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German Pages 1017 [1020] Year 1988
de Gruyter Lehrbuch
Besonderes Verwaltungsrecht Herausgegeben von Ingo von Münch Bearbeitet von Peter Badura Karl Heinrich Friauf
Rüdiger Breuer Ingo von Münch
Otto Kimminich Thomas Oppermann
Dietrich Rauschning Franz Ruland
Walter Rudolf Jürgen Salzwedel Eberhard Schmidt-Aßmann
8., neubearbeitete Auflage
Zitiervorschlag z. B. Badura in von Münch, Bes. VerwR, 8. Aufl. 1988, S. 301
w DE
G 1988
Walter de Gruyter • Berlin
New York
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Besonderes Verwaltungsrecht / hrsg. von Ingo von Münch. Bearb. von Peter B a d u r a . . . 8., neubearb. Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1988 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-011716-9 flexibler Kunststoffeinband ISBN 3-11-011715-0 Kunststoff NE: Münch, Ingo von [Hrsg.]; Badura, Peter [Mitverf.]
© Copyright 1988 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Ernst Kieser GmbH, Graphischer Betrieb, 8902 Neusäß Buchbinderei: Lüderitz & Bauer, 1000 Berlin 61
Vorwort zur achten Auflage Mit der vorliegenden 8. Auflage wird das Lehrbuch „Besonderes Verwaltungsrecht" auf den neuesten Stand gebracht. Seit dem Erscheinen der Vorauflage (1985) sind wieder viele neue Gesetze, neue Rechtsprechung und neue Literatur hinzugekommen, die eingearbeitet werden mußten. Das Ziel des Buches ist seit der 1. Auflage (1969) dagegen unverändert geblieben: nämlich den Studenten ein gut lesbares Lehrbuch an die Hand zu geben, darüber hinaus aber durch die wissenschaftlich-praktische Gestaltung des Buches allen mit dem Verwaltungsrecht Befaßten - insbesondere Richtern, Rechtsanwälten und Verwaltungsbeamten - ein Hilfsmittel zu bieten, das trotz der Fülle des Stoffes Präzision und Übersichtlichkeit bietet. Die immer mehr anschwellende Fülle des Stoffes wirft von Auflage zu Auflage Probleme des Umfangs des Werkes auf. Aus diesem Grunde haben Verlag und Herausgeber sich dafür entschieden, den Abschnitt „Internationales Verwaltungsrecht", der in den Vorauflagen von Gerhard Hoffmann bearbeitet worden war, in die neue Auflage nicht mehr zu übernehmen - eine Entscheidung, die sich auch deshalb rechtfertigen läßt, weil das Internationale Verwaltungsrecht eigentlich eher zum allgemeinen Verwaltungsrecht gehört als zum Besonderen. Auch in der vorliegenden 8. Auflage versteht sich dieses Lehrbuch als Ergänzung und Fortsetzung des in derselben Reihe erschienenen, von HansUwe Erichsen und Wolfgang Martens (t) herausgegebenen Lehrbuchs „Allgemeines Verwaltungsrecht", das inzwischen ebenfalls in 8. Auflage erschienen ist. Das Sachverzeichnis haben die Referendarinnen Frau Annette Flormann und Frau Andrea Franke angefertigt. Für Hinweise und Anregungen sind die Bearbeiter - jeder von ihnen trägt für den von ihm verfaßten Abschnitt die alleinige Verantwortung - und der Herausgeber dankbar. Im Frühjahr 1988 Peter Badura • Rüdiger Breuer • Karl Heinrich Friauf • Otto Kimminich • Ingo von Münch • Thomas Oppermann • Dietrich Rauschning • Walter Rudolf • Franz Ruland • Jürgen Salzwedel • Eberhard Schmidt-Aßmann.
Autoren- und Inhaltsübersicht* Dr. Ingo von Münch Professor an der Universität Hamburg öffentlicher Dienst Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann Professor an der Universität Heidelberg Kommunalrecht
1
97
Dr. Karl Heinrich Friauf Professor an der Universität Köln Polizei- und Ordnungsrecht
201
Dr. Peter Badura Professor an der Universität München Wirtschaftsverwaltungsrecht
283
Dr. Franz Ruland Professor, stellv. Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Frankfurt a. M. Sozialrecht
365
Dr. Karl Heinrich Friauf Professor an der Universität Köln Bau- und Bodenrecht
477
Dr. Rüdiger Breuer Professor an der Universität Trier Umweltschutz
601
Dr. Jürgen Salzwedel Professor an der Universität Bonn Wege- und Verkehrsrecht
695
* Jedem Abschnitt ist eine ausführliche Gliederung vorangestellt.
Autoren- und Inhaltsübersicht Dr. Jürgen Salzwedel Professor an der Universität Bonn Wasserrecht
737
Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann Professor an der Universität Tübingen Bildung
773
Dr. Otto Kimminich Professor an der Universität Regensburg Wissenschaft
835
Dr. Walter Rudolf Professor an der Universität Mainz Presse und Rundfunk
871
Dr. Dietrich Rauschning Professor an der Universität Göttingen Wehrrecht und Wehrverwaltung
919
Sachverzeichnis
947
VIII
Abkürzungsverzeichnis AA AAF aaO ABA AbfG ABl. AbwAG AcP aF AFG AfK. AfP AG AgrarR AJIL AktG ALR ANBA ÄndG Anm. AnV AO AOK AöR AP APuZ ArbA ArbplSchG ArbRGgwart ArbVers ArchVR ARD ARS Art. ArV ArVNG AS
Ausführungsanweisung; Auswärtiges Amt Amt für Ausbildungsförderung am angegebenen Ort Arbeitsgemeinschaft f. betriebliche Altersversorgung Abfallbeseitigungsgesetz Amtsblatt Abwasserabgabengesetz Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Kommunalwissenschaften Archiv für Presserecht Aktiengesellschaft; Amtsgericht Agrarrecht. Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes American Journal of International Law Aktiengesetz Allgemeines Landrecht Amtl. Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit Änderungsgesetz Anmerkung Angestelltenversicherung Abgabenordnung Allgemeine Ortskrankenkasse Archiv des öffentlichen Rechts Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis Aus Politik und Zeitgeschichte Arbeitsamt Arbeitsplatzschutzgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit) Die Arbeiter-Versorgung Archiv des Völkerrechts Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Rundfunkanstalten Arbeitsrechts-Sammlung Artikel Arbeiterrentenversicherung Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz) Amtliche Sammlung
Abkürzungsverzeichnis ASOG AT AtAnlVO AtG, AtomG AtVfV Aufl. AuR AuS AusbFöG AusfG AuSP AÜG AVAVG AVG AVR AWG B BA BAnz. BAB1. Bad.-Württ. bad.-württ. Bad.-Württ. VB1. BAföG BAG BAT BAusglA BauAufsG BauGB BaunutzVO BauO BaupolVO BauR bay., bayer. BayBgm BayBs BayDStH BayHSchG BayObLG BayStrWG Bay VB1. BayVerfGH
Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin Allgemeiner Teil Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes (Atomanlagenverordnung) Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Atomrechtliche Verfahrensverordnung Auflage Arbeit und Recht Arbeits- und Sozialrecht Ausbildungsförderungsgesetz Ausführungsgesetz Arbeits- und Sozialpolitik Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Angestelltenversicherungsgesetz Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsgesetz BundesBundesanstalt für Arbeit Bundesanzeiger Bundesarbeitsblatt Baden-Württemberg baden-württembergisch Baden-Württembergische Verwaltungsblätter Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Bundes-Angestelltentarifvertrag Bundesausgleichsamt Bauaufsichtsgesetz Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung Bauordnung Verordnung über die baupolizeiliche Behandlung von öffentlichen Bauten Baurecht bayerisch Der bayerische Bürgermeister Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts Bayerischer Diensttrafhof Bayerisches Hochschulgesetz Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerisches Straßen- und Wegegesetz Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof
Abkürzungsverzeichnis BayVGH BB BBahn BBahnG BBauBl. BBauG BBergG BBesG BBG BBVA Bd. BDH BDiszG BDO BEG BerHG ber. berl., bin. BErzGG BROG Best. BesVNG Betr. BEvG Beweissicherungs- und FeststellungsG BezO BfA BFH BFStrG BG BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BGSG BHO BImSchG BImSchV BK BKA BKGG
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebsberater Bundesbahn Bundesbahngesetz Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Bundesberggesetz Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Bundesbahnversicherungsanstalt Band Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinargericht Bundesdisziplinarordnung Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz) Beratungshilfegesetz berichtigt berlinisch Bundeserziehungsgeldgesetz Bundesraumordnungsgesetz Bestimmung Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz Der Betrieb Bundesevakuiertengesetz Gesetz über die Beweissicherung und Feststellung von Vermögensschäden in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Sowjetsektor von Berlin Bezirksordnung Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Bundesfernstraßengesetz Beamtengesetz; Berufsgenossenschaft; Zeitschrift „Die Berufsgenossenschaft" Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof (Strafsachen) Bundesgerichtshof (Zivilsachen) Gesetz über den Bundesgrenzschutz Bundeshaushaltsordnung Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen 4. BImSchV Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), 1950 ff. (Loseblattsammlung) Bundeskartellamt Bundeskindergeldgesetz XI
Abkürzungsverzeichnis BKK BKn BKnEG BKVO BldW BLG B1GBW BLK Bin BlStSozArbR BLV BMA BMBW BMI BMJ BMP BMT-G II BMVg BNatSchG BNebTVO, BNV Bochalli, VerwR BPersVG BPersVWO BpflVO BPolBG BPräs BRat BRD BReg Breihaupt brem. Brinkmann, GG BRKG BRRG BROG BRS BSchVG, BSchG BSeuchG BSG BSHG XII
Die Betriebskrankenkasse Bundesknappschaft Bundesknappschaftserrichtungsgesetz Berufskrankheiten Verordnung Blätter der Wohlfahrtspflege Bundesleistungsgesetz Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht Bund-Länder-Kommission Berlin Blätter für Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht Bundeslaufbahnverordnung Bundesminister(ium) für Arbeit Bundministerium für Bildung und Wissenschaft Bundesminister(ium) des Innern Bundesminister(ium) der Justiz Bundesminister(ium) für das Post- und Fernmeldewesen Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Bundesminister(ium) der Verteidigung Bundesnaturschutzgesetz Verordnung über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (Bundesnebentätigkeitsverordnung) A. Bochalli, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1967 Bundespersonalvertretungsgesetz Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz Bundespflegesatzverordnung Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Polizeivollzugsbeamten des Bundes (Bundespolizeibeamtengesetz) Bundespräsident Bundesrat Bundesrepublik Deutschland Bundesregierung Sammlung von Entscheidungen der Sozialversicherung, Versorgung und Arbeitslosenversicherung bremisch Grundrechts-Kommentar zum Grundgesetz, herausgegeben von K. Brinkmann, 1967 ff. (Loseblattsammlung) Gesetz über die Reisekostenvergütung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten (Bundesreisekostengesetz) Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) Bundesraumordnungsgesetz Baurechtssammlung Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz
Abkürzungsverzeichnis BS/KMK BStBl. BT(ag) BT-Drs. BT-OElt BT-Sten.Ber. BUKG
BWV BWVB1 BWVPr
Beschlüsse der Kultusministerkonferenz Bundessteuerblatt Bundestag Drucksachen des Deutschen Bundestages Verordnung über allg. Tarife f. d. Versorgung mit Elektrizität Stenograph. Berichte des Deutschen Bundestages Gesetz über die Umzugskostenvergütung und Trennungsentschädigung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten Bundesversicherungsamt Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesversorgungsblatt Bundesverwaltungsgericht Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) Bundesversorgungsgesetz Baden-Württemberg Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes Bundeswehrverwaltung Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Baden-Württembergische Verwaltungspraxis
ChemG CPL
Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen Conférence des Pouvoirs Locaux et Régionaux
DÄ DAG DAng.Vers. DAR DB DBB DBG DDR ders. DEVO DFG DGB DGO DIN DirRufV
Deutsches Ärzteblatt Deutsche Angestelltengewerkschaft Die Angestellten-Versicherung Deutsches Autorecht Der Betrieb Deutscher Beamtenbund Deutsches Beamtengesetz Deutsche Demokratische Republik derselbe Datenerfassungsverordnung Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gemeindeordijung Deutsches Institut für Normung VO über das öffentliche Direktrufnetz für die Übertragung digitaler Nachrichten Dissertation DisziplinarDeutscher Juristentag Deutsche Lebensrettungsgesellschaft Der öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Die Ortskrankenkasse
BVA BVerfG BVerfGG BVersorgBl. BVerwG BVFG BVG BW BWGöD
Diss. Disz. D(t)JT DLRG DöD DÖV DOK
XIII
Abkürzungsverzeichnis Dok. Ber. DR DRiZ DRiG DRpflZ DRV DST DStR DStrH Dt. DuR DUZ DÜVO DV DVGW DVB1 DVO DVZ DWW E EA EAG, Euratom EAGV EG EGBGB EGKS EGSB EGStGB EHG EKD EGKSV EMRK Erichsen, VwR u. VwGerichtsbkt.I Erichsen/Martens, Allg. VwR ErsK ESVGH ET EuGH EuGRZ EuR EvStL, Ev. StaatsL XIV
Dokumentarische Berichte aus dem Bundesverwaltungsgericht Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsches Richtergesetz Deutsche Rechtspfleger-Zeitung Deutsche Rentenversicherung Deutscher Städtetag Deutsches Steuerrecht Dienststrafhof Deutsch(es) Demokratie und Recht Die Deutsche Universitätszeitung Datenübermittlungsverordnung Die Verwaltung Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Versicherungs-Zeitschrift für Sozialversicherung und Privatversicherung Deutsche Wohnungswirtschaft Entscheidungen); Entwurf Europa-Archiv Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel Evangelische Kirche Deutschlands Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäische Menschenrechtskonvention H.-U. Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, 2. Aufl., 1984 H.-U. Erichsen/W. Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 1986 Ersatzkasse; Zeitschrift „Die Ersatzkasse" Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Energiewirtschaftliche Tagesfragen Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte - Zeitschrift Europarecht Evangelisches Staatslexikon, herausgegeben von R. Herzog, H. Kunst, K. Schiaich, W. Schneemelcher, 3. Aufl. 1987
Abkürzungsverzeichnis EWG EWGV
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
FAG FAZ FamRZ FeststellungsG
Finanzausgleichsgesetz Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegsschäden Fürsorgerechtl. Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte Festgabe für Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fédération Internationale pour le Droit Européen Finanzänderungsgesetz Finanzarchiv Fluchtliniengesetz Flüchtlingshilfegesetz Flurbereinigungsgesetz Fußnote E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band: Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973 Fremdrentengesetz Festschrift für Bundesfernstraßengesetz Fürsorge
FEVS Fg. f. FGG FGO FIDE FinanzändG FinArch . FluchtLinG FlüHG FlurbG Fn. Forsthoff, VwR FRG Fs. f. FStrG Fürs. G G131 GAL GaststG GBl. GefGBefG GemO GemSOBG GerSichG GewArch GewO GFG GG GGK GjS GK-AFG GKÖD GK-SGB
Gesetz Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte Gaststättengesetz Gesetzblatt Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter Gemeindeordnung Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes Gerätesicherheitsgesetz Gewerbearchiv Gewerbeordnung Graduiertenförderungsgesetz Grundgesetz Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von I. von Münch, Bd. 1, 3. Aufl. 1985, Bd. 2, 2. Aufl. 1983, Bd. 3, 2. Aufl. 1983. Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsgesetz Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, hrsg. von W. Fürst Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch XV
Abkürzungsverzeichnis GKV GkZA GmbH GMB1. GO GoA GoltdA GRe
GRG GRUR GRV GS GS. NW GüKG GÜV GUV GVB1., GVOB1. GWB GWF H. HäftlHG
HandwO HdbVerfR HdW Hdw(b) hmb. Hb, HdB HbFinWiss HBKWP, KomHdB
XVI
Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsames Ministerialblatt Gemeindeordnung; Geschäftsordnung Geschäftsführung ohne Auftrag Goltdammer's Archiv für Strafrecht und Strafprozeß Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Band I, 1. und 2. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, F. L. Neumann, H. C. Nipperdey, 1966/67; Band II, hrsg. von F. L. Neumann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner, 2. Aufl. 1968; Band III, 1. 2. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner, 1958/59; Band IV, 1. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner, 1960, 2. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, 1962 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits- Reformgesetz), Referentenentwurf Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetzliche Rentenversicherung Gesetzessammlung Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen. 1945-1956 Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote Gesetzliche Unfallversicherung Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Das Gas- und Wasserfach Heft Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen im Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (West) in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz) Handwerksordnung E. Benda/W. Maihofer/J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983 Handbuch des Wissenschaftsrechts Handwörterbuch hamburgisch Handbuch Handbuch der Finanzwissenschaft Handbuch der Kommunalen Wissenschaft und Praxis, hrsg. von H. Peters, Band I, Grundlagen, 2. völlig neubearbeitete Aufl. 1981 Band II, Kommunale Verwaltung, 1957 Band III, Kommunale Finanzen und Kommunale Wirtschaft, 1959
Abkürzungsverzeichnis HdbDtStR
HZ
Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von G. Anschütz/R. Thoma, Band I 1930, Band II 1932 Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handbuch der Wirtschaftswissenschaften Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz) hessisch Hessischer Dienststrafhof K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 15. Aufl. 1985 Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Haushaltsgrundsätzegesetz Häftlingshilfegesetz Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Hochschulrahmengesetz Herausgeber herausgegeben Hochschullehrergesetz Hochschulgesetz Haushaltsverordnung Handbuch zum Sozialrecht Gesetz über eine Rentenversicherung der Handwerker (Handwerkerversicherungsgesetz) Historische Zeitschrift
i. d. F. d. Bek. ICLQ IHK.G InfAuslR IPR IVR
in der Fassung der Bekanntmachung The International and Comparative Law Quarterly Gesetz über die Industrie- und Handelskammern Informationsbrief für Ausländerrecht Internationales Privatrecht Internationales Verwaltungsrecht
JA JÄ JAV Jb JB1 Jellinek, VwR
Juristische Arbeitsblätter Jugendämter Jahresarbeitsverdienst Jahrbuch Juristische Blätter W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931 (Neudruck 1966) Jahrbuch für Internationales Recht Justizministerialblatt Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristen-Jahrbuch
HDSW HdWW HeimkG hess. HessDStH Hesse, VerfR HFR HGrG HHG HKWP h. L. h. M. HRR HRG Hrsg. hrsg. HSchLG HS(ch)G HVO HzS HwVG
JIR JMinBl JöR JR JSchÖG JurA Jura JurJB
XVII
Abkürzungsverzeichnis JuS JW JWG JZ
Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Gesetz für Jugendwohlfahrt Juristenzeitung
KÄV KAG KDVNG KG KgfEG
Kassenärztliche Vereinigung Kommunalabgabengesetz Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz Kammergericht Gesetz über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener (Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz) Krankenhaus(finanzierungs)Gesetz; Kunsthochschulgesetz Kritische Justiz Kultusministerkonferenz Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz Konkursordnung; Kreisordnung F. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl., 1986 F. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., 1986 Die Kriegsopferversorgung Gesetz üb. d. Verwaltungsverfahren d. Kriegsopferversorgung Kontrollrat Kontrollratsgesetz H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966 Die Krankenversicherung Kommunale Steuer-Zeitschrift Kommunalselbstverwaltungsgesetz Berichte der Kultusministerkonferenz Kassenärztliche Vereinigung Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz Gesetz über die Krankenversicherung für Landwirte Gesetz über das Kreditwesen
KHG KJ KMK KnVNG KO Kopp, VwVfG Kopp, VwGO KOV KOVVerfG KR KRG Krüger, StaatsL KRV KStZ KSVG KtK-Bericht KV KVG KVKG KVLG KWG L LadSchlG LAG LArbÄ LBG LdR Lehrb. Leibholz/Rinck, GG LFG, LFZG LG LImSchG LJÄ LK XVIII
Land(es) Ladenschlußgesetz Lastenausgleichsgesetz Landesarbeitsämter Landesbeamtengesetz Lexikon des Rechts Lehrbuch G. Leibholz/H. J. Rinck, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 6. Aufl. 1979 ff. Lohnfortzahlungsgesetz Landgericht, Landschaftsgesetz Landes-Immissionsschutzgesetz Landesjugendämter Leipziger Kommentar zum StGB, 10. Aufl., 1985
Abkürzungsverzeichnis LKO LM LPlanG LPflG LS LSG LStrG LStVG LT LuftVG LuftVZO LV(erf.) LVA LVG LVwG LWG
Landkreisordnung Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von F. Lindenmaier und Ph. Möhring Landesplanungsgesetz Landschaftspflegegesetz Leitsatz Landessozialgericht; Luftschutzgesetz Landstraßengesetz Bayer. Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Landtag Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landes verfassung Landesversicherungsanstalt Landesverwaltungsgericht Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz) Landeswohnungsgesetz; Landeswassergesetz
von Mangoldt/Klein, GG Das Bonner Grundgesetz, erläutert von H. von Mangoldt, 2. Aufl. neu bearbeitet von F. Klein, Bände I, 3. Aufl. 1985, II, 2. Aufl. 1966, Band III, 2. Aufl. 1970/74 Maunz/Zippelius, Th. Maunz, R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 26. Aufl. Staats R 1985 Maunz/Dürig/Herzog/ Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz/P. Lerche/H.-J. Scholz, GG Papier/A. Randelzhofer/E. Schmidt-Aßmann, Grundgesetz, Kommentar, Band I, II und III, 4. Aufl., 1958ff. (Loseblatt) Mayer, VwR O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I und II, 3. Aufl. 1924 MBauO Musterbauordnung MdE Minderung der Erwerbsfähigkeit MDR Monatsschrift für Deutsches Recht ME Musterentwurf MedR Medizinrecht MeldeG Gesetz über das Meldewesen (Meldegesetz) MinBl. Ministerialblatt MitbestG Mitbestimmungsgesetz Mitt. HV Mitteilungen des Hochschulverbandes MTB II Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes MTL II Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder von Münch (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 3. Aufl. von Münch, GGK 1985; Bd. 2, 2. Aufl. 1983; Bd. 3, 2. Aufl. 1983 Mutterschutzgesetz MuSchG Nachbarrechtsgesetz NachbRG Nachrichten Nachr. Neue Deutsche Beamtenzeitung NDBZ XIX
Abkürzungsverzeichnis NDV nds, nieders. NdsAGAbfG NdsMBl n. F. NJW nrw, nordrh.-westf. NROG NRW NsSmtGO NStZ NuR NVwZ NW, Nordrh.-Westf. NZWehrR O OBG OEG ÖZW OKK OLG ORDO OVG OWiG PAG ParlRat P(ers)BefG PersV PersVG Peters, VwR PG POG PolG PolLVO PolOrg.VO PolZustG PostArch PostVerwG PrALR PreßG preuß. PrOVG PrStädteO PrWG XX
Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge niedersächsisch Niedersächs. Ausführunsgesetz zum Abfallbeseitigungsgesetz Niedersächs. Ministerialblatt neue Fassung; neue Folge Neue Juristische Wochenschrift nordrhein-westfälisch Niedersächs. Gesetz üb. Raumordnung u. Landesplanung Nordrhein-Westfalen Niedersächsische Samtgemeindeordnung Neue Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Wehrrecht Ordnung Ordnungsbehördengesetz Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Ortskrankenkasse Oberlandesgericht Jahrbuch f. d. Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern (Polizeiaufgabengesetz) Parlamentarischer Rat Personenbeförderungsgesetz Die Personalvertretung Personalvertretungsgesetz H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949 Polizeigesetz Polizeiorganisationsgesetz Polizeigesetz Verordnung über die Laufbahn der Polizeivollzugsbeamten Verordnung über die Organisation und Zuständigkeit der hessischen Vollzugspolizei Gesetz über die Zuständigkeit der Polizei Postarchiv Postverwaltungsgesetz Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Pressegesetz preußisch Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußische Städteordnung Preußisches Wassergesetz; Preußisches Wegereinigungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis PStGB Püttner, Allg. VwR PuZ PVG PVS
Polizeistrafgesetzbuch G. Püttner, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1983 Aus Politik und Zeitgeschichte Polizeiverwaltungsgesetz Politische Vierteljahrsschrift
R Rabeis Z
Recht Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begr. von Rabel Reichsarbeitsgericht in: Arbeitsrechtssammlung Reichsbeamtengesetz Recht der Arbeit Recht der Jugend Recht der Jugend und des Bildungswesens Recht der Landwirtschaft Randnummer Rundschreiben Recht der Datenverarbeitung Recht der Wasserwirtschaft Regierungsbezirk Regierungsblatt Regierungsentwurf Rehabilitationsangleichungsgesetz Reparationsschädengesetz Rezension Reichsgericht Reichsgesetzblatt Gesetz über das Revisionsgericht. Saarland Reichsgericht (Strafsachen) Reichsgericht (Zivilsachen) Reichshaushaltsordnung rheinland-pfälzisch Rheinland-Pfalz Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz Das Recht im Amt Reichsknappschaftsgesetz Reichsministerialblatt Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Raumordnungsgesetz Rechtsprechung Recht, Staat, Wirtschaft Recht, Technik, Wirtschaft Rentenversicherung: Die Rentenversicherung Rundfunk und Fernsehen Recht und Gesellschaft Recht und Staat Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Rentenversicherung: Die Rentenversicherung Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes
RAG ARS RBG RdA RdJ RdJB RdL Rdnr. RdSchr. RDV RdWW RegBez. RegBl. Reg.E(ntw.) RehaAnglG RepG Rez. RG RGBl. RGG RGSt RGZ RHO rheinl.-pfälz. Rh.-Pf. RhPfVerfGH RiA RKG RMB1. RMfWEV ROG Rspr. RStW RTW RV RuF RuG RuSt. RuStAngG RV RVA AN
XXI
Abkürzungsverzeichnis RVO RVerwBl. RWS RZ RzW
Reichsversicherungsordnung Reichsverwaltungsblatt Recht und Wirtschaft der Schule Randziffer Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht
s. S. saarl. SAE Schl.-H. schlesw.-holst. SchlHA Schmidt-Bleibtreu/ Klein, G G SchOG Schönke/Schröder, StGB SchrVfS SchVG SchwbG SF SGb SGB SGG SGVO SKV SOG Soz. SozR Soz.Sich. SozVers. StabG
siehe Seite saarländisch Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schleswig-Holstein schleswig-holsteinisch Schleswig-Holsteinische Anzeigen B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl. 1983 Schulordnungsgesetz Strafgesetzbuch, Kommentar, begründet von A. Schönke, fortgeführt von H. Schröder, 22. Aufl. 1985 Schriften des Vereins für Sozialpolitik Schulverwal tungsgesetz Schwerbeschädigtengesetz; Schwerbehindertengesetz Sozialer Fortschritt Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Niedersächs. Gemeindeverordnung Staats- und Kommunalverwaltung Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Soziale Arbeit Sozialrecht Soziale Sicherheit Die Sozialversicherung Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Staatsanzeiger Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland Städtebauförderungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, 10. Aufl. 1986 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl., 1984 Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Staatshaftungsgesetz Steuerordnung Strafprozeßordnung strittig Straßengesetz Strahlenschutzverordnung Städtetag
StAnz. Statist.Jb StBFG StbJb Stein, StaatsR Stern, StaatsR I StGB StGH StHG StO StPO str. StrG StrlSchVO StT XXII
Abkürzungsverzeichnis StVO StVZO StW, StuW StWG SVG
Straßenverkehrsordnung Straßenverkehrs-Zulassungsordnung Steuer und Wirtschaft Straßen- und Wegegesetz Selbstverwaltungsgesetz, Soldatenversorgungsgesetz
TA TH TelwegG Trenn EVO
Technische Anweisung Technische Hochschule Telegraphenwege-Gesetz Verordnung über die Gewährung von Trennungsentschädigung Theorie und Praxis der sozialen Arbeit K. E. von Turegg, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 4. neu bearbeitete Aufl. von E. Kraus, 1962 Tarifvertragsgesetz Textziffer
TuP Turegg/Kraus, VerwR TVG Tz u. a. UBG UFITA UG Ule, VerwProzR UNESCO UNTS UPR Urt. USG UVNG UWG UZwG UZwGBw UZwVO VA VBKOV VB1BW VDE VDI VdK-Mitt. VDR
unter anderem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Universitätsgesetz C. H. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl. 1987 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation United Nations Treaty Series Umwelt- und Planungsrecht Urteil Gesetz über die Sicherung des Unterhalts der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen und ihrer Angehörigen (Unterhaltssicherungsgesetz) Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen Verordnung über die Anwendung unmittelbaren Zwangs Verwaltungakt Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden in der Kriegsopferversorgung Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verband Deutscher Elektrotechniker Verein Deutscher Ingenieure Mitteilungen des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer Verband deutscher Rentenversicherungsträger XXIII
Abkürzungsverzeichnis VEnergR Verb Verf. VerfGH Verh. Verk. Mitt. VersÄ VersR VersRundschau Vers Wirt VerwA VerwRdSchau VerwRspr VG VGG VGH VGHE n.F.
vgl. Vhdlungen VjHfZG VkBl. VO VOB VR VRS VRspr., VerwRspr. VSSR VuVO WDStRL VVG WKOV VwGO VwKG VwR VwVfG VwVG VwZG WaStrG WBO WDO WegeG WG WHG XXIV
Veröffentlichungen des Instituts für Energierecht Verband(s) Verfassung Verfassungsgerichtshof Verhandlungen Verkehrsrechtliche Mitteilungen Versorgungsämter Versicherungsrecht Die Versicherungsrundschau Versicherungswirtschaft Verwaltungsarchiv Verwaltungsrundschau Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verwaltungsgericht Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofes und des Bayerischen Gerichtshofes für Kompetenzkonflikte. Neue Folge vergleiche Verhandlungen Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Verkehrsblatt. Amtsblatt des Bundesministers für Verkehr Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Verwaltungsrundschau Verkehrsrechts-Sammlung Verwaltungsrechtsprechung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Versicherungsunterlagen-Verordnung Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Gesetz über den Versicherungsvertrag Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungskostengesetz Verwaltungsrecht Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Bundeswasserstraßengesetz Wehrbeschwerdeordnung Wehrdisziplinarordnung Hamburgisches Wegegesetz Wassergesetz; Wegegesetz Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis WiGBl. WiR WissHG WissR
Wirtschaftsgesetzblatt Wirtschaftsrecht Gesetz über die wissenschaftlichen Hochschulen Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschafts förderung WissRat Wissenschaftsrat WiSta Wirtschaft und Statistik WiVerw Wirtschaft und Verwaltung, Vierteljahresbeilage zum GewArch WoGG Wohngeldgesetz WoGV Wohngeldverordnung WohnG Wohnungsgesetz Wolff, VwR H.-J. Wolff, Verwaltungsrecht, Band I, 8. Aufl. 1971, Band II, 3. Aufl. 1970, Band III, 3. Aufl. 1973 Wolff/Bachof, VwR I H.-J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. I, 9. Aufl. 1974 Wolff/Bachof, VwR II H.-J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. II, 4. Aufl. 1976 Wolff/Bachof, VwR III H.-J. Wolff/O.Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. III, 4. Aufl. 1978 Wolff/Bachof/Stober, H.-J. Wolff/O. Bachof/R.Stober, Verwaltungsrecht, Bd. II, VwR II 5. Aufl. 1987 WP Wahlperiode, Wirtschaftsprüfer WpflG Wehrpflichtgesetz WRK Westdeutsche Rektorenkonferenz WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WRV Weimarer Reichsverfassung Wehrsoldgesetz WsG Mitteilung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen InWSI-Mitt stitut des DGB WuW Wirtschaft und Wettbewerb WVMB1. Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr WVR Wörterbuch des Völkerrechts, begr. von K. Strupp, hrsg. von H.-J. Schlochauer, Band I 1960, Band II 1961, Band III 1962 Verordnung über Wasser- und Bodenverbände (Wasserverwvvo bandsverordnung) WzS Wege zur Sozialversicherung ZaöRV ZAS ZBR ZDF ZDG ZevKR ZfA ZfArbR u. SozR ZfB ZfBR
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zweites Deutsches Fernsehen Gesetz über den zivilen Ersatzdienst Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht XXV
Abkürzungsverzeichnis ZfE ZfF ZfRV Zf5 ZfSH ZfU ZfvglRechtswiss ZfW ZG ZgesStW, ZStW ZGR ZHR ZLR ZLW ZO ZögU ZPO ZRP ZSR ZustVO SOG ZV + Zv ZVersWiss
XXVI
Zeitschrift für Energierecht Zeitschrift für das Fürsorgewesen Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für Sozialhilfe Zeitschrift für Umweltpolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Luftrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zulassungsordnung Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform (nieders.) Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr Zeitungsverlag und Zeitschriftenverlag Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft
ERSTER ABSCHNITT
Öffentlicher Dienst Ingo von Münch
Literatur U. Battis, Bundesbeamtengesetz, 1980 H. Bernhard / R. Hoffmann, Landesbeamtengesetz für Baden-Württemberg, 1964. W. Bierfelder (Hrsg.), Handwörterbuch des öffentlichen Dienstes. Das Personalwesen, 1976. H. Bierschneider, Bayerisches Beamtenrecht, 1968 ff. A. Bochalli, Bundesbeamtengesetz, 3. Aufl. 1966. A. Bochalli, Landesbeamtengesetz von Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1963. J. Crisolli/ M. Schwarz, Hessisches Beamtengesetz, 1962 ff. K. Eben. Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 2. Aufl. 1972ff. O. Fischbach, Bundesbeamtengesetz, 3. Aufl., 1. Halbbd. 1964, 2. Halbbd. 1965. O. Fischbach, Landesbeamtengesetz von Berlin, 1954. W. Frotscher, Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975. W. Fürst / A. Strecker, Beamtenrecht (einschließlich Disziplinar- und Personalvertretungsrecht), 1987. W. Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, 1973 ff. — Bd. I: W. Fürst / H. Arndt / H. J. Finger / O. Mühl / F. Niedermaier, Beamtenrecht des Bundes und der Länder. — Bd. II: H.-D. Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder. — Bd. III: M.-C. Schinkel, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder. — Bd. IV: G. Arndt / S. Baumgärtel / C. Fieberg, Recht der Arbeiter und Angestellten im Öffentlichen Dienst — Bd. V: A. Fischer/H.-J. Goeres, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder. E. Geib, Schleswig-Holsteinisches Landesbeamtenrecht, 1956. H.-D. Genscher / K. H. Friauf/M. Löwisch / W. Bierfelder / H. Schneider, Der öffentliche Dienst am Scheideweg, 1972. K. Gerhardt / K. Hahn /A. Schäufele, Landesbeamtenrecht für Baden-Württemberg, 1966. W. Grabendorff/P. Arend, Beamtengesetz von Rheinland-Pfalz, 2. Aufl., 1967ff. A. Hartinger/ Chr. Hegemer, Dienstrecht in Bayern, 1975ff. H. Hartmann/F. Janssen/ U. Kühn, Bayerisches Beamtengesetz, 5. Aufl., 1978. H. Hävers / G. Schnupp, Beamten- und Disziplinarrecht, 4. Aufl., 1979. W. Hildebrandt/H. Demmlef/H.-G. Bachmann, Kommentar zum Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 1963ff. 1
1. Abschn.
Ingo von Münch
G. Hilg/G. Müller, Beamtenrecht in Bayern, 1. Halbband — Allgemeines Beamtenrecht 2. Aufl., 1981. J. Isensee, Öffentlicher Dienst, in: Handbuch des Verfassungsrechts (hrsg. von E. Benda / W. Maiho)er / H.-J. Vogel), 1983, S. 1149ff. K. König/H. W. Laubinger/F. Wagener (Hrsg.), Öffentlicher Dienst Fs. f. C. H. Ule, 1977. K. Kopp, Öffentliches Dienstrecht, in: U. Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S.317ff. H. Korn/G. Siecken, Das Beamtenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1962ff. W. Kümmel, Niedersächsisches Beamtengesetz, 1965 ff. H. Lecheler, Das Recht des öffentlichen Dienstes, in: von Mutius (Hrsg.), Handbuch für die öffentliche Verwaltung - HÖV - , Bd. 2, Besonderes Verwaltungsrecht, 1984, S. 489ff. W. Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums, 1971. W. Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975. C. Leusser/E. Gemer/K. Kruis, Bayerisches Beamtengesetz, 2. Aufl. 1970. W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderverbindung, 1982. A. Maneck/H. Schirrmacher, Hessisches Bedienstetenrecht, 1960ff. H. Minz, Recht des öffentlichen Dienstes, 1979. G. Müller/ E. Beck, Beamtenrecht in Baden-Württemberg, 1962ff. H. Otto, Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, 1973 (6. Aufl. der gleichnamigen Schrift von G. Wacke). E. Flog/A. Wiedow/G. Beck, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz mit Beamtenversorgungsgesetz, 1958 ff. F. Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger, 1981. W. Rudolf, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, WDStRL 37 (1979), S. 175ff. C. Sachse / E. Topka, Niedersächsisches Beamtengesetz, 1961. H. W. Scheerbarth/H. Höffken, Beamtenrecht, 5. Aufl. 1985. W.-R. Schenke, Fälle zum Beamtenrecht, 1986. W. Schmidt / G. Ehrenthal, Niedersächsisches Beamtengesetz, 3. Aufl. 1967. F. E. Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, 1977. H. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 2. Aufl. 1987. E. Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, 5. Aufl. 1973 ff. G. P. Strunk, Beamtenrecht, 3. Aufl. 1986. W. Thieme, Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1961. C. H. Ule, Beamtenrecht, 1970. C. H. Ule, Öffentlicher Dienst, in: GRe IV/2, 1962, S. 537ff. G. Wacke, Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, 1957. F. Wagener, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, WDStRL 37 (1979), S. 215ff. F. Wagner, Beamtenrecht, 1983. H. Weiss / F. Niedermaier / R. Summer / S. Zängl, Bayerisches Beamtengesetz, 2. Aufl. 1966ff. K.-P. Weiß/K. Steinmeier, Arbeitsrecht für den öffentlichen Dienst, 1984. E. Weißhaar, Beamtenrecht, 2. Aufl. 1983. W. Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972. W. Wiese, Handbuch des Öffentlichen Dienstes - Bd. I: H. Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, 1980. - Bd. II, Teil 1: W. Wiese, Beamtenrecht, 2. Aufl. 1982. - Bd. III: H. E. Meixner, Personalpolitik, 1982. - Bd. IV: Teil 1: D. Rogalla, Dienstrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1981. - Bd. IV: Teil 2: J.-D. Busch, Dienstrecht der Vereinten Nationen, 1981. 2
Öffentlicher Dienst
1. Abschn.
F. Wind / R. Schimana / P. Wallerius, Öffentliches Dienstrecht, 2. Aufl. 1987. H. J. Wolff/ O. Bachof/ R. Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, § 105 - 119. H. Zeiler, Beamtenrecht, 1983. Zeitschriften: Bayerische Beamtenzeitung; Die Bundesverwaltung; Der Deutsche Beamte; Der Öffentliche Dienst; Neue Deutsche Beamtenzeitung; Die Personalvertretung; Recht im Amt; Zeitschrift für Beamtenrecht
3
1. Abschn.
Ingo von Münch
Gesetze Bund: BundesbeamtenG i. d. F. vom 27. Februar 1985 (BGBl. I, S. 479), zuletzt geändert am 20. Dezember 1985 (BGBl. I, S. 2466). Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (BeamtenrechtsrahmenG) i. d. F. vom 27. Februar 1985 (BGBl. I, S. 462), zuletzt geändert am 14. November 1985 (BGBl. I, S. 2090). Länder: Baden-Württemberg: LandesbeamtenG i. d. F. vom 8. August 1979 (GBl. S. 398), zuletzt geändert am 18. Mai 1987 (GBl. S. 161). Bayern: Bayerisches BeamtenG i. d. F. vom 11. Mai 1987 (GVB1. S. 149). Berlin: LandesbeamtenG i. d. F. vom 20. Februar 1979 (GVB1. S. 368), zuletzt geändert am 10. Dezember 1986 (GVB1. S. 2013). Bremen: Bremisches BeamtenG i. d. F. der Bekanntm. vom 3. März 1978 (GBl. S. 107), zuletzt geändert am 3. Juni 1986 (GBl. S. 117). Hamburg: Hamburgisches BeamtenG i. d. F. vom 29. November 1977 (GVB1. S. 367), zuletzt geändert am 1. Juli 1986 (GVB1. S. 174). Hessen: Hessisches BeamtenG i. d. F. vom 14. Dezember 1976 (GVB1. 1977 I, S. 42), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 1986 (GVB1.1, S. 101). Niedersachsen: Niedersächsisches BeamtenG i. d. F. vom 11. Dezember 1985 (GVB1. S. 493), zuletzt geändert am 14. Mai 1986 (GVB1. S. 139). Nordrhein-Westfalen: LandesbeamtenG i.d. F. vom l.Mai 1981 (GVB1. S.234), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. März 1987 (GVB1. S. 135). Rheinland-Pfalz: LandesbeamtenG i. d. F. vom 14. Juli 1970 (GVB1. S. 241), zuletzt geändert am 27. März 1987 (GVB1. S. 77). Saarland: Saarl. BeamtenG i. d. F. vom 25. Juni 1979 (ABl. S. 570), zuletzt geändert am 28. Januar 1987 (ABl. S. 201). Schleswig-Holstein: LandesbeamtenG i. d. F. vom 1. Juni 1987 (GVOB1. S. 271).
4
Öffentlicher Dienst
1. A b s c h n .
Gliederung I. Begriff des öffentlichen Dienstes 1. Bedeutung 2. Abgrenzungsmerkmale a) Art der Tätigkeit b) Normative Ausgestaltung des Dienstverhältnisses c) Dienst bei juristischer Person des öffentlichen Rechts 3. Wirtschaftliche Betätigung 4. Dauer und Eingliederung 5. Personenkreis II. Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1. Geschichtliche Entwicklung a) Beamte b) Angestellte und Arbeiter 2. Gegenwärtige Struktur und Problematik a) Ausweitung des öffentlichen Dienstes b) Angleichung der Gruppen c) Schwächung des Beamtentums III. Beamtenrecht 1. Beamtenbegriff a) Staatsrechtlicher Beamtenbegriff b) Haftungsrechtlicher Beamtenbegriff c) Strafrechtlicher Beamtenbegriff d) Verhältnis der Beamtenbegriffe zueinander 2. Beamtenarten a) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte b) Berufsbeamte c) Ehrenbeamte 3. Begründung des Beamtenverhältnisses a) Allgemeine Voraussetzungen b) Ernennung aa) Zuständigkeit zur Ernennung bb) Form der Ernennung cc) Anspruch auf Ernennung? c) Mängel der Ernennung d) Rücknahme der Ernennung aa) Obligatorische Rücknahme bb) Fakultative Rücknahme cc) Anfechtung e) Folgen von Mängeln aa) Innenverhältnis bb) Außenverhältnis 4. Inhalt des Beamtenverhältnisses a) Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums b) Beamtenpflichten aa) Dienstpflicht (Dienstleistungspflicht)
7 7 7 7 8 8 9 9 10 10 10 10 12 13 13 13 14 15 15 15 16 16 16 17 18 18 21 22 22 24 25 25 26 31 33 33 34 34 34 34 35 36 36 40 40 5
1. A b S C h n . bb) Allgemein bezogene, unparteiische Amtsführung cc) Beratungs-, Unterstützungs-, Gehorsamspflicht dd) Amtsverschwiegenheit ee) Treuepflicht ff) Ahndung von Pflichtverletzungen (Disziplinarrecht) c) Beamtenrechte aa) Recht auf Schutz und Fürsorge bb) Dienst- und Versorgungsbezüge cc) Einsicht in Personalakten, Dienstzeugnis d) Grundrechte im Beamtenverhältnis aa) Geltung der Grundrechte bb) Einzelne Grundrechte 5. Vermögensrechtliche Haftung des Beamten a) Unmittelbare Schädigung des Dienstherrn aa) Privatrechtliche Tätigkeit bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes b) Mittelbare Schädigung des Dienstherrn aa) Privatrechtliche Tätigkeit bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes c) Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit d) Geltendmachung der Ansprüche des Dienstherrn 6. Veränderungen im Beamtenverhältnis a) Beförderung b) Versetzung c) Umsetzung d) Abordnung 7. Beendigung des Beamtenverhältnisses a) Eintritt in den Ruhestand b) Entlassung c) Verlust der Beamtenrechte durch Gerichtsurteil d) Entfernung aus dem Dienst durch Disziplinarurteil 8. Rechtsschutz im Beamtenverhältnis a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe aa) Beschwerde beim Dienstvorgesetzten bb) Beschwerde beim Personalrat und Personalausschuß cc) Petitionsrecht b) Gerichtliche Rechtsbehelfe aa) Zivilgerichte bb) Disziplinargerichte cc) Verwaltungsgerichte IV. Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst 1. Begriff der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst 2. Begründung des Dienstverhältnisses 3. Inhalt des Dienstverhältnisses 4. Beendigung des Dienstverhältnisses V. Personalvertretung 1. Personalrat 2. Personalversammlung VI. Bundes-(Landes-)Personalausschuß 6
Ingo von Münch 43 44 45 46 47 50 50 53 59 62 62 63 70 70 71 71 71 72 72 72 73 74 74 76 77 77 78 78 80 82 82 83 83 83 84 84 84 84 84 84 86 87 87 87 89 90 91 95 96
1. Abschn. I 2 a
Öffentlicher Dienst
I. Begriff des öffentlichen Dienstes 1. Bedeutung Die Klärung des Begriffs „öffentlicher Dienst" ist bedeutsam, weil für den öffentlichen Dienst zahlreiche Sonderregelungen gelten, die ihn von privaten Dienstverhältnissen unterscheiden. So ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen (Art. 33 IV GG) 1 . Den Angehörigen des öffentlichen Dienstes werden besondere Treuepflichten auferlegt: In den öffentlichen Dienst darf nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt' 3 . Einem Teil der Angehörigen des öffentlichen Dienstes — nämlich den Beamten — wird das Streikrecht versagt2. Wie ist die Beschäftigung in einem sog. öffentlichen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland rechtlich zu qualifizieren, d. h. in einem Unternehmen, an dessen Kapital die öffentliche Hand maßgeblich oder allein beteiligt ist 3 ? 2. Abgrenzungsmerkmale Einen allgemeingültigen Begriff des öffentlichen Dienstes gibt es nicht 4 . Der Begriff ist vielmehr für jede gesetzliche Vorschrift nach deren Sinn und Zweck besonders auszulegen 5 . Bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt, so müssen sachgerechte Merkmale für die Abgrenzung des öffentlichen Dienstes vom privaten Dienst gesucht werden. Drei Abgrenzungsmerkmale liegen nahe: a) Art der Tätigkeit; b) Normative Ausgestaltung des Dienstverhältnisses; c) Dienst bei juristischer Person des öffentlichen Rechts. a) Art der Tätigkeit: Eine früher vom BAG vertretene Ansicht meinte, eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst liege dann vor, wenn die dienstliche Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Art ist6. Dieses Merkmal ist jedoch unbrauchbar1. Viele Tätigkeiten sind ihrer Art nach neutral; sie können daher entweder als private oder als öffentliche Auf1 la 2 3 4
5 6 7
Vgl. dazu Peine, DV 1984, 415ff.; s. auch unten S. 87. Vgl. dazu S. 23f., 64ff. Vgl. dazu unten S. 69 f. Vgl. dazu unten S. 9. BVerfGE 15, 46 (61); 38, 326 (343); 55, 207 (227); OVG Münster NVwZ 1984, 593; Lecheler, JZ 1984, 76. BVerwGE 9, 314(316). BAGE 3, 124 (aufgegeben in BAGE 8, 84); Gröbing, AuR 1959, 225. Pfennig, Der Begriff des öffentlichen Dienstes und seiner Angehörigen, 1959, S. 33. 7
1. Abschn. I 2 c
Ingo von Münch
gäbe betrachtet und entsprechend privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich organisiert werden (z. B.: Krankenpflege in öffentlichen Krankenanstalten oder privaten Krankenhäusern; Personenbeförderung durch Postbus oder privaten Reisebus; Unterricht an öffentlicher Schule oder an Privatschule). A u c h können Privatpersonen öffentliche Aufgaben erfüllen, o h n e zugleich im öffentlichen Dienst zu stehen (Bsp.: die sog. beliehenen U n t e r n e h m e r ) " . b) Normative Ausgestaltung des Dienstverhältnisses: Mögliches Kriterium des öffentlichen Dienstes könnte die Ausgestaltung des Dienstverhältnisses durch N o r m e n sein, d. h. durch generelle Regelungen (Rechtsform = Rechtsnorm) im Gegensatz zu individuellen Arbeitsverträgen 9 . Daran ist zwar richtig, daß das öffentliche Dienstrecht weitgehend durch N o r m e n (Gesetze, Verordnungen) geregelt ist; aber auch die privaten Dienstverhältnisse sind nicht normfrei (vgl. z . B . §§611 ff. B G B ; KündigungsschutzG; MutterschutzG). Soweit die Dienstverhältnisse — wie dies bei den Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst der Fall ist — durch Tarifverträge geregelt sind, besteht insoweit überhaupt kein Unterschied zu den ebenfalls durch Tarifverträge geregelten Privatdienstverhältnissen. D i e Tarifverträge für den öffentlichen Dienst lassen ausdrücklich auch den Abschluß v o n individuellen (Einzel-)Arbeitsverträgen zu. D i e normative Ausgestaltung bildet daher ebenfalls kein befriedigendes Abgrenzungskriterium 1 0 . c) Dienst bei juristischer Person des öffentlichen Rechts: D a s BVerfG, das BVerwG und die neuere Rechtsprechung des B A G sehen das entscheidende Merkmal des öffentlichen Dienstes zutreffend in der öffentlich-rechtlichen Rechtsform des Dienstherm, d. h. darin, daß die Bediensteten im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen". Diese Auffassung liegt auch der Legaldefinition in mehreren Gesetzen und Tarifverträgen zugrunde; so bestimmt z. B. § 15 II ArbeitsplatzschutzG: „Öffentlicher Dienst im Sinne dieses Gesetzes ist die Tätigkeit im Dienste des Bundes, eines Landes, einer G e m e i n d e (eines Gemeindeverbandes) oder anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts oder der Verbände v o n solchen . . ,"12. D a juristische Personen heute nur noch durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes errichtet oder aufgelöst werden können, läßt sich das 8
9 10 11
12
8
Dazu Ossenbühl / Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVdStRL 29 (1971), S. 137ff., 211 ff. Weitere Hinw. bei Erichsen, in: Erichsen / Martens, Allg. VwR, § 11 II 2 b, und bei Rudolf, in: Erichsen / Martens, a. a. O., § 56 II 3. Fischbach, DÖV 1955, 709. Pfennig, a. a. O., S. 37. BVerfGE 6, 257 (267); 55, 207 (230); BVerwGE 30, 81 (84); BAGE 8, 84; Battis, BBG, Erl. 2 a zu § 2; Pfennig, a. a. O., S. 40ff.; Ule, GRe IV/2, S. 545; Wolff/Bachof/Stober. VwR II, § 105 II 1; Rudolf, VVDStRL 37 (1979), S. 191/192. Vgl. auch Adomeit, ZRP 1987, 75ff. BGBl. 1957 I, S. 293, i. d. F. d. Bekanntm. v. 14. 4.1980 (BGBl. 1980 I, S. 425); das G nimmt die Tätigkeit bei öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften oder deren
1. A b s c h n . I 4
Öffentlicher Dienst
Vorhandensein einer juristischen Person des öffentlichen Rechts — von Einzelfällen aus historischer Zeit abgesehen — verhältnismäßig klar feststellen (Rechtssicherheit!). Beamte einstellen können allerdings nur diejenigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die Dienstherrnfähigkeit besitzen. Das sind nach § 121 BRRG außer dem Bund nur die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie diejenigen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, denen dieses Recht besonders verliehen wurde. 3. Wirtschaftliche Betätigung Bund, Länder und Gemeinden sind in erheblichem Maß an Wirtschafts-, Verkehrs- und Versorgungsbetrieben beteiligt13. Ist die Beschäftigung bei der Lufthansa AG (rd. 75% Bundeseigentum), bei der Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen GmbH (100% Bundeseigentum), beim Wasserwerk einer Gemeinde öffentlicher Dienst? Die Abgrenzung nach der Rechtsform des Dienstherrn gibt die Antwort. Hat das Unternehmen die Form der juristischen Person des Privatrechts (AG, GmbH), so ist diese juristische Person des Privatrechts Arbeitgeber; also liegt kein öffentlicher Dienst vor, selbst dann nicht, wenn die öffentliche Hand 100% des Gèsellschaftskapitals besitzt (sog. Eigengesellschaft) 14 . Handelt es sich aber um einen Betrieb, der keine selbständige Rechtsperson ist, sondern der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts — z. B. einer Gemeinde — geführt wird (sog. Eigenbetrieb), so ist die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst Dienstherr. Die Beschäftigung in dem Eigenbetrieb ist also Dienst bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, mithin öffentlicher Dienst 15 . 4. Dauer und Eingliederung Zum Begriff des öffentlichen Dienstes gehört ferner, daß die Dienstleistung dauernd (berufsmäßig) erbracht wird 16 und der Dienstnehmer in die Organisation des Dienstherrn eingegliedert ist17.
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14 15 16 17
Verbänden vom Begriff des öffentl. Dienstes aus (vgl. dazu aber auch unten S. 10). Zum Begriff des öffentl. Dienstes vgl. auch §§ 29 I, 40 VII BBesG. Vgl. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in diesem Lehrbuch, 4. Abschnitt, III 2 d ; vgl. auch von Münch, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 2 III 2 und Brede / von Loesch (Hrsg.), Die Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, 1986. Pfennig, a. a. O., S. 43. Vgl. auch BVerfGE 27, 364ff. BAGE 8, 87; a. A. für Eigenbetriebe, die rein wirtschaftliche Zwecke verfolgen, Denecke, RdA 1955, 401 und Gröbing, AuR 1959, 230. OVG Lüneburg DVB1. 1958, 803. Vgl. auch Wiese, Beamtenrecht, S. 63 ff. BVerfGE 17, 371 ff.; Fischbach, BBG I, S. 74; Pfennig, a. a. O., S. 53. 9
1. Abschn. II 1a
Ingo von Münch
Nicht zum öffentlichen Dienst gehören daher: ehrenamtlich Tätige (die nicht Ehrenbeamte sind), Wehrpflichtige, Ersatzdienstpflichtige (da nicht dauernd oder berufsmäßig tätig), Notare (es sei denn, sie sind — wie in Baden-Württemberg — Beamte) und beliehene Unternehmer. Abgeordnete sind, wie das BVerfG zutreffend festgestellt hat, nicht Beamte, „sondern — vom Vertrauen der Wähler berufen — Inhaber eines öffentlichen Amtes" 18 . Zweifelhaft ist, ob die Mitglieder der Bundesregierung (Bundeskanzler, Bundesminister) und der Landesregierungen zum öffentlichen Dienst gerechnet werden können. Dafür spricht, daß sie an der Spitze der staatlichen Organisation der Bundesrepublik bzw. der Länder stehen, also nicht außerhalb dieser Organisation. Entscheidend dagegen spricht aber, daß sie kraft ihrer Stellung und Funktion aus dem „normalen" öffentlichen Dienst herausgehoben sind: Gemäß § 1 des G über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (BundesministerG) 19 stehen sie „nach Maßgabe dieses Gesetzes zum Bund in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis". 5. Personenkreis Unter den Begriff des öffentlichen Dienstes fallen demnach die Richter, die Berufssoldaten, die freiwilligen Soldaten auf Zeit, die Beamten sowie die Angestellten und Arbeiter, die im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, sowie - was allerdings str. ist20 - die Bediensteten der als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Kirchen und der ihnen gleichgestellten öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften.
II. Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1. Geschichtliche Entwicklung a) Beamte: Die Entwicklung des Beamtenrechts ist eine Folge der Entwicklung der neuzeitlichen Verwaltung. Die rechtliche Ausgestaltung des heutigen deutschen Beamtenrechts geht insbesondere auf die Regierungszeit Friedrich
18 19 20
10
BVerfGE 40, 314; a. A.: von Mangoldt / Klein, GG, Anm. IV 2 zu Art. 38. Vom 17. Juni 1953 i. d. F. vom 27. Juli 1971 (BGBl. 1971 I, S. 1166). Wie hier BVerfGE 55, 207 (230ff.); VGH Bad.-Württ. DVB1. 1981, 31 (33); Ule, GRe IV/2, S. 545; a. A.: BVerwGE 10, 355ff.; Isensee, HdbVerfR, S. 1150; differenzierend W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 149ff.; vgl. auch OVG Hamburg DÖV 1970, 102. S. auch BVerwG DVB1. 1983, 507ff.: Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen schließt das Dienst- und Versorgungsrecht der kirchlichen Amtsinhaber ein. Zum Sonderarbeitsrecht kirchlicher Mitarbeiter vgl. nur BVerfGE 70, 138ff. (Kündigung wegen Verletzung von Loyalitätspflichten); Rüthers, NJW 1986, 357ff.; Thieme, DÖV 1986, 62ff.
1. Abschn. I11 a
Öffentlicher Dienst 21
Wilhelms I. von Preußen (1713 — 1740) zurück . Während vorher die Rechtsverhältnisse der „landesherrlichen Diener" zu ihrem Fürsten und der „landständischen Diener" zu den Ständen durch Privatdienstvertrag geregelt waren, wurde nun das Beamtenverhältnis durch einseitigen Hoheitsakt begründet und beendet; auch begann man die Ablegung von Prüfungen zur Aufnahmevoraussetzung zu machen. Das Preuß. ALR von 1794 gewährte erstmalig gesetzlich Beamtenrechte und Schutz gegen willkürliche Entlassung; die Bezeichnung des betr. Titel 10 Teil II mit „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates"22 zeigt deutlich den Wandel vom Diener des Monarchen zum Staatsdiener. In der Folgezeit wurde die Rechtsstellung der Beamten weiter verstärkt, so im RBG vom 31. Januar 187323 und in den Beamtengesetzen der Länder, vor allem aber in der Weimarer Republik durch Art. 128 — 131 WRV mit der Garantie der „wohlerworbenen Rechte". Die NS-Zeit unterbrach diese Entwicklung24. Das „G zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 193325 ordnete die Entlassung der „politisch unzuverlässigen" und „nichtarischen" Beamten an; das DBG vom 26. Januar 193726 wollte die Beamten im nationalsozialistischen Sinne politisieren und mit der Person Hitlers verbinden (Präambel: „Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Berufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates"). Der Beschluß des Großdeutschen Reichstages vom 26. April 194227 gab Hitler die Möglichkeit, jeden Beamten „ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und aus seiner Stellung zu entfernen".
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Zur geschichtl. Entwicklung allg.: Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, 1980; Püttner, in: Jeserich / Pohl/ von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5: Die Bundesrepublik Deutschland, 1987, S. 1124ff.; Summer, Dokumentation zur Geschichte des Beamtenrechts, 1986; Zippelius, BayVBl. 1986, 289ff.; Merz, Beamtentum und Beamtenpolitik in Baden, 1985; W. Thiele, Die Entwicklung des deutschen Berufsbeamtentums — Preußen als Ausgangspunkt modernen Beamtentums, 1981; K. Twesten, Der Preußische Beamtenstaat, in: Preuß. Jahrb. 18 (1866), S. 1 ff., 109 ff. (Nachdr. 1979); Hinw. auch bei Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 106. Vgl. auch: bayer. Hauptlandespragmatik vom 1. Juni 1805 „über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und ihr Gehalt"; württ. G vom 28. Juni 1821 „betreffend die Verhältnisse der Civilstaatsdiener". Einzelheiten bei Wunder, Privilegierung und Disziplinierung. Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg (1780-1825), 1978. RGBl. I, S. 61. Vgl. BVerfGE 3, 58 ff. Zum Beamtenrecht in der NS-Zeit allg. vgl. Hattenhauer (Fn. 21), S. 369 ff.; H. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, 1966. RGBl. I, S. 175. RGBl. I, S. 39. RBG1.1, S. 247. 11
1. Abschn. II 1b
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Das GG knüpft in Art. 33 V mit der „Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" an die Tradition der Weimarer Zeit an27a. Das Beamtenrecht ist seitdem in zahlreichen Gesetzen neu kodifiziert: das Recht der Bundesbeamten im BBG, das Recht der Landesbeamten im jeweiligen LBG; Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgeber (§§ 1 — 120) und unmittelbar geltende Vorschriften für alle Beamten (§§ 121 — 133) enthält das BRRG (sog. Beamtenbundesrecht). Auch gibt es zahlreiche Gesetze, die neben anderem beamtenrechtliche Regelungen enthalten, wie z. B. das HochschulrahmenG28 für das wissenschaftliche Personal an Hochschulen. In der DDR ist das Berufsbeamtentum abgeschafft; dort gibt es nur noch kurzfristig kündbare Staatsangestellte29. b) Angestellte und Arbeiter: Getrennt vom Beamtenrecht hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst entwickelt30, deren Rechtsverhältnisse durch private Dienstverträge gestaltet wurden. Zweck dieser Regelung war es, kündbare Arbeitskräfte für vorübergehende und nicht spezifisch hoheitliche Aufgaben zu gewinnen und die beamtenrechtlichen Versorgungslasten zu sparen. In die Weimarer Zeit fällt der Abschluß der ersten Tarifverträge für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Die Tarifverträge übernahmen mehrere beamtenrechtliche Grundsätze (z. B. Verpflichtung zu Treue, Verschwiegenheit, unparteiischer Dienstführung), wodurch das Dienstrecht der Angestellten und Arbeiter dem Beamtenrecht angenähert wurde. Das NS-„G zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" galt gemäß § 15 I auch für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, deren Rechtsverhältnisse im übrigen durch Tarifordnung arbeitsrechtlich geregelt wurden; entsprechend ähnelte das „G zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben" vom 23. März 193431 stark dem (allgemeinen) „G zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 193432. Heutige Rechtsquelle des Rechts der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist für die Angestellten der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT)
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Vgl. dazu Schwegmann (Hrsg.), Die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nach 1945. Geburtsfehler oder Stützpfeiler der Demokratie-Gründung in Westdeutschland, 1986; Ule, ZBR 1987, 225. I. d. F. vom 9. April 1987 (BGBl. I, S. 1170); vgl. dazu auch Kimminich, Wissenschaft, in diesem Lehrbuch, 11. Abschnitt, V. Vgl. Leissner, Verwaltung und öffentlicher Dienst in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 1961, S. 253ff.; Mampel, Das Recht in Mitteldeutschland, 1966, S. 118 ff.; Jacobs, Das Recht des Staatsdienstes in der D D R , Diss. Würzburg 1975; Unverhau, ZBR 1987, 33ff. Vgl. Neesse, ZBR 1967, 35f.; Otto, Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, 1973, S. 24ff. RGBl. I, S. 220. RGBl. I, S. 45.
1. Abschn. II 2 b
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vom 23. Februar 1961, für die Arbeiter die Manteltarifverträge (MTB II für den Bund vom 27. Februar 1964 und MTL II für die Länder vom 28. Mai 1964)33. 2. Gegenwärtige Struktur und Problematik a) Ausweitung des öffentlichen Dienstes: Seit Beginn dieses Jahrhunderts, insbesondere seit dem 1. Weltkrieg, ist die Zahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten in Deutschland laufend gestiegen34. Im Jahre 1913 standen bei rd. 60 Millionen Einwohnern rd. 730000 Personen im öffentlichen Dienst; im Jahre 1920 waren es — trotz des verringerten Gebietsbestandes — schon über eine Million, im Jahre 1986 allein in der Bundesrepublik über 4,6 Millionen. Im Jahre 1930 standen rd. 4% aller Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst, 1950 rd. 9%, 1970 rd. 11%, 1986 schon 17,3%. Die öffentliche Hand ist heute der größte Arbeitgeber in der Bundesrepublik. Jeder sechste Erwerbstätige steht im öffentlichen Dienst. Innerhalb der EG steht die Bundesrepublik mit der Zahl ihrer Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst an erster Stelle. Die Gründe für die starke, nicht auf die Bundesrepublik beschränkte Ausweitung des öffentlichen Dienstes liegen vor allem in der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft (Verstädterung, Energieversorgung, Verkehrsintensivierung) und der Hinwendung zum Sozialstaat (Wohlfahrtspflege), kurz: im „Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit" (Adolph Wagner). Je größer aber die Zahl der im öffentlichen Dienst Tätigen wird, um so problematischer wird es, für sie ein Sonderrecht zu begründen. b) Angleichung der Gruppen: In einzelnen Ländern (Bremen, Hessen) 35 sollte nach 1945 ein einheitliches öffentliches Dienstrecht geschaffen und damit das Beamtenrecht als selbständiges Rechtsgebiet beseitigt werden. Dieses Bestreben, das schon 1918 innerhalb der SPD und USPD verfolgt worden war 36 , wurde durch Art. 33 V GG gestoppt und abgeblockt 37 . Dennoch sind Tendenzen einer Angleichung des öffentlichen Dienstrechts der Angestellten und Arbeiter an das Beamtenrecht nicht zu verkennen 38 . Beispiele hierfür bilden die 33
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Text des BAT bei Clemens / Scheuring / Steingen / Wiese / Fohrmann, Kommentar zum Bundes-Angestelltentarifvertrag — BAT mit Vergütungsordnungen, Bd. I, 1961 ff. (Loseblattslg.); Texte des MTB II und des MTL II sind hrsg. vom Tarifsekretariat der Gewerkschaft ÖTV. - Vgl. auch Wolff / Bachof / Stober, VwR II, § 118 II. Zur Entwicklung der Personalzahlen im öffentl. Dienst vgl. F. Wagener, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 239ff.; Ellwein, DÖV 1978, 475ff.; Breidenstein, ZBR 1984, 29ff. Art. 50 I brem. Verf.; Art. 29 I, 135 hess. Verf. W. Thieme, Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des GG, 1961, S. 7. Vgl. BGHZ 9, 328 (zur Grundgesetzwidrigkeit von Art. 29 I hess. Verf.). Dazu Battis, BBG, Erl. 4 zu § 4; Matthey, Zur Rechtsangleichung bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, 1971; Menzel, DÖV 1969, 513ff. (516f.); Jung, Die Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes, 1971; F. Wagener, VVDStRL37 (1979), S. 212ff. (221 f., 228f.). 13
1. Abschn. II 2c
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Einführung des sog. Bewährungsaufstiegs der Angestellten (d. h. Aufstieg nicht nach Tätigkeitsmerkmalen, sondern beamtenlaufbahnähnlich), der Ausschluß der ordentlichen Kündigung nach 15 Dienstjahren und die Altersversorgung nach beamtenrechtsähnlichen Grundsätzen 39 ; umgekehrt sind in die Beamtenbesoldung typische arbeitsrechtliche Elemente eingeflossen40, so die Gewährung von Weihnachtsgratifikation 41 und Stellenzulagen. Die Vermengung des öffentlichen Dienstrechts mit dem Arbeitsrecht ist ein Teilaspekt der Verwischung der Grenzen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht42. Für ein einheitliches Dienstrecht hat sich die vom BMI 1970 gebildete „Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts" ausgesprochen 43 . c) Schwächung des Beamtentums: Die Zahl der Beamten ist in den letzten Jahren leicht gesunken, die Zahl der Arbeiter ist vorübergehend gefallen, die Zahl der Angestellten ist gestiegen. Zusammengenommen haben Angestellte (1,7 Mio.) und Arbeiter (1,0 Mio.) im öffentlichen Dienst zahlenmäßig die Beamten (1,8 Mio.) überflügelt 432 . Die Irrationalität, die das Wesen des Beamtentums kennzeichnet (Dienst statt Arbeit; Treue; Eid), ist problematisch geworden44. Die Verrechtlichung des Beamtenverhältnisses hat es zugleich profanisiert. Vom Beamtenethos wird kaum noch gesprochen 45 . Der Beamte hat seine Stellung als Repräsentant des Staates verloreri46; er ist nur noch Organ. Seine Entschlußfreiheit wird durch eine perfektionierte Gesetzgebung47 eingeengt; seine Ermessensfreiheit schrumpft 48 ; die Technisierung der Verwaltung setzt an die Stelle persönlicher Entscheidungen die serienmäßige Anfertigung von Verwaltungsfabrikaten 49 . Die eigentliche Krise des Beamten39
Neesse, ZBR 1967, 114f. Zu Einwirkungen des Arbeitsrechts auf das Beamtenrecht allgemein vgl. K. Kröger, NJW 1975, 953 ff. 41 Vgl. BVerfG ZBR 1967, 364f.; dazu Schick, ZBR 1968, 206. 42 Vgl. dazu von Münch, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 2 II 1. 43 Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bericht der Kommission, 1973. Bilanz des Reformvorhabens: Sträter, ZBR 1983, 197ff.; Siedentopf, ZBR 1986, 153 ff. 43a Stand: 30. 6. 1986; vgl. auch Breidenstein, ZBR 1984, 29ff. (31). 44 W. Thieme, ZBR 1960, 170. 45 Vgl. dazu Burmeister, W D S t R L 37 (1979), S. 304. 46 R. Hoffmann, AöR 91 (1966), S. 176; W. Thieme, ZBR 1960, 173; einschränkend Ule, GRe IV/2, S. 649 („Teilrepräsentation"). 47 Der Gesetzesperfektionismus bläht auch den öffentlichen Dienst auf; vgl. dazu G. Stockinger (Hrsg.), Gesetzesperfektionismus und Beamtenschwemme, 1979. 48 Köttgen, DÖV 1957, 443; vgl. auch Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976; Hillmann, VerwArch 77 (1986), lff. 49 Vgl. Badura, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, §41 II 2; H. P. Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Aufl. 1964; Zeidler, Über die Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 15 ff.
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1. AbSChn. III 1 a
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tums liegt jedoch in der Ämterpatronage, d. h. der nicht selten praktizierten Einstellung und Beförderung nach parteipolitischen und konfessionellen Gesichtspunkten. Zutreffend ist festgestellt worden, „daß das Beamtentum in zunehmendem Maße zur Unterbringung von Exponenten politischer oder sozialer Machtgruppen ohne entsprechende Eignung und Befähigung mißbraucht wird" 50 . Diese wegen Verstoßes gegen Art. 3 III, 33 II, III G G verfassungswidrige Praxis gefährdet die parteipolitisch neutrale Amtsführung, die Wesensmerkmal eines rechtsstaatlichen Beamtentums ist51.
III. Beamtenrecht 1. Beamtenbegriff Das deutsche Recht hat keinen einheitlichen Beamtenbegriff; es kennt vielmehr drei verschiedene Begriffe: den staatsrechtlichen, den haftungsrechtlichen und den strafrechtlichen Beamtenbegriff 52 . a) Staatsrechtlicher Beamtenbegriff: Eine Legaldefinition fehlt. Der (auch als beamtenrechtlicher Beamtenbegriff bezeichnete) Begriff ist aber unstreitig, da sich seine wesentlichen Merkmale aus Art. 33 IV GG, §§ 2 I BRRG, 2 I BBG in Verbindung mit §§ 5 BRRG, 6 BBG 53 ergeben. Danach ist Beamter im staatsrechtlichen Sinne, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis steht, in das er unter Aushändigung der vorgeschriebenen Ernennungsurkunde berufen worden ist. Der staatsrechtliche Beamtenbegriff wird also von Inhalt und Form der Begründung des Beamtenverhältnisses bestimmt; er liegt allen Gesetzen zugrunde, für die nicht ausdrücklich oder sinngemäß ein anderer Beamtenbegriff festgelegt ist54.
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Grabendorff, DÖV 1953, 723; vgl. auch H. H. von Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980; ders., PersV 1982, 449ff.; Eschenburg, Ämterpatronage 1961; Isensee, HdbVerfR, S. 1164; von Münch, ZBR 1960, 245ff.; Henke, BK, Zweitbearb. Art. 21, 1975, Rdnr.28; W. Leisner, ZBR 1981, 143ff. (146); Wassermann, DÖD 1986, 165ff.; Thiele, DÖD 1987, U3ff.; Wichmann, Parteipolitische Patronage. Vorschläge zur Beseitigung eines Verfassungsverstoßes im Bereich des öffentlichen Dienstes, 1986. Zur Politisierung der Ministerialbürokratie vgl. K. Seemann, DV 13 (1980), S. 137 ff. H. Reuss, JR 1964, 2; zur Effizienz der rechtsstaatlichen Verwaltung Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 43 8 ff. Dazu GKÖD I, Rz. 3 zu § 1 BBG. Die entsprechenden Best, in den LBG sind: §§ 2, 9, 12 bad.-württ. LBG; Art. 2, 7, 8 bayer. BG; §§ 2, 8 beri. LBG; §§ 2, 7 brem. BG; §§ 2, 8 hamb. BG; §§ 2, 9 hess. BG; §§ 4, 7 nieders. BG; §§ 2, 8 nordrh.-westf. LBG; §§ 5, 8 rheinl.-pfälz. LBG; §§ 2, 11 saarl. BG; §§ 2, 8 schlesw.-holst. LBG. Vgl. dazu Wolff/ Bachof/ Stober, VwR II, § 109 I 1. 15
1. Abschn. II11 d
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b) Haftungsrechtlicher Beamtenbegriff: Gem. Art. 34 S. 1 GG, § 839 BGB54" ist Beamter im haftungsrechtlichen Sinne jemand, dem die zuständige Stelle die Ausübung eines öffentlichen Amtes anvertraut hat. Ausübung eines öffentlichen Amtes ist hier jede dienstliche Betätigung, die nicht lediglich zivilrechtliche Belange wahrnimmt 55 . Während also eine fiskalische Tätigkeit für den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff nicht ausreicht, ist es im übrigen gleichgültig, welcher Art die Tätigkeit ist, d. h. ob sie der Eingriffsverwaltung oder der schlichten Hoheitsverwaltung zuzurechnen ist. Für den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff entscheidet allein die ausgeübte Tätigkeit, nicht die Ernennung. Deshalb können auch Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst, ja sogar Angestellte und Arbeiter eines privaten Dienstherrn Beamte im haftungsrechtlichen Sinne sein, wenn sie von der zuständigen Stelle mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes betraut sind56. c) Strafrechtlicher Beamtenbegriff: Hier gilt die Legaldefinition in § 11 I StGB mit den Kategorien „Amtsträger", „Richter" und „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter" 57 . d) Verhältnis der Beamtenbegriffe zueinander: Die Beamtenbegriffe decken sich nicht. Der engste ist der staatsrechtliche Beamtenbegriff, der nur die formell ernannten Beamten (also nicht Angestellte und Arbeiter) umfaßt. Weiter geht der haftungsrechtliche Beamtenbegriff, der jedermann (also auch den Angestellten und Arbeiter) umfaßt, dem ein öffentliches Amt anvertraut ist. Am weitesten ist der strafrechtliche Begriff des Amtsträgers und des für den 54a
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Zum Verhältnis von § 839 BGB (haftungsbegründende Norm) zu Art. 34 GG (haftungsverlagernde Norm): BVerfGE 61, 149ff. (Verfassungswidrigkeit des StaatshaftungsG vom 26. Juni 1981). BGH VerwRspr. 8 Nr. 141, S. 585; Stern, StaatsR I, S. 387. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl., 1983, S. 8ff.; Rüfner, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, §51 II 2. — Die Rspr. bejaht die Beamteneigenschaft im haftungsrechtlichen Sinn für Schiedsmänner (BGHZ 36, 193; vgl. auch BGH DVB1. 1970, 674f.), Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr (BGHZ 20, 290), Sachverständige eines TÜV (OLG Celle MDR 1953, 676); vgl. ferner die Bsp. in BGH VRspr. 23, 184 f. — Verneint für Ärzte einer Universitätsklinik gegenüber Patienten (BGHZ 9, 145 ff.), Schrankenwärter (OLG Braunschweig, VkBl. 1954, 418), Arzt als vom Gericht beauftragter Sachverständiger (BGH JZ 1973, 24ff.); Bauunternehmer, der von Gemeinde zur Aufstellung von Verkehrszeichen beauftragt ist (BGH DVB1. 1974, 285 ff.). Vgl. dazu Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, Rdnr. 17ff. zu § 11; H. Wagner, JZ 1987, 594ff. — Speziell zur Verpflichtung: G über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (VerpflichtungsG) vom 2. März 1974 (BGBl. 1974 I, S. 469, 547) und die Verpflichtungsgesetze der Länder: Für eine besondere Verpflichtung nach dem VerpflichtungsG kommen diejenigen Beschäftigten einer Behörde in Betracht, die keine öffentlichen Aufgaben wahrnehmen (Schreibkräfte, Boten, Raumpfleger).
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Öffentlicher Dienst
öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, weil darunter jede Person fällt, deren Tätigkeit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllt 58 . Jeder Beamte im staatsrechtlichen Sinn und jeder Beamte im haftungsrechtlichen Sinn ist zugleich Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter im strafrechtlichen Sinn. Dagegen ist nicht jeder Beamte im staatsrechtlichen Sinn auch Beamter im haftungsrechtlichen Sinn und umgekehrt nicht jeder Beamte im haftungsrechtlichen Sinn auch Beamter im staatsrechtlichen Sinn: Der förmlich ernannte, aber fiskalisch handelnde Beamte ist Beamter im staatsrechtlichen Sinn, nicht aber im haftungsrechtlichen; der mit einem öffentlichen Amt betraute und hoheitlich handelnde Angestellte ist Beamter im haftungsrechtlichen Sinn, nicht aber im staatsrechtlichen. Die Zerreißung des Beamtenbegriffs ist ungut 59 , aber durch seine unterschiedlichen Rechtsfunktionen bedingt: Für die Begründung der beamtenrechtlichen Pflichten und Rechte (z. B. Besoldung, Disziplinarrecht) ist ein jeglichen Zweifel ausschließender Beamtenbegriff erforderlich; deshalb ist hier der an das formale Merkmal formgerechter Ernennung anknüpfende Beamtenbegriff sinnvoll. Dagegen kann es für die Haftung des Staates gegenüber dem Bürger nicht auf den Formalakt der Ernennung ankommen, der für den Geschädigten nicht erkennbar und nicht interessant ist, sondern nur darauf, ob die Schädigung aus der Ausübung eines öffentlichen Amtes herrührt. Wieder anders im Strafrecht: Der mehrschichtige Strafbarkeitsgrund (Bruch des Treueverhältnisses gegenüber dem Staat, Mißbrauch staatlicher Machtbefugnisse, Vereitelung der Erfüllung staatlicher Aufgaben 60 ) erzwingt eine mehrschichtige Anknüpfung, die im einen Fall auf die Ernennung, im anderen auf die Tätigkeit abstellt. 2. Beamtenarten Die Beamtenarten lassen sich nach mehreren Kriterien unterscheiden, nämlich a) nach der juristischen Person, in deren Diensten der Beamte steht (sog. Dienstherr), d. h. ob es sich um Beamte des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes oder einer sonstigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts mit Dienstherrnfähigkeit handelt, b) ob es sich um Berufsbeamte oder c) um Ehrenbeamte handelt. Innerhalb dieser Gruppen sind weitere Unterteilungen möglich. 58
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Fischbach, BBG I, S. 96, sieht — ungenau — den wesentl. Unterschied zwischen dem haftungsrechtl. und dem strafrechtl. Beamtenbegriff in der Unterscheidung von „Innenverhältnis" und „Außenverhältnis". Vgl. W. Jellinek, HdbDtStR II, 1932, S. 30: „Wirklich sinnvoll ist nur ein einheitlicher Beamtenbegriff, da dessen strafrechtliche, beamtenrechtliche und sonstige Ausstrahlungen aufs engste miteinander zusammenhängen." Beispiele für diese Gründe: Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst (§ 353 a StGB); Rechtsbeugung (§336 StGB); Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB). Zur Problematik allgemein vgl. H. Wagner, Amtsverbrechen, 1975. 17
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a) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte: Bundesbeamter ist nach der Legaldefinition in § 2 I BBG „wer zum Bund oder zu einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) steht". Wer den Bund zum Dienstherrn hat, ist sog. unmittelbarer Bundesbeamter, so z. B. die Beamten der BMinisterien und der ihnen nachgeordneten Behörden, des BTages, der BBahn, der BPost und die Polizeivollzugsbeamten des Bundes61. Dagegen ist mittelbarer Bundesbeamter, wer nicht unmittelbar den Bund, sondern eine bundesunmittelbare rechtsfähige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zum Dienstherrn hat, z. B. den Bundesverband für den Selbstschutz (Körperschaft), die Deutsche Bundesbank (Anstalt) oder die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" 62 . Das BBG gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbaren Bundesbeamten; deshalb ist die Trennung beider Beamtenarten normalerweise ohne praktische Bedeutung63. Für den Begriff der Landesbeamten und der Gemeindebeamten gelten die dem § 2 I BBG entsprechenden (d. h. auf das Land bzw. die Gemeinde bezogen) Legaldefinitionen in den Landesgesetzen64. b) Berufsbeamte: Der Normalfall des Beamten ist der Berufsbeamte, d. h. derjenige, für den der öffentliche Dienst Haupt- und Lebensberuf ist65. Innerhalb der Berufsbeamten kann nach der Dauer des Beamtenverhältnisses unterschieden werden: Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit66 ist der häufigste Fall, aber nicht wörtlich zu nehmen, da das Beamtenverhältnis mit dem Eintritt in den Ruhestand endet. Der Beamte auf Zeit66' wird nur für eine bestimmte Zeitdauer in das Beamtenverhältnis berufen 67 , z. B. die auf längstens 5, mindestens auf 2 Jahre ernannten Vorstandsmitglieder der BBahn68, ferner die Wahlbeamten, ins61
Vgl. § 2 II S. 1 BBG; § 176 BBG; § 19 BBahnG; § 23 I Post VerwG; § 1 BPolBG. Vgl. § 1 1 1 des G über die Erweiterung des Katastrophenschutzes vom 9. Juli 1968 (BGBl. I, S. 776); § 13 I G üb. die Stiftung Preuß. Kulturbesitz vom 25. Juli 1957 (BGBl. I, S. 841). 63 Wie hier E.PIog/A. Wiedow/ G. Beck, BBG, Rdnr. 38 zu §2; a. A.: Wolff/ Bachof /Stober, VwR II, § 110 I 2 (mittelbare Treue- und Fürsorgepflicht). 64 § § 1 , 2 bad.-württ. LBG; Art. 1, 2 bayer. LBG; § 2 berl. LBG; § 2 brem. LBG; §§ 1, 2 hamb. BG; §§ 1, 2 hess. BG; §§ 1, 4 nieders. BG; § 2 nordrh.-westf. LBG; § § 1 , 5 rheinl. -pfälz. LBG; § § 1 , 2 saarl. BG; §§ 1, 2 schlesw.-holst. LBG. 65 Vgl. BGHZ 16, 129; Wiese, Beamtenrecht, S. 58. 66 § 5 I Nr. 1 BBG; § 3 I Nr. 1 BRRG. 66a Zur Übertragung einer Schulleiterfunktion auf Zeit vgl. BVerfGE 70, 251 ff. und dazu Ule, DVB1. 1986, 1029ff.; ders. ZBR 1987, 1 ff.; s. auch Thieme, DÖV 1987, 933ff.; Summer, DÖV 1986, 713ff.; Schwerdtner, NVwZ 1986, 721 ff. 67 § 5 IV BBG; §§ 3 I Nr. 2, 95 BRRG. 68 § 8 II S. 2 BBahnG. 62
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besondere die von den kommunalen Vertretungskörperschaften gewählten leitenden Beamten der Gemeinden und Gemeindeverbände 69 . Die Berufung eines Beamten auf Lebenszeit in ein Beamtenverhältnis auf Zeit bei demselben Dienstherrn ist keine Umwandlung, sondern eine (neue) Begründung des Beamtenverhältnisses 70 . Als Ausnahme von dem Grundsatz, daß ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zu begründen ist, darf das Beamtenverhältnis auf Zeit nur unter Beachtung der besonderen gesetzlichen Voraussetzungen eingegangen werden. Wurde rechtswidrig ein befristetes Beamtenverhältnis begründet, stellt sich die Frage, ob der Beamte mit Ablauf der Zeit, für die er ernannt wurde, entlassen ist oder ob das befristete Beamtenverhältnis zu einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erstarkt 703 . Beamter auf Widerruf ist, wer den vorgeschriebenen oder üblichen Vorbereitungsdienst ableistet (Bsp.: Referendar) 71 oder nur nebenbei oder vorübergehend Beamtenaufgaben erfüllt (Bsp.: Posthalter) 72 . Beamter auf Probe ist, wer zur späteren Verwendung als Beamter auf Lebenszeit eine Probezeit abzuleisten hat 73 (Bsp.: Assessor); dies ist für alle Laufbahnbeamten vorgesehen 74 . Die Beamten auf Probe und Beamten auf Widerruf sind — solange sie nicht angestellt sind — haushaltsrechtlich gesehen „nichtplanmäßige Beamte", d. h. sie haben — anders als die planmäßigen Beamten — keine im Haushaltsplan ausgewiesene Planstelle. Die Ausbringung einer Planstelle im Haushaltsplan bedeutet die Bereitstellung der entsprechenden finanziellen Mittel und die Erhebung des betreffenden Aufgabenkreises zu einem dauernd von einem Beamten wahrzunehmenden Dienstposten 75 . Ein Amt ( = Gesamtheit der Aufgaben, die einem Träger öffentlicher Gewalt für einen bestimmten Bereich zugewiesen sind) darf gemäß § 49 I BHO nur zusammen mit der Einweisung in eine besetzbare Planstelle verliehen werden. Nach der für die Wahrnehmung des Amtes erforderlichen Vorbildung und Ausbildung sind bei den Berufsbeamten die Laufbahnbeamten von den anderen, freien Bewerbern zu unterscheiden.
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Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in diesem Lehrb., 2. Abschnitt, III 3a, auch zur str. Frage der Möglichkeit einer Abwahl; vgl. auch Erichsen, DVB1. 1980, 723 ff. OVG Münster ZBR 1977, 129. Dazu Innenlath, DVB1. 1986, 24ff. § 5 II BBG; § 3 I Nr. 4 B R R G . - Vgl. auch Schwechten, Die beamtenrechtliche Sonderstellung des Rechtsreferendars, Diss. Bochum 1974; Günther, D Ö D 1987, 7 ff., 51 ff. Zur besonderen Rechtsstellung des Posthalters vgl. Ule, Z B R 1975, 129ff. § 5 I Nr. 2 BBG; § 3 I Nr. 3 B R R G . § 7 Bundeslaufbahnverordnung - BLV - vom 15. November 1978 (BGBl. I, S. 1763). Vgl. dazu VG Karlsruhe N J W 1980, 75. Dienstposten bedeutet Amt im funktionellen Sinne zum Unterschied zum Amt im statusrechtl. Sinne. 19
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Die „Laufbahn" umfaßt „alle Ämter derselben Fachrichtung, die die gleiche Vor- und Ausbildung oder eine diesen Voraussetzungen gleichwertige Befähigung erfordern (Laufbahnbefähigung)" 76 , z. B. mittlerer fernmeldetechnischer Postdienst. Innerhalb der Laufbahnfachrichtung gibt es die 4 Laufbahngruppen des einfachen Dienstes (Hauptschulbildung; Ämter: Amtsgehilfe bis Amtsmeister), des mittleren Dienstes (Realschulbildung; Assistent bis Hauptsekretär), des gehobenen Dienstes (Fachhochschulreife; Inspektor bis Oberamtmann) und des höheren Dienstes (Hochschulstudium; Regierungsrat bis Staatssekretär)77. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Aufstieg von einer niederen in die nächsthöhere Laufbahngruppe möglich (Aufstiegsbeamte)n. Auch können mehrere Laufbahngruppen zu einer Einheitslaufbahn zusammengefaßt werden, die unten beginnt und bis zum höchsten Amt führen kann79. Die Geltung der Laufbahnbefähigung für entsprechende Laufbahnen bei allen Dienstherren im Geltungsbereich des BRRG regelt § 122 II BRRG80. Neben den Laufbahnbewerbern können andere, freie Bewerber in das Beamtenverhältnis berufen werden, die zwar nicht die für die betreffende Laufbahn erforderliche Vorbildung besitzen, aber die Befähigung dafür durch Lebens* und Berufserfahrung innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes erworben haben81. Eine Sondergruppe der Berufsbeamten bilden die sog. politischen Beamten. Das sind Beamte, die ein Amt bekleiden, bei dessen Ausübung sie in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Zweck der Sonderregelung ist es, „das reibungslose Funktionieren des Überganges von der politischen Spitze in die Beamtenhierarchie" zu gewährleisten (sog. Transformationsfunktion)81®. Welche Beamten hierunter fallen, ist für den Bund in § 36 I BBG, für die Länder in den entsprechenden Bestimmungen der Landesbeamtengesetze abschließend geregelt82; danach sind politische Beamte z. B. die Staatssekretäre und Ministerialdirektoren, der Chef des Presse- und Informationsamtes der Bun-
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§ 2 II BLV. Dazu im einzelnen H. Schröder / B. Lemhöfer / R. Kraft, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten. Kommentar zur Bundeslaufbahnverordnung, 1979; Dürr, DVB1. 1985, 1207 ff. Zur Neufassung der BLV vgl. J. Güssregen, D Ö D 1978, 73 ff. Zur Zuordnung der Bildungsgänge und ihrer Abschlüsse zu den Laufbahnen vgl. § 15a BBG; § 13 BRRG. 77 Vgl. § 2 I BLV. 78 Vgl. §§ 22, 28, 29, 33 BLV. 79 Vgl. § 11 II S. 2 BRRG. 80 Zum Begriff „entsprechende Laufbahnen" vgl. BVerwG DVB1. 1984, 432ff. (433) m. Anm. Schoch, S. 434ff. Vgl. zu Art. 33 II auch unten S. 26ff. 81 Vgl. §§ 7 1 Nr. 3 b, 21 BBG. 8la BVerwGE 52, 33 (34f.). 82 § 31 BRRG; § 60 bad.-württ. LBG; § 71 berl. LBG; § 41a brem. LBG; § 41 hamb. BG; § 57 hess. BG; § 47 nieders. BG; § 38 nordrh.-westf. LBG; § 50 rheinl.-pfälz.
