaffen. Auf dieser Grundlage ist eine Klagebefugnis des vorhandenen Taxiunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Kraftdroschkenverkehrs ( § 1 3 III PBefG) verneint 240 , die Klagebefugnis des Altunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Linienverkehrs (§ 13 II PBefG) dagegen bejaht worden 241 . Gegen die Subventionierung eines Konkurrenten ist dem Dritten eine Anfechtungsmöglichkeit zugesprochen worden, wenn er geltend macht, daß seine schutzwürdigen Interessen willkürlich, nämlich in Form der Verzerrung der Wettbewerbslage durch Verletzung der Chancengleichheit, vernachlässigt worden seien 242 . 238
239
240 241 242
232
Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 12 III; Mußgnug, NVwZ 1988, 33. — Siehe neuerdings die besondere Vorschrift des § 80 a VwGO für den vorläufigen Rechtsschutz. BVerwG NJW 1980, 2 7 6 4 (Festsetzung von Pflegesätzen für Krankenhäuser); BVerwG DVB1. 1982, 692 (Ausnahmegenehmigung nach § 2 3 1 LadSchlG); BVerwG DVB1. 1984, 91 (Genehmigung nach dem GüKG). — Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991. BVerwGE 16, 187; OVG Münster NJW 1980, 2 3 2 3 . BVerwGE 9, 3 4 0 ; BVerwG VerwRspr. 20, 4 8 7 . BVerwGE 30, 191 (Anm. Scholz, NJW 1969, 1 0 4 4 ; Mössner, JuS 1971, 131). - Scholz, WiR 1, 1972, 3 5 ; Zuleeg, Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage, 1 9 7 4 ; Badura, in: FS f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, 1. — Zur gemeinschaftsrechtlichen Konkurrentenklage im Rahmen des Art. 93 II EWG-Vertrag vgl. EuGH EuR 1986, 256.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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Für den interventionistischen Charakter des Wirtschaftsverwaltungsrechts kenn- 90 zeichnend ist die Rechtsfigur des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts243. Rechtsfolge dieses Verwaltungsaktes ist die Begründung, Veränderung oder Aufhebung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse oder Rechte. Besonders häufig ist der Fall, daß das Wirksamwerden eines privatrechtlichen Rechtsgeschäfts von einer Genehmigung abhängig ist, so z.B. beim Grundstücksverkehr und im Mietpreisrecht 244 . Wenn die Wirkung des Verwaltungsaktes auf das private Rechtsgeschäft eingetreten ist, ist ein Widerruf ex tunc grundsätzlich ausgeschlossen245. Ein rechtsbegründender privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt war die Verleihung des Bergwerkseigentums nach dem alten Recht vor dem Inkrafttreten des Bundesberggesetzes vom 13. August 1980 (BGBl. I S. 1310), eines Inbegriffs einzelner zivilrechtlicher Berechtigungen mit dem Aneignungsrecht für die verliehenen Bodenschätze als seinem Kern. Das neue BBergG ist im Berechtsamswesen zu einem öffentlich-rechtlichen Konzessionssystem übergegangen, in dessen Rahmen die Bezeichnung „Bergwerkseigentum" für eine bestimmte, insb. beleihbare, Bergbauberechtigung hinsichtlich bergfreier Bodenschätze fortbesteht246. f) Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag: Eine 91 Gruppe wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Genehmigungspflichten hat in verschiedenartiger und komplexer Ausgestaltung raumbezogene und raumbeeinflussende Vorhaben zum Gegenstand, die der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit durch den Unternehmer des Vorhabens dienen. Exemplarisch dafür sind die Genehmigungspflichten für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen und von Flugplätzen. Unternehmer ist hier regelmäßig eine Kapitalgesellschaft mit alleiniger oder wesentlicher Beteiligung der öffentlichen Hand, die durch das Vorhaben öffentliche Aufgaben der Energie- oder Verkehrswirtschaft erfüllt. Die Unternehmergenehmigung besteht rechtstechnisch aus einer Genehmigung, mehreren Genehmigungen oder einer Planfeststellung, auch aus einer Kombination dieser Gestattungsakte, sowie aus vorbereitenden landesplanerischen oder fachplanerischen Entscheidungen. Je nach der rechtlichen Ausgestaltung wird das durch den Antrag des Unternehmers bestimmte Vorhaben in einer Entscheidung oder in mehreren aufeinander aufbauenden Entscheidungen einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Anforderungen unterworfen. Die Eigenart dieser Genehmigungen besteht darin, daß sie zugleich eine dem Unternehmer auf seinen Antrag hin erteilte Erlaubnis und eine Planungsentscheidung im Hinblick auf das zuzulassende Vorhaben sind. Im Falle der Zulassung des Vorhabens kommen die öffentlich-rechtlichen Anforderungen und die staatliche Schutzpflicht zugunsten der betroffenen privaten Belange in den 243 244
245 246
Huber, WirtschaftsverwaltungsR, I, 72 ff; Wertenbruch, in: Gs. f. Schmidt, 1966, 89. BVerwG DÖV 1968, 54; OVG Münster JuS 1968, 340; BGH NJW 1965, 41; Kieckebusch, VerwArch. 57 (1966), 17, 162. BVerwGE 29, 314; differenzierend BVerwG J Z 1977, 794. § § 6 ff BBergG. RegEntw.: BT-Drucks. 8/1315; Ausschußempfehlung und -bericht: BTDrucks. 8/3965. — Westermann, Freiheit des Unternehmers und des Grundeigentümers und ihre Pflichtbindungen im öffentl. Interesse nach dem Referentenentwurf eines Bundesberggesetzes, 1973; Weitnauer, J Z 1973, 75; Willecke, Die dt. Berggesetzgebung, 1977; Karpen, AöR 106 (1981), 15; Piens/Schulte/Vitzthum, BBergG, 1983.
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Nebenbestimmungen der Gestattung zur Geltung. Da regelmäßig eine oft sehr große Zahl von Dritten in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind, handelt es sich bei den die Errichtung oder den Betrieb des Vorhabens verbindlich zulassenden und regelnden Gestattungsentscheidungen um Verwaltungsakte mit Drittwirkung. 92 Die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens beruht auf einer durch die gesetzlichen Anforderungen und Richtlinien geleiteten Abwägung und Ausgleichung des Anspruchs des Unternehmers, der berührten öffentlichen Interessen und der rechtlich geschützten Interessen der durch das Vorhaben und seine voraussichtlichen Auswirkungen betroffenen Dritten. Sie begründet eine öffentlich-rechtliche Rechtsstellung des Unternehmers. Entsprechend den gesetzlichen Entscheidungsprämissen übt die Behörde bei der Zulassung des Vorhabens planerische Gestaltungsfreiheit aus, z.B. bei der Billigung des Standortes 247 . Dieses „Planungsermessen" hat auf der Grundlage der gesetzlichen Planungsaufgabe und der gesetzlichen Anforderungen die Grundsätze der gebotenen Planrechtfertigung gegenüber den betroffenen privaten Rechten, der umfassenden „Bewältigung" der durch das Vorhaben aufgeworfenen „Probleme" und des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots zu beachten 248 . Die Unternehmergenehmigung ist eine fachplanerische Entscheidung, die sich in die Gesamtplanungen der Bodenbeanspruchung einzufügen hat. Die Abstimmungspflicht des § 4 V BROG führt zu einer Beteiligung der Landesplanungsbehörden, die eine einfache landesplanerische Beurteilung abgeben oder ein Raumordnungsverfahren durchführen. Etwa bestehende Ziele der Raumordnung und Landesplanung lösen die Anpassungspflicht nach § 5 I V BROG aus, die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung werden, ggf. aufgrund spezieller Raumordnungsklauseln, wie z. B. in § 6 II 1 LuftVG, im Wege der landesplanerischen Beurteilung ermittelt und vorgegeben249. Die örtliche Bauleitplanung hingegen muß grundsätzlich hinter der fachplanerischen Entscheidung zurücktreten (vgl. § § 7 , 38 BauGB) 250 . 94 Die im Wege der Genehmigung oder der Planfeststellung erfolgende Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens vollzieht die gesetzlichen Voraussetzungen
93
247
Die Behörde hat sich in dem projektbezogenen Fachplanungsverfahren auf die rechtliche Prüfung des von dem Unternehmer gewählten Standortes zu beschränken, sofern sich nicht eine andere Standortwahl anbietet oder „aufdrängt" (BVerwG DÖV 1974, 4 1 8 ; BVerwG NJW 1980, 953). - Zur Standortvorsorgeplanung: Blümel, DVB1. 1977, 3 0 1 ; Brocke, Rechtsfragen der landesplanerischen Standortvorsorge für umweltbelastende Großanlagen, 1 9 7 9 ; Wahl, DÖV 1981, 5 9 7 .
248
BVerwGE 34, 3 0 1 ; 45, 3 0 9 (Schröder, DÖV 1975, 3 0 8 ; Papier, DÖV 1975, 461); 4 7 , 144; 4 8 , 5 6 ; 71, 150; 71, 166; 72, 282. - Badura, in: FS zum 25jähr. Bestehen des BayVerfGH, 1972, 157; ders., BayVBl. 1976, 5 1 5 ; Hoppe, DVB1. 1974, 6 4 1 ; ders., DVB1. 1977, 136; Blümel, DVB1. 1975, 6 9 5 ; Weyreuther, DÖV 1977, 4 1 9 ; Korbmacher, DÖV 1978, 5 8 9 ; ders., DÖV 1982, 5 1 7 . ForsthofflBlümel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970; Ronellenfitsch, WiV 1985, 168. - BVerwG DVB1. 1984, 627. BVerwGE 79, 3 1 8 ; BVerwG DVB1. 1989, 4 5 8 .
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250
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und erfüllt zugleich eine Planungsaufgabe251. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind zum Teil zwingende Anforderungen und zum Teil Optimierungsgebote für die planerische Abwägung. Neben den jeweils fachgesetzlich spezifischen Entscheidungsregeln sind die allgemeinen Grundsätze des Planungsrechts und des öffentlichrechtlichen Nachbarrechts zu beachten. Zu den fachübergreifenden Anforderungen, die allerdings hauptsächlich in fachspezifischen Kriterien zum Ausdruck kommen, gehört die Umweltvorsorge. Soweit die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Vorhabens in den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht näher oder nicht ausreichend bestimmt ist, findet das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) vom 12. Februar 1990 (BGB1.I S.205) Anwendung2". Im Komplex der Unternehmergenehmigung geht der wesentlichen Entscheidung 95 über die Zulassung des Vorhabens ein förmliches Verwaltungsverfahren voraus253. Eine Eigentümlichkeit ist die im Regelfall anzutreffende Stufung des Verfahrens254. Im Luftrecht folgt auf die Genehmigung des Flughafens die Planfeststellung der Anlage (§§ 6, 8 ff LuftVG), im Atomrecht ist die Anlagengenehmigung in der Regel projektbegleitend in mehrere aufeinander folgende Teilgenehmigungen, ggf. je mit akzessorischen Freigabebescheiden, aufgespalten, und außerdem ein Vorbescheid zulässig, insb. zur Wahl des Standortes (§§ 7ff AtG). Durch die Förmlichkeiten des Verfahrens sollen hauptsächlich die Beteiligung und das rechtliche Gehör der Betroffenen gesichert werden. Nach der Erfahrung der neueren Zeit werden gegen größere Vorhaben zahlreiche, vielfach formularmäßige Einwendungen erhoben, so daß es zu einem „Massenverfahren" kommt255. Das Verfahrensrecht trägt der Eigenart des Massenverfahrens z. B. dadurch Rechnung, daß die individuelle Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses durch dessen öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden darf, wenn außer an den Träger des Vorhabens mehr als 300 individuelle Zustellungen vorzunehmen wären (§ 74 V VwVfG)256. Den Gemeinden, deren Gebiet durch das Vorhaben oder seine Auswirkungen 96 berührt wird, kommt planungsrechtlich eine besondere Stellung zu; zu ihren Gunsten ist ein Anhörungs- und Abwägungsgebot zu beachten. Die Mitwirkung an Planungen und Maßnahmen, die das Gemeindegebiet oder Teile dieses Gebietes 251
252 253
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Ronellenfitsch, Einführung in das Planungsrecht, 1 9 8 6 ; Kühling, Fachplanungsrecht, 1 9 8 8 ; Steinberg, Das Nachbarrecht der öffentlichen Anlagen, 1988 (Rez. AöR 115, 1990, 156); Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, 1989, 110 ff; Kloepfer, Umweltrecht, 1989, 97 ff; Bender/Sparwasser, Umweltrecht, 2. Aufl., 1990, 38 ff; Wahl, DVB1. 1982, 5 1 ; ders., NVwZ 1990, 4 2 6 . Das Nähere bei Breuer, unten 5. Abschnitt Rn. 50. Hoppe!Schiarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 2. Aufl., 1981; Badura, in: Erichsen/Martens, AllgVwR, § 4 2 . Wahl, DÖV 1975, 3 7 3 ; Schmidt-Aßmann, in: Fg. f. das BVerwG, 1978, 5 6 9 ; Badura, in: Erichsen/Martens, AllgVwR, § 4 1 117. Blümel, in: FS f. Weber, 1974, 5 3 9 ; Kopp, DVB1. 1980, 3 2 0 ; Henle, BayVBl. 1981, 1; Badura, JA 1981, 3 3 / 3 4 f. — Die Auswahl von Musterverfahren bei einer Vielzahl von verwaltungsgerichtlichen Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluß (vgl. § 93 a VwGO) ist verfassungsrechtlich zulässig (BVerfGE 54, 39). BVerwG DVB1. 1983, 901.
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nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen, gehört zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde. Die kommunale Planungshoheit schließt, unabhängig von einer ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung (wie z.B. in § 10 112 LuftVG), ein „Recht der Gemeinden auf Mitwirkung an überörtlichen, aber ortsrelevanten Planungen" ein 257 . Diese Rechtsposition eröffnet der Gemeinde jedoch nicht einen umfassenden Abwehranspruch, sondern nur einen relativen Schutz konkreter Planungen und der grundsätzlichen Fähigkeit, die städtebauliche Entwicklung ihres Gebietes eigenverantwortlich zu bestimmen258. Die Gemeinde kann sich auch auf die Beeinträchtigung ihres Grundeigentums berufen, genießt dafür allerdings nicht den Schutz der Eigentumsgarantie259. 97 Gemeinden und private Drittbetroffene können die verbindlichen Entscheidungen über die Zulassung des Vorhabens mit der Anfechtungsklage angreifen und Planergänzungsansprüche auf Beifügung von Nebenbestimmungen mit der Verpflichtungsklage verfolgen. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) resultiert jedoch nicht schon aus dem erfolglosen Erheben von Einwendungen im Verwaltungsverfahren, sondern setzt stets voraus, daß der Kläger selbst in einem rechtlich geschützten Interesse betroffen ist. Für die Klagebefugnis in atomrechtlichen Streitigkeiten beispielsweise kommt es darauf an, ob der Kläger geltend macht, daß ihm durch die angefochtene Genehmigung ein höheres Risiko zugemutet wird, als er nach den Schutzbestimmungen des Atomrechts tragen muß 260 . Überdies können im Anfechtungsprozeß nur solche Rechtsmängel gerügt werden, für die eine individuelle rechtliche Betroffenheit bestehen kann (§113 I I VwGO). Der subjektiv-rechtliche Charakter des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bleibt in „Großverfahren" unberührt261. Die Verbandsklage ist unzulässig262. Die häufig lange Dauer der Hauptsacheverfahren bei technischen Großvorhaben hat es hier zu einem Charakteristikum der verwaltungsgerichtlichen Praxis werden lassen, daß dem vorläufigen Rechtsschutz ein ungewöhnliches Gewicht zugefallen ist 263 . 98 Der Schutz, den ein privater Drittbetroffener mit der Verwaltungsklage gegen das Vorhaben oder seine Auswirkungen sucht, beruht materiellrechtlich auf dem durch Gesetz und Verfassung begründeten Störungsabwehranspruch gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen von Leben, Gesundheit oder Eigentum. Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Vorhabens schutzwürdigen Interessen eines 257
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236
BVerwGE 31, 263/266; BVerfGE 56, 298 (Anm. Blümel, VerwArch. 73, 1982, 329; Steinberg, JuS 1982, 578); 76, 107; BVerwGE 77, 128 (Breitbandverkabelung). BVerwG DVB1. 1974, 562; BayVGH BayVBl. 1986, 370; Lerche, in: FS BayVGH, 1979, 223. BVerfGE 61, 82, mit Anm. Badura, J Z 1984, 14. BVerwGE 70, 365; OVG Lüneburg DVB1. 1984, 887. BVerwG DÖV 1982, 323. BVerwG DÖV 1981, 268. BVerfGE 35, 263; 53, 30; BVerfG NVwZ 1984, 429; BVerfG GewArch. 1985, 16; BVerwG DVB1. 1974, 566; BVerwG DÖV 1982, 323; VGH Bad.-Württ. DÖV 1979, 521; BayVGHE 27, 115; BayVGH NVwZ 1982, 130; BayVGH DVB1. 1984, 882. Papier, in: Rechtsfragen der Genehmigung von Kraftwerken, VEnergR 41/42, 1978, 86; Martens, Suspensiveffekt, Sofortvollzug und vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz bei atomrechtlichen Genehmigungen, 1983.
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nachteilig betroffenen Dritten eine subjektivrechtliche Ausgestaltung geben, kann ein Dritter die Zulassung des Vorhabens im ganzen oder in einzelnen Punkten angreifen, die Ergänzung der Planungs- oder Genehmigungsentscheidung durch Schutzbestimmungen verlangen oder äußerstenfalls Entschädigung für unvermeidbare Rechtsbeeinträchtigungen fordern. Auf allgemeine Belange, z . B . des Naturschutzes, kann sich der Dritte dabei nicht berufen. Nur wenn die Zulassung des Vorhabens einen Dritten mit enteignender Wirkung beeinträchtigt — sei es, daß sein Grundstück für die Ausführung des Vorhabens benötigt werden wird, sei es, daß er durch die Auswirkungen des Vorhabens schwer und unerträglich betroffen werden wird —, kann er gegen die Entscheidung die Verletzung öffentlicher Belange geltend machen; denn kraft der Eigentumsgarantie muß eine enteignende Rechtsverkürzung in jeder Hinsicht gesetzmäßig sein 264 . Rechte einzelner können sich weiter unmittelbar und allein aus der Verfassung ergeben, soweit wegen der mangelnden oder mangelhaften Regelung der nuklearen Gefahren, des Fluglärms oder der Luftverschmutzung oder durch einen rechtswidrigen Vollzug der materielloder verfahrensrechtlichen Vorschriften in diesem Bereich ein Rechtsnachteil durch die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 II oder 14 G G entsteht 2 6 5 . Soweit das Gesetz auch den Schutz von im Ausland belegenen Rechtsgütern einbegreift, steht das Territorialitätsprinzip der Klagebefugnis des ausländischen Rechtsinhabers nicht entgegen 266 . Die Genehmigungspflicht für Atomanlagen gehört zu den Überwachungsvor- 99 Schriften des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 2 3 . Dezember 1 9 5 9 (BGBl. I S. 8 1 4 ) , jetzt i. d. F. d. Bek. vom 15.Juli 1 9 8 5 (BGB1.I S . 1 5 6 5 ) , zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. November 1 9 9 0 (BGB1.I S . 2 4 2 8 ) 2 6 7 . Der Genehmigung bedarf, wer eine ortsfeste Anlage zur Erzeugung oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe errichtet, betreibt oder sonst innehat oder die Anlage oder ihren Betrieb wesentlich verändert ( § 7 1 AtG). Der Genehmigung bedürfen auch die Stillegung einer Anlage sowie der sichere Einschluß der endgültig stillgelegten Anlage oder der Abbau der Anlage oder von Anlageteilen (§7111 AtG). Die Entscheidung über die Genehmigung hat die Einhaltung der in § 7 II AtG festgelegten nuklearspezifischen 264 265
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BVerwGE 67, 74. BVerfGE 53, 30; 56, 54; BVerfG NJW 1983, 2931. - Ossenbühl, DÖV 1981, 1; ders., DVB1. 1981, 65; Badura, in: FS f. Eichenberger, 1982, 481; ders., in: FS f. Lukes, 1989, 3. BVerwG JZ 1987, 351 (atomrechtl. Anlagengenehmigung), dazu Rauschning, ArchVR 25, 1987, 312; Weber, DVB1. 1987, 377. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978; Büdenbertder, Energierecht, 1982, Tz. 1146 ff; Degenbart, Kernenergierecht, 2. Aufl., 1982; Fischerhof, Atomrecht, 9. Aufl., 1982; Kröncke, Die Genehmigung von Kernkraftwerken, RTW Bd. 27, 1982; Kuhnt, ET 1982, 495; Ronellenfitsch, Das atomrechtl. Genehmigungsverfahren, 1983; Breuer, Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; Marburger, ET 1984, 209; Rengeling, Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; Haedrich, Atomgesetz, 1986; Ziegler, ET 1987, 353; Degenhart, ET 1989, 750; Lukes, Hrsg., Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991; Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991; Wagner, DVB1. 1991, 24; ders., NVwZ 1991, 834. 237
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und nicht-nuklearspezifischen (§711 Nr. 6 AtG) Anforderungen sicherzustellen, die sich aus der in § 1 AtG ausgesprochenen Zielsetzung des Gesetzes ableiten; der Schutzzweck hat dabei den Vorrang vor dem Förderungszweck268. 100 Der die gegenständliche Reichweite des Genehmigungsvorbehalts abgrenzende Anlagenbegriff wird dadurch bestimmt, daß das Genehmigungserfordernis nach § 71 AtG in erster Linie dem nuklearspezifischen Gefahrenschutz dient und demgemäß der Anlagenbegriff durch den dem Atomgesetz zugrunde liegenden Schutzzweck entscheidend geprägt wird. Der Genehmigung bedarf die Anlage so, wie sie nach dem konkreten Konzept des Errichters zur Genehmigung gestellt ist, und nicht so, wie sie abstrakt in eine Mehrzahl auch räumlich und betrieblich trennbarer und dann ja selbständig rechtlich zu beurteilender Anlagen aufteilbar wäre. Demgemäß unterliegt bei einer Anlage zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe auch die Errichtung des in räumlichem und betrieblichem Zusammenhang mit dem Aufarbeitungsprozeß stehenden Eingangslagers für die aufzuarbeitenden Brennelemente sowie die Errichtung der Anlagenwache und des Anlagenzauns der atomrechtlichen Genehmigungspflicht269. 101 Die zentrale nuklearspezifische Genehmigungsvoraussetzung ist, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist (§ 711 Nr. 3 AtG) 270 . Ungewißheiten jenseits einer „Schwelle praktischer Vernunft", die durch die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens bedingt ist, dürfen als „Restrisiko" außer Betracht gelassen werden 271 . Daß trotz der Risiken eine Verwendung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken überhaupt erfolgen darf, hat der Gesetzgeber im Atomgesetz und mit verfassungsrechtlicher Billigung entschieden272. Diese grundsätzliche Entscheidung betrifft auch die Frage der Entsorgung (§ 9 a AtG) 273 . Risikoermittlung und Risikobewertung bei der gemäß § 7 II Nr. 3 AtG über die Gefahrenabwehr hinaus geforderten Risikovorsorge gehören zur Kompetenz der Exekutive. Die Normkonkretisierung ist insoweit der Genehmigungsbehörde vorbehalten. Es ist nicht Sache der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, die der Exekutive zugewiesene Beurteilung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen274. Eine atomrechtliche Genehmigung kann deshalb keinen Bestand haben, 268 269
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272
BVerwG DVB1. 1972, 678. BVerwGE 72, 3 0 0 / 3 2 9 ; BVerwG DVB1. 1988, 9 7 3 (Wackersdorf); Rupp, DVB1. 1989, 345. StrSchV i.d.F.d.Bek. vom 3 0 . 6 . 1 9 8 9 (BGB1.I 1321, ber. 1926), zuletzt geänd. durch Gesetz vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. II 885). BVerfGE 49, 89; Rengeling, DVB1. 1988, 257. - Zwischenbericht und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" über die Inbetriebnahme der Schnellbrüter-Prototypanlage SNR 3 0 0 in Kalkar, BT-Drucks. 9 / 2 0 0 1 .
BVerfGE 49, 89 (Breuer, ZfE 1979, 268; Fiedler, JZ 1979,184); 53, 30 (Weber, JZ 1980,
314). - Ossenbühl, DÖV 1981, 1; Lukes, ET 1987, 361. 273
274
238
BVerfG DVB1. 1988, 3 4 2 ; Badura, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Achtes Deutsches Atomrechts-Symposium 1989, 2 2 7 . — Bericht der BReg. zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen, BT-Drucks. 1 0 / 3 2 7 . BVerwGE 72, 3 0 0 / 3 1 8 ff mit Anm. Seilner, NVwZ 1986, 6 1 6 und Rengeling, in: FS f. Ule, 1987, 297.
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wenn die Behörde die zum Ausschluß von Risiken nach § 7 II AtG erforderlichen Ermittlungen nicht veranlaßt und die entsprechenden Bewertungen unterlassen hat 275 . Ebenso unterliegen behördliche Bewertungen über den erforderlichen Schutz einer kerntechnischen Anlage gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter (§711 Nr. 5 AtG) der gerichtlichen Überprüfung nur daraufhin, „ob sie auf willkürfreien Annahmen und ausreichenden Ermittlungen beruhen" 276 . Soweit es sich um den Schutz vor Gefahren der Kernenergie oder der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen handelt, wird das Immissionsrecht durch die atomrechtlichen Vorschriften verdrängt (§81 AtG, §211 BImSchG), hinsichtlich der sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen schließt die atomrechtliche Genehmigung die immissionsrechtliche Anlagengenehmigung nach § § 4 ff BImSchG ein (§ 8 II AtG). Bei der Entscheidung über die Genehmigung besitzt die Behörde — ungewöhnlich für einen präventiven Genehmigungsvorbehalt — einen Spielraum pflichtgemäßen Ermessens, um auch bisher nicht vorhersehbaren Umständen Rechnung tragen zu können277. Aus dem gesetzlichen Vorsorge- und Schutzprinzip, in dem die grundrechtliche 102 Schutzpflicht des Staates für Leben und körperliche Unversehrtheit des einzelnen angesichts der Zulassung nuklearer Anlagen zur Geltung kommt (Art. 2 II 1 GG), ergeben sich Schutz- und Abwehransprüche Dritter, soweit die atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen den einzelnen vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren wollen und nicht nur Belange der Allgemeinheit betreffen. So hat der Dritte ein Recht auf Gewährleistung der Dosisgrenzwerte des § 45 StrSchV, nicht jedoch auf Beachtung des Strahlungsminimierungsgebots (§§281 Nr. 2, 461 Nr. 2 StrSchV) oder auf Erfüllung der „Entsorgungspflicht" nach § § 9 ä f f AtG 278 . Auf die Klage eines Drittbetroffenen gegen eine atomrechtliche Genehmigung hat das Gericht die der Behörde obliegende Risikoermittlung und -bewertung am Maßstab des § 7 II Nr. 3 AtG darauf zu überprüfen und bei Zweifeln sich durch Beweiserhebung darüber Gewißheit zu verschaffen, ob sie auf einer ausreichenden Datenbasis beruht und dem im Zeitpunkt der Behördenentscheidung gegebenen Stand von Wissenschaft und Technik Rechnung trägt279. Über die Genehmigung entscheidet die zuständige oberste Landesbehörde. Die 103 Länder führen das Atomgesetz im Auftrag des Bundes aus (Art. 87 c GG, §2411 AtG) und sind dabei an die Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde gebunden (Art. 85IV GG) 280 . 275
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BVerwG DVB1. 1988, 1170. - Welche Methoden für die Beurteilung geeignet sind, ob die bestmögliche Risikovorsorge getroffen ist, ist vor allem eine Frage tatrichterlicher Würdigung (BVerwG DVB1. 1990, 58). BVerwGE 81, 185, mit Anm. Karpen, J Z 1989, 898. RegEntw. des AtG, BTag 3. WP Drucks. 759, 50, 59. - Ossenbühl, ET 1983, 665. BVerfGE 49, 8 9 / 1 4 0 ff; BVerwGE 61, 2 5 6 ; BVerwG DVB1. 1981, 4 0 5 ; BVerwG DÖV 1982, 820; BVerwG DVB1. 1990, 1167. - Bender, NJW 1979, 1 4 2 5 ; Breuer, DVB1. 1981, 3 0 0 ; Degenhart, ET 1981, 2 0 3 ; Stober, ET 1983, 5 8 5 ; Wagner, DVBl. 1983, 574. BVerwGE 78, 1 7 7 ; BVerwG DVBl. 1989, 526. BVerfGE 81, 3 1 0 , Stellungnahme des BVerwG, NVwZ 1989, 1 1 4 5 ; Wagner, DVBl. 1987, 917. - S.o. R n . 5 7 . 239
3 . A b s c h n . III 2 f
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Das Genehmigungsverfahren ist in einigen Hinsichten durch das Atomgesetz selbst, im übrigen durch die Atomrechtliche Verfahrensverordnung (AtVfV) i. d. F. d. Bek. vom 3 1 . März 1 9 8 2 (BGB1.I S . 4 1 2 ) geregelt 281 . Die Prüfung durch die Genehmigungsbehörde erstreckt sich außer auf die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 II AtG auch auf die Beachtung der übrigen das Vorhaben betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften ( § 1 4 AtVfV), eine Ersetzung anderer Genehmigungsverfahren tritt dadurch jedoch nicht ein 2 8 2 . In Genehmigungsverfahren kann jedermann Einwendungen erheben. Einwendungen, die nicht auf besonders privatrechtlichen Titeln beruhen, werden durch Fristablauf präkludiert ( § 7 1 2 AtVfV). Diese — materielle — Präklusion erstreckt sich auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren, erfaßt aber nicht das Geltendmachen von Nichtigkeitsgründen 283 . 104 Das Verfahren und die Entscheidung über die Genehmigung können auf Antrag des Unternehmers in einen Vorbescheid, der mit nur feststellender Wirkung über eine einzelne Frage befindet, von der die Erteilung der Genehmigung abhängt — z . B . den Standort 2 8 4 —, und in Teilgenehmigungen für einzelne Abschnitte der Errichtung und für den Betrieb der Anlage aufgeteilt werden (§ 7 a AtG; §§ 18, 19 AtVfV) 2 8 5 . Für den Entscheidungsgegenstand von Vorbescheid und Teilgenehmigung treten Bindungswirkung zu Lasten der weiteren Entscheidungen und materielle Präklusion von Einwendungen ( § 7 b AtG) ein. Ein „Freigabevorbehalt", der einzelne Abschnitte der Errichtung oder des Betriebes der Anlage dem Genehmigungsverfahren entzieht, ist unzulässig 286 . Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen und ihre Erfüllung nicht durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden kann ( § 1 5 II 1 AtVfV). Zur Erreichung der in § 1 AtG bezeichneten Zwecke kann Vorher galt die Atomanlagen-VO vom 20.5.1960 (BGB1.I 310), dann i.d.F. vom 29.10.1970 (BGBl.I 1518). Die AtVfV galt zunächst i.d.F. vom 18.2.1977 (BGB1.I 280). — Lukes/Vollmer/Mablmann, Grundprobleme zum atomrechtlichen Verwaltungsverfahren, 1974; Dritts Dt. Atomrechts-Symposium, 1975; Ossenbühl, NJW 1981, 375; Mumm/Schattke, DVB1. 1982, 629. 282 Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978, 37 f; Henseler, DVB1. 1982, 390. Bedarf es für eine Anlage neben der atomrechtlichen Genehmigung auch einer wasserrechtlichen Gestattung und ist die atomrechtliche Genehmigung erteilt, ist diese Entscheidung über die atomrechtlichen Anforderungen für das wasserrechtliche Verfahren bindend (BVerwG DÖV 1980, 168). 283 BVerfGE 61, 82; BVerwG DVB1. 1980, 1001 (Wyhl) und 1009 (Mülheim-Kärlich); BVerwGE 60, 297; BVerwG ET 1982, 431 (Wyhl); BVerwG NVwZ 1986, 472 (Mülheim-Kärlich). — Breuer, in: Lukes (Hrsg.), Sechstes Dt. Atomrechts-Symposium, 1980, 243; Ipsen, DVB1. 1980,146; Stober, AöR 106 (1981), 41; Ronellenfitsch, VerwArch. 74, 1983, 369. 284 BVerwG DVB1. 1982, 960. 2 « BVerwGE 70, 365; 72, 300; 78, 177; BVerwG DVB1. 1988, 1170. Klante, Erste Teilerrichtungsgenehmigung und Vorbescheid im Atomrecht, 1984; ders., BayVBl. 1987, 5; Wieland, DVB1. 1991, 616. 286 BVerwG DVB1. 1988, 1170. Dazu: Breuer, Genehmigungsverfahren Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich, 1989; Rümpel, NVwZ 1989, 1132. - Ossenbühl, DVB1. 1980, 803.
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die Genehmigung inhaltlich beschränkt und mit Auflagen, nicht jedoch mit Bedingungen, verbunden werden (§ 17 X I 2 AtG) 287 . Nachträgliche Auflagen sind, u.U. nur gegen Entschädigung, zulässig, soweit es zur Sicherung der in § 1 Nr. 2 und 3 AtG genannten Zwecke erforderlich ist (§§ 17 13, 18 III AtG). Die luftrechtlicbe Zulassung von Flugplätzen ist unterschiedlich geregelt für 105 Flughäfen, für Landeplätze mit oder ohne beschränkten Bauschutzbereich und für Segelfluggelände288. Flughäfen sind Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorhergesehenen Flugbetriebs einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen; sie sind Flughäfen des allgemeinen Verkehrs (Verkehrsflughäfen) oder solche für besondere Zwecke (§ 38 LuftZVO). Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über den Luftverkehr (Art. 73 Nr. 6 GG) erstreckt sich auch auf Regelungen, die die Zulassung von Flughäfen sowie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Flughafenunternehmer und den vom Luftverkehr beeinträchtigten Grundstücken betreffen289. Soweit das Luftverkehrsgesetz als das einschlägige Fachplanungsgesetz eine Regelungskompetenz für sich in Anspruch nimmt, bleibt die Beurteilung der bebauungsrechtlichen Zulässigkeit eines beabsichtigten Vorhabens dem spezifischen Entscheidungsverfahren des Luftverkehrsrechts überlassen (§§ 29 S. 1, 38 S. 1 BauGB, § 91 S. 3 LuftVG) 2 ' 0 . Flughäfen dürfen nur mit Genehmigung (§6 LuftVG) und nach vorheriger 106 Planfeststellung (§ § 8 ff LuftVG)291 angelegt und betrieben werden. Die Genehmigung ist eine Entscheidung über den Antrag des Unternehmers, dem sie eine Anlageund Betriebserlaubnis gibt, und zugleich eine überschlägige und vorläufige Planungsentscheidung, durch die ohne abschließende rechtliche Verbindlichkeit die rechtliche Grundlage für das Planfeststellungsverfahren und den Planfeststellungsbeschluß geschaffen wird292. Mit der Genehmigung ist die Festlegung des Ausbauplanes verbunden, der den Bauschutzbereich umschreibt (§ 12 LuftVG) 293 . Dem 287 OVG Lüneburg ET 1984, 6 5 ; Mutschier, Nebenbestimmungen zur Atomanlagengenehmigung und die Zulässigkeit ihrer Verwendung zur Ausräumung von Versagungsgründen, 1974. 288
§§ 6ff LuftVG i.d. F. d. Bek. vom 1 4 . 1 . 1 9 8 1 (BGBl. I 61), zuletzt geändert durch G vom 2 8 . 6 . 1 9 9 0 (BGBl. I 1221); § § 3 8 ff Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) i. d. F. d. Bek. vom 1 3 . 3 . 1 9 7 9 (BGBl. I 308), geändert durch VO vom 2 1 . 7 . 1 9 8 6 (BGBl. I 1097). — Hofmann, Luftverkehrsgesetz, Luftverkehrs-Verordnungen, 2 Bde., 1 9 7 1 ; Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 1 9 8 1 ; Badura, in: FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, 2 7 ; GiemüllalLau/Barton, LuftVG, Stand 1 9 9 0 ; Giemülla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, 1990.
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HessStGH DÖV 1982, 3 2 0 (BVerfGE 60, 175); dazu Steinberg, ZRP 1982, 113. BVerwG DVB1. 1990, 1179. Die zu der Genehmigung hinzutretende Planfeststellung ist durch die Novelle vom 5 . 1 2 . 1 9 5 8 (BGBl. I 899) eingeführt worden. - Beine, Z L R 7, 1958, 3 6 3 ; ders., Z L W 10, 1961, 3. BVerwG DÖV 1969, 2 8 3 ; BVerwG DVB1. 1969, 3 6 2 ; BVerwG DVB1. 1971, 4 1 5 ; BVerwG DÖV 1974, 4 1 8 mit Anm. Wahl, DÖV 1975, 3 7 3 ; BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1980, 135; Badura, BayVBl. 1976, 515. Das im Bauschutzbereich eintretende Erfordernis der Zustimmung der Luftfahrtbehörde zu Baugenehmigungen hat für sich allein grds. keine enteignende Wirkung (BGH Z L W 21,
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Genehmigungsvorbehalt unterliegt auch die wesentliche Erweiterung oder Änderung der Anlage oder des Betriebs des Flugplatzes (§ 6 I V 1 LuftVG) 2 9 4 . Bau und Betrieb militärischer Flugplätze der Bundeswehr und der Stationierungsstreitkräfte können von den Anforderungen und Verfahren des Luftverkehrsrechts ausgenommen werden ( § 3 0 LuftVG) 2 9 5 . 107 Über die Genehmigung befindet die nach Landesrecht zuständige Behörde im Auftrag des Bundes, mit Ausnahme der dem Bundesminister für Verkehr vorbehaltenen Prüfung und Entscheidung, inwieweit durch die Anlegung und den Betrieb eines Verkehrsflughafens die öffentlichen Interessen des Bundes berührt werden (Art. 8 7 d GG, § 3 1 1 1 Nr. 4 und Abs. 3 LuftVG); die dem Bund vorbehaltene Entscheidung hat einen nur verwaltungsinternen Charakter. Die Entscheidung über die Genehmigung ergeht in Ausübung von Planungsermessen nach den materiellen Richtlinien des § 6 LuftVG. Dem Unternehmer können Regelungen des Flugbetriebs auferlegt werden, soweit nicht die Festlegung der An- und Abflugverfahren der Bundesanstalt für Flugsicherung vorbehalten ist 2 9 6 . Da erst das nachfolgende Planfeststellungsverfahren die parzellenscharfe und verbindliche Regelung der Rechtsbeziehungen zu den Drittbetroffenen, insb. den Flughafennachbarn, zur Folge hat ( § § 9 , 11 LuftVG), können Drittbetroffene die Genehmigung mangels Klagebefugnis (§4211 V w G O ) nicht angreifen 297 . Das gilt auch für die in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinden. Diese sind jedoch an dem Genehmigungsverfahren — und ggf. an einem vorgängigen Raumordnungsverfahren — zu beteiligen, haben hier ein Recht auf Information und Anhörung und können eine Verletzung dieses „formellen" Beteiligungsrechts im Wege der Anfechtungsklage geltend machen 2 9 8 . Die Genehmigung oder ihre Änderung können allerdings auch für sich allein Rechte Dritter beeinträchtigen. Eine durch ein genehmigungspflichtiges Vorhaben materiell in ihrer Planungshoheit betroffene Gemeinde kann unter bestimmten Voraussetzungen die Abwehr einer Rechtsbeeinträchtigung und auch einen Anspruch auf Durchführung eines Genehmigungsverfahrens und dessen Abschluß durch eine Sachentscheidung geltend machen 2 9 9 . Flugschulen und Flugcharterunternehmen, denen an einem Flughafen ein Benutzungsrecht eingeräumt ist, können
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1972, 179; BGH DVB1. 1974, 430), kann aber im Fall der Verweigerung der Zustimmung, die eine nur verwaltungsinterne und nicht selbständig anfechtbare Verwaltungshandlung ist, zu einer entschädigungspflichtigen Enteignung führen (§ 19 LuftVG). BVerwG DVB1. 1989, 363. BVerwG NVwZ 1988, 1122; BVerwG DVB1. 1989, 3 6 3 ; VGH Kassel NJW 1989, 4 7 0 ; Deiseroth, DVB1. 1989, 9; GiemüllalMost, DVB1. 1990, 508. Gesetz über die Bundesanstalt für Flugsicherung vom 2 3 . 3 . 1 9 5 3 (BGBl. I 70), zuletzt geänd. d. G v . 1 8 . 1 2 . 1 9 8 9 (BGBl.I 2218); § 3 1 12 LuftVG. - BGHZ 69, 128; Lischka, VerwArch. 1988, 445. BVerwG DÖV 1969, 283. - Vgl. auch BVerfG DVB1. 1981, 3 7 4 (1. 8 . 1 9 8 0 ) mit Anm. Schmidt-Aßmann, DVB1. 1981, 334. BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1979, 5 1 7 ; BVerwG DÖV 1980, 135; BVerwG DVB1. 1988, 5 3 2 ; Grabherr, ZLW 1977, 247. - Vgl. auch BVerfG DVB1. 1981, 374 (12.5.1980). BVerwG DVB1. 1989, 363.
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verlangen, daß ihre gewerblichen und wirtschaftlichen Belange angemessen berücksichtigt werden, wenn ihre gewerbliche Betätigung durch eine Änderung der Genehmigung wesentlich erschwert wird 300 . Wenn dem Genehmigungsverfahren ein Planfeststellungsverfahren nicht folgt, hat die Genehmigung einen die Zulassung des Flugplatzes insgesamt erfassenden Regelungsgehalt; der betroffene Anwohner hat demnach gemäß § 6 LuftVG ein Recht auf angemessenen Schutz vor Fluglärm durch die Genehmigung 301 . Planfeststellungsbehörde ist die von der Landesregierung bestimmte Behörde, die 1 0 8 in Bundesauftragsverwaltung handelt (Art. 87 d GG, § 1 0 LuftVG) 302 . Bei der Entscheidung über die Planfeststellung, die in Ausübung planerischer Gestaltungsfreiheit zu treffen ist, sind die entsprechend geltenden Anforderungen nach § 6 II und III LuftVG maßgebend 303 . Die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die rechtlich geschützten Interessen Dritter müssen, sofern sie nicht der Planfeststellung überhaupt entgegenstehen, aufgrund der gebotenen planerischen Abwägung durch Auflagen (§ 9 II LuftVG) oder Entschädigung ausgeglichen werden 304 . Von besonderem Gewicht ist der Schutz gegen Fluglärm 305 . In § 29 b LuftVG ist hierfür eine beim Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden zu beachtende allgemeine Grundpflicht aufgestellt. Die normativen Vorkehrungen zur Bekämpfung des Fluglärms und ihr Vollzug im Einzelfall müssen der in Art. 2 II GG begründeten Schutzpflicht des Staates genügen. Ihre Erfüllung kann nicht ausschließlich davon abhängen, welche Maßnahmen nach dem „Stand der Technik" möglich sind; maßgebliches Kriterium ist letztlich, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf 306 . Gemeinden und private Betroffene können die Planfeststellung angreifen, soweit sie in ihren Rechten berührt sind und die Verletzung von Vorschriften rügen können, die ihren Schutz bezwecken. Entsprechend dem Sach- und Regelungsgehalt der Entscheidung müssen die Verwaltungsgerichte jedenfalls „die umfassende Nachprüfung der luftverkehrsrechtlichen Gesichtspunkte innerhalb der Planung" — ohne Beschränkung durch die materiell nicht angreifbaren Vorentscheidungen
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BVerwG DVB1. 1989, 1097. BVerwG DVB1. 1989, 1051. Das Gesetz schreibt den Landesregierungen nicht vor, für die Anhörung der Beteiligten und für die Planfeststellung verschiedene Behörden zu bestimmen (BVerwG NJW 1980, 1706). BVerwGE 69, 2 5 6 ; 75, 214. BVerwGE 56, 110; 69, 2 5 6 ; BVerwG DÖV 1991, 8 5 3 ; VGH BW DVB1. 1990, 108; Quaas, NVwZ 1991, 16. Dazu auch das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 3 0 . 3 . 1 9 7 1 (BGBl. I 282), zuletzt geänd. d. G v. 1 6 . 1 2 . 1 9 8 6 (BGBl. I 2441), das u. a. die Festsetzung von Lärmschutzbereichen und die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen vorsieht. Der in § 3 des Gesetzes und in der Anlage als Maßstab vorgesehene äquivalente Dauerschallpegel wird auch im Rahmen der Planfeststellung zur Ermittlung der Lärmbelastung herangezogen. — Bericht der BReg. über die Erfahrungen bei der Durchführung des Fluglärmgesetzes, BT-Drucks. 8 / 2 2 5 4 . BVerfGE 56, 54.
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durch die Genehmigung — im Rahmen des Verfahrens gegen den Planfeststellungsbeschluß vornehmen 307 . 109 g) Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand: Die Teilnahme des Staates, der kommunalen Gebietskörperschaften und anderer Verwaltungsträger am Wirtschaftsverkehr ist in ihren Gegenständen, Rechtsformen und Beweggründen sehr vielfältig. Sie reicht von der gemeinwohlorientierten Leistungsverwaltung in oft gleitenden Übergängen bis zu unternehmerischem Handeln im Marktverkehr ohne besondere öffentlich gebundene Zielsetzung, besonders im Bereich der Industriebeteiligungen308. Die öffentliche Wirtschaftstätigkeit kann zwar durch wirtschaftsoder sozialpolitisch orientierte Modifikation der Preise oder Konditionen bis zu einem gewissen Grade wirtschaftslenkend eingesetzt werden, ist aber nicht planmäßig zu einem „gemeinwirtschaftlichen" Sektor der Gesamtwirtschaft ausgestaltet. Von der den Verwaltungszweck der Daseinsvorsorge verwirklichenden Leistungsverwaltung, z. B. durch die großen Verkehrsanstalten des Bundes (Bahn, Post) oder die kommunalen Verkehrs- und Versorgungsbetriebe, unterscheidet sich die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses, dem die Einheiten der Leistungsverwaltung gewidmet sind. Die öffentliche Hand wird unternehmerisch tätig, wenn sie Waren oder Dienstleistungen im Wirtschaftsverkehr anbietet, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeit in privatrechtlichen oder in öffentlich-rechtlichen Organisations- oder Handlungsformen ausgeübt wird und ob sich die öffentliche Hand dabei eines rechtlich verselbständigten Wirtschaftssubjekts bedient. Die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand kann im öffentlichen Interesse Zweckbindungen unterliegen oder dienstbar gemacht werden, wie z.B. bei den öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsunternehmen der Kredit- und der Versicherungswirtschaft, hat jedoch anders als die Einrichtungen der Leistungsverwaltung nicht eine spezifisch öffentliche Aufgabe als Anstalts- oder Unternehmenszweck zu verfolgen. 110
Die unternehmerisch auftretende öffentliche Hand bedient sich regelmäßig der Beteiligung an Kapitalgesellschaften. Der bei der Verfolgung eines spezifischen öffentlichen Interesses notwendige Einfluß auf die Geschäftsführung des Unternehmens, soweit er gesellschaftsrechtlich dem Anteilseigner überhaupt eröffnet ist, setzt voraus, daß die öffentliche Hand über alle Anteile oder jedenfalls über die Mehrheit des Anteilsbesitzes verfügt. Von einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen 309 wird gesprochen, wenn der private Anteilsbesitz mindestens über die zur Verhinderung einer Satzungsänderung erforderliche Sperrminorität (§17911 AktG) verfügt. 307 BVerfG DVB1. 1981, 3 7 4 ( 1 . 8 . 1 9 8 0 ) . 308
Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968; Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1 9 6 9 ; Scholz, AöR 97 (1972), 3 0 1 ; ders., in: Duwendag (Hrsg.), Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, 113; Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europ. Gemeinschaft, 1 9 8 0 ;
Badura, in: FS f. Schlochauer, 1981, 3; ders., ZHR 146 (1982), 448; ders., in FS f. Steindorff, 1990, 8 3 5 ; Dickersbach, WiV 1983, 187; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl., 1 9 8 5 ; Bredel von Loesch (Hrsg.), Die Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, 1 9 8 6 ; Berg, GewArch. 1990, 2 2 5 ; Ehlers,
JZ 1990, 1089. — Der Bundesminister
der Finanzen
erscheinenden Berichts: Beteiligungen des Bundes. 309
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Schmidt-Aßmann,
BB 1990, Beilage 34.
ist Herausgeber des jährlich
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Das öffentlich-rechtliche Organisationsrecht, z. B. Art. 87 11 GG, kann der Wahl privatrechtlicher Rechtsformen und der Ausgliederung von Verwaltungsaufgaben in Beteiligungsgesellschaften Grenzen setzen 310 . Die kommunale Wirtschaftstätigkeit311, für deren Zulässigkeit und Handhabung 111 nach dem Vorbild der § § 6 7 ff DGO in den Gemeindeordnungen besondere Vorschriften bestehen, ist zum größten Teil nicht erwerbswirtschaftliche, sondern leistungsverwaltungsrechtliche Wirtschaftsbetätigung 312 . Denn das Gemeinderecht erlaubt die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen und ebenso Beteiligungen an Kapitalgesellschaften u. a. nur, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt. Die öffentlichen Sparkassen der kommunalen Gebietskörperschaften unterliegen landesrechtlicher Regelung (s. auch Art. 9 9 EGBGB) 3 1 3 . Bundesbahn und Bundespost durchlaufen — ohne grundsätzliche Preisgabe ihres 1 1 2 öffentlichen Versorgungsauftrags — einen Strukturwandel von der anstaltlichen Leistungsverwaltung zu neuen Formen öffentlicher Unternehmen. Organisation, Aufgaben und Wirkungskreis dieser Unternehmen sind, mit gewissen Parallelen, im Bundesbahngesetz vom 13. Dezember 1 9 5 1 (BGBl. I S. 9 5 5 ) , zuletzt geändert durch Gesetz vom 2 8 . Juni 1 9 9 0 (BGBl. I S. 1221) 3 1 4 , und im Postverfassungsgesetz vom 8. Juni 1 9 8 9 (BGB1.I S. 1026) 3 1 S geregelt. Das Schienenmonopol der Bundesbahn 310 311
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Badura, in: FS f. Lorenz, 1991. Siehe die Kommentierungen zu den Gemeindeordnungen sowie: Suren, Gemeindewirtschaftsrecht, 1960; Köttgen, in: Hundert Jahre Dt. Rechtsleben, 1960, II, 577; Sternl Püttner, Die Gemeindewirtschaft, 1965; Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), 580; von Arnim, in: Fg. f. Weitnauer, 1982, 163; Scholz/Pitschas, Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, 1982; Burmeister, in: Fg. f. von Unruh, 1983, 623; Gerke, Jura 1985, 349; Mahlberg, Kontrolle gemeindlicher Unternehmen, 1986; Erichsen, Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, 1987; Schiefer, Eildienst LKT NRW 1990, 101. - BVerfGE 61, 82/106 ff; BVerwGE 39, 329; BVerwG NJW 1978, 1539. Dies ist der wesentliche Grund, der die Gemeinden daran hindert, mit Hilfe ihrer gesellschaftsrechtlichen Befugnisse neuartige Mitbestimmungsformen einzuführen, sofern sie sich dadurch ihres letztentscheidenden Einflusses begeben; OLG Bremen NJW 1977, 1153 unter Aufhebung von LG Bremen DVB1. 1977, 50 mit Anm. Köper. — Ossenbühl, Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972; Schneider, DÖV 1972, 598; Püttner, DVB1. 1984, 165; Ehlers, J Z 1987, 218; Schäfer, Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1988. Schliersbach, Das Sparkassenrecht in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West, 1981; Stern/Burmeister, Die kommunalen Sparkassen, 1972; Weides, DÖV 1984, 41; Nierhaus, DÖV 1984, 662. - BVerfG DVB1. 1987, 844; BVerwG DÖV 1972, 350; BayVGHE 26, 177; BayVGH DVB1. 1982, 500; OVG Münster DVB1. 1984, 504. Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation der Dt. Bundesbahn in verfassungsrechtlicher Sicht, 1986. Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Dt. Bundespost, 1980; Steiner, in: HStR, Bd.III, 1988, §81, 1087; Fangmann u.a., Handbuch für Post und Telekommunikation — Poststrukturgesetz, 1990; Großfeld, Dt. Bundespost Postbank, 1990; Kirchhof, Tätigkeitsfelder der Dt. Bundespost Postbank, 1990; Schricker, Wettbewerb der öffentlichen Hand im Strukturwandel, 1990; Mayer, Die Bundespost: Wirtschaftsunternehmen oder Leistungsbehörde, 1990; Badura, in: FS f. Lorenz, 1991. 245
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und der postalische Beförderungsvorbehalt (§ 2 PostG), das Übertragungswegemonopol, das Funkanlagenmonopol und das Telefondienstmonopol (§ 1 II und IV FAG) der Bundespost sind die deutlichsten Zeugnisse dafür, daß die Unternehmen nicht zu einem rein marktwirtschaftlichen Leistungsangebot übergegangen sind. Die Postreform von 1 9 8 9 3 1 6 hat die unternehmerischen und betrieblichen Aufgaben der drei Teilbereiche der Deutschen Bundespost — Postdienst, T E L E K O M , Postbank — von den politischen und hoheitlichen Aufgaben des Bundesministers für Post und Telekommunikation auch organisatorisch getrennt. In dem sich technologisch und wirtschaftlich rapide entwickelnden Sektor der Telekommunikation hat die Postreform eine weitgehende Öffnung zum Wettbewerb herbeigeführt oder ermöglicht, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des europäischen Gemeinschaftsrechts 317 . Das Telekommunikationsrecht ist dadurch ein komplexes Rechtsgebiet geworden, in dem sich das Fernmelderecht zunehmend mit wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Bestimmungen verbindet 318 . 113
Gesetzliche Bestimmungen über die Unternehmenstätigkeit der öffentlichen Hand finden sich nur im Haushaltsrecht 3 1 9 ; individuelle Abwehransprüche lassen sich daraus nicht ableiten. Versuche, Beschränkungen aus dem Verfassungsrecht zu gewinnen, nämlich aus einem vorgeblich geltenden Grundsatz der „Subsidiarität" der Staatstätigkeit oder aus einem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz privater Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 1 GG), haben keine allgemeine Anerkennung gefunden. Ein grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Anspruch auf Unterlassung „unverhältnismäßiger" Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand wird durch Art. 21, 121 G G nicht begründet 320 . Ein grundrechtlich erheblicher „Eingriff durch Konkurrenz" 3 2 1 kommt nur in Betracht, wenn das Gesetz der öffentlichen 316 Neuordnung der Telekommunikation. Bericht der Regierungskommission Fernmeldewesen, hrsg. von Witte, 1987; UngererICostello, Telekommunikation in Europa, 1989. — Entw. der BReg. für ein Poststrukturgesetz, BT-Drucks. 11/2854; Konzeption der BReg. zur Neuordnung des Telekommunikationsmarktes, BT-Drucks. 11/2855; Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen, BT-Drucks. 11/ 4316. 317
Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte — KOM (87) 290 endg. — vom 3 0 . 6 . 1 9 8 7 , Ratsdok. Nr. 7961/87, BT-Drucks. 11/930 (dazu Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen, BT-Drucks. 11/2014); Entschließung des Rates vom 3 0 . 6 . 1 9 8 8 - 88/C 2 5 7 / 0 1 (ABl. Nr. C 2 5 7 vom 4 . 1 1 . 1 9 8 8 , S. 1); Richtlinie der Kommission vom 2 8 . 6 . 1 9 9 0 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste - 9 0 / 3 8 8 / E W G - (ABl. Nr. L 1 9 2 , S. 10). - Otto, Entmonopolisierung der Telekommunikation, 1989.
Scherer, Telekommunikationsrecht und Telekommunikationspolitik, 1985; ders. (Hrsg.), Telekommunikation und Wirtschaftsrecht, 1988; ders., in: Internation. Handbuch für Rundfunk und Fernsehen, 1990/91, A 1 4 8 ; Thieme, JuS 1989, 791. 3 1 9 § 6 5 BHO ( § 6 0 Wirtschaftsbestimmungen für die Reichsbehörden vom 1 1 . 1 2 . 1 9 2 9 ) sowie die entspr. Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen. 320 BVerwGE 17, 306; Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Dt. Bundespost, 1980, 113 ff. - Anders Isensee, DB 1979, 145. 321 Scholz, AöR 97 (1972), 3 0 1 / 3 0 5 f; ders., in: FS f. Sieg, 1976, 5 0 7 / 5 1 8 f. VG Münster NVwZ 1982, 522. 318
246
Wirtschaftsverwaltungsrecht
3. Abschn. III 2 g
Hand Vorrechte einräumt, z. B. ein Verwaltungsmonopol, oder wo die öffentliche Wirtschaftstätigkeit oder ein öffentliches Unternehmen nach Zielsetzung oder Wirkung zu Lasten privatwirtschaftlicher Konkurrenten wirtschaftslenkend eingesetzt werden, so daß die Regulative des Privatrechts nicht ausreichen. In diesen Fällen einer interventionistischen Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die nur durch oder aufgrund Gesetzes zugelassen sein dürfte, gelten die an den jeweiligen Schutzinhalten der beeinträchtigten Grundrechte auszurichtenden Anforderungen des Grundsatzes der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie das Willkürverbot des allgemeinen Gleichheitssatzes 322 . Eine Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die als mittelbare Wirkung zu Lasten Privater lediglich eine dem Wettbewerbsprinzip immanente Verschärfung des marktwirtschaftlichen Konkurrenzdrucks zur Folge hat, ist nicht allein deshalb eine Grundrechtsbeeinträchtigung. Die Grundrechte (Art. 21, 121, 14 GG) schützen einen Gewerbetreibenden nicht davor, daß der Staat in Verfolgung öffentlicher Aufgaben Einrichtungen schafft oder unterstützt, die im Wettbewerb zu gewerblich betriebenen Einrichtungen stehen 323 . Etwas anderes gilt bei wirtschaftslenkenden Maßnahmen, mit denen der Staat zielgerichtet gewisse Rahmenbedingungen verändert, um zu Lasten bestimmter Unternehmen einen im öffentlichen Interesse liegenden Erfolg herbeizuführen. Hier liegt eine finale und grundrechtsspezifische Maßnahme vor, die gesetzlicher Grundlage bedarf und materiell den Grundrechtsschutz der unternehmerischen Betätigungsfreiheit beachten muß 324 . Die bei Gelegenheit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ausgeübte „Randnutzung" von Verwaltungsmitteln, wie insb. die von Post und Bahn betriebene Reklame, ist als solche zulässig und bedarf auch nicht einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung 325 . Die öffentliche Hand unterliegt als Aktionär den Vorschriften des Aktien- 114 rechts, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Auch der Staat oder eine Gebietskörperschaft kann deshalb herrschendes Unternehmen in einer Unternehmensverbindung (§ 17 AktG) sein 326 . Das Aktienrecht setzt jedoch der beliebigen Durchsetzung öffentlicher Interessen Grenzen; denn es verpflichtet die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands auf das Unternehmensinteresse, das mit den Interessen des Anteilseigners nicht notwendig identisch ist 327 . Für das Entsendungs- und Weisungsrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften beim Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist seit dem AktienG 1965 allein das Aktienrecht einschließlich des Konzernrechts maßgebend (§§ 101 II, 103 II, 394, 3 9 5 ; §§ 15 ff, 311 AktG); kommunalrechtliche Vorschriften des Landesrechts über Sonderrechte bei Beteiligungen der Gemeinde (Eigengesellschaft, gemischtwirtschaft-
322 323 324 325
326
327
Badura, in: FS f. Steindorff, 1990, 835. BVerwG NJW 1988, 1277. BVerwGE 71, 1 8 3 / 1 9 3 f. - Weitergehend Schmittat, Z H R 148, 1984, 4 2 8 / 4 4 5 ff. BVerwG J Z 1989, 688 (postfremde Werbebeilage, die dem Postgiroteilnehmer mit dem Kontoauszug übersandt wird). BGHZ 69, 3 3 4 zu § 3 2 0 V 3 AktG. - Zöllner, ZGR 1976, 1; Rittner, in: FS f. Fiume, 1978, 2 4 1 ; Hohrmann, Der Staat als Konzernunternehmer, 1 9 8 3 ; Ipsen, in: FS Berliner Jur. Gesellschaft, 1984, 265. Leisner, WiV 1983, 2 1 2 ; HansOLG Hamburg ET 1990, 2 6 9 (HEW).
247
3. Abschn. 1112 g
Peter Badura
liches Unternehmen) können neben den abschließenden Regelungen des Aktienrechts keinen Bestand haben328. 115 Die öffentliche Hand ist nicht nur mit ihrer Unternehmenstätigkeit, sondern mit jeder wirtschaftlichen Betätigung, selbst wenn sie in öffentlich-rechtlichen Rechtsformen stattfindet, dem Wettbewerbsrecht (UWG, GWB; § 9 8 Abs. 1 GWB) unterworfen, vorausgesetzt, daß sie zu einem Dritten in ein Wettbewerbsverhältnis tritt und in ihrem Angebotsverhalten nicht normativ gebunden ist 329 . Überschreitet ein Verwaltungsträger durch eine wirtschaftliche Betätigung die ihm gesetzlich zugewiesene Aufgabe, kann darin im Verhältnis zu einem mit ihm in einem Wettbewerbsverhältnis stehenden Gewerbetreibenden oder Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten liegen, auf dessen Unterlassen er im ordentlichen Rechtsweg in Anspruch genommen werden kann 330 . Die Entscheidung der öffentlichen Hand, überhaupt eine konkurrenzwirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, ist allerdings grundsätzlich der Nachprüfung durch die ordentlichen Gerichte entzogen. Zu einem wettbewerbsrechtlich begründeten Unterlassungsanspruch kann das Wettbewerbsverhalten der öffentlichen Hand regelmäßig erst dann führen, wenn sie sich dabei sittenwidriger Mittel bedient, beispielsweise unter Mißbrauch ihrer Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft, oder wenn sie sonst aus der Verbindung hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Interessen einen unzulässigen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern erlangt oder erstrebt, z. B. durch Preisunterbietung331. 116 Die europarechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten in bezug auf ihre öffentlichen Unternehmen und die Wettbewerbsbestimmungen des Gemeinschaftsrechts für öffentliche Unternehmen332 sind durch die besondere Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EWGV eingeschränkt, wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Vorschriften des EWGV, insbes. die Wettbewerbsregeln, nur gelten, soweit ihre Anwendung nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert333.
BGHZ 69, 334; Fischer, AG 1982, 85. BGHZ 66, 2 2 9 ; 67, 81; BGH GRUR 1982, 425. - Mestmäcker, NJW 1969, 1; Scholz, ZHR 132, 1969, 97; ders., NJW 1978, 16; Müller-Henneberg, NJW 1971, 113; Emmerich, AG 1976, 225; Badura, Postarch. 1981, 262 ff; Ulmer, ZHR 146, 1982, 466. 33 » BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 4 2 5 BriUen-Selbstabgabestelle einer AOK, Augenoptiker. 331 BGH GewArch. 1987, 13 — Gemeindliche Wirtschaftstätigkeit im Bereich des Bestattungswesens. 3 3 2 Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen vom 2 5 . 6 . 1 9 8 0 (ABl. Nr. L 1 9 5 / 3 5 ) , geänd. d. die Richtlinie vom 2 4 . 7 . 1 9 8 5 (ABl. Nr. L 2 2 9 / 2 0 ) . 3 3 3 EuGH Slg. 1971, 223; 1982, 2545. Nicolaysen, in: Kaiser (Hrsg.), Planung III, 1968, 311; Mestmäcker, Europ. Wettbewerbsrecht, 1974; Püttner, ZögU 3 (1980), 27; Mestmäcker, RabelsZ 52, 1988, 5 2 6 ; Junker, ZGR 1990, 249; Hailbronner, NJW 1991, 593. 328
32'
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3. Abschn. IV 1
Wirtschaftsverwaltungsrecht
IV. Gewerberecht 1. Gewerbefreiheit Die Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 sollte eine 117 gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht spezialgesetzliche bundesrechtliche Gesamtregelung des Gewerbewesens nach dem Grundsatz der Gewerbefreiheit sein, der Beschränkungen der gewerblichen Tätigkeit nur zuläßt, wenn und soweit die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung es erfordert. Dieses Gesetz, sehr häufig geändert, galt bis vor kurzem i. d. F. vom 26. Juli 1900. Nunmehr gilt die Gewerbeordnung in der Fassung vom 1. Januar 1987 (BGBl. I S. 425), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 1990 (BGB1.I S. 1221) 334 . Der Grundsatz der Gewerbefreiheit (§11 GewO) besagt, daß jedermann jede 118 gewerbliche Tätigkeit ausüben darf, ohne bei Beginn und Fortsetzung des Gewerbebetriebs anderen administrativen Beschränkungen — durch Erlaubnispflichten, die die Aufnahme des Gewerbes von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, oder durch Untersagungsmöglichkeiten — unterworfen zu sein, als sie durch Bundesgesetz festgelegt sind. Vorschriften, die die Ausübung eines Gewerbes regeln oder zu derartigen Regelungen ermächtigen, werden durch die Gewerbefreiheit nicht berührt. Als charakteristisches Beispiel einer Regelung der Gewerbeausübung ist das Gesetz über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 1989 (BGB1.I S. 1382), zu nennen"*. Die Gewerbefreiheit war das tragende Prinzip der liberalen Wirtschaftsverfassung. Anders als noch die Weimarer Reichsverfassung (siehe dort Art. 151 III) kennt das GG ein selbständiges Grundrecht der Gewerbefreiheit nicht; die Gewerbefreiheit ist in dem umfassenderen Grundrecht der Berufsfreiheit aufgegangen. Die GewO sieht, entsprechend ihrem Regelungsprogramm, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gewerbefreiheit und der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit (§§41, 105 GewO). Sie enthält deshalb bis heute in ihrem Titel VII wesentliche Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der gewerblichen Arbeitnehmer. Der sachliche Anwendungsbereich der Gewerbefreiheit und damit des Gewerbe- 119 (polizei)rechts wird durch den von der GewO nicht genau abgegrenzten336, sondern vorausgesetzten Begriff der gewerbsmäßigen Ausübung eines Gewerbes bestimmt. Die zugrundeliegende Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 11 GG knüpft an den überkommenen Begriff und Regelungsbereich des Gewerberechts an 337 . Gewerbe sind die industrielle und handwerkliche Produktion und Verarbeitung, der Groß-, Einzel- und Kleinhandel und die wirtschaftlichen Dienstleistungen (z. B. Verkehrs334
33i
336 337
Landmann/Rohmer, GewO, 14. Aufl., 1976 ff; Fuhr/Stahlhacke, GewO, 2. Aufl., 1960 ff; Fröhler/Kormann, GewO, 1978; Sieg/Leifermann/Tettinger, GewO, 5. Aufl., 1988; Ehlers, in: Achterberg/Püttner, Bes.VwR, Bd.I, 1990, 6 5 / 7 1 ff. — Über die Entwicklung des Gewerberechts unterrichtet die Aufsatzreihe von Stober, seit NJW 1980, 2 3 3 5 , zuletzt NJW 1990, 1335. BVerfGE 13, 2 3 7 ; 59, 336. - Stober, Ladenschlußgesetz, 2. Aufl., 1988; Theis, Ladenschlußgesetz, 1991. Die Aufzählung in § 6 GewO ist nicht erschöpfend. BVerfGE 41, 3 4 4 .
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3. Abschn. IV 1
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und Vermittlungsgewerbe, Vermietungen338 und Verpachtungen, Touristikgewerbe, Fotografen). Keine Gewerbe sind die Urproduktion, die persönlichen Dienstleistungen höherer Art (Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, freie Unterrichtstätigkeit, u. a.) 339 , die wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten und die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (z.B. Notare). Urproduktion ist die auf die Gewinnung roher Naturerzeugnisse gerichtete Wirtschaftstätigkeit, so Land- und Forstwirtschaft340, Wein- und Gartenbau341, Jagd und Fischerei, Bergbau. Dieser Begriff des Gewerbes ist nicht systematisch gebildet, sondern erklärt sich aus der der Gewerbefreiheit historisch zugrundeliegenden wirtschaftspolitischen Zielsetzung. Das weitere Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit" bedeutet, daß das Gewerbe selbständig342, auf Erwerb gerichtet343 und nachhaltig (auf eine gewisse Dauer berechnet) ausgeübt werden muß. Die Erwerbsabsicht fehlt bei Tätigkeiten, die einen „idealen" (gemeinnützigen) Zweck verfolgen, und bei öffentlichen Unternehmen der Leistungsverwaltung (Post, Bahn, Versorgungsbetriebe). Durch die Novelle vom 13.6.1974 ist ein Gewerbezentralregister eingerichtet worden (§§149 ff GewO). 120 Die Bedeutung des Grundsatzes der Gewerbefreiheit besteht darin, daß er landesrechtlichen Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs entgegensteht (Art. 125 Nr. 1, 74 Nr. 11; 721 GG), soweit nicht ausdrücklich ein Vorbehalt landesrechtlicher Regelung eröffnet ist (wie z.B. in §§33b, 71a GewO), und daß er auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs ausschließt, soweit nicht ausdrücklich eine Regelung aufgrund des allgemeinen Polizeirechts zugelassen ist344. Der Grundsatz der Gewerbefreiheit besagt also einerseits, daß das Gewerberecht abschließend durch Bundesrecht geregelt ist, und andererseits, daß die gewerberechtlichen Vorschriften über Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs abschließendes Spezialgesetz gegenüber der polizeilichen Generalklausel sind. Ein polizeiliches Einschreiten gegenüber einer von der Gewerbefreiheit geschützten Tätigkeit kommt deshalb nur hinsichtlich der Art und Weise der Gewerbeausübung in Frage, um diese mit den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Einklang zu halten. Ein Verbot des Gewerbebetriebs ist aufgrund des allgemeinen Polizeirechts nicht zulässig, jedoch bleibt eine polizeiliche Anordnung hinsicht338 339 340
341
342
343
344
250
BVerwG DVB1. 1973, 857. BVerwG DVB1. 1987, 1075. Der Verkauf selbstgebackenen Brotes durch einen Landwirt kann gewerbsmäßiger Einzelhandel sein (BayObLG BayVBl. 1970, 324). Ein mit einer Gärtnerei verbundenes Ladengeschäft ist insoweit Gewerbebetrieb (Einzelhandel), als in ihm nicht selbst erzeugte, zugekaufte Waren feilgeboten werden (OVG Lüneburg BB 1966, 678). BVerwG DÖV 1977, 4 0 1 . - Das Merkmal der Selbständigkeit, d.h. des auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübten Gewerbes, gilt für das Reisegewerbe nicht (Mußmann, GewArch. 1979, 166 gegen OLG Düsseldorf GewArch. 1979, 125). Der Betrieb eines Dauercampingplatzes mit 1 2 0 0 Standplätzen ist Ausübung eines stehenden Gewerbes, nicht nur eine außerhalb des Gewerberechts liegende bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (BVerwG DÖV 1977, 403). BVerwG DVB1. 1963, 149; BVerwGE 38, 2 0 9 .
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3. Abschn. IV 1
lieh der Gewerbeausübung auch dann rechtmäßig, wenn sie praktisch bewirkt, daß die weitere Ausübung des Gewerbebetriebs unmöglich wird345. Der § 11 GewO ist ein Satz des einfachen Bundesrechts, der für bestimmte Berufe — die Gewerbe — landesrechtliche und polizeiliche Regelungen der Zulassung zum Beruf ausschließt, für den Bundesgesetzgeber aber keine Schranke darstellt, während die Berufsfreiheit (Art. 121 GG) als Grundrecht alle Berufe gegen bestimmte Beschränkungen durch Bundes- wie durch Landesgesetz schützt. Das Grundrecht der Berufsfreiheit umfaßt auch die Gewerbefreiheit, ist jedoch im Untrschied zu dem überkommenen und durch § 11 GewO fortbestehenden Inhalt der Gewerbefreiheit „personal" geprägt346. Die durch die Gewerbefreiheit nicht geschützten (nichtgewerblichen) Wirt- 121 schaftstätigkeiten sind nach Maßgabe der Art. 74 Nr. 11, 721 GG landesgesetzlicher Regelung zugänglich. Im übrigen hat der Bund „Ausnahmen und Beschränkungen" im Sinne des § 11 GewO außerhalb des kodifikatorischen Zusammenhangs der GewO durch eine große Anzahl von Nebengesetzen (also nicht nur „durch dieses Gesetz") festgelegt. Die wichtigsten dieser Nebengesetze sind: das Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HandwO) i. d. F. der Bek. vom 28. Dezember 1965, das Gaststättengesetz (GaststG) vom 5. Mai 1970, das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) i. d. F. der Bek. vom 8. August 1990 und das Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) i. d. F. der Bek. vom 10. März 1983. Das Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel vom 5. August 1957 347 ist durch das Gesetz vom 25. Juli 1984 (BGBl. I S. 1008) aufgehoben worden. Unter dem rechtlich nicht fest umrissenen Sammelnamen der „freien Berufe"348 1 22 werden verschiedenartige selbständige Berufstätigkeiten zusammengefaßt, die Dienstleistungen höherer Art erbringen und deshalb nicht dem Gewerberecht unterliegen. Die wichtigsten von ihnen sind Gegenstand besonderer Gesetze, in denen eine typisierende Ausformung von „Berufsbildern" erfolgt ist. Charakteristisch für diese gesetzlichen Regelungen sind eine Reglementierung der Berufsausbildung, qualifizierte Sachkundenachweise als Bedingung der Berufszulassung und die Bindung der Berufsausübung durch öffentlich-rechtliche Pflichten. Unter den nichtgewerblichen Heilberufen sind die Ärzte349, die Zahnärzte350, 345
346 347 348
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PrOVGE 92, 9 9 / 1 0 6 f ; 100, 127; RG RVerwBl. 1937, 143; BVerwG DVBl. 1965, 7 6 8 ; BVerwGE 38, 2 0 9 . - Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, 6 9 6 ; Lorenz, BB Beilage Nr. 19/73. BVerfGE 50, 2 9 0 / 3 6 2 . - Näheres oben Rn.41ff. BVerfGE 19, 3 3 0 ; 34, 71. Bericht der BReg. über die Lage der freien Berufe in der Bundesrepublik Deutschland (1979), BT-Drucks. 8 / 3 1 3 9 , Fortschreibung (1990), BT-Drucks. 12/21. Steindorff, Freie Berufe - Stiefkinder der Rechtsordnung?, 1 9 8 0 ; Jarass, NJW 1982, 1 8 3 3 ; Tettinger, NJW 1987, 2 9 4 ; Ring, Wettbewerbsrecht der freien Berufe, 1 9 8 9 ; Ratsch, in: FS Rittner, 1991, 4 7 1 . Bundesärzteordnung i.d.F.d.Bek. vom 1 6 . 4 . 1 9 8 7 (BGB1.I 1218), zuletzt geänd. durch das EinVG vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl.II 885). - BVerfGE 11, 3 0 ; 33, 125; Schenke, NJW 1991, 2 3 1 3 . Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde i.d.F.d.Bek. vom 1 6 . 4 . 1 9 8 7 (BGB1.I 1225), zuletzt geänd. durch das EinVG vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. II 885). - BVerfGE 12, 144; 25, 2 3 6 ; BGH GewArch. 1972, 303. 251
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3. A b s c h n . IV 1
die T i e r ä r z t e 3 5 1 und die Heilpraktiker 3 5 2 hervorzuheben. Die Apotheker werden ungeachtet ihrer E r w ä h n u n g in § 6 G e w O z u m Gewerbe g e r e c h n e t 3 5 3 , w a s heute wenig einleuchtet, verfügen aber über ein eigenes B e r u f s r e c h t 3 5 4 . Z u den rechtsberatenden Berufen zählen die R e c h t s a n w ä l t e 3 5 5 ,
Patentanwälte356
und
Rechtsbei-
s t ä n d e 3 5 7 . Die Besonderheiten des N o t a r w e s e n s weisen die N o t a r e den freien, jedoch „staatlich gebundenen" Berufen z u 3 5 8 . Freie Berufe sind weiter die W i r t schaftsprüfer 3 5 9 und die Steuerberater 3 6 0 . Die Berufe der freien Architekten und Ingenieure fallen in die K o m p e t e n z des Landesgesetzgebers 3 6 1 . D a s R e c h t der freien Berufe h a t durch die fortschreitende Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten des Dienstleistungsverkehrs (Art. 5 9 ff E W G V ) und der Niederlassung (Art. 5 2 ff E W G V ) , v o r allem durch Richtlinien zur Rechtsangleichung ( „ K o o r d i n i e r u n g " ) und zur gegenseitigen Anerkennung v o n Berufszugangsberechtigungen 3 6 2 , tiefgreifende Veränderungen e r f a h r e n 3 6 3 . 351
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Bundestierärzteordnung i . d . F . d . B e k . vom 2 0 . 1 1 . 1 9 8 1 (BGB1.I 1193), zuletzt geänd. durch das EinVG vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. II 885). - BVerfGE 3 8 , 3 1 2 . Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 1 7 . 2 . 1 9 3 9 (RGBl. I 251), zuletzt geändert durch G vom 2 . 3 . 1 9 7 4 (BGB1.I 4 6 9 ) . - BVerwG Buchholz 4 1 8 . 0 4 § 1 HeilprG Nr. 1. BVerfGE 5, 25. Gesetz über das Apothekenwesen i . d . F . d . B e k . vom 1 5 . 1 0 . 1 9 8 0 (BGB1.I 1993) und Bundes-Apothekenordnung i . d . F . d . B e k . vom 1 9 . 7 . 1 9 8 9 (BGB1.I 1 4 7 8 , 1842), beide Gesetze zuletzt geändert durch das EinV-Gesetz vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. II 885). BVerfGE 7, 3 7 7 ; 17, 2 3 2 ; 3 8 , 3 7 3 ; 5 3 , 96. Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. 8 . 1 9 5 9 (BGBl. I 565), zuletzt geändert durch G vom 2 9 . 1 . 1 9 9 1 (BGBl. I 150). - BVerfGE 2 2 , 114; 2 8 , 2 1 ; 3 4 , 2 9 3 ; 3 9 , 2 3 8 ; 5 2 , 2 5 6 ; 76, 171; 7 6 , 196. - Papier, N J W 1987, 1 3 0 8 ; Zuck, N J W 1 9 9 0 , 1 0 2 5 ; Prütting (Hrsg.), Die deutsche Anwaltschaft zwischen heute und morgen, 1990. Patentanwaltsordnung vom 7 . 9 . 1 9 6 6 (BGBl. I 5 5 7 ) , zuletzt geändert durch G vom 6 . 7 . 1 9 9 0 (BGBl. I 1349). Rechtsberatungsgesetz vom 1 3 . 1 2 . 1 9 3 5 (RGBl. I 1478), geändert durch G vom 1 3 . 1 2 . 1 9 8 9 (BGBl. I 2135). - BVerfGE 10, 185; 4 1 , 3 7 8 ; BVerwGE 2, 85; 7, 3 4 9 ; 5 9 , 138. Bundesnotarordnung vom 2 4 . 2 . 1 9 6 1 (BGBl. I 98), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2 9 . 1 . 1 9 9 1 (BGBl. I 150). - BVerfGE 16, 6; 17, 3 7 1 ; 4 7 , 2 8 5 ; 5 4 , 2 3 7 ; BVerfG DVB1. 1987, 2 9 2 . Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer i . d . F . d . B e k . vom 5 . 1 1 . 1 9 7 5 (BGBl. I 2803), zuletzt geändert durch EinV-Gesetz vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGB1.I 885). Badura, Berufsrechtl. Fragen der Abschlußprüfung nach dem Entwurf eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes, 1983. - BVerfGE 5 4 , 2 3 7 / 2 3 9 f. Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten i. d. F. d. Bek. vom 4 . 1 1 . 1 9 7 5 (BGBl. I 2735), zuletzt geändert durch das EinV-Gesetz vom 2 3 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. I 885). - BVerfGE 2 1 , 2 2 7 ; 3 4 , 2 5 2 ; 5 4 , 3 0 1 ; 5 5 , 1 8 5 ; 59, 3 0 2 ; 6 0 , 2 1 5 ; 69, 2 0 9 . Z . B . Bayer. Architektengesetz i . d . F . d . B e k . vom 2 6 . 1 1 . 1 9 9 0 (BayRS 2133-1-1); Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 2 7 . 7 . 1 9 9 0 (BayRS 702-2-W). — BVerfGE 2 6 , 2 4 6 . Bes. die Richtlinie des Rates vom 2 1 . 1 2 . 1 9 8 8 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen - 89/48/EWG - (Abi. Nr. L 19/16 v. 2 4 . 1 . 1 9 8 9 ) .
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2. Techniken gewerberechtlicher Regelung Die gewerberechtliche Kontrolle der Gewerbebetriebe erfolgt mit Hilfe eines 123 abgestuften rechtstechnischen Instrumentariums und ist an einigen durch die Eigenart der betroffenen Gewerbe bestimmten materiellen Maßstäben orientiert. a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht; Untersagungsermächtigung; Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Die wesentlichen formalen Techniken gewerberechtlicher Regelung sind die Anzeigepflicht, die Untersagungsermächtigung und das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Durch eine Anzeigepflicht soll die Verwaltung einen Überblick darüber gewinnen, wie viele und welche Gewerbebetriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich vorhanden sind. Neben der für alle stehenden Gewerbebetriebe geltenden und außer für die gewerberechtliche Überwachung auch für die Gewerbestatistik notwendigen allgemeinen Anzeigepflicht (§§ 14, 151, 146II Nr. 1 GewO) hat das Gewerberecht364 vielfältige besondere Anzeigepflichten begründet, z.B. für Handwerker (§16 HandwO), für Gastwirte (§411 GaststG) und für überwachungsbedürftige Anlagen (§ 241 Nr. 1 GewO) 365 . Eine Untersagungsermächtigung gibt der zuständigen Behörde die Befugnis, die Fortsetzung eines erlaubten oder erlaubnisfreien Gewerbebetriebs aus bestimmten Gründen des öffentlichen Wohls ganz oder zum Teil zu verbieten. Ein allgemeiner Untersagungsvorbehalt besteht nur bei Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (§35 GewO) 366 . Daneben gibt es besondere Untersagungsermächtigungen mit anderen Anknüpfungspunkten, z.B. § 5 9 GewO; § 16III HandwO. Wenn das Gesetz die Ausübung eines Gewerbes oder den Betrieb einer Anlage von 124 einer Erlaubnis (Genehmigung, Konzession) abhängig macht und so eine Erlaubnispflicht begründet, ist die Ausübung des Gewerbes und der Betrieb der Anlage so lange verboten, bis die Erlaubnis erteilt ist. Dieses Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hat im Gegensatz zu einem repressiven Verbot mit Dispensierungsvorbehalt, mit dem eine an sich unerwünschte Tätigkeit für den Regelfall unterbunden und nur aus besonderen Gründen zugelassen werden soll367, nur eine verwaltungstechnische, formelle Bedeutung; es dient dazu, die Ausübung des betreffenden Gewerbes einer vorbeugenden (präventiven) Kontrolle im Einzelfall zu unterwerfen368. Wo das Gesetz eine derartige präventive Kontrolle für unverhältnismäßig hält, begnügt es sich mit einer besonderen Anzeigepflicht, z.B. bei bestimmten Arten des Reisegewerbes ( § 5 5 c GewO) und bei den handwerksähnlichen Gewerben (§ 18 HandwO).
EuGH Slg. 1974, 631 (Reyners); EuGH NJW 1988, 8 8 7 ; Müller, Dienstleistungsmonopole im System des EWGV, 1 9 8 8 ; Blumenwitz, NJW 1989, 6 2 1 ; Everling, EuR 1989, 3 3 8 ; ders., Der Gegenstand des Niederlassungsrechts in der Europ. Gemeinschaft, 1990. 3 6 4 Steuerrechtl. Anzeigepflicht für gewerbliche Betriebe: §§ 138, 139 AbgO. 3 « BVerwG DVB1. 1973, 8 5 7 (Aufzug). 3 6 6 S.u. Rn. 131. 3 6 7 Beispiele: Zulassung von Spielbanken (§ 33 h Nr. 1 GewO; Spielbankengesetz vom 1 4 . 7 . 1 9 3 3 , RGBl. 1480); BVerfGE 2 8 , 1 1 9 ; OVG Münster GewArch. 1968, 89. Vorschriften über die allgem. Sperrzeit und deren Verkürzung für einzelne Betriebe ( § 1 8 1 GaststG); BVerwG DÖV 1977, 4 0 5 . 368 Huber, WirtschaftsverwaltungsR, I, 6 9 6 ff. 363
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Aus dem Grundsatz der Gewerbefreiheit ergibt sich, daß die gewerberechtlichen Erlaubnisse „gebundene" Erlaubnisse sind, d. h. daß die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen, die vom Gesetz für die Erteilung der Erlaubnis aufgestellt sind, verpflichtet ist, die Erlaubnis zu erteilen. Wer ein erlaubnispflichtiges Gewerbe beginnen will, die Erlaubnis ordnungsmäßig beantragt hat und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, ein subjektiv öffentliches Recht auf Erteilung der Erlaubnis. Je nachdem, ob sich eine Erlaubnis nur auf den Gewerbetreibenden und seine gewerberechtlich relevanten Eigenschaften oder ob sie sich nur auf eine bestimmte Anlage bezieht, unterscheidet man persönliche und dingliche Erlaubnisse (Personal- und Sachkonzessionen). Der Regelfall ist die räum- oder sachgebundene Personalerlaubnis, bei der die Erlaubnis einem bestimmten Gewerbetreibenden für bestimmte Räume, Anlagen oder Gerätschaften erteilt wird, so daß sowohl ein Wechsel in der Person des Gewerbetreibenden369 als auch ein Wechsel oder eine wesentliche Änderung der Betriebsräume oder -einrichtungen eine erneute Erlaubnispflicht auslöst370. Die reine Personalerlaubnis, z. B. die Zulassung zum selbständigen Betrieb eines Handwerks, ist grundsätzlich371 an die Person des Erlaubnisempfängers gebunden. 126 Die Erlaubnis wird im Regelfall in Form eines schriftlichen Bescheids erteilt, der neben dem Anspruch der Gewerbeerlaubnis die für erforderlich gehaltenen Auflagen enthält; in einigen Fällen ist eine besondere urkundliche Form vorgeschrieben, z.B. die Reisegewerbekarte (§§55, 6 0 c GewO), die (konstitutive) Genehmigungsurkunde gem. § 15 GüKG. Eine besondere Gestalt der Erlaubnis ist die Eintragung in ein Register, z.B. die Eintragung in die Handwerksrolle (§§ 1, 10, 17 HandwO). Soweit die Voraussetzungen für die Aufhebung einer erteilten Erlaubnis spezialgesetzlich geregelt sind, wie z.B. in § § 3 3 d IV, V GewO, §15 GaststG, sind die Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten nicht anwendbar. 127 Wird ein erlaubnispflichtiges Gewerbe ohne Erlaubnis ausgeübt, d.h. ohne Erlaubnis begonnen oder trotz Aufhebung der Erlaubnis fortgesetzt, kann die Fortsetzung des Betriebes durch die zuständige Behörde verhindert werden (§ 15 II GewO)372. Da diese Vorschrift einen allgemeinen gewerberechtlichen Grundsatz ausspricht, gilt sie nicht nur — wie der Regelungszusammenhang nahelegt — für stehende Gewerbebetriebe nach der GewO, sondern für alle erlaubnispflichtigen Gewerbe, bei denen eine entsprechende Vorschrift373 fehlt, z. B. für die Personenbeförderung. Die Stillegung und Beseitigung überwachungsbedürftiger Anlagen beurteilt sich nach § 25 GewO. Die „Verhinderung" der Fortsetzung des Betriebes 125
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Sonderregelungen bestehen für den Betrieb durch Stellvertreter (z. B. §§ 4 5 , 4 7 GewO; § 9 GaststG) und in Gestalt des „Witwenprivilegs" (z.B. § 4 6 GewO; § 10 GaststG). Z. B. die Konzession einer Privatkrankenanstalt ( § 3 0 1 2 Nrn. 1, 2 GewO); die gaststättenrechtl. Erlaubnis ( § § 3 1 , 41 N r . 2 GaststG); der Betrieb von Spielgeräten ( § 3 3 c in Verb, mit § 33 e GewO). Vgl. § 4 HandwO. Wird das Gewerbe nach einer Untersagung gem. § 35 GewO fortgesetzt, ist gemäß § 35 V GewO zu verfahren. §16111, IV HandwO i.d.F. der Novelle vom 9 . 9 . 1 9 6 5 . - BVerwGE 59, 5; BVerwG GewArch. 1979, 96.
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(früher: „polizeiliche" Verhinderung) bedeutet die Anwendung von Verwaltungszwang entsprechend den dafür geltenden landesrechtlichen Vorschriften und durch die nach Landesrecht zuständige Behörde (§ 155 II GewO). Das Einschreiten nach § 15 II GewO steht im Ermessen der Behörde. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, daß vor dem Einschreiten gegen einen ohne Erlaubnis ausgeübten Gewerbebetrieb geprüft wird, ob nicht nach den einschlägigen Vorschriften eine nachträgliche Erteilung der Erlaubnis in Betracht kommt, vorausgesetzt, daß der Gewerbetreibende einen Erlaubnisantrag stellt. b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde, Zuverlässigkeit: Die materiellen Maßstäbe, 128 in denen sich die vom Gewerberecht hinsichtlich der einzelnen Gewerbe verfolgten Ziele ausdrücken und die als Anknüpfungspunkte für die Erteilung und den Widerruf einer vorgesehenen Erlaubnis und für die etwa vorgesehene Untersagung eines Gewerbebetriebs dienen, beziehen sich einerseits (und vornehmlich) auf die Person des Gewerbetreibenden, andererseits auf das sachliche Substrat des Gewerbebetriebs. Als objektive Bedingungen für die Ausübung eines Gewerbes fordert das Gesetz etwa die Eignung der Betriebsräume374 oder der Betriebseinrichtung375 für den beabsichtigten Gewerbebetrieb oder den Nachweis eines bestimmten Betriebskapitals, wenn das fragliche Gewerbe den Kunden in besonderer Weise von der Solvenz des Gewerbetreibenden abhängig macht 376 . Die wichtigsten subjektiven Anknüpfungspunkte sind Zuverlässigkeit und Sachkunde; für einzelne Gewerbe ist eine bestimmte gesundheitliche Eignung erforderlich377. Die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit und Sachkunde im Rahmen der behördlichen Entscheidung über die Genehmigung einer Gewerbetätigkeit oder einer sonstigen zulassungspflichtigen Tätigkeit erfolgt ausschließlich im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung eines allgemeinen Schutzzwecks. Individualinteressen sind dadurch nicht betroffen, so daß aus derartigen Anforderungen ein Schutzanspruch Dritter nicht abgeleitet werden kann 378 . Unter dem grundrechtlichen Blickwinkel der freien Berufswahl (Art. 1211 GG) ist 129 das Erfordernis der Sachkunde379 eine intensivere Beschränkung als das Erfordernis der Zuverlässigkeit und muß daher durch besondere aus der Eigenart des jeweiligen Gewerbes hervorgehende Gründe gerechtfertigt sein, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Der große Befähigungsnachweis als Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks (§71 HandwO) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen380, weil Existenz und Leistungsfähigkeit des Handwerks als eines gemeinschaftsnotwendigen Berufsstandes von diesem besonderen Sachkundenachweis abhängen, während im Fall des Einzelhandels die allge-
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Z . B . § § 3 0 12 Nrn. 2 - 4 GewO; § 4 1 N r . 2 , 3 GaststG; § § 2 1 N r . 6 , 21 ApothekenG. Z . B . § 3 3 e GewO; § 131 Nr. 1 PBefG§ §§ 101 N r . 3 , 17 GüKG. Z . B . § § 3 4 13 N r . 2 , 3 4 a 13 N r . 2 , 3 4 b I V N r . 2 GewO; § § 3 3 1 Nr. 1, 10 KWG. Z . B . § 2 1 N r . 7 ApothekenG. VGH BW GewArch. 1988, 2 4 0 . Z. B. § 3 4 b IV 2 GewO; § 33 I Nr. 3 KWG; § 101 Nr. 2 GüKG. BVerfGE 13, 97.
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mein aufgestellte Voraussetzung einer besonderen Sachkunde (§ 3 II Nr. 1 a. F. EHG) eine unverhältnismäßige Einschränkung der freien Berufswahl war 381 . 130 Die geläufigste Anforderung, die das Gewerberecht für die Person des Gewerbetreibenden aufstellt, ist die „Zuverlässigkeit". Mit diesem gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff wird nicht ein moralischer, sondern ein gewerbepolizeilicher Tatbestand bezeichnet. Die Zuverlässigkeit fehlt, wenn der Gewerbetreibende nicht die Gewähr für eine ordnungsmäßige Ausübung seines Gewerbes bietet. Dieses Merkmal ist zwar jeweils auf ein bestimmtes Gewerbe bezogen, so daß die dadurch ausgedrückten Anforderungen nicht für alle Gewerbe gleich, sondern je nach der Art des Gewerbes verschieden sind, beschränkt aber seine Anforderungen nicht auf die eigentliche gewerbliche Tätigkeit. Das Erfordernis der Zuverlässigkeit bezieht sich auf das gesamte Verhalten im gewerblichen Verkehr, so daß beispielsweise ein Bauunternehmer nicht nur bei einem Versagen auf bautechnischem Gebiet unzuverlässig ist, sondern auch dann, wenn seine Betriebsführung einen „Mangel an wirtschaftlichem und sozialem Verantwortungsbewußtsein" offenbart382. Das ist in erster Linie dann der Fall, wenn der Gewerbetreibende hartnäckig und in erheblicher Weise die für seine Betriebsführung einschlägigen gesetzlichen Verpflichtungen verletzt oder der allgemeinen Strafrechtsordnung zuwiderhandelt383; typische Sachverhalte sind, daß der Gewerbetreibende nachhaltig seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt und daß er fortlaufend die Sozialversicherungsbeiträge der bei ihm Beschäftigten nicht abführt384. Unzuverlässig ist ein Gastwirt, der in seinen Räumen die Begehung strafbarer Handlungen duldet385. Der Begriff der Zuverlässigkeit ist auf den beabsichtigten oder ausgeübten Gewerbebetrieb und auf dessen Betriebsart ausgerichtet, so daß die Unzuverlässigkeit nicht unbedingt einen charakterlichen Mangel des Gewerbetreibenden voraussetzt386. 131 Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit kommt es nicht auf ein moralisches oder strafrechtliches Verschulden, sondern auf eine (gewerbe)polizeiliche Zurechnung an, d. h. darauf, ob nach dem bisherigen Verhalten des Gewerbetreibenden damit zu rechnen ist, daß er im Zusammenhang mit seiner gewerblichen Tätigkeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzen und dadurch eine Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder einzelner herbeiführen wird387. Die Unzuver-
BVerfGE 19, 3 3 0 ; 3 4 , 71. 382 BVerwG DÖV 1958, 5 4 8 . — Hat ein Güternahverkehrsunternehmer ausschließlich in seiner Freizeit bei der Führung seines Privatwagens Verkehrsdelikte begangen, seinen Betrieb aber ordnungsmäßig geführt, so ist er nicht unzuverlässig für die Ausübung seines Gewerbes (BVerwGE 36, 288). 3 8 3 Ist eine Bestrafung erfolgt, darf sich die Behörde nicht mit dem Strafregisterauszug oder dem Strafausspruch als solchem begnügen, sondern muß den dem Strafurteil zugrundeliegenden Sachverhalt selbst gewerberechtlich würdigen (BVerwG VerwRspr. 16, 983; BVerwG DVB1. 1966, 4 4 3 ; BVerwG GewArch. 1991, 195 zu § 2 4 II LuftVZO).
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BVerwGE 23, 2 8 0 ; 28, 2 0 2 ; BVerwG NVwZ 1988, 4 3 2 ; VGH BW GewArch. 1991, 69. BVerwG J Z 1978, 642. 38 * BVerwGE 39, 2 4 7 ; BVerwG DÖV 1973, 822. 3 8 7 BVerwGE 36, 2 8 8 ; BVerwG DÖV 1985, 8 3 4 ; OVG Lüneburg GewArch. 1962, 2 6 9 .
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lässigkeit kann daher auch aus weit zurückliegenden Straftaten388 und selbst aus Tatsachen gefolgert werden, die vor Beginn der Gewerbeausübung liegen389, sofern sie für die Einschätzung des künftigen Verhaltens eine Bedeutung haben können. Weiterhin ergibt sich daraus, daß auch die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei bestimmten Gewerben Unzuverlässigkeit begründen kann 390 . Schließlich erklärt sich aus diesem Gesichtspunkt, daß seit jeher auch der Umstand die Unzuverlässigkeit anzeigen kann, daß der Gewerbetreibende einem Dritten (insbesondere dem Ehegatten), der die für das Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, Einfluß auf den Gewerbebetrieb einräumt oder nicht willens oder nicht in der Lage ist, einen solchen Einfluß hintanzuhalten391. Die Zuverlässigkeit ist eine häufige Erlaubnisvoraussetzung392, die Unzuverläs- 132 sigkeit ein häufiger Widerrufstatbestand für die erteilte Erlaubnis393. Soweit nicht für ein Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften oder Vorschriften über die Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, wie z. B. §§ 15 II, 16 Nr. 1 in Verb, mit § 41 Nr. 1 GaststG, gilt die allgemeine Ermächtigung für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 GewO 394 . Die Gewerbeuntersagung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; denn sie verbietet dem Betroffenen für die Dauer ihrer Wirksamkeit, das Gewerbe auszuüben. Dennoch sind im Falle der Anfechtungsklage wegen des seit der Novelle am 13. Februar 1974 (BGBl. I S. 161) neu gefaßten Antragserfordernisses in §35 VI GewO Änderungen der Sach- oder Rechtslage nach dem Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht zu berücksichtigen395. Maßnahmen nach § 35 V GewO sind selbständig anfechtbare, der Vollstreckung fähige und bedürftige Verwaltungsakte, nicht ohne weiteres schon Vollstreckungshandlungen396. c) Weitere Anforderungen: Der Grundgedanke des an der Gewerbefreiheit 133 orientierten Gewerberechts ist die Verhinderung von Gefahren oder Nachteilen, die von der Ausübung eines Gewerbes für das öffentliche Interesse oder für die schutzwürdigen Belange der Arbeitnehmer und des Publikums ausgehen können. Es ist Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise eine gewerbliche Tätigkeit zum Schutz von Gemeininteressen oder von Rechten Dritter durch Gesetz beschränkt ist oder aufgrund Gesetzes beschränkt werden kann. Über die „gewerbepolizeiliche" Gefahrenabwehr hinaus können dabei auch Belange des 388 389
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OVG Münster OVGE 1, 4 5 . BVerwGE 24, 38. Zu dem durch § 1 II GewO eintretenden Schutz bei Rechtsänderungen: BVerwGE 24, 34. BVerwGE 22, 16; BadWürttVGH GewArch. 69, 3 3 ; BayVGH GewArch. 1979, 3 7 . BVerwGE 9, 2 2 2 ; BayVGH BayVBl. 1964, 3 7 5 ; BayVGH GewArch. 1980, 334. Z . B . §§ 3 0 12 Nr. 1 , 3 3 d III, 3 4 a 13 Nr. 1, 3 4 b IV Nr. 1 GewO; § 41 Nr. 1 GaststG; § 21 Nr. 4 ApothekenG; § 13 I Nr. 2 PBefG, § 101 Nr. 1 GüKG. Z . B . § 8 8 1 N r . 5 GüKG. - Widerruf einer Gaststättenerlaubnis: BVerwG DÖV 1977, 4 0 6 und J Z 1978, 6 4 2 (§ 15 II in Verb, mit § 4 1 Nr. 1 GaststG). BVerwGE 65, 1; BVerwG GewArch. 1982, 298, 299, 301 und 303. Robinski, Gewerberecht, 1983, 48 ff. BVerwG 65, 1 (unter Abänderung der bisherigen Rspr.); OVG Lüneburg JuS 1983, 970. OVG Münster DÖV 1982, 4 1 2 .
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Verbraucherschutzes oder sozialpolitische Ziele, wie im Ladenschlußgesetz, zur Geltung kommen. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz von Sonn- und Feiertagen (Art. 140 GG, Art. 139 WRV) kann nach näherer gesetzlicher Regelung das Verbot von Tätigkeiten umfassen, die mit der verfassungsrechtlich festgelegten Zweckbestimmung des Sonn- und Feiertages nicht vereinbar sind397. 3. Einzelne gewerberechtliche Erkenntnisse 134
a) Stehendes Gewerbe; Reisegewerbe; Marktverkehr: Die GewO unterscheidet nach der Art der Gewerbeausübung stehendes Gewerbe (Titel II), Reisegewerbe (Titel III) und Marktverkehr (Titel IV). Die Grundform ist der stehende Gewerbebetrieb; alle Gewerbeausübung, die nicht Reisegewerbe oder Marktverkehr ist, fällt darunter. Die GewO nimmt die Abgrenzung nicht derart vor, daß jede Gewerbeausübung aufgrund einer gewerblichen Niederlassung (§4211 GewO) stehender Gewerbebetrieb und jede Gewerbeausübung ohne eine solche Reisegewerbe wäre, vielmehr orientiert sich die Abgrenzung an dem besonderen Zweck, der mit der Sonderregelung für das als besonders kontrollbedürftig angesehene Reisegewerbe398 verfolgt wird. Die letzte Novellierung des Titels III der GewO hat allerdings diese Sonderstellung des ambulanten Gewerbes abgeschwächt und das Reisegewerbe „von nicht mehr zeitgemäßen Beschränkungen" befreit399. Die sich in einer intensiven Gewerbeüberwachung (§§56, 57, 59, 60c GewO) äußernde besondere Kontrollbedürftigkeit wird für das Merkmal angenommen, daß eine Gewerbeausübung außerhalb einer oder ohne eine gewerbliche Niederlassung „ohne vorhergehende Bestellung" erfolgt (§§421, 551 GewO), und das ist zugleich das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium. Während der stehende Gewerbebetrieb grundsätzlich bloß anzeigepflichtig (§ 14 GewO)400 und nur nach besonderer Bestimmung (§§ 30ff GewO — „Gewerbetreibende, die einer besonderen Genehmigung bedürfen" — sowie die Nebengesetze) erlaubnispflichtig ist, ist das Reisegewerbe grundsätzlich erlaubnispflichtig (§ 551 GewO: „Reisegewerbekarte") und nur ausnahmsweise erlaubnisfrei (§§ 55 a, 55 b, 55 c GewO). Der Marktverkehr401 ist durch den Grundsatz der Marktfreiheit privilegiert (§ 701 GewO). Marktfreiheit bedeutet, daß der Besuch sowie der Kauf und Verkauf BVerwG DVB1. 1988, 5 8 4 . BGH NJW 1980, 1585; BayObLG GewArch. 1979, 167. 3 9 9 RegEntw.: BT-Drucks. 1 0 / 1 1 2 5 ; Ausschußbericht: BT-Drucks. 1 0 / 1 6 4 6 . Schönleiter, GewArch. 1984, 317. 400 D j e gesetzl. Statuierung der Anzeigepflicht schließt die Ermächtigung für die Behörde ein, die Anzeige nach Vordruck zu verlangen (BVerwG NJW 1977, 772). Auf die Erteilung der Anmeldebestätigung gem. § 151 GewO kann der Anzeigepflichtige verzichten (BVerwGE 38, 160). 4 0 1 Das Recht des Marktverkehrs ist durch das Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der GewO vom 5 . 6 . 1 9 7 6 (BGBl. I 1773) durchgreifend umgestaltet worden. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 7 / 3 8 5 9 ; Ausschußbericht, BT-Drucks. 7 / 4 8 4 6 . - Wirth, Marktverkehr, Marktfestsetzung, Marktfreiheit, 1985; Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1988, 118 ff.
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der zum Marktverkehr zugelassenen Waren402 auf den festgesetzten Messen, Ausstellungen und Märkten (§ 69 GewO) von administrativer Beschränkung grundsätzlich frei sind, d.h. den Erlaubnis- und Anzeigepflichten des Gewerberechts, insb. der Titel II und III der GewO, nicht unterliegen, so daß im Marktverkehr u. a. die Anzeigepflicht des § 14 GewO und das Erfordernis der Reisegewerbekarte entfallen. Die ursprünglich und ohne Rücksicht auf die gewerbliche Nutzung im Gewerberecht geregelten lästigen Anlagen (§ § 16 ff GewO) sind jetzt sachlich zutreffend der Genehmigungspflicht gemäß § § 4 f f Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 15. März 1974 (BGBl. I S.721) unterworfen403. b) Handwerk: Das Handwerk nahm seit jeher in mehr oder weniger ausgepräg- 135 ter Weise eine Sonderstellung im Rahmen des Gewerberechts ein. Die Entwicklung zu einem besonderen Handwerksrecht erfolgt zunächst durch verschiedene Novellen zur GewO, hauptsächlich durch die Handwerkernovelle vom 26. Juli 1897, auf welche die früher in Titel VI behandelten Handwerkskammern zurückgehen, und durch die Handwerksnovelle vom 11.2.1929, die die Handwerksrolle einrichtete (vormals Titel Via). Mit dem — mehrfach geändert bis heute fortgeltenden — Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953 kam es auch gesetzestechnisch zu einer Verselbständigung des Handwerksrechts. Dieses Gesetz gilt heute in der Fassung vom 28. Dezember 1965 (BGBl. 1966 I S. 1) und ist seither insb. durch das BerufsbildungsG vom 14.8.1969 (BGBl. I S. 1112) novelliert worden404. Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes 136 Gewerbe ist die Eintragung in die Handwerksrolle, die von der Handwerkskammer als ein Verzeichnis der selbständigen Handwerker ihres Bezirks geführt wird (§§ 11, 61 HandwO). Die Eintragung in die Handwerksrolle entspricht der Erteilung einer gewerblichen Erlaubnis. Die Entscheidung über die Eintragung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt (§ 12 HandwO), ebenso die Mitteilung, daß die Eintragung beabsichtigt sei (§11 HandwO)405. Die Eintragung in die Handwerksrolle ist für die Frage, ob der Eingetragene selbständiger Handwerker ist, eine die Innung bindende Feststellung (§ 58 HandwO)406. Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle — und damit für die 137 Zulassung zum Beruf des selbständigen Handwerkers — ist grundsätzlich der Befähigungsnachweis in Form der Meisterprüfung in dem zu betreibenden oder einem diesem verwandten Handwerk (§§ 71, 45 ff HandwO)407. Durch RechtsverZu Volksfesten vgl. § 60 b GewO. Für das Recht der lästigen Anlagen wird auf den Abschn. Umweltschutzrecht, bearb. von R. Breuer, verwiesen. 404 Eyermann/Fröhler/Honig, Handwerksordnung, 3. Aufl., 1973; KolbenscblaglKüblerl Aberle, Die Dt. Handwerksordnung, 1967 ff; Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, 2. Aufl., 1985; Berg, GewArch. 1982, 73; Czybulka, NVwZ 1991, 2 3 0 . 4 0 5 BVerwG DÖV 1961, 5 1 1 . 4 °« BVerwG DÖV 1988, 346. 4 0 7 Dieser handwerksrechtliche Sachkundenachweis ist keine Verletzung der Berufsfreiheit (BVerfGE 13, 97). 402
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Ordnung kann als Grundlage für ein geordnetes und einheitliches Meisterprüfungswesen bestimmt werden, welche Tätigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten den einzelnen Handwerkern zuzurechnen (Berufsbild) und welche Anforderungen in der Meisterprüfung zu stellen sind (§45 HandwO). Das „Berufsbild" zahlreicher Handwerke ist auf diesem Wege fixiert worden, z. B. das der Uhrmacher durch die Verordnung vom 17. April 1986 (BGB1.I S.533). Die gemäß §711 HandwO erlassene Verordnung über die Anerkennung von Prüfungen bei der Eintragung in die Handwerksrolle und bei Ablegung der Meisterprüfung vom 2. November 1982 (BGBl. I S. 1475) legt fest, welche anderen Prüfungen der Meisterprüfung für die Ausübung des betreffenden Handwerks gleichartig sind. In besonderen Fällen kann die Eintragung auch ohne Meisterprüfung mit Hilfe einer Ausnahmebewilligung erreicht werden (§§7 III, 8, 9 HandwO), eine Regelung, die nicht die Bedingung des Befähigungsnachweises, sondern nur den Grundsatz durchbricht, daß dieser Nachweis gerade durch die Meisterprüfung zu erbringen ist408. Der selbständige Betrieb eines handwerksähnlichen Gewerbes unterliegt nicht der Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle, sondern nur einer besonderen Anzeigepflicht (§ 18 HandwO; Anlage B zur HandwO). 138 Ein Gewerbebetrieb ist ein Handwerksbetrieb, wenn er eines der in der Positivliste (Anlage A zur HandwO) aufgeführten Gewerbe (Handwerk) zum Gegenstand hat und wenn er handwerksmäßig ausgeübt wird (§ 1 II HandwO). Die Beurteilung, ob eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit ein Handwerk zum Gegenstand hat, bringt in der Regel keine Schwierigkeiten mit sich409. Da die Qualifizierung eines Gewerbebetriebes als Handwerksbetrieb die besonderen Zulassungsvoraussetzungen und Pflichten des Handwerksrechts zur Folge hat, insbesondere die Notwendigkeit, in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, und die Zwangsmitgliedschaft in der Handwerkskammer, wird die Frage, ob ein Handwerk handwerksmäßig betrieben wird, dann praktisch bedeutsam, wenn ein Gewerbetreibender sich weigert, die Eintragung in die Handwerksrolle zu beantragen, oder wenn er die Löschung in der Handwerksrolle begehrt. Es handelt sich dabei um die Abgrenzung handwerklicher und industrieller Betriebsweise. Ausschlaggebend bei dieser Abgrenzung ist die Rolle, die der Gebrauch von Maschinen in dem Betrieb spielt410. Die kennzeich408
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BVerwGE 8, 2 8 7 ; 13, 3 1 7 (Honig, JuS 1964, 437). Diese Rspr. zu § 8 a . F . ist in der Neufassung dieser Vorschrift berücksichtigt worden. — Ritgen, BB Beilage 8 / 6 6 ; Stolz, GewArch. 1979, 8. Montage von Ölfeuerungen als Bestandteil des Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerks, Nr. 33 der Positivliste (BVerwG VerwRspr. 20, 623); Fassadenverkleidung als Bestandteil des Dachdeckerhandwerks, Nr. 6 der Positivliste (GewArch. 1979, 377). Das praxiseigene Labor des Zahnarztes ist grds. nicht Ausübung des Zahntechniker-Handwerks (BVerwG GewArch. 1979, 3 0 5 ; Badura, Zahnärztl. Mitteilungen 1978, 597). Die gewerbsmäßige Restaurierung alter Möbel ist i. d. R. nicht als — eigenschöpferische — künstlerische Tätigkeit höherer Art, sondern als Handwerksausübung zu bewerten (BayObLG DÖV 1987, 548). BVerwGE 17, 2 3 0 und 25, 66 (industrielle „Expreß-Schuhbar"); BVerwG GewArch. 64, 108 (industrielle Schnellreinigung; vgl. Nr. 3 4 Anlage B zur HandwO); BVerwG GewArch. 64, 2 4 8 und 2 4 9 (grafisches Gewerbe); BVerwGE 20, 2 6 3 (industrielles Baugewerbe), dazu Honig, JuS 1966, 4 3 6 ; BVerwG GewArch. 1979, 2 6 2 (handwerkl.