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1. Abschn. III 2c
desregierung und sein Stellvertreter, die Präsidenten der Ämter für Verfassungsschutz und der Generalbundesanwalt, in einigen Ländern auch die Regierungspräsidenten, Generalstaatsanwälte und Polizeipräsidenten. Die politischen Beamten können jederzeit, allerdings nicht willkürlich, in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden823. Sinn dieser beamtenrechtlich nicht ganz unbedenklichen, aber — bei nicht zu großer Ausweitung des Personenkreises83 — haltbaren Regelung ist es, diejenigen hohen Beamten, die mit der Regierung besonders eng zusammenarbeiten müssen, bei Fortfall des gegenseitigen Vertrauens ablösen zu können84. Die bloße Zugehörigkeit zu bestimmten Altersjahrgängen („Verjüngungsaktion") ist also kein sachgemäßer Grund für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand 85 . Unzulässig ist auch die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand trotz vorhandenen Vertrauensverhältnisses; eine solche Maßnahme widerspricht dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes, das nicht nur im Interesse des Beamten, sondern auch im Interesse der Öffentlichkeit (Ausschluß von Versorgungskündigung) die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand an bestimmte Voraussetzungen bindet. Ob der Beamte vorher gehört werden muß, ist streitig853. c) Ehrenbeamte, d. h. Personen, die neben ihrem eigentlichen bürgerlichen Beruf ein hoheitliches Amt im organisatorischen Sinne ohne Besoldung und ohne Versorgungsansprüche wahrnehmen86, spielen hauptsächlich in der kommunalen Selbstverwaltung eine Rolle87. Im Bundesbereich sind Ehrenbe-
LBG; § 58 saarl. LBG; § 48 schlesw.-holst. LBG. - Zum polit. Beamten allg.: Kugele, Der politische Beamte, 1977; H. G. Steinkemper, Amtsträger im Grenzbereich zwischen Regierung und Verwaltung, 1980; Wagner, RiA 1985, 272ff. und die Hinw. bei C. Brodersen, JuS 1977, 694. 82a Dazu Derlien, DÖV 1984, 689 ff. 83 Zutreffend Isensee, HdbVerfR, S. 1183: Der Kreis der polit. Beamten ist „möglichst eng zu ziehen." 84 Vgl. BVerfGE 7, 155ff. (166); BVerwGE 19, 332ff. (335); OVG Münster ZBR 1958, 141; Ule, GRe IV/2, S. 575ff., 600f.; kritisch Juncker, ZBR 1974, 205ff. 85 BVerwGE 52, 33ff. m. ablehnender Anm. Wiese, DVB1. 1977, 718; dazu Juncker, ZBR 1977, 285; C. Brodersen, JuS 1977, 694; Nierhaus, JuS 1978, 596; Vorinstanz: OVG Münster DVB1. 1974, 169 ff. 85a Dafür: Pees, ZBR 1956, 203ff.; dagegen: OVG Münster ZBR 1958, 141 ff.; differenzierend (Fürsorgepflicht): Kunig, ZBR 1986, 253ff; dort (S. 259) auch zur Begründungspflicht. 86 Vgl. §§ 5 III, 177 BBG; §§ 3 II, 115 BRRG; § 7 V bad.-württ. LBG; Art. 6 II bayer. BG; § 7 II berl. LBG; § 6 VI brem. BG; § 5 II hamb. BG; § 6 II hess. BG; § 6 I Nr. 5 nieders. BG; § 5 V nordrh.-westf. LBG; § 7 III rheinl.-pfälz. LBG; § 6 II saarl. BG; § 6 IV schlesw.-holst. LBG. — Vgl. dazu Stober, Der Ehrenbeamte in Verfassung und Verwaltung, 1981; Wolff/ Bachof/ Stober, VwR 11, § 110 11 b. 87 Vgl. Schmidt-Aßmann, in diesem Lehrbuch, S. 148. Zur Frage eines Dienstbefreiungsanspruches von Bundesbeamten zur Ausübung kommunaler Ehrenämter: Jutzi, ZBR 1980, 137 ff. 21
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amte selten; zu erwähnen sind hier die Honorarkonsularbeamten (Wahlkonsuln), die im Gegensatz zu den Berufskonsularbeamten (Berufskonsuln) in der Regel Angehörige des Aufnahmestaates, d. h. des Staates, auf dessen Staatsgebiet das Konsulat sich befindet, sind88. Von einzelnen ehrenamtlichen Tätigkeiten, wie z. B. Wahlvorsteher oder Schöffe, unterscheidet der Ehrenbeamte sich formell dadurch, daß ihm eine Ernennungsurkunde („unter Berufung in das Beamtenverhältnis als Ehrenbeamter") ausgehändigt wird und materiell dadurch, daß für ihn die Beamtengesetze — allerdings mit den sachgegebenen Abweichungen — gelten. 3. Begründung des Beamtenverhältnisses a) Allgemeine Voraussetzungen: Ein Beamtenverhältnis kann nur unter bestimmten objektiven und subjektiven Voraussetzungen begründet werden883. Objektive Voraussetzung ist zunächst, daß bestimmte Aufgaben, nämlich hoheitsrechtliche Aufgaben oder solche Aufgaben wahrgenommen werden sollen, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich privatrechtlich beschäftigten Personen übertragen werden dürfen 89 . Der Begriff der „hoheitsrechtlichen Aufgaben" ist gesetzlich nicht definiert, die Abgrenzung zu den nicht-hoheitsrechtlichen Aufgaben ist schwierig90. Hoheitsrechtliche Aufgaben sind nicht nur solche der Eingriffsverwaltung, sondern auch der Leistungsverwaltung91, nicht dagegen rein fiskalische und rein mechanische Tätigkeiten. Zweck dieser Eingrenzung der durch Beamte wahrzunehmenden Aufgaben ist es, die Verwaltung daran zu hindern, den durch besondere Rechte und Pflichten gekennzeichneten Beam-
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Zu Einzelheiten vgl. das G über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (KonsularG) vom 11. September 1974 (BGBl. 1974 I, S. 2317). Zu den völkerrechtlichen Rechten und Pflichten der Konsuln vgl. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II, S. 1587). 88a Vgl. dazu Isensee, in: Fg. f. BVerwG, 1978, S. 337ff., mit dem zutreffenden Hinw. (S. 348), daß es sich dabei nicht um subjektive und objektive Zulassungsschranken i. S. der Stufenlehre des BVerfG zu Art. 12 handelt, sondern um objektive Erfordernisse des öffentlichen Amtes. 89 Vgl. § 4 BBG, § 2 II BRRG; § 5 bad.-württ. LBG; Art. 5 bayer. BG; § 6 II berl. LBG; §5 brem. BG; § 4 hamb. BG; §5 hess. BG; §5 nieders. BG; §4 nordrh.-westf. LBG; § 6 rheinl.-pfälz. LBG; § 5 saarl. BG; § 5 schlesw.-holst. LBG. 90 Vgl. Kirchhof, Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Art. 33 Abs. IV des Grundgesetzes, 1968. Vgl. auch die Hinw. bei Matthey, in: von Münch, GGK II, Art. 33 Rdnr. 30ff. 91 Leisner, in: Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975, S. 121 ff.; Wolfg. Loschelder, ZBR 1977, 265ff.; Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 33 zu Art. 33; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 3 zu § 4. Zu Prinzipien der Leistungsverwaltung allg. vgl. W. Martens, in: Fs. f. H. J. Wolff, 1973, S. 429ff. 22
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tenstatus mißbräuchlich zu verwenden. Objektive Voraussetzung ist ferner, daß eine besetzbare Planstelle vorhanden ist92. Ein Rechtsanspruch auf Ausweisung (Schaffung) neuer zusätzlicher Planstellen besteht nicht93. Subjektive Voraussetzungen sind solche, die in der Person des Bewerbers liegen. So muß der Bewerber Deutscher i. S. des Art. 116 I GG sein94. Besteht für die Gewinnung eines Ausländers ein dringendes dienstliches Bedürfnis, so kann mit im freien Ermessen stehender, aber unwiderruflicher Genehmigung des Bundesinnenministers für Bundesbeamte bzw. des Landesinnenministers für Landesbeamte von diesem Erfordernis abgesehen werden; Beispiel hierfür ist die Gewinnung von ausländischen Hochschullehrern für Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Eine weitere Ausnahme vom Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. Volkszugehörigkeit gilt für Honorarkonsularbeamte 95 und kann sich aus dem in Art. 48 I EWG-Vertrag gewährten Recht auf Freizügigkeit ergeben. Zwar gilt gem. Art. 48 IV EWGVertrag die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht für eine Beschäftigung in der „öffentlichen Verwaltung". Dieser Begriff ist jedoch eng auszulegen und umfaßt nur solche Stellen, die „im Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraussetzen, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrundeliegen"953. Die Ernennung eines Ausländers zum Beamten hat nicht zur Folge, daß er damit automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Die gegenteilige Regelung der §§ 14, 15 1 RuStAngG (historischer Anwendungsfall: Hitlers Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch seine 1932 vom braunschweigischen Staatsminister für Inneres und Volksbildung vorgenommene Ernennung zum Beamten96) ist durch § 194 BBG aufgehoben worden. — Der Bewerber muß ferner die Gewähr dafür bieten, daß er jederzeit für die
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Vgl. §§ 17 V, 49 BHO (dies gilt nicht für Beamtenverhältn. auf Widerruf); zur Zulässigkeit von Wiederbesetzungssperren BayVerfGH DVB1. 1985, 1370ff. 93 VG Augsburg DÖV 1978, 367 ff. (367). 94 Vgl. § 7 I Nr. 1 BBG; § 4 I Nr. 1 BRRG; § 6 I Nr. 1 bad.-württ. LBG; Art. 9 I Nr. 1 bayer. BG; § 9 I Nr. 1 berl. LBG; § 8 I Nr. 1 brem. BG; § 6 I Nr. 1 hamb. BG; § 7 I Nr. 1 hess. BG; § 9 Nr. 1 nieders. BG; § 6 I Nr. 1 nordrh.-westf. LBG; § 9 I Nr. 1 rheinl.-pfälz. LBG; § 7 Nr. 1 saarl. BG; § 9 I Nr. 1 schlesw.-holst. LBG. 95 § 177 I Nr. 2 BBG. Vgl. auch oben S. 21 f. 95a E u G H NVwZ 1987, 41 f. (auf den Vorlagebeschluß des BVerwG ZBR 1985, 193 ff.) - Vorbereitungsdienst für ein Lehramt. Vgl. auch Goerlich / Bräth, DÖV 1987, 1038 ff. 96 „Das Braunschweigische Staatsministerium hat beschlossen, den Schriftsteller Adolf Hitler, in M ü n c h e n , . . . im Braunschweigischen Staatsdienste unter Ernennung zum Regierungsrat anzustellen, ihm die freie Planstelle eines Regierungsrates bei dem Landeskultur- und Vermessungsamt zu verleihen . . . " (Die Weimarer Republik. Zur Geschichte in Texten, Bildern und Dokumenten. Hrsg. von F. A. Krummacher / A. Wucher, 1965, S. 335). 23
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freiheitliche demokratische Grundordnung i. S. des G G eintritt 97 ; er muß (im Fall des Laufbahnbewerbers) die nach den LaufbahnVOen für seine Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildung besitzen und den vorgeschriebenen oder üblichen Vorbereitungsdienst mit einer Prüfung erfolgreich abgeschlossen haben 973 bzw. — im Fall des anderen, freien Bewerbers — die erforderliche Befähigung durch Lebens- und Berufserfahrung erworben haben 98 ; es müssen in bezug auf das Lebensalter bestimmte Mindest- und Höchstgrenzen beachtet werden 99 ; er muß die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter besitzen 100 , und es darf kein Grund vorliegen, der zur Nichtigkeit oder zur zwingend vorgeschriebenen Rücknahme der Ernennung führen würde; er muß die erforderliche charakterliche Eignung besitzen 100 " und gesundheitlich dienstfähig sein l 0 0 b ; er darf schließlich nicht Mitglied des Bundestages sein 101 . b) Ernennung: Ernennung ist ein Oberbegriff, der mehrere Verwaltungsakte umfaßt, nämlich 1. die Einstellung als Beamter (also die Begründung des Beamtenverhältnisses); 2. die erste Verleihung eines Amtes (die sog. Anstellung; Bsp.: Ernennung zum Regierungsrat), die in der Regel, aber nicht notwendig mit der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zusammenfällt; 3. die Verleihung eines anderen Amtes mit anderem Endgrundgehalt und an97
§ 7 Nr. 2 BBG; § 4 I Nr. 2 BRRG; § 6 I Nr. 2 bad.-württ. LBG; Art. 9 I Nr. 2 bayer. BG; § 9 I Nr. 2 berl. LBG; § 8 I Nr. 2 brem. LBG; § 6 I Nr. 2 hamb. BG; § 7 I Nr. 2 hess. BG; §9 Nr. 2 nieders. BG; §6 I Nr. 2 nordrh.-westf. LBG; §9 I Nr. 2 rheinl.-pfälz. LBG; § 7 Nr. 2 saarl. BG; § 9 I Nr. 2 schlesw.-holst. LBG. - Zum Begriff der freiheitl. demokrat. Grundordnung vgl. BVerfGE 2, lff. (13) - SRP-Urteil - und 5, 85ff. (140) - KPD-Urteil. - Zur Einstellung von Bewerbern, die Mitglieder von Parteien oder Organisationen sind, die die verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen, vgl. unten S. 66 f. 97a Zur Rücknahme einer Ernennung zum Lehrer wegen Widerrufs der Prüfungsentscheidung über das Bestehen der zweiten Lehramtsprüfung vgl. BVerwGE 71, 330ff. 98 § 7 I Nr. 3 BBG, § 4 I Nr. 3 BRRG. 99 § 14 II BLV. 100 Vgl. §§ 45 - 45 b StGB. IOOa Zur Ablehnung eines straffällig gewordenen Bewerbers, wenn die Eintragungen über die Verurteilungen im Bundeszentralregister getilgt wurden oder zu tilgen sind, vgl. VGH Bad.-Württ. ZBR 1984, 281 f. 100b Zur umstrittenen Frage der Zulässigkeit eines HIV-Tests (AIDS) i. Vbg. mit der Begründung eines Beamten Verhältnisses vgl. Schenke, DVB1. 1988, 165 ff. (171 ff.). 101 Arg. aus § 28 II BBG, § 33 II BRRG. Zur Rechtsstellung der in den Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes vgl. unten S. 80. — Die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) von Landtags-Abgeordnetenmandat und Beamtenstellung ist auch in mehreren Bundesländern gesetzlich festgelegt; vgl. z. B. § 3 Ia u. b Saarl. Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes vom 20. Juni 1973 (ABl. S. 517), dazu BVerfGE 40, 296 ff. (320); das nordrh.-westf. RechtsstellungsG vom 25. April 1972 (GVB1. S. 100), geändert durch Gesetz vom 18. März 1975 (GVB1. S. 240). 24
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derer Amtsbezeichnung (Bsp.: Beförderung eines Regierungsrates zum Oberregierungsrat); 4. die Umwandlung des Beamtenverhältnisses (Bsp.: Ernennung des Beamten auf Probe zum Beamten auf Lebenszeit). aa) Zuständig zur Ernennung von Bundesbeamten ist der BPräs.102, soweit nicht — wie z. B. für die Beamten des BTages, des BRates und des BVerfG103 — etwas anderes bestimmt ist. Der BPräs. kann die Ausübung des Ernennungsrechtes anderen Stellen übertragen, wovon er in weitem Umfang Gebrauch gemacht hat104. Strittig ist, ob der BPräs. einen vom zuständigen BMin. gemachten Ernennungsvorschlag ablehnen darf 105 ; die h. L. bejaht ein sog. materielles Prüfungsrecht des BPräs. in bezug auf Beamtenernennungen. Die Landesbeamten werden entweder vom Ministerpräsidenten (BadenWürttemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein), von der Landesregierung (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland) oder vom Senat (Berlin, Bremen, Hamburg 1053 ) ernannt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Auch hier besteht die Möglichkeit der Übertragung dieser Befugnis auf andere Stellen. bb) Form der Ernennung: Die Ernennung ist aus Gründen der Rechtssicherheit streng formgebunden; sie erfolgt durch Aushändigung einer Urkunde (Formalprinzip; Urkundsprinzip), die enthalten muß den die Art des Beamtenverhältnisses bestimmenden Zusatz („auf Probe", „auf Widerruf, „auf Zeit" mit der Angabe der Zeitdauer, „auf Lebenszeit", „als Ehrenbeamter"), sowie — im Fall der Einstellung- die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis". Die Aushändigung der Urkunde hat, anders als nach der Rspr. des RG, die ihr nur delatorische Wirkung beilegte106, konstitutive Wirkung mit der Folge, daß ohne Aushändigung der formgerechten Urkunde eine Ernennung nicht vorliegt107. Ist über die Beförderung eines Beamten sachlich entschieden, so gebietet es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die erforderlichen Vorkehrungen dafür zu treffen, daß die Ernennungsurkunde unverzüg102
Art. 60 I GG, § 10 I BBG. - Gegenzeichnungspflicht gemäß Art. 58 S. 1 GG. Vgl. § 176 BBG. 104 Anordnung des BPräs. über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Richter im Bundesdienst vom 14. Juli 1975 (BGBl. I, S. 1915); zuletzt geändert durch Anordnung vom 21. Juni 1978 (BGBl. I. S. 921). 105 Vgl. Herzog in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 18 zu Art. 60; Menzel, BK, Erl. II 7 zu Art. 60; E. Plog/A. Wiedow/G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 10; Hemmrich, in: von Münch, GGK II, Art. 60 Rdnr. 14. 105a In Hamburg kann der Senat die Ernennung und Beförderung von Beamten nur aussprechen, wenn der Ausschuß für die Ernennung und Beförderung von Beamten (Art. 45 II hbg. Verf.) dies vorgeschlagen hat. 106 RGZ 139, 305. 107 Arg. aus: § 6 II S. 1 BBG; § 5 II S. 1 BRRG; § 12 I S. 1 bad.-württ. LBG; Art. 8 I S. 1 bayer. BG; § 8 II S. 1 berl. LBG; § 7 II S. 1 brem. BG; § 8 II S. 1 hamb. BG; § 9 II S. 1 hess. BG; § 7 II S. 1 nieders. BG; § 8 II S. 1 nordrh.-westf. LBG; § 8 II S. 1 rheinl.-pfälz. LBG; § 11 II S. 1 saarl. BG; § 7 II schlesw.-holst. LBG; vgl. auch OVG Saarland RiA 1985, 238 f. 103
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lieh ausgehändigt werden kann. Entstehen zwischen der Entscheidung über die Beförderung und der Übergabe der Ernennungsurkunde Zweifel, ob der Beamte zur Wahrnehmung des neuen Amtes gesundheitlich geeignet ist, so ist die Übergabe bis zur Ausräumung dieser Zweifel zurückzustellen107a. Der Zeitpunkt, in dem die Ernennung wirksam wird, ist der Tag der Aushändigung der Ernennungsurkunde, es sei denn, daß in der Urkunde ausdrücklich ein späterer Ernennungstag bestimmt ist. Eine Ernennung auf einen zurückliegenden Zeitpunkt ist unzulässig; erfolgt sie trotzdem, so ist erst der Tag der Aushändigung maßgebend 108 . Der Begriff der Aushändigung ist gesetzlich nicht definiert. Eine Aushändigung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Originalurkunde mit dem Willen der zuständigen Behörde in die Hände des zu Ernennenden gelangt ist und dieser sie vorbehaltlos annimmt 109 (Ernennung ist mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt; früher Str.). Keine Aushändigung liegt vor, wenn nur eine Abschrift übergeben wurde, nur Einblick in die bei den Personalakten befindliche Urkunde gewährt wurde oder die Urkunde durch Diebstahl der Verfügungsmacht der zuständigen Behörde entzogen worden ist110. Problematisch sind die Fälle, in denen die Urkunde einem Vertreter oder Bevollmächtigten des zu Ernennenden übergeben oder ihm formlos postalisch oder durch die Behörde zugestellt wird111. Da es entscheidend auf die Sicherung der Besitzverschaffung an der Urkunde und die genaue Kenntnis des Aushändigungsdatums ankommt, kann anstelle der Übergabe von Hand zu Hand nur durch eigenhändig zuzustellenden eingeschriebenen Brief mit Rückschein oder durch Postzustellungsurkunde unter Ausschluß der Ersatzzustellung zugestellt werden" 2 . Eine Zustellung im Ausland ist nur mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der konsularischen oder diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in jenem Staat möglich (§ 14 VwZG); ein Verstoß gegen dieses zwingende Erfordernis ist nicht (wie andere Zustellungsmängel gemäß § 9 I VwZG) heilbar. cc) Gibt es einen allgemeinen Anspruch auf Ernennung? Gemäß Art. 33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt ,12a ; die Auslese der (durch Stellenausschreibung" 3 zu ermittelnden) Bewerber ist ohne Rücksicht auf Ge107a
B G H Z B R 1983, 336ff. Vgl. § 10 II BBG, § 5 IV BRRG. 109 E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, Rdnr. 7 zu § 6. 110 Vgl. OVG Münster DÖV 1961, 271; E. Plog/A. Wiedow/G. Beck. BBG, Rdnr. 7 zu § 6. 111 Vgl. Bank, DÖV 1964, 769; Dorn, ZBR 1970, 183ff.; Scheerbarth/Höfjken, S. 226f. 112 Vgl. RdSchr. d. BMI vom 8. Dezember 1966 (MinBIFin. vom 30. 1. 1967, 113). Eine Aushändigung an einen Bevollmächtigten genügt nicht: Wegmann, BayVBl. 1981, 40ff. (43); a. A. Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Rz. 76. Il2a Dazu Isensee, in: Fg. f. BVerwG, 1978, S. 337ff. 113 Vgl. dazu M. von Hippel, Gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern durch Stellenausschreibung, 1972; H. Günther, ZBR 1987, 321 ff. 108
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schlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen (Leistungsprinzip)xu. Eine Legaldefinition der Begriffe Eignung, Befähigung und fachliche Leistung enthält § 1 der BLaufbahnVO (BLV)" 4a . Eine Durchbrechung des in Art. 33 II GG vorgeschriebenen Leistungsgrundsatzes zwecks Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist — wenn überhaupt — nur in gesetzlich festzulegenden, klar umrissenen Ausnahmetatbeständen zulässig1 H b ; die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist im Sozialstaatsprinzip zu suchen. Rechtsprechung und h. L.115 verneinen ein unmittelbares Recht des Bewerbers auf Ernennung, da die Entscheidung darüber kraft der Personalhoheit (ÄmterhoheitJll5a im Ermessen des Dienstherrn stehe; Art. 33 II G G gewähre nur das Recht, sich zu bewerben. Diese Auslegung wird dem Sinn des Art. 33 II G G nicht gerecht, der eine Doppelfunktion hat: den Schutz der Verwaltung und damit auch der Allgemeinheit vor ungeeigneten Bewerbern und den Schutz des einzelnen Bewerbers vor ungerechtfertigter Benachteiligung. Ein Recht auf Bewerbung kann allerdings diese doppelte Schutzfunktion allein nicht erfüllen. Entscheidend ist vielmehr die verfassungsrechtlich und beamtenrechtlich abgesicherte materielle Gewährleistung, daß bei der Entscheidung über die Ernennung lediglich die Leistung zählt und sachfremde Motive ausgeschaltet werden. So gesehen gibt es zwar kein allgemeines Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern (auch wenn nur ein Bewerber vorhanden ist, hat er — wenn er nicht die erforderliche Qualifikation besitzt — kein Recht auf Ernennung), wohl aber
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§ 8 I S. 2 BBG; § 7 BRRG; § 11 I bad.-württ. LBG; Art. 12 II bayer. BG; § 10 I S. 2 berl. LBG; § 9 brem. BG; § 7 I hamb. BG; § 8 I S. 1 hess. BG; § 8 I nieders. BG; § 7 I nordrh.-westf. LBG; §10 I rheinl.-pfälz. LBG; § 9 I saarl. BG; §10 I schlesw.-holst. LBG. — Ausführlich dazu Isensee, a. a. O.; Schmidt-Aßmann, NJW 1980, 16ff. Zu Eignungstests: M. Wilke, Psychologische Eignungstests und öffentlicher Dienst, 1981. 114a I. d. F. vom 15. November 1978 (BGBl. I, S. 1763). 114b Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, a . a . O . (insbes. zu Aktionen der Kultusminister zur Beseitigung der Lehrerarbeitslosigkeit). Vgl. auch hinsichtl. der Einstellung Schwerbehinderter § 4 III S. 2, § 13 BLV und § 11 a Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) i. d. F. vom 14. April 1980 (BGBl. I, S. 425), zuletzt geändert am 17. Juli 1984 (BGBl. I, S. 843) hinsichtlich der Einstellung von Soldaten. 115 BVerfGE 39, 334ff. (354); BVerwGE 2, 151 ff. (153); BVerwG DÖV 1982, 76 (m. Ausführungen zu Anforderungen an den die Ernennung ablehnenden Verwaltungsakt); BGHZ 23, 36ff. (42); BayVerfGH BayVBl. 1982, 431; H. J. Becker, ZBR 1982, 258ff. (261); ders., RiA 1983, 221 ff. (225); Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 11 ff. zu Art. 33. " 5 a Z u r Abgrenzung von Personalhoheit und Organisationsgewalt vgl. E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964; H. Lecheler, Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, 1977; Isensee, a. a. O., S. 338. 27
1. Abschn. III 3 b
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ein Recht auf sachgerechte Beurteilung der Bewerbung unter dem Gesichtspunkt des gleichen Zugangs bei fachlicher Eignung"6. Deshalb ist es grundsätzlich" 7 verfassungswidrig, wenn eine Frau allein wegen ihres Geschlechtes nicht zur Beamtin ernannt wird 118 , wie umgekehrt auch eine Bevorzugung allein wegen des Geschlechtes unzulässig ist. Sog. Quotenregelungen im Bereich des öffentlichen Dienstrechts verstoßen deshalb gegen Art. 33 II und gegen Art. 3 II GG , , 8 a . Die Tatsache, daß ein Bewerber seine Prüfung in einem anderen Bundesland abgelegt hat, ist allein kein Grund zur Ablehnung; § 122 II BRRG ist im Lichte des Art. 33 II GG verfassungskonform auszulegen 118b . Glaubt ein Mitbewerber, er sei rechtswidrig übergangen worden, und will er gegen diese Benachteiligung gerichtlich vorgehen, so ergeben sich schwierige prozessuale Fälle; sie lassen sich unter dem Stichwort „Konkurrentenklage im Beamtenrecht?" (auch „Ernennungsklage" genannt) zusammenfassen 119 . Die Diskussion dieser Frage dürfte noch nicht abgeschlossen sein. Im einzelnen sind die folgenden Fallkonstellationen denkbar: a) Ist der andere (d. h. rechtswidrig bevorzugte) Bewerber noch nicht ernannt, steht aber seine Ernennung bevor, so kann der rechtswidrig benachteiligte Bewerber Unterlassungsklage oder Feststellungsklage erheben 120 ; b) ist der andere (rechtswidrig 116
Matthey, in: von Münch, GGK II, Art. 33 Rdnr. 25. Vgl. (zutreffend) BayVGHE n. F. 10, S. 1 lOff (118). 118 Ausnahmen gelten für geschlechtsrelevante bzw. (hinsichtlich des Bekenntnisses) für konfessionsgebundene Ämter; vgl. dazu BVerfGE 39, 334ff. (368); BVerwGE 47, 330ff. (354). ll8a Schmitt-Glaeser, DÖV 1982, 381 ff. (387); Mengel, JZ 1982, 530ff. (535). 118b Vgl. dazu BVerwGE 68, 109ff. m. Anm. Schoch, DVB1. 1984, 434ff.; OVG Münster DVB1. 1983, 1115ff.; a. A.: BayVGH NJW 1982, 786. Zur Auslegung des § 122 II BRRG vgl. BVerwGE 64, 142ff. u. 64, 153ff. Das Einverständnis mit der Versetzung eines Beamten aus einem anderen Bundesland gem. § 123 II 1 BRRG kann jedoch mit der Begründung versagt werden, dessen Vorbildung genüge nicht den Mindestanforderungen i. S. d. §§ 122 II, 13 BRRG: BVerwGE 75, 133ff. 119 Vgl. dazu BayVGH DÖV 1983, 391; VG Berlin ZBR 1983, 100, 103; VGH Mannheim NVwZ 1983, 41 (zum vorläufigen Rechtsschutz); Allgaier, ZBR 1985, 298ff.; Battis, BBG, Erl. 6 b zu § 8; ders., NJW 1984, 1336; P. Bellgardt, Die Konkurrentenklage des Beamtenrechts: der Rechtsschutz des unterlegenen Bewerbers auf Einstellung und Beförderung, 1980; Brohm, in: Fs. Menger, 1985, 235ff.; Fehn/Opfergelt, Jura 1985, 639ff.; K. Finkelnburg, DVB1. 1980, 809ff.; Günther, ZBR 1983, 45ff.; Lecheler, DÖV 1983, 953ff.; Matthey, in: von Münch, GGK II, Art. 33, Rdnr. 25a; N.Müller, JuS 1985, 275ff.; Remmel, Die Konkurrentenklage im Beamtenrecht RiA 1982, 1 ff., 21 ff.; Sembdner, PersV 1983, 41 ff.; A. Schmitt-Kammler, Jura 1979, 641 ff.; ders., DÖV 1980, 285ff.; W. Thiele, ZBR 1980, 133ff.; ders., DÖD 1987, 113ff.; M. Willke, JZ 1980, 440ff. 120 VGH Mannheim DVB1. 1968, 256; VGH Mannheim ZBR 1983, 265; zu dieser Entscheidung Battis, NJW 1984, 1336; kritisch zu Battis Maaß, NJW 1985, 303f. Battis, BBG, a. a. O. Zur Fortsetzungsfeststellungsklage: VGH München NVwZ 1983, 755 ff. 117
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1. Abschn. III 3 b
bevorzugte) Bewerber noch nicht ernannt, und wäre die Ernennung des rechtswidrig benachteiligten Bewerbers die einzige Möglichkeit ermessensfehlerfreier Entscheidung, so kann Verpflichtungsklage erhoben werden121; c) ist der andere (rechtswidrig bevorzugte) Bewerber bereits ernannt, so kommt entweder der hier auf Vergabe eines ähnlichen Amtes gerichtete Folgenbeseitigungsanspruch122 oder eine auf Art. 34 GG, § 839 BGB gestützte Schadensersatzklage in Betracht; dagegen scheiden Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage in diesem Fall aus123: Der Anfechtung der Ernennung des (rechtswidrig bevorzugten Bewerbers) steht die Rechtsbeständigkeit erfolgter Ernennungen entgegen123®, der Verpflichtungsklage die Tatsache, daß nicht verlangt werden kann, für den (rechtswidrig benachteiligten) Bewerber eine im Haushalts- und Stellenplan nicht vorgesehene Stelle zu schaffen123b. Gerichte können in der Regel die Einstellungsbehörde nicht dazu verurteilen, den Bewerber in den öffentlichen Dienst zu übernehmen, „sondern allenfalls den Ablehnungsbescheid aufheben und dadurch die Verwaltung nötigen, erneut über den Antrag auf Übernahme in den öffentlichen Dienst zu entscheiden"124. Die Einstellung in den öffentlichen Dienst kann deshalb im Regelfall auch nicht durch einstweilige Anordnung gem. § 123 I S. 2 VwGO erzwungen werden125. Von dem Grundsatz, daß kein allgemeiner Anspruch auf Ernennung besteht, gibt es Ausnahmen: Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn dem Bewerber eine entsprechende Zusicherung gemacht worden ist126. Während das RG die Selbstbindung der Verwaltung auf Grund von beamtenrechtlichen Zusicherungen als mit der 121
Battis, a. a. O.; Ule, GRe IV/2, S. 585 Fußn. 135. OVG Lüneburg DVB1. 1967, 206; Battis, a. a. O.; Tietgen, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben. Fs. f. d. DJT z. Hundertjähr. Bestehen, Bd. II, 1960, S. 342ff. 123 Str.; a. A.: VG Hannover DVB1. 1977, 584, das (unzutreffend) in der Ernennung einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung sieht und die Möglichkeit der Anfechtungsklage bejaht (zustimmend: Kopp, VwGO, Rdnr. 89 zu § 113; von Mutius, VerwArch. 69 [1978] S. 103 ff.). 123a So zu Recht HessVGH D Ö D 1985, 258ff. unter Hinweis auf den „numerus clausus" von Aufhebungsgründen für beamtenrechtliche Ernennungen. 123b A. A. - im Fall der Beförderung - VGH Kassel DVB1. 1983, 86. - Ablehnend gegenüber der Beamten-Konkurrentenklage allg. Isensee, HdbVerfR, S. 1166; skeptisch: H. J. Becker, RiA 1983, 226; bejahend Schmitt-Kammler, a. a. O.; Schick, DVB1. 1975, 741. 124 BVerfGE 39, 334ff. (354). 125 VGH München NJW 1976, 1858 f. (1859). 126 Vgl. Fiedler, Funktion und Bedeutung öffentlich-rechtlicher Zusagen im Verwaltungsrecht, 1977, S. 101 ff.; Grellert, Zusicherungen im Beamtenrecht, 1964; Pappermann, ZBR 1968, 202ff.; Pfander, Die Zusage im öffentlichen Recht, 1970, S. 117 ff.; Schütz, D Ö D 1969, 21 ff. - Aus der Rspr. vgl. BVerwG DVB1. 1966, 857ff. (858); DÖV 1966, 202ff. (205); BVerwGE 26, 31 ff.; OVG Rheinl.-Pfalz ZBR 1974, 233 f. 122
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1. Abschn. III 3 b
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Personalhoheit unvereinbar abgelehnt hat, werden heute beamtenrechtliche Zusicherungen grundsätzlich für zulässig gehalten1263 (Umkehrschluß aus § 183 I S. 1 BBG, der nur bestimmte Zusicherungen verbietet). Rechtsverbindlich ist eine Zusicherung aber nur dann, wenn sie von einem dafür zuständigen Beamten gemacht worden ist, der Zusicherung keine zwingenden Gesetzesvorschriften entgegenstehen und der Wille zur verbindlichen Zusicherung unmißverständlich ersichtlich ist; gem. § 38 I S. 1 VwVfG, der neben § 183 I S. 1 BBG anwendbar istl26b, bedarf die Zusicherung der Schriftform. Als zusätzliches Erfordernis wird gelegentlich noch verlangt, daß die Zusage aktenkundig ist (Aktenvermerk)127, und daß die Nichteinhaltung Treu und Glauben widerspricht128. Die Beweislast für die Behauptung einer Zusage trägt der Bewerber129. Ein Anspruch auf Ernennung besteht ferner bei der Aufnahme in einen Vorbereitungsdienst, der zugleich rechtliche oder tatsächliche Voraussetzung für andere, außerhalb des öffentlichen Dienstes liegende Berufe ist (Bsp.: Referendardienst für spätere Rechtsanwälte)130. Schließlich besteht ein Anspruch auf Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei einem Beamtenverhältnis auf Probe spätestens nach fünf Jahren131, bei einem Wahlbeamten nach Annahme und Nichtbeanstandung der Wahl132 sowie in Fällen der Wiedergutmachung von nationalsozialistischem Unrecht133. Wird der Beamte auf Probe nach Ende der Probezeit nicht wegen mangelnder Bewährung entlassen, kann aus diesem Grund die Lebenszeiteinstellung nicht mehr verweigert werden1333.
1263
Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Rz. 88f., auch zu der Frage, ob in einer wegen Formfehlers gescheiterten Ernennung eine Zusicherung als Minus enthalten ist. 126b Küttig, ZBR 1986, 253 ff. (257). 127 Dazu Bank, ZBR 1964, 38ff. (41); a. A.: BGHZ 23, 52; BVerwGE 26, 35. 128 Hess. VGH ZBR 1956, 362. 129 BVerwGE 26, 35. 130 BVerwGE 6, 13 (55 Jahre alte Referendarin); 16, 241 (Forstreferendare). Zum Anspruch auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst und dessen Beschränkbarkeit allg. vgl. auch Menger, VerwArch 73 (1982), S. 86 ff. Kann der Bewerber nicht in das Beamtenverhältnis übernommen werden, muß der Staat einen gleichwertigen Vorbereitungsdienst anbieten: BAG NJW 1987, 2699ff. 131 § 9 II BBG; zu der strittigen Frage, ob der Anspruch entfällt, wenn inzwischen die fachliche und charakterliche Eignung des Beamten entfallen ist, vgl. Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Rz. 107 f. 132 OVG Münster E 13, 237; OVG Lüneburg E 6, 358. 133 Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes i. d. F. vom 15. Dezember 1965 (BGBl. 1965 I, S. 2073), zuletzt geänd. durch das HaushaltsstrukturG v. 22. Dezember 1981 (BGBl. 1981 I, S. 1523). 133a OVG Rheinl.-Pfalz DVB1. 1985, 461 ff. 30
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. III 3 c
Vom Anspruch auf Ernennung zu unterscheiden ist der „Bewerbungs-Verfahrensanspruch" l33b , der aber ohne ein Recht auf Einsicht in die für das Stellenbesetzungsverfahren maßgeblichen Unterlagen kaum realisierbar sein dürfte 1330 . c) Mängel der Ernennung können — wie bei anderen Verwaltungsakten — zur Folge haben, daß die Ernennung entweder ein Nichtakt, ein nichtiger Akt oder rücknehmbar ist134. Ein Nichtakt liegt vor, wenn die Ernennungsurkunde nicht ausgehändigt worden ist135, oder wenn die Ernennung durch eine sachlich absolut unzuständige Stelle erfolgt ist (z. B. durch eine Privatbank). Ein nichtiger Akt liegt vor beim Verstoß gegen zwingende Formvorschriften. Zwingendes Formerfordernis bei der Einstellung sind die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis". Fehlt nur der die Art des Beamtenverhältnisses bestimmende Zusatz („auf Probe", „auf Widerruf usw.), so kann der Landesgesetzgeber bestimmen, daß in diesem Fall keine Nichtigkeit eintritt136. Gesetzlich zwingend vorgeschriebene Formulierungen können nicht durch sinngemäß entsprechende Angaben ersetzt werden137. Geringfügige Schreibfehler sind unschädlich 138 . Entsprechend dem Urkundenprinzip ist bei allen zwingend vorgeschriebenen Formulierungen allein der Wortlaut der Ernennungsurkunde maßgebend 139 : Enthält z. B. die Urkunde eines Beamten den Zusatz „auf Lebenszeit", eine Begleitverfügung dagegen den Zusatz „auf Widerruf, so ist der Ernannte Beamter auf Lebenszeit. Unklarheiten in der Ernennungsurkunde, die nicht zwingend vorgeschriebene Formulierungen betreffen, können durch Auslegung geklärt werden, und zwar durch Ermittlung von Umständen, die sich nicht aus dem Inhalt der Urkunde selbst ergeben140. Sind Formvorschriften verletzt und macht die Ernennungsbehörde diesen Mangel geltend, so kann dem nicht der Einwand der Arglist entgegengehalten werden 141 ; wohl aber kann u. U. eine Schadensersatz begründende Fürsorgepflichtverletzung vorliegen142. Nichtig ist die Ernennung durch eine z. Z. der Ernennung sachlich unzuständige Behörde142® (z. B. eines Postbeamten durch das Justizministerium). 133b
Vgl. VGH Kassel NJW 1985, 1103ff. Dazu Lecheler, JZ 1984, 448 ff. (452 f.). 134 Vgl. Eberl, a. a. O., S. 72f.; Otto, ZBR 1955, 1 ff. 135 Str.; Forsthoff, VwR, S. 237, nimmt hier nur Nichtigkeit an. 136 Vgl. § 5 III S. 2 BRRG. — Einige Landesbeamtengesetze sehen in diesem Fall eine Ernennung zum Beamten auf Widerruf vor, andere zum Beamten auf Probe. 137 E. Plog/A. Wiedow/G. Beck, BBG, Rdnr. 6zu § 6. 138 Vgl. § 42 VwVfG. 139 BVerwG DVB1. 1968, 641. 140 BVerwG NJW 1965, 1978. 141 OVG Münster E 6, 112. 142 BGH DVB1. 1953, 674. 142a Vgl. dazu Blasius, VerwRdschau 1981, 386ff. 1330
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1. A b s c h n . III 3 c
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Kann eine Ernennung nur durch nach außen in Erscheinung tretenden gemeinsamen Akt mehrerer Behörden erfolgen (Bsp.: Ernennung des Oberfinanzpräsidenten durch den BPräs. und die zuständige Landesbehörde) und ist eine der beiden ernennenden Behörden sachlich unzuständig, so ist die ganze Ernennung nichtig. Handelt es sich nicht um eine gemeinsame Ernennung, muß aber eine andere Stelle (z. B. der Personalausschuß oder die Aufsichtsbehörde) bei der Ernennung mitwirken, so ist bei fehlender Mitwirkung die Ernennung nur dann nichtig, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Die wegen sachlicher Unzuständigkeit nichtige Ernennung kann durch die sachlich zuständige Stelle rückwirkend bestätigt werden 143 (Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine beamtenrechtliche Rechtsstellung nicht rückwirkend begründet werden kann!). Die durch eine örtlich unzuständige Behörde erfolgte Ernennung ist dagegen rechtswirksam, wobei die Einstellung für den örtlichen Bereich der ernennenden Behörde gilt. Nichtig ist die Ernennung, wenn der Ernannte z. Z. der Ernennung nicht Deutscher i. S. des Art. 116 GG war und keine diesbezügliche Ausnahmegenehmigung vorlag144. Erwirbt der Ernannte später die deutsche Staatsangehörigkeit oder wird die Ausnahmegenehmigung später erteilt, so bleibt die Ernennung trotzdem nichtig. Verliert dagegen ein Beamter nach der Ernennung die deutsche Staatsangehörigkeit, so bleibt die Ernennung wirksam; der Beamte ist aber kraft Gesetzes entlassen145. Nichtig ist eine Ernennung, wenn der Ernannte entmündigt war oder ihm im Zeitpunkt der Ernennung infolge verfassungsgerichtlichen oder strafgerichtlichen Urteils die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter fehlte. Wird diese Fähigkeit erst nach der Ernennung aberkannt, so bleibt die Ernennung wirksam; das Beamtenverhältnis endet aber mit der Rechtskraft des Urteils146. Schließlich kann der Landesgesetzgeber bestimmen, daß die Ernennung eines kommunalen Wahlbeamten nichtig ist, wenn die zugrunde liegende Wahl unwirksam war147. Als Grundsatz für die Nichtigkeit von Ernennungen ist festzuhalten, daß hier weder eine allgemeine verwaltungsrechtliche Schwere- oder Evidenztheorie noch die in § 44 VwVfG vorgesehene Regelung gilt, sondern die Nichtigkeitsgründe gesetzlich und abschließend festgelegt sind (Bestimmtheitsgrundsatz)m. Über diese gesetzlich bestimmten Nichtigkeitsgründe hinaus 143
144 145 146 147 148
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Vgl. § 11 I S. 2 BBG; § 10 I S. 2 BRRG. - Zur Nichtigkeit von Ernennungen wegen unterbliebener Mitwirkung der Aufsichtsbehörde oder des Landespersonalausschusses allgemein vgl. BVerwG ZBR 1981, 67ff; Zängl, ZBR 1973, 138ff. Vgl. § 11 II Nr. 1 BBG; § 8 II Nr. 1 BRRG. Dazu unten S. 80. Dazu unten S. 82. Vgl. § 10 II BRRG; § 14 IV schlesw.-holst. LBG. Scheerbarth/Höffken, S. 267ff.; Kunig, ZBR 1986, 253ff. (256).
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. III 3 d
darf die Behörde keine weiteren Nichtigkeitsgründe geltend machen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz abschließender Festlegung besteht nur zugunsten des Ernannten; eine ohne seine Mitwirkung (d.h. ohne seine Zustimmung) erfolgte Ernennung ist — obwohl nicht ausdrücklich gesetzlich aufgeführt — ebenfalls nichtig (str.)149. d) Die Rücknahme der Ernennung ist ebenfalls abschließend geregelt. Neben der abschließenden Aufzählung der Gründe für die Nichtigkeit oder Rücknahme der Ernennung in den Beamtengesetzen ist also für die Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (kodifiziert in § 48 VwVfG) kein Raum 150 . Bei der Rücknahme der Ernennung wird zwischen obligatorischer und fakultativer Rücknahme unterschieden. Sinn dieser Unterscheidung ist es, die Bewahrung der Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde und den Ausschluß von ungeeigneten Personen in abgestufter, sachgemäßer Weise zu sichern. aa) Obligatorisch ist die Rücknahme, wenn die Ernennung durch Zwang, Bestechung oder arglistige Täuschung herbeigeführt wurde151. Die arglistige Täuschung kann sowohl durch Angabe falscher als auch durch Verschweigen wahrer Tatsachen erfolgen. Beim Verschweigen ist problematisch, ob eine Offenbarungspflicht auch hinsichtlich solcher Tatsachen besteht, nach denen die Behörde nicht gefragt hat; eine solche Offenbarungspflicht ist nur dann anzunehmen, wenn der Bewerber eine Tatsache verschweigt, von der er weiß oder mit dolus eventualis in Kauf nimmt, daß sie für die Entscheidung der Ernennungsbehörde von Bedeutung ist oder sein kann 152 . Die Ernennung kann (und muß) wegen Zwanges, arglistiger Täuschung oder Bestechung nur dann zurückgenommen werden, wenn die Ernennung durch diese Umstände herbeigeßihrt worden ist (Kausalität i. S. der conditio sine qua non), d. h. wenn die Ernennungsbehörde andernfalls — zumindest zu diesem Zeitpunkt — die Ernennung tatsächlich nicht vorgenommen hätte153. Obligatorisch ist die Rücknahme ferner, wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte wegen eines vor der Ernennung vollendeten Verbrechens oder Ver149
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Wiese, Beamtenrecht, S. 82; a. A.: E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 11; Brückner, Das faktische Dienstverhältnis, 1968, S. 20. Bayer. VGH ZBR 1977, 154 (zum Fall, in dem die Ernennungsurkunde zwar ausgehändigt war, die Ernennung aber erst später wirksam werden sollte); GKÖD I, Rz. 1 zu § 12 BBG; Küttig, ZBR 1986, 253ff. (255f.) Vgl. § 12 I Nr. 1 BBG; § 9 I Nr. 1 BRRG; vgl. dazu BVerwG DVB1. 1986, 148ff. Rücknahme einer Ernennung wegen arglistiger Täuschung. BVerwGE 13,158f.; einschränkend E. Plog/A. Wiedow/G. Beck, BBG, Rdnr.4 zu § 12. - Vgl. auch BVerwGE 18, 276ff. BVerwGE 16, 342; 17, 3. Vgl. auch BVerwGE 16, 343ff. (auch Beförderung ist Ernennung; Rücknahme auch nach Versetzung in den Ruhestand möglich); GKÖD I, Rz. 11-12 zu § 12 BBG. 33
1. Abschn. III 3e
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gehens rechtskräftig verurteilt war oder wird, das ihn für die Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen läßt 154 (Bsp.: Schwere Eigentumsdelikte; problematisch: Trunkenheit am Steuer). bb) Fakultativ ist die Rücknahme, wenn bei einem nach seiner Ernennung Entmündigten die Voraussetzungen für die Entmündigung im Zeitpunkt der Ernennung vorlagen 155 . Treten die Voraussetzungen für die Entmündigung erst nach der Ernennung ein, so kommen nur Entlassung oder Versetzung in den Ruhestand in Betracht. Die Ernennung kann ferner zurückgenommen werden, wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte in einem Disziplinarverfahren aus dem Dienst entfernt oder zum Verlust der Versorgungsbezüge verurteilt worden war. cc) Anfechtung: Schließlich kann die Ernennung rückwirkend auch dadurch beseitigt werden, daß der Ernannte selbst seine ausdrücklich oder durch Entgegennahme der Ernennungsurkunde konkludent erklärte Zustimmung zur Ernennung wegen Zwanges, Drohung, arglistiger Täuschung oder eines wesentlichen Irrtums unverzüglich anficht156. Diese Möglichkeit ist zwar in den Beamtengesetzen nicht vorgesehen; sie ergibt sich aber aus den Grundgedanken der §§ 119, 123 BGB, ferner daraus, daß der Bestimmtheitsgrundsatz der abschließenden gesetzlichen Aufzählung der Rücknahmegründe (ebenso wie bei der Nichtigkeit) nur zugunsten des Beamten besteht, und endlich aus der Tatsache, daß der Ernannte ein Interesse daran haben kann, daß sein Beamtenverhältnis durch Rücknahme beendigt wird (z. B. um einer Disziplinarstrafe zu entgehen). e) Folgen von Mängeln: War die Ernennung ein Nichtakt, nichtig oder ist sie zurückgenommen, so stellt sich die Frage, welche Folgen dies zusätzlich zur Beseitigung des Beamtenverhältnisses hat 156a . Die Fehlerhaftigkeit des Beamtenverhältnisses kann sich sowohl auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Ernannten und seiner Behörde (Innenverhältnis) als auch auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Ernannten und Dritten (Außenverhältnis) auswirken. aa) Innenverhältnis: Im Fall einer nichtigen Ernennung (der — obgleich im Gesetz nicht erwähnt — insoweit die Nichternennung gleichsteht), muß der Dienstvorgesetzte nach positiver Kenntnis des Grundes dem Ernannten die weitere Führung der Dienstgeschäfte untersagen; bei Kenntnis eines Rücknah-
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Vgl. § 1 2 I Nr. 2 BBG; § 9 I Nr. 2 BRRG; dazu E.Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 9 zu § 12, insbes. auch zur Frage, ob Wohl verhalten nach der Tat zu berücksichtigen ist. 155 Vgl. hierzu und zum folgenden § 12 II BBG, § 9 II BRRG. 156 Dazu OVG Münster DVB1. 1952, 606 (für den ähnlich gelagerten Fall einer Entlassung auf Verlangen). Vgl. auch Wiese, Beamtenrecht, S. 82. 156a Zu den Rechtsfolgen der fehlerhaften Beamtenernennung allg. vgl. Fromme, D Ö D 1981,169 ff. 34
1. Abschn. III 3e
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megrundes kann dies geschehen' . Da ein Beamtenverhältnis nicht bestanden hat bzjv. rückwirkend beseitigt wird, die bereits gezahlten Dienstbezüge also von dem fehlerhaft Ernannten ohne Rechtsgrund erlangt sind, muß der Dienstherr sie an sich zurückfordern (§812 BGB); die Beamtengesetze sehen aber vor, daß er davon absehen kann 158 . Gesetzlich nicht geregelt sind andere Fragen, z. B.: Gilt für den nicht oder fehlerhaft Ernannten die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit? Was gilt hinsichtlich der Haftung für von ihm begangene rechtswidrige Handlungen? Die Antwort auf diese Fragen muß von der Rechtsnatur des fehlerhaften Beamtenverhältnisses ausgehen. Hierzu sind sechs Lösungsmöglichkeiten entwikkelt worden: 1. Privatrechtlicher Dienstvertrag (Umdeutung) 159 ; 2. Faktischer privatrechtlicher Dienstvertrag 160 ; 3. Geschäftsführung ohne Auftrag 161 ; 4. Rechtsverhältnis sui generis162; 5. Öffentlich-rechtlicher Vertrag (Umdeutung) 163 ; 6. Faktisches öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis164. Den privatrechtlichen Konstruktionen steht die Tatsache entgegen, daß Ernennungsbehörde und Ernannter nicht den Willen hatten, ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zu begründen, sondern ein Beamtenverhältnis. Deshalb erscheint es richtig, ein faktisches öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis anzunehmen, das man als „faktisches Beamtenverhältnis" 1643 bezeichnen könnte, wenn diese Bezeichnung wegen des im Beamtenrecht geltenden Formalprinzips nicht ein Widerspruch in sich wäre; auf dieses Verhältnis sind die beamtenrechtlichen Vorschriften zwar nicht unmittelbar, aber analog insoweit anwendbar, als dies nach der zeitlichen Dauer des faktischen Dienstverhältnisses und den dabei ausgeübten Funktionen sinnvoll ist. bb) Außenverhältnis: Die bis zum Verbot der Führung der Dienstgeschäfte oder bis zur Zustellung der Rücknahmeerklärung vorgenommenen Amtshandlungen des Ernannten sind — sofern nicht Mängel hinzukommen, die auch die Amtshandlung eines fehlerfrei Ernannten fehlerhaft machen würden — gültig165. Sinn dieser Regelung ist der Schutz der allgemeinen Rechtssicherheit und des Vertrauens der Allgemeinheit auf den Bestand von Amtshandlungen; deshalb ist es nach h. L. unbeachtlich, ob der einzelne Adressat der 157
Vgl. § 13BBG. Vgl. § 14 S. 2 BBG; vgl. auch Bayer. VGH ZBR 1973, 59. RAG ARS 38, 3; a. A.: BAG JZ 1960, 134. 160 LAG Frankfurt a. M. NJW 1954, 248. 161 Vgl. dazu (allerdings ablehnend) Brückner, a. a. O., S. 103. 162 B a y V G H N . F. 7, 110(113). 163 LVG Rheinl.-Pfalz DVB1. 1952, 597. 164 Brückner, a. a. O., S. 107ff.; Schröcker, DVB1. 1957, 664f.; BayVGH ZBR 1973, 59. ,64a Vgl. dazu BVerwG DÖV 1983, 898. 165 Vgl. § 14 S. 1 BBG. 158
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1. Abschn. III 4a
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Amtshandlung die Nichtigkeit der Ernennung oder die Gründe für die Rücknahme kannte166. Gesetzlich nicht geregelt sind die Fälle der Nichternennung oder Nichtigkeit der Ernennung wegen Formmängeln. Da es einerseits auf den Rechtsschein nach außen ankommt, andererseits die Gründe für die Nichternennung (Fehlen der Aushändigung der Ernennungsurkunde) oder für die Nichtigkeit (Formmängel der Ernennungsurkunde) nach außen nicht erkennbar sind, müssen auch diese Handlungen als gültig angesehen werden (str.)167. Fehlt auch der Rechtsschein, wie beim Scherzakt oder bei der Ernennung durch eine sachlich absolut unzuständige Stelle, so gilt dies nicht. Die Frage der Haftung ist unproblematisch168. Hat der fehlerhaft Ernannte in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, so tritt stets die Haftung nach Art. 34 GG, § 839 BGB ein, da hierfür nicht die Beamteneigenschaft im staatsrechtlichen Sinn vorliegen muß. Umgekehrt ist die staatsrechtliche Beamteneigenschaft Voraussetzung der persönlichen Haftung aus § 839 BGB, so daß diese Haftung beim fehlerhaft Ernannten ausscheidet. Hat der fehlerhaft Ernannte fiskalisch gehandelt, so wird bei Vertragsverletzung nach §§276, 278 BGB, bei unerlaubten Handlungen nach §§ 823 ff. BGB i. Vbg. mit § 831 BGB oder § 31 BGB (§ 89 BGB) gehaftet. 4. Inhalt des Beamtenverhältnisses a) Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln" — diese lapidare Bestimmung des Art. 33 V GG wirft mehrere schwierige Rechtsfragen auf169. Zunächst ist umstritten, ob der Begriff „Öffentlicher Dienst" hier im weiten Sinne zu verstehen ist, d. h. sowohl die Beamten als auch die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst erfaßt 170 , oder ob er eng auszulegen ist und damit nur die Beamten betrifft 171 . Die sprachliche Fassung des Art. 33 V GG spricht für die weite Auslegung: Da aber unzweifelhaft gerade die Trennung zwischen dem Beamtenrecht und dem Recht der Angestellten und Ar166 167 168 169
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E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 3 zu § 14. E. Schütz, Rdnr. 3 zu § 14; a. A. Schröcker, DVB1. 1957, 668. Vgl. zum folgenden Brückner, a. a. O., S. 86 ff. Dazu Lindgen, DÖD 1981, 170ff.; Matthey, in: von Münch, G G K II, Art. 33 Rdnr. 3 5 - 4 4 ; Stern, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 193ff.; W. Thiele, DÖV 1981, 773ff.; F. Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger. Zugleich eine Untersuchung zum Normtypus von Art. 33 Abs. 5 GG, 1981; Dolzer, in: Richterliche Rechtsfortbildung. Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen. Fs. der Juristischen Fakultät zur 600-JahrFeier der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg, 1986, S. 137ff. W. Thieme, Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des GG, S. 35ff.; Wacke, Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, 1957, S. 27 ff. BVerfGE 3, 186; 16, 110f.; h. L., z.B. Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 46 zu Art. 33; Ule, GRe IV/2, S. 549 ff., beide mit weit. Hinw.
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beiter des öffentlichen Dienstes einer der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ist, spricht der Sinn der Vorschrift entscheidend für die enge Auslegung, d. h. für die Beschränkung auf das Beamtenrechtm. Art. 33 V GG ist nicht lediglich ein Programmsatz, sondern unmittelbar geltendes Recht'73; die Vorschrift verpflichtet also den Gesetzgeber in zweifacher Weise, nämlich „zu regeln", d. h. überhaupt tätig zu werden, und sodann bei diesem Tätigwerden die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu berücksichtigen. Was im einzelnen zu den „hergebrachten Grundsätzen" gehört, ist umstritten. Fest steht jedoch, daß nicht schon jede überkommene beamtenrechtliche Detailregelung ein (hergebrachter) Grundsatz ist, sondern nur die das Beamtentum tragenden Grundregeln, d. h. der „Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewährt worden sind"174. Hergebrachte Grundsätze sind danach insbesondere 175 : die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis; die Gewährung angemessener Dienst- und Versorgungsbezüge (nicht aber ein Anspruch darauf, daß Gehalts- und Versorgungsbezüge in bestimmter Summe ungekürzt fortbestehen 1753 und nicht der Schutz sog. wohlerworbener Rechte überhaupt 176 ), die Festlegung der Dienst- und Versorgungsbezüge durch Gesetz1763; die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten; der Anspruch auf eine amtsangemessene Amtsbezeichnung17615; der Grundsatz parteipolitischer Neutralität im Dienst; das Koalitionsrecht; die Unzulässigkeit des Beamtenstreiks; das Lebenszeitprinzip (nicht aber eine auf ein bestimmtes Lebensalter gerichtete oder eine für alle Beamten einheitliche Festsetzung der Altersgrenze)1760 und die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes. 172
Stern, StaatsR I, S. 351. - Art. 33 V GG umfaßt auch die Richter (BVerfGE 12, 87), nicht dagegen die Soldaten: BVerfGE 3, 334f.; 16, 111 (nicht unbedenklich). 173 BVerfGE 9, 286; Battis, BBG, Erl. 2 c aa zu § 2. 174 BVerfGE 8, 343; 32, 246; 43, 278; BVerwGE 24, 235; 25, 85. - Überblick über die Rspr. des BVerfG und des BVerwG bei Stern, StaatsR I, S. 355ff.; vgl. auch Isensee, HdbVerfR, S. 1179ff.; Lecheler, AöR 103 (1978), S. 354ff.; Battis, BBG, Erl. 2 c bb zu § 2. 175 Vgl. (z.T. noch weitergehend) F.Mayer, in: Studienkommission Bd. 5, 1973, S. 608; Ule, GRe IV/2, S. 570ff. 1753 BVerwG ZBR 1979, 372. 176 BVerfGE 8, 13f.; zur Besoldung vgl. auch BVerfGE 44, 249ff. 176a Vgl. dazu Summer, ZBR 1984, 253ff. 176b BVerfGE 43, 154ff. (167); 62, 374ff. (383) - Lehrer. Gemeint ist damit das dem Beamten verliehene Amt, d. h. das Amt im statusrechtlichen Sinne. Nicht durch Art. 33 V geschützt ist die Bezeichnung des Amtes im funktionellen Sinne, d. h. die Funktionsbezeichnung (BVerfG ZBR 1983, 59 - Rechtspfleger). 176c BVerfGE 71, 255ff. 37
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Die hergebrachten Grundsätze sind zu berücksichtigen. Bei der Frage was unter „Berücksichtigung" zu verstehen ist, unterscheidet das BVerfG177 zwischen hergebrachten Grundsätzen, die (nur) zu berücksichtigen sind und „besonders wesentlichen" hergebrachten Grundsätzen, die zu beachten sind. Diese Unterscheidung findet weder im Wortlaut noch im Sinn des Art. 33 V GG eine Stütze; sie ist daher abzulehnen 178 . Vielmehr ist „Berücksichtigung" einheitlich dahin auszulegen, daß die hergebrachten Grundsätze einerseits nicht ignoriert und nicht negiert werden dürfen, andererseits aber Raum bleibt für eine weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers: Solange der Gesetzgeber sich überhaupt noch auf dem Boden der hergebrachten Grundsätze befindet, kann er sie mehr oder weniger intensiv zur Geltung bringen 178a . Die Ansicht, der Gesetzgeber könne aber sogar von den hergebrachten Grundsätzen abweichen, wenn dies zwingend geboten sei179, ist nicht richtig, weil sie der in Art. 33 V GG festgelegten Bindung des Gesetzgebers ( „ . . . ist unter Berücksichtigung . . . zu regeln") widerspricht. Dem berechtigten Anliegen, die an Traditionsgut anknüpfende und daher problematische Vorschrift des Art. 33 V GG nicht zur permanenten rechtlichen Fixierung des Status quo und zur Blockade notwendiger Reformen werden zu lassen, muß vielmehr anders Rechnung getragen werden: nämlich dadurch, daß man unter hergebrachten Grundsätzen nur den in das System des GG sich einpassenden „Kernbestand von Strukturprinzipien" ansieht, der das Wesen der Institution Beamtentum ausmacht. Nicht ausgeschlossen ist aber, daß sich mit der Zeit neue hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums entwickeln, also solche, die es in der Weimarer Republik noch nicht gab179". Zutreffend ist auch die Feststellung des BVerfG, daß Art. 33 V GG „einen weiten Ermessungsspielraum für die Anpassung des Beamtenrechts an neue Entwicklungen" beläßt, allerdings „keine völlige Regelungsfreiheit"; vielmehr ist der einzelne hergebrachte Grundsatz „in seiner Bedeutung für die Institution des Berufsbeamtentums in der freiheitlichen rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zu würdigen" 179b . Str. war früher, ob die Teilzeitbeschäftigung von Beamten generell gegen Art. 33 V GG verstößt180. Dies ist zu verneinen. Eine andere Frage ist, ob die
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BVerfGE 8, 16f; ebenso Stern, StaatsR I, S. 354. Maunz in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 58 zu Art. 33; ebenso Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Rz. 18. 178a Zur Elastizität der hergebrachten Grundsätze durch Auslegung vgl. BVerfGE 43, 154 (168); Isensee, HdbVerfR, S. 1184f.; Stern, StaatsR I, S. 353f. 179 Vgl. Ute, GRe IV/2, S. 568 f. l79a S o wird z. B. die Ansicht vertreten, daß die gleitende Arbeitszeit im öffentlichen Dienst sich zu einem hergebrachten Grundsatz entwickeln könnte (Martin, ZBR 1979, 171). Zur gleitenden Arbeitszeit allg. vgl. G. B. Müller, RiA 1981, 46. I79b BVerfGE 42, 278. 180 Vgl. z. B. Ilbertz, ZBR 1968, 175ff. (zulässig); B. Wilhelm, ZBR 1968, 25ff., 178ff. (unzulässig). 178
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Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung immer weiter ausgedehnt werden dürfen, ohne daß dadurch die Grundsätze des Berufsbeamtentums aufgelöst werden (Figur des „Nebenerwerbsbeamten") 181 , oder ob Teilzeitbeschäftigung von Beamten nur personell und funktional begrenzt zulässig ist l81a . Das geltende Recht, das die ursprüngliche Beschränkung auf Teilzeitbeamtinnen aufgegeben hat, läßt sich heute mit „arbeitsmarktpolitischer Regelung" und „familienpolitischer umschreiben l81b . Angesichts der Knappheit des Gutes Arbeit und angesichts des allgemeinen Trends zu Arbeitsverkürzungen, die auch das Beamtenrecht nicht unbeeinflußt lassen können, dürfte mit den geltenden Teilzeitbeschäftigungsregeln die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen noch nicht erreicht, jedenfalls aber nicht überschritten sein l81c . Erhebliche rechtliche und praktische Probleme wirft allerdings die Frage der Nebenbeschäftigung von Teilzeitbeamten auf l81d sowie das z. B. in Niedersachsen praktizierte Modell der Dreiviertel-Stellen, nach dem Bewerber für eine Anstellung als Beamte oder Richter auf Probe grundsätzlich nur noch im Teilzeitbeschäftigungsverhältnis (Dreiviertel-Stellen) eingestellt werden soll e n
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Schließlich ist umstritten, ob aus Art. 33 V GG auch subjektive, durch Verfassungsbeschwerde verfolgbare Individualrechte des einzelnen Beamten abgeleitet werden können. Da gerade der gerichtliche Rechtsschutz zu den hergebrachten Grundsätzen gehört und Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG ohne Einschränkung von „in Artikel 33 . . . des Grundgesetzes enthaltenen
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Bedenken bei W. Loschelder, ZBR 1978, 133ff. (138); M. Schröder, ZBR 1979, 189ff.; W. Thiele, ZBR 1980, 339ff. - Zur Auswirkung der Teilzeitbeschäftigung auf den öffentl. Dienst allg. vgl. D. Brüning, Teilzeitbeschäftigung und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes, 1983. l8la S o W. Rudolf, W D S t R L 37 (1979), S. 208ff., 214. Vgl. auch - zum Antrag auf Teilzeitbeschäftigung eines Beamten mit hervorgehobenen Führungs- und Aufsichtsfunktionen - VGH Bad.-Württ. ZBR 1980, 123. i8ib V g l §§ 44 a BRRG, 72 a BBG („arbeitsmarktpolitische Regelung", insbes. zur Beseitigung der Lehrerarbeitslosigkeit, befristet bis 31. Dezember 1990); § § 4 8 a BRRG, 79 a BBG, 48 a DRiG („familienpolitische Regelung"), eingefügt bzw. geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10. Mai 1980 (BGBl. 1980 I, S. 560; Änderung: BGBl. 1984, 998); vgl. auch die (neuen) Regelungen in den Landesbeamtengesetzen: § 153 bad.-württ. LBG; Art. 80a bayer. BG; § 35a berl. LBG; § 71a brem. BG; § 76a hmb. BG; § 85a hess. BG; § 80a nieders. BG; § 78b nordrh.-westf. LBG; § 80a rheinl.-pfälz. BG; § 87a saarl. BG; § 88a schlesw.-holst. LBG. Zur Vorgeschichte: Battis, BBG, Erl. 1 zu § 79 a, ders., PersV 1984, 217ff.; Schwandt, ZBR 1980, 305ff. 181c Zutreffend Roeper, NJW 1980, 1779 ff. I8ld 18le
Kritisch dazu Isensee. HdbVerfR, S. 1183. Vgl. auch unten S. 41 ff. Thiele, DVB1. 1986, 753 ff. hält dies für verfassungswidrig.
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Rechten" sprechen, ist die Frage in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG („grundrechtsähnliches Individualrecht") zu bejahen 182 . b) Beamtenpflichten: Die rechtliche Stellung des Beamten wird entscheidend von seinen Pflichten geprägt. Der Gesetzgeber hat dies dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sowohl das BBG als auch das BRRG und die Landesbeamtengesetze bewußt die Pflichten vor den Rechten aufzählen. Die Pflichtigkeit des Beamtenverhältnisses ist die Konsequenz der Tatsache, daß das Beamtenverhältnis ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis ist. Die allgemeine beamtenrechtliche Dienst- und Treuepflicht wird durch Einzelpflichten konkretisiert, wobei zwischen dienstlichen und außerdienstlichen Pflichten zu unterscheiden ist. aa) Dienstpflicht (Dienstleistungspflicht): Die Dienstpflicht des Beamten ist — nüchtern betrachtet — zunächst eine Dienstleistungspflicht, d. h. eine Arbeitspflicht. Der Beamte ist verpflichtet, in der regelmäßigen Arbeitszeit und — wenn zwingende dienstliche Gründe es erfordern — über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus (in bestimmten Grenzen sogar ohne Vergütung) Dienst zu tun183. Eine besondere Form der Dienstleistung ist der Bereitschaftsdienst; hier hat der Beamte in seiner Dienststelle anwesend zu sein, um erforderlichenfalls jederzeit die Arbeit aufzunehmen. Vom Bereitschaftsdienst zu unterscheiden ist die sog. Rujbereitschaft, bei welcher der Beamte sich zwar nicht in seiner Dienststelle, aber unter einer von ihm angegebenen Adresse dienstbereit aufhalten muß, und erforderlichenfalls gerufen werden kann 184 . Für die Inanspruchnahme durch Rufbereitschaft besteht kein Anspruch auf Freizeitausgleich und zusätzliche Vergütung184". Rufbereitschaft gilt nicht als Arbeitszeit i. S. des § 75 III Nr. 1 BPersVG184b. 182
BVerfGE 8, 17f.; BVerfGE 43, 154ff. m. abw. Meinung Wand und Niebeler 177ff.; Maunz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 82 zu Art. 33; a. A.: Ule, GRe IV/2, S. 565 ff. Kritisch zum unmittelbaren Rückgriff des BVerfG auf die hergebrachten Grundsätze auch Niedermaier / Günther, ZBR 1977, 238 ff. — Kritik an der Entsch. des BVerfG auch bei Bender, DÖV 1977, 565 ff, und Menger, VerwA 69 (1978), S. 221 ff. (226). 183 Vgl. § 72 II BBG; VO über die Arbeitszeit der Bundesbeamten vom 15. Juni 1954 i. d. F. vom 24. Sept. 1974 (BGBl. 1974 I, S. 2356), zuletzt geändert am 6. September 1985 (BGBl. I, S. 1903), derzufolge die Arbeitszeit auf im Durchschnitt 40 Std. in der Woche festgesetzt ist. Für Landesbeamte vgl. die entspr. Regelungen im Landesrecht, z. B. niedersächs. VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 23. Sept. 1974 (GVB1. 1974, S. 425). Zur Überstundenvergütung für Beamte vgl. die VO über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte i. d. F. der Bekanntm. vom 1. Juli 1977 (BGBl. I, S. 1107), zuletzt geändert am 24. April 1986 (BGBl. I, S. 575); vgl. auch Wilhelm, ZBR 1969, 229 ff., und BVerwG ZBR 1971, 88 ff. mit Anm. Wilhelm, S. 91 ff. 184 Dazu W. Böhme, RiA 1976, 202ff. Zur Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst vgl. OVG Bremen ZBR 1980, 285. 184a BVerwGE 59, 176. 184b BVerwG DVB1. 1987, 1161 ff.
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Ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten darf der Beamte dem Dienst nicht fernbleiben. Für die Zeit eines ungenehmigten, schuldhaften Fernbleibens erhält der Beamte keine Dienstbezüge185. Eine vom regelmäßigen Aufgabenbereich (z. B. einer bestimmten Fachrichtung des Beamten) abweichender Dienst kann gefordert werden, wenn dies geboten und zumutbar ist186. Auf Verlangen seiner obersten Dienstbehörde kann der Beamte verpflichtet werden, eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienstzu übernehmen, sofern sie seiner Vorbildung oder Berufsbildung entspricht und ihn nicht über Gebühr in Anspruch nimmt 188 . Umgekehrt kann eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst unter dem Aspekt der Gewalten teilung unzulässig sein188*. Von dieser Verpflichtung zur dienstlichen Nebentätigkeit sind die Nebentätigkeiten im privaten Interessem zu unterscheiden, wobei hier wiederum zwischen genehmigungsfreier und genehmigungspflichtiger Nebentätigkeit zu differenzieren ist190. Genehmigungsfrei sind wegen Art. 2 I GG Nebentätigkeiten, die wegen ihres geringen Umfanges oder aus anderen Gründen mit der Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, oder mit anderen Dienstpflichten nicht kollidieren (z. B. Verwaltung eigenen Vermögens; künstlerische Tätigkeit1902). Genehmigungspflichtig sind dagegen solche Tätigkeiten, bei denen die Möglichkeit einer solchen Kollision besteht (z. B. bei gewerblicher Tätigkeit; Eintritt in den Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens) 190b ; die Genehmigung darf allerdings nur versagt wer185
Vgl. § 73 BBG. Zur Frage des Rechtsweges: BVerwG DÖD 1976, 111. BDHE 6, 92ff. - Zum sog. Recht am Amt vgl. BVerwG NDBZ 1968, 142; Lepke, DVB1. 1966, 135ff. — Zum Rechtsanspruch des Beamten auf Beschäftigung vgl. Schick, in: Fg. f. Maunz, 1971, S. 329ff. 187 Zum Begriff der Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst vgl. § 2 VO über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (Bundesnebentätigkeitsverordnung - BNV) vom 22. April 1964 (BGBl. I, S. 299) i. d. F. vom 12. November 1987 (BGBl. I, S. 2376). Zur Nebentätigkeit allg. vgl. C. Jansen, Nebentätigkeit im Beamtenrecht, Diss. Würzburg 1983; Noftz, ZBR 1974, 209ff.; Ule, in Fs. f. W. Weber, 1975, S. 609 ff. Zur Abgrenzung von Hauptamt und Nebentätigkeit: BVerwG NVwZ 1982, 506f. 188 Vgl. § 64 BBG; zur Verpflichtung beamteter Ärzte, an einer Zwangsernährung mitzuwirken, Weichbrodt, NJW 1983, 311 ff. l88a BVerwGE 41, 195 (Mitgliedschaft eines Richters im Verwaltungsrat einer öffentlichen Sparkasse). 189 Gem. § 1 I BNV ist „Nebentätigkeit" der Oberbegriff, der sowohl die Ausübung eines Nebenamtes als auch einer Nebenbeschäftigung umfaßt. Eine Nebentätigkeit im privaten Interesse ist — ganz korrekt gesprochen — eine Nebenbeschäftigung. Zur Abgrenzung von Nebenamt und Nebenbeschäftigung vgl. BVerwGE 72, 160ff. mit ablehnender Anm. Schwerdtner, DÖV 1986, 567f.; allg. zum Nebenamt vgl. Günther, ZBR 1986, 97 ff. 190 Vgl. §§ 64, 65 BBG; § 5 BNV. 190a § 66 BBG. Vgl. dazu Sembdner, PersV 1981, 305ff. 190b § 65 BBG. 186
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den bzw. nach Erteilung widerrufen werden, wenn zu befürchten ist, daß die Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen, die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten oder andere dienstliche Interessen beeinträchtigen würde. Die Gefahr von Interessenkollisionen wird generell bejaht, wenn ein Beamter als Nebentätigkeit anwaltliche Prozeßvertretungen in Sachen übernimmt, in denen sein Dienstherr als Prozeßgegner auftritt 191 ; ein Interessenkonflikt liegt auch vor bei der Nebentätigkeit eines Steuerbeamten in einem Lohnsteuerhilfeverein1913. Die Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung für einen Richter, der in einem privaten Repetitorium mitarbeiten wollte, ist vom OVG Rheinl.-Pf. für rechtmäßig gehalten worden, weil die beabsichtigte Tätigkeit das Ansehen der Verwaltungsgerichtsbarkeit beeinträchtigen und der Richter seine Pflicht verletzen würde, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen ,91b . Im Fall eines Bereitschaftspolizisten, der nach Dienstschluß in einer privaten Fahrschule Fahrunterricht gab, ist dagegen die Behörde zur Erteilung der Genehmigung verurteilt worden192. Wird die Genehmigung erteilt, so ist eine andere Frage, ob private Konkurrenten gegen die Erteilung der Genehmigung gerichtlich vorgehen können193. Durch das Sechste Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetz) vom 21.2. 1985l93a ist das Nebentätigkeitsrecht insbesondere auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen novelliert worden. Das Gesetz enthält Änderungen des BBG und des SoldG. Durch eine umfassende Änderung auch im BRRG wird erstmalig das Recht der Nebentätigkeit einheitlich geregelt. Durch die Neuregelung ist das Genehmigungsermessen des Dienstvorgesetzten stärker eingeengt worden. So ist insbesondere eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen grundsätzlich zu vermuten, wenn die Nebentätigkeit ein Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit überschreitet (§ 65 II 3 BBG, § 42 II 3 BRRG). Bei Massenarbeitslosigkeit ist eine solche stärkere Beschränkung sinnvoll und, da die Gestattung von Nebentätigkeiten nicht den Schutz des Art. 33 V GG genießt193b, verfassungsrechtlich zulässig1930.
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OVG Hamburg JZ 1978, 188ff. Zur (abgelehnten) Zulassung eines wiss. Assistenten als Rechtsanwalt vgl. BGH JZ 1978, 314ff. 191a BVerwGE 60, 254. 191b DVBl. 1986, 1166 ff. 192 VG Schleswig ZBR 1972, 148ff.; OVG Münster ZBR 1974, 364ff. Vgl. auch BVerwG DÖV 1977, 134 ff. 193 So z. B. gegen den Vorsteher eines Finanzamtes als Steuerrechtsrepetitor: OVG Hamburg JZ 1964, 562ff. mit Anm. Rupp, S. 564f. 193a BGBl. I, S. 371, in Kraft getreten am 1. 3. 1985. Hierzu Summer, ZBR 1988, lff. 193b BVerfGE 44, 249 ff. (263). 193c Ablehnend Benndorf, ZBR 1981, 84ff.; vgl. auch Thieme, JZ 1985, 1024ff.; Schwandt, ZBR 1985, 101 ff., 141 ff.; Papier, DÖV 1984, 536ff.; zur Neuregelung des Nebentätigkeitsrechts in Nordrhein-Westfalen Ehlers, DVB1. 1985, 879ff. Zur sog. Arbeitsmarktabgabe Berg / Tettmann, ZBR 1983, 217 ff. 42
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Wichtig ist vor allem auch die Frage, ob den Beamten eine Pflicht zur Abfährung der Einkünfte aus der Nebentätigkeit an den Dienstherrn trifft 194 . Sofern es sich um eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst handelt, ist dies zu bejahen 195 ; dem Gesetzgeber ist es auch im Hinblick auf Art. 33 V GG unbenommen, den Anreiz zur Übernahme von Nebenbeschäftigungen durch Vorschriften entgegenzuwirken, die die Nebentätigkeitsvergütungen einschränken 1952 . Sofern es sich dagegen nicht um eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst handelt und sofern der Beamte nicht dienstliche Mittel (Personal, Geräte usw.) in Anspruch nimmt 195b , ist die Frage zu verneinen 196 . bb) Allgemein bezogene, unparteiische Amtsföhrung: Eine Besonderheit der Dienstpflicht des Beamten liegt darin, daß er bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht nehmen muß und seine Aufgaben gerecht und unparteiisch zu erfüllen hat. Es gibt also eine Neutralitätspflicht des Beamten 197 . Die schon in Art. 130 I WRV getroffene Feststellung, daß die Beamten „Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei" sind, ist mit inhaltlich gleicher, im Wortlaut ähnlicher Formulierung in § 52 I S. 1 BBG, § 35 I S. 1 BRRG und in den Landesbeamtengesetzen 198 ausgesprochen. Da nach Art. 3 III GG niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, ist die Pflicht zur unparteiischen Amtsführung eine beamtenrechtliche Konsequenz dieses Verfassungsgebotes 199 .
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Vgl. dazu BVerfGE 33, 44ff.; BVerwG JZ 1974, 131 ff. mit Anm. Ule; BVerwG ZBR 1973, 309ff. mit Anm. Görg, S. 312f.; VG Schleswig ZBR 1973, l l l f f . ; Drescher ZBR 1973, 105ff.; Etzrodt, DVB1. 1975, 308ff.; Thieme, Fs. f. W. Weber, 1975, S. 625 ff. 195 Zur Berechtigung des Dienstherrn, die Abführung einer für Nebentätigkeit im öffentl. Dienst erhaltenen Vergütung zu fordern, vgl. BVerwGE 41, 316; 49, 184. Anders für Nebentätigkeiten im öffentl. Dienst von Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst: BVerwG DVB1. 1977, 580ff. 195a BVerfGE 55, 207 ff. (238) (auch zu den Grenzen der Rechtsetzung durch VO). 195b Zur Verpflichtung nach der Bayer. HochschullehrernebentätigkeitsVO, in diesem Fall ein Entgelt zu entrichten vgl. BayVGH DVB1. 1986, 1159 ff. 196 OVG Lüneburg DVB1. 1974, 171 ff. - Zur Unterscheidung von Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst und außerhalb des öffentlichen Dienstes Lecheler, ZBR 1985, 97 ff. Zur wissenschaftlichen Nebentätigkeit vgl. W. Schrödter, Die Wissenschaftsfreiheit des Beamten, 1974; speziell zur Nebentätigkeit von Hochschullehrern vgl. K. A. Ludwig, ZBR 1979, 225ff. 197 Dazu Püttner, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 383ff.; G K Ö D I, Rz. 22 zu § 2 BBG; Wagner, DÖD 1987, 65ff.; kritisch zum Terminus „Neutralitätspflicht" M. Schröder, ZBR 1981, 109 ff. (110). - Zur Höflichkeitspflicht vgl. W. Lübbert, VerwRdschau 1980, 196 ff. 198 § 70 I bad.-württ. LBG; Art. 62 I bayer. BG; § 18 I berl. LBG; § 53 I brem. BG; § 57 I hamb. BG; § 67 I hess. BG; § 61 nieders. BG; § 55 I nordrh.-westf. LBG; § 63 rheinl.-pfälz. BG; § 67 I saarl. BG; § 65 I schlesw.-holst. LBG. 199 Frowein, Die politische Betätigung der Beamten, 1967, S. 14. — Zum öffentl. Dienst in der Parteiendemokratie allg.: Isensee, HdbVerfR, S. 1154ff. 43
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Indem der Beamte Weisungen seines Ministers ausführen muß, der Minister aber mit seinen Weisungen häufig die Ansichten der regierenden Partei durchsetzen will, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von unparteiischer Amtsführung des Beamten und politischer Praxis200. Die Antwort ergibt sich aus dem parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem201; diesem System entspricht es, daß die Anliegen der durch die Wahl legitimierten Partei durch am Allgemeinwohl orientierte Gesetze und Erlasse durchgesetzt werden können. An die ministeriellen Weisungen ist der Beamte allerdings nur gebunden, wenn das Gesetz eine Sachlage nicht abschließend regelt. Der Beamte ist — ebenso wie der Minister — an das (verfassungsmäßige) Gesetz gebunden; deshalb darf der Beamte „nur diejenigen politischen Ziele des Gesetzes" verfolgen, die im Gesetz Ausdruck gefunden haben, er darf nicht seinerseits weitere politische Ziele hinzufügen und muß auch die politischen Gedanken des Gesetzes zu Ende denken 202 . Nur in dieser strengen Bindung an das verfassungsgemäße Gesetz kann das Berufsbeamtentum die ihm obliegende Funktion erfüllen, „eine stabile Verwaltung zu sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften zu bilden" 203 . Von Amtshandlungen, die dem Beamten selbst oder seinen Angehörigen Nachteile oder Vorteile bringen würden, ist der Beamte zu befreien 204 . Zur Begrenzung der dienstlichen Tätigkeit eines Beamten bei Kollision dienstlicher und privater Interessen wird ein strenger Maßstab angelegt2043. Belohnungen oder unübliche Geschenke, die dem Beamten in bezug auf sein Amt gegeben werden, darf er nur mit Zustimmung der zuständigen Behörde annehmen 205 . cc) Beratungs-, Unterstützungs-, Gehorsamspflicht: Der Beamte ist verpflichtet, seine Vorgesetzten zu beraten, zu unterstützen und deren verbindliche dienstliche Anordnungen und allgemeine Richtlinien zu befolgen 206 . Da der Beamte einerseits zur Befolgung der Weisungen seiner Vorgesetzten verpflichtet ist, andererseits er selber für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung trägt, kann das dienstliche Weisungsrecht zu Konflikten führen.
200
Zum Problem allgemein vgl. Baltes, Die Neutralität des Berufsbeamten, 1973. Frowein, a. a. 0 „ S. 15 ff. Scheuner, Die politischen Pflichten und Rechte des deutschen Beamten, in: Dt. Berufsbeamtentum (hrsg. von F. Gärtner) H. 4 (1962), S. 19ff. (26). 203 BVerfGE 8, 16. - Kritisch dazu F. Schäfer, 48. DJT, II O 18. 204 Vgl. § 59 BBG; B D H E 4, 59ff.; Wenzel, DÖV 1976, 411 ff. 204a BVerwGE 43, 42ff. (44): Der Beamte hat sich jeder dienstl. Tätigkeit zu enthalten, „die nach außen auch bloß den Anschein einer Parteilichkeit oder Eigennützigkeit erwecken könnte". 205 Vgl. § 70 BBG, § 43 BRRG; B D H E 7, 67ff.; Thiele, ZBR 1958, 33ff. 206 Vgl. § 55 BBG, § 37 BRRG. - Zum Problemkreis allgemein: E. Stein, Die Grenzen des dienstlichen Weisungsrechts, 1965; A. Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, 1969; Rittstieg, ZBR 1970, 72ff.; Porten, BWV 1986, 121 ff. 201
202
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1. Abschn. III 4 b
Hat der Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung, so muß er diese Bedenken unverzüglich bei seinem Vorgesetzten und, wenn dieser dennoch die Anordnung aufrechterhält, bei seinem nächsthöheren Vorgesetzten geltend machen (Remonstrationspflicht)201. Die Remonstrationspflicht, die zugleich ein Remonstrationsrecht ist207", hat den Sinn, den Beamten in diesen Fällen von seiner persönlichen (disziplinarrechtlichen und haftungsrechtlichen) Verantwortung freizustellen. Wird trotz der Remonstration die Anordnung vom nächsthöheren Vorgesetzten aufrechterhalten, so muß der Beamte (wiederum ohne disziplinarrechtlich und haftungsrechtlich verantwortlich zu sein) die Anordnung ausführen, es sei denn, daß die Anordnung bei zumutbarer Sorgfalt erkennbar gegen Strafgesetze verstößt oder die Würde des Menschen verletzt. Hier entfällt also die Gehorsamspflicht. Unabhängig davon ist das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 IV GG, das sich aufgrund der Treuepflicht für Beamte zu einer Widerstandspflicht verdichten kann, wenn dies zur Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich ist208. dd) Amtsverschwiegenheit: Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit (d. h. amtskausal) bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren209. Hierunter fallen auch solche Angelegenheiten, mit denen der Beamte zwar nicht selbst dienstlich befaßt ist, die ihm aber bei Gelegenheit seiner amtlichen Tätigkeit bekannt geworden sind210. Es genügt jeder Zusammenhang mit dem dienstlichen Bereich. Auch über rechtswidrige Anordnungen darf der davon betroffene Beamte nicht ohne weiteres die Öffentlichkeit unterrichten2103. Dagegen besteht keine Amtsverschwiegenheit für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr (d. h. für Mitteilungen, die in Erfüllung eines dienstlichen Auftrages oder zu dienstlichen Zwecken erfolgen) sowie über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen211.
207
Vgl. § 56 II, III BBG, § 38 II, III BRRG. - Zu den Besonderheiten des Remonstrationsverfahrens in bezug auf Vollzugsbeamte des Bundes und der Länder vgl. § 7 IV UZwG des Bundes und die entspr. landesrechtl. Bestimmungen; dazu Leinius, ZBR 1974, 182 f. 207a Str.; a. A.: Wiese, DVB1. 1981, 273 (nur Remonstrationspflicht). 208 Dazu von Münch, Rechtsgutachten zur Frage eines Streikrechts der Beamten, 1970, S. 22 ff. Zu den Voraussetzungen des Widerstandsrechtes allg. vgl. BVerfGE 5, 85 ff. (377). 209 Vgl. § 61 I S. 1 BBG, § 39 I S. 1 BRRG. Vgl. allg. Düwel, Das Amtsgeheimnis, 1965, und eingehend BVerwG DVB1. 1983, 505 ff. (ehem. Präsident eines Landesarbeitsamtes). 210 E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 2 zu § 61; GKÖD I Rz. 4 zu 61 BBG. 2IOa BVerwG DVB1. 1983, 506. 211 Vgl. § 61 I S. 2 BBG; § 39 I S. 2 BRRG. 45
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Die Amtsverschwiegenheit besteht auch gegenüber anderen Behörden und Gerichten. Der Beamte darf deshalb über Angelegenheiten, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten weder gerichtlich noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben 212 , gleichgültig, ob der Beamte als Beschuldigter, Partei oder Zeuge beteiligt ist212". Versagt der Dienstvorgesetzte die Genehmigung, so erschwert dies die Wahrheitsfindung in dem betreffenden Verfahren bzw. die Verfahrenssituation des betreffenden Beamten. Deshalb darf die Genehmigung zur Zeugenaussage in einem Gerichtsverfahren oder im Verfahren vor einer Stelle die — wie z. B. ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß — berechtigt ist, ein förmliches Beweisverfahren durchzuführen 213 , nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde 214 ; bei dieser Entscheidung hat der Dienstvorgesetzte kein Ermessen214a. Ist der Beamte Partei oder Beschuldigter in einem gerichtlichen Verfahren oder soll sein Vorbringen der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen dienen, so sind die Voraussetzungen noch strenger, unter denen die Genehmigung verweigert werden darf 215 : nämlich zusätzlich zu den genannten Voraussetzungen nur dann, wenn die dienstlichen Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Umstritten ist, ob die Aussagegenehmigung verweigert werden darf, wenn der Beamte als Zeuge den Namen eines sog. Gewährsmannes (Behörden-Informant; V-Mann) nennen soll216. Jedenfalls ist die Aussagegenehmigung selbst ein Verwaltungsakt; im Fall der Verweigerung ist daher zulässiges Rechtsmittel die auf Erteilung der Aussagegenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage 216a . ee) Treuepflicht: Die Treuepflicht des Beamten durchzieht das ganze Beamtenverhältnis 217 . Praktische Bedeutung gewinnt sie vor allem im Zusammenhang mit den außerdienstlichen Pflichten des Beamten; da die außerdienstlichen Pflichten die Grundrechtssphäre des Beamten berühren, werden Treue212
Vgl. § 61 II BBG; § 39 II BRRG. Zur Möglichkeit konkludenter Genehmigung für Zeugenaussagen von Polizeibeamten vgl. K. Böhm, NStZ 1983, 158ff. 213 Str. ist die Frage, ob auch die Aussage im förmlichen Disziplinarverfahren einer Genehmigung bedarf; bejahend Düwel, a . a . O . , S. 86 ff.; verneinend BDH NJW 1962, 1884 (Fall des Geschwaderkommodore Barth). 214 Vgl. § 62 I BBG, § 39 III BRRG; vgl. dazu allg. Ziegler, DÖD 1986, 205ff. 214a BVerwGE 46, 303ff. (307); BVerwGE 66, 39ff. (42). 215 Vgl. § 62 III BBG; § 39 IV BRRG. 216 Dazu BVerwG DÖV 1965, 488 ff. Zum Problem des anonymen Zeugen („Zeuge vom Hörensagen") auch BVerfGE 57, 250ff. (284f.); BGH NJW 1984, 247ff.; Miebach, ZRP 1984, 81 ff. 216a Dazu BVerwGE 66, 39ff. und Hantel, JuS 1984, 516ff. 217 Dazu Stern, StaatsR I, S. 369ff. Zur histor. Entwicklung: Laubinger, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 89 ff. 212a
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pflicht und außerdienstliche Pflichten im Abschnitt „Grundrechte im Beamtenverhältnis" (unten d) behandelt. f f ) Ahndung von Pflichtverletzungen (Disziplinarrecht): Verletzt ein Beamter schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten, so begeht er ein Dienstvergehen, das disziplinarrechtlich geahndet werden kann 218 . Das materielle Disziplinarrecht regelt die Frage, welches Tun oder Unterlassen eines Beamten als ein Dienstvergehen anzusehen ist und welche Disziplinarmaßnahmen in Betracht kommen. Ob ein Dienstvergehen vorliegt, läßt sich verhältnismäßig leicht feststellen, wenn es sich um die Verletzung einer konkret umschriebenen" Beamtenpflicht, z. B. der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit oder der Pflicht zur Dienstleistung 219 , handelt; schwieriger ist dies jedoch, wenn es um die beamtenrechtlichen Generalklauseln geht, z. B. um die Pflicht des Beamten, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordern. Neben eindeutigen Fällen, wie Unzucht eines Lehrers mit einer minderjährigen Schülerin 220 , Diebstähle eines Polizeibeamten 221 , Beschimpfen der Bundesflagge mit den Worten „Schwarz-Rot-Scheiße" 222 , Beleidigung von Untergebenen mit dem Ausdruck „Ich trete Euch in den Arsch" 223 , gibt es Fälle, die problematisch sind. Dies gilt vor allem für Verkehrsdelikte; Ordnungswidrigkeiten und Vergehen sind disziplinarrechtlich in der Regel nicht zu ahnden, wohl aber Verkehrsunfallflucht und Alkohol am Steuer 224 . Ehebruch ist von 218
Vgl. § 77 I BBG, § 45 I BRRG, und die Disziplinargesetze der Länder, z. B. Bayer. Disziplinarordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. März 1985 (GVB1. S. 31). Zum Disziplinarrecht allg. vgl. R. Auerbach, Das Bundesdisziplinarrecht, 1969; K. Behnke, Bundesdisziplinarordnung, 2. Aufl. 1969; W. Breithaupt / W. Hodler, Niedersächsisches Disziplinarrecht, 1972; H.R.Claussen / W. Janzen, Bundesdisziplinarordnung, 5. Aufl. 1985; H. R. Claussen / F. Löper, Das förmliche Disziplinarverfahren, 1987; H. Hävers / G. Schnupp, Beamtenrecht und Disziplinarrecht, 3. Aufl. 1976; J. Jülicher, Das Disziplinarrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl. 1978; Fr. X. Lochbrunner, Bundesdisziplinarrecht, 1968; E. Lindgen, Handbuch des Disziplinarrechts, Band I und II, 1966ff.; C. Römer, Bundesdisziplinarordnung, 1954; E. Schütz, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, 1971 ff.; H. R. Claussen, Handbuch für Untersuchungsführer im Disziplinarverfahren, 2. Aufl., 1978; H.-D. Weiss, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, 1974ff.; Weiß, PersV 1987, 137ff.
219
Unterstützung von Bummelstreiks (sog. „Dienst nach Vorschrift") durch Beamte ist deshalb ein Dienstvergehen (BVerwG NJW 1978, 178 ff.). BayDStrH bei Lersch, ZBR 1963, 322 (Nr. 12); vgl. auch BVerwG DÖD 1978, 73f. — Zu sexuellem Mißbrauch von Kindern und homosexuellen Handlungen mit Jugendlichen vgl. BVerwG DVB1. 1987, 1167 f. DiszSenat OVG Nordrh.-Westf. bei Witaschek, ZBR 1963, 320 (Nr. 23); zum betrügerischen Verhalten eines Beamten gegenüber seinem Dienstherren vgl. Czapski, DÖD 1984, 188. HessDStrH, in: BDHE 1,213. BVerwG ZBR 1975, 66. BDHE 7, 95f.; BVerwG NJW 1968, 858; Lindgen, DÖD 1978, 41 ff.
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der Rspr. früher stets als Dienstvergehen behandelt worden ; die neuere Rspr. nimmt dies zutreffend nur dann an, wenn er den dienstlichen Bereich berührt oder besonders verwerflich ist226; gerade in dieser Frage sollte das Disziplinarrecht sich vor ethischem Rigorismus hüten. Exhibitionismus226®, Warenhausdiebstahl226b, „unehrenhaftes Schuldenmachen"227 und „verschuldete Trunksucht"228 (zwei Drittel aller Disziplinarfälle sind Alkoholverfehlungen) und mangelnde Verfassungstreue2283 werden ebenfalls als Dienstvergehen betrachtet. Außerdienstliches, nichtkriminelles Verhalten eines Beamten kann grundsätzlich nur dann disziplinarisch verfolgt werden, wenn es dienstliche Belange berührt229. Zulässige Disziplinarmaßnahmen230 sind der Verweis (d. h. ein förmlicher, über eine bloße Mißbilligung hinausgehender Tadel eines bestimmten Verhaltens), die Geldbuße, die Gehaltskürzung131, die Versetzung in ein Amt mit niedrigerem Endgrundgehalt, die Entfernung aus dem Dienst sowie bei Ruhestandsbeamten die Kürzung des Ruhegehaltes und die Aberkennung des Ruhegehaltes. Sonderregeln gelten für Beamte auf Probe und auf Widerruf232. Das formelle Disziplinarrecht betrifft das ebenfalls in den Disziplinarordnungen geregelte Disziplinarverfahrensrecht. Werden Tatsachen bekannt, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, so muß der Dienstvorgesetzte die zur Aufklärung des Sachverhalts
225
OVG Münster ZBR 1965, 120. BVerwG ZBR 1976, 61 f. — Zur disziplinaren Relevanz von intimen Beziehungen eines Vorgesetzten zu einer dienst- oder arbeitsrechtlich von ihm abhängigen Person: BVerwG NJW 1984, 936 ff. 226a BVerwG ZBR 1979, 148. 226b Vgl. dazu P. Czapski, ZBR 1981, 186ff. 227 BDHE 5, 61; Claussen, ZBR 1964, 304ff. 228 Vgl. dazu BVerwGE 63, 327ff.; BVerwG DVB1. 1984, 485ff. OVG Münster NJW
226
1982, 1347; Schaffer/Werndl, ZBR 1983, 227ff.; H.R. Claussen, Ausübung der
Disziplinarbefugnisse bei Alkoholverfehlungen, 1987; ders. D Ö D 1984, 232 ff. und — wie überhaupt zur Handhabung der Disziplinargewalt — den Bericht des Bundesdisziplinaranwaltes für die Jahre 1979/80 in ZBR 1981, 177 ff. und für die Jahre 1983 bis 1985 in ZBR 1986, 223 ff. 228a Vgl. dazu unten S. 67. 229 Konow, ZBR 1976, 47ff.; Fliedner, DÖV 1973, 664ff., 668; vgl. BVerwG ZBR 1986, 244 f. — kein Dienstvergehen bei Haschischkonsum ohne erkennbare dienstliche Auswirkung; Hellfritzsch, Das außerdienstliche Fehl verhalten der Beamten, 1980. 230 Vgl. § 5 ff. Bundesdisziplinarordnung (BDO) i. d. F. der Bekanntm. vom 20. Juli 1967 (BGBl. I, S. 751). — Zur Angemessenheit von Disziplinarmaßnahmen vgl. Fliedner, Die Zumessung der Disziplinarmaßnahmen, 1972. Vgl. auch BVerwG ZBR 1979, 148: hohe dienstl. Stellung und Vorgesetzteneigenschaft sind bedeutsame Disziplinarmaßfaktoren; BVerwG NJW 1984, 936ff. (937) spricht von der „Leitbildfunktion" des Vorgesetzten. 231 Dazu Finger, ZBR 1973, 144ff.; Zur Kritik: G K Ö D II, Rz. 8 zu § 9 BDO. 232 Vgl. §§ 5 III, 126 BDO. 48
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. III 4b
erforderlichen Ermittlungen veranlassen (sog. Vorermittlungen)233. Diese Vorermittlungsverfahren müssen ohne unangemessene Verzögerungen geführt werden234, wie überhaupt im Disziplinarverfahren das Beschleunigungsgebot giU234a
Verweis und Geldbuße werden durch Disziplinarverfögung des Dienstvorgesetzten bzw. der obersten Dienstbehörde verhängt235; den Disziplinargerichten vorbehaltene Maßnahmen können nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden236, wobei das förmliche Disziplinarverfahren nur dann rechtswirksam eingeleitet ist, wenn die Einleitungsbehörde in der Einleitungsverfügung den Sachverhalt bezeichnet, der den Verdacht eines Dienstvergehens des Beamten rechtfertigt237. In beiden Verfahrensarten entscheidet letztlich (bei Bundesbeamten) das Bundesdisziplinargericht, gegen dessen Entscheidungen im förmlichen Disziplinarverfahren jedoch noch das BVerwG angerufen werden kann238. Stets gilt der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens, der gebietet, daß der Dienstvorgesetzte oder die Einleitungsbehörde über alle bekannten Verfehlungen des betr. Beamten gleichzeitig entscheidet2383. Problematisch ist das Verhältnis des Disziplinarrechts zum Strafrecht. Trotz gewisser Parallelen zum Strafrecht wird das Disziplinarrecht als Teil des Verwaltungsrechts (Beamtenrechts) angesehen238b. Demgemäß gilt für das Verhältnis zwischen Kriminalstrafe und Disziplinarstrafe nicht das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 III GG — ne bis in idem); jedoch ist aus rechtsstaatlichen Gründen eine bereits verhängte Disziplinarmaßnahme bei der Strafzumessung im Strafverfahren zu berücksichtigen239. Gemäß § 14 BDO dürfen neben gerichtlichen oder behördlichen Strafen und Ordnungsmaßnahmen wegen desselben Sachverhaltes grundsätzlich keine zusätzlichen Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden (disziplinarrechtliches Maßnahmeverbot)239a. Geldbuße, Gehaltskürzung und Kürzung des Ru233
Vgl. § 26 BDO. Vgl. auch allg. Claussen / Benneke, Vorermittlungen im Disziplinarverfahren, 2. Aufl., 1981. 234 VG Berlin DVB1. 1977, 739 f. m. Anm. Kloepfer, S. 740 ff. 234aYgl. § 66 BDO; Kodal, ZBR 1981, 89ff.; Schulz-Kofjka, ZBR 1981, 167ff. 235 Vgl. § 29 BDO. 236 Vgl. §§ 33 ff. BDO. 237 BayVGH ZBR 1976, 94 ff. 238 Vgl. §§ 41 ff., 79 BDO. Vgl. auch Schwandt, ZBR 1984, 264ff. 238a BVerwGE 63, 123ff. (124); BVerwGE 76, 176ff. (179); Battis, BBG, Erl. 2 zu § 77; Buschmann, RiA 1980, 205 ff. 238b BVerwGE 83, 1 ff. (4) - Dienstvergehen keine „mit Strafe bedrohte Handlung" im Sinne des Art. 46 Abs. 2 GG. 239 BVerfGE 21, 378ff.; OLG Hamm NJW 1978, 1063f. BVerwGE 33, 268ff.; 46, 335f. Vgl. ferner Kunig, in: von Münch, GGK III, Rdnr. 42 zu Art. 103; Ukena, ZBR 1987, 208 ff. 239a Nicht anwendbar bei Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstvergehen: BVerwGE 66, 19. Zum sog. disziplinaren Überhang bei Freispruch des Beamten im strafgerichtlichen Verfahren vgl. BVerwGE 76, 347 ff. 49
1. Abschn. III 4c
Ingo von Münch
hegehalts dürfen nur verhängt werden, „wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten oder Ruhestandsbeamten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Beamtentums zu wahren"240. Die ein rechtskräftiges Urteil im Straf- oder Bußgeldverfahren tragenden tatsächlichen Feststellungen haben im Disziplinarverfahren betr. denselben Gegenstand bindende Wirkung (§ 18 I S. 1 BDO)240a. Jedoch kann sich in Ausnahmefällen das Disziplinargericht von den entscheidungserheblichen Feststellungen des Strafurteils lösen (§ 18 I S. 2 BDO), sog. Lösungsbeschluß241. c) Beamtenrechte: Innerhalb der Rechte des Beamten sind die spezifischen Beamtenrechte von den Grundrechten des Beamten zu unterscheiden. Von den spezifischen Beamtenrechten seien hier als wichtigste genannt: aa) Recht auf Fürsorge und Schutz: „Zu den hergebrachten und nicht nur zu berücksichtigenden, sondern zu beachtenden Grundsätzen des Beamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) gehört der Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten . . . Der genannte Grundsatz ist das Korrelat zum hergebrachten Grundsatz der Treuepflicht des Beamten"242. Auf Grund der Fürsorgepflicht des Dienstherm243 hat der Beamte ein Recht darauf, daß sein Dienstherr für sein und seiner Familie Wohl sorgt und ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter schützt. Der Dienstherr muß also Handlungen unterlassen, die den Beamten schädigen, und muß ihn vor Nachteilen bewahren und zu seinem Vorteil dienende Maßnahmen vornehmen244. Sofern der Umfang der Fürsorgepflicht nicht gesetzlich festgelegt ist, muß zwischen den öffentlichen Interessen des Dienstherrn und den Interessen des einzelnen Beamten abgewogen werden245. So kann unmittelbar aus der Fürsorgepflicht nur dann ein Beihilfeanspruch hergeleitet werden, „wenn sonst die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt 240
Überblick über die Rspr. dazu bei Fliedner, ZBR 1973, 230ff. Dabei darf das Erfordernis einer zusätzlichen Disziplinarmaßnahme nicht auf durch allgemeine Merkmale bestimmte Umstände gestützt werden, sondern es muß die Gefahr vorliegen, daß der Betroffene sich von der gegen ihn verhängten Kriminalstrafe nicht in der Weise beeindrucken läßt, daß er künftig von weiteren Pflichtverletzungen absieht: BVerwGE 76, 43 ff. 240a Dies gilt nicht für Feststellungen in einem auf Einstellung des Strafverfahrens wegen Verfolgungsverjährung laufenden Strafurteil: BVerwG DÖV 1987, 73f. 241 Vgl. BVerwG ZBR 1983, 208 (Lösung von Freispruch). 242 BVerfGE 43, 154ff. (165) m. Anm. Bender, DÖV 1977, 565ff. 243 Vgl. § 79 BBG, § 48 BRRG; § 98 bad.-württ. LBG; Art. 86 bayer. BG; § 43 berl. LBG; §78 brem. BG; § 84 hamb. BG; § 92 hess. BG; § 87 nieders. BG; § 85 nordrhein.-westf. LBG; §87 rheinl.-pfälz. LBG; § 9 4 saarl. BG; §95 schlesw.-holst. LBG. 244 Lecheler, ZBR 1972, 129ff. Eingrenzungen in BVerwG ZBR 1980, 379 und BVerwG ZBR 1981, 254ff. 245 Dazu BVerfGE 19, 84; BVerwGE 12, 277; OVG Lüneburg DVB1. 1951, 351 ff. mit Anm. Reinicke, S. 352ff.; OVG Münster DVB1. 1951, 419f. 50
Öffentlicher Dienst
1 . A b S C h n . III 4 c
würde" 2 4 5 3 . Soweit Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) bestehen — w i e z. B. für Beihilfen in Krankheits-, Geburts- u n d Todesfällen 2 4 6 —, k a n n über den Gleichheitssatz (Art. 3 I G G ) eine Bindung des Ermessens des Dienstherrn eintreten (sog. Selbstbindung der Verwaltung) 2 4 7 . A n w e n d u n g s f ä l l e des Rechts auf Fürsorge u n d Schutz sind: Schutz von Le(berufsübliche Gefahren, z. B. für Polizei u n d Feuerben und Gesundheit248 wehrbeamte, verstoßen nicht gegen das Grundrecht auf Leben u n d körperliche Unversehrtheit 2 4 8 3 , sind aber durch Schutzvorschriften oder Sicherheitsvorkehrungen auf ein M i n d e s t m a ß zu beschränken); Schutz des Eigentums249 (z. B. durch gesicherte Unterbringung v o n Kleidungsstücken oder zur Verwahrung g e g e b e n e m Geld 2 5 0 ); Recht auf Beratung und Belehrung durch den Dienstherrn251 (z. B. durch H i n w e i s auf Fristablauf); Förderung entsprechend seiner Eignung und Leistung252 (z. B. auch Ermöglichung dienstlicher Fortbildung 2 5 3 ); Schutz vor mißbilligenden Äußerungen über seine A m t s f ü h r u n g
245a
BVerwG DVB1. 1984, 429. Zum Beihilferecht allg.: BVerfG ZBR 1978, 37; Ahrens / Beisel, Das neue Beihilferecht, 1985; Leisner, Beamtensicherung zwischen Beihilfe und Krankenversicherung, 1978; H. J. Becker, ZBR 1975, 233ff.; von Zezschwitz, ZBR 1978, 21 ff. Einzelfälle zum Beihilferecht: BVerwGE 64, 333ff.; ZBR 1977, 184, 186, 188, 189, 191, 195. Die gegenwärtige Form des Beihilfesystems gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen i. S. des Art. 33 V G G : BVerfGE 58, 68ff. Beihilfen sind nach BVerwGE 60, 212 (217) nicht Bestandteil der beamtenrechtl. Alimentation. Zur Kürzung: VGH Bad.-Württ. DVB1. 1983, 511 ff. Anrechnung privater Krankenversicherungsleistung auf Beihilfe ist unzulässig: BVerwG DVB1. 1987, 1163ff., m. Anm. Merten, S. 1165 ff. 247 Dazu Lecheler, JZ 1987, 448ff. (451). Vgl. zu dieser Frage allg. BVerwGE 16, 70; 19, 48ff.; 25, 7; 27, 193ff.; BGHZ 13, 77; Pappermann, ZBR 1969, 70ff.; Pietzcker, NJW 1981, 2087 ff. - Zur Frage, ob der Gleichheitssatz dadurch verletzt wird, daß die Pflichtstundenzahl der Lehrer nicht in Anpassung an die Verminderung der allgemeinen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst herabgesetzt wird, vgl. BVerwGE 38, 191 ff.; zur unterschiedlichen Pflichtstundenzahl für Lehrer am gleichen Schultyp: BVerwG DVB1. 1983, 502 ff. 248 Vgl. BVerwGE 25, 141. Zum Schutz des „Passivrauchers" vor dem „Aktivraucher" in Diensträumen: BVerwG D Ö D 1985, 86f.; OVG Nordrh.-Westf. ZBR 1988, 67f.; VG Bremen ZBR 1976, 290f.; vgl. dazu auch Wotfg. Loschelder, ZBR 1977, 337ff.; OVG Münster NJW 1983, 1627; Wischnath, D Ö D 1986, 174ff.; Brauner, JA 1983, 401 ff. 248a Vgl. Doehring, in: Fs. f. Mosler, 1983, S. 145ff. (156f.); Rupprecht, in: Fs. f. Samper, 1982, S. 51 ff. (59ff.); Sachs, BayVBl. 1983, 460ff., 489ff. 249 Vgl. OVG Münster, ZBR 1977, 104ff. 250 BVerwG NJW 1978, 717 ff. 251 BGHZ 7, 74; 14, 122. 252 BVerfGE 43, 154 ff. (165). 253 §42 III BLV; Ule, Beamtenrecht, Rdnr. 5 zu §48 BRRG. Dem Ziel der Fortbildung der Beamten dient die im Jahre 1969 auf Grund des § 36 I BLV a. F. errichtete „Bundesakademie für öffentliche Verwaltung"; vgl. dazu Mattern, ZBR 1975, 97ff. 246
51
1. A b s c h n . III 4 c
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durch Vorgesetzte gegenüber Dritten ; Schutz gegen unberechtigte Anwürfe von außen (z. B. durch Gewährung strafrechtlichen Schutzes. — Str. ist, ob die Sorgepflicht es dem Dienstherrn verbietet, den Namen eines Beamten, der eine Dienstverletzung begangen hat, dem Geschädigten mitzuteilen 255 ); Mindeststandard an ordentlicher und fairer Gestaltung des verwaltungsmäßigen Verfahrens im Fall der Entlassung256, aber auch bei anderen Maßnahmen, die die Rechtsstellung des Beamten betreffen 2563 ; Begrenzung des Kreises der mit Personalakten befaßten Beschäftigten256b. Was der Dienstherr aufgrund der Fürsorgepflicht dem Beamten schuldet, läßt sich im übrigen nur im Einzelfall genauer konkretisieren 257 . Da das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I, 28 I S. 1 GG) im Beamtenrecht durch ins einzelne gehende Regelungen konkretisiert ist, bietet es im Beamtenrecht keine darüberhinausgehende unmittelbare Anspruchsgrundlage258. Verletzt der Dienstherr seine Sorgepflicht, so kann der dadurch geschädigte Beamte auf Erfüllung seines Rechtes auf Fürsorge und Schutz aus § 79 BBG bzw. den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen klagen. Problematisch ist aber, ob der Beamte auch auf Schadensersatz klagen kann und ob dieser Schadensersatzanspruch gegebenenfalls neben dem Anspruch aus schuldhafter Amtspflichtverletzung gegenüber dem Beamten, dem der Dienstherr die Erfüllung der Sorgepflicht übertragen hatte, besteht. Der BGH hat früher den Schadensersatzanspruch aus Fürsorgepflichtverletzung verneint 259 ; er hat sich jedoch inzwischen der Rechtsprechung des BVerwG angeschlossen, das ihn bejaht 260 . Anspruchsgrundlage ist nach Auffassung des BVerwG nicht unmittelbar § 79 BBG (was m. E. sinnvoll wäre), sondern der Anspruch sei „unmittelbar aus dem Beamtenverhältnis", aus den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen der §§ 276, 278, 618 III BGB" abzuleiten. Da diese Vorschriften keinen Schmerzensgeldanspruch einräumen, beschränkt das BVerwG (insofern folgerichtig) den Anspruch aus Fürsorgepflichtverletzung auf den Ersatz materiellen Schadens; einen Schmerzensgeldanspruch kann der verletzte Beamte im hoheitlichen Bereich aber aus §§ 839, 847 BGB i. Vb.