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nende Eigenart der industriellen Betriebsweise besteht darin, daß die erbrachte Arbeitsleistung einem von maschinellen Fertigungs- und Behandlungsvorgängen bestimmten technischen Prozeß ihre Prägung verdankt, so daß die Kenntnisse und Fertigkeiten des Betriebspersonals sich nicht unmittelbar auf den Arbeitsgegenstand, sondern auf die technische Wirkungsweise der maschinellen Hilfsmittel beziehen. Für die Annahme industrieller Betriebsweise spricht es, wenn die Verwendung von Maschinen keinen Raum läßt für die Entfaltung von Handfertigkeit und es im wesentlichen auf die Bedienung der Maschinen ankommt. Für die Annahme handwerklicher Betriebsweise spricht es, wenn man sich der Maschinen nur zur Erleichterung der Arbeit und zur Unterstützung der Handfertigkeit bedient, eine einwandfreie und fachgerechte Arbeitsleistung ohne qualifizierte Handarbeit also nicht erreicht werden kann. Es kommt nicht auf das Ausmaß der Verwendung von technischen Hilfsmitteln überhaupt und auf die Betriebsgröße als solche an, sondern auf die Funktion der Maschinen für die Arbeitsweise des Betriebs und den Zusammenhang der Betriebsgröße und Betriebsorganisation mit der Wirkungsweise der maschinellen Arbeitsprozesse. Die Abgrenzung kann letztlich nur nach den Umständen des Einzelfalles und dem Gesamtcharakter des Betriebes erfolgen, wobei auch die Arbeitsteilung zwischen unternehmerischer Leitung und technischer Tätigkeit und das Ausmaß des Kapitaleinsatzes ins Gewicht fallen. Die Berufsbildung im Handwerk und vor allem die Ausbildung der Lehrlinge und 139 der Gesellen ist eine wesentliche Aufgabe der Handwerksbetriebe. Sie ist eingehend geregelt (§§21 ff HandwO). Für die staatlich anerkannten Ausbildungsberufe erläßt der Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft durch Rechtsverordnung Ausbildungsordnungen als Grundlage für eine geordnete und einheitliche Berufsausbildung sowie zu ihrer Anpassung an die technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse und deren Entwicklung (§25 HandwO)411. Die Regelung und Überwachung der Berufsausbildung gehört zu den Aufgaben der Handwerkskammern (§911 Nr. 4 bis 7 HandwO) und der Innungen (§541 Nr. 3 bis 6 HandwO). c) Gaststättengewerbe: Das Gaststättengesetz vom 5. Mai 1970 (BGBl. I S. 465, 140 ber. S. 1298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 1986 (BGB1.I S. 2441) 412 , begründet eine Erlaubnispflicht für den Betrieb einer Schankwirtschaft, einer Speisewirtschaft und eines Beherbergungsbetriebs im stehenden Gewerbe sowie für den Tatbestand, daß jemand als selbständiger Gewerbetreibender im
411
412
Herstellung von Backwaren); BVerwG GewArch. 1979, 377 (handwerkl. Dachdeckerei); OVG Koblenz GewArch. 1972, 15 (Kfz-Gewerbe); Fröhler/Dannbeck, Zur Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1965; Söllner, Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1973; Schwarz, GewArch. 1988, 1; ders., WiV 1989, 207. - Kriterium der handwerkl. Arbeit für die Auslegung eines Tarifvertrages: BAG GewArch. 1982, 335. Z.B. die Verordnung über die Berufsausbildung zum Korbmacher vom 1 5 . 7 . 1 9 8 5 (BGBl. I 1532). Mörtel/Metzner, GaststG, 4. Aufl., 1988; Hoffmann/Seitter, GaststG, 3. Aufl., 1985; Michel/Kienzle, GaststO, 10. Aufl., 1990; Stober, JuS 1983, 843; von Ebner, WiV 1987, 69; Aßfalg, NVwZ 1989, 519; ders., NVwZ 1991, 728. 261
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Peter Badura
Reisegewerbe413 von einer für die Dauer der Veranstaltung ortsfesten Betriebsstätte aus Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (§§ 1, 2 GaststG). Ein Gaststättengewerbe liegt sowohl vor, wenn der Betrieb jedermann, als auch wenn er nur bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Verschiedene Formen der Ausübung des Gaststättengewerbes sind von der Erlaubnispflicht ausgenommen, z.B. die Verabreichung unentgeltlicher Kostproben und von alkoholfreien Getränken aus Automaten (§ 2 II—IV). Der Verkauf von Getränken, zubereiteten Speisen, Tabak- und Süßwaren von einer Schank- oder Speisewirtschaft aus „über die Straße" zum alsbaldigen Verzehr oder Verbrauch ist als „Gassenschank" Bestandteil des Gaststättengewerbes und nicht zusätzlich Ausübung von Einzelhandel (§711 GaststG). 141 Die Erlaubnis ist für eine bestimmte Betriebsart und für bestimmte Räume zu erteilen; sie ist eine raumgebundene Personalerlaubnis ( § 3 1 GaststG). Zum Schutze der Allgemeinheit, der Gäste, des Personals und der Bewohner des Betriebsgrundstücks und der Nachbargrundstücke können der Erlaubnis, auch nachträglich, Auflagen beigefügt werden ( § 5 1 GaststG) 414 . Die gesetzlichen Voraussetzungen der Erlaubniserteilung erstrecken sich auf die Zuverlässigkeit des Antragstellers, die ordnungsgemäße Beschaffenheit der für die Gewerbeausübung vorgesehenen Räume, die im Hinblick auf die örtliche Lage des Betriebs oder auf die Verwendung der Räume sonst berührten öffentlichen Interessen und den Nachweis lebensmittelrechtlicher Kenntnisse ( § 4 1 GaststG). Die nach altem Recht erforderliche Bedürfnisprüfung (§§ I I I , 8 12 GaststG 1930) war mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes als unverhältnismäßige objektive Zulassungsvoraussetzung entfallen 415 . 142 Die Anforderung, daß der Gewerbebetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage oder auf die Verwendung der Räume dem öffentlichen Interesse nicht widersprechen darf und insb. immissionsschutzrechtlich unbedenklich sein muß ( § 4 1 Nr. 3 GaststG), ist zum Teil Gegenstand anderer Rechtsvorschriften und besonderer Genehmigungsvorbehalte, besonders im Rahmen des Baurechts und des Immissionsschutzrechts416. Wird eine anderweitig erforderliche Genehmigung abgelehnt, steht das der Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis nicht unter allen Umständen entgegen. Das gilt vor allem für die Ablehnung einer Baugenehmigung 417 ; diese ist lediglich faktische Voraussetzung für die Ausnutzung der Gaststättenerlaubnis. Eine erteilte Baugenehmigung dagegen hat durch ihre feststellende Regelung Bindungswirkung für die gaststättenrechtliche Erlaubnis, soweit es um die Grundstücksnutzung und die darauf bezogenen öffentlichen und privaten Belange 413
414
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262
Das Gaststättenrecht ist für diese Art des Reisegewerbes eine Sonderregelung gegenüber dem Titel III der GewO (§ 13 GaststG). BVerwGE 31, 15; BayVGH GewArch. 1990, 2 1 8 ; OLG Hamm DVB1. 1 9 7 5 , 5 8 4 mit Anm. Götz; VGH Kassel GewArch. 1979, 24. BVerwGE 1, 4 8 ; 20, 3 2 1 . — Schmidt, Die Bedürfnisprüfung als Instrument der Wirtschaftslenkung und Gesellschaftsgestaltung, 1968. Zu den sonstigen öffentlichen Interessen, z.B. des Straßenverkehrs: BVerwGE 10, 91; BVerwG NJW 1957, 1 0 4 3 ; VGH BW GewArch. 1964, 3 9 ; OVG Koblenz GewArch. 1964, 174. BVerwG NVwZ 1990, 5 5 9 mit Anm. Czermak, BayVBl. 1990, 602.
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geht418. Über die zulässigen Betriebszeiten einer Gaststätte ist im Rahmen der Gaststättenerlaubnis zu entscheiden. Sind jedoch Betriebszeitenregelungen Ausdruck der Betriebsart, z. B. Tagescafe, Nachtlokal (vgl. § 3 12 GaststG), fällt die Entscheidung in die Sachkompetenz der Baugenehmigungsbehörde419. Das Erfordernis, daß der Antragsteller durch eine Bescheinigung der für den Ort 143 seiner gewerblichen Niederlassung zuständigen Industrie- und Handelskammer nachweisen muß, daß er oder sein Stellvertreter über die Grundzüge der für den in Aussicht genommenen Betrieb notwendigen lebensmittelrechtlichen Kenntnisse unterrichtet worden ist und mit ihnen als vertraut gelten kann (§41 Nr. 4 GaststG), ist die sachlich bedeutsamste Änderung gegenüber dem früheren Recht; die Erwägungen über Art und Umfang dieses „Unterrichtungsnachweises" haben in den Ausschußberatungen des Bundestages eine beherrschende Rolle gespielt. Ein allgemeiner Sachkundenachweis, wie er von der Interessenvertretung des Gaststättengewerbes gefordert worden war und wie ihn der Rechtsausschuß bei Speisewirtschaften für notwendig gehalten hatte, wurde vom Wirtschaftsausschuß aus rechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen abgelehnt, ist in die als Gesetz beschlossene Fassung nicht eingegangen und hätte auch angesichts der durch Art. 121 GG festgelegten Kriterien für die Verhältnismäßigkeit einer subjektiven Zulassungsbeschränkung für einen Beruf, die das BVerfG im Hinblick auf den Sachkundenachweis im Einzelhandel verdeutlicht hatte 420 , kaum gerechtfertigt werden können421. d) Beförderungsgewerbe: Das Personenbeförderungsgesetz i. d. F. der Bek. vom 144 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690) unterwirft die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsomnibussen und mit Kraftfahrzeugen einem Genehmigungsvorbehalt und aufsichtlichen Befugnissen (§ 54 PBefG)422. Die neben subjektiven Anforderungen zu erfüllenden objektiven Genehmigungsvoraussetzungen sind danach differenziert, ob Linienverkehr oder Gelegenheitsverkehr betrieben werden soll (§13 PBefG). Der Linienverkehr berührt die öffentlichen Verkehrsinteressen in höherem Maße; das Gesetz schützt hier auch den Bestand eines vorhandenen Unternehmens. Beim Verkehr mit Taxen ist die Genehmigung zu versagen, wenn die öffentlichen Verkehrsinteressen dadurch beeinträchtigt werden, daß durch die Neuzulassung das örtliche Taxengewerbe in seiner Funktionsfähigkeit bedroht wird423. Bei der abwägenden Bewertung der öffentlichen Verkehrsinteressen hat die Genehmigungsbehörde einen gerichtlich nur 418
419 420 421
422
423
Durch die bestandskräftige Baugenehmigung für eine Trinkhalle ist nicht nur deren Vereinbarkeit mit den Immissionsschutzanforderungen des § 15 12 BauNVO bindend festgestellt, sondern auch, daß sich die von der Nutzung der Trinkhalle typischerweise ausgehenden Immissionen im Rahmen des § 41 Nr. 3 GaststG halten (BVerwGE 80, 259). BayVGH GewArch. 1987, 99. BVerfGE 19, 330. Stober, Der Befähigungsnachweis im Gastgewerbe als Rechtsproblem, 1986; Kienzle, WiV 1987, 95. BVerfGE 11, 168; BVerwGE 23, 3 1 4 ; 30, 2 4 2 ; 31, 184; 55, 159; 64, 2 3 8 ; 79, 208. Bidinger, Personenbeförderungsrecht, Stand 1990; Fromm, DVB1. 1967, 181; ders., BB 1969, 7 4 1 ; Bidinger, NVwZ 1989, 259. BVerwG DVB1. 1990, 50.
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eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum 424 . Die nähere Regelung der Neuzulassung von Taxen mit Hilfe eines Beobachtungszeitraums und eines qualifizierten Prioritätsgrundsatzes, die wegen Art. 121 GG durch das Gesetz vorzunehmen war, ist ein Beispiel für eine Ausgestaltung der Verteilungsgerechtigkeit bei einem reglementierten Dienstleistungsmarkt. 145 Die Genehmigung eines Linienverkehrs mit Omnibussen schließt keine Entscheidung über die von den Straßenanliegern zu duldenden Immissionen ein und kann deshalb von den Anliegern nicht im Hinblick auf verkehrsbedingte Immissionen angegriffen werden 425 . Straßenbahnen einschließlich von Hoch- und Untergrundbahnen sowie Oberleitungsomnibusse bedürfen für die Betriebsanlagen der Planfeststellung ( § § 2 8 ff, 4 1 PBefG) 426 , die zusätzlich zu der verkehrswirtschaftlichen Genehmigung (§§ 9 ff PBefG) erforderlich ist. 146 Die Beförderung von Gütern mit einem Kraftfahrzeug für andere bedarf nach dem Güterkraftverkehrsgesetz i. d. F. der Bek. vom 10. März 1983 (BGBl. I S. 256), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 1990 (BGBl. I S. 1221) als Güterfernverkehr der Genehmigung ( § § 3 1 , 8 ff GüKG) und als gewerbsmäßig betriebener Güternahverkehr einer Erlaubnis ( § § 2 , 80 ff GüKG) 4 2 7 . Besondere Verkehrsarten sind der — ebenfalls erlaubnispflichtige — Umzugsverkehr, der Güterfernverkehr der Bundesbahn, der Werkverkehr und der landwirtschaftliche Sonderverkehr. Die Bundesanstalt für den Güterfernverkehr hat die Ordnung im Güterfernverkehr innerhalb seiner verschiedenen Zweige und im Verhältnis zu anderen Verkehrsträgern herzustellen und zu gewährleisten; sie überwacht die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten (§§ 53 ff GüKG). Daneben bestehen die Aufsichtsbefugnisse der zuständigen Landesbehörden (§§ 1 9 b , 43, 87 GüKG). Die Genehmigungen für den Güterfernverkehr sind durch Höchstzahlen kontingentiert, die der Bundesminister für Verkehr unter Berücksichtigung des öffentlichen Verkehrsbedürfnisses und der Verkehrssicherheit auf den Straßen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung festsetzt und auf die Länder aufteilt (§ 9 GüKG). Die Kontingentierung ist in erster Linie durch den Schutz des Frachtaufkommens der Bundesbahn gerechtfertigt 428 . Die Beförderungsentgelte im Güterverkehr unterliegen grundsätzlich einem Tarifzwang ( § § 2 0 ff, 40, 84 ff GüKG).
424
425 426
BVerwG NJW 1989, 3233 für den Linienverkehr; BVerwGE 79, 2 0 8 für die prognostische Beurteilung bei der Zulassung neuer Taxen. BVerwG DVB1. 1990, 774. BVerwG DVB1. 1988, 5 3 8 .
427
Balfanz/von Tagelen, Güterkraftverkehrsgesetz, Stand 1989; Horn, GewArch. 1985, 73.
428
BVerfGE 40, 196; BVerwGE 51, 2 3 5 ; BVerwG DVB1. 1984, 9 1 ; BVerwG DVB1. 1989, 557.
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VIERTER ABSCHNITT
Bau recht Walter Krebs
Gliederung I. Einführung 1. Aufgaben, Begriff und Gegenstände des Baurechts a) Privates Baurecht b) Öffentliches Baurecht aa) Raumordnungsrecht bb) Städtebaurecht cc) Bauordnungsrecht dd) Verhältnis von Städtebaurecht zu Bauordnungsrecht 2. Die verfassungsrechtliche Vorordnung des Baurechts a) Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung für das öffentliche Baurecht aa) Gesetzgebungszuständigkeiten bb) Rechtsquellen cc) Verwaltungszuständigkeiten b) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden c) Grundrechte aa) Baurecht und Baufreiheit bb) Leistungsrechtliche Aspekte II. Raumordnungs-und Landesplanungsrecht 1. Die bundesrechtlichen Vorgaben a) Überblick b) Aufgabe und Leitvorstellungen der Raumordnung c) Grundsätze der Raumordnung aa) Bindungswirkung bb) Inhalt der Raumordnungsgrundsätze cc) Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze d) Rahmenrechtliche Vorgaben für die Raumordnung in den Ländern . . aa) Programme und Pläne bb) Das Raumordnungsverfahren cc) Das Sicherungsinstrument der Untersagung e) Institutionalisierte Gremien und Verfahren zur Information und Koordination 2. Landesplanung a) Überblick b) Organisation der hochstufigen Landesplanung c) Programme und Pläne aa) Terminologie bb) Typen landesplanerischer Aussagen
Rn. 1—33 1— 7 2 3— 7 4 5 6 7 8—33 9-15 9 10-14 15 16—25 26—33 27—30 31—33 34—72 34—51 34-35 36—38 39—45 39—40 41 —42 43—45 46—50 46—48 49 50 51 52 — 63 52 53 54—62 54 55—58 265
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Walter Krebs
cc) Verfahren und Inhalte des Landesentwicklungs- (bzw. -raumordnungs-)plans bzw.-programms d) Planvorbereitende, planbegleitende und plansichernde Instrumente . . 3. Regionalplanung 4. Rechtsschutzfragen des Raumordnungsrechts a) Rechtsschutzkonstellationen b) Gerichtsschutz gegen Raumordnungspläne aa) Verfahrensarten bb) Rechtsnatur der Raumordnungspläne bzw. der Ziele der Raumordnungs- und Landesplanung cc) Kontrollmaßstäbe III. Städtebaurecht 1. Typen der Bauleitplanung a) Flächennutzungsplan aa) Inhalt bb) Rechtswirkungen b) Bebauungsplan aa) Inhalt bb) Rechtswirkungen 2. Aufstellung der Bauleitpläne a) Planungspflicht b) Anpassungs-und Entwicklungspflichten c) Abwägungsgebot und Planungsmaßstäbe aa) Bauleitplanung und Struktur der Planungsnormen bb) Rechtsbindung cc) Kontrollmaßstäbe d) Aufstellungsverfahren e) Fehlerfolgen f) Außerkrafttreten 3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben a) Allgemeines b) Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans aa) § 3 0 1 BauGB bb) Ausnahmen und Befreiungen c) Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 3 4 BauGB) d) Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich e) Zulässigkeit von Vorhaben auf Grund besonderen Eigentumsschutzes aa) Bestandsschutz bb) „Eigentumskräftig verfestigte Anspruchspositionen" f) Zulässigkeit von Vorhaben auf Grund einer Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungsplan 4. Instrumente und Maßnahmen zur Verwirklichung und Sicherung der Bauleitplanung a) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen b) Teilungsgenehmigung c) Gemeindliche Vorkaufsrechte d) Umlegung und Grenzregelung e) Erschließung
266
5 9 — 62 63 6 4 — 66 6 7 — 72 67 68 — 72 68 — 70 71 72 73-189 7 3 — 88 7 5 — 81 7 5 - 78 7 9 — 81 8 2 — 88 8 2 - 86 8 7 — 88 89 — 121 8 9 - 93 9 4 — 96 97—107 97— 99 100-104 105-107 108 — 115 116-119 120-121 122—142 122—126 127—128 127 128 129-131 132—137 138 — 141 139 140 — 141 142 143 — 175 144—147 148 — 153 154 — 157 158 — 160 161-164
Baurecht f) Enteignung aa) Gegenstand bb) Zulässigkeit cc) Entschädigung dd) Verfahren ee) Rechtsweg g) Städtebauliche Verträge 5. Besonderes Städtebaurecht a) Sanierungs-und Entwicklungsmaßnahmen b) Erhaltungssatzung und städtebauliche Gebote 6. Planschadensrecht
4. AbSChü. 165 — 171 166 167-168 169 170 171 172—175 176—181 177—180 181 182-189
IV. Bauordnungsrecht 190-227 1. Funktionen des Bauordnungsrechts 190—200 a) Gefahrenabwehr 191-195 b) Ästhetische Anforderungen 196—199 c) Soziale Standards 200 2. Die baurechtliche Verantwortlichkeit 201 3. Bauaufsichtsbehörden 202 4. Baugenehmigung 203—215 a) Genehmigungspflicht 204 b) Genehmigungsarten 205 c) Anspruch auf Genehmigung 206 d) Ausnahmen und Befreiungen 207 e) Nebenbestimmungen 208 f) Regelungsgehalt 209-210 g) Verfahren 211-214 h) Wirksamkeit, Geltungsdauer 215 5. Bauüberwachung und (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände . 216—227 a) Bauüberwachung 216—217 b) (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände 218—227 aa) Ermächtigungsgrundlagen 219—221 bb) Bestandsschutz genehmigter baulicher Anlagen 222 cc) Vorgehen gegen nicht genehmigte bauliche Anlagen 223—227 V. Rechtsschutzfragen des Städtebau-und Bauordnungsrechts 1. Gerichtlicher Rechtsschutz gegen städtebauliche Pläne a) Prinzipale Normenkontrolle b) Individualrechtsschutzverfahren 2. Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung a) Verpflichtungsklage b) Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen 3. Drittschutz (Nachbarschutz) a) Begriff des „Nachbarn" b) Einfachgesetzlicher Drittschutz c) Unvermittelter grundrechtlicher Drittschutz d) Verfahrensfragen 4. Vorläufiger Rechtsschutz
228—242 228—229 228 229 230—231 230 231 232—241 233 234—238 239 240—241 242
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4. Abschn.
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Gesetze Bund: RaumordnungsG (ROG) vom 8. April 1965 (BGBl. I, S. 306) i. d. F. der Neubekanntmachung vom 25. Juli 1991 (BGBl. I, S.1726) und der Berichtigung vom 20. August 1991 (BGBl. I, S. 1883). Baugesetzbuch (BauGB) vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I, S.2191) i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I, S. 2253), zuletzt geändert durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II, S . 8 8 9 , 1122). BundesbauG (BBauG) vom 23.Juni 1960 (BGBl. I, S.341) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. August 1976 (BGBl. I, S. 2257), zuletzt geändert durch G vom 18. Februar 1986 (BGBl. I, S. 265). MaßnahmenG zum Baugesetzbuch (BauGBMaßnG) vom 17. Mai 1990 (BGBl. I, S.926). G über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden (StädtebauförderungsG) vom 27.Juli 1971 (BGBl. I, S. 1125) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. August 1976 (BGBl. I, S. 2318), zuletzt geändert durch G vom 5. November 1984 (BGBl. I, S. 1321). VO über die bauliche Nutzung der Grundstücke (BaunutzungsVO) vom 26. Juni 1962 (BGBl. I, S. 429) i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I, S. 132), geändert durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II, S. 889, 1124). VO über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (WertermittlungsVO - WertV) vom 6. Dezember 1988 (BGBl. I, S.2209). VO über die Ausarbeitung und die Darstellung des Planinhalts (PlanzeichenVO — PlanzV) vom 18. Dezember 1990 (BGBl. 1991 I, S.58). Alte
Bundesländer:
BadenWürttemberg: LandesplanungsG vom 10. Oktober 1983 (GBl. S.621). LandesbauO für Baden-Württemberg vom 4.Juli 1983 (GBl. S.246) i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. November 1983 (GBl. S. 770, ber. GBl. 84, S. 519), zuletzt geändert durch G vom 17. Dezember 1990 (GBl. S.426). Bayern: Bayerisches LandesplanungsG i.d.F. der Bekanntmachung vom 4.Januar 1982 (GVB1. S.2), zuletzt geändert durch G vom 28. Juni 1990 (GVB1. S.213). Bayerisches BauO vom 1. August 1962 (GVB1. S.9) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2.Juli 1982 (GVB1. S.419), zuletzt geändert durch G vom 28.Juni 1990 (GVB1. S.213). Berlin: BauO vom 28. Februar 1985 (GVB1. S.522), geändert durch G vom 25. September 1990 (GVB1. S. 2075). Bremen: Bremische LandesbauO i.d.F. der Bekanntmachung vom 23. März 1983 (GVB1. S. 89), geändert durch G vom 12. Juni 1990 (GVB1. S. 147). Hamburg: Hamburgische BauO vom 1.Juli 1986 (GVB1. I, S. 183), zuletzt geändert durch G vom 4. Dezember 1990 (GVB1. I, S.235). Hessen: Hessisches LandesplanungsG vom 4.Juli 1962 (GVB1. I, S.311) i.d.F. vom l.Juni 1970 (GVB1. I, S. 360) mit Änderung vom 28. Januar 1975 (GVB1. I, S.19), vom 24. Juni 1978 (GVB1.1, S. 396) und vom 15. Oktober 1980 (GVB1. I, S.377). 268
Baurecht
4. Abschn.
G über die Feststellung des Hessischen Landesraumordnungsprogramms und zur Änderung des Hessischen LandesplanungsG (Hessisches FeststellungsG) vom 18. März 1970 (GVB1. I, 5. 265) mit Änderung vom 24. Juni 1978 (GVB1. I, S. 396) und vom 15. Oktober 1980 (GVB1. I, S. 377), Art. 3. Hessische BauO i . d . F . der Bekanntmachung vom 20. Juli 1990 (GVB1. I, S . 4 7 5 ) , zuletzt geändert durch G vom 11. September 1990 (GVB1. I, S . 5 3 8 ) .
Niedersachsen: Niedersächsisches G über Raumordnung und Landesplanung i . d . F . vom 10.August 1982 (GVB1. S. 340), geändert durch G vom 19. September 1989 (GVB1. S . 3 4 5 ) . Niedersächsische BauO vom 23.Juli 1973 (GVB1. S . 2 5 9 ) i . d . F . der Bekanntmachung vom 6. Juni 1986 (GVB1. S. 157), zuletzt geändert durch G vom 22. März 1990 (GVB1. S. 101).
Nordrhein-Westfalen: LandesplanungsG vom 5. Oktober 1989 (GVNW S . 4 7 6 ) . G zur Landesentwicklung i. d. F. der Bekanntmachung vom 5. Oktober 1989 (GVNW S. 485) m. Berichtigung (GVNW 1989, S. 648). 1. DVO zum LandesplanungsG vom 24. Oktober 1989 (GVNW S . 5 3 4 ) . 2. DVO zum LandesplanungsG vom 24. Oktober 1989 (GVNW S . 5 3 6 ) . 3. DVO zum LandesplanungsG vom 5. Februar 1980 (GVNW S. 149). 4. DVO zum LandesplanungsG vom 31.Oktober 1989 (GVNW S . 5 3 8 ) . 5. DVO zum LandesplanungsG vom 24. Oktober 1989 (GVNW S . 5 3 7 ) . BauO für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 1 9 8 4 (GVNW S . 4 1 9 , ber. S . 5 3 2 ) , zuletzt geändert durch G vom 20. Juni 1989 (GVNW S . 4 3 2 ) .
Rheinland-Pfalz: LandesG über Raumordnung und Landesplanung i. d. F. vom 8. Februar 1977 (GVB1. S. 6), zuletzt geändert durch G vom 8. April 1991 (GVB1. S. 102). LandesG über die Einteilung des Landes in Regionen i . d . F . vom 8.Februar 1977 (GVB1. S. 15). 1. LandesVO zur Durchführung des LandesplanungsG vom 19. April 1967 (GVB1. S. 136). 2. LandesVO zur Durchführung des LandesplanungsG vom 19. April 1967 (GVB1. S. 136). LandesbauO für Rheinland-Pfalz vom 28. November 1 9 8 6 (GVB1. S . 3 0 7 , ber. GVB1. 1987, S. 48), zuletzt geändert durch G vom 8. April 1991 (GVB1. S. 118).
Saarland: Saarländisches LandesplanungsG vom 17. Mai 1978 (ABl. S. 588). LandesbauO vom 10. November 1988 (ABl. S . 1 3 7 3 ) .
Schleswig-Holstein: G über die Landesplanung i.d.F. vom 24.Juni 1981 (GVOB1. S. 117) m. Änd. vom 14. Dezember 1988 (GVOBl. S . 2 1 5 ) . G über Grundsätze zur Entwicklung des Landes i . d . F . vom 22.September 1981 (GVOBl. S. 180) m. Änd. vom 19. November 1985 (GVOBl. S . 3 7 4 ) . LandesbauO für das Land Schleswig-Holstein vom 2 4 . Februar 1983 (GVOBl. S. 86).
Neue Bundesländer: G über die Inkraftsetzung des RaumordnungsG der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 5.Juli 1 9 9 0 i . d . F . der Bekanntmachung vom 20. Juli 1990 (GBl. D D R I, S . 6 2 7 ) . G über die BauO vom 20.Juli 1990 (GBl. D D R I, S . 6 2 9 ) i . d . F . der Bekanntmachung vom 13. August 1 9 9 0 (GBl. D D R I, S . 9 2 9 ) . G zur Einführung des G vom 20.Juli 1990 über die BauO vom 20.Juli 1990 i . d . F . der Bekanntmachung vom 13. August 1990 (GBl. D D R I, S . 9 5 0 ) .
269
4. Abschn.
Walter Krebs
VO zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und der Investitionen in den Gemeinden (Bauplanungs- und ZulassungsVO — BauZVO) vom 20. Juni 1990 i. d. F. der Bekanntmachung vom 30. Juli 1990 (GBl. DDR I, S.739).
Literatur Allgemeines U. Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 2, Aufl., 1987. U. Battis/M. Krautzberger/ R.-P. Lohr, Baugesetzbuch, 3. Aufl., 1991. W.Bielenberg/ W.Erbguth / W.Söfker, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Lsbl. W. Bielenberg IM. Krautzberger IW.Sößer, Baugesetzbuch, 3. Aufl., 1990. H. Brügelmann u. a., Kommentar zum Baugesetzbuch, Lsbl. W.Cholewa/J. David/H.DyonglH.-J. von der Heide, Baugesetzbuch, 2. Aufl., 1990. W.CholewalH.DyonglH.-J. von der Heide, Raumordnung in Bund und Ländern, 2.Aufl., Lsbl. D. Dörr, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, 1990, 285 ff. W.Erbguth, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 1983. Besonderes Verwaltungsrecht, 1990, W. Erbguth, Bauplanungsrecht, in: Achterberg/Püttner, 3 4 9 ff. W. Erbguth, Bauplanungsrecht, 1989. W. Ernst/ W. Zinkahn / W. Bielenberg, Baugesetzbuch, 4. Aufl., Lsbl. W.Ernst/W.Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumordnungsrecht, 2. Aufl., 1981. H.-C. Fickert/ H. Fieseier, Baunutzungsverordnung, 6. Aufl., 1990. K.Finkelnburg, Bauplanungsrecht, in: ders./Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. 1, 2.Aufl., 1990. K.-H. Friauf, Baurecht, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1988, 4 7 7 f f . K. Geizer, Bauplanungsrecht, 4. Aufl., 1984. H.-J. Koch/R. Hosch, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 1988. M.Oldiges, Baurecht, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1988, 439 ff. F.-J. Peine, Raumplanungsrecht, 1987. O. Schlichter/R. Stich, Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 3. Aufl., 1988. E. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972. U.Steiner, Baurecht, Schriftenreihe Prüfe Dein Wissen, 1990. U. Steiner, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders., Besonderes Verwaltungrecht, 3. Aufl., 1988, 669 ff. Zur Einarbeitung
in das
Landesrecht:
H.Förster! A. Grundeil D. SteinhoffI H.Dageförde / D.Wilke, Bauordnung für Berlin vom 2 8 . 2 . 1 9 8 5 , 4. Aufl., 1986. H. Gädtke / D. Böckenförde I H.-G. Temme, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, 8. Aufl., 1989. U. Grosse-SuchsdorfIH. K. SchmaltzIR.Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, niedersächsisches Denkmalschutzgesetz, 4. Aufl., 1987. W.Hoppe, Das Recht der Raumordnung und Landesplanung in Nordrhein-Westfalen, in: Grimm/Papier, Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, 305 ff. W.Hoppe/R.Menke, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und des Landes Rheinland-Pfalz, 1986. 270
Baurecht
4. Abschn.
W. Hoppe / J. Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und des Landes Niedersachsen, 1987. F.-L. Knemeyer, Bauplanungs- und Bauordnungsrecht, in: Maunz/Obermayer/Berg/Knenteyer, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 5. Aufl., 1988, 385 ff. W. Krebs, Baurecht, in: Grimm/Papier, Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, 379 ff. H. Meier, Raumordnung und Landesplanung, in: Faber/Schneider, Niedersächsisches Staatsund Verwaltungsrecht, 1984, 329 ff. F. H. Müller, Das Baurecht in Hessen, Lsbl. K.-M. Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. 2, 2. Aufl., 1990. H.-G. Rößler, Landesbauordnung von Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., 1985. H.Sauterl K.Imig/ A.KiessIV. Hornung, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 2. Aufl., Lsbl. W.-R. Schenke, Bauordnungsrecht, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, 1990, 433 ff. G.Schlez, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., 1985. K.Schlotterbeck/A.v.Arnim, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3.Aufl., 1988. E. Schmidt-Aßmann I H.-H. Trute, Raumordnungs- und Landesplanung, in: Maurer/Hendler, Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1989, 351 ff. A. Simon, Bayerische Bauordnung, 10. Aufl., Lsbl. R. Steinberg, Baurecht, in: Meyer/Stolleis, Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, 2 6 4 ff. R. Steinberg, Landesplanungsrecht, in: Meyer/Stolleis, Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, 308 ff. R. Stich / H. Gabelmann, Landesbauordnung Rheinland-Pfalz, Lsbl. F. Thiel/H.-G. Rößler/ W.Schumacher, Baurecht in Nordrhein-Westfalen, Lsbl. R. Wiechert, Baurecht, in: Faber/Schneider, Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1985, 278 ff.
271
4. Abschn. I 1 b
Walter Krebs
I. Einführung* 1. Aufgaben, Begriff und Gegenstände des Baurechts 1
Jedermann lebt in Raum und Zeit. Gestalt und Gestaltung des Raumes berühren die Lebensverhältnisse jedes einzelnen, z.T. elementar. Wohnen, Arbeiten und Erholen sind mehr oder minder auch abhängig von den natürlichen und künstlichen Gegebenheiten des Raumes. Jede Beanspruchung des Raumes, insbesondere seine bauliche Nutzung, entweder durch Private oder durch Einrichtungen des Staates, trifft auf zahlreiche, häufig unterschiedliche Interessen. Dieser Umstand erklärt nicht nur die Notwendigkeit eines Ausgleichs privater und öffentlicher Interessen durch eine rechtliche Ordnung der Raumnutzung. Die vielfältige Betroffenheit von privaten und öffentlichen Belangen durch raumbezogene Maßnahmen verdeutlicht auch, daß es zahlreicher, richtiger: zahlloser Regelungen bedarf, um diese rechtliche Ordnung zu erstellen: rechtliche Regelungen über die Entwicklung des Raumes, Regelungen über die konkrete Nutzbarkeit des Raumes in Gemeinden, Regelungen über die Anforderungen an Gebäude, Regelungen zum Ausgleich privater Nutzungsinteressen. Von daher verwundert es nicht, daß sich Regelungen über die Nutzbarkeit und Nutzung von Grund und Boden in vielen Teilen der gesamten Rechtsordnung finden.
2
a) Privates Baurecht: Die rechtliche Ordnung der Raumgestaltung und Bodennutzung ist zwar vornehmlich, aber nicht exklusiv Aufgabe des öffentlichen Rechts. Auch im Zivilrecht gibt es Normen, die sich auf die Nutzung von Grund und Boden, insbesondere auf die Errichtung von Bauwerken beziehen oder zumindest dafür im Einzelfall Bedeutung erlangen können. Zu dem in diesem Sinn privaten Baurecht 1 zählen z. B. die Vorschriften des BGB über Grundeigentum und Nachbarrecht (§§ 903 ff); baurechtliche Bedeutung können auch das Werkvertragsrecht (§§ 631 ff BGB) und das Deliktsrecht ( § § 8 2 3 ff BGB) haben. Die auf Grund der Vorschriften der Art. 124 EGBGB erlassenen Nachbarrechtsgesetze der Bundesländer2 enthalten privatrechtliche Vorschriften über Grenzabstände für Gebäude, Fenster- und Lichtrechte, Nachbarwände, Grenzwände u. a.
3
b) Öffentliches Baurecht: Im öffentlichen Recht gibt es neben dem eigentlichen „Baurecht" zahlreiche Rechtsgebiete, die zwar nicht spezifisch baurechtlicher Natur sind, sich aber entweder zum Teil auch auf die Raumgestaltung und Boden* Für tatkräftige Hilfe danke ich besonders Frau Ass. Barbara Remmert u. für die Vorbereitung des Abschnitts „Raumordnungs- u. Landesplanungsrecht" Frau Ass. Dipl.-Soz.
Mariort Albers.
1 2
Dazu z.B. Locher, Das private Baurecht, 4. Aufl., 1988. Für die alten Bundesländer vgl. die Nachw. der gesetzl. Fundstellen u. der Kommentarliteratur bei Bassenge, in: Palandt, BGB, 5 0 . Aufl., 1991, Art. 124 EGBGB Rn. 2. Für die neuen Bundesländer ist zweifelhaft, ob nachbarrechtl. Regelungen bestehen und — bejahendenfalls — ob sich diese aus den nachbarrechtl. Vorschriften des ZGB-DDR, die nunmehr als Landesrecht fortgelten könnten, oder aus dem vor Erlaß des ZGB-DDR geltenden Landesrecht ergeben. Vgl. dazu Dehner, DtZ 1991, 108 ff m. Nachw. der gesetzl. Fundstellen der alten landesnachbarrechd. Regelungen der neuen Bundesländer.
272
Baurecht
4. Abschn. I 1 b bb
nutzung und auf bauliche Anlagen sowie deren Nutzung beziehen, oder jedenfalls auch dafür im Einzelfall bedeutsam sein können. Zu diesen Rechtsgebieten zählen z.B. das Immissionsschutzrecht, Naturschutzrecht, Wasserhaushaltsrecht, Waldrecht, Atomrecht, Abfallrecht, Wohnungsbauförderungsrecht und v. a. m. Versteht man unter öffentlichem Baurecht die Gesamtheit der rechtlichen Regelungen, „die sich auf die Zulässigkeit, die Ordnung und die Förderung der Errichtung von baulichen Anlagen sowie auf die bestimmungsgemäße Nutzung dieser Anlagen beziehen"3, dann lassen sich viele Vorschriften der genannten Rechtsgebiete diesem Begriff zuordnen. Rechtssystematisch wird der Begriff des öffentlichen Baurechts aber als Oberbegriff für die Rechtsmaterien des Städtebaurechts (Bauplanungsrecht) und des Bauordnungsrechts verwendet. Bei einem erweiterten Begriffsverständnis, das auch das Recht der Raumgestaltung und -planung einbezieht, gehören zum öffentlichen Baurecht noch die Rechtsmaterien des Raumordnungsrechts. aa) Raumordnungsrecht: Die Raumordnung hat sich zum Ziel gesetzt, die 4 unterschiedlichsten individuellen wie kollektiven Ansprüche an die Raumnutzung aufeinander abzustimmen. Sie bezieht sich sowohl auf die vorfindlichen als auch auf die anzustrebenden Gegebenheiten des Raumes („statischer Aspekt") und umfaßt die Tätigkeit zur Verwirklichung der staatlichen Raumordnungspolitik („dynamischer Aspekt"), die — integrierend — die Leitvorstellungen für eine übergreifende Ordnung des Raumes entwickelt und durchzusetzen sucht, sowie — koordinierend — die raumbedeutsamen Maßnahmen der verschiedenen staatlichen Träger dieser Aufgabe (Bund, Länder, Kommunen) aufeinander abstimmt4. Von daher kann — mit dem BVerfG5 — unter dem gesetzlich nicht definierten Begiff der Raumordnung die „zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes" verstanden werden. „Sie ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und weil sie vielfältige Fachplanungen zusammenfaßt und aufeinander abstimmt" 6 . Aufgabe des Raumordnungsrechts ist insbesondere die Zusammenfügung der Planungen unterschiedlicher Planungsstufen (Planung des Bundes, Landesplanung, Regionalplanung, Ortsplanung) zu einem konsistenten Planungssystem. Insoweit ist das Raumordnungsrecht auch verklammert mit dem Städtebaurecht. bb) Städtebaurecht, insbesondere früher auch als Bauplanungsrecht bezeichnet, 5 ist flächenbezogen und bezieht sich auf die Raumnutzung und Raumgestaltung innerhalb der Gemeinde nach städtebaulichen Gesichtspunkten. Es ist weitestgehend bundesrechtlich im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt, das die gesamte Rechtsmaterie in ein Allgemeines und ein Besonderes Städtebaurecht unterteilt. Das Erste Kapitel des BauGB — „Allgemeines Städtebaurecht" — regelt insbesondere die verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Voraussetzungen für die Aufstellung kommunaler Bauleitpläne (Flächennutzungsplan/Bebauungspläne), die — auch rechtlich (§ 1 IV BauGB) — im Verbund des Planungssystems der Raumordnung stehen und die Raumnutzung in der Gemeinde nach überörtlichen und örtlichen Gesichtspunk3 4 5 6
Friauf, Voraufl., 4 8 3 . Dies ist die übl. Definition. Friauf, in: v. Münch, Bes. VwR, 6. Aufl., 1982, 6 1 4 . BVerfGE 3, 4 0 7 (425). BVerfGE 3, 4 0 7 (425). Mit „Fachplanungen" sind konkrete staatl. Projektplanungen gemeint (Ausbau eines Gewässers, Bau einer Autobahn etc.).
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4. Abschn. I 1 b dd
Walter Krebs
ten vorbereiten und leiten. Dabei enthalten sie sowohl Festlegungen und Vorgaben für den innergemeindlichen Planungsprozeß als auch rechtsverbindliche Maßgaben für die Grundstücksnutzung durch den Bürger. Das allgemeine Städtebaurecht regelt weiterhin die Frage, ob ein Grundstück bebaubar ist und — unter städtebaulichen Gesichtspunkten — wie es bebaubar ist (z. B. Wohnen, Gewerbe, Geschoßzahlen). Darüber hinaus enthält es das Planschadensrecht und zahlreiche bodenrechtliche Vorschriften, die der Durchsetzung der in den Bauleitplänen festgelegten Planungsvorstellungen dienen: Bestimmungen über Genehmigungspflichten für den Bodenverkehr, Umlegungen und Grenzregelungen („Bodenordnung"), Enteignungen sowie die Erschließung von Grundstücken. In einem Zweiten Kapitel — „Besonderes Städtebaurecht" — befaßt sich das BauGB insbesondere mit Maßnahmen zur Bewältigung besonderer städtebaulicher Problemlagen. So sollen mit Hilfe von Sanierungsmaßnahmen städtebauliche Mißstände in Gebieten mit veralteter Bausubstanz beseitigt und mit Hilfe von Entwicklungsmaßnahmen Siedlungsgebiete erweitert und entwickelt bzw. neu erstellt werden. 6
cc) Bauordnungsrecht: Anders als das flächenbezogene Bauplanungsrecht ist das Bauordnungsrecht objektbezogen und regelt die ordnungsrechtlichen Anforderungen an ein konkretes Bauwerk. Es dient zum einen der Gefahrenabwehr (ehemals: „Baupolizeirecht") und zum anderen der Verhütung von Verunstaltungen, der Wahrnehmung sozialstaatlicher Anliegen sowie zum Teil der Sicherung ökologischer Standards7.
7
dd) Verhältnis von Städtebaurecht zu Bauordnungsrecht: Beide Regelungskomplexe stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern weisen materiell-rechtliche Überschneidungsbereiche auf und sind verfahrensrechtlich miteinander verklammert. So stellt das flächenbezogene Städtebaurecht Anforderungen an das konkrete Bauwerk insofern, als sich dieses in den festgelegten Charakter des jeweiligen Gebietes einzufügen hat. Andererseits stellt das objektbezogene Bauordnungsrecht nicht nur Anforderungen an die Konstruktion und Gestaltung der baulichen Anlagen, sondern enthält auch Regelungen über die Beziehungen des Bauwerks zu seiner Nachbarschaft. Dabei kann die Rechtsanwendung im Einzelfall besondere Rechtsprobleme aufwerfen, wenn sich die städtebaulichen und bauordnungsrechtlichen Bestimmungen nicht nur ergänzen, sondern mit unterschiedlichen Anforderungen einander gegenüberstehen8. So kann es beispielsweise zu einem Konflikt zwischen planungsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich überbaubarer Grundstücksflächen und bauordnungsrechtlichen Maßgaben für (nicht)freizuhaltende Abstandsflächen kommen. Derartige Konflikte erfordern allgemeine (Art. 31 GG) wie besondere Kollisionsnormen (z.B. § 6 II 3, 4 MBO 9 ).
7 8
9
Battis, Öffentl. BauR, 15. Dazu ausführl. Proksch, Das Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1981, 43 ff. § 6 I 3, 4 bwLBO; Art. 6 I 3, 4 BayBO; § 6 1 3 , 4 BauOBln.; § 7 II 6, 7 bremLBO; § 4 III hambBauO; § 7 II 3 hessBO; § 8 III 1 NBauO; § 6 I 3, 4 BauONW; § 8 I 3, 4 rhpfLBauO; § 6 I 3, 4 saarlLBO; § 6 I 3, 4 schlhLBO; § 6 I 3, 4 G über die BauO.
274
Baurecht
4. Abschn.
I 2
a aa
Die verfahrensrechtliche Verklammerung von Städtebaurecht und Bauordnungsrecht erfolgt im bauordnungsrechtlich geregelten Baugenehmigungsverfahren10. Ein konkretes Bauvorhaben muß sowohl den städtebaulichen wie den bauordnungsrechtlichen Vorschriften genügen, so daß bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung in aller Regel sowohl die planungsrechtliche als auch die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu untersuchen ist11. 2. Die verfassungsrechtliche Vorordnung des Baurechts Ebenso wie jedermann von Gestalt und Gestaltung des Raumes mehr oder 8 minder intensiv betroffen ist, haben mehr oder minder alle Untergliederungen des politischen Gemeinwesens und Mitglieder der Gesellschaft Anteil an den Entscheidungen über die Raumgestaltung. Das gilt sowohl für den Staat in seiner Erscheinungsform vielgestaltiger Untergliederungen, der mit gesetzgeberischen und exekutiven Entscheidungen die Gestaltung und Entwicklung des Raumes betreibt, als auch für Private, die insbesondere mit ihren Entscheidungen über die bauliche und sonstige Nutzung von Grund und Boden an der Raumgestaltung beteiligt sind. Eine rechtliche Ordnung des Gesamtgeschehens muß daher einerseits eine Zuständigkeitsordnung sein, andererseits aber auch inhaltliche Vorgaben für staatliche wie private Raumgestaltungsentscheidungen enthalten. Das Verfassungsrecht als Teil dieser rechtlichen Ordnung enthält Aussagen sowohl in der einen wie in der anderen Hinsicht. a) Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung für das öffentliche Baurecht aa) Gesetzgebungszuständigkeiten: Nach dem prinzipiellen grundgesetzlichen 9 Verteilungsmodus für die Gesetzgebungskompetenzen haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit nicht das GG dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht (Art. 70 I GG). Das ist hauptsächlich durch Art. 75 Nr. 4 GG (Rahmengesetzgebung) für die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt und durch Art. 74 Nr. 18 GG (konkurrierende Gesetzgebung) u. a. für den Grundstücksverkehr und das Bodenrecht geschehen. Der Inhalt dieser Begriffe ist und war insbesondere in der Vergangenheit nicht unumstritten12. Praktische Aktualität erlangte der Streit anläßlich des Projektes eines (Bundes-)Baugesetzes, das das Bau-, Boden-, Planungs-, Anlieger- und Umlegungsrecht im Zusammenhang und bundeseinheitlich regeln sollte. Zur Klärung des Umfanges der Bundeskompetenzen hatten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung das BVerfG um die Erstattung eines
10
11 12
§§48ff bwLBO; Art.62ff BayBO; §§ 54ff BauOBln.; §§ 82ff bremLBO; §§58 ff hambBauO; §§ 81 ff hessBO; §§ 63 ff NBauO; §§ 57 ff BauONW; §§ 57 ff rhpfLBauO; §§ 53 ff saarlLBO; §§ 58 ff schlhLBO; §§ 59 ff G über die BauO. In der genannten Reihenfolge, vgl. OVG Hamburg, BRS 27, Nr. 117; Friauf, VoraufL, 490. Dazu v. Münch, in: ders., GG, Art. 74 Rn. 76 ff u. Art. 75 Rn. 29 ff; Klein, in: v. Mangoldt! Klein, GG, Art. 74 Anm. XXXIII u. XXXIV, Art. 75 Anm. IX ff; Ziegler, DVB1. 1984, 378 (378 f).
275
4. Abschn. I 2 a bb
Walter Krebs
Rechtsgutachtens ersucht13, das diesem Antrag am 16. Juni 1954 entsprach14. Das BVerfG geht davon aus, daß sich weder aus den im GG aufgeführten Einzelzuständigkeiten noch aus der „Natur der Sache"15 eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Gesamtmaterie Baurecht herleiten läßt. Aus der „Natur der Sache" habe der Bund nur eine ausschließliche Vollkompetenz hinsichtlich der „Raumplanung für den Gesamtstaat"16 und für die Raumordnung (Landesplanung) im übrigen nur die in Art. 75 Nr. 4 GG vorgesehene Rahmengesetzgebungskompetenz, d. h. die Befugnis zu einer gesetzlichen Regelung, die einer landesgesetzlichen Ausfüllung fähig und bedürftig sein muß17. Für das Städtebaurecht folgt nach dem Baurechtsgutachten des BVerfG aus Art. 74 Nr. 18 GG unter der Voraussetzung des Art. 72 II GG eine Bundeszuständigkeit für die städtebauliche Planung, die Baulandumlegung, die Zusammenlegung von Grundstücken, den Bodenverkehr, die Erschließung sowie die Bodenbewertung, soweit sie sich auf diese Gebiete bezieht18. Demnach verbleibt die Gesetzgebungsbefugnis für das Bauordnungsrecht und — im Rahmen des Raumordnungsrechts des Bundes — für das Landesplanungsrecht bei den Ländern. bb) Rechtsquellen: Der Bund hat seine ihm kraft „Natur der Sache" zugestandene Vollkompetenz für die Bundesraumordnung nicht ausgeschöpft und sich statt dessen mit dem auf die Rahmengesetzgebungskompetenz gestützten Raumordnungsgesetz (ROG) v. 8. April 1965 begnügt. Das ROG, das grundsätzlich19 auch in den fünf neuen Bundesländern und in Ost-Berlin20 gilt, enthält nur ansatzweise eine Regelung der Bundesraumordnung und stellt im wesentlichen einen — weiten — Rahmen für die Landesraumordnung dar. Es enthält inhaltliche Vorgaben für die Tätigkeit der (Bundes- und Landes-)Raumordnungsbehörden sowie Strukturvorgaben für die Landesraumordnung und -planung. Diese findet ihre landesrechtliche Grundlage in den Landesplanungsgesetzen sowie in Landesentwicklungs- bzw. Landesraumordnungsplänen, bzw. -Programmen, die zum Teil in Gesetzesform gefaßt sind21. 11 Von seinen städtebaurechtlichen Gesetzgebungskompetenzen hat der Bund weitgehend Gebrauch gemacht. Die erste bundesrechtliche Kodifikation enthielt das Bundesbaugesetz v. 23. Juni 1960, das später durch das Städtebauförderungsgesetz 10
Damals mögl. nach § 97 BVerfGG, aufgehoben durch die Novelle v. 2 1 . 7 . 1 9 5 6 (BGBl. I, 662). 1 4 BVerfGE 3, 4 0 7 ff. 15 Zu diesem „ungeschriebenen" Kompetenztitel vgl. näher BVerfGE 11, 89 (96 ff); 22, 180 (217); 26, 2 4 6 (257); Bullinger, AöR 96 (1971), 2 3 7 (268ff); Degenhart, Staatsrecht I, 7. Aufl., 1991, Rn. 101 ff. 16 BVerfGE 3, 4 0 7 (427 f). Diese Bundeskompetenz ist gleichwohl nicht abgeklärt. 17 Stern, StaatsR I, § 19 III 3 (S. 6 8 0 ff); Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 27. Aufl., 1988, § 3 0 1 3 c, 4 c. « BVerfGE 3, 4 0 7 (439). Nach alledem ist der Begriff des „Bodenrechts" (Art. 7 4 Nr. 18 GG) weiter zu verstehen als der der „Bodenordnung" i. S. d. BauGB, vgl. Rn. 5. 19 Vgl. die Überleitungsvorschrift des § 12 ROG. 2 0 § 12 ROG verweist wie § 2 4 6 a BauGB für seinen Anwendungsbereich auf „das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte" Gebiet. Dazu zählt auch Ost-Berlin, vgl. auch Ortloff, LKV 1991, 145 (146). 2 1 Vgl. dazu die Auflistung, die diesem Beitrag vorangestellt ist. 13
276
Baurecht
4. Abschn. I 2 a bb
v. 27. Juli 1971 ergänzt wurde. Beide Gesetze faßt das Baugesetzbuch (BauGB) aus dem Jahre 1986 in einem Allgemeinen und Besonderen Städtebaurecht (Erstes und Zweites Kapitel) zusammen22. Die Regelungen des BauGB gelten grundsätzlich auch in den fünf neuen Bundesländern und in Ost-Berlin. Sie werden allerdings befristet bis zum 31. Dezember 1997 durch die Überleitungsvorschrift des § 246 a BauGB modifiziert. Dabei verweist § 264 a BauGB zum Teil auf Regelungen der im übrigen nicht mehr gültigen Bauplanungs- und Zulassungsverordnung (BauZVO) der ehemaligen DDR. Zunächst befristet bis zum 1. Juni 1995 gilt zusätzlich das Maßnahmegesetz zum Baugesetzbuch v. 17. Mai 1990 (BauGBMaßnG). Es soll helfen, den derzeitigen Engpaß in der Wohnungsversorgung durch rechtliche Erleichterungen des Wohnungsbaus zu beseitigen. Zu diesem Zweck modifiziert das BauBGMaßnG die Vorschriften des BauGB über die Bauleitplanung und das städtebauliche Instrumentarium23. Es hat auch Auswirkungen auf den Verwaltungsprozeß. Nach § 10 II BauGBMaßnG haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens, das ausschließlich Wohnzwecken dient, keine aufschiebende Wirkung24. In den fünf neuen Bundesländern und in OstBerlin findet das BauGBMaßnG grundsätzlich keine Anwendung25. Nur ausnahmsweise erklärt die schon erwähnte Überleitungsvorschrift des § 246 a BauGB einzelne Bestimmungen des BauGBMaßnG auch für dieses Gebiet für anwendbar. Insoweit erstreckt sich die Geltungsdauer des BauGBMaßnG gemäß § 246 a I 3 BauGB abweichend bis zum 31. Dezember 1997. Die Baunutzungsverordnung (BauNVO)26, die jetzt auf § 2 V BauGB beruht, er- 12 gänzt die Bestimmungen des BauGB über die gemeindliche Bauleitplanung und die planungsrechtliche Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen. Sie vertypt und konkretisiert die Festsetzungen der Bebauungspläne, deren Bestandteil sie nach ihrem § 1 III 2 zum Teil werden kann, und ermöglicht den Gemeinden gleichzeitig eine flexible Handhabung zur Anpassung der Planung an die jeweiligen städtebaulichen Erfordernisse. Darüber hinaus kann sie aber über § 34 II BauGB auch Bedeutung für die Zulässigkeit von Bauvorhaben in bestimmten Ortsteilen erlangen, die nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegen. Bis auf eine geringfügige Abweichung27 findet die BauNVO auch im Beitrittsgebiet vollinhaltlich Anwendung. Die auf Grund von § 2 V Nr.4 BauGB erlassene Planzeichenverordnung 13 (PlanzV)2S bestimmt im wesentlichen die technischen Darstellungsmöglichkeiten 22
23 24 25
26
27 28
Zum Inhalt vgl. Rn. 5. Zu den Änderungen gegenüber der früheren Rechtslage vgl. Krautzberger/Löhr, NVwZ 1987, 177 ff; Krautzberger, NVwZ 1987, 4 4 9 ff, 647 ff; Lohr, NVwZ 1987, 361 ff, 545 ff. Eine Übersicht bei Moench, NVwZ 1990, 918 ff u. bei Jäde, UPR 1991, 50 ff. Vgl. hierzu § 80 II Nr. 3 VwGO. Vgl. Anlage I Kapitel XIV Abschn. I Nr. 1 des Einigungsvertrages v. 3 1 . 8 . 1 9 9 0 (BGBl. II, 1122). Dazu z. B. Fickert/Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., 1990; zum Inhalt der Änderungen durch die Novelle v. 2 3 . 1 . 1 9 9 0 Jahn, BayVBl. 1990, 391 ff; Bunzel, DÖV 1990, 2 3 0 ff. Vgl. § 2 6 a BauNVO. Dazu z.B. Leder, BauNVO, PlanzVO, 4.Aufl., 1990; Mainczyk, NVwZ 1982, 90ff, jew. zur Fassung v. 3 0 . 7 . 1 9 8 1 .
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4.Abschn. I 2 b
Walter Krebs
und Planzeichen, die die Gemeinden bei der Erstellung der Bauleitpläne verwenden können. Die Wertermittlungsverordnung (WertV), die in § 199 I BauGB ihre Rechtsgrundlage hat, regelt, nach welchen Grundsätzen der Wert eines Grundstücks zu bestimmen ist, sofern es auf ihn im Zusammenhang mit städtebaulichen Maßnahmen ankommt. 14 Das Bauordnungsrecht fällt in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder und ist bzw. war damit — ähnlich wie das Kommunalrecht — der Gefahr einer Rechtszersplitterung ausgesetzt. Ihr soll durch eine „Musterbauordnung (MBO)" entgegengewirkt werden, die eine Bund-Länder-Kommission 1959 erstmals erarbeitet hat und deren jetziger Fassung ein Beschluß vom 4. Mai 1990 der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder (ARGEBAU) zugrunde liegt. An der MBO haben sich ebenso die landesgesetzlichen Landesbauordnungen in den alten Bundesländern ausgerichtet wie das Gesetz v. 20. Juli 1990 über die Bauordnung der ehemaligen DDR, das nun als Landesrecht in den neuen Bundesländern fortgilt. 15
cc) Verwaltungszuständigkeiten: Gemäß Art. 83 GG führen grundsätzlich die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus. Die Länder haben also nicht nur die Verwaltungszuständigkeit für das landesgesetzlich geregelte Bauordnungsrecht, sondern grundsätzlich auch für das bundesrechtlich geregelte Städtebaurecht.
b) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden: Das Verfassungsrecht enthält nicht nur in Art. 83 GG Vorgaben für die Verteilung exekutiver Entscheidungszuständigkeiten. Zudem bestimmt Art. 28 II 1 GG im Verbund mit den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen29, daß den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muß, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Sofern staatliche Entscheidungen über Raumgestaltung und Raumnutzung in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich gemeindlicher Selbstverwaltung fallen, werden die Gesetze über die Art und Weise der gemeindlichen Beteiligung an diesen Entscheidungen und die Gesetzesanwendung durch die Verfassungsgarantie mitbestimmt. 17 Tatsächlich sind die Gemeinden einerseits in den gesamten baurechtlichen staatlichen Entscheidungsprozeß in vielfältiger Weise einbezogen und andererseits bei ihren Entscheidungen durch gesetzliche Vorgaben oder Entscheidungen anderer Verwaltungsträger vielfach fremdbestimmt. So weist z. B. § 1 III BauGB die Aufstellung der Bauleitpläne den Gemeinden zu, statuiert aber zugleich dieses Planungsrecht als Planungspflicht, „sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist" 30 . Zwar sind die Bauleitpläne gemäß § 2 I BauGB von der Gemeinde „in eigener Verantwortung" aufzustellen, allerdings unterliegen sie inhaltlich dabei einer Anpassungspflicht an die ihnen vorgegebenen Ziele der Raumordnung und Landesplanung31 (§ 1 IV BauGB). Nach § 203 BauGB ist sogar 16
29
30 31
Zum Verhältnis der bundesverfassungsrechtl. zu den landesverfassungsrechtl. Garantien vgl. Erichsen, in: Grimm/Papier, Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, 188 sowie Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 31. Dazu sowie zu den Besonderheiten im Beitrittsgebiet unten Rn. 89 ff. Zur Beteiligung der Gemeinden vgl. Rn. 59, 63 f.
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ein Entzug von Planungsaufgaben und eine Übertragung dieser Aufgaben auf eine andere Gebietskörperschaft zulässig, und nach § 205 BauGB ist der Zusammenschluß verschiedener Gemeinden zu Planungsverbänden nicht nur freiwillig (Abs. 1), sondern auch zwangsweise möglich 32 , „wenn dies zum Wohl der Allgemeinheit dringend geboten ist" (Abs. 2 S. 1). Im übrigen unterliegen die gemeindlichen Flächennutzungspläne gemäß § 6 I BauGB der staatlichen Genehmigungspflicht und Bebauungspläne, sofern nicht auch sie der Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde bedürfen, einer Anzeigepflicht (§11 I, II BauGB) 33 . Die Gemeinden stehen damit auch bei städtebaulichen Entscheidungen unter staatlicher Aufsicht. Bei der Wahrnehmung der Aufgaben der Bauordnung, sofern das Gesetz sie nicht ohnehin anderen Verwaltungsträgern zuweist, kann diese Aufsicht über eine Rechtsaufsicht hinausgehend zu einer inhaltlichen Aufsicht gesteigert sein 34 . Die Zulässigkeit derartiger Modifikationen und Beeinflussungen gemeindlicher 18 Entscheidungsprozesse hängt auch von Art. 28 II 1 GG bzw. den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Garantien ab, soweit die von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben zu den „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" zählen. Dieser schwierige und in seinem Verständnis umstrittene Begriff bedarf hier keiner näheren Entfaltung. Er ist zum einen oben 35 dargelegt, und zum anderen besteht zumindest grundsätzlich Einigkeit, daß die (Raum-)Planungshoheit, verstanden als die „Befugnis, für das eigene Gebiet die Grundlagen der Bodennutzung festzulegen" 3 6 , dem verfassungsrechtlichen Garantiebereich zuzuordnen ist 37 . Die Zuweisung der Bauleitplanung in die eigene Verantwortung der Gemeinden durch § 2 I BauGB ist demnach eine verfassungsrechtliche Konsequenz, und die genannten Planungs-, Anpassungs- und Genehmigungspflichten müssen sich an Art. 28 II 1 GG messen lassen. Die Raumordnung und die Landesplanung sind demgegenüber begrifflich „über- 19 örtliche" Planungen und damit gerade keine „örtliche Angelegenheit" i. S. der kommunalen Selbstverwaltungsgarantien. Allerdings kann die schon erwähnte Pflicht der Gemeinden, ihre Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung und Landesplanung anzupassen (§ 1 I V BauGB 38 ), die gemeindliche Autonomie in der Verwirklichung der eigenen Planungsabsichten beachtlich einschränken, so daß sich die Frage nach der Vereinbarkeit der überörtlichen Raumordnung und Landesplanung 32
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38
Beispiel für eine Zwangsverbandsbildung nach dem damals geltenden inhaltsgleichen § 4 II BBauG: OVG Lüneburg, BRS 28, Nr. 16. Zum Entzug von Planungsaufgaben durch Planungsgebot u. Ersetzung der Zuständigkeit nach § 246 a l l Nr. 2 BauGB i. V. m. § 2 VI BauZVO vgl. unten R n . 9 0 m . F n . 2 7 1 . Vgl. dazu, auch zu Abweichungen im Beitrittsgebiet, Rn. 114. Vgl. dazu Rn. 2 0 u. R n . 2 0 2 m . F n . 6 1 9 . Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 14 ff. Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 23. BVerfGE 56, 298 (317f); 76, 107ff; VerfGH N R W , NVwZ 1990, 456 (457); VGH Mannheim, NVwZ 1989, 978 (979); NVwZ 1990, 3 9 0 f ; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u. BodenR, Rn. 167; Widera, Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung gemeindlicher Planungshoheit, 1985, 83 ff m.Nachw. Vgl. zusätzl. z.B. § 2 1 II LP1GNW.
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mit dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden stellt39. Insofern ist zunächst zu bedenken, daß die überörtliche Planung ebenso als staatliche Angelegenheit geboten ist wie die örtliche. Überörtliche Planung muß sich aber notwendig örtlich auswirken und kann schon von daher nicht von vornherein unzulässig sein. Man mag deshalb die Restriktionen der gemeindlichen Planungen als Beschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit sehen, die soweit zulässig bleibt, wie sie die Selbstverwaltungsgarantie nicht aushöhlt40, oder aber die Anpassungspflicht nicht als Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht, sondern vielmehr als zulässige Beschreibung seines Umfanges deuten, solange die staatlichen Planungsinstanzen bei der Ausgestaltung hinreichend Rücksicht auf die gemeindlichen Belange nehmen41. Jedenfalls besteht vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen staatlichen und gemeindlichen Planungsbefugnissen. Von daher wird zum Teil ein „neues Selbstverwaltungsverständnis" gefordert, das „jedenfalls in den Überschneidungsbereichen ein Kondominium staatlicher und kommunaler Planungshoheit" anerkenne, welches durch Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Gemeinde an den höherstufigen Planungen42 herzustellen sei 43 . Gegen eine solche Konzeption bestehen indes Bedenken, da die parallele Diskussion in der Grundrechtsdogmatik lehrt, daß die Einräumung von Verfahrensbeteiligungen („status processualis") als flankierender Freiheitsschutz der zusätzlichen Absicherung der geschützten Autonomie, nicht aber der Kompensation von Autonomieverlusten zu dienen hat 44 . Demnach ist auch ein Ausgleich von überörtlicher und örtlicher Planung geboten. Daraus folgt, daß ein pauschaler Vorrang der überörtlichen Raumplanung mit der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie unvereinbar sein muß, so daß eine Ermächtigung zu staatlicher Einflußnahme auf die Planung rein örtlicher Angelegenheiten unzulässig wäre 45 . Vielmehr muß der Gemeinde die Möglichkeit planerischer Berücksichtigung und Entwicklung der eigenen Bedürfnisse bleiben46. Darüber hinaus bietet sich an, den Ausgleich zwischen staatlicher und gemeindlicher Planung nach den Grundsätzen des Übermaßverbotes vorzuneh39 Dazu Birk, NVwZ 1989, 905 ff; Brohm, DÖV 1989, 4 2 9 ff; Hoppe, in: FS f. Unruh, 555ff; Langer, VerwArch. 80 (1989), 352ff. Aus der Rspr. z.B. BVerfGE 76, 107 (117ff); VerfGH NRW, StGuR 1990, 33 (35, 55 f) = DVB1. 1990, 4 1 7 (419) - gekürzt. 4 0 BVerfGE 76, 107 (118); BVerwGE 6, 342 (345); VerfGH NRW, NVwZ 1990, 4 5 6 (457ff); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 34. 4 1 In diesem Sinne Friauf, VoraufL, 4 9 4 f. 4 2 Dazu unten Rn.59, 63 f. 43 Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, 458 f; Pappermann, JuS 1973, 689 (691); ders., DVB1. 1976, 766 f; Roters, in: v. Münch, GG, Art. 28 Rn. 45 a f. 44 Erichsen (Fn. 29), 194; vgl. grds. zur Notwendigkeit von Verfahrensregelungen zur Verwirklichung realer Freiheit BVerfGE 52, 380 (389); NJW 1981, 1436 (1437); Häberle, W D S t R L 30 (1972), 43 ff; Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981. 4 5 BVerwGE 6, 342 (347); vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG Lüneburg, BRS 18, Nr. 1; OVG Saarbrücken, BRS 24, Nr. 7; Krautzberger, in: BattislKrautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 39. 4 6 Insb. Hoppe, in: FS f. Unruh, 555 ff. 280
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men47. Deshalb werden die Notwendigkeiten überörtlicher Planungen „parzellenscharfe" Festlegungen regelmäßig nicht erfordern und damit unzulässig sein48. Andererseits kann sich ausnahmsweise, z.B. bei Standortplanungen, eine landesplanerische gebietsscharfe Vorgabe für die gemeindliche Planung als unumgänglich erweisen49. Schließlich fordert das Gebot eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen örtlicher und überörtlicher Planung, daß die Belange der gemeindlichen Planung mit denen der höherstufigen Planung abzuwägen sind50. Die Frage des verfassungsrechtlichen Schutzes der Gemeinden bei der Wahrneh- 20 mung von Bauordnungsaufgaben wird man differenziert zu beantworten haben. Jedenfalls können Entscheidungen der Bauaufsichtsbehörden auch planerischen Charakter haben und damit das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde berühren. Das ist etwa dann der Fall, wenn die zuständige Behörde bei der Genehmigung eines Bauvorhabens von den planerischen Festsetzungen der Gemeinde abweichen will. § 36 BauGB verlangt deshalb dafür das Einvernehmen mit der Gemeinde. Im übrigen wirkt sich bei der Beurteilung der Bauordnungsaufgaben die Entwicklung des Bauordnungsrechts aus dem Baupolizeirechtsl aus. „Baupolizei" ist als „Polizei" traditionell keine gemeindliche, sondern staatliche Aufgabe. Konsequenz dieses Verständnisses ist es, daß die Bauaufsichtsbehörden, sofern es sich um gemeindliche Behörden handelt, einer staatlichen Aufsicht unterstellt sind, die über die Rechtmäßigkeitsaufsicht hinausgeht52. Diese Sicht ist plausibel, soweit traditionell Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrgenommen werden, wird aber fraglich, wo der Vollzug des Bauordnungsrechts anderen Funktionen, z.B. der Wahrnehmung bauästhetischer Standards dient, da lokale Kulturpflege ohne weiteres als „örtliche Angelegenheit" i. S. des Art. 28 II GG angesehen werden kann. Bezeichnenderweise sehen auch gelegentlich die Landesbauordnungen für örtliche Gestaltungsvorschriften eine Regelung durch Satzung, d.h. durch das typische Regelungsinstrument der Selbstverwaltungskörperschaften53, nicht also durch ordnungsbehördliche Verordnung vor54. Zählt eine Aufgabe zu den „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" i. S. 21 des Art. 28 II GG und der entsprechenden Normen des Landesverfassungsrechts, so 47
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Siehe nur BVerfGE 76, 107 (119 ff); VerfGH NRW, StGuR 1990, 33 (35, 55 f) = DVB1. 1990, 4 1 7 (419 - gekürzt); Brohm, DVB1. 1980, 6 5 2 (659); ders., DÖV 1989, 4 2 9 (431 ff, 4 3 9 ff). Brohm, DVB1. 1980, 652 (658 f); Schmidt-Aßmann, VerwArch. 71 (1980), 117 (136); Grooterhorst, NuR 1986, 2 7 6 (282 f) m.Nachw. Brohm, DVB1. 1980, 652 (658 f); ders., DÖV 1989, 4 2 9 (440 f); Schmidt-Aßmann, VerwArch. 71 (1980), 117 (137); Grooterhorst, NuR 1986, 2 7 6 (282f) m.Nachw. Erbguth, in: Achterberg/Püttner, Bes. VwR, Rn. 199. Vgl. dazu auch BVerwG, NJW 1978, 119 (120). Dazu statt anderer Friauf, Voraufl., 4 8 6 ff u. unten Rn. 191. Böckenförde, in: Gädtke/Böckenförde/Temme, BauONW, § 5 7 Rn. 6. Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 94. § 7 3 bwLBO; Art. 91 BayBO; § 1 1 0 bremLBO; § 1 1 8 hessBO; § 9 7 NBauO; § 8 1 BauONW; § 86 rhpfLBO; § 83 saarlLBO; § 82 schlhLBO; § 83 G über die BauO. Vgl. zu Fragen des Erlasses örtl. Bauvorschriften durch die Gemeinde auch Manssen, Die Verwaltung 2 4 (1991), 33 ff. 281
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ist den Gemeinden die Befugnis gegeben, sie „in eigener Verantwortung" zu regeln. Aus dieser verfassungsrechtlichen Aufgaben- und Modalitätsgarantie folgt nun nicht, daß jegliche Minderung des gemeindlichen Aufgabenbestandes oder jegliche Begrenzung kommunaler Autonomie verfassungsrechtlich unzulässig wäre. So ist eine der Einfügung der kommunalen Gebietskörperschaften in das Gesamtgefüge staatlicher Verwaltungsorganisation und der selbstverständlichen Rechtsbindung der Gemeinden (Art. 20 III GG) korrespondierende Rechtsaufsicht verfassungsrechtlich wenn nicht geboten, so doch zulässig. Die Aufsicht darf bei reinen Selbstverwaltungsangelegenheiten allerdings auch nicht über die Rechtsaufsicht hinausgehen. Dem entsprechen die planungsrechtlichen Anzeige- und Genehmigungspflichten (§§6, 11, 143, 246 a I 1 Nr. 4 BauGB), die nur der Sicherung der Rechtmäßigkeit kommunaler Planungsentscheidungen dienen (vgl. § 6 II BauGB). 22 Beschneidungen des gemeindlichen Aufgabenbestandes und Schmälerungen der gemeindlichen Selbstverwaltung sind zwar nicht per se unzulässig. Ihnen gegenüber wirken aber die verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen, die Art. 28 II GG und das entsprechende Landesverfassungsrecht vorhält. So stellt Art. 28 II 1 GG die Selbstverwaltungsgarantie ausdrücklich unter Gesetzesvorbehalt. Als — ungeschriebener — Schutzmechanismus tritt das Übermaßverbot hinzu55, so daß Begrenzungen und Restriktionen des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, wie schon die obige Diskussion zur Zulässigkeit überörtlicher Planungen gezeigt hat, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein müssen. Der Gesetzesvorbehalt steht zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht in einem ambivalenten Verhältnis. Zum einen trägt er zum Schutz des Selbstverwaltungsrechts bei, da es exklusiv dem Gesetzgeber vorbehalten ist, Abstriche am kommunalen Aufgabenbestand und an der gemeindlichen Selbstverwaltung vorzunehmen. Begrenzungen des Selbstverwaltungsrechts bedürfen zwar nicht notwendig immer der Form des formellen Gesetzes, müssen aber, sofern sie nicht gesetzesförmlich vorgenommen werden, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung haben56. Demnach kann auch nicht die Verbindlichkeit der Ziele der Raumordnung und Landesplanung von ihrer Festlegung in Gesetzesform abhängig sein57, sofern ihre Festlegung gesetzlich vorgesehen ist. Zum anderen gefährdet der Gesetzesvorbehalt Aufgaben und Autonomie der Gemeinden. Gesetzliche Minderungen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden sind daher nur zulässig, wenn sie sich an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen halten. Dabei ist nicht unumstritten, ob diese Grenze nur durch das schon erwähnte Übermaßverbot markiert wird58, oder ob über diesen relativen Schutz hinaus die Verfassungsgarantien auch eine absolute, gesetzesfest garantierte Sub55
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BVerfGE 56, 298 (313); 76, 107 (119f); Erichsen (Fn.29), 195; Funke/Schroer, ZG 1986, 2 5 6 (263). BVerfGE 26, 2 2 8 (237); 56, 2 9 8 (309); Roters, in: v.Münch, GG, Art.28 R n . 5 8 . So auch Friauf, Voraufl-, 4 9 5 ; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 53. So v.Mutius, Städte- und Gemeinderat 1981, 161 (163 f); ders., Gutachten E zum 5 3 . DJT, 1980, 4 4 ; Schink, DVB1. 1983, 1165 (1171 f).
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stanz aufweisen59. Vergegenwärtigt man sich den Sinn und Zweck der institutionellen Garantie des Art. 28 II GG, so wird man der letzteren Auffassung zu folgen und die gesetzgeberisch unübersteigbare Grenze dort festzumachen haben, wo die gemeindliche Selbstverwaltung als verfassungsrechtlich gewollte Einrichtung leerzulaufen droht. Um diese Grenzlinie zu markieren, sind Kernbereich sieh ren entwickelt worden, auf die hier verwiesen werden kann60. Zu diesem Kernbereich zählt nach nahezu unumstrittener Auffassung in der Literatur die Befugnis, Bebauungspläne aufzustellen61, und nach umstrittener Auffassung auch die Befugnis zur Aufstellung von Flächennutzungsplänen62. Man sollte diesem Streit und der Schwierigkeit der Bestimmung des Kernbereichs allerdings keine allzu große praktische Bedeutung zumessen, weil auch jenseits des Kernbereichs der staatliche Zugriff auf die Gemeinden vor dem Übermaßverbot Bestand haben muß, das regelmäßig einen wirkungsvolleren Schutz entfaltet^3. Beachtlich ist, daß der beschriebene — absolute — Schutz institutionell garan- 23 tiert ist, d. h. zum einen, daß es sich um einen objektivrechtlichen Schutz handelt, und zum anderen, daß er — anders als das Übermaßverbot — nicht individuell, also nicht zugunsten der einzelnen Gemeinde wirkt. Demnach wäre z. B. eine totale Verlagerung der örtlichen Planungsaufgaben auf staatliche Verwaltungsbehörden mit der institutionellen Garantie — absolut — unzulässig, nicht unzulässig ist aber der Entzug von Planungsaufgaben im Einzelfall (§ 203 BauGB sowie § 246 a I 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. § 2 VI BauZVO), sofern er den Anforderungen des Übermaßverbotes genügt. Art. 28 II GG enthält nicht nur eine objektivrechtliche Gewährleistung, son- 24 dem gewährt den Gemeinden auch eine subjektive Rechtsstellung. Diese verleiht den Gemeinden die Prozeßführungs- bzw. Klagebefugnis, mit deren Hilfe sie (verfassungs-)rechtlich unzulässige Eingriffe in ihren Selbstverwaltungsbereich gerichtlich abwehren können64. Daher können die Gemeinden Maßnahmen staat«
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Dafür BVerfGE 1, 167 (174f); 38, 258 (278 f); 76, 107 (118); 79, 127ff; VerfGH NRW, NVwZ 1990, 4 5 6 (457) zum inhaltsgl. Art. 78 Verf. N W ; Stern, StaatsR I, § 12 II 4 d (S.416); Erichsen (Fn.29), 193; Funke/Schroer, ZG 1986, 2 5 6 (261). Vgl. Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 R n . 2 1 . Vgl. statt anderer Cholewa, in: Cholewa u. a., BauGB, § 2 Anm. 4; Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 2 R n . 3 ; Erichsen (Fn.29), 194. Gegen die Zugehörigkeit zum Kernbereich aber Clemens, NVwZ 1990, 8 3 4 (838). Die Rspr. hat diese Frage bisher offengelassen, BVerfGE 56, 2 9 8 (313); 76, 107 (118 f); VGH Mannheim, NVwZ 1990, 390. Für die Zugehörigkeit der Flächennutzungsplanung zum Kernbereich z.B. Cholewa, in: Cholewa u.a., BauGB, § 2 Anm.4; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u. BodenR, Rn. 175; Funke/Schroer, ZG 1986, 2 5 6 (262); Widera (Fn.37), 116 ff. Dagegen SchmidtAßmann, Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, 1977, 37ff; ders., VerwArch. 71 (1980), 117 (130); Heinemann, DÖV 1982, 189 (191 ff). So Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 20. Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 176; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 4 2 Rn. 103; Kopp, VwGO, § 4 2 Rn. 64 a. Zu der umstrittenen Frage, ob u. wo dieser Rechtsschutzanspruch verfassungsrechtl. fundiert ist, vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, GG, Art. 19 Abs.4 Rn. 43 u. Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 R n . 3 8 . 283
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licher Bauaufsichtsbehörden, z. B. Baugenehmigungen, anfechten, wenn diese ihre Planungshoheit verletzen65. Das kann im Einzelfall auch durch einen Verstoß gegen eine bauordnungsrechtliche Bestimmung geschehen, wenn diese Bestimmung der Sicherung der Planungsbefugnisse der Gemeinde zu dienen bestimmt ist 66 . Anfechtbar sind bei Betroffenheit des Selbstverwaltungsrechts auch Planfeststellungen im Rahmen von Fachplanungen67. 25 Die objektiv- wie subjektivrechtlichen Gewährleistungen der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantien wirken nicht nur vertikal gegenüber staatlichen Instrumenten, sondern auch horizontal im Verhältnis der Gemeinden untereinander68. Einfachgesetzliche Konsequenz dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe ist das „interkommunale Abwägungsgebot"69 des § 2 II BauGB, d.h. die Pflicht, die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen. Verletzungen dieses Gesetzes durch grenznahe Planungen kann die nachteilig betroffene Nachbargemeinde gerichtlich angreifen70. 26
c) Grundrechte: Das Verfassungsrecht enthält nicht nur Regelungen über die Verteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten, also Vorgaben für die staatliche Zuständigkeitsordnung, sondern ebenso für die Verteilung von Entscheidungszuständigkeiten im Verhältnis Staat — Gesellschaft. Mit dem für die Grundrechte häufig verwendeten Begriff der „negativen Kompetenznormen" 71 wird der normative Gehalt der verfassungsrechtlichen Freiheitsrechte zwar nicht hinreichend erfaßt. Er bringt aber zutreffend zum Ausdruck, daß zugunsten der freien, also selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Entfaltung der Persönlichkeit staatliche Entscheidungsgewalt begrenzt sein muß und daß jenseits dieser Grenze der gesellschaftliche Entscheidungsbereich verfassungsrechtlich geschützt ist. Da jedermann in Raum und Zeit lebt, ist private Lebensgestaltung „raumbeanspruchend". Die grundrechtlich abgesicherte Persönlichkeitsentfaltung bedarf daher des „räumlichen Substrats", so daß sich die Frage nach dem Grundrechtsschutz für private Entscheidungen über die Raumnutzung stellt. Sie kann angesichts der differenzierten Grundrechtsgewährleistungen nur für jedes Grundrecht isoliert gestellt und beantwortet werden. In unserem Zusammenhang stellt sich nicht nur, aber besonders bedeutsam die Frage nach dem Grundrechtsschutz für die bauliche Nutzung von Grund und Boden.
BVerwGE 22, 342 (347); NVwZ 1982, 310 (311); NVwZ 1985, 566. OVG Koblenz, BRS 28, Nr. 81. 6 7 Vgl. z. B. im Zusammenhang mit einem luftverkehrsrechtl. Genehmigungsverfahren BVerwG, NJW 1980, 718 (719); im Zusammenhang mit § 3 6 BBahnG BVerwGE 31, 263 (264); NVwZ 1984, 584; im Zusammenhang mit einer Verlegung von Breitbandkabel durch die Bundespost BVerwG, NJW 1987, 2096 (2097). 6 8 BVerwGE 67, 321 (322 f); OVG Lüneburg, DÖV 1980, 417; VGH München, NVwZ 1985, 837 (837f); OVG Koblenz, NVwZ 1989, 983 (984). 69 Friauf, Voraufl., 495. 7 ° BVerwGE 40, 323 (329 f); DÖV 1990, 479. 71 Hesse, VerfR, Rn.291; Bothe, AK-GG, Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 31 Rn. 13. 65
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aa) Baurecht und Baufreiheit: Das Grundeigentum genießt grundrechtlichen 27 Eigentumsschutz72. Die Frage, ob die privatautonome Entscheidung des Grundeigentümers über das Ob und Wie der Bebauung des Grundeigentums („Baufreiheit") in dem Grundrechtsschutz für das Grundeigentum mitenthalten ist, muß daher wesentlich mit Hilfe des Regelungsgehaltes des Art. 14 I GG beantwortet werden73. Angesichts der grundgesetzlichen Konzeption des Eigentumsschutzes fällt die Antwort nicht gerade leicht, und es verwundert kaum, daß darüber, in welchem rechtsdogmatischen Verhältnis Art. 14 I GG zu den einfachgesetzlichen Baurechtsbestimmungen steht, insbesondere, ob die Baufreiheit eine nur einfachgesetzlich zugeteilte Befugnis darstellt oder verfassungsunmittelbar zum Schutzbereich des Art. 14 I GG zählt, heftiger Streit herrscht74. Dieser führt letztlich bis in tief verwurzelte ideologische Vorurteile, die hier nicht aufgearbeitet werden können, und bis zu grundrechtstheoretischen Grundannahmen, die hier nicht im einzelnen entfaltet werden können. Einfacher ist wieder, ausgehend vom Wortlaut des Art. 14 I GG, die Ursache 28 dieser Schwierigkeiten zu erklären. Art. 14 I Satz 1 GG schützt als Grundrecht, also auch subjektivrechtlich, das Eigentum verfassungsunmittelbar, wohingegen Art. 14 I Satz 2 GG die Inhalts-, also nicht nur die Schrankenbestimmung eben dieses Eigentums dem (einfachen) Gesetzgeber zuweist. Die Vorschrift überläßt die Ausgestaltung der grundrechtlichen Freiheit damit gerade den Staatsorganen, vor deren Entscheidungen sie den Grundrechtsträger nach Art. 1 III GG auch schützen will, und erscheint damit auf den ersten Blick paradox: Stellt man sich Eigentum als eine verfassungsunmittelbar geschützte Freiheit vor, erscheinen zumindest eigentumsmindernde Regelungen eigentlich nur als Schranken-, nicht als Inhaltsbestimmung, während sich eine erst den Inhalt des Eigentums festlegende Regelung kaum mit der Vorstellung einer bereits vom Grundrecht selbst geschützten Freiheit zu vertragen scheint. Wenn Art. 14 I GG dennoch beides für möglich hält, kann Eigentum weder eine vorfindliche, gleichsam „fertige" Freiheit i. S. eines beliebigen Umgangs mit Gütern sein, die nur noch „nachträglichen" Beschränkungen zugänglich ist, noch eine nur einfachgesetzlich eingeräumte Rechtsposition. Die erstere Auffassung würde die Angewiesenheit der Eigentumsfreiheit auf die Rechtsordnung unterschätzen und den verfassungsrechtlichen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber verkennen, letztere das „Selbstgewicht" der Verfassung75 mißachten und eine Überprüfung der einfachgesetzlichen Eigentumsregelung am Grundrecht ausschließen. 72
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BVerfGE 35, 263 (276); 52, 1 (30); 58, 300 (336 f, 338 f); 74, 2 6 4 (281); BVerwGE 50, 49 (55 ff). Vgl. zur möglichen Betroffenheit anderer Grundrechte Schuhe, B. H., Rechtsgüterschutz durch Bauordnungsrecht, 1982, 40, 158 ff; BVerwGE 4 2 , 115; NVwZ 1991, 983 f. Ist der Bauherr nicht Eigentümer des Grundstücks, kommt anstelle von Art. 14 I GG Art. 2 I GG in Betracht, vgl. Menger/Erichsen, VerwArch. 56 (1965), 374 (387f). Vgl. dazu nur Papier, in: MaunzlDürig, GG, Art. 14 Rn. 5 9 ff; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972, 89 ff; Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, 162 ff. Allgemein zum Verhältnis von Eigentum und Freiheit Häberle, AöR 109 (1984), 36 ff; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, 80 ff. Leisner, J Z 1964, 2 0 1 (202).
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Daher kann auch weder ein Verständnis von Baufreiheit i. S. einer verfassungsunmittelbar und prinzipiell allumfassend gewährleisteten Möglichkeit beliebiger baulicher Nutzung jedes Grundstücks, noch ein Verständnis von Baufreiheit als ausschließlich durch unterverfassungsrechtliche Rechtsnormen und nur nach deren Maßgabe zugewiesene Nutzungsmöglichkeit der Konstruktion des Grundrechts gerecht werden. Keine der beiden oben genannten Auslegungsalternativen vermag deshalb zu überzeugen. 29 Eigentum i. S. des Art. 14 I GG muß demnach beides zugleich sein: eine von der Verfassung geschützte Freiheitschance und eine für den Gesetzgeber inhaltlich gestaltbare Freiheit. Dem Bundesverfassungsgericht ist deshalb insoweit zuzustimmen, wenn es einerseits betont, daß Art. 14 I GG einen eigenständigen, d.h. auch dem Gesetzgeber vorgegebenen und ihn bindenden Eigentumsbegriff enthält 76 , und andererseits darauf hinweist, daß sich die „konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie... erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (ergibt), die nach Art. 14 I 2 GG Sache des Gesetzgebers ist" 77 . Der Inhalt des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs ist sowohl durch die Privatnützigkeit der Vermögenswerten Güter und der Verfügungsbefugnis des Rechtsträgers über sie gekennzeichnet78, als auch durch die soziale Bindung dieser Rechtsposition. Beide Elemente sind vom Grundrecht „mitgedacht" und vom Gesetzgeber mit Hilfe des Übermaßverbotes in einen Ausgleich zu bringen. Verfassungsrechtlich geschützte Baufreiheit ist also die vom Gesetzgeber in dieser Weise grundrechtskonform ausgestaltete bauliche Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks. Das bedeutet, daß nicht jedes Allgemeininteresse eine Verkürzung privater Interessen am Umgang mit Grund und Boden rechtfertigt und daß das Ausmaß staatlicher Gestaltungsbefugnis vom (verfassungsrechtlichen Stellenwert der geltend gemachten Allgemeininteressen abhängt. Die scheinbare Widersprüchlichkeit von Inhalts- und Schrankenbestimmung löst sich in der zeitlichen Dimension auf. Was sich im Rückblick auf den status quo als Schranke darstellt, ist zukunftsgerichtet eine Inhaltsbestimmung79. Der so konzipierte Grundrechtsschutz ist mit einem — im übrigen auch unhistorischen80 — Verständnis des gewährleisteten „Eigentums" i. S. einer statischen, unveränderlichen Größe unvereinbar. Der Ausdruck „Baufreiheit" darf weder über die dynamische Eigenart der verfassungsrechtlichen Gewährleistung noch darüber hinwegtäuschen, in welch unterschiedlichem Ausmaß diese Freiheit gesetzlich ausgestaltet ist. So kann Planungsrecht die bauliche Nutzung eines Grundstücks völlig ausschließen und kann auch das Bauordnungsrecht die Wahlmöglichkeiten des Bauherrn hinsichtlich des „Wie" des Bauens erheblich reduzieren 81 . 76 77 78
79
80
81
BVerfGE 58, 300 (335). BVerfGE 53, 257 (292). BVerfGE 24, 367 (389); 50, 290 (339); 53, 257 (290f); Papier, in: MaunzJDürig, Art. 14 Rn. 307ff. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 7. Aufl., 1991, Rn.995 u. 1013. Vgl. Schmidt-Aßmann (Fn.74), 89 ff; dens., DVB1. 1972, 627 (631).
GG,
Vgl. auch Papier, in: MaunzJDürig, GG, Art. 14 Rn. 60; Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn. 133.
286
Baurecht
4. Abschn. I 2 c bb
Verfassungsrecht ist nicht nur eine verbindliche Vorgabe für das Baurecht und 30 Beurteilungsmaßstab für seine Gültigkeit. Es kann auch die Normauslegung und -anwendung mitbestimmen. So regelt z. B. § 35 II BauGB, daß sonstige, d. h. nicht durch § 35 I BauGB erfaßte Vorhaben82 im Außenbereich zugelassen werden „können", wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. Dieses der Behörde eingeräumte Ermessen wird vor dem Hintergrund des Art. 14 I GG regelmäßig grundrechtskonform zugunsten des Bauherrn zu reduzieren sein83. Das Bauordnungsrecht wird i. d. Regel erst dann relevant, wenn das Grundstück planungsrechtlich bebaubar, Baufreiheit also prinzipiell realisierbar ist. Auch insofern hat der Gesetzgeber die grundrechtlich gebotene Aufgabe, die einander widerstreitenden Interessen in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. So leuchtet etwa ein, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Gefahrenabwehr die private Gestaltungsbefugnis über die Art und Weise eines Bauvorhabens einengt; nicht immer dieselbe Plausibilität haben aber baugestalterische Restriktionen zugunsten ästhetischer Interessen am Bauwerk. Das legt eine zurückhaltende Auslegung und Anwendung der Normen nahe, die derartige Zwecke verfolgen. Aus der grundrechtlichen Absicherung der gesetzlich eingeräumten Dispositionsmöglichkeiten über die bauliche Nutzung des Grundstücks folgt zugleich das Gebot, Baurechtsnormen nur bei Beachtung des Übermaßverbotes anzuwenden; die Maßnahmen müssen also geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Aus diesem Grund kommen bestimmte städtebauliche oder bauordnungsrechtliche Zwangsmaßnahmen, wie z. B. eine Enteignung oder eine Abrißverfügung nur als ultima ratio in Betracht. bb) Leistungsrechtliche Aspekte: Die soeben besprochene — abwehrrechtliche 31 — Bedeutung der Grundrechte ist ein äußerst bedeutsamer, bei weitem aber nicht der einzige Aspekt im Spektrum des Problemfeldes Grundrechte und Baurecht. Die allgemeine Grundrechtsdogmatik ist zwar für abwehrrechtlichen Grundrechtsschutz am weitesten ausgeformt, erschöpft sich aber nicht in diesem Teilaspekt84. Insofern ist zumindest als Fragestellung anzumerken, ob nicht die Bedeutung der Grundrechte für das Baurecht über den Freiheitsschutz für den Bauherrn hinausgeht und nicht z.B. auch eine grundrechtliche Inpflichtnahme des Staates zugunsten einer Raumgestaltung denkbar ist, die für eine Ausübung grundrechtlicher Freiheit („reale Freiheit"85) unverzichtbar ist. Das BVerfG hat 1972 in der berühmten numerus-clausus-Entscheidung darauf hingewiesen, daß das grundrechtlich gewährleistete Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 I GG) „ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos" sei86. Dieselbe Feststellung ließe sich auch für das Grundrecht 82 83
84
85 86
Sog. „privilegierte" Vorhaben, vgl. Rn. 133. BVerwGE 18, 247 (249 ff); Taegen, in: Berliner Kommentar, § 3 5 Rn. 37; Grauvogel, in: Brügelmattn, BauGB, § 3 5 Anm.4a. Zum Überblick Krebs, in: Grundfragen und Grundlagen des Zivilrechts, Strafrechts und Öffentlichen Rechts (Jura-Extra), 1990, 60 (67ff). Hesse, in: FS f. Smend, 1962, 71 (85). BVerfGE 33, 303 (331). 287
4.Abschn. I 2 c bb
Walter Krebs
auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG) treffen. Wie eine Fortführung dieses Gedankens heißt es in Art. 106 I bay. Verf.: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung"87. 32 Nun ist allerdings zu bedenken, daß das Grundgesetz in Abkehr von der WRV und anders als einige Landesverfassungen auf die ausdrückliche Normierung sozialer Grundrechte weitgehend verzichtet und statt dessen den Sozialstaat als Staatsstruktur- und -Zielbestimmung (Art. 20 I, 28 I GG) verankert hat. Danach sind alle staatlichen Organe, insbesondere der Gesetzgeber verpflichtet, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen88. Daher ist auch die Feststellung zutreffend, daß etwa Raum- und Städtebauplanung eine sozialstaatliche Pflicht sind89. Allerdings ist die Verwirklichung des sozialen Auftrags damit prinzipiell dem demokratischen Entscheidungsprozeß überantwortet. Man kann jedoch die verfassungsrechtlich begründete soziale Inpflichtnahme des Staates konkreter mit Hilfe der Grundrechte formulieren. Die Grundrechte lassen sich als Konkretisierungen des Sozialstaates und damit nicht nur als subjektivrechtliche Abwehrrechte zum Schutz rechtlicher Freiheitschancen, sondern auch als — zumindest objektivrechtliche — Verpflichtungen des Staates zugunsten der von ihnen thematisierten faktischen Handlungsmöglichkeiten verstehen90. Ihnen wachsen damit Schutzpflichten für die jeweilige Freiheit zu, so daß sie als rechtsverbindliches Sozialprogramm91 des Staates erscheinen. Vor diesem Hintergrund erscheinen viele Baurechtsnormen als Erfüllung sozialstaatlicher Grundrechtspflichten. So ist z. B. gemäß § 1 I ROG die Struktur des Gesamtraumes der Bundesrepublik Deutschland so zu entwickeln, daß sie „der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft am besten dient"; nach §§1 V Nr. 3 BauGB, 1 I BauGBMaßnG sind die „Wohnbedürfnisse der Bevölkerung" bzw. ein dringender Wohnbedarf ein für die gemeindliche Bauleitplanung relevanter Belang, und nach § 3 I MBO 92 sind bauliche Anlagen so zu errichten, daß insbesondere Leben und Gesundheit nicht gefährdet werden. 33 Fraglich ist, ob die abstrakten, objektivrechtlichen grundrechtlichen Schutzpflichten in konkrete, subjektivrechtlich bewehrte, d.h. einklagbare Handlungspflichten umschlagen können. Nähme man dies an, könnte z. B. die Bestimmung des § 2 III BauGB, nach der auf die Aufstellung von Bauleitplänen kein Anspruch besteht, verfassungsrechtlich fragwürdig werden. Insofern ist zu vergegenwärtigen, daß der Staat aus vielen Gründen nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen 87
88 89 90
91
92
Vgl. ebenso Art. 19 I bin. Verf.: „Jedermann hat das Recht auf Wohnraum" u. Art. 14 brem. Verf.: „Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung. Es ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden, die Verwirklichung dieses Anspruchs zu fördern." BVerfGE 22, 180 (204); 36, 237 (249 f). Friauf, Voraufl., 483. Vgl. dazu Krebs (Fn.84), 67 ff m.Nachw. in Fn.70ff sowie grundl. Häberle, W D S t R L 30 (1972), 43 (lOOff); Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff; Scherzberg, DVB1. 1989, 1128 ff und Böckenförde, E. W-, Der Staat 29 (1990), 1 ff. Auch die sozialen Grundrechte der Landesverfassungen haben entgegen ihres teilw. mißverständl. Wortlauts (vgl. oben Fn. 87) ledigl. Programmcharakter. Eine entsprechende Regelung findet sich in allen LBauOen; vgl. unten Rn. 191.
288
Baurecht
4.Abschn. II 1 a
grundrechtlich zu konkreten Leistungshandlungen verpflichtet sein kann. Zum einen hat der Staat in Fällen, in denen die Befriedigung sozialer Bedürfnisse vorwiegend gesellschaftlich organisiert ist (z. B. Wohnraumwirtschaft) nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Zum anderen zwingt die Endlichkeit staatlicher Ressourcen zu einer Prioritätensetzung, die nicht völlig verrechtlicht werden kann, weil ansonsten die Grundrechte gegen den demokratischen Entscheidungsprozeß ausgespielt würden. Das BVerfG geht daher zu Recht davon aus, daß nur bei einer besonderen Gefährdungslage für Grundrechtsgüter die verfassungsrechtlich eingeräumten Handlungspielräume der staatlichen Organe durch konkrete Handlungspflichten reduziert sein können93. Immerhin ist damit die (ausnahmsweise) Möglichkeit einer auch subjektivrechtlich abgesicherten Handlungspflicht nicht völlig ausgeschlossen. Das spricht dafür, daß § 2 III BauGB nur die verfassungsrechtliche Normallage konkretisiert.
II. Raumordnungs- und Landesplanungsrecht 1. Die bundesrechtlichen Vorgaben a) Überblick: Das bundesrechtliche Raumordnungsrecht ist im Raumord- 34 nungsgesetz (ROG) enthalten. Diesem Gesetz liegt ein Raumplanungskonzept zugrunde, bei dem die flächendeckende Planerarbeitung auf Landesebene liegt. Es regelt also keine auf das ganze Bundesgebiet bezogene Gesamtplanung, sondern enthält Vorgaben für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen des Bundes und insbesondere rahmenrechtliche Vorgaben für die Landesplanung. Das ROG enthält in § 1 ROG mit der Aufgabenbeschreibung und den Leitvor- 35 Stellungen und insbesondere in § 2 ROG mit den Raumordnungsgrundsätzen grobmaschige Leitlinien und Planungsdirektiven für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen im Bund und in den Ländern. Die Raumordnungsgrundsätze gelten für die Bundesbehörden und Verwaltungsträger auf Bundesebene unmittelbar, im Landesbereich aber nur für die Landesplanung (§3 1 und II ROG). Sie bedürfen deshalb in den Ländern der Umsetzung. § 4 ROG, der sich mit der Verwirklichung der Grundsätze befaßt, richtet sich zum einen nur an den Bund (§4 1 und II ROG), zum anderen an die Länder mit der Verpflichtung und Ermächtigung, die Raumordnungsgrundsätze im Rahmen der Landesplanung umzusetzen (§4 III ROG). Für die Landesplanung enthält § 5 ROG weitere Rahmenvorgaben. Danach stellen die Länder für ihr Gebiet übergeordnete und zusammenfassende Programme oder Pläne auf, die mindestens diejenigen Ziele der Raumordnung und Landesplanung enthalten müssen, die zur Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze des § 2 ROG erforderlich sind. Den auf Landesoder Regionalebene festgelegten Zielen der Raumordnung und Landesplanung kommt damit im gesamten Konzept der Raumplanung eine zentrale Stellung zu. 93
BVerfGE 33, 303 (333); 56, 54 (81); 75, 40 (67). 289
4. Abschn. II 1 b
Walter Krebs
Im übrigen regelt das ROG Instrumente und Verfahren wechselseitiger Unterrichtung sowie der Koordination raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen. Hervorzuheben sind hier insbesondere das in § 1 IV ROG generalklauselartig festgehaltene Gegenstromprinzip, die in bestimmten Punkten vorgesehene gemeinsame Beratung von Bund und Ländern (§ 8 ROG), für die die Ministerkonferenz für Raumordnung institutionalisiert worden ist, und das rahmenrechtlich ausgestaltete Raumordnungsverfahren (§6a ROG). Als Instrument der Plansicherung sieht § 7 ROG die Möglichkeit der Untersagung raumordnungswidriger Planungen und Maßnahmen vor. 36
b) Aufgabe und Leitvorstellungen der Raumordnung: Die Aufgabe der Raumordnung besteht nach § 1 I ROG in einer Entwicklung der räumlichen Struktur des Bundesgebietes, bei der die natürlichen Gegebenheiten, die Bevölkerungsentwicklung sowie die wirtschaftlichen, infrastrukturellen, sozialen und kulturellen Erfordernisse berücksichtigt und bestimmte übergeordnete Leitvorstellungen beachtet werden. § 1 ROG hat keinen bloß programmatischen Charakter, sondern ist unmittelbar geltendes Recht für die Raumordnung des Bundes und der Länder94. Die Vorschrift ist sehr weitgefaßt formuliert, so daß sehr verschiedenartige Raumordnungskonzepte mit ihr vereinbar sind, aber sie bietet doch grundlegende Orientierungs- und Auslegungsmaßstäbe, nach denen die raumordnerische Entwicklung ausgerichtet werden soll95. § 1 I HS 2 ROG 96 nennt die LeitVorstellungen: Neben der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft97, die bisher das zentrale Grundprinzip der Raumordnung darstellte, sollen der Schutz, die Pflege und die Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen gesichert, Gestaltungsmöglichkeiten der Raumnutzung langfristig offengehalten (Freiraumund Optionenvorsorge) und gleichwertige Lebensbedingungen der Menschen in allen Teilräumen geschaffen werden98.
37
§ 1 II ROG zielt auf die Verbesserung des räumlichen Zusammenhangs zwischen den bis zur Wiedervereinigung Deutschlands getrennten Gebieten, § 1 III ROG auf die Herstellung und Förderung der räumlichen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit im europäischen Raum. 38 § 1 IV ROG enthält mit der Festlegung, daß sich die Ordnung der Teilräume in die Ordnung des Gesamtraumes einfügen und die Ordnung des Gesamtraumes die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen soll, das sog. Gegenstromprinzip als eines der grundlegenden Prinzipien der Raumord94
95 96
97
98
Bielenberg/Erbgutk/Söfker, RaumOR, § 1 Rn. 1 u. 6; Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, Rn.535. Zur Struktur derartiger Planungsnormen s. noch Rn. 98 f. Zum Gesetzgebungsverfahren u. zu den Zielsetzungen der Novellierung des ROG v. 1 9 . 7 . 1 9 8 9 Kratzenberg, DVB1. 1988, 1035 ff; ders., NVwZ 1989, 1129 ff. Zur grundrechtl. Fundierung der Raumordnungsmaßgaben bereits oben Rn. 26 ff, insb. Rn. 32; vgl. auch BielenberglErbguth/Söfker, RaumOR, § 1 Rn. 32 ff. Zur gesetzgeberischen Intention s. den Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des ROG v. 2 5 . 1 . 1 9 8 9 , BT-Drucks. 11/3916, 1 f u. 8 ff.
290
4. Abschn. II 1 c aa
Baurecht
nung". Im Gegenstromprinzip kristallisieren sich sowohl auf den Inhalt von Planungen abstellende Maßstäbe als auch Vorgaben für die Verfahrensgestaltungen 100 . Inhaltlich muß bei der mehrfachen und mehrdimensionalen Überplanung der gleichen räumlichen Flächen der wechselseitigen Verflechtung und Abhängigkeit auf der einen Seite und der zu wahrenden Eigenständigkeit der jeweiligen teilräumlichen Planung auf der anderen Seite Rechnung getragen werden. Weder dürfen Teilräume großräumigeren Planungen noch dürfen umgekehrt die gesamtgebietsbezogenen Festlegungen den Einzelraumplanungen anderer Planungsträger untergeordnet werden; gefordert sind deshalb wechselseitige Einfluß- und Rücksichtnahmen 101 . Da die in § 1 IV R O G angesprochenen Teilräume bzw. der Gesamtraum keine feststehenden, sondern relative Kategorien sind — ein regionales Gebiet ist im Verhältnis zum Landesgebiet Teilraum, im Verhältnis zum kommunalen Bereich Gesamtraum —, ergibt sich ein recht kompliziertes Netzwerk von Abstimmungserfordernissen. Insofern statuiert das Gegenstromprinzip ein für die Gestaltung der Planungsverfahren relevantes Koordinationsgebot. Die abstrakten sach- und verfahrensbezogenen Maßgaben des § 1 IV R O G durchziehen das gesamte Raumordnungsrecht, indem sie in einer Vielzahl weiterer Bestimmungen konkretisiert werden, die vielfältige, insbesondere unterschiedlich intensive, Formen wechselseitiger Beteiligung und Bindung vorsehen 102 . c) Grundsätze
39
der Raumordnung:
aa) Bindungswirkung: Die Grundsätze der Raumordnung des § 2 I R O G sowie ggf. die von den Ländern nach § 2 II R O G geschaffenen Grundsätze binden die in § 3 I R O G genannten Normadressaten, also die Behörden des Bundes, die bundesunmittelbaren Planungsträger und die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen 103 . In den Ländern gelten die bundesrechtlichen Grundsätze der Raumordnung nach § 3 II 1 und 2 R O G nur für die Landesplanung bzw. in den Stadtstaaten für die Aufstellung der Flächennutzungspläne. Eine darüber hinausgehende Bindung im Landesbereich ist deshalb auf eine landesrechtliche Umsetzung angewiesen. Dafür können die Länder zum einen die Ermächtigung des § 3 II 4 R O G nutzen und die Bindungswirkung der Grundsätze des § 2 R O G auf andere Behörden oder sonstige Planungsträger des Landes und auf die Gemeinden erstrecken. Alternativ können die Grundsätze landesrechtlich übernommen bzw. weitere Grundsätze aufgestellt oder modifizierte landesrechtliche Fassungen geschaffen werden, sofern diese den bundesgesetzlichen Grundsätzen und dem
99
Bielenberg!ErbguthlSöfker,
RaumOR, §1
ROG Rn. 23;
Heide, RaumO, § 1 ROG Rn. 3 0 ; umfassend: Braese, Raumordnung, 1982.
CholewaIDyonglvon
der
Das Gegenstromverfahren in der
100 Vgl. Peine, RaumplanungsR, 42; Braese (Fn. 99), bes. 36 f. 101
102 103
Vgl. auch Fürst/Hesse, Landesplanung, 1981, 92: Gegenstromprinzip als Gegensatz zu einbahniger Hierarchie. Siehe die Darstellung bei Braese (Fn. 99), 82 ff. Zum Begriff der raumbedeutsamen Planungen u. Maßnahmen BVerwGE 77, 4 7 (51 ff);
Brummund, DVB1. 1988, 77 ff. 291
4. Abschn. II 1 c bb
Walter Kiebs
§ 1 ROG nicht widersprechen (§ 2 II ROG). Zum anderen sind die Länder nach § § 4 III, 5 I und II ROG verpflichtet, in Programmen oder Plänen die zur Verwirklichung der bundesrechtlichen Raumordnungsgrundsätze erforderlichen Ziele der Raumordnung und Landesplanung, die gemäß § 5 IV R O G mit einer umfassenden „Beachtenswirkung" ausgestattet sind, festzulegen104. 40 § 2 I ROG ist nicht wie ein „klassischer" Rechtssatz vollziehbar. Die in § 2 I ROG aufgelisteten Raumordnungsgrundsätze enthalten vielmehr als Planungsdirektiven mehr oder weniger konkrete Zielvorgaben und hervorgehobene Gesichtspunkte, die in eine Abwägung eingebracht105 sowie einander zugeordnet werden müssen und in besonderer Weise konkretisierungsbedürftig sind 106 . Dementsprechend sind sie, soweit einschlägig, gemäß § 2 III ROG im Rahmen des den Planungsträgern zustehenden Ermessens gegeneinander und untereinander nach Maßgabe des § 1 ROG abzuwägen. Bei einer konkreten Entscheidung können bestimmte Grundsätze hinter anderen zurückstehen, ohne daß die Entscheidung dadurch rechtsfehlerhaft zu werden braucht. Raumordnungsgrundsätze sind also keine planerischen Letztentscheidungen. Dadurch unterscheiden sie sich von den „Zielen der Raumordnung und Landesplanung", die nicht einen Maßstab, sondern das Ergebnis einer landesplanerischen Abwägung darstellen107. 41
bb) Inhalt der Raumordnungsgrundsätze: Man kann die Raumordnungsgrundsätze des ROG grob drei Komplexen zuordnen 108 , und zwar zum einen der allgemeinen Strukturentwicklung im Bundesgebiet ( § 2 1 Nr. 1 und 2 sowie zum Teil Nr. 11 S. 1 ROG), zum anderen den problemspezifisch zugeschnittenen Vorgaben für bestimmte Gebiete (Nr. 3 bis 6) und schließlich den fachorientierten Aufgabenbereichen (Nr. 7 bis 12). Ohne daß die Grundsätze insgesamt einem bestimmten Raumplanungskonzept folgen, läßt doch teilweise ihr Inhalt — unter Umständen in modifizierter Form — Konzeptionen erkennen, die in der Raumplanungsforschung entwickelt worden sind und zu denen etwa das ZentraleOrte-Konzept, die Konzeption der Entwicklungsschwerpunkte und Entwicklungsachsen und das Modell der ausgeglichenen Funktionsräume zählen 109 . Die normierten Grundsätze sind prinzipiell gleichrangig. Die ökologischen Belange werden nach der Gesetzesnovellierung in § 2 I Nr. 8 ROG zwar breiter berücksichVgl. unten R n . 4 6 f u. 5 6 . 105 Vgl. zu der Struktur eines Planungsvorgangs auch Rn. 97 ff. 1 0 6 Als Konkretisierung der in §§ 1, 2 R O G niedergelegten allg. Ziele (jetzt: „Leitvorstellungen") u. Grundsätze u. als gesamträuml. u. überfachl. Orientierungsrahmen soll(te) das von der Ministerkonferenz für Raumordnung beschlossene (BT-Drucks. 7/3584) Bundesraumordnungsprogramm (1975) dienen. Inzwischen ist es weitgehend veraltet u. fortschreibungsbedürftig. Dazu Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, Rn. 7 0 2 ff. 107 Vgl. auch Brummund, Die Grundsätze der Raumordnung, 1989, 7 ff; Paßlick, Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, 1986, 14 ff; BayVerfGH, N V w Z 1984, 711 (713); BremStGH, N V w Z 1983, 735 (735 f); V G H Mannheim, D Ö V 1981, 2 6 9 (bes. 271). 104
108
109
Vgl. Hoppe, in: HoppelSchoeneberg,
neberg,
292
RaumOR, Rn.555.
Vgl. Wahl, Rechtsfragen II, 4 ff; Fürst/Hesse (Fn. 101), 26 ff; Hoppe, in: Hoppe/SchoeRaumOR, R n . 8 7 f f .
Baurecht
4. Abschn. II 1 c cc
tigt; eine hervorgehobene Stellung, wie sie im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen wurde, konnte jedoch nicht durchgesetzt werden110. Nach § 2 II ROG können die Länder weitere Grundsätze aufstellen, soweit 42 diese den §§ 1 und 2 I ROG nicht widersprechen. Der Katalog des § 2 1 ROG stellt also ausdrücklich keine abschließende Regelung dar; die Länder können die bundesgesetzlichen Raumordnungsgrundsätze für die Landesplanung übernehmen, ausgestalten und konkretisieren oder auch andersartige, dem ROG nicht widersprechende Grundsätze aufstellen. Eine Übernahme der Grundsätze des ROG führt zu deren Bindungswirkung auch für die Körperschaften, Einrichtungen und Behörden des Landes, die nach § 3 I ROG nicht unmittelbare Normadressaten der bundesgesetzlichen Bestimmung sind. Eigene Raumordnungsgrundsätze der Länder gemäß § 2 III ROG binden nicht nur im Landesbereich, sondern bei raumbedeutsamen Planungen für das entsprechende Landesgebiet auch die Behörden des Bundes sowie die bundesunmittelbaren Planungsträger und juristischen Personen des öffentlichen Rechts (vgl. § 3 I ROG) 111 . cc) Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze: Die Raumordnungsgrund- 43 sätze werden durch Bund und Länder jeweils in ihrem Kompetenzbereich umgesetzt. Auf Bundesebene geht es um die Umsetzung der Raumordnungsgrundsätze bei einzelnen (Bundes-)Vorhaben. Zwar sind die Behörden des Bundes und bundesunmittelbare Planungsträger selbst an die Grundsätze gebunden und haben gemäß § 4 V ROG von sich aus ihre Vorhaben auf- und untereinander abzustimmen. § 4 I ROG weist aber dem für die Raumordnung zuständigen Bundesminister darüber hinaus die Aufgabe zu, unbeschadet der Aufgaben und Zuständigkeiten der Länder auf die Verwirklichung der Vorschriften des § 2 ROG hinzuwirken, insbesondere durch eine umfassend koordinierende Abstimmung der raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen112. Neben den Pflichten des für die Raumordnung zuständigen Bundesministers hat nach § 4 II ROG die Bundesregierung darauf hinzuwirken, daß die juristischen Personen des Privatrechts, an denen der Bund beteiligt ist, im Rahmen der ihnen obliegenden Aufgaben die Leitvorstellungen und Grundsätze der Raumordnung beachten. Auf Landesebene richten sich die Grundsätze des ROG nur an die Landespia- 44 nung113, die nach § 4 III ROG verpflichtet ist, die Raumordnungsgrundsätze mit Hilfe des landesplanerischen Instrumentariums umzusetzen. Als die zentralen und effektivsten Instrumente hebt die Vorschrift die Aufstellung von Programmen 110 Ygj z u r Formulierung einer Vorrangstellung in § 2 II ROG den Gesetzentwurf der Fraktion Die Grünen v. 1 4 . 7 . 1 9 8 8 , BT-Drucks. 11/2666, u. insges. den Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen u. Städtebau v. 2 . 6 . 1 9 8 9 , BT-Drucks. 11/ 4678, 13 ff. 111 112
113
Dazu Cholewa/Dyong/von der Heide, RaumO, § 3 ROG Rn.20ff. Dazu im einzelnen BielenberglErbguthlSöfker, RaumOR, § 4 ROG, Rn. 3 ff; Cbolewa/ Dyong/von der Heide, RaumO, § 4 ROG Rn.4ff; Hoppe/Erbguth, DVB1. 1983, 1213 (1214 f, 1217); Schöler, Die Stellung des für die Raumordnung zuständigen Bundesministers im Rahmen der verfassungsmäßigen Verteilung der Verantwortung gemäß Art. 65 GG, 1976, 12 ff. Vgl. Rn. 39.