254
Hess. VGH ZBR 1974, 261 ff.; einen Widerrufsanspruch hat der Beamte aber nicht gegen den Vorgesetzten persönlich, vgl. zuletzt BVerwG JZ 1987, 422. 255 BVerwGE 10, 274; BVerwG JZ 1961, 701 mit Anm. Lerche. Zu der davon zu unterscheidenden Frage einer persönlichen Kennzeichnung von Polizeibeamten: Greifeid. ZRP 1982, 318 ff. 256 BVerfGE 43, 154ff. (166). 256a Vgl. zu den Anhörungsrechten des Beamten und den Begründungspflichten gegenüber den Beamten differenzierend Kunig, ZBR 1986, 253 ff. (257 ff.). 256b BVerwGE 75, 17 ff. 257 BVerfGE 43, 154ff. (166); BVerwGE 19, 54; BVerwG ZBR 1980, 379. 258 BVerwGE 37, 37 f. 259 BGHZ 29, 310. 260 BVerwGE 13, 17ff.; BGHZ 43, 178ff.; vgl. auch BVerwGE 28, 353ff. 52
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1. Abschn. III 4c
mit Art. 34 GG bzw. im nichthoheitlichen Bereich aus §§31, 89, 831, 847 BGB geltend machen. Vom Anspruch aus Fürsorgepflichtverletzung zu unterscheiden ist der Anspruch des Beamten gegen seinen Dienstherren für arbeitsbedingte Sachschäden2603. Daß der Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens aus Sorgepflichtverletzung neben dem Anspruch aus Amtspflichtverletzung gewährt wird, hat zur Folge, daß bei gleichem Sachverhalt entweder der Verwaltungsrechtsweg (Sorgepflichtverletzung) oder der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (Amtspflichtverletzung) beschritten werden kann. Dieser Zustand ist rechtspolitisch ungut, für den verletzten Beamten allerdings vorteilhaft; der vom Amtshaftungsanspruch unabhängige Schadensersatzanspruch aus Sorgepflichtverletzung ist für ihn deshalb günstig, weil letzterer auch auf Naturalrestitution gehen kann, die Beweislast leichter ist (Beweis nur der Verletzung der Sorgepflicht und des Schadens, nicht des Verschuldens) und nicht die kurze Verjährungsfrist der §§ 839, 852 BGB gilt. bb) Dienst- und Versorgungsbezüge: Das Recht der Dienst- und Versorgungsbezüge war jahrelang Anlaß zu Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern. Die Streitigkeiten entstanden daraus, daß einzelne Länder mit Besoldungserhöhungen für ihre Beamten vorpreschten und damit das Besoldungsgleichgewicht durcheinanderbrachten. Auf Grund des Art. 74 a GG261 ist das Bundesbesoldungsgesetz durch das Zweite Besoldungsvereinheitlichungsund Neuregelungsgesetz (2. BesVNG)262 und durch das sog. Besoldungsstrukturgesetz2623 neu gefaßt worden; das Gesetz hatte das Ziel, das zersplitterte Besoldungs- und Versorgungsrecht in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes in Bund, Ländern und Gemeinden zu vereinheitlichen. Kernpunkt des Gesetzes ist der Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung: „Die Funktionen der Beamten, Richter und Soldaten sind nach den mit ihnen verbundenen Anforderungen sachgerecht zu bewerten und Ämtern zuzuordnen" (§ 18 S. 1 BBesG). Die damit verbundene sog. Dienstpostenbewertung bereitet allerdings erhebliche Schwierigkeiten; in einigen Bereichen — z. B. Deutsche
260a
§ 32 BeaVG; dazu Steiner/Schäuble, ZBR 1984, 321ff.; vgl. auch BVerwG DÖV 1987, 71 f. (bei dienstlicher Benutzung entstandener Sachschaden an privatem PKW). 261 Dazu BVerfGE 34, 9ff. (Hessische Lehrerbesoldung); von Münch, Art. 74a, in: von Münch, GGK III, Erl. zu Art. 74a; Schick, in: Fs. f. Maunz, 1981, S. 281 ff. 262 Vgl. H. Clemens / H. Lantermann, ZBR 1975, 161 ff.; Käppner, ZBR 1975, 171 ff.; Millack, ZBR 1975, 177ff.; Schinkel, in: G K Ö D III, Kz. F 005. Das 2. BesVNG ist zuletzt geändert durch das 3. Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 1984 (BGBl. 1984 I, S. 1710). 262a Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher und versorgungsrechtlicher Vorschriften 1980 vom 20. August 1980 (BGBl. 1980 I, S. 1509); dazu Finger, RiA 1981, 21 ff.; Jockel, ZBR 1980, 329. 53
1. Abschn. III 4 c
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Bundespost; hamburgische Verwaltung 2 6 3 — wird sie bereits seit längerem praktiziert 264 . D i e Dienstbezüge des Beamten 2 6 5 bestehen aus Grundgehalt, Ortszuschlag, Zulagen, Vergütungen und (bei dienstlichem Wohnsitz im Ausland) Auslandsbezügen. D i e Grundgehälter sind in den Besoldungsordnungen festgelegt 2 6 6 . D i e Besoldungsordnung A umfaßt die sog. aufsteigenden, d. h. nach Dienstaltersstufen alle 2 Jahre bis zum Endgrundgehalt steigenden Gehälter; sie sind in 16 Besoldungsgruppen gestaffelt (A 1 — 5 : einfacher, A 5 —9: mittlerer, A 9 — 13: gehobener, A 13 — 16: höherer Dienst). D i e Besoldungsordnung B für hohe Beamte (z. B. Ministerialdirektoren, Oberstadtdirektoren, Staatssekretäre) sieht feste Gehälter vor und ist in 11 Besoldungsgruppen eingeteilt. Besondere Besoldungsordnungen sind für Hochschullehrer (C) und Richter und Staatsanwälte (R) eingeführt worden. Der Ortszuschlag richtete sich früher nach der (höheren) Ortsklasse S u n d der (niedrigeren) Ortsklasse A , wobei die Einstufung des Ortes, an dem der Beamte seinen dienstlichen Wohnsitz hat, sich aus dem Ortsklassenverzeichnis ergab 267 . Heute richtet sich der Ortszuschlag nur nach der Tarifklasse, der die Besoldungsgruppe des Beamten zugeteilt ist, und nach der Stufe, die den Familienverhältnissen des Beamten (ledig, verheiratet, Kinderzahl) entspricht 268 . 263 264
265
266 267 268
54
Dazu U. Becker, DÖV 1977, 339ff.; H. Lange, VerwArch 74 (1983), S. 353ff. O. Seewald, Bisherige Erfahrungen mit der „Analytischen Dienstpostenbewertung" in der Bundesrepublik Deutschland, 1973; Siepmann, ZBR 1977, 362ff. (zum KGSt-Gutachten „Stellenplan — Stellenbewertung", 5. Aufl. 1970); Siepmann, Arbeits- und Stellenbewertung im öffentlichen Dienst, 1984; Klinkhardt, Dienstliche Beurteilungen, Beförderungsentscheidungen, Dienstpostenbewertungen, 2. Aufl. 1985. Zur Frage der Zulässigkeit von Beamtenklagen gegen Dienstpostenbewertungen vgl. BVerwG ZBR 1974, 14ff.; Mitt. der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung, VerwRdschau 1977, 312. Vgl. § 1 II Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) i. d. F. der Bekanntm. v. 1. Oktober 1986 (BGBl. I, S. 1553, ber. S. 1666); zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes vom 19. 12. 1986 (BGBl. I, S. 2542); dazu T. Unverhau, ZBR 1987, 161 ff. Erhöhung der Dienst- und Versorgungsbezüge durch G über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen im Bund und Ländern 1987 (Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 1987) vom 6. August 1987 (BGBl. I, S. 2062). H. Clemens / Chr. Millack / H. Engelking / H. Lantermann / K. H. Henckel, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, 2. Aufl. 1978ff. (Loseblattwerk); B. Schwegmann / R. Summer, Bundesbesoldungsgesetz, 1975ff. (Loseblattwerk).; Wurster / Wurster, Bundesbesoldungsrecht für Beamte, Richter und Soldaten, 3. Aufl. 1979ff. (Loseblattslg.). Historische und Zukunftsaspekte der Besoldung bei Chr. Millack / R. Summer, ZBR 1978, 138 und Brosche, RiA 1987, 248ff., 274ff. Zur Besoldung von Teilzeitbeamten vgl. § 6 BBesG. Vgl. die Anlagen zum BBesG, insbes. Anlage IV. Vgl. Pappermann, ZBR 1969, 70ff. Vgl. § 39 I BBesG.
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Die Zulagen werden für herausgehobene Funktionen gewährt269. Unterschieden wird hierbei vor allem zwischen Amtszulagen und Stellenzulagen: Amtszulagen sind unwiderrufliche und ruhegehaltsfähige Dienstbezüge (Teil des Grundgehalts), die für Ämter vorgesehen sind, die sich von dem dazugehörigen Grundamt zwar nicht wesentlich, aber doch deutlich abheben (Bsp.: Erster Staatsanwalt). Stellenzulagen sind widerruflich und nur in gesetzlich bestimmten Fällen ruhegehaltsfähig; sie dürfen nur für die Dauer der Wahrnehmung der herausgehobenen Funktionen gewährt werden (Bsp.: Piloten von Strahlflugzeugen; Beamte, Richter und Staatsanwälte, die in ihrem Hauptamt mindestens zur Hälfte im Rahmen der Ausbildung und Fortbildung als Lehrkräfte tätig sind269"). Erschwerniszulagen sind widerruflich und nicht ruhegehaltsfähig; sie werden zur Abgeltung besonderer, bei der Bewertung des Amtes oder bei der Regelung der Bezüge nicht berücksichtigter Erschwernisse gewährt270 (Bsp.: Sonntagsdienst). Vergütungen271 können für Mehrarbeit (Überstunden) festgesetzt werden, soweit die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen wird, ferner für Beamte im Vollstreckungsdienst (Bsp.: Gerichtsvollzieher). Die Rechtsnatur der Dienstbezüge ist umstritten. Das BVerfG und die h. L. vertreten die Alimentationstheorie, derzufolge die Dienstbezüge nicht Entgelt für geleistete Arbeit sind (Lohnprinzip), sondern den amtsgemäßen, angemessenen Unterhalt sichern sollen272. Begründet wird die Alimentationstheorie u. a. damit, daß die Dienstbezüge der Beamten gesetzlich festgesetzt sind, bei Innehabung von zwei Ämtern nur eine Besoldung erfolgt, Überstunden des Beamten nicht gesondert vergütet werden273 und der Beamte auf die Dienstbezüge nicht verzichten kann274. Alle diese Folgerungen können aber auch bei Annahme eines öffentlich-rechtlichen Leistungsentgeltes gezogen werden, so daß das Alimentationsprinzip („dienen, nicht verdienen") entbehrlich ist und aufgegeben werden sollte275. Das Alimentationsprinzip könn269 269a 270
271 272
273 274 275
Vgl. § 42 BBesG. Dazu Clemens, ZBR 1980, 269ff. Vgl. § 4 2 III BBesG. Vgl. § 47 BBesG; dazu VO über die Gewährung von Erschwerniszulagen i. d. F. der Bekanntmachung vom 6. März 1987 (BGBl. I, S. 762). Vgl. §§48 ff. BBesG. BVerfGE 8, 14f.; 22, 421; 39, 201; 44, 264; 53, 306; 61, 57; BVerwGE 38, 137; Thiele, DVB1. 1981, 253 ff. — Eingehende Darstellung des Alimentationsprinzips in Vergangenheit und Gegenwart bei Summer / Rometsch, ZBR 1981, 1 ff. Zur Problematik der Gewährung einheitlicher Festbeträge („Sockelbetrag") bei Besoldungsanpassungen vgl. D. Merten, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 349ff. BVerwG ZBR 1971, 88ff. mit Anm. Wilhelm, S. 91 ff.; Wilhelm, ZBR 1969, 229ff. Vgl, § 2 III BBesG. Kritisch dazu auch Wiese, VerwArch 57 (1966), S. 240ff.; a. A.: Thiele, DVB1. 1981, 258. — Battis, BBG, Erl. 1 zu § 83, meint, angesichts der zeitgemäßen Fortentwicklung des Alimentationsprinzips sei die Auseinandersetzung um die Berechtigung dieses Prinzips und damit um die Rechtsnatur der Dienstbezüge ein „unergiebiger Streit um Worte." 55
1. Abschn. III 4 c
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te künftig als Besoldungsprinzip bezeichnet werden ". Die Rechtsprechung unterscheidet neuerdings auch schon zwischen einem „Kernbereich" des Alimentationsanspruches (Besoldung) und seinen Randzonen (wie z. B. Beihilfen im Krankheitsfall, Weihnachtszuwendungen usw.)276; auch soll der Alimentationsgrundsatz nicht für Beamte im Vorbereitungsdienst gelten277. Die Pflicht, den Beamten amtsangemessen zu alimentieren, umfaßt den Beamten und seine Familie; Familie in diesem Sinne ist nicht die eheähnliche (nichteheliche) Lebensgemeinschaft 2772 . Zur Höhe des amtsangemessenen Unterhaltes hat das BVerfG ausgeführt 278 : „ . . . die Dienstbezüge sowie die Alters- und Hinterbliebenenversorgung sind so zu bemessen, daß sie einer je nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung des Amtes und entsprechender Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt gewähren und als Voraussetzung dafür genügen, daß sich der Beamte ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf widmen und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann." Jedoch hat der Gesetzgeber bei Regelungen des Besoldungsrechts „eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit"278". So können durch den Gesetzgeber die Struktur der Besoldungsordnung, des Beamtengehalts und die Zahlungsmodalitäten innerhalb des Rahmens, den die durch Art. 33 V GG garantierte Alimentierungspflicht zieht, jederzeit für die Zukunft geändert werden 278b ; insbes. können Gehaltsbeträge, solange sie nicht an der unteren Grenze einer amtsangemessenen Alimentierung liegen, gekürzt werden. Eine Garantie der Besitzstandswahrung gibt es weder im Besoldungsrecht noch im Versorgungsrecht278c. Jedoch muß der Gesetzgeber den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) beachten278«1.
275a
Summer / Rometsch, ZBR 1981, 20. OVG Münster DVB1. 1975, 308; BVerwG DÖD 1978, 32 ff. 277 OVG Münster DVB1. 1975, 307. Zum (abgelehnten) Anspruch einer Beamtin auf Mutterschaftsgeld vgl. BSG DÖD 1978, 77 f. 277a OVG Berlin ZBR 1981, 278; zustimmend Knüppel, ZBR 1981, 308f. 278 NJW 1977, 1869 ff. (1870). 278a BVerfGE 61, 43ff. (63); BVerfG DVB1. 1986, 138f.; BVerwG NVwZ 1983, 548. Vgl. auch Günther, Die Anpassung der Beamtenbesoldung an die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse, 1987. Zum Rechtsschutz gegenüber dem Besoldungsgesetzgeber: Bethge, Jura 1984, 308ff. 278b BVerfGE 44, 263; 53, 207; BVerwG ZBR 1979, 270. 278c Zur Anrechnung von Rentenansprüchen auf die Versorgungsansprüche (§ 55 BeamtVG) vgl. BVerfG NVwZ 1982, 429; BVerfG ZBR 1988, 23ff.; OVG Lüneburg NVwZ 1983, 109; Fürst / Loschelder, ZBR 1983, lff.; Piagemann, NVwZ 1983, 82 ff. 278d BVerfGE 61, 43 ff. (62 f.). 276
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1. A b S C h n . III 4 C
Die Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter Bezüge ist in den Beamtengesetzen geregelt279, die als Spezialgesetze der allgemeinen Regelung des § 48 II S. 5 — 8 VwVfg vorgehen280. Erfolgte eine Überzahlung deshalb, weil die Besoldung durch Gesetz rückwirkend verschlechtert worden ist, so braucht der Beamte die zuviel gezahlten Beträge nicht zu erstatten. Sind dagegen Überzahlungen aus anderen Gründen erfolgt (z. B. infolge unrichtiger Anwendung des Gesetzes, unrichtiger Ermessensausübung oder infolge von Rechenfehlern), so richtet die Rückforderung sich nach den Vorschriften des BGB über die ungerechtfertigte Bereicherung281. Bei geringfügigen Überzahlungen (z. B. bis 10% des rechtmäßig zustehenden Betrages) sehen Verwaltungsanweisungen zuweilen vor, daß der Wegfall der Bereicherung als offenkundig gilt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind Leistungen auf Grund eines wegen unzutreffender Rechtsanwendung fehlerhaften (aber nicht nichtigen) endgültigen Festsetzungsbescheides nicht ohne rechtlichen Grund erbracht (str.)28la. Eine Kassenanweisung, eine Abschlagszahlung und eine Zahlung unter Vorbehalt sind keine endgültigen Bescheide282. Die Rückforderung zuviel gezahlter Dienstbezüge soll nach Ansicht des BVerwG283 durch Leistungsbescheid möglich sein. Das dürfte ebenso wie bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Dienstherrn 284 nicht unbedenklich sein. Von der Rückforderung zuviel gezahlter Dienstbezüge zu trennen ist die Frage nach der Rückzahlung von Ausbildungskosten nach vorzeitigem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis, wenn der Dienstherr diese Kosten getragen hat (Bsp.: Bundeswehr bildet Berufsoffizier zum Düsenjägerpiloten aus, anschließend geht der Pilot zu privater Fluggesellschaft; Bundespost bildet Fernmeldeaspiranten aus, anschließend geht dieser in die Privatwirt-
279
§ 87 BBG; § 53 B R R G ; § 12 BBesG. Vgl. im einzelnen BVerwGE 8, 261; 30, 296; 32, 228ff.; BVerwG BayVBl. 1980, 568; ZBR 1970, 323; NJW 1962, 266; DÖV 1967, 273; Bad.-Württ. VGH D Ö D 1979, 89; DÖV 1979, 802 (zu diesen beiden Entsch.: von Mutius, VerwArch. 17 [1980], S.413ff.). Bad.-Württ. VGH VB1BW 1983, 309ff.; OVG Münster NVwZ 1983, 108ff., 371 ff. Zur Rückzahlung der Weihnachtsgratifikation beim Ausscheiden eines Beamten s. Henrichs, ZBR 1969, 79ff.; zur Rückzahlung laufender Geldleistungen, die einem Beamtenbewerber aufgrund einer später aufgehobenen einstweiligen Anordnung gewährt wurden BVerwGE 71, 354ff. Zur Verjährung: BVerwGE 66, 256ff. 280 BVerwG ZBR 1983, 206. 281 BayVGH DVB1. 1983, 513f. (514) betr. Ortszuschlag. Zur Prüfungspflicht bei Überzahlungen vgl. BVerwG ZBR 1980, 189. 281 a BVerwGE 8, 264; BVerwG ZBR 1961, 277; a. A.: E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 6 ff. zu § 87. 282 BVerwG ZBR 1961,277. 283 BVerwGE 28, 1 ff.; 29, 310ff.; 37, 314ff. 284 Vgl. unten Abschn. III 5 a. 57
1. Abschn. III 4c
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schaft; Bundespost stellt Beamten unter Fortzahlung der Bezüge für Ausbildung zum Architekten frei, anschließend scheidet der Beamte aus dem Dienst aus284"). Verträge, die durch Finanzierung der Vorbildung den Beamtennachwuchs sichern sollen, sind öffentlich-rechtliche Verträge eigener Art mit beiderseitigen Verpflichtungen 284b . Sofern die Gewährung von solchen Studienförderungsmitteln mit der Auflage verbunden wird, sie bei Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis zurückzuzahlen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit bedingter Rückzahlungsverpflichtung 284c . Die Rechtsprechung sieht in der RückZahlungsverpflichtung keinen Verstoß gegen Art. 3 1, 12 I und 33 V GG, sofern es sich um „Zuwendungen außerhalb einer gesetzlichen Verpflichtung unter Eingehen einer potentiellen RückZahlungsverpflichtung" handelt 285 . Diese Ansicht ist zutreffend, sofern es sich um besondere Ausbildungskosten handelt, denen keine adäquate Gegenleistung von seiten des Beamten gegenübersteht. Dagegen sind Rückzahlungsvereinbarungen unwirksam, in denen der Dienstherr von einem Beamten bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Dienst die während des Vorbereitungsdienstes im Beamtenverhältnis auf Widerruf entstandenen allgemeinen Ausbildungskosten zurückfordert 286 . Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe ist dagegen zulässig2862. Im Falle einer Verletzung oder Tötung eines Beamten geht ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch des Beamten oder seiner Hinterbliebenen gegen den Schädiger (z. B. nach § 823 BGB, § 7 StVG, § 1 RHaftpflichtG, § 33 LuftVG) auf den Dienstherrn über, da dieser während der Dienstunfähigkeit des Beamten weiterhin Dienstbezüge gewährt oder zu Versorgungsleistungen verpflichtet ist. Sinn dieses im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses eintretenden Überganges gesetzlicher Schadensersatzansprüche ist es, dem Schädiger die Lasten aufzuerlegen, für die er verantwortlich ist, und von denen er nicht deshalb freikommen kann, weil der Dienstherr Dienst- und Versorgungsbezüge leisten muß287. Ob im Beamtenrecht ein ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz der Vorteilsausgleichung gilt, aus dem folgt, daß für die Zeit, in der ein Beamter
284
Vgl. unten Abschn. III 5 a. BVerwG DÖV 1987, 292f. 284b BVerwGZBR 1981, 126. 2840 K. Gürtner, ZBR 1981, 274 ff. 285 BVerwGE 40, 237 ff. (239); vgl. auch BVerwGE 30, 65, 77; ZBR 1973, 57 ff. - Gesetzliche Regelung für Berufssoldaten: § 4 6 IV SoldG (dazu: BVerwG ZBR 1977, 287 ff., 321 ff.). 286 BVerwGE 52, 183, auch unter Hinw. auf § 59 V BBesG. Vgl. dazu Brodersen, JuS 1978, 209; Krebs, VerwArch 70 (1979), S. 81 ff. 286a BVerwG DÖV 1987, 72 f. 287 Vgl. § 87a BBG; § 52 BRRG; dazu: BGH NJW 1962, 1961; 1965, 907; OLG Düsseldorf NJW 1965, 205. Ausführlich: Riedmaier, ZBR 1976, 73ff.; Speziell zu Sterbegeld und Beerdigungskosten: BVerwGE 47, 55ff.; BGH NJW 1977, 802f. 284a
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schuldlos keinen Dienst geleistet hat, auf die Dienstbezüge eine anderweitige erzielte Arbeitsvergütung anzurechnen ist, erscheint zweifelhaft 288 . Besondere Formen der Dienstbezüge sind Unterhaltszuschuß 289 , Aufwandsentschädigungen und die Versorgungsansprüche (insbes. Ruhegehalt, Unterhaltsbeitrag, Hinterbliebenenversorgung, Bezüge bei Verschollenheit, Unfallfürsorge, Übergangsgeld) 290 . cc) Einsicht in Personalakten, Dienstzeugnis: Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, ein Recht auf Einsicht in seine vollständigen Personalakten 291 . Der Begriff der Personalakten umfaßt alle den Beamten betreffenden Vorgänge, gleichgültig, wo und wie sie aufbewahrt werden und gleichgültig, ob sie vom Dienstherrn als „Personalakten" gekennzeichnet sind (materieller Personalaktenbegriff, nicht formeller Personalaktenbegriff) 292 . Maßgebend ist also der Inhalt des Vorgangs, nicht die Art seiner Registrierung und Aufbewahrung 292a . Allerdings „betreffen" nur solche Vorgänge den Beamten, die in einem inneren dienstlichen Zusammenhang mit dem Beamtenverhältnis stehen (z. B. dienstliche Beurteilung 293 , Schlußbericht des Untersuchungsführers im Disziplinarverfahren 294 ). Hinsichtlich der Aufnahme von Vorgängen in die Personalakten wird im übrigen unterschieden zwischen Vorgängen, die in die Personalakte aufgenommen werden müssen, und Vorgängen, die in die 288
BVerwGE 31, 253. Zur Möglichkeit der Kürzung: VG Münster NVwZ 1983, 497ff. 290 Vgl. Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz — BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Februar 1987 (BGBl. I, S. 570, ber. 1339); W. Kümmel, Kommentar zum Beamtenversorgungsgesetz, 1977ff.; M. Stegmüller / R. Schmalhofer / E. Bauer, Beamten Versorgungsgesetz, 1976 ff.; Zacher, Die Versorgung der Beamten, Richter und Soldaten, insbesondere die Alters-, Dienstunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung, 1984. 291 Vgl. § 90 BBG, § 56 BRRG. Allgemein vgl. R. Düx, Einsichts- und Korrekturrechte des Beamten in bezug auf seine Personalakten, Diss. Mainz 1976; Wiese, ZBR 1981, 55ff.; R. Geulen, Die Personalakte in Recht und Praxis, 1984; H. Lopacki, Personalaktenrecht der Beamten, Angestellten und Arbeiter des Bundes und der Länder, 1986. 292 BVerwGE 36, 134ff. (137f.); 59, 355ff. (356); Lazik, DÖV 1970, 702. 292a BVerwGE 59, 355 (356); Günther, ZBR 1984, 161. 293 BVerwG DÖV 1977, 132ff. (133). Zur dienstl. Beurteilung allg. R. Schaefer, ZBR 1983, 173ff.; Klinkhardt, Dienstliche Beurteilungen, Beförderungsentscheidungen, Dienstpostenbewertungen, 2. Aufl. 1985; Schellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und Richter, 1986; Günther, DÖD 1987, 123ff.; zur Rechtsnatur (nach — unzutreffender — Ansicht des BVerwG kein Verwaltungsakt sondern tatsächliche Maßnahme): BVerwGE 49, 351 ff.; zum Rechtsschutz: F. Rottmann, ZBR 1983, 77ff. (91 f.); Schroeder-Printzen, RiA 1985, 73ff.; zum Umfang der gerichtl. Nachprüfbarkeit und zum Erlaß von Beurteilungsrichtlinien: BVerwG DÖV 1982, 80ff.; zur Frage der Aufnahme von die Beurteilung vorbereitenden Stellungnahmen verneinend BVerwGE 62, 135ff., m. krit. Anm. Wiese, DVB1. 1982, 193ff. 294 BVerwGE 38, 94 ff. 289
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Personalakte aufgenommen werden können. Zur ersteren Gruppe gehören Vorgänge, die ihrem Inhalt nach den Beamten „in seinem Dienstverhältnis betreffen"; zur letzteren Gruppe gehören Vorgänge, die zwar den Beamten nicht in seinem Dienstverhältnis betreffen, die aber den Beamten persönlich betreffen und bei seiner Dienstbehörde entstanden oder ihr zugegangen sind295. Ob Prüfungsakten zu den Personalakten gehören, ist strittig296. Zur Einsicht in die Personalakten bedarf es keiner Genehmigung des Dienstvorgesetzten, ja nicht einmal des Nachweises eines schutzwürdigen Interesses297; geregelt werden darf lediglich die Art und Weise der Einsicht, d. h. Ort, Zeit und die Anwesenheit eines bestimmten Beamten298. Das Recht auf Einsicht ist ein höchstpersönliches Recht; wenn keine dienstlichen Belange entgegenstehen oder im Falle eines Rechtsstreites zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn kann es aber auch durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden299. Das Recht auf Einsicht besteht nur in bezug auf die eigenen Personalakten. Problematisch ist der Fall, in dem die Einsicht in die eigenen Personalakten zugleich Aufschluß über einen Teil der Personalakten (im materiellen Sinn) anderer Beamter, vor allem also von Mitbewerbern300, enthält; denn für Personalakten gilt der Grundsatz der Geheimhaltung. Jedoch hat das BVerwG entschieden, „aus dem grundsätzlichen Gebot, Personalakten geheimzuhalten, folgt aber nicht zwangsläufig, daß Personalakten stets und bezüglich jedes Teiles ihres Inhalts geheimgehalten werden müßten"; Ausnahmen erkennt das BVerwG vielmehr u. a. dann an, wenn der betroffene Beamte zustimmt oder die Erteilung einer Auskunft daraus in seinem wohlverstandenen Interesse liegt, schließlich dann, wenn „nach den Umständen des Einzelfalles dem schutzwürdigen Interesse des Beamten an der Geheimhaltung ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit oder auch eines Dritten an der Auskunftserteilung gegenübersteht"301. Wie auch sonst beim Datenschutz30,a geht es hier also um Abwägung. 295
BVerwGE 59, 355 (356); vgl. aber auch OVG Rheinl.-Pfalz DÖD 1982, 92f.; kritisch dazu Wiese, ZBR 1981, 59; vgl. auch Bartel, RiA 1985, 254ff.; VGH Bad.-Württ. BWVPr 1986, 104 f. (kein Anspruch des Beamten auf Aufnahme von Schriftstücken in die Personalakte). 296 Verneinend BVerwGE 7, 153ff.; 14, 33; 36, 138; Wiese, Beamtenrecht, S. 212; bejahend Friebe, NJW 1959, 904; Schütz, ZBR 1958, 241 (mit der Einschränkung, die Prüfung müsse beim Dienstherrn abgelegt sein); landesgesetzlich ist die Frage z. T. ausdrücklich geregelt: z. B. § 102 I nordrh.-westf. LBG. Zu Referendarakten als Teil späterer Personalakten: VG Koblenz DÖD 1982, 211 f. m. abl. Anm. Stauf, S. 212. 297 BVerwGE 38, 98; 49, 94. 298 OVG Münster DVB1. 1963, 30. 299 OVG Münster DVB1. 1951, 116; Gerhard Dürig, ZBR 1956, 405; kritisch E. Flog/ A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 12 zu § 90. 300 So der Fall in BVerwGE 49, 89. Vgl. dazu auch BVerwG DVB1. 1984, 53 ff. (mit ausführlicher Erörterung des § 29 I VwVfG); BVerwG DVB1. 1984, 55 ff. 301 BVerwGE 35, 227f. 301a Dazu Kuhla, Datenschutz im Beamten- und Arbeitsverhältnis, 1983. 60
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1. Abschn. III 4c
Vor Aufnahme von Beschwerden und nachteiligen Tatsachenbehauptungen in die Personalakten muß der Beamte gehört werden302. Diese gesetzliche Anhörungspflicht gilt nicht für dienstliche Beurteilungen, Befähigungsberichte und sonstige Werturteile ohne Tatsachenbehauptungen; jedoch gebietet es die Fürsorgepflicht, den Beamten vor einer ungünstigen Beurteilung zu hören303. Befinden sich in den Personalakten unrichtige Angaben, so hat der Beamte einen Anspruch auf Berichtigung oder, wenn der Dienstherr die Berichtigung nur unzulänglich vornimmt oder sie ablehnt, auf Vernichtung304. Befinden sich in den Personalakten Vorgänge, die zwar nicht unrichtig sind, die aber zu Unrecht in die Personalakten aufgenommen wurden, so ist zu unterscheiden: Handelt es sich um Vorgänge, die der Sache nach in die Personalakten hineingehörten, aber unter Verletzung des dem Beamten zustehenden vorherigen Anhörungsrechtes in die Personalakten gelangt waren, so hat der betroffene Beamte wegen des Prinzips der Vollständigkeit der Personalakten nur einen Berichtigungsanspruch305; handelt es sich dagegen um Vorgänge, die schon der Sache nach nicht in die Personalakten gehören und die geeignet sind, dem Beamten Nachteile zuzufügen, so hat der Beamte einen Entfernungsanspruch306. Voraussetzung der Zulässigkeit einer entspr. Klage i. S. des § 126 BRRG ist allerdings, daß das Vorhandensein der Vorgänge in den Personalakten geeignet ist, den Beamten oder früheren Beamten in seinen Rechten zu berühren307. Strittig ist, ob Strafvermerke und Strafregisterauszüge aus den Personalakten entfernt werden müssen, wenn die Strafe im Strafregister getilgt ist308. Nach Beendigung des Beamtenverhältnisses hat der Beamte ein Recht auf Erteilung eines Dienstzeugnisses309. Im Streit über die Richtigkeit des Zeugnisses kann das Verwaltungsgericht Angaben über Art und Dauer der Tätigkeit des Beamten voll nachprüfen, Wertungen über Befähigung und Leistun302 303 304
305 306
307 308
309
Vgl. § 90 S. 2 BBG; § 56 S. 2 BRRG. BGH NJW 1957, 298; VG Koblenz ZBR 1977, 77f. Vgl. § 101 III nieders. BG; BGH ZBR 1961, 317; OVG Lüneburg NJW 1964, 1588. — Zum Anspruch auf Aufnahme einer Gegendarstellung in die Personalakte und zur gerichtlichen Durchsetzung vgl. W. K. Geck/ C. Böhmer, JuS 1973, 101 ff. BVerwG DÖV 1977, 132ff. (133); Schnupp, PersV 1987, 276ff. BVerwGE 59, 355 (357 f.). Zum Verhältnis dieses Anspruchs zum Gebot der Amtshilfe vgl. BVerwGE 50, 301 ff. (310). Zum Problemkreis der Entfernung einzelner Vorgänge aus den Personalakten allg. vgl. Hanusch, NVwZ 1982, 11 ff.; Seilmann, VerwArch. 73 (1982), S. 122ff. BVerwG DÖV 1977, 132 ff. (134). Vgl. dazu BVerwGE 56, 102; Wiese, ZBR 1981, 63ff. - Der Entwurf des sog. BereinigungsG (BT-Drucks. 9/336) sah vor, daß Eintragungen über strafgerichtl. Verurteilungen u. ä. mit Zustimmung des Beamten nach 3 Jahren zu tilgen sind, wenn diese Eintragungen keinen Anlaß zu disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegeben haben. Vgl. § 92 BBG. 61
1. Abschn. III 4d
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gen des Beamten dagegen nur nach den Grundsätzen über die Nachprüfung von Prüfungsentscheidungen 310 . d) Grundrechte im Beamtenverhältnis: Von den speziellen Beamtenrechten ist die Frage zu trennen, inwieweit der Beamte sich auf die allen Bürgern zustehenden Grundrechte berufen kann 3l0a . aa) Geltung der Grundrechte: Die Grundrechte gelten auch im Beamtenverhältnis, jedoch kann ihre Ausübung eingeschränkt werden. Rechtsgrund dieser Einschränkung war nach einer früher vertretenen Ansicht ein in der Freiwilligkeit des Eintritts in das Beamtenverhältnis gesehener Verzicht, nach neuerer Auffassung die Institutionalisierung des Beamtentums im GG (Art. 33 IV, V)311. Das BVerfG hat (für den Strafvollzug) entschieden, daß Grundrechte auch im sog. Besonderen Gewaltverhältnis nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können 312 . Da das Beamtenrecht wie kaum ein anderes Rechtsgebiet durch Gesetze und Verordnungen durchkodifiziert ist, liegt eine rechtliche Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten der Beamten meist vor. Jedoch kann sich die Frage stellen, ob die betreffende Rechtsnorm das Ausmaß der Einschränkung deckt. Das Ausmaß dieser Einschränkung ist für die einzelnen Grundrechte verschieden. Jedenfalls aber darf die Einschränkung nicht weiter gehen, als Sinn und Zweck des Beamtenverhältnisses dies unabweislich fordern 3123 . Das wiederum bedeutet, daß das Maß der Einschränkung unterschiedlich sein kann je nachdem, um was für eine Art von Beamtenverhältnis es sich handelt (z. B. Lehrer313, Polizeibeamter, Steuerbeamter, Richter3133), und je nachdem, wel310
Dazu BVerwGE 12, 34; 21, 130. Dazu ausführlich G K Ö D I, Rz. 5ff. der Vorb. zu §§ 55ff. BBG und Wagner, RiA 1986, 130ff. — Allg. und umfassend zur Institutionalisierung der engeren Staat/ Bürger-Beziehungen: W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982; Thiele, ZBR 1983, 345ff. 311 Dazu und zum folgenden: Ule, GRe IV/2, S. 615ff.; Schick, ZBR 1963, 67ff.; Wolff / Bachof / Stober, VwR II, § 107 III c; Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. VerwR, Rz. 28 ff. 312 BVerfGE 33, 1 ff. Vgl. auch von Münch, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 3 II 2; Schnapp, ZBR 1977, 208ff.; Erichsen, VerwArch 71(1980), S. 437; D. Merten (Hrsg.), Das besondere Gewaltverhältnis. Vorträge des 25. Sonderseminars 1984 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1985. 3l2a Vgl. nur BVerfGE 19, 303 (322); 39, 334 (366f.); BVerwGE 42, 79ff. mit kritischer Anm. Schwabe, NJW 1973, 1818. 313 Vgl. Hemmrich, Die Einschränkung der Grundrechte bei Lehrern, Diss. Bochum 1970; Hantke, Meinungsfreiheit des Lehrers, 1973; Alberts, NVwZ 1985, 92ff. HmbOVG DVB1. 1985, 456 ff. - Verbot der baghwantypischen Kleidung bei Lehrern; dazu auch VG München BayVBl. 1985, 248 f. 313a Vgl. dazu z. B. Zacherl, AuR 1985, 14ff.; Kasten / Rapsch, JR 1985, 311 ff.; Dietrich, RdA 1986, 2ff.; Sendler, NJW 1984, 689ff.; Achterberg, NJW 1985, 3041 ff.; Dutz, JuS 1985, 745ff.; Berglar, Z R P 1984, 4ff. 3IOa
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1. Abschn. Ill4d
chen Dienstrang der betreffende Beamte in diesem Beamtenverhältnis bekleidet. Im übrigen ist eine Berufung auf Grundrechte innerhalb des Dienstes zwar nicht ausgeschlossen (z. B. bei Weisungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen), wird aber selten praktisch314. Die Berufung auf Grundrechte hat vielmehr ihren Hauptanwendungsbereich dort, wo es um das Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes geht. Die frühere Auffassung, der Beamte sei immer im Dienst315, ist aufgegeben; der zeitgemäßen Auffassung entspricht es, „daß die Eingriffe in die Privatsphäre auf ein unerläßliches Mindestmaß beschränkt bleiben sollen"316. bb) Einzelne Grundrechte: Das Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 I, II GG) wird durch das Beamtenverhältnis nicht gesondert eingeschränkt 317 ; so ist z. B. die Werbung für die Zeugen Jehovas durch Hausbesuche eines Polizeimeisters außerhalb der Dienstzeit und nicht in Uniform zulässig318, unzulässig dagegen eine Werbung für einen bestimmten Glauben (religiöse Propaganda) oder eine Abwerbung (antireligiöse Propaganda) durch einen Lehrer im Schulunterricht3183. Kein Verstoß gegen Art. 4 I GG liegt in der Pflicht des Beamten zur Verfassungstreue3181". Problematisch ist die Entscheidung des VG Freiburg318c, wonach Zweifel an der Verfassungstreue einer Lehrerin berechtigt sein sollen, die sich weigerte, eine vorgelegte Erklärung zur Verfassungstreue zu unterschreiben, weil sie ein allgemeines Versprechen unbedingter und uneingeschränkter Treue nur gegenüber Gott, nicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung kenne. Das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 I S. 1 GG) wird durch die „allgemeinen Gesetze" beschränkt (Art. 5 II GG). „Allgemeine Gesetze" sind auch die Beamtengesetze, z. B. die Bestimmungen über die Amtsverschwiegenheit und die Bestimmungen über die Mäßigung und Zurückhaltung bei
314
VG Bremen NJW 1978, 66 f. m. krit. Anmerkung von Münch (S. 67 f.) und zust. Anmerkung Meyn (S. 657f.); Meyn nimmt unzutreffend eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 I GG) an, wenn dienstliche Ferngespräche nach Tel.-Nr., Datum, Uhrzeit und Gebührenhöhe registriert werden; zutreffend OVG Bremen NJW 1980, 606; dazu Erichsen, VerwArch 71 (1980), S. 429 ff. (436); BVerwG NJW 1982, 840. 315 PrOVG JW 1927, 2867; B D H E 1, 25. 316 B D H E 7, 94. 317 Ule, GRe IV/2, S. 630. Vgl. auch Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, 1969; ders., JuS 1968, 120ff. Zu Gewissensfreiheit und Ausrüstung (weiblicher) Kriminalbeamter mit Dienstwaffen vgl. BVerwG ZBR 1979, 202. 318 BVerwG E 30, 29 ff. 318a von Münch, in: v. Münch, G G K I, Rdnr. 21 - 23 zu Art. 4. 318b BVerwGE 47, 330, 365; 52, 313. 3 1 8 C N J W 1981, 2829 mit abl. Anm. Fertig. Kritisch dazu auch Pieroth / Schlink, JuS 1984, 345 ff. 63
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1. A b s c h n . III 4cd 319
320
politischer Betätigung . Bei der politischen Betätigung ist im übrigen zu unterscheiden: Politische Meinungsäußerungen innerhalb des Dienstes sind nur als privates, die Arbeitsleistung und das Betriebsklima nicht beeinträchtigendes Gespräch unter Kollegen zulässig, nicht dagegen als planmäßige Agitation und nicht gegenüber Dritten. Rechtlich zulässig ist daher z. B. das an Lehrer gerichtete Verbot, im Unterricht Plaketten mit politischen Slogans zu tragen3203. Politische Meinungsäußerungen außerhalb des Dienstes sind grundsätzlich zulässig, jedoch in der Form beschränkt (Mäßigungspflicht)i20b, im Inhalt dagegen nur, soweit die Treuepflicht (Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung) eingreift3200. Unzulässig ist ein für eine ganze Beamtenkategorie, wie z. B. die Bereitschaftspolizei321, ausgesprochenes Verbot parteipolitischer Betätigung. Von besonderer Bedeutung ist die Pflicht zur Verfassungstreue (Stichwort: Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst*21"). Gem. § 4 I Nr. 2 BRRG, § 7 I Nr. 2 BBG und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer „die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". Diese Gesetzeslage zieht die Konsequenz aus der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Ausgestaltung des öffentlichen Dienstes als „öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis" (Art. 33 IV GG; vgl. auch Art. 5 III S. 2 GG). Die vom Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossenen „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst" von 197 2322 (Radikalen-Erlaß"), wonach begründete Zweifel an der 319
Dazu und zur freien Meinungsäußerung von Angehörigen des öffentl. Dienstes allg. Herzog, in: Maunz/Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 106ff. zu Art. 5; Koester, ZBR 1981, 210ff.; Lisken, NJW 1980, 1503f.; Lohse, VerwRdschau 1979, 257ff.; von Münch, ZBR 1959, 305ff.; M. Kuschka, KritJ 1985, 43ff. 320 Dazu BVerwG DVB1. 1974, 463; Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, 1967; Frowein, Die politische Betätigung der Beamten, 1967; K. Kröger, AöR 88 (1963), S. 121 ff.; Lüthje, ZBR 1968, 233 ff.; Niethammer-Vonberg, Parteipolitische Betätigung der Richter, 1969; B. Wilhelm, ZBR 1968, lff.; Thiele, PersV 1987, 183ff.; H. Zwirner, Politische Treuepflicht des Beamten, 1987. 320a Zutreffend VG Hamburg, NJW 1979, 2164; Behrend, ZBR 1979, 198 ff. (200); Ebel, DÖV 1980, 437ff. (mit Begründung aus Art. 3 GG); a. A.: VG Berlin NJW 1979, 2629. Vgl. dazu auch von Münch, ZBR 1981, 157ff. (163f.). Zum Verteilen von schulbezogenen Flugblättern vor einer Schule: VG Berlin NJW 1982, 1113ff. 320bVgi d a z u v G H Mannheim NJW 1983, 1215 ff.; weitere Rechtsprechungshinweise bei Lecheler, JZ 1987, 448 ff. (448 f.). 320c Dazu Schmidt-Vockenhausen, JuS 1985, 524ff.; Seuffert, DVB1. 1983, 68ff. 321 a. A.: BayVerfGH DÖV 1966, 95; Frowein, a. a. O., S. 34. 321a Dazu allg. H.-H. Schräder, Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, 1985. 322 Vom 28. Januar 1972, abgedr. in Bulletin Nr. 15 vom 3. Februar 1972, und in BVerfGE 39, 366. 64
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1. A b s c h n . III 4 d
Verfassungstreue eines Bewerbers seine Ablehnung rechtfertigen, stellen also nur das geltende Recht dar. Nach geltendem Recht regelungsbedürftig ist also nur das Verfahren zur Feststellung mangelnder Verfassungstreue 323 . Verfahrensgrundsätze enthalten die Beschlüsse der BReg. betr. den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Verfassungstreueprüfung im öffentlichen Dienst vom 14. November 1978323a und die Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue in der Neufassung vom 17. Januar 1979 323b ; untersagt werden dadurch u. a. Routineanfragen bei der Verfassungsschutzbehörde sowie die Weitergabe von Erkenntnissen, die die Tätigkeit des Bewerbers vor Vollendung des 18. Lebensjahres betreffen, sofern sie nicht Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens sind. Die politische Diskussion der Extremistenbeschlüsse ist nicht frei von Heuchelei: Gegner der Extremistenbeschlüsse haben nichts dagegen, wenn die Beschlüsse sich ausschließlich gegen ihre politischen Gegner richten würden, kritisieren aber die Extremistenbeschlüsse, wenn diese sich gegen sie selbst richten323'. Die bisherige Praxis hat zu einer kaum noch übersehbaren Flut von Gerichtsentscheidungen und Äußerungen im wissenschaftlichen Schrifttum geführt 324 . Soweit eine Verfassungswidrigkeit behauptet wird, kommt dieser 323
Diesbezügliche Gesetzentwürfe der BReg und des Bundesrates (BTags-Drucks. 7/2433, 7/2432, 7/4187; dazu Schick, ZBR 1975, 1 ff., sowie die Beratungen im BTag, BTags-Drucks. 7/13538 - 13598) sind gescheitert (BTags-Drucks. 7/4801). 323a Bulletin Nr. 131 vom 18. November 1978, S. 1221 ff. 323b Bulletin Nr. 6 vom 19. Januar 1979, S. 45 ff. 323c Vgl. von Münch, ZBR 1981, 162. 324 Vgl. BVerwGE 61, 176 ff. (zum Umfang der verwaltungsgerichtl. Überprüfung der Eignungsbeurteilung hinsichtl. der Gewähr der Verfassungstreue, zur Beweislast u. zum „Summeneffekt"); BVerwGE 61, 200ff.; 62, 280ff. (zur Entlassung eines Beamten auf Probe); BVerwG ZBR 1980, 89f. (zu Rückschlüssen auf die Verfassungstreue aus Mitgliedschaft in verfassungsfeindlicher Partei); BVerwG ZBR 1980, 90f. (zur Sicherheitsüberprüfung); BVerwG ZBR 1980, 119ff. (Unbeachtlichkeit einer Kandidatur zu Parlamentswahl; keine Pflicht zur Beiladung der polit. Partei); BVerwG ZBR 1983, 181 (Nichtbeantwortung der Frage nach Mitgliedschaft); BVerwG NJW 1982, 784 (Vorbereitungsdienst, Beamtenverhältnis auf Widerruf); BDG ZBR 1980, 278ff. (zum „Minimum an Evidenz" und zum Disziplinarmaß); BGH NJW 1979, 2041 ff. (keine Amtspflichtverletzung bei Einstellungsverzögerung durch Überprüfung). Aus dem Schrifttum vgl. z. B. Battis, BBG, Erl. 3 zu §7; J. Claußen, ZBR 1980, 8ff.; E. Denninger/H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 7ff., 43fT.; Kriele, NJW 1979, lff. (zum Spielraum für Liberalisierung); J. Linck, ZBR 1979, 129ff. (u. a. zu jugendl. Bewerbern); K. G. Meyer-Teschendorf, ZBR 1979, 261 (zur Amtshilfe durch den Verfassungsschutz); Schick, NVwZ 1982, 161 ff.; Schoch, NJW 1982, 545; (zum Rechtsbeistand beim Einstellungsgespräch); Kunig, ZBR 1986, 253ff. (256); R. Scholz, in: Fs. f. Broermann, 1982, S. 409ff.; Stern, Zur Verfassungstreue der Beamten, 1974; H. Weiler, Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, 1979 (Dokumentation); Rothmann, ZRP 1984, 87ff. (zur Liberalisierung des Disziplinarrechts). Umfangreiche Hinw. auch bei Stern, StaatsR I, S. 371 f. 65
1. Abschn. III 4 d
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Vorwurf aus zwei einander entgegengesetzten Richtungen: Die eine Seite begründet die Verfassungswidrigkeit mit einem Verstoß gegen Art. 3 III, 5 I, 12 I, 21 II S. 1 und 33 II GG 325 , während die andere Seite die Verfassungswidrigkeit darin erblickt, daß „der notwendige Schutz des öffentlichen Dienstes vor dem Eindringen von Verfassungsfeinden nicht mehr ausreichend gewährleistet" sei326. Das BVerfG327 teilt diese Bedenken nicht und begründet dies mit der besonderen Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Staat und seiner Verfassung (Art. 33 V, 33 IV, 5 III S. 2 GG). Die Grundentscheidung des GG für eine wehrhafte Demokratie (Art. 2 I, 9 II, 18, 20 IV, 21 II, 79 III, 91, 98 II GG) „schließt es aus, daß der Staat, dessen verfassungsmäßiges Funktionieren von der freien inneren Bindung seiner Beamten an die geltende Verfassung abhängt, zum Staatsdienst Bewerber zuläßt und im Staatsdienst Bürger beläßt, die die freiheitliche demokratische, rechts- und sözialstaatliche Ordnung ablehnen und bekämpfen" 328 . Bis zu diesem Punkt wird man dem BVerfG ohne weiteres folgen können. Problematisch ist aber, wann eine Verletzung der Pflicht zur Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder die Besorgnis einer solchen Verletzung vorliegt, insbesondere ob die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen, aber nicht verbotenen Partei oder Vereinigung dafür ausreicht oder als eines von mehreren Indizien gewertet werden kann. Nach Ansicht des BVerfG wird die Entscheidungsfreiheit des Dienstherrn bei der Anwendung der beamtenrechtlichen Vorschriften, die die politische Treuepflicht des Beamten näher regeln, durch Art. 21 GG nicht eingeschränkt, weil Art. 33 V GG in einem anderen rechtlichen Zusammenhang als Art. 21 GG steht: „Art. 33 Abs. 5 GG fordert vom Beamten das Eintreten für die verfassungsmäßige Ordnung, Art. 21 Abs. 2 GG dagegen läßt dem Bürger die Freiheit, diese verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es innerhalb einer Partei, die nicht verboten ist, mit allgemein erlaubten Mitteln tut." Diese Zwei-Ebenen-Theorie läßt sich begründen, jedoch enthebt sie nicht des Nachweises, daß die Partei oder Vereinigung, der der Beamte oder Bewerber angehört, auch wirklich verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Nur wenn dies offenkundig ist (wie z. B. wenn die Teilnahme an einer Landtagswahl als „Mittel" bezeichnet wird, „die Notwendigkeit des bewaffneten Aufstandes zu propagieren")32811 und wenn sich — wovon aller-
325
Vgl. Abendroth u. a., Blätter f. deutsche u. internat. Politik 1972 H. 2, S. 125 ff. Vgl. G. Arndt, ZBR 1975, 33 ff., 37. 327 BVerfGE 39, 334ff.; vgl. auch BVerwG NJW 1982, 779ff. 328 BVerfGE 39, 334 (349). Vgl. auch Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, 1982. 328a Vgl. OVG Hamburg NJW 1974, 1523 (1524) - K P D M / L . Zur Verfassungsfeindlichkeit der D K P vgl. BVerwGE 73, 263 ff., zur Verfassungsfeindlichkeit der N P D vgl. BVerwGE 61, 194 ff. (197 f.). 326
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dings im Regelfall ausgegangen werden muß - das Mitglied mit den Zielen seiner Partei bzw. Vereinigung identifiziert, liegt eine Verletzung bzw. Besorgnis der Verletzung der beamtenrechtlichen Treuepflicht vor328b. In diesem Fall kann der Beamte bzw. Bewerber sich nicht darauf berufen, daß seine Organisation nicht verboten ist; denn die Mitgliedschaft in einer Partei oder Vereinigung ist ebensowenig ein Privilegierungsgrund wie ein Disqualifikationsgrund für den öffentlichen Dienst. Ein schuldhafter Verstoß gegen die Treuepflicht verlangt nach Ansicht des BVerwG die disziplinarische Höchststrafe, nämlich die Entfernung aus dem Dienst3280. Mit dem geltenden Recht unvereinbar ist eine Unterscheidung zwischen sicherheitsempfindlichen Bereichen (z. B. Polizei, Staatsanwaltschaft) und nichtsicherheitsempfindlichen Bereichen (z. B. Lehrer) oder zwischen hoheitlichen und nichthoheitlichen Funktionen328d. Die auf den Erfahrungen in der Zeit der Weimarer Republik mit deren selbstmörderisch tolerantem Verhalten gegenüber nationalsozialistischen Verfassungsfeinden 329 im öffentlichen Dienst beruhende Regelung des § 4 I Nr. 2 BRRG und die entsprechenden Bestimmungen des BBG und der Landesbeamtengesetze enthalten jedenfalls keine solche Differenzierung, durch die Beamte 1. und 2. Klasse geschaffen würden. Die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III S. 1 GG) steht auch dem beamteten Wissenschaftler zu 329a ; jedoch entbindet die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung (Art. 5 III S. 2 GG)329b. In ausländischen Staaten wird ebenfalls Verfassungstreue im öffentlichen Dienst verlangt; diesbezügliche Maßnahmen unterliegen dort einer erheblich geringeren gerichtlichen Kontrolle als in der Bundesrepublik Deutsch-
328b
So BVerwGE 76, 157 ff. für die Übernahme von Parteiämtern in der DKP; BVerwG ZBR 1986, 202ff. in einem vergleichbaren Fall für die NPD; für die Übernahme des stellvertretenden Landesvorsitzes und die Mitgliedschaft im Bundesvorstand der „Deutschen Friedens-Union" vgl. OVG Koblenz NVwZ 1986, 403 ff. 328c BVerwGE 76, 157ff.; BVerwG ZBR 1986, 202ff. Die EMRK steht dem nicht entgegen: EGMR im Fall Glasenapp, EuGRZ 1986, 497 ff. und im Fall Kosiek, EuGRZ 1986, 509ff. Vgl. auch Däubler, DVB1. 1983, 68ff. 328d Vgl. BVerfGE 39, 334 (335): Die Treuepflicht ist „einer Differenzierung je nach Art der dienstlichen Obliegenheiten nicht zugänglich." Vgl. auch BVerwGE 52, 333; BDG ZBR 1980, 284; H.J. Becker, ZBR 1982, 262; Kriele, NJW 1979, lff. (5); Kröger, ZRP 1982, 161 ff.; von Münch, ZBR 1981, 157ff. (161); R.Scholz, ZBR 1982, 161 ff.; für eine Differenzierung eintretend H.-H. Schräder, Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, 1985. 329 Vgl. dazu Morsey, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 111 ff.; Schmahl, Disziplinarrecht und politische Betätigung in der Weimarer Republik, 1977. 329a Vgl. BVerwGE 52, 313ff. (331); Erichsen, VerwArch 71 (1980), S. 429ff. (438). 329b Vgl. BVerwGE 61, 200 ff. (206); weit. Hinw. bei von Münch, GGK I, Rdnr. 77 zu Art. 5. 67
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329c
land . Die Kampagne in den kommunistischen Staaten gegen die sog. „Berufsverbote" ist angesichts der dortigen Praxis des Umganges mit politischen Gegnern pure Heuchelei. Das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 I GG) hat früher bei der Frage der Zulässigkeit des Heiratsverbotes für Beamte der Bereitschaftspolizei eine Rolle gespielt330. Eine Zölibatsklausel für Beamte ist generell verfassungswidrig, doch bleibt eine etwa bestehende und sachlich gerechtfertigte Pflicht zum Wohnen in Gemeinschaftsunterkunft (also eine gesteigerte Residenzpflicht) davon unberührt. Die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit des Beamten (Art. 8, 9 GG) sind ebenfalls nur insoweit einschränkbar, als dies nach Sinn und Zweck des Beamtenverhältnisses erforderlich ist331. Deshalb verstoßen Protestversammlungen und Schweigemärsche außerhalb der Dienstzeit332, z. B. wegen unzulänglicher Besoldung, nicht schon an sich — d. h. wenn nicht besondere Umstände, etwa der Form, hinzukommen — gegen die Beamtenpflichten. Neben der positiven und negativen Vereinigungsfreiheit steht den Beamten auch die Koalitionsfreiheit zu, die von Art. 9 III S. 1 GG für alle Berufe — also auch für den öffentlichen Dienst — gewährleistet ist333; die einschlägigen Vorschriften in den Beamtengesetzen334 sind deshalb nur deklaratorischer Natur. Geschützt ist sowohl die positive und negative individuelle als auch die kollektive Koalitionsfreiheit; ein Beamter darf wegen Betätigung für seine Gewerkschaft oder seinen Berufsverband weder dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt noch bevorzugt werden; der Dienstherr darf aber auch keine normativen oder tatsächlichen Verhältnisse schaffen, die den Beamten veranlassen können, sich gegen seine Überzeugung einer bestimmten Koalition anzuschließen oder darin zu verbleiben335. Nach Ansicht des BVerfG ist die gewerkschaftliche Werbung vor Personalratswahlen grundsätzlich auch in
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335
68
Dazu K. Doehring u. a., Verfassungstreue im öffentlichen Dienst europäischer Staaten, 1980; Böckenförde / Tomuschat / Umbach (Hrsg.), Extremisten und öffentlicher Dienst. Rechtslage und Praxis des Zugangs zum und der Entlassung aus dem öffentlichen Dienst in Westeuropa, USA, Jugoslawien und der EG, 1981; rechtsvergleichend G. P. Boventer, Grenzen politischer Freiheit im demokratischen Staat, 1985. Dazu: BVerwGE 14, 21 ff. Dazu Herzog, in: Maunz/Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 88 zu Art. 8; von Münch, BK, Rdnr. 34 zu Art. 8 u. Rdnr. 98 zu Art. 9; Ule, GRe IV/2, S. 634 ff. Weder aus Art. 5 I noch aus Art. 8 I ergibt sich ein Anspruch auf Sonderurlaub zwecks Teilnahme an einer politischen Demonstration während der Dienstzeit, BVerwGE 42, 79; von Münch, GGK I, Rdnr. 30 zu Art. 8. BVerwGE 59, 48 (54f.). § 91 I, II BBG; § 57 BRRG. - Dazu K. Dammann / M. Kutscha, PersV 1977, 47ff. (53ff.); von Münch, BK, Rdnr. 187 zu Art. 9; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 1 zu § 91; Ule, GRe IV/2, S. 636. Hess. VGH DVB1. 1974, 425 ff., 429.
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. Ill4d
der Dienststelle und während der Dienstzeit verfassungsrechtlich geschützt: jedoch können Tätigkeiten der Koalitionen im Bereich des Personalvertretungswesens für unzulässig erklärt werden, „die die Dienstausübung, die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und Pflichten und die Ordnung in der Dienststelle beeinträchtigen würden", und bestimmten Personen, etwa dem Leiter der Dienststelle, kann eine Beschränkung der gewerkschaftlichen Werbetätigkeit vor Personalratswahlen auferlegt werden336. Die Bereitschaft zum Arbeitskampf ist zwar eine koalitionsgemäße, aber keine für den Koalitionsbegriff notwendige Betätigung337. Deshalb wird die Gewährung der beamtenrechtlichen Koalitionsfreiheit nicht dadurch sinnlos, daß den Beamten kein Streikrecht zusteht. Die Unzulässigkeit des Beamtenstreiks wird von Rechtsprechung 338 und Schrifttum 339 zu Recht vertreten. Einem Streikrecht der Beamten stehen nicht nur die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 V GG) und die Treuepflicht entgegen, sondern auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I; 28 I S. 1 GG); denn der öffentliche Dienst in der Bundesrepublik Deutschland 340 erbringt Leistungen, die zumeist nicht ersetzbar oder austauschbar sind, so daß ein Streik im öffentlichen Dienst nicht nur die Allgemeinheit insgesamt extrem belastet, sondern gerade die sozial schwachen Schichten des Volkes besonders hart trifft. Der sog. „Dienst nach Vorschrift" in Form des Bummelstreiks (go slow) und die organisierte gehäufte Krankmeldung (go sick) — sog. streikähnliche Maßnahmen — sind nach Intention und Wirkung ein Streik, so daß auch sie unzuläs-
336 337
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BVerfGE 19, 321; Söllner, JZ 1966, 404ff. Vgl. auch BVerfGE 28, 313. BVerfGE 18, 27ff. gegen BAGE 12, 184; weitere Hinweise bei von Münch, BK, Rdnr. 131 zu Art. 9. BVerfGE 8, lff. (17); 19, 303ff. (322); 44, 249ff. (264); BVerwGE 53, 330ff. (331); 63, 293ff. (300); BGH JZ 1978, 239ff. (240); Hess. VGH DVB1. 1977, 737ff. (739); Disz.H. beim OVG Bremen DuR 1973, 427ff. m. Anm. Däubler, S.429ff.; OVG Münster DVB1. 1974, 476; OVG Berlin PersV 1986, 283ff. m. Anm. Weiß, 288ff. Vgl. die Hinweise bei Isensee, Beamtenstreik, 1971; von Münch, BK, Rdnr. 193 zu Art. 9, und Rechtsgutachten zur Frage eines Streikrechts der Beamten, 1970, und ZBR 1970, 371 ff.; Hanau, JuS 1971, 120ff.; W. Reuss, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 417ff.; W. Weber, in: Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975, S. 199ff.; Badura, Staatsrecht, 1986, S. 154. Dagegen a. A.: R. Hoffmann, AöR 91 (1966), S. 141 ff.; Blanke/Sterzel, Beamtenstreikrecht, 1980. Differenzierend Benz, Beamten Verhältnis und Arbeitsverhältnis, 1969, S. 128 ff.; Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst, 2. Aufl. 1971; Ramm, Das Koalitionsund Streikrecht der Beamten, 1970; Ramm, JZ 1977, 737ff.; Schnapp, Beamtenstatus und Streikrecht, 1972. — Rechtsvergleichend (USA — Bundesrepublik) Löwisch, Zulässiger und unzulässiger Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, 1980. Weitere Hinw. zu beiden Auffassungen bei Stern, StaatsR I, S. 373. Zum Streikrecht der Beamten und sonstigen Bediensteten der EG: A. Weber, ZBR 1978, 326ff. (zulässig); H. Kitschenberg, ZBR 1979, 144ff. (unzulässig). Zum Ganzen: G. Leistner, DVB1. 1975, 28lff.; vgl. auch die Gegenüberstellung der einzelnen Argumente bei Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Rz. 42. 69
1. Abschn. III 5a
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341
sig sind . Da den Beamten das Streikrecht nicht zusteht, ist der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht aber besonders verpflichtet, auf eine gerechte Besoldung zu achten 342 . Bemerkenswert ist schließlich, daß die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse zu beteiligen sind 343 , also bei der Vorbereitung von diesbezügl. Gesetzen gehört werden müssen. Eine Einschränkung der Freizügigkeit (Art. 11 I GG) ergibt sich aus der Residenzpflicht des Beamten 3433 . Die stark gelockerte Form dieser Pflicht nach dem geltenden Recht beinhaltet nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit 343b und begegnet deshalb keinen Bedenken. Verfassungsrechtlich zulässig ist auch die Regelung in § 29 I Nr. 2 BBG 343c , wonach ein Beamter zu entlassen ist, wenn er ohne Zustimmung seiner obersten Dienstbehörde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland nimmt; denn das Erscheinen des Beamten in seiner Dienststelle kann nicht in das Belieben eines auswärtigen Staates (Öffnung oder Schließung von Grenzübergängen) gestellt werden. 5. Vermögensrechtliche Haftung des Beamten Eine vermögensrechtliche Haftung des Beamten auf Schadensersatz kann — je nachdem, ob nur der Dienstherr (Eigenschaden) oder auch ein außenstehender Dritter geschädigt wurde — sich ergeben entweder im Innenverhältnis, d. h. gegenüber dem Dienstherrn, oder im Außenverhältnis, d. h. gegenüber dem Dritten; die Schädigung eines Dritten kann aber, wenn der Dienstherr Schadensersatz leistet, zugleich auch zu einer Haftung gegenüber dem Dienstherrn führen. a) Unmittelbare Schädigung des Dienstherm: Das BBG und die entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze trennen zwischen Pflichtverletzungen bei privatrechtlicher Tätigkeit und Amtspflichtverletzungen in 341
BVerwG NJW 1978, 178ff. (179); NJW 1980, 1809; DVB1. 1980, 500; BGH JZ 1978, 239ff. (240); BDiszG NJW 1975, 1905f. (1906) - alle zum Bummelstreik der Fluglotsen (zu dessen staatshaftungsrechtl. Folgen vgl. BGH JZ 1977, 718; OLG Köln NJW 1976, 295); Stern, StaatsR I, S. 373. Zum Dienst nach Vorschrift allg.: Isensee, JZ 1971, 73ff.; Weiß, ZBR 1973, 221 ff. 342 Vgl. dazu Seidel, DVB1. 1974, 141 ff., insbes. S. 147. 343 Vgl. §94 BBG; §58 BRRG. Zur Rechtsfolge einer unterbliebenen Beteiligung: BVerwGE 59, 48 ff. 343a Vgl. §74 I BBG; §92 bad.-württ. LBG; Art. 82 bayer. BG; §37 berl. LBG; §73 brem. BG; §78 hamb. BG; §87 hess. BG; §82 nieders. BG; §80 nordrh.-westf. LBG; § 82 rheinl.-pfälz. LBG; § 89 saarl. BG; § 90 schlesw.-holst. LBG. 343b Battis, BBG, Erl. 1 zu § 74; Kunig, in: von Münch, G G K I, Rdnr. 20 zu Art. 11. 343c In den Ländern: § 40 I Nr. 2 bad.-württ. LBG; Art. 39 I Nr. 2 bayer. BG; § 64 I Nr. 2 berl. LBG; § 36 I Nr. 2 brem. BG; § 33 I Nr. 2 hamb. BG; § 39 I Nr. 2 hess. BG; § 3 6 1 Nr. 2 nieders. BG; § 3 2 1 Nr. 2 nordrh.-westf. LBG; §38 1 Nr. 2 rheinl.-pfälz. LBG; § 44 I Nr. 2 saarl. BG; § 40 I Nr. 2 schlesw.-holst. LBG. 70
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. III 5 b
Ausübung eines dem Beamten anvertrauten öffentlichen Amtes344. In beiden Fällen haftet der Beamte jedoch für unterschiedliches Verschulden, wobei das Verschulden sich in beiden Fällen nur auf die Pflichtverletzung, nicht auf den damit in adäquatem Kausalzusammenhang stehenden Schaden bezieht. aaj Privatrechtliche Tätigkeit: Verletzt ein Beamter bei privatrechtlicher Tätigkeit, also im nichthoheitlichen (fiskalischen) Bereich die ihm gegenüber seinem Dienstherrn obliegenden Pflichten (z. B. die Pflicht zu pfleglicher Behandlung von Staatseigentum), so hat er dem Dienstherrn den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen (Bsp.: Beschädigung eines Dienstwagens auf Privatfahrt, etwa beim Ausflug des Richtervereins zum Kegeln, ohne daß ein Dritter geschädigt wird). Der Beamte haftet hier für Vorsatz und jede — also auch leichte — Fahrlässigkeit345. bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes: Hat der Beamte dagegen die Pflichtverletzung in Ausübung (nicht bei Gelegenheit) eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes begangen (Bsp.: Beschädigung eines Dienstwagens auf Dienstfahrt, ohne daß ein Dritter geschädigt wird), so haftet er nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit: sog. Haftungsprivileg bei Tätigkeit im hoheitlichen Bereich346. Die unterschiedliche Regelung der Haftung bei hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit kann zu unverständlichen Folgen führen: Zahlt ein beamteter Kassenleiter versehentlich zuviel Bezüge an einen Beamten, so haftet er — weil dies hoheitliche Tätigkeit ist — nur bei grober Fahrlässigkeit; leistet er die Überzahlung versehentlich an einen Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, so haftet er — weil dies eine Erfüllung von Dienst- und Arbeitsverträgen, also nichthoheitliche Tätigkeit ist — für jede Fahrlässigkeit347. Das BVerwG hat dazu festgestellt: „Die unterschiedliche haftungsrechtliche Behandlung von wesentlich gleichartigen und gleichwertigen Tätigkeiten wird mit Recht als unbefriedigend empfunden. Sie zu beseitigen ist jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten." 348 b) Mittelbare Schädigung des Dienstherm: Schädigt der Beamte bei privatrechtlicher Tätigkeit oder in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes einen Dritten, so regelt sich die Haftung gegenüber dem Dritten nach den allgemeinen Regeln349. 344
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§ 78 I BBG; § 96 bad.-württ. LBG; Art. 85 bayer. BG; § 41 berl. LBG; § 77 brem. BG; § 82 hamb. BG; § 91 hess. BG; § 86 nieders. BG; § 86 rheinl.-pfälz. LBG; § 93 saarl. BG; § 94 schlesw.-holst. LBG. § 78 I S. 1 BBG. § 78 I S. 2 BBG. Dazu und zur Frage der Anwendbarkeit des § 282 BGB: BVerwG DÖV 1978, 105ff.; BVerwG ZBR 1983, 274. So der Fall in BVerwG DVB1. 1974, 158ff. mit Anm. Reinhardt. BVerwG DÖV 1978, 106; vgl. auch BVerwGE 44, 27ff. (29). Vgl. dazu Rüfner, in: Erichsen / Martens, Allg. VwR, § 51 II, III. Zur Haftung des beamteten Arztes aus § 839 BGB: Kern, VersR 1981, 316ff.; zum Verweisungsprivileg des § 839 I S. 2 BGB bei Handeln eines beamteten Arztes mit Eigenliquidationsrecht: BGH MedR 1983, 104ff. (106f.). 71
1. Abschn. III 5 c
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Muß der Dienstherr infolge der schädigenden Handlung seines Beamten einem Dritten Schadensersatz leisten, so liegt neben der unmittelbaren Schädigung des Dritten auch eine mittelbare Schädigung des Dienstherrn vor. Für diesen mittelbaren Schaden haftet der Beamte dem Dienstherrn349a, und zwar für unterschiedliches Verschulden, je nachdem, ob es sich um eine privatrechtliche Tätigkeit des Beamten oder um die Ausübung eines öffentlichen Amtes handelt. aa) Privatrechtliche Tätigkeit: Hier kann der Dienstherr gemäß § 78 I S. 1 BBG und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesgesetzen beim Beamten Rückgriff nehmen, und zwar bei jeder Form des Verschuldens, also auch bei leichter Fahrlässigkeit. bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes: Gemäß Art. 34 S. 2 GG, § 78 I S. 2 BBG und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen kann der Dienstherr beim Beamten Rückgriff nehmen, wenn diesem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. c) Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit: Haftet der Beamte seinem Dienstherrn nach § 78 BBG und den entsprechenden Bestimmungen der Landesbeamtengesetze, so stellt sich die Frage, ob die im bürgerlichen Recht und Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze über die Minderung der Haftung von Arbeitnehmern bei schadensgeneigter Arbeit auch im Beamtenrecht Anwendung finden (schadensgeneigte Arbeit nimmt das BVerwG dann an, „wenn die Eigenart der fehlerhaft ausgeführten dienstlichen Obliegenheit es erfahrungsgemäß mit sich bringt, daß auch dem sorgsamen Beamten gelegentlich Fehler unterlaufen349b). Die Antwort hierauf sollte differenzieren: Handelt es sich um eine Tätigkeit in Ausübung eines öffentlichen Amtes, so besteht für die Haftungsminderung kein Bedürfnis350, weil hier der Rückgriff des Dienstherrn ohnehin auf vorsätzliches und grob fahrlässiges Handeln des Beamten beschränkt ist — eine Situation also, in welcher der Beamte angesichts seines erheblichen Verschuldens nicht schutzwürdig ist. Handelt es sich dagegen um die Verletzung einer Amtspflicht, die nicht dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen ist, so kann der Dienstherr auch bei leichtem Verschulden des Beamten Rückgriff nehmen, so daß eine Haftungsminderung sinnvoll erscheint. Rechtsdogmatisch kann die Analogie zu den Grundsätzen und Regeln des Arbeitsrechts über die Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit mit der gleichen Interessenlage begründet werden, nämlich der Möglichkeit, infolge der starken Technisierung des Arbeitsprozesses schon durch leichte Fahrlässigkeit unverhältnismäßig hohe Schäden zu verursachen; auch beruht die Lehre von der Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit auf dem Grundsatz der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für den Arbeitneh349a
Zum Rückgriffsanspruch des Dienstherrn wegen mittelbarer Schädigung im nichthoheitl. Bereich: VGH Bad.-Württ. ZBR 1983, 242. 349b BVerwGE 50, 102 (110). 350 BVerwGE 19, 249; Achterberg, DVB1. 1964, 605ff., 655ff. (mit weiteren Nachw.). 72
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. III 5 d
mer, eine Pflicht, die im Beamtenrecht besonders stark ausgeprägt ist, weshalb die Haftungsminderung hier erst recht eingreifen muß351. d) Geltendmachung der Ansprüche des Dienstherrn: Ansprüche aus unmittelbarer Schädigung kann der Dienstherr gegen den Beamten durch verwaltungsgerichtliche Klage gemäß § 172 BBG, § 126 BRRG geltend machen. Stark umstritten ist die Frage, ob der Dienstherr352 seinen Schadensersatzanspruch statt durch Klage auch durch Leistungsbescheid (d. h. durch Verwaltungsakt) durchsetzen kann, gegen den der Beamte Anfechtungsklage erheben müßte. Das BVerwG353 hält den Leistungsbescheid für möglich354; es begründet dies damit, das Beamtenverhältnis sei „ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, in dem der Dienstherr dem Beamten hoheitlich übergeordnet ist und deshalb seine Rechtsbeziehungen zu dem Beamten grundsätzlich durch Verwaltungsakte regeln kann . . . Für die Heranziehung des Beamten zum Ersatz des Schadens, den er durch Verletzung seiner Dienstpflicht dem Dienstherrn unmittelbar zugefügt hat, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Gewohnheitsrecht etwas Abweichendes"355. Im Schrifttum wird demgegenüber für Leistungsbescheide eine gesetzliche Grundlage gefordert356. Ein besonderes Verwaltungsverfahren (das sog. Erstattungsverfahreri) gibt es nach dem Erstattungsgesetz357 für die Fälle, in denen der Beamte schuldhaft einen Fehlbestand an öffentlichem Vermögen verursacht hat (Bsp.: Irrtümliche Kassenabbuchungen). Macht der Dienstherr Ansprüche gegen den Beamten aus mittelbarer Schädigung geltend, so gilt für Fälle der Amtshaftung Art. 34 S. 3 GG (Zuständigkeit der Zivilgerichte), während für Fälle der privatrechtlichen Tätigkeit die 351
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OVG Saarland DVB1. 1968, 434; OVG Münster ZBR 1969, 84; Schick, ZBR 1969, 69f.; offen gelassen: BVerwGE 29, 127; 34, 129f.; 50, 110. Vgl. auch VGH Bad.-Württ. ZBR 1983, 242f.; Weimar, RiA 1969, 22f. Zu Fällen, in denen der Leistungsbescheid schon wegen fehlender Dienstherrneigenschaft nicht erhoben werden konnte, vgl. VG Bremen NJW 1978, 66; OVG Münster ZBR 1974, 266. BVerwGE 19, 243; 24, 227; 27, 350; OVG Münster ZBR 1963, 188ff.; HessVGH DVB1. 1963; 555; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl., 1983, S. 70; a. A.: OVG Hamburg DÖV 1966, 348; Buckert, ZBR 1967, 1 ff.; Wacke, DÖV 1966, 311; vgl. auch Achterberg, JZ 1969, 354ff. Dies soll nach BVerwG ZBR 1971, 176 sogar bei Ansprüchen gegen die Erben gelten. BVerwGE 19, 246. W. Martens, in: Fs. f. H. J. Wolff, 1973, S. 434. Vgl. auch § 48 II S. 8 VwVfG. G über das Verfahren für die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. Januar 1951 (BGBl. I, S. 87, 109), geändert durch Art. 40 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469). - Zum Erstattungsanspruch eines öffentlich-rechtl. Arbeitgebers gegen einen Angestellten des öffentl. Dienstes: BVerwGE 38, lff. 73
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1. Abschn. III 6 a
gleichen formellen Grundsätze wie bei der Geltendmachung der Ansprüche des Dienstherrn bei unmittelbarer Schädigung anwendbar sein dürften. 6. Veränderungen im Beamtenverhältnis Veränderungen im Beamtenverhältnis können sich durch, Beförderung, Versetzung, Umsetzung oder Abordnung ergeben. a) Beförderung: Die Beförderung, ein Unterfall der Ernennung und daher ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt 358 , bedeutet die Verleihung eines anderen Amtes mit höherem Endgrundgehalt und einer anderen Amtsbezeichnung 359 . Eine generelle Stellenhebung ist daher keine Beförderung 3592 . Beförderungen sind nach dem Leistungsprinzip vorzunehmen 360 ; denn „öffentliches Amt" i. S. von Art. 33 II GG ist nicht nur das Eingangsamt, sondern auch ein Beförderungsamt 361 . Die sog. Regelbeförderung und die sog. Bewährungsbeförderung sind beseitigt3612. Unzulässig ist eine Beförderung während der Probezeit, vor Ablauf eines Jahres nach der Einstellung oder der letzten Beförderung und innerhalb von zwei Jahren vor der Altersgrenze 362 . Besteht ein Anspruch auf Beförderung? Die Problematik liegt hier ähnlich wie bei der Frage des Anspruches auf Einstellung. Das BVerwG verneint grundsätzlich einen Anspruch auf Beförderung 363 ; es begründete seine Ansicht früher wie folgt: Der Beurteilungsspielraum der Behörde bei der Prüfung von „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" stehe einem solchen Anspruch entgegen; die gesetzlichen Vorschriften über die Beförderung seien ausschließlich im öffentlichen Interesse erlassen (Personalhoheit), nicht aber im Interesse des Beamten, weshalb auch eine Amtspflichtverletzung des mit der Entscheidung über die Beförderung befaßten Beamten ausscheide; auch die Fürsorgepflicht verpflichte den Dienstherrn grundsätzlich nicht, „auf die Beförderung des einzelnen Beamten durch förderndes Handeln hin358
Vgl. oben S. 26. § 12 I 1 BLV. Umfassende Darstellung der mit der Beförderung zusammenhängenden Rechtsfragen bei H. Günther, ZBR 1979, 93 ff. Zum sog. Beförderungs- und Verwendungsstau vgl. Meixner, ZBR 1980, 309ff. 359a BGH NJW 1955, 1835; W. Müller, DVB1. 1962, 515. 360 Vgl. §§ 1, 4 III BLV; § 23 i. V. m. § 8 I S. 2 BBG; § 7 BRRG; Einzelheiten bei H. Günther, ZBR 1979, 95 (S. 97: zur Bedeutung des Allgemeinen Dienstalters). 361 H. Günther, ZBR 1979, 95; Lecheler, JZ 1984, 78 Fn. 44. 361a Art. 1 § 1 Nr. 2, Art. 47 HaushaltsstrukturG vom 18. Dezember 1975 (BGBl. 1975 I, S. 3091). 362 Vgl. § 12 IV BLV. Vgl. auch OVG Rh.-Pfalz DÖD 1982, 203 f. 363 BVerwGE 15, 3 ff. mit krit. Anmerkung Schock, ZBR 1963, S. 353 f. Zur Frage allgemein vgl. Adam, BWV 1977, 29ff.; Heise, ZBR 1969, 165ff.; Hess. VGH ZBR 1969, 174. Zur Beförderung während Parlamentsmitgliedschaft: BVerwG DÖD 1970, 118. Vgl. auch — für den Fall einer Mandatsniederlegung und erneuter Bewerbung um ein Mandat im BTag — § 7a BRRG. 359
74
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1. Abschn. III 6a
zuwirken, denn sie besteht nur in den Grenzen des zur Zeit bekleideten Amtes"364. Bilde mithin die „Nichtbeförderung als solche" keine Verletzung der Fürsorgepflicht, so sei davon zu unterscheiden (und je nach Lage des Falles u. U. zu bejahen) die Frage, „ob der Beamte bei fürsorgepflichtmäßigem Verhalten tatsächlich befördert worden wäre, die Nichtbeförderung sich also als eine adäquate Folge irgendeiner schuldhaften Verletzung der Fürsorgepflicht darstellt". In späteren Entscheidungen hat das BVerwG zwar an der Ablehnung eines Rechtsanspruches auf Beförderung „in aller Regel" festgehalten, jedoch einen Anspruch des Beamten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Dienstherrn über seine Beförderung bejaht: „Er (der Beamte) k a n n . . . beanspruchen, daß der Dienstherr ihn nicht aus unsachlichen Erwägungen von der Beförderung ausschließt. Die beamtenrechtlichen Vorschriften, nach denen sich die Beförderung von Beamten richtet, dienen zwar in erster Linie dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung der Beamtenstellen des öffentlichen Dienstes. Die im Beamtenrecht vorgesehene Möglichkeit von Beförderungen dient aber in zweiter Linie auch dem berechtigten Interesse des Beamten, im Rahmen der dienstlichen, beamten- und haushaltsrechtlichen Möglichkeiten angemessen beruflich aufzusteigen. Die Fürsorgepflicht und darüber hinaus die Pflicht zu beiderseitiger Treue . . . verbieten es dem Dienstherrn, sich bei der Ablehnung einer Beförderung von anderen als sachgerechten, ermessensfehlerfreien Erwägungen leiten zu lassen, wenn auch sein Ermessensspielraum sehr weit ist und eine Vielfalt möglicher sachlicher Erwägungen umfaßt" 365 . Das beamtenrechtliche Schrifttum neigt demgegenüber mehr und mehr dazu, die Rechtsposition des bei der Beförderung übergangenen Beamten zu stärken3653. Unbefriedigend an der Ansicht des BVerwG und nicht gerechtfertigt ist die Beschränkung der Fürsorgepflicht auf das jeweils innegehabte Amt. Die Fürsorgepflicht erwächst aus dem Beamtenverhältnis, nicht aus der konkreten Amtsstellung; m. a. W.: sie ist persongebunden, nicht amtsgebunden 366 . Eine andere Frage ist allerdings, ob bei schuldhafter Verletzung der Fürsorgepflicht der Schadensersatz durch Naturalrestitution, d. h. durch Nachholung der unterbliebenen Beförderung, geleistet werden muß, oder ob er — was die richtige Auffassung ist — auf Nachzahlung des Differenzbetrages zwischen den bisher gezahlten Dienstbezügen und dem Gehalt bei Beförderung be364
BVerwGE 15,7. BVerwGE 19, 252ff. (254f.); BVerwG ZBR 1976, 121 ff. (123); BVerwG DÖV 1977, 139. Vgl. auch VGH Kassel DVB1. 1983, 86 (zu weitgehend allerdings darin, daß das Fehlen einer besetzbaren Stelle im Haushaltsplan den Schadensersatzanspruch auf Beförderung nicht hindere; kritisch dazu zutr. Lecheler, JZ 1984, 78); VGH Kassel NJW 1985, 1103 ff. 365a Vgl. H. Günther, ZBR 1979, 100 m. w. Hinw.; vgl. auch die Hinw. zu der ähnlichen Problematik der unterbliebenen Einstellung in das Beamtenverhältnis unten S. 26 ff. 366 Ebenso H. Günther, ZBR 1979, 101. 365
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schränkt ist . Ein Anspruch auf Schadensersatz durch Ausgleich finanzieller Nachteile kommt — wenn überhaupt — nur dann in Betracht, wenn das Unterbleiben der Beförderung die adäquate Folge einer schuldhaften Fürsorgepflichtverletzung darstellt368. Eine rückwirkende Beförderung kann im Klagewege nicht erreicht werden369. Str. ist die Beurteilung eines Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, eine Planstelle für ein Beförderungsamt freizuhalten, um einen Anspruch des Antragstellers aus fürsorgepflichtwidriger Nichtbeförderung zu sichern370. Das Zurückstellen einer Beförderung während eines gegen den betr. Beamten laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ist nicht rechtswidb) Versetzung: Unter Versetzung eines Beamten ist die dauernde Zuweisung eines anderen Dienstpostens innerhalb des Dienstbereichs seines Dienstherrn oder eines anderen Dienstherrn zu verstehen. Die Versetzung erfolgt auf Antrag des Beamten oder wenn ein dienstliches Bedürfnis dafür besteht372. Mit Zustimmung des Beamten ist die Versetzung stets zulässig. Ohne Zustimmung ist sie dagegen nur zulässig, wenn das neue Amt derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn angehört wie das bisherige Amt und mit mindestens demselben Endgrundgehalt verbunden ist, es sei denn, daß die Versetzung infolge Auflösung oder Umbildung der Behörde erfolgt und eine dem bisherigen Amt entsprechende Verwendung nicht möglich ist, wie dies z. B. bei der Auflösung oder Zusammenlegung von Behörden auf Grund von Gebietsreformen (Eingemeindungen u. ä.) der Fall sein kann372®. Für die Versetzung in den Dienstbereich eines anderen Dienstherrn ist stets die Zustim367
Hierzu neigt BVerwGE 15, 11. Vgl. auch OVG Lüneburg ZBR 1974, 17ff. - Zum Rechtsschutzinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Hinblick auf einen beabsichtigten Schadensersatzprozeß vgl. OVG Koblenz NJW 1977, 72 f. 368 OVG Saarlouis ZBR 1976, 87ff.; OVG Lüneburg OVGE 29, 479; VGH Kassel DVB1. 1983, 89; OVG Nordrh.-Westf. D Ö D 1984, 103. 369 VGH Bad.-Württ. ZBR 1975, 316; OVG Saarlouis ZBR 1976, 87ff. 370 VGH Bad.-Württ. ZBR 1974, 344; a. A.: VG Berlin ZBR 1974, 391 ff.; vgl. allg. zum einstweiligen Rechtsschutz im Vorfeld der Beförderung Günther, NVwZ 1986, 697ff.; s. auch VGH Kassel NJW 1985, 1103ff. (Geltendmachung des „Bewerbungsverfahrensanspruchs" im Wege der einstweiligen Anordnung). 371 BVerwG BayVBl. 1975, 568; vgl. auch OVG Münster D Ö D 1974, 211 (Disziplinarverfahren). 372 Vgl. hierzu und zum folgenden: § 26 BBG, § 18 BRRG; BVerwG RiA 1967, 130ff.; zum Begriff der Versetzung: Bad.-Württ. VGH DVB1. 1970, 695f. Zu Versetzung, Abordnung und Umsetzung: H. Günther, ZBR 1978, 73ff.; A. Kremer, NVwZ 1983, 6ff.; R. Summer, PersV 1985, 441 ff. 372a Zum Problemkreis kommunale Wahlbeamte in der Gebietsreform vgl. Juncker, ZBR 1972, 101 ff. Zu den Anforderungen, die bei einer Versetzung in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt an die Ermessensentscheidung zu stellen sind, OVG Nordrh.-Westf. RiA 1986, 191 f. 76
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mung erforderIich . Eine bestimmte Form ist für die Versetzung nicht vorgeschrieben; regelmäßig wird sie aber schriftlich angeordnet. Im Gegensatz zur bloßen Zuteilung anderer Dienstgeschäfte ist die Versetzung ein Verwaltungsakt. Unzulässig ist eine Vereinbarung zwischen dem Dienstherrn und einer Gewerkschaft dahin, daß Funktionsträger der Gewerkschaft gegen ihren Willen nur nach Rücksprache zwischen dem Vorgesetzten und dem zuständigen Gewerkschaftsorgan versetzt werden dürfen3720. c) Umsetzung: Von der Versetzung zu unterscheiden ist die Umsetzung, durch die der Beamte zwar mit einer anderen Aufgabe (einem anderen Dienstposten) betraut wird, aber ohne Wechsel der Behörde. Str. ist, ob die Umsetzung ein anfechtbarer Verwaltungsakt ist373. Das BVerwG hat dies verneint, weil die Umsetzung „lediglich die das statusrechtliche Amt unberührt lassende Zuweisung eines anderen Dienstpostens (funktionelles Amt im konkreten Sinne) innerhalb der Behörde" sei: Die Umsetzung gehöre „ihrem objektiven Sinngehalt nach zu den Anordnungen, die die dienstliche Verrichtung eines Beamten betreffen und sich in ihren Auswirkungen auf die organisatorische Einheit beschränken, der der Beamte angehört"373®. Damit ist jedoch der gerichtliche Rechtsschutz nicht ausgeschlossen; denn zulässig ist zwar nicht die Anfechtungsklage, wohl aber die allgemeine Leistungsklage373b. Kein Verwaltungsakt ist die Änderung des Dienstaufgabenbereichs eines Beamten, also des Amtes im funktionellen Sinn durch Organisationsverfügung 374 . d) Abordnung: Als Abordnung bezeichnet man die vorübergehende Zuweisung einer Amtsstelle bei einer anderen Dienststelle ohne Verlust der Planstelle bei der Heimatbehörde. Der Begriff der Abordnung wird also von einer mehr oder minder kurzen Abwesenheit von der „alten" Dienststelle und einer späteren Rückkehr zu ihr geprägt374". Die Abordnung setzt ein dienstliches Bedürfnis voraus; die Zustimmung des Beamten ist dagegen nur erforderlich, wenn die Abordnung zu einem anderen Dienstherrn erfolgt und länger als
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Zur Versetzung in ein anderes Bundesland vgl. BVerwG DVBl. 1987, 417ff. Windscheid, ZBR 1975, 310. 373 Vgl. dazu Erichsen, DVBl. 1982, 95ff.; Rottmann, ZBR 1983, 77ff. (89ff.); Teufel, ZBR 1981, 20ff.; Franz, ZBR 1986, 14ff.; Wolff / Bachof / Stober, VwR II, § 112 III 2 a. Zum (atypischen) Fall einer Umsetzung in Form einer Dienstpostenübertragung als Vorentscheidung über eine spätere Beförderung vgl. Britz, DÖV 1982, 231 ff. sowie VG Neustadt NJW 1987, 672ff. 373a BVerwGE 60, 144ff (146f.). Dazu Menger, VerwArch 72 (1981), S. 149f.; a. A.: OVG Rheinl.-Pf. DÖD 1978, 184. 373b BVerwGE 60, 144ff. (150).; VGH Bad.-Würth. DVBl. 1987, 1174ff. - Zur Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Umsetzung vgl. BVerwG DVBl. 1987, 416ff. 374 BVerwG DVBl. 1981,495. 374a BayVGH BayVBl. 1983. 470ff. (472). 372c
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I . A b s c h n . 1117a
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ein Jahr (bei Beamten auf Probe: 2 Jahre) dauert . Die Abordnung zu einem anderen Dienstherrn wird (ebenso wie die Versetzung zu einem anderen Dienstherrn) von dem abgebenden Dienstherrn verfügt, wobei der aufnehmende Dienstherr, der die Dienstbezüge zu zahlen hat, schriftlich sein Einverständnis erklären muß. Die Abordnung ist ein Verwaltungsakt (str.)376. 7. Beendigung des Beamtenverhältnisses Das Beamtenverhältnis kann, abgesehen vom Todesfall, durch Eintritt in den Ruhestand, Entlassung und Entfernung aus dem Dienst beendet werden. a) Eintritt in den Ruhestand: In den einstweiligen Ruhestand können die sog. politischen Beamten jederzeit versetzt werden 377 , sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, andere Beamte dagegen nur bei der sog. Umbildung von Körperschaften (z. B. Zusammenschluß von zwei Gemeinden zu einer neuen Gemeinde bei kommunaler Gebietsreform) 378 . Die Versetzung in den endgültigen Ruhestand ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Für den Beamten auf Lebenszeit 379 kann der Eintritt in den Ruhestand kraft Gesetzes (bei Erreichen der Altersgrenze sowie bei Annahme der Wahl in den BTag)380 oder kraft Versetzungsverfügung (wegen Dienstunfähigkeit) erfolgen. Für den Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze381, d. h. mit dem Ende des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wurde 382 , ist — ebenso wie bei der Dienstunfähigkeit — weitere Voraussetzung, daß der Beamte eine Dienstzeit von 5 Jahren abgeleistet hat; ist dies nicht der Fall, so ist der Beamte zu entlassen. Die Festsetzung einer generell bestimm375
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Vgl. hierzu und zum folgenden: § 27 BBG, § 17 BRRG; Weimar, RiA 1968, 128f.; OVG Rheinl.-Pfalz RiA 1967, 34ff. Thiele, D Ö D 1959, 43; a. A.: VG Freiburg ZBR 1954, 154; vgl. auch Wolff / Bachof /Stober, VwR II, § 112 III 2 b . - Zum Inhalt der Abordnungsverfügung vgl. Bad.-Württ. VGH ZBR 1976, 154f. Dazu oben S. 20 f. Zur Verpflichtung des polit. Beamten, sich in ein Amt seiner früheren oder gleichwertigen Laufbahn berufen zu lassen, vgl. OVG Rheinl.-Pfalz D Ö D 1982, 204 ff. Vgl. § 130 II S. 1 BRRG; BVerwG ZBR 1975, 348f.; VG Freiburg DÖV 1976, 536. Für den Beamten auf Probe gilt § 46 BBG. Eine Versetzung in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze gibt es für ihn nicht (vgl. § 31 V BBG). Beamte auf Widerruf und Ehrenbeamte können nicht in den Ruhestand versetzt werden. Für Beamte auf Zeit gelten spezialgesetzliche Regelungen (vgl. z. B. § 8 IV BBahnG). Vgl. §§ 5 ff. G über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (AbgeordnetenG) vom 18. Februar 1977 (BGBl. I, S. 297); allgemein dazu J. Henkel, DÖV 1977, 350ff. §41 BBG; §25 BRRG. Bei am Monatsersten Geborenen beginnt nach BVerwGE 30, 167 der Ruhestand mit dem Ablauf des Monats, welcher der 65. Wiederkehr des Geburtstages vorangeht; dagegen Vogt, ZBR 1969, 149.
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1. Abschn. III 7a
ten Altersgrenze ist, auch wenn der betreffende Beamte sich noch voll dienstfähig fühlt, nicht verfassungswidrig383. Für einzelne Beamtengruppen kann gesetzlich eine niedrigere Altersgrenze festgesetzt werden 3833 ; umgekehrt kann in Ausnahmefällen für einzelne Beamte der Eintritt in den Ruhestand für eine bestimmte Frist, jedoch nicht über die Vollendung des 70. Lebensjahres hinaus, verschoben werden. Wegen Dienstunfähigkeit wird der Beamte in den Ruhestand versetzt, wenn er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd unfähig ist, die Dienstpflichten seines konkreten Amtes zu erfüllen384. Bei dieser sog. Zwangspensionierung muß der Dienstherr den positiven Nachweis der Dienstunfähigkeit führen (Umkehrschluß aus § 42 III BBG). Ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit kann der Beamte auf eigenen Antrag bei Vollendung des 63. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt werden 385 , es sei denn, daß dienstliche Gründe nichtfiskalischer Art entgegenstehen386. Mit Eintritt in den Ruhestand erhält der Beamte Versorgungsbezüge387. Die Einzelheiten regelt das G über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (BeamtenversorgungsG)387a. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Januar 1977 haben die Länder auf dem Gebiet der Beamtenversorgung — anders als für die Besoldung387b — keine Gesetzgebungskompetenz mehr. Auch nach Eintritt in den Ruhestand unterliegt der Beamte noch gewissen Beamtenpflichten (z. B. der Treuepflicht und der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit)3870, hat aber auch weiterhin einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge. Die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist mit Art. 3 I vereinbar 3870 . 383
BGH DVB1. 1954, 396. Zum PersonalstrukturG vom 30. 7. 1985 (BGBl. I, S. 1621), das die vorzeitige Zurruhesetzung von 1200 Berufsoffizieren überbesetzter Jahrgänge zu attraktiven Bedingungen auf Antrag ermöglicht (Aktion „Goldener Handschlag") vgl. VG Freiburg DVB1. 1986, 1168 f. m. Anm. Kirchhoff, 1169f. 384 §§ 42, 45ff. BBG; § 26 BRRG. Vgl. auch BayVerfGH NVwZ 1983, 90f. 385 § 42 III BBG n. F.; § 26 III BRRG. 386 BVerwGE 16, 194 (unter der Geltung des § 42 III BBG a. F.). 387 Dazu allgemein Ule, Die Bedeutung des Beamtenversorgungsrechts für die Erhaltung des Berufsbeamtentums, 1973. — Zur Frage der Kürzung von Versorgungsbezügen bei mehreren Versorgungsansprüchen: BVerfGE 46, 97ff. Vgl. aber auch BVerwG NVwZ 1983, 548 f. S. auch W. Schick, Ruhestandsbeamte und private Nebeneinkünfte, 1984; Fürst, ZBR 1985, l f f . 387a I. d. F. der Bekanntmachung vom 12. Februar 1987 (BGBl. I, S. 570, berichtigt S. 1339). 387b Vgl. dazu § 1 IV BBesG. 387c BVerfG DVB1. 1983, 505 ff. 387d BVerfGE 54, 11 ff.
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b) Entlassung: Die Entlassung kann kraft Gesetzes oder durch Entlassungsverfügung erfolgen. Kraft Gesetzes ist der Beamte entlassen, wenn er die Eigenschaft als Deutscher i. S. des Art. 116 1 GG verliert oder wenn er ohne Zustimmung der zuständigen Behörde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland nimmt oder in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstherrn tritt388. Da die Entlassung in diesen Fällen als gesetzliche Rechtsfolge eintritt, ist die Mitteilung über Grund und Zeitpunkt des Ausscheidens nur deklaratorischer Natur. Bei der Entlassung durch Entlassungsverßigung ist die obligatorische Entlassung von der fakultativen zu unterscheiden. Obligatorisch ist die Entlassung bei (1) Verweigerung des Diensteides389 (die Rspr. ließ früher die Berufung auf Art. 4 I GG nicht zu, da der Eid auch ohne religiöse Beteuerungsformel abgelegt werden könne 390 , während heute die Ansicht vertreten wird, daß im Einzelfall die Pflicht zur Leistung eines Diensteides hinter das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit zurücktreten kann391), (2) wenn der Beamte zur Zeit der Ernennung bereits Mitglied des Bundestages war und sein Mandat nicht fristgemäß niederlegt (Fall der Inkompatibilität)392 und (3) auf Antrag des Beamten selbst. Der Entlassungsantrag, eine empfangsbedürftige Willenserklärung, ist streng formgebunden (Schriftform, eigenhändige Unterschrift); eine konkludente Handlung (z. B. Fernbleiben vom Dienst) reicht daher nicht aus393. Ein ohne den Willen des Beamten, etwa von seiner Ehefrau irrtümlich abgeschickter, formgerechter Entlassungsantrag ist jedenfalls dann wirksam, wenn der Beamte ihn nachträglich billigt394. Der Entlassungsantrag kann gemäß den ihrem Rechtsgehalt nach anwendbaren Vorschriften des BGB wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten werden395. Die Anfechtung muß unverzüglich erfolgen. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet es, den Beamten auf die rechtlichen Folgen der Entlassung (Verlust der Beamtenrechte, insbes. der Versorgungsansprüche) hinzuweisen, wenn der Beamte dies offensichtlich nicht erkennt 396 ; unter besonderen Umständen kann auch die Annahme eines in starker seelischer
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390 391 392 393 394 395 396
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Vgl. § 29 I BBG; § 22 I BRRG; dazu BVerwGE 32, 1 ff. Vgl. § 28 Nr. 1 BBG; § 23 I Nr. 1 BRRG. Dazu Wiese, Beamtenrecht, S. 106f. Dies gilt nach BVerwG ZBR 1967, 53 auch dann, wenn der Beamte bereits früher einen Diensteid geleistet hat und sich nur weigert, ihn erneut abzulegen. BayVerfGH DÖV 1965, 134. VG Freiburg DÖV 1975, 434. Vgl. § 28 Nr. 2 BBG. E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 30. BVerwGE 20, 35 ff. OVG Münster DVB1. 1952, 606. E. Flog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 30.