293
4.Abschn. II 1 d aa
Walter Krebs
und Plänen114 nach § 5 ROG hervor. Auf diese vermittelte Weise entfalten die Raumordnungsgrundsätze des Bundes Wirkung auch im Landesbereich. 45 Als Konkretisierung des Gegenstromprinzips (§1 IV ROG) formuliert § 4 V ROG einen zentralen Grundsatz des Raumordnungsrechts115. Die Vorschrift enthält als General- und Auffangklausel ein Abstimmungsgebot, das bei sämtlichen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen der Behörden und Institutionen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene greift. Eine „Abstimmung" im Sinne des § 4 V ROG umfaßt die möglichst frühzeitige und vollständige Unterrichtung, das Einbringen vorhandener oder beabsichtigter Planungen sowie der Belange anderer Beteiligter und die Abwägung und Koordination aller Planungen und Belange der Planungs- und Maßnahmenträger. Die Abstimmung von Planungen und Maßnahmen „aufeinander" betrifft die Koordination verschiedenartiger, die Abstimmung „untereinander" die Koordination gleichartiger Vorhaben116. 46
d) Rahmenrechtliche Vorgaben für die Raumordnung in den Ländern: aa) Programme und Pläne: Die Länder stellen nach § 5 I 1 ROG für ihr Gebiet übergeordnete und zusammenfassende Programme oder Pläne auf. Gemäß § 5 I 3 und 4 ROG sollen die Gebiete mit zurückgebliebenen Lebensbedingungen sowie die nachteilig belasteten Verdichtungsräume bezeichnet und insoweit vordringlich räumliche oder sachliche Teilprogramme und Teilpläne erarbeitet werden. § 5 III ROG sieht die Einführung einer Regionalplanung für den Fall vor, daß diese für Teilräume des Landes geboten erscheint. Den bundesrechtlichen Mindestinhalt der Programme und Pläne benennt §5 II 1 ROG: Die Programme und Pläne müssen unbeschadet weitergehender bundes- und landesrechtlicher Vorschriften diejenigen Ziele der Raumordnung und Landesplanung enthalten, die zur Verwirklichung der Grundsätze nach § 2 ROG erforderlich sind117. 47 Die „Ziele der Raumordnung und Landesplanung" (§ 5 IV ROG) sind ein raumordnungsrechtlicher Zentralbegriff und bezeichnen eine verbindliche, nicht mehr abzuwägende planerische Letztentscheidung118. Im Konzept der „Ziele der Raumordnung und Landesplanung" kommt das oben beschriebene Gegenstromprinzip zum Ausdruck: Einerseits setzen die Ziele der Raumordnung und Landesplanung die raumordnungsrechtlichen Grundsätze um und entfalten deren Vorgaben auch für Stellen, die nicht nach § 3 I ROG an diese Grundsätze gebunden sind. Andererseits stellen sie eine eigenständige landesplanerische Aussage dar, 114 115
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294
Näher unten unter Rn.46ff. Cbolewa/Dyong/von der Heide, RaumO, § 4 ROG Rn.35. Zum Verhältnis von § 1 IV u. § 4 V ROG eingehend Braese (Fn. 99), 49 ff. Bielenberg/Erbguth/Söfker, RaumOR, § 4 Rn. 4 9 ; Cholewa/Dyong/von der Heide, RaumO, § 4 ROG Rn.38. Für die neuen Bundesländer sieht § 1 2 Nr. 2 ROG i. V. m. § 3 VI des G über die Inkraftsetzung des Raumordnungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik ausdrückl. die Möglichkeit vor, bis zur Verbindlicherklärung von Programmen u. Plänen einzelne Ziele der Raumordnung aufzustellen. Vgl. Rn. 40 u. Rn. 56, 61, 62.
Baurecht
4.Abschn. II 1 d aa
die nicht nur im Landesbereich, sondern grundsätzlich119 auch die Bundesebene bindet. Ziele der Raumordnung und Landesplanung sind nach § 5 IV ROG von den Behörden und sonstigen Institutionen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene (§ 4 V ROG) bei allen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen „zu beachten". Beachtung bedeutet für die gebundenen Behörden und sonstigen Stellen, sich an die Zielvorgabe zu halten und keine gegenläufigen Raumnutzungen umzusetzen120. Ob sie auch verpflichtet sind, Planungen einzuleiten und die Ziele aktiv zu realisieren, richtet sich nach dem jeweiligen Fachgesetz, z. B. nach § 1 IV BauGB 121 . Bei bestimmten Vorhaben (sog. privilegierte Vorhaben) des Bundes und bundesunmittelbarer Planungsträger gilt die Beachtenspflicht des § 5 IV ROG nach § 6 I ROG nur, wenn die Behörde oder der bundesunmittelbare Planungsträger beteiligt worden ist und keinen Widerspruch — der unter den in § 6 II ROG geregelten Voraussetzungen zulässig ist122 — eingelegt hat 123 . Die Vorschrift soll der besonderen Bedeutung der privilegierten Vorhaben Rechnung tragen. Private Planungs- und Vorhabenträger sind regelmäßig124 nicht gebunden. Die 48 Raumordnungsziele können ihnen gegenüber nur umgesetzt werden, falls die Behörden sie beim Vollzug der Vorschriften, denen die Vorhaben unterliegen, zu beachten haben. Dies hängt von der Formulierung und Struktur des einzelnen Gesetzestatbestandes ab 125 . Enthält das einschlägige Fachgesetz keine explizite Regelung zur Koordination des Vorhabens mit Zielen der Raumordnung und Landesplanung, kann die Frage, ob und bei welchem Tatbestandsmerkmal des Zulassungstatbestandes Raumordnungsziele zu beachten sind, nachhaltige Unsicherheiten hervorrufen126. In vielen Fachgesetzen gibt es aber für Fachplanungen, auch solche öffentlicher Planungsträger, bereits Bestimmungen, daß die Erfordernisse, die Grundsätze und/oder die Ziele der Raumordnung und Landesplanung zu berücksichtigen bzw. zu beachten sind, daß sie gelten oder daß das Vorhaben ihnen zu entsprechen hat (sog. Raumordnungsklauseln)nl. Können Ziele der Zur Ausnahme des § 6 ROG sogleich im Text. Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, Rn. 783 ff; Steiner, in: ders., Bes. VwR, Rn. 37; VGH Mannheim, DÖV 1981, 269 (270). 121 Dazu unten Rn. 95. 122 Vgl. auch die bei Zweifelsfragen über die Berechtigung eines Widerspruchs vorgesehene gemeinsame Beratung, § 8 I Nr. 3 sowie § 8 II ROG. 123 Näher Bielenberg/Erbguth/Söflier, RaumOR, § 6; Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, Rn.813ff. Vgl. auch HessStGH, DVB1. 1982, 491 (494 f) mit krit. Anm. Ernst. 1 2 4 Siehe aber § 4 II ROG; Art. 25 BayLPIG; § 8 II hessLPIG. 125 Schmidt-Aßmann, Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, 1977, 81 f. 126 Beispielsweise hat die Neufassung der § § 3 4 , 35 BauGB auf den Streit reagiert, ob § § 3 4 und 35 BBauG die Berücksichtigung von Zielen der Raumordnung u. Landesplanung erlaubten, dazu u. zu den Anforderungen an die Bestimmtheit der Ziele BVerwGE 68, 311 (313 f) u. 319 (320ff). Zur Neuregelung Erbguth, NVwZ 1988, 289 (294 f). 127 Etwa § 2 1 3 AbfG, § 3 6 II WHG, § 1 3 II BWaStrG, § 5 I BNatSchG. Die in den Raumordnungsklauseln verwendete Terminologie ist nicht einheitl. Das ist insofern rechtl. relevant, als man daraus Schlußfolgerungen für den Inhalt u. die Bindungsinten119 120
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4. Abschn. II 1 d bb
Walter Krebs
Raumordnung und Landesplanung einfließen, ist im weiteren Schritt zu berücksichtigen, daß die Ziele im Sinne eines rahmenartigen, regelmäßig nicht standortscharfen Aussagegehalts zu verstehen sind und deshalb nicht notwendig für ein bestimmtes Vorhaben durchgreifen128. 49
bb) Das Raumordnungsverfahren: Mit der rahmenrechtlichen Verankerung des Raumordnungsverfahrens in § 6 a ROG soll die Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung129 mit den positiven Erfahrungen bei den in allen alten Flächenländern (außer Nordrhein-Westfalen) bereits praktizierten, aber uneinheitlich geregelten Raumordnungsverfahren130 verknüpft und eine in den Grundzügen einheitliche Ausgestaltung geschaffen werden. § 6 a I ROG formuliert einen Gesetzgebungsauftrag an die Länder und gibt dabei Aufgabe und Gegenstand des Raumordnungsverfahrens vor. Zum einen sollen raumbedeutsame Vorhaben möglichst frühzeitig mit raumordnerischen Erfordernissen sowie anderen Planungen und Maßnahmen abgestimmt werden. Das Verfahren soll also als einzelfallbezogenes Koordinationsinstrument gewährleisten, daß die allgemeine Abstimmungsverpflichtung des § 4 V ROG projektorientiert in einem speziell institutionalisierten Verfahren möglichst gut wahrgenommen werden kann. Zum anderen schließt das Raumordnungsverfahren nach § 6 a I 2 ROG die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der raumbedeutsamen Auswirkungen des Projekts auf Menschen, natürliche Umwelt, Kultur und Sachgüter ein. Damit wird es als Trägerverfahren für eine an der Raumbedeutsamkeit ausgerichtete Umweltverträglichkeitsprüfung eingesetzt. Die Vorhaben, für die wegen ihrer Raumbedeutsamkeit und möglicherweise erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt in der Regel ein Raumordnungsverfahren durchzuführen ist, können nach § 6 a II ROG von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden. Die nähere Ausgestaltung des Raumordnungsverfahrens bleibt den Ländern überlassen. § 6 a III und IV ROG geben aber einzelne Grundelemente vor, damit bundesrechtlich sichergestellt ist, daß die einschlägigen Anforderungen der UVPRichtlinie erfüllt werden. Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens hat nach § 6 a I 3 Nr. 1 und 2 ROG festzustellen, ob raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen mit den Erfordernissen der Raumordnung131 übereinstimmen und
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sität der jew. Klausel zieht, ohne daß jedoch im einzelnen abgesichert wäre, wie man bestimmte Textformulierungen zu verstehen hat. Zur Harmonisierung der Raumordnungsklauseln Wagner, Die Harmonisierung der Raumordnungsklauseln in den Gesetzen der Fachplanung, 1990; ders., DVB1. 1990, 1024 ff. Siehe bereits oben Rn. 19 u. unten Fn. 163. Vgl. auch BayVerfGH, NVwZ 1988, 242 (243 f). Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG N r . L 1 7 5 / 4 0 v. 2 7 . 6 . 1 9 8 5 - UVP-Richtlinie. Dazu allgemein Cupei, DVB1. 1985, 813 ff; spezifisch Schoeneberg, Umweltverträglichkeitsprüfung und Raumordnungsverfahren, 1984; ders., DVB1. 1984, 929 (936 f). §§ 13, 14 bwLPIG; Art. 23 BayLPIG; § 11 hessLPIG; § 14 NROG; § 18 rhpfLPIG; § 13 I - I V , VI SLP1G; § 14 schlhLPlG. Zur Wahl dieses über die „Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung" hinausgehenden Begriffs vgl. den Bericht des Raumordnungsausschusses (Fn. 110), 14.
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4. Abschn. II 1 d cc
wie sie unter den Gesichtspunkten der Raumordnung aufeinander abgestimmt oder durchgeführt werden können. Dieses Ergebnis und die im Raumordnungsverfahren vorgenommene Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen auf die Umwelt sind nach § 6 a VI ROG von den in § 4 V ROG genannten Stellen bei nachfolgenden Planungen oder Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens zu berücksichtigen132. Die nach diesem Berücksichtigungsgebot vorgesehenen Rechtswirkungen beschränken sich also darauf, daß dessen Ergebnisse als Planungsdirektiven oder Abwägungskriterien (Ergebnisse i. S. d. § 6 a 13 Nr. 1 ROG) bzw. als Vorschlag (Ergebnisse i.S.d. § 6 a I 3 Nr.2 ROG) in nachgeschaltete Planungen oder Einzelzulassungsverfahren eingehen133. Im Gegensatz zur Rechtswirkung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung ergibt sich somit keine strikte Bindung. § 6 a VI 4 ROG stellt deshalb ausdrücklich fest, daß neben der Berücksichtigung des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens die Pflicht zur Beachtung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung besteht. Im übrigen bewirkt die raumordnerische Umweltverträglichkeitsprüfung unter den Voraussetzungen des § 6 a VI 2 und 3 ROG, daß nachfolgende Zulassungsverfahren von Teilaspekten der noch vorzunehmenden Umweltverträglichkeitsprüfung entlastet werden können. cc) Das Sicherungsinstrument der Untersagung: Als Instrument der Plansiche- 50 rung sieht § 7 ROG rahmenrechtlich die Untersagung raumordnungswidriger Planungen und Maßnahmen durch die Landesplanungsbehörde vor. Eine Untersagung setzt voraus, daß die Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung eingeleitet ist und die Unmöglichkeit bzw. wesentliche Erschwerung der Realisierung dieser Ziele aufgrund der in Frage stehenden Planungen und Maßnahmen zu befürchten ist. Adressaten der Untersagung sind Behörden oder sonstige Stellen im Sinne des § 4 V ROG. Gegenstand der Untersagung sind raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen, die diese Stellen beabsichtigen. Die Frage, ob zu den untersagungsfähigen „raumbedeutsamen Maßnahmen" auch eine Genehmigungsentscheidung in einem konkreten Genehmigungsverfahren mit Rechtswirkung gegenüber Dritten zählt, kann nicht pauschal verneint werden134. Da die Untersagung das der Pflicht zur Beachtung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung korrespondierende Sicherungsinstrument darstellt, kommt es für die Antwort vielmehr darauf an, ob und inwiefern Ziele der Raumordnung und Landesplanung nach dem Genehmigungstatbestand bei der Zum Berücksichtigungsgebot Kratzenberg, DVB1. 1988, 1035 (1037). Als Korrelat zu den Rechtswirkungen des auf Landesebene durchgeführten Raumordnungsverfahrens enthält § 6 a IV 2 u. V ROG besondere Bestimmungen für Vorhaben des Bundes oder bundesunmittelbarer Planungsträger bzw. für den militärischen Bereich. 133 Ygj Begr. des Regierungsentwurfs (Fn. 98), 14 f. Zur Vereinbarkeit der landesplanerischen Beurteilung in § 14 bwLPIG mit dem ROG vor dessen Novellierung BVerwGE 80, 201 ff. 134 So aber Schmidt-Aßmann (Fn. 125), 85 f. Zu restriktiv auch VGH München, NVwZ 1990, 983 (984). Weitergehend Depenbrock/Reiners, Landesplanungsgesetz NordrheinWestfalen, 1985, § 2 2 Rn. 2.1 ff. 132
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4. Abschn. II 2 a
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Genehmigung zu beachten sind und ob das Vorhaben ihnen auch bei ihrem nur rahmenartigen Aussagegehalt zuwiderläuft135. Letzteres wird auch von Art und Grad der räumlichen Auswirkungen des Vorhabens selbst abhängen. Untersagungen gegenüber Gemeinden wegen bestimmter Bauleitplanungen, aber auch Untersagungen gegenüber Planungsträgern des Bundes sind auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen i. S. des § 35 VwVfGe gerichtet und deshalb Verwaltungsakte. Untersagungen gegenüber anderen Landesbehörden haben dagegen verwaltungsinterne Rechtswirkung. In den Fällen, in denen die Untersagung die Voraussetzungen des Verwaltungsaktbegriffs erfüllt, stehen als Rechtsmittel der Untersagungsadressaten Widerspruch und Anfechtungsklage zur Verfügung. § 7 II ROG schließt allerdings eine aufschiebende Wirkung ausdrücklich aus und räumt somit prinzipiell der Landesplanungsbehörde einen Vorrang ein. 51
e) Institutionalisierte Gremien und Verfahren zur Information und Koordination: Die Erarbeitung und Umsetzung raumordnerischer Planungskonzepte sind auf eine funktionierende und möglichst umfassende Information und Abstimmung angewiesen136. Der Koordination soll die Institutionalisierung spezieller Gremien und wechselseitiger Informationspflichten dienen. § 8 ROG sieht vor, daß grundsätzliche Fragen der Raumordnung und Landesplanung, von denen einige beispielhaft genannt werden, von der Bundesregierung und den Landesregierungen gemeinsam beraten werden sollen. Für diese Aufgabe ist durch Verwaltungsabkommen die Ministerkonferenz für Raumordnung gebildet worden137. Nach § 9 ROG ist bei dem für die Raumordnung zuständigen Bundesminister ein Beirat zu bilden, der die Aufgabe hat, den Bundesminister in Grundsatzfragen der Raumordnung zu beraten. Der Beirat wird vom Bundesminister im Benehmen mit den zuständigen Spitzenverbänden berufen und setzt sich aus Vertretern der kommunalen Selbstverwaltung sowie aus Sachverständigen zusammen. § 10 ROG enthält eine umfassende Regelung der wechselseitigen Auskunfts-, Unterrichtungs- und Mitteilungspflichten zum einen auf Bundes- bzw. Bund/Länder-Ebene, zum anderen in § 10 III ROG als Rahmenvorschrift für die Landesplanung. Nochmals verpflichtet § 10 IV ROG generalklauselartig Bund und Länder, sich gegenseitig alle Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung der Aufgaben der Raumordnung und Landesplanung notwendig sind. Dem Bundestag hat die Bundesregierung nach § 11 ROG alle vier Jahre einen Raumordnungsbericht vorzulegen138.
2. Landesplanung 52
a) Überblick: Das Raumordnungsgesetz des Bundes setzt voraus, daß die Landesplanung als staatliche Aufgabe wahrgenommen wird, und es schafft für die Vgl. bereits oben Rn. 48 m. Fn. 128. Siehe auch BayVerfGH, NVwZ 1988, 2 4 2 (243 f). Im Ansatz undeutl. BGHZ 88, 51 (55 u. 60 einerseits, 59 f andererseits). 136 Ygl a u c h aus verwaltungswissenschaftl. Sicht Bullinger, Die Verwaltung 15 (1982), 4 5 7 ff. 137 Siehe die Bek. des Verwaltungsabkommens zwischen dem Bund u. den Ländern über die gemeinsamen Beratungen nach § 8 des Raumordnungsgesetzes v. 2 9 . 6 . 1 9 6 7 (BAnz. Nr. 122). 138 Siehe den Raumordnungsbericht 1990, BT-Drucks. 1 1 / 7 5 8 9 .
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4. Abschn. II 2 b
Länder, die zur Ausformung des bundesrechtlichen Rahmens verpflichtet sind, in mehreren Hinsichten Regelungsbedarf. So erfordert die Landesplanung zunächst organisatorische Vorkehrungen. Weiterhin müssen die Länder inhaltlich die Direktiven der Raumordnungsgrundsätze des § 2 ROG für das Landesgebiet spezifizieren und im Wege normativ gesicherter Entscheidungsvorgaben für deren Verwirklichung in konkreten Raumnutzungsentscheidungen sorgen. Dies kann insbesondere durch Programme oder Pläne geschehen, die die rechtsverbindlichen Ziele der Raumordnung und Landesplanung festlegen. Darüber hinaus ist das Erarbeitungsverfahren der Programme oder Pläne im Sinne des Gegenstromprinzips einzurichten. Schließlich benötigt man ein planvorbereitendes, ein planbegleitendes und ein plansicherndes Instrumentarium. Mit Ausnahme der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, die die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung mittels der die Programme und Pläne ersetzenden Flächennutzungspläne transformieren (§§ 3 II 2, 5 I 5 ROG) 1 3 9 , haben alle Länder des alten Bundesgebietes Landesplanungsgesetze erlassen, die die grundlegenden Regelungen zur Landesplanung enthalten140. In den neuen Bundesländern wird noch an Landesplanungsgesetzen gearbeitet; hier sind die Überleitungsbestimmungen des § 12 Nr. 2 ROG i. V. m. § § 2 und 3 des Gesetzes über die Inkraftsetzung des Raumordnungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik zu beachten. b) Organisation der hochstufigen Landesplanung: In der staatlichen Organisa- 53 tion können Aufgaben der hochstufigen Landesplanung141 entsprechend dem regelmäßig dreistufig, nur im Saarland und in Schleswig-Holstein zweistufig, organisierten Aufbau der allgemeinen Verwaltung auf der Ministerialebene, auf der Ebene des Regierungspräsidenten bzw. der Bezirksregierung und auf der Kreisverwaltungsebene angesiedelt sein. Eine Verteilung von Zuständigkeiten und Kompetenzen auf eine oberste, eine obere oder höhere und eine untere Landesplanungsbehörde findet sich in Bayern 142 , Niedersachen143 und in Rheinland-Pfalz144; das Saarland145 und Schleswig-Holstein146 benennen ihrem Verwaltungsaufbau folgend nur das zuständige Ministerium als Landesplanungsinstanz. In Baden-Württemberg147, Nordrhein-Westfalen148 und in Hessen149 konzentriert sich die Landesplanung auf das zuständige Ministerium sowie auf die Regierungspräsidenten150. Zu den Stadtstaatenklauseln Bielenberg/Erbguth/Söfker, RaumOR, § 3 Rn. 24, § 5 Rn. 34ff. Vgl. auch BremStGH, NVwZ 1983, 735 ff. 140 Yg[ 0 ben die Übersicht über die Rechtsgrundlagen. 1 4 1 Zur Regionalplanung unten Rn. 64 ff. 1 4 2 Art. 5 BayLPIG. 1 4 3 § 1 1 NROG. 1 4 4 § 5 rhpfLPIG. 1 4 5 § 8 SLPG. § 8 schlhLPlG. 1 4 7 § 2 1 bwLPIG. 1 4 8 § § 2 u. 3 LP1GNW. 1 4 9 § 1 III hessLPIG. 1 5 0 In Nordrhein-Westfalen nimmt die untere Verwaltungsstufe nur eine allgemeine Aufsicht wahr, § 4 LP1GNW.
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4. Abschn. II 2 c bb
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c) Programme und Pläne151: aa) Terminologie: Das Raumordnungsgesetz des Bundes unterscheidet in § 5 I und II ROG zwischen Programmen und Plänen, ohne daß diese Formen definiert und gegeneinander abgegrenzt werden. Die Terminologie in den Landesplanungsgesetzen ist entsprechend uneinheitlich. In Nordrhein-Westfalen und im Saarland differenziert man beide Formen, indem man die Planung zweistufig anlegt. Das in Nordrhein-Westfalen (nicht aber im Saarland) als Gesetz beschlossene Programm dient der übergeordneten und grundlegenden Konkretisierung der Grundsätze (vgl. § 2 II ROG) und ggf. allgemeiner Ziele der Raumordnung und Landesplanung, während der Plan in beschreibender und zeichnerischer Darstellung konkret-gebietsbezogen die Ziele der Raumordnung und Landesplanung präzisiert. In anderer Bezeichnung folgt auch Niedersachsen mit seinem in Teil I und Teil II gegliederten Landesraumordnungsprogramm einem solchen Planungsmodell. Schleswig-Holstein formuliert die Grundsätze zur Entwicklung des Landes in einem besonderen Gesetz und die Ziele der Raumordnung und Landesplanung in einem landesgebietsbezogenen Raumordnungsplan. Hessen folgt einem ganz spezifischen Modell: Das gesetzförmige Landesraumordnungsprogramm stellt Grundsätze der Raumordnung auf, während der Landesentwicklungsplan eine Darstellung der vorhandenen und anzustrebenden Raumstruktur sowie die deren Verbesserung dienenden staatlichen Fach- und Investitionsplanungen enthält. Programm und Plan sind für die Regionalplanung verbindlich, die dann die zu beachtenden Ziele der Raumordnung und Landesplanung ausweist152. In Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz enthält das jeweilige Landesplanungsgesetz die Raumordnungsgrundsätze, während die Ziele der Raumordnung und Landesplanung in je unterschiedlicher Begriffswahl durch ein Landesentwicklungsprogramm153 oder einen Landesentwicklungsplan154 konkretisiert werden. In horizontaler Differenzierung nennen einige Landesplanungsgesetze fachliche Entwicklungsprogramme/-pläne155.
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bb) Typen landesplanerischer Aussagen156: Landesrechtliche Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung können im Landesplanungsgesetz oder ausgelagert in einem gesonderten Gesetz enthalten sein. Sie können aber auch noch in den untergesetzlichen Landesentwicklungsplänen bzw. -programmen spezifiziert sein157. Bindende Grundsätze setzen als Planungsdirektiven Vorgaben für die Abwägungsentscheidungen der öffentlichen Planungsträger bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen. Sie sind in den Entscheidungsprozeß einzubringen und im Rahmen des Planungsermessens gegeneinander und untereinander abzuwägen158. 151
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Zu den Programmen u. Plänen der Länder vgl. auch die Übersicht im Raumordnungsbericht 1990, BT-Drucks. 11/7589, 203 f. § § 2 , 3, 8 I, II hessLPIG; dazu Steinberg, in: Meyer/Stolleis, HessStVwR, 3 1 6 ff. Art. 13 BayLPIG; §§ 9 I, 10 rhpfLPIG. § § 2 , 3 bwLPIG. § 2 I Nr. 2 u. III bwLPIG; Art. 15 BayLPIG; § 13 III 2 LP1GNW; § 4 III 2 SLP1G. Zum folgenden vgl. auch Schmidt-Aßmann/Trute, in: Maurer/Hendler, BwStVwR, 364 ff. Siehe § § 3 I 1, 6 III 1 bwLPIG. Vgl. bereits oben Rn. 40.
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4. Abschn. II 2 c bb
Ziele der Raumordnung und Landesplanung sind zum Teil als allgemeine 56 Ziele bereits mit den Raumordnungsgrundsätzen in einem besonderen Gesetz und ansonsten regelmäßig in den landesgebietsbezogenen und regionalen untergesetzlichen Entwicklungs(Raumordnungs-)plänen bzw. -programmen formuliert159. Sie haben Rechtsnormqualität und im Verhältnis zu Behörden und Verwaltungsträgern auf Bundesebene und zu den Gemeinden Außenrechtscharakter160. Um Rechtswirksamkeit zu entfalten, müssen die Ziele bestimmten Rechtmä- 57 ßigkeitsanforderungen genügen161. Dazu zählen die Verfahrensbestimmungen für die Aufstellung der Programme und Pläne162. Außerdem müssen die Zielvorgaben hinreichend bestimmt sein, ohne ihren übergreifenden Charakter zu verlieren163. Zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen zählen außerdem die Vereinbarkeit mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie164, die Beachtung höherrangiger Planungsvorgaben, insbesondere der Raumordnungsgrundsätze und höherstufiger Ziele, sowie die Einhaltung des Abwägungsgebotes und der Begründungsanforderungen165. Ob Fehler im Abwägungsvorgang und bei der Begründung in jedem Fall die Rechtsunwirksamkeit der Ziele zur Folge haben, ist umstritten166. Die Landesentwicklungs- oder Raumordnungspläne bzw. -programme enthal- 58 ten daneben häufig auch noch Aussagen, denen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Dazu zählen die nachrichtlichen Übernahmen, die als Darstellung vorhandener Raumnutzungsentscheidungen oder -absichten zur Information über anderweitig getroffene Festlegungen und zur Koordination aufgenommen werden. Das betrifft insbesondere fachplanerische Entscheidungen, die sich nach dem jeweiligen Fachgesetz richten. Eine nachrichtliche Übernahme bedeutet nicht unbedingt ein landesplanerisches Einverständnis mit der fachplanerischen Raumnutzung. Landesplanerische Vorschläge können als Anregungen ohne rechtliche Verbindlichkeit aufgenommen werden. Den Plänen bzw. Programmen ist eine
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Vgl. aber auch Fn. 152. Siehe hier nur BVerfGE 76, 107 (114) für die Regelungen des nds. Landesraumordnungsprogramms Teil II. Ansonsten noch Rn. 71 mit den Nachw. in Fn. 218. Zu den mit der Verrechtlichung landesplanerischer Regelungen wachsenden Anforderungen Evers, BayVBl. 1982, 709 ff. (bes. 712); Heibig, BayVBl. 1982, 713 ff; ScbmidtAßmann, DÖV 1981, 239 ff; Grooterhorst, NuR 1986, 276 (281 ff); Folkerts, Raumordnungsziele im Ländervergleich, 1988, 33 ff, mit kritischer Analyse einiger Pläne, 79 ff. Deren Verletzung wird z. T. durch Präklusionsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen für rechtl. unerhebl. erklärt; s. § 7 u. § 11 bwLPIG für Entwicklungspläne bzw. Regionalpläne sowie § 17 LP1GNW für Gebietsentwicklungspläne. Zur ansonsten noch str. Frage, ob alle Verfahrensfehler zur Nichtigkeit führen Paßlick (Fn. 107), 58 f. Zum Rahmencharakter der Ziele sowie zum erfordert. Bestimmtheitsgrad Paßlick (Fn. 107), 30 ff, 109 ff. Vgl. auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen, 158 f: „Bestimmtheit ist nicht identisch mit einem Höchstmaß an Konkretheit." Vgl. oben R n . l 6 f f . Dazu etwa aus Sicht des Landesverfassungsrechts BayVerfGH, NVwZ 1984, 711 (713 f). Vgl. Paßlick (Fn. 107), 144 f, 148 f m. w. Nachw.
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4 . A b s c h n . II 2 C CC
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Planbegründung beizufügen167, die die landesplanerischen Festsetzungen mit Hilfe von Zustandsbeschreibungen, Strukturanalysen, Entwicklungsprognosen und raumordnerischen Vorstellungen erläutert und so der Nachvollziehbarkeit sowie der Auslegung des Planinhalts dient. 59
cc) Verfahren und Inhalte des Landesentwicklungs(bzw. -raumordnungs-) plans bzw. Programms: Der Landesentwicklungsplan wird von der obersten Landesplanungsbehörde unter landesrechtlich ganz verschiedenartig ausgestalteten Beteiligungen erarbeitet und aufgestellt168. Zu den zu beteiligenden Stellen zählen etwa die Gemeinden und Gemeindeverbände169, die Kreise170, Regionalstellen oder -gremien171, andere Fachministerien172 oder der Landesplanungsbeirat173. Auch der Landtag wird zum Teil beteiligt174, um das Parlament bei dem für die gesamte Entwicklung des Landes wichtigen Raumordnungskonzept einzubeziehen. Die Beteiligungsregelungen sind rechtlich mit unterschiedlicher Durchsetzungskraft ausgestattet. So verlangt das „Einvernehmen" Übereinstimmung, das „Benehmen" ermöglicht der federführenden Landesplanungsbehörde die Durchsetzung ihrer Vorstellungen, die Anhörung erfordert die fehlerfreie Berücksichtigung der jeweiligen Stellungnahme175. Faktisch können sich die Beteiligungen angleichen. Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen, da die hochstufige Planung abstrakt, großflächig und vielschichtig ist und Rechtsverbindlichkeit nur gegenüber öffentlichen Planungsträgern besitzt176. 60 Während die landesplanerischen Grundsätze regelmäßig durch Gesetz beschlossen werden, variiert die Rechtsform der Landesentwicklungs(raumordnungs)pläne bzw. -programme, die die Ziele der Raumordnung und Landesplanung enthalten, in den Landesplanungsgesetzen von dem unterschiedlich ausgestalteten Aufstellungs-
Explizit s. § 3 III bwLPIG; Art. 4 II BayLPIG; § 13 III 3 LP1GNW. § 5 I 1 bwLPIG; Art. 14 I 1 BayLPIG; § 5 I NROG; § 13 II 1 LP1GNW; § 1 1 I 1 rhpfLPIG; § 7 II SLP1G; § 7 I 1 schlhLPlG. § 3 I hessLPIG nennt nur die Feststellung durch die Landesregierung. § 5 III Nr. 1 bwLPIG; Art. 14 II 1 BayLPIG; § 5 III 1 NROG; § 7 III 1 u. 2 SLP1G. Zur Beteiligung der Gemeinden in N W über den Bezirksplanungsrat OVG Münster, NVwZ 1984, 3 8 8 ff. 1 7 0 § 5 III Nr. 1 bwLPIG; Art. 14 II 1 BayLPIG; § 5 III 1 NROG; § 7 I 1 schlhLPlG. 171 § 5 III Nr. 2 bwLPIG; § 5 III 2 NROG; § 13 II 1 LP1GNW. 1 7 2 Art. 14 I 1 BayLPIG; § 5 III 1 NROG; § 13 II 3 LP1GNW; § 1 1 I 1 rhpfLPIG; § 7 II SLP1G; § 7 III schlhLPlG. ™ Art. 14 I 2 BayLPIG; § 13 I 2 hessLPIG; § 11 I 1 rhpfLPIG; § 7 II SLP1G; § 7 III schlhLPlG. 1 7 4 § 5 II bwLPIG; Art. 14 III BayLPIG; § 3 I hessLPIG; § 5 V 2 NROG; § 13 II 3 LP1GNW; § 11 I 3 u. 4 rhpfLPIG. 175 Peine, RaumplanungsR, 7 2 f; Braese (Fn.99), 90, 96, 101 ff. 176 Ygi ,Ji e Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung „Bürgerbeteiligung in der Raumordnung und Landesplanung" v. 1 . 1 . 1 9 8 3 , abgedr. bei Bielenberg/Erbguth/ Söfker, RaumOR, B 3 2 0 Nr. 4; ausführl. u. differenzierend: Wahl, in: Blümel, Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, 113 ff. 167
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beschluß 177 über die Rechtsverordnung 178 bis zur Gesetzesform 179 . Die Rechtswirkungen der Pläne und Programme sind unabhängig von der Rechtsform nach Aussagetypen zu differenzieren 180 . Seinem Inhalt nach spezifiziert der Landesentwicklungs(raumordnungs)plan 61 bzw. das -programm die Grundsätze des § 2 I ROG und/oder Grundsätze des Landesrechts, indem seine Ausweisungen regelmäßig 181 die Ziele der Raumordnung und Landesplanung festlegen 182 . Zum Teil benennen die Landesplanungsgesetze als Mindestinhalt in Ausführung des § 5 II 1 ROG die Einteilung des Gebiets nach Raumkategorien — also die Ausweisung von Verdichtungsräumen, deren Randzonen, ländlichen Räumen und deren Verdichtungsbereichen — die Ausweisung von Oberzentren und Mittelzentren im Sinne des zentralörtlichen Gliederungskonzepts, die Bestimmung von Entwicklungsachsen sowie die Ausweisung von besonders zu entwickelnden Räumen, etwa strukturschwache Fördergebiete oder ökologische Vorrangbereiche 183 . Fachliche Entwicklungspläne sind sachliche Teilpläne, die Grundsätze und/oder 62 Ziele der Raumordnung und Landesplanung im Hinblick auf einen fachlichen Aspekt, etwa Verkehr oder Naturschutz, formulieren 184 . Sie dürfen nicht mit den nicht zur Landesplanung zählenden Fachplanungen verwechselt werden. d) Planvorbereitende, planbegleitende und plansichernde Instrumente: Verschie- 63 dene Instrumente dienen auf Landesebene in planvorbereitender und -begleitender Funktion der Raumbeobachtung, der Beratung, der wechselseitigen Unterrichtung und Abstimmung und der Plansicherung. Das den Ländern nunmehr rahmenrechtlich vorgegebene Raumordnungsverfahren ist oben 185 bereits beschrieben worden. Für die neuen Bundesländer ist § 6 a IX ROG zu beachten. Zur überschaubaren Bestandsaufnahme der vorhandenen und vorgesehenen Raumnutzungen gibt es in einigen Ländern Raumordnungskataster, die die raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen enthalten 186 . Entsprechend der rahmenrechtlichen Vorschrift des § 10 III ROG sind umfassende wechselseitige Unterrichtungs-, Beratungs-, Auskunfts- und Mitteilungspflichten vorgesehen 187 . Der Unterstützung bei der Planerarbeitung dienen Landesplanungsbeiräte, die je unterschiedlich mit Vertretern kommunaler Gremien sowie von Organisationen, die durch 177
§ 3 I hessLPIG; § 5 V N R O G ; § 13 II 3 LP1GNW; § 1 1 1 2. HS rhpfLPIG; § 7 II SLP1G; § 7
I—III schlhLPlG. 178 179 180 181
182 183 184 185 186 187
§ 6 I bwLPIG; Art. 14 III BayLPIG. Nur für die „allgemeinen" Ziele: § 2 I hessLPIG; § 5 IV N R O G ; § 12 LP1GNW. Oben Rn. 5 5 ff. Zum Sondermodell in Hessen oben Rn. 5 4 u. Steinberg, in: Meyer/Stolleis, HessStVwR, 3 1 6 ff. Vgl. aber § § 3 I 1, 6 III 1 bwLPIG. Vgl. § 3 II bwLPIG; Art. 13 II BayLPIG; § 10 I rhpfLPIG; § 6 I SLP1G; § 5 schlhLPlG. § 4 bwLPIG; Art. 15 I i. V. m. Art. 4 I BayLPIG; § 13 III 2 LP1GNW; § 4 III 2 SLP1G. Rn. 49. Zu den Länderbestimmungen Fn. 130. § 19 bwLPIG; § 12 N R O G ; § 16 SLP1G; § 18 schlhLPlG. Vgl. § § 1 2 , 18 bwLPIG; Art. 2 0 BayLPIG; § 1 0 hessLPIG; § 1 3 N R O G ; § § 4 2 , LP1GNW; §§ 22, 23 rhpfLPIG; § 15 SLP1G; § 19 schlhLPlG.
43
303
4. Abschn. II 3
Walter Krebs
raumbedeutsame Planungen in ihren Aufgaben und Interessen betroffen sind, und mit Sachverständigen besetzt sein können188. Ein wichtiges Instrument der Plansicherung stellt die bereits rahmenrechtlich vorgegebene, landesrechtlich teilweise auf die Möglichkeit der Sicherung bestehender Ziele ausgedehnte Untersagung dar189. Daneben bestehen in einigen Ländern noch besondere Vorschriften, die mit einem den § 1 IV BauGB konkretisierenden und ergänzenden Regelungsgehalt die Gemeinden zur Abstimmung ihrer Bauleitplanung verpflichten19°. Teilweise wird die Landesplanungsbehörde ermächtigt, eine Anpassung ausdrücklich zu verlangen191 bzw. noch weitergehend eine die Ziele der Raumordnung und Landesplanung realisierende Planung zu gebieten (PlanungsgebotJ192. Die meisten Landesplanungsgesetze sehen vor, daß der Landtag durch die Landesregierung über die Entwicklung des Landes in einem in regelmäßigen Abständen anzufertigenden Bericht informiert wird (Landesentwicklungs-/Raumordnungsbericht)193.
3. Regionalplanung 64
Die Regionalplanung befaßt sich als dritte Stufe der Raumplanung mit der Aufstellung zusammenfassender Programme oder Pläne für Teilgebiete des Landes, die landesrechtlich als (Planungs-)Regionen festgesetzt werden194. Mit Ausnahme des Saarlands und der Stadtstaaten haben die Länder des alten Bundesgebietes gemäß § 5 III ROG eine Regionalplanung195, Schleswig-Holstein zusätzlich eine Kreisentwicklungsplanung196 institutionalisiert. Da die Regionalplanung zwischen hochstufiger Landesplanung und kommunaler Bauleitplanung steht und für die gemeindliche Planung häufig schon sehr konkrete Vorgaben enthält, schreibt § 5 III 2 ROG mit alternativen Modellen Formen der Planungsorganisation vor, die die gemeindliche Rolle in Richtung eines kommunalen und staatlichen Zusammenspiels stärken197. Dementsprechend sind als Planungsträger regelmäßig entweder Zusammenschlüsse von Gemeinden und Gemeindeverbänden zu regionalen Pla-
Art. 11, 12 BayLPIG; § 13 hessLPIG; §§ 7, 8 rhpfLPIG; § 9 SLP1G, §§ 9, 10 schlhLPlG. § 1 5 bwLPIG; Art. 24 BayLPIG; § 1 2 hessLPIG; § 1 5 NROG; § 2 2 LP1GNW; § 1 9 III rhpfLPIG; § 14 SLP1G, § 15 schlhLPlG. 1 9 0 § 20 LP1GNW; § 20 rhpfLPIG; § 16 schlhLPlG. 191 § 17 NROG; § 21 I LP1GNW. 192 § 21 II LP1GNW; § 12 II SLP1G. 193 § 20 I bwLPIG; Art. 19 BayLPIG; § 10 NROG; § 39 LP1GNW; § 17 rhpfLPIG; § 17 II SLP1G; § 20 schlhLPlG. 1 9 4 Vgl. § 22 bwLPIG; Art. 13 II Nr. 1 BayLPIG; Teil B Nr. 1 der Anl. zu § 1 hessFeststG; § 14 I rhpfLPIG i. V. m. dem LandesregionenG. In Niedersachsen ist die Planungsregion das Kreisgebiet (vgl. §§ 7 I, 8 I NROG), in Nordrhein-Westfalen der Regierungsbezirk (vgl. §§ 1 III, 14 I LP1GNW). 195 § § 8 ff bwLPIG; Art. 1 7 f BayLPIG; § § 4 f f hessLPIG; SS6ff NROG; §§ 14ff LP1GNW; SS 12ff rhpfLPIG; S 6 schlhLPlG. i « SS 11 ff schlhLPlG. 197 Zur Regionalplanung u. angemessener kommunaler Beteiligung Scbmidt-Aßmann, AöR 101 (1976), 5 2 0 (533 ff). 188
189
304
Baurecht
4.Abschn.
II 3
nungsgemeinschaften198 oder die Kreise und kreisfreien Städte für ihr Gebiet199 oder eigens eingerichtete Vertretungsorgane (Regionalverbände, regionale Planungsversammlung, Bezirksplanungsrat)200 eingesetzt. Daneben nimmt zum Teil die obere Landesplanungsbehörde unterstützende, mitwirkende oder Aufsichtsaufgaben wahr201. Nur Schleswig-Holstein hat die Regionalplanung ausschließlich staatlich, aber mit gemeindlicher Beteiligung organisiert202. Soweit der Regionalplan nicht ohnehin (wie in Schleswig-Holstein) von der 65 Landesplanungsbehörde festgestellt wird, erlangt er Rechtsverbindlichkeit nicht schon mit dem Beschluß des Planungsträgers, sondern erst über eine — in unterschiedlicher Terminologie — Genehmigung, Verbindlichkeitserklärung oder Feststellung, für die in den meisten Ländern die oberste Landesplanungsbehörde zuständig ist203. Bereits dadurch unterliegt der Plan also staatlicher Aufsicht. Der im Rahmen der Genehmigung anzulegende Kontrollmaßstab ist in einigen Ländern als Rechtmäßigkeitskontrolle, in anderen Ländern als eingeschränkte oder uneingeschränkte Zweckmäßigkeitskontrolle ausgestaltet204. Die Rechtsform des Regionalplans hat das Landesrecht nur vereinzelt im Sinne 66 einer Satzung geregelt205. Inhaltlich konkretisiert und ergänzt die Regionalplanung die Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung für das jeweilige Gebiet, indem regionalplanerische Ziele aufgestellt werden, deren Mindestinhalt die Landesplanungsgesetze teilweise vorgeben und ihn so an den Gehalt der in der hochstufigen Landesplanung festgesetzten Ziele anpassen206. Ebenso wie die in den Landesentwicklungs(raumordnungs)plänen bzw. -programmen festgelegten Ziele haben die regionalplanerischen Ziele Rechtsnormqualität207, und dementsprechend gelten die bereits genannten inhaltlichen Rechtmäßigkeitsanforderungen208.
Art. 6 ff BayLPIG; SS 15 f rhpfLPIG. § 7 I 1 NROG (s. auch § 8 I 2. HS NROG: Flächennutzungsplan ersetzt in den kreisfreien Städten das regionale Raumordnungsprogramm). 200 § § 2 2 ff bwLPIG; § § 5 ff hessLPIG; § § 5 ff LP1GNW. 2 0 1 Art. 5 II, 6 III, 9 I BayLPIG; § 6 VII 1 hessLPIG; § § 3 , 15 LP1GNW; § 16 VIII rhpfLPIG. 2 0 2 SS 7 I 1 u. 2 u. II 1 schlhLPlG. 2 0 3 S 10 I bwLPIG (für die Grundsätze u. Ziele eines durch Satzung festgestellten Regionalplans); Art. 18 II BayLPIG; § 7 IV hessLPIG (Landesregierung); § 8 IV 1 NROG; § 16 LP1GNW; S 13 III rhpfLPIG. 204 Ygi § 8 i y 2. HS NROG als Rechtmäßigkeitskontrolle einerseits u. die zusätzl. zur Rechtmäßigkeitskontrolle vorgesehene, u. U. eingeschränkte Zweckmäßigkeitskontrolle andererseits in S 10 I bwLPIG; Art. 18 II 2 BayLPIG i . V . m . Art. 95 II LKrO; § 13 III 2 rhpfLPIG. Undeutl.: SS 7 II 2 u. IV hessLPIG u. S 16 I 1 LP1GNW. 198
199
205 20 «
207
2°8
S 9 VI bwLPIG; § 8 IV 1 NROG. S 8 bwLPIG; Art. 17 I und II BayLPIG; $6 NROG; § 1 4 1 u. II LPIGNW; $ 1 2 rhpfLPIG; § 6 schlhLPlG. Str.; vgl. Lohr, DVB1. 1980, 13 ff; Schmidt-Aßmann, DÖV 1981, 2 3 7 (238 f). Aus der Rspr.: VerfGH NRW, StuGR 1990, 33 ff = (gekürzt) DVB1. 1990, 4 1 7 ff - zu den Ausweisungen eines nordrh.-westf. Gebietsentwicklungsplans. Oben R n . 5 7 . Vgl. auch Schmidt-Aßmann, DÖV 1981, 2 3 9 ff.
305
4. Abschn. II 4 b aa
Walter Krebs
4. Rechtsschutzfragen des Raumordnungsrechts 67
a) Rechtssckutzkonstellationen: Die denkbaren Rechtsschutzbegehren im Bereich des Raumordnungsrechts sind vielfältig209. So kann sich z. B. eine Gemeinde gegen die Festlegung bestimmter Ziele der Raumordnung und Landesplanung (etwa Ausweisung von Freiraumflächen im Gemeindegebiet) zur Wehr setzen wollen. Umgekehrt kann die Gemeinde aber auch an der Festlegung solcher Ziele interessiert sein. Weiterhin können Regionalplanungsträger die Genehmigung oder Verbindlichkeitserklärung zu einem Regionalplan, Gemeinden die Genehmigung eines Bauleitplans begehren, die jeweils unter Berufung auf entgegenstehende höherstufige Ziele der Raumordnung und Landesplanung versagt wurde. Rechtsschutz kann auch gegen das Verlangen der Landesplanungsbehörden auf Anpassung von Bauleitplänen, gegen Planungsgebote oder gegen Untersagungsverfügungen gesucht werden. Der Vielfalt der denkbaren Rechtsschutzbegehren entspricht die Vielfalt der einschlägigen Rechtsschutzformen. Von ihnen hängen die näheren Modalitäten der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ab.
b) Gerichtsschutz gegen Raumordnungspläne: aa) Verfahrensarten: Raumordnungspläne bzw. die in den Plänen enthaltenen Ziele der Raumordnung und Landesplanung können Gegenstand „inzidenter" gerichtlicher Kontrollen sein. Kommt es für die Entscheidung einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder Feststellungsklage auf die Rechtsverbindlichkeit solcher Pläne bzw. Ziele an, unterliegen sie der gerichtlichen Überprüfung. 69 Will sich eine Gemeinde unmittelbar gegen einen Raumordnungsplan gerichtlich Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen, kommt dafür zum einen die kommunale vor dem BVerfG (Art. 93 I Nr. 4 b GG) bzw., bei entsprechender landesrechtlicher Regelung, vor dem jeweiligen Landesverfassungsgericht in Betracht. Zum anderen ist ein Antrag auf prinzipale verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gemäß § 47 I Nr. 2 VwGO möglich, wenn das Landesrecht diese fakultative Normenkontrolle eingerichtet hat. 70 Sowohl die Normenkontrolle nach § 47 I Nr. 2 VwGO als auch die bundes- oder landesrechtlichen kommunalen Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Rechtsnormen. So knüpft die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 b GG an „Gesetze" an, wobei das BVerfG diesen Begriff auf „alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen..., die Außenwirkung gegenüber einer Kommune entfalten" 210 , erstreckt. Die die Selbstverwaltungsgarantie betreffenden Rechtsschutzmöglichkeiten der Kommunen nach Landesrecht nennen als Beschwerdegegenstand
68
209
210
306
Ausführl. zum Rechtsschutz im Raumordnungsrecht Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, Rn. 281 ff; Weidemann, Gerichtlicher Rechtsschutz der Gemeinden gegen regionale Raumordnungspläne, 1983. BVerfGE 76, 107 (114); vgl. auch BVerfGE 56, 298 (309); 71, 25 (34).
Baurecht
4. Abschn. II 4 b bb
„Gesetze" 211 , „Rechtsvorschriften" 212 , „Landesrecht" 213 bzw. ein „Gesetz oder die Handlung eines Verfassungsorgans" 214 . Die prinzipale Normenkontrolle bezieht sich auf im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften. bb) Rechtsnatur der Raumordnungspläne bzw. der Ziele der Raumordnungs71 und Landesplanung: Das ROG als Rahmenrecht enthält keine Aussagen zur Rechtsform der Raumordnungspläne oder der in ihnen enthaltenen Zielvorgaben. Gibt das Landesplanungsgesetz als Rechtsform der Raumordnungspläne die Rechtsverordnung215 oder die Satzung216 vor, handelt es sich schon auf Grund der gesetzlichen Zuordnung um Rechtsvorschriften. Aber auch wenn das Landesrecht keine entsprechende explizite Zuordnung vornimmt, ist man sich inzwischen217 weitgehend einig, daß den Plänen bzw. den Zielen der Raumordnung und Landesplanung die Qualität einer Rechtsnorm mit Außenwirkung gegenüber rechtlich selbständigen Normadressaten, also etwa den Gemeinden, zukommt 218 . Die Zielvorgaben sind schließlich mit der „Beachtenswirkung" des § 5 IV ROG ausgestattet, und ein derartiger Verpflichtungs- und Verbindlichkeitscharakter kann nur kraft Rechts begründet werden 219 . Fraglich ist allerdings, ob der Plan insgesamt oder die Ziele der Raumordnung und Landesplanung als die der gerichtlichen 211
212
213 214 215 216 217 218
219
Art. 76 bwVerf.; Art. 123 saarlVerf. Der bad.-württ. Staatsgerichtshof beschränkt dabei den Gesetzesbegriff auf förml. Gesetze, vgl. StGH, ESVGH 27, 185 ff = DÖV 1977, 7 4 4 f, so daß danach die als Rechtsverordnung bzw. als Satzung erlassenen Raumordnungspläne als Kontrollgegenstand ausscheiden. Art. 98 S. 4 Bay Verf., Art. 53 I VerfGHG. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof weist dem in Art. 11 II Bay Verf. verankerten Selbstverwaltungsrecht Grundrechtsähnlichkeit u. insoweit den Gemeinden die Möglichkeit der Popularklage zu. Vgl. BayVerfGH, N V w Z 1984, 711 ff. § 5 2 VfGHG i. V. m. Art. 78 Verf. NW. Art. 130 rhpfVerf. § 6 I bwLPIG; Art. 14 III BayLPIG für den Landesentwicklungsplan bzw. das -programm. § 9 VI bwLPIG; § 8 IV 1 N R O G für Regionalpläne. Zur früheren Diskussion s. die ausführl. Darstellung bei Erbguth, DVB1. 1981, 5 5 7 ff. BVerfGE 76, 107 (114) für die Regelungen in Teil II des nds. LROP; VerfGH N R W , StGuR 1990, 3 3 (34) = (gekürzt) DVB1. 1990, 4 1 7 (417) für Ausweisungen des Gebietsentwicklungsplans; dazu auch Beckmann, StGuR 1990, 87 (88); V G H München, BayVBl. 1982, 7 2 6 (726 f) für einzelne Ziele der Landesplanung nach Art. 26 BayLPIG; V G H München, BayVBl. 1984, 2 4 0 (241 f) für einen sachl. Teilabschnitt des Regionalplans über die Bestimmung von Kleinzentren; O V G Lüneburg, ZfBR 1986, 2 8 7 (287, LS) für Ziele der Raumordnung in Teil II des nds. LROP. Aus der Literatur s. nur Grooterhorst, NuR 1986, 2 7 6 (279 ff) m.w.Nachw.; Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR R n . 2 9 3 f f . Vgl. auch Steiner, in: ders., Bes. VwR, Rn. 67 ff (kein Rechtsnormcharakter, sondern Hoheitsakte sui generis). Die Qualifizierung als Rechtsnorm hat dennoch lange Zeit Schwierigkeiten bereitet, weil man den Rechtsnormbegriff für generell-abstrakte Rechtssätze des Außenrechts vorbehalten hat u. Ziele der Raumordnung u. Landesplanung sich den insoweit zur Verfügung stehenden traditionellen Handlungsformen u. den darauf abgestimmten Rechtmäßigkeitsanforderungen nicht bruchlos anpassen. Auch im Rahmen der gerichtl. Kontrolle wird der Rechtsnormbegriff mittlerweile offener verstanden; vgl. etwa BVerwG, BayVBl. 1988, 2 4 9 f.
307
4. Abschn. Ill 1
Walter Krebs
Kontrolle unterliegenden Rechtsnormen anzusehen sind220. Insofern ist zu vergegenwärtigen, daß sich die Rechtsnormqualität des Plans auf die Planaussagen beschränkt, die Rechtsverbindlichkeit beanspruchen, also regelmäßig auf die Ziele der Raumordnung und Landesplanung. 72
cc) Kontrollmaßstäbe für die Rechtmäßigkeit festgelegter Ziele der Raumordnung und Landesplanung221 sind zum einen die Kompetenz- und Verfahrensregelungen, insbesondere die Beteiligungs- und Publikationsbestimmungen. Zum anderen ist die Einhaltung der Vorschriften zu beachten, die Rechtsvorgaben für den Planinhalt enthalten, so z. B. die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, das Bestimmtheitsgebot, höherstufige Planvorgaben (z.B. eines Landesentwicklungsplans für den Regionalplan) oder auch die Plandirektiven der Raumordnungsgrundsätze des § 2 I ROG. Beim Abwägungsgebot ist die Kontrollintensität wegen des planerischen Gestaltungsspielraums zurückgenommen. Insoweit weist die Kontrolle landesplanerischer Pläne und Zielvorgaben Parallelen mit der gerichtlichen Kontrolle gemeindlicher Bauleitplanung auf 222 .
III. Städtebaurecht 1. Typen der Bauleitplanung 73
Der Vorgang der Entscheidungsfindung über eine „geordnete städtebauliche Entwicklung" 223 ist die Bauleitplanung. Ihre Aufgabe ist es gemäß § 1 I BauGB, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde „vorzubereiten und zu leiten". Der Prozeß der Bauleitplanung mündet in Bauleitpläne, für die das BauGB zwei Typen vorsieht, nämlich den Flächennutzungsplan und den Bebauungsplan (§ 1 II BauGB) 224 . Dabei ist der gesamte Planungsprozeß vom BauGB als zweistufige Abfolge geregelt. Zunächst ist als „vorbereitender Bauleitplan" (§ 1 II BauGB) der Flächennutzungsplan aufzustellen, und aus ihm heraus soll als „verbindlicher Bauleitplan" der Bebauungsplan entwickelt werden (§ 8 II 1 BauGB). Ein Bebauungsplan darf nur dann aufgestellt, geändert oder aufgehoben werden, bevor der Flächennutzungsplan aufgestellt ist, wenn dringende Gründe es erfordern und der Plan der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung des Gemeindegebiets nicht entgegen220
Explizit auf den Plan stellen ab etwa Lohr, DVB1. 1980, 13 (15); Grooterhorst, NuR 1986, 2 7 6 (279); s. auch Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, R n . 2 9 3 f f . Demgegenüber an die Ziele anknüpfend Steiner, in: ders., Bes. VwR, Rn. 67 ff; vgl. auch die Rsprnachw. in Fn. 218.
221
Ausführl. Hoppe, in: Hoppe/Schoeneberg, RaumOR, Rn. 439 ff; vgl. auch Aßmann/Trute, in: Maurer/Hendler, BwStVwR, 371 ff.
222
Vgl. unten Rn. 2 2 8 . § 1 V 1 BauGB. Für die neuen Länder sowie Ost-Berlin stellt § 2 4 6 a I 1 Nr. 6 BauGB i . V . m . § 5 5 BauZVO zusätzl. das Instrument der Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan zur Verfügung. Sie ist kein Bauleitplan (Bielenberg, DVB1. 1990, 1 3 1 4 [1318]), begründet aber wie ein Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben. Vgl. zum Vorhaben- u. Erschließungsplan näher unten Rn. 142.
223 224
308
Schmidt-
Baurecht
4. Abschn. III 1 a aa
stehen wird („vorzeitiger Bebauungsplan", § 8 IV BauGB). Nach § 8 III BauGB können Flächennutzungsplan und Bebauungsplan gleichzeitig aufgestellt, geändert, ergänzt oder aufgehoben werden („Parallelverfahren"22S). Nur ausnahmsweise darf auf den Flächennutzungsplan verzichtet werden, wenn der Bebauungsplan zur Ordnung der städtebaulichen Entwicklung ausreicht (§ 8 II 2 BauGB). Eine weitere — befristete — Ausnahme sieht § 1 II 1 BauGBMaßnG 226 vor. Danach können unter bestimmten Voraussetzungen Bebauungspläne zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs aufgestellt, geändert oder ergänzt werden, ohne daß zuvor der Flächennutzungsplan entsprechend geändert oder ergänzt wurde. Für das Gebiet der neuen Bundesländer und Ost-Berlins erleichtert § 246 a l l Nr. 3 BauGB i. V. m. § 8 IV BauZVO die Aufstellung vorzeitiger Bebauungspläne. Pläne können die verschiedensten Rechtsformen, z.B. Verwaltungsakt oder 74 Gesetz, haben und in den verschiedensten Gestaltungen erscheinen. Für die von den Bauleitplänen zu leistenden Darstellungen und Festsetzungen der unterschiedlichen Bodennutzungen wird der üblicherweise sprachlich formulierte Rechtssatz häufig ein ungenügendes, teilweise ungeeignetes Ausdrucksmittel sein. Daher sah früher § 9 I BBauG ausdrücklich für den Bebauungsplan die Verwendung von „Zeichnung, Farbe, Schrift oder Text" vor. Das galt unausgesprochen auch für den Flächennutzungsplan, und an dieser Rechtslage hat sich durch den Wegfall dieses Zusatzes in § 9 I BauGB ersichtlich nichts geändert227. Das folgt auch aus der Ermächtigung des § 2 V Nr. 4 BauGB zum Erlaß einer Planzeichenverordnung (PlanzVO), die für die äußere Gestaltung der Bauleitpläne verbindlich ist228. Die Gemeinde hat zwischen den genannten Medien die Wahl. Erforderlich ist nur, daß die Planaussagen klar und unmißverständlich sind229. Dafür bietet sich häufig die Kombination der Festsetzungsmittel an. Der Text dient oft der Erläuterung der zeichnerischen Darstellung. Nach § 5 V BauGB ist dem Flächennutzungsplan ein Erläuterungsbericht beizufügen. a) Flächennutzungsplan: 75 aa) Inhalt: Der Flächennutzungsplan soll nach § 5 I 1 BauGB für das gesamte (Ausnahme: § 5 I 2 BauGB sowie für die neuen Bundesländer und Ost-Berlin § 246 a l l Nr. 1 BauGB i. V. m. § 5 I 3 BauZVO) Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in Grundzügen darstellen. Ihm kommt die doppelte Aufgabe der Umsetzung übergeordneter Planungen und der Steuerung nachfolgender Planungen zu 230 . Damit verknüpft der Flächennutzungsplan die überörtliche Raumordnung und Landesplanung231 mit der für das jeweilige 225
Vgl. dazu BVerwG, NVwZ 1985, 485 ff; Seewald, DÖV 1981, 849 ff. Die Regelung gilt nicht in den neuen Bundesländern u. Ost-Berlin, vgl. Rn. 11. 227 Yg[ n u r Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 5 Rn. 20. 228 Text u. Kommentar bei Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Abschn. PlanzeichenVO u. bei Leder, BauNVO, PlanzVO, 4. Aufl., 1990. 229 Dazu BVerwGE 42, 5 ff. 230 Zu Aufgabe u. Funktion statt anderer Lohr, in: BattislKrautzberger/Löhr, BauGB, § 5 Rn.4. 231 Dazu oben Rn. 34 ff. 226
309
4. Abschn. Ill 1 a aa
Walter Krebs
Gemeindegebiet. Seinen programmatischen Charakter verdeutlicht das Gesetz mit der Forderung, daß er an den „voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde" ( § 5 1 1 BauGB) auszurichten ist. Der Flächennutzungsplan soll damit die künftige städtebauliche Entwicklung in der Gemeinde darstellen und steuern. 76 §5 BauGB nennt als Inhalte eines Flächennutzungsplans Darstellungen (Abs. 2), Kennzeichnungen (Abs. 3, aber auch Abs. 2 Nr. 1, HS 2) und nachrichtliche Übernahmen (Abs. 4 S. 1). Dem in Abs. 5 genannten Erläuterungsbericht kommt die Funktion zu, die wesentlichen Aussagen des Flächennutzungsplans darzulegen und verständlich zu machen232. Seine programmatischen Aussagen über die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde kommen im wesentlichen in den Darstellungen zum Ausdruck. Welche der in dem nicht erschöpfenden233 Katalog des §5 II BauGB genannten Darstellungsmöglichkeiten die Gemeinde in den Flächennutzungsplan aufnimmt, steht in ihrem Ermessen („können") und hängt von ihrem planerischen Konzept ab. Der damit eröffnete weite planerische Gestaltungsspielraum wird begrenzt durch das Erfordernis, die städtebauliche Entwicklung in ihren Grundzügen darzustellen ( § 5 1 1 BauGB) 234 . Der Flächennutzungsplan stellt insbesondere die Nutzungsformen für die einzelnen Gemeindegebiete dar, so z. B. Baugebiete und -flächen (Nr. 1), Verkehrsflächen (Nr. 3) oder Grünflächen (Nr. 5). Die Art und Weise der Darstellbarkeit der baulichen Nutzung (§ 5 II Nr. 1 BauGB) regelt die BauNVO. 77 Aus seinem Charakter als „vorbereitender Bauleitplan" folgt für den Flächennutzungsplan, daß er noch der weiteren Konkretisierung durch den Bebauungsplan zugänglich sein muß. Daher beschränkt § 5 11 BauGB den Flächennutzungsplan auf die Darstellung der Grundzüge. Eine parzellenscharfe Darstellung gehört nicht zu den Grundzügen und ist nicht Aufgabe des Flächennutzungsplans, sondern des Bebauungsplans. Die, technisch unumgängliche, grenzscharfe zeichnerische Darstellung bringt allerdings eine „überschießende Genauigkeit"235 mit sich, die mehr enthält, als zu den Grundzügen zählt. Dieses Übermaß an Präzision ist mit Hilfe des Erläuterungsberichts zurückzunehmen, der deutlich zu machen hat, was zu den Grundzügen der sich aus der beabsichtigten Entwicklung ergebenden Art der Bodennutzung gehört. 78 Soweit in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin vor der Wiedervereinigung am 3 . 1 0 . 1 9 9 0 nach damaligem Recht wirksame sog. Generalbebauungspläne, Leitplanungen und Ortsgestaltungskonzeptionen236 bestanden haben und diese Darstellungen im Sinne des § 5 I 1 BauGB über die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung des Gemeindegebiets in den Grundzügen enthalten, gelten sie nach Maßgabe des § 246 a IV BauGB i. V. m. § 64 I, II Bau ZVO als Flächennutzungsplan fort 237 . Vgl. Lohr, in: BattislKrautzberger/Löhr, BauGB, § 5 Rn. 9. Finkelnburg, in: dersJOrtloff, BauR I, 60; Söfker, in: Bielenberg! KrautzbergerlSöflzer, BauGB, § 5 Rn.20. 234 Vgl. Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 5 Rn. 10. 235 Lohr, in: Battis/KrautzbergerILöhr, BauGB, § 5 Rn. 8. 236 Yg[ z u diesen Planwerken u. ihren Rechtsgrundlagen Krautzberger, GuG 1991, 1 (5f). 2 3 7 Dazu näher Rn. 121.
232 233
310
Baurecht
4. Abschn. III 1 a bb
bbj Rechtswirkungen: Der Gesetzgeber hat die Rechtswirkungen des Flächen- 79 nutzungsplans differenziert geregelt. Rechtsverbindlichkeit kommt ihm zunächst für die gemeindeinterne Planung zu. Bebauungspläne sind nach § 8 II 1 BauGB „aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln". Damit unterstreicht das Gesetz seine Funktion als Steuerungsinstrument für die städtebauliche Entwicklungsplanung in der Gemeinde. Der Flächennutzungsplan hat aber auch gemeindeexterne planbindende Rechtswirkungen, indem er für andere Planungsträger, insbesondere Fachplanungsträger, unter den Voraussetzungen des § 7 BauGB Anpassungspflichten begründen kann. Gegenüber dem Bürger kann der Flächennutzungsplan zwar erhebliche faktische 80 Bedeutung erlangen, etwa wenn durch seine Darstellung eine Fläche zum Baugebiet hochgestuft wird (sog. Bauerwartungsland); allerdings kommt ihm keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit zu. Insbesondere richtet sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans die Zulässigkeit eines Bauvorhabens ausschließlich nach dessen Festsetzungen (§ 30 BauGB). Der Flächennutzungsplan verleiht auch keinen Anspruch auf Erteilung einer seinem Inhalt entsprechenden Baugenehmigung238. Im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) bleibt er nach Auffassung der BVerwG für die Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben ebenfalls außer Betracht239. Allerdings ist der Flächennutzungsplan für den Bürger keineswegs rechtlich bedeutungslos. Vielmehr äußert er auch ihm gegenüber mittelbare Rechtswirkungen insofern, als nach § 35 III 1 BauGB ein Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigen und damit unzulässig sein kann, wenn es den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht. Das gilt auch für die sog. privilegierten Vorhaben des § 35 I BauGB240. Darüber hinaus kann der Flächennutzungsplan bedeutsam für die Beurteilung werden, ob eine Teilungsgenehmigung wegen der Unvereinbarkeit der Teilung „mit einer übergeordneten städtebaulichen Entwicklung" zu versagen ist ( § 2 0 1 Nr. 3 BauGB)241. Wegen seiner differenziert gestalteten Rechtswirkungen bereitet die Bestimmung 81 der Rechtsnatur des Flächennutzungsplans242 Schwierigkeiten. Die Rechtsform der Satzung hat § 10 BauGB dem Bebauungsplan vorbehalten. Im Hinblick darauf, daß der Flächennutzungsplan nicht an den Bürger adressiert ist, wird ihm eine unmittelbare Rechtswirkung „nach außen" (§ 35 VwVfGe) abgesprochen243. Er soll eine hoheitliche Maßnahme eigener Art ohne Rechtsnormqualität sein244. Daran ist richtig, daß sich der Flächennutzungsplan den vertypten Rechtsformen des Außenrechts nicht zuordnen läßt. Hält man den Begriff der Rechtsnorm für eine Kategorie des Außenrechts, ist auch die Aussage nachvollziehbar, der Flächennutzungsplan sei VGH München, BayVBl. 1971, 63. BVerwGE 35, 2 5 6 (257f); 62, 151 (152 f). 240 BVerwGE 6 8 , 3 1 1 (313). Allerdings führt der Widerspruch zum Flächennutzungsplan nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit, vgl. BVerwG, UPR 1 9 9 0 , 3 0 ff; VGH Mannheim, NVwZRR 1991, 2 3 2 f. Zur Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 BauGB unten Rn. 132 ff. 238 239
241 242 243 244
Vgl. Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 5 Rn. 47. Ausführl. dazu Lohr, Die kommunale Flächennutzungsplanung, 1977, 133 ff m. Nachw. Z . B . VGH Mannheim, BRS 27, Nr. 17; Friauf, Voraufl., 5 0 7 . BVerwG, NVwZ 1991, 2 6 2 (263); OVG Lüneburg, DVB1. 1971, 3 2 2 (323); VGH Mannheim, BRS 27, Nr. 17; Finkelnburg, in: ders.lOrtloff, BauR I, 5 6 . 311
4. Abschn. Ill 1 b aa
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keine Rechtsnorm. Gleichwohl ist diese Begrifflichkeit fragwürdig, weil sie suggeriert, der Flächennutzungsplan habe keine Rechtsqualität. Das ist aber gerade — wie gesehen — nicht der Fall. Große praktische Bedeutung hat diese Diskussion allerdings nicht. b)
82
Bebauungsplan:
aa) Inhalt: „Der Bebauungsplan enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung" ( § 8 1 1 BauGB). Er soll also auch gegenüber dem Bürger die Bodennutzung rechtlich regeln. Zu diesem Zweck muß der Bebauungsplan anders als der „vorbereitende" Flächennutzungsplan seine Festsetzungen „parzellenscharf" treffen. Er kann sich wie der Flächennutzungsplan auf das ganze Gemeindegebiet erstrecken, was selten vorkommen wird, oder aber auch, wenn städtebauliche Erfordernisse dies gebieten, nur für ein einzelnes Grundstück Festsetzungen treffen 245 . Regelmäßig bezieht er sich jedoch auf größere oder kleinere Teile des Gemeindegebiets. Die Inhalte des Bebauungsplans regelt § 9 BauGB. Danach kann der Bebauungsplan „Festsetzungen" (Abs. 1), „Kennzeichnungen" (Abs. 5) und „nachrichtliche Übernahmen" (Abs. 6) enthalten. Ihm ist notwendig eine Begründung beizufügen (Abs. 8). 83 Der Bebauungsplan ist in der Regel eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grundeigentums i. S. des Art. 14 1 2 GG 246 . Seine rechtsverbindlichen Regelungen müssen daher auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Deshalb sind die in § 9 I BauGB genannten Festsetzungen erschöpfend.147. Zusätzlich enthält § 9 IV BauGB eine Ermächtigung zugunsten des Landesrechts 248 . Der Katalog möglicher Festsetzungen muß allerdings nicht ausgeschöpft werden; welche Festsetzungen die Gemeinde trifft, hängt von ihrer planerischen Konzeption ab. Enthält der Bebauungsplan zumindest die in § 30 I BauGB genannten Festsetzungen, handelt es sich um einen sog. qualifizierten Bebauungsplan, sonst um einen vom Gesetz sog. einfachen Bebauungsplan (§ 30 II BauGB). Diese Differenzierung ist für die Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben rechtserheblich 249 . 84 § 9 I BauGB sagt nichts über den näheren Inhalt der Festsetzungen, also etwa, wie detailliert sie sein müssen. Maßgeblich ist hierfür § 1 III, V und VI BauGB. Aus seiner „phasenspezifischen Funktion"250 folgt, daß der Bebauungsplan einerseits konkret genug sein muß, um den notwendigen Interessenausgleich (§1 V, VI BauGB) zu leisten, soweit er nicht schon durch den Flächennutzungsplan geschaffen wurde. Andererseits hat der Bebauungsplan aber nicht die Funktion, alle Einzelheiten nachfolgender Genehmigungsverfahren für Einzelprojekte vorwegzunehmen. 85 Die in § 9 I BauGB aufgelisteten möglichen Festsetzungen beziehen sich entweder auf die bauliche Nutzung von Baugrundstücken (Nr. 1—9) oder auf die nichtbauliche Nutzung von Flächen (Nr. 10—26) 2 5 1 . Für die Zulässigkeit von Festsetzun245 246 247 248 245
BVerwG, NJW 1969, 1 0 7 6 ; BRS 27, Nr. 9; Friauf, VoraufL, 508 f. Dazu oben Rn. 2 7 ff. BVerwG, BRS 23, Nr. 6. Z . B . § 8 1 IVBauONW. Dazu unten Rn. 122 ff.
250
Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr,
251
Vgl. Battis, Öffentl. BauR, 84 f.
312
BauGB, § 9 Rn. 4.
Baurecht
4. Abschn. III 1 b bb
gen252 über die Art und das Maß der baulichen Nutzung ( § 9 1 Nr. 1 BauGB) enthält die BauNVO verbindliche Vorgaben; zugleich konkretisiert sie die dort genannten Begriffe und ergänzt den Bebauungsplan. Nach § 1 III 1 BauNVO erfolgt die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung durch die Entscheidung des Plangebers für einen der in § 1 II BauNVO klassifizierten Baugebietstypen (z. B. reine Wohngebiete, Mischgebiete, Gewerbegebiete etc.). Die für den festgesetzten Baugebietstyp zulässigen Nutzungsformen ergeben sich aus §§2—15 BauNVO. Z.B. bestimmt § 3 III Nr. 1 BauNVO, daß in reinen Wohngebieten neben Wohngebäuden auch dem Bedarf des Gebietes dienende Läden und nicht störende Handwerksbetriebe zulässig sind. Nach § 1 III 2 BauNVO wird die jeweils einschlägige Vorschrift der §§2—14 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans, sofern nicht eine der näher geregelten Ausnahmen vorliegt253. Ähnlich ist die Regelungstechnik für Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung. § 16 II BauNVO regelt, wie das Maß der baulichen Nutzung bestimmt werden darf, z. B. durch Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse oder der Höhe der baulichen Anlagen. Unter den nach § 9 I BauGB möglichen Festsetzungen über die nichtbauliche Nutzung gewinnt die Regelung des § 9 I Nr. 24 BauGB über die Vorkehrungen gegen schädliche Umwelteinwirkungen zunehmend an Bedeutung254. Soweit in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet wirksame 86 verbindliche Pläne255 bestanden haben, die Festsetzungen im Sinne von § 9 I BauGB enthalten, können diese gemäß § 246 a IV BauGB i. V. m. § 64 III BauZVO unter bestimmten Voraussetzungen als Bebauungsplan gelten256. bb) Rechtswirkungen: Die Festsetzungen des Bebauungsplans sind gemäß § 8 11 87 BauGB rechtsverbindlich. Seine Geltung ist vom Gesetzgeber nicht befristet, so daß bei Aufstellung des Bebauungsplans noch nicht abschließend feststehen kann, wer von ihm im Verlaufe seiner Geltung betroffen sein wird. Insofern weist der Bebauungsplan Elemente eines allgemeinen Rechtssatzes auf. Andererseits trifft er Regelungen für konkrete Grundstücke und ähnelt damit dinglichen Einzelfallregelungen (vgl. § 35 S. 2, HS 2 VwVfGe). Diese unterschiedlichen Elemente des Bebauungsplans und die damit verbundenen unterschiedlichen Beurteilungsmöglichkeiten lösten die Diskussion über seine Rechtsnatur157aus, in deren Verlauf alle 252
253
254
255
256 257
Unzulässig sind Bebauungspläne, die sich auf die Festsetzung unzulässiger baul. Nutzungen beschränken (sog. Negativplanung); vgl. dazu Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 9 Rn.4; BVerwGE 40, 258 ff. Vgl. aber auch BVerwG, DÖV 1991, 744. Zur aktuellen Diskussion über die Zulässigkeit von Einkaufszentren vgl. Hoppe/Beckmann, DÖV 1989, 290ff; Schenke, DÖV 1988, 233 ff; Nachreiner, Verbrauchermärkte in der städtebaulichen Ordnung, 1986, insb. 66 ff u. 86 ff; OVG Münster, NVwZ 1989, 676 ff. Zu Einzelheiten der BauNVO vgl. die Nachw. in Fn. 26 sowie Finkelnburg, in: ders.l Ortloff, BauR I, 78 ff. Zu den mögl. Plänen u. ihren Rechtsgrundlagen Bielenberg, DVB1. 1990, 1314 (1318); Söfker, ZfBR 1990, 266 (270 m. Fn.26). Dazu noch unten Rn. 121. Dazu ausführl. z. B. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 Rn. 1 ff; Schmidt-Aßmann, Grundfragen, 63 f; Imboden, W D S t R L 18 (1960), 113 ff; Obermayer, W D S t R L 18 (1960), 144 (164ff). 313
4. Abschn. Ill 2 a
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denkbaren Alternativen vertreten wurden: Rechtsnorm, Verwaltungsakt und Hoheitsakt eigener Art258. Der Gesetzgeber hat diesen rechtstheoretischen Streit zwar nicht entschieden, ihm aber seine rechtsdogmatische und rechtspraktische Bedeutung genommen, indem er bestimmt hat, daß der Bebauungsplan von der Gemeinde als Satzung zu beschließen sei (§ 10 BauGB). Der Bebauungsplan ist damit rechtlich (auch prozeßrechtlich: § 47 I Nr. 1 VwGO) wie eine Satzung zu behandeln; ihm kommt damit eine rechtssatzmäßige Bindung zu259. 88 Die rechtliche Bedeutung des Bebauungsplans liegt darin, daß er in seinem Geltungsbereich die (nicht-)bauliche Nutzung der Grundstücke negativ und positiv determiniert. Negativ determinierend ist der Bebauungsplan insofern, als die Zulässigkeit von Bauvorhaben davon abhängt, daß sie seinen Festsetzungen nicht widersprechen (§§30 ff BauGB), und er so eine planwidrige Bodennutzung verhindert. Unter diesem Aspekt sind Bebauungspläne „weniger auf Durchführung ihrer Festsetzungen als auf den Ausschluß planwidriger Nutzungen angelegt"260. Sie sind in dieser Hinsicht Ausdrucksform einer Auffangplanung, die auf die freiwillige Verwirklichung der Planvorstellungen durch private Bauwillige angewiesen ist. Das Städtebaurecht beläßt es aber nicht bèi dieser Funktion und weist auch Elemente einer positiven Determination der Bodennutzung auf. Der Bebauungsplan schafft die rechtliche Voraussetzung für eine Reihe behördlicher Maßnahmen, die auf die Planverwirklichung und -Sicherung zielen. Zu ihnen zählen in erster Linie z. B. das Baugebot (§ 176 BauGB), das Pflanzgebot (§ 178 BauGB) und das Abbruchgebot (§ 179 BauGB), aber auch etwa das Vorkaufsrecht der Gemeinde (§ 24 I Nr. 1 BauGB), die Umlegung (vgl. § 45 BauGB) und die Enteignung (§ 85 I Nr. 1 BauGB)261. 2. Aufstellung der Bauleitpläne 89
a) Planungspflicht: Nach § 1 III BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, „sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist". Die Norm wiederholt nicht nur die aus der verfassungsrechtlich abgesicherten Planungshoheit262 folgende Planungsbefugnis der Gemeinden, sondern begründet auch deren Planungspflicht im Hinblick auf das „Ob" und das „Wann" der Planung. In dem „Soweit" des § 1 III BauGB klingt außerdem schon der Umfang („Wieviel") der Planung und damit der Zusammenhang mit ihrem „Wie" an. Die Planungspflicht bezieht sich sowohl auf die Flächennutzungs- als auch auf die Bebauungsplanung und kann auch hinsichtlich nur weniger oder sogar Für Rechtsnorm z.B. PrOVGE 25, 3 8 7 (390); BVerwGE 26, 2 8 2 (283); Obermayer, W D S t R L 18 (1960), 144 (164ff); aus jüng. Zeit Breuer, N V w Z 1982, 2 7 2 (280); Schmidt-Aßmann, DVB1. 1984, 5 8 2 (586). Für Verwaltungsakt z.B. V G H Stuttgart, ESVGH 6, 2 0 0 (205); Bachof, in: Wolff/Bachof, VwR I, § 4 7 I X d 1. Für Hoheitsakt eigener Art Forsthoff, DVB1. 1957, 113 (115). 2*> BVerwGE 25, 243 (250); DVB1. 1975, 4 9 2 (493). 258
260 261
262
314
Friauf, Voraufl., 5 1 6 . Zu diesen Instrumenten einschließl. ihrer Modifikationen durch das BauGBMaßnG u. durch § 2 4 6 a BauGB vgl. Rn. 143 ff. Vgl. Rn. 16 ff.
4 . A b s c h n . III 2 a
Baurecht
nur eines Grundstücks bestehen 263 . Bestimmungsfaktor für die Planungspflicht ist die in § 1 III BauGB genannte Erforderlichkeit, d. h., sie besteht dann, wenn Bauleitpläne nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich sind 264 . Der Begriff der Erforderlichkeit läßt sich unter Rückgriff auf § 1 I BauGB, auf 9 0 die Aufgaben- und Funktionsbestimmung der Planung sowie auf das Gebot gerechter Abwägung (§ 1 VI BauGB) näher entfalten 265 . Nach dem in § 1 I, III BauGB zum Ausdruck kommenden Entwicklungs- und Ordnungsprinzip soll die städtebauliche Entwicklung nicht sich selbst überlassen, sondern vorbereitend und leitend durch Pläne (Planmäßigkeitsprinzip) gesteuert werden 266 . Aus der schon angesprochenen phasenspezifischen Funktion 267 folgt, daß sich die Erforderlichkeit des konkreten Bauleitplans danach richtet, was im Gesamtprozeß der Ordnung der städtebaulichen Entwicklung von ihm an Konflikten zu bewältigen ist. So machen § § 2 9 ff BauGB deutlich, daß selbst der Gesetzgeber davon ausgeht, daß nicht alle Gebietsteile der Gemeinde von einem Bebauungsplan erfaßt sein müssen. Schließlich ist zu bedenken, daß der Bebauungsplan Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. des Art. 14 1 2 GG ist 268 . Er unterliegt damit nicht nur dem planungsrechtlichen Erforderlichkeitsgebot, sondern findet seine Zulässigkeitsgrenze auch in dem grundrechtlichen Erforderlichkeitsgebot als Element des Übermaßverbotes 269 , das sich wie ein Planungsverbot auswirken kann. Im übrigen ist die Frage der Planungspflicht auch eine solche der gerechten Abwägung zwischen den betroffenen privaten und öffentlichen Interessen (§1 V, VI BauGB). Nach alledem wird deutlich, daß die in § 1 III BauGB angesprochene Erforderlichkeit der Planung einen weiten Beurteilungsspielraum eröffnet. Dieser ist ähnlich der Ermessenskontrolle ( § 1 1 4 VwGO) gerichtlich nur begrenzt bei grober Verkennung der skizzierten Grundlinien des Entscheidungsspielraums überprüfbar 270 . Dieselbe Reduktion der Kontrolldichte gilt grundsätzlich271 für die staatliche Rechtsaufsicht über die Gemeinden. Hingewiesen sei aber auf besondere Planungspflichten der Gemeinden, die sich aus Spezialvorschriften ergeben können 272 .
264
BVerwG, DÖV 1969, 6 4 4 ; Grauvogel, in: Brügelmann, BauGB, § 1 R n . 4 0 . BVerwG, DVB1. 1971, 759 (762); Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 1 Rn. 36.
265
Krautzberger,
263
in: Battis/Krautzberger/Löhr,
BauGB,
BauGB, §1 Rn. 28; Gaentzsch, in: Berliner
271
Kommentar, § 1 Rn. 18. Dazu näher Scbmidt-Aßmann, BauR 1978, 99 ff. Oben Rn. 84. Oben Rn. 27 ff. Vgl. oben R n . 3 0 . Vgl. BVerwG, DÖV 1971, 633 (634). Weitergehend scheint § 2 4 6 a I 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. § 2 VI BauZVO für die neuen Bundesländer u. Ost-Berlin zu sein: Ist aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit die Aufstellung eines Bauleitplans geboten, kommt die Gemeinde aber ihrer Verpflichtung nach § 1 III BauGB nicht nach, kann eine Landesregierung anordnen, daß die Gemeinde den Bauleitplan aufstellt. Leitet die Gemeinde die Aufstellung des Plans nicht binnen 3 Monaten durch Aufstellungsbeschluß ein oder führt sie ein eingeleitetes Verfahren nicht fort, kann die Aufsichtsbehörde anstelle der Gemeinde den Bauleitplan aufstellen.
272
Vgl. §§ 166 I, 188 I BauGB.
266 267 268 269 270
315
4. Abschn. Ill 2 a
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Bauleitplanung geschieht zur Ordnung der städtebaulichen Entwicklung und damit prinzipiell im Allgemeininteresse. Daraus folgt nicht nur, daß die Planungspflicht des § 1 III BauGB grundsätzlich objektivrechtlichen Charakter hat, sondern auch, daß eine Bauleitplanung, die ausschließlich an privaten Interessen ausgerichtet ist, ohne daß ihr zugleich städtebauliche Erfordernisse zugrunde liegen, unzulässig ist 273 . Die Regelung des § 2 III BauGB, nach der auf die Aufstellung von Bauleitplänen kein Anspruch besteht, entspricht diesem Regelbefund. Darauf, daß sich — in Ausnahmefällen — aus grundrechtlichen Schutz- und Handlungspflichten eine Abweichung von diesem Regelbefund ergeben kann, ist schon hingewiesen worden274. 92 Gerichtlich einklagbar kann die Aufstellung eines Bauleitplans abweichend von der Gesetzeslage auch dann sein, wenn sich die Gemeinde dazu vertraglich verpflichtet hat. Ob und inwieweit derartige Planabreden zulässig und wirksam sind, ist in der Literatur umstritten275. Die Judikatur zeigt, daß mit dieser Frage auch ein wichtiges Problem der städtebaulichen Praxis angesprochen ist. Faktisch entsteht eine Vertragskonstellation dann, wenn eine Gemeinde mit ihrer Planung Zwecke verfolgt, die sich nur mit Hilfe privater Vorhabenträger erfüllen lassen. Diese haben aber häufig ihre eigenen zeitlichen und inhaltlichen Vorstellungen von der Realisierung ihrer Projekte und sind damit an einer Minimalisierung auch des finanziellen Planungsrisikos interessiert. Diese Situation drängt auf Verständigung und führt zu einem übereinstimmenden Interesse an einer vertraglichen Vorwegbindung der Planung. Diese ist rechtlich angesichts der gesetzlichen Abwägungs- und Verfahrenserfordernisse für die Planung nicht unbedenklich. Jegliche Planabreden deshalb zu verwerfen276, wäre allerdings keine überzeugende Hilfe für die Praxis277. 93 Die vertragliche Verpflichtung zur Aufstellung eines bestimmten Bauleitplans kann die Gemeinde nur öffentlich-rechtlich (für den Bebauungsplan: vgl. § 10 BauGB) erfüllen. Ein solcher Vertrag ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag278 i. S. des § 54 S. 1 VwVfGe. Materielle Rechtmäßigkeitsmaßstäbe sind die Vorschriften des BauGB über die Notwendigkeit der Abwägung bei der Planung und über das Verfahren der Planaufstellung279. Demnach sind vertragliche Planbindungen der Gemeinde unzulässig und nach §59 I VwVfGe i. V.m. §134 BGB nichtig, wenn und soweit der gesetzlich offen strukturierte Planungsprozeß durch Vorwegbindung 91
273
274
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276
277 278
279
316
OVG Lüneburg, NVwZ 1990, 5 7 6 (576); OVG Koblenz, BauR 1986, 4 1 2 (412); VGH Mannheim, BRS 40, Nr. 38 (S.99). Oben Rn. 3 3 ; vgl. auch die Hinw. von Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u. BodenR, Rn. 2 5 4 u. Battis, DÖV 1978, 113 (116 ff). Dazu z.B. Krebs, VerwArch. 72 (1981), 4 9 f f ; Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, 1988, 5 9 ; Degenhart, BayVBl. 1979, 2 8 9 (293 f); Karehnke, Die rechtsgeschäftliche Bindung der kommunalen Bauleitplanung, 1983, 2 4 ff. Recht rigoros z. B. Maurer, Allg. VwR, § 14 Rn. 3 5 ; Bonk, in: Stelkens u. a., VwVfG, § 5 9 Rn. 3 2 ; Luhmann, BayVBl. 1974, 145 (147); Simon, BayVBl. 1974, 456ff. Aufschlußreich das Flachglas-Urteil, BVerwGE 45, 3 0 9 (317). Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB, § 2 Rn. 10; Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn. 275), 57. Auch schlichte Veräußerungsgeschäfte mit nicht zum Vertragsinhalt gemachter Planungsabrede können öffentlich-rechtlich sein, BVerwG, N J W 1980, 2 3 5 8 ff; a. A. aber BGH, NJW 1990, 245. Dazu Rn. 9 7 ff u. 108 ff.
Baurecht
4. Abschn. III 2 b
funktionslos wird. Das ist etwa bei einer vertraglichen Verpflichtung zur Aufstellung eines Bebauungsplans mit einem bestimmten Inhalt der Fall 280 . Abreden, die die gesetzlichen Vorgaben für den Planungsvorgang beachten, können hingegen zulässig sein. Deshalb sind in Literatur und Praxis anstelle von rechtlicher Bindung des Planungsinhalts „Ersatzbindungen" in Betracht gezogen worden281, z.B. eine Übernahme des Planungsrisikos oder eine Planungsgarantieabrede282. Auch wenn dergestalt die Planung rechtlich ungebunden bleibt, kann die faktische Einflußnahme durch die Ersatzbindung im Einzelfall so gewichtig sein, daß die Planung abwägungsfehlerhaft und damit rechtswidrig wird283. b) Anpassungs- und Entwicklungspflichten: Raumplanung erfolgt in gestuften 94 Entscheidungsverfahren, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sein müssen, wenn nicht das Planungssystem insgesamt Funktionsverluste hinnehmen soll. Das gilt hinsichtlich der verschiedenen Planungen ein und desselben Planungsträgers, erst recht aber auch für die Planungen unterschiedlicher Planungsträger. Aus diesem Grund sind die überörtliche und örtliche Raumplanung miteinander und untereinander verzahnt. Die Anpassungspflicht des § 1 I V BauGB 284 ist auf die Abstimmung der gemeindlichen Bauleitplanung mit der staatlichen Raumordnung und Landesplanung gerichtet, während die Entwicklungspflicht des § 8 II 1 BauGB auf die Verklammerung der örtlichen Bauleitplanungen untereinander zielt. Die in § 1 IV BauGB genannten, für die Bauleitplanung beachtlichen Ziele sind 95 planerische Festsetzungen, die nach § 5 II ROG zur Verwirklichung der Grundsätze der Raumordnung in Plänen der Raumordnung und Landesplanung getroffen wurden285. Sie müssen daher ordnungsgemäß in dem nach dem jeweiligen Landesplanungsrecht vorgesehenen Verfahren zustande gekommen286 und hinreichend konkretisiert sein287. Anpassen i. S. des § 1 IV BauGB bedeutet, daß die Gemeinden die Ziele der Raumordnung und Landesplanung zu beachten haben (vgl. auch § 5 IV ROG sowie § 246 a I 1 Nr. 1 BauGB i. V. m. § § 4 III, 1 IV 2 BauZVO). Sie sind im Umfang ihrer jeweiligen Konkretisierung als rechtsverbindliche Vorgaben für die örtliche Raumplanung der gemeindlichen Disposition entzogen und damit einer Relativierung im Prozeß der bauleitplanerischen Abwägung nicht zugänglich288. § 1 § 2 4 6 a 11 Nr. 6 BauGB i. V. m. §§ 5 5 II 2, 2 III 2 BauZVO bestimmt ausdrückl., daß auch im Zusammenhang mit Vorhaben- u. Erschließungsplänen ein vertragl. Anspruch auf Aufstellung eines bestimmten Plans nicht wirksam begründet werden kann. Zu Vorhabenu. Erschließungsplänen vgl. näher Rn. 142. 2 8 1 Dazu Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn.275), 61 ff m.Nachw. sowie Dolde/Uechtritz, DVB1. 1987, 4 4 6 (448 ff). 2 8 2 BGHZ 76, 16 ff, dazu insb. auch Papier, JuS 1 9 8 0 , 4 9 8 (501); Ebsen, J Z 1985, 5 7 (60 ff); Dolde/Uechtritz, DVB1. 1987, 4 4 6 (448 f). 2 8 3 So Ebsen, J Z 1985, 5 7 (61); dagegen Dolde/Uechtritz, DVB1. 1987, 4 4 6 (449). 284 Yg[ a u c h als raumordnungsrechtl. Parallelvorschrift § 5 IV ROG u. die ergänzenden landesplanungsrechtl. Normen, z.B. Art.28 I BayLPIG; § 17 NROG; §§ 20, 21 LP1GNW. 2 8 5 Dazu oben Rn. 46 f. 286 Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 1 Rn. 30. 2 8 7 Zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen näher Rn. 5 7 . 288 Vgl. oben Rn. 4 0 m. Fn. 107. Zur Lösung von Kollisionen u. Zielkonflikten ausführl. Erbguth, BauplanungsR, Rn. 159. 280
317
4. Abschn. Ill 2 b
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IV BauGB verpflichtet die Gemeinden auch zur nachträglichen Anpassung an geänderte Zielvorgaben289 und kann eine gemeindliche „Erstplanungspflicht" auslösen290. Als nicht disponible, rechtlich vorgegebene Daten begrenzen die Ziele der Raumordnung und Landesplanung den verfassungsrechtlich geschützten Planungsspielraum der Gemeinden. Sie dürfen ihm daher nur einen Rahmen setzen, der ausfüllungs- und konkretisierungsfähig bleiben muß291. 96 Die Anpassungspflicht des § 1 IV BauGB bewirkt, daß die landesplanerischen Zielvorstellungen über das Medium der gemeindlichen Bauleitplanung Außenwirkung entfalten. Das Planungskonzept der Gemeinde wird durch den Bebauungsplan außenrechtsverbindlich. Folgerichtig verpflichtet § 8 II 1 BauGB den Bebauungsplan auf die gemeindliche Grundkonzeption der Raumplanung, wie sie im Flächennutzungsplan Ausdruck gefunden hat. Das kann freilich nur in dem Umfang gelten, wie der Planungsstand fortgeschritten ist. Die Möglichkeiten des Verzichts auf den Bebauungsplan (§8 II 2 BauGB), des sog. Parallelverfahrens (§ 8 III 1 BauGB) und des „vorzeitigen Bebauungsplans" (§ 8 IV BauGB sowie § 246 a I 1 Nr. 3 BauGB i.V.m. §8 IV BauZVO) 292 modifizieren daher die Entwicklungspflicht des § 8 II 1 BauGB. Der Begriff der Entwicklung weist auf die Entwicklungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Flächennutzungsplans hin und meint, daß der Bebauungsplan den Flächennutzungsplan „konkreter ausgestaltet und damit zugleich verdeutlicht"293. Da „Entwickeln" auch nicht dasselbe wie „Übereinstimmen" bedeutet, darf der Bebauungsplan vom Flächennutzungsplan abweichen, solange er sich im Rahmen der vom Flächennutzungsplan dargestellten „Grundzüge" ( § 5 1 1 BauGB) hält. Wegen der grenzscharfen und damit „überschießenden Genauigkeit"294 muß sich der Bebauungsplan z.B. nicht notwendig an die im Flächennutzungsplan dargestellten Grenzen der Nutzung halten295. Er darf sich aber bei entwicklungsbedingten Abweichungen nicht in Widerspruch zum Flächennutzungsplan setzen und muß seine Grundkonzeption unberührt lassen296. Übersteigen die planerischen Festsetzungen den vorgegebenen Entwicklungsrahmen, ist er nicht aus dem Flächennutzungsplan „entwickelt" i. S. des § 8 II BauGB. Das ist er auch dann nicht, wenn ein Flächennutzungsplan unzulässigerweise fehlt oder ungültig ist. 289
290
291 292 293 294 295 296
318
Schmidt-Aßmann, VerwArch. 71 (1980), 117 (134 f);Krautzberger, in: Battis/Krautzbergerl Lohr, BauGB, § 1 Rn. 3 2 ; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 76, 7 8 ; in zeitl. Hinsicht einschränkend Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 1 Rn. 3 3 . Str., vgl. einerseits Brohm, DÖV 1989, 4 2 9 (434 f); Schiarmann, DVB1. 1980, 2 7 5 (278 f); andererseits Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 3 2 ; SchmidtAßmann, Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, 1977, 2 0 f. Ausführl. zum Streit Grooterhorst, Die Wirkung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung gegenüber Bauvorhaben nach § 3 4 BBauG, 1985, 66 ff. Dazu oben Rn. 19. Dazu oben Rn. 73. BVerwGE 4 8 , 70. Vgl. auch BVerwGE 56, 283 (285 f). Vgl. oben Rn. 77. BVerwGE 48, 70 (72 ff); BauR 1979, 2 0 6 (208). BVerwGE 4 8 , 70 (72ff); 56, 283 (285f); VGH München, BayVBl. 1983, 5 6 5 (566).
Baurecht
4. Abschn. III 2 c aa
c) Abwägungsgebot und Planungsmaßstäbe: 97 aa) Bauleitplanung und Struktur der Planungsnormen: Bauleitplanung ist ein mehrphasiger informationsverarbeitender Entscheidungsprozeß. Diese Strukturmerkmale hat die Bauleitplanung mit anderen administrativen Entscheidungsprozessen gemeinsam, wenn auch in aller Regel die Entscheidungsphasen nicht so stark ausgebildet sind und der konventionell geübte juristische Blick eher gewohnt ist, auf das Entscheidungsergebnis zu schauen und den prozeßhaften Charakter der Entscheidung auszublenden. Die Besonderheit der Bauleitplanung als örtliche Raumplanung besteht zum einen in der Fülle und Vielgestaltigkeit („Komplexität") des zu verarbeitenden Problemstoffes. Zudem ist sie stets auch zukunftsorientiert und auf Zukunftsgestaltung gerichtet. Daraus folgt, daß der Prozeß der raumplanerischen Problemlösung und Entscheidungsfindung durch ein hohes Maß an wertenden und prognostischen Elementen gekennzeichnet ist, der nicht ohne Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume der Planer durchführbar ist. Dieser Umstand spricht dagegen, Verlauf und Ergebnis der Bauleitplanung rechtlich im einzelnen vorzuprogrammieren. Sinnvolle administrative Raumplanung ist nicht als mechanistischer Gesetzesvollzug vorstellbar. Andererseits ist staatliche und gemeindliche Raumplanung keine Enklave für rechtsfreies Verwaltungshandeln. Daher muß rechtsstaatliche Planung rechtlich zu binden und rechtlich gebunden sein. Im Städtebaurecht kann es also nicht um das „Ob" der Rechtsbindung der Planung, sondern muß es um das „Wie" und „Wieviel" gehen. Häufig wird zur Lösung dieses Problems auf die unterschiedlichen Modalitäten 98 rechtlicher Programmierung hingewiesen. Planungsnormen seien als Finalprogramme strukturiert, die im Gegensatz zur Struktur eines Konditionalprogramms dem Planer größere Freiräume ließen 297 . Mit einem rechtlichen Konditionalprogramm ist der Steuerungsmodus eines „klassischen" Rechtssatzes gemeint, der mit Hilfe von Tatbestand und Rechtsfolge („Wenn-Dann-Schema") dem Rechtsanwender einen bestimmten Verhaltensbefehl erteilt, wenn eine bestimmte Voraussetzung (Bedingung: „conditio") eintritt. Das Finalprogramm verpflichtet demgegenüber zur Erreichung eines bestimmten Zwecks (oder Ziels: „finis") und überläßt dem Rechtsanwender, mit welchem Verhalten er den vorgegebenen Zweck erfüllt298. Beide Begriffe sind allerdings keine Rechtsbegriffe. Ihre Unterscheidung ist idealtypisch und in erster Linie von entscheidungstheoretischem und organisationstheoretischem Erkenntnisinteresse. Überträgt man die Unterscheidung auf Rechtssätze, läßt sich ein Finalprogramm auch als Konditionalprogramm formulieren, und es kann in der Zielsetzung so konkret und bestimmt abgefaßt sein, daß seine Ausführung nur wenige Handlungsalternativen offenläßt. Andererseits kann auch ein Konditionalprogramm je nach Bestimmtheitsgrad große Handlungsspielräume eröffnen. Man denke an die ordnungsbehördliche Generalklausel! 297
298
Z . B . Hoppe, DVB1. 1974, 641 (644); kritisch dazu z.B. Koch, in: KochlHoscb, BauR, 150 ff. Zu den Begriffen Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u. BodenR, Rn. 186, 312 a; ders., DVB1. 1974, 641 (644). Von ihrer Herkunft her handelt es sich nicht um rechtswissenschaftl. Begriffe, vgl. Luhmann, Recht und Automation, 1966, 36. 319
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Vor dem Hintergrund dieser Überlegung wird man nicht annehmen können, daß die von einem Finalprogramm belassenen Handlungsspielräume zwangsläufig großzügiger und qualitativ anders geartet sind als die, die ein Konditionalprogramm einräumt. Ebenso fragwürdig wird dann aber die Annahme, daß das von einer als Finalprogramm formulierten Planungsnorm zugestandene Ermessen („Planungsfreiheit") sich qualitativ von dem Ermessen unterscheidet, das der konditional programmierten Verwaltung zur Verfügung stehen kann („Verwaltungsermessen") 299 . Der Begriff des Ermessens beschreibt als Rechtsbegriff einen Entscheidungsspielraum des Rechtsanwenders, der nur begrenzt rechtlich kontrolliert werden darf300. Diese rechtliche Eigenschaft haben die von Planungs- oder anderen Normen eröffneten Entscheidungsspielräume gemeinsam. Planungsermessen und Verwaltungsermessen weisen demnach als Rechtsbegriffe keine (qualitativen) Unterschiede auf. Vielmehr haben sie als deskriptive Begriffe ihre Funktion darin, daß sie auf die typische Eigenart von Planungsnormen hinweisen. Diese besteht darin, dem Planer regelmäßig das Planungsermessen zuzugestehen, das ihm angesichts der beschriebenen Eigenart der von ihm zu bewältigenden Aufgaben zustehen muß. Insofern mag man beschreibend feststellen, daß sich Verwaltungsermessen und Planungsermessen quantitativ unterscheiden301. Auch ist die Unterscheidung zwischen Finalprogramm und Konditionalprogramm in unserem Zusammenhang nicht sinnlos, sondern behält eine heuristische Funktion: Der Begriff des Finalprogramms hilft, die besondere Modalität der Rechtsbindung der Bauleitplanung zu verstehen.
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bb) Rechtsbindung: Der Prozeß bauleitplanerischer Problemlösung und Entscheidungsfindung ist in verfahrensmäßiger und inhaltlicher Hinsicht rechtlich gebunden. Zur Herstellung der Rechtsbindung hat sich der Gesetzgeber der Kombination unterschiedlicher Bindungstechniken bedient, deren Verständnis zudem dadurch erschwert wird, daß sie von Literatur und Rechtsprechung mit ganz unterschiedlichen Ausdrücken bezeichnet werden. Für die nachfolgende Darstellung kann daher nicht auf eine „übliche" Terminologie zurückgegriffen werden. Die Grobstruktur der inhaltlichen Rechtsbindung302 besteht aus folgenden Elementen: — aus einem rechtsverbindlichen Zielprogramm, - aus „Berücksichtigungspflichten", d.h. Rechtspflichten, je nach Einzelfall bestimmte Umstände („Belange") mit einer bestimmten Gewichtung in den Planungsvorgang einzustellen, sowie 299
300 301
302
320
So aber z. B. Badura, in: FS f. 25jähr. Bestehen des Bayer. Verfassungsgerichtshofs, 1972, 157 ff; Hoppe, DVB1. 1974, 641 (644). Dazu Erichsen, in: ders./Martens, Allg. VwR, 208 ff. Schmidt-Kßmann, in: Ernst!ZinkahnlBielenberg, BBauG, § 1 Rn. 306. Die Kommentierung Schmidt-Aßmanns zu § 1 BBauG in der Voraufl. d. Kommentars von Ernst!Zinkahnl Bielenberg wird z. T. in der Kommentierung zu § 1 BauGB von Söfker in der Neuaufl. wiedergegeben. Die nachfolgenden inhaltl. Rechtsbindungen gelten gem. § 2 4 6 a l l Nr. 6 BauGB i. V. m. § 55 II 1 BauZVO im wesentl. auch für die Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan. Dazu näher Rn. 142.
Baurecht
4. Abschn. III 2 c bb
— dem Abwägungsgebot, d. h. der Berechtigung und Verpflichtung, bei der Aufstellung der Bauleitpläne „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen" (§ 1 VI BauGB). Als final-programmierte Planung muß die Bauleitplanung ein rechtsverbindliches 101 Ziel haben. Dieses Zielprogramm formuliert § 1 V 1 BauGB i. V. m. § 1 I und III BauGB in Gestalt von Oberziel und Unterzielen („Zielbaum"). § 1 V 1 BauGB nennt vier „generelle Planungsziele"303, dessen erstes als oberstes Ziel der Bauleitplanung verstanden werden kann und mit Hilfe von § 1 I und III BauGB vervollständigt werden muß: die Gewährleistung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Vorbereitung und Leitung der Bodennutzung in der Gemeinde304. Dieses oberste Ziel der Bauleitplanung wird in § 1 V 1 BauGB weiter aufgefächert in „sozialgerechte Bodenordnung", „menschenwürdige Umwelt" und „Schutz und Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen". Dieses Zielprogramm ist insgesamt sehr grobmaschig und gibt dem Planer hinreichend Gestaltungsspielraum. Es setzt diesem allerdings auch rechtliche Grenzen. Die positive Verpflichtung auf die städtebauliche Entwicklung durch Ordnung der Bodennutzung verbietet den Einsatz des planerischen Instrumentariums zugunsten anderer Ziele30S, z. B. der Wettbewerbspolitik. Die Berücksichtigungspflichten hat das Gesetz unterschiedlich intensiv ausgestal- 102 tet. Einige — wenige — Belange werden vom Gesetz als strikt beachtlich angesehen, d. h., sie sind dem von § 1 VI BauGB vorgesehenen Abwägungsprozeß entzogen und damit nicht zugunsten anderer Belange relativierbar („unüberwindbare Belange"). Aus dem Städtebaurecht306 sind zu diesen, vom Gesetz als strikt beachtliche Vorgaben angesehenen Belangen die Ziele der Raumordnung und Landesplanung307 (§ 1IV BauGB) und die privilegierten Fachplanungen gemäß § 38 BauGB 308 zu zählen. Andere zu berücksichtigende Belange bilden das „Abwägungsmaterial", d. h., sie müssen mit ihrem jeweiligen Gewicht in den Abwägungsprozeß eingebracht werden, sind damit aber zugunsten der anderen Belange relativierbar („überwindbare Belange"). Solche Belange finden sich z.T. in gesetzlichen Regelungen außerhalb des BauGB, z. B. in § 50 BImSchG, der vom BVerwG als Regelung charakterisiert wurde, „die nach ihrem Inhalt (,soweit wie möglich') nur bei der Abwägung des Für und Wider in der konkreten Problembewältigung beachtet werden kann" 309 . Im übrigen sind derart zu berücksichtigende Belange in dem offenen („insbesondere") Katalog des § 1 V 2 BauGB und in § 1 V 3 und 4 BauGB 303 304
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Erbguth, in: Achterberg/Püttner, Bes. VwR, R n . 2 8 1 . Erbguth, in: Achterberg/Püttner, Bes. VwR, Rn. 2 8 3 ; Gaerttzsch, in: Berliner Kommentar, § 1 Rn. 43. Z . B . OVG Lüneburg, NVwZ 1990, 576. Aus dem Fachpianungsrecht vgl. § 1 FStrG (Verbot höhengleicher Kreuzungen für Bundesautobahnen), dazu BVerwGE 71, 163. In dieser vielrezipierten Entscheidung werden derart strikt beachtliche gesetzl. Vorgaben des Fachplanungsrechts „Planungsleitsätze" genannt u. den relativierbaren „Optimierungsgeboten" gegenübergestellt. Vgl. oben Rn. 40, 46 f, 56 f. Vgl. dazu BVerwG, DVB1. 1988, 960 m.Anm. Schulte u. ausführt. Kühling, Fachplanungsrecht, 1988, Rn. 102ff. BVerwGE 71, 163 (165).
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4. Abschn. Ill 2 c bb
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aufgezählt. § 1 V 2 BauGB konkretisiert die generellen Planungsziele zu „Leitpunkten" 310 , die beim Planungsvorgang Beachtung verlangen. Welche der genannten Belange mit welchem Gewicht in die Planung eingehen müssen, hängt wesentlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab 311 . 103 Im Zentrum der planerischen Entscheidungsfindung steht die Abwägung der im konkreten Planungsfall erheblichen Belange. Das Abwägungsgebot (§ 1 VI BauGB) ähnelt in seiner Rechtssatzstruktur dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und macht damit darauf aufmerksam, daß Planung einerseits nicht ohne Prognosen und Wertungen auskommt und als schöpferischer Vorgang nur begrenzt rechtlich programmierbar ist, andererseits aber keineswegs ein rechtsungebundener dezisionistischer Akt des Planers sein kann. Der rechtliche Bindungsgehalt des Abwägungsgebots312 weist eine dynamische und eine statische Komponente auf, bezieht sich auf Vorgang und Ergebnis der Planung313. Die Komplexität des von der Planung zu leistenden Interessenausgleichs kommt darin zum Ausdruck, daß die jeweils betroffenen Belange in dreifacher Hinsicht abzuwägen sind und abgewogen sein müssen: öffentliche Belange untereinander, öffentliche und private Belange gegeneinander und private Belange untereinander. Die gesetzliche Formulierung verdeutlicht, daß weder die öffentlichen Belange, also die u. a. in § 1 V 2 BauGB genannten städtebaulichen Aspekte des Allgemeininteresses, noch die privaten Belange per se Vorrang genießen. Das Abwägungsgebot ist weder Optimierungsgebot zugunsten noch Minimalisierungsgebot zu Lasten der „Baufreiheit" 314 . Im übrigen fallen unter die privaten „Belange" nicht nur die (grund-)rechtlich geschützten Eigentümerinteressen, sondern auch die von Mietern und Pächtern sowie weitere Interessen, die durch die Planung absehbar betroffen werden315. Dabei geht der Begriff des privaten Belangs über den des subjektiven Rechts hinaus und kann auch rechtlich nicht geschützte Interessen erfassen316. 104 § 1 VI BauGB verpflichtet die Gemeinde, die öffentlichen und privaten Belange gerecht abzuwägen. Zur Auffüllung dieser „Generalklausel reinsten Wassers" 317 haben Lehre und Gerichte eine Reihe von Planungsgrundsätzen entwickelt318, deren normativer Gehalt allerdings nicht immer leicht zu fassen ist. Teilweise haben sie den Charakter rechtlicher Teilaussagen des allgemeinen Gebots (z. B. „Gebot der Abwägungsbereitschaft"); andere Grundsätze sind eher Funktionsbeschreibungen 310
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Schmidt-Aßmann (Fn. 301), § 1 Rn. 308. Sie werden z. T. als „Planungsleitlinien" bezeichnet, z.B. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, § 1 R n . 5 5 , 58ff. Krautzberger, in: BattislKrautzbergerILöhr, BauGB, § 1 Rn. 6 0 ; vgl. auch Gaentzscb, in: Berliner Kommentar, § 1 Rn. 4 7 . Dazu ausführl. Blumenberg, DVB1. 1989, 86 ff; Ibler, JuS 1990, 7 ff. BVerwGE 45, 3 0 9 (315); 47, 144 (146); Scbmidt-Aßmann (Fn.301), § 1 R n . 3 0 9 . Dazu oben Rn.27ff. Schmidt-Aßmann (Fn.301), § 1 R n . 3 1 4 f . Schmidt-Aßmann (Fn. 301), § 1 Rn. 3 1 3 ; z. B. das Interesse, von heranrückendem Verkehr u. einer Verschlechterung der Belichtungsverhältnisse verschont zu bleiben, VGH Mannheim, BRS 25, Nr. 10. Schmidt-Aßmann (Fn.301), § 1 R n . 3 2 4 . Vgl. im einzelnen Hoppe, in: ErnstlHoppe, Bau- u. BodenR, Rn. 3 0 0 ff; dens., Jura 1979, 133 ff; Schmidt-Aßmann, BauR 1978, 99 ff.