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Erregung gestellten Entlassungsantrages gegen die Fürsorgepflicht verstoßen397. Eine schriftliche oder mündliche Rücknahme des Entlassungsantrages ist, bei Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Frist, bis zum Zugang der Entlassungsverfügung möglich398. Dagegen ist das Recht auf Entlassung unverzichtbar, und zwar auch dann, wenn der Dienstherr die Ausbildung des Beamten ganz oder teilweise finanziert hat399. Besondere Regeln gelten für die Entlassung von Beamten auf Probe und von Beamten auf Widerruf; zusätzlich zu den oben genannten obligatorischen Entlassungsgründen gibt es hier auch fakultative Gründe 3993 . Beamte auf Probe können u. a. wegen mangelnder Bewährung in bezug auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (Beurteilungsspielraum!) entlassen werden400, wobei das Versagen nicht schuldhaft zu sein braucht. Die Rechtmäßigkeit der Entlassung ist im Regelfall nicht davon abhängig, ob dem betr. Beamten zuvor seine dienstlichen Beurteilungen formell ordnungsgemäß vorher eröffnet sind, wenn er vor der Entlassung schriftlich gehört worden ist401. Die Entlassung kann ohne schuldhaftes Zögern auch noch nach Ablauf der Probezeit (alsbald4013) ausgesprochen werden, es sei denn, die mangelnde Bewährung stand schon vor Ablauf der Probezeit fest; in letzterem Fall muß unmittelbar zum Ablauf der Dienstzeit entschieden werden, ob der Beamte entlassen werden soll402. Beamte auf Widerruf können jederzeit nach pflichtgemäßem Ermessen aus nicht willkürlichen Gründen entlassen werden403. Soweit es sich um Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst handelt (z. B. Referendare), soll allerdings Gelegenheit gegeben werden, den Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen404. 397
LVG Hannover DVB1. 1953, 117. Vgl. §30 I S. 3 BBG; zur mündlichen Rücknahmeerklärung BayVGH ZBR 1954, 353 (nicht unbedenklich). 399 Dazu und zur Frage der RückZahlungsverpflichtung vgl. BVerwGE 30, 65 ff. und oben Abschn. III 4 c bb. 399a Zur Mitwirkung des Personalrates bei der Entlassung vgl. unten Abschn. V 1. 400 Vgl. §31 BBG; §23 II BRRG; BVerfG DÖV 1977, 558ff. (561); BVerwGE 21, 56ff.; BVerwG ZBR 1976, 52 (Meineid); OVG Münster ZBR 1973, 206ff.; OVG Lüneburg ZBR 1975, 91 f. (Krankheit). Zur Entlassung von Beamten auf Probe wegen Extremismus vgl. Abschn. III 4 d bb; wegen eines Dienstvergehens vgl. Bartha, ZBR 1985, 217 ff.; s. auch Günther ZBR 1985, 321ff. 401 BVerwG DÖV 1977, 137 f. 4013 VGH Bad.-Württ. D Ö D 1982, 61 ff. (Verlängerung der Probezeit nur unter Festlegung ihrer zeitlichen Dauer). 402 BVerwGE 19, 348. 403 Vgl. § 32 BBG, § 23 III B R R G ; BVerwG DVB1. 1968, 430f. mit weiteren Nachw. 404 Vgl. §32 II S. 1 BBG; §23 III S. 2 BRRG; Martin, ZBR 1976, 177ff.; Günther, ZBR 1987, 129ff.; vgl. auch BVerwGE 72, 207ff. (Beendigung des Beamtenverhältnisses ist vom rechtlichen Bestand der Prüfungsentscheidung unabhängig); VGH Mannheim NJW 1987, 917 (Entlassung eines Referendars nach erfolglosem Prüfungsversuch). 398
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1. Abschn. III 7 d
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Bundestagsabgeordnete, die nach Beendigung ihres Mandates die Rückführung in ihr früheres Amt ablehnen, sind damit entlassen4043. c) Verlust der Beamtenrechte durch Gerichtsurteil: Wird ein Beamter wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder wegen vorsätzlicher friedensverräterischer, hochverräterischer, rechtsstaatsgefährdender, landesverräterischer oder die äußere Sicherheit gefährdender Handlung zu Gefängnis von mindestens sechs Monaten verurteilt, so endet das Beamtenverhältnis mit der Rechtskraft des Urteils; gleiches gilt bei Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter sowie bei Verwirkung eines Grundrechts gemäß Art. 18 GG 405 . Sinn dieser Regelung ist es, ein überflüssiges Disziplinarverfahren zu vermeiden, das bei derartig schweren Dienstvergehen ebenfalls die Entfernung aus dem Dienst aussprechen müßte. Rechtsfolge ist insbesondere der Verlust der Dienstbezüge bzw. beim Ruhestandsbeamten der Versorgungsbezüge. Die Entscheidung über den Verlust der Beamtenrechte kann durch Begnadigung4053 oder ein erfolgreiches Wiederaufnahmeverfahren rückgängig gemacht werden. Stirbt der Beamte vor der Rechtskraft des Strafurteils bzw. vor Erlaß des Urteils des BVerfG, so tritt — auch bei Selbstmord — kein Verlust der Beamtenrechte ein; den Hinterbliebenen bleiben also etwaige Versorgungsansprüche erhalten406. d) Entfernung aus dem Dienst durch Disziplinarurteil: Die Entfernung aus dem Dienst durch Disziplinarurteil407 ist die einzige Möglichkeit, ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder auf Zeit gegen den Willen des Beamten wegen schwerer Dienstvergehen zu beenden; Voraussetzung ist, daß bei Abwägung aller Umstände der Beamte für den Dienst nicht mehr tragbar erscheint. Die Entfernung wird unmittelbar durch die Rechtskraft des Urteils bewirkt; es bedarf daher keiner weiteren Maßnahmen. Rechtsfolge der Entfernung aus dem Dienst ist der Verlust der Ansprüche auf Dienstbezüge und Versorgung408, wobei sich der Verlust der Versorgungsansprüche auf die Hinterbliebenen erstreckt. 404a
Vgl. dazu — auch zu Ausnahmen — § 6 II S. 2 u. 3 G über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (AbgeordnetenG) vom 18. Februar 1977 (BGBl. 1977 I, S. 297). 405 Vgl. hierzu und zum folgenden § § 4 8 - 5 1 BBG; § 24 BRRG. Durch das 1. G zur Reform des Strafrechts vom 9. Mai 1969 ist die Einheitsstrafe eingeführt und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte abgeschafft worden. §§ 24 BRRG, 48 BBG sind mit Wirkung ab 1. April 1970 entsprechend geändert. Kritisch zu §48 BBG: Juncker, ZBR 1970, 219ff. 4053 Die Ablehnung des Gnadengesuches ist nicht gerichtlich überprüfbar: BVerwG NJW 1983, 187 ff. 406 E. Plog/A. Wiedow/G. Beck, BBG, Rdnr. 10 zu § 48. 407 Vgl. § 11 BDO; H. R. Claussen / W. Janzen, BDO, 5. Aufl. 1985, Rdnr. 1 ff. zu § 11. 408 Zur Frage der Vereinbarkeit mit Art. 14 G G vgl. BDHE 2, 192; Wiese, VerwArch 57 (1966), S. 265 ff. 82
1. Abschn. III 8a
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8. Rechtsschutz im Beamtenrecht Der Rechtsschutz im Beamtenrecht läßt sich in außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe unterteilen. a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe sind: die Beschwerde beim Dienstvorgesetzten und beim Personalrat, die Eingabe an den Bundes-(Landes-)Personalausschuß und das Petitionsrecht. aa) Beschwerde beim Dienstvorgesetzten: Der Beamte kann frist- und formlos Anträge (auf Erlaß einer Maßnahme) und Beschwerden (gegen eine bereits getroffene Maßnahme) vorbringen. Der Beamte muß jedoch den Dienstweg einhalten, d. h. die Beschwerde beim unmittelbaren Vorgesetzten einreichen (Dienstwegprinzip; Dienstwegvorbehalt)409; richtet die Beschwerde sich gegen den unmittelbaren Vorgesetzten, so kann sie beim nächsthöheren Vorgesetzten unmittelbar eingereicht werden 410 . Im übrigen steht der Dienstweg immer bis zur obersten Dienstbehörde offen. Eine „Flucht in die Öffentlichkeit" 411 ist nur in Ausnahmefällen zulässig, bei Staatsgeheimnissen nur dann, wenn schwere Verstöße gegen die „verfassungsmäßige Ordnung" im Sinne von „freiheitlicher demokratischer Grundordnung" in Frage stehen 412 . Die Beschwerde muß ein bestimmtes Verlangen enthalten; sie muß der Wahrheitspflicht entsprechen, darf also keine leichtfertigen Anschuldigungen enthalten. Die Behörde ist verpflichtet, die Beschwerde entgegenzunehmen, binnen angemessener Zeit zu prüfen und schriftlich 413 zu bescheiden. Ihrer Rechtsnatur nach ist die beamtenrechtliche Beschwerde eine Form der Dienstaufsichtsbeschwerde 414 ; sie berührt also weder die Wirksamkeit der behördlichen Maßnahmen, gegen die sie sich richtet, noch hemmt sie die Widerspruchsfrist. Ob das Begehren des Beamten als Beschwerde oder als Widerspruch aufzufassen ist, muß durch Auslegung ermittelt werden. Richtet die Beschwerde sich gegen eine Maßnahme, gegen die eine Klage beim Verwaltungsgericht zulässig ist, so wird im Zweifel ein Widerspruch, bei Unzulässigkeit der Klage eine Beschwerde anzunehmen sein415. 409 410 411
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Vgl. § 171 I BBG, § 60 BRRG. Der Ausdruck „dienstliche Petition" ist unglücklich. Vgl. § 171 II BBG. BGH ZBR 1977, 106 (Mitteilung an Presse); BDHE 1, 32 (Veröffentlichung von Flugschriften); BDHE 1, 25 (Mitteilung an eine Rundfunkanstalt); BDHE 3, 299 (Veröffentlichung im Mitteilungsblatt eines Beamtenverbandes); BVerwGE 33, 199ff. (Leserbrief)- Umfassend: Weiß, ZBR 1984, 129ff. (auch zum Unterzeichnen von Aufrufen und Offenen Briefen, S. 137; dazu auch VGH Mannheim NJW 1983, 1215 ff.). Vgl. BGHSt. 20, 342ff.; BVerfGE 28, 191 ff. Str.; gegen Schriftform: BayerVerfGH DÖV 1957, 719; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 12 zu § 171. E.Plog/A. Wiedow/G. Beck, BBG, Rdnr. 5 zu § 171; vgl. jedoch für Bayern: H. Weiß / H. Kranz / T. Niedermaier, Bayerisches BeamtenG, Anm. 3 zu Art. 182. Fischbach, BBG II, S. 1281. 83
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bb) Beschwerde beim Personalrat und Personalausschuß: Der Beamte kann sich mit Beschwerden auch an den Personalrat wenden 416 . Auch für diese Beschwerden gilt keine Frist, keine Form, aber auch nicht das Dienstwegprinzip. Gleiches gilt — mit Ausnahme der Form (hier: Schriftform) — auch für Eingaben an den Bundes-(Landes-)Personalausschuß 417 . Eine abschließende Entscheidungsbefugnis steht jedoch weder dem Personalrat noch dem Bundes-(Landes-)Personalausschuß zu. cc) Petitionsrecht: Das allgemeine Petitionsrecht (Art. 17 GG) steht auch den Beamten zu 4l7a . Strittig ist die Frage, ob der Beamte Petitionen, die dienstliche Angelegenheiten betreffen, unter Umgehung des Dienstweges direkt an das Parlament richten kann 418 . b) Gerichtliche Rechtsbehelfe: Der Beamte kann gerichtlichen Rechtsschutz vor den Zivilgerichten, Disziplinargerichten und den Verwaltungsgerichten erlangen. aa) Zivilgerichte: Die Zivilgerichte sind zuständig für Amtspflichtverletzungen des Dienstherrn gegenüber dem Beamten (Art. 34 S. 3 GG) 419 . bb) Disziplinargerichte: Um sich vom Verdacht eines Dienstvergehens zu reinigen, kann der Beamte die Einleitung eines förmlichen Dienstverfahrens gegen sich selbst beantragen (sog. Selbstreinigungsverfahren). Lehnt die Einleitungsbehörde den Antrag ab, und stellt sie zugleich in den Gründen ein Dienstvergehen fest oder läßt sie offen, ob ein Dienstvergehen vorliegt, so kann der Beamte die Entscheidung des Disziplinargerichts beantragen 420 . cc) Verwaltungsgerichte: Gemäß §§ 40 II S. 2 VwGO, 126 I BRRG ist für alle Klagen der Beamten 421 , Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und der Hinterbliebenen aus dem Beamtenverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben421®. Die Rechtswegzuweisung nach § 126 BRRG hat ausschließlich verfahrensrechtlichen Gehalt 421b .
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§ 68 I Nr. 3 BPersVG: Der Personalrat hat die Aufgabe, zwischen dem Beamten und seiner Dienststelle zu vermitteln. 417 Vgl. §§171 III, 98 I Nr. 4 BBG: Der Bundespersonalausschuß kann nur in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung Stellung nehmen. 417a Vgl. dazu Riedmaier, RiA 1978, 210ff. 418 Vgl. dazu E.Plog/A. Wiedow/ G. Beck, BBG, Rdnr. 2 zu §171; Dürig, in: Maunz/Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 31 zu Art. 17 GG; Weiß, ZBR 1984, 129 ff. (134ff.). Vgl. auch § 179 II nordrhein-westfäl. LBG. 419 Vgl. dazu oben S. 52f. 420 § 34 BDO. 421 Nach OVG Koblenz ZBR 1964, 242 ist der Verwaltungsrechtsweg auch für die Klage eines „Nichtbeamten" auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung einer Zusicherung zur Einstellung gegeben; vgl. auch Kopp, VwGO, Rz. 76 zu § 40 mit neueren Rechtsprechungshinweisen. 421 Einzelheiten bei Kopp, VwGO, Rdnr. 7 5 - 7 8 zu § 40. 421b BVerwG ZBR 1980, 385. 84
Öffentlicher Dienst
1. Abschn. III 8 b
Für das Verfahren in Beamtenrechtssachen gilt die Besonderheit, daß vor Erhebung aller Klagen aus dem Beamtenverhältnis, also auch bei Feststellungsklagen und auch wenn der Verwaltungsakt von der obersten Dienstbehörde erlassen worden ist, ein Vorverfahren erforderlich ist 42U . Problematisch und im Einzelfall oft schwierig zu entscheiden ist die Frage, welche Akte innerhalb des Beamtenverhältnisses zulässigerweise angefochten werden können 422 . In der Lehre ist hierzu die Trennung zwischen (anfechtbaren) Akten, die das „Grundverhältnis"berühren, und (nicht anfechtbaren) Akten, die das „Betriebsverhältnis"berühren, entwickelt worden 423 . Das „Grundverhältnis" berühren danach alle diejenigen Maßnahmen, die den Bestand des Beamtenverhältnisses als solches betreffen (z. B.: Ernennung, Entlassung), dagegen das „Betriebsverhältnis" nur solche Maßnahmen, die sich aus der Betriebsordnung (z. B. Zuweisung der Dienstgeschäfte) ergeben424. Eine andere Auffassung sieht alle innerdienstlichen Maßnahmen zwar als Verwaltungsakte an, verneint aber in weitem Umfang das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage425. Eine dritte Auffassung schließlich läßt den Rechtsschutz ohne Einschränkungen zu, verlegt also die Problematik von der Zulässigkeitsprüfung in die Begründetheitsprüfung 426 . Die Rechtsprechung neigt offensichtlich zur Unterscheidung zwischen „Grundverhältnis" und „Betriebsverhältnis", ohne indessen immer einheitlich zu judizieren 427 . Das BVerwG sieht in innerdienstlichen Anordnungen anfechtbare Verwaltungsakte nur dann, wenn sich die potentiellen Wirkungen der Anordnungen nicht auf die Stellung des Beamten als Amtsträger beschränken, sondern sich — über die Konkretisierung der Gehorsamspflicht hinaus — auch auf dessen Stellung als eine dem Dienstherrn mit selbständigen Rechten gegenüberstehende Rechtspersönlichkeit erstrecken428. Die Verwaltungsaktseigenschaft ist z. B. bejaht worden für: Zurücknahme der Ernennung 429 , Entlassung430, Versetzung in den Ruhestand und ihr Widerruf*31, Festsetzung des allgemeinen Dienstalters432, Einweisung in eine andere Be421c
422 423 424 425 426
427 428 429 430 431 432
§ 126 III BRRG; dazu Wind, ZBR 1984, 167ff. Weitere Besonderheiten sind: § 52 Nr. 4 VwGO (Gerichtsstand); § 127 BRRG (erweiterte Zulassung der Revision, Nachprüfung von Landesrecht). Zu Grundrechten u. Rechtsschutz im Beamtenverh.: Rottmann, ZBR 1983, 77ff. Ule, VVDStRL 15 (1957), 152 ff. Vgl. dazu Ule, VerwProzR, Anhang zu § 32 V mit zahlreichen Beispielen. K. Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 168 ff. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 86 ff. zu Art. 19 IV, der insoweit keine Besonderheiten für Klagen im Beamtenverhältnis anerkennt; Paetzold, DVB1. 1974, 454ff., 455. Vgl. dazu Kopp, VwVfG, Rdnr. 51 - 55 zu § 35. BVerwGE 14, 84. Vgl. auch OVG Münster ZBR 1978, 66. BVerwGE 16, 343. BVerwG DÖV 1954, 374. BVerwG ZBR 1965, 85. BVerwGE 19, 19. 85
1. Abschn. IV
Ingo von Münch 433
soldungsgruppe , Anordnung der Zurückzahlung überzahlter Bezüge434, Zwangsbeurlaubung435, Verlangen auf Nachweis einer Erkrankung durch amtsärztliches Zeugnis436, Änderung des Unterrichtsauftrages eines Lehrers, wenn die Anordnung seine Belange zu beeinträchtigen geeignet ist436a. Auch gegen dienstliche Beurteilungen437 und gegen mißbilligende Äußerungen des Dienstvorgesetzten438 ist verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegeben. Dagegen ist die Anfechtbarkeit verneint worden für: Aufforderung zur Eidesleistung439, Umsetzung (es sei denn, es wird der subjektive Rechtsstand des Beamten berührt440), Festsetzung des Kaufkraftausgleichs für Beamte mit dienstlichem Wohnsitz im Ausland441, Versagung einer Dienstreisegenehmigung442. Auch für beamtenrechtliche Streitigkeiten gelten die Regelungen der §§ 80 und 123 VwGO (Suspensiveffekt bzw. einstweilige Anordnung)4423. IV. Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist teils vom Beamtenrecht verschieden, teils ihm auch sehr ähnlich; es ist deshalb besonders wichtig, weil die Angestellten und Arbeiter mit fortschreitender Entwicklung der modernen Industriegesellschaft Stellen mit wachsender Verantwortung ausfüllen und zahlenmäßig die größte Gruppe innerhalb des öffentlichen Dienstes bilden443. Die große Bedeutung des Rechts der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst steht in auffallendem Kontrast zu der — gemessen am Beamtenrecht — weitaus spärlicheren Behandlung in der Rechtswissenschaft4433. 433
Bad.-Württ. VGH ZBR 1960, 19. BVerwG ZBR 1959, 224. OVG Münster ZBR 1962, 13. 436 VGH Bad.-Württ. ZBR 1975, 322. 436a OVG Lüneburg DÖD 1980, 276. 437 Dienstliche Beurteilungen sind allerdings nur beschränkt nachprüfbar: BVerwGE 60, 245. - Zur Besorgnis der Befangenheit des Beurteilers vgl. BVerwG DVB1. 1987, 1159 f. - Vgl. auch oben S. 59, 61 f. 438 VGH Bad.-Württ. ZBR 1977, 165. 439 OVG Münster DVB1. 1951, 418; a. A.: Ule, VerwProzR, Anh. zu § 32 V 1. 440 OVG Münster DVB1. 1974, 472. Vgl. auch oben S. 77. 441 OVG Münster ZBR 1975, 128; BVerwG ZBR 1975, 226ff.; vgl. dazu auch Buhren, ZBR 1975, 205 ff. 442 BayVGH ZBR 1973, 218f. 442a Vgl. aber VGH Mannheim NVwZ 1983, 41 (keine aufschiebende Wirkung bei vorläufigem Rechtsschutz gegen Ernennung eines Mitbewerbers). 443 Dazu oben S. 14. 4433 Vgl. dazu Isensee, Der Tarifvertrag als Gewerkschafts-Staats-Vertrag, in: Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat. Beiträge zum Dienstrecht und zur Dienstrechtsreform, 1975, S. 23 ff. (S. 25). 434 435
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1. Abschn. IV 3
Öffentlicher Dienst
1. Begriff der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst Die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst sind Arbeitnehmer, die in den Diensten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, ohne Beamte im staatsrechtlichen Sinne zu sein. Die Abgrenzung erfolgt also nach einem formalen Kriterium444 Unbeachtlich ist mithin, ob die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst hoheitliche oder nichthoheitliche Aufgaben erfüllen; auch wenn sie Hoheitsbefugnisse ausüben, was allerdings wegen des nach h. L. nur für den öffentlichen Dienst im engeren Sinne (d. h. für Beamte) geltenden Funktionsvorbehaltes in Art. 33 IV GG nur ausnahmsweise zulässig ist445, so bleiben sie Angestellte und Arbeiter. Es besteht kein Anlaß, den Funktionsvorbehalt aufzugeben; jedoch werden mehr und mehr Zweifel daran geäußert, ob z. B. Lehrer in der Regel Beamte sein müssen 4453 . 2. Begründung des Dienstverhältnisses Das Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst wird durch privatrechtlichen Dienstvertrag begründet. Ob ein Dienstverhältnis als Angestellter oder als Arbeiter begründet werden soll, hängt vom Willen der Vertragspartner und von den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen ab. Die Ausgestaltung der Dienstverhältnisse richtet sich grundsätzlich nach den Tarifverträgen 445 ''. Für die Angestellten des Bundes, der Länder und Gemeinden gilt der Bundesangestelltentarif (BAT) vom 23. Februar 1961446, für die Arbeiter des Bundes der (zweite) Manteltarifvertrag (MTB II) vom 27. Februar 1964, für die Arbeiter der Länder der (zweite) Manteltarifvertrag (MTL II) vom 28. Mai 1964 und für die Arbeiter der Gemeinden der (zweite) Bundesmanteltarifvertrag (BMT-G II) vom 31. Januar 1962. Daneben gibt es für spezielle Berufsgruppen (z. B.: BBahn; BPost; künstlerisches Personal der Theater) noch spezielle Sonder-Tarifverträge. 3. Inhalt des Dienstverhältnisses Das Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist ein privatrechtlich begründetes und damit formell privatrechtliches 444
Dazu oben S. 8 f. Grundsätzlich zum Funktionsvorbehalt Benndorf, DVB1. 1981, 23ff.; Isensee, HdbVerfR, S. 1170ff.; Loschelder, ZBR 1977, 265ff. m. w. Hinw.; Peine, DV 1984, 415ff.; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986; Matthey, in: von Münch, GGK, Bd. 2, Rdnr. 30 zu Art. 33; Stern, StaatsR I, S. 348 ff. 4453 Zutreffend bejahend Leisner, ZBR 1980, 361 ff.; skeptisch Bull und Rudolf, VVDStRL 37 (1979), S. 303. 44515 Dazu Richardi, DB 1985, 1021 ff.; Plander, AuR 1986, 65ff. 446 H. Clemens / O. Scheuring / W. Steingen / F. Wiese / H. Fohrmann, Kommentar zum Bundes-Angestelltentarifvertrag - BAT —, 1961 ff., Stand: Januar 1986; H. Spiertz, BAT. Vergütung der Angestellten. Vergütungstabellen, 2. Aufl., 1978.
445
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1. Abschn. IV 3
Ingo von M ü n c h
Rechtsverhältnis, das aber inhaltlich (materiell) dem Beamtenrecht stark angenähert ist4463. Es bildet daher ein Dienst- und Treueverhältnis besonderer Art. Sein Inhalt ergibt sich im einzelnen aus den genannten Tarifverträgen und aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (z.B. §§611 ff. BGB, 105 ff. GewO); häufig wird auch auf beamtenrechtliche Vorschriften verwiesen447. Als wichtigste Pflichten seien hier genannt (vgl. § 8 BAT): die Pflicht zur gewissenhaften und unparteiischen Diensterfüllung, die Pflicht zur Befolgung von Weisungen, die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, die Pflicht, keine Belohnungen in bezug auf eine dienstliche Tätigkeit anzunehmen, die Genehmigungspflicht für Nebentätigkeiten, die Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung (Verfassungstreue)448, das Gebot zur Zurückhaltung bei politischer Betätigung4483 und die Pflicht innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordern449. Abweichend vom Beamtenrecht besteht keine Remonstrationspflicht, jedoch eine Berechtigung zur Anmeldung von Bedenken4493. Auch ist kein Diensteid, sondern nur ein Gelöbnis zu leisten4491"; in der Verweigerung des Gelöbnisses wird ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gesehen450. Neben dem Recht auf Dienstbezüge451 (hier nicht: Alimentationstheorie) haben die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ein Recht auf Schutz und Fürsorge452 (z. B. durch Beihilfen), Einsicht in die Personalakten, Anhörung vor Aufnahme von ungünstigen Beurteilungen in die Personalakten453 und ein Recht auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses454. Umstritten ist, 4463
Vgl. dazu oben II 2 b. Z. B. § 32 BAT. 448 BVerfGE 39, 334 (355f.); BVerwGE 62, 364 (374); BAG N J W 1981, 71 ff.; B A G E 39, 180ff.; BAG PersV 1983, 325 (330); BAG N J W 1987, 1100; B A G N J W 1987, 2699ff. Zu Unstimmigkeiten in der Rspr. des B A G : Battis, N J W 1982, 973ff.; Lecheler, J Z 1984, 81; G K Ö D IV, R z . l 9 f f . zu § 8 BAT. 4483 BAGE 38, 85ff. (Tragen von Anti-Atomkraft-Plaketten während des Schuldienstes). 449 Vgl. §§6, 8, 9, 11 BAT; §§9, 11, 12, 13 MTB I I ; §§9, 11, 12, 13 M T L I I ; §§8, 10 BMT-G II. 4493 Vgl. Kopp, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Rz. 26. 4496 Vgl. §§1, 2 G über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (VerpflichtungsG) vom 2. März 1974 (BGBl. 1974 I, S. 469, 547). 450 Otto, a. a. O., S. 51. 451 Vgl. §§ 26ff. BAT; §§ 21 ff. MTB I I ; §§ 21 ff. M T L I I ; §§ 18ff. BMT-G II. - Zur Versorgung vgl. Gilbert / Hesse, Die Versorgung der Angestellten u n d Arbeiter des öffentlichen Dienstes (Loseblatt), 1975 ff. 452 Bsp.: Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über die Steuerpflichtigkeit eines dem Arbeitnehmer gezahlten Honorars (BAG RiA 1978, 20). 453 Fürsorgepflichtverletzung, wenn Strafurteile in Personalakten gelangen, obwohl sie beschränkter Auskunft unterliegen (BAG RiA 1978, 19). 454 Vgl. § 13 BAT, § I I a M T B I I ; § 13a M T L I I ; § I I a BMT-G II. 447
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1. Abschn. IV 4
Öffentlicher Dienst
ob ihnen das Streikrecht zusteht. Die neuere und wohl h. L. bejaht dies im Prinzip 455 , macht aber Ausnahmen für die Erfüllung lebenswichtiger Funktionen 4553 . Gewisse Notdienstpflichten sind jedenfalls auch dem Streikrecht der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst immanent. Das Streikrecht der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wird nicht verletzt durch die an Beamte gerichtete Anordnung sog. Streikarbeit (str.)455b. 4. Beendigung des Dienstverhältnisses Das Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst kann — abgesehen vom Todesfall, von der Vereinbarung der Beteiligten oder vom Zeitablauf bei Dienstverhältnissen auf Zeit 455c — durch ordentliche oder außerordentliche (fristlose) Kündigung enden. Abweichend von anderen privatrechtlich begründeten Arbeitsverhältnissen gelten für die ordentliche Kündigung längere Fristen; nach 15 Jahren Dienst (aber frühestens nach Vollendung des 40. Lebensjahres) ist eine ordentliche Kündigung nicht mehr möglich 456 . Die außerordentliche Kündigung kann nur aus wichtigem Grund erfolgen 457 . Zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind, wie für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, die Arbeitsgerichte zuständig. Disziplinarverfahren kennt das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentli455
Scholz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 379 zu Art. 9; F. Wagener, W D S t R L 37 (1979), S. 228 Fn. 49; Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 293f.; Badura, Staatsrecht, 1986, S. 154; a. A.: Isensee, Beamtenstreik, 1971, S. 38; Leisner, ZBR 1975, 74f. Weitere Hinw. zu beiden Ansichten bei Stern, StaatsR I, S. 374; A. Janssen, Das Streikrecht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst und der „Dritte Weg" der Kirchen, 1982; M. H. Bobke/H. Grimberg, RiA 1985, 25ff.; R. Birk, Der gewerkschaftliche Warnstreik im öffentlichen Dienst, 1985. 455a Nachw. bei H. P. Schneider, RdA 1982, 106 Fn. 29; speziell zum Streik in kommunalen Versorgungsunternehmen: von Münch, DÖV 1960, 294ff. 455b BVerwGE 69, 208ff.; BAG JZ 1986, 596ff.; Battis, PersV 1986, 149ff.; VG Düsseldorf ZBR 1982, 241; Badura / Stern, Die Rechtmäßigkeit des Beamteneinsatzes beim Streik der Tarifkräfte, 1983; v. Münch, DÖV 1982, 337ff.; Seiler, ZBR 1985, 213ff.; a. A.: Menkens, RdA 1982, 101 ff. (104); G. Müller, RdA 1982, 86ff. (95); H.-P. Schneider, RdA 1982, 104ff.; Söllner, AuR 1982, 233ff.; Säcker / Oetker, AöR 112 (1987), 345ff.; Plander, JZ 1986, 570ff.; Rüthers, AuR 1987, 37ff.; Büchner, AuR 1987, 60ff.; Mayer, RiA 1984, 241 ff. Zur Rechtswegproblematik Seiler, NJW 1986, 413 ff. 4550
456 457
Zu befristeten Arbeitsverträgen im öffentlichen Dienst vgl. BAG DUZ 1979, 224; Lecheler, JZ 1984, 80f. (auch zum „Kettenarbeitsvertrag"). Unzutreffend F. Jobs / P.Bader, Beil. Nr. 21/81 zu DB 1981 H. 38, S. 6, die Förderung wissenschaftl. Nachwuchses sei kein sachlicher Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses. Vgl. § 55 BAT. Vgl. §54 BAT. 89
1. AbSChn. V
Ingo von Münch
chen Dienst nicht, auf Dienstverfehlungen eines Angestellten kann daher nur mit Abmahnung und Kündigung reagiert werden. Grundlage des Versorgungssystems der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist das allgemeine Sozialversicherungsrecht; jedoch haben die Tarifverträge eine Zusatzversorgung geschaffen, deren Ziel eine dynamische Gesamtversorgung ist, die mit der Höhe des Ruhegehalts der Beamten konkurrieren kann 458 . Für Rechtsstreitigkeiten aus der Zusatzversorgung ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, da die Rechtsbeziehungen der Rentner zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (anders als zu den Trägern der Sozialversicherung) privatrechtlicher Natur sind 459 .
V. Personalvertretung Das Personalvertretungsrecht ist eine wichtige Erscheinungsform des kollektiven öffentlichen Dienstrechts 4593 . Grundgedanke des Personalvertretungsrechts ist es, mit den Personalvertretungen Stellen zu schaffen, die — im Spannungsfeld zwischen sozialem Schutzauftrag und demokratischer Regierungsverantwortung stehend 460 — zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der menschlichen Beziehungen beitragen. Das Bundespersonalvertretungsgesetz 461 und die innerhalb der Rahmenvorschriften (Art. 75 Nr. 1 458
Vgl. Otto, a. a. O., S. 76. BSG NJW 1972, 2151 f.; Otto, a. a. O., S. 77. 459a Yg| j pafrer Personalvertretung und Mitbestimmung im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, 1979; allg. zum Personalrat und zu den verfassungsrechtlichen Fragen der Mitbestimmung vgl. Kübel, PersV 1986, 129ff.; Battis, NVwZ 1986, 884ff.; ders., DÖV 1987, lff.; Schneider, RiA 1986, 172ff.; Steiner, PersV 1987, 134ff.; Plander, AuR 1987, lff. 460 Dazu: Söllner, RdA 1976, 64ff.; zur Erweiterung der Mitbestimmungsrechte vgl. H. Steiner, ZBR 1985, 184ff. 461 BPersVG vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 693), zuletzt geänd. durch G vom 18. Dezember 1987 (BGBl. I, S. 2746). Dazu Wahlordnung (BPersVWO) vom 23. Sept. 1974 (BGBl. I, S. 2337); zu dieser vgl. H. Dietrich, ZBR 1975, 46ff. - Zu den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder vgl. R. Dietz / R. Richardi, Bundespersonalvertretungsgesetz unter Berücksichtigung der Landespersonalvertretungsgesetze, 2. Aufl. 1978; A. Fischer / H.-J. Goeres, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, 1987; R. Geffken, Bundespersonalvertretungsgesetz, 1976; Grabendorff / Windscheid / Ilbertz / Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, mit Wahlordnung, 6. Aufl. 1986; U. Lorenzen / M. Haas / L. Schmitt, Bundespersonalvertretungsgesetz, 4. Aufl. 1975ff.; R. Weis, Personalvertretungsrecht in Rechtsprechung und Schrifttum (Bund und Länder), 1978ff.; K. Winkler, Die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder. Entscheidungsslg., 1973ff.; M. Schwarz / A. Killinger, Das neue Personalvertretungsrecht in Baden-Württemberg, PersV 1976, 28 lff.; K. Schelter, Personal Vertretungsrecht, 1984; ders., Bayerisches Personal Vertretungsgesetz, 1978; C. H. Germelmann, Personalvertretungsgesetz Berlin. 1975ff.; R. Großmann / R. Mönch / U. Rohr, Bremisches Personalver459
90
1. Abschn. V 1
Öffentlicher Dienst
GG) 4 6 1 a der § § 9 5 - 1 0 6 BPersVG zulässigen Personalvertretungsgesetze der Länder 4 6 2 bilden also eine die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes berücksichtigende Parallele zum BetriebsverfassungsG 4 6 3 . D a s Bundespersonalvertretungsgesetz von 1974 464 hat gegenüber dem vorher geltenden Recht die Stellung der Gewerkschaften im System der Personalvertretung ausgebaut, den Schutz für die Träger personalvertretungsrechtlicher Funktionen unterstrichen, die Stellung des Personalrates gestärkt, die Jugendvertretung mit erheblichen Rechten ausgestattet und vor allem die förmlichen Beteiligungsrechte der Personalvertretungen bei innerdienstlichen M a ß n a h m e n des Dienststellenleiters erweitert. Organe der Personalvertretung, die bei jeder Dienststelle (Behörde) eingerichtet werden müssen, sind der Personalrat und die Personalversammlung. Zu Einzelheiten gibt es inzwischen eine kaum noch übersehbare Rechtsprechung 4 6 4 2 . 1. Personalrat Der Personalrat wird v o n den Beschäftigten der Dienststelle 4641 ' nach dem Prinzip der Gruppenwahl in geheimer und unmittelbarer Wahl 4 6 5 gewählt, d. h. die Beamten, Angestellten und Arbeiter wählen in getrennten Wahlgäntretungsgesetz, 1979; H. Engelhardt / G. Ballerstedt / H. W. Schleicher, Personalvertretungsgesetz für das Land Niedersachsen, 3. Aufl. 1973; R. Spohn, Personalvertretungsgesetz für das Land Niedersachsen, 1977; H. Hävers, Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 7. Aufl. 1987; W. Hanßen / E. Krieg / K. Orth / H. Welkoborski, Kommentar zum Landespersonalvertretungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 1977; H.Schmidt / F. J. Reinartz, Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 1975; Donalies, Personalvertretungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, 1977; A. Söllner / H. J. Reinert, Personalvertretungsrecht, 1985. 46,3 Zum Umfang der weitgehend eigenständigen Regelungsbefugnis der Länder innerhalb dieses Rahmens vgl. BVerfGE 7, 127; 9, 288; 51, 54. - Unmittelbar für die Länder geltende Vorschriften sind die §§ 107-109 BPersVG (zu § 108 II: BVerfGE 51, 52 f.). 462 Eine Übersicht über die z. Zt. in den Bundesländern geltenden Personalvertretungsgesetze findet sich in Grabendorff / Windscheid / Ilbertz / Widmaier, a. a. O., S. 84ff. 463 K. Fitting / F. Auffahrt / H. Kaiser, Betriebsverfassungsgesetz nebst Wahlordnung, 13. Aufl. 1981, Anm. 4 zu § 130. 464 Dazu Dietrich, ZBR 1974, 113ff.; Haverkamp, VerwArch 75 (1984), 284ff. 4643 Vgl. z. B. die Zusammenstellung von Windscheid, ZBR 1980, 258 ff. und H. J. Bekker, ZBR 1986, 185ff. ^ Z u m Begriff der Beschäftigten einer Dienststelle vgl. BVerwG ZBR 1981, 69. 465 Vgl. § 19 I BPersVG. Nachträgl. Verzicht auf Wahlgeheimnis ist — auch zur Aufdeckung des Verdachts von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl — unzulässig: BVerwGE 49, 75 ff. Zur Wahlanfechtungsbefugnis einer gewerkschaftlichen Spitzenorganisation (verneinend) BVerwGE 61, 334 ff. Zur gerichtl. Überprüfung von Personalratswahlen vgl. G.-St. Thiele, PersV 1976, 401 ff. 91
1. A b S C h n . V 1
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gen nach dem Prinzip der Verhältniswahl so viele Personalratsmitglieder, wie es ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Bediensteten in der Dienststelle entspricht 466 ; wichtig ist dabei auch der Minderheitenschutz für zahlenmäßig schwache Gruppen 4663 . Wahlbewerber dürfen — allerdings nur in eng begrenztem Umfang — für sich Wahlwerbung betreiben466*". Der Personalrat ist Repräsentant der Gesamtheit der Beschäftigter^1. Die Personalratsmitglieder müssen sich deshalb bei ihrer Tätigkeit so verhalten, „daß das Vertrauen der Verwaltungsangehörigen in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung nicht beeinträchtigt wird" 4673 . Obwohl die Personalvertretungen nicht zur Unterstützung der spezifischen Ziele der Koalitionen tätig werden4671", ist gewerkschaftliche Werbung durch Personalratsmitglieder nicht absolut verboten; eine solche Werbung ist jedoch dann pflichtwidrig, wenn sie „nachhaltig und unter Druck" betrieben wird 4670 . Die Abwahl eines Personalratsmitgliedes während der laufenden Wahlperiode ohne besonderen Grund ist nicht möglich467'1. Personalratsmitglieder sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben ganz oder teilweise von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen467e. Eine Freistellung hat auch für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zwecks Erlangung der erforderlichen personalvertretungsrechtlichen Kenntnisse zu erfolgen, was in der Praxis häufig zu Streitfällen führt46™. Der Personalrat ist das geschäftsführende Organ der Personalvertretung 468 . Zusammen mit der Dienststelle hat er darüber zu wachen, daß alle in der Dienststelle tätigen
466
Vgl. §§ 5, 17 BPersVG; zur Bedeutung des Gruppenprinzips im Zusammenhang mit Personalratswahlen vgl. OVG Bremen ZBR 1984, 275f. 466a Vgl. § 33 S. 2 BPersVG. 466b VG Sigmaringen ZBR 1979, 346 m. zust. Anm. von Windscheid, S. 347. 467 Zur Grundrechtsfähigkeit von Personalräten vgl. W. Dütz, Der Grundrechtsschutz von Betriebsräten und Personalräten, Ein Rechtsgutachten, 1986. 467a Vgl. § 67 I S. 2 BPersVG u. die entspr. Best, in den LPersVG. 46715 BVerfGE 51, 77 ff. 4670 BVerwG ZBR 1979, 377. 467(1 BVerfGE 51, 77ff. (Brem. PersVG) m. Anm. R. Mönch, DVB1. 1979, 462ff. Zum Ausschluß eines Personalratsmitgliedes vgl. BVerwG ZBR 1980, 191. 4676 Vgl. § 46 I I I - V BPersVG. Vgl. BVerwG ZBR 1981, 106 und H.-J. Bauschke, PersV 1984, 265ff.; zur Rechtsnatur einer Streitigkeit über die Auswirkung der Freistellung vom Dienst eines beamteten Personalratsmitgliedes auf die Arbeitszeitberechnung BVerwG ZBR 1981, 288. 467f Vgl. § 46 VI BPersVG. Vgl. dazu BVerwG ZBR 1979, 23 ff. und - auch zum Unterschied zwischen § 46 VI und § 46 VII - BVerwG ZBR 1979, 310ff. 468 Zu Aufgaben und Funktion des Personalrats vgl. O. E. Starke, DÖV 1975, 899ff.; zur Anfechtung von Beschlüssen des Personalrats vgl. Windscheid, PersV 1977, 125 f. Zur Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf Rechtsstellung und Tätigkeit der Personalvertretungsorgane vgl. Laubinger, VerwArch 77 (1985), 449 ff. 92
Öffentlicher Dienst
1. A b S C h n . V 1 469
Personen nach Recht und Billigkeit behandelt werden . Der Personalrat kann Beschwerden entgegennehmen und ist vor allem in sozialen Angelegenheiten, in Fragen des Arbeitsschutzes und in Personalangelegenheiten mitbeteiligt470. Die Beteiligung ist abgestuft nach voller Mitbestimmung, eingeschränkter Mitbestimmung und Mitwirkung. Maßnahmen, die der sog. vollen Mitbestimmung471 unterliegen — z. B. Einstellung von Angestellten und Arbeitern4713, Versetzung47 lb , Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit472, Gestaltung der Arbeitsplätze von Angestellten und Arbeitern, Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs 4723 , Zuweisung und Kündigung von Dienstwohnungen 473 , Sozialeinrichtungen 4733 , Beurteilungsrichtlinien473b, Inhalt von Personalfragebögen für Angestellte und Arbeiter4730, Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten4730, Einführung EDV-gestützter Speicherung und Auswertung von Tätigkeitsberichten4736 — können nur mit Zustimmung des Personalrates getroffen werden. Verweigert der Personalrat die Zustimmung und kommt eine Einigung nicht zustande, so kann der Leiter der Dienststelle oder der Personalrat die betreffende Angelegenheit der obersten Dienstbehörde vorlegen. Im Fall der Nichteinigung zwischen der obersten Dienstbehörde und der an ihr bestehenden Personalvertretung entscheidet endgültig eine unabhängige Einigungsstelle474
469
Vgl. § 67 I S. 1 BPersVG. Zu den Informationsrechten von Personalräten vgl. Gola, RiA 1987, 169ff.; ders., DÖD 1987, 172ff. 470 Vgl. §§75 ff. BPersVG. 471 Vgl. § 75, 76 BPersVG. 4713 Verlängerung eines Zeitvertrages ist eine Einstellung i. S. des § 75 I Nr. 1 BPersVG: BVerwG ZBR 1979, 279; vgl. auch BVerwG AuR 1984, 191 f. und Plander, AuR 1984, 161 ff. 47 l b Nicht dagegen die Ablehnung oder Unterlassung einer Versetzung, vgl. Hess. VGH ESVGH 33, 81 ff. 472 Zur Frage, ob dazu auch die Anordnung bzw. Festsetzung von Überstunden gehört, vgl. Schwerdtfeger, ZBR 1977, 176ff. 472a Modellversuch einer Privatisierung, der die Arbeitsplätze unberührt läßt, fällt nicht hierunter: BVerwG ZBR 1981, 257ff. (Bahnbusverkehr). 473 Dazu Sennekamp, ZBR 1975, 75ff. 4733 BVerwG ZBR 1979, 342 ff. 473b BVerwG ZBR 1981, 71 ff. („Orientierungsbeurteilungen"). 473c Zum Begriff Personalfragebogen: BVerwG ZBR 1981, 132f. 473d § 75 III Nr. 5 BPersVG erfaßt nur generelle, von allen zu beachtende Vorschriften, nicht jedoch Einzelmaßnahmen wie die Mißbilligung eines Arbeitnehmers: BVerwG DVB1. 1979, 469f. (dort auch zur Überprüfung der Arbeitsplätze). 473e HessVerwGH RDV 1986, 268 ff. 474 Vgl. §§69 IV S. 1, 71 BPersVG. Zu Errichtung, Verfahren und Entscheidung H. Kunze, PersV 1977, 161 ff.; zur gerichtl. Überprüfung ihrer Beschlüsse: M. Witzel, PersV 1977, 281 ff. 93
1. Abschn. V 2
Öffentlicher Dienst 475
Maßnahmen, die der sog. eingeschränkten Mitbestimmung unterliegen — z. B. Einstellung 476 , Beförderung, Abordnung von Beamten — können ebenfalls nur mit Zustimmung des Personalrates getroffen werden. Bei Verweigerung der Zustimmung und im Fall der Nichteinigung beschließt die Einigungsstelle eine (rechtlich nicht bindende) Empfehlung an die oberste Dienstbehörde, die sodann selbst entscheidet 477 . Mitbestimmung in Personalangelegenheiten von künstlerischem Personal verstößt nicht von vornherein gegen die Freiheit der Kunst (Art. 5 III S. 1 GG) 477a ; ebenso schließt die Wissenschaftsfreiheit das Mitbestimmungsrecht des Personalrates grundsätzlich nicht aus 477b. Bei Maßnahmen, die nur der Mitwirkung478 unterliegen — z. B. Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerditn>'liehen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs, Auflösung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen, Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen Beamte 479 , Kündigung von Arbeitnehmern, Entlassung von Beamten auf Probe oder auf Widerruf (wenn sie die Entlassung nicht selbst beantragt haben) 4793 — braucht der Personalrat nur gehört zu werden 480 . In Eilfällen („bei Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden") kann der Dienststellenleiter bis zur endgültigen Entscheidung vorläufige Regelungen treffen 4803 . Im Fall der Nichteinigung entscheidet ohne Einschaltung der Einigungsstelle die nächsthöhere Dienststelle, und — wenn wiederum keine Einigung erfolgt — die oberste Dienstbehörde (sog. dreistufiges Verfahren). 475
Vgl. § 76 BPersVG. Ein Beteiligungsrecht an den der Entschlußfassung vorausgehenden Tätigkeiten — z. B.: Einstellungsgespräch - besteht nicht: OVG Rh.-Pfalz DÖV 1977, 858ff. 477 Vgl. §§69 IV S. 3 u. 4, 71 BPersVG. Zur Zustimmungsverweigerung allg. vgl. W. Franz, ZBR 1980, 143 ff. 477a BVerwGE 62, 55 ff. (Stadttheater Bremerhaven), bestätigt durch BVerfG ZBR 1983, 107. Vgl. dazu auch Kunig, DÖV 1982, 765ff.; Küttig /Meirowitz, JuS 1984, 288ff.; H. P. Ipsen, DVB1. 1982, 112ff.; Ossenbühl, DÖV 1983, 785ff. 477b BVerwGE 72, 94 ff. 478 Vgl. §§ 78, 79, 72 IV BPersVG. 479 Dazu Weinmann, ZBR 1975, 136ff.; nicht aber bei nichtförmlichen Disziplinarmaßnahmen: Windscheid, ZBR 1975, 280f. Allg. dazu Schnupp, PersV 1978, 280ff. 479a Unterbliebene Anhörung kann nicht im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden: BVerwGE 66, 291 ff. 480 Dazu P. Bopp / J. Goller, Beteiligung des Betriebs- und Personalrats bei Kündigungen, 1979. — In einigen Bundesländern (so in Hessen — § 64 I Nr. 2 g hess. PersVG) steht dem Personalrat bei der ordentlichen Kündigung nicht nur ein Mitwirkungsrecht, sondern ein Mitbestimmungsrecht zu; dies gilt nicht für ein faktisches Arbeitsverhältnis oder eine ohne Wissen des Arbeitgebers aufgenommene Tätigkeit: BVerwG ZBR 1979, 279 f. 480a Vgl § 69 v BPersVG. Für weite Auslegung R. Fischer, ZBR 1979, 322ff., für enge Auslegung K. Klein, ZBR 1980, 57 f. 476
94
1. Abschn. V 2
Ingo von Münch
Erfüllt eine beabsichtigte Maßnahme mehrere Beteiligungstatbestände, die unterschiedliche Beteiligungsrechte auslösen, so greift nur das weniger weitgehende Beteiligungsrecht ein, wenn der Gesetzgeber unter Beachtung der rahmenrechtlichen Vorschrift des § 104 BPersVG nur diese schwächere Form der Beteiligung gewähren wollte 480b . Die Folgen der unterlassenen Beteiligung sind jedoch in allen Fällen gleich, nämlich Rechtswidrigkeit (d. h. bei einem Verwaltungsakt Anfechtbarkeit) der getroffenen Maßnahme 481 . Eine Heilung der vor der fristlosen Entlassung eines Beamten auf Probe unterbliebenen Anhörung des Personalrates ist nicht möglich 48 ' 3 . Dienststelle und Personalrat sollen vertrauensvoll zusammenarbeiten, dürfen den Frieden in der Dienststelle nicht gefährden und keine Arbeitskampfmaßnahmen gegeneinander führen 482 . Der Personalrat darf sich in der Dienststelle nicht parteipolitisch betätigen 483 , auch nicht die einzelnen Personalratsmitglieder 484 . Der Aufbau der Personalvertretung soll den Verwaltungsaufbau der Behörden widerspiegeln. Deshalb werden im Bereich mehrstufiger Verwaltungen bei den Mittelbehörden Bezirkspersonalräte, bei den obersten Dienstbehörden Hauptpersonalräte gebildet (sog. Stufenvertretung)485. Sinn dieser der behördlichen Verwaltungshierarchie entsprechenden Gestaltung ist es, zu vermeiden, daß die übergeordnete Behörde auf Grund ihres allgemeinen Weisungsrechtes oder im Bereich ihr vorbehaltener Entscheidungen gegenüber der untergeordneten Behörde den Einfluß der zur Beteiligung berechtigten Personalvertretung ausschalten könnte 486 . Die Frage, wer im Beschlußverfahren in Personalvertretungssachen Beteiligungsbefugnis besitzt, ist Tatfrage des Einzelfalles und nach materiellem Recht zu entscheiden 486 ". 2. Personalversammlung Die Personalversammlung ist die Versammlung aller Bediensteter der Dienststelle 487 . Sie findet als ordentliche Personalversammlung einmal im Jahr statt, sowie bei Bedarf als außerordentlich einberufene Versammlung. Auf der ordentlichen Personalversammlung erstattet der Personalrat einen 480bBVerwG
Z B R 19gl) ?2f
(ßinPersVG).
481
Dazu Scheerbarth / Höffken, S. 565 ff. 48la BVerwGE 66, 291 ff. 482 Vgl. § 66 II BPersVG. 483 Vgl. § 67 I S. 3 BPersVG; zur gewerkschaftl. Betätigung vgl. oben S. 68f., 92. 484 OVG Berlin ZBR 1976, 92 f. 485 Vgl. § 53 ff. BPersVG. 486 BVerwGE 7, 255. 486a Dazu Windscheid, ZBR 1980, 114f. - Vgl. auch BVerwG ZBR 1980, 59ff. (auch zum Begriff der Einführung einer grundlegend neuen Arbeitsmethode). 487 Vgl. §§48 ff. BPersVG. 95
1. Abschn. VI
Ingo von Münch
Tätigkeitsbericht; im übrigen kann die Personalvertretung durch Anträge an den Personalrat und Stellungnahmen zu seinen Beschlüssen alle Angelegenheiten behandeln, die in die Zuständigkeit des Personalrates fallen 4878 .
VI. Bundes-(Landes-)Personalausschuß Zur Objektivierung der Personalverwaltung 488 ist im Bund und in den meisten Bundesländern ein als unabhängiges, nicht an Weisungen gebundenes Organ konstituierter Bundes-(Landes-)Personalausschuß gebildet worden 489 . Die Aufgaben z. B. des Bundespersonalausschusses sind 490 : Mitwirkung bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse; Mitwirkung bei der Vorbereitung über die Ausbildung, Prüfung und Fortbildung von Beamten; Entscheidung über die allgemeine Anerkennung von Prüfungen; Stellungnahme zu Beschwerden von Beamten und zurückgewiesenen Bewerbern in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung; Vorschläge zur Beseitigung von Mängeln in der Handhabung der beamtenrechtlichen Vorschriften. Neben der Mitwirkung in Form des Beratungsrechtes hat der Bundespersonalausschuß aber auch Entscheidungsrechte 491 (z. B. Entscheidung über die Ausnahme vom Verbot der Sprungbeförderung). Soweit dem Bundespersonalausschuß Entscheidungsrechte übertragen sind, binden seine Beschlüsse die Behörde in der Weise, daß sie eine entsprechende Maßnahme treffen bzw. unterlassen muß. Die Entscheidung des Bundespersonalausschusses ist aber, da sie nur Voraussetzung für den Verwaltungsakt der Behörde ist, selbst kein Verwaltungsakt492. Die bisherige Tätigkeit der Personalausschüsse hat sich bewährt.*
487a 488 489 490 491 492
* 96
Dazu Bieler, PersV 1985, 393ff. E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Vorbem. 2 vor § 95. Vgl. §§ 95ff. BBG; § 61 BRRG („Landespersonalämter"). Vgl. § 98 BBG. Vgl. §§ 8 II S. 2, 21 S. 2, 22 II, 24 S. 3, 41 II S. 1 BBG. E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Randnr. 14 zu § 98. Zur Zulässigkeit der Klage eines Kommunalverbandes gegen eine beamtenrechtliche Entscheidung des Landespersonalausschusses BVerwGE 31, 345. Für wertvolle Mitarbeit danke ich Frau Referendarin Andrea Franke sowie Herren stud. iur. Niels Lau und Michael Seitz.
ZWEITER ABSCHNITT
Kommunalrecht Eberhard Schmidt-Aßmann
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2. Abschn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
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Kommunalrecht
2. Abschn.
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Eberhard Schmidt-Aßmann
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Gesetze Verfassungsgesetzliche Grundlagen des Kommunalrechts Art. 28, 93 I Nr. 4 b und 115 c III GG. Die Finanzverfassung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften behandeln: Art. 106 V - I X , 107 II, 108 IV und V GG. Verf. des Landes Baden-Württemberg vom 11. 11. 1953, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. 5. 1984: Art. 69, 71 - 76. Verf. des Freistaates Bayern vom 2. 12. 1946, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. 6. 1984: Art. 9, 10, 11, 12 und 83. Verf. des Landes Hessen vom 1. 12. 1946, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.3. 1970: Art. 137 und 138. Vorläufige niedersächsische Verf. vom 13. 4. 1951, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. 3. 1972: Art. 44, 45. Verf. für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18.6. 1950, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 19. 3. 1985: Art. 78 und 79. Verf. f. Rheinland-Pfalz vom 8.5. 1947, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. 11. 1985: Art. 49 und 50. Verf. des Saarlandes vom 15. 12. 1947, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. 1. 1985: Art. 117-123. Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. 12. 1949 idF der Bekanntmachung vom 7. 2. 1984, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. 2. 1984: Art. 38 - 42. Sammlungen von Kommunalgesetzen E. Schieberger / R. Wiese, Gemeindeverfassungen in den deutschen Bundesländern einschließlich der Stadt-Umland-Regelungen, 1975 (Schriften zum deutschen Kommunalrecht, Bd. 1). 100
Kommunalrecht
2. Abschn.
G. Schmidt-Eichstaedt /1. Stade / M. Borchmann, Die Gemeindeordnungen und die Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland, Loseblattsammlung.
Die einzelnen Kommunalgesetze Baden- Württemberg: GemeindeO vom 25. 7. 1955 idF vom 3. 10. 1983 (GBl. S. 578), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. 5. 1987 (GBl. S. 161). LandkreisO vom 10. 10. 1955 idF vom 19. 6. 1987 (GBl. S. 288). NachbarschaftsverbandsG vom 9. 7. 1974 (GBl. S. 261). Gesetz über kommunale Zusammenarbeit idF vom 16. 9. 1974 (GBl. S. 408), zuletzt geändert am 29. 6. 1983 (GBl. S. 229). Bayern: GemeindeO vom 25. 1. 1952 idF vom 26. 10. 1982 (GVB1. S. 903), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. 8. 1986 (GVB1. S. 210). LandkreisO vom 16. 2. 1952 idF der Bekanntmachung vom 26. 10. 1982 (GVB1. S. 928, ber. S. 1136), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. 8. 1986 (GVB1. S. 210). Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit vom 12.7. 1966 (GVB1. S. 218, ber S. 314), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. 7. 1982 (GVB1. S. 471). VerwaltungsgemeinschaftsO für den Freistaat Bayern idF der Bekanntmachung vom 26. 10. 1982 (GVB1. S. 965). Berlin: Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung vom 2. 10. 1959 (GVB1. S. 947), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.4. 1987 (GVB1. S. 1302). Bezirksverwaltungsgesetz von Berlin idF vom 5. 7. 1971 (GVB1. S. 1169), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. 7. 1984 (GVB1. S. 1008). Bremen: Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter im Gebiet der Stadtgemeinde Bremen vom 9. 4. 1979 (GBl. S. 115, ber. GBl. 1979, S. 223), geändert durch Gesetz vom 19. 5. 1987 (GBl. S. 182). Hamburg: BezirksverwaltungsG der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22. 5. 1978 (GVB1. S. 178), idF vom 27. 6. 1984 (GVB1. S. 135), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 1. 1987 (GVB1. S. 11). Hessen: GemeindeO vom 25. 2. 1952 idF vom 1. 4. 1981 (GVB1. I S. 66), geändert durch Gesetz vom 6. 3. 1985 (GVB1. I S. 57). Gesetz über den Umlandverband Frankfurt vom 11. 9. 1974 (GVB1. I S. 427), geändert durch Gesetz vom 26. 10. 1976 (GVB1.1 S. 428). Hessische LandkreisO vom 25.2. 1952 idF vom 1.4. 1981 (GVB1. I S. 97), geändert durch Gesetz vom 6. 3. 1985 (GVB1. I S. 57). Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 16. 12. 1969 (GVB1.1 S. 307), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. 6. 1978 (GVB1. I S. 420). Niedersachsen: Niedersächsische GemeindeO idF vom 22. 6. 1982 (Nds. GVB1. S. 229), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. 10. 1986 (GVB1. S. 323). Niedersächsische LandkreisO idF vom 22. 6. 1982 (Nds. GVB1. S. 256), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. 10. 1986 (GVB1. S. 323). 101
2. Abschn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
Gesetz über den Verband Großraum Hannover idF der Bekanntmachung vom 2. 11. 1977 (GVB1. S. 569), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. 10. 1986 (GVB1. S. 323). ZweckverbandsG vom 7. 6. 1939 idF der Verordnung vom 11. 6. 1940 (RGBl. I S. 876), geändert durch Gesetz vom 30. 7. 1985 (GVB1. S. 246). Nordrhein- Westfalen: GemeindeO idF der Bekanntmachung vom 13. 8. 1984 (GV NW S. 475), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. 10.1987 (GV NW S. 342). KreisO idF der Bekanntmachung vom 13. 8. 1984 (GV NW S. 497), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. 10. 1987 (GV NW 1987 S. 342). Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit idF der Bekanntmachung vom 1. 10. 1979 (GV NW S. 621), geändert durch Gesetz vom 26. 6. 1984 (GV NW S. 362). Rheinland-Pfalz: GemeindeO vom 14.12.1973 (GVB1. S. 491), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. 3. 1987 (GVB1. S. 64). LandkreisO vom 14.12.1973 (GVB1. S. 451), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. 7. 1982 (GVB1. S. 255) und vom 27. 3. 1987 (GVB1. S. 64). Zweckverbandsgesetz vom 27. 3. 1987 (GVB1. S. 64). Saarland: KommunalselbstverwaltungsG idF der Bekanntmachung vom 1. 9. 1978 (ABl. S. 801), geändert durch Gesetz vom 26. 6. 1986 (ABl. S. 526). Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 26. 2. 1975 (ABl. S. 490). Schleswig-Holstein: GemeindeO vom 24. 1. 1950 (GVOB1. S. 25) idF vom 11.11. 1977 (GVOB1. S. 410), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. 1. 1987 (GVB1. S. 2). KreisO vom 27. 2. 1950 (GVB1. S. 49) idF vom 11. 11. 1977 (GVB1. S. 436), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 12. 1982 (GVOB1. S. 308). AmtsO vom 17.6.1952 (GVB1. S. 95) idF der Bekanntmachung vom 11.11.1977 (GVB1. S. 448), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. 5. 1985 (GVOB1. S. 123). Landesverordnung über Nachbarschaftsausschüsse vom 29. 10. 1974 (GVB1. S. 412). Landesverordnung über Ortsbeiräte vom 6. 2. 1970 (GVB1. S. 39), geändert durch Landesverordnung vom 19. 9. 1973 (GVB1. S. 326). Gesetz über kommunale Zusammenarbeit idF der Bekanntmachung vom 11. 11. 1977 (GVB1. S. 455), geändert durch Gesetz vom 14. 5. 1985 (GVOB1. S. 123).
102
2. Abschn.
Kommunalrecht
Gliederung Vorbemerkung 1. Begriffe 2. Gesetzliche Grundlagen 3. Zur Entwicklung des Kommunalwesens 4. Statistische Angaben I. Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden 1. Die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung a) Rechtssubjektsgarantie b) Rechtsinstitutionsgarantie aa) Universalität bb) Eigenverantwortlichkeit cc) Gesetzes Vorbehalt dd) Sog. Gemeindehoheiten c) subjektive Rechtsstellungsgarantie d) Erstreckungsgarantien 2. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden im Grundgesetz a) partielle Finanzgarantien b) Grundrechte aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit 3. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen
107 107 107 108 109 110 111 112 114 114 116 117 119 121 122 123 123 123 123 124 125
II. Gemeinden u n d Staatsaufsicht 1. Aufgaben der Gemeinden a) Aufgabendualismus aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten bb) Auftragsangelegenheiten b) Aufgabenmonismus aa) interne Gliederung bb) Weisungsaufgaben als Mischform c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum . . . . 2. Rechtsaufsicht a) Aufsichtsmittel b) Rahmenbedingungen u n d Rechtsschutz 3. Fachaufsicht a) Wesen u n d Regelungen b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche M a ß n a h m e n 4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck u n d Typik b) spezielle Genehmigungsvorbehalte aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung bb) staatliche Mitentscheidung, K o n d o m i n i u m
125 126 126 126 127 127 127 128 129 129 130 131 132 132 133 135 135 135 135 136
III. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus ( G e m e i n d e v e r f a s s u n g s r e c h t ) . . . . Vorbemerkungen a) Das Bild der Einheitsgemeinde
137 137 137 103
2. AbSChn.
Eberhard Schmidt-Aßmann
b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden aa) kreisangehörige Gemeinden bb) kreisfreie Städte cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden 1. Gemeindeverfassungstypen (Überblick) 2. Der Gemeinderat a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus aa) Rechts- und Pflichtenstatus bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften b) interne Organisation und Verfahren des Rates aa) Rats Vorsitzender bb) Ratsgeschäftsordnung cc) Ratssitzungen dd) Ratsausschüsse c) Aufgaben des Gemeinderates aa) Systematik bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick) 3. Der Gemeindevorsteher a) Status b) Aufgaben aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung cc) übertragene Angelegenheiten dd) Dringlichkeitsentscheidungen ee) Verwaltungschef ff) Vertretung der Gemeinde gg) Einspruchsrecht 4. Besonderheiten der Magistratsverfassung 5. Kommunalverfassungsstreit a) Grundfragen und Entwicklung b) Einzelheiten IV. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung .. 1. Kommunalwahlen a) Grundsätze b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen a) ehrenamtliche Tätigkeiten b) neuere Beteiligungsformen aa) schlichte Mitwirkungsmöglichkeiten bb) Mitentscheidungsmöglichkeiten 3. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften V. Die Rechtsetzung der Gemeinden 1. Gemeindliche Satzungen a) Regelungstypus b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt c) Verfahren aa) allgemein bb) Verfahrensfehler d) Rechtsschutz gegen Satzungen 104
137 138 138 138 138 140 140 142 142 143 143 144 144 145 146 146 147 148 148 149 149 149 150 150 151 151 152 152 153 154 155 156 157 157 158 159 159 159 160 160 161 162 162 162 163 165 165 165 166
Kommunalrecht
2. Abschn.
2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte a) Rechtsverordnungen b) inneradministrative Rechtssätze VI. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner 1. öffentliche Einrichtungen a) Begriff b) Nutzungsrechte c) Benutzungsverhältnis aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell bb) Typenvielfalt 2. Einrichtungen mit Anschluß- und Benutzungszwang a) Tatbestand b) Grundrechtsfragen aa) Anschlußpflichtige bb) Anbieter gleichartiger Leistungen VII. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde 1. Begriffe und Abgrenzungen 2. Kommunalrechtliche Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen b) Kommunalrechtliche Schrankentrias c) Rechtsschutz 3. allgemeine wirtschaftsrechtliche Schranken 4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen a) Formenvielfalt aa) Öffentlich-rechtliche Formen bb) Privatrechtliche Formen b) Eigenbetriebe
167 168 168 168 169 169 171 171 172 172 174 174 175 175 176 176 176 177 177 178 179 179 180 180 180 180 181
VIII. Finanzen und Haushalt 1. Gemeindefinanzsystem a) Steuereinnahmen aa) Gemeindesteuern bb) Steuererfindungsrecht b) Gebühren und Beiträge c) Finanzzuweisungen 2. Haushaltsrecht a) Haushaltssatzung, Haushaltsplan b) Haushaltsvollzug
181 182 183 183 184 185 185 186 186 187
IX.
187 188 188 189 190 190
Das Recht der Landkreise (Kreise) 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung a) Rechtssubjektsgarantie b) Rechtsinstitutionsgarantie 2. Aufgaben der Kreise a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden aa) übergemeindliche Aufgaben
190 191 105
2. A b S C h n .
X.
106
Eberhard Schmidt-Aßmann
bb) ergänzende Aufgaben cc) ausgleichende Aufgaben dd) die Kompetenz-Kompetenz 3. Die Organe des Kreises a) Kreistag b) Landrat c) Kreisausschuß 4. Staatliche Verwaltung im Kreis
191 191 192 192 192 193 193 193
Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände 1. Gesamtgemeinden 2. Höhere Gemeindeverbände 3. Zweckverbände a) interkommunale Zusammenarbeit b) insbes. Zweckverbandsbildungen
194 196 197 198 198 198
2. Abschn. Vor
Kommunalrecht
Vorbemerkung* 1. Begriffe Als Kommunalrecht bezeichnet man die Summe derjenigen Rechtssätze, die sich auf Rechtsstellung, Organisation, Aufgaben und Handlungsformen der Kommunalkörperschaften beziehen 1 . Zu den Kommunalkörperschaften zählen die Gemeinden, die Landkreise, die höheren Kommunalverbände und Sonderverbände sowie die kommunalen Zweckverbände. Das Gemeinderecht ist ein Teil des Kommunalrechts — der wichtigste Teil, weil die Gemeinden die Basis des körperschaftlich gegliederten kommunalen Verwaltungsgefüges sind. Zudem enthalten die anderen Teile des Kommunalrechts oft Verweisungen auf die Regelungsgebiete des Gemeinderechts. Daher steht das Gemeinderecht im Zentrum auch dieses Beitrages (Abschnitt I — VIII), während das Recht der Landkreise und der sonstigen Gemeindeverbände nur knapp dargestellt wird (IX, X). 2. Gesetzliche Grundlagen Weder für das Kommunalrecht als Ganzes noch auch für das Gemeinderecht existiert eine geschlossene systematische Kodifikation. Wohl aber besteht in jedem Flächenstaat 2 der Bundesrepublik eine Gruppe von Gesetzen, die die Hauptmaterien des Kommunalrechts abdecken. Hierzu zählen die Gemeinde- und Landkreisordnungen und die Zweckverbandsgesetze. Kommunalabgabengesetze und Vorschriften über das kommunale Eigenbetriebs-, Kassen- und Haushaltswesen ergänzen diesen engeren Kreis kommunalrechtlicher Gesetze 3 . Kommunalrecht ist also in seinem Kern Landesrecht. In einem weiteren Sinne freilich finden sich wichtige kommunalrechtliche Rege-
1
2
3
Herrn Ass. Wolf v. Bülow und Herrn Ref. Thomas Strobl danke ich für ihre Hilfe bei der Überarbeitung des Manuskripts und für das Lesen der Korrekturen. Ähnlich Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rdnr. 1; Erichsen, in: Grimm/Papier, Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht (StuVwR NRW), 1986, 108 f. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg unterscheiden nicht zwischen staatlicher und gemeindlicher Aufgabenträgerschaft. Zum organisatorischen Aufbau und der Binnengliederung dieser beiden Länder vgl. Machalet, HkWP Bd. 2, 264 ff. und Bekker / Schneider, HkWP Bd. 2, 265 ff. Die Landesverfassung von Bremen kennt zwar eine eigene kommunale Ebene; in der nachfolgenden Darstellung bleibt jedoch auch dieses Land wie die beiden anderen Stadtstaaten außer Ansatz. Zu Bremen vgl. Heise, HkWP Bd. 2, 310ff. Vgl. die ausführliche Darstellung der Rechtsgrundlagen bei Blümel, HkWP Bd. 1, 229 ff. 107
2. Abschn. Vor
Eberhard Schmidt-Aßmann 4
lungen in vielen Bundes- oder Landesgesetzen , die einzelne Materien des Verwaltungsrechts regeln (Fachgesetze), z. B. die gemeindliche Bauleitplanung im Baugesetzbuch, das kommunale Markt- und Jahrmarktswesen in der Gewerbeordnung; Straßen-, Abfall-, Schul-, Sozialhilfegesetze — sie alle haben auch ihre kommunalrechtliche Seite, denn Gemeinden und Kreise sind zentrale Verwaltungsträger und finden in diesen Gesetzen die Grundlagen für ihre einzelnen Aufgabengebiete (Verwaltungsagenden) 3. Zur Entwicklung des Kommunalwesens Das Wort Gemeinde bezieht sich ursprünglich auf ein bestimmtes Gebiet, die Allmende, eine Gemarkung, an der eine Gruppe von Personen gemeinsame Rechte und Pflichten besaß 5 . Von diesem Realvermögen übertrug sich die Bezeichnung auf die in einem als Einheit verstandenen Gebiet ansässigen Rechtsgenossen, deren Ordnung aus der Notwendigkeit zur Erledigung gemeinsamer Pflichten erwuchs. Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich ein kommunales Gemeinwesen besonderer Art, die Stadt. Ihre Ursprünge liegen in den Kaufmannssiedlungen, die sich besonderen Schutzes des Königs erfreuten, und in den Märkten, in denen sich ein vielfältiger Güteraustausch unter Sicherung des Friedens vollziehen konnte. Hier siedelten sich neben den Handeltreibenden auch Handwerker an, die ihre Wohnstätte, häufig im Schutz einer Burg gelegen, gegen Angriffe von außen befestigten. So kam der Satz auf: „Bürger und Bauern scheiden Zinnen und Mauern". Wer nämlich über Jahr und Tag unangefochten an einem solchen Ort gelebt hatte, wurde als Bürger frei von persönlichen Bindungen an eine Leib- oder Grundherrschaft, wie sie gemeinhin auf dem offenen Land die Stellung des Bauern beeinträchtigten. Die Bürgerschaft gliederte sich in Gilden und Zünfte nach verschiedenen Erwerbszweigen. Diese Verbände führten häufig einen heftigen Streit um die politische Leitung des Gemeinwesens mit der Folge, daß soziale Schichtungen innerhalb der Städte mannigfache Differenzierungen 4
5
108
Zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen, BVerfGE 26, 172 (182); Stern, Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, § 12 III; weit. Nachw. bei Blümel, a. a. O., 230. Die daraus resultierende Rechtszersplitterung bereitet dem Studium ebenso wie jeder vereinheitlichenden Darstellung des Kommunalrechts erhebliche Schwierigkeiten. Die nachfolgenden Ausführungen wollen mit dem Text der jeweiligen Gemeindeordnung in der Hand gelesen werden. Zum Vergleich der Gemeindeordnungen vorzüglich geeignet Schmidt-Eichstaedt / Stade / Borchmann, Die Gemeindeordnungen und die Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland (Lsbl.), mit Einführungen und synoptischen Tafeln im Anhang; vgl. dort auch die jahrgangsweise, aktualisierten Nachweise zur kommunalrechtlichen Literatur. In das wissenschaftliche Arbeiten mit kommunalrechtlichen Materialien führt ein Borchmann, HkWP Bd. 1, 48 ff. Vgl. zu den folgenden Entwicklungsabschnitten ausführlich Droege, in: Jeserich / Pohl/v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, 1983, 177ff. und 193ff.; Herborn, dort 658ff.; Pohl, Fs. f. v. Unruh, 8ff.
2. Abschn. Vor
Kommunalrecht
schufen, so daß vielerorts nur Patrizier ratsfähig waren und eine hegemoniale Stellung erlangten. So wich das genossenschaftliche Prinzip, das einst wichtige Impulse zur Entwicklung dieser Gemeinden gegeben hatte, der Herrschaft einflußreicher Familien, die nun innerhalb der Stadt als Obrigkeit auftraten. Ein wesentliches Kriterium der Stadt war seit dem 13. Jahrhundert ihre Autonomie zur Rechtssetzung. Von größeren Orten, wie Nürnberg, Lübeck oder Magdeburg übernahmen Tochterstädte bis weit in die östlichen Staaten Europas ihre Verfassung, so daß „Stadtrechtsfamilien" entstanden, die in der Entwicklung des Rechts in Europa keine geringe Rolle spielen. Mit der Entwicklung des absolutistisch regierten Territorialstaates erstarrte fast überall in Deutschland das kommunale Leben. Städte und Dörfer bildeten nicht viel mehr als obrigkeitliche Verwaltungsbezirke. Neu belebt und auf neue Rechtsgrundlagen gestellt wurde die Idee einer gemeindlichen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Hier waren es zunächst die Stein-Hardenbergschen Reformen, die auf dieses Gedankengut zurückgriffen 6 . Ihren klarsten Ausdruck fanden diese Überlegungen in der preußischen Städteordnung vom 19. November 1808, die ihren Zweck dahingehend umreißt, „den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeinde einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten". Zunächst eher als staatsorganisatorisches Prinzip gedacht geriet die Selbstverwaltungsidee im weiteren Verlauf der Entwicklung stärker unter die vom süddeutschen Konstitutionalismus gespeisten Vorstellungen eines vorstaatlichen Status der Gemeinden 7 . § 184 der Paulskirchenverfassung von 1849 und Art. 127 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 führten die Selbstverwaltung der Gemeinden unter den Grundrechten auf. Die kommunalrechtliche Praxis dagegen blieb stets stärker der staatsorganisatorischen Deutung der gemeindlichen Selbstverwaltung verhaftet. Art. 28 Abs. 2 GG nimmt diese Gedanken auf und stellt die Selbstverwaltung in den Dienst einer gegliederten Demokratie (vgl. zu I). 4. Statistische Angaben Der heutige Gebietszuschnitt und Bevölkerungsstand der Kommunalkörperschaften geht im wesentlichen auf die Territorialreform zurück, die die Bundesländer zwischen 1967 und 1978 durchführten 8 . Vor der Reform gab es in der Bundesrepublik 24282 Gemeinden; davon hatten 10760 weniger als 500 Einwohner. Die Gebietsreform, die durch umfangreiche verwaltungswis6
7 8
Dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 2. Aufl. 1967, 102ff. und 172ff.; Lange, Fs. f. W. Weber, 1974, 851 ff.; v. Unruh, HkWP Bd. 1, 57 ff. Vgl. Forsthoff, VwR, 10. Aufl. 1973, 522ff. Dazu die Darstellung bei Mattenklodt, HkWP Bd. 1, 154 ff. 109
2. Abschn. I
Eberhard Schmidt-Aßmann
senschaftliche Gutachten vorbereitet worden war, hatte sich eine Stärkung der Verwaltungskraft und die Lösung des Stadt-Umland-Problems („Einheit von Planungs- und Verwaltungsraum") zum Ziel gesetzt9. Mittel zur Erreichung dieses Zieles waren vor allem die Eingemeindung und der Gemeindezusammenschluß — teils auf freiwilliger Grundlage, teils durch Hoheitsakt verordnet. Die Zahl der Gemeinden ging dadurch bundesweit auf ein Drittel (8519) zurück. Länderweise fiel die Reduktion allerdings recht unterschiedlich aus: Während Nordrhein-Westfalen (2277 zu 396) zu radikalen Eingemeindungen griff, verminderten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Zahl ihrer Gemeinden nur geringfügig und versuchten im übrigen, durch die Bildung zusätzlicher Gemeindeverbände (Verbandsgemeinden, Ämter) das Neuordnungsziel zu erreichen. In der gleichen Zeit ging die Zahl der kreisfreien Städte von 139 auf 92, die der Landkreise von 425 auf 235 zurück.
I. Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden Gemeinden sind nach heutigem Verständnis Teil des Staates. Sie üben Staatsgewalt aus, die sich gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG vom Volk ableiten muß9a. Als Verwaltungsträger sind sie der vollziehenden Gewalt i. S. Art. 20 Abs. 3 GG zuzuordnen. Im dualistischen Einteilungsschema der Bundesstaatlichkeit (Bund/Länder) gehören sie zum Organisationsbereich der Länder und bilden hier das Zentrum jenes Verwaltungsteilbereichs, den man „Selbstverwaltung" nennt und der „Staatsverwaltung" (i. S. staatsunmittelbaren, behördlichen Verwaltungsvollzuges) gegenüberstellt10. Gleichwohl wäre mit dieser Zuordnung die besondere Stellung der Gemeinden im Staat nur unvollständig beschrieben. Nicht nur in der Politik werden die Kommunen gern als „dritte Säule" oder „dritte Ebene" bezeichnet. Auch das Grundgesetz nimmt von ihnen mehrfach neben Bund und Ländern Notiz und macht ihr Verhältnis zu diesen etablierten Gewalten zum Gegenstand genauerer Regelungen. Es ist geradezu das Lebensgesetz der gemeindlichen Verwaltung, daß sie sich immer in einer Doppelrolle befindet: Teil organisierter Staatlichkeit zwar, aber eben doch nicht in jenem engeren Sinne hierarchisch aufgebauter Entscheidungszüge, sondern als dezentralisiert-partizipative Verwaltung mit einem eigenen Legitimationssystem, das der Bürgernähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität verbunden sein soll — verfaßte Staatlichkeit an der Grenze zum gesellschaftlichen Be9
Zur Bewertung der Reformen aus heutiger Sicht Wagener, DÖV 1983, 745ff.; Derlien/v. Queis, Kommunalpolitik im geplanten Wandel, 1985. Zur damit verbundenen Funktionalreform Köstering, DÖV 1985, 845 ff. 9a Dazu anschaulich (am Beispiel der Mitbestimmung im öffentl. Dienst der komm. Sparkassen) VerfGH NRW NVwZ 1987, 211 ff.; Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986. 10 Rudolf, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 56 II (mit Hinw. auf Forsthoff, VwR, 1973, S. 471 ff.). 110
Kommunalrecht
2. Abschn. 11
reich also. Das Grundgesetz hat sich für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute „gegliederte Demokratie" 11 entschieden. So ist es nur konsequent, wenn Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG für die beiden wichtigsten Typen von Kommunalkörperschaften (Landkreise und Gemeinden) zwingend vorsieht, das Volk müsse in ihnen genauso wie in Bund und Ländern eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Volksvertretung haben. Diese wichtigen Verbindungslinien zwischen Selbstverwaltungsidee und demokratischer Verfassungsstruktur, die freilich nicht ein in jeder Hinsicht spannungsfreies Verhältnis beider Komponenten kennzeichnen, konstituieren auch die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden und müssen zur Auslegung der „Selbstverwaltungsgarantie" (Art. 28 Abs. 2 GG) herangezogen werden 1 la . 1. Die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung Das Verhältnis der Gemeinden zum Staat wird vor allem durch jenen Normenkomplex bestimmt, den man etwas verkürzend die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung nennt. Die wichtigste Bestimmung dieses Gefüges ist Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, der von einigen Komplementärbestimmungen des Grundgesetzes umlagert und durch das Landesverfassungsrecht teils wiederholt, teils ergänzt wird. Nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G muß den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Vorschrift ist keine bloße Normativbestimmung für eine gesetzliche Ausformung, sondern unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, das Gesetzgeber, Verwaltung und Judikative in Bund und Ländern bindet. Auch „benachbarte" Hoheitsträger (Landkreise, Nachbargemeinden) haben sie zu respektieren 12 . Keine Wirkung entfaltet Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G dagegen im Verhältnis der Gemeinde zu privaten Dritten 13 . Die Tatsache, daß eine Materie zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört, ergibt folglich noch kein eigenständiges Eingriffsmandat der Gemeinde in Rechtspositionen Privater. Hier hat sich die Gemeinde an das zu halten, was für die öffentliche Verwaltung allgemein zu beachten ist (Grundrechte, Gesetzesvorbehaltslehre). Im einzelnen erleichtert man sich die Arbeit, wenn man innerhalb des Art. 28 Abs. 2 S. 1 vier „Garantieebenen" trennt: die Rechtssubjektsgarantie (a), die
11
BVerfGE 52, 95 (111 f.) unter Bezugnahme auf v. Unruh, DVB1. 1975, 1 ff. Grundlegend (aus jüngerer Zeit): Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, bes. 302ff.; Hill, Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nach der Reform, 1987, bes. 18ff.; ferner Frotscher, Fs. f. v. Unruh, 127ff.; Schuppen, dort 183ff.; v. Unruh, DÖV 1986, 217ff; Schmidt-Aßmann, GS f. Martens, 1987, 249ff. Vgl. auch BVerwGE 67, 321 (323) und weit. Rspr.Nachw. bei Erlenkämper, NVwZ 1988, 21 (22 f.). 12 Vgl. BVerwGE 67, 321 (322); a. A.: Pappermann, DVB1. 1976, 766 (768). 13 a. A.: Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 523. Zur Unzulässigkeit des Gemeinderundfunks aus grundrechtlichen Erwägungen BayVerfG NVwZ 1987, 213 ff.
lla
111
2. Abschn. 11 a
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Rechtsinstitutionsgarantie (b), die subjektive Rechtsstellungsgarantie (c) und eine Gruppe von Erstreckungsgarantien (d)14. a) Rechtssubjektsgarantie: Gewährleistet wird als erstes, daß es überhaupt Gemeinden als Elemente des Verwaltungsaufbaus geben muß. Gemeinde in dem von der Verfassung vorausgesetzten Sinne ist „ein auf personaler Mitgliedschaft zu einem bestimmten Gebiet beruhender Verband, der die Eigenschaft einer (rechtsfähigen) Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt"15. Die Garantie bezieht sich also nicht auf eine beliebig zugeschnittene Verwaltungseinheit, sondern auf einen bestimmten Typus. Soziologisch gehört dazu sicher eine gewisse Überschaubarkeit des gemeindlichen Raumes. Doch weist dieses Kriterium, wie das Beispiel der Großstadt zeigt, eine zu große Spannbreite auf, um juristisch präzise zu sein. Ein spezifisches Nachbarschaftsgefühl der Einwohner oder die Existenz nur eines Siedlungskerns werden nicht verlangt. Rechtlich entscheidend für die Gemeinde als Typus sind die Rechtsfähigkeit und die Gebietshoheit. Gemeinden sind rechtsfähige Einheiten (Verwaltungsträger). Es muß ihnen also von der Rechtsordnung allgemein die Fähigkeit zuerkannt sein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein16. Die Rechtsfähigkeit schafft „Bewegungsfähigkeit" im Rechtsverkehr und ist so rechtstechnisch der Garant einer Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Gemeinden besitzen ferner Gebietshoheit, weil ihr Verhältnis als Verband zu ihr ren Verbandsmitgliedern nicht nur wie bei anderen Körperschaften auf punktuellen Zuordnungskriterien, sondern kraft Gesetzes umfassend durch den Wohnsitz begründet wird (Domizialität)11. Gemeinden sind Körperschaften in dem qualifizierten Sinne einer Gebietskörperschaft18. Für sie gilt: quidquid est in territorio, etiam est de territorio19. Die Garantie eines solchermaßen geformten Verwaltungsträgers gilt nicht der einzelnen Gemeinde in ihrem überkommenen Bestände, sondern grundsätzlich nur institutionell: Dem Staat ist es durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht verwehrt, eine Gemeinde aufzulösen und sie mit einer anderen Gemeinde zusammenzuführen. Verwehrt ist es ihm aber, die gemeindliche Verwaltungs14
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18
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In Anlehnung an Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 II 4b, der drei Garantieebenen unterscheidet; ferner Hoppe, in: Fs. f. v. Unruh, S. 555, Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (268). Stern, in: BK, Rdnr. 80 zu Art. 28 GG. Wolff/Bachof, VwR II, § 71 III e 1. Wolff /Bachof /Stober, VwR II § 84 Rdnr. 24; Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 24 f. BVerfGE 52, 95 (117f.); str. ist, inwieweit die Universalität zum Begriff der Gebietskörperschaft gehört. Die überwiegende Meinung geht dahin, zumindest die subsidiäre Universalität des Wirkungskreises für ein konstituierendes Merkmal der Gebietskörperschaft zu halten, während andere [Nachw. bei BVerfGE 52, 95 (118)] es genügen lassen, wenn die Summe der Einzelzuständigkeiten zur effektiven Universalität neigt. Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 26.
Kommunalrecht
2. Abschn. 11 a
ebene ganz oder überwiegend zu beseitigen oder an die Stelle der Gemeinden des beschriebenen Typs unselbständige Verwaltungseinheiten zu setzen20. Daneben enthält Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG indirekt aber auch eine beschränkt individuelle Rechtssubjektsgarantie. Gegen ihren Willen21 darf die einzelne Gemeinde nämlich nicht beliebig, sondern nur nach vorheriger Anhörung 22 und nur aus Gründen öffentlichen Wohles aufgelöst oder in ihrem Gebietszuschnitt geändert werden23. Es war diese beschränkt individuelle Bestandsgarantie, die in der kommunalen Gebietsreform (Territorialreform) vor den Verfassungsgerichten vielfach bemüht worden ist24 und in einigen Fällen zur Nichtigkeit einer Neugliederungsmaßnahme geführt hat, weil entweder die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt war, oder die Maßnahme durch keinerlei greifbare Gemeinwohlgründe gedeckt war. Letztere bilden einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der den neugliedernden Instanzen zwar einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt, gerichtlich jedoch auf eine prinzipielle Zweckeignung und auf die Einhaltung des Übermaßverbots überprüft werden kann 25 . Zur Rechtssubjektsgarantie rechnet auch der Schutz des Gemeindenamens26 als eines Statuselements, das der Individualisierung und der bürgerschaftlichen Integration dient. Der Name ist vielfach historisch überkommen. Zusätze („Bad", „Markt") gehören zwar nicht direkt dazu, genießen aber, wenn sie rechtens geführt werden, den gleichen Rechtsschutz. Die Bestimmung über den eigenen Namen gehört allerdings nicht zum Kernbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, sondern kann ohne Verfassungsverstoß durch staatlichen Organisationsakt vorgenommen werden. Die Gemeindeordnungen enthalten darüber Einzelregelungen. Der rechtens geführte Name ist dann gegen Beeinträchtigungen nicht nur im Zivilrechtsverkehr gemäß § 12 BGB27, sondern auch im Rechtsverkehr mit anderen Hoheitsträgern geschützt. In den letzten 20
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Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 36 zu Art. 28 GGK. Nicht garantiert sind gemeindliche Binnengliederungen, z. B. Bezirke, Ortschaften (vgl. unten IV). Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG schützt allerdings die Gemeinden nicht gegen sich selbst. Das Recht auf Selbstauflösung durch Eintritt in eine andere Gemeinde ist länderweise verschieden geregelt, z. B. für BW anerkannt in Art. 74 Abs. 2 LV BW. Vgl. ferner Saarl. VerfGH DVB1. 1984, 325 ff. BVerfGE 50, 195 (202f.); ausführlich: Löwer, Anhörungs- und Beteiligungsrechte, 1973. BVerfGE 50, 195 (202). Dazu ausführlich Hoppe / Rengeling, Rechtsschutz bei der kommunalen Gebietsreform, 1983, insbes. S. 64ff.; vgl. auch BVerfG NVwZ 1982, 95f. Granderath, DÖV 1973, 332ff.; Saarl. VerfGH NVwZ 1986, 1008ff. Einzelheiten dazu bei Stüer, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, 1980, S. 138 ff. Pappermann, DÖV 1980, 353ff.; BVerfGE 59, 216 (225ff.); ausf. Winkelmann, Das Recht der öffentlich-rechtlichen Namen und Bezeichnungen, 1984, bes. 47ff.; Bethge, Jura 1985, 44ff.. Pappermann, HkWP Bd. 1, 313; Beispiel: RGZ 101, 169ff. („Stadttheater"). 113
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Eberhard Schmidt-Aßmann
Jahren sind die Verwaltungsgerichte wiederholt mit Streitigkeiten zwischen Gemeinden und anderen Verwaltungsträgern (Bahn, Post, Straßenbauverwaltung) über die Benutzung des richtigen Gemeindenamens beschäftigt worden. Basis des hier einschlägigen öffentlich-rechtlichen Persönlichkeitsrechts ist die Rechtssubjektsgarantie der Verfassung i.V. mit den namensrechtlichen Vorschriften der Gemeindeordnungen. Der konkrete Anspruch der Gemeinde, der andere Hoheitsträger möge im amtlichen Verkehr keinen unrichtigen Namen gebrauchen, ist aus diesen Vorschriften abzuleiten, die um einen analog angewendeten § 12 BGB ergänzt werden. § 12 BGB wird in dieser Verbindung zu einer Norm des öffentlichen Rechts und ist tatbestandsmäßig solchenfalls bereits dann erfüllt, wenn der Gemeindename nicht so gebraucht wird, wie er amtlich festgelegt ist28. b) Rechtsinstitutionsgarantie: Die zweite Garantieebene des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist die Gewährleistung der Institution „gemeindliche Selbstverwaltung" 29 . Die meisten im kommunalrechtlichen Schrifttum behandelten Probleme liegen auf dieser Ebene: Die Übertragung einer bisher gemeindlichen Aufgabe auf einen anderen Verwaltungsträger, die Einführung eines staatlichen Weisungsrechts, die Aufstellung eines qualifizierten Fachplans, die Auferlegung finanzieller Belastungen — sie alle stellen immer wieder die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit der Institutionsgarantie. Das Grundgesetz nennt die Bestandteile dieser Ebene sehr deutlich: die Universalität (aa), die Eigenverantwortlichkeit (bb) und einen Gesetzesvorbehalt (cc). aa) Universalität: Gewährleistet wird Selbstverwaltung in allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft.30 Darunter sind mit dem Bundesverfassungsgericht solche Aufgaben zu verstehen, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können" 31 . Diese Umschreibung weist eine historisch-räumliche und eine aktuell-funktionale Komponente auf. Zahlreiche Fragen lassen sich bereits nach dieser Definition lösen. So gehören z. B. die Außenpolitik, die Verteidigungspolitik oder Maßnahmen der Globalsteuerung nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis. Die Gemeinde und ihre Organe haben kein uneingeschränktes allgemeinpolitisches Mandat 32 . Wohl aber
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BVerwGE 44, 351 ff. („Bahnhof); BVerwG DÖV 1980, 97f. („Bad"); vgl. aber auch OVG Koblenz, DÖV 1986, 36 f. Dazu ausführlich Knemeyer, in Fs. f. v. Unruh, S. 209ff.; Stern, StaatsR Bd. 1 § 12 II 4d. Zur jüngeren Entwicklung Hinkel, NVwZ 1985, 225ff.; Brohm, DÖV 1985, 397 ff. Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 39ff.; v. Mutius, Fs. f. v. Unruh, 227 ff. BVerfGE 8, 122 (134); 52, 95 (120). OVG Lüneburg DVB1. 1983, 814f.; OVG Münster NVwZ 1984, 325f.; VG Würzburg BayVBl. 1986, 51 mit Anm. von Hofmann und Reigl, dort 53 und 56.
Kommunalrecht
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kann eine einzelne Frage aus einem solchen Politikbereich ausnahmsweise in den Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hineinragen, wenn sie einen spezifischen Bezug zu einer bestimmten Gemeinde annimmt, eine einzelne Gemeinde z. B. in Durchführung eines verteidigungspolitischen Konzepts als Standort für besondere militärische Einrichtungen vorgesehen wird33. Neben seiner berechtigenden Funktion wirkt Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG solchermaßen auch kompetenzbeschränkend, insofern Gemeinden Materien, die eindeutig nicht Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind, nicht zum Gegenstand ihrer Aktivitäten machen können, es sei denn, der Gesetzgeber habe ihnen solche Aufgaben zusätzlich zugewiesen (vgl. II 1). In manchen Bereichen ist es allerdings schwer, eine bestimmte Aufgabe nach der genannten Definition den Angelegenheiten der örtlichen oder aber einer nicht-örtlichen Gemeinschaft eindeutig zuzuweisen. Das hat mehrere Gründe 34 : Bei manchen Aufgaben schwankt die Zuordnung in der historischen Entwicklung („ Wanderungsprozesse"). So wurde die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien (Strom, Gas) ursprünglich als Kommunalaufgabe verstanden, ging dann mit zunehmender technischer Zentralisierung vielfach auf regionale und überregionale Versorgungsunternehmen über und wird erst im Zusammenhang mit der Fernwärme unter dem Stichwort „örtliche Versorgungskonzepte" neuerdings wieder als Angelegenheit örtlicher Politik entdeckt35. Neben solchen Fällen von Wanderungsprozessen stehen Sachverhalte, an denen die örtliche und die überörtliche Gemeinschaft gleichermaßen interessiert und beteiligt sind („ Gemengelagen "). Beispiele finden sich in der Raumplanung. Die Standorte und Trassen regional bedeutsamer Verkehrs- und Versorgungsanlagen treffen immer zugleich das Gebiet einer einzelnen Gemeinde. Ist die raumrelevante Planung solcher Einrichtungen darum eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, eines anderen Verwaltungsträgers oder ein mixtum compositum? Ähnliche Abgrenzungsprobleme ergeben sich im Umweltschutz353. Dieses Abgrenzungsdilemma ist oft beschrieben worden 36 . Zuweilen hat es Autoren veranlaßt, eine Neukonzeption der Selbstverwaltungsgarantie jen-
33
Huber, NVwZ 1982, 662ff.; Uechtritz, NVwZ 1983, 334ff.; Süß, BayVBl. 1983, 513ff.; Graf Vitzthum, JA 1983, 557ff.; Schmitt-Kammler, DÖV 1983, 869ff.; VGH BW NVwZ 1984, 659 (661 f.); weit. Nachw. bei Hofmann (32). Zu StädtePartnerschaften (sog. kommunal. Außenpolitik) Blumenwitz, Fs. f. v.Unruh, 747 ff. Zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im nahörtlichen Bereich Hoppe / Beckmann, DVB1. 1986, l f f . 34 Stern, HkWP Bd. 1,207 f. 35 Roters, in: v. Münch, GGK, Rdnr. 42 c zu Art. 28 GG spricht hier von „Revitalisierung". Speziell zur Energieversorgung vgl. Wesener, Energieversorgung und Energieversorgungskonzepte, 1986. 35a Dazu Schmidt-Aßmann, NVwZ 1987, 265 ff. 36 Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen, 1975, S. 5ff.; Brohm, DVB1. 1984, 283ff. 115
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seits des Verfassungstextes zu suchen . Die ganz herrschende Ansicht hält trotz mancher Schwierigkeiten jedoch an dem Tatbestandsmerkmal der „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" fest38. Sie orientiert sich an der Definition des Bundesverfassungsgerichts in der Art einer Faustregel und gewinnt ihre Ergebnisse materienspezifisch, indem sie prüft, ob eine Angelegenheit erstens nach überkommener Gesetzeslage und eingespielter Praxis gemeindlich oder übergemeindlich wahrgenommen worden ist39, und inwiefern sie zweitens in gemeindlicher Trägerschaft eine sachangemessene, auch für den Bestand anderer Gemeindeaufgaben notwendige Erfüllung finden kann 40 . Eine Orientierung dazu, was solchermaßen zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu rechnen ist, geben die als „Gemeindehoheiten" bezeichneten Zuordnungsbegriffe (s. unter dd), in denen die Einstufung einer Materie als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft mit den Steuerungsansprüchen der überörtlichen Verwaltungsträger kombiniert worden ist41. Soweit eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegt, fällt sie nach dem Garantiegehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich in den gemeindlichen Aufgabenbereich: Universalität (Allzuständigkeit). Der Gesetzgeber kann zwar auch für solche Angelegenheiten im Rahmen seines Regelungsvorbehalts eine andere Zuständigkeit begründen; er ist dabei aber Schranken unterworfen (s. unter cc). Liegt keine anderweitige Zuweisung vor, so ist die Gemeinde regelungsbefugt 42 . Dieser Grundsatz gilt auch für den Zugriff auf neue Sachaufgaben (Recht der Spontanität)*3. bb) Eigenverantwortlichkeit: Selbstverwaltung besteht darin, daß die eigenen Angelegenheiten „in eigener Verantwortung" geregelt werden können 44 . Eigenverantwortlichkeit heißt Freiheit von Zweckmäßigkeitsweisungen ande37
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Vgl. Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977; Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen; vgl. dazu die kurze, krit. Würdigung von Stern, in: HkWP Bd. 1, 207 - 211; Schmidt-Jortzig, Rdnr. 498 - 501. Antikritik dazu bei Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 41 zu Art. 28 GG. St. Rspr. des BVerfG: Zuletzt BVerfGE 59, 216 (226); BVerfGE 50, 195 (201) und E 56, 298 (312); Stern, HkWP Bd. 1, 206; Tettinger, Bes. VwR Rdnr. 26; offener: Maunz, in: Maunz / Dürig, GG / Herzog / Scholz, Rdnr. 61 f. zu Art. 28 GG; vgl. auch BVerwGE 67, 321 (323). Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 472, sieht die Auslegung des o.g. Tatbestandsmerkmals als „Annäherungsverfahren". Ähnlich Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 466ff.; vgl. auch BVerwG NVwZ 1985, 271 (273). Vgl. die Aufzählung in Art. 83 LV Bay. Vgl. speziell zur Konkurrenz mit Kreiskompetenzen die Nachweise bei Stern, HkWP Bd. 1, 216 unter cc) und unten bei Anm. 434, 435. Stern, in: BK, Rdnr. 87 zu Art. 28 GG; Erichsen, St- u. VwR NRW, S. 118. Dazu ausführlich: Wolff/Bachof/Stober, VwR II, §86 Rdnr. 50ff.; Stern, in: BK, Rdnr. 94 zu Art. 28 GG.
Kommunalrecht
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rer Hoheitsträger, insbesondere des Staates. Darin liegt der politische Gestaltungsspielraum der Gemeinden, ohne den die Verpflichtung zu einem eigenen, direkt gewählten Legitimationssystem (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) sinnlos wäre. Die Eigenverantwortlichkeit bezieht sich grundsätzlich auf das Ob, Wann und Wie der Aufgaben Wahrnehmung; sie drückt sich in einem Ermessen im weitesten Sinne aus. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ermächtigt zu eigenverantwortlicher Regelung. Eine Festlegung der Gemeinden auf bestimmte Formen hoheitlichen Handelns ist damit nicht gemeint. Regelung heißt jede zulässige Art von Aufgabenerledigung; sie mag sich in den Formen des öffentlichen oder des privaten Rechts, direkt oder indirekt durch Einschaltung Dritter, planerisch, spontan oder routinemäßig vollziehen. Oft wird sich eine effektive Regelung nicht ohne eigene rechtssatzmäßige Absicherung vollziehen lassen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG legt die Rechtsordnung deshalb darauf fest, den Gemeinden mindestens ein Rechtsinstitut zur allgemeinen Regelung (Breitensteuerung) ihrer Angelegenheiten verfügbar zu halten. Daher gehört auch die gemeindliche Rechtsetzungshoheit zum Garantiebereich (vgl. unter dd). Nicht entbindet die Eigenverantwortlichkeit dagegen von der Beachtung der Gesetze und des Rechts. Das folgt schon aus der Gesetzesbindung der Exekutive (Art. 20 Abs. 3 GG), der alles gemeindliche Handeln verpflichtet ist. Der Regelungsvorbehalt (cc) bestätigt das nochmals. So selbstverständlich das ist, so liegen hier doch Gefahren für die gemeindliche Gestaltungsfreiheit; denn der Staat hat es weitgehend in der Hand, seine Zweckmäßigkeitsvorstellungen in Gesetzesformen zu gießen und die Gemeinden dann auf den Gesetzesvollzug festzulegen. Die im allgemeinen Verwaltungsrecht oft so vehement geforderte Verrechtlichung zeigt hier deutliche Schattenseiten45. cc) Gesetzesvorbehalt: Gewährleistet ist die Selbstverwaltung „im Rahmen der Gesetze". Der Vorbehalt bezieht sich trotz seiner mißdeutbaren syntaktischen Stellung auf beide Garantieelemente (Eigenverantwortlichkeit und Universalität)46 wie übrigens auch auf alle Garantieebenen. Er ist ein Vorbehalt, der den Gesetzgeber zur Ausformung des Garantiegehalts, zur Fixierung immanenter Grenzen, aber auch zu Eingriffen in verfassungsunmittelbare Garantiebereiche ermächtigt47. Gesetz i. S. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sind neben Landes- und Bundesgesetzen auch Rechtsverordnungen 48 und Satzungen anderer Hoheitsträger, z. B. eines Landkreises oder eines Regionalverbandes. 45 46
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Zutreffend v. Mutius, Gutachten E z. 53. DJT, S. 57 ff. Inzwischen einhellige Auffassung: Vgl. zuletzt BVerfGE 56, 298 (312); Stern, in: BK, Rdnr. 114 zu Art. 28 GG; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Rdnr. 52 zu Art. 28. Ganz herrschende Meinung: Vgl. st. Rspr. des BVerfG, zuletzt BVerfGE 56, 298 (309f.); Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 51 f. zu Art. 28; a. A.: Roters, in: v. Münch, GGK, Rdnr. 51 ff. zu Art. 28; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 486; dazu auch Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der Kommunalen Selbstverwaltung, 1977, S. 27ff., 84ff. BVerfGE 26, 228 (237); E 56, 298 (309). 117
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Verwaltungsvorschriften geben dagegen für sich keinen Bindungsrahmen; sie können insbesondere ein kommunales Ermessen nicht dirigieren 49 . Der Gesetzesvorbehalt kann zur Achillesferse der Garantie werden, wenn man ihm nicht seinerseits Grenzen setzt. Die dogmatischen Schwierigkeiten mit solchen Grenzen sind aus der in manchen Strukturen ähnlichen Problematik grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte bekannt. Auch bei Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gibt es nicht in allen Punkten griffige Lösungen, weil auch hier der verfassungsunmittelbar vorgegebene Garantiegehalt, der Bestand einfach-gesetzlicher Garantiekonkretisierungen und neuer Eingriffsvorgänge nicht trennscharf nebeneinander stehen, sondern teilweise ineinander übergehen oder eine spezifische Wechselbezüglichkeit aufweisen. Literatur und Rechtsprechung nennen üblicherweise zwei Grenzen, die der Gesetzgeber im Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG beachten muß: die sog. Kernbereichsgarantie und das Übermaßverbot 50 . — Die Kernbereichsgarantie (Wesensgehaltsgarantie) schützt „das Essentiale, das man aus einer Institution nicht entfernen kann, ohne daran Struktur und Typus zu ändern" 51 . Um diesen Kern zu bestimmen, wird wiederum auf die historische Entwicklung 52 , aber auch auf das aktuelle Erscheinungsbild der Selbstverwaltung abgestellt 53 . Eine exakte Abgrenzung fällt gleichwohl oft schwer, wenn es darum geht, ob eine einzelne Handlungsmöglichkeit oder gar nur eine spezifische Form ihrer Wahrnehmung zum Wesensgehalt gehört. So läßt sich zwar allgemein feststellen, daß die Bebauungsplanung nicht nur überhaupt eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, sondern sogar zum Kern des kommunalen Aufgabenbestandes zählt. Ob das aber auch für alle 26 Festsetzungsarten gilt, aus denen sich nach § 9 Abs. 1 BauGB der Bebauungsplan zusammensetzt, ist damit noch nicht gesagt. Nicht gesagt ist damit auch, inwieweit die Bebauungsplanung in einzelnen Bezügen nicht doch durch staatliche Vorgaben dirigiert werden kann. Nur in seltenen Fällen besonders krasser oder rabiater Eingriffe des Gesetzgebers wird der Wesensgehalt daher als absolute Sperre wirksam werden. In den übrigen Fällen ist der Gedanke eines Aufgabenkerns nur ein Argumentationsgesichtspunkt im Rahmen des Übermaßverbots, das eine umfassendere Begrenzung des Gesetzgebers ermöglicht 54 .
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Besonderheiten gelten jedoch für nicht rechtssatzförmig festgelegte Ziele der Raumordnung i. S. d. §§ 5 Abs. 4 BROG, 1 Abs. 4 BauGB. Vgl. Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt, IV. 1; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972, S. 153f.; Erbguth, DVB1. 1983, 305ff. Vgl. BVerfGE 56, 298, (312f.); systematisch Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (269ff.) mit zahlreichen Nachweisen; Tettinger, Bes.VwR Rdnr. 32; Erichsen, St- u. VwR, 192 ff. Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 III 4b, S. 416. St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 38, 258 (278f.); E 56, 298 (312f.). Stern, in: BK, Rdnr. 124 zu Art. 28 GG. Ausführlich dazu Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (269ff.).
Kommunalrecht
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— Das Übermaßverbot mit seinen Kontrollfragen nach der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i. e. S. ist für den Gesetzgeber stets verpflichtend, wenn er regelnd in dem durch Universalität und Eigenverantwortlichkeit gebildeten Garantiebereich tätig wird. Die Breite der Anwendung wird freilich erkauft durch gewisse Unsicherheiten bei den notwendigen Bewertungen der Zweckeignung möglicher Eingriffsalternativen (Erforderlichkeit) und der Schaden-Nutzen-Bilanz (Verhältnismäßigkeit i.e.S.). Immerhin bewirkt das Übermaßverbot auf einer ersten Stufe eine spezifische Darlegungs- und Argumentationslast des Gesetzgebers. Auf einer zweiten Stufe verlangt es, daß Regelungen und Eingriffe durch desto gewichtigere übergemeindliche Interessen veranlaßt sein müssen, je weiter sie an diejenigen Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten heranreichen, die sich dem „Kern" nähern. Die Kerngehaltsvorstellung wird hier benutzt, um die relative Abwägungsposition zu bestimmen, mit der der berührte gemeindliche Belang in die Schaden-Nutzen-Bilanz einzustellen ist. dd) Sog. Gemeindehoheiten: Der Verdeutlichung des verfassungsgemäßen Aufgabenkreises dienen mehrere eingeführte Begriffe, die man als „Gemeindehoheiten" bezeichnen kann 55 . Genau betrachtet handelt es sich nicht um isolierte oder ausschließliche Gemeindekompetenzen und schon gar nicht um eindeutige Fixierungen von Wesensgehaltselementen. Die Begriffe bündeln vielmehr eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, ohne für sie alle eine isolierte eigenverantwortliche kommunale Entscheidungsbefugnis verfassungsfest zu postulieren. Die Rechtsnatur dieser „Hoheiten" läßt sich durch zwei allgemeine Aussagen umschreiben: Jede dieser Hoheiten ist in ihrem Grundgedanken (nicht in allen Einzelausprägungen) für die Selbstverwaltungsgarantie unverzichtbar; denn sie beziehen sich auf elementare Handlungssektoren (insbes. Raum, Personal, Finanzen). Keine dieser Hoheiten besteht aber ohne gesetzliche Rahmenvorgaben und staatliche Einschränkungen. So bezeichnen sie eher einen eingespielten, sich freilich auch ständig wandelnden Dogmenbestand, der das von der herrschenden Anschauung für Rechtens erachtete Zusammenspiel von Staat und Gemeinde wiedergibt. — allgemeine Planungshoheit: Sie bezeichnet die Befugnis, die eigenen Angelegenheiten nicht nur von Fall zu Fall zu erledigen, sondern aufgrund von Analyse und Prognose erkennbarer Entwicklungen ein Konzept zu erarbeiten, das den einzelnen Verwaltungsvorgängen Rahmen und Ziel weist56. Da Planung genau betrachtet keine zusätzliche Sachaufgabe, sondern eine Methode der Aufgabenerledigung ist, folgt die Planungskompetenz grundsätzlich der Sachkompetenz. Die Gemeinden besitzen also, insofern nichts anderes bestimmt ist, für ihre Angelegenheiten auch die Planungshoheit. Ergebnisse ihrer planerischen Tätigkeit sind Organisation- und Geschäftsverteilungs55
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Dazu Stern, StaatsR Bd. I, § 12 II 3 c; Tettinger, Bes.VerwR Rdnr. 26; Badura, StaatsR 1986, 238ff.; Wolff/Bachof/Stober, VwR II § 86 Rdnr. 51 ff. Zur Aufgabe öffentlicher Planung allgemein vgl. Erichsen / Martens, Allg. VwR, §§21-23. 119
2. Abschn. 11 b
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pläne, Infrastrukturpläne (z. B. Kindergärten-, Altersheim-, Sportstättenbedarfspläne). Für die Planung der wichtigen Ressourcen Raum und Finanzen gelten Besonderheiten (vgl. Raumplanungshoheit, Finanzhoheit). Über die Bindungskraft solcher Pläne gegenüber anderen Hoheitsträgern oder privaten Dritten ist damit noch nichts gesagt. — Raumplanungshoheit ist ein Sonderfall der allgemeinen Planungshoheit57. Sie umfaßt die Befugnis, für das eigene Gebiet die Grundlagen der Bodennutzung festzulegen. Entsprechend dem hohen Grad gesetzlicher Fixierung des gesamten öffentlichen Raumplanungssystems bestehen für die gemeindliche Raumplanungshoheit zahlreiche Vorschriften des einfachen Rechts, die den Begriff der örtlichen Angelegenheiten verdeutlichen, konkretisieren und abgrenzen. Ausdrucksformen der kommunalen Raumplanungshoheit sind der Bebauungsplan (§ 9 BauGB) und der gesamtgemeindliche Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB)58. — Personalhoheit59 könnte man in einem weiten Sinne als Befugnis definieren, sowohl über die allgemeinen Fragen des eigenen Personalwesens (Stellenplanung, Einstellungs- und Beförderungsvoraussetzungen, Besoldungsund Vergütungsmaßstäbe) als auch über die konkreten Maßnahmen der Personaleinstellung, der Beförderung und des Personaleinsatzes nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wird traditionell nur ein Ausschnitt aus diesem Kreis personalrelevanter Maßnahmen gerechnet. Er betrifft im wesentlichen nur Einzelentscheidungen, „vornehmlich die Befugnis, das Personal, insbesondere die Gemeindebeamten auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen" 60 . Die allgemeinen Entscheidungen, z. B. des Laufbahn- und Besoldungswesens, werden seit langem von überörtlichen Instanzen getroffen. — Organisationshoheit: Sie ist die Befugnis, den Aufbau und das Zusammenspiel der eigenen Beschluß- und Vollzugsorgane, gemeindeinterner räumlicher Untergliederungen, gemeindeeigener Einrichtungen und Betriebe sowie deren Geschäftsgang zu regeln61. Die Gemeinden haben hier traditionell einen breiten Entfaltungsspielraum, den sie z. B. mit ihrer Hauptsatzung 57
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Dazu Schmidt-Aßmann VerwArch 71 (1980), 117ff.; BVerfGE 56, 298 (310ff.) mit der Besprechung bei Steinberg, JuS 1982, 578ff.; BVerwG NVwZ 1982, 310f., NVwZ 1984, 584f.; Steinberg, DVB1. 1982, 13ff.; Blümel, VerwArch 1982, 329 (336); Hoppe, in: Fs. f. v. Unruh, S. 555ff.; Widera, Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung kommunaler Planungshoheit, 1985; BayVerfGH NVwZ 1987, 1069ff.; jüngst BVerfG NVwZ 1988, 47 (49). Speziell zur „Verkabelung" BVerwGE 77, 128ff.; Wichmann /Maier DVB1 1987, 814 (816f.). S. die Einzeldarstellung bei Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt, II 1. Lecheler, in: Fs. f. v. Unruh, S. 541 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Fs. f. Ule, 1977, 461 ff.; BVerwG NVwZ 1985, 415f. Zur Personalhoheit des Dienstherrn allgemein v. Münch, in diesem Lehrbuch, 1. Abschnitt, III 3 b cc m. w. N. Stern, HkWP Bd. 1, 213 mit Nachw. der Rspr. in Fn. 67.; RhPfVerfGH, NVwZ 1982, 614f. Dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 68ff.; allgemein Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 26 ff.
Kommunalrecht
2. Abschn. 11 c
und ihren Anstaltsordnungen ausfüllen. Gesetzliche Grenzen bringen vor allem das Kommunalverfassungsrecht (vgl. unter III) und das Gemeindewirtschaftsrecht (vgl. unter VII). — Rechtsetzungshoheit: Sie ist um einer effektiven eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung willen notwendig62. Ausgeübt wird sie vor allem durch den Erlaß von Satzungen (vgl. V 1). — Finanzhoheit63: Sie „gewährt den Gemeinden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens"64. Dazu gehört als Basis auch das Recht auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung65. Seit je gab es in diesem Sektor freilich zahlreiche staatliche Eingriffsbefugnisse (vgl. zu weiteren Finanzgarantien unter 2 a und 3; weiter unter VIII). c) subjektive Rechtsstellungsgarantie66: Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährt den Gemeinden kein Grundrecht 67 . Nach dem Verständnis unserer Verfassung sind die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus. Damit ist zwischen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und den bürgerlichen Grundrechtsgewährleistungen eine klare Zäsur gelegt, die bestimmte Vergleichbarkeiten in der dogmatischen Struktur der Garantienormen nicht ausschließt673. Unbestreitbar läßt es Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG darüber hinaus für die Gemeinden nicht beim objektiven Konstitutionsprinzip bewenden, sondern gewährt eine subjektive Rechtsstellung68: die einzelne Gemeinde kann vom Garantieverpflichteten die Einhaltung der Gewährleistungsgehalte verlangen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wird folglich von einer Suite von Unterlassungs-, Beseitigungs-, Teilhabe- und gegebenenfalls auch Leistungsansprüchen begleitet. Dazu zählt auch ein Anspruch auf Gerichtsschutz, der unmittelbar aus der materiellen Garantienorm des Art. 28 Abs. 2 GG folgt. Ob sich die Gemeinden außerdem auf Art. 19 Abs. 4 GG stützen können, ist streitig69. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben; jedenfalls auf der Ebene des derzeit geltenden einfachgesetzlichen Prozeßrechts werden die aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden subjektiven Rechte der Gemeinden mit den subjektiven Rechten der Bürger gleich behandelt. Ergänzt wird der gemeindliche Rechtsschutz 62
Schmidt-Aßmann, HkWP Bd. 3, 182ff. Grawert, in: Fs. f. v. Unruh, S. 587ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 80ff.; VerfGH NRW DVB1. 1983, 714ff. m. Anm. Püttner. 64 BVerfGE 26, 228 (244). 65 Kirchhof, HkWP Bd. 6, 1 ff.; Hennecke, Jura 1986, 568ff.; VerfGH N R W NJW 1985, 2321 ff.; offengelassen in BVerfGE 71, 25 (36). 66 Dazu Stern, in: BK, Rdnr. 174ff. zu Art. 28 GG. 67 So die h. M.; vgl. u. a. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 57 f. mit Nachw. in Fn. 65 für die Mindermeinung; Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 56 zu Art. 28. 67a Dazu Loschelder, Die Befugnis des Gesetzgebers zur Disposition zwischen Gemeinde* und Kreisebene, 1986, 21 ff. 68 Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 59 m. w. N. 69 Nachw. bei Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 43 zu Art. 19 IV.
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2. Abschn. 11 d
Eberhard Schmidt-Aßmann
durch die kommunale Verfassungsbeschwerde70 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, §91 BVerfGG). Das Institut dient der Verteidigung speziell der Rechte aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG 71 gegen Verletzungen durch Gesetze. Gesetze i. S. dieser Vorschriften sind auch Rechtssätze unterhalb des förmlichen Gesetzes7 la . Bei der Verletzung durch ein Landesgesetz ist die Subsidiaritätsklausel zugunsten der Landesverfassungsgerichte zu beachten (vgl. unter 3.). d) Erstreckungsgarantien: Zum Gehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gehören schließlich einige Grundsätze, die sich zwar nicht unmittelbar aus dem Verfassungstext ergeben, aber notwendig Ergänzungen und Erstreckungen darstellen. — Hierher zählt zum einen der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens12. Es handelt sich um eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht anderer Hoheitsträger auf gemeindliche Belange. Bei der weitreichenden gesetzlichen Durchnormierung der gemeindlichen Rechtsstellung ist dieser Grundsatz auf wenige Fälle der Lückenfüllung beschränkt. Keinesfalls unterbindet er „harte" Entscheidungen, die nach dem Gesetz gegenüber den Gemeinden getroffen werden müssen. Zu vermeiden sind nur unnötige Belastungen und Nebenfolgen. Bei der generalklauselartigen Unbestimmtheit dieses Grundsatzes verschwimmen die Grenzen zwischen Rechts- und Stilfragen; im Umgang mit ihm ist daher Vorsicht geboten. — Als eine Erstreckungsgarantie wird man auch jene Fälle zu behandeln haben, in denen den Gemeinden ein verfassungsunmittelbares Mitwirkungsrecht an staatlichen Planungen zuerkannt worden ist73. Teilweise handelt es sich bei diesen Planungen um originäre örtliche Angelegenheiten, die durch Gesetz ausnahmsweise einem anderen Verwaltungsträger zur Entscheidung übertragen worden sind; hier folgt das gemeindliche Mitwirkungsrecht aus dem Gedanken der Kompensation74. Teilweise handelt es sich aber auch um Planungen von überörtlicher Substanz, die jedoch wegen erheblicher Auswirkungen auf die einzelne Gemeinde zu einem Mitwirkungsrecht — regelmäßig in der Form des Anhörungsrechts — führen 75 . 70
Dazu: Burmeister, JA 1980, 17ff.; Sachs, BayVBl. 1982, 37ff.; speziell zur Frist des § 93 Abs. 2 BVerfGG vgl. BVerfG NVwZ 1987, 124 u. 125. 71 Stern, StaatsR § 12 II 6 a ; zum sog. „Rügepotential" der kommunalen Verfassungsbeschwerde Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (297f.). 7la B V e r f G E 71, 25 (34); ob auch Gewohnheitsrecht und Richterrecht dazu gehören, bleibt in BVerfG NVwZ 1987, 123 offen. Zur Rechtswegerschöpfung gem. § 90 II S. 1 unter Einbeziehung des § 47 VwGO vgl. BVerfG NVwZ 1988, 47 f. 72 Dazu Macher, Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens, 1971; Stern, StaatsR Bd. I § 12 II 5 m. w. N. 73 Schmidt-Aßmann, AöR 101 (1976), 520ff.; Henrich, Kommunale Beteiligung in der Raumordnung und Landesplanung I u. II, 1983; Hoppe, Fs. f. v. Unruh, 555ff., 573. 74 Blümel. DVBI. 1973, 436, 440f.; ders. VVdStRL 36 (1977), 245ff. 75 Vgl. etwa BVerwGE 51, 6 (13f.); 56, 110 (134ff.); std. Rspr., jüngst BVerwGE 77, 128ff. und 134ff.; aus der Gesetzespraxis z. B. § 18 Abs. 2 S. 2 BFStrG, vgl. auch § 38 BauGB. 122
Kommunalrecht
2. Abschn. 12b
2. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden im Grundgesetz a) partielle Finanzgarantien: Unter den Bestimmungen des Grundgesetzes, die die Stellung der Gemeinden im Staat weiter absichern, haben - neben der schon genannten kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG — einige finanzverfassungsrechtliche Vorschriften einen wichtigen Rang 76 . Hierher gehören vor allem die Realsteuergarantie (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 1 GG), die Ertragshoheit der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 2 GG), die Beteiligung der Gemeinden am Aufkommen der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 5 GG) und die Aussicht auf einen Prozentsatz am Länderanteil des Aufkommens der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 7 GG). Diese Vorschriften ergänzen die schon in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG angelegte kommunale Finanzhoheit (s. I 1 b dd), indem sie ihr Teile ihres realen Substrats liefern77 (vgl. unten VIII). b) Grundrechte: Sehr kontrovers ist die Frage, inwieweit sich Gemeinden außer auf ihre speziellen Gewährleistungen auch auf Grundrechte 78 berufen können. Systematisch gehört dieses Problem in den Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG 79 , demzufolge die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die kaum noch überschaubare Literatur80 zu diesem Thema vermittelt zuweilen den Eindruck, für manchen sei die rechtsstaatliche Welt nur dann in Ordnung, wenn möglichst alle grundgesetzlichen Freiheitssicherungen möglichst gleichmäßig auf möglichst alle nur denkbaren Schutzsituationen verteilt sind. Daß damit die differenzierten Garantien und Sicherungsmechanismen nivelliert und um ihre spezifische Wirkung gebracht würden, wird dabei zu wenig beachtet81. Jedenfalls für die Gemeinden als universelle Verwaltungsträger des örtlichen Bereichs muß die grundrechtliche Hauptsicherungslinie doch wohl eindeutig zwischen verwaltender Kommune und verwaltetem Bürger und nicht zwischen verwaltender Kommune und verwaltendem Staat verlaufen. Im einzelnen sind zu trennen : aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung: Soweit die Gemeinden öffentliche Aufgaben (Selbstverwaltungs- oder Fremdaufgaben) — in öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Form — wahrnehmen, versagte ihnen die
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Systematisch Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 II 7. Sie sind daher auch nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG rügefähig; aber str.: Nachweise bei Stern, StaatsR Bd. 1 § 12 II 8; differenzierend BVerfGE 71, 25 (37 f.). Für Justizgrundrechte s. bereits oben Fn. 69 und BVerfGE 61, 82 (104, 109). Nicht jedoch in den des Art. 28 Abs. 2 GG. Nachweise bei v. Mutius, in: BK, Rdnr. 78ff. zu Art. 19 Abs. 3 GG; Stern, BK Rdnr. 426 ff. zu Art. 93; Broß, VerwArch 1986, 65 ff. Zutreffend Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977, S. lff. 123
2. Abschn. 12b
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herrschende Ansicht schon bisher die Grundrechtsfähigkeit. In diesem Bereich ist weder eine „grundrechtstypische" eigene Gefährdungslage der Gemeinden gegeben, noch ist ihr Handeln dem Lebensbereich ihrer Bürger so unmittelbar zugeordnet, daß ihnen daraus in der Art eines „Durchgriffs" grundrechtliche Substanz zuwachsen kann 83 . Das gilt selbst dann, wenn es sich um ein gemeindeeigenes Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt, z. B. ein als Aktiengesellschaft betriebenes Wasserversorgungsunternehmen 84 . bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit: Für diese Bereiche wurde in der Literatur bisher ein Grundrechtsschutz, z. B. der Art. 12 und 14 GG, überwiegend für möglich gehalten85. Dem ist das Bundesverfassungsgericht jedoch im Sasbach-Beschluß86 entgegengetreten: Die Rechtsordnung billige den Gemeinden zwar die Möglichkeit zu, privatrechtliches Eigentum innezuhaben, das besage jedoch nicht, daß dieses auch grundrechtsgeschützt sein müsse; vielmehr fehle es auch hier an einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage". Das Gericht weist dazu auf zahlreiche Vorrechte („Fiskusprivilegien") hin, die das Eigentum öffentlich-rechtlicher Körperschaften genießt. „Auch die mannigfachen Einflußmöglichkeiten über staatsinterne Wege schließen jedenfalls eine Vergleichbarkeit mit der „Abhängigkeit" des Bürgers, die materielle Grundrechtsverbürgungen besonders dringend macht, aus"87. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen88. Allerdings werden neue Abgrenzungsfragen aufgeworfen. Können Gemeinden sich künftig wenn nicht mehr auf Grundrechte, so doch auf grundrechtskonkretisierende Normen des einfachen Rechts berufen? Das wird man auch nach dem Sasbach-Beschluß bejahen müssen89. 82
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Stern, in: BK, Rdnr. 70 zu Art. 28 GG; v. Mutius, in: BK, Rdnr. 133 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 48 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Bethge, AöR 104 (1979), 265ff. (275, 277 - 279); BGHZ 63, 196ff. BVerfGE 45, 63 (78 f.). BVerfGE 45, 63ff.; ebenso bei öffentl. Sparkassen BVerfG NVwZ 1987, 879f. v. Mutius, in: BK, Rdnr. 103 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 32f.; Stern, in: BK, Rdnr. 71 zu Art. 28 GG, W. Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, S. 37; a. M. bisher schon Starck, JuS 1977, 732; Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 48 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Bethge, AöR 104 (1979), 265, 297 ff. BVerfGE 61, 82 (105f.); vgl. aber auch 70, 1 (20). BVerfGE 61, 82 (106) mit Verweis auf Dürig, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Rdnr. 46 zu Art. 19 Abs. 3 GG. Ebenso Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 (598); Papier, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 192ff. zu Art. 14 GG; kritisch: Mogele, NJW 1983, 805; Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 267 Fn. 5; für die LV Bay die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden bejahend BayVerfGH NVwZ 1985, 260ff.; dazu Bambey NVwZ 1985, 248ff.; Bethge, NVwZ 1985, 402f. Bambey, DVB1. 1983, 936ff. (938); vgl. auch Papier, in: Maunz / Dürig / Herzog/Scholz, GG, Rdnr. 198 zu Art. 14 GG; OVG Lüneburg DVB1 1984, 895ff. und NVwZ 1987, 999 (1001); VGH Kassel, NVwZ 1987, 987 (999).
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3. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen Keine gesonderte Behandlung erfahren hier die Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen90. Die meisten von ihnen sind zwar „gesprächiger" als Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG; doch ist durch die breite Entfaltung, die die Garantie der Bundesverfassung in Rechtsprechung und Lehre erfahren hat, eine weitgehende „Standardisierung"91 erfolgt. (Den Bearbeiter eines juristischen Falles, in dem eine Landesverfassungsgarantie einschlägig ist, entbindet das freilich nicht von der exakten Auseinandersetzung mit dem Verfassungstext!). Eigenständige Garantieerweiterungen finden sich vor allem für die Finanzhoheit92. Die Garantien der Landesverfassungen und des Grundgesetzes bestehen nebeneinander 93 : Landesgesetzgebung und Landesexekutive haben beide Garantien zu beachten, während Bundesrecht nur an Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gebunden ist. Dem Bund ist in Art. 28 Abs. 3 GG zudem zu gewährleisten aufgegeben, daß die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des Art. 28 Abs. 2 GG entspricht; ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch der Gemeinden auf ein bestimmtes Handeln des Bundes folgt daraus m. E. nicht94. Besonderes Gewicht erlangen die Landesgarantien wegen der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG vor den Landesverfassungsgerichten95.
II. Gemeinden und Staatsaufsicht Die gemeindliche Verwaltung untersteht der Aufsicht des Staates. Die Staatsaufsicht96 wird in gewissen Bereichen als eine auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkte Rechtsaufsicht (2), in anderen Bereichen als eine auch die Zweckmäßigkeit umgreifende Fachaufsicht (3) wirksam. Um die Grund90 91 92
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96
Vgl. die Nachweise im Vorspann. Roters, in: v. Münch, GGK, Rdnr. 32 zu Art. 28 GG. Zur Verfassungsdirektive des Art. 78 Abs. 3 LV NRW (Kostenausgleich für neue Aufgabenzuweisungen) vgl. VerfGH NRW NVwZ 1985, 820ff.; auch OVG Münster, NVwZ 1988, 77ff. Ferner Art. 71 Abs. 3, Art. 73 LV BW; Art. 83 Abs. 3 LV Bay; Art. 137 LV Hess.; Art. 45 LV Nds.; Art. 49 Abs. 5 LV Rh.-Pf.; Art. 42 LS SchlH. Zur örtlichen Raumplanung als Bestandteil der Selbstverwaltungsgarantie gem. Art. 11 II LV Bay vgl. BayVerfGH NVwZ 1987, 1069f. Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 II 6. Anders Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 II 6. Vgl. Art. 76 LV BW i. V. m. § 54 StGHG BW; Art. 120, 98 S. 4 LV Bay i. V. m. Art. 53 Abs. 1 BayVerfGHG; Art. 130 Abs. 1, 49 LV RhPf; Art. 123 LV Sa i. V. § 49 VerfGHG Sa. Vgl. dazu Hoppe, in: Starck/Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Bd. 2, 1983, 257 ff. Knemeyer, HkWP Bd. 1, 265; Wolff /Bachof, VwR II, § 77 II; Bracker, in: Fs. f. v. Unruh, 1983, S.459ff.; Erichsen, DVB1. 1985, 943ff.; Schröder, JuS 1986, 371 ff.; vgl. auch OVG Saar. NVwZ 1987, 612f. (parlament. Untersuchungsrecht). 125
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gedanken des Aufsichtswesens zu verstehen, sollte man zunächst den Bestand der von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben betrachten 97 (1). Das Aufsichtssystem ist aufgabenorientiert. 1. Aufgaben der Gemeinden Eine rechtlich aussagekräftige Gliederung des Aufgabenbestandes 98 wird dadurch erschwert, daß die Gemeindeordnungen der Länder in den Begriffen und im Grundkonzept voneinander abweichen; zudem arbeiten die beiden wichtigsten Gliederungsmodelle — das dualistische (a) und das monistische (b) — mit Trennlinien, die mit den Hauptbegriffen der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie zwar vereinbar, nicht aber vollständig harmonisiert sind. a) Aufgabendualismus: Das dualistische Modell (Bay, Nds, RhPf, Sa) folgt der überkommenen Aufteilung der öffentlichen Aufgaben nach ihrer Substanz und trennt danach Selbstverwaltungsaufgaben und Staatsaufgaben. Für die Gemeinden bilden die Selbstverwaltungsaufgaben den eigenen Wirkungskreis, während Staatsaufgaben auf sie nur im Wege gesetzlicher Übertragung idR als Auftragsangelegenheiten überkommen. aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten: Zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zählen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sofern solche nicht ausnahmsweise durch Gesetz einem anderen Träger überwiesen sind. Dieser Kreis wird bereits durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G konstituiert; er kann sich aber erweitern, insofern durch einfache Gesetze den Gemeinden auch solche Aufgaben zugewiesen werden können, die an sich nicht eindeutig solche der örtlichen Gemeinschaft sind oder bei denen eine örtlich-überörtliche Substanzenmischung vorliegt 99 . Jedenfalls macht dieser gesamte Bereich den festen eigenen Aufgabenkreis der Gemeinden aus, der nur durch Gesetz geändert werden kann. Staat und Gemeinden stehen sich hier im Außenrechtsverhältnis gegenüber, dessen typische Schutzinstrumente (Verfahren, Gerichtsschutz) den Gemeinden zugutekommen. Rechte aus dem eigenen Wirkungskreis sind Rechte i.S. § 42 Abs. 2 VwGO. Dem Staat fehlt die Befugnis zu Zweckmäßigkeitsweisungen. Innerhalb dieses Bereichs unterscheiden die Gemeindeordnungen regelmäßig zwischen freien Selbstverwaltungsaufgaben (z. B. Bau von Sportstätten, Museen), bei denen die Gemeinden allein 97 98
99
126
Dazu Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 9ff.; Maurer, AllgVwR, § 22 Rdnr. 12ff. Einer sachgebietsbezogenen Gliederung folgt z. B. das System des gemeindlichen Haushaltsplanes. An dieser Stelle geht es um eine Einteilung, die nach der kommunalen oder staatlichen Aufgabensubstanz fragt. In den Einzelheiten weichen die Formulierungen der Gemeindeordnungen voneinander ab; am klarsten § 4 Abs. 1 GO Nds; dazu Elster, in: Körte / Rebe, Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, 2. Aufl. 1986, 414ff.; ferner Art. 7 GO Bay; § 2 Abs. 1 GO Rh.-Pf.; § 5 KSVG Sa.
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entscheiden können, ob sie diese Aufgabe überhaupt in Angriff nehmen und wie sie sie durchführen wollen, und Pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, bei denen das Ob der Aufgabenwahrnehmung gesetzlich festgelegt ist (z. B. Bauleitplanung, Baulandumlegung, z. T. Schulbau). bb) Auftragsangelegenheiten: Den übertragenen Wirkungskreis machen die Auftragsangelegenheiten aus. Bei ihnen fallen Aufgabensubstanz und Aufgabenwahrnehmung auseinander. Die Aufgabensubstanz ist und bleibt staatlich100. Das Gesetz überträgt den Gemeinden nur die Ausführung. Damit verbunden ist ein staatliches Weisungsrecht, das — wenn es nicht ausdrücklich begrenzt ist - als unbegrenztes existiert. Inwieweit die Gemeinden dadurch faktisch in die Funktion von Staatsbehörden einrücken, ist streitig (vgl. unter 3)101. b) Aufgabenmonismus: Das monistische Gliederungsschema (BW, Hess, NW, SH), das auf den sog. Weinheimer Entwurf102 zurückgeht, möchte, statt zwischen staatlichen und gemeindeeigenen Aufgaben zu trennen, von einem einheitlichen Begriff der öffentlichen Aufgaben ausgehen. Die Erfüllung aller dieser Aufgaben soll im Gemeindegebiet grundsätzlich allein und in eigener Verantwortung den Gemeinden obliegen, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen103. Freilich ist damit das Problem des Staatseinflusses nicht beseitigt. aa) interne Gliederung: Auch das monistische Modell kommt nicht ohne interne Anerkennung einer Aufgabentrias aus: Freie Aufgaben, Pflichtaufgaben und Weisungsaufgaben, d. h. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gemäß einem gesetzlich festgelegten staatlichen Weisungsrecht. Das Weisungsrecht wird in der Gesetzespraxis für das einzelne Aufgabengebiet teils als beschränktes104, teils als unbeschränktes105 eingeräumt. Materien, die sich üblicherweise als Pflichtaufgaben nach Weisung finden, sind die ordnungsbehördlichen Aufgaben der Gemeinden und ihre Tätigkeit als untere Verwaltungsbehörden 106. Während sich die freien und die Pflichtaufgaben, transponiert man sie auf das dualistische Schema, einigermaßen unproblematisch als solche des „eigenen Wirkungskreises" wiederfinden, besteht über eine vergleichbare Zuord100 101 102
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Ausdrücklich z. B. BVerwGE 19, 121 (123); BGHZ 16, 95 (99); vgl. auch BVerwG NVwZ 1983, 610(611). „Quasistaatsbehörden": BayVGH BayVBl. 1977, 152 (153); Forsthoff, Verwaltungsrecht, 1973, S. 479; a. A. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 547. Entwurf einer GO für die Länder der Bundesrepublik Deutschland, erarbeitet von den Landesinnenministern und den kommunalen Spitzenverbänden am 2./3. 7. 1948 in Weinheim. Vgl. § 2 Abs. 1 GO BW; § 4 GO Hess.; § 3 Abs. 2 GO NRW; § 3 Abs. 1 GO SchlH. Z. B. § 9 Abs. 2 OBG NRW. Vgl. § 51 PolG BW; § 25 LVG BW. Speziell zur Rechtslage in BW Wahl, VB1. BW 1984, 123 ff. 127
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nung der Weisungsaufgaben seit langem Streit : Sind sie die alten Auftragsangelegenheiten unter „neuem Etikett", sind sie den Auftragsangelegenheiten wenigstens insoweit verwandt, daß man beide unter dem Oberbegriff der „Fremdverwaltung" 108 im wesentlichen gleichbehandeln kann, sind sie im Gegenteil echte Selbstverwaltungsaufgaben oder aber ein Mischgebilde mit je gesondert zu ermittelnden Konsequenzen? bb) Weisungsaufgaben als Mischform : Keine der beiden eindeutigen Zuordnungen entspricht dem Aufgabenzuschnitt: Das Weisungsrecht paßt nicht zur Selbstverwaltungsaufgabe; die Begrenztheit dieses Rechts wiederum steht einer Einstufung als Auftragsangelegenheit entgegen. Überhaupt ist die gesetzliche Ausgestaltung, die die Weisungsaufgaben im Recht der einzelnen Bundesländer gefunden haben, zu unterschiedlich, um die typischen, mit der dualistischen Einstufung geklärten Probleme auch hier einheitlich lösen zu können — und nur das ist ja der Sinn des Qualifikationsstreits. Weisungsaufgaben sind auf dem Hintergrund eines dualistischen Schemas eine Zwischenform, für die die dogmatischen Konsequenzen nur nach genauerer Analyse der Gesetzeslage gefunden werden können 109 . Dabei mögen zunächst zwei Aussagen hilfreich sein, selbst wenn sie nur Faustregeln sind: — Wie Auftragsangelegenheiten sind Weisungsaufgaben dann zu behandeln, wenn es sich um Ländervollzug im Auftrage des Bundes nach Art. 85 GG"°, um Fälle des Art. 84 Abs. 5 GG oder um Bereiche handelt, in denen das Gesetz den Staatsbehörden ein unbeschränktes Weisungsrecht zuerkennt. — In Bereichen dagegen, in denen das Weisungsrecht beschränkt ist, stehen die Weisungsaufgaben den Selbstverwaltungsangelegenheiten näher; denn hier wächst den Gemeinden sozusagen außerhalb der Tatbestandsmerkmale des Weisungsrechts ein eigener Rechtskreis zu. Von diesen Faustregeln unabhängig werden die Weisungsaufgaben in der Spezialfrage der zuständigen Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 VwGO) einheitlich als Auftragsangelegenheiten behandelt. Den Widerspruchsbescheid erläßt nicht die Gemeinde, sondern die nächsthöhere Behörde 1 ". Ebenfalls unabhängig von den genannten Faustregeln können Weisungen grundsätzlich nicht auf die Handlungsformen des Außenrechts (Verwaltungsakt, Rechtsverordnung) festgelegt werden. Schon der Begriff „Weisung" steht dem entgegen. Vor allem aber passen die Institute der Verwaltungsverfahrensgesetze (Anhörungs-, Beratungs-, Begründungszwang), die mit der Quali107
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Zum Streitstand vgl. Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 20ff. m. w. N.; Dehmel, Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970, S. 91 - 100. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 541, im Anschluß an Wolff / Bachof, VwR II, § 86 X. Zutreffend Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 22 (mit Auflistung eines Fragenkatalogs). Zur Sonderstellung der durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Auftragsverwaltung vgl. die „Transmissionsklauseln" § 129 Abs. 3 GO BW, § 16 Abs. 1 LOG NRW. Vgl. z. B. § 7 AGVwGO NRW; Kopp, VwGO § 73 Rdnr. 4.
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fikation als Verwaltungsakt automatisch ins Spiel kämen, für das Verhältnis der Gemeinde zum Staat in Weisungsmaterien nicht. Die Frage, inwieweit Gemeinden gegen staatliche Weisungen um Gerichtsschutz nachsuchen können, ist damit noch nicht negativ entschieden, denn die Rechtswegeröffnung hängt heute anders als früher nicht mehr davon ab, daß die angegriffene Maßnahme als Verwaltungsakt eingestuft wird (vgl. unter 3 b). c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum: Das unter a) und b) behandelte Spektrum öffentlicher Aufgaben und Aufgabenträgerschaft erschöpft die Erscheinungsformen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum nicht vollständig. Das Bild von der Einheit der Verwaltung auf der Ortsebene112 ist daher mehr Wunsch als Wirklichkeit. — Sonderbehörden: Zum einen gibt es zahlreiche Aufgaben, die der Staat auch „vor Ort" durch eigene Sonderbehörden wahrnimmt. Traditionell zählen hierher die Tätigkeiten der Finanz-, Arbeits- und Wehrverwaltung sowie der Gewerbeaufsichtsämter. Das Landesrecht kennt vielfältige weitere Fälle (z. B. Schulämter, Eichämter, Flurbereinigungsbehörden). Auch die Tätigkeiten von Bahn und Post müßten hierher gerechnet werden. — Organleihe: Eine Sonderform staatlicher Verwaltung begründen ferner diejenigen Gesetze, die ein einzelnes Gemeindeorgan ohne Rückbindung an seine originäre kommunale Trägerkörperschaft mit einer staatlichen Aufgabe betrauen. In diesen Fällen der Organleihe113 wird das betreffende Organ der staatlichen Verwaltung inkorporiert und unterliegt als solches allen Aufsichtsrechten des staatlichen Instanzenzuges. Bei gemeindlichen Organen sind solche Mischfälle selten114; der Standardfall dagegen findet sich auf der Landkreisebene (vgl. IX 4). 2. Rechtsaufsicht 115
Die Rechtsaufsicht („Kommunalaufsicht", „allgemeine Aufsicht") ist die Standardaufsicht des Staates über die Tätigkeit der Gemeinden116. Sie folgt 112
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In manchen Landesverfassungen (z.B. Art. 137 LV Hessen, Art. 44 LV Nds, Art. 78 Abs. 2 LV NRW) wird der Grundsatz der Einheit der örtlichen Verwaltung garantiert, nicht jedoch im Grundgesetz; a. A.: Stent, in: BK, Rdnr. 93 zu Art. 28 GG. Dazu Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 28f. m. w. N. Vgl. z. B. § 47 Abs. 3 GO NRW; § 62 Abs. 1 Ziff. 3 GO Nds; s. aber auch § 146 a GO He; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 181 f. m. w. N. Bei § 48 Abs. 4 PolG BW (Tätigkeit des Bürgermeisters als Ortspolizeibehörde) deutet zwar der Gesetzeswortlaut ebenfalls auf Organleihe hin (so auch Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 28 Fn. 56; Wolff/Bachof/Stober, VwR II, §86 Rdnr. 197); die Praxis in BadenWürttemberg behandelt den Bürgermeister jedoch insofern als Gemeindebehörde, gegenüber der allerdings sehr weitgehende Aufsichtsrechte des Staates (vgl. § 49 Abs. 1, Ziff. 3 PolG BW) bestehen (Wöhrle / Beiz, PolG für BW, Rdnr. 5 zu § 48). Ausführlich Knemeyer, HkWP Bd. 1, 271 ff.; Erichsen, DVB1. 1985, 943ff. Vgl. Art. 75 Abs. 1 LV BW; Art. 137 Abs. 3 LV Hessen; Art. 44 Abs. 5 LV Nds; Art. 78 Abs. 4 LV NRW; Art. 49 LV RhPf; Art. 122 LV Sa; Art. 39 Abs. 3 LS SchlH. 129
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aus dem parlamentarischen System und aus der Gesetzesbindung der Verwaltung und gehört notwendig zum Körperschaftsstatus der Gemeinde. Rechtsaufsicht heißt Überprüfung der Rechtmäßigkeit. Wo Maßstäbe des Rechts fehlen, mangelt der Rechtsaufsicht der Kontrollmaßstab. Der dogmatischen Vorstellung nach hat die Aufsichtsbehörde die gleichen rechtsmethodischen Schritte zu vollziehen, wie wir sie sonst bei der gerichtlichen Rechtskontrolle kennen: Ermessensfehler sind Rechtsfehler nach Maßgabe der § 40 VwVfG, § 114 VwGO117. Bei den Selbstverwaltungsaufgaben ist der Staat grundsätzlich auf diese Art der Aufsicht beschränkt. Systematisch lassen sich eine repressive, d. h. nachträglich einsetzende, und eine präventive, d. h. vor Vollendung eines gemeindlichen Rechtsaktes eingreifende Rechtsaufsicht unterscheiden" 8 . Die Gemeindeordnungen regeln unter der Überschrift „Aufsicht" zusammenhängend nur die repressive Rechtsaufsicht119, während sich präventive Aufsichtsvorgänge verstreut vor allem in den einzelnen Vorschriften finden, die bestimmte gemeindliche Handlungen staatlicher Genehmigung unterstellen. Demgemäß wird auch in diesem Beitrag verfahren (zu Genehmigungen vgl. unter 4). Den normalen Instanzenzug der Rechtsaufsichtsbehörden stellen die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung dar: der Innenminister — der Regierungspräsident — und, sofern es um kreisangehörige Gemeinden geht, das Landratsamt (Oberkreisdirektor) als untere staatliche Verwaltungsbehörde. a) Aufsichtsmittel12°: Aufsichtsvorgänge vollziehen sich in der Praxis vielfach durch informelle Kontakte zwischen Gemeinde und Aufsichtsbehörde (Beratung, Anregung, Korrekturvorschlag). Die Aufsicht soll den Gemeinden bekanntlich helfen und möglichst ohne Konfrontation erfolgen. Wenn das aber nicht zum Erfolg führt, muß das Recht allerdings auch zwangsweise gegen die Gemeinde durchgesetzt werden können. Für diese Eingriffsfälle halten die Gemeindeordnungen ein Instrumentarium bereit, das in der Art einer Klimax von einfachen Informationsrechten bis zu „schweren Geschützen" (z. B. Ersatzvornahme, Staatsbeauftragter) reicht. In Einzelheiten weichen die Gemeindeordnungen voneinander ab; zu den üblichen Mitteln gehören: — Informationsrecht: Soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, kann sich die Rechtsaufsichtsbehörde über einzelne Angelegenheiten un117
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Dazu Kopp, VwGO, Rdnr. 4ff. zu § 114 VwGO; ders., VwVfG, Rdnr. 5ff. zu § 40 VwVfG. Systematisch Wolff/Bachof/Stober, VwR II § 86 Rdnr. 178ff.; Schmidt/ Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 86ff.; Stober, Kommunalrecht, § 12 I; Tettinger, Bes.VwR, § 11. §§ 118ff. GO BW; Art. 94ff. GO Bay; §§ 135ff. GO Hessen; §§ 127ff. GO Nds; §§ 106ff. GO NRW; §§ U7ff. GO RhPf; §§ 123ff. KSVG Sa; §§ 120ff. GO SchlH. Sondervorschriften gelten für die aufsichtsbehördliche Rechnungsprüfung. Vgl. z. B. § 114 GO BW. Ausführlich Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1 S. 374ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 86ff.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 272ff. Vgl. auch Bracker, in: Fs. f. v. Unruh, S. 459 (471 f.); Meyer, St. u. VwR Hess., 197ff.
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terrichten. Verlangt werden können die Vorlage von Akten, Erstellung von Berichten, die Einsichtnahme in Bücher. Eine generelle Vorlagepflicht, z. B. für alle Ratsbeschlüsse, kann jedoch nicht abgeleitet werden121. — Beanstandungsrecht: Rechtswidrige Handlungen (Beschlüsse, Anordnungen) kann die Aufsichtsbehörde beanstanden und ihre Korrektur durch die Gemeinde verlangen, sofern die Gemeinde mit einer solchen Korrektur nicht erneut gegen das Gesetz verstoßen müßte 122 , indem sie z. B. zu einer rechtlich nicht möglichen Rücknahme eines Verwaltungsakts (§ 48 VwVfG) angehalten wird. Die in einigen Gemeindeordnungen vorgesehene „aufschiebende Wirkung" der Beanstandung 123 gilt nicht für die Außenwirksamkeit des betreffenden Aktes; sie enthält aber ein Vollzugsverbot an die Gemeinde. — Anordnungsrecht: Erfüllt die Gemeinde die ihr nach Gesetz und Recht obliegenden Pflichten nicht, so kann die Aufsichtsbehörde anordnen 124 , daß die Gemeinde die notwendigen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist nachholt. Das Anordnungsrecht ist das auf gemeindliches Unterlassen bezogene Korrelat zur Beanstandung, die auf rechtswidriges Tun reagiert. — Ersatzvornahme: Kommt die Gemeinde einem der vorstehend genannten Verlangen der Aufsichtsbehörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht nach, so ist die Aufsicht befugt, die notwendigen Maßnahmen an Stelle und auf Kosten der Gemeinde selbst durchzuführen. Hier wird die Aufsicht u. U. auch gegenüber Dritten tätig. Im Vorgang der Ersatzvornahme liegt also regelmäßig ein Doppelakt: ein Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde, der die Ausübung des Aufsichtsmittels zum Regelungsgegenstand hat, und ein zweiter Akt, dessen Rechtsnatur sich aus seinem Regelungsumfeld heraus bestimmt und der folglich z. B. Realakt, Akt der Normsetzung, aber auch eine privatrechtliche Willenserklärung sein kann125. — weitere Aufsichtsmittel: Länderweise unterschiedlich eingeführt sind darüber hinaus weitere Aufsichtsmittel für schwere Fälle, z. B. die Bestellung eines Staatsbeauftragten 126 , die Auflösung des Gemeinderates 127 oder die vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Bürgermeisters128. b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz: Die eingreifenden Aufsichtsmittel unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zuweilen ist ausdrücklich vorgesehen, daß zunächst das gemeindeinterne Kontrollsystem einzu121 122 123 124 125 126 127 128
Knemeyer, HkWP Bd. 1, 272. Meyer, StuVwR Hess. 199; Erichsen, DVB1. 1985, 943 ff., 945; vgl auch Mögele, BayVBl. 1985, 519ff.; OVG Münster NVwZ 87, 155. Vgl. z. B. § 121 Abs. 1 S. 3 GO BW; § 108 Abs. 2 GO NRW. In allen Gem.Ord.; vgl. allerdings Art. 112 S. 2 GO Bay („auffordern"). Ausführlich dazu Schnapp, Die Ersatzvornahme in der Kommunalaufsicht, 1972. Vgl. u. a. § 124 GO BW; Art. 114 GO Bay; § 141 GO He; § 132 GO Nds; § 110 GO NRW; § 124 GO RhPf; § 130 KSVG Sa; § 127 GO SchlH. Vgl. Art. 114 GO Bay; § 141a GO He; § 54 Abs. 1 GO Nds; § 111 GO NRW; 125 GO RhPf; § 53 Abs. 2 KSVG Sa; § 44 GO SchlH. § 128 GO BW; Art. 114 Abs. 3 GO Bay. 131
2. Abschn. II 3a
Eberhard Schmidt-Aßmann
schalten ist129. Generell dürfen Aufsichtsmaßnahmen nur durchgeführt werden, wenn sie dem öffentlichen Wohl dienen. Mit Ausnahme des Informationsrechts setzen alle Aufsichtsmaßnahmen rechtswidriges Gemeindehandeln voraus. Die Rechtswidrigkeit folgt primär aus Rechtssätzen des öffentlichen Rechts. Verstöße gegen privatrechtliche Vorschriften reichen jedenfalls dann nicht aus, wenn sie nur den Interessen des Privatrechtsverkehrs dienen130. Eine zum Einschreiten berechtigende Rechtsverletzung liegt auch dann vor, wenn sich ein Gemeindeorgan mit Materien beschäftigt, die wegen ihres überörtlichen Charakters nicht in seinen Kompetenzbereich fallen. Auch bei Vorliegen des Aufsichtsfalles ist die Aufsichtsbehörde, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, nicht zum Einschreiten verpflichtet, sondern kann nach Ermessen entscheiden (Opportunitätsprinzip) 131 . Klare Fälle einer Ermessensschrumpfung dürften selten sein, sind aber nicht ganz auszuschließen. In keinem Falle haben private Dritte einen Rechtsanspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten; denn Aufsichtsvorschriften sind nicht einmal beiläufig ihren Interessen zu dienen bestimmt132. Adressat der genannten Aufsichtsmaßnahmen ist die Gemeinde als solche, die in ihrem Körperschaftsstatus dem Staat (Aufsichtsbehörde) im Außenverhältnis entgegentritt133. Regelnde Maßnahmen der Aufsichtsbehörde haben daher unstreitig die Qualität eines Verwaltungsaktes. Für ihren Erlaß sind, soweit das Kommunalrecht keine gleichlautenden oder entgegenstehenden Vorschriften enthält, ergänzend die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder einschlägig. Der Gerichtsschutz134 der Gemeinden richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Soweit die Gemeindeordnungen darauf verweisen, kommt ihnen angesichts des § 40 Abs. 1 S. 1, § 42 Abs. 2 VwGO nur deklaratorische Bedeutung zu135. 3. Fachaufsicht a) Wesen und Regelungen: Als Fachaufsicht 136 bezeichnet man die besondere Aufsicht in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. der Weisungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen enthalten hierüber nur margi129 130
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§ 108 GO NRW; dazu OVG Münster DVB1. 1985, 172ff. OVG Münster DVB1. 1963, 862 ff; gegen dieses Subsidiaritätsdogma: Hassel, DVB1. 1985, 695 ff. Str.; vgl. zum Streitstand Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 383f m. w. N.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 268 f; ferner Borchert, DÖV 1978, 721 ff. H. M.; vgl. Knemeyer, HkWP Bd. 1, 270; vgl. Schnapp, DVB1. 1971, 480ff.; auch BVerwG DÖV 1972, 723 (LS); OVG Koblenz DÖV 1986, 152f. OVG Münster DVB1. 1981, 227f.; Fehrmann DÖV 1983, 311 (317). Dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 390f.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 101 f.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 275. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 102. In NRW „Sonderaufsicht". Dieser Begriff wird sonst anderen Fällen (vgl. unten 4) vorbehalten; vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 372, 385ff.
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2. Abschn. II 3 b
nale Vorschriften und verweisen im übrigen auf die einschlägigen Fachgesetze137. Das Wesen der Fachaufsicht liegt in der ihr zugeordneten Weisungsbefugnis. Diese Befugnis ist im dualistischen Aufgabenmodell grundsätzlich unbegrenzt138, während sie im monistischen Modell für das einzelne Aufgabengebiet gesetzlich besonders verliehen sein muß. Weisungen erstrecken sich auf die Handhabung des gemeindlichen Ermessens und sind selbst vorrangig von Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit bestimmt. Damit bekommt die Aufsicht eine ganz andere Funktion: repressive Kontrolle und präventive Steuerung fließen hier zusammen. Eine immanente Grenze aller Weisungsrechte liegt darin, daß sie Sachentscheidungen steuern sollen. Wie die Gemeinde die organisatorischen Voraussetzungen dafür schafft, muß ihr dagegen selbst überlassen bleiben139. Fachaufsicht ist nicht Dienstaufsicht 140 . Die Weisungsrechte werden von den zuständigen Fachbehörden ausgeübt, die mit den allgemeinen Aufsichtsbehörden häufig, aber keinesfalls durchgängig identisch sind. Außer zur Ausübung des Weisungsrechts sind die Fachauisichtsbehörden zu Eingriffen in den gemeindlichen Bereich nicht berechtigt141. Kommt eine Gemeinde einer Weisung nicht nach, so ist allein die •RecA/saufsicht berechtigt, darauf mit ihren allgemeinen Aufsichtsmitteln zu reagieren; die Fachaufsichtsbehörden haben sich an sie zu wenden. b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen: Dieses Problem wird heute eher in den Begründungsschritten als im Ergebnis kontrovers behandelt142. Dabei sollte zwischen der generellen Zulässigkeit einer gemeindlichen Klage, der richtigen Rechtsschutzform und der im Rahmen der Klagebefugnis und der Begründetheit zu behandelnden Frage nach den verletzten gemeindeeigenen Rechten unterschieden werden: — Unbestreitbar ist, den Gemeinden wird der Rechtsweg auch gegen fachaufsichtliche Maßnahmen nicht generell versperrt. Solche Maßnahmen sind keine gerichtsfreien Hoheitsakte, sondern Vorgänge, über die nach Maßgabe des öffentlichen Rechts zu entscheiden ist (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). — Davon unabhängig besteht der Streit um die Rechtsnatur fachaufsichtlicher Weisungen. Er hat Bedeutung für die Bestimmung der statthaften Klageart: Stuft man Weisungen als Verwaltungsakte ein, ist um Rechtsschutz mit der Anfechtungsklage nachzusuchen. Tut man das nicht — und manche verwaltungsverfahrensrechtlichen Konsequenzen sprechen dafür, es generell
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Darstellung bei Knemeyer, HkWP Bd. 1, 276 ff. Zu Besonderheiten des Art. 109 Abs. 2 GO Bay Knemeyer, HkWP Bd. 1, 281; VGH München DÖV 1978, 100 f. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Ronr. 548 f. Unterscheidung bei Wolff/ Bachof, VwR II, § 77 II c 2 Ausdrücklich: § 129 Abs. 2 GO BW, Art. 116 Abs. 1 S. 2 GO Bay. Dazu: Knemeyer, HkWP Bd. 1, 278f., 280; Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 488ff.; Erichsen, DVB1. 1985, 943 ff., 947; Stober, Kommunalrecht, § 12 II 2; Tettinger, Bes. VwR, § 11 Rdnr. 184 ff. 133
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nicht zu tun — so bleibt der Gemeinde immer noch die allgemeine Leistungsklage. — Die für allgemeine Leistungs- wie für Anfechtungsklagen gleichermaßen entscheidende Frage ist die nach den verletzten subjektiven Rechten144. Sind solche nachweisbar, so kann der Rechtsschutz nicht scheitern. Auf der Basis des monistischen Aufgabenmodells lassen sich solche gemeindeeigenen Rechte leichter ausmachen, weil hier alles, was außerhalb des gesetzlichen Weisungstatbestandes liegt, dem gemeindlichen Rechtskreis anwächst. Hält sich die Weisung nicht im Rahmen dieses Tatbestandes, so trifft sie sozusagen von selbst auf gemeindliche Rechte. Aber auch bei den Auftragsangelegenheiten des dualistischen Modells ist die Betroffenheit gemeindeeigener Rechte nicht auszuschließen; denn die Gemeinden bleiben auch hier mit ihrer Verwaltungsorganisation Körperschaften. Das Weisungsrecht darf, selbst wenn die Sachaufgabe staatliche Angelegenheit ist, nicht in den gemeindlichen Organisationsvorbehalt eingreifen145. Inwieweit eine Betroffenheit eigener Rechte nach der Konstellation des Einzelfalls immerhin möglich ist, inwieweit sie wirklich vorliegt und rechtsverletzend wirkt, ist dann eine Frage der Aufteilung des Prozeßstoffes auf die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfende Klagebefugnis und die letztendlich entscheidende Begründetheit. Hält sich die fachaufsichtliche Maßnahme im Rahmen der ihr durch das Recht gezogenen Grenzen, so mag sie so unzweckmäßig sein, wie sie will — ein gemeindliches Rechtsmittel kann dann keinen Erfolg haben. Gleiches gilt wegen der umfassenden Verantwortung der Fachaufsicht i.d.R. dann, wenn Gemeinde und Aufsichtsbehörde über die richtige Auslegung der materiellen Vorschriften des jeweiligen Fachgesetzes streiten1453.
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So auch Meyer-Borgs, VwVfG, 2. Aufl., §35 Rdnr. 49; Erichsen, DVB1. 1985, 943ff., 948; a. M.: Knemeyer, HkWP Bd. 1, 279, 280; Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 488 (491); differenzierend Kopp, VwGO, Rdnr. 45 zum Anh. § 42 m. w. N.; OVG Lüneburg NVwZ 1982, 385f.; VGH München DÖV 1978, lOOf. Für die insofern vergleichbaren Fragen des Rechtsschutzes im Beamtenverhältnis wie hier aber BVerwGE 60, 144 (148); Kremer, NVwZ 1983, 6ff. Anfechtungsklage hat auch die Gemeinde ausnahmsweise dann zu erheben, wenn sie sich gegen Entscheidungen der Aufsichtsbehörde wendet, die diese als Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in einem von einem Dritten gegen eine gemeindliche Entscheidung angestrengten Widerspruchsverfahren getroffen hat. Der Widerspruchsbescheid erhält seinen Verwaltungsaktcharakter aus seiner Außenwirksamkeit gegenüber dem Dritten und behält ihn auch der Gemeinde gegenüber. Vgl. dazu BVerwG NVwZ 1982, 3 lOf.
Vgl. dazu BVerwG NJW 1978, 1820; Kopp, VwGO, Rdnr. 95 zu §42; BVerwG NVwZ 1983, 610 (611). 145 Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 488 (490). Vgl. ferner Art. 109 Abs. 2 GO Bay; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 281. i45a Vg , V G K ö l n D V B 1 i 9 8 5 > 1 8 0 f f 134
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4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck und Typik: Die Aufsicht ist nicht notwendig darauf beschränkt, nachträglich korrigierend tätig zu werden. Oft ist es für alle Beteiligten besser, die Aufsichtsinteressen werden erfüllt, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Auch die informellen Mittel der Beratung und Besprechung lassen sich besser vorab einsetzen. Freilich birgt gerade die präventive Aufsicht auch die Gefahr, daß sie über eine Mitgestaltung zur Besserwisserei entartet, weil hier die notwendige Distanz zwischen Aufsichtsbehörde und Gemeinde leichter verlorengehen kann. Folglich muß das präventive Aufsichtswesen besonders sorgfältig gesetzlich geordnet sein. Aufsichtsmittel, die der Gemeinde verbindlich etwas vorschreiben wollen, bedürfen gesetzlicher Grundlage. Fehlt es daran, so können die Staatsbehörden nicht tätig werden. Im übrigen haben sich solche Mittel auf Vorgänge zu beschränken, in denen sich ein besonderes „Gefährdungs"- oder ein spezielles „Mitsprachepotential" angesammelt hat. Zu den Instrumenten der präventiven Aufsicht gehören als mildere Mittel Anzeige- oder Vorlagepflichten 146 . Sie sind Rechtstechniken, die der Aufsichtsbehörde die Kontrolle erleichtern sollen. Vor allem aber sind gesetzliche Genehmigungsvorbehalte Mittel präventiver Aufsicht. b) spezielle Genehmigungsvorbehalte: Sie finden sich als Erfordernisse aufsichtsbehördlicher Genehmigung, Zustimmung oder Bestätigung sowohl in den Kernbereichen des Gemeinderechts, z. B. bei Gebietsänderungen und im gemeindlichen Wirtschaftsrecht, eingeschränkt auch beim Satzungsrecht (vgl. unter V 1 c) und in Fachgesetzen, z. B. gegenüber der gemeindlichen Bauleitplanung (§§ 6, 11 BauGB). Nicht einheitlich zu beantworten ist die Frage, inwieweit die Aufsichtsbehörde auf die reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt ist oder ihrer Genehmigungsentscheidung auch Zweckmäßigkeitserwägungen zugrundelegen darf. Nach überwiegender Ansicht müssen mehrere Typen von Genehmigungsvorbehalten unterschieden werden 147 : aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung: Der Normaltatbestand gestattet allein eine Rechtskontrolle. Die Genehmigung ist hier rechtliche Unbedenklichkeitserklärung. Solche Vorschriften finden sich dort, wo der gemeindliche Rechtsakt mit besonderen rechtlichen Risiken behaftet ist oder weitreichende rechtliche Folgen hat. Wenn keine zusätzlichen Genehmigungsmaßstäbe genannt sind oder aus dem Kontext zwingend erschlossen werden können, ist allein eine Rechtskontrolle als das die Gemeinden am wenigsten belastende Mittel zulässig. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Rechtsakt gegen berücksichtigungsfähige Rechtsvorschriften nicht verstößt. Die Gemeinde hat
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Systematisch: Keller, Die staatliche Genehmigung von Rechtsakten der Selbstverwaltungsträger, 1976, S. 50 ff. Dazu Salzwedel, AfK 1, 1962, S. 203ff.; W. Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 1967, S. 123 (129f.); Wolff /Bachof /Stober, VwR II, § 8 6 Rdnr. 180; Bracker, in: Fs. f. v. Unruh, S. 459ff., 475f. 135
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auf die Genehmigung einen Rechtsanspruch, den sie mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage verfolgen kann 148 . bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium: Daneben kennt das Gemeinderecht traditionell aber auch solche Genehmigungstatbestände, die den Staat zu einer mehr oder weniger umfassenden Zweckmäßigkeitskontrolle ermächtigen. So unterliegt z. B. die Veräußerung (historisch) wertvoller Gegenstände des Gemeindevermögens einer Genehmigung, bei der es nicht allein um die Rechtmäßigkeit geht, sondern deren Sinn gerade darin liegt, gemeindliches Vermögen vor gemeindlicher Unbedachtsamkeit in Schutz zu nehmen 149 . Ähnliches gilt für Genehmigungen gemeindlicher Kreditaufnahmen oder gegenüber der Eingehung von Bürgschaften150. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verbietet solche Tatbestände nicht grundsätzlich, denn auch die hier betroffene Eigenverantwortlichkeit steht unter einem Gesetzes vorbehält. Größere Probleme werfen — freilich nur für landesgesetzliche Genehmigungsvorbehalte — diejenigen Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen auf, die die Staatsaufsicht außerhalb der Weisungsaufgaben ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeitsprüfung beschränken 151 . Teilweise hat man versucht, diese Verfassungsbestimmungen nur auf die repressive Aufsicht zu beziehen und die präventiven Aufsichtsvorgänge ganz aus dem Garantiebereich auszuklammern 152 . Angängig ist das freilich nur bei Materien, die wegen eines eindeutigen staatlichen Mitgestaltungsinteresses ohnehin in den Grenzbereichen des örtlichen Wirkungskreises liegen und die man als Angelegenheiten eines staatlich-gemeindlichen Kondominiums bezeichnen kann: gemeindliche Gebietsänderungen 1523 , Zweckverbandsbildungen, Wappen- und Siegelführung. Bei den meisten Genehmigungstatbeständen des Kommunalwirtschaftsrechts dagegen geht es ganz vorrangig um örtliche Belange, um einen Schutz der Gemeinde vor sich selbst. Eine exakte Regelung enthält hier allein Art. 75 Abs. 1 S. 2 der bad.-württ. LV, der die Genehmigungsmaßstäbe in den Grundzügen selbst normiert. Will man auch in den anderen Bundesländern die notwendige und eingespielte Präventivkontrolle weiterhin für zulässig ansehen, so bleibt nur der Weg, den Genehmigungsmaßstab auf einen freilich weit zu interpretierenden Rechtsbegriff der „Wirtschaftlichkeit" zurückzuführen und den Genehmigungsvorbehalt so als eine (weite) Rechtmäßigkeitskontrolle zu deuten153. 148
OVG Münster OVGE 19, 192ff. Beispiele bei Wolff/Bachof/Stober, VwR II § 86 Rdnr. 180. 150 Vgl. dazu Bordiert, Kommunalaufsicht und kommunaler Haushalt, 1976, S. 162ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 243; VG Köln, DVB1. 1986, 737 ff. (Genehmigung des Kreisumlagesatzes). 151 Vgl. § 137 Abs. 3 LV Hessen; Art. 44 Abs. 5 LV Nds; Art. 78 Abs. 4 S. 1 LV NRW. 152 Keller, Die staatliche Genehmigung von Rechtsakten der Selbstverwaltungsträger, 1976, S. 71 ff. m. N. 152a Dazu Spies, NVwZ 1984, 630f. 153 Borchert, Kommunalaufsicht und kommunaler Haushalt, 1976, S. 190ff.; vgl. Meyer, StuVwR Hess., 201. 149
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2. Abschn. III Vor
Kommunalrecht
III. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) Vorbemerkungen Das Recht des internen Gemeindeaufbaus, das man auch das Gemeindeverfassungsrecht nennt, beschäftigt sich mit den Arten und dem Zusammenwirken der Gemeindeorgane. Es weist einen erheblichen Variantenreichtum im Ländervergleich auf, der vor allem historisch zu erklären ist. Gleichwohl gibt es vereinheitlichende Grundannahmen und Grundzüge. Hier sind vorab die externen Grundannahmen kurz zu erläutern. a) Das Bild der Einheitsgemeinde: Gemeinsam gehen alle Gemeindeordnungen vom Bild der Einheitsgemeinde aus. Die Einheitsgemeinde, so wie sie Gewährleistungsträger des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist - ohne Rücksicht auf ihre Größe, Verwaltungskraft, Versorgungsfunktion —, ist das Bezugsobjekt, an das das Gemeinderecht seine Regelungen standardmäßig knüpft. Sie ist nach außen mit ihrem Körperschaftsstatus die Einheit, die ihre Bürger umschließt und in einem rechtstechnischen Sinne ihren Organen und Untergliederungen Rückhalt und Zuordnung gibt. Weder interne Untergliederungen (Ortschaften, Gemeindebezirke)154 noch Zusammenschlüsse von Gemeinden zu neuen Verwaltungsträgern (BW: „Verwaltungsgemeinschaften"; Nds: „Samtgemeinden"; RP: „Verbandsgemeinden"; SH: „Ämter"155) sind in diesem Rechtssinne Gemeinden. b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden: Allerdings kann das Verwaltungsrecht nicht die Augen davor verschließen, daß in der Realität der Gebietszuschnitt, die Raumsituation, die Bevölkerungszahlen und die Leistungskraft der Gemeinden erheblich voneinander abweichen und zu Differenzierungen auch des Rechtsstatus veranlassen. Ein Teil solcher Differenzierungen im Bild der Einheitsgemeinde findet sich außerhalb des Gemeinderechts. So sind z. B. die unterschiedlichen Versorgungsfunktionen, die eine Gemeinde für sich und ihr Umland wahrnimmt, als zentralörtliches Gliederungsprinzip im Landesplanungsrecht156 berücksichtigt. Andere Differenzierungen nimmt das Kommunalrecht selbst vor. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen kreisangehörigen und kreisfreien Gemeinden157, die sich an der unterschiedlichen Größe und Verwaltungskraft orientiert und daraus Konsequenzen für den Aufgabenbestand zieht. Vor allem bei der gesetzlichen Zuweisung 154 155 156
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Vgl. unten III, 4. Vgl. unten X, 1. Dazu Kistenmacher, in: Grundriß der Raumordnung, 1982, S. 248ff.; allgemein Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt, insbes. IV. 3. Daneben gibt es Sonderformen; z. B. „stadtverbandsangehörig" (§ 4 Abs. 2 KSVG Sa). 137
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von Auftragsangelegenheiten/Weisungsaufgaben wird auf diese Unterscheidung Bezug genommen. aa) kreisangehörige Gemeinden: Von den 8519 Gemeinden der Bundesrepublik sind 8427 kreisangehörig. Ohne ihre rechtliche Selbständigkeit anzutasten, besteht „oberhalb" — nicht eigentlich über — ihnen ein Gemeindeverband (Landkreis, Kreis), um diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen (vgl. unter IX). bb) kreisfreie Städte: Kreisfreie Städte (Stadtkreise) sind diejenigen größeren Städte, denen der Status der Kreisfreiheit gesetzlich zuerkannt ist. Länderweise variieren die Schwellenwerte, an denen sich die Gebietsreform ausrichtete, nicht unerheblich. Insgesamt gibt es 92 kreisfreie Städte. Sie sind Gemeinden nach dem Bild der Einheitsgemeinde; insofern ist der Begriff des „Stadtkreises" (BW) irreführend. Ihr Aufgabenbestand ist wegen ihrer größeren Leistungsfähigkeit aber schon auf natürliche Weise größer als der der kreisangehörigen Gemeinden. Außerdem sind ihnen diejenigen Aufgaben übertragen, die im Landkreis von den Kreisorganen erfüllt werden, die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden. Das was im Landkreis von unterschiedlichen Verwaltungseinheiten (kreisangehörigen Gemeinden, Landkreisen, Kreisorganen als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde) geleistet wird, erfüllen die kreisfreien Städte „in einer Person". cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden: Die kreisangehörigen Gemeinden haben unter sich wiederum stark voneinander abweichende Einwohnergrößen und Erscheinungsformen: kreisangehörig ist eine dörfliche Gemeinde mit nicht mehr als 3000 Einwohnern; kreisangehörig kann aber auch eine Gemeinde mit 100000 Einwohnern und total städtischem Gepräge sein. Um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen, stellen die Gemeindeordnungen aller Flächenländer eine — Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwei — besondere Kategorien einer größeren kreisangehörigen Gemeinde zur Verfügung 158 . Die Erlangung dieses besonderen Status setzt das Erreichen eines länderweise (zwischen 20000 und 60000) variierenden Einwohnergrenzwertes und außer in Hessen einen besonderen staatlichen Akt der Statusverleihung voraus. Gemeinden mit privilegiertem Status erfüllen in den meisten Ländern neben ihren Aufgaben als kreisangehörige Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis auch einen Teil derjenigen Aufgaben, die sonst nur von den kreisfreien Städten, im Landkreis aber normalerweise von den Kreisverwaltungsorganen als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde wahrgenommen werden. Außerdem bestehen für privilegierte kreisangehörige Gemeinden Abweichungen im normalen Instanzenzug der Rechtsaufsicht. 1. Gemeindeverfassungstypen (Überblick) Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind Gemeinden handlungsfähig durch ihre Organe. Alle Gemeindeordnungen kennen wenigstens zwei 158
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Vgl. dazu die Übersicht bei Schleberger, HkWP Bd. 2, 199.
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Hauptorgane, den Gemeinderat als zentrales Beschlußorgan und ein Hauptverwaltungsorgan, das in den meisten Ländern monokratisch (Gemeindevorsteher: Bürgermeister, Gemeindedirektor), in zwei Ländern kollegial (Magistrat) verfaßt ist159. Status und gegenseitige Zuordnung dieser Organe sind in den deutschen Ländern stets recht unterschiedlich geregelt worden160. Die Geschichte des Kommunalrechts überliefert zur Kennzeichnung der wichtigsten Gemeindeverfassungstypen die Begriffe Bürgermeister-, Magistrats- und Ratsverfassung, die auch heute noch gebräuchlich sind. Sofern mit diesen Begriffen schlagwortartig dasjenige Organ mit dem größeren Gewicht genannt werden soll, verwirren die Bezeichnungen mehr als daß sie erhellen. Die grundgesetzlich vorgeschriebene Direktwahl des Gemeinderats (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) gibt diesem Gremium heute in allen Gemeindeverfassungstypen einen natürlichen Vorrang161. Variationsmöglichkeiten bestehen daher nur (noch) in der Frage, ob der Gemeinderat allein das allzuständige Gremium sein (monistisches Modell) oder ob ihm ein ebenfalls aus einer Direktwahl hervorgegangenes oder durch einen festen Kompetenzbereich qualifiziertes zweites Organ von politischem Eigengewicht an die Seite gestellt werden soll (dualistische Modelle). Die derzeitigen Gemeindeverfassungstypen zeigen, daß auch dieser beschränkte Spielraum den Eigenwilligkeiten der Landesgesetzgebung kaum Einhalt gebietet. Keine Gemeindeordnung gleicht hier der anderen; zum Teil gibt es innerhalb desselben Landes zwei Modelle je nach der Größenklasse der Gemeinden. Die Unterschiede in der Begrifflichkeit, mit der die Gemeindeorgane belegt werden, machen die Sache noch bunter. Unübersichtlich wie die Materie sind auch die Einteilungsversuche des kommunalrechtlichen Schrifttums162. Keine Bezeichnung gibt ein Modell lupenrein wieder. Mehr als Orientierungspunkte sind alle Begriffe nicht. Entscheidend bleibt die Detailregelung der jeweils einschlägigen Gemeindeordnung. Für den Überblick mögen wenige Bezeichnungen genügen, die die derzeitigen Gemeindeverfassungstypen zu „Familien" zusammenfassen: — norddeutsche Ratsverfassung163: Ihr liegt ein vom englischen Kommunalrecht164 beeinflußter Monismus zugrunde: Der Idee nach wird die Verwaltung der Gemeinde ausschließlich durch den Gemeinderat bestimmt, während der vom Rat gewählte Hauptverwaltungsbeamte nur Vollzugsorgan der 159
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Vgl. Wolff/Bachof/Stober, VwR II § 87 Rdnr. 3ff.; zu aktuellen Rechtsfragen ihres Zusammenspiels vgl. die Nachw. bei Erlenkämper, NVwZ 1988, 21 (26ff.). Dazu v. Mutius, Jura 1981, 126ff.; historische Darstellung bei Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 215 ff.; zur aktuellen Machtverteilung der beiden Hauptorgane in den einzelnen Verfassungstypen vgl. Schmidt-Eichstaedt, Afk 1985, 20ff.; Wallerath, DÖV 1986, 533 ff. Frowein, HkWP Bd. 2, 82. Vgl. Wolff /Bachof /Stober, VerwR II Randnr. 44ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 222ff.; Schleberger, HkWP Bd. 2, 202f. Einzeldarstellung bei Berg, HkWP Bd. 2, 222 ff. Vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 223, Fn. 35. 139
2. A b s c h n . 1112a
Eberhard Schmidt-Aßmann
Ratsentscheidungen sein soll. Diesem Modell folgen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In beiden Ländern hat sich allerdings nach und nach ein gemäßigter Monismus durchgesetzt, in dem auch der Hauptverwaltungsbeamte mit einem eigenständigen Kompetenzbereich ausgestattet worden ist. — süddeutsche Ratsverfassung165: Sie ist durch einen gemäßigten Dualismus bestimmt: Die zentrale Position des Gemeinderates ist gewahrt. Dazu tritt jedoch der aus eigener Volkswahl hervorgegangene Bürgermeister, der Verwaltungschef und stimmberechtigter Ratsvorsitzender ist. Dieser Gemeindeverfassungstypus herrscht in Baden-Württemberg und Bayern. — Magistratsverfassung166: Sie steht bei aller Anerkennung der zentralen Stellung des Rates dem dualistischen Modell näher. Die laufende Verwaltung besorgt ein vom Rat gewählter Gemeindevorstand, der kollegial verfaßte Magistrat (Bürgermeister und Beigeordnete). Diesem Typus folgen Hessen und für Städte Schleswig-Holstein 167 . Ansätze finden sich ferner in RheinlandPfalz 168 . — Bürgermeisterverfassung169: Der Bürgermeister erhält sein Gewicht nicht durch eine eigene Volkswahl; er wird vielmehr vom Gemeinderat gewählt und ist mit qualifizierter Mehrheit von diesem vorzeitig abberufbar. Gleichwohl hat der Bürgermeister durch einen festen gesetzlichen Kompetenzenstamm, durch seine Funktion als Verwaltungschef und als Ratsvorsitzender eine gewichtige Position. Wesentlich ist die Trennung von Beschluß- und Ausführungsorgan, die in der Person des Bürgermeisters jedoch eine personelle Verklammerung erfährt. Das Grundmodell findet sich in der rheinischen Bürgermeisterverfassung. Heute ist es in unterschiedlichen Varianten im Gemeinderecht von Rheinland-Pfalz, des Saarlands und von SchleswigHolstein vorgesehen: Mit dem Bürgermeister als stimmberechtigtem Ratsvorsitzenden kraft Gesetzes (echte BgmVfg110) oder als nicht stimmberechtigtem Ratsvorsitzenden (unechte BgmVfg111). 2. Der Gemeinderat a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus: Der Gemeinderat 172 ist die gewählte Repräsentation der Bürgerschaft; gleichwohl ist er kein Parlament, sondern, wie die Gemeinde insgesamt, Teil der Exekutive. Begriffe und Re165 166 167 168 169 170 171 172
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Einzeldarstellung bei Wehling, HkWP Bd. 2, 230 ff. Einzeldarstellung bei Schneider, HkWP Bd. 2, 209 ff. Schleswig-Holstein folgt diesem Modell für alle Städte. Für Städte mit mindestens zwei hauptamtlichen Beigeordneten. Einzeldarstellung bei Dreibus, HkWP Bd. 2, 241 ff. Vgl. § 36 Abs. 1 und 3 GO RhPf. Vgl. § 42 KSVG Sa. Die Bezeichnung der Gemeindevertretung ist in den verschiedenen Bundesländern nicht einheitlich: „Gemeinderat" in BW, Bay, RhPf und Sa; „Rat" in NRW und Nds; „Gemeindevertretung" in He und SchlH; „Stadtverordnetenversammlung" in Bremerhaven und in den Städten Hessens.
Kommunalrecht
2. A b s c h n . 1112 a
geln des Parlamentsrechts lassen sich nur im Ausnahmefalle auf ihn übertragen173. Soweit er als „Vertretungskörperschaft" bezeichnet wird, liegt dem ein erweiterter Körperschaftsbegriff zugrunde; jedenfalls ist damit dem Rat keine Rechtsfähigkeit zuerkannt 174 . Letztere besitzt allein die Gemeinde, deren Organ er ist. Das schließt nicht aus, daß der Gemeinderat intern im Verhältnis zu anderen Gemeindeorganen Träger von organschaftlichen Rechten ist und diese gerichtlich durchsetzen kann (vgl. unter 5). Mitglieder des Gemeinderates 175 sind die aus unmittelbaren Wahlen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) hervorgegangenen Gemeindevertreter. Die Mitgliederzahl richtet sich nach der Einwohnergröße. Zu den solchermaßen gewählten Mitgliedern tritt in einigen Ländern der Bürgermeister als Mitglied und Vorsitzender des Gemeinderates 176 . Die Mitglieder haben ein kommunalrechtliches Mandat eigener Prägung: in einigen Ländern sind sie ehrenamtlich tätig; in anderen Ländern ist dieser Status streitig und es werden nur einige Pflichten der ehrenamtlich Tätigen auch für Ratsmitglieder für anwendbar erklärt177. Jedenfalls sind sie Inhaber eines öffentlichen Amtes — auch im haftungsrechtlichen Sinne (Art. 34 GG i.V. § 839 BGB178) - , nicht jedoch (Ehren-)179 Beamte180. Die Institute der parlamentarischen Immunität und Indemnität sind dem kommunalrechtlichen Mandat fremd 181 . Dagegen ist der Gedanke des freien Mandats in den Gemeindeordnungen aufgenommen worden. Die Ratsmitglieder entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung; an Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden182. 173
174 175 176 177
178 179 180 181 182
M. Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereiche des Parlamentsrechts, 1979, S. 37ff.; ebenso Erichsen, StuVwR NRW, 146; eher für eine Übertragbarkeit BayVerfGH NVwZ 1985, 823ff.; Elster, in: Körte/Rebe, Vf.u.Vw. Nds, 450; Frowein, HkWP Bd. 2, 84. Vgl. Wolff/ Bachof/ Stober, VwR II § 84 Rdnr. 19. In manchen Gemeindeordnungen werden die Mitglieder der Gemeindevertretung selbst als „Gemeinderat" bezeichnet, vgl. z. B. § 25 Abs. 1 GO BW. BW; Bay; RhPf. Vgl. auch Borchmann, NVwZ 1983, 457 (458f.); nur Vorsitz: Saarl., Schlesw.-Holst. Vgl. Einzelheiten bei Rauball / Pappermann / Roters, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen, 1981, §20 Rdnr. 9ff.; als ehrenamtlich Tätige ausdrücklich genannt in § 32 GO BW. BGH NJW 1983, 215f. (216) und NVwZ 1986, 504f.; Schwer, NVwZ 1986, 449ff.; Kosmider, NVwZ 1986, 1000 ff. Ausnahmen dann, wenn Mitglied der Gemeindevertretung zugleich oberstes Verwaltungsorgan ist: Vgl. § 70 Abs. 3 GO Nds; § 55 Abs. 2 GO SchlH. „Berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder" gem. Art. 40, 41 GO Bay werden zu Beamten auf Zeit ernannt; sie haben eine Doppelstellung. Vgl. Wolff /Bachof/Stober, VwR II § 86 Rdnr. 145. Ausnahme in Bayern: Art. 51 Abs. 2 GO (nur für Abstimmungsverhalten). So ausdrücklich §32 Abs. 3 GO BW, §30 Abs. 1 GO NRW; vgl. auch Frowein, DÖV 1976, 44ff.; BayVerfGH NVwZ 1985, 823ff. 141
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aa) Rechts- und Pflichtenstatus: Im einzelnen wird der Status des Ratsmitglieds durch ein Netz von Regelungen bestimmt183, in dem dem Hauptrecht auf Mandatsausübung und einigen Annexrechten (Aufwandsentschädigung, Fürsorge bei Dienstunfall) eine Anzahl von Pflichten gegenübersteht. Mit ihnen versuchen die Gemeindeordnungen das für die Selbstverwaltung erwünschte, aber auch prekäre Element eines Entscheidens in geringer Distanz zum Sachvorgang rechtsstaatlich auszubalancieren. Hierher gehören außer den im wahlrechtlichen Vorfeld liegenden Unwählbarkeitsregeln184 ein Verschwiegenheitsgebot185 und gewisse Neutralitätspflichten. So darf ein Ratsmitglied regelmäßig Ansprüche und Interessen eines anderen gegen die Gemeinde nicht geltend machen, soweit er nicht als gesetzlicher Vertreter handelt („kommunales Vetretungsverbot")186. bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften: Im kommunalen Alltag besonders bedeutsam sind die Vorschriften der Gemeindeordnungen über den Ausschluß befangener Ratsmitglieder187. Sie haben einen ähnlichen Aufbau wie § 20 VwVfG, betreffen aber andere Vorgänge und Adressaten. Kommunalrechtliche Mitwirkungsverbote bestehen bei Angelegenheiten, die dem Ratsmitglied selbst, seinen Familienangehörigen oder sonstigen natürlichen oder juristischen Personen, zu denen eine spezielle Bindung besteht, einen unmittelbarenm Vorteil oder Nachteil bringen können. Das gilt nicht bei Vorteilen oder Nachteilen, die nur darauf beruhen, daß jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen berührt werden — konkret: Der hundebesitzende Ratsherr darf beim Erlaß der Hundesteuersatzung gleichwohl mitwirken, nicht aber der im Planbereich Eigentum besitzende Ratsherr beim Erlaß eines Bebauungsplanes189. Entscheidend ist, ob ein „individuelles Sonderinteresse" vorliegt189". Das Verbot erstreckt sich auf 183
Dazu: Wolff /Bachof /Stober, VwR II § 86 Rdnr. 140ff.; Frowein, H k W P Bd. 2, 86ff.; OVG Koblenz NVwZ 1987, 1105; OVG München NVwZ 1987, 154. 184 Dazu ausführlich: Scholler/Broß, VR 1978, 77ff.; vgl. auch BVerfGE 58, 177 (190ff.); Meyer, HkWP Bd. 2, 69. 185 Dazu OLG Frankfurt NVwZ 1982, 215; VG Minden NVwZ 1983, 495f. 186 Vgl. z. B. §§ 17 Abs. 3 G O BW; § 26 G O He; § 24 Abs. 1 S. 2 G O N R W ; im einzelnen weitere Einschränkungen: BVerfGE 41, 231 (241 ff.); 52, 42, (53ff.); BVerfGE 56, 99 (107ff.) - Bürogemeinschaft - ; 61, 68 (72ff.) - Sozietät - ; BVerwG N J W 1984, 377ff.; ausf. Schoch, Das kommunale Vertretungsverbot, 1981; ders., NVwZ 1984, 626ff. m. w. N.; jüngst BVerfG DVB1 1988, 54ff. 187 Vgl. § 18 GO BW; Art. 49 GO Bay; § 25 GO He; § 26 GO Nds; § 30 Abs. 2 i. V. m. § 23 G O N R W ; § 22 G O RhPf; § 27 KSVG Sa; § 22 G O SchlH. 188 Dazu Krebs, VerwArch 71 (1980), 181 ff.; v. Arnim, JA 1986, l f f . 189 OVG Münster OVGE 27, 6 0 f f ; anders für Flächennutzungspläne: OVG Münster BauR 1979, 4 7 7 f f ; Creutz, BauR 1979, 470ff.; ferner BW VGH, VB1. BW 1985, 22ff. und VB1. BW 1986, 270ff.; OVG Münster NVwZ 1984, 6 6 7 f f ; OVG Koblenz NVwZ 1986, 1048. 189a Vgl. Borchmann, NVwZ 1982, 17ff.; v. Arnim. JA 1986, l f f , 3, m. w. N.; Erichsen, StuVwR NRW, 148. 142
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Abstimmungen, aber auch auf die Entscheidungsvorbereitung 190 . Es zwingt dazu, die Beratung zu verlassen191; bei öffentlicher Sitzung ist ein Verweilen im Zuhörerraum zulässig192. Die Mitwirkung eines an sich ausgeschlossenen Ratsmitglieds macht den Beschluß ohne Rücksicht auf das Stimmenverhältnis rechtswidrig (abstrakte Kausalität), regelmäßig mit der Folge der Nichtigkeit193. Umgekehrt wird man dann, wenn ein materiell mitwirkungsbefugtes Mitglied vom Gemeinderat fälschlich ausgeschlossen worden ist, auf die konkrete Kausalität abstellen müssen194, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist195. Da sich Verstöße gegen das Mitwirkungsverbot zu einer Dauerkrankheit von Ratsbeschlüssen entwickelt hatten, erklären die meisten Gemeindeordnungen sie heute ausdrücklich nur für einen gewissen Zeitraum für rechtsrelevant und danach, sofern es nicht zu einer besonderen Rüge gekommen ist, für unbeachtlich (vgl. unter V 1 c bb)196. b) interne Organisation und Verfahren des Rates: Der Gemeinderat ist ein Kollegialgremium, für dessen ordnungsgemäße Entscheidungsfindung die Gemeindeordnungen zahlreiche Organisations- und Verfahrensregelungen treffen 197 . aa) Ratsvorsitzenderm/l": In den Ländern der Bürgermeister- und der süddeutschen Ratsverfassung ist der Bürgermeister kraft Amtes Ratsvorsitzender. In den anderen Ländern wählt der Gemeinderat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden. Dem monistischen Modell Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens entspricht es, daß der gewählte Ratsvorsitzende die anspruchsvolle Bezeichnung „Bürgermeister" führt, während sich der Hauptverwaltungsbeamte mit der Amtsbezeichnung des „Gemeindedirektors" zufriedengeben muß. Der Vorsitzende beruft die Sitzungen des Gemeinderates ein. Er leitet die Verhandlung und hat für den ordnungsgemäßen Ablauf 200 der Sitzung Sorge zu tragen. Im Regelfalle wird sich das durch die normalen Handlungen (Aufruf der Tagesordnungspunkte, Worterteilung, Führen einer Rednerliste) bewirken lassen. Die Gemeindeordnungen ermächtigen den Vorsitzenden jedoch auch, notfalls Ordnungsmaßnahmen201 (z. B. Wortentzug, Sitzungsaus190
OVG Lüneburg NVwZ 1982, 200; vgl. auch BW VGH NVwZ 1987, 1104f. Ausdrücklich z. B. § 18 Abs. 5 GO BW; § 23 Abs. 4 GO N R W ; § 26 Abs. 5 GO Nds. 192 Vgl. § 23 Abs. 4 GO NRW; OVG Koblenz NVwZ 1982, 204. 193 Ausdrücklich § 18 Abs. 6 GO BW; anders Art. 49 Abs. 3 GO Bay, dazu BGH DVB1. 1967, 618f.; § 26 Abs. 6 GO Nds. 194 Str.; a. A. v. Arnim, JA 1986, 1 ff., 6. 195 Anders § 18 Abs. 6 GO BW. 196 Dazu Hill, DVB1. 1983, lff. 197 Zu Informationsrechten einzelner Ratsmitglieder, z. B. Protokolleinsicht, vgl. VGH Kassel NVwZ 1988, 87. 198/199 Einzeldarstellung bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 90ff.; für BW ferner Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 3. Aufl. 1984, pass. 200 Foerstemann, HkWP Bd. 2, 104 ff. 201 Foerstemann, HkWP Bd. 2, 106ff.; OVG Koblenz NVwZ 1988, 80. 191
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schluß) gegen störende Ratsmitglieder zu treffen ; schwerere Ordnungsmaßnahmen sind in einigen Ländern nur auf Grund eines Gemeinderatsbeschlusses zulässig203. Außerdem übt der Vorsitzende gegenüber externen Störern das Hausrecht aus; die entsprechenden Vorschriften der Gemeindeordnungen 204 begründen ein spezielles öffentlich-rechtliches Hausrecht, das für die Sitzung anderen Hausrechten vorgeht2043. bb) Ratsgeschäftsordnung205: Allgemeine Fragen des Verhandlungsganges und der Ratsorganisation (Sitzungstage, Sitz- und Stimmordnung) werden üblicherweise in einer Geschäftsordnung niedergelegt, die jeder Rat sich zu geben ermächtigt ist. Die Geschäftsordnung ist keine gemeindliche Satzung, sondern ein besonderer inneradministrativer Rechtssatz, der nur die Ratsmitglieder bindet206 und folglich über diesen Kreis hinaus förmlich nicht weiter bekannt gemacht sein muß. Anderen Gemeindeorganen oder Dritten kann die Geschäftsordnung keine neuen Pflichten auferlegen. Ob Geschäftsordnungsverstöße die Unwirksamkeit der betreffenden Entscheidung nach sich ziehen, ist streitig207. Geschäftsordnungen können regelmäßig mit einfacher Mehrheit abgeändert werden208. Soll bestimmten geschäftsordnungsmäßigen Regeln erhöhte Beständigkeit beigelegt werden, so müssen sie förmlich als Satzung erlassen werden209. cc) Ratssitzungen: Das Forum für die Meinungsbildung und Entscheidungen des Gemeinderats soll unbeschadet aller vorbereitenden Ausschußtätigkeit die Ratssitzung sein, die regelmäßig210 öffentlich stattzufinden h a t 2 " . Ei202
Hierzu gehört auch die Verhängung eines Rauchverbotes (OVG Münster DVB1. 1983, 53ff.); Verbot des Plakettentragens (OVG Koblenz DÖV 1986, 632). Vgl. z. B. Art. 53 Abs. 1 GO Bay; § 36 Abs. 3 S. 2 GO BW. 204 Vgl. § 36 Abs. 1 GO BW; Art. 53 Abs. 1 GO Bay; § 44 Abs. 1 GO Nds; § 36 Abs. 1 GO NRW; § 36 Abs. 2 GO RhPf; § 43 Abs. 1 KSVG Sa; § 37 GO SchlH. Speziell zum zivilrechtlichen Abwehranspruch gegenüber Tonbandaufnahmen in Ratssitzungen: OLG Köln DVB1. 1979, 523ff.; OLG Celle NVwZ 1985, 861 f. 204a So auch Erichsen, StuVwR NRW, 152. 205 Ausführlich Foerstemann, HkWP Bd. 2, 108ff., mit Katalog der in den Geschäftsordnungen regelmäßig behandelten Gegenstände. 206 H.M.; vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 417; BW VGH ESVGH 22, 180 (181 ff.); Foerstemann, HkWP Bd. 2, 108 m. w. N. in Fn 114; differenzierend Gern/BergerVBl. BW 1983, 165ff. 207 Vgl. zum Streitstand Foerstemann, HkWP Bd. 2, 109 Fn. 119. 208 Auch stillschweigend; aber str.; vgl. Foerstemann, HkWP Bd. 2, 109 mit Fn. 118. 209 Manche GemOrdnungen sehen für bestimmte Fragen wahlweise eine Regelung durch Geschäftsordnung oder Hauptsatzung vor. 210 Ausführlich Foerstemann, HkWP Bd. 2, 97ff.; Schnapp, VerwArch 1987, 407ff. 211 Die Öffentlichkeit ist gewahrt, wenn der Zutritt jedermann ohne Ansehen der Person möglich ist; allgemeine Beschränkungen aus Kapazitätsgründen des Sitzungsraumes sind zulässig. Verstöße gegen das Öffentlichkeitsgebot stellen schwere Verfahrensfehler dar, die i. d. R. zur Nichtigkeit der solchermaßen gefaßten Beschlüsse führt. Vgl. Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, 1975, 252f. 203
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ne ordnungsgemäße Entscheidungsfindung setzt voraus, daß die Sitzung vorschriftsgemäß einberufen worden ist212. Die dazu erforderliche Tagesordnung muß die Verhandlungsgegenstände so exakt nennen, daß die Ratsmitglieder wissen, was auf sie zukommt 212 ". Sie ist außerdem öffentlich bekanntzumachen. Die Festlegung der Tagesordnung fällt grundsätzlich in die Kompetenz des Ratsvorsitzenden; die Ratsmitglieder können die Aufnahme eines Gegenstandes beantragen 213 . Eine Ergänzung der Tagesordnung in der Sitzung ist nach den einschlägigen Vorschriften nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Ladungsmängel sind wesentliche Verfahrensmängel. Die Durchführung der Sitzung verlangt die Anwesenheit des für die Beschlußfähigkeit erforderlichen Mitgliederquorums 214 . In der Sitzung sind die Verhandlungsgegenstände zu beraten und gegebenenfalls einer Entscheidung zuzuführen. Die wichtigsten Entscheidungsformen sind die auf Verfahrensoder Sachfragen bezogenen Abstimmungen, die im Regelfall öffentlich durch Handaufheben erfolgen und bei der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet 215 , und Personalauswahlentscheidungen in der Form von Wahlen, für die die Gemeindeordnungen teilweise diffizile Detailregelungen enthalten 216 . dd) Ratsausschüsse217: Die Organisationskompetenz des Rates erstreckt sich darauf, Ausschüsse zu bilden. In einigen Fällen, z. B. für Haushaltstagen, ist die Bildung in manchen Ländern sogar gesetzlich vorgeschrieben (Pflichtausschüsse21*). Die Ausschüsse sind Unterorgane des Rates 219 . Sie sol-
212
Einzelheiten dazu bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 93 ff. Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 1980, S. 57ff.; Gern, VB1. BW 1984, 64ff. 212a Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1988, 82 f.: Beschluß vorlagen brauchen nicht vorab zugeleitet werden. 213 Inwieweit ein solcher Antrag wegen der Unzuständigkeit des Rates vom Ratsvorsitzenden abgelehnt werden darf, ist länderweise unterschiedlich geregelt; vgl. bei Anm. 32, 33; ferner Schoch, DÖV 1986, 132ff.; Raum, DÖV 1985, 820ff.; Buhren, VR 1985, 410ff.; Bay VGH NVwZ 1988, 83 ff. 214 Vgl. § 37 Abs. 2 GO BW; Art. 51 GO Bay; § 53 GO He; § 46 GO Nds; § 34 GO NRW; § 39 GO RhPf; § 44 KSVG Sa; § 38 GO SchlH. 215 Daneben kennt das Kommunalrecht qualifizierte Abstimmungsformen und qualifizierte Mehrheiten; vgl. die Nachweise bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 103. 216 Vgl. Foerstemann, HkWP Bd. 2, 103 f. mit Nachweisen der einzelnen gesetzlichen Vorschriften. Zum Gemeinderatsprotokoll Röper, NVwZ 1986, 1003 f. 217 Allgemein Körner, HkWP Bd. 2, 129 ff. 218 Vgl. z. B. § 41 Abs. 2 GO NRW; § 45 Abs. 2 GO SchlH. 219 Nicht alle gemeindlichen Ausschüsse sind Ratsausschüsse; nicht z.B. der Umlegungsausschuß nach § 46 BauGB, der Gutachterausschuß nach § 192 BauGB. Gemeinsam ist diesen Ausschüssen, daß ihre Bildung nicht auf Kommunalverfassungsrecht, sondern auf sondergesetzlichen Vorschriften beruht; vgl. dazu Kömer, HkWP Bd. 2, 132 f. 145
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len grundsätzlich das Parteienspektrum des Rates widerspiegeln220. Oft ist außerdem die Zuziehung sachkundiger Bürger zulässig221. Die primäre Aufgabe der Ausschüsse ist die vorherige Beratung und weitere Aufklärung einer Angelegenheit, über die später der Gemeinderat beschließen soll (beratende A.). Daneben hat der Rat aber auch das Recht, Ausschüsse mit ratsvertretender Beschlußkompetenz einzusetzen (beschließende A.)-, ausgenommen sind Vorbehaltsaufgaben des Rates oder anderer Gemeindeorgane (vgl. c aa). Über die Einrichtung beschließender Ausschüsse und die dem Rat verbleibenden Einflußmöglichkeiten auf Ausschußbeschlüsse, z. B. durch ein Rückholrecht, treffen die Gemeindeordnungen unterschiedliche Regelungen222. c) Aufgaben des Gemeinderates: Entsprechend seiner zentralen Stellung hat der Rat die wichtigsten Führungs- und Kontrollaufgaben in der Gemeinde2237225. Die Führungsaufgaben werden in Planungen, Rechtsetzungsakten und wichtigen Einzelentscheidungen einschließlich der bedeutsamen Personalentscheidungen erfüllt. Für die Kontrollaufgaben gegenüber der Gemeindeverwaltung stellt das Kommunalrecht eine Reihe von Informations- und Auskunftsrechten zur Verfügung, denen entsprechende Berichts- und Rechnungslegungspflichten der Gemeindeverwaltung korrespondieren; ein förmliches Enqueterecht, wie es parlamentarische Gremien besitzen, existiert dagegen nicht226. Im übrigen ist der Aufgabenbestand des Rates entsprechend den einzelnen Gemeindeverfassungstypen unterschiedlich ausgebildet. aa) Systematik: Eine freilich recht grobe Gliederung hat zunächst die Aufgaben des Gemeinderates von denen anderer Gemeindeorgane abzugrenzen. Hier bietet sich eine Dreiteilung an: — Vorbehaltsaufgaben des Rates: Diese in allen Gemeindeordnungen anzutreffende Gruppe umfaßt eine Reihe sehr wichtiger Aufgaben, die der Rat, von Dringlichkeitsfällen abgesehen, selbst entscheiden muß. Das Gesetz verbietet es, solche Entscheidungen zu delegieren; zulässig und üblich ist auch hier allerdings die Delegation der Entscheidungsvorbereitung. — variabler Aufgabenkreis: In diese Gruppe fallen alle Aufgaben, die der Rat zwar nicht notwendig entscheiden muß, die er aber entscheiden kann. Die Regelungstechniken der Gemeindeordnungen sind hier unterschiedlich: 220
Vgl. Art. 33 Abs. 1 GO Bay; § 51 Abs. 2 GO Nds; § 49 Abs. 2 KSVG Sa; BVerwG DÖV 1978, 415; VGH Mannheim BWVPr 1977, 204 (206). 221 Vgl. § 41 GO BW; § 51 Abs. 7 GO Nds; § 42 Abs. 3 GO NRW; § 44 Abs. 1 GO Rh Pf; § 46 Abs. 2 GO SchlH. 222 Vgl. § 39 Abs. 3 S. 5 GO BW; § 50 Abs. 1 S. 5 GO He; § 44 Abs. 3 GO RhPf; § 27 Abs. 1 GO SchlH; s. a. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 246f. 223/ Vgl. §24 GO BW; Art. 30 GO Bay; §50 GO He; §40 GO Nds; §§28, 40 225 GO NRW; § 33 GO RhPf; § 37 KSVG Sa; § 30 GO SchlH.; verwaltungspolitisch dazu Wallerath, DÖV 1986, 533 ff. 226 Zur Sachverständigenanhörung nach § 35 GO RhPf vgl. OVG Koblenz DÖV 1984, 33f.; allgemein Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 194ff. 146
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Teilweise fallen diese Aufgaben originär zunächst dem Rat zu, der sie allgemein oder im Einzelfall delegieren kann. Teilweise wird für Aufgaben dieser Art aber auch eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten eines anderen Organs gesetzlich begründet; der Gemeinderat ist dann jedoch ermächtigt, die Sache an sich zu ziehen. — Vorbehaltsbereich anderer Organe: Hierher zählen alle diejenigen Aufgaben, die die Gesetze einem anderen Organ, z. B. dem Bürgermeister oder dem Gemeindedirektor, zur eigenständigen und alleinigen Wahrnehmung übertragen. Auf diese Aufgaben kann der Rat weder Zugriff nehmen noch sonst verbindlich in sie hineinregieren. Für die dualistischen Kommunalverfassungen ist dieser dritte Bereich wesensnotwendig; vor allem die Zuständigkeiten des Bürgermeisters für die Geschäfte der laufenden Verwaltung, für Dringlichkeitsentscheidungen und sein gemeindeinternes Einspruchsrecht gehören hierher. Aber auch die eher monistischen Verfassungen kennen solche Vorbehaltsaufgaben anderer Organe, sei es des Gemeindedirektors (Eilentscheidungen, Einspruch), sei es, wie in Niedersachsen, des Verwaltungsausschusses227. bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick): Zu den nicht delegierbaren Vorbehaltsaufgaben gehört der harte Kern der Führungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen legen ihn durchgängig in langen Aufgabenkatalogen fest228. Bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen finden sich darin übereinstimmend u. a. folgende Materien: — Erlaß, Änderung und Aufhebung von Satzungen und anderem Ortsrecht, — Besetzung der Ausschüsse des Rates, — Regelung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Gemeindebediensteten, — Beschlußfassung über den Gemeindehaushalt, — Beschlußfassung über Errichtung, Erweiterung oder Auflösung wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinde. Weiter zählen die meisten Gemeindeordnungen hierher: die Festlegung allgemeiner Richtlinien, nach denen die Verwaltung geführt werden soll, die Entscheidung über die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen und der Entgelte und Tarife, ferner Gebietsänderungen und wichtige Ehrungen. Im übrigen wird das Zusammenspiel zwischen dem Gemeinderat und den anderen Organen auch hier nicht allein durch Rechtsregeln repräsentiert. Natürlich gibt es allenthalben auch über die Kompetenzgrenzen hinweg informelle und formelle Kontakte zwischen den gemeindlichen Entscheidungsträgern: Eine rigide Trennung wäre ganz unangemessen. Initiative, Vorbereitung, Entscheidung und Vollzug sollen vielfältig miteinander verwoben sein. Bei den Vorbehaltsaufgaben ist nur die Entscheidungskompetenz besonders festgeschrieben. 227 228
Vgl. § 57 GO Nds. Vgl. § 39 Abs. 2 GO BW; Art. 32 Abs. 2 GO Bay; § 51 GO He; § 40 Abs. 1 GO Nds; § 28 Abs. 1 GO NRW; § 32 Abs. 2 GO RhPf; § 35 KSVG Sa; § 28 GO SchlH. 147
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3. Der Gemeindevorsteher Das zweite Hauptorgan der Gemeinde ist der Gemeindevorsteher 229 . Für die dualistisch ausgerichtete süddeutsche Rats- und die Bürgermeisterverfassung leuchtet das ohne weiteres ein; Gemeindevorsteher ist hier der Bürgermeister (Oberbürgermeister) als monokratisch organisierte Instanz. Auch die Magistratsverfassung kennt ein zweites Hauptorgan mit eigenen Kompetenzen; organisiert ist es jedoch nicht monokratisch, sondern kollegial und nötigt daher zu einer gesonderten Behandlung (vgl. unter 4). Einzig in der monistisch ausgerichteten norddeutschen Ratsverfassung möchte man das Fehlen eines zweiten Hauptorgans erwarten; doch haben sich auch hier Aufgaben eines typischen Konkretionsorgans 230 in einer Fülle angesammelt, daß man den Gemeindedirektor (Oberstadtdirektor) als ein zweites Hauptorgan bezeichnen kann. a) Status: Bürgermeister/Gemeindedirektoren sind Wahlbeamte. Die jeweils für eine gewisse Zahl von Jahren erfolgende Wahl nimmt in BadenWürttemberg 231 und Bayern 232 direkt das Volk, in den anderen Bundesländern der Gemeinderat vor. Der Gewählte wird nach Maßgabe des Beamtenrechts zum Beamten auf Zeit ernannt. Er ist im Regelfall hauptamtlich tätig; für kleinere Gemeinden kennen alle Gemeindeordnungen den ehrenamtlich tätigen Bürgermeister im Status eines Ehrenbeamten. Sofern nicht besondere Vorschriften für kommunale Wahlbeamte 233 bestehen, gilt das allgemeine Beamtenrecht 234 . Eine Besonderheit des Kommunalrechts ist die Abwahlmöglichkeit, die alle235 Gemeindeordnungen dem Rat gegenüber einem von ihm gewählten Bürgermeister/Gemeindedirektor einräumen 236 . Das Institut soll einer grundsätzlichen „Gleichgestimmtheit" 237 zwischen Gemeindevertretung und Ge229
230 231 232 233 234
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Begriff nach Wolff / Bachof / Stober, VwR II §87 Rdnr. 19. Seine Bezeichnung ist länderweise verschieden: In Bayern: „Erster Bürgermeister"; sonst „Bürgermeister", in kreisfreien Städten „Oberbürgermeister". In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird ihm eine derartige Amtsbezeichnung vorenthalten. Er heißt dort „Gemeinde"- bzw. „Stadt"- oder „Oberstadtdirektor". Es finden sich auch die Bezeichnungen „Hauptgemeindebeamter" oder „Hauptverwaltungsbeamter". Zu diesem Begriff Schmidt- Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 62. Vgl. §45 GO BW. Art. 17 GO Bay. Vgl. z. B. Art. 34 Abs. 6 GO Bay. Dazu: v. Münch, in diesem Lehrbuch, 1. Abschnitt, III 2 b und c; Schönfelder, DÖV 1985, 656 ff. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern. Bei beiden Ländern erschiene auch angesichts der unmittelbaren Volkswahl des Bürgermeisters eine Abwahl systemwidrig. Vgl. dazu auch Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 242 mit Fn. 75 auf S. 94. Vgl. § 76 GO He; § 61 Abs. 2 GO Nds; § 49 Abs. 4 GO NRW; § 55 GO RhPf; § 58 KSVG Sa; § 40 a GO SchlH; vgl. OVG Münster, Der Städtetag 1987, 343f. BVerwGE 56, 163(170).