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4. Abschn. III 2 c cc
des Abwägungsvorgangs („Gebot der Konfliktbewältigung"319) oder Interpretationshilfen, die einzelne Aspekte der Generalklausel besonders hervorheben („Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdige Interessen"320) und dergestalt helfen, den normativen Gehalt der allgemeinen Verpflichtung für den Einzelfall sichtbar zu machen. Je konkreter diese Planungsgrundsätze werden, desto mehr verliert ihr Aussagegehalt an Allgemeingültigkeit. Sie bleiben aber hilfreich als Gesichtspunkte, die bei der konkreten Problemlösung herangezogen werden können, freilich nicht müssen. Das wird z. B. an dem auch in § 50 BImSchG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der möglichsten Trennung unverträglicher Nutzungen321 deutlich, der im Einzelfall zur Lösung einer sog. Altlastenproblematik322 herangezogen werden kann, aber regelmäßig modifiziet werden muß, wenn es um die Problematik städtebaulicher „Gemengelagen"323, d.h. um die Nutzungskonflikte bei einem Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungsarten geht. cc) Kontrollmaßstäbe: Konsequenz einer rechtlich nur begrenzt vorprogram- 105 mierbaren Bauleitplanung ist der hohe Anteil autonomer Entscheidungsgehalte an den Planungsentscheidungen. Dem entspricht es, daß die Rechtskontrolle über die gemeindliche Bauleitplanung, insbesondere durch die Gerichte, eingeschränkt ist. Es erscheint daher auf den ersten Blick widersprüchlich, wenn die Rechtsprechung die generellen Planungsziele des § 1 V 1 BauGB und die in § 1 V 2 BauGB gesetzlich formulierten Belange als unbestimmte Rechtsbegriffe ansieht, deren Auslegung und Anwendung uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegen324. Der Streit über diese Auffassung325 ist bei näherer Betrachtung nicht von einer derart praktischen Bedeutung, daß er hier ausdiskutiert werden müßte. Der autonome Entscheidungsanteil des Planers an der Bauleitplanung manifestiert sich wesentlich in dem Abwägungsvorgang. Die Kontrolle des Abwägungsvorganges wird auch von den Gerichten restriktiv gehandhabt326. Die Gerichte dürfen daher nur eine Überschreitung der Entscheidungsspielräume der planenden Gemeinde kontrollieren und sanktionieren. Das bedeutet, daß nur solche Planmaßstäbe zugleich Kontrollmaßstäbe für die gerichtliche Überprüfung der Planung sein können, deren Mißachtung eine Überschreitung des administrativen Entscheidungsspielraums darstellt. Dazu Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u. BodenR, Rn.302ff; Pfeifer, DVB1. 1989, 337ff; Weyreuther, BauR 1975, 1 (5). 3 2 0 Dazu Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u. BodenR, Rn.305ff; Battis, DVB1. 1978, 577 (581 ff). 321 Ygi Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 255 ff; allgemein zu § 50 BImSchG z.B. Erbguth/Püchel, NVwZ 1982, 649 (651 f); Fickert, BauR 1976, 1 (5t). 3 2 2 Das betrifft Flächen mit umweltgefährdenden Stoffen. Dazu z.B. Bender/Sparwasser, Umweltrecht, 2. Aufl., 1990, Rn. 1031 ff u. Schink, NJW 1990, 351 ff m. zahlr. Nachw. in Fn.5. 3 2 3 Dazu z.B. Ritter, NVwZ 1984, 609ff; Drosdzol, NVwZ 1985, 785ff; Dolde, DVB1. 1983, 732 ff. 3 2 4 BVerwGE 34, 301 (308); 45, 309 (323). 3 2 5 Zur Kritik an der Rspr. Papier, NJW 1977, 1714 (1715); Gassner, DVB1. 1981, 4 (5). 3 2 6 Vgl. BVerwGE 34, 301 (308 f); 47, 144 (146); ZfBR 1988, 44 (45); OVG Koblenz, NVwZ 1990, 281. 319
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In der gerichtlichen Praxis hat die Entwicklung von Kontrollmaßstäben für die Abwägung zu einer Abwägungsfehlerlehre327 geführt, deren Grundstruktur das BVerwG schon 1969 328 aufgezeigt hat: „Das Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet." In der bekannten Flachglas-Entscheidung hat das Gericht 1974 erläuternd und ergänzend hinzugefügt329, „daß sich die damit umrissenen Anforderungen grundsätzlich sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis richten. Eine Ausnahme gilt einzig für die mit dem ersten Satz angesprochene Notwendigkeit einer Abwägung überhaupt; sie kann — mit Rücksicht auf ihren Inhalt — allein im Hinblick auf den Abwägungsvorgang praktisch werden. Im übrigen aber verlangt das Abwägungsgebot sowohl vom Abwägungsvorgang als auch vom Abwägungsergebnis, daß gewichtige Belange nicht einfach übersehen werden (zweiter Satz) und die Gewichtung verschiedener Belange in ihrem Verhältnis zueinander nicht in einer Weise erfolgt, durch die die objektive Gewichtigkeit eines dieser Belange völlig verfehlt wird (dritter Satz)". Diese Grundsätze sind bis heute weitestgehend anerkannt 330 . 107 Einzelfallprobleme werden sich regelmäßig diesem Prüfungsraster zuordnen lassen. So kann die vertragliche Vorabbindung der Gemeinde im Hinblick auf eine bestimmte Planung331 dazu führen, daß eine „sachgerechte Abwägung überhaupt nicht mehr stattfindet" (Abwägungsausfall). Die unzureichende oder unvollständige Ermittlung, z.B. des Ausmaßes einer Altlast332, kann zur Folge haben, daß nicht in die Abwägung eingestellt wird, „was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß" (Abwägungsdefizit), und stellt damit einen kontrollrelevanten Abwägungsfehler dar. 108
d) Auf stellungsverfahren: Das BauGB enthält in den §§2—4, 6, 10—13 sowie in §§ 204 und 205 Regelungen über das Verfahren zur Aufstellung der Bauleitpläne, die teilweise — zeitlich befristet — durch die Bestimmungen des BauGBMaßnG 327
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Dazu BVerwGE 34, 301 (309); 4 5 , 3 0 9 (314f); Erbguth, DVB1. 1986, 1230ff; Koch, DVB1. 1983, 1125 ff. BVerwGE 34, 301 (309). BVerwGE 4 5 , 3 0 9 (315). Vgl. statt vieler Erbguth, in: Achterberg/Püttner, Bes. VwR, R n . 2 8 9 f f ; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 93 ff; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 187 ff. Dazu oben Rn. 92 f. Vgl. BGHZ 106, 323 (325 ff); BGH, NJW 1990, 1038 ff; Schink, NJW 1990, 351 ff.
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modifiziert werden 3 3 3 . Die bundesrechtlichen Vorschriften regeln das Verfahren allerdings nicht abschließend. Ergänzend tritt das Landesrecht hinzu. Da die Bauleitplanung in den Verantwortungsbereich der Gemeinden fällt ( § 2 1 BauGB), enthalten die Gemeindeordnungen z.B. Regelungen über die gemeindeinterne Zuständigkeit für die Bauleitplanung, die näheren Modalitäten der Beschlüsse der Gemeindeorgane wie z.B. über die Befangenheit von Ratsmitgliedern, oder über allgemeine Verfahrensfehlerfolgen 334 . Die Grundzüge des Aufstellungsverfahrens für Flächennutzungs- und Bebauungspläne 3 3 5 stimmen im wesentlichen überein. Nach § 2 IV BauGB gelten die Vorschriften des BauGB über die Aufstellung von Bauleitplänen auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung. Nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers ( § 2 1 2 BauGB) wird der — 109 offizielle — Beginn des Verfahrens durch einen ortsüblich bekannt zu machenden Beschluß markiert, einen Bauleitplan aufzustellen (sog. Planaufstellungsbeschluß336). In ihm ist das Plangebiet zu bestimmen. Inhaltliche Aussagen zur beabsichtigten Planung sind nicht erforderlich. § 4 1 BauGB sieht eine möglichst frühzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher 110 Belange, die von der Planung berührt werden können, am Verfahren vor. Der Begriff der Träger der öffentlichen Belange wird weit gefaßt und meint alle Stellen, die öffentliche Interessen wahrnehmen, z.B. Nachbargemeinden, Industrie- und Handelskammern, Kirchen etc. 3 3 7 . Die Gemeinde hat die Träger öffentlicher Belange über ihre Planungsabsicht zu unterrichten und sie zur Stellungnahme aufzufordern. Äußern sich die Beteiligten innerhalb einer ihnen gesetzten Frist nicht, darf die Gemeinde davon ausgehen, daß die von den Beteiligten wahrgenommenen Belange von der Planung nicht berührt sind ( § 4 1 3 BauGB 3 3 8 ). Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs sind in den alten Bundesländern nun auch die verfahrensverkürzenden Bestimmungen des § 2 IV und V BauGBMaßnG zu beachten. Ebenfalls möglichst frühzeitig sind gemäß § 3 I 1 BauGB die Bürger über die 111 allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung zu unterrichten und ist ihnen GelegenFür das Verfahren zur Aufstellung einer Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan gelten z.T. parallele Vorschriften, vgl. §246 a I 1 Nr. 6 BauGB i. V. m. §55 III BauZVO. Zur Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan näher unten Rn. 142. Zum Umfang der Geltung des BauGBMaßnG in den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin Rn. 11. 3 3 4 Dazu Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 61, 98 f. Zur städtebaul. Fehlerfolgenregelung sogleich Rn. 116 ff. 3 3 5 Zur zweistufigen Abfolge der Bauleitplanungen vgl. Rn. 73. 3 3 6 Nach BVerwG, NVwZ 1988, 916 (917) besteht allerdings keine bundesrechtl. Verpflichtung, einen Aufstellungsbeschluß im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens zu fassen. Das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Planaufstellungsbeschlusses sei daher auch keine Wirksamkeitsvoraussetzung eines späteren Bebauungsplanes. 337 Ygi s t a t t anderer den Überblick bei Grauvogel, in: Brügelmann, BauGB, § 4 Rn. 20. 3 3 8 Das gilt nicht, wenn der Gemeinde das Entgegenstehen öffentl. Belange von anderer Seite bekannt geworden ist oder sich ihr hätte aufdrängen müssen, Battis, in: dersJKrautzberger/Löhr, BauGB, § 4 Rn. 7. Verstöße gegen § 4 BauGB — ebenso wie gegen § 3 BauGB — können nicht nur zu Verfahrens-, sondern u. U. auch zu Abwägungsfehlern führen, dazu BVerwG, NVwZ-RR 1990, 122 (123); OVG Münster, UPR 1990, 393 (394f). 333
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heit zur Äußerung und Erörterung zu geben. Von dieser frühzeitigen Bürgerbeteiligung, die sowohl der Informationsbeschaffung der Gemeinde als auch der Rechts- und Interessenwahrung Planbetroffener dient, kann nur in den Fällen des § 3 I 2 BauGB sowie im Fall des § 2 II BauGBMaßnG abgesehen werden. Bürger i. S. d. § 3 BauGB ist jeder, der in Rechten oder Interessen von der Planung betroffen ist oder ein sonstiges Interesse an der Planung hat oder zeigt339. 112 Ist die Planung soweit fortgeschritten, daß ein beschlußfähiger Planentwurf vorliegt, ist der Entwurf öffentlich auszulegen, § 3 II und III BauGB. Nach § 3 II 2 BauGB sollen die Träger öffentlicher Belange von der Auslegung benachrichtigt werden, gemäß § 3 II 1 BauGB sind die Beteiligten darauf hinzuweisen, daß während der Auslegungsfrist Bedenken und Anregungen geltend gemacht werden können. Die fristgerecht vorgebrachten Bedenken und Anregungen hat die Gemeinde zu prüfen und den Einwendern das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen. Werden die Bedenken und Anregungen nicht berücksichtigt, müssen sie der höheren Verwaltungsbehörde vorgelegt werden (§ 3 II 6 BauGB). 113 Nach Abschluß des Auslegungsverfahrens beschließt das Repräsentativorgan der Gemeinde (Gemeinderat, Gemeindevertretung o. ä.) über einen Flächennutzungsplan durch einfachen Beschluß, über einen Bebauungsplan durch Satzungsbeschluß, § 10 BauGB. Nach § 246 II BauGB können die Stadtstaaten eine andere Rechtsform, z. B. die Gesetzesform für den Bebauungsplan wählen 340 . 114 Nach Beschlußfassung durch die Gemeinde ist der Flächennutzungsplan gemäß § 6 I BauGB der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung341 vorzulegen. Die Genehmigungsbehörde übt gemäß § 6 II BauGB eine bloße Rechts-, keine Zweckmäßigkeitsaufsicht aus. Wird die Erteilung der Genehmigung nicht innerhalb von drei Monaten abgelehnt, gilt sie nach § 6 IV 4 BauGB als erteilt. Bebauungspläne sind grundsätzlich nicht genehmigungspflichtig, sondern nur bei der höheren Verwaltungsbehörde anzuzeigen (§11 I BauGB)342. Rügt die Aufsichtsbehörde die Verletzung von Rechtsvorschriften nicht innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Anzeige, darf der Bebauungsplan in Kraft gesetzt werden. Im Falle des § 2 VI BauGBMaßnG 343 verkürzt sich diese Frist auf einen Monat. Etwas anderes gilt insoweit für die neuen Bundesländer und für Ost-Berlin. Hier unterliegen gemäß 335 340
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Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 Rn. 8. Berlin: § 4 V 1 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuchs (AGBauGB) vom 11.12.1987 (GVB1. S. 2731) — Rechtsverordnung; Hamburg: § 3 des Gesetzes über die Feststellung von Bauleitplänen und ihre Sicherung i. d. F. vom 4.4.1978 (GVB1. I, S. 89), zuletzt geändert durch G vom 21.12.1990 (GVB1. I, S.283) - grds. Rechtsverordnung, ausnahmsw. Gesetz. Obwohl § 6 BauGB im Gegensatz zur früheren Rechtslage die Möglichkeit der Genehmigungserteilung unter Auflagen nicht mehr ausdrückl. normiert, besteht diese Möglichkeit fort. Sie ergibt sich aus den Vorschriften der VwVfGe über Nebenbestimmungen. Diese Vorschriften sind, da die Genehmigung Verwaltungsakt ist, anwendbar, Cholewa, in: Cholewa u. a., BauGB, § 6 Anm. 2; Friauf, Voraufl., 507. Genehmigungspflichtig sind gem. § 11 I BauGB aber der selbständige Bebauungsplan (§8 II 2 BauGB) u. der vorzeitige Bebauungsplan (§ 8 IV BauGB) u. gem. § 1 II BauGBMaßnG der nach dieser Vorschrift aufgestellte Bebauungsplan. Diese Regelung gilt nicht im Beitrittsgebiet, vgl. oben Rn. 11.
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§ 246 a I 1 Nr. 4 BauGB grundsätzlich (Ausnahme § 246 a 11 Nr. 4 S. 4 BauGB) alle städtebaulichen Satzungen einer Genehmigungspflicht. Den Abschluß des Aufstellungsverfahrens bildet die öffentliche Bekanntmachung 115 der Bauleitplanung (§ 12 BauGB). e) Fehlerfolgen: Die Fehlerfolgen eines Hoheitsaktes beurteilen sich i. d. Regel 116 nach seiner Rechtsform. Rechtswidrige Satzungen werden nach überkommener Auffassung als nichtig angesehen344. Damit müßte ein rechtswidriger Bebauungsplan, der wie eine Satzung beschlossen wird (§ 10 BauGB), prinzipiell nichtig sein345. Soweit dasselbe auch für sonstige Rechtsnormen und einfache Ratsbeschlüsse angenommen wird346, müßte auch der rechtswidrige Flächennutzungsplan dieses Rechtsschicksal teilen. Die Gemeindeordnungen haben diese Grundsätze allerdings modifiziert, indem sie in je nach Landesrecht unterschiedlicher Weise die rechtliche Relevanz von Verfahrensfehlern für die Geltung von Satzungen und Flächennutzungsplänen abgeschwächt haben347. Einen noch weitergehenden, tiefen Einschnitt in das Dogma von der Nichtigkeit rechtswidriger Bauleitpläne enthalten die Regelungen der §§ 214, 215 BauGB und § 9 BauGBMaßnG348. Sie beschränken die — inzidente oder prinzipale — verwaltungsgerichtliche Kontrolle und Sanktion der Bauleitplanung. Demgegenüber bleibt die aufsichtsbehördliche Rechtsaufsicht von ihnen unberührt (§216 BauGB). §§214, 215 BauGB normieren ein nicht einfach zugängliches System von Beacht- 117 lichkeits-, Unbeachtlichkeits-, Rüge- und Heilungsklauseln, das sich in den Grundzügen wie folgt ordnen läßt349: § 214 I BauGB regelt abschließend, welche Rechtsfehler wegen Verstoßes gegen Werfahrens- und Formvorschriften des BauGB für die Rechtswirksamkeit der Bauleitplanung beachtlich sind. Im Hinblick auf materielle Rechtsverstöße enthält § 214 BauGB hingegen keine abschließende Regelung, sondern bezieht sich nur auf die (Un-)Beachtlichkeit bestimmter Rechtsfehler, und zwar in Abs. 2 auf die Verletzung von Vorschriften des Verhältnisses des Bebauungsplans zum Flächennutzungsplan und in Abs. 3 auf Abwägungsfehler. §215 I BauGB regelt, welche der nach § 214 BauGB beachtlichen Fehler unbeachtlich werden, weil sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist gerügt worden sind, und § 215 III BauGB bezeichnet die Rechtsfehler, die durch die Gemeinde heilbar sind. §§214, 215 BauGB enthalten damit eine differenzierte Fehlerfolgenregelung, 118 deren Eintritt allerdings davon abhängt, daß auf sie bei Inkraftsetzung des Flächen-
344
Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 2 1 4 R n . l ; Hill, DVB1. 1 9 8 3 , 1 (4); SchmidtAßmann, DVB1. 1 9 8 4 , 5 8 2 ( 5 8 6 ) ; Pietzcker, DVB1. 1 9 8 6 , 8 0 6 ( 8 0 6 ) ; kritisch zum sog. „Nichtigkeitsdogma" Ossenbübl, N J W 1 9 8 6 , 2 8 0 5 ff.
345
Gleiches müßte für die Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan gelten. Hill, DVB1. 1 9 8 3 , 1 (4); Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, R n . 6 9 , 7 0 , vgl. dazu ausführl. Menke, Das kommunale Mitwirkungsverbot bei der Bauleitplanung, 1 9 9 0 , 8 6 ff, 163 ff. Dazu Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 9 8 f. § 9 BauGBMaßnG findet im Beitrittsgebiet bis auf seinen Abs. 3 keine Anwendung, vgl. § 2 4 6 a l l Nr. 8 BauGB u. Rn. 11. Die Fehlerfolgen einer Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan bestimmen sich nach den den §§ 2 1 4 — 2 1 6 BauGB nachgebildeten Regelungen des § 2 4 6 a I 1 N r . 6 BauGB i . V . m . § § 5 8 - 6 0 BauZVO.
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347 348
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Vgl. Gaentzsch,
in: Berliner Kommentar, § 2 1 4 R n . 4 f f .
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nutzungs- oder Bebauungsplans hingewiesen wurde (§ 215 II BauGB) 350 . Im einzelnen lassen sich die Fehlerfolgen nach ihrem Gewicht stufen351: (1) Stets beachtlich sind die in § 214 I Nr. 3 BauGB genannten Verfahrens- und Formvorschriften sowie die von den §§ 214, 215 BauGB nicht erfaßten materiellen Rechtsverstöße. (2) Nur bei fristgerechter Rüge beachtlich sind Abwägungsmängel (Frist: sieben Jahre) und die Verletzung der in § 214 I 1 Nr. 1 und 2 BauGB bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften (Frist: ein Jahr). (3) Unbeachtlich sind die in § 214 I 1 Nr. 1 HS 2 und Nr. 2 HS 2 BauGB als unbeachtlich bezeichneten Verfahrens- und Formverstöße, die in § 2 1 4 II Nr. 1—4 BauGB genannten Verletzungen von Vorschriften über das Verhältnis des Bebauungsplans zum Flächennutzungsplan sowie die nach § 214 III BauGB unerheblichen Abwägungsfehler. (4) Heilbar sind die in § 215 III BauGB bezeichneten Verletzungen von bundesund landesrechtlichen Form- und Verfahrensvorschriften. 119
Die Fehlerfolgenregelung der §§ 214, 215 BauGB, die in den alten Bundesländern vorübergehend noch durch § 9 BauGBMaßnG ergänzt wird, ist nicht neu, sondern eine Fortschreibung der Rechtslage, wie sie sich schon nach Maßgabe des Bundesbaugesetzes (§§ 155 a—155 c BBauG 352 ) darstellte. Die Rechtsentwicklung war von Beginn an von verfassungsrechtlicher Skepsis begleitet353. Maßstabsnormen für den die Fehlerfolgen regelnden Gesetzgeber sind in erster Linie Art. 20 III GG sowie Art. 19 IV GG. Art. 20 III GG normiert den Vorrang des Gesetzes. Er enthält aber keine ausdrückliche Regelung über die Sanktion eines exekutiven Rechtsverstoßes und läßt sich auch nicht als strikte Verpflichtung des Gesetzgebers interpretieren, die in Art. 20 III GG vorgesehene Rechtsbindung der Verwaltung durch eine ausnahmslose Nichtigkeitsdrohung für rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen abzusichern354. Der Blick auf die Fehlerfolgenregelungen beim Verwaltungsakt (§ 43 III, 44 VwVfGe) und Vertrag (§ 59 VwVfGe) zeigt, daß der Gesetzgeber die Folgen von Gesetzesverstößen differenziert regeln kann und unter Abwägung zwischen verschiedenen rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätzen zu regeln hat. Von daher hängt die Verfassungsmäßigkeit der Fehlerfolgenregelung davon ab, ob sie dem Erfordernis einer ausgewogenen Verhältnisbestimmung zwischen den Anforderungen an die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Geboten der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und des Gerichtsschutzes entspricht. Das wird in
Bei der Prüfung der Bauleitpläne ist daher § 2 1 5 II BauGB zunächst heranzuziehen, vgl. Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB, Vorb. § § 2 1 4 — 2 1 6 Rn.2. 351 Zum folgenden Gaentzsch, in: Berliner Kommentar, § 2 1 4 Rn. 5. 352 Vgl insofern die Überleitungsvorschrift des § 2 4 4 BauGB. 353 Dolde, BauR 1990, 1 ff; Kirchhof, NJW 1981, 2382 ff; Gubelt, NJW 1979, 2071 (2074 ff); Schmidt-Aßmann, NJW 1976, 1913 (1915 f); vgl. auch Bielenberg, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB, vor § § 2 1 4 - 2 1 6 Rn.44ff; Battis, in: ders./Krautzberger/ Lohr, BauGB, vor § § 2 1 4 - 2 1 6 Rn.3ff. 354 Hill, DVB1. 1983, 1 (5); Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn.275), 128 f; Schmidt-Aßmann, DVB1. 1984, 582 (587); Ossenbühl, NJW 1986, 2 8 0 5 (2807). 350
328
Baurecht
4. Abschn. III 2 f
der Literatur z. T. verneint355 oder bezweifelt356. Die bisherige Rechtsprechung hat sich im Hinblick auf Teilaspekte der Fehlerfolgenregelungen des Instruments der restriktiven, verfassungskonformen Gesetzesinterpretation bedient3563. f) Außerkrafttreten: Da Bauleitpläne in ihrer Geltung zeitlich nicht befristet sind, 120 treten sie grundsätzlich durch Aufhebung außer Kraft. § 2 IV BauGB bestimmt ausdrücklich, daß die Vorschriften des BauGB über die Aufstellung von Bauleitplänen auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung gelten. Rechtsdogmatisch zweifelhaft ist die Annahme, daß ein Bebauungsplan durch entgegenstehendes Gewohnheitsrecht357 oder durch sog. „Funktionsverlust" wegen grundlegender und dauerhafter Änderung der tatsächlichen Verhältnisse außer Kraft treten könne358. Bei Ungewißheit über die Rechtsgültigkeit eines Bebauungsplans darf weder die Plangenehmigungsbehörde noch die Gemeinde selbst den Plan verwerfen. Vielmehr ist die Gemeinde gehalten, den Plan im Aufhebungsverfahren (§ 2 IV BauGB) zu beseitigen359. Außer in diesem Verfahren kann der Bebauungsplan unter den Voraussetzungen des § 47 VwGO im Verfahren der prinzipalen verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle aufgehoben werden360. Eine Sonderregelung für das Außerkrafttreten von Planwerken, die auf dem 121 Gebiet der ehemaligen DDR bestanden haben, trifft § 246 a IV BauGB i. V. m. § 64 BauZVO. Soweit derartige Pläne Darstellungen wie Flächennutzungspläne i. S. d. § 5 I 1 BauGB enthalten, gelten sie als Flächennutzungspläne fort. Sie können aber gemäß § 246 a IV BauGB i. V. m. § 64 II 1 BauZVO von der Gemeinde durch einfachen Beschluß von der Fortgeltung ganz oder teilweise ausgenommen werden. Andere Pläne sind grundsätzlich außer Kraft getreten. Soweit sie aber Aussagen enthielten, die auch in einem Bebauungsplan festgesetzt sein könnten, hatte die Gemeinde bis zum 30. Juni 1991 nach § 246 a IV BauGB i. V. m. § 64 III BauZVO die Möglichkeit, die Fortgeltung des Planes durch einfachen Beschluß zu bestim355
356
356a
357 358
359
360
Z.B. Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn.79 für § 2 1 5 I N r . 2 BauGB im Hinblick auf Art. 19 IV GG; Dolde, BauR 1990, 1 (6 ff) für § 215 I Nr. 2 BauGB hinsichtl. Art. 19 IV, 20 III GG, einzelner Grundrechte bzw. des Übermaßverbotes. Für die ältere Regelung in §§ 155 a, 155 b BBauG vgl. Breuer, NVwZ 1982, 273 (276 ff); Kirchhof, NJW 1981, 2382 ff; Redeker, DVB1. 1982, 130 (132). Gaentzsch, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 1 5 Rn.5; Lohr, NVwZ 1987, 361 (369); Peine, NVwZ 1989, 637 (639) — die z.T. eine verfassungskonforme Auslegung von § 215 I Nr. 2 BauGB fordern; zur älteren Regelung in §§ 155 a, 155 b BBauG Gubelt, NJW 1979, 2071 (2074ff); für die Unbedenklichkeit der § § 2 1 4 , 215 BauGB tritt u.a. Schmaltz, DVB1. 1990, 77 ff ein. BVerwGE 6 4 , 3 3 u. BGH, ZfBR 1982, 2 6 4 (265) zu § 155 b 112 BBauG; OVG Lüneburg, ZfBR 1 9 8 1 , 2 9 4 zu § 155 b II 1 BBauG; vgl. auch BGH, BayVBl. 1 9 8 1 , 6 9 6 (698); BVerwG, NVwZ 1 9 8 3 , 3 0 ( 3 1 ) m. Anm. Gubelt, NVwZ 1 9 8 2 , 1 7 6 ff; BVerwG, ZfBR 1 9 8 7 , 1 0 1 (103). BVerwGE 26, 282 (284 f); 54, 5 (9). BVerwGE 54, 5 (8ff); aus jüng. Zeit z.B. BVerwG, ZfBR 1991, 39; VGH Mannheim, UPR 1990, 3 0 8 ; grds. zustimmend Grooterhorst, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen durch nachträgliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, 1988, bes. 96 ff. Vgl. dazu auch Degenhardt, BayVBl. 1990, 71 ff. Vgl. BVerwGE 75, 142 ff; OVG Münster, NVwZ 1982, 636; v. MutiuslHill, Die Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne durch die Gemeinden, 1983, 53 ff. Dazu unten Rn. 228.
329
4. Abschn. Ill 3 a
Walter Krebs
men. Voraussetzung für die Fortgeltung ist in beiden Fällen zudem, daß das Planwerk entsprechend den bei seiner Aufstellung geltenden Vorschriften zustande gekommen ist und daß der Inhalt mit dem Abwägungsgebot des § 1 VI BauGB vereinbar ist 361 .
3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben 122
a) Allgemeines: Soweit die Bodennutzung in der Gemeinde durch Bauleitpläne vorbereitet und geleitet wird ( § 1 1 BauGB), muß auch rechtlich sichergestellt sein, daß sich die tatsächliche bauliche Entwicklung plankonform vollzieht. Auch für den Fall, daß Bauleitpläne, insbesondere Bebauungspläne, fehlen, muß die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung rechtlich gewährleistet sein. Das Baurecht erreicht die Bindung des Baugeschehens an die Erfordernisse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch die Genehmigungsbedürftigkeit von Bauvorhaben. Dabei regelt das BauGB nicht selbst, wann ein Bauvorhaben genehmigungsbedürftig ist. Gesetzestechnisch knüpft § 29 BauGB an das in anderen Gesetzen362, insbesondere in den Bauordnungen vorgesehene Bedürfnis einer Genehmigung für (oder einer Anzeige von) Bauvorhaben an. Diese Bauvorhaben sind nur zulässig, d. h. genehmigungsfähig, wenn sie — auch — den planungsrechtlichen Erfordernissen genügen363. Auf diese Weise werden das Bauordnungsrecht und das Städtebaurecht materiellrechtlich und verfahrensrechtlich verknüpft. 123 Zentraler Begriff für die materiell-rechtliche Verbindung beider Rechtsmaterien ist der der baulichen Anlage. Er ist ausschlaggebend für den Anwendungsbereich der Landesbauordnungen ( § 1 1 1 MBO: „Dieses Gesetz gilt für alle baulichen Anlagen"), die Genehmigungsbedürftigkeit von Vorhaben (§61 MBO) und nach § 29 BauGB für die Einschlägigkeit der städtebaulichen Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben. Die Begriffe haben je nach Gesetzeszusammenhang unterschiedliche, nämlich bauordnungsrechtliche und städtebaurechtliche Funktionen, sind damit also nicht identisch, aber weitgehend, wenn auch nicht vollständig, inhaltsgleich364. Unter baulichen Anlagen i. S. des § 29 S. 1 BauGB versteht man Anlagen, „die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind" 365 . Mit dieser Definition ist das Begriffselement des Bauens („Schaffen von Anlagen") ausgedrückt, zu dem einschränkend das Merkmal der „bodenrechtlichen Relevanz" hinzukommt: Dieses liegt vor, wenn das Vorhaben die Belange des § 1 V BauGB in nicht unerheblicher Weise berühren kann und damit ein Bedürfnis nach planungsrechtlicher Kontrolle hervorruft366. Vgl. näher Krautzberger, GuG 1991, 1 (5 f) sowie ausführt. Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 1991, 140 ff. 3 6 2 Z . B . § § 4 f f , 13 ff BImSchG. 3 6 3 Zur Priorität der planungsrechtl. Prüfung Rn. 7 m. Fn. 11. 364 Ygi s tatt anderer Erbguth, in: Achterberg/Püttner, Bes. VwR, Rn. 3 1 0 ; Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn. 145. 3 « BVerwGE 44, 5 9 (62). 366 Schlichter, in: Berliner Kommentar, § 29 Rn. 6; Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 2 9 Rn. 14. Baul. Anlagen sind z. B.: dauerhaft verankertes Wohnboot — BVerwGE 44, 59 ff; am Ufer verankertes Schiff - OVG Koblenz, BRS 23, Nr. 131; Lagerplatz für Autowracks — OVG Koblenz, BRS 25, Nr. 142; Werbeanlagen — BVerwG, DVB1. 1973, 4 0 ff; hölzerne Podestplatten für Zelte - BVerwG, DVB1. 1975, 4 9 7 f. 361
330
Baurecht
4.Abschn. III 3 a
Verfahrensrechtlich sind Bauordnungsrecht und Städtebaurecht miteinander 124 verknüpft, weil die Bauaufsichtsbehörden, denen der Vollzug der Bauordnungen obliegt, das Baugenehmigungsverfahren durchführen, in dem auch die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens überprüft wird. Den Bauaufsichtsbehörden obliegt damit insofern auch der Vollzug der Planungsentscheidungen der Gemeinde. Das kann zu Kollisionen mit der gemeindlichen Planungshoheit insbesondere dann führen367, wenn die Bauaufsichtsbehörde kein Organ der betroffenen Gemeinde ist 368 . Das BauGB schafft insofern Kompensation durch gemeindliche Einvernehmenserfordernisse. Das heißt, daß die Bauaufsichtsbehörde bestimmte Entscheidungen nur im Einvernehmen mit der Gemeinde treffen darf 369 . Die Systematik der gesetzlichen Regelung über die planungsrechtliche Zulässig- 125 keit von Bauvorhaben folgt der Einteilung von Gebieten, wie sie in § 19 I Nr. 1—3 BauGB enthalten ist: (1) Vorhaben im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (S 30 I BauGB) 370 , (2) Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB), (3) Vorhaben im sog. Außenbereich, d. h. außerhalb der von (1) und (2) bezeichneten Gebiete (§ 35 BauGB). Die gesetzliche Systematik verdeutlicht die Funktion der Vorschriften über die planungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines qualifizierten Bebauungsplans. Ihnen muß es darum gehen, planerische Kriterien („Planersatzfunktion") aufzustellen, mit deren Hilfe sich die städtebauliche Entwicklung ordnen läßt. Die Zulässigkeit der Bauvorhaben beurteilt sich nach den jeweiligen Maßgaben, 126 die für die unter (1), (2) und (3) genannten planungsrechtlichen Bereiche gelten. Keinen zusätzlichen planungsrechtlichen Bereich, wohl aber einen weiteren positiven Zulässigkeitstatbestand371 schafft § 33 BauGB. Die Anwendung der Norm setzt voraus, daß ein Bauvorhaben nach den §§30, 34 oder 35 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, und kann in diesen Fällen ausnahmsweise dazu führen, daß das Bauvorhaben trotzdem im Hinblick auf die künftigen planerischen Festsetzungen genehmigt werden kann und muß372. § 33 BauGB ist nicht nur bei der erstmaligen Aufstellung eines Bebauungsplans anwendbar, sondern gilt auch für Planänderungen und -ergänzungen.
367 368 369 370
371
372
Vgl. schon Rn. 20. Zu den Bauaufsichtsbehörden Rn. 202. §§ 36, 14 II 2, 19 III 1 BauGB. Ein qualifizierter Bebauungsplan muß die in § 30 I BauGB genannten Festsetzungen enthalten, vgl. oben Rn. 83. BVerwGE 20, 127 (130 ff); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 3 3 Rn. 1 f; vgl. zum Überblick Steiner, DVB1. 1991, 739 ff. BVerwGE 20, 127 (131); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 33 Rn. 1; Schlichter, in: Berliner Kommentar, § 3 3 Rn.3. 331
4. Abschn. Ill 3 b bb 127
b) Zulässigkeit bauungsplans:
von
Walter Krebs
Vorhaben
im Geltungsbereich
eines
qualifizierten
Be-
aa) §30 I BauGB stellt folgende Voraussetzungen auf: (1) Das Bauvorhaben muß im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegen. (2) Das Bauvorhaben darf den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widersprechen, oder es muß nach § 31 I BauGB eine Ausnahme zugelassen bzw. nach § 31 II BauGB eine Befreiung erteilt worden sein (dazu unter bb). Zu beachten ist, daß auch kein Widerspruch zu den nach § 1 III 2 BauNVO zum Planbestandteil gewordenen Vorschriften der BauNVO 373 bestehen darf. (3) Die Erschließung muß gesichert sein. Den Begriff der Erschließung verwendet das Gesetz an verschiedenen Stellen (vgl. § § 1 2 3 ff BauGB), allerdings nicht einheitlich. Die Erschließung i. S. des § 30 I BauGB umfaßt zumindest den Anschluß des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz, die Versorgung mit Elektrizität und Wasser und die Abwasserbeseitigung374. Sie ist gesichert, wenn die Anlagen spätestens bis zur Fertigstellung der baulichen Anlage benutzbar sein werden 375 . 128
bb) Ausnahmen und Befreiungen: Die Abstraktheit des Bebauungsplans kann dazu führen, daß seine Anwendung im Einzelfall den Bauwilligen übermäßig belastet oder städtebaulichen Interessen zuwiderläuft. § 31 BauGB eröffnet deshalb der Baugenehmigungsbehörde die Möglichkeit, Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines — einfachen oder qualifizierten — Bebauungsplans zu erteilen. Ausnahmen ( § 3 1 I BauGB) sind solche Abweichungen vom Bebauungsplan, die schon der Bebauungsplan selbst nach Art und Umfang ausdrücklich vorsieht. Sie stellen also keine Durchbrechung des planerischen Konzepts dar, sondern realisieren nur die Möglichkeiten einer städtebaulichen Entwicklung, wie sie die planende Gemeinde selbst ins Auge gefaßt hat 376 . Demgegenüber ist die Erteilung einer Befreiung ( § 3 1 II BauGB) von den Festsetzungen des Bebauungsplans eine Abweichung vom planerischen Konzept. Sie ermöglicht damit die Durchführung von Bauvorhaben, die sonst nur bei entsprechender Planänderung zulässig wären, und kommt damit nur für atypische Fälle in Betracht 377 . § 31 II BauGB normiert drei Befreiungstatbestände: (1) Entweder muß das Wohl der Allgemeinheit die Befreiung erfordern 378 , oder (2) die Abweichung muß städtebaulich vertretbar sein und darf die Grundzüge der Planung nicht berühren, oder 373
374
Vgl. oben Rn. 85.
Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löbr,
BauGB, §30 Rn. 16; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/
Bielenberg, BauGB, § 30 Rn. 42. 375
BVerwG, Rn. 5 0 f.
376
Erbguth, in: Achterberg/Püttner,
377
BVerwG, NVwZ 1990, 5 5 6 (556); NJW 1991, 2 7 8 3 (2785); Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 3 1 R n . 2 3 f f ; differenzierend Schmidt-Eichstaedt, DVB1. 1989, 1 ff. Dazu BVerwGE 56, 71 ff. Zu beachten ist in den alten Bundesländern, daß gem. § 4 I BauGBMaßnG dringender Wohnbedarf einen Grund des Wohls der Allgemeinheit darstellt.
378
332
BauR
1986,
305;
Söfker,
in:
ErnstlZinkahn/Bielenberg,
BauGB,
§30
Bes. VwR, Rn.318.
Baurecht
4.Abschn. III 3 c
(3) die Durchführung des Plans würde zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen379. Für alle drei Fälle verlangt § 31 II BauGB zusätzlich, daß die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Der Wortlaut des § 31 I und § 31 II BauGB stellt die Zulassung einer Ausnahme bzw. die Erteilung einer Befreiung in das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde. Ob trotzdem bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen ein strikter Rechtsanspruch auf die Bewilligung der Abweichung besteht, ist umstritten380. c) Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Orts- 129 teile (§34 BauGB): Die Zulässigkeit eines Vorhabens im planungsrechtlichen Bereich des § 34 BauGB (sog. Innenbereich) setzt voraus, daß (1) das Vorhaben im räumlichen Geltungsbereich des § 34 BauGB liegt; (2) kein Widerspruch zu den Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans vorliegt (§30 II BauGB); (3) das Vorhaben sich i. S. des § 34 I BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung „einfügt" oder — hinsichtlich der Art des Vorhabens — die Voraussetzungen des § 34 II BauGB vorliegen oder die Ausnahmeregelung des § 34 III BauGB Anwendung findet; (4) keine der in § 34 I BauGB bzw. in § 34 III BauGB bezeichneten öffentlichen Belange entgegenstehen und (5) die Erschließung gesichert381 ist. Ein Vorhaben liegt im räumlichen Geltungsbereich des § 34 BauGB, wenn es sich 130 außerhalb des Geltungsbereichs eines qualifizierten Bebauungsplans, aber innerhalb eines „im Zusammenhang bebauten Ortsteils" befindet. Mit der letzteren gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde gemeint, der nach Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist 382 . Es darf sich nicht nur um eine „Splittersiedlung" handeln, vielmehr muß ein Bebauungszusammenhang bestehen, der trotz vorhandener Baulücken den Eindruck von Geschlossenheit 375
380
381 382
Gemeint sind nicht persönl., sondern nur bodenbezogene Härten, vgl. BVerwGE 40, 268 (269, 2.LS); NJW 1991, 2783 (2785). Solche liegen z.B. vor, wenn das Grundstück wegen seines besonderen Zuschnitts nur begrenzt oder erschwert bebaubar ist. Auf die Erteilung einer Ausnahme besteht nach VG Münster, DVB1. 1967, 298 ff bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein strikter Rechtsanspruch. Nach VGH Mannheim, BauR 1990, 340 f besteht zumindest im Fall des § 31 II Nr. 1 BauGB weder ein Anspruch auf eine Befreiung noch ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber, weil sonst der Bauherr zum Sachwalter öffentl. Belange gemacht würde, vgl. auch z.B. Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 3 1 R n . 3 0 . Unabhängig davon, ob eine Ausnahme oder eine Befreiung begehrt wird, u. unabhängig vom maßgebl. Befreiungstatbestand besteht dagegen in jedem Fall ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, i.d.S. z.B. Grabis, in: dersJKautber/Dieckmann, BauR, 138; Battis, Öffentl. BauR, 162; Schlichter, in: Berliner Kommentar, § 3 1 R n . 4 0 ; Erwe, Ausnahmen und Befreiungen im öffentlichen Baurecht, 1987, 35, 93, 139. Dazu schon oben Rn. 127. BVerwGE 31, 22 (26). 333
4 . A b s c h n . Ill 3 c
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vermittelt383. Zur griffigeren Handhabung dieser etwas vagen gesetzlichen Vorgabe ermöglicht §34 IV BauGB den Gemeinden, den Anwendungsbereich von §34 BauGB teils deklaratorisch, teils konstitutiv durch sog. Abgrenzungssatzungen (Nr. 1), Entwicklungssatzungen (Nr. 2) oder Abrundungssatzungen (Nr. 3) festzulegen384. 131 Die Planersatzfunktion des §34 BauGB wird deutlich an dem gesetzlichen Erfordernis, daß sich das Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muß. Eine Genehmigung nach § 34 BauGB kommt von daher nur dort in Betracht, wo das Baugrundstück durch seine Umgebung tatsächlich in bestimmter Weise geprägt ist385. Ein „Einfügen"3^6 i. S. des § 34 I 1 BauGB setzt voraus, daß sich das Vorhaben innerhalb des durch die Umgebung gezogenen Rahmens der tatsächlich vorhandenen Bebauung hält 387 ; es darf ihn ausnahmsweise überschreiten, wenn dadurch keine boden- bzw. planungsrechtlichen Spannungen erzeugt werden, und ist in jedem Fall unzulässig, wenn es die gebotene Rücksichtnahme auf die in seiner unmittelbaren Nachbarschaft vorhandene Bebauung vermissen läßt 388 . Entspricht ein Baugebiet hinsichtlich seiner Bebauung einem der in der BauNVO genannten Baugebiete, so ist nach §34 II BauGB hinsichtlich der Art der Nutzung allein389 darauf abzustellen, ob das Bauvorhaben nach den Kriterien der BauNVO zulässig ist. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der Bauweise verbleibt es bei § 34 I BauGB, d. h., das Vorhaben muß sich insofern in die nähere Umgebung einfügen. Zur Standortsicherung für Betriebe in Gemengelagen390 enthält § 34 III 383 Vgl z u r Bestimmung „des im Zusammenhang bebauten Ortsteils" z.B. BVerwGE 31, 20 f; 31, 22 (26 ff); BRS 20, Nr. 34; BRS 25, Nr. 41; DVB1. 1975, 509 ff; NJW 1984, 1576ff; ZfBR 1987, 44 (44 f); NuR 1990, 22. 384
385 386
387
Dazu Hansen, DVB1. 1986, 1044 ff u. Dyong, ZfBR 1982, 109 ff, jew. zur Rechtslage nach dem BBauG. Aus der neueren Rspr. vgl. z.B. BVerwG, DVB1. 1990, 1112; VGH Mannheim, UPR 1990, 395. Friauf, Voraufl., 525; vgl. dazu auch BVerwG, BRS 25, Nr. 36 (S. 99 f). Ausführl. dazu BVerwGE 55, 369 (381 ff); vgl. aus der neueren Rspr. z.B. BVerwGE 75, 34 ff. In einem allgemeinen Wohngebiet ist ein gewerbl. Garagenhof planungsrechtl. unzulässig — OVG Münster, NwVBl. 1991, 12 (13). Eine private Benzinzapfstelle in einem ausschl. zum Wohnen genutzten Gebiet ist unzulässig — VGH München, BRS 27, Nr. 48. Eine Diskothek kann im unbeplanten Innenbereich zulässig sein, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem Mischgebiet entspricht — BVerwG, ZfBR 1982, 90 f. Eine Spielhalle mit 150 qm Spielfläche ist typischerweise in einem allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig — OVG Münster, NwVBl. 1991, 13 f. In einem von Einfamilienhäusern geprägten Wohnbereich fügt sich die Nutzung eines Anbaus als Pferdestall nicht in die Eigenart des Gebietes ein — OVG Münster, BRS 23, Nr. 39. Ein dreigeschossiges Mietshaus ist in einem unbeplanten, ländlichen Bereich mit ein- und zweigeschossiger Bebauung unzulässig — OVG Lüneburg, BRS 25, Nr. 43. Ein Wintergartenanbau in einer einheitl. gestalteten Reihenhausanlage ist unzulässig — VGH München, BayVBl. 1980, 405.
388 389
390
334
BVerwGE 55, 369 (386); NJW 1981, 139 (139). Hinsichtl. der Art der Nutzung ist in diesem Fall ein Rückgriff auf § 34 I BauGB ausgeschlossen, BVerwG, NVwZ 1990, 557. Vgl. BVerwG, J Z 1991, 138 (140); Friauf, Voraufl., 525; Bielenberg/Mainczyk/Ottel Söfker, DVB1. 1985, 1097 (1103).
4. Abschn. III 3 d
Baurecht
BauGB eine Ausnahmeregelung von den Maßgaben des § 34 I und II BauGB; eine ähnliche Ausnahme zugunsten der Schaffung von Wohnraum sieht die Übergangsregelung des § 4 II BauGBMaßnG 391 vor. d) Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich: Den Außenbereich und damit den 132 räumlichen Geltungsbereich des § 3 5 BauGB definiert § 19 I Nr. 3 BauGB nicht positiv, sondern negativ als den Bereich, der weder von § 3 0 I BauGB noch von § 34 BauGB erfaßt wird. Außenbereiche sind demnach alle Gebiete, die nicht im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten392 Bebauungsplans ( § 3 0 1 BauGB) und außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegen. Der Begriff des Außenbereichs ist damit ein reiner Rechtsbegriff; die Assoziationen von „Stadtferne" und „freier Natur", die der sprachliche Ausdruck hervorruft, können zwar, müssen aber durchaus nicht auf die Gebiete zutreffen, die von § 35 BauGB erfaßt werden 393 . Das BauGB geht davon aus, daß der Außenbereich bevorzugt für bestimmte 133 Nutzungsarten zur Verfügung stehen soll. § 35 BauGB unterscheidet daher die sog. privilegierten Vorhaben (Abs. 1 Nr. 1—6), die unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind, und die sonstigen Vorhaben, die im Einzelfall zugelassen werden können (Abs. 2). Der Katalog der privilegierten Vorhaben in § 35 I BauGB ist abschließend 394 . „Essentiale der Privilegierung ist jeweils eine bestimmte Nutzungsart, also die bauliche Anlage in ihrer privilegierten Funktion" 395 . Nutzungsänderungen können also zu einer Entprivilegierung führen. Das kann Probleme bei einem wirtschaftlichen Strukturwandel, insbesondere im landwirtschaftlichen Bereich, hervorrufen. Dem versucht § 35 IV BauGB Rechnung zu tragen 396 . Zulässigkeitsvoraussetzungen für Vorhaben im Außenbereich sind: 134 — für privilegierte Vorhaben (1) es muß einer der Privilegierungstatbestände des § 35 I Nr. 1—6 BauGB erfüllt sein; (2) es darf kein Widerspruch zu einem einfachen Bebauungsplan vorliegen (§ 30 II BauGB); (3) öffentliche Belange dürfen nicht entgegenstehen, und (4) die Erschließung muß gesichert sein. — für sonstige Vorhaben im Außenbereich (1) es darf kein Widerspruch zu einem einfachen Bebauungsplan vorliegen (§ 3 0 II BauGB); (2) öffentliche Belange dürfen nicht beeinträchtigt sein, und (3) die Erschließung muß gesichert sein 397 . Gem. § 2 4 6 a l l Nr. 8 BauGB findet § 4 II 1 BauGBMaßnG auch in den neuen Ländern u. in Ost-Berlin (befristet bis zum 3 1 . 1 2 . 1 9 9 7 ) Anwendung. 3 9 2 Zum Begriff schon oben Rn. 83. 393 Yg[ a u c h Taegen, in: Berliner Kommentar, § 35 Rn. 5.
391
394
Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr,
395
Friauf, Voraufl., 5 2 8 ; vgl. auch BVerwGE 47, 185 (188). Dazu noch unter Rn. 136. Diese Voraussetzung ist vom Gesetz nur für privilegierte Vorhaben genannt, gilt als allgemeine Voraussetzung aber auch für sonstige Vorhaben, BVerwGE 26, 111 (118);
396 397
BauGB, § 35 Rn. 1.
Dyong, in: Cholewa u.a., BauGB, §35 Anm.7b; Finkelnburg, in: ders.lOrtloff,
BauR I,
268.
335
4. Abschn. Ill 3 d
Walter Krebs
135
Die öffentlichen Belange, die einem privilegierten Vorhaben „nicht entgegenstehen" (§ 35 I BauGB) und von einem sonstigen Vorhaben „nicht beeinträchtigt" (§35 II BauGB) sein dürfen, sind beispielhaft („insbesondere") in §35 III BauGB aufgezählt398. Zu ihnen zählen auch die Darstellungen im Flächennutzungsplan (1. Spiegelstrich), die dergestalt mittelbar Außenwirkung erlangen können 399 . Gleichwohl darf der Flächennutzungsplan auch in diesen Fällen nicht wie ein rechtsverbindlicher Außenrechtssatz gehandhabt werden. Seine Darstellungen sind nur „entgegenstehend", wenn sie „sachlich und räumlich hinreichend konkret sind" 400 . 136 Für gesetzlich besonders genannte sonstige Vorhaben bestimmt §35 IV BauGB, daß bestimmte öffentliche Belange (Widerspruch gegen Darstellungen des Flächennutzungs- oder eines Landschaftsplans, Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft, Splittersiedlung) sonstigen Vorhaben i. S. d. § 35 II BauGB nicht entgegengehalten werden dürfen. § 35 IV 1 Nr. 1 BauGB betrifft den Fall, daß ein vorhandenes, wegen landwirtschaftlicher Nutzung privilegiertes Gebäude durch Nutzungsänderung entprivilegiert werden soll. Das wäre z. B. grundsätzlich nach § 35 II und III BauGB unzulässig, wenn der Flächennutzungsplan die erstrebte neue Nutzung nicht zuläßt. Nach § 35 IV 1 Nr. 1 BauGB ist jedoch dieser Belang nicht zu berücksichtigen401. § 35 IV 1 Nr. 2—6 BauGB erleichtern die Zulässigkeit bestimmter Ersatz- und Erweiterungsbauten402. An die Regelung des § 35 IV 1 Nr. 1 BauGB knüpft § 4 III BauGBMaßnG 403 an. Wird ein ehemals landwirtschaftliches Gebäude zu Wohnzwecken umgenutzt, so dürfen bis zu drei Wohnungen im Gebäudekomplex einer Hofstelle eingerichtet werden, selbst wenn dies mit wesentlichen Änderungen verknüpft ist. Es muß die äußere Gestalt „im wesentlichen gewahrt bleiben" 404 . 137 Öffentliche Belange haben ebenso für die Zulässigkeit von privilegierten Vorhaben wie für die Zulässigkeit sonstiger Vorhaben Bedeutung. Zur Feststellung, ob öffentliche Belange einem Vorhaben i. S. des § 35 I BauGB entgegenstehen oder 398
399 400 401
402 403
404
336
Praktisch bedeutsam ist z.B. der Belang „Hervorrufung schädlicher Umwelteinwirkungen". Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist in § 3 BImSchG legal definiert. Diese Definition kann auch im Anwendungsbereich des § 35 III BauGB herangezogen werden, BVerwGE 52, 122 (126). Häufig beschäftigt hat die Rspr. u.a. auch der Belang „Gefahr einer Splittersiedlung", vgl. dazu z.B. BVerwGE 25, 161 ff; 27, 1 3 7 f f ; ZfBR 1983, 3 1 ; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 2 3 2 f . Vgl. oben Rn. 80. BVerwGE 68, 3 1 1 ; vgl. auch E 79, 318 (323). Wird ein nach § 35 I BauGB privilegiertes Gebäude einer neuen Nutzung zugeführt, die dann wiederum in eine neue Nutzung überführt werden soll, so beurteilt sich die zweite Nutzungsänderung nicht nach § 35 IV, sondern nach § 35 II, III BauGB, BVerwG, NuR 1989, 3 0 2 (303 f). Zur Rspr. vgl. die Nachw. bei Hüttenbrink, DVB1. 1990, 129 (134 f m. Fn.55ff). Die Regelung findet in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin keine Anwendung, vgl. Rn. 11. Zur Möglichkeit des gem. § 246 a l l Nr. 8 BauGB auch im Beitrittsgebiet geltenden § 4 IV BauGBMaßnG, im Außenbereich „Außenbereichssatzungen" zu erlassen, vgl. Moench, NVwZ 1990, 918 (921) u. ausführl. Sößer, in: Bielenberg/Krautzberger/ Söfker, BauGB, R n . 2 1 0 ; Jäde, UPR 1991, 5 0 (55 f).
Baurecht
4. Abschn. III 3 e aa
durch ein Vorhaben i. S. des § 35 II BauGB beeinträchtigt werden, ist jeweils eine Abwägung zwischen dem Vorhaben und den berührten Belangen erforderlich. Die sprachliche Differenzierung zwischen Abs. 1 („entgegenstehen") und Abs. 2 („beeinträchtigen") bringt zum Ausdruck, daß privilegierte Vorhaben nach der Vorstellung des Gesetzes gerade vorzugsweise im Außenbereich durchgeführt werden sollen. Das ist bei der Abwägung zu berücksichtigen405. Fällt die Abwägung zugunsten des Vorhabens aus, besteht ein Rechtsanspruch auf die Genehmigung. Aus Gründen des Grundrechtsschutzes406 gilt dies — entgegen dem Wortlaut von § 35 II BauGB („können") — auch für die Zulässigkeit „sonstiger Vorhaben" 407 . e) Zulässigkeit von Vorhaben auf Grund besonderen Eigentumsschutzes: Bau- 138 freiheit ist die durch grundrechtskonforme Rechtsregelungen eingeräumte Befugnis zur baulichen Nutzung des Grundeigentums408. Die so erworbene Rechtsposition genießt den Grundrechtsschutz des Art. 14 I GG, und es fragt sich, ob nicht die verfassungsrechtliche Sicherung des status quo zu unmittelbar aus dem Eigentumsgrundrecht abzuleitenden Nutzungsansprüchen führen kann. Jedenfalls im Ergebnis ging das BVerwG in seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus und entwickelte jenseits der dargestellten gesetzlichen Regelungen zusätzliche Zulässigkeitstatbestände409. aa) Bestandsschutz: War eine bauliche Anlage ursprünglich baurechtlich zuläs- 139 sig, so sichert der verfassungsrechtliche Bestandsschutz ihren Bestand gegen spätere Änderungen des Baurechts. Geschützt ist die ursprünglich legale Grundstücksnutzung in ihrer jeweiligen Funktion410 („passiver Bestandsschutz"). Vom Bestandsschutz wurden nach der bisherigen Rechtsprechung darüber hinaus Folgeinvestitionen erfaßt, die zur Erhaltung und zeitgemäßen Nutzung der Anlage erforderlich waren, sofern die Identität des Bauwerks gewahrt blieb411 („aktiver Bestands405
Vgl. BVerwGE 28, 148 (150); 28, 268 (274); Dyong, in: Ernst/ZinkahnlBielenberg, BauGB, § 3 5 Rn. 154; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 3 5 Rn. 4; Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, R n . 1 8 8 . In der Entscheidung BVerwGE 68, 311 (314f) betont das Gericht, der Gesetzgeber gehe zwar von der generellen Zulässigkeit der privilegierten Vorhaben im Außenbereich aus, er habe aber die Frage des konkreten Standorts privilegierter Vorhaben nicht „planartig" entschieden, sondern der Prüfung am Maßstab öffentl. Belange unterworfen. Auch für privilegierte Vorhaben gelte das Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs.
406
Dazu oben Rn. 30. BVerwGE 18, 2 4 7 (250f); MDR 1981, 6 5 2 ; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 3 5 Rn. 4 7 ; Dyong, in: Ernst/Ztnkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 5 Rn. 75; a. A. in jüngerer Zeit Ortloff, NVwZ 1988, 3 2 0 ff. Zur — umstrittenen — Konzeption des Art. 14 I GG vgl. oben Rn. 27 ff. Zum Bestandsschutz: BVerwGE 27, 341 (343); 50, 4 9 (55 ff); 72, 362 (363). Aus der Lit. vgl. Schenke, NuR 1989, 8 ff; Lenz/Heintz, ZfBR 1989, 142 ff; Ziegler, ZfBR 1982, 146 ff. Zur eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition: BVerwGE 26, 111 (117ff); 4 7 , 127 (130 f); 49, 365 (372). Aus der Lit. vgl. Weyreuther, Bauen im Außenbereich, 1979, 143 ff; Ziegler, ZfBR 1982, 1 4 6 ff.
407
408 409
410
4U
BVerwGE 25, 161 (162); 27, 341 (343); BGH, NVwZ 1986, 2 4 5 (245); Friauf, WiVerw. 1986, 87 (89); Schenke, NuR 1989, 8 (9 ff). BVerwGE 47, 126 (128 f); 72, 3 6 2 (363); Friauf, WiVerw. 1986, 87 (89 ff).