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meindevorstand dienen . Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist umstritten239, im Ergebnis aber anzuerkennen 240 . Freilich muß, z. B. durch qualifizierte Abwahlmehrheiten, sichergestellt sein, daß das im allgemeinen Beamtenrecht unzulässige Instrument (Art. 33 Abs. 4 und Abs. 5 GG) auch im Kommunalrecht nicht dazu mißbraucht wird, die Gemeindeverwaltung parteipolitischen Wechselbädern auszusetzen. b) Aufgaben: Im Aufgabenbestand machen sich auch hier die unterschiedlichen Gemeindeverfassungstypen deutlich bemerkbar. Vorbehaltlich genauen Studiums des jeweiligen Landesrechts lassen sich die folgenden Grundzüge erkennen: aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz: Zu den Standardaufgaben des Gemeindevorstandes gehört es, die Beschlüsse des Rates und der Ausschüsse verwaltungsmäßig vorzubereiten241 und unter der Kontrolle des Rates auszuführen. Sofern zu letzterem außenwirksame Rechtshandlungen notwendig sind, ist das (Außen-)Vertretungsrecht (vgl. unter ff) der Transmissionsriemen, um dieselben vorzunehmen. Im übrigen dürfen Vorbereitungs- und Ausführungsaufgaben nicht als bloß technische Hilfsfunktionen unterbewertet werden. Schon die verwaltungsmäßige Vorbereitung der Ratsbeschlüsse — die meinungsbildende Vorbereitung sollen vor allem die Ratsausschüsse leisten — gibt dem Gemeindevorsteher im kommunalen Verfassungsleben Gewicht. Wesentlich erhöht ist dieses Gewicht natürlich dort, wo der Gemeindevorsteher zugleich Ratsvorsitzender ist (vgl. 2 b aa). bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung: In diesem Geschäftskreis des kommunalen Alltags ist der Gemeindevorsteher nicht nur ausführendes Organ (vgl. aa, dd), sondern nimmt — sei es selbst, sei es durch seine Vertreter im Amt oder nachgeordnete Gemeindebedienstete — die Willensbildung vor. Der Begriff der Geschäfte der laufenden Verwaltung — in NRW „einfache" Geschäfte der laufenden Verwaltung — liegt nicht ein für allemal fest. Nach einem Definitionsversuch der Rechtsprechung fallen darunter „Geschäfte, die in mehr oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und zugleich nach Größe, Umfang, Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind" 242 . Diese Fakto238 239 240
241
242
Ausführlich: E. Klein, DÖV 1980, 853ff. Zum Streitstand vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 242 ff. m. w. N. Ebenso Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 244 a; Lichtenfeld, DVB1. 1982, 1021 ff. BVerwGE 56, 163ff. und NVwZ 1985, 275f.; vgl. auch VGH Kassel NVwZ 1985, 604f.; a. A.: Erichsen, DVB1. 1980, 723ff.; Stober, Kommunale Ämterverfassung und Staatsverfassung am Beispiel der Abwahl kommunaler Wahlbeamter, 1982. Insofern abweichend nur § 57 Abs. 1 S. 1 GO Nds (Verwaltungsausschuß); ausf. zu diesem „Zwischenorgan", einer Besonderheit der GO Nds, Elster, in: Körte / Rebe, VfuVw Nds, 452 ff. BGH DVB1. 1979, 514f. 149
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Eberhard Schmidt-Aßmann
ren (Häufigkeit, Bedeutung) werden ihrerseits durch Gemeindegröße, Üblichkeit und Leistungsfähigkeit bestimmt. Die Rechtsbeständigkeit dieses Aufgabenkreises ist länderweise unterschiedlich geregelt: — Die meisten Gemeindeordnungen (BW, Bay, Nds, RhPf, Sa)243 rechnen die Geschäfte der laufenden Verwaltung zum festen gesetzlichen Aufgabenkreis des Gemeindevorstehers, den andere Organe nicht verkürzen dürfen. Erst wenn eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung, z. B. durch das Aufsehen, das sie erregt, sozusagen den begrifflichen Rahmen laufender Geschäfte sprengt, kann der Gemeinderat sie an sich ziehen. — in Nordrhein-Westfalen dagegen „gelten" die einfachen (!) Geschäfte der laufenden Verwaltung als vom Rat dem Gemeindedirektor übertragen 244 . Der Rat kann sich aber eine andere Regelung allgemein oder für den Einzelfall vorbehalten; er kann eine Sache auch ohne Vorbehalt später an sich ziehen245. cc) übertragene Angelegenheiten: In dieser Gruppe finden sich sehr unterschiedliche Aufgaben. — Teilweise handelt es sich um Aufgaben, die dem Gemeindevorstand vom Gemeinderat übertragen worden sind. Eine solche Übertragung ist — außer bei den Vorbehaltsaufgaben (vgl. 2 c bb) — zulässig. Zulässig ist auch der Rückruf; allerdings muß er in der gleichen Form wie die Übertragung vorgenommen werden. — Teilweise handelt es sich um gesetzlich übertragene Angelegenheiten. Solche Übertragungen finden sich vor allem bei Weisungs- und Auftragsangelegenheiten (vgl. II 1), bei denen mit der Übertragung der Aufgabe an die Gemeinde zugleich die innergemeindliche Zuständigkeit des Gemeindevorstehers gesetzlich vorgeschrieben wird246. Das begründet einen festen Vorbehaltsbereich des letzteren. Der Gemeinderat kann in diesen Kreis grundsätzlich nicht hineinregieren, es sei denn, das Gesetz räume ihm gewisse Mitwirkungsbefugnisse ein. dd) Dringlichkeitsentscheidungen: Fast alle Gemeindeordnungen betrauen den Gemeindevorstand ferner mit Eilentscheidungen. In der Definition des Eilfalles und in dem einzuhaltenden Entscheidungsverfahren weichen die Landesgesetze allerdings erheblich voneinander ab247. 243 244 245 246
247
§ 44 Abs. 2 GO BW; Art. 37 Abs. 1 GO Bay; § 62 Abs. 1 Nr. 6 GO Nds; § 47 Abs. 1 GO RhPf; § 59 Abs. 3 KSVG Sa. § 28 Abs. 3 GO NRW; dazu OVG Münster, DÖV 1957, 866. Vgl. dazu Berg, HkWP Bd. 2, 228 f. m. w. N.; zu Schranken dieses „Rückholrechts" Erichsen, StuVwR NRW, 158. Davon zu trennen sind die auf Gemeindeebene freilich nicht häufig anzutreffenden Fälle der Organleihe (vgl. II 1 c), in denen die Aufgabe nicht der Gemeinde übertragen, sondern der Gemeindevorsteher von der Gemeinde entliehen und zum staatlichen Verwaltungsorgan gemacht wird. Vgl. § 43 Abs. 4 GO BW; Art. 37 Abs. 3 GO Bay; § 48 GO RhPf; § 61 KSVG Sa; §70 Abs. 3 GO He; §49 Abs. 3 GO SchlH; in Nds (§66 GO) und NRW (§43 Abs. 1 GO) eingeschränkt.
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Kommunalrecht
2. Abschn. 1113 b
ee) Verwaltungschef: Der Bürgermeister/Gemeindedirektor ist ferner Leiter des gemeindlichen Verwaltungsapparats. Das begründet zum einen organisatorische und dienstrechtliche Befugnisse zur Geschäftsleitung und Aufgabenverteilung sowie die Stellung als Dienstvorgesetzter der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde. Bei Grundentscheidungen, z. B. der Festlegung des Aufgabenbereichs der Beigeordneten, existieren allerdings länderweise unterschiedliche Einwirkungsbefugnisse des Gemeinderates. Als Verwaltungschef ist der Gemeindevorsteher die zentrale Gemeindebehörde. Die einzelnen „Ämter" der Gemeinde (Ordnungsamt, Bauamt, Pressestelle) sind Untergliederungen dieser kommunalen Zentralbehörde. Die vom Gemeinderat als weitere leitende Verwaltungsbeamte auf Zeit gewählten „Beigeordneten" („weitere Bürgermeister", „Stadträte") sind folglich keine eigenständigen Gemeindeorgane 248 . Sie leiten aber ihre Ämter mit einer gewissen Selbständigkeit und vertreten insofern den Gemeindevorsteher in ihrem Ressort. Außerdem kommt aus ihrem Kreis der allgemeine Vertreter des Gemeindevorstehers249. f f ) Vertretung der Gemeinde: Hier geht es um die rechtsgeschäftliche Vertretung 250 der Gemeinde nach außen, nicht um die beim Gemeinderat liegende politische Repräsentation. Rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis bedeutet, im privat- und im öffentlich-rechtlichen Rechtsverkehr für die Gemeinde verbindliche Erklärungen abgeben zu können. Im Kommunalrecht muß also streng unterschieden werden zwischen der internen Willensbildungsbefugnis und der externen Vertretungsbefugnis, die zur Umsetzung der Willensentscheidungen in außenwirksame Handlungen (z. B. Verwaltungsakte, privatrechtliche Willenserklärungen) notwenig ist. Erstere ist innergemeindlich aufgeteilt (vgl. 2 c und 3 b bb, cc); letztere liegt einheitlich beim Bürgermeister/ Gemeindedirektor 251 und ist nur gesetzlich, nicht aber durch Ratsbeschluß beschränkbar. Werden im Rahmen der Vertretungsbefugnis Erklärungen abgegeben, die nicht der innergemeindlichen Willensbildung entsprechen, so sind sie für die Gemeinde regelmäßig gleichwohl verbindlich 252 . Um hier eine gewisse Sperre einzuführen, schreiben die Gemeindeordnungen für (wichtigere) Verpflichtungserklärungen der Gemeinden die Schriftform (z. T. auch Mitzeichnungserfordernisse) vor. Verstöße gegen solche Formerfordernisse machen eine Erklärung unwirksam 253 . Auf Treu und Glauben kann sich der Erklärungsempfänger nur berufen, wenn die Unwirksamkeit zu einem 248 249 250
251 252 253
Zu ihrer Rechtsstellung allgemein Wolter, Der Beigeordnete, 1978, S. 6 ff. Vgl. dazu Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 280 m. w. N. Wolff /Bachof/Stober, VwR II §87 Rdnr. 56ff.; Tettinger, BesVwR § 4 Rdnr. 73ff.; Habermehl, DÖV 1987, 144ff. (teilw. abw. Systematik). Ausnahmen für Akte im organschaftlichen Bereich des Rates (z. B. Ordnungsrufe). Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 257; BGH DVB1. 1979, 514. Dazu BGH NJW 1984, 606f.; OLG München NVwZ 1985, 293f.; ausf. Günnicker, Rechtliche Probleme der Form Vorschriften kommunaler Außenvertretung, 1984. Vgl. auch BGH NVwZ 1986, 594f. und BGH NJW 1986, 1758f. 151
2. Abschn. III 4
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schlechthin untragbaren Ergebnis führt meinde Vorrang.
254
; im übrigen hat der Schutz der Ge-
gg) Einspruchsrecht: Zum eigenen Aufgabenkreis des Gemeindevorstehers gehören schließlich gewisse Rügerechte gegenüber Beschlüssen des Gemeinderats und der Ausschüsse. Diese Institute dienen der innergemeindlichen Rechtskontrolle und der Ausbalancierung der Gewalten. — Alle Gemeindeordnungen weisen dem Gemeindevorsteher die Aufgabe (Befugnis und Pflicht) zu, Beschlüsse des Rates, die seiner Ansicht nach das Recht verletzen, — regelmäßig mit aufschiebender Wirkung — zu rügen 255 . Der Gemeinderat befaßt sich dann erneut mit der Angelegenheit. Bleibt er bei seinem Beschluß, so ist die Rechtsaufsichtsbehörde in die Sache einzuschalten. — Neben diesem auf Rechtsgründe gestützten Rügerecht kennen einige Gemeindeordnungen die Befugnis, Ratsbeschlüssen, die das Wohl der Gemeinde gefährden, zu widersprechen. Eine Widerspruchspflicht besteht nicht. Beharrt der Gemeinderat auf seiner Entscheidung, so hat es dabei sein Bewenden. Dieses auf grobe Zweckwidrigkeiten bezogene Recht steht dem Gemeindevorsteher nur in Baden-Württemberg und in der Bürgermeisterverfassung von Rheinland-Pfalz zu, während es in Nordrhein-Westfalen beim Ratsvorsitzenden und in Niedersachsen beim Verwaltungsausschuß liegt. 4. Besonderheiten der Magistratsverfassung Die Magistratsverfassung ist in Hessen für alle Gemeinden, in SchleswigHolstein für Gemeinden mit Stadtrecht vorgeschrieben 256 . Ihr Charakteristi254 255
256
152
BGH DVB1. 1979, 514 (516); allgemein dazu auch Fritz, Vertrauensschutz in Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983. Vgl. § 43 Abs. 2 GO BW; Art. 59 Abs. 2 GO Bay; § 63 GO He; § 65 Abs. 1 GO Nds; § 39 Abs. 2 GO NRW; § 42 Abs. 1 GO RhPf; § 60 Abs. 1 KSVG Sa; § 69 GO SchlH. In Rheinland-Pf,alz existiert in Gemeinden mit zwei oder mehr hauptamtlichen Beigeordneten ebenfalls ein aus allen Beigeordneten und dem Bürgermeister gebildetes kollegiales Leitungsorgan, der Stadtvorstand. Für bestimmte Planungsaufgaben tritt dieses Organ an die Stelle des Bürgermeisters. Außerdem bedarf der Bürgermeister zur Aufstellung der Ratstagesordnung und zu Eilentscheidungen der Zustimmung dieses Gremiums (§ 58 GO). Man kann insofern von einer nicht voll ausgebauten Magistratsverfassung sprechen; vgl. auch Dreibus, HkWP Bd. 3, 241 ff., 252 — 254. Nicht ganz in das Bild der Magistratsverfassung paßt dagegen der Verwaltungsausschuß in Niedersachsen. Er ist ein aus dem Ratsvorsitzenden, den Beigeordneten, dem Gemeindedirektor und gegebenenfalls weiteren Ratsmitgliedern bestehendes Leitungsorgan. Der Verwaltungsausschuß bereitet die Beschlüsse des Rates vor, hat ein Einspruchsrecht gegen Ratsbeschlüsse, die das Wohl der Gemeinde gefährden, und beschließt über diejenigen Angelegenheiten, die nicht anderen Organen vorbehalten sind. Gegenüber dem Gemeindedirektor, der im Verwaltungsausschuß nur beratende Stimme hat, sind die Zuständigkeiten nach Maßgabe der §§ 57 Abs. 2, 62 Abs. 1 GO abgegrenzt. Vgl. oben Fn. 241.
2. Abschn. III 5
Kommunalrecht
kum ist die kollegiale Organisation des Gemeindevorstandes. Der Gemeindevorstand (Magistrat) besteht aus dem Bürgermeister und den Beigeordneten (Stadträten), die vom Gemeinderat gewählt werden 257 . Die Magistratsmitglieder sind je nach Größe der Gemeinde gemäß besonderer Vorschriften in der Gemeindeordnung und der Hauptsatzung ehrenamtlich oder hauptamtlich tätig. In Hessen dürfen Mitglieder des Gemeindevorstandes nicht zugleich Mitglieder des Gemeinderates sein, während in Schleswig-Holstein die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder aus der Mitte der Stadtvertretung gewählt werden und für die Dauer ihrer Amtszeit eine Doppelstellung in beiden Gremien einnehmen. Die Aufgaben des kollegialen Gemeindevorstandes sind die des monokratischen Gemeindevorstehers in den anderen Bundesländern. Bei allen Unterschieden in Einzelpunkten finden sich als typische Leitungsaufgaben auch hier die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der Gemeindevertretung, die Verwaltungsleitung, die Wahrnehmung der Geschäfte der laufenden Verwaltung (Hes) als eigenständige Aufgabe, ferner die Erfüllung der vom Rat delegierten Aufgaben wie das Rügerecht (SchlH: neben dem Bürgermeister). Die Gemeinde wird nach außen vom Gemeindevorstand vertreten. Zusätzliche Fragen entstehen bei der Magistratsverfassung im Blick auf die magistratsinterne Aufgabenverteilung. Die starke, aus dem Kollegialitätsgrundsatz folgende Stellung der Beigeordneten (Stadträte) zeigt sich darin, daß sie in Schleswig-Holstein (§71 GO) durch Hauptsatzung festzulegende Sachgebiete zu eigenständiger Wahrnehmung zugewiesen erhalten. Der Bürgermeister ist in ihrem Kreise nur primus inter pares: Er beruft den Gemeindevorstand ein, leitet die Verhandlungen, bereitet die Beschlüsse vor und führt sie aus. In Hessen ist die Stellung des Bürgermeisters stärker 258 : Hier hat er u. a. bei Abstimmungen das Recht des Stichentscheids. Gegen Beschlüsse des Stadtvorstands steht ihm ein Beanstandungs- bzw. Widerspruchsrecht zu. Weisungsaufgaben der Gemeinde (vgl. oben II 1 b) erfüllt der Bürgermeister in Schleswig-Holstein 259 in alleiniger Verantwortung gegenüber der Aufsichtsbehörde; insoweit hat er seinerseits ein Weisungsrecht gegenüber den anderen Magistratsmitgliedern. In Hessen nehmen die Bürgermeister und Oberbürgermeister die Aufgaben der Orts- und Kreispolizeibehörden in alleiniger Verantwortung wahr (§ 150 GO). 5. Kommunalverfassungsstreit Im Geflecht der Kompetenzzuweisungen sind Reibereien zwischen den gemeindlichen Organen, Teilorganen oder Organteilen nicht zu vermeiden. Der gerichtlichen Entscheidung solcher inter- oder intraorganschaftlicher Streitig257 258 259
Meyer, St.u.VwR Hessen, 176 ff. Meyer, St.u.VwR Hessen, 180: „vielfach herausgehobene Stellung". Vgl. § 70 Abs. 3 GO SchlH. 153
2. Abschn. III 5a
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keiten dient das sog. Kommunalverfassungsstreitverfahren260. „Kommunalverfassungsstreitverfahren sind demzufolge gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen mehreren Organen oder innerhalb eines Kollegialorgans einer kommunalen Gebietskörperschaft (Gemeinde, Kreis) über die Rechtmäßigkeit des organschaftlichen Funktionsablaufs" 261 . a) Grundfragen und Entwicklung: Die dogmatischen Schwierigkeiten, die die Ausbildung dieses Instituts im Richterrecht begleitet haben 262 , erklären sich vor allem historisch. Dem älteren Verwaltungsrecht, das sein Augenmerk fast ausschließlich auf die Außenrechtsbeziehungen richtete, mußten Rechtsbeziehungen innerhalb einer juristischen Person, hier also innerhalb der Gemeinde als rechtsfähiger Verbandspersönlichkeit, fremd bleiben. Inzwischen ist anerkannt, daß sich auch innerhalb einer juristischen Person öffentlichen Rechts die Beziehungen zwischen ihren Organen, Organwaltern und sonstigen Funktionsträgern nach Maßgabe des Rechts abwickeln (objektive Komponente), und daß den dabei erkennbaren, zunächst kompetenzrechtlich begründeten Rechtsstellungen eine dem klassischen subjektiven Recht vergleichbare gerichtliche Wehrfähigkeit zuzuerkennen ist, wenn sie nicht nur im Interesse des Gesamtorganismus, sondern zur Konstituierung von „Kontrastorganen"263 zum Zwecke inneradministrativer Gewaltenbalancierung zugewiesen sind (subjektive Komponente). Während den Kompetenzen der einzelnen Behörden und Amtswalter im staatsunmittelbar-hierarchischen Organisationsbereich diese subjektive Komponente regelmäßig fehlt und „Insichprozesse" hier daher unzulässig sind, ist sie der Rechtsstellung der am kommunalen Willensbildungsprozeß beteiligten Organe und Organteile zwar nicht durchgängig, aber häufig eigen264. Man kann von subjektiven Rechten i.w.S. sprechen, die zwar nicht den Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG genießen265, wohl aber der im einfachen Verwaltungsprozeßrecht erforderlichen Klagebefugnis genügen266. Im Einzelfalle ist der subjektiv-rechtliche Gehalt einer innergemeindlich-organschaftlichen Rechtsstellung nach Funktion und Schutzzweck der Kompetenznorm zu ermitteln. Gerichtliche Auseinandersetzungen z. B. zwischen dem Gemeinderat und dem Bürgermeister über den Umfang von Informationspflichten, zwischen dem Gemeinderat und einem von einer Beschlußfassung wegen Befangenheit ausgeschlossenen Ratsmitglied, zwischen dem Ratsvorsitzenden und einem Ratsmitglied über ein 260 261 262 263 264 265 266
154
Dazu ausführlich: Bethge, HkWP, Bd. 2, 176ff.; Papier, DÖV 1980, 292ff. und die gründliche Darstellung von Schoch, JuS 1987, 783 ff. Bethge, HkWP Bd. 2, 177; vgl. Bleutge, Der Kommunalverfassungsstreit, 1970, S. 25. Vgl. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 6 4 - 7 1 . Kisker, Insichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 38. Bethge, HkWP Bd. 2, 179. Schenke, in: BK, Rdnr. 31 ff. insbes. Rdnr. 37 zu Art. 19 Abs. 4 GG; SchmidtAßmann, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG Rdnr. 44 zu Art. 19 IV. So die h. M., vgl. Kopp, VwGO, § 42 Rdnr. 44 m. w. N.; vgl. auch BVerwG NVwZ 1985, 112f.
Kommunalrecht
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Rauchverbot, zwischen dem Gemeinderat und einer Ratsfraktion über geschäftsordnungsmäßige Rechte sind heute Standardfälle des Kommunalverfassungsstreits267. b) Einzelheiten: Trotz dieser gesicherten Erkenntnis bereitet der Einbau dieses Verfahrens in die einzelnen Normen und Institute des Verwaltungsprozeßrechts nach wie vor Schwierigkeiten. Insbesondere bei der Bestimmung der richtigen Klageart, der Beteiligtenfähigkeit, der Klagebefugnis und beim Rechtsschutzbedürfnis, aber auch bei der Begründetheit der Klage gibt es Streitfragen. Immerhin kann als geklärt gelten, daß Kommunalverfassungsstreitverfahren öffentlich-rechtliche Streitigkeiten i.S. des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sind. Daß es sich trotz der mißverständlichen Bezeichnung um Streitigkeiten „nichtverfassungsrechtlicher Art" handelt und daß mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde (s. oben I 1 c) keinerlei Verbindungen bestehen, ist selbstverständlich. Kläger und Beklagter im Kommunalverfassungsstreit sind nicht die das einzelne Organ bildenden Personen in ihrer natürlichen Rechtsstellung, sondern die Organe in ihrer organschaftlichen Stellung. Ihre Beteiligtenfähigkeit ergibt sich folglich nicht aus § 61 Nr. 1 VwGO, sondern aus einer analogen Anwendung des § 61 Nr. 2 VwG0 267a . Lange Zeit streitig war die Frage der Klageart. Vor allem die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Münster gingen zunächst davon aus, der Kommunalverfassungsstreit passe in keine der üblichen verwaltungsprozessualen Klageformen und sei folglich als Klage eigener Art zu verstehen268. Heute dagegen dringt die Auffassung vor, das Verfahren in die normalen Klagetypen der VwGO einzupassen269. Dabei scheidet die auf den Verwaltungsakt bezogene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage allerdings aus; denn die streitenden Gemeindeorgane stehen nach materiellem Recht nicht in dem für den Verwaltungsakt typischen Subordinationsverhältnis. Wohl aber eignen sich die allgemeine Leistungsklage auf Vornahme oder Rückgängigmachung bestimmter Organhandlungen und die Feststellungsklage270. Die mit diesen beiden Klagearten zu verfolgenden Rechte bzw. Rechtsverhältnisse sind zwar 267
Insbesondere OVG Münster NVwZ 1982, 318 (Geschäftsordnung); OVG Münster DVB1. 1983, 53ff. (Rauchverbot), VG Minden NVwZ 1983, 495f. (Verschwiegenheitspflicht); BW VGH NVwZ 1984, 659f. (Tagesordnung); OVG Koblenz NVwZ 1985, 283 f. (Antrag auf Sitzungsausschluß anderer), dazu Schröder, NVwZ 1985, 246f.; VGH Kassel NVwZ 1986, 328ff. (Tagesordnung). 267a I m Erg. auch Erichsen, StuVwR NRW, 165f.; Tettinger, BesVwR Rdnr. 81. Zur Kostentragungspflicht VGH BW NVwZ 1985, 284 f. 268 Vgl. OVG Münster OVGE 27, 258 (260); vgl. auch Erichsen, StuVwR NRW, 167f. 269 Jüngst Fehrmann, DÖV 1983, 311 (313f.); Schröder, NVwZ 1985, 246f.; vgl. die in Fn. 267 zit. Entscheidungen des BW VGH, VGH Kassel, VGH Koblenz. 270 Dazu Preusche, NVwZ 1987, 854ff.; Schoch, JuS 1987, 783 (787f.); vgl. auch OVG Saar. NVwZ 1987, 914. Daneben ist die Konstruktion einer „allgemeinen Gestaltungsklage" nicht angängig. Str.; wie hier: Papier, DÖV 1980, 292 (299); Fehrmann, DÖV 1983, 311 (312); anders Bethge, HkWP Bd. 2, 187; Graf, BayVBl. 1982, 332 ff. 155
2. Abschn. IV
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vorrangig, nicht aber ausschließlich solche des Außenrechtskreises. Sie können nach den Ausführungen zu a) auch durch organschaftliche Kompetenznormen konstituiert werden. Demgemäß ist um einstweiligen Rechtsschutz über die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO nachzusuchen. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Kommunalverfassungsstreit entfällt nicht schon dann, wenn das umstrittene Verhalten eines Organs auch zum Gegenstand gemeindeinterner oder aufsichtsbehördlicher Beanstandungsverfahren gemacht werden könnte 271 . Die für die Klagebefugnis und die Begründetheit der Klage gleichermaßen zentrale Aufgabe bleibt es, den subjektivrechtlichen Schutzumfang der einschlägigen Normen der Gemeindeordnungen, der Hauptsatzungen oder der Geschäftsordnungen richtig zu bestimmen272. Dabei kommt es allein auf den organisationsrechtlich-funktionalen Bezug, nicht auf Rechte der das Organ bildenden natürlichen Personen an273. Ein zur Ratssitzung nicht geladenes Ratsmitglied kann den in der betreffenden Sitzung gefaßten Beschluß über eine Steuersatzung im Kommunalverfassungsstreit angreifen, weil die Beschlußfassung sein Mitwirkungsrecht verletzt, nicht aber weil er sich durch einen Steuertatbestand als Steuerzahler in seinen Rechten verletzt glaubt. Erst recht ist der Kommunalverfassungsstreit kein Instrument einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle der von Gemeindeorganen gefaßten Beschlüsse274. IV. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung Die Gemeindeordnungen unterscheiden zwischen Einwohnern und Bürgern275. Einwohner ist, wer in der Gemeinde einen Wohnsitz hat; es muß nicht sein einziger Wohnsitz sein. Überhaupt kommt es auf die polizeilichmelderechtlichen Voraussetzungen nicht an. Entscheidend ist der tatsächliche Aufenthalt, der allerdings von einer gewissen räumlich-gegenständlichen Stabilität sein muß. Auch Ausländer und Staatenlose sind Einwohner derjenigen Gemeinde, in der sie leben. Bürger ist dagegen nur derjenige Einwohner, der in der betroffenen Gemeinde das aktive Kommunalwahlrecht hat. Das setzt 271
272 273
274 275
156
Bethge, HkWP Bd. 2, 180; Ausnahme aber für dasjenige Organ, das das interne Rügeverfahren selbst in der Hand hat; vgl. OVG Münster, DVB1. 1968, 392ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 268ff.; Sonderregelung in Hessen: §63 Abs. 2 S. 3 GO. Vgl. Erichsen, St.u.VwR NRW, 168: „erhöhte Substantiierungslast" des Klägers. Sehr deutlich OVG Münster DVB1. 1983, 53 („Rauchverbot"), dazu Fehrmann, DÖV 1983, 311 (315). Bethge, HkWP Bd. 2, 192; OVG Koblenz NVwZ 1985, 283f. Vgl. §§ 10, 12 GO BW; Art. 15 GO Bay; § 8 GO He; § 21 GO Nds; § 6 GO NRW; § 13 GO RhPf; § 18 KSVG Sa; § 6 GO SchlH. Ausführlich Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 379 f. Zur Zulässigkeit der Differenzierung auch gegenüber EG-Ausländern BVerwG NJW 1985, 1300f.
2. Abschn. IV 1 a
Kommunalrecht 276
voraus, daß er Deutscher i. S. des Art. 116 G G ist , das 18. Lebensjahr vollendet hat und seit einigen Monaten — die Länderregelungen variieren zwischen 3 und 6 Monaten — in der Gemeinde wohnt. Wer in mehreren Gemeinden wohnt, ist Bürger nur an seinem Hauptwohnsitz. Erwerb und Verlust des gemeindlichen Bürgerrechts treten bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ex lege ein, ohne daß es eines besonderen Aktes bedürfte. Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung sind unterschiedlich groß. Systematisch lassen sich drei Gruppen von Mitwirkungsformen ausmachen: Kommunalwahlen (1), ehrenamtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen (2) sowie die Mitwirkung im Rahmen gemeindeinterner Gebietsgliederungen (3). 1. Kommunalwahlen a) Grundsätze: Kommunalwahlen sind vor allem die Wahlen zu den kommunalen Vertretungskörperschaften (vgl. auch III 2 a). Sie sind nach den auch für Bundes- und Landtagswahlen verpflichtenden Grundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl vorzunehmen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG), die durch die Landesverfassungen zum Teil wiederholt und ergänzt werden und in den Kommunalwahlgesetzen ihre rechtstechnische Ausformung gefunden haben 277 . Im weiteren Sinne zählen zu den Kommunalwahlen auch die in Baden-Württemberg und Bayern direkt von den Bürgern vorgenommene Wahl des Bürgermeisters und die direkten Wahlen zu Ortschaftsräten. Im Wahlrecht der kommunalen Vertretungskörperschaften herrscht das System der Verhältniswahl vor. Eine landesgesetzliche Anordnung bestimmter Unterschriftenquoren 278 oder einer 5%-Sperrklausel 279 ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. Den Besonderheiten der lokalen Politik mit ihrer stärkeren Personenbezogenheit und der Existenz 276
277
278 279
Ob auch Ausländern das Kommunalwahlrecht durch eine Gesetzesänderung verliehen werden kann, ist str.: Im Ergebnis wird man die Frage aus Verfassungsgründen verneinen müssen, weil der Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 S. 2 GG nur einheitlich, und zwar im Sinne von „Staatsvolk" interpretiert werden kann; vgl. Stern. StaatsR I, § 10 II 8 b; Scholz, Jura 1980, 583ff., 588; Quaritsch, DÖV 1983, 1 ff.; Schild. DÖV 1985, 664ff., 669; Erichsen, StuVwR NRW, 145f.; Tettinger, Bes VwR, § 3 Rdnr. 47; a. M. OVG Lüneburg DÖV 1985, 1067ff.; Meyer, HkwP Bd. 2, 64; Breer, Die Mitwirkung von Ausländern an der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland, 1982, 118 ff. Zu Hbg. Heyen, DÖV 1988, 185 ff. Dazu ausführlich (mit Nachweis der Rechtsgrundlagen) H. Meyer, HkWP Bd. 2, 37ff.; ferner Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht Rdnr. 169ff.; zum Wahlrecht in BW v. Rotberg, VB1. BW 1984, 297 ff. Zu Einzelfragen Nachweise bei Erlenkämper, NVwZ 1987, 21 (29). BVerfGE 12, 10 (27). BVerfGE 6, 121 (130); 11, 266 (277); 47, 253 (277ff.); kritisch H. Meyer, HkWP Bd. 2, 56. 157
2. Abschn. IV 1 b
Eberhard Schmidt-Aßmann
sog. Rathausparteien versuchen die Kommunalwahlgesetze durch mancherlei Einschübe personalisierender Wahlelemente gerecht zu werden 280 . Daraus entstehen außerordentlich komplizierte Kombinationen 281 . Insbesondere das System der „starren Liste", bei der die Wähler an das personelle Angebot der vorschlagenden Parteien oder Wählergruppen strikt gebunden sind, wird zu modifizieren gesucht. So hat der Wähler in einigen Ländern mehrere Stimmen, die er, statt sie auf die Kandidaten einer Liste zu verteilen, auch auf einen Listenkandidaten zusammenziehen (kumulieren) oder auf Kandidaten verschiedener Listen verteilen kann (Panaschieren)2*2. b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen: Nicht nur wegen des komplizierten Wahlsystems sind Kommunalwahlen reich an Rechtsstreitigkeiten. Zu den Streitigkeiten im Umfeld der Wahlen gehören die Auseinandersetzungen um die Nutzung gemeindlicher Einrichtungen (Plakatwände, Stadthallen) für die Wahlwerbung. Soweit es hierbei um die gleichmäßige Zulassung zur Nutzung öffentlicher Einrichtungen geht, vollziehen sich diese gerichtlichen Verfahren in den normalen Klagearten des Verwaltungsprozeßrechts. Materiell ist eine gesteigerte Neutralitätspflicht der Gemeinde in Wahlkampfzeiten zu beachten 283 . Der eigentliche Rechtsschutz im Wahlrecht betrifft dagegen vor allem einerseits die unmittelbaren Wahlvorbereitungsentscheidungen, also Fragen der Eintragung in das Wählerverzeichnis, der Erteilung des Wahlscheines und der Zulassung der Wahlvorschläge und andererseits Wahlprüfungs- und Wahlanfechtungsfragen. Die verfassungsrechtliche Problematik eines angemessenen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gegenüber diesen Entscheidungen ist aus dem Bundestags- und Landtagswahlrecht bekannt 284 . Die Schwierigkeiten, die dem üblichen Individualrechtsschutz im Wahlrecht erwachsen, stellt Hans Meyer zutreffend heraus, wenn er schreibt: „Wie immer der Rechtsschutz ausgestaltet ist oder ausgestaltet sein sollte, es bedarf der Berücksichtigung, daß die Wahl anders als die meisten anderen anfechtbaren Entscheidungen insofern fristgebunden ist, als sie nicht um des Rechtsschutzes willen zu weit vor dem Beginn der Wahlperiode angesetzt und möglichst so frühzeitig abgeschlossen sein muß, daß nicht ein legitimationsloser Gemeinderat noch weiter amtieren muß" 285 . 280 281
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Vgl. dazu H. Meyer, HkWP Bd. 2, 58 ff. Zur Abgrenzung der Kommunalwahlbezirke, OVG Münster NVwZ 1983, 627ff.; Schild, NVwZ 1983, 597 ff. Vgl. auch das Institut der unechten Teilortswahl (§ 27 GO BW); dazu StGH BW ESVGH Bd. 29, 160ff.; v. Rotberg, VB1. BW 1984, 297ff. (300ff.). Dazu BW VGH DÖV 1984, 31ff. und VB1BW 1986, 310f.; Erlenkämper NVwZ 1986, 989ff., 994; VGH München BayVBl. 1984, 79f. Dazu Schenke, NJW 1982, 2440ff.; Badura, in: BK, Rdnr. 41 im Anh. zu Art. 38 GG; Übersicht zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (543ff.), Franzke, DVB1. 1980, 730ff. HkWP Bd. 2,74.
Kommunalrecht
2. Abschn. IV 2 b
Die Kommunalwahlgesetze der Länder haben auf sehr unterschiedliche Weise versucht, diesem Interessenwiderspruch zwischen subjektivem Individualrechtsschutz und der Wahl als einem zeitgebundenen Kollektivvorgang gerecht zu werden. Teilweise werden nach vorgeschalteten internen Kontrollverfahren (Einspruch, Beschwerde) schon bei den genannten Wahl vorbereifi/ngsentscheidungen auch die Verwaltungsgerichte eingeschaltet 286 ; andere Länder behandeln die internen Kontrollverfahren dagegen als exklusiv und verweisen auf die Wahlprüfung 287 , die jeder Wahlberechtigte ex post einleiten kann. Zur Ungültigkeit der Wahl führt ein Wahlprüfungsverfahren in allen Ländern nur dann, wenn ein Wahlfehler festgestellt wird und dieser möglicherweise Einfluß auf die Sitzverteilung hat. Nicht alle Landesregelungen dürften, sofern sie den Individualrechtsschutz in Wahlangelegenheiten rigoros einschränken oder hinausschieben, mit Art. 19 Abs. 4 G G vereinbar sein 288 . 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen a) ehrenamtliche Tätigkeiten: Zu den traditionellen Mitwirkungsformen kommunaler Selbstverwaltung zählen ehrenamtliche Tätigkeiten. Die Gemeindeordnungen nennen sie ein Recht, aber auch eine Pflicht der Gemeindebürger, die nur aus wichtigem Grunde abgelehnt werden kann. In einigen Ländern sind auch die Einwohner zu ehrenamtlichen Tätigkeiten zugelassen. In den Kreis dieser Tätigkeiteo fallen sowohl kurzfristige Verwaltungshilfen, z. B. als Wahlhelfer, als auch dauerhafte Mitwirkungsformen, z. B. als Schöffe oder als sachverständiger Bürger in Ausschüssen des Gemeinderates (Ehrenämter). Dem ehrenamtlich Tätigen obliegen Verschwiegenheitspflichten und er hat wie die Mitglieder des Gemeinderats, die ja auch ehrenamtlich tätig sind, die Befangenheitsvorschriften zu beachten (vgl. III 2 a). Er ist Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne (Art. 34 G G i.V. § 839 BGB), regelmäßig aber nicht Ehrenbeamter im Sinne des Beamtenrechts. b) neuere Beteiligungsformen: Im Zuge der sog. Partizipationsdiskussion 289 haben sich im Gemeinderecht daneben neuere Formen der Bürger- und Einwohnerbeteiligung ausgebildet. Vorausgegangen ist Baden-Württemberg. 286
287
288
289
Vgl. § 6 Abs. 3 KWG BW; Art. 10 Abs. 2 GWG Bay; § 14 Abs. 2 KWG RhPf - für Wählerverzeichnis —. Für Wahlvorschläge: § 8 Abs. 3 KWG BW; dazu Kunze / Merk, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, Anm. III zu § 8 KWG. §46 Abs. 4 KWG Nds; §11 Abs. 5 KWG NRW - für Wählerverzeichnis - ; Nachweise neuerer Rechtsprechung bei Fehrmann, DÖV 1983, 311 (312) mit Fn. 8 ff. Einzelheiten bei H. Meyer, HkWP Bd. 2, 74ff.; aber auch VGH Kassel NVwZ 1985, 849 ff. Dazu Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35ff.; ferner Thaysen, Bürger-, Staats- und Verwaltungsinitiativen, 1982; Ebsen, DVB1. 1984, 1107 ff. 159
2. Abschn. IV 2 b
Eberhard Schmidt-Aßmann
Mittlerweile kennen auch die anderen Länder weitere Beteiligungsmöglichkeiten. Die Bezeichnungen („Bürgerversammlung", „Fragestunde", „Anhörungen") variieren länderweise ebenso wie die rechtliche Ausgestaltung und der politische Stellenwert290: Teilweise finden die Gesetze zu neuen Ansätzen unmittelbarer Demokratie jenseits dessen, was in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG über die Gemeindeversammlung in Kleinstgemeinden gesagt ist291. Teilweise handelt es sich bei den Reformbemühungen um bloße marginale Erweiterungen des ohnehin bestehenden allgemeinen Petitionsrechts nach Art. 17 GG 292 . Systematisch kann zwischen Möglichkeiten der schlichten Mitwirkung (aa) und der Mitentscheidung (bb) unterschieden werden293. aa) Schlichte Mitwirkungsmöglichkeit: Hierher zählen vor allem die Informationsveranstaltungen und Anhörungen, die der Gemeindeverwaltung zur Pflicht gemacht sind. Schon das überkommene Gemeinderecht kennt z. B. die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Tagesordnung der Ratssitzungen und die gefaßten Ratsbeschlüsse. Eine Fortsetzung finden diese Ansätze in den „Fragestunden" und „Anhörungen", die der Gemeinderat veranstalten kann 294. Weiterem Informationsaustausch zwischen Verwaltung und Bürgerschaft dienen die heute in allen Gemeindeordnungen (Ausnahme: SchlH) vorgesehenen Bürgerversammlungen (Einwohnerversammlungen), die die Gemeinden in gewissen Zeitabständen — größere Gemeinden bezirksweise — als amtliche Veranstaltungen durchführen sollen. In Baden-Württemberg und Bayern kann die Einberufung von einem bestimmten Einwohnerquorum verlangt und gegebenenfalls gerichtlich erzwungen werden295. In diesen Ländern müssen sich die gemeindlichen Entscheidungsorgane auch innerhalb einer Frist mit den Vorschlägen der Bürgerversammlung förmlich befassen. Die anderen Gemeindeordnungen kennen solche Rechtspflichten nicht. bb) Mitentscheidungsmöglichkeiten: Sie finden sich als Bürgerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nur in einigen Gemeindeordnungen. Der quorenabhängige Bürgerantrag verpflichtet den Gemeinderat, die im Antrag bezeichnete Angelegenheit binnen einer bestimmten Frist zu erörtern, in Hessen auch zu entscheiden. Baden-Württemberg kennt daneben als Ausdruck unmittelbarer Demokratie den Bürgerentscheid (§ 21 GO)296. Ein solcher Ent290 291 292 293
294 295 296
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Überblick bei Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 131 ff. Vgl. Roters, in: v. Münch, GGK, Rdnr. 29 zu Art. 28 GG (heute lediglich noch in SchlH für Gemeinden bis zu 70 Einwohnern, § 73 GO). Vgl. OVG Münster DÖV 1979, 60ff.; BVerwG NJW 1981, 700. Vgl. dazu die Darstellung bei Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 206ff.; Püttner / Jacoby, HkWP Bd. 2, 26ff.; Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung, 1977; v. Mutius, Gutachten zum 53. DJT, S. 212ff., 224ff.; Kromer, DVB1. 1985, 143ff. Vgl. § 33 Abs. 4 GO BW; § 33 Abs. 1 S. 3 GO NRW. Vgl. § 20a Abs. 2 GO BW; Art. 18 GO Bay. Dazu auch Sapper, VB1BW 1983, 89ff.; BW VGH VB1BW 1983, 269ff.; Kromer, DVB1. 1985, 143 ff., 147f.
Kommunalrecht
2. Abschn. IV 3
scheid findet (nur) über diejenigen Gemeindeangelegenheiten (z. B. Errichtung oder Aufhebung öffentlicher Einrichtungen) statt, die im Gesetz oder in der Hauptsatzung katalogmäßig festgelegt sind (Positivliste)296". Weisungsaufgaben, Organisations- und Haushaltsfragen sowie rechtlich gebundene Entscheidungen unterliegen nicht dem Bürgerentscheid (Negativliste). Eine Angelegenheit kann vom Gemeinderat selbst oder von einer bestimmten Anzahl von Bürgern (Bürgerbegehren) zum Bürgerentscheid gestellt werden. Die Verfassungsmäßigkeit des Instituts ist mit Hinweis auf die Repräsentativfunktion des Gemeinderates zwar bezweifelt worden 297 ; im Ergebnis ist gegen den Bürgerentscheid in der vorliegenden begrenzten Fassung jedoch nichts einzuwenden, weil die lokale Ebene weiteren Formen unmittelbarer Demokratie aus der Natur des Selbstverwaltungsgedankens eher zugänglich ist als die höheren Ebenen 298 . 3. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften Alle Gemeindeordnungen sehen die Möglichkeit vor, den gemeindlichen Binnenraum in Bezirke oder Ortschaften aufzugliedern, diese innergemeindlichen Einheiten mit bestimmten Organen zu versehen und sie zur Aufgabenerfüllung heranzuziehen. Solche Aufteilungen können sich für Landgemeinden mit mehreren dörflichen Zentren ebenso wie für Großstädte als sinnvoll erweisen. Sie sind nicht erst in jüngster Zeit in das Kommunalrecht aufgenommen worden; wohl aber haben die Maßstabvergrößerungen der Gebietsreform dazu veranlaßt, verstärkt Gebrauch von diesen Formen zu machen, sie für bestimmte Größenklassen von Städten sogar verbindlich vorzusehen (Bay: Städte mit mehr als 100000 Einwohnern; Nds, NRW, SchlH: kreisfreie Städte). Einteilungen dieser Art erleichtern die Überschaubarkeit der Verwaltungsorganisation, dienen als Anlaufstellen und bieten, sofern sie mit einer eigenen Vertretung ausgestattet sind, den Einwohnern weitere Beteiligungschancen, ihre im engeren Sinne lokalen Interessen wahrzunehmen 2997300 . Ein verfassungsunmittelbarer Zwang zur Einführung solcher Untergliederungen ist gleichwohl nicht anzuerkennen. In der Einzelausgestaltung weichen die Gemeindeordnungen erheblich voneinander ab 301 . Die meisten Länder stellen die Modelle der Binnengliederung den Gemeinden fakultativ zur Verfügung. In einigen Ländern ist die Einführung einer Bezirksverfassung für große Städte obligatorisch. Unterschiedlich ist auch die Ausstattung der Bezirke und Ortschaften mit eigenen 296a
Vgl. BW VGH NVwZ 1985, 288 ff. Vgl. dazu v. Mutius, Gutachten zum 53. DJT, S. 213 m. w. N. 298 Ebenso Püttner / Jacoby, HkWP Bd. 2, 31; Streinz, Die Verwaltung 1983, 293 ff. (299 f.). 299/ Zur Entwicklung vgl. Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den 300 Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 335 ff. 301 Vgl. dazu die Darstellung bei Wiese, HkWP Bd. 2, 330ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 151 ff. 297
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2. Abschn. V 1 a
Eberhard Schmidt-Aßmann
Organen. Nur der dekonzentrierten Verwaltungsführung dient es, wenn Verwaltungsstellen in den Bezirken als Außenstellen der gemeindlichen Verwaltungszentrale eingerichtet werden. Elemente dezentraler Entscheidungsbildung dagegen kommen ins Spiel, wenn Ortsbeiräte (Bezirksausschüsse) u n d / oder Ortsvorsteher (Ortssprecher) bestellt werden, denen die Artikulation der besonderen lokalen Interessen des Ortes gegenüber der Gemeinde als ganzer obliegt oder sogar Entscheidungsaufgaben 302 übertragen sind. In den meisten Ländern werden die Organe der Binnengliederungen vom Gemeinderat bestellt303. Organisationsrechtlich bleibt in allen diesen Fällen die Gemeinde die einzige rechtsfähige Trägerkörperschaft 304 . Ihr allein gilt die Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Die Bezirke und Ortschaften können sich der gemeindlichen Zentralinstanz gegenüber ihrerseits nicht auf die Selbstverwaltungsgewährleistung berufen. Wohl aber können sie sich — nach Maßgabe dessen, was über den Kommunalverfassungsstreit gesagt worden ist (s. oben III 5) — dann, wenn ihnen Beratungs- oder Entscheidungskompetenzen durch Rechtssatz eingeräumt sind, gerichtlich dagegen wehren, daß ihnen diese Kompetenzen rechtswidrig beschränkt oder entzogen werden 3048 .
V. Die Rechtsetzung der Gemeinden Mitwirkung an der gemeindlichen Willensbildung ist für die Einwohner nur interessant, wenn die Gemeindeverwaltung neben reinem Gesetzesvollzug Gestaltungsaufgaben, insbesondere der leistenden und planenden Verwaltung, wahrnehmen kann. Gestaltungsaufgaben ihrerseits lassen sich rechtlich nur dann erfüllen, wenn sich die Gemeinden die dazu notwendigen Rechtsregeln — selbstverständlich unter Wahrung des Gesetzesvorrangs — selbst schaffen können 305 . Die Rechtsetzung ist folglich eine notwendige Äußerungsform der Gemeinden. Sie manifestiert sich in den dem allgemeinen Verwaltungsrecht auch sonst bekannten Formen der Satzung, der Rechtsverordnung und gewisser inneradministrativer Rechtssätze. 1. Gemeindliche Satzungen a) Regelungstypus: Satzungen sind Rechtsetzungsakte selbständiger, dem Staate eingegliederter Verwaltungsträger zur einseitig hoheitlichen Regelung 302
Z. B. § 70 Abs. 2 GO BW.; § 13b Abs. 1 GO NRW. Daneben finden sich Formen unmittelbarer Volkswahl: §69 Abs. 1 S. 1 GO BW., § 82 Abs. 1 S. 1 GO He; § 55b Abs. 1 S. 3 GO Nds (Ortschaftsräte); § 13 a Abs. 1 S. 2 GO NRW (Bezirksvertretung). 304 Wiese, HkWP Bd. 2, 339 f. 304a YGH Kassel NVwZ 1987, 919f. 305 Vgl. Schmidt-Aßmann, HkWP Bd. 3, 182ff.; ders., in: Fs. f. v. Unruh, S. 607ff. Speziell zu Mustersatzungen vgl. Schink, Zeitschr. f. Gesetzgebung (ZG) 1986, 33 ff. 303
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Kommunalrecht
2. AbSChn. V 1 b
ihrer Angelegenheiten306. Meistens enthalten Satzungen generell-abstrakte Regelungen. Satzungen dieses Typs finden sich vor allem im gemeindlichen Abgabenrecht (Steuer-, Beitrags- und Gebührensatzungen) und zur Regelung der öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden und ihrer Rechtsbeziehungen zu den Benutzern (Anstaltssatzungen). Die Allgemeinheit der Regelung dient hier der Gleichmäßigkeit des Verwaltungsvollzuges. Ein begriffsnotwendiges Merkmal der Satzung ist die Allgemeinheit jedoch nicht. Gerade in dem zweiten, zunehmend wichtiger werdenden Anwendungsbereich des Satzungsrechts, bei den gemeindlichen Planungen, finden sich Regelungen, die sich im Norm-Einzelakt-Schema keinesfalls eindeutig als generell-abstrakt einstufen lassen, sondern individuell-konkrete und generell-abstrakte Elemente mischen. Bekanntestes Beispiel ist der Bebauungsplan, der nach § 10 BauGB als Satzung ergeht, obwohl er von einem rechtstheoretischen Standpunkte aus auf diese Form nicht notwendig fixiert zu sein brauchte. Beispiele wichtiger kommunaler Satzungen sind die Hauptsatzung, die Haushaltssatzung, Abgabensatzungen, Anstaltssatzungen, baurechtliche Satzungen (Bebauungspläne, Veränderungssperren, örtliche Bauvorschriften), straßenrechtliche Satzungen und Eigenbetriebssatzungen. Die Steuerung von Vorgängen kommunaler Massenverwaltung, die Planung und die Organisation sind demnach die Hauptanwendungsgebiete des Satzungsrechts. b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt: Die Satzung ist das typische Instrument eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung. Deshalb gehört die Befugnis, in eigenen Angelegenheiten Satzungen zu erlassen — wenn auch nicht in allen Einzelheiten307, so doch im Grundsatz — verfassungsfest zur Selbstverwaltungsgarantie (vgl. oben I 1 b dd). Die Gemeindeordnungen enthalten in ihren allgemeinen Satzungsklauseln nur eine Bestätigung dieser Rechtsetzungsbefugnis (Autonomie). Aber auch in Weisungs- und Auftragsangelegenheiten sind Satzungen nicht ausgeschlossen. Der staatliche Gesetzgeber hat es hier jedoch in der Hand, den Gemeinden den Einsatz der Satzung als Regelungsinstrument vorzuenthalten oder ihn an besondere Voraussetzungen zu binden308. Satzungsgebung ist wie alle gemeindliche Tätigkeit „Verwaltung" und unterfällt der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG. Vom zwingenden Gesetzesrecht kann das Satzungsrecht nicht abweichen. Nicht ganz eindeutig zu beantworten ist, ob und inwieweit für Satzungen neben dem Vorrang auch der Vorbehalt des Gesetzes gilt. Anerkannt ist immerhin, daß der in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und in den vergleichbaren Vorschriften der Landesverfassungen festgelegte rechtsformabhängige Gesetzesvorbehalt für Rechtsverordnungen auch analog nicht auf Satzungen angewandt werden kann 309 . Die Ge306 307 308 309
Vgl. BVerfGE 33, 125 (156); Ossenbühl, in: Erichsen /Martens, AllgVwR, § 7 VI 1. BVerfG NVwZ 1982, 306 (307). Vgl. dazu Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 601 ff. So die h. M.; vgl. Bryde, in: v. Münch, G G K , Rdnr. 10 zu Art. 80 G G m. w. N. 163
2. Abschn. V 1 b
Eberhard Schmidt-Aßmann
meinden sind um ihres Selbstverwaltungsrechts willen freier gestellt als die staatsunmittelbare Verwaltung. Sie verfügen in dem von ihren Bürgern gewählten Gemeinderat ja auch über eine eigene direkte Legitimationsbasis. Trotzdem sind die Ordnungsfunktionen des parlamentarischen Gesetzgebers auch im Selbstverwaltungsbereich unverzichtbar. Die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht im Facharzt-Beschluß310 für die berufsständische Selbstverwaltung hierzu gegeben hat, gelten im Prinzip auch für die gemeindliche Selbstverwaltung311. Dieser Ordnungsauftrag muß allerdings durch eine kommunalspezifische Fassung der Gesetzesvorbehaltslehre gesichert werden312. Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf es eindeutig dort, wo Satzungen in Freiheit und Eigentum eingreifen oder ihrerseits zu Eingriffen ermächtigen sollen. Der sog. klassische Eingriffsvorbehalt gilt also auch für Satzungen und verlangt eine gesetzliche Basis, die Art und Richtung des Eingriffs bezeichnet. Diesen Bestimmtheitsanforderungen an das gesetzliche „Ermächtigungsprogramm" genügen die allgemeinen Vorschriften der Gemeindeordnungen, denenzufolge Gemeinden in eigenen Angelegenheiten Satzungen erlassen können (allgemeine Satzungsklauseln), nicht. Die Gesetzgebungspraxis hat sich auf diesen Befund eingestellt und faßt die Voraussetzungen für Satzungen mit typischem Eingriffscharakter präziser: Satzungen, die den Anschluß- und Benutzungszwang an gemeindliche Einrichtungen vorschreiben dürfen, finden in Spezialklauseln der Gemeindeordnungen, baugestalterische Satzungen in den Regeln der Landesbauordnungen über „örtliche Bauvorschriften", Abgabensatzungen in den Kommunalabgabengesetzen ihre besonderen gesetzlichen Grundlagen. Diese Vorschriften haben zugleich eine Ausschlußwirkung. Soweit sie eine Materie dem kommunalen Zugriff nicht erschließen, können die Gemeinden das durch Satzungsregelung nicht nachholen. Für einen Gegenstand möglicher Besteuerung, den die staatlichen Steuergesetze den Gemeinden nicht freigeben, gibt es auch kein satzungsmäßiges Steuerfindungsrecht (vgl. unter VIII 1 a). Ist der Anschlußzwang an Fernwärmeeinrichtungen aus Gründen des Immissionsschutzes zugelassen, kann ihn die Gemeinde nicht aus energiepolitischen Gründen anordnen (vgl. unter VI 2). An der notwendigen Gesetzesgrundlage scheitern auch die Versuche der Gemeinden, die Haftung für Amtspflichtverletzungen (Art. 34 GG i.V. § 839 BGB), z. B. aus Schadensfällen bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen, durch Satzung einzuschränken 313 . Nur wenn eine 310 311 312 313
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BVerfGE 33, 125 (159f.).; vgl. auch BVerfG NJW 1988, 191 f. Dazu Starck, NJW 1972, 1489 (1490); Meyn, Gesetzesvorbehalt und Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden, 1977. Dazu Bethge, NVwZ 1983, 577ff.; Bleckmann, DVB1 1987, 1085ff. BGHZ 61, 7 (14ff.); BGH NJW 1984, 615 (617); Papier, in: Münchner Kommentar zum BGB, Rdnr. 294 zu § 839; anders BayVGH DVB1. 1985, 903f.; dagegen Seibert, DÖV 1986, 957 ff. Ausf. Mittermeier. Haftung und Haftungsbeschränkungen der Gemeinden für ihre öffentlichen Einrichtungen, 1984.
Kommunalrecht
2. Abschn. V 1 c
besondere gesetzliche Grundlage vorhanden ist, können Verstöße gegen satzungsrechtliche Bestimmungen als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (sog. Strafbewehrung von Satzungen)314. c) Verfahren: Für das Satzungsgebungsverfahren als Normsetzungsverfahren fehlt es an einer geschlossenen gesetzlichen Regelung. aa) allgemein: Die wichtigsten Verfahrensvorschriften ergeben sich aus den allgemeinen Regeln der Gemeindeordnungen über die innergemeindliche Willensbildung. Da der Erlaß von Satzungen zu den Vorbehaltsaufgaben des Gemeinderates gehört, sind es also vor allem die Vorschriften über die Ratssitzungen, den Ausschluß befangener Ratsmitglieder und die Rügerechte des Gemeindevorstehers, die das Satzungsverfahren prägen. Dazu treten Sondervorschriften für einzelne Arten von Satzungen, z. B. über die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Erlaß von Bebauungsplänen nach § 3 BauGB. Staatlicher Genehmigung bedürfen Satzungen nur dann, wenn diese ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist. Existierende Genehmigungsvorbehalte berechtigen die Aufsichtsbehörde im Regelfall nur zur Rechtskontrolle. Dem gleichen Ziel dienen Vorschriften, die den Gemeinden die schlichte Vorlage des beschlossenen Satzungsentwurfs zur Pflicht machen. Um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen, bedarf jede Satzung förmlicher Publikation. Dieses Erfordernis folgt schon, wenn es in den Gemeindeordnungen nicht nochmals genannt würde, aus dem Rechtsstaatsgrundsatz314a. Über die technischen Einzelheiten, insbesondere über zulässige Publikationsorgane und die Formen der normalen, der Ersatz- und der Notbekanntmachung trifft das Gemeinderecht genaue Festlegungen315. bb) Verfahrensfehler: Verstöße gegen das gesetzliche Verfahrensrecht begründen Rechtsfehler und machen, wenn es sich nicht um Verstöße gegen bloße Ordnungsnormen handelt, die Satzung nichtig316. In der Vergangenheit sind gerade Verfahrensfehler oft die Ursache gewesen, die zur Unwirksamkeit wichtiger gemeindlicher Satzungen geführt haben. In manchen Bereichen, z. B. im Bauplanungs- und im Kommunalabgabenrecht, ist dadurch eine erhebliche Rechtsunsicherheit eingetreten. Das hat den Gesetzgeber auf den Plan gerufen und ihn dazu veranlaßt, die nur „dienende Funktion" des Verfahrensrechts dahin auszumünzen, daß Verfahrensfehler nicht notwendig die gleiche Fehlerfolge der Nichtigkeit haben, wie sie für Inhaltsfehler gilt. 314
OVG Lüneburg, DÖV 1986, 341 f. Vgl. z. B. § 142 Abs. 1 GO BW, Art. 24 Abs. 2 S. 2 GO Bay, § 6 Abs. 2 GO Nds, § 4 Abs. 2 GO NRW. 314a BVerfGE 65, 283 (290 f.). 315 Dazu Ziegler, Die Verkündung von Satzungen und Rechtsverordnungen der Gemeinden, 1976, S. 67ff.; F. Kirchhof, DÖV 1982, 397ff.; Ziegler, DVB1 1987, 280ff. 316 Schmidt-Aßmann, Kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, 19; Ossenbühl, NJW 1986, 2805ff.; zu Reaktionsmöglichkeiten der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden BVerwGE 75, 142 ff. 165
2. Abschn. V 1 d
Eberhard Schmidt-Aßmann
Die Techniken, mit denen die Gesetzgeber in Bund und Ländern Verfahrensfehler für unbeachtlich, nur teilweise beachtlich, nur zeitweise beachtlich oder nachträglich behebbar erklärt haben, weichen erheblich voneinander ab und sind insgesamt noch nicht ausgewogen317. Am weitesten gehen die Sonderregelungen für Satzungen nach dem Baugesetzbuch — also vor allem für Bebauungspläne —, die unter Verstoß gegen Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzes ergangen sind. Hier sehen §§ 214, 215 BauGB ein ganzes Bündel von Unbeachtlichkeits-, Rüge- und Heilungsklauseln vor318. Aber auch die Gemeindeordnungen enthalten heute Sondervorschriften über Verstöße gegen kommunalrechtliche Verfahrensvorschriften beim Erlaß von Satzungen319. Die meisten Länder3207321 folgen dabei einer Technik, die man als Rügemodell bezeichnen kann 322 . Die entsprechenden Bestimmungen finden sich entweder, beschränkt auf diese, bei den Befangenheitsvorschriften oder sind den allgemeinen Satzungsklauseln angefügt und beziehen sich dann auf alle oder wenigstens auf einen größeren Kreis von Verfahrensvorschriften. Im Grundtenor erklären alle dem Rügemodell folgenden Bestimmungen die bezeichneten Verfahrens- und Formfehler für unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb einer länderweise unterschiedlichen Frist entweder von bestimmten Amtsträgern (Gemeindevorsteher, Aufsichtsbehörde) oder Dritten der Gemeinde gegenüber gerügt worden sind. Eine einmal erhobene Rüge dagegen perpetuiert den Fehler. Sie wirkt für und gegen jedermann. Ist innerhalb der Frist von keiner Seite eine Rüge erhoben worden, so kann der Verfahrensfehler nicht mehr geltend gemacht werden. Rechtskonstruktiv wird man insoweit von einer rechtswidrigen, gleichwohl aber nicht mehr angreifbaren Satzung auszugehen haben 323 . d) Rechtsschutz gegen Satzungen324: Der Gerichtsschutz gegen Satzungen vollzieht sich zum einen im Rahmen eines gerichtlichen Vorgehens gegen satzungskonkretisierende Vollzugsakte über die sog. Inzidentkontrolle, zu der der Richter aufgrund seiner Prüfungskompetenz in jedem anhängigen Prozeß verpflichtet ist. Stellt sich dabei die materielle oder formelle Fehlerhaftigkeit der Satzung heraus, so kann sie (von den Fällen zu c bb abgesehen) nicht 317
318
319 320 321 322 323 324
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Im einzelnen Schmidt-Aßmann, Kommunale Rechtsetzung (Fn. 316), 18 ff.; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, 78 ff., 174 ff. Dazu Friauf, unten 6. Abschnitt, II 3 c m. w. N.; zu den Vorläufern der §§ 214f. BauGB (§§ 155 a, 155 b BBauG) vgl. Hill, Das fehlerhafte Verwaltungsverfahren (Fn. 317), 154 ff. Im einzelnen Hill, DVB1. 1983, I ff.; ders., Das fehlerhafte Verwaltungsverfahren (Fn. 317), 174 ff. Eingeschränkt auf Befangenheitsfehler § 47 KSVG Sa, § 22 Abs. 5 GO SchlH. Ein ganz anderes Modell („Kausalitätsklausel") enthält Art. 49 Abs. 3 GO Bay. Vgl. § 4 Abs. 4, GO BW; § 5 Abs. 4 GO He; § 6 Abs. 5 GO Nds; § 4 Abs. 6 GO NRW; § 24 Abs. 6 GO RhPf. Vgl. Maurer, in: Fs. f. Bachof, 1984, S. 215ff. Dazu Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung (Fn. 316), 51 ff. m. w. N.
2. Abschn. V 2
Kommunalrecht
Rechtsgrundlage des angegriffenen Vollzugsaktes sein und bleibt für diesen Prozeß außer Anwendung. Eine allgemein verbindliche Nichtigkeitsfeststellung dagegen gibt es im Rahmen der Inzidentkontrolle nicht. Letzteres ist Ziel der sog. prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Sie ist bundesgesetzlich obligatorisch für die städtebaulichen Satzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, vor allem also für Bebauungspläne 325 , eingeführt. In Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen und SchleswigHolstein sowie (eingeschränkt) in Rheinland-Pfalz können darüber hinaus auch alle anderen unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften mit der prinzipalen Normenkontrolle angegriffen werden. Einen wesentlichen Komplex dieser Normgruppe stellen die gemeindlichen Satzungen dar 326 . Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO setzt weniger strenge Maßstäbe als die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO; verlangt wird aber auch hier ein Nachteil in einem Interesse, das beim Erlaß der Satzung nach dem zugrundeliegenden Normenprogramm Berücksichtigung erwarten dürfte 327 und insofern rechtlich anerkannt ist. Auch die prinzipale Satzungskontrolle ist also keine Popularbeschwerde. Die Wege der inzidenten- und der prinzipalen Kontrolle stehen einem Betroffenen grundsätzlich nebeneinander zur Verfügung 328 . In denjenigen Ländern, die eine prinzipale Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht kennen, kann es besondere Rechtsschutzprobleme dann geben, wenn sich eine Satzungsregelung ohne Vollzugsakt sogleich belastend in die Individualsphäre umsetzt, so daß die klassische Inzidentkontrolle nicht eingreifen kann. Da nach nicht unbestrittener, aber richtiger Ansicht die gesamte administrative Normsetzung unter den Begriff der öffentlichen Gewalt i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG fällt 329 , können sich hier im Lichte dieser Bestimmung Rechtsschutzlücken ergeben. Diese müssen durch eine verfassungskonforme Handhabung der Feststellungsklage nach § 43 VwGO geschlossen werden, die allerdings nicht zur allgemeinverbindlichen Nichtigkeitserklärung der fehlerhaften Satzung führt 330 . 2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte Satzungen sind die wichtigsten aber nicht die einzigen Rechtsetzungsakte der Gemeinden. 325 326 327
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Dazu Friauf, in diesem Lehrbuch 6. Abschnitt II 3 c ff. Vgl. Kopp, VwGO, Rdnr. 13 zu § 47 m. w. N.; Stüer, DVB1. 1985, 469ff. Grundlegend BVerwGE 59, 87ff.; weit. Nachw. bei Kopp, VwGO Rdnr. 25ff. zu § 47; Stüer DVB1. 1985, 469ff., 475f. BVerwGE 68, 12 (16); zur Rechtskraftbindung vgl. BGH DÖV 1981, 337ff., mit Anm. Kerbusch, DÖV 1982, 42f. Vgl. ausführlich Schenke, in: BK, Rdnr. 249ff. zu Art. 19 Abs. 4 GG m. w. N.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Därig / Herzog / Scholz, GG Rdnr. 70ff. zu Art. 19 IV. Vgl. Kopp, VwGO, Rdnr. 10 zu § 47; aber auch BVerfGE 70, 35 ff. mit abw. Votum Steinberger. 167
2. Abschn. VI
Eberhard Schmidt-Aßmann
a) Rechtsverordnungen: Gemäß besonderer gesetzlicher Ermächtigung können Gemeinden auch Rechtsverordnungen erlassen. Beispiele finden sich vor allem im Polizeirecht. In den Einzelheiten weichen die einschlägigen Gesetze allerdings so stark voneinander ab, daß sich allgemeine Aussagen verbieten. Für manche Materien ist in einigen Ländern eine Regelungsmöglichkeit durch Rechtsverordnung, in anderen eine solche durch Satzung gesetzlich vorgeschrieben; ein Beispiel dafür sind Baumschutzregelungen331. b) inneradministrative Rechtssätze: Zahlreiche Rechtsetzungsakte der Gemeinden lassen sich weder den Satzungen noch den Rechtsverordnungen zurechnen, sondern müssen als inneradministrative Rechtssätze eingestuft werden. Gerade die kommunale Praxis zeigt, daß diese Gruppe, die nicht zu den klassischen Außenrechtssätzen zählt, mehr umfaßt als die Verwaltungsvorschriften. Neben den innerorganschaftlichen Geschäftsordnungen der gemeindlichen Kollegialorgane sind es vor allem die nicht als Satzung erlassenen sog. schlichten Anstaltsordnungen der kommunalen öffentlichen Einrichtungen und eine Reihe gemeindlicher Pläne, unter ihnen der Flächennutzungsplan nach § 5 BauGB, die dieser Gruppe zuzurechnen sind332. VI. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner Wenn das Verhältnis der Gemeinden zu ihren Einwohnern, unter politischem Aspekt betrachtet, durch das Gegensatzpaar Mitwirkungsrecht/Mitwirkungspflicht bestimmt wird (vgl. oben IV), so läßt es sich unter administrativem Aspekt mit den Begriffen Leistungsrecht/Lastentragungspflicht kennzeichnen. Die Lastentragung wird heute ausgeformt vor allem durch das Abgabenrecht. In einigen Ländern gibt es daneben noch die Möglichkeit, die Einwohner durch Satzung zu Naturaldiensten (sog. Hand- und Spanndiensten) zu verpflichten333. Das korrespondierende Leistungsrecht umfaßt in einem weiten Sinne alle das örtliche Gemeinwohl fördernden Aktivitäten. Dazu zählen z. B. die kommunale Wirtschaftsförderung, das gemeindliche Gesundheits- und Sozialhilfewesen und die vielfältigen Aktivitäten der Gemeinden im Bau- und Wohnungswesen334. In einem engeren Sinne ist das kommunale Leistungsrecht ein Recht der Daseinsvorsorge. Es ist die Daseinsvorsorge, die gerade im Kommunalwesen traditionell eine starke Wurzel hat. Der Leistungsauftrag, das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner durch die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen zu fördern, ist ei331
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Dazu Steinberg, NJW 1981, 550ff.; Otto, NVwZ 1986, 900ff.; BW VGH NVwZ 1985, 63f. und NVwZ 1986, 955ff.; Bay VGH NVwZ 1986, 951 ff. Dazu die Darstellung bei Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung (Fn. 316) 31 ff.; speziell zu den Flächennutzungsplänen: Friauf in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt II 3 b. Zur Zulässigkeit vgl. BVerwGE 2, 313ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig / Herzog/Scholz, GG, Rdnr. 486 zu Art. 12 GG. Umfassend zu den gemeindlichen Aktivitäten vgl. die Beiträge in HkWP Bd. 4.
Kommunalrecht
2 . A b S C h n . VI 1 a
ne Grundpflicht gemeindlicher Selbstverwaltung. Gerade für diesen Bereich stellen die Gemeindeordnungen die Verbindung von Lastentragung und Leistungsanspruch deutlich heraus. So heißt es in § 10 Abs. 2 der bad.-württ. Gemeindeordnung: „Die Einwohner sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden nach gleichen Grundsätzen zu benützen. Sie sind verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen". Ein Schlüsselbegriff des Rechts daseinsvorsorgender Kommunalverwaltung ist also die öffentliche Einrichtung 335 . 1. öffentliche Einrichtungen a) Begriff: Der kommunalrechtliche Begriff der öffentlichen Einrichtungen meint „Betriebe, Unternehmen, Anstalten und sonstige Leistungsapparaturen höchst unterschiedlicher Struktur und Zweckbestimmung, denen letztlich nur die Funktionsweise gemeinsam ist, die Voraussetzungen für die Daseinsfürsorge und Daseinsvorsorge der Bevölkerung zu schaffen und zu gewährleisten" 336 . Hierher zählen also Museen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Verkehrsbetriebe, Altenheime, Kindergärten, Schulen, Friedhöfe, Theater, Freizeitanlagen. Der Begriff ist von seiner realen Substanz her weiter gefaßt als der der öffentlichen Anstalt 337 . Eine besondere, von der normalen Gemeindeverwaltung abgesetzte Organisation ist ebensowenig Voraussetzung wie die Existenz eines besonders aufwendigen Apparats. Auch Parks, Sport- und Kirmesplätze werden deshalb zu den öffentlichen Einrichtungen gerechnet 338 . In einem sehr weiten Sinne könnte man sogar das gemeindliche Straßennetz als öffentliche Einrichtung ansehen. Das wird jedoch überwiegend und letztlich zu Recht mit Blick auf die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung abgelehnt 339 . Öffentliche Straßen sind Sachen im Gemeingebrauch, an denen das Straßenrecht jedermann ohne Rücksicht auf eine spezielle gemeindliche Trägerschaft oder Zugehörigkeit ein dingliches Nutzungsrecht einräumt. Für die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden sehen die Gemeindeordnungen dagegen regelmäßig ein im Adressatenkreis begrenztes, obligatorisches Nutzungsrecht vor (vgl. unter b). Auf die Rechtsform der öffentlichen Einrichtung kommt es nicht an 340 . Öffentliche Einrichtungen werden keineswegs nur in den Organisationsformen
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Ausführlich Frotscher, HkWP Bd. 3, 135ff.; Erichsen, Jura 1986, 148ff. und 196ff. Ossenbühl, DVB1. 1973, 289; ders., HkWP Bd. 1, 381; OVG Münster DVB1. 1976, 398 ff. OVG Münster, DVB1 1976, 398; Frotscher, HkWP Bd. 3, 139f. Vgl. die Beispiele bei Fischedick, Die Wahl der Benutzungsform kommunaler Einrichtungen, 1985, 3 f. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 155; Frotscher, HkWP Bd. 3, 138 mit Nachweisen zum Streitstand in Fn. 14; a. A.: Lange, HkWP Bd. 3, 163f. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 658ff.; Darstellung und Kritik der Rechtspraxis bei Ehlers, DÖV 1986, 897 ff. m. w. N. 169
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des öffentlichen Rechts als Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder als Eigenbetrieb, sondern auch in der Form der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführt. Auch das Maß der rechtlichen Verselbständigung ist für den Begriff unerheblich. Öffentliche Einrichtungen können von Stellen der Gemeindeadministration, von Regie- oder Eigenbetrieben, aber auch von rechtsfähigen Betriebseinheiten unterhalten werden. Es ist nicht einmal notwendig, daß die Gemeinde die ausschließliche Vermögensträgerin ist. Auch Aktiengesellschaften, an denen die Gemeinde nur beteiligt ist, ja selbst ein ausschließlich in privaten Händen liegendes Unternehmen kann, wenn eine entsprechende Widmung vorliegt, eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde ausmachen. So ist die Abfallbeseitigung eine öffentliche Einrichtung selbst dann, wenn sie von einem Privatunternehmer durchgeführt wird, dem die Gemeinde diese Aufgabe vertraglich anvertraut hat341. Vom Rechtsbegriff her schließen sich auch öffentliche Einrichtungen und gemeindliche Wirtschaftsunternehmen nicht aus342. Zahlreiche öffentliche Einrichtungen werden von gemeindlichen Wirtschaftsunternehmen geführt (s. unter VII 1). Ein Gegenstand oder eine Sachgesamtheit erhält die Eigenschaft als öffentliche Einrichtung durch Widmung. Die Widmung ist der Rechtsakt, der die Nutzung der Sache durch die kommunale Öffentlichkeit konstituiert. An eine spezifische Rechtsform ist sie nicht gebunden3423. Vielfach wird sie durch einen eigenen Ratsbeschluß ausgesprochen. Doch kommen auch rein administrative und konkludente Widmungen vor. Bei einer faktisch von der Öffentlichkeit genutzten Einrichtung spricht im Zweifel eine Vermutung für ihre öffentliche Widmung343. Die Gemeinde kann die Vermutung jedoch durch den Nachweis widerlegen, die Bereitstellung erfolge eindeutig als private Einrichtung. Die Widmung legt den genauen Nutzungszweck und damit auch die Nutzungsgrenzen fest. Eine Halle, die praktisch auch für Versammlungen genutzt werden könnte, aber nur als Sporthalle gewidmet ist, ist nur insofern eine öffentliche Einrichtung. Nicht zu den öffentlichen Einrichtungen zählen Vermögensgegenstände, die ausschließlich in das Finanzvermögen fallen, wie das z. B. für die erwerbswirtschaftlichen Betriebe einer Gemeinde gilt. Ebenfalls nicht öffentliche Einrichtungen sind die Sachen im Verwaltungsgebrauch, z. B. Dienstgebäude, Dienstwagen und andere Verwaltungseinrichtungen, die unmittelbar nicht der Nutzung durch Dritte, sondern der Erfüllung administrativer Amtsgeschäfte dienen. Daß in manchen dieser Einrichtungen Publikumsverkehr herrscht, macht sie noch nicht zu öffentlichen Einrichtungen i.S. des Kommunalrechts. 341 342 342a
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Kein Fall der Beleihung, vgl. dazu Frotscher, HkWP Bd. 3, 147f. Frotscher, HkWP Bd. 3, 140. Erichsen, Jura 1986, 148ff., 151; Pappermann / Lohr / Andriske, Recht der öffentlichen Sachen, 1987, 136f.; Stober, Kommunalrecht, § 6 III. OVG Münster DVB1 1976, 398 (399); vgl. auch OVG Koblenz NVwZ 1982, 379 ff.
Kommunalrecht
2. Abschn. V11 c
b) Nutzungsrechte: Die Einwohner sind nach den insoweit übereinstimmenden Gemeindeordnungen aller Länder 344 berechtigt, die kommunalen öffentlichen Einrichtungen zu nutzen. Den Einwohnern sind Personen, die in der Gemeinde Grundstücke oder eine gewerbliche Niederlassung haben (sog. Forensen), gleichgestellt. Ferner werden heute Einwohner der Nachbargemeinden als Nutzungsberechtigte jener Einrichtungen anzuerkennen sein, mit denen die Standortgemeinde zentralörtliche Funktionen für das Umland wahrnimmt 345 . Gebietsfremde dagegen haben regelmäßig kein Nutzungsrecht 346 . Auch für die Einwohner bestehen Nutzungsrechte nur im Rahmen des Widmungszwecks. Wünschen nach einer den Widmungszweck übersteigenden besonderen Nutzung einer öffentlichen Einrichtung kann die Gemeinde entgegenkommen; das Gemeinderecht verpflichtet sie dazu jedoch nicht. Die wichtigste Grenze des Nutzungsrechts ist die Kapazität. Zur Schaffung neuer Einrichtungen ist die Gemeinde selbst bei nachhaltigem Bedarf allenfalls politisch, nicht aber rechtlich verpflichtet347. Ebensowenig besteht eine Pflicht, vorhandene Einrichtungen im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten348. Der notwendige haushaltsrechtliche Umschichtungsspielraum der Gemeinden darf nicht durch die übereilte Konstruktion von Nutzungsansprüchen verdrängt werden. Liebgewordene Gewohnheiten schaffen noch keinen Vertrauenstatbestand und erst recht keine Grundrechtspositionen. Bei knapper Kapazität freilich muß die Auswahlentscheidung einwandfrei sein. Das ist ein Problem vor allem der Maßstäbe, z. B. Priorität, Rotation, Alter. Sie müssen inhaltlich vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben. Zutreffend wird außerdem ihre vorherige förmliche Fixierung durch Rechtssatz gefordert 349 . c) Benutzungsverhältnis: Der Nutzungsanspruch der Gemeindeordnungen ist öffentlich-rechtlicher Natur. Die Zulassung zur Nutzung einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung muß daher gegebenenfalls nach § 40 Abs. 1 VwGO im Verwaltungsrechtsweg erstritten werden; Anspruchsverpflichteter
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Vgl. § 10 Abs. 2 GO BW; Art. 21 GO Bay; § 20 GO He; § 22 GO Nds; § 18 Abs. 2 GO NRW; § 14 Abs. 2 GO RhPf; § 19 KSVG Sa; § 18 GO SchlH. Daneben gibt es Spezialvorschriften, z. B. § 70 GewO, § 6 En WG, § 22 PBefG - vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 156ff. —, die den Kreis der Berechtigten zum Teil erweitern; s. dazu auch die Vorschriften im Schul- und Krankenhausrecht. Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 386; vgl. BW VGH NVwZ 1987, 701 f. Vgl. OVG Münster NVwZ 1984, 665. Speziell zum Problem der Standplätze für Schausteller auf Volksfesten, BVerwG NVwZ 1982, 194f. und NVwZ 1984, 585f.; Roth, WiVerw 1985, 46ff.; Widera VR 1986, 17ff.; OVG Koblenz, NVwZ 1987, 519f. Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 384; im Ergebnis auch Erichsen, Jura 1986, 148ff., 153; OVG Koblenz DVB1. 1985, 176f.; vgl. auch OVG Münster, NVwZ 1987, 518. VGH Kassel NJW 1979, 886ff.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 152 m. w. N. in Fn. 81. Bethge, NVwZ 1983, 577 (580); Roth, WiVerw 1985, 46ff., 58; vgl. auch BW VGH DÖV 1987, 650 (Zulassung gegen Haftungsübernahme). 171
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ist die Gemeinde selbst als Körperschaft . Meinungsverschiedenheiten bestehen in der Frage, wie auf der Basis dieses Nutzungsanspruchs das Nutzungsverhältnis rechtlich zu konstruieren ist350. aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell: Ein Teil der Literatur geht von einem einheitlichen öffentlich-rechtlichen Modell aus351. Die Nutzung vollzieht sich danach im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Vertrages (§§ 54 ff. VwVfG) oder eines mit der oft nur konkludenten Zulassung zustandekommenden verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses. Auf ein solches schlichtes Schuldverhältnis wird vor allem dort zurückgegriffen werden müssen, wo sich im Verwaltungsalltag die für den Vertrag obligatorische Schriftform (§ 57 VwVfG) als unhandlich erweist. Handlungsmaßstäbe, Haftungs- und Rechtswegfragen bestimmen sich beim Einheitsmodell nach öffentlichem Recht. Das soll selbst dann gelten, wenn die öffentliche Einrichtung nicht von der Gemeinde selbst, sondern von einer juristischen Person des Privatrechts betrieben wird und die Leistungsbeziehungen zwischen ihr und dem Benutzer in Rede stehen. So sehr die Einheitlichkeit des Konzepts besticht, so begegnen ihm doch in der Praxis, insbesondere bei privatrechtlicher Organisationsform der öffentlichen Einrichtung, Schwierigkeiten; denn der privatrechtlich organisierte Träger der Einrichtung wird regelmäßig nicht als Beliehener und folglich auch nicht öffentlich-rechtlich tätig, sondern erfüllt die gemeindliche Leistungspflicht dem Benutzer gegenüber privatrechtlich. Das öffentlich-rechtliche Lösungsmodell ist folglich zwar eine durchaus mögliche Konstruktion, aber sie paßt nicht für alle öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden. bb) Typenvielfalt: Die nach wie vor herrschende Lehre geht davon aus, daß die Nutzungsverhältnisse in mehreren Typen erfaßt werden können und daß der einzelnen Gemeinde in gewissen Grenzen ein Wahlrecht zusteht, nach welchem Modell sie verfahren möchte352. Eine öffentlich-rechtliche Konstruktion wird dabei häufig anzutreffen sein, aber sie ist nicht die einzige Gestaltungsmöglichkeit. Im einzelnen muß zwischen der bereits oben (unter a) behandelten Wahl der Organisationsform und der Wahl der Rechtsform — 349a
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Erichsen. Jura 1986, 196; Herdegen, DÖV 1986, 906ff. Bei rechtlich selbständiger Organisation der öffentlichen Einrichtung richtet sich der Anspruch gegen die Gemeinde auf „Verschaffung der Nutzung" vermittels ihres Einwirkungsrechts; vgl. OVG Koblenz DVB1. 1985, 176f„ aber auch DÖV 1986, 153. Dazu Barbey, WiV 1978, 77 (89ff.); Erichsen, Jura 1986, 196ff., 198 - 200; Fischedick, Die Wahl der Benutzungsform kommunaler Einrichtungen, 1985; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, 175ff.; ders., DVB1. 1986, 912ff.; Wolff/ Bachof/Stober, VwR II § 99 Rdnr. 34ff. Ossenbühl, DVB1. 1973, 289 (291 f.); ders., HkWP Bd. 1, 387 mit Nachweisen zum Streitstand in Fn. 50ff.; vgl. auch Pappermann, JZ 1969, 485 (488), sowie v. Mutius, JuS 1978, 400f. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1977, 42ff.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 149 und die in Fn. 350 nachgewiesenen Autoren.
Kommunalrecht
2. Abschn. V11 c
genauer: des Rechtsregimes und der in ihm verfügbaren Handlungsformen — unterschieden werden353. — Erbringt die Gemeinde die Leistungen der öffentlichen Einrichtung selbst ohne Zwischenschaltung einer Person des Privatrechts, so kann sie wählen, ob sie das Nutzungsverhältnis insgesamt öffentlich-rechtlich (in den unter aa) genannten Formen) abwickeln oder aber sich des Privatrechts bedienen will. Die Wahl des Privatrechts muß sich mindestens aus Indizien (z. B. AGB statt Anstaltssatzung, Preise statt Gebühren) eindeutig ergeben354. Fehlt es daran, streitet eine Vermutung für das öffentliche Recht. Inhaltlich gestattet freilich auch die Wahl des Privatrechts der Gemeinde nicht eine vollkommen freie, privatautonome Gestaltung der Leistungsbeziehungen355. Vielmehr gilt Verwaltungsprivatrecht, jenes mit gewissen dem öffentlichen Recht entlehnten Bindungen versehene Privatrecht, dem die öffentliche Hand bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht entrinnen kann 356 . Rechtskonstruktiv bewirkt die Wahl des Privatrechts, daß die Leistungserbringung in der Form eines privatrechtlichen Vertrages erfolgt. Dadurch treten der auf den öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch (s. unter b) antwortende öffentlich-rechtliche Zulassungsakt — in der Regel ein Verwaltungsakt — und das ihm folgende Nutzungsverhältnis stärker auseinander (Zweistufenlehre). Das wiederum ist ein Kritikpunkt an der herrschenden Lehre; denn in der Tat wirken bei alltäglichen Nutzungsvorgängen, wie z. B. dem Besuch eines kommunalen Schwimmbades, solche Zweistufigkeiten überkonstruiert. Das gilt nicht zuletzt für Rechtsschutzfragen. So muß nach dieser Lehre auf Zulassung zur Nutzung vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden, während für Leistungsstörungen und Haftungsfälle nach § 13 GVG die ordentlichen Gerichte zuständig sind. — Ist die öffentliche Einrichtung als juristische Person des Privatrechts organisiert, so ist mit der Wahl der Organisationsform auch die Frage der Handlungsform entschieden. Ohne gesetzesbegründete Beleihung — und daran fehlt es durchgängig — können Privatrechtssubjekte ihre Rechtsbeziehungen zum Benutzer nicht öffentlich-rechtlich regeln. Die Leistungserbringung vollzieht sich hier folglich zwangsläufig in den Formen des Privatrechts. Prozessual führt das nicht nur zu der beschriebenen Doppelung in Rechtswegfragen, sondern es stehen dem Kläger in den Prozessen auch unterschiedliche Beklagte gegenüber. Im Verwaltungsprozeß auf Zulassung zur Nutzung ist es 353 354
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Grundlegend Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 6 ff. Vgl. VGH BW NJW 1979, 1900f. und NVwZ 1987, 701 f.; Fischedick, Die Wahl der Benutzungsform (Fn. 350), 23. Speziell zur Frage, ob auch bei Vorliegen des Anschluß* und Benutzungszwanges noch das Privatrecht gewählt werden kann, vgl. OVG Lüneburg NJW 1977, 450f.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 155f.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 656. BGH DVB1. 1984, 1118f.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform (Fn. 350), 212ff.; Fischedick, Die Wahl der Benutzungsform (Fn. 350), 43 ff. Allgemein Badura, in diesem Lehrbuch, 4. Abschnitt, III 2 d; Wolff /Bachof, VwR I, § 23 II b. 173
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die Gemeinde selbst, die „auf Verschaffung der Zulassung" in Anspruch zu nehmen ist. Im Zivilprozeß über Fragen aus dem Leistungsverhältnis dagegen ist Beklagte die juristische Person privaten Rechts, die die öffentliche Einrichtung betreibt. — Wenn man Einfachheit und Übersichtlichkeit als besondere Werte einer Rechtsordnung ansieht, dann können solche Diffizilitäten nicht recht überzeugen. Erklärbar freilich mögen sie angesichts der Typenvielfalt öffentlicher Einrichtungen und ihrer Träger sein. 2. Einrichtungen mit Anschluß- und Benutzungszwang a) Tatbestand: Für bestimmte öffentliche Einrichtungen kann die Gemeinde die Benutzung zur Pflicht machen (Benutzungszwang) und vorschreiben, daß die Grundstücke ihres Hoheitsgebiets an die entsprechenden Versorgungsanlagen anzuschließen sind (Anschlußzwang). Anschluß- und Benutzungszwang sind durch Satzung anzuordnen. Wegen des Eingriffscharakters solcher Anordnungen — betroffen sind vor allem die Grundrechte aus Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 G G — bedarf die Satzung ihrerseits der Grundlage im parlamentarischen Gesetz. Dem haben alle Gemeindeordnungen Rechnung getragen 357 . Sie legen zum einen den Kreis derjenigen Einrichtungen genauer fest, für den ein solcher Zwang vorgesehen werden kann. Durchgängig geschieht das in der Art, daß einige Einrichtungen (Wasserleitung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Schlachthöfe) ausdrücklich genannt und der nicht erschöpfenden Aufzählung die Klausel „und ähnliche der Volksgesundheit dienende Einrichtungen" angefügt wird. Über den solchermaßen umrissenen Kreis öffentlicher Einrichtungen hinaus, z. B. auf die Stromversorgung, kann der Anschluß- und Benutzungszwang nicht ausgedehnt werden. Von hieraus erschließt sich der Zweck des gesamten Instituts: Die zwangsweise Benutzung der genannten Einrichtungen soll der „Volksgesundheit" dienen. Diese Ausrichtung konkretisiert auch den Begriff des öffentlichen Bedürfnisses, an den die Gemeindeordnungen den Erlaß der Satzung im Einzelfall binden. Nicht jedes öffentliche Interesse, sondern nur Erfordernisse der Volksgesundheit, rechtfertigen also den Anschluß- und Benutzungszwang 358 . Bei den meisten der genannten Anlagen kann von einer Förderung gerade dieses Belangs typischerweise ausgegangen werden. Die Gemeinde braucht in diesen Fällen nicht zu warten, bis konkrete Gesundheitsgefahren eingetreten sind. Der Anschluß- und Benutzungszwang dient der sog. Gefahrenvorsorge. Als Nebenzweck dürfen z. B. bei der Frage des Gebietszuschnitts auch fiskalische Überlegungen einer Rentabilität der Einrichtung beachtet werden 359 . 357
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Vgl. § 11 GO BW; Art. 24 GO Bay; § 19 Abs. 2 GO He; § 8 GO Nds; § 19 GO NRW; § 26 KSVG Sa; § 17 Abs. 2 GO SchlH; daneben finden sich Ermächtigungsgrundlagen auch in einzelnen Spezialgesetzen, z. B. im Abfallgesetz. Zur gerichtlichen Kontrolle des Begriffs Frotscher, HkWP Bd. 3, 153f.; SchmidtJortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 654; OVG Münster NVwZ 1987, 727f. Vgl. aber BVerwG NVwZ 1986, 754ff.; dort auch zum Verhältnis kommunalrechtlicher Regelungen zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen (AVB), dazu ferner BVerfG NVwZ 1982, 306 und BVerwG NVwZ 1986, 483f.
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2. Abschn. VI 2 b
Behutsamkeit ist dagegen beim Anschlußzwang an eine Femwärmeversorgung geboten. Die Gemeindeordnungen sehen heute zwar ausdrücklich auch für diese Einrichtung die Möglichkeit eines solchen Zwanges vor, legen aber regelmäßig spezielle Einschränkungen fest. Aus systematischen Gründen zutreffend verlangt die Rechtsprechung auch hier, daß das Bedürfnis ein solches der Volksgesundheit (Immissionsschutz) ist und sich aus der regionalen Raumsituation exakter belegen läßt360. Dagegen können energiepolitische Gründe den Anschlußzwang de lege lata nicht rechtfertigen361. Inwieweit der Gesetzgeber die Eingriffsgrundlagen in den Gemeindeordnungen auch auf solche Erwägungen ausdehnen und damit die „klassische" Basis des gesamten Instituts verlassen kann, ist zweifelhaft362. Vage Aussichten einer besseren (?) Energieverwendung belegen weder die Geeignetheit noch die Erforderlichkeit, an denen sich jede gesetzliche Eingriffsermächtigung ihrerseits messen lassen muß. b) Grundrechtsfragen: Die Einführung des Anschluß- und Benutzungszwangs kann in mehrfacher Hinsicht Grundrechtspositionen berühren363. aa) Anschlußpflichtige: Sie werden vor allem in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beschränkt, weil ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihren Bedarf anderweitig zu decken. Gründe der Volksgesundheit sind jedoch Gesichtspunkte, die regelmäßig eine dem Übermaßverbot entsprechende Einschränkung rechtfertigen364. Außerdem können vorhandene eigene Versorgungsanlagen wertlos werden. Das ruft Art. 14 GG auf den Plan. Die Rechtsprechung sieht jedoch in solchen Folgen — jedenfalls regelmäßig — keinen unzumutbaren Eingriff, sondern die Konkretisierung einer dem Eigentum anhaftenden Pflichtigkeit365. Etwas anderes soll nur gelten, wenn die Aufwendungen von behördlicher Seite veranlaßt wurden. Zu überzeugen vermag das jedoch nur, wenn es sich um Anlagen geringeren Wertes handelt366. Der Wertverlust einer gefahrenrechtlich einwandfreien 360 v G H München NVwZ 1983, 167ff.; BW VGH ESVGH 23, 21 (25); vgl. aber auch BW VGH VB1BW 1982, 234ff.; OVG Koblenz, StuGB 1980, 185ff.; BayObLG BayVBl. 1985, 285. 361 Schmidt-Aßmann, DV 1983, 277 (282); Wichardt, DVB1. 1980, 31 ff. Eine Ausnahme davon will § 19 GO NRW idF 1984 machen; dazu Landtags-Drucks. NRW 9/3405 und 3021; dazu auch Kimminich, DB 86, Beil. 5, S. 1 ff. 362 Positiv Cronauge, Städte- und Gemeinderat 1982, 296ff.; zurückhaltend SchmidtAßmann, DV 1983, 277 (290ff.); ders., in: Fs. f. v. Unruh, S. 607 (621). 363 Dazu Knemeyer, Die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden, 1973, S. 38ff.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 154f. m. w. N.; Erichsen, Jura 1986, 196ff., 201 f.; H. Weber, NVwZ 1987, 641 ff. 364 BayVerfGH n. F. 20, 183 (187); weitergehend BVerfGE 50, 256ff. („Friedhofszwang"); restriktiv BayVGH BayVBl. 1985, 463 ff. 365 BGHZ 40, 355 (361); 54, 293ff. 366 Kritisch auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1983, S. 127f.; OVG Münster OVGE 18, 71 ff. („Schlachthof); vgl. auch VGH München NVwZ 1983, 423f. („Müllnormeimer"). Zum Eingriff in ein Lieferrecht vorsichtiger BGH DÖV 1980, 879 ff. 175
2. Abschn. VII 1
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aufwendigen Eigenanlage kann dagegen schwerlich als immanente Pflichtigkeit abgetan werden. Das gilt etwa für Heizanlagen. bb) Anbieter gleichartiger Leistungen: Ihnen wird für die Zukunft die Möglichkeit genommen, sich weiterhin im Anschlußgebiet zu betätigen (Art. 12 GG); der Kundenstamm geht ihnen verloren und die gewerblichen Anlagen, sofern nicht andere Absatzgebiete erschlossen werden, werden wertlos (Art. 14 GG)367. Auch hier ist die Rechtsprechung jedoch wenig rücksichtsvoll: Jedenfalls eine Materie wie die Müllabfuhr sei mit der Pflichtigkeit belastet, nur solange unbeschränkt privatwirtschaftlich betrieben werden zu können, bis die Gemeinde dieses Gebiet zur öffentlichen Aufgabe mache. So lautet das Dogma der herrschenden Ansicht368. Unserer Auffassung nach läßt sich dieser Satz jedoch nicht ohne Rücksicht auf den Umfang der aufgeopferten Position aufrechterhalten und auch nicht unbesehen auf andere Sachgebiete übertragen. Soweit der Anschluß- und Benutzungszwang im Einzelfalle mit Art. 14 Abs. 1 GG und dem im Rahmen dieser Vorschrift zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar ist — nach landläufigem Sprachgebrauch also „enteignend" wirkt —, muß er durch eine Befreiung abgefangen werden3682. Andernfalls ist die Satzung (teil-)nichtig, da zu einer entschädigungsrechtlichen Lösung durchgängig die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen fehlen. Die Satzung selbst kann sie nicht bieten, denn sie ist kein Gesetz i.S. des Art. 14 Abs. 3 GG369. Nur für ganz seltene atypische Situationen könnte auch an einen Anspruch aus dem richterrechtlichen Haftungsinstitut des „enteignenden Eingriffs" gedacht werden370. VII. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde 1. Begriffe und Abgrenzungen
Als wirtschaftliche Betätigungen lassen sich nach einer Faustregel alle diejenigen Tätigkeiten einer Gemeinde kennzeichnen, die auch von einem Privatunternehmer mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden könnten371. Ob eine solche Konkurrenz im Einzelfalle tatsächlich besteht, ist nicht entscheidend. Der Vergleich mit der Privatwirtschaft soll eher auf den Tätigkeitsstil abheben (Rationalprinzip und kaufmännischer Geschäftsbe367
Ossenbühi, Staatshaftungsrecht, 1983, S. 129. Vgl. BGHZ 40, 355 (365); BVerwG DÖV 1981, 917 (918) mit zahlreichen Nachweisen; a. A.: OVG Lüneburg DÖV 1978, 44f. m. krit. Anm. Scholler/Broß. 368a BayObLG BayVBl. 1985, 285; Erichsen, Jura 1986, 196ff., 201. 369 Papier, in: Maunz / Düng / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 471 zu Art. 14 GG. 370 VGH München NVwZ 1983, 423 (424); allg. Papier, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 635 zu Art. 14 GG. 371 BVerwGE 39, 329 (333f.); krit. zu dieser Definition Gerke, Jura 1985, 349ff., 351. 368
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trieb) 372 . Die Entgeltlichkeit der Leistung und die Gewinnerzielung sind häufige, aber nicht ausschlaggebende Merkmale der kommunalen Wirtschaftstätigkeit 373 . Zwischen Leistungsverwaltung und wirtschaftlicher Betätigung bestehen Überschneidungen 374 . Oft wird Daseinsvorsorge mit Hilfe wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinden wahrgenommen. Eine exakte Grenzziehung ist nicht möglich; denn das, was „auch von einem Privatunternehmer betrieben werden könnte", wechselt mit der Zeit. Man denke nur an den Nahverkehr und die Energieversorgung, die den Gemeinden in der Vergangenheit als Leistungsaufgaben zugewachsen sind. Manches hängt auch von den sozialen Anschauungen ab. Eine Privatisierungsdiskussion 375 kann Tätigkeiten der Gemeinden, die nahezu schon als „klassische" Verwaltungsaufgaben anzusehen waren (z. B. Straßenreinigung) in den Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit überwechseln lassen. Ebensowenig schließen sich die Begriffe des kommunalen Wirtschaftsunternehmens und der öffentlichen Einrichtung (s. oben VI 1) aus. Oft sind Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden (z. B. Stadtwerke) zugleich Träger öffentlicher Einrichtungen. Andere Unternehmen erfüllen zwar wichtige öffentliche Aufgaben, wie z. B. kommunale Wohnungsbaugesellschaften, sind aber einer für öffentliche Einrichtungen charakteristischen öffentlichen Nutzung nicht zugänglich. Bei wieder anderen gemeindlichen Unternehmen überwiegt schließlich der erwerbswirtschaftliche Zweck. Gemeindliches Leistungsrecht (vgl. oben zu VI) und gemeindliches Wirtschaftsrecht betrachten die kommunalen Aktivitäten aus unterschiedlichen Richtungen: Dem ersten geht es um die Sicherung der öffentlichen Nutzung, dem anderen um Rahmenvorgaben gegenüber ungehindertem Wirtschaften der Gemeinden. Der letztere Aspekt wiederum ist ein Teil jenes großen Themenbereichs, der nach Zulässigkeit und Grenzen der Wirtschaftstätigkeit des Staates fragt. Das ist zunächst ein Problem des Verfassungsrechts376. Die nachfolgenden Ausführungen nehmen (unter 2) nur die speziell kommunalrechtliche Seite des Problems auf. 2. Kommunalrechtliche Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen: Die Rahmen vorgaben des Gemeindewirtschaftsrechts brauchen sich allerdings nicht auf die kommunale Wirtschaftstätigkeit in 372 373 374
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Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 665. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 665. Badura, ZHR 1983, 448 (449); ferner Engel, Grenzen und Formen mittelbarer Kommunalverwaltung, 1981. Vgl. dazu: Graf Vitzthum, AöR Bd. 104 (1979) 580ff.; Krieger, Schranken der Zulässigkeit der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge mit Anschluß- und Benutzungszwang, 1981; Pappermann, Städtetag 1984, 246ff. Dazu Badura in diesem Lehrbuch, Vierter Abschnitt, III 2 d mit Nachw.; Scholz, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 401 ff. zu Art. 12; Becker, DÖV 1984, 313ff., 316; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 88ff. 177
2. Abschn. VII 2 b
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ganzer Breite zu beziehen. Daher nehmen die meisten Gemeindeordnungen einige Gruppen von Unternehmen aus ihrem Regelungsbereich aus377. Nicht den besonderen Schranken der wirtschaftlichen Betätigung unterliegen danach: — Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist. Hierher zählen z. B. Abfallbeseitigungsanlagen. — Einrichtungen des Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitswesens, der Kunstpflege und Einrichtungen ähnlicher Art. — Hilfsbetriebe, die ausschließlich der Deckung des gemeindeeigenen Bedarfs dienen, z. B. Stadtgärtnerei, Schlosserei für städtischen Busbestand. Auch diese Unternehmen sind nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen und es stehen für sie Organisationsformen des Gemeindewirtschaftsrechts (vgl. unter 4) zur Verfügung. Auch sie dürfen, sofern für sie kein Wettbewerb gleichartiger Privatunternehmen besteht, niemandem Leistungen in Koppelungsgeschäften aufdrängen. Der Umstand jedoch, daß sie typischerweise auf eine Rentabilität verzichten und damit stärker der verwaltenden als der wirtschaftenden Tätigkeit zuzurechnen sind, ermöglicht es, sie von den besonderen Schranken kommunaler Wirtschaftstätigkeit auszunehmen. Dagegen sind den Gemeinden Bankunternehmen generell untersagt. Das öffentliche Sparkassenwesen richtet sich nach besonderen Vorschriften 378 . b) Kommunalrechtliche Schrankentrias: Für die normalen Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden sehen die Gemeindeordnungen eine Schrankentrias vor, die bei Abweichungen in Einzelpunkten einen auf § 67 der Deutschen Gemeindeordnung zurückgehenden gemeinsamen Standard erkennen läßt379/380
— Öffentlicher Zweck: Errichtung, Übernahme und wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen sind nur zulässig, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt. Die begrenzende Wirkung dieser Klausel darf allerdings nicht überschätzt werden. Sicherlich gibt die reine Gewinnerzielung keinen öffentlichen Zweck ab381, selbst wenn ein Ertrag für den Gemeindehaushalt an anderer Stelle als durchaus anzustrebende (Neben-)Folge genannt wird. In Zeiten weitgespannter staatlicher Struktur377
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381
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Vgl. § 102 Abs. 3 GO BW; § 121 Abs. 2 GO He; § 108 Abs. 3 GO Nds; § 88 Abs. 2 GO NRW; § 85 Abs. 2 GO RhPf; § 106 Abs. 2 KSVG Sa; § 101 Abs. 2 GO SchlH. Dazu Weides, DÖV 1984, 41 ff. m. w. N.; v. Mutius, HkWP Bd. 5, 453 ff. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 148; zur neuen Entwicklung Scholz, DÖV 1976, 441 (442ff.); Hidien, DÖV 1983, 1002 (1004); ders., Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und „öffentlicher Zweck" kommunaler Wirtschaftsunternehmen, 1981; Burmeister, in: Fs. f. v. Unruh, S. 623ff.; Schmidt-Jortzig, HkWP Bd. 5, 50ff.; Gerke, Jura 1985, 349ff., 351 f. Zur Fassung der Klauseln in den Gemeindeordnungen der Länder vgl. die Synopse bei Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, nach Rdnr. 686; ders., HkWP Bd. 5, 51. Hidien, Gemeindliche Betätigung rein erwerbswirtschaftlicher Art. 1981, S. 74ff.; Dickersbach, WiV 1983, 187 (210f.).
Kommunalrecht
2. Abschn. VII 3
Politiken dürfte es jedoch den Gemeinden nicht schwer fallen, den Zweckbegriff über die traditionellen Bereiche der Daseinsvorsorge hinaus u.a. auf wirtschaftsfördernde, arbeitsplatzsichernde Aktivitäten auszudehnen. Erleichtert wird das durch die Rechtsprechung, die den Gemeinden bei der Zweckbestimmung eine Einschätzungsprärogative zuerkennt, die richterlicher Überprüfung weitgehend entzogen ist382. — Leistungsfähigkeitsbezug: Gemeindliche Wirtschaftsunternehmen müssen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen. Diese Schranke dient dem Schutz der Gemeinde vor eigener Überaktivität. — sog. Subsidiarität: Die meisten Gemeindeordnungen lassen Wirtschaftstätigkeiten der Gemeinden schließlich nur dann zu, wenn der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt werden kann 383 . Schutzrichtung und Schutzintensität dieser Schranke sind streitig. Sicherlich sollen die Gemeinden nicht in eine ungehinderte Konkurrenz zur Privatwirtschaft treten. Auf der anderen Seite folgt jedoch hieraus kein Konkurrenzschutz des einzelnen Privatunternehmens 384 . c) Rechtsschutz: Demgemäß eingeschränkt ist der Rechtsschutz privater Unternehmen gegen gemeindliche Konkurrenz. Mangels eines subjektivrechtlichen Gehalts der genannten kommunalrechtlichen Schranken bleiben Unterlassungsklagen privater Unternehmer selbst dann erfolglos, wenn eine Überschreitung der ohnehin unscharfen Grenzen nachgewiesen werden könnte. Deshalb wird in den Prozessen häufig versucht, Abwehrrechte direkt aus den Grundrechten abzuleiten. Auch das führt jedoch nur in Ausnahmefällen zum Ziel; denn grundsätzlich schützen Art. 12 und 14 G G nicht vor Konkurrenz — auch nicht vor einer Konkurrenz der öffentlichen Hand 385 . Etwas anderes kann nur gelten, wenn es zu einem unerträglichen Verdrängungswettbewerb oder zur Ausbildung eines gesetzlich nicht abgesicherten Monopols käme 386 . 3. Allgemeine wirtschaftsrechtliche Schranken Die insgesamt geringe Schutzintensität der kommunalwirtschaftlichen Sonderregeln haben die Auseinandersetzungen zwischen Kommunalwirt382 383
384 385 386
BVerwGE 39, 329 (334); Scholz, DÖV 1976, 441 (442); Hidien, DÖV 1983, 1002 (1003). Ob der Grundsatz auch in Baden-Württemberg und Hessen, wo er nicht ausdrücklich genannt ist, gilt, ist Str.; vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 686 mit Fn. 42; verneinend BW VGH NJW 1984, 251 ff. BVerwGE 39, 329 (336); Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 692 mit Nachweisen für die Gegenmeinung in Fn. 49; a. A. Gerke, Jura 1985, 349ff., 355f. BVerwGE 39, 329 (336f.); BVerwG NJW 1978, 1539f.; VGH Mannheim NJW 1984, 251 ff. Vgl. Dickersbach, WiV 1983, 187 (195 ff.). 179
2. Abschn. VII 4a
Eberhard Schmidt-Aßmann
schaft und Privatwirtschaft aus dem Gemeindewirtschaftsrecht hinaus in das allgemeine Wirtschaftsrecht verlagert. Einschlägig sind hier vor allem das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Kartellgesetz (GWB) 387 . Die Streitfälle betreffen meistens nicht die Neuaufnahme, sondern Modalitäten gemeindlichen Wirtschaftens: Der Mißbrauch amtlicher Autorität, die Ausnutzung amtlicher Kenntnisse, der zweckwidrige Einsatz öffentlicher Ressourcen — sie sind es, denen mit der Generalklausel des § 1 UWG begegnet werden kann 388 . Für solche Wettbewerbsstreitigkeiten sind die Zivilgerichte selbst dann zuständig, wenn sich der Klagantrag gegen (schlicht-)hoheitliche Maßnahmen der öffentlichen Hand richtet 389 . .4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen a) Formenvielfalt: Den Gemeinden stehen, um ihren wirtschaftlichen Unternehmen eine rechtliche Form zu geben, zahlreiche Formtypen des öffentlichen und des privaten Rechts zur Verfügung 390 . In beiden Gruppen wiederum gibt es Formen, die ein unterschiedliches Maß an rechtlicher Verselbständigung des Unternehmens auszudrücken vermögen. aa) Unter den öffentlich-rechtlichen Formen ist der Regiebetrieb derjenige Typus, der sich am engsten an die Gemeindeadministration anlehnt und organisatorisch nur eine Abteilung derselben bildet 391 . Wirtschaftlich paßt das nur noch für kleine Betriebseinheiten. Die Standardform dagegen soll der Eigenbetrieb sein, dessen besondere Position im Schnittpunkt wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit und kommunal-organisatorischer Anbindung durch das Eigenbetriebsrecht bestimmt wird (vgl. b). Eigene Rechtsfähigkeit besitzen die kommunalen Sparkassen. Sie sind Anstalten öffentlichen Rechts nach Maßgabe der Sparkassengesetze 392 . Daneben finden sich als Körperschaften öffentlichen Rechts zuweilen Zweckverbände, für die die Anwendung des Eigenbetriebsrechts satzungsmäßig vorgesehen werden kann. bb) Von den privatrechtlichen Formen393 sind vor allem die Aktiengesellschaft und die GmbH im kommunalen Alltag häufig anzutreffen. Kaum zu387 388 389 390
391 392
393
180
Dazu Ulmer, ZHR 1982, 466 (474ff.); Riechmann, AfK 1983, 226ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 361 ff. Ulmer, ZHR 1982, 480; BGH NJW 1982, 2117ff. BGHZ 66, 229ff.; 67, 81 ff. ; a. M.: Bettermann, DVB1. 1977, 180ff. Überblick bei Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 695ff.; Püttner, HkWP Bd. 5, 119ff.; Scholz/Pitschas, dort 128ff.; Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, 1987, 2ff. Zu Fragen der Mitbestimmung in Betrieben der Gemeinden vgl. Püttner, HkWP Bd. 5, 184ff.; Ehlers, JZ 1987, 218ff. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 160 f. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 171 ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 703 ff. mit Nachweisen der landesgesetzlichen Regelungen. Zu den Sparkassen allgemein vgl. Fischer, in: Fs. f. v. Unruh, S. 835ff. Vgl. auch Fn. 378. Dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 179ff.; Kraft, HkWP Bd. 5, 168ff.
2. Abschn. VIII
Kommunalrecht
gänglich ist den Gemeinden demgegenüber die Form der OHG, weil das Kommunalrecht eine gemeindliche Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmen nur dann zuläßt, wenn die Haftung begrenzt ist. Vielfach betreiben Gemeinden Kapitalgesellschaften nicht allein (Eigengesellschaften), sondern als Beteiligungsgesellschaften entweder mit anderen Verwaltungsträgern (gemischt-öffentlich) oder mit Privatpersonen (gemischt-wirtschaftlich) zusammen. Das Gemeinderecht macht es den Gemeinden zur Pflicht, sich einen entsprechenden Einfluß auf die Willensbildung solcher Gesellschaften zu sichern: Einwirkungspflicht394. Das hat in den üblichen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftsrechts zu geschehen, das durch das Kommunalrecht der Länder nicht abgeändert werden kann395. Überhaupt wäre die Einwirkungspflicht mißverstanden, wenn sie im Sinne weitestmöglicher „Gleichschaltung" interpretiert würde. Bei Be/e/figwwgsgesellschaften scheiterte eine solche Vorstellung schon an der Rücksichtnahmepflicht gegenüber anderen Gesellschaftern; aber auch ¿sigengesellschaften sind Bewegungsräume eigenständiger Entscheidungen nicht generell verwehrt395". Gemeindliches Handeln insgesamt ist auf Pluralität der Entscheidungselemente angelegt. b) Eigenbetriebe: Mit ihnen stellt das Kommunalrecht die öffentlich-rechtliche Sonderform eines nicht-rechtsfähigen Unternehmenstyps zur Verfügung396. Rechtlich bleibt die Gemeinde Träger von Rechten und Verbindlichkeiten, die aus den Geschäften des Eigenbetriebs folgen. Organisatorisch und finanzwirtschaftlich ist der Eigenbetrieb jedoch deutlich von der Gemeindeverwaltung abgesetzt. Die interne Organisationsstruktur ist im Rahmen des Eigenbetriebsrechts durch eine Betriebssatzung zu regeln. Geführt wird der Eigenbetrieb durch die Werksleitung. Der Werksausschuß, der ein Ausschuß des Gemeinderats ist, stellt die Verbindung zwischen politischer Führung und ökonomischer Betriebstätigkeit her. Er beschließt über die wichtigeren Angelegenheiten des Betriebs, sofern nicht eine Vorbehaltsaufgabe des Rates vorliegt. VIII. Finanzen und Haushalt Die Grundelemente der gemeindlichen Finanzhoheit, die Abgaben-, Ertrags- und Verwaltungshoheit, (vgl. oben I 1 b dd), haben ihre einfachgesetzlichen Konkretisierungen im kommunalen Finanzsystem (1) und Haushalts394
Püttner, DVB1, 1975, 353ff.; Nesselmüller, Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden auf ihre Eigengesellschaften, 1977, insbes. 61 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 130ff.; Hauser, Wahl der Organisationsform (Fn. 390), 65ff.; Kraft, Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1982, 20ff. 395 Nesselmüller, a . a . O . , S.91ff. m . w . N.; Barbey, WiV 1978, 77 (94); Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, 235ff.; Fischer, AG 1982, 85ff. 395a Zu aktuellen Problemen der Einflußnahme vgl. Püttner, DVB1 1986, 748 ff. 396 Vgl. § 103 GO BW; Art. 95 GO Bay; § 127 GO He; § 113 GO Nds; § 93 GO N R W ; § 9 2 GO RhPf; § 112 KSVG; § 106 GO SchlH; Zeiss, HkWP Bd. 5, 153ff. Zum Vorrang des Eigenbetriebs Süß, BayVBl. 1986, 257 ff. 181
2. Abschn. VII11
Eberhard Schmidt-Aßmann
recht (2) gefunden. Stärker noch als der Bereich staatlicher und kommunaler Raumplanungen ist das Finanzwesen heute der eigentlich neuralgische Punkt im Spannungsfeld von Staat und Selbstverwaltung, von Verfassungsrecht und Verwaltungsrealität. Das Problem liegt in der nicht hinreichenden Finanzausstattung der Gemeinden, in einer dadurch verursachten weiteren Verengung ihres Handlungsspielraums und, als Spiegelbild des Mißstandes, in ihrer zu hohen Pro-Kopf-Verschuldung 397 . So richtig es ist, die Gewährleistung eines hinlänglichen Finanzaufkommens in den Garantiebereich der Finanzautonomie (Art. 28 Abs. 2 GG) einzubeziehen, so wenig ist es bisher gelungen, ein Finanzsystem zu finden, das die Gemeinden in einer der Konnexität von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung entsprechenden Art am öffentlichen Finanzaufkommen beteiligt 398 . Das Recht der Kommunaleinnahmen steht, wie die Entwicklung des Gewerbesteuerrechts beispielhaft zeigt, in fortgesetzter Auseinandersetzung und Veränderung 399 . Vor diesem Hintergrund sind die Angaben zum gemeindlichen Finanzsystem zu sehen, die folgendes Schaubild verdeutlichen kann 4 0 0 .
1. Gemeindefinanzsystem In das Gesamtaufkommen der von Gemeinden und Gemeindeverbänden erzielten Einnahmen (1986: 170 Mrd. DM) teilen sich die Haupteinnahmearten folgendermaßen: Steuern (32%); Gebühren und Beiträge (23%); Finanzzuweisungen (27%). Für die einzelne Gemeinde können die entsprechenden Zahlen von diesen Angaben erheblich abweichen, wie denn überhaupt die individuelle Finanzsituation durch vorgegebene spezifische Belastungs- und Begünstigungsfaktoren — aber auch durch eine behutsame oder aber durch eine zu leichtfertige Haushaltspolitik früherer Jahre (!) — deutlich besser oder schlechter aussehen kann, als es die Durchschnittswerte der Statistiken indizieren 401 . Weitere Einnahmen fließen z. B. aus der Wirtschaftstätigkeit.
397
398
399
400
401
182
Dazu den jährlichen „Gemeindefinanzbericht", vgl. Karrenberg / Münstermann, Städtetag 1987, 48 ff. Zur Darstellung dieses Problems grundlegend Kirchhof, HkWP Bd. 6, 3ff.; Pohmer/Saile, HkWP Bd. 6, 85ff.; zur Finanzhoheit ferner die Nachw. oben Fn. 63 — 65, 76, 92; v. Mutius / Hennecke, Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, 1985. Anschaulich die Angaben von Karrenberg / Münstermann, Städtetag 1987, 69 - 77; ferner Fürst / Hesse / Richter, Stadt und Staat, 1984, 125ff. und 265ff. Systematisch Hennecke, Jura 1986, 568 ff., dessen Beitrag das folgende Schaubild entstammt; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 744ff.; Geske, HkWP Bd. 6, 29ff.; Hansmeyer, dort 69ff.; Pagenkopf, Das Gemeindefinanzsystem und seine Problematik, 1978. Zum öffentlichen Finanzsystem allg. Kirchhof, Jura 1983, 595 ff. Nachweise zu regionalen und lokalen Unterschieden bei Karrenberg / Münstermann, Städtetag 1987, bes. S. 53, 57, 59.
2. Abschn. VIII 1 a
Kommunalrecht Das Gemeindefinanzierungssystem
(H. G. Henneke, Das Gemeindefinanzsystem, Jura 86, S. 573)
a) Steuereinnahmen: (aa) Unter den Steuereinnahmen der Gemeinden machen die Realsteuern nach wie vor gut die Hälfte aus402. Realsteuern sind die Gewerbesteuer und die Grundsteuer (§ 3 Abs. 2 der AbgabenO vom 16. 3. 1976, BGBl I S. 613 - AO). Beide Steuern, deren Ertragshoheit prinzipiell bei den Gemeinden liegt (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 1 GG), werden auf Grund eines Bundesgesetzes erhoben. Den Gemeinden ist das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze Hebesätze festzusetzen. Sie haben dadurch die Möglichkeit, in begrenztem Umfange die Steuerlast ihrer Einwohner in Abstimmung mit ihrem Finanzbedarf gemeindespezifisch zu bestimmen. Allerdings wird sich eine Gemeinde hüten, den Höchstrahmen des Hebesatzrechts bei der Gewerbesteuer auszunützen, weil sie damit den Fortzug von Gewerbebetrieben riskiert. 402
Einzelheiten zu den Grundlagen und zur Festsetzung der Realsteuern bei Haverkamp und Milbradt, HkWP Bd. 6, 117ff. und 128ff.; Hennecke, Jura 1986, 568ff. (574 ff.). 183
2. Abschn. VII11 a
Eberhard Schmidt-Aßmann
Ein zweiter bedeutsamer Teil des gemeindlichen Steueraufkommens ist der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer gem. Art. 106 Abs. 5 GG 403 . Nach dieser Vorschrift erhalten die Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner einen Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer. Die Höhe des Anteils ist durch das GemeindefinanzreformG idF vom 28. 1. 1985 (BGBl. I S. 202) auf zur Zeit 15% festgesetzt. Auch diese Einnahme entspringt einer originären gemeindlichen Ertragshoheit; sie ist keine Finanzzuweisung404. Demgegenüber spielen die in Art. 106 Abs. 6 S. 2 HS 2 GG den Kommunalkörperschaften weiterhin zugewiesenen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern nur eine untergeordnete Rolle405. Diese auf Landesgesetzen (Art. 105 Abs. 2 a GG) beruhenden sog. kleinen Gemeindesteuern oder Bagatellsteuern (z. B. Getränke-, Hunde-, Jagd-, Speiseeis- u. Vergnügungssteuer) machen insgesamt nur ca. 2% des gemeindlichen Steueraufkommens aus. Für die einzelne Gemeinde wiederum können einzelne dieser Steuerarten gleichwohl interessant sein. Das haben die Auseinandersetzungen um die Zweitwohnungssteuer gezeigt406. (bb) Können sich die Gemeinden durch Satzung nicht auch ohne bundesoder landesgesetzliche Grundlage weitere Steuerquellen erschließen? Diese Frage nach einem gemeindlichen Steuererfindungsrecht ist schon aus rechtsstaatlichen Gründen zu verneinen 407 : Die Erhebung von Steuern stellt rechtsdogmatisch einen Eingriffsvorgang dar, der besonderer Grundlage im parlamentarischen Gesetz bedarf. Die Generalermächtigung der Gemeindeordnungen zum Erlaß von Satzungen reicht dazu nicht aus (vgl. V 1 b). Nur der staatliche Gesetzgeber kann den Gemeinden daher Steuerquellen erschließen408. Soweit es der Landesgesetzgeber ist, hat er dabei zusätzlich das Gleichartigkeitsverbot des Art. 105 Abs. 2 a GG zu beachten 409 . Jenseits dieser rechtsstaatlichen Gründe kann zudem die Systematik der Art. 105 — 107 GG gegen ein Steuererfindungsrecht der Gemeinde sprechen410.
403 404
405
406
407
408
409 410
184
Dazu Lenz, HkWP Bd. 6, S. 141 ff. Kirchhof, HkWP Bd. 6, 2ff., 19; Hennecke, Jura 1986, 586ff„ 574 („quotale Steuerertragsbeteiligung"). Vgl. Kirchhof, HkWP Bd. 6, 2 ff., 21; Einzelheiten bei Bayer, HkWP Bd. 6, 156 ff., bes. 200 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit der Zweitwohnungssteuer BVerfGE 65, 325ff.; BVerwGE 58, 230ff.; Bayer, HkWP Bd. 6, 156, 207ff. Ebenso Hennecke, Jura 1986, 568ff., 571; a.M. Meyer, in: Meyer/Stolleis, HessStuVwR, S. 189f.; Bleckmann, DVB1 1987, 1085ff. Zur Bestimmtheit entsprechender Ermächtigungen in dem KommunalabgabenG vgl. Bayer, HkWP Bd. 6, 156ff„ 163ff., 171, 180ff. Vgl. die Nachw. in Fn. 406. Dazu Hennecke, Jura 1986, 568 ff., 571 mit Nachw.
2. Abschn. VII11 c
Kommunalrecht 41
b) Gebühren und Beiträge Gebühren sind Gegenleistungen für besondere administrative Tätigkeiten (Verwaltungsgebühren) oder für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen (Benutzungsgebühren). Beiträge sind Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes für die Herstellung und Erweiterung öffentlicher Einrichtungen dienen. Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung dieser Abgaben finden sich teilweise in Spezialgesetzen, z. B. in §§ 127 ff. BauGB für Erschließungsbeiträge, im übrigen in den KommunalabgabenG (KAG) der Länder412. Auf ihrer Grundlage müssen die Gemeinden den Kreis der Abgabenschuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab u. ä. generell-abstrakt in Gebühren- oder Beitragssatzungen festlegen. Für das konkrete Erhebungsverfahren sehen die KAG der Länder in weitem Umfang eine analoge Anwendung des Verfahrensrechts der AO 1977 vor413. c) Finanzzuweisungen: In diese Gruppe gemeindlicher Einnahmen gehören zum einen spezielle Zuweisungen auf Grund besonderer Investitionsprogramme (z. B. Art. 104 a Abs. 4 GG) oder besonderen Titels (z. B. Art. 106 Abs. 8 GG). Vor allem aber sind es Zuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs4'4. Der Kern des Instituts liegt in der Pflicht der Länder, gem. Art. 106 Abs. 7 GG von ihrem Gesamtanteil an den Gemeinschaftsteuern (Abs. 3) einen bestimmten Hundertsatz den Kommunen und Kommunalverbänden weiterzugeben. Manche Landesverfassungen erweitern diesen Ansatz um zusätzliche Ausgleichstatbestände oder normieren eine allgemeine Finanzausgleichspflicht415. Insgesamt ist das Institut heute als ein integraler Teil der gemeindlichen Finanzautonomie anerkannt416. Seine Ausgestaltung im einzelnen ist Sache des Landesgesetzgebers. Demgemäß besitzen alle Flächenländer FinanzausgleichsG (FAG) — komplizierte Rechenwerke, die wegen ihres deutlichen Maßnahmen- und Situationsbezuges fortgesetzt der Änderung bedürfen417. 411
412
413 414
415 416 417
Zu den Definitionen vgl. z. B. § 4 Abs. 2, § 8 Abs. 2 KAG NRW; Kirchhof, Jura 1983, 505 ff., 511, 513; Wolff / Bachof, VerwR I, §42 I I a 2; speziell zum Gebührenbegriff ferner BVerfGE 50, 217ff„ 226. Einzelheiten bei Wilke und Lehmann, HkWP Bd. 6, 246ff. und 260ff.; Thiem, Allgemeines kommunales Abgabenrecht, 1985; ferner Lehmann, Kommunale Beitragserhebung, 1983; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 1984. Zur jüngeren Entwicklung des Kommunalabgabenrechts Gern, NVwZ 1985, 241 ff., NVwZ 1986, 713ff. und NVwZ 1987, 1042ff. Vgl. die Nachw. bei Thiem, Allgemeines kommunales Abgabenrecht, 3 ff. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 779ff.; vgl. ferner Hoppe (Hrsg.), Reform des kommunalen Finanzausgleichs, 1985. Vgl. die Nachw. in Fn. 92. Kirchhof, HkWP Bd. 6, 2ff„ 23; vgl. auch Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG. Vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 782ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 22ff., insbes. 41 ff.; Katz, HkWP Bd. 6, 303ff.; R. Voigt, Das System des kommunalen Finanzausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland, 1980; ferner die ökonomisch-statistische Analyse von J. Deubel, Der kommunale Finanzausgleich in Nordrhein-Westfalen, 1984; Patzig, DÖV 1987, 1088ff. 185
2. Abschn. VIII 2a
Eberhard Schmidt-Aßmann
Die Ausgleichsmasse wird zum wesentlichen Teil von dem jeweiligen Land (vertikaler F.), zu einem kleineren Teil von den Gemeinden selbst (horizontaler F.) aufgebracht. Bei der Vergabe wird zwischen allgemeinen und zweckgebundenen Zuweisungen unterschieden: Allgemeine Zuweisungen (SchlüsselZ., BedarfsZ.) stehen den Gemeinden zu freier Verwendung. Ihre Höhe richtet sich u. a. nach der Steuerkraft der einzelnen Gemeinde, deren Unterschiede sie mildern sollen. Zweckzuweisungen sind in der Verwendung gebunden. Sie dienen zum Teil dem Sonderlastenausgleich (z. B. Schulwesen, ÖPNV, Straßen), zum anderen Teil der Steuerung der öffentlichen Infrastrukturpolitik und werden wie andere staatliche Investitionszuschüsse teilweise nur unter sehr genauen Dotationsauflagen vergeben418. 2. Haushaltsrecht Der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen die Gemeinden ihre Einnahmenund Ausgabenhoheit auszuüben haben, ist das gemeindliche Haushaltsrecht. Das Haushaltsrecht gibt dem kommunalen Finanzgebaren Struktur (Übersichtlichkeit, Stabilität, Überprüfbarkeit). Rechte und Pflichten Dritter begründet es dagegen i.d.R. nicht419; so folgt die Befugnis zur Abgabenerhebung aus den Abgabengesetzen, nicht aus dem Haushaltsrecht. Die haushaltsrechtlichen Abschnitte der Gemeindeordnungen 420 — regelmäßig im Kontext der „Gemeindewirtschaft" — und die dazugehörigen Verordnungen der Länder421 sind dem durch das HaushaltsgrundsätzeG vom 19. 8. 1969 (BGBl. I S. 1273 — HGrG) vereinheitlichten Haushaltsrecht für Bund und Länder nachgebildet (§§ 1, 48 HGrG)422. a) Haushaltssatzung, Haushaltsplan: Im Zentrum des Gemeindehaushaltsrechts steht die Pflicht der Gemeinde, für jedes Haushaltsjahr eine Haushaltssatzung zu erlassen. Die Haushaltssatzung enthält die Festsetzung des Haushaltsplanes unter Angabe des Gesamtbetrages der Einnahmen und Ausgaben, der vorgesehenen Kreditaufnahmen und Verpflichtungsermächtigungen; außerdem legt sie den Höchstbetrag der Kassenkredite und die jährlich neu festzusetzenden Steuersätze fest. Mag die Haushaltssatzung im äußeren Erscheinungsbild von anderen gemeindlichen Satzungen abweichen, so ist sie 418 419
420
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186
Zur Kritik dieser Praxis Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 795. Ausnahmen hiervon z. B. für die Festsetzung der Steuersätze in der Haushaltssatzung. §§ 77ff. GO BW; Art. 61 ff. GO Bay; §§ 92ff. GO Hessen; §§ 82ff. GO Nds; §§ 62ff. GO NRW; §§ 93ff. GO RhPf; §§ 80ff. KSVG Sa; §§ 75ff. GO SchlH. Die Gemeindehaushaltsverordnungen (GemHVO), Gemeindekassenverordnungen (GemKVO) der Länder. Vgl. die Darstellung von Fuchs, HkWP Bd. 6, 399ff.; ders., Kommunales Haushaltswesen, 1983; Depiereux, Grundriß des Gemeindehaushaltsrechts, 1984; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 827 ff., Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, S. 206, 207.
2. Abschn. IX
Kommunalrecht
doch in ihren rechtsdogmatischen Bezügen grundsätzlich wie alle anderen Satzungen zu behandeln (vgl. oben V 1 a und c)423. Für einzelne Teile der Haushaltssatzung bestehen aufsichtsbehördliche Genehmigungsvorbehalte (dazu oben II 4b). Für das Aufstellungsverfahren sehen manche Länder (BW, NRW) eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Wichtigster Teil der Haushaltssatzung ist der Haushaltsplan. Er hat die im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen und zu leistenden Ausgaben zu enthalten. Seine Gliederung in einen Verwaltungs- und einen Vermögenshaushalt, in Gesamtplan und Einzelpläne (einschl. eines Stellenplanes), werden durch die Gemeindehaushaltsverordnungen (GemHVO) im einzelnen vorgegeben424. Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Seine Erarbeitung durch die Gemeindeverwaltung (Kämmerer) und den Haushaltsausschuß des Rates ist regelmäßig ein schwieriger kommunalpolitischer Abstimmungsprozeß. Das Haushaltsrecht kann mit seinen Grundsätzen425 (Vorherigkeit, Einnahmen- und Ausgabentrennung, Spezialität, Vollständigkeit etc.) nur einen sehr weitgesteckten rechtlichen Rahmen bieten. b) Haushaltsvollzug: Mit dem Inkrafttreten der Haushaltssatzung ist die Gemeindeverwaltung ermächtigt, die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben zu tätigen bzw. die vorgesehenen Verpflichtungen einzugehen426. Die veranschlagten Einnahmen hat sie nach den Maßstäben des materiellen Rechts (z. B. Abgabenrecht, Vertragsrecht) hereinzuholen sich zu bemühen427. Die Abwicklung der Geldgeschäfte im einzelnen ist durch die Gemeindekassenverordnungen rechtlich geregelt. Nach Abschluß des Haushaltsjahres ist die Verwaltung zur Rechnungslegung verpflichtet, an die sich die örtliche und überörtliche Rechnungsprüfung428 anschließt. IX. Das Recht der Landkreise (Kreise) Alle Flächenländer kennen oberhalb der Gemeindeebene einen weiteren kommunalen Verwaltungsträger, den Kreis (Landkreis). Ursprünglich eine Organisationsform des ländlichen Raumes429, haben sich die Kreise mittler423 424 425 426 427 428 429
Ebenso Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 874. Dazu Fuchs, HkWP Bd. 6, 399ff., 402ff.; mit Anschauungsmaterial SchmidtJortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 850 ff. Zu diesen Grundsätzen im Haushaltsrecht vgl. Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, 1981, S. 109 ff. Fuchs, HkWP Bd. 6, 399ff„ 413. Zu Abgabenverträgen und zum Verzicht auf Kommunalabgaben Gern, KStZ 1985, 81 f.; ders., NVwZ 1986, 713ff., 718. Dazu Siedentopf, HkWP Bd. 6, 529 ff. Zu Organisation, Aufgaben und Handlungsformen der Kreise ausf. das sechsbändige Handbuch „Der Kreis", hrsg. vom Verein für die Geschichte der Deutschen Landkreise (zit. Der Kreis). 187
2. Abschn. IX 1 a
Eberhard Schmidt-Aßmann
weile weit in die Randzonen der Verdichtungsgebiete vorgeschoben. Kreisangehörig sind heute nicht nur kleine Landgemeinden, sondern auch Städte, die die Schwelle von 100000 Einwohnern längst überschritten haben (s. unten III vor 1). Etwa zwei Drittel der Einwohner und ca. 95% der Fläche der Bundesrepublik entfallen auf den kreisangehörigen Lebensraum 430 . Die Kreise sind rechtsfähige kommunale Verwaltungseinheiten mit dem Status der Gebietskörperschaft. Sie sind Gemeindeverbände, deren Mitglieder jedoch nicht die kreisangehörigen Gemeinden, sondern die Kreiseinwohner sind. Rechtsstellung, Aufgabenerfüllung, Organisation und Handlungsformen ähneln daher denjenigen der Gemeinden und brauchen im Rahmen eines Grundrisses nur kurz erläutert zu werden (vgl. 1 — 3). Außerdem ist das Gebiet des Kreises zugleich das Gebiet der unteren (allgemeinen) Verwaltungsbehörde (s. unter 4). Die meisten Kreisordnungen haben diese Doppelung kreiskommunaler und staatlicher Aufgabenwahrnehmung schon in den Einleitungsbestimmungen deutlich hervor und folgen dann einer Gliederung, die sich ausführlicher zunächst mit dem Kreis als Kommunalkörperschaft und in einem späteren Teil mit Organisationsfragen der staatlichen Verwaltung im Kreis(gebiet) beschäftigt. 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung Nach Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG haben auch die Gemeindeverbände im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Aus dieser Vorschrift folgt eine Garantie auch der kreiskommunalen Selbstverwaltung, die der gemeindlichen Garantie zwar nicht an Schutzintensität, wohl aber im Aufbau vergleichbar ist (vgl. oben I l) 431 . a) Rechtssubjektsgarantie: Die erste Garantieebene ist auch hier eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie. Die Elemente der eigenen Rechtsfähigkeit und der körperschaftlichen Organisation folgen schon aus dem Begriff des Gemeindeverbandes. Vom Wortlaut her nicht eindeutig ist dagegen, ob der garantierte Gemeindeverband die typusbestimmenden Merkmale gerade des Kreises aufweisen muß oder aber auch das Gepräge eines anderen „Gemeindeverbandes" (vgl. unter X) tragen könnte 432 . Die Antwort ergibt sich jedoch, nimmt man Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG hinzu. Wenn dort die unmittelbare Volkswahl außer für die Länder und die Gemeinden nur noch für die Kreise zur Pflicht gemacht wird, so zeigt das, daß die Verfassung gerade auf diesen Typus eines Gemeindeverbandes gesteigertes Gewicht legt. Wenn also in Art. 28 Abs. 2 S. 2 G G wenigstens eine Gemeindeverbandsebene institutionell garan-
430 431 432
188
Seele, HkWP Bd. 2, 343. Vgl. Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 161 ff. Dazu Wiese, Garantie der Gemeindeverbandsebene, 1972, 17 ff.
Kommunalrecht
2. Abschn. IX 1 b
tiert wird, so kann das nur ein am Typus des Kreises ausgerichteter Verband sein433. b) Rechtsinstitutionsgarantie: Die Frage nach dem notwendigen Aufgabenbestand und der Art der Aufgabenerfüllung ist Gegenstand der Institutionsgarantie des Selbstverwaltungsrechts. Die Verfassung sagt, es sei auch den Gemeindeverbänden, allerdings nur „im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenkreises", gewährleistet. Sicherlich muß dieser Aufgabenkreis so bemessen sein, daß eine Selbstverwaltung mit eigener, unmittelbar gewählter politischer Legitimationsbasis lohnt. Im übrigen aber ist der Garantiegehalt hier deutlich geringer als im Falle des gemeindlichen Aufgabenkreises, dem „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" von Verfassungs wegen zugeschrieben sind. Aus dieser Abweichung des Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG gegenüber S. 1 wurde nach überkommener Auffassung 434 speziell für die Aufgabenabgrenzung zwischen Kreis und Gemeinde ein verfassungsunmittelbarer Vorrang gemeindlicher Kompetenz abgeleitet, der als Subsidiaritätsprinzip bezeichnet wird. Dem ist das Bundesverwaltungsgericht jedoch in der Rastede-Entscheidung vom 4. 8. 1983 entgegengetreten435. Das Gericht anerkennt, daß Art. 28 Abs. 2 GG in der Frage der Aufgabenzuweisung ein Regel-Ausnahmemechanismus zugrundeliege. Darin soll jedoch keine unterschiedliche Wertigkeit von Gemeinden und Kreis ausgedrückt werden, die den Gesetzgeber bei Verteilungsentscheidungen zusätzlich binden könne. Richtig daran ist, daß Gemeinden und Kreise nicht zu „feindlichen Brüdern" hochstilisiert werden dürfen, wie das zuweilen geschehen ist436. Beide haben Angelegenheiten der engeren räumlichen Gemeinschaft mit den Mitteln der Selbstverwaltung zu erfüllen. Auf der anderen Seite ist auch hier ohne Abgrenzungen nicht auszukommen, weil sich in einem großen Durcheinander der Sog des stärkeren Aufgabenträgers einseitig durchsetzen würde. Für diese Grenzziehung müssen auch dem Gesetzgeber verfassungsrechtliche Maßstäbe an die Hand gegeben werden. Als solche Maßstäbe reichen jedoch, wie das Bundesverwal433
434
435
436
So z. B. auch Roters, in: v. Münch, GGK, Rdnr. 59 zu Art. 28 GG m. w. N. Aber auch soweit nicht auf den Kreis der bisherigen Formentypik abgehoben wird, verlangt man einen Verband, der „der herkömmlichen Kreisorganisation sehr nahe kommt"; so Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 170. OVG Lüneburg, DÖV 1980, 417 (418f.); VerfGH N R W DÖV 1980, 691 (692) mit Anm. Blümel, DÖV 1980, 693ff.; VerfGH N R W NVwZ 1983, 468 (469); Knemeyer, DVB1. 1984, 23ff.; Blümel, VerwArch 1984, 197ff. BVerwGE 67, 321 ff.; ablehnend gegenüber der Subsidiarität bisher schon v. Unruh, DVB1. 1980, 903 (904f.); Schmidt-Jortzig/Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, 1982, S. 49ff., Weides, NVwZ 1984, 155ff.; Papier, DVB1. 1984, 453ff.; Schmidt-Jortzig. DÖV 1984, 821 ff.; Loschelder, Die Befugnis des Gesetzgebers (Fn. 67a), pass.; Schnur, DV 1986, 39ff.; weit. Nachw. bei Erlenkämper, NVwZ 1987, 21 (27). Gegen einen „Kommunalegoismus" auch BVerfG NVwZ 1982, 95 f. 189
2. Abschn. IX 2 b
Eberhard Schmidt-Aßmann
tungsgericht zutreffend sagt, die allgemeinen Regeln (Kernbereich, Verhältnismäßigkeitsprinzip) aus, ohne daß zusätzlich ein Subsidiaritätsprinzip bemüht werden muß. Von diesen Besonderheiten der kreislichen Aufgabengarantie abgesehen, gilt für die eigenverantwortliche Wahrnehmung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und für die gesetzliche Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit dasselbe, was für die gemeindliche Garantie beachtlich ist (s. oben I 1 b). Das trifft auch für die Rechtsetzungs-, Personal-, Organisations- und Finanzhoheit zu, ohne die eine kreisliche Selbstverwaltung nicht möglich ist437. Zu einer integralen Raumplanungshoheit dagegen haben es die Kreise bisher nicht gebracht 438 . Im verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Schutz ihrer Rechte stehen die Kreise den Gemeinden nicht nach 439 . 2. Aufgaben der Kreise Bei der Sichtung der Kreisaufgaben stellen sich zwei Probleme. Zum einen geht es um die Typisierung des staatlichen Einflusses (a). Zum anderen bereitet die Verteilung der Aufgaben zwischen dem Kreis und seinen Gemeinden Schwierigkeiten, wenn eine gesetzliche Zuweisung nicht getroffen ist (b). a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung: Hier greifen die Länder in ihren Kreisordnungen auf die aus dem Gemeinderecht bekannten Gliederungsmodelle zurück 440 : Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und das Saarland folgen einem Dualismus von Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten. Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein halten es dagegen mit dem Monismus der freien und Pflichtigen Selbstverwaltungs- sowie der Weisungsaufgaben. Die dogmatischen Konsequenzen für die staatliche Aufsicht und den Rechtsschutz der Kreise sind dieselben wie bei den Gemeinden (s. oben II 2 — 4). Daneben spielen für die Verwaltung im Kreis staatliche Sonderbehörden und die Tätigkeit der Kreisverwaltung als untere staatliche Verwaltungsbehörde eine wichtige Rolle (vgl. unten 4). b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden: Sie ist zunächst ein Problem gesetzlicher Zuweisung und hat sich dabei an den aufgezeigten Verfassungsmaßstäben zu orientieren (vgl. oben 1). Wo eine spezielle gesetzliche Zuweisung jedoch nicht vorliegt, wie das für die freien Selbstverwaltungsaufgaben gilt, ist eine Verteilungsregel in den aufgabenrechtlichen Generalklauseln zu suchen, wie sie sich in allen Kreisordnungen 437
438
439 440
190
Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 173f.; vgl. auch VerfGH NRW, NVwZ 1983, 468f. zur Finanzhoheit. Kirchhof, Kreisordnung NRW, § 1 Anm. 11 ff. Eine Ausnahme gilt für Niedersachsen. Hier sind die Kreise für ihr Gebiet Regionalplanungsträger; vgl. § 7 NROG. Vgl. v. d. Heide, in: Der Kreis, Bd. 4a, 313 ff. Zu den Kreisgarantien der Landesverfassungen Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 184f. Vgl. die Darstellung von Seele, in: Der Kreis, Bd. 3, 387 f.
Kommunalrecht
2. Abschn. IX 2 b
findet441. Dabei entstehen schwierige Abgrenzungsfragen. So unbestreitbar es ist, daß die Kreise ihre sog. Existenzaufgaben (eigenes Organisations-, Personal- und Finanzwesen) müssen wahrnehmen können, so deutlich wird, daß bei den eigentlichen Sachaufgaben, um die Kreise und Gemeinden konkurrieren, mit den Grundsätzen der Priorität oder mit einer spezifischen Gebietsbezogenheit (Regionalprinzip) nicht weiterzukommen ist. Zur Systematisierung hat sich im Schrifttum eine Dreiteilung der Aufgaben eingebürgert 442 : aa) Übergemeindlich sind Aufgaben, die sich kraft Natur der Sache einer einzelgemeindlichen Wahrnehmung entziehen. Als Beispiele genannt werden die Überwachung der Luftverschmutzung, Bau und Unterhaltung von Kreisstraßen, großmaßstabliche Versorgungs- und Verkehrsbetriebe. Freilich beginnen hier alsbald wieder Abgrenzungsstreitigkeiten; denn technisch ist heute nahezu jede Materie auch von einer einzelnen Gemeinde zu erfüllen, mag auch der dann notwendige Koordinationsaufwand unvertretbar in die Höhe schnellen. Die Einstufung einer Aufgabe als übergemeindlich ist folglich nicht ohne Werturteil über die Zweckhaftigkeit einer gemeindlichen oder kreislichen Trägerschaft zu treffen. bb) Ergänzende Aufgaben sind demgegenüber solche, die jedenfalls manche kreisangehörigen Gemeinden wegen geringer Leistungsfähigkeit nicht wahrnehmen können. Ihr Bestand schwankt folglich von Kreis zu Kreis und oft auch innerhalb des Kreises. Was eine große kreisangehörige Stadt gut allein erfüllen kann, geht über die Kraft kleinerer Gemeinden des gleichen Kreises hinaus. Deshalb begründet der Ergänzungsfall oft keine das gesamte Kreisgebiet umfassende Kompetenz des Kreises. Zuweilen wird hier auch ein Vorrang zweckverbandlicher Erledigung oder eine andere Ausprägung einer einfachgesetzlichen Subsidiarität von den Kreisordnungen ins Spiel gebracht443. cc) Ausgleichende Aufgaben sind Kreisaufgaben, die sich in der Unterstützung einzelgemeindlicher Aufgabenerfüllung erschöpfen. So einfach die Ausgleichsfunktion aus dem Solidargedanken zu begründen sein mag, so streitig ist ihr Umfang. Sicher gehören technische Verwaltungshilfen in ihren Rahmen. Ob der Kreis aber zum Ausgleich unterschiedlicher Verwaltungskraft einzelner Gemeinden außerdem Finanzhilfen gewähren darf, ist streitig — streitig deshalb, weil ein solcher Ausgleich Geld kostet, das zu erheblichen Teilen über die Kreisumlage von anderen Gemeinden aufgebracht werden 441
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443
Vgl. § 2 Abs. 1 KrO BW; Art. 4 Abs. 1 LKrO Bay; § 2 Abs. 1 KrO He; § 2 Abs. 1 KrO Nds; § 2 Abs. 1 KrO NRW; § 2 Abs. 1 S. 1 LKO RhPf; § 139 Abs. 1 KSVG Sa; § 2 Abs. 1 KrO SchlH. Vgl. zum folgenden Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 573ff.; Schnapp, Zuständigkeitsverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden, 1973, 6ff.; Laux, in: Der Kreis, Bd. 1, 93 (101 ff.); Kirchhof, Kreisordnung NRW § 2 Anm. 5ff.; Seele, in: Der Kreis, Bd. 3, 349ff.; Schnur, DV 1986, 39ff., bes. 49ff. Vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 KrO NRW. Beispiele bei Schink, in: Schmidt-Jortzig/Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, 1982, S. 111 ff. 191
2. Abschn. IX 3 a
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muß. Die Kommunalgesetze ermächtigen die Kreise zwar zur Erhebung einer Kreisumlage und geben dazu gewisse Bemessungsgrundlagen vor; doch darf das Institut nicht zu einer nachhaltigen Verkürzung der gemeindeeigenen Finanzbasis führen 444 . dd) Kompetenz-Kompetenz: Trotz der genannten Systematisierungen sind Kreis- und Gemeindeaufgaben nach materiellem Recht oft nicht exakt zu trennen. Die meisten Kreisordnungen 445 sehen daher zusätzlich einen Verfahrensmechanismus vor, die Kompetenz-Kompetenz. In mehr oder weniger ausgeprägtem Umfange wird den Kreisen damit das Recht eingeräumt, gewisse Gemeindeangelegenheiten — vor allem solche im Grenzbereich der Ergänzungsaufgaben — durch Kreistagsbeschluß verbindlich zur Kreisangelegenheit zu erklären. Zum Schutz der Gemeinden sind besondere Kautelen, z. B. qualifizierte Mehrheiten bei der Beschlußfassung, vorgesehen. Insgesamt wird dieses dezisionistische Lösungsmittel wegen seiner Konfliktanfälligkeit in der kommunalen Praxis wenig verwandt. 3. Die Organe des Kreises Der interne Kreisaufbau ergibt sich aus der gebietskörperschaftlichen Natur der Kreise. Die Mitglieder des Kreises sind seine Einwohner, nicht die kreisangehörigen Gemeinden, deren Gebiet das Kreisgebiet ausmacht. Folglich ist der Kreis unitarisch organisiert. Die Gemeinden sind an der Verwaltung des Kreises nicht beteiligt. Das zentrale Entscheidungsgremium ist der aus direkten Wahlen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) hervorgegangene Kreistag. Ihm stellen alle Kreisordnungen ein monokratisches Konkretionsorgan gegenüber, den Landrat/Oberkreisdirektor. Außerdem sehen alle Länder bis auf Baden-Württemberg einen Kreisausschuß vor. Im Zusammenspiel dieser Organe weisen die Kreisordnungen einen erheblichen Variantenreichtum auf 446 . a) Kreistag: Er besteht aus den gewählten Repräsentanten der Kreiseinwohner (Kreisverordnete, Kreistagsabgeordnete), die ehrenamtliche Mandatsträger sind. Den Vorsitz führt teils mit (Bayern, Rheinl.-Pf.), teils ohne Stimmrecht (Bad.-Württ., Saarl.) der Hauptverwaltungsbeamte oder ein aus der Mitte des Kreistages gewählter Vorsitzender 447 , der in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die sonst für den Hauptverwaltungsbeamten übliche 444
445
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447
Vgl. dazu Friauf/ Wendt, Rechtsfragen der Kreisumlage, 1980, S. 34ff. m. w. N.; VerfGH NW DÖV 1983, 726f.; Schmidt-Jortzig, Zur Verfassungsmäßigkeit von Kreisumlagesätzen, 1977, S. 14, 39ff., 58f.; Thieme, DVB1. 1983, 965ff.; Wagener (Hrsg.), Kreisfinanzen, 1982, S. 1, 53ff.; allgemein Hacker, in: Der Kreis, Bd. 2, 357ff.; OVG Koblenz DÖV 1986, 342ff.; OVG Lüneburg DÖV 1986, 1020ff. § 2 Abs. 2 KrO BW; § 19 KrO He; § 3 Abs. 2 KrO Nds; § 2 Abs. 2 KrO RhPf; § 139 Abs. 4 KSVG Sa; § 21 KrO SchlH. Nicht in Bay und NRW. Dazu Püttner, in: Der Kreis, Bd. 1, 137ff.; Seele, HkWP Bd. 2, 343ff.; ders., in: Der Kreis, Bd. 3, 81 ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 294ff. Vgl. Hirte, DÖV 1986, 232ff.
192
2. Abschn. IX 4
Kommunalrecht
Bezeichnung Landrat führt. Das Verfahren der Entscheidungsfindung läuft nach den aus dem Gemeinderecht vertrauten Regeln kollegialer Willensbildungsorgane ab. Stärker noch als der Gemeinderat ist der Kreistag auf die Entscheidung nur der bedeutsamen Angelegenheiten festgelegt. Innerhalb dieses Rahmens nehmen die nicht delegierbaren Vorbehaltsaufgaben einen besonderen Rang ein. Zu ihnen zählen u.a. der Erlaß von Kreisrecht, wichtige Organ- auch Personalentscheidungen, der Erlaß der Haushaltssatzung und die Festsetzung der Kreisumlage. Jenseits dieses Kerns sind Entscheidungsaufgaben auf die anderen Kreisorgane allgemein oder für den Einzelfall delegierbar. Teilweise haben die Kreisordnungen daraus auch eigene Kompetenzbereiche der anderen Organe gebildet. b) Landrat: Er ist der Hauptverwaltungsbeamte des Kreises; in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen heißt er Oberkreisdirektor. Direkt vom Volk wird er nur in Bayern, in den meisten Ländern dagegen wird er vom Kreistag gewählt; in beiden Fällen ist er Kreisbeamter auf Zeit. Davon abweichend ist der Landrat in Rheinland-Pfalz und im Saarland ein von der Regierung bestellter Staatsbeamter, bei dessen Ernennung der Kreistag nur ein Zustimmungsrecht besitzt. Die wichtigsten originär-eigenen Kompetenzen des Landrats sind die Außenvertretung des Kreises, die Wahrnehmung der Geschäfte der laufenden Verwaltung und seine Aufgaben als Chef der Kreisverwaltung. c) Kreisausschuß: Mit Ausnahme Baden-Württembergs sehen alle Kreisordnungen einen Kreisausschuß vor. Mit ihm soll eine gewisse Schwerfälligkeit, wie sie der Meinungsbildung des Kreistags schon wegen seiner Größe anhaften mag, ausgeglichen werden. So kann man ihn außer in Hessen, als einen „verkleinerten" Kreistag ansehen. Seine Organstellung ist unterschiedlich weit ausgebildet. In manchen Ländern (Nieders., Nordrh.-Westf., Saarl.) ist er neben dem Kreistag und dem Hauptverwaltungsbeamten ein gleichberechtigtes drittes Kreisorgan, das über alle Angelegenheiten beschließt, die nicht in den Vorbehaltsbereich eines der beiden anderen Organe fallen. Bayern und Rheinland-Pfalz dagegen reihen ihn unter die Ausschüsse des Kreistages ein und weisen ihm vor allem die Vorbereitung der Kreistagsbeschlüsse zu. In Hessen ist der Kreisausschuß, dem Magistrat in den Gemeinden vergleichbar, kollegiales Verwaltungsorgan. 4. Staatliche Verwaltung im Kreis Das Kreisgebiet ist zugleich der Bezirk der (allgemeinen) unteren staatlichen Verwaltungsbehörde. Die Kreisverwaltung (Landratsamt) und vor allem der Landrat/Oberkreisdirektor werden auf unterschiedliche Weise in den staatlichen Aufgabenvollzug eingegliedert 448 . In Rheinland-Pfalz und im 448
Dazu Seele, in: Der Kreis, Bd. 3, 284ff.; Schmidt-Jortzig, 329 ff.
Kommunalrecht, Rdnr. 193
2. Abschn. X
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Saarland ist der Landrat selbst Staatsbeamter; in seiner Behörde gibt es eine Abteilung für die staatlichen, eine andere für die kreislich-selbstverwalteten Sachgebiete449. In den meisten Ländern wird der Landrat im Wege der Organleihe als untere staatliche Verwaltungsbehörde tätig und unterliegt dann insoweit der Fach- und Dienstaufsicht der übergeordneten Staatsbehörden450. Für Amtspflichtverletzungen haftet nicht der Kreis, sondern das Land. Allein Niedersachsen betraut mit den staatlichen Aufgaben nicht ein einzelnes Kreisorgan, sondern im übertragenen Wirkungskreis den Kreis selbst (§ 4 Abs. 2 S. 2 KrO). Die wichtigsten Aufgaben der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde im Kreis sind Polizeiangelegenheiten und die Kommunalaufsicht über kreisangehörige Gemeinden. Dazu treten zahlreiche Kompetenzen, die die Landesorganisationsgesetze oder das jeweilige Fachgesetz den unteren Verwaltungsbehörden zuweisen. X. Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände Neben den Kreisen faßt das Kommunalrecht unter dem Begriff des Gemeindeverbandes noch andere kommunale Verwaltungsträger zusammen, die von ihrem Gebietszuschnitt teilweise zwischen Gemeinden und Kreisen (sog. niedere Gem.-Verbände), teilweise oberhalb der Kreisebene (sog. höhere Gem.-Verbände) angesiedelt sind451. Nicht alle von ihnen haben, wie es der Begriff nahelegen möchte, nur Gemeinden zu Mitgliedern; ja nicht einmal alle sind Bundkörperschaften, deren Mitglieder Kommunalkörperschaften sind. Neben echten Gem.-Verbänden gibt es vielmehr, wofür die Landkreise nicht das einzige Beispiel sind, auch unechte Gem.-Verbände, deren Mitglieder unmittelbar die Einwohner des Verbandsgebietes sind. Auch sonst weist der Begriff des Gemeindeverbandes allerlei Unklarheiten auf. So ist streitig, ob auch die Zweckverbände zu den Gemeindeverbänden zählen452. Hier muß unterschieden werden: Der verfassungsrechtliche Sprachgebrauch (z. B. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG) verwendet den Begriff des Gemeindeverbandes erkennbar nur für solche Verbände, die von ihrem Aufgabenbestand her ein beachtliches Gewicht besitzen; dazu zählen die ad hoc für die Wahrnehmung einzelner Aufgaben gegründeten Zweckverbände nicht453. Eine eher beschreibend-analytische kommunalrechtliche Begriffsbildung dage449 450 451 452 453
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§§ 1 Abs. 2, 48 f. KrO RhPf; §§ 136 Abs. 1 S. 2, 174 KSVG Sa. Zur Haftung bei bauaufsichtlicher Tätigkeit des Kreises BGH DÖV 1981, 383f. Vgl. §§ 52ff. KrO BW; Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO Bay; §§ 55ff. KrO He; §§ 47ff. KrO NRW; §§ 48f. LKO RhPf. Zum folgenden Abschnitt Wolff / Bachof / Stober, VwR II § 88 - 91; J. Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht in Nordrhein-Westfalen, 1984. Verneinend Wolff / Bachof / Stober, VwR II §85 Rdnr. 32, §91 Rdnr. 5; zum Meinungsstand Oebbecke (Fn. 451), S. 1 f. So für den Begriff des Gemeindeverbandes in Art. 2 Abs. 2 der Landessatzung von SchlH BVerfGE 52, 95ff.; ebenso ausdrücklich Art. 71 Abs. 1 S. 1 LVerfBW.
Kommunalrecht
2. Abschn. X
gen muß anerkennen, daß die Verwaltungsrealität vielfältige Übergänge und Zwischenformen zwischen Gemeindeverbänden i. e. S. und Zweckverbänden aufweist, die sich nach dem Gewicht des Aufgabenbestandes nicht eindeutig zuordnen lassen. Mit diesen Vorbehalten empfiehlt es sich für eine kommunalrechtliche Lehrdarstellung, von einem weiten Begriff des Gemeindeverbandes auszugehen und darunter Gesamtgemeinden (1), höhere Gemeindeverbände (2) und Zweckverbände (3) abzuhandeln 454 . Eindeutig nicht hierher gehören dagegen die kommunalen Spitzenverbände455. Sie sind Vereine des privaten Rechts, in denen sich die Gemeinden bzw. Kreise zusammengefunden haben, um auf Bundes- und Landesebene eine gemeinsame Interessenrepräsentanz zu besitzen 456 . Daneben bieten die Spitzenverbände ihren Mitgliedern vielfältige Beratungs- und andere Serviceleistungen. Gemeinsam ist allen Gemeindeverbänden unter Einschluß der Zweckverbände das Ziel, für bestimmte Aufgaben, die nach Zuschnitt, technischen Voraussetzungen, Finanzierbarkeit oder geschichtlichem Verständnis von den Standardtypen der Kommunalkörperschaften (Gemeinden, Landkreisen) nicht „optimal" wahrgenommen werden können, eigenständige Aufgabenträger vorzuhalten. Solche „maßgeschneiderten" Lösungen sind in einem Kommunalrecht, das wie das deutsche für alle Gemeindegrößenklassen vom Modell der Einheitsgemeinde ausgeht und innerhalb dieses Modells sonst nur wenige Sonderformen kennt (vgl. oben III vor 1), als Mittel flexibler Organisation besonders notwendig. Ein Teil der Gemeindeverbände ist daher unmittelbar durch Gesetz geschaffen worden. Für einen anderen Teil gibt das Gesetz dagegen nur die Grundlage und den Rahmen vor, überläßt es aber den beteiligten Gemeinden und Landkreisen, solche Verbände zu schaffen oder aber es bei der Regelzuständigkeit bewenden zu lassen. Gemeinsam ist den Gemeindeverbänden ferner die Rechtsform. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, können also Hoheitsaufgaben in den Formen des öffentlichen Rechts wahrnehmen. Im einzelnen ergeben sich ihre Rechtsstellung, Aufgaben und Befugnisse aus dem entsprechenden Gründungsakt i. V. mit jenen allgemeinen Zuständigkeits- und Befugnisnormen, in die sie mit ihrer Gründung als Verwaltungsträger einrücken. Auch hier dient die Form der Körperschaft der Wahrnehmung der Aufgaben in einer - teils originären, teils derivativen - Selbstverwaltung unter staatlicher 454
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Daneben existieren zahlreiche Sonderverbände, vor allem um die Verflechtungsbeziehungen der städtischen Verdichtungsräume organisatorisch angemessen zu erfassen: Stadt-Umland-Verbände: dazu Wagener, HkWP Bd. 3, S. 413ff.; SchmidtAßmann, in: Die Verwaltung 1985, S. 273ff. Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Landkreistag und die entspr. Organisationen in den Bundesländern; vgl. dazu die Beiträge von Weinberger, Tiedeken und Mombaur, HkWP Bd. 2, S. 474ff.; Geisselmann, Die kommunalen Spitzenverbände, 1975. Ausnahme: Bay. Städteverband und Bay. Gemeindetag, denen die Rechtsstellung von Körperschaften des öff. Rechts verliehen ist; vgl. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 1984, Rdnr. 366. 195
2. Abschn. X 1
Eberhard Schmidt-Aßmann
Aufsicht. Demgemäß entspricht die interne Organisation der Gemeindeverbände und Zweckverbände der typischen Körperschaftsstruktur. Alle Verbände kennen folglich eine Verbandsversammlung, in der die Mitglieder oder deren gewählte Repräsentanten die Grundentscheidungen der Verbandspolitik (Schaffung von Verbandsrecht i. d. R. in der Form öffentlich-rechtlicher Satzungen, Verbandshaushalt) zu treffen haben. Daneben steht der Verbandsvorsteher als Spitze des Exekutivapparats. Dazu treten als weitere Organe zuweilen Verbandsausschüsse. 1. Gesamtgemeinden Mit diesem von Hans Julius Wolff geprägten Begriff wird eine verbandliche Organisationsform für i. d. R. kleine ländliche Gemeinden bezeichnet 457 : Die in ihrer Verwaltungskraft schwachen Kleingemeinden eines nachbarörtlichen Bereichs bleiben zwar als selbständige Körperschaften erhalten. Sie finden sich jedoch zusätzlich in einem „überwölbenden" Verband zusammen, dem wichtige örtliche Aufgaben durch Gesetz zugewiesen sind und dem die verbandszugehörigen Gemeinden (Ortsgemeinden) weitere Aufgaben von sich aus übertragen können. Dem liegt das Modell einer mehrstufigen kommunalen Organisationseinheit zur Erfüllung örtlicher Aufgaben zugrunde 458 . Das ist verwaltungspolitisch sinnvoll und in der Praxis durchaus bewährt. Für die rechtliche Zuordnung können aus diesem Miteinander freilich Probleme entstehen, insbes. wenn es um die verfassungsrechtliche Kompetenzabgrenzung zwischen Ortsgemeinde und Gesamtgemeinde geht459. Nur eine der beiden Körperschaften kann Trägerin der herausgehobenen gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) sein. Solange den Ortsgemeinden der Gemeindestatus zuerkannt bleibt und sie nicht zu Ortsteilen umgebildet, d. h. eingemeindet, werden, sind sie als unterste Ebene rechtsfähiger Organisationseinheiten allein Träger der Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, während für die Gesamtgemeinden nur die schwächere Gewährleistung gemeindeverbandlicher Selbstverwaltung verbleibt. In der Realität sind die Gewichte dagegen oft umgekehrt. Gesamtgemeinden sind nur in einigen Bundesländern als eigenständige Organisationsform vorgesehen. Bezeichnung, Aufgabenbestand und Aufbau weichen länderweise erheblich voneinander ab460. Rheinland-Pfalz und Niedersachsen gehen von einer starken Stellung des Verbandes aus, dessen zen457
458 459
460
196
Wolff / Bachof, VwR II § 88; ihm folgend z. B. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 375. Dazu Bogner, HkWP Bd. 1, S. 316ff. Vgl. StGH BW DÖV 1976, 595 ff. = ESVGH 26, lff.; ferner Schmidt-Aßmann, DÖV 1973, 109ff.; zum bay. Recht H. Fischer-Heidlberger, Die Rechtsstellung der Mitgliedsgemeinden in der Verwaltungsgemeinschaft, 1983. Darstellung der Einzelheiten bei Bogner, HkWP Bd. 1, S. 318 ff.; Nachw. auch bei Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 375.
Kommunalrecht
2. AbSChn. X 2
trales Willensbildungsorgan direkt von den Einwohnern gewählt wird, während die Gesamtgemeinden Baden-Württembergs, Bayerns und Hessens sich eher als potenzierte Zweckverbände verstehen lassen. Zu den typischerweise gesamtgemeindlichen Aufgaben zählen die Schulträgerschaft für Grund- und Hauptschulen, der Sportstättenbau und die Flächennutzungsplanung; gerade in diesem Punkte sind aber die Besonderheiten des jeweiligen Landesrechts exakt zu beachten. Im einzelnen gehören zu den Gesamtgemeinden: — die Gemeindeverwaltungsverbände in Baden-Württemberg (§§ 59 ff. GO) und Hessen (§ 30 KGG), — die Verwaltungsgemeinschaften in Bayern (VerwaltungsgemeinschaftsO), — die Samtgemeinden in Niedersachsen (§§ 71 — 79 GO), — die Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz (§§ 64 - 73 GO), — die Ämter in Schleswig-Holstein (AmtsO).
2. Höhere Gemeindeverbände Diese oberhalb der Kreisebene angesiedelten Gemeindeverbände tragen ihr regelmäßig historisch erklärbares besonderes Gepräge. Wo sie existieren, sind sie respektable Verwaltungseinheiten teilweise mit großen Fachverwaltungen, in denen auch besondere landsmannschaftliche (provinziale) Traditionen fortleben 461 . Zu den Standardformen der Kommunalorganisation gehören sie gleichwohl nicht. Vielmehr bestimmen hier sondergesetzliche Regelungen das Feld 462 . Die typischen Aufgaben der höheren Gemeindeverbände liegen auf sozialem und kulturellem Gebiet. In der Regel sind sie Träger der überörtlichen Sozialhilfe, unterhalten Spezialkrankenhäuser, sind in der Jugendhilfe tätig. Aufgaben des Denkmalschutzes und der Heimatpflege können hinzutreten. Noch breiter mit Kompetenzen ausgestattet sind die nordrhein-westfälischen Landschaftsverbände (Verwaltung der Landes- und Bundesstraßen; Sonderschulen; Kommunalwirtschaft) 463 . Von der Organisationsstruktur lassen sich zwei Typen unterscheiden 464 : die (7) bayerischen Bezirke und der Bezirksverband Pfalz, die einem gebietskörperschaftlichen Aufbau mit direkter Wahl zur Verbandsversammlung folgen, während die Landeswohlfahrtsverbände Baden-Württembergs (2) und Hessens (1) sowie die Landschaftsverbände Nordrhein-Westfalens Bundkörperschaften sind, die die Kreise und kreisfreien Städte des Verbandsgebietes zu Mitgliedern haben. 461 462
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Vgl. Wolff/ Bachof/ Stober, VwR II § 90. Einzelheiten in den Beiträgen von Witti und Meyer-Schwickerath, HkWP Bd. 2, S. 431 ff. und 454 ff. § 5 LandschaftsverbandsO idF der Bekanntmachung vom 27. 8. 1984 (GV NW, S. 544); Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht (Fn. 451), S. 79 ff. Vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 422ff.; dort (Rdnr. 427) auch zur Ostfriesischen und Oldenburgischen Landschaft. 197
2. Abschn. X 3 b
Eberhard Schmidt-Aßmann
3. Zweckverbände In einem weiteren Sinne lassen sich auch die zu speziellen Verwaltungszwecken ad hoc geschaffenen Zweckverbände den Gemeindeverbänden zurechnen (vgl. vor 1). Die Verwaltungsrealität kennt sie z. B. als Schul-, Sparkassen*, Wasser- oder Abwasserzweckverbände in reicher Zahl 465 . Zweckverbände sind eine wichtige Form der interkommunalen Zusammenarbeit466. Ihre Rechtsgrundlagen finden sie, von einigen Spezialvorschriften (z. B. § 205 BauGB: Planungsverbände) abgesehen, in den Landesgesetzen über kommunale Gemeinschaftsarbeit (Nds., Rh.-Pfl. „ZweckverbandsG"). a) Formen interkommunaler Zusammenarbeit: Die meisten Gesetze nennen neben dem Instrument der Zweckverbandsbildung auch noch andere Mittel der Zusammenarbeit: Eine Form nur interner Kooperation ist die kommunale Arbeitsgemeinschaft, während das Institut der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung Gemeinden ermöglicht, mit Außenwirkung Hoheitsaufgaben zur Entscheidung und Erledigung auf einen der Beteiligten zu übertragen, also im Wege des Vertrages eine Änderung der gesetzlichen Zuständigkeiten vorzunehmen. Das ist eine Ausnahme von der grundsätzlich unverbrüchlichen Zuständigkeitsordnung, die besonderer Ermächtigung in den genannten Gesetzen bedurfte. Wo es den Gemeinden dagegen nicht darauf ankommt, Hoheitsbefugnisse zu übertragen, weil sie diese Aufgaben ohnehin in den Formen des Privatrechts erfüllen (vgl. oben VI, 1), stehen ihnen die Organisationsformen des Privatrechts zur Verfügung 467 . So wird der Personennahverkehr in benachbarten Gemeinden oft von einer GmbH erfüllt, deren Gesellschafter diese sind (Beteiligungsgesellschaften, vgl. oben VII, 4 a). b) Insbes. Zweckverbandsbildungen: Die Bildung eines Zweckverbandes ist eine besonders aufwendige Art der Zusammenarbeit. Sie läßt einen neuen Rechtsträger entstehen, der die übertragenen Aufgaben anstelle der Beteiligten wahrnimmt. Der Zusammenschluß zu einem solchen Verband steht grundsätzlich im Ermessen der Kommunalkörperschaften (Freiverbände) und ist im Rahmen der Gesetze von ihrer Organisationshoheit gedeckt 468 . Dabei sind Gesichtspunkte effektiver Leistungserbringung gegen die Nachteile einer nur mediatisierten Mitwirkung der Bevölkerung an den Entscheidungen solcher Verbände gegeneinander abzuwägen. Bei besonderem öffentlichen Interesse ermächtigen die Gesetze die Aufsichtsbehörde, die Bildung eines Zweckverbandes oder den Beitritt einer Gemeinde zu einem solchen zwangsweise zu verfügen (Pflichtverband). 465
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Vgl. Wolff/Bachof/Stober, VwR II § 91; Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht (Fn. 451), S. 119ff. Systematisch Rengeling, HkWP Bd. 2, S. 385ff.; Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht (Fn. 451), S. lOOff. Ebenso Rengeling, HkWP Bd. 2, S. 411 f. So die h.M.; vgl. Schmidt-Jortzig, in: Fs. f. v. Unruh, S. 525ff..; a.M. Oebbecke, Zweckverbandsbildung und Selbstverwaltungsgarantie, 1982, bes. 67 ff.
Kommunalrecht
2. Abschn. X 3 b
Der Freiverband als der übliche Fall des Zweckverbandes setzt die Vereinbarung einer Verbandssatzung zwischen den Beteiligten voraus, die das Organisationsstatut der neuen Körperschaft wird. Entstanden ist der Verband mit der amtlichen Publikation der Satzung und der aufsichtsbehördlichen Genehmigung. Der Verband ist eine Bundkörperschaft. Seine Mitglieder sind die beteiligten Kommunalkörperschaften (gem. besonderer Ermächtigung auch andere Rechtssubjekte des öffentlichen oder des privaten Rechts). Hauptorgan des Verbandes ist die Verbandsversammlung, in die jedes Verbandsmitglied mindestens einen Vertreter entsendet. Die ihm übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden erfüllt der Verband seinerseits in eigener Verantwortung. Zu ihrer Regelung hat er u. a. das Recht, Satzungen zu erlassen (vgl. oben V).
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DRITTER ABSCHNITT
Polizei- und Ordnungsrecht Karl Heinrich Friauf
Literatur K. Bengl / G. Berner / E. Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz, 5. Aufl. 1983. P. C. Bemet / R. Gross, Polizeirecht in Hessen, 1965 ff. (Loseblattslg.). H. de Clerck / H. W. Schmidt, Polizeiverwaltungsgesetz von Rheinland-Pfalz, 5. Aufl. 1982 (Loseblattslg.). A. Dietel / K. Gintzel, Allgemeines Verwaltungs- und Polizeirecht für Nordrhein-Westfalen, 11. Aufl., 1984. B. Drews / G. Wacke / K. Vogel /W. Martens, Gefahrenabwehr, Allgemeines Polizeirecht (Ordnungsrecht) des Bundes und der Länder, 9. Aufl. 1986. W. Gobrecht, Polizeirecht des Landes Berlin, Kommentar, 6. Aufl. 1974. V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl., 1985. K. v.d. Groeben/J. Knack, Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land SchleswigHolstein, 1968 ff. (Loseblattslg.). G. Heise / D. Böckenförde / B. Strehlau, Handbuch des Ordnungs- und Polizeirechts Nordrhein-Westfalen, 7. Aufl., 1981. F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., 1985. G. Küchenhoff, Polizei- und Ordnungsrecht, Teil 1: Allgemeine Lehren, 3. Aufl., 1973. V. Lohse/P. Krause, Polizeirechtim Saarland, 1973. K. Mütter-Heidelberg / H. W. Clauss, Das niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2. Aufl. 1956. E. Rasch, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 3. Aufl., 1979. (Loseblattslg.). H. Reiff/ G. Wöhrle/Wolf; Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 3. Aufl., 1984. E. Retzlaff / M. Pausch / W. Meitz, Polizeihandbuch (Bundesausgabe und 11 Landesausgaben), 8. Aufl., 1955 ff. (Loseblattslg.). R. Riegel, Bundeskriminalamtsgesetz, Bundesgrenzschutzgesetz, Gesetz über den unmittelbaren Zwang, 1985. R. Samper, Polizeiaufgabengesetz, 13. Aufl., 1984. R. Samper, Polizeiorganisationsgesetz, 3. Aufl., 1982. W.-R. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, in: U. Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1986. H. Schotter / S. Broß, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl., 1982. 201
3. Abschn.
Karl Heinrich Friauf
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Gesetze Bund: Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 17. Juli 1928 i. d. F. vom 1. Januar 1975 (BGBl. 1974 I, S. 469), §§ 74-78, betr. Bahnpolizei. Luftverkehrsgesetz vom 14. Januar 1981 (BGBl. I, S. 61), zuletzt geändert durch G vom 24. April 1986 (BGBl. I, S. 560). G über das Luftfahrt-Bundesamt vom 30. November 1954 (BGBl. I, S. 354) i. d. F. vom 16. Mai 1968 (BGBl. I, S. 397), zuletzt geändert durch G vom 18. September 1980 (BGBl. I, S. 1729). Bundespolizeibeamtengesetz vom 3. Juni 1976 (BGBl. I, S. 1557) i. d. F. vom 24. August 1976 (BGBl. I, S. 2485). G über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. März 1961 (BGBl. I, S. 165) i. d. F. vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469), zuletzt geändert durch G vom 20. Dezember 1984 (BGBl. I, S. 1654). Länder: Baden- Württemberg: PolizeiG vom 16. Januar 1968 (GBl. S. 61), zuletzt geändert durch G vom 18. Juli 1983 (GBl. S. 369). Bayern: G über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei — Polizeiaufgabengesetz - vom 24. August 1978 (GVB1. S. 561), geänd. durch G vom 21. Juli 1983 (GVBl. S. 507). G über die Organisation der Bayerischen Staatlichen Polizei — Polizeiorganisationsgesetz - vom 10. August 1976 (GVBl. S. 303), geändert durch G vom 24. August 1978 (GVBl. S. 361). G über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung — Landesstraf- und VerordnungsG vom 17. November 1956 (Bay. BS I S. 327) i. d. F. vom 13. Dezember 1982 (GVBl. S. 1098). Berlin: Allgemeines G zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin — ASOG Bln. - vom 11. Februar 1975 (GVBl. S. 688), zuletzt geändert durch G vom 11. Dezember 1985 (GVBl. S. 2415). Bremen: Bremisches Polizeigesetz vom 21. März 1983 (GBl. 1983, S. 141), zuletzt geändert durch G vom 5. Dezember 1984 (GBl. S. 271). Hamburg: G zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 14. März 1966 (GVBl. S. 77), zuletzt geändert durch G vom 22. September 1977 (BVB1. S. 261). 202
Polizei- und Ordnungsrecht
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Hessen: Hessisches G über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 26. Januar 1972 (GVB1. I, S. 24) i. d. F. vom 20. Dezember 1979 (GVB1. 1980 I, S. 12). Verordnung über die Organisation und Zuständigkeit der hessischen Vollzugspolizei (PolOrg.VO) vom 31. Januar 1974 (GVB1. I S. 87), geänd. durch VO vom 4. Dezember 1980 (GVB1. I, S. 430). Niedersachsen: G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 17. November 1981 (GVB1. S. 347), geänd. durch G vom 2. Juni 1982 (GVB1. S. 139). Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr — Zust.VO SOG - vom 8. Oktober 1985 (GVB1. S. 339). Nordrhein- Westfalen : Polizeigesetz vom 25. März 1980 (GVB1. S. 234), zuletzt geändert durch G vom 26. Juni 1984 (GVB1. S. 370). Gesetz über die Organisation und die Zuständigkeit der Polizei - Polizeiorganisationsgesetz - vom 13. Juli 1982 (GVB1. S. 339). G über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden — OrdnungsbehördenG — vom 13. Mai 1980 (GVB1. S. 528), zuletzt geändert durch G vom 26. Juni 1984 (GVB1. S. 370). Rheinland-Pfalz: PolizeiverwaltungsG von Rheinland-Pfalz vom 1. August 1981 (GVB1. S. 179), zuletzt geändert durch G vom 28. November 1986 (GVB1. S. 353). Saarland: Preußisches PolizeiverwaltungsG vom 1. Juni 1931 (GS S. 77); saarl. G vom 22. April 1949 (ABl. S. 377) i. d. F. vom 13. November 1974 (ABl. S. 1011). §§32 — 37 des G über die allgemeine Landesverwaltung vom 13. Juli 1950 (ABl. S. 796). G Nr. 899 über die Organisation vom 17. Dezember 1969 (ABl. 1970, S. 33) i. d. F. vom 12. Juli 1978 (ABl. S. 690). Schleswig-Holstein : Allgemeines VerwaltungsG für das Land Schleswig-Holstein vom 18. April 1967 (GVOB1. S. 131) i. d. F. vom 19. März 1979 (GVOB1. S. 181), §§ 163 ff. G über die Organisation der Polizei in Schleswig-Holstein — Polizeiorganisationsgesetz - vom 9. Dezember 1968 (GVOB1. S. 327) i. d. F. vom 9. Dezember 1974.
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Gliederung I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts 1. Allgemeine polizeiliche Funktion 2. Geschichte des Polizeibegriffs 3. Materieller und formeller Polizeibegriff a) Materieller Polizeibegriff b) Formeller Polizeibegriff c) Verhältnis von formellem und materiellem Polizeibegriff 4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat a) Grundsätzliche Zuständigkeit der Länder b) Einzelkompetenzen des Bundes c) Sonderpolizeibehörden des Bundes 5. Zweigliederung in Polizei-und Ordnungsverwaltung
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II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht 213 1. Die Generalklausel 213 a) Generalklausel und Spezialermächtigungen 213 b) Subsidiarität der Generalklausel 214 c) Schutzgüter der Generalklausel 217 d) Polizeiliche Gefahr 221 e) Anwendung der Generalklausel 224 f) Pflicht der Polizei zum Einschreiten und Rechtsanspruch des Bürgers auf Einschreiten 227 2. Polizeipflichtige Personen 229 a) Verhaltenshaftung 231 b) Zustandshaftung 234 c) Kumulative Verantwortlichkeit mehrerer Störer 240 d) Polizeipflicht von Hoheitsträgern 241 3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand 243 a) Erhöhte Gefahr 244 b) Unmöglichkeit anderweitiger Abwehr 245 c) Subsidiarität der Notstandseingriffe 246 d) Grenze der Leistungsfähigkeit 247 e) Folgenbeseitigung und Entschädigung 247 4. Standardmaßnahmen 248 a) Feststellung von Personalien (sog. Sistierung) 248 b) Vorladung, Vorführung und Vernehmung 250 c) Platzverweisung 252 d) Ingewahrsamnahme von Personen 252 e) Durchsuchung von Personen 254 f) Durchsuchung von Wohnungen 255 g) Sicherstellung von Sachen 255 h) Verarbeitung personenbezogener Informationen 258 5. Sondergesetzliche Ermächtigungen 259 III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Organisation und Zuständigkeitsordnung 204
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3. A b S C h n .
a) Kompetenzabgrenzung zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden . . . b) Organisation der Polizei c) Organisation der Ordnungsbehörden d) Aufsicht über Polizei- und Ordnungsbehörden e) Zuständigkeitsordnung 2. Rechtsformen des polizeilichen und ordnungsbehördlichen Handelns... a) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verfügungen b) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Erlaubnisse c) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verordnungen 3. Polizeiliche und ordnungsbehördliche Zwangsmittel a) Überblick zu den polizeilichen und ordnungsbehördlichen Zwangsmitteln b) Unmittelbare Ausführung und sofortiger Vollzug IV. Entschädigungs- und Ersatzansprüche im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts 1. Entschädigungsansprüche eines Bürgers gegen die Verwaltung a) Anspruch des im polizeilichen Notstand in Anspruch genommenen Nichtstörers b) Anspruch bei Rücknahme von polizeilichen Erlaubnissen c) Ansprüche bei Schädigung durch rechtswidrige Maßnahmen d) Ansprüche eines Störers 2. Ersatzansprüche der Verwaltung gegen den Störer a) Erstattungsanspruch bei Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang. b) Erstattungsanspruch bei sonstigen polizeilichen Maßnahmen c) Erstattungsansprüche bei Heranziehung eines Nichtstörers
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I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts 1. Allgemeine polizeiliche Funktion Unter Polizei im allgemeinsten Sinne des Wortes verstehen wir heute diejenige staatliche Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen, Gefahren von ihr abzuwenden und bereits eingetretene Störungen zu beseitigen. Polizei ist ihrem Wesen nach Gefahrenabwehr. Die Polizei erfüllt damit eine der entscheidenden Aufgaben des Staates. Man hat die polizeiliche Gefahrenabwehr als essentielle Grundfunktion jeder Staatlichkeit bezeichnet1 und angenommen, die Polizeigewalt sei dem Wesen der Staatlichkeit bereits kraft Natur der Sache verbunden2. Diese Charakterisierungen treffen zu. Der Schutz des einzelnen und der Allgemeinheit vor Gefahren bildet eine ratio essendi des Staates als eines Ordnungs- und Friedensverbandes. Hiermit ist allerdings zunächst nur eine recht formale Feststellung getroffen. Die Schutzgüter, deren Beeinträchtigung als polizeilich abzuwehrende Gefahr qualifiziert werden muß, liegen nicht abstrakt und a priori fest. Sie sind vielmehr vom jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung und insbesondere vom geltenden Verfassungsrecht3 abhängig4. Mit dem Wandel des Verfassungsrechts verändert sich auch der Inhalt der Polizeifunktion. Überdies besitzt die Gefahrenabwehr keinen vorgegebenen absoluten Stellenwert im Verhältnis zu den übrigen Staatsaufgaben. Auch hier entscheidet die jeweilige verfassungsrechtliche Situation. Nach der im 19. Jahrhundert vorherrschenden liberalen Staatsauffassung war der Staat im wesentlichen darauf beschränkt, Sicherheit vor inneren und äußeren Feinden zu gewährleisten5. Dagegen verwehrte man ihm Eingriffe in den Bestand und die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Unter diesen Umständen mußte die polizeiliche Gefahrenabwehr geradezu als die Staatsfunktion par excellence erscheinen. Der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes begnügt sich demgegenüber nicht mit der bloßen Abwehr von Gefahren. Er steht vielmehr unter der sozialstaatlichen Verpflichtung, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung aktiv gestaltend voranzutreiben. In der ungeheuer komplexen Wirt-
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H. J. Wolff, W D S t R L 9 (1952), S. 134ff. (156); W. Jellinek, VwR, S. 427; Düng, AöR 79 (1954), S. 57. W. Thieme, DÖV 1956, 521 ff. (526). Vgl. Denninger, Polizei in der freiheitlichen Demokratie, 1968, S. 7 ff. Zur inhaltlichen Variabilität des Schutzguts der „öffentlichen Ordnung" s. unten Abschnitt II. 1 c, bb. Klassisch: Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen (1793, Neuausgabe 1962).
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3. Abschn. 11
schafts- und Sozialordnung, wie sie unsere Epoche kennzeichnet, müßte sich zudem jedes — wie auch immer ausgestaltete — Instrumentarium der Gefahrenabwehr als unzulänglich erweisen, wenn es darum geht, mit fundamentalen Krisen fertigzuwerden. Die katastrophalen Folgen einer großen Wirtschaftskrise lassen sich nicht mit Hilfe der Polizei beherrschen. Der Staat muß deshalb eine vorrangige Aufgabe darin sehen, bereits der Entstehung von Krisen langfristig vorzubeugen. Es erwächst ihm damit die Pflicht zur Gefahrenvorsorge6, die heute vor allem auf dem Gebiet des modernen technischen Sicherheitsrechts immer noch an Bedeutung gewinnt 68 . Die Gefahrenabwehr hat dadurch ihre einstmals beherrschende Stellung im Rahmen der Staatsfunktionen verloren. Dennoch ist sie keineswegs überflüssig oder gar obsolet geworden. Die Gefahrenvorsorge kann nur im Makrobereich wirksam werden. Selbst wenn sie dort zu optimalen Ergebnissen führt, läßt sich praktisch nicht vermeiden, daß im Mikrobereich, in der konkreten Situation des Einzelfalls, immer wieder Gefahren erwachsen und eine Gefahrenabwehr erforderlich machen. Gerade die Erscheinungsformen der modernen Technik und Zivilisation haben unzählige neuartige Gefahrenquellen mit sich gebracht. Die Abwehr von Gefahren, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohen, gehört zu den legitimen Aufgaben auch des unter dem GG konstituierten Gemeinwesens. Es ist zwar offensichtlich, daß Eingriffe zur Gefahrenabwehr oftmals in ein Spannungsverhältnis zu den verfassungsmäßig verbürgten Grundrechten des einzelnen geraten können 7 . Andererseits aber hat der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch eine essentielle grundrechtssichernde und -schützende Funktion 73 . Denn erst in einem Zustand der Sicherheit und Ordnung kann der Bürger von seiner Freiheit wirklich Gebrauch machen und kann die „Segnungen" des Sozialstaats genießen. Der soziale Rechtsstaat muß die polizeiliche Gefahrenabwehr und ihre Eingriffsmöglichkeiten seiner Verfassungsordnung organisch anpassen. Aber er kann nicht auf sie verzichten, wenn er der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, die Sicherheit seiner Bürger zu schützen8, nachkommen will.
6
S. etwa Roth, Die Gefahrenvorsorge im sozialen Rechtsstaat, 1968; Steiger, Z R P 1971, 133ff. (insbes. 1 3 4 - 135); von Unruh, DVB1. 1972, 469ff. Zur Gefahrenvorsorge als Rechtsprinzip und ihrer Abgrenzung von der Gefahrenabwehr: Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 ff. (162-163). 6a Auf diesem Gebiet kommt der Staat seiner Verpflichtung durch den Erlaß entsprechender Gesetze nach, vgl. z. B. das Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 721) und das AtomG in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I, S. 1565). 7 S. unten Abschnitt II. 1 c, bb. 7a Vgl. auch Ossenbühl, DÖV 1981, 1 ff. (4 - 5). 8 Vgl. BVerfGE 46, 214 (222 f.). 207
3. Abschn. I 2
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2. Geschichte des Polizeibegriffs Dem Begriff der Polizei9 liegt eine jahrhundertealte Tradition zugrunde. Entsprechend den sich wandelnden Staatsauffassungen veränderte sich auch der Inhalt des Polizeibegriffs. Im 15. bis 17. Jahrhundert charakterisierte er in umfassendem Sinne einen Zustand guter Ordnung des Gemeinwesens10. Kennzeichnend für den absolutistischen Staat des 18. Jahrhunderts war ein rechtlich unbeschränkter Wirkungsbereich der Polizei. Der Landesherr nahm als Ausfluß seiner Souveränität das „jus politiae" in Anspruch, d. h. die unbeschränkte Befugnis, nach seinem Gutdünken zur Förderung der allgemeinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse tätig zu werden und dabei auch beliebig in Rechte der Untertanen einzugreifen (sog. Wohlfahrtspflege). Die Forderung der Aufklärung 11 , das freie staatliche Eingriffsrecht auf das Gebiet der Gefahrenabwehr zu beschränken, fand zunächst Eingang in das preußische Allgemeine Landrecht von 1794. Es unterschied ausdrücklich die Wohlfahrtspflege von der Gefahrenabwehr und bestimmte in dem berühmten § 10 II 17 ALR 12 : „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey". Die Beschränkung der Polizei auf die Gefahrenabwehr wurde allerdings schon nach wenigen Jahren vom Gesetzgeber wieder durchlöchert und schließlich ganz beseitigt. Den Wendepunkt bildete in Preußen erst das sog. Kreuzberg-Erkenntnis des OVG vom 14. Juni 1882n. Das Gericht erklärte mit einer juristisch freilich zumindest recht zweifelhaften Begründung, § 10 II 17 ALR sei trotz der späteren gesetzgeberischen Akte nach wie vor geltendes Recht. Er beschränke die Polizei auf die Gefahrenabwehr. Zur Wohlfahrtspflege14 sei sie dagegen nur aufgrund von konkreten spezialgesetzlichen Ermächtigungen befugt. In den folgenden Jahrzehnten erarbeitete das preuß. OVG in einer umfangreichen Rechtsprechung auf der Grundlage des § 10 II 17 ALR ein ausgefeiltes System des Polizeirechts. Die Ergebnisse der polizeirechtlichen Judi-
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Zur Entwicklung des Polizeibegriffs s. eingehend H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., 1980, S. 92 ff.; s. a. Lüdtke, Staat 20 (1981), S. 201 ff. Dazu die Untersuchung von Knemeyer, AöR 92 (1967), S. 153 ff. S. dazu den bedeutenden Staatsrechtslehrer J. St. Pütter in seinen 1770 erschienenen „Institutiones iuris publici Germanici", § 331. § 10 Teil II Titel 17. PrOVG 9, 353 ff. (neu abgedruckt in DVB1. 1985, 219-226). Zu dieser epochemachenden Entscheidung s. näher Schrödter, DVB1. 1975, 846ff. (848 - 849). Im konkreten Fall ging es um die Förderung ästhetischer Belange im Bereich des Bauwesens.
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katur wurden schließlich in gesetzgeberische Kodifikationen übernommen. Den Schlußstein bildete das preußische PolizeiverwaltungsG vom l.Juni 193115 — wohl das letzte bedeutende Gesetzgebungswerk, das die Weimarer Epoche hervorgebracht hat. § 14 Abs. 1 PVG ermächtigte die Polizeibehörden, „im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird". 3. Materieller und formeller Polizeibegriff Als Ergebnis der kurz dargestellten Entwicklung hat sich in ganz Deutschland ein einheitlicher Begriff der Polizei herausgebildet. Es besteht heute in der Bundesrepublik Deutschland der Sache nach im wesentlichen eine einheitliche Rechtslage, auch wenn sie, wie noch zu erörtern sein wird, in den einzelnen Bundesländern auf unterschiedlichen Rechtsquellen beruht. Die Entwicklung des sachlichen Aufgabenbereichs der Polizei, nämlich der Gefahrenabwehr, und des dieser Aufgabe gewidmeten organisatorischen Apparats, der Polizeibehörden, ist nun allerdings nicht übereinstimmend verlaufen. Die Gefahrenabwehr wurde nicht nur Polizeibehörden, sondern in unterschiedlichem Maße auch anderen Stellen übertragen. Andererseits betraute man die Polizeibehörden zugleich mit Funktionen außerhalb der Gefahrenabwehr. Wir haben infolgedessen zwei Begriffe der Polizei zu unterscheiden, einen materiellen und einen formellen. a) Materieller Polizeibegriff: Der materielle Polizeibegriff ist von der Aufgabe her bestimmt. Nach ihm handelt es sich bei der Polizei um die Staatstätigkeit, die dazu dient, von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Soweit zur Erfüllung dieser Aufgabe Eingriffe in den Rechtsbereich des Staatsbürgers erforderlich sind, bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung. Sie kann entweder in einer Generalklausel oder aber in Spezialgesetzen enthalten sein. Dabei hat man sich heute in allen Bundesländern für eine Generalklausel entschieden 16 , die lediglich durch Spezialermächtigungen für einzelne Gebiete ergänzt wird 17 . Für den materiellen Polizeibegriff ist es unerheblich, welche Behörde die jeweiligen Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrzunehmen hat. b) Formeller Polizeibegriff: Demgegenüber wird der formelle Polizeibegriff von der Behördenorganisation her bestimmt. Zur Polizei im formellen Sinne zählen sämtliche staatlichen Funktionen, für deren Wahrnehmung die Zu-
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Preuß. GS 1931, S. 77. Unten Abschnitt II. 1. Unten Abschnitt II. 5. 209
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ständigkeit der Polizeibehörden begründet ist. Auf die sachliche Qualität der einzelnen Aufgabe kommt es dabei nicht an. Formell-polizeiliche Aufgaben können der Gefahrenabwehr dienen, brauchen das aber nicht zu tun. Zu den nicht gefahrenabwehrenden Aufgaben der Polizei gehört insbesondere ihre Mitwirkung bei der Strafverfolgung 18 . c) Verhältnis von formellem und materiellem Polizeibegriff: Aus dem Vorstehenden ergibt sich bereits, daß formeller und materieller Polizeibegriff sich nicht vollständig decken 183 . Beide stehen vielmehr im Verhältnis von zwei Kreisen, die einander teilweise überschneiden: Ein Teil der materiell-polizeirechtlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr wird von den Behörden und Beamten der Polizei im formellen Sinne wahrgenommen; insoweit fallen formeller und materieller Polizeibegriff zusammen. Daneben aber werden Funktionen der Gefahrenabwehr auch von nicht zur Polizei zählenden Behörden erfüllt (nur materiell-polizeiliche Tätigkeiten), während umgekehrt den Polizeibehörden vielfältige Aufgaben außerhalb der Gefahrenabwehr übertragen worden sind (nur formell-polizeiliche Tätigkeiten). Im einzelnen hängt die Abgrenzung von der unterschiedlichen Ausgestaltung der Kompetenzzuweisungen in den einzelnen Bundesländern ab. Nach dem zweiten Weltkrieg hat man weite Sachgebiete, die bis dahin im Zuständigkeitsbereich der Polizei standen, „entpolizeilicht", d. h. man hat die Aufgaben der Gefahrenabwehr insoweit anderen Behörden — z. T. den sog. Ordnungsbehörden — übertragen. Diese Entwicklung verlief in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Auch innerhalb ein und desselben Landes wurde nicht immer eine einheitliche, klare Konzeption durchgehalten. Infolgedessen erweist sich die Rechtslage heute als ausgesprochen komplex und vielfach unübersichtlich. Das wird in den Grundzügen noch darzulegen sein 19 . 4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat a) Grundsätzliche Zuständigkeit der Länder: Das GG hat für den Sachbereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet. Infolgedessen fällt dieser Bereich nach Art. 30, 70 I GG in die Zuständigkeit der Länder. Allein die Länder können neue Gesetze über die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassen. Die vor 1949 erlassenen Gesetze sind, soweit sie mit dem GG vereinbar waren (Art. 123 I GG), Landesrecht geworden. Zur Vereinheitlichung der Polizeigesetze hat die Innenministerkonferenz 1975 einen „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes" beschlossen, der von Bund und Ländern übernom-
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Vgl. z. B. § 10 S. 2 nordrh.-westf. POG. Vgl. generell zur Differenzierung zwischen Aufgaben- und Befugnisnonn Wolff / Bachof, VerwR I, 9. Aufl. 1974, S. 184 und Götz, a. a. O., S. 63 f. Näheres unten Abschnitt I. 5 und III. 1.