337
4. Abschn. Ill 3 e bb
Walter Krebs
schütz"). War die Funktionsfähigkeit vorhandener Anlagen in der Weise gefährdet, daß ohne Änderungen, Erweiterungen oder Nutzungsänderungen der Bestandsschutz der vorhandenen Anlage sinnlos gewesen wäre, hielt die Rechtsprechung auch derartige Vorhaben auf Grund sog. überwirkenden Bestandsschutzes für zulässig412. bb) „Eigentumskräftig verfestigte Anspruchspositionen" sollten sich nach der früheren Rechtsprechung auf die bodenrechtliche Grundstücksqualität von im allgemeinen unbebauten Grundstücken beziehen und die eigentumsrechtliche Entsprechung zum Bestandsschutz bei bebauten Grundstücken bilden413. War ein Grundstück einmal legal Bauland geworden, so konnte auch bei späterem Verlust der Baulandeigenschaft aufgrund von Art. 14 I GG ein Bebauungsanspruch bestehen. „Eine derart eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition setzt zweierlei voraus, nämlich erstens, daß überhaupt irgendwann ein Anspruch auf die Zulassung der Bebauung entstanden ist, und zweitens, daß dieser Anspruch nach Art. 14 I GG gegen eine entschädigungslose Entziehung geschützt, also mit anderen Worten .Eigentum' im Sinne dieser Vorschrift geworden ist" 414 . Das sollte z. B. dann der Fall sein, wenn sich nach der Verkehrsauffassung aus der gegebenen Situation die Bebaubarkeit eines Grundstücks aufdrängte415. Dergestalt konnte auch der Ersatzbau eines zerstörten Bauwerkes zulässig sein, der vom „Bestandsschutz" (aa) nicht mehr geschützt gewesen wäre 416 . 141 Das BVerwG hatte diese Rechtsprechung unter der Geltung früherer Fassungen der planungsrechtlichen Zulassungstatbestände entwickelt. Der zugrunde liegende Gedanke hat jetzt in § § 3 4 III, 35 IV BauGB und in § 4 II, III BauGBMaßnG Ausdruck gefunden417. Ob trotz der (nun) vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Begründung der Zulässigkeit von Bauvorhaben noch auf die genannten Rechtsinstitute zurückgegriffen werden darf, ist fraglich und hängt davon ab, inwieweit die jetzigen gesetzlichen Vorschriften als abschließende Regelungen aufgefaßt werden müssen. Das BVerwG hat dazu nunmehr entschieden: „Ein Anspruch auf Bebauung aus ,eigentumskräftig verfestigter Anspruchsposition', wie er in der Rechtsprechung erörtert worden ist, besteht nicht; die Fallgruppen, für die dieser Anspruch ursprünglich gedacht war, hat der Gesetzgeber inzwischen normiert" 418 . Soweit die gesetzlichen Regelungen abschließend sind, ist der Rückgriff auf „Bestandsschutz" und auf „eigentumskräftig verfestigte Anspruchspositionen" ausgeschlossen. 140
412
413 414 415 416
417 418
338
BVerwGE 49, 365 (369 f); 50, 49 (56ff); BGH, NVwZ 1 9 8 6 , 2 4 5 ; Schenke, NuR 1989, 8 (16 f); Friauf, WiVerw. 1986, 87 (92ff); Lenz/Heintz, ZfBR 1989, 142 (144 f). Vgl. dazu BVerwGE 26, 111 (115 ff); 47, 126 (130ff); 49, 3 6 5 (372); 55, 2 7 2 (274). BVerwGE 26, 111 (117f). BVerwGE 47, 126 (131); 49, 365 (372); 67, 84 (92). Vgl. BVerwGE 47, 126 (131); vgl. hierzu auch Taegett, in: Berliner Kommentar, § 3 5 Rn. 58. Vgl. oben Rn. 131, 136. BVerwG, BayVBl. 1 9 9 1 , 1 8 0 (180, 3. LS). Inwieweit diese Aussage auch für Ansprüche auf Bebauung aus dem Rechtsinstitut des Bestandsschutzes gelten soll, ist unklar. In der Entscheidung BVerwG, J Z 1991, 138 (141) geht das Gericht offenbar grds. vom Fortbestand des Rechtsinstituts des Bestandsschutzes aus, hält aber eine Zulassung von Betriebserweiterungen im unbeplanten Innenbereich, die nach § 34 I, II BauGB nicht genehmi-
Baurecht
4. Abschn. III 3 f
f) Zulässigkeit von Vorhaben auf Grund einer Satzung über einen Vorhaben142 und Erschließungsplan: Für die neuen Bundesländer und Ost-Berlin schafft § 2 4 6 a l l Nr. 6 BauGB i. V. m. § 55 BauZVO übergangsweise einen neuartigen, außerhalb der § § 3 0 ff BauGB stehenden Zulässigkeitstatbestand für Bauvorhaben. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß in den Gemeinden im Gebiet der ehemaligen DDR nur ein geringer Bestand an städtebaulichen Planungen vorhanden ist 419 . Die Zulässigkeit von Bauvorhaben beurteilt sich dort deshalb vorwiegend nach § § 3 4 , 35 BauGB. Um dringende Investitionen in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Infrastruktur auch dann zu ermöglichen, wenn die mit den Investitionen verbundenen Bauvorhaben nicht nach den § § 3 4 , 35 BauGB genehmigungsfähig sind und wenn sonst zur Ansiedlung dieser an sich erwünschten Nutzungen zunächst Bebauungspläne aufgestellt werden müßten, ermächtigt § 246 a l l Nr. 6 BauGB i. V. m. § 55 BauZVO die Gemeinden, nach § 34, 35 BauGB nicht genehmigungsfähige Bauvorhaben durch Satzung für zulässig zu erklären 420 . Wesentliches Element einer solchen Satzung ist ein von einem bauwilligen Investor vorzulegender Plan zur Durchführung eines oder mehrerer konkreter Vorhaben und zu deren Erschließung („Vorhaben- und Erschließungsplan", § 5 5 I 1 Nr. 3 BauZVO). Dieser Plan enthält Aussagen über Art und Maß der beabsichtigten baulichen Nutzung sowie über die erforderlichen Erschließungsanlagen. Zudem muß sich der Investor zur Verwirklichung421 des Plans innerhalb einer bestimmten Frist 422 verpflichten. Billigt die Gemeinde den vorgelegten Vorhaben- und Erschließungsplan, wird dieser gemäß § 246 a l l Nr. 6 BauGB i. V. m. § 55 I 2 BauZVO Bestandteil der von der Gemeinde zu beschließenden Satzung über die Zulässigkeit des Vorhabens. Um ihrer „Planersatzfunktion" gerecht zu werden, darf die Satzung aber nicht nur den Vorhaben- und Erschließungsplan des Investors übernehmen. Vielmehr muß sie gemäß § 246 a I 1 Nr. 6 BauGB i. V. m. § 55 II 1 BauZVO mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung, insbesondere mit den Grundsätzen des § 1 BauGB vereinbar sein. Um dies zu gewährleisten, darf die Gemeinde gemäß § 55 I 3 BauZVO weitere Festsetzungen entsprechend § 9 BauGB in die Satzung aufnehmen. gungsfähig sind, auf der Grundlage von Art. 14 I GG seit dem Inkrafttreten von § 3 4 III 1 Nr. 2 BauGB nicht mehr für möglich, „denn diese Vorschrift stellt im Rahmen ihres Anwendungsbereichs eine Regelung des Inhalts und der Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar und schließt damit zugleich einen unmittelbaren Rückgriff auf Art. 14 GG aus", aaO, 141. Vgl. ähnl. in der Argumentation auch BVerwG, NVwZ 1991, 9 8 4 ff; DÖV 1991, 8 8 6 (889) zu Fragen des Bestandsschutzes im Bauordnungsrecht. 419
420
421
422
Bielenberg, DVB1. 1990, 1314 (1318); zum teilw. Fortbestand alter Planwerke vgl. Rn. 121. Vgl. dazu Krautzberger, GuG 1991, 1 (3 ff); Weidemann/Deutsch, NVwZ 1991, 9 5 6 ff; Stich, BauR 1991, 4 1 3 ff. Zur Verwirklichung zählen nicht nur der Bau des Vorhabens, sondern i. d. R. auch die Übernahme aller Kosten der Planung und Durchführung einschließl. der gesamten Erschließungskosten, Krautzberger, GuG 1991, 1 (4); Stich, BauR 1991, 4 1 3 (417). Wird der Plan nicht innerhalb der Frist durchgeführt, soll die Gemeinde die Satzung gem. § 5 5 V 1 BauZVO aufheben. Zum Aufhebungsverfahren vgl. § 5 5 V 3 BauZVO. Zum Verfahren bei einer möglichen Satzungsänderung vgl. § 5 5 VI BauZVO. 339
4. Abschn. Ill 4
Walter Krebs
Für eine Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungsplan gelten folgende
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen423: (1) Das geplante Vorhaben kann ohne Aufstellung eines Bebauungsplans nicht zugelassen werden (§ 55 I 1 Nr. 1 BauZVO); (2) die Durchführung des Vorhabens ist für die Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Deckung eines Wohnbedarfs oder für erforderliche Infrastrukturmaßnahmen dringlich ( § 5 5 I 1 Nr. 2 BauZVO); (3) der Vorhabenträger legt einen Vorhaben- und Erschließungsplan vor, zu dessen Verwirklichung innerhalb einer bestimmten Frist er sich verpflichtet ( § 5 5 I 1 Nr. 3 BauZVO); (4) Billigung dieses Plans durch die Gemeinde (§ 55 I 2 BauZVO); (5) die Satzung ist mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar (§ 55 II 1 BauZVO) und enthält erforderlichenfalls weitere Festsetzungen entsprechend § 9 BauGB (§ 55 I 3 BauZVO); (6) Beteiligung der betroffenen Bürger und Träger öffentlicher Belange (§ 5 5 III 1, 2 BauZVO); (7) ordnungsgemäßer Satzungsbeschluß 424 ; (8) Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde ( § 5 5 III 3 BauZVO); (9) ordnungsgemäße Bekanntmachung (§ 55 III 4 BauZVO). Liegt eine wirksame Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungsplan vor, beurteilt sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 55 IV BauZVO. Ein Vorhaben ist danach zulässig, wenn (1) es der Satzung nicht widerspricht oder eine nach § 2 4 6 a I 1 Nr. 6 a) BauGB mögliche Ausnahme 425 entsprechend § 31 I BauGB erteilt worden ist und (2) die Erschließung gesichert ist.
4. Instrumente und Maßnahmen zur Verwirklichung und Sicherung der Bauleitplanung 143
Bauleitplanung ist als Zielprogramm der städtebaulichen Entwicklung darauf angelegt, durch plankonforme Nutzung des beplanten Gebiets verwirklicht zu werden. Diesem Ziel dienen einige vom BauGB den Gemeinden und zuständigen Behörden zur Verfügung gestellte Maßnahmen und Instrumente. Sie sind überwiegend im Ersten Kapitel des BauGB (Allgemeines Städtebaurecht) geregelt (dazu sogleich); ergänzend treten Regelungen aus dem Zweiten Kapitel (Besonderes Städtebaurecht) hinzu (dazu sub 5.). 423 Vgl. Krautzberger, GuG 1 9 9 1 , 1 (4). Soweit bei der Aufstellung der Satzungen höherrangiges Recht verletzt wird, sind für die Fehlerfolgen die den §§ 2 1 4 , 2 1 5 BauGB nachgebildeten, gem. § 2 4 6 a I 1 Nr. 6 BauGB anwendbaren § § 5 8 , 5 9 BauZVO maßgeblich. Zu § § 2 1 4 , 2 1 5 BauGB vgl. oben Rn. 116 ff. 424
425
340
Da die Satzung unmittelbar Art u. Maß der zulässigen Nutzung festsetzt, sind insb. die kommunalrechtl. Mitwirkungsverbote zu beachten, dazu Schmidt-Aßmann (oben), Abschnitt 1 Rn. 61. Befreiungen entsprechend § 31 II BauGB sind mangels Verweises in § 2 4 6 a l l Nr. 6 a) BauGB nicht möglich. Zu Ausnahmen u. Befreiungen vgl. oben Rn. 128.
Baurecht
4. Abschn. III 4 a
a) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen: Vor dem Inkraft- 144 treten des Bebauungsplans besteht die Gefahr, daß die Verwirklichung der Planungsabsichten der Gemeinde durch tatsächliche bauliche Maßnahmen unmöglich oder erschwert wird. Dem sollen die Veränderungssperre und die Zurückstellung von Baugesuchen entgegenwirken. Die Veränderungssperre enthält, zeitlich befristet, abstrakte Verbotstatbestände für Bauvorhaben; die Zurückstellung von Baugesuchen bewirkt eine zeitlich befristete Aussetzung des Baugenehmigungsverfahrens im konkreten Fall. Der Anwendungsbereich beider Instrumente überschneidet sich, ist aber nicht deckungsgleich. Die Veränderungssperre kann sich auch auf im Gesetz (§ 14 I Nr. 2 BauGB) näher bezeichnete nicht genehmigungsbedürftige Vorhaben beziehen. Als Instrumente zur Sicherung der gemeindlichen Planung setzen sowohl die Veränderungssperre als auch die Zurückstellung von Baugesuchen voraus, daß die Gemeinde gemäß § 2 I 2 BauGB für das betreffende Gebiet einen förmlichen Beschluß über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefaßt hat ( § § 1 4 I, 15 I BauGB). Es ist nicht erforderlich, daß der Aufstellungsbeschluß bereits Aussagen über die beabsichtigte Planung enthält; allerdings muß die Planung einen Stand erreicht haben, „der ein Mindestmaß dessen erkennen läßt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll" 426 . Die Veränderungssperre wird nach § 16 I BauGB als Satzung beschlossen. Ihre 145 Geltung ist nach § 17 I 1 BauGB zunächst auf zwei Jahre befristet 427 ; die Gemeinde kann aber die Frist zweimal um jeweils ein Jahr verlängern (§ 17 I 3, II BauGB) und dann erneut beschließen, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß fortbestehen (§ 17 III BauGB) 428 . Die Zurückstellung von Baugesuchen erfolgt durch die Baugenehmigungsbehörde und ist ein Verwaltungsakt. Sie dient allerdings der Planungshoheit der Gemeinde, ist also kein Ausfluß eigener Entscheidungsbefugnisse der Baugenehmigungsbehörde429. Sie erfolgt vielmehr auf Grund eines entsprechenden Antrags der Gemeinde, dem die Baugenehmigungsbehörde stattzugeben hat (§ 15 I BauGB), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Zurückstellung von Baugesuchen ist zeitlich „bis zu zwölf Monaten" (§ 15 I BauGB) befristet. Inhaltlich enthält die Veränderungssperre das Verbot, die in § 14 I BauGB näher 146 bezeichneten Vorhaben durchzuführen. Soweit kein Ausnahmetatbestand (§ 14 II—IV BauGB) vorliegt, können während ihrer Geltungsdauer weder entsprechende Baugenehmigungen noch Teilungsgenehmigungen (§19 1 Nr. 4 i. V. m. § 20 I Nr. 4 BauGB) erteilt werden 430 . Die Zurückstellung von Baugesuchen hat demgegenüber 426 427
428
429 430
BVerwG, NJW 1977, 4 0 0 (401); vgl. auch OVG Berlin, NVwZ-RR 1990, 124. In den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin beträgt die Frist gem. § 2 4 6 a l l Nr. 5 BauGB 3 Jahre. Hierfür sowie für die Satzung nach § 16 I BauGB besteht im Beitrittsgebiet jew. gem. § 2 4 6 a l l Nr. 4 BauGB das Erfordernis der Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde. Vgl. z.B. Finkelnburg, in: ders.lOrtloff, BauR I, 164. Im Beitrittsgebiet können Veränderungssperren auch die Genehmigungspflichtigkeit bestimmter, den Gebrauch oder die Nutzung eines Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteils regelnder schuldrechtl. Vereinbarungen begründen, § 2 4 6 a l l Nr. 5 BauGB i. V. m. § 12 I 2 BauZVO.
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4. Abschn. Ill 4 b
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keinen Einfluß auf die materiell-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens 431 ; sie hat lediglich im Baugenehmigungsverfahren verfahrenshemmende Wirkung, die mit Fristablauf automatisch entfällt. 147 Zulässige Veränderungssperren und Zurückstellungen von Baugesuchen sind rechtmäßige Eigentumsbeeinträchtigungen, die prinzipiell entschädigungslos hinzunehmen sind. Wird die Veränderungssperre über einen Zeitraum von mehr als vier432 Jahren hinaus aufrechterhalten, ist den Betroffenen gemäß § 18 I BauGB eine Entschädigung zu leisten, die z. T. als Enteignungsentschädigung (Art. 14 III GG) angesehen wird433. Fraglich ist, welche Rechtsfolgen rechtswidrige Veränderungssperren oder Zurückstellungen von Baugesuchen auslösen434 und ob auch derartige sog. faktische Bausperren als enteignungsgleiche Eingriffe Entschädigungsansprüche begründen435. Faktische Bausperren sind, soweit rechtswidrig, keine Enteignungen i. S. des Art. 14 III GG, sondern rechtswidrige Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 14 I GG. Als Abwehrrecht räumt Art. 14 I GG bei einer rechtswidrigen Beeinträchtigung und damit einer Grundrechtsverletzung Abwehransprüche ein, die mit Hilfe des Primärrechtsschutzes (z.B. einer Verpflichtungsklage auf Erlaß einer Baugenehmigung) gerichtlich durchzusetzen sind436. Nur soweit der Primärrechtsschutz die Eigentumsminderung nicht zu kompensieren vermag, kommt ein Rückgriff auf das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs in Betracht 437 . Gleiches gilt, wenn die Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes für den Betroffenen nicht zumutbar438 war 439 . 148
b) Teilungsgenehmigung: Gemäß § 19 I BauGB bedarf die Teilung eines Grundstücks zu ihrer Wirksamkeit einer Genehmigung, wenn das Grundstück im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 I BauGB), innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) oder im räumlichen Geltungsbereich einer Veränderungssperre liegt. Im Außenbereich (§ 35 BauGB) bedarf die Grundstücksteilung in den in § 19 I Nr. 3 BauGB aufgezählten Fällen einer Genehmigung. In den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin ist gemäß § 246 a l l Nr. 6 BauGB zudem die Grundstücksteilung im Geltungsbereich einer Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungsplan440 genehmigungsbedürftig. 149 Die Teilungsgenehmigung ist ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt (§ 19 III 3 BauGB). Die Antragsbefugnis steht den „Beteiligten" (vgl. §23 II BauGB) zu, d.h. BVerwG, DÖV 1972, 4 9 7 (498). In den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin beträgt der Zeitraum gem. § 2 4 6 a l l Nr. 5 BauGB 5 Jahre. 4 3 3 Z. B. Friauf, Voraufl., 5 3 8 . 4 3 4 Die Frage stellt sich ähnl. bei rechtsw. verzögerter Behandlung oder rechtsw. Ablehnung von Bauanträgen. 4 3 5 In diesem Sinne Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rn. 165 ff m. Nachw.; Ossenbühl, NJW 1983, 1 (4f). « « BVerfGE 58, 3 0 0 (320, 324); Maurer, Allg. VwR, § 2 6 R n . 7 3 . 4 3 7 BVerfGE 58, 137 (149 ff); Kreft, in: FS f. Geiger, 1989, 3 9 9 (419). 4 3 8 Vgl. BGHZ 90, 17 (31 f); 91, 20 (24); 92, 3 4 (50). 4 3 9 Daneben kommen Ansprüche aus Amtshaftung in Betracht. 4 4 0 Dazu Rn. 142.
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4. Abschn. III 4 b
dem Eigentümer, bei einem Teilungskauf auch dem Käufer441. Über die Teilungsgenehmigung entscheidet nach § 19 III 1 BauGB die Gemeinde, wenn sie für die Erteilung der Baugenehmigung zuständig ist, sonst die Genehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde442. Nach § 19 III 6 BauGB gilt die Genehmigung als erteilt, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten (§19 III 3 BauGB) bzw. bei rechtzeitiger Fristverlängerung nach § 19 III 4, 5 BauGB innerhalb von sechs Monaten versagt wird (sog. fingierte Genehmigung443). Ist ein Vorhaben nicht genehmigungsbedürftig, wird auf Antrag nach §23 II BauGB eine Bescheinigung über die Genehmigungsfreiheit erteilt (sog. Negativattest). Die Teilungsgenehmigung ist eine gebundene Entscheidung, auf deren Ertei- 150 lung ein Rechtsanspruch besteht, wenn keiner der gesetzlichen Versagungsgründe eingreift444. § 20 I BauGB enthält einen Katalog von Versagungsgründen, bei deren Vorliegen die Genehmigung versagt werden muß. Das ist z.B. der Fall, wenn im Bereich des § 34 BauGB infolge der Teilung ein Grundstück entstehen würde, auf dem sich die mit der Teilung bezweckte Nutzung nicht im Sinn des § 3 4 I und II BauGB in die Umgebung einfügen würde (§20 I Nr. 2 BauGB). § 20 II BauGB normiert Mißbrauchstatbestände, bei deren Vorliegen die Genehmigung versagt werden kann445. Damit sollen Bauabsichten, die der Antragsteller nur vorschiebt, erfaßt werden. Die Teilungsgenehmigung ist Voraussetzung für die Eintragung der Parzellie- 151 rung in das Grundbuch (§23 I BauGB) 446 . Die fingierte Genehmigung, nicht aber das Negativattest, hat dieselben Rechtswirkungen wie die Teilungsgenehmigung447. Das gilt auch im Hinblick auf die Bindungswirkung, die einer wirksamen448 Teilungsgenehmigung nach § 21 BauGB zukommt. Danach darf auf einen Antrag, der innerhalb von drei Jahren seit Erteilung der Genehmigung gestellt wurde, eine Baugenehmigung grundsätzlich (Ausnahmen: § 21 II BauGB) nicht aus Gründen versagt werden, die eine Ablehnung der Teilungsgenehmigung gerechtfertigt hätten. Die Teilungsgenehmigung stellt insofern eine (partiell) vorweggenommene Entscheidung über die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens dar, hat also — partiell — die Funktion einer Bebauungs441 442 443 444 445
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BVerwGE 50, 311 (314 ff). Eine zusätzl. Sonderregelung enthält § 19 III 2 BauGB. In den alten Ländern kann § 5 II BauGBMaßnG die Genehmigungsfrist verkürzen. Friauf, Voraufl., 538 f. Ob die Norm Ermessen einräumt, ist umstritten. Für Ermessen: BVerwG, NJW 1985, 1354 (1355), ohne die Frage zu problematisieren; gegen Ermessen: Erbguth, BaupianungsR, Rn. 222. Die Auswirkungen auf das zugrunde liegende privatrechtl. Rechtsgeschäft sind umstritten. Nach BVerwGE 54, 257 (262 f); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/ Lohr, BauGB, § 19 Rn. 22; Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn. 255 bestehen keine privatrechtsgestaltenden Wirkungen. A.A. Steiner, DVB1. 1981, 348ff. BVerwGE 31, 22 (24f) = DVB1. 1970, 7 2 f m.Anm. Steiner; BVerwGE 31, 274 (275 ff). Also auch einer rechtsw., aber nicht nichtigen Genehmigung, BVerwG, NJW 1986, 2775 (2776); BGH, DVB1. 1985, 109 (109). 343
4. Abschn. Ill 4 c
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genehmigung*49. Diese Bindungswirkung erstreckt sich auch auf den Nachbarn, der deshalb die fingierte oder erteilte Genehmigung bei Verletzung nachbarschützender Vorschriften450 anfechten kann. 152 Die Rechtswirkungen der Teilungsgenehmigung verdeutlichen Sinn und Zweck dieses städtebaulichen Instruments. Es erfüllt eine Sicherungsfunktion zugunsten des städtebaulichen Planungsrechts und auf Grund der Bindungswirkung eine Schutzfunktion zugunsten des Bauherrn im späteren Baugenehmigungsverfahren. Zugleich wird der Grundstückskäufer davor geschützt, ein nicht bebaubares Grundstück zu erwerben451. 153 Zur Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen enthält §22 BauGB eine Sonderregelung452. Danach kann durch landesrechtliche Rechtsverordnung die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum einem Genehmigungsvorbehalt unterworfen werden. Das soll den Gemeinden helfen, „dem Problem der schleichenden Umstrukturierung von Fremdenverkehrsgemeinden durch eine überhandnehmende Vermehrung von Zweitwohnungen wirksam zu begegnen"453. 154
c) Gemeindliche Vorkaufsrechte: Das BauGB räumt den Gemeinden zwei Arten von Vorkaufsrechten ein. Nach § 24 I BauGB besteht ein gesetzliches Vorkaufsrecht („Allgemeines Vorkaufsrecht") an Grundstücken, die in den von § 24 I Nr. 1—4 BauGB näher bezeichneten Gebieten liegen. Betroffen sind z. B. Flächen „im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, (...) für die im Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke454 festgesetzt ist" (§ 24 I Nr. 1 BauGB). Die „Besonderen Vorkaufsrechte" werden gemäß § 2 5 I Nr. 1 und 2 BauGB durch Satzung455 begründet, z.B. im Geltungsbereich eines Bebauungsplans an unbebauten Grundstücken. Zeitlich befristet räumt § 3 I, II BauGBMaßnG den Gemeinden in den alten Bundesländern456 ein weiteres Vorkaufsrecht ein. Es besteht an Außenbereichsflächen, sofern sie in Gebieten liegen, die im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche dargestellt sind. Die Vorkaufsrechte bestehen nur an Grundstücken, nicht an Wohnungseigentum oder Erbbaurechten (§§ 24 II, 25 II BauGB). 155 Durch das gesetzliche oder satzungsmäßige Vorkaufsrecht entsteht ein öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Grundstückseigentümer457. Konsequenterweise wird das öffentlich-rechtliche Vorkaufsrecht durch Verwaltungsakt ausgeübt (§ 28 II 1 BauGB). Dieser Verwaltungsakt hat privatrechtsgestaltende Wirkungen, die sich nach den einschlägigen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften bestimmen (§ 28 II 2 BauGB). Durch die Ausübung des Vor449 450 451
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Dazu unten Rn. 2 0 5 . Dazu unten Rn. 2 3 2 ff. BVerwG, NJW 1985, 1354 (1355); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 19 Rn. 1. Dazu ausführl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 2 Rn. 1 ff. Taegen, in: Berliner Kommentar, § 2 2 Rn. 1. Z. B. Verkehrs- oder Grünflächen. Diese Satzung ist in den östl. Bundesländern u. in Ost-Berlin gem. § 2 4 6 a l l Nr. 4 BauGB genehmigungspflichtig. § 3 I, II BauGBMaßnG gelten nicht in den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin, vgl. Rn. 11. Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn. 2 6 0 ; vgl. dazu auch Friauf, Voraufl., 5 6 4 .
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4. Abschn. III 4 d
kaufsrechts kommt ein privatrechtlicher Kaufvertrag zwischen der Gemeinde und dem Verpflichteten, d. h. dem Verkäufer, zustande, und zwar „unter den Bestimmungen . . . , welche der Verpflichtete mit dem Dritten vereinbart hat" (§ 505 II BGB). Damit bemißt sich prinzipiell auch der Kaufpreis nach der Vereinbarung zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien. In bezug auf die KaufPreisgestaltung normiert § 28 III BauGB allerdings eine Ausnahme: Wenn die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht im Fall des § 24 I Nr. 1 BauGB ausübt, also im Hinblick auf ein Grundstück, das im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt und dort für öffentliche Zwecke vorgesehen ist, richtet sich der Kaufpreis nach dem enteignungsrechtlichen Entschädigungswert458, wenn das Grundstück auch enteignet werden könnte. Eine weitere Ausnahme enthält § 3 III BauGBMaßnG für das Vorkaufsrecht nach § 3 I, II BauGBMaßnG. Danach bemißt sich der von der Gemeinde zu zahlende Betrag abweichend von § 28 II 2 BauGB nach dem Verkehrswert (§ 194 BauGB) des Grundstücks, wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert „in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet"459. Für die neuen Bundesländer und Ost-Berlin erklärt § 246 a l l Nr. 7 BauGB die Regelung des § 3 III BauGBMaßnG in den Fällen von Vorkaufsrechten nach § 24 und § 25 BauGB für entsprechend anwendbar460. § 2 6 BauGB regelt den Ausschluß des Vorkaufsrechts u.a. zugunsten gesetzlich 156 privilegierter Käufer (§26 Nr. 1 und 2 BauGB) oder z.B. für den Fall, daß das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt wird (§26 Nr. 4 BauGB). Darüber hinaus hat der Käufer die Möglichkeit einer Abwendung des Vorkaufsrechts, wenn er sich verpflichtet, das Grundstück entsprechend den städtebaurechtlichen Bestimmungen und städtebaulichen Belangen zu verwenden; § 27 BauGB trifft dazu eine nähere Regelung. Im übrigen kann die Gemeinde nach § 28 V BauGB durch öffentliche Erklärung für das ganze Gemeindegebiet oder sämtliche Grundstücke einer Gemarkung auf die Ausübung des Vorkaufsrechts widerruflich verzichten. Die städtebaurechtlichen Vorkaufsrechte dienen nicht nur der Sicherung der 157 Bauleitplanung, sondern auch der gemeindlichen Bodenpolitik. Mit ihrer Hilfe kann die Gemeinde, auch ohne das äußerste Mittel der Enteignung anzuwenden, Grundstücke erwerben, um ihre städtebaulichen Vorstellungen zu verwirklichen. Sie kann damit z. B. Hortungskäufen spekulierender, aber nicht bauwilliger Privater vorbeugen. Allerdings unterbindet das Gesetz auch Hortungskäufe durch die Gemeinde. § 89 BauGB regelt eine Veräußerungspflicht der Gemeinde unter Berücksichtigung städtebaulicher und sozialpolitischer Belange (§ 89 III BauGB). d) Umlegung und Grenzregelung: Da im Bebauungsplan die Flächennutzungen 158 unabhängig vom Grenzverlauf der Grundstücke festgesetzt werden, kann der Dazu unten Rn. 169. 459 Vgl. dazu u. zu der dann bestehenden Möglichkeit des Verkäufers, vom Vertrag zurückzutreten, Moench, NVwZ 1990, 918 (920 f). 4 6 0 § 3 III BauGBMaßnG findet also im Beitrittsgebiet auf Vorkaufsfälle nach § § 2 4 , 25 BauGB Anwendung, nicht aber auf Vorkaufsfälle nach § 3 I, II BauGBMaßnG, für die § 3 III BauGBMaßnG eigentlich konzipiert ist, da § 3 I, II BauGB im Beitrittsgebiet nicht gilt. 458
345
4. Abschn. Ill 4 e
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vorhandene Zuschnitt der Grundstücke einer plankonformen Gestaltung eines Gebietes im Wege stehen. Die Planverwirklichung ist in diesen Fällen auf einen Neuzuschnitt der Grundstücke bzw. auf die Änderung von Grundstücksgrenzen angewiesen. Hierfür stehen nach dem BauGB die bodenrechtlichen Instrumente der Umlegung (§§45 ff BauGB) und Grenzregelung (§§80 ff BauGB) zur Verfügung461. 159 Mit der Umlegung462 können im Geltungsbereich eines Bebauungsplans bebaute und unbebaute Grundstücke „in der Weise neugeordnet werden, daß nach Lage, Form und Größe für die bauliche oder sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltete Grundstücke entstehen" (§ 45 I BauGB). Dabei werden die im Umlegungsgebiet (§ 52 BauGB) gelegenen Grundstücke rechnerisch zu einer „Umlegungsmasse" vereinigt (§ 55 I BauGB). Aus dieser Umlegungsmasse werden die jeweils erforderlichen Gemeinbedarfsflächen ausgeschieden (§ 55 II BauGB), und die verbleibende „Verteilungsmasse" (§ 55 IV BauGB) wird den beteiligten Grundstückseigentümern zugeteilt (§ 59 I BauGB). Obwohl bei der Umlegung der Eigentümer in der Regel sein konkretes Grundstück oder Teile davon verliert und dafür ein anderes oder anders geschnittenes Grundstück zurückerhält, soll es sich prinzipiell nicht um eine Enteignung handeln463. Vielmehr bedeutet die Umlegung nach Auffassung des BGH „ihrem Wesen nach eine ungebrochene Fortsetzung des Eigentums an einem verwandelten Grundstück"464. 160 Die Grenzregelung465 läßt sich als „Umlegung im kleinen" 466 charakterisieren. Mit ihr kann die Gemeinde im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile entweder benachbarte Grundstücke oder Teile davon austauschen (§ 80 I Nr. 1 BauGB) oder benachbarte Grundstücke, insbesondere Splittergrundstücke bzw. Teile benachbarter Grundstücke einseitig zuteilen (§ 80 I Nr. 2 BauGB). 161
e) Erschließung: Unter den heutigen Gegebenheiten ist ein Baugebiet erst dann in umfassender Hinsicht z. B. für Wohnzwecke nutzbar, wenn es in verkehrsstruktureller, technischer und sozialer Hinsicht in seine Umgebung eingebunden, d.h. „erschlossen" ist467. Das BauGB verwendet den Begriff der „Erschließung" allerdings nicht in diesem umfassenden und nicht einmal in einem einheitlichen Sinn. So ist der Begriff der Erschließung i. S. der Zulässigkeitstatbestände für bauliche Vorhaben (§§30 ff BauGB) grundstücksbezogen und umfaßt zumindest den Anschluß des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz, die Versorgung mit 461
462
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Insb. die Umlegung weist Ähnlichkeiten mit der Flurbereinigung nach dem FlurbereinigungsG v. 1 6 . 3 . 1 9 7 6 (GBl. I, 5 4 6 ff) auf. Vgl. hierzu auch BVerfGE 74, 2 6 4 ff. Dazu zum Überbl. Mainczyk, DÖV 1986, 995 ff; Nürnberger, BayVBl. 1988, 7 3 7 ff; ausführl. z. B. Dieterich, Baulandumlegung, 2. Aufl. 1990. BVerwG, DÖV 1990, 663 ff; Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Vorb. § § 4 5 - 8 4 R n . 9 ; Erbguth, BauplanungsR, R n . 2 3 2 . BGHZ 100, 148 (156). Dazu Mainczyk, DÖV 1986, 9 9 5 ff; Rothe, Umlegung und Grenzregelung nach dem Bundesbaugesetz, 1984. Erbguth, BauplanungsR, Rn. 233. Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Vorb. § § 1 2 3 — 135 Rn. 1; Battis, Öffentl. BauR, 145 f.
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4. Abschn. III 4 e
Elektrizität und Wasser und die Abwasserbeseitigung468. Der Begriff der Erschließung i. S. des Sechsten Teils des BauGB ist demgegenüber gebietsbezogen und geht insofern über den grundstücksbezogenen Erschließungsbegriff hinaus469. Unter Erschließung i. S. der §§ 123 ff BauGB versteht man die erstmalige470 Herstellung von Erschließungsanlagen, die dazu dienen, das Baugebiet in baurechtlich zulässiger Weise nutzen zu können471. Zu diesen Erschließungsanlagen zählen nicht nur Anlagen zur Ableitung von Abwasser sowie zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser (§ 127 IV 2 BauGB), sondern nach § 127 II BauGB auch z.B. Sammelstraßen innerhalb der Baugebiete (§ 127 II Nr. 3 BauGB) sowie u. U. Parkflächen und Grünanlagen (§ 122 II Nr. 4 BauGB). Die gesetzliche Regelung der Erschließung bürdet die sog. Erschließungslast, 162 d.h. die Pflicht zur Herstellung der erforderlichen Anlagen, prinzipiell den Gemeinden auf (§ 123 I BauGB). Dieser Pflicht korrespondiert — grundsätzlich — kein Rechtsanspruch auf Erschließung (§ 123 III BauGB). Trotz dieses ausdrücklichen gesetzlichen Hinweises kann sich nach Auffassung der BVerwG die gemeindliche Erschließungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zu einer von dem bauwilligen Bürger einklagbaren Pflicht zur Herstellung der für die funktionsgerechte Nutzung unerläßlichen Erschließungsmaßnahmen verdichten472. Die Kosten der Herstellung gesetzlich näher bezeichneter Erschließungsanlagen 163 kann die Gemeinde durch Erhebung von Erschließungsbeiträgen473 (§§127ff BauGB) bis zu 90 v. H. (§ 129 I 3 BauGB) auf die Eigentümer der erschlossenen Grundstücke abwälzen474. Diesen Anteil der Kosten muß die Gemeinde auch aufbringen, wenn sie gemäß § 124 I BauGB475 die Durchführung der Erschließung — nicht die Erschließungslast476 — durch Vertrag auf einen Dritten überträgt477. Mit diesem öffentlich-rechtlichen Erschließungsvertrag478 übernimmt ein Dritter die Pflicht, die Herstellung der Erschließungsanlagen auf eigene Kosten vorzuneh468 469 470 471
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Vgl. oben Rn. 127. Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Vorb. §§ 1 2 3 - 1 3 5 Rn.3. BVerwG, NVwZ 1988, 3 5 5 (356). Vgl. Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Vorb. §§ 1 2 3 - 1 3 5 R n . 3 ; Driehaus, in: Berliner Kommentar, § 123 Rn. 1. BVerwGE 64, 186 ff; DVB1. 1975, 37 ff; NVwZ 1988, 3 5 5 ff; VGH München, BayVBl. 1991, 367. Dazu ausführl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 3. Aufl., 1991. In den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin können gem. § 2 4 6 a l l Nr. 11 BauGB für bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts hergestellte Erschließungsanlagen keine Erschließungsbeiträge erhoben werden. Bereits erbrachte Leistungen auf noch nicht fertiggestellte Anlagen sind auf den Erschließungsbeitrag anzurechnen. In den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin gilt statt dessen gem. § 2 4 6 a I 1 Nr. 11 BauGB § 5 4 BauZVO. Nach außen bleibt die Gemeinde für die Erschließung verantwortl., vgl. z. B. Dyong, in: Cholewa u.a., BauGB, § 124; Finkelnburg, in: ders./Ortloff, BauR I, 2 7 4 . BVerwGE 32, 37 (39); NJW 1985, 642. Vgl. dazu noch Rn. 173. Dieser Vertrag ist nicht zu verwechseln mit einem privatrechtl. Werkvertrag, den eine Gemeinde mangels eigener Hilfskräfte z. B. mit einem Bauunternehmen abschließt, vgl. Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn. 2 7 2 ; Battis, Öffentl. BauR, 147. 347
4. Abschn. Ill 4 f aa
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men. Mit dem Vertrag geht allerdings das Recht der Beitragserhebung nicht auf den Dritten über. Ihm bleibt es jedoch unbenommen, seinen Aufwand durch privatrechtliche Vereinbarungen mit Grundstückskäufern oder Mietern abzudecken. Soweit den Gemeinden in diesen Fällen Kosten erspart bleiben, können sie keine Beiträge erheben 479 . 164 Von den Erschließungsverträgen sind die sog. Folgekostenverträge zu unterscheiden. Dabei handelt es sich um öffentlich-rechtliche Verträge, mit denen sich Dritte zur Übernahme solcher Folgelasten verpflichten, die über die beitragsfähige Erschließung eines Gebiets hinaus entstehen können (z. B. die Errichtung eines Kindergartens)480. 165
f) Enteignung: Die Verwirklichung der durch das Städtebaurecht und insbesondere durch Bebauungspläne vorgezeichneten städtebaulichen Ordnung erfordert in der Regel entweder die freiwillige Bereitschaft der privaten Eigentümer, die Nutzung ihrer Grundstücke an diesem Programm auszurichten, oder aber eine Einflußnahme auf den Eigentümer durch staatlichen Zwang. Letzterer wird sich — wie bisher gezeigt — regelmäßig in Nutzungsbeschränkungen und -lenkungen erschöpfen, kann aber im äußersten Fall auch den Entzug von Grundeigentum und seine Übertragung auf einen Dritten erfordern. Die aus städtebaulichen Gründen notwendige Enteignung ist im Fünften Teil des Ersten Kapitels des BauGB (§§ 85 ff BauGB) geregelt481. Für die neuen Bundesländer und Ost-Berlin ist zudem § 246 a l l Nr. 10 BauGB zu beachten.
166
aa) Gegenstand: Nach § 8 6 BauGB können durch Enteignung Grundeigentum und dingliche Rechte am Grundeigentum (z. B. Dienstbarkeiten) entzogen oder belastet werden (§ 86 I Nr. 1 und 2 BauGB), obligatorische Rechte zum Erwerb, Besitz oder zur Nutzung von Grundstücken (z.B. auf Kauf, Miete) entzogen (§ 86 I Nr. 3 BauGB) oder solche Rechte begründet werden (§ 86 I Nr. 4 BauGB). Schon von ihrem Gegenstand her, aber auch im übrigen, ist die städtebauliche Enteignung der sog. klassischen Enteignung**1 stark angenähert. Diese war und ist von ihrem Charakter her ein gemeinwohlmotivierter „Zwangskauf" von Grund und Boden. Sie besteht in dem Entzug von Grundeigentum oder dinglichen Rechten durch Verwaltungsakt auf Grund Gesetzes zu Zwecken des Gemeinwohls gegen Entschädigung und in der Übertragung des Grundeigentums oder der dinglichen Rechte auf ein im öffentlichen Interesse liegendes privates483 oder staatliches Unternehmen. Der mit der „klassischen" Enteignung verbundene Eingriff in private Rechte ist stets Enteignung i.S. des Art. 14 III GG 4 8 4 , ohne 479
Oldiges, in: Steiner, Bes. VwR, Rn. 272.
480
Dazu unten Rn. 174.
481
Vgl. dazu Finkelnburg, in: dersJOrtloff,
BodenR, Rn. 6 3 5 ff. 482 Ygi d a z u Z- B. Frenzel,
1978, 36 ff; Ossenbühl,
BauR I, 198 ff; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- u.
Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung,
Staatshaftungsrecht. 3. Aufl., 1983, 91 f; Maurer,
Dürig, 1990, 2 9 3 (295 ff); Schmidt-Aßmann,
in: FS f.
JuS 1986, 833 (834).
483
Zu den Voraussetzungen einer Enteignung zugunsten Privater vgl. BVerfGE 74, 2 6 4
484
Vgl. Hesse, VerfR, R n . 4 5 0 ; Ossenbühl
(284 ff) u. Frenzel (Fn.482), 97 ff.
348
(Fn.482), 1 1 6 f .
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4. Abschn. III 4 f bb
daß es dafür einer Heranziehung der Theorien zur Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung bedarf485. bb) Zulässigkeit: Die Zulässigkeit der städtebaulichen Enteignung ist dement- 167 sprechend verfassungsrechtlich gebunden und setzt voraus, daß — die Enteignung entweder durch Gesetz (sog. Legalenteignung) oder auf Grund eines Gesetzes (sog. Administrativenteignung) erfolgt (Gesetzesvorbehalt); — die Enteignung dem Wohl der Allgemeinheit dient; — die Enteignung das Übermaßverbot beachtet und — das Enteignungsgesetz Art und Ausmaß der Entschädigung regelt; — ein „rechtssicherndes Verfahren"™6 gewährleistet ist, d.h. ein Verfahren, in dem eine „enteignungsrechtliche Gesamtabwägung aller Gemeinwohlgesichtspunkte und widerstreitenden Interessen unter Prüfung auch der Erforderlichkeit des Vorhabens"487 vorgenommen wird. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben liefern eine Grobstruktur zur Übersicht 168 über die Enteignungsvorschriften des BauGB: Die städtebauliche Enteignung ist wie die sog. klassische Enteignung eine Administrativenteignung, die auf Grund eines Gesetzes ( S S 85 ff BauGB) durch Verwaltungsakt (§ 112 I BauGB488) durchgeführt wird. Dabei bestimmt § 87 I BauGB ausdrücklich, daß die Enteignung im einzelnen Fall nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert. Dieses Gemeinwohlerfordernis wird durch die in § 85 BauGB abschließend489 normierten Enteignungszwecke konkretisiert. Diese bieten zugleich den Ansatzpunkt für die Anwendbarkeit des Übermaßverbotes. Die Enteignung muß demnach geeignet sein, die in § 85 BauGB genannten Zwecke zu fördern490, also z. B. „entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten" (§ 85 I Nr. 1 BauGB)491. Zumindest mittelbar läßt sich das Erfordernis der Geeignetheit als Teilelement des Obermaßverbotes auch § 87 I BauGB entnehmen, da im Falle der Zweckuntauglichkeit die Enteignung nicht vom Wohl der Allgemeinheit „erfordert" ist. Unmittelbar spricht die Norm dagegen die
485
48S 487 488
489
490
491
Dazu BGHZ 4, 10 (47f); Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 3. Aufl., 1982, 124. Zu den Theorien im einzelnen vgl. z. B. Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 125 ff. Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 (833). BVerfGE 74, 2 6 4 (293 f). Der Enteignungsbeschluß gem. § 112 I BauGB ist Verwaltungsakt, vgl. Battis, in: ders.l Krautzberger/Löhr, BauGB, § 112 Rn. 2; Erbguth, BauplanungsR, Rn. 248. Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB, § 8 5 Rn. 1; Berkemann, in: Berliner Kommentar, § 85 Rn. 9, § 87 Rn. 40. Vgl. v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (429); Reisnecker, in: Brügelmann, BauGB, § 87 Rn. 23. Unter den Voraussetzungen des § 246 a l l Nr. 10 BauGB gilt in den neuen Bundesländern u. in Ost-Berlin eine Satzung über einen Vorhaben- u. Erschließungsplan für Zwecke der Enteignung als Bebauungsplan nach § 85 I Nr. 1 BauGB. Zum Vorhaben- u. Erschließungsplan Rn. 142. 349
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Voraussetzung der Erforderlichkeit der Enteignung an 492 und bringt insbesondere zum Ausdruck, daß die Enteignung als der intensivste Eingriff in das Eigentum ultima ratio sein muß (§87 1 BauGB: „ . . . und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann."). Das Prinzip der Erforderlichkeit gilt auch im Hinblick auf das Ausmaß der Enteignung (§ 92 BauGB) und hat mit dem Vorrang des freihändigen Erwerbs (§87 II BauGB) seinen verfahrensrechtlichen Niederschlag gefunden493. Schließlich erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i. e. S.) eine Abwägung zwischen der Förderung der Enteignungszwecke (dem Gemeinwohl) und dem Eingriff in das Eigentumsgrundrecht des Betroffenen494. 169
cc) Entschädigung: Die von der sog. Junktim-Klausel des Art. 14 III GG verlangte gesetzliche Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung495 enthalten §§ 93 ff BauGB. Der von Art. 14 III GG und §§ 93 ff BauGB benutzte Begriff der Entschädigung macht deutlich, daß es sich nicht um Schadensersatz handelt. Schadensersatz will das schädigende Ereignis ungeschehen machen, ist also auf die Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (vgl. § 249 S. 1 BGB). Die enteignungsrechtliche Entschädigung will demgegenüber das Sonderopfer ausgleichen, das der Betroffene durch die Enteignung tragen muß496 (Kompensation, nicht Restitution). Die Entschädigung soll den Substanzverlust ausgleichen497. Sie erfolgt in Geld (§99 BauGB), durch Beschaffung von Ersatzland (§100 BauGB) oder durch Gewährung von anderen Rechten (§ 101 BauGB). Werden die enteigneten Grundstücke nicht zu dem Enteignungszweck verwendet, kann der enteignete frühere Eigentümer einen Anspruch auf sog. Rückenteignung (§102 BauGB) haben. Nach § 95 I BauGB bemißt sich die Entschädigung nach dem Verkehrswert (§194 BauGB) des zu enteignenden Grundstücks oder sonstigen Gegenstands der Enteignung. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet498. Auf Grund der sog. Reduktionsklauseln499 des § 95 II BauGB bleiben allerdings bestimmte Wertsteigerungen, -änderungen und -erhöhungen unberücksichtigt, so z.B. Planungsgewinne, die durch „Heraufzonung" des Grundstücks eingetreten sind. Soweit mit der Enteignungsentschädigung 492
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Dazu Berkemantt, in: Berliner Kommentar, § 87 Rn. 41 ff; Reisnecker, in: Brügelmann, BauGB, § 87 Rn. 2 4 ff; Schmidt-Aßmann/Frenzel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 87 Rn. 28 (eine Kommentierung des § 87 BauGB liegt im Kommentar von Ernstl Zinkahn/Bielenberg zum BauGB noch nicht vor). Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB, § 87 Rn. 6; Berkemann, in: Berliner Kommentar, § 87 Rn. 62. Vgl. v. Brünneck, NVwZ 1986, 4 2 5 (429 f); Berkemann, in: Berliner Kommentar, § 8 7 Rn. 4 6 ff; Schmidt-Aßmann/Frenzel (Fn. 492), § 87 Rn. 25 f. Vgl. dazu im einzelnen BVerfGE 4 6 , 268 (285); Papier, in: MaunzlDürig, GG, Art. 14 Rn. 4 8 5 ff. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 R n . 5 1 2 ; Ossenbübl (Fn.482), 138 ff. BGHZ 57, 3 5 9 (368); Ossenbübl (Fn.482), 140f. Die Enteignungsbehörde hat nach § 1 0 7 1 4 BauGB zur Vorbereitung der mündl. Verhandlung ein Gutachten des Gutachterausschusses (§§ 192 ff BauGB) einzuholen. Battis, in: dersJKrautzberger/Löhr, BauGB, § 95 Rn. 1.
Baurecht
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das Sonderopfer des Enteigneten nicht ausgeglichen wird (sog. Folgeschäden500), besteht ein zusätzlicher Entschädigungsanspruch gemäß § 96 BauGB. dd) Verfahren: Die städtebauliche Enteignung wird in einem gesetzlich detail- 170 liert geregelten Verfahren (§ 104 ff BauGB) durchgeführt, das nach § 104 I BauGB in die Zuständigkeit der vom Landesrecht bestimmten höheren Verwaltungsbehörde (Enteignungsbehörde) fällt. Die Zulässigkeit der Enteignung setzt im Hinblick auf das Verfassungsgebot der Erforderlichkeit zunächst voraus, daß sich der Antragsteller ernsthaft, aber vergeblich um den freihändigen Erwerb des Grundstücks bemüht hat (§ 87 II BauGB) 501 . Das eigentliche Enteignungsverfahren beginnt mit dem Antrag (§105 BauGB) des Antragsbefugten, d.h. derjenigen natürlichen oder juristischen Person, die die Absicht hat, einen der in § 85 BauGB genannten Enteignungszwecke zu verwirklichen, soweit sie nicht von der Antragstellung ausgeschlossen ist (§§ 87 III, 88 BauGB) 502 . Die Enteignungsbehörde hat zunächst auf eine Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken (§ 110 I BauGB). Diese wirkt wie ein Enteignungsbeschluß, der gefaßt werden muß, wenn eine Einigung nicht zustande kommt (§§112, 113 BauGB). Der Enteignungsbeschluß setzt zugleich Art und Höhe der Entschädigung fest. Er wird durch die Ausführungsanordnung (§117 BauGB) ausgeführt, der dingliche Wirkung zukommt (§117 V 1 BauGB). In dringenden Fällen kann eine vorzeitige Besitzeinweisung (§ 116 BauGB) erfolgen. ee) Rechtsweg: Über die Zulässigkeit der städtebaulichen Enteignung müßten an 171 sich die Verwaltungsgerichte (§ 40 I VwGO) und über die Höhe der Entschädigung auf Grund der Sonderzuweisung des Art. 14 III 4 GG die ordentlichen Gerichte entscheiden. Um eine derartige Zweigleisigkeit des Rechtsweges zu vermeiden, hat der Gesetzgeber gegen alle mit der Enteignung zusammenhängenden Entscheidungen den „Antrag auf gerichtliche Entscheidung" (§217 BauGB) vor den Kammern für Baulandsachen bei den Landgerichten eingerichtet. Die Kammern für Baulandsachen entscheiden nach § 220 I 2 BauGB in der Besetzung von drei Richtern des Landgerichts einschließlich des Vorsitzenden sowie zwei hauptamtlichen Richtern des Verwaltungsgerichts. Entsprechend „gemischt" ist die Besetzung des Senats für Baulandsachen bei dem Oberlandesgericht, der über die Berufung entscheidet (§ 229 I BauGB). Revisionsinstanz ist der Bundesgerichtshof (§ 230 BauGB). In den fünf neuen Bundesländern sind die §§217—232 BauGB unter den Maßgaben des § 246 a l l Nr. 17 BauGB anwendbar, in Ost-Berlin gelten sie unmittelbar. g) Städtebauliche Verträge: Die bisherige Darstellung des hoheitlichen städte- 172 baulichen Instrumentariums könnte den Eindruck erwecken, die Gemeinden gingen zur Sicherung und Verwirklichung ihrer städtebaulichen Planung ausschließlich oder vornehmlich mit Befehl und Zwang vor. Einem solchen Eindruck widerspricht aber nicht nur die städtebauliche Praxis; ihm läge auch eine zumindest verzerrte Vorstellung von der Rechtslage zugrunde. Tatsächlich ist die Realisierung gemeindlicher Planungsabsichten in hohem Maße auf die Mitwirkungsbereitschaft Betroffe500 501 502
BGHZ 55, 2 9 4 (297); Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn.321 ff. Vgl. schon oben Rn. 168 m. Fn.493. Battis, in: dersJKrautzberger/Löhr, BauGB, § 105 Rn.2. 351
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ner angewiesen, und Rechtsformen kooperativen Verwaltungshandelns, insbesondere der privatrechtliche und verwaltungsrechtliche Vertrag, gehören seit langem zum unverzichtbaren Instrumentarium des Städtebaurechts. Man denke nur an die kommunale Baulandpolitik, die ohne Verträge nicht auskommt. Es ist praktisch nicht vorstellbar, wie die Gemeinde das gesamte Land, das sie aus städtebaulichen Gründen benötigt, zwangsweise erwerben soll, und eine „vertragslose" Rückgabe dieser Grundstücke an Private ist schon rechtlich ausgeschlossen. 173 Auch das BauGB trägt dem Bedarf nach kooperativer Verwaltungspraxis Rechnung, indem es zum Teil ausdrücklich den Einsatz eines Vertrages voraussetzt oder zumindest von der Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung ausgeht. Nur beispielhaft503 sei etwa auf die Reprivatisierung gemäß § 89 BauGB hingewiesen. Nach dieser Vorschrift hat die Gemeinde Grundstücke „zu veräußern", die sie durch Ausübung des Vorkaufsrechts oder Enteignung erworben hat. Nach § 110 I BauGB hat die Enteignungsbehörde zur Vermeidung eines Enteignungsbeschlusses auf eine „Einigung", d.h. auf einen öffentlich-rechtlichen504 Enteignungsvertrag, hinzuwirken. Die Enteignung erübrigt sich auch bei „ freihändigem", also vertraglichem505 Erwerb des Grundstücks, um den sich der Antragsteller gemäß § 87 II BauGB ernsthaft bemüht haben muß. Zu einem öffentlich-rechtlichen Vertrag, dem Erschließungsvertrag, ermächtigt ausdrücklich § 124 I BauGB. Ebenfalls ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist der Sanierungsträgervertrag506, der in § 159 BauGB eine detaillierte gesetzliche Regelung gefunden hat. 174 Neben den gesetzlich geregelten oder zumindest erwähnten städtebaulichen Verträgen haben sich in der Praxis auch gesetzlich nicht ausdrücklich genannte Vertragstypen herausgebildet. Ebenfalls nur beispielhaft sei auf die Baudispensverträge hingewiesen, die zum Teil eine jahrzehntealte Tradition haben507. Mit ihnen verpflichtet sich die Behörde zur Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung508, im Gegenzug übernimmt der Bauherr z. B. Verpflichtungen hinsichtlich des Baugrundstücks. Hier schon erwähnt509 wurden die Folgekostenverträge510, d.h. Verträge über solche Aufwendungen für die Herrichtung eines Baugebietes, die den GemeinDazu ausführt. Scbmidt-Aßmann/Krebs (Fn.275). Zum Überblick Krebs, DÖV 1989, 969 f f . 504 BGH, NJW 1973, 6 5 6 f; Battis, in: ders.lKrautzbergerILöhr, BauGB, § 110 Rn. 2; Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §§ 110, 111 Rn. 8; Stich, in: Berliner Kommentar, § 110 Rn. 2. 5 0 5 Die Rechtsnatur des Vertrages ist umstritten; für privatrechtl. z. B. BGHZ 5 0 , 2 8 4 (287); 84, 1 (3 ff); NJW 1986, 933 ff; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1983, 4 4 7 ; Krohtt/Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl., 1984, Rn. 4 5 8 ff; a. A. aber Gassner, Der freihändige Grunderwerb der öffentlichen Hand, 1983, 150 ff. 5 0 6 Dazu z.B. Fislake, in: Berliner Kommentar, § 1 5 9 Rn. 10ff; Krautzberger, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 159 Rn. 2 ff. 5 0 7 Dazu Schulze, E., Verwaltung und Wirtschaft 32 (1964), 23 ff; v. Campenhausen, DÖV 1967, 6 6 2 ff; vgl. auch BGH, DVB1. 1967, 36 ff. 5 0 8 Dazu oben Rn. 128 u. unten Rn. 2 0 7 . 5 3 Ü C3 «î »h • O « 3 > "T3 N C 4> 5t-Hrt
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