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men werden soll . Es kann sich dabei allerdings nur um eine inhaltliche Vereinheitlichung handeln. An der Aufspaltung der Gesetzgebungszuständigkeit wird sich nichts ändern. Da die Ausfährung der Landesgesetze ausschließlich den Ländern obliegt21, ist auch die Polizei- und Ordnungsverwaltung Landesangelegenheit. Es bleibt den einzelnen Ländern überlassen, ob und inwieweit sie die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften (Kreise, Ämter, Gemeinden) in den Vollzug einschalten wollen. b) Einzelkompetenzen des Bundes: Auf verschiedenen Sachgebieten, deren Regelung nach Art. 73 und 74 GG zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehört, können sich Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergeben22. Hier ist der Bund befugt, zusammen mit der Regelung der eigentlichen Sachfragen der betreffenden Gebiete auch Vorschriften über die Gefahrenabwehr in dem jeweiligen Bereich zu erlassen (sog. Annexkompetenz23). Den Ländern verbleibt aber in jedem Fall das Polizeirecht im eigentlichen Sinne, also die Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der alleinige und unmittelbare Gesetzeszweck ist24. c) Sonderpolizeibehörden des Bundes25. Das GG gestattet dem Bund in Art. 87 I S. 2, durch Gesetz eine Reihe von Sonderpolizeibehörden einzurichten, namentlich Bundesgrenzschutzbehörden, ein Bundeskriminalamt und ein Bundesamt fär Verfassungsschutz, wobei die beiden letztgenannten Behörden lediglich Zentralstellen zur Sammlung von Informationen usw. ohne eigene unmittelbare Exekutivbefugnisse darstellen. Art. 73 Nr. 10 GG ergänzt die organisationsrechtliche Kompetenz des Art. 87 I S. 2 durch eine materielle
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Seine endgültige Fassung erhielt der ME durch Beschluß vom 25. 11. 1977. Textausgabe hrsg. von G. Heise / R. Riegel, 2. Aufl., 1978. Zu dem Entwurf vgl. Knemeyer, DÖV 1975, 34ff.; Riegel, BayVBl. 1977, 682ff.; Schulz, ZRP 1976, 251 ff. Nachdem Berlin schon am 11.2. 1975 aufgrund der Fassung des ME nach dem Stande vom 20. 4. 1974 das ASOG verabschiedet hatte, wurde der ME (mit gewissen Modifikationen) übernommen von Bayern durch das PAG vom 24. 8. 1978, von Nordrhein-Westfalen durch das PolG vom 25. 3. 1980, von Rheinland-Pfalz durch das PVG vom 1. 8. 1981 und von Niedersachsen durch das SOG vom 17. 11. 1981. Als bisher letztes Land erließ Bremen am 21. 3. 1983 ein neues Polizeigesetz. Baden-Württemberg hat durch mehrfache Änderungen seines PolG einzelne Bestimmungen dem ME angepaßt. BVerfGE 12, 205 (221, 229); 21, 312 (325). Z. B. im Wirtschaftsrecht (Art. 74 Nr. 11 GG), im Gesundheitsrecht (Art. 74 Nr. 19 GG) oder im Verkehrsrecht (Art. 74 Nr. 22 GG). BVerfGE 3,407 (433); 8, 143 (150); BVerwGE 28, 310 (311 - 312). BVerfGE 8, 143 (150). Eingehend dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 63 ff.; umfassender Überblick bei Becker, DVB1. 1977, 945 ff. (945 - 948); Riegel, a. a. O. 211
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Gesetzgebungskompetenz für die betreffenden Gebiete. Von dieser Gesetzgebungszuständigkeit hat der Bund frühzeitig Gebrauch gemacht 26 . Eine besondere Polizeibehörde des Bundes ist der Präsident des Deutschen Bundestages. Er übt nach Art. 40 II S. 1 G G im Gebäude des Bundestages nicht nur das Hausrecht 27 , sondern auch die ausschließliche Polizeigewalt aus 28 . Soweit die ihm zur Verfügung stehenden Ordnungskräfte nicht ausreichen, kann er die örtliche Polizei um Amtshilfe ersuchen 29 . 5. Zweigliederung in Polizei- und Ordnungsverwaltung Das preuß. PVG hatte die materiellpolizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr insgesamt den Polizeibehörden übertragen, soweit nicht besondere Gesetze für einzelne Spezialgebiete Ausnahmen vorsahen. Formeller und materieller Polizeibegriff 30 fielen somit weitgehend zusammen. Demgegenüber war man nach dem zweiten Weltkrieg in den Ländern der ehemaligen britischen und amerikanischen Besatzungszone bestrebt, den Wirkungskreis der Polizei zurückzudrängen. Bei diesen Bestrebungen standen Pate einerseits gewisse Institutionen des angloamerikanischen Rechtskreises, zum anderen aber auch die psychologische Vorbelastung des Polizeibegriffs durch den Mißbrauch der Polizeigewalt in der vorausgegangenen Epoche. Die Bestrebungen führten dazu, daß der bisherige Zuständigkeitsbereich der Polizeibehörden in den meisten Bundesländern aufgespalten wurde. Der Polizei blieb nur ein beschränkter, enumerativ bestimmter Kreis von Aufgaben vorbehalten, insbesondere die Verfolgung von Straftaten, die Verkehrsüberwachung und die Bekämpfung akuter („unmittelbar bevorstehender") Gefahren, ferner die Vollzugshilfe für andere Behörden 31 . Die genaue Abgrenzung variiert dabei von Land zu Land 32 . Alle übrigen Aufgaben der
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212
G über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. 9. 1950 (BGBl. I, S. 682); G über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes vom 29. Juni 1973 (BGBl. I, S. 704); G über den Bundesgrenzschutz vom 18. 8. 1972 (BGBl. I, S. 1834). Zum Verhältnis von öffentlich-rechtlichem Hausrecht und Ordnungsgewalt s. Knemeyer, DÖV 1970, 596 ff. S. Maunz, in: Maunz / Düng / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 2 6 - 2 8 zu Art. 40; Drews / fVacke / Vogel / Martens, S. 71 ff. Über die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Bundestagspräsidenten und der Landespolizei s. Weingärtner, Kriminalistik 1969, 271 ff. Oben Abschnitt I. 3. Zur Vollzugs- und Amtshilfe durch die Polizei vgl. E. Denninger, JA 1980, 280ff. So überläßt Nordrhein-Westfalen der Polizei auch das Versammlungs-, Sprengstoff-, Waffen- und Munitionswesen (§11 S. 1 nordrh.-westf. POG); Hessen überträgt ihr dagegen u. a. das Paß- und Ausländerwesen sowie die Lärmbekämpfung (§ 62 I S. 1 hess. SOG in Verbindung mit der VO v. 18. Juli 1972, GVB1. I S. 255), die in Nordrhein-Westfalen bei den Ordnungsbehörden liegen.
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Gefahrenabwehr wurden der Form nach „entpolizeilicht", d. h. anderen Behörden übertragen. Die Bezeichnung der anderen Behörden, die nunmehr zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden, ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich 33 . In der vorliegenden Darstellung werden sie der Einheitlichkeit halber als Ordnungsbehörden bezeichnet. Auch die Ordnungsbehörden nehmen materielle Polizeifunktionen wahr. Sie werden tätig, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Die Aufgabe der Ordnungsbehörden ist also der Sache nach identisch mit derjenigen der Polizeibehörden; lediglich die Lebensgebiete, auf denen sie wahrgenommen wird, sind bei beiden Verwaltungszweigen nach Maßgabe der landesgesetzlichen Kompetenzabgrenzung verschieden. Die Identität der Funktion zeigt sich rein äußerlich darin, daß die Ermächtigungsgrundlage für das ordnungsbehördliche Eingreifen vielfach in derselben Generalklausel zu finden ist wie diejenige für die polizeiliche Tätigkeit34. Als einziges Land hat Nordrhein-Westfalen eine besondere gesetzliche Ermächtigung für die Ordnungsbehörden geschaffen 35 . Auch diese stimmt jedoch sachlich mit der polizeirechtlichen Generalklausel überein, so daß lediglich von einer formellen, nicht aber von einer materiellen Selbständigkeit des Ordnungsbehördenrechts gesprochen werden kann. Gegenwärtig folgen dem Trennungssystem die Länder Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Hier sind Polizei- und Ordnungsbehörden nebeneinander zur Gefahrenabwehr tätig. Dagegen haben Baden-Württemberg, Bremen, RheinlandPfalz und das Saarland die einheitliche Polizeiverwaltung von vornherein beibehalten oder sie später wieder eingeführt. Da die sachliche Funktion von Polizei- und Ordnungsbehörden übereinstimmt, wird im folgenden das materielle Polizei- und Ordnungsrecht einheitlich dargestellt.
II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Die Generalklausel a) Generalklausel und Spezialermächtigungen: Die Polizei- und Ordnungsverwaltung gehört zum Bereich der Eingriffsverwaltung. Ihre Maßnahmen greifen befehlend und belastend in die Rechtssphäre der jeweils betroffenen
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Vgl. § § 1 - 2 berl. ASOG; § 1 nordrh.-westf. OBG; § 164 I schlesw.-holst. LVG; hess. SOG: Überschrift des 2. Abschnitts von Teil II (vor § 55); § 1 I nieders. SOG. S. § 14 I berl. ASOG, § 3 I hamb. SOG, § 1 I hess. SOG, § 11 nieders. SOG. §§ 1 I, 14 I nordrh.-westf. OBG. 213
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Bürger ein. Infolgedessen bedarf jede einzelne Maßnahme nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Ermächtigung36. Die notwendige gesetzliche Grundlage kann rechtstechnisch ausgestaltet sein entweder als Spezialermächtigung für bestimmte Fallgruppen oder aber als weitgefaßte Generalklausel. Im Polizeirecht der deutschen Länder werden seit jeher Generalklausel und Spezialermächtigungen nebeneinander verwandt. Die Generalklausel steht dabei im Vordergrund. Sie wird deshalb im folgenden schwerpunktmäßig behandelt. Ergänzt wird sie aber durch eine Vielzahl von Einzelermächtigungen an die Polizei, die teilweise Sondergebiete der Gefahrenabwehr, teilweise auch nicht materiell-polizeiliche Angelegenheiten betreffen 37 . Als Prototyp der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel kann heute der an die Tradition des § 14 I des preuß. PVG von 1931 anschließende § 8 ME PolG gelten: „Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung . . . abzuwehren,..." Die Generalklauseln, die in den geltenden Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Länder enthalten sind38, stimmen teilweise wörtlich, zumindest aber sinngemäß mit § 8 ME PolG überein. Deshalb kann sich die folgende Darstellung durchgehend an dieser Vorschrift orientieren. b) Subsidiarität der Generalklausel: Angesichts der unübersehbaren Vielfalt der Situationen, aus denen sich Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergeben können, erweist sich das System der Generalklausel als notwendig, wenn die Polizei ihre Ordnungsfunktion wirksam erfüllen soll. Ein noch so ausgeklügeltes System von Einzelermächtigungen könnte niemals sämtlichen zukünftigen Gefahren Rechnung tragen39. Gleichwohl bleibt es ein rechtsstaatliches Desiderat, daß der Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit die Generalklausel insoweit durch konkrete Einzelregelungen für bestimmte Sachgebiete ersetzt, wie das nach der Eigenart des jeweiligen Gebietes möglich erscheint. Derartige Einzelregelungen bestehen tatsächlich in erheblicher Zahl40. Im Rahmen ihres jeweiligen Anwendungsbereichs gehen sie nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen stets der Generalklausel vor. M. a. W.: 36 37 38
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Auf die Problematik der Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts über seinen traditionellen Anwendungsbereich hinaus kommt es insoweit nicht an. Überblick bei Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 129 ff. §§ 1, 3 bad.-württ. PolG; Art. 11 I bayer. PAG; § 14 I berl. ASOG; § 10 I brem. PolG; § 3 I hamb. SOG; § 1 I hess. SOG; § 11 nieders. SOG; § 8 I nordrh.-westf. PolG; §§ 1, 14 I nordrh.-westf. OBG; § 9 I rheinl.-pfälz. PVG; § 14 I saarl. PVG; § 171 schlesw.-holst. LVwG. Zur Notwendigkeit und Legitimation der polizeilichen Generalklausel gerade angesichts des in ständigem Wechsel befindlichen Spektrums aktueller Umweltgefahren vgl. treffend Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 328 (Fn. 1) zu Art. 3 Abs. 1. Beispiele s. unten Abschnitt II. 5; vgl. auch W. Martens, DÖV 1982, 89ff. (92ff.).
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die Generalklausel tritt hinter eine Spezialregelung zurück, sie ist subsidiär41. Im Geltungsbereich einer solchen Regelung darf die Generalklausel ausnahmsweise nur dann ergänzend angewandt werden, wenn die spezielle Vorschrift das (ausdrücklich oder sinngemäß) besonders zuläßt 42 oder wenn sie das betroffene Sachgebiet nicht erschöpfend erfaßt 43 . Für die Bearbeitung eines Falles ergibt sich daraus, daß stets vorrangig geprüft werden muß, ob für das in Betracht kommende Sachgebiet eine Sonderregelung besteht. Auf die Generalklausel darf erst dann zurückgegriffen werden, wenn zuvor festgestellt worden ist, daß ihre Anwendbarkeit nicht durch Spezialnormen ausgeschlossen wird. Sonderregelungen können enthalten sein entweder in allgemeinen, d. h. nicht polizei- oder ordnungsrechtlichen Gesetzen oder aber in Vorschriften aus dem Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts selbst. aa) Subsidiarität gegenüber polizei- und ordnungsrechtlichen Regelungen: Sämtliche Polizei- und Ordnungsbehördengesetze sehen nach dem Vorbild des § 14 II PVG ausdrücklich vor, daß den Polizei- und Ordnungsbehörden neben der Gefahrenabwehr nach Maßgabe der Generalklausel weitere Funktionen übertragen werden können. Dabei wird der subsidiäre Charakter der Generalklausel teils ausdrücklich hervorgehoben, wie z. B. in § 1 II nordrh.-westf. OBG: „Die Ordnungsbehörden führen (die Aufgaben der Gefahrenabwehr) nach den hierfür erlassenen besonderen Gesetzen und Verordnungen durch. Soweit gesetzliche Vorschriften fehlen oder eine abschließende Regelung nicht enthalten, treffen die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen nach diesem Gesetz". In anderen Fällen wird er stillschweigend unterstellt. Die hier angesprochenen „besonderen Gesetze" bilden einen Teil des Polizei- und Ordnungsrechts. Man kann insoweit von einer innerpolizeilichen Subsidiarität sprechen. Beispiele: Zuständigkeiten der Polizei- oder Ordnungsbehörden nach dem VersammlungsG 44 , dem BundesseuchenG, dem TierseuchenG, der Straßenverkehrsordnung 45 . Gewisse Fälle einer innerpolizeilichen Subsidiarität finden sich auch in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen selbst. So gibt es dort Regelun41 42
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Vgl. auch AG Heidelberg NJW 1978, 1638ff. (1639). Neben den verkehrsrechtlichen Vorschriften kann die Generalklausel dann herangezogen werden, wenn eine Anordnung aus anderen als verkehrspolizeilichen Gründen getroffen werden muß (OVG Lüneburg E l l , 408, 410); so z. B. bei Maßnahmen zur Reinhaltung der Straßen (OLG Hamm JMB1NW 1956, 128). - Auch neben der Berliner Bauordnung soll § 14 PVG (bzw. heute § 14 I berl. ASOG) anwendbar bleiben (BVerwG DVB1. 1961, 125 f.). Vgl. OVG Münster DVB1. 1973, 922ff. (924), hinsichtl. der StVO; OVG Münster DB 1980, 2080, hinsichtl. § 3 II AbfG; OVG Münster NJW 1986, 2900 hinsichtlich des HeilpraktikerG. Zur Subsidiarität der Generalklausel im Verhältnis zum VersammlungsG s. OVG Münster DÖV 1970, 344ff. (345); vgl. auch OVG Münster DVB1. 1982, 653ff. (654): Spezialität nur für versammlungsspezifische Gefahren. Dazu OVG Münster DVB1. 1973, 922ff. (924), mit Nachw. 215
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gen über die polizeiliche Ingewahrsamnahme von Personen und über das Betreten sowie die Durchsuchung von Wohnungen 46 . Derartige Maßnahmen dürfen jeweils nur unter den Voraussetzungen der Sonderregelung vorgenommen werden. Fehlen diese Voraussetzungen, dann müssen sie unterbleiben, auch wenn eine noch so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne der Generalklausel bestehen mag. bb) Subsidiarität gegenüber nicht polizeilichen Regelungen: Seit jeher hat der Gesetzgeber die Gefahrenabwehr in gewissen Sachbereichen durch Regelungen außerhalb des Polizei- und Ordnungsrechts normiert und hat die betreffenden Verwaltungsaufgaben anderen Behörden zugewiesen. Er hat diese Bereiche dadurch entpolizeilicht*1. Da die Polizei sich auf die Generalklausel „nur im Rahmen der geltenden Gesetze" stützen kann, sind ihr die in Betracht kommenden Materien damit grundsätzlich verschlossen. Zu den entpolizeilichten Gebieten gehört z. B. der größte Teil der staatlichen Überwachung und Lenkung im Bereich der Wirtschaft, obwohl es dort weithin darum geht, vom einzelnen Bürger und von der Allgemeinheit Gefahren abzuwehren, ferner das bundesrechtlich geregelte Immissionsschutzrecht (Bundesimmissionsschutzgesetz vom 15. März 1974, BGBl. I S. 721)48. Entpolizeilicht ist auch die Abwehr von Gefahren, die sich aus der materiellen Hilfsbedürftigkeit einzelner und aus der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen ergeben (Sozialhilfe, Jugendschutz49). Ausnahmsweise dürfen Polizei- und Ordnungsbehörden auf entpolizeilichten Gebieten dann tätig werden, wenn die an sich zuständige Behörde nicht rechtzeitig eingreifen kann und sofortige Maßnahmen notwendig sind, um unmittelbar bevorstehende Gefahren abzuwenden 50 . Die Polizei, die in zahlreichen Fällen eher zur Stelle ist als eine reine Schreibtisch-Behörde, soll nicht gezwungen sein, der Entstehung eines Schadens tatenlos zuzusehen. Diese Notzuständigkeit ist in den meisten neueren Landesgesetzen ausdrücklich niedergelegt51. Die Maßnahmen im Rahmen der Notzuständigkeit sind stets auf das unbedingt Erforderliche und Unaufschiebbare zu beschränken. Die an sich zuständige Behörde muß sofort unterrichtet werden. Auf ihr Verlangen hat die 46
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§§ 9ff. ME PolG; §§ 22, 25 bad.-württ. PolG; §§ 15, 21 brem. PolG; § 49 II brem. VwVfG; § 49 II hamb. VwVfG; §§ 46, 52, 9 hess. SOG; § 16, 22 nieders. SOG; §§ 9, 19 nordrh.-westf. PolG; §§ 14, 20 rheinl.-pfälz. PVG; §§ 180, 182 schlesw.-holst. LVwG. Es handelt sich hier um eine materielle Entpolizeilichung im Gegensatz zu der bloß formellen, wie sie bei der Übertragung gefahrenabwehrender Aufgaben von den Polizei- auf die Ordnungsbehörden (oben Abschnitt I. 5) erfolgt ist. Vgl. den Grenzfall VGH Mannheim DÖV 1975, 608 ff. mit Anm. Engelhardt. Vgl. G zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 (BGBl. I, S. 425); Bundessozialhilfegesetz vom 13. Februar 1976 (BGBl. I, S. 289). Zu den Not- und Hilfszuständigkeiten s. im übrigen unten Abschnitt III. 1 a, bb, cc. § 2 I bad.-württ. PolG; § 4 I berl. ASOG; § 1 II S. 1 hess. SOG; § 1 II nieders. SOG; § 1 I S. 2 nordrh.-westf. PolG; § 168 I Nr. 2 schlesw.-holst. LVwG.
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3. Abschn. I11 c
Polizei die getroffenen Maßnahmen zu beseitigen, und zwar auch dann, wenn sie nach wie vor von ihrer Notwendigkeit überzeugt sein sollte. Die Polizei ist also niemals befugt, der für das Sachgebiet kompetenten Stelle ihre eigene Auffassung aufzuzwingen. c) Schutzgüter der Generalklausel: Die Polizei darf im Rahmen der Generalklausel nicht beliebige Gefahren bekämpfen, sondern nur solche, durch die die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bedroht wird. Ist keines dieser beiden Schutzobjekte berührt, dann kann sie nicht tätig werden, mögen auch noch so schwerwiegende anderweitige Gefahren gegeben sein. Bei beiden Begriffen, dem der öffentlichen Sicherheit und dem der öffentlichen Ordnung, handelt es sich um sog. unbestimmte Rechtsbegriffe i. S. der verwaltungsrechtlichen Terminologie52. Die Behörde besitzt bei ihrer Anwendung nach fast einhelliger Auffassung keinen Beurteilungsspielraum. Das Verwaltungsgericht kann stets in vollem Umfange nachprüfen, ob tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegeben war53. Für den Außenstehenden mögen die beiden Begriffe auf den ersten Blick recht weit und vage erscheinen. Sie haben aber in einer ausgedehnten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte so scharfe Konturen gewonnen, daß sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsermächtigungen voll gerecht werden54. aa) Die öffentliche Sicherheit: Unter „öffentlicher Sicherheit" versteht man traditionell die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger einerseits sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen andererseits55. Wir haben hier also zwei Schutzrichtungen, eine individual- und eine gemeinschaftsbezogene. Letztere umfaßt, neben Bestand und Einrichtungen des Staates im engeren Sinne, auch die „kollektiven Rechtsgüter", deren Schutz mit Rücksicht auf die Allgemeinheit, vornehmlich auf das Leben in der staatlich organisierten Gemeinschaft, geboten ist56. Daß auch die Unversehrtheit der Individualgüter einen Teil der „öffentlichen" Sicherheit bildet, zeigt sich schon darin, daß die Polizei nach dem Wortlaut der Generalklausel Gefahren nicht nur von der Allgemeinheit, son52
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Vgl. die Nachweise bei Ule / Rasch, a. a. O., § 1 ME Rdnr. 49; insbes. PrOVG 106, 61 (63f.); BGH DVB1. 1954, 813f. = VerwRspr. 7, 689f. BGH, a.a.O. Dazu BVerfGE 54, 143 (144); 69, 315 (352); BVerwG DVB1. 1970, 504ff. (506); VGH Mannheim NVwZ 1988, 166. F. Werner, BayVBl. 1970, 41 ff. (42 - 43); Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Rdnr. 81 zu Art. 2 I. BVerfGE 69, 315 (352); Peters, VerwR, S. 377; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 232f.; diese klassische Definition geht zurück auf die amtl. Begründung zum preuß. PVG von 1931, von der insoweit auch die heute geltenden Landesgesetze ausgehen; vgl. H. H. Klein, D-VB1. 1971, 233ff. (236). BVerwG DVB1. 1974, 297 ff. (299 - 300): öffentliche Wasserversorgung als Schutzgut der Generalklausel. 217
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dern auch vom einzelnen abzuwehren hat57. Innerhalb der zu schützenden Individualgüter lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: die materiellen und die immateriellen Güter. Das Schwergewicht des polizeilichen Schutzes verlagert sich dabei immer stärker auf die zweite Gruppe, zumal es ohnehin primär Aufgabe der Gerichte ist, Rechtsschutz gegenüber Eingriffen in die Vermögenssphäre zu gewähren (notfalls durch einstweilige Verfügung). Zunehmende Bedeutung besitzt in unserer Zeit der Schutz der menschlichen Gesundheit 573 vor den zahlreichen Gefährdungen, die die moderne Lebensweise mit sich bringt (Lärm, Immissionen usw.). Der Schutz von Individualgütern durch die Polizei erfolgt freilich nicht (zumindest nicht primär) im privaten Interesse der Betroffenen 58 . Die öffentliche Sicherheit ist vielmehr nur dann berührt, wenn die konkrete Gefahrenlage Ausstrahlungswirkungen in die Öffentlichkeit erzeugt und damit ein öffentliches Interesse an ihrer Abwehr besteht59. Die bloße Selbstgefährdung eines Bürgers, die weder Dritte noch die Allgemeinheit mitgefährdet, rechtfertigt kein polizeiliches Einschreiten 60 . Die öffentliche Sicherheit erfordert, daß die verfassungs- und gesetzmäßig bestehenden Einrichtungen des Staates in ihrer rechtmäßigen Funktion nicht behindert werden. Einrichtungen in diesem Sinne sind die Volksvertretungen und Regierungen, die staatlichen Behörden (einschließlich der Polizei- und Ordnungsbehörden selbst!61), aber auch Selbstverwaltungskörperschaften (Gemeinden, Universitäten) und öffentliche Anstalten. Die Polizei kann im Rahmen der Generalklausel derartige Behinderungen unterbinden, auch wenn sie im Einzelfall keinen Straftatbestand erfüllen. Der öffentlichen Sicherheit dient die Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Zu ihr ist die Polizei deshalb stets auf Grund der Generalklausel berechtigt62. Anders ist die Rechtslage dagegen bei der Strafverfol57 57 a 58
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Dazu insbes. W. Martens, DÖV 1976, 457 ff. Zur Gesundheit als Schutzgut s. OLG Karlsruhe NJW 1984, 502 ff. (503). Deshalb kann der einzelne einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung grundsätzlich nicht unter Berufung auf Notwehr oder Nothilfe entgegentreten, es sei denn, daß der Störer zugleich in rechtlich geschützte Individualinteressen eingreifen würde; vgl. BGH DVB1. 1975, 579ff. (580). So ausdrücklich z. B. § 1 I bad.-württ. PolG: soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist"; vgl. auch W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 171; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 577 - 78 sowie S. 266 Fn. 82 (Rechtsprechungsnachweise); H. H. Klein, DVB1. 1971, 233ff. (236). Beispiele bei Drews /Wacke / Vogel / Martens, S. 230 f. — Zur Frage des Einschreitens bei Selbstmordversuchen vgl. Schnupp, Polizei 1980, 341 ff. Vgl. BVerwG DÖV 1976, 569: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch häufiges unmotiviertes Anrufen der Polizei; zur Abgrenzung zwischen der Gefährdung der staatlichen Institution „Polizei" und normaler Inanspruchnahme polizeilicher Tätigkeit: VG Stade NVwZ 1985, 933ff. (934). Vgl. z. B. OVG Münster, VRspr. 7, 558ff. (560) = NJW 1954, 1664. Dies umfaßt auch die Führung und weitere Aufbewahrung einer Kriminalakte: VGH München NJW 1984, 2235 ff. (2237 f.).
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gung. Hier würde in den meisten Fällen die Anwendbarkeit der Generalklausel schon daran scheitern, daß der Schaden für das geschützte Rechtsgut bereits endgültig eingetreten ist (das Opfer ist getötet, die Sache ist zerstört), so daß eine Gefahr nicht mehr abgewehrt werden kann. Abgesehen davon gehen die Bestimmungen der StPO (insb. §§ 158, 163 ff.) über die polizeilichen Aufgaben im Rahmen der Strafverfolgung vor. Die nur subsidiär geltende Generalklausel ist damit ausgeschaltet. Nach herrschender Meinung stört jeder Verstoß gegen eine geltende Norm des öffentlichen Rechts die öffentliche Sicherheit 63 . Infolgedessen kann die Generalklausel als Sanktionsnorm bei Verletzung von Verbotsvorschriften 64 dienen, die selbst keine besondere Eingriffsermächtigung vorsehen. So kann, bei Fehlen entsprechender baurechtlicher Ermächtigungen, die Einstellung ungenehmigter Bauarbeiten auf Grund der Generalklausel angeordnet werden 65 . Diese Befugnis steht allerdings grundsätzlich nur der Ordnungsbehörde zu, nicht dagegen der Behörde, die für die Erteilung der fehlenden Erlaubnis zuständig wäre 66 . Auch in diesem Zusammenhang ist selbstverständlich die Subsidiarität der Generalklausel zu beachten. Die Rechtsschutzfunktion der Gerichte und sonstiger Stellen geht, soweit ihr Wirkungskreis reicht, stets vor. bb) Die öffentliche Ordnung61: Der Begriff der öffentlichen Ordnung bereitet vielfach größere Schwierigkeiten. Wie schon nach § 14 I PVG versteht 63
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BVerwG NWwZ 1986, 470 f. (470); OVG Münster DVB1. 1975, 588 f. (589), und DÖV 1984, 80; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 236f.; vgl. aber auch H. H. Klein, DVB1. 1971, 233ff. (238). Auch von solchen des Bundesrechts; vgl. BVerwG NJW 1981, 242f. OVG Münster, BRS 20, 287 ff. (289); vgl. auch VG Sigmaringen DÖV 1976, 570 ff. (571): Verbot des ungenehmigten Vertriebs von sog. Minispionen wegen Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit; ferner OVG Münster NJW 1979, 1058f. (1059): betr. Verstoß gegen wohnungsrechtliches Zweckentfremdungsverbot; BVerwG NVwZ 1986, 470f. u. 1987, 493f. (494): Verstoß gegen landschaftsschutzrechtliche Verbote. Vgl. BVerwG DÖV 1975, 208, betr. Einschreiten bei fehlender Sondernutzungserlaubnis nach § 8 I, II BFStrG. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität des Schutzes der öffentlichen Ordnung im hier verstandenen Sinne auch unter den Anforderungen des demokratischen Rechtsstaats s. H. H. Klein, DVB1. 1971, 233 ff. (238-240); Erbel, DVB1. 1972, 475ff.; Peine, DV 12 (1979), S. 25ff.; von der grundsätzlichen Legitimität geht auch BVerfGE 69, 315 (352f.) aus; anderer Ansicht namentlich Denninger, Polizei in der freiheitlichen Demokratie, 1968, S. 31-38; Götz a. a. O., S. 53ff.; Isensee, in: Essener Gespräche H. 11 (1977), S.9ff. (13-14); Achterberg, in: Fs. f. Scupin, S.9ff; Hill, DVB1. 1985, 85ff. (88ff.); vgl. auch W. Martens, DÖV 1982, 89ff. (91 f.). Insgesamt gesehen, sind Bedeutung und Anwendungsfelder der „öffentlichen Ordnung" heute stark zurückgegangen; das Bremische Polizeigesetz vom 21.3. 1983 (GBl. 141) verzichtet sogar als erstes deutsches Polizeigesetz darauf, der Polizei den Schutz der öffentlichen Ordnung zu übertragen. Eine Übersicht über verbleibende Anwendungsbereiche dieses Schutzgutes geben Drews /Wacke/Vogel /Martens, S. 251 ff. 219
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man auch heute unter ihm die Gesamtheit der (zumeist ungeschriebenen) Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird 68 . Die Regeln der öffentlichen Ordnung sind nicht als Rechtsvorschriften zu qualifizieren 69 . Wären sie das, so würde ein Verstoß bereits die Rechtsordnung (und damit die öffentliche Sicherheit) verletzen. Es handelt sich vielmehr um Wertvorstellungen, die erst dadurch rechtlich relevant werden, daß ihre Verletzung unter der Sanktion des polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Einschreitens steht. Bereits aus dem Fehlen des Normcharakters ergibt sich, daß die Regeln der öffentlichen Ordnung die Bürger nicht in ihrem Verhältnis untereinander berechtigen und verpflichten können. Niemand hat auf Grund der Polizeigesetze einen Anspruch darauf, daß andere die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung beachten. Der einzelne kann deshalb auch keine Notwehr gegen den Störer der öffentlichen Ordnung üben 70 . Es bleibt vielmehr stets der zuständigen Polizei- bzw. Ordnungsbehörde vorbehalten, bei einer Verletzung einzuschreiten 71 . Die sozialen und ethischen Wertvorstellungen, die in ihrer Gesamtheit die öffentliche Ordnung bilden, sind nicht statisch. Sie variieren im Laufe der Zeit und können auch von Ort zu Ort verschieden sein 72 . Die Entwicklung der maßgeblichen Wertvorstellungen erfolgt allerdings nicht völlig autonom. Sie ist vielmehr in die geltende Rechtsordnung eingebettet 723 . Da die öffentliche Ordnung vom Recht anerkannt und geschützt wird, kann eine Wertung, die der Verfassung oder einem Gesetz widerstreitet, niemals Bestandteil eben dieser öffentlichen Ordnung sein. Aus diesem Grund werden die Beurteilungsmaßstäbe heute entscheidend vom Grundgesetz geprägt. Frühere Anschauungen über die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung müssen daraufhin überprüft werden, ob sie sich im Einklang mit der freiheitlich-demo-
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Vgl. neben BVerfGE 69, 315 (352) auch OVG Münster OVGE 12, 112ff. (115); OVG Koblenz BRS 28, 107ff. (109); BVerwG NJW 1980, 1640ff. (1641); VGH München NVwZ 1984, 254; VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (508 f.). - Zum heutigen Verständnis im Schrifttum vgl. Thieme, ZRP 1979, 7ff.; Peine, DV 12 (1979), S. 25 ff. 69 Dazu VG Freiburg, Bad.-württ. VB1. 1964, 187. 70 BGH DVB1. 1975, 579ff. (580). 71 Zu der Frage, inwieweit der einzelne verlangen kann, daß die Behörde zu seinem Schutz tätig wird, s. unten Abschn. II 1 f. 72 Vgl. etwa BVerwG NJW 1980, 1640 ff. (1641): Die öffentliche Ordnung wird durch Lärm gestört, der zwar noch keine Gesundheitsgefahr bildet (und deshalb nicht die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt), gleichwohl aber das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß überschreitet; hierzu auch OVG Münster NVwZ 1983, 102; ferner OVG Lüneburg NJW 1974, 820f.: Bordellbetrieb verstößt gegen die öffentliche Ordnung; s. a. BVerwGE 64, 274: Sittenwidrigkeit von Peep-Shows. 72a Vgl. VGH Kassel NJW 1984, 1368 ff. 220
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kratischen Grundordnung im Sinne des GG befinden . Politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen stören so lange nicht die öffentliche Ordnung wie sie sich im Rahmen des Grundgesetzes halten. Übt jemand ein ihm zustehendes Grundrecht aus, so kann er damit nicht die öffentliche Ordnung verletzen. Deshalb darf die Polizei z. B. die Aufführung eines Films, die durch das Grundrecht der Kunstfreiheit in Art. 5 III GG gedeckt ist, nicht untersagen 74 . Eine Versammlung, die friedlich und ohne Waffen durchgeführt wird, ist nach Art. 8 I GG ohne Erlaubnis gestattet; sie verstößt nicht gegen die öffentliche Ordnung 75 . Zu prüfen bleibt freilich stets, wie weit sich der Wirkungsbereich des jeweils in Anspruch genommenen Grundrechts erstreckt. Es kann nämlich sein, daß dieser Bereich seinerseits unmittelbar oder mittelbar durch die Schutzobjekte der polizeilichen Generalklausel beschränkt wird. Die Rechtslage ist insoweit bei den einzelnen Grundrechten sehr verschieden. Sie hängt davon ab, inwieweit das GG eine Einschränkung des betreffenden Grundrechts zuläßt76. In jedem Fall gilt, daß die Polizei die für die öffentliche Ordnung maßgeblichen Wertvorstellungen nicht selbst bilden, also nicht eigene Maßstäbe entwickeln darf, sondern sie rein kognitiv festzustellen hat. Sie muß empirisch erforschen, welches die in der Gemeinschaft herrschenden Vorstellungen sind. Eine völlige Einhelligkeit wird sich dabei regelmäßig nicht ergeben. Es genügt deshalb, wenn die betreffenden Anschauungen von der überwiegenden Mehrheit getragen werden. Ist dagegen eine bestimmte Frage so umstritten, daß sich nicht einmal eine deutlich überwiegende Mehrheit für eine Auffassung ermitteln läßt, dann muß es bei dem non liquet bleiben. Eine von der Polizei durchzusetzende Anforderung der öffentlichen Ordnung besteht dann insoweit nicht. d) Polizeiliche Gefahr: Jedes Einschreiten auf Grund der Generalklausel setzt voraus, daß einem der Schutzgüter eine Gefahr droht. Damit wird der Begriff der Gefahr 77 zu einem der Zentralbegriffe des Polizei- und Ordnungsrechts. Die klassische Formulierung des preuß. OVG, die noch heute als maßgeblich gilt, definiert die Gefahr als eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf erkennbar zu einem Schaden, d. h. zur Minderung eines tatsächlich vorhandenen normalen Bestandes an Lebensgütern durch von außen kommende 73 74 75 76 77
Insoweit zutreffend Denninger, a. a. O., S. 7 ff. BVerwGE 1, 303 („Sünderin"-Fall). Zum Verhältnis von Versammlungsfreiheit und Polizei s. überzeugend H. H. Klein, DVB1. 1971, 233 ff. (240 - 242) mit Nachweisen zum Streitstand. Zur Grenzziehung zwischen Grundrechtsschutz und Anforderungen der öffentlichen Ordnung s. näher die 5. Aufl. dieses Beitrags, S. 185 ff. Zum Begriff der polizeilichen „Gefahr" s. VG Münster NVwZ 1983, 238f.; VGH Kassel NJW 1984, 1368ff.; O.Schneider, DVB1. 1980, 406ff.; Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (213-14). 221
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Einflüsse führen würde 78 . Die Feststellung einer Gefahr erfordert damit stets die Prognose eines zukünftigen (hypothetischen) Geschehensablaufs. Diese Prognose muß sich eines objektiven Maßstabs bedienen 79 . Subjektive Befürchtungen besonders ängstlicher Betrachter rechtfertigen kein polizeiliches Einschreiten. Von einem Schaden kann erst gesprochen werden, wenn die zu erwartende Beeinträchtigung einen bestimmten Intensitätsgrad erreicht. Bloße Belästigungen, die hinter diesem Intensitätsgrad zurückbleiben, müssen hingenommen werden 80 . Auch sie können aber, je nach Lage des Falles, als Schaden gewertet werden, wenn sie gehäuft auftreten 81 . Unter den heutigen Gegebenheiten des Zusammenlebens zahlloser Menschen auf engem Raum lassen sich vielfach Beeinträchtigungen nicht oder nur schwer vermeiden. Würde man die maßgebliche Intensitätsschwelle zu niedrig ansetzen, dann müßten Betätigungsweisen als Gefahren qualifiziert werden, auf die die moderne Gesellschaft nicht verzichten kann (Straßenverkehr, industrielle Produktionen). Würde man sie umgekehrt zu sehr nach oben verschieben, dann könnte das Gemeinschaftsleben zur technisch perfektionierten Hölle werden. Die Abgrenzung zwischen dem Bereich des von der Polizei zu verhütenden Schadens und der polizeilich irrelevanten bloßen Belästigung erfordert damit stets ein Werturteil, bei dem die konkurrierenden Lebensgüter und Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Abstrakte Formeln, wie man sie vielfach findet, können dabei nur wenig helfen. Das Ergebnis der Abwägung kann nach Zeit und Ort verschieden sein. Ein bestimmter Lärmpegel, der tagsüber als bloße Belästigung geduldet werden muß, kann während der Zeit der Nachtruhe zu einer Gesundheitsgefahr führen. Gerüche, die in ländlichen Verhältnissen normal sind, erweisen sich in der Stadt möglicherweise als Gefahrenquellen 82 . Die definitorische Einschränkung, daß die Beeinträchtigung einem tatsächlich vorhandenen Bestand an Lebensgütern drohen muß, ergibt sich aus dem Verbot der sog. Wohlfahrtspflege. Die Polizei ist dazu berufen, das Vorhandene zu sichern, nicht aber den bestehenden Zustand in Richtung auf eine Verbesserung der Verhältnisse zu ändern. 78
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81 82
PrOVG 77, 333 (338); OVG Lüneburg, OVGE 10, 341 (342); OVG Münster, OVGE 14, 69ff. (73); OVG Münster, NVwZ 1985, 355ff. (356); BVerwG NJW 1970, 1890ff. (1892); ähnlich BVerwGE 45, 51 (57); OLG Karlsruhe DVB1. 1977, 968; vgl. auch VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (509). Vgl. BVerwGE 45, 51 (57): „bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens". PrOVG 95, 141 (LS, 143); OLG Karlsruhe NJW 1978, 1637f.; VGH Kassel NJW 1984, 1368 f. (1369). Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1978, 1637f. (betr. wildes Plakatieren). Vgl. den sog. Schweinemäster-Fall: OVG Münster, OVGE 11, 250ff. = DÖV 1957, 870f. = DVB1. 1957, 867. - Zur Belästigung durch Dünste oder Rauch s. VGH Kassel DÖV 1950, 376; BVerwG DVB1. 1969, 586; zum nächtlichen Hundegebell s. PrOVG 88, 209 (212).
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Polizeilich geschützt ist nur der normale Bestand an Lebensgütern. Deshalb bedeutet eine Beeinträchtigung dann keine Gefahr, wenn sie lediglich infolge einer außergewöhnlichen Disposition (etwa einer besonderen Empfindlichkeit) der Betroffenen zu einem Schaden führen kann. Hundegebell, das in einer Wohngegend von normal Empfindlichen allenfalls als Belästigung empfunden wird, kann nicht deshalb untersagt werden, weil es einen einzelnen Schwerkranken ernstlich in seiner Gesundheit gefährdet; anders wäre u. U. bei Hundegebell in einem Klinikviertel zu entscheiden. Da es sich um die Abwehr drohender, d. h. noch bevorstehender Gefahren handelt, wird vielfach keine über jeden Zweifel erhabene Aussage über den Schadenseintritt möglich sein. Ob eine Hausruine Lebensgefahren herbeiführt, läßt sich mit völliger Gewißheit erst feststellen, wenn sie bereits eingestürzt ist und einen Passanten erschlagen hat. Daher genügt es für die Annahme einer bevorstehenden Gefahr, daß nach der Lebenserfahrung die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, der Schaden werde ohne Eingreifen der Polizei eintreten83. Eine absolute Gewißheit ist nicht erforderlich. Der Grad an Wahrscheinlichkeit, der im Einzelfall gefordert werden muß, um ein Einschreiten zu rechtfertigen, hängt von der Bedeutung des jeweiligen Schutzgutes und vom Umfang des befürchteten Schadens ab84. Auch die Feststellung der „hinreichenden" Wahrscheinlichkeit ist insofern kein reiner Erkenntnisakt. Sie schließt vielmehr eine wertende Abwägung 843 auf der Grundlage des rechtsstaatlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit ein. Ist das Schutzgut besonders bedeutsam oder der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringere Anforderungen gestellt werden85. In den Fällen, in denen das Gesetz für bestimmte Eingriffe (Maßnahmen gegen Nichtstörer im polizeilichen Notstand, polizeilicher Gewahrsam u. a.) eine „gegenwärtige" oder eine „unmittelbar bevorstehende" Gefahr voraussetzt, sind dagegen regelmäßig strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad zu stellen, zumal die geforderte zeitliche Nähe der Gefahr normalerweise auch die Sicherheit der Prognose erhöhen wird86.
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BGH DVB1. 1954, 813; OVG Saarlouis DÖV 1973, 863ff. (864); VGH München NJW 1979, 2631; OVG Münster NJW 1980, 956; OVG Lüneburg NJW 1986, 2007. 84 OVG Lüneburg DVB1. 1977, 347ff. (351); OVG Münster NVwZ 1985, 355ff. (356); vgl. auch VG Berlin NJW 1983, 1014f. (1015); VGH Mannheim NJW 1984, 507ff. (509) m. weit. Nachw.; s. auch Ossenbühl, NVwZ 1986, 161ff. (162-163). 84a OVG Lüneburg NJW 1986, 2007: „prognostische Bewertung seiner künftigen Entwicklung". 85 BVerwG NJW 1970, 1890 ff. (1892); BVerwGE 47, 31 (40); BVerwG NJW 1981, 1915; OVG Münster NVwZ 1985, 355ff. (356). 86 BVerwGE 45, 51 (58); OVG Saarlouis DÖV 1973, 863ff. (864). - S. a. OVG Münster DVB1. 1982, 653 f. (654): Der Verdacht einer Gefahr rechtfertigt die Sicherstellung von Sachen; krit. hierzu: Schwabe, DVB1. 1982, 655ff.; Riegel, DVB1. 1982, 1066 ff. 223
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Für die Ermittlung der Gefahr kommt es auf die Beurteilung ex ante, also im Zeitpunkt des polizeilichen Handelns, an87. War damals der Schaden wahrscheinlich, dann ist die Bejahung der Gefahr rechtmäßig, auch wenn der weitere Verlauf die Prognose als unrichtig erweisen sollte88. Die so charakterisierte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muß grundsätzlich objektiv vorliegen. Die Rechtfertigung zum Eingreifen ergibt sich also nicht aus der subjektiven Überzeugung des handelnden Beamten, sondern aus der objektiv gegebenen Lage. — In der Praxis begegnen allerdings oftmals Situationen, in denen tatsächliche Umstände auf das Vorliegen einer Gefahr hindeuten, ohne daß aber sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann (Anscheinsgefahr, Putativgefahr). Hier wird der durch Tatsachen erhärtete88" Anschein der Gefahr als selbständige Störung i. S. des Polizeirechts angesehen89. Es handelt sich um eine Hilfskonstruktion, die verhindern soll, daß die Polizei den Ereignissen so lange tatenlos zusehen muß, bis es für die Abwendung des Schadens zu spät ist. Die Polizei darf demnach einen dem objektiven Anschein nach gefahrbringenden Kausalverlauf so lange unterbrechen, bis sie in der Lage ist, sich Klarheit über das tatsächliche Vorhandensein einer Gefahr zu verschaffen („GefahrerforschungseingrifP' 89a ) 9 °. Ein Einschreiten wäre dagegen rechtswidrig, wenn der handelnde Beamte sich den Anschein der Gefahr lediglich subjektiv eingebildet hätte, ohne daß entsprechende objektive Verdachtsmomente gegeben gewesen wären 91 . e) Anwendung der Generalklausel: Um die Generalklausel auf einen bestimmten Fall anwenden zu können, müssen wir uns Klarheit über ihre rechtliche Konstruktion und das Zusammenspiel ihrer einzelnen Elemente verschaffen. Das wird durch eine sprachliche Umformulierung erleichtert: 87
BVerwG DVB1. 1975, 888ff. (889): „nach den Verhältnissen und dem Erkenntnisstand zur Zeit ihres Erlasses"; ähnlich OVG Lüneburg NJW 1986, 2007. 88 OVG Münster NJW 1980, 956; s. a. BGH DVB1. 1954, 813. 88a S. OVG Münster NVwZ 1987, 615ff. (616). 89 BVerwGE 45, 51 (58); BVerwG DVB1. 1975, 888ff. (889); näher dazu HoffmannRiem, in: Fs. f. Wacke, S. 327ff.; Gerhardt, Jura 1987, 521 ff.; vgl. auch VG Würzburg NJW 1980, 2541 ff. (2542); OVG Münster DVB1. 1982, 653 f. (654); OVG Lüneburg NJW 1984, 192 ff. (193) u. NJW 1986, 2007. Nach OVG Hamburg NJW 1986, 2005 ff. (2006) hat der (vermeintliche) Störer die Kosten der Maßnahme allerdings nur dann zu tragen, wenn er den Anschein einer Gefahr tatsächlich veranlaßt hat. 89a VGH Mannheim DÖV 1985, 687f. (688); VGH München BayVBl. 1986, 590ff. (591); s. auch Papier, DVB1. 1985, 873ff. (875) und Schlink, DVB1. 1986, 161 ff. (165). 90 PrOVG 77, 333 (339); VGH Mannheim DVB1. 1970, 511 ff. (514); vgl. auch BGHZ 5, 144 (LS 1, 149); teilweise abweichend Ule /Rasch, a. a. O., § 1 ME Rdnr. 28, 29. — Nach OVG Münster NJW 1980, 138, kann eine Anscheinsgefahr auch die polizeiliche Ingewahrsamnahme rechtfertigen. 91 Zumindest in der Formulierung zu weit OVG Berlin DÖV 1974, 27ff. (28): „die Polizei konnte davon ausgehen, d a ß . . . " ; vgl. auch Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (213-14). 224
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„Wenn der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine Gefahr droht, dann kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen." Bei dieser Formulierung heben sich die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen deutlich von der Rechtsfolgebestimmung ab. aa) Der Tatbestand erfordert, daß die Allgemeinheit oder ein einzelner einer Gefahr (oben I. 1 d) ausgesetzt ist und daß dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (oben I. 1 c) bedroht wird. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Einzelfall vom Verwaltungsgericht voll nachzuprüfen 92 . Ein Beurteilungsspielraum steht der Polizei insoweit nicht zu. bb) Die Rechtsfolge wird dagegen vom Gesetz in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt: Sie hat „nach pflichtgemäßem Ermessen" vorzugehen. Es gilt hier also das Opportunitätsprinzip93, nicht das Legalitätsprinzip. Die Grenzen des polizeilichen Ermessens94 bestimmen sich nach den Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Dazu gehört insbesondere die Regel, daß von jeglicher Ermessensermächtigung nur entsprechend ihrem Zweck Gebrauch gemacht werden darf. Die Polizei darf ihr Ermessen deshalb nur aus polizeilichen Gründen, also unter dem Blickwinkel der Erfordernisse der Gefahrenabwehr, ausüben 95 . Es gilt das Gebot der Verfolgung „polizeilicher Motive". Das Ermessen erstreckt sich zunächst auf die Frage, ob im Einzelfall überhaupt eingeschritten werden soll oder nicht. Unter Umständen kann ein Einschreiten unterbleiben, um die Entstehung anderweitiger schwerer wiegender Polizeigefahren oder Mißstände zu verhindern 96 . Die polizeiliche Aufgabe würde jedoch verfehlt und der Ermessensrahmen eindeutig überschritten, wenn man dazu überginge, aus Gründen politischer Opportunität erhebliche Rechtsbrüche systematisch zu tolerieren. Hat die Polizei sich im Rahmen ihres Ermessens einmal zum Eingreifen entschlossen, dann taucht die weitere Frage auf, wie sie vorgehen soll. Dabei ist sie nicht in gleicher Weise frei wie bei der Entscheidung über das „Ob". Die Generalklausel gestattet ihr nämlich nur die Anwendung „notwendiger Maßnahmen". Die Notwendigkeit muß jeweils nach den Umständen des konkreten Falles ermittelt werden97. Notwendig ist eine Maßnahme insbesondere dann nicht, wenn sie objektiv untauglich ist, um den erstrebten Erfolg herbei92 93 94 95
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Vgl. oben zu Fn. 52-54. Dazu Ossenbühl, DÖV 1976, 463 ff. Schmatz, Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht, 1966; Drews / Wacke / Vogel/ Martens, S. 370-405. VGH Stuttgart VerwRspr. 9, 749 (LS 4, 753); etwas weitgehend OVG Münster, VerwRspr. 20, 170 (LS 2, 173). Zum Ermessen beim Einschreiten gegen rechtswidrige Demonstrationen s. LG Hannover DVB1. 1970, 520ff.; OLG Celle DÖV 1972, 243 ff. (244). Vgl. OVG Lüneburg NJW 1974, 820f.; OVG Münster, OVGE 8, 320; OVG Münster GewArch. 1971, 92. Es handelt sich hier um eine Rechts-, nicht eine bloße Ermessensfrage; s. dazu BVerwGE 30, 313; VGH Mannheim DVB1. 1970, 511 ff. (513). 225
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zuführen , ferner wenn sie etwas tatsächlich oder rechtlich Unmögliches verlangt". In unmittelbarem Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Maßnahme stehen zwei rechtsstaatliche Anforderungen, die in den neueren Polizeigesetzen noch einmal ausdrücklich bekräftigt worden sind: die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des geringstmöglichen Eingriffs. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf eine Maßnahme nicht zu einem Schaden führen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht100. Bei der gebotenen Abwägung sind u. a. die Bedeutung des jeweils bedrohten Schutzguts, die Schwere des drohenden Schadens und der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu berücksichtigen101. Unter Umständen kann hier auch der Grad des Verschuldens eine Rolle spielen, das den Polizeipflichtigen an der Entstehung der Gefahr trifft 102 , obwohl die Störerhaftung als solche nicht vom Verschulden abhängt. Das Erfordernis des geringstmöglichen Eingriffs verlangt, daß unter verschiedenen an sich tauglichen Maßnahmen nur diejenigen angewandt werden dürfen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen 103 . Beide Grundsätze stehen nicht alternativ, sondern kumulativ nebeneinander. Sie sind also gleichzeitig zu beachten. Wenn im Einzelfall eine Maßnahme, die den geringstmöglichen Eingriff zur Beseitigung der Gefahr darstellt, immer noch zu einem unverhältnismäßigen Schaden führen, also gegen das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, dann muß die Polizei in diesem Fall überhaupt untätig bleiben. Bleiben nach Beachtung der Erfordernisse von Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und geringstmöglichem Eingriff mehrere rechtlich zulässige Maßnahmen übrig, dann kann die Polizei unter diesen nach pflichtgemäßem Ermessen wählen104. Sie hat jedoch dem Betroffenen auf Antrag zu gestatten, ein von ihm angebotenes anderes Mittel anzuwenden, durch das die Gefahr ebenso wirksam abgewehrt werden kann 105 .
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OVG Lüneburg DVB1. 1957, 275 (276) = OVGE 11, 360 (363). Vgl. PrOVG 24, 384 (385); VGH Kassel BRS 17, 262; OVG Bremen BRS 18, 239f. (240). Z. B. § 5 II bad.-württ. PolG; § 8 II berl. ASOG; § 15 II nordrh.-westf. OBG; § 5 S. 2 hess. SOG; § 2 II rheinl.-pfälz. PVG. Dazu BVerwGE 39, 190 (195); OVG Münster NJW 1980, 2210f.; eingehend Riegel, BayVBl. 1980, 581 ff. BVerwG DVB1. 1974, 297ff. (300); OVG Münster NJW 1980, 2210f. (2211). Vgl. OVG Münster DVB1. 1975, 588 f. (589). Z. B. § 3 II ME PolG; § 5 I bad.-württ. PolG; § 8 I berl. ASOG; § 2 I nordrh.-westf. PolG; § 15 I nordrh.-westf. OBG; § 5 S. 1 hess. SOG; § 4 I nieders. SOG. - Dazu VGH Mannheim DVB1. 1987, 153ff. (154f.). OVG Münster NJW 1980, 2210 f. (2211). § 9 II 2 berl. ASOG; § 3 II 2 nordrh.-westf. PolG; § 21 S. 2 nordrh.-westf. OBG; § 8 S. 2 hess. SOG; § 3 II 2 rhein.-pfälz. PVG; eingehend dazu Grupp, VerwA 69 (1978), S. 125 ff.
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cc) Die Fallprüfung vollzieht sich also folgendermaßen : 1. Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (gerichtlich nachprüfbare Rechtsanwendung), 2. Entscheidung, ob eingeschritten werden soll oder nicht (Ermessensfrage), 3. Bestimmung der notwendigen Mittel (Rechtsanwendung), 4. Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden notwendigen Mitteln (Ermessensfrage), 5. Prüfung, ob ein vom Betroffenen angebotenes anderweitiges Mittel ebenso geeignet ist (Rechtsanwendung). f ) Pflicht der Polizei zum Einschreiten und Rechtsanspruch des Bürgers auf Einschreiten: Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen kann sich der Ermessensspielraum einer Behörde im Einzelfall soweit verengen, daß nur eine einzige Entscheidung den Erfordernissen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung genügt (sog. Ermessensreduzierung auf Null). In diesem Falle ist die Behörde positiv verpflichtet, in dem bestimmten Sinne vorzugehen. Jedes andere Verhalten wäre rechtswidrig. Derartige Situationen kommen im Polizeirecht nicht selten vor. Wenn Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum eines Bürgers oder wenn das Funktionieren öffentlicher Einrichtungen unmittelbar durch erhebliche Gefahren bedroht sind und wenn die Polizei in der Lage ist, diesen Gefahren ohne Vernachlässigung anderer gleichgewichtiger Schutzgüter zu begegnen, dann wird regelmäßig nur der Entschluß zum Einschreiten als pflichtmäßige Betätigung des Ermessens angesehen werden können. Andernfalls würde die Polizei die auch vom BVerfG anerkannte „Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen"107, grob vernachlässigen107®. Die Polizei ist deshalb rechtlich verpflichtet, die Gefahr abzuwenden 108 . Das muß insbesondere dann gelten, wenn Bürger, die durch die polizeiwidrigen Vorgänge bzw. Zustände in ihren Rechtsgütern bedroht sind, aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht über die Möglichkeit einer Selbsthilfe verfügen. Die Feststellung einer polizeilichen Pflicht zum Einschreiten bedeutet nun allerdings nicht ohne weiteres, daß die betroffenen Bürger zugleich ein subjektiv-öffentliches Recht und damit einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen die Polizei auf Tätigwerden zu ihrem Schutz besitzen; denn nicht jeder öffentlich-rechtlichen Pflicht einer Behörde korrespondiert ein Anspruch desjenigen, der von ihrer Erfüllung Vorteile hat. Ein Anspruch ist
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Dazu s. auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 372. BVerfGE 46, 214 (223). 107a Vgl. zu dieser Problematik Mußgnug, in: Die Durchsetzung des Rechts, 1984, S. 59 ff. (insb. 62 ff.). 108 S. z. B. BVerwGE 11, 95 (97); BGH VerwRspr. 5, 319ff. (320); BGH DVB1. 1953, 676; BGH VRS 7, S. 87ff.; OVG Münster BRS 18, 254f.; R. Krüger, Privatrechtsschutz als Polizeiaufgabe, 1976. 107
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vielmehr nur dann gegeben, wenn die pflichtbegründende Rechtsnorm nicht lediglich öffentlichen Interessen, sondern (zumindest gleichzeitig auch) den persönlichen Interessen der Betroffenen zu dienen bestimmt ist109. Insoweit mußten im Polizeirecht zunächst gewichtige Zweifel überwunden werden: Nach dem traditionellen Wortlaut der Generalklausel hat die Polizei (nur) die Gefahren abzuwehren, durch die die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung" bedroht wird. Einzelne Landesgesetze sagen überdies ausdrücklich, die Polizei habe einzuschreiten, „soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist"110. Das scheint die Folgerung nahezulegen, daß nach der Konzeption des Gesetzes die Rechtspflichten der Polizei nicht dem Schutz von individuellen Belangen einzelner Bürger dienen sollen und daß demnach kein Rechtsanspruch auf ihre Erfüllung gegeben ist. Gleichwohl erkannten die Zivilgerichte schon seit längerer Zeit Amtshaftungsansprüche zu, wenn jemand infolge pflichtwidriger Untätigkeit der Polizei geschädigt worden war111. Sie unterstellten dabei ohne weiteres, daß den betreffenden Beamten gegenüber den Geschädigten eine Amtspflicht zum Tätigwerden obliege. Das BVerwG hat erstmals in einem Urteil aus dem Jahre i960112 — mehr beiläufig und ohne auf die Tragweite dieser Feststellung hinzuweisen — den Standpunkt vertreten, der Bürger könne im Einzelfall einen strikten Rechtsanspruch auf polizeiliches Einschreiten besitzen113. Inzwischen hat sich die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum dieser Ansicht angeschlossen114. Sie findet eine gewisse Bestätigung darin, daß einige neuere Polizeigesetze in Übereinstimmung mit dem Musterentwurf den Schutz privater Rechte insoweit zum Aufgabenbereich der Polizei zählen, als gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde115. Heute gilt als gesicherte Rechtsauffassung, daß ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten bestehen kann, sofern die Gefahrenabwehr im konkreten Fall zugleich die Individualbelange eines einzelnen Bürgers schützt. Der Anspruch setzt im Einzelfall voraus, daß das Ermessen der zuständigen Behörde 109
Vgl. OVG Münster NVwZ 1983, 101, hinsichtl. der Grenzen der Polizeipflicht zum Einschreiten bei Verkehrslärmbelästigung. 110 S. § 1 I 1 bad.-württ. PolG. " ' S . die BGH-Entscheidungen in Fn. 123. 112 BVerwGE 11, 95; bestätigt durch BVerwGE 37, 112(113). 113 Dazu die Urteils-Anm. von Bachof, DVB1. 1961, 128ff. 114 OVG Münster DVB1. 1967, 546ff.; OVG Lüneburg DVB1. 1976, 719f.; OVG Berlin NJW 1980, 2484f.; VG Bremen DVB1. 1976, 720f.; Henke, DVB1. 1964, 649ff.; König, BayVBl. 1969, 45ff.; Erichsen, W D S t R L 35 (1977), S. 171 ff. (210 - 15); Wilke, in: Fs. f. H. U. Scupin, 1983, 831 ff.; W. Martens, DÖV 1982, 89ff. (97f.); u.a. Aus der ablehnenden älteren Rspr. s. z. B. OVG Münster OVGE 6, 43 (51). 115 § 1 II ME PolG; § 2 II bad.-württ. PolG; § 1 II brem. PolG; § 4 II berl. ASOG; § 3 hess. SOG; § 1 III nieders. SOG; § 1 II nordrh.-westf. PolG; § 1 II rheinl.-pfälz. PVG. 228
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unter den gegebenen Umständen „auf Null reduziert" ist" . Ein solcher Anspruch kann indessen stets nur dem Gestörten, nicht dem Störer selbst zustehen. Die Fürsorge für den Störer überschreitet - mag sie auch im Einzelfall sozialstaatlich motiviert sein - den Funktionsbereich der Polizei 117 . Aus einer isolierten Betrachtung der Generalklausel läßt sich dieser Anspruch allerdings schwerlich herleiten. Man muß zu seiner Begründung vielmehr auf das vom G G geprägte Verhältnis zwischen Staat und Bürger zurückgreifen. Der Bürger ist danach kein bloßes Objekt staatlicher Fürsorge, sondern zumindest insoweit, wie seine vitalen Belange in Frage stehen, Träger subjektiver Rechte gegen den Staat 118 . Insoweit hat er auch einen Anspruch darauf, daß die Polizei zum Schutz seiner Lebensgüter eingreift" 9 . Dabei ist aber das polizeirechtliche Subsidiaritätsprinzip besonders ernst zu nehmen. Solange der Bürger sich auf andere Weise, insbesondere durch Anrufung der Gerichte, selbst helfen kann, braucht die Polizei ihn nicht zu schützen 120 . Es ist nicht ihre Aufgabe, ihm das Risiko eines Rechtsstreits gegen den Beeinträchtiger abzunehmen. 2. Polizeipflichtige Personen In zahlreichen Fällen kann die Polizei Gefahren nur dadurch abwenden bzw. bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nur dadurch beseitigen, daß sie bestimmten Personen Handlungs- oder Duldungspflichten auferlegt (z. B. dem Eigentümer einer Sache, die entweder den Gefahrenherd darstellt oder deren Inanspruchnahme zur Beseitigung der Gefahr unentbehrlich ist). In anderen Fällen wäre die Polizei zwar in der Lage, mit eigenen Mitteln oder durch Beauftragung von Hilfspersonen der Gefahr zu begegnen (z. B. ein den Verkehr auf öffentlicher Straße gefährdendes Hindernis beiseite zu räumen). Sie möchte aber die Aufwendung von Steuergeldern vermeiden und statt dessen einen Privaten zur Gefahrenabwehr heranziehen. Bei der zweiten Fallgruppe geht es also nur um die Frage der Lastenverteilung zwischen einem einzelnen und der Allgemeinheit der Steuerzahler, bei der ersten dagegen zugleich auch (oder möglicherweise ausschließlich) darum, der Polizei überhaupt erst eine Eingriffsmöglichkeit gegenüber demjenigen zu verschaffen, der die Gefahrensituation beherrscht. 116
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Andernfalls fehlt es schon an der objektiven Rechtspflicht der Polizei zum Einschreiten, so daß die Frage eines Anspruchs von vornherein nicht auftreten kann; vgl. etwa VG Berlin DVB1. 1981, 785f.; vgl. auch Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (216). Eingehend zu den Rechtsproblemen des polizeilichen Vorgehens bei Hausbesetzungen, Schlink, NVwZ 1982, 529ff.; Degenhart, JuS 1982, 330ff.; zum Anspruch auf polizeiliches Vorgehen bei Betriebsbesetzungen: Ronellenfltsch, BB 1987 Beilage 6 /87. Zum Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Bauordnungsbehörde vgl. OVG Münster NJW 1984, 883 ff. Abzulehnen deshalb OVG Berlin NJW 1980, 2484 f. Dazu Bachof, VerfassungsR, VerwaltungsR, VerfahrensR, I, S. 283 f. Abweichender Begründungsansatz bei Erichsen, WDStRL 35 (1977), S. 171 ff. (214-215). OVG Münster DVB1. 1967, 546ff. (547f.); vgl. auch VG Freiburg NJW 1979, 2060f. 229
3. Abschn. II 2
Karl Heinrich Friauf
Der Gesetzgeber hat die Polizei- und Ordnungsbehörden ermächtigt, zur Erfüllung ihrer gefahrenabwehrenden Aufgaben in die Rechtssphäre von bestimmten Einzelpersonen einzugreifen. Dabei unterscheidet er den Eingriff gegen diejenigen, die aus besonderen Gründen für eine konkrete Gefahr verantwortlich 121 sind (polizeipflichtige Personen oder Störer), als Regelfall von dem nur ausnahmsweise, im sog. polizeilichen Notstand, zulässigen Eingriff gegen außenstehende Dritte. Der Störer hat den polizeilichen Eingriff zu dulden und die finanziellen Lasten der Gefahrenbeseitigung zu tragen 1213 , da er derjenige ist, dessen Verhalten oder dessen Sache die Gefahr unmittelbar herbeigeführt hat und dem sie daher zuzurechenen ist 121b . Ein Entschädigungsanspruch für die ihm zugemuteten Vermögenseinbußen steht ihm grundsätzlich nicht zu 122 . Polizeiliche Maßnahmen gegen ihn wirken nicht als Enteignung, sondern weisen ihn nach der h. M. lediglich in die Schranken seines Eigentums (Sozialbindung) zurück 123 . Demzufolge lösen sie — vorbehaltlich abweichender Regelungen in Sondergesetzen 124 — keine Entschädigungspflicht aus 125 . Dagegen wird der im polizeilichen Notstand in Anspruch genommene Nichtstörer für sein Opfer entschädigt.
121
Zur polizeilichen Verantwortlichkeit s. Vieth, Rechtsgrundlagen der Polizei- und Ordnungspflicht, 1974, S. 24 ff. 121a Anders bei Anscheinsgefahr: OVG Hamburg NJW 1986, 2005ff. (2006). 121b Einen zusammenfassenden Überblick über die zur Grundlage der polizeilichen Störerhaftung vertretenen Auffassungen gibt Breuer, JuS 1986, 359ff. (361 f.). 122 BVerwG DVB1. 1965, 766ff. (767) u. DVB1. 1971, 751 (754); BGHZ 40, 355 (361); 45, 23 (25) mit weit. Nachw.; BGHZ 60, 126 = NJW 1973, 623ff. (627). 123 BGHZ 45, 23 (25); st. Rspr.; Quaritsch, DVB1. 1959, 455ff.; näher zur eigentumsrechtlichen Konzeption dieser Lehre Lutz, Eigentumsschutz bei „störender" Nutzung gewerblicher Anlagen, 1983, S. lOOff., 109ff. 124 Vgl. etwa §49 Bundesseuchengesetz vom 18. Juli 1961, BGBl. I, S. 1012 u. 1300, i. d. F. vom 18. 12. 1979, BGBl. I, S. 2262; §§ 66ff. Tierseuchengesetz i. d. F. vom 28. 3. 1980, BGBl. I, S. 386; § 6 Reblausgesetz vom 6. Juli 1904, RGBl. S. 261. 125 Dieser Grundsatz wird sich allerdings nur insoweit durchhalten lassen, als die Störerhaftung an Gefahren anknüpft, die in die Verantwortungssphäre des Eigentümers fallen (dazu unten II 2b). In dem Maße, in dem das Polizeirecht in Anspruch genommen wird, um Planungsfehler zu korrigieren oder um Gefahren aus dem Verantwortungsbereich der Allgemeinheit abzuwehren, läßt sich die generelle Entschädigungslosigkeit nicht mehr mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums begründen. Zur Kritik an der h. M. siehe bereits Schack, DVB1. 1956, 669ff. (670 Fn. 9, S. 673 Fn. 48); Menger, VerwA 50 (1959), S. 83ff. (86); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, 1965, S. 230 —231. Eingehend zur Problematik Reiland, VerwA 66 (1975), S. 255ff. (insb. S. 267 - 277) und namentlich Lutz, a. a. O., insbes. S. 140 ff., 195 ff., 212 ff. Vgl. ebenfalls die Lösungsvorschläge für Grenzfälle bei Hohmann, DVB1. 1984, 997ff.; Seibert, DVB1. 1985, 328f.; Papier, DVB1. 1985, 873 ff. (878). Auch das BVerwG räumt nunmehr die Möglichkeit ein, daß die Inanspruchnahme des Störers ausnahmsweise als Enteignung zu qualifizieren sein könne, DVB1. 1971, 751 ff. (753, unter 4b); vgl. auch BGH DVB1. 1974, 232ff. (233 unter 3); BGH NVwZ 1987, 628 f. 230
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 2 a
Die polizeiliche Verantwortlichkeit (Polizeipflicht) des Störers126 kann entweder auf dem Verhalten von Personen oder auf dem Zustand von Sachen beruhen. Demgemäß unterscheiden wir die Verhaltenshaftung (Handlungshaftung) und die Zustandshaftung. a) Verhaltenshaftung: Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch das Verhalten von (natürlichen oder juristischen) Personen gestört oder gefährdet, so sind die zur Abwehr erforderlichen Maßnahmen gegen diejenigen Personen zu richten, die die Störung oder Gefahr verursacht126* haben127. Die Haftung der Betroffenen ergibt sich als Folge ihres eigenen Verhaltens. Dabei ist der Begriff des Verhaltens weit zu fassen. Er schließt nicht nur das positive Tun, sondern auch das Unterlassen ein, soweit dieses eine öffentlich-rechtliche Pflicht zu sicherheits- oder ordnungswahrendem Tun verletzt (sog. passiver Störer)128. Besteht eine solche Rechtspflicht dagegen nicht, dann ist die bloße Untätigkeit polizeirechtlich irrelevant. Es wird also niemand bereits dadurch zum Störer, daß er angesichts einer polizeilichen Gefahr nichts zur Abwehr unternimmt. aa) Die Verursachung: Die polizeiliche Verantwortlichkeit des Störers setzt weder einen Verstoß gegen außerpolizeiliche Rechtsnormen noch Schuldfähigkeit1283 oder konkretes Verschulden voraus. Anknüpfungspunkt ist vielmehr allein die Verursachung der Gefahr bzw. der Störung. Die Störerhaftung bedeutet bloße Kausalhaftung129. Damit ergibt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Kausalität eines Verhaltens für einen Erfolg bestimmt werden soll. Diese Kriterien lassen sich nicht abstrakt-logisch, insbesondere nicht nach naturwissenschaftlichen Regeln, ermitteln. Da die Kausalität im Polizei- und Ordnungsrecht eine spezifische Funktion, nämlich die Verknüpfung von Verhalten und Verantwortlichkeit des Störers zu erfüllen hat, sind ihre Maßstäbe entsprechend dieser polizeirechtlichen Funktion zu bestimmen130 — ohne Rücksicht auf die Kausalitätslehren, die in anderen Rechtsgebieten angewandt werden131. 126
Vgl. die Problemübersicht bei von Mutius, Jura 1983, 298 ff. Es genügt Mitverursachung, OVG Münster NVwZ 1985, 355ff. (356). 127 § 4 ME PolG; § 6 I bad.-württ. PolG; Art. 7 I bay. PAG; § 10 I berl. ASOG; § 5 I brem. PolG; § 12 hess. SOG; § 6 I nieders. SOG; § 17 I nordrh.-westf. OBG; § 4 I nordrh.-westf. PolG; § 4 I rhein.-pfälz. PVG; §19 I saarl. PVG; §185 I schlesw.-holst. LVwG. 128 OVG Münster NJW 1979, 2266; vgl. auch OVG Münster DVB1. 1971, 828ff. (829). l28a Vgl v G H München DÖV 1984, 433ff. (434). 129 OVG Münster DVB1. 1975, 588f. (589); Drews / Wacke / Vogel/ Martens, S. 307ff. 130 Darstellung der verschiedenen Verursachungslehren des Polizeirechts bei Vieth, Rechtsgrundlagen der Polizei- und Ordnungspflicht, 1974, S. 33 ff. 131 Vgl. zum Problem: Watermann, Die Ordnungsfunktion von Kausalität und Finalität im Recht, 1968; Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968; Lange, JZ 1976, 198ff.; zur Normorientierung der Kausalitätstheorien allgemein BVerwG NVwZ 1984, 41. l26a
231
3. Abschn. II 2a
Karl Heinrich Friauf
Di- im Zivilrecht herrschende Theorie der adäquaten Verursachung (Adäquanztheorie) wird auch für das Polizeirecht gelegentlich vertreten. Sie erkennt nur diejenigen Bedingungen eines Erfolges als im Rechtssinne kausal an, die nach der Lebenserfahrung vorhersehbarerweise generell geeignet sind, ihn herbeizuführen. Ganz außergewöhnliche Entwicklungen gelten dagegen als nicht kausal. Diese Theorie erfüllt die ihr gestellte Aufgabe, die zivilrechtliche Haftung in angemessener Weise zu begrenzen. Sie wird aber den Bedürfnissen des Polizeirechts nicht gerecht; denn hier müssen nicht selten gerade Ausnahmesituationen gemeistert und atypische, in ihrem Kausalverlauf nicht vorhersehbare Gefahren abgewehrt werden. Andererseits läßt sich aber auch die im Strafrecht angewandte reine Bedingungslehre (Äquivalenztheorie) nicht uneingeschränkt übernehmen. Nach ihr gelten sämtliche — selbst die entferntesten — Bedingungen als kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele. Da im Polizeirecht der haftungsbegrenzende Filter des Verschuldens fehlt, müßte sie zu unerträglichen Konsequenzen führen. Um einerseits auch den atypischen (nicht adäquat verursachten) Ausnahmelagen Rechnung zu tragen, andererseits aber die Haftung nicht ins Unendliche auszudehnen, wendet die h. L. für das Polizei- und Ordnungsrecht die Äquivalenztheorie zwar grundsätzlich an, versieht sie aber mit einem einschränkenden Kriterium: Eine Bedingung des Erfolgs (und zwar auch eine atypische, nicht adäquate) wird nur dann als Ursache im Sinne des Polizeirechts angesehen, wenn sie die Gefahr bzw. die Störung unmittelbar herbeigeführt hat (Theorie der unmittelbaren Verursachung)u2. Dabei ergibt sich die Unmittelbarkeit einer Bedingung nicht aus einer ontologischen Erkenntnis, sondern allein aus einer wertenden Beurteilung des betreffenden Vorgangs133. Das die Bedingung der Gefahr setzende Verhalten wird dann als unmittelbar kausal angesehen, wenn es seinerseits nicht polizeirechtlich neutral ist, sondern bereits für sich eine Polizeiwidrigkeit darstellt134 und deshalb die Gefahrengrenze überschreitet135. Die Bestimmung und Offenlegung der hier im einzelnen maßgeblichen Rechtswidrigkeits- und Risikokriterien gehört zu den schwierigsten, bisher nur äußerst unvollständig gelösten Aufgaben des heutigen Polizeirechts, dessen traditionelle - teilweise eher intuitiv gefundene - Kriterien der differenzierten Problemlage in einer 132
133
134 135
OVG Münster VerwRspr. 5, 446; OVG Lüneburg VerwRspr. 9, 484 (487); VGH Mannheim VerwRspr. 20, 426; VGH Kassel BRS 22, 285 ff. ( 2 8 6 - 2 8 7 ) ; VGH München BayVBl. 1978, 340; OVG Münster NVwZ 1985, 355ff. (356); VGH Kassel NJW 1986, 1829 f. (1829). Dazu eingehend Vollmuth, VerwA 68 (1977), S. 45 ff; vgl. auch Karpen, JZ 1986, 898 f. (898 m. w. N.): „ . . . zugleich die Einkleidung materieller Wertungen." S. Ule / Rasch, a. a. O., § 4 ME Rdnr. 15. OVG Münster NVwZ 1985, 355ff. (356); VGH Kassel NJW 1986, 1829f. (1829). Zu weitgehend VGH München BayVBl. 1987, 119f. (120): Wer ein Kfz verleiht, obwohl er weiß, daß der Entleiher schon öfter damit ordnungswidrig parkte, ist Handlungsstörer. Vgl. auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 313 ff.
232
Polizei- und Ordnungsrecht
3. A b s c h n . II 2 a
hochtechnisierten Umwelt nicht immer mehr gerecht werden136. Im folgenden können nur einige Beispiele für eine wesentlich komplexere Problemlage angeführt werden: Eine Kurkapelle, die eine neutrale Melodie spielt, verhält sich ordnungsgemäß. Sie wird nicht dadurch zum Störer, daß Dritte zu dieser Melodie einen die öffentliche Ordnung störenden (rassenhetzerischen) Text singen, obwohl es ohne das Spielen der Melodie nicht zu dem Gesang gekommen wäre137. Kommt es aus Anlaß der Veranstaltung eines an sich polizeilich nicht zu beanstandenden Damenringkampfs zu Ausschreitungen der Zuschauer, dann können nur die Zuschauer, nicht dagegen die Veranstalter als Störer herangezogen werden, obwohl die Veranstalter zweifellos eine Ursache für die Ausschreitungen gesetzt haben 138 . Der Wohnungseigentümer, der seinem Mieter gekündigt hat, hat damit zwar eine notwendige Bedingung für dessen Obdachlosigkeit geschaffen. Er kann aber nicht als Störer angesehen werden, weil die Kündigung als solche nicht ordnungswidrig ist139. Allgemein gilt: Wer sich rechtmäßig verhält, wer lediglich die ihm von der Rechtsordnung zuerkannten Befugnisse ausübt, etwa sein Eigentum legal nutzt, kann nicht Störer sein139a. Störer ist deshalb z. B. nicht derjenige, der durch den — zulässigen — Abbruch seiner Giebelwand bewirkt, daß das Nachbarhaus baufällig wird140, oder der auf seinem Grundstück eine sichtbehindernde Hecke wachsen läßt141. Eine nur scheinbare Ausnahme vom Erfordernis der unmittelbaren Verursachung bilden die Fälle der sog. Zweckveranlassungi4]i: Jemand nimmt eine für sich betrachtet neutrale Handlung vor, um andere gezielt zu einem Verhalten zu veranlassen, durch das die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestört wird. Dann wird ihm das Verhalten dieser Dritten zugerechnet: Ein Ladeninhaber veranstaltet z. B. in seinem Schaufenster eine attraktive Modenschau; kommt es vor dem Fenster zu Verkehrsbehinderungen, dann ist er Störer, weil er mit den Vorführungen die Passanten gezielt zum Stehenblei136
Vgl. etwa Selmer, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, 1987, S. 483ff.; ferner Pietzcker, DVB1. 1984, 457 ff. (insbes. 458, 460-462). PrOVG 80, 176(189). - Fall des Borkum-Liedes. 138 VGH Karlsruhe NJW 1949, 919f.; Parallelfall aus dem Bereich des Versammlungsrechts: OVG Bremen DÖV 1972, 101 ff. (102). Vgl. aber auch Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (214-15). 139 OVG Münster OVGE 14, 265 (267 ff.). 139a Vgl. BGH JZ 1984, 987ff. (990); für erlaubte Handlungen mit erhöhter Gefahrentendenz zweifelnd OVG Münster NVwZ 1985, 355 (356). S. auch unter dem Gesichtspunkt der Legalisierungswirkung öffentlich-rechtlicher Genehmigungen Papier, DVB1. 1985, 873ff. (875-876); ders., NVwZ 1986, 256 (257-259); Breuer, JuS 1986, 359 (362-363). 140 Vgl. VGH Kassel MDR 1970, 791. 141 OVG Lüneburg OVGE 17, 447. 14la Zu dieser Figur in jüngerer Zeit sehr kritisch Erbe!, JuS 1985, 257 ff. 137
233
3. Abschn. II 2 b
Karl Heinrich Friauf 142
ben veranlaßt hat . Ebenso wäre im Fall des Borkum-Liedes die Musikkapelle als Störer anzusehen, wenn festgestellt würde, daß sie mit dem Spielen der Melodie bewußt den rassenhetzerischen Gesang provoziert hat. bb) Verantwortlichkeit fiir das Verhalten Dritter: Für das Verhalten von strafunmündigen (d. h. noch nicht 14 Jahre alten) Kindern sowie von wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigten oder unter vorläufige Vormundschaft gestellten Personen haften auch die Sorgepflichtigen (Eltern, Vormünder, Pfleger)143. Weiter haftet ein Geschäftsherr dafür, daß seine Verrichtungsgehilfen sich bei der Ausführung ihrer Verrichtung ordnungsgemäß verhalten144. Im Gegensatz zu § 831 BGB kann er sich nicht durch den Nachweis entlasten, daß er bei der Anstellung und Überwachung der Gehilfen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe. Diese Abweichung ist deshalb sachgerecht, weil es im Polizeirecht — anders als bei der Deliktshaftung nach §§ 823 ff. BGB — allgemein nicht auf Verschulden ankommt. Die Haftung des Geschäftsherrn tritt auch dann ein, wenn das konkrete Verhalten des Gehilfen seinem Willen und seinen richtig verstandenen Interessen widerspricht, solange es nur im generellen Rahmen des erteilten Auftrags — der ihm übertragenen Verrichtung — bleibt. Der Geschäftsherr kann sein Risiko deshalb nur dadurch einschränken, daß er durch spezifische Einzelweisungen den Inhalt des Auftrags begrenzt145. Die Haftung des Sorgepflichtigen und des Geschäftsherrn tritt nicht an die Stelle der Haftung des Verursachers selbst, sondern kumulativ neben sie. Denn auch das unmündige Kind und der Geisteskranke sind polizeipflichtig1453. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der Polizei zu entscheiden, an welche der nebeneinander haftenden Personen sie sich im Einzelfall halten will. b) Zustandshaftung: Die Zustandshaftung 146 tritt ein, wenn eine Gefahr oder eine Störung nicht vom Verhalten einer Person, sondern vom Zustand 142
Vgl. PrOVG 40, 216 (217); 87, 301 (308f.). §4 II ME PolG; § 6 II bad.-württ. PolG (Grenze von 16 Jahren); Art. 7 II bay. PAG; § 10 II berl. ASOG; § 5 II brem. PolG; § 8 II hamb. SOG; § 13 I hess. SOG; § 6 II nieders. SOG; § 17 II nordrh.-westf. OBG; § 4 II rheinl.-pfälz. PVG; § 19 II saarl. PVG; § 185 II schlesw.-holst. LVwG. 144 §4 III ME PolG; §6 III bad.-württ. PolG; Art.7 III bay. PAG; § 10 III berl. ASOG; § 5 III brem. PolG; § 8 III hamb. SOG; § 13 II hess. SOG; § 6 III nieders. SOG; § 17 III nordrh.-westf. OBG; § 4 III rheinl.-pfälz. PVG; § 19 III saarl. PVG; § 185 III schlesw.-holst. LVwG. - Vgl. OVG Münster NJW 1979, 2366. 145 Näher dazu OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (927-928). 145a Zum polizeilichen Einschreiten gegen einen Geisteskranken s. VGH München DÖV 1984, 433 ff. (434). 146 § 5 ME PolG; § 7 bad.-württ. PolG; Art. 8 bay. PAG; § 11 berl. ASOG; § 6 brem. PolG; § 9 hamb. SOG; § 14 hess. SOG; § 7 nieders. SOG; § 18 nordrh.-westf. OBG; §5 nordrh.-westf. PolG; §5 rheinl.-pfälz. PVG; §20 saarl. PVG; §186 schlesw.-holst. LVwG. 143
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Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 2b
einer Sache oder vom Verhalten eines Tiers ausgeht. Als Zustand einer Sache gilt auch ihre „Lage im Raum" 147 . Die Zustandshaftung knüpft nicht an eine Verursachung der Gefahr an. Der polizeiwidrige Zustand der betreffenden Sache (etwa der ölverseuchte Zustand des einem Wasserwerk benachbarten Grundstücks) verursacht nicht die Gefahr, sondern er selbst bildet sie148. Kausalitätserwägungen haben in diesem Zusammenhang keinen Platz149. Die Verantwortlichkeit für den Zustand einer Sache trifft den Eigentümer150 und neben ihm den Inhaber der tatsächlichen Gewalt151 (z. B. den Pächter des Grundstücks oder den Halter des störenden Kraftfahrzeugs 1514 ). Entsprechend den schon früher in Bayern (Art. 10 PAG a. F.) und für den Bundesgrenzschutz (§ 14 BGSG) geltenden Regelungen stellen nunmehr der Musterentwurf und die ihm folgenden Landesgesetze die Verantwortlichkeit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt in den Vordergrund und lassen die Haftung des Eigentümers erst in zweiter Linie eintreten152. Das hat für die Polizei den Vorteil, daß sie in Zweifelsfällen nicht gezwungen ist, langwierige Ermittlungen über die Eigentumsverhältnisse anzustellen, sondern ohne weiteres denjenigen in Anspruch nehmen kann, den sie im Besitz der Sache antrifft 153 . — Ausnahmsweise haftet der Gewalthaber allein anstelle des Eigentümers, wenn er die Gewalt gegen dessen Willen ausübt (Dieb, Zwangsmieter, Sequester usw.) oder wenn er auf besonderen Antrag von der zuständigen Behörde als allein verantwortlich anerkannt worden ist (ein Fall, der z. B. bei der Verpachtung eines Landguts oder eines gewerblichen Unternehmens vorkommt). aa) Anknüpfungspunkt für die Zustandshaftung des Eigentümers ist nicht das Eigentum als solches, sondern die regelmäßig mit ihm verbundene tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft, d. h. die Möglichkeit, auf die gefahr147
Etwa bei verkehrsbehindernd abgestellten Kraftfahrzeugen; s. VGH München NJW 1979, 2631; zur Zulässigkeit von polizeilichen Abschleppmaßnahmen s. unten Abschnitt 4 g). 148 S. a. VGH Bad.-Württ. DVB1. 1983, 41 ff. (42): Der Eigentümer ist nicht Zustandshaftender, wenn sein Eigentum ohne sein Zutun als Mittel zur Gefährdung verwendet wird, aber nicht per se eine Quelle von Gefahren bildet. 149 S. näher Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (716-717); vgl. auch OVG Münster NJW 1980, 956. 150 Die Überbürdung der Zustandshaftung auf den Eigentümer bildet eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums i. S. von Art. 14 I 2 GG; vgl. BVerwG DVB1. 1972, 219 ff. (220); Friauf, in: Fs. f. Wacke, S. 293 ff. (297 - 300). 151 Zum Begriff der tatsächlichen Gewalt s. namentlich OVG Münster DVB1. 1977, 257 = DÖV 1977, 532 und OVG Münster OVGE 32, 44. - Vgl. a. VGH Mannheim NVwZ 1983, 294f. zur Frage der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit des Grundeigentümers für ölverschmutztes Grund- und Quellwasser, das auf seinem Grundstück zutage tritt. 151a Zur Zustandshaftung des Kfz-Halters: OVG Koblenz NJW 1986, 1369f. m. w. N. 152 § 5 I ME PolG; § 6 I brem. PolG; § 7 I nieders. SOG; § 5 I nordrh.-westf. PolG; § 5 I rheinl.-pfälz. PVG. 153 Vgl. auch die Begründung zu § 5 ME PolG, abgedruckt bei Heise / Riegel, a. a. O. 235
3. Abschn. II 2 b
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bringende Sache einzuwirken154. Das wird besonders an den Bestimmungen deutlich, die den Eigentümer bei einer Gewaltausübung gegen seinen Willen — Diebstahl, gerichtliche oder behördliche Beschlagnahme — von der Haftung freistellen. Die Polizeipflicht erstreckt sich deshalb nur soweit, wie die Verfügungsmacht reicht. Von einem einzelnen Miteigentümer oder Miterben allein kann keine Einwirkung auf die störende Sache (z. B. Ausbesserung eines einsturzgefährdeten Gebäudes) verlangt werden 155 , sofern nicht der Sonderfall der §§ 744 II, 2038 I S. 2 BGB vorliegt oder die übrigen Miteigentümer von sich aus der Maßnahme zustimmen. Der Widerstand der Miteigentümer usw. kann gegebenenfalls durch eine besondere polizeiliche Anordnung, die sog. Duldungsvetfögung, ausgeräumt werden156. Läßt sich die Störung dagegen durch Maßnahmen beheben, die das Miteigentum der anderen nicht beeinträchtigen, dann kann auch ein einzelner herangezogen werden157. Mit der Beendigung des Eigentums, insbesondere durch Veräußerung der Sache, endet die Zustandshaftung des bisherigen Eigentümers automatisch. Der Rechtsnachfolger ist, sofern die Gefahr im Augenblick des Eigentumsübergangs noch besteht, als neuer Eigentümer originär polizeipflichtig. Eine bereits gegen den Rechtsvorgänger ergangene Polizeiverfügung wirkt gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger (Erben). Nach heute herrschender, allerdings noch immer umstrittener Auffassung soll sie auch den Einzelrechtsnachfolger binden 158 . Die Zustandshaftung erlischt nach traditionell h. L. auch bei der Aufgabe des Eigentums im Wege der Dereliktion (§§ 928, 959 BGB). In zahlreichen Fällen wird das dem bisherigen Eigentümer allerdings deshalb nichts nützen, weil neben der Zustandshaftung zugleich eine Handlungshaftung besteht, die 154
155 156
157 158
BVerwG DVB1. 1986, 360ff. (361) mit Anm. Schenke = JZ 1986, 896ff. mit Anm. Karpen; OVG Münster DVB1. 1970, 392 f. (393); NJW 1980, 956; Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (215). VGH München BayVBl. 1968, 252; PrOVG 58, 408 (412); 69, 401 (402). Eingehend OVG Saarlouis BRS 22, 297 ff. (298 - 301). - Allgemein zur Duldungsvetfögung, die auch gegen Mieter, Pächter, Nießbraucher usw. in Betracht kommt, s. OVG Hamburg DVB1. 1957, 867ff. (870); OVG Bremen BRS 18, 239f. (240) mit weit. Nachw. Die Duldungsverfügung stützt sich auf die eigene Polizeipflicht des Betroffenen als Inhaber der tatsächlichen Gewalt. S. PrOVG 103, 189. Vgl. eingehend Schenke, GewA 1976, lff.; Ossenbühl, NJW 1968, 1992ff.; Oldiges, JA 1978, 616ff.; Peine, DVB1. 1980, 941; Papier, NVwZ 1986, 256ff. (262); Breuer, JuS 1986, 359ff. (363-364). Aus der Rechtsprechung BVerwG NJW 1971, 1624f.; OVG Münster DVB1. 1973, 226f. (227); VGH München BayVBl. 1970, 328f. (329) = DVB1. 1970, 983 Nr. 356 (zu dieser Entscheidung kritisch von Mutius, VerwA 62 [1971], S. 83ff.); VGH Kassel NJW 1976, 1910; VGH Mannheim NJW 1977, 861 (dazu H. Weber, JuS 1977, 479f.); OVG Koblenz DÖV 1980, 654f.; OVG Münster NJW 1980, 415 (dazu Schulze-Osterloh, JuS 1981, 66); OVG Münster NVwZ 1987, 427.
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Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 2 b
durch die Dereliktion nicht berührt wird: A hat seinen PKW zu Schrott gefahren. Er gibt das Eigentum an dem Wrack auf, um die Kosten des Wegräumens von der Straße zu sparen. Die Behörde kann ihn nach wie vor als Verursacher der Störung heranziehen. Fehlt dagegen eine Handlungshaftung, dann soll der frühere Eigentümer nach überkommener Auffassung durch die Dereliktion von der bereits eingetretenen Verantwortlichkeit für eine von der Sache ausgehende Gefahr frei werden. Diese Ansicht erscheint zwar zunächst konsequent. Sie wird aber der ratio der Zustandshaftung, die eine angemessene Risikoverteilung zwischen Eigentümer und Allgemeinheit herbeiführen soll (dazu unten bb), nicht gerecht. Dem gesetzgeberischen Zweck der Zustandshaftung entspricht es vielmehr, dem Eigentümer — der bisher aus der Sache Nutzen gezogen hat — nicht zu gestatten, durch Dereliktion der inzwischen für ihn wertlos gewordenen Sache seine bereits entstandene (!) Zustandshaftung zu beenden und dadurch die Kosten der Gefahrenbeseitigung auf die Allgemeinheit abzuwälzen 159 . bb) Der Umfang der Zustandshaftung ist nach ganz überwiegender Auffassung unbeschränkt. Der Eigentümer hat für die vom Zustand seiner Sache ausgehenden Gefahren ohne Rücksicht auf deren Ursache — eigenes Verhalten, Naturereignisse, sonstige Fälle höherer Gewalt, gewöhnlicher Zufall — stets voll einzustehen 160 . Eine Grenze findet die Störerhaftung erst da, wo ein unbefugter Dritter durch mißbräuchliche Benutzung der an sich ungefährlichen Sache die Gefahr herbeigeführt 160 ". So soll der Eigentümer eines im Bombenkrieg zerstörten Hauses für die von der Ruine ausgehenden Gefahren haften 161 . Der Eigentümer soll nach Freigabe seines Grundstücks für Zustände einstehen, die Angehörige der Besatzungsmacht während der Beschlagnahme verursacht haben 162 . Ist ein Tanklastwagen auf der Autobahn umgestürzt, dann soll der Eigentümer eines benachbarten Grundstücks, auf dem das ausgelaufene Öl versickert ist, wegen der Gefährdung des Grundwassers polizeipflichtig sein163. Ebenso soll 159
Diesem Gesichtspunkt tragen nunmehr § 5 III ME PolG, Art. 8 III bay. PAG, § 6 III brem. PolG, § 7 III nieders. SOG, § 5 III nordrh.-westf. PolG, § 5 III rheinl.-pfälz. PVG ausdrücklich Rechnung. — Vgl. auch Schmidt-Jortzig, in: Fs. f. H. U. Scupin, 1983, 819ff.; a. A. noch immer Schenke, in: Siewer (Hrsg.), a. a. O., S. 217f. 160 OVG Münster OVGE 5, 185 (188ff.); Drews/ Wacke/ Vogel/Martens, S. 319ff. mit zahlreichen Nachw.; zur Reichweite sicherheitsrechtlicher Störerhaftung vgl. auch Konrad, BayVBl. 1980, 581 ff. 160a BVerwG DVB1. 1986, 360 ff. (361). 161 OVG Münster OVGE 5, 185 (188ff.); OVG Berlin DÖV 1954, 214ff.; OVG Koblenz DÖV 1954, 216. - A. A.: VGH Freiburg NJW 1952, 1311 f. 162 VGH Stuttgart ESVGH 7, 34 (35). 163 VGH Münster OVGE 19, 101 (102ff.); dazu kritisch Baur, JZ 1964, 354ff. (356); Czychowski, DVB1. 1970, 379ff. (384). Zur Haftung für Ölschäden auch Schwerdtner, JuS 1978, 118ff. 237
3. Abschn. II 2 b
Karl Heinrich Friauf
der Grundstückseigentümer für die Gefahren verantwortlich sein, die von umweltschädlichen Abfällen ausgehen, die Dritte vor langer Zeit auf dem Grundstück abgelagert haben (sog. „Altlasten")163a. Die Verknüpfung der Zustandshaftung mit der grundrechtlichen Eigentumsgarantie163'' zwingt dazu, ihre Grundlagen neu zu überdenken 164 : Sie knüpft daran an, daß der Eigentümer die Vorteile seiner Sache genießt, und mutet ihm zu, die mit der Nutzung verbundenen Nachteile selbst zu tragen und sie nicht der Allgemeinheit aufzubürden (Art. 14 II GG: Sozialpflichtigkeit des Eigentums). Deshalb hat der Eigentümer für die aus dem Grundstück hervorgegangenen Gefahren (Unwetterfolgen, Überschwemmungen, Felssturz usw.) auch dann einzustehen, wenn sie einen außergewöhnlichen Umfang annehmen. Dem Vorteil der Sachherrschaft korrespondiert also ihr Risiko. Von hier aus muß es aber ungerechtfertigt erscheinen, dem Eigentümer auch die Risiken aufzubürden, die sich aus einer nicht ihn (in seiner Eigenschaft als Herrn der Sache), sondern die Allgemeinheit treffenden Gefahrenlage (Krieg, moderner Massenverkehr usw.) ergeben. Diesen besonderen Gefahren steht kein spezifischer Sachnutzen des Eigentümers gegenüber1643. Deshalb scheidet die Zustandshaftung zwar nicht schon stets dann aus, wenn der polizeiwidrige Zustand durch ein „ganz außergewöhnliches Ereignis" verursacht worden ist165, wohl aber dann, wenn er in die Risikosphäre der Allgemeinheit fällt166 oder aus anderen Gründen dem Eigentümer wertungsmäßig nicht zugerechnet werden kann166a. V G H M a n n h e i m N V w Z 1986, 325ff. (326); VGH München BayVBl. 590ff. (592f.). Vgl. zum Problem der Altlasten auch Hohmann, DVB1. 1984, 997ff.; Papier, DVB1. 1985, 873ff.; ders., NwZ 1986, 256ff.; Schink, DVB1 1985, 1149ff. sowie Breuer, JuS 1986, 359 ff. (m. w. N. in Fn. 1). 163b Zu dieser Verknüpfung s. Papier, in: Maunz/Diirig/Herzog/Scholz, GG, Rdnr. 439-446 zu Art. 14.
i63a
164
Dazu näher Friauf, in: Fs. f. Wacke, S. 293ff.; A. Erler, Maßnahmen der Gefahrenabwehr und verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie, 1977. 1643 Auf den fehlenden Sachnutzen stellt vor allem Papier, DVB1. 1985, 873 ff. (878) und ders., NVwZ 1986, 256 ff. (261) ab. 165 So aber Ule / Rasch, a. a. O., § 5 ME Rdnr. 12, die im übrigen mit der hier vertretenen Auffassung weitgehend übereinstimmen. Vgl. auch VG München NJW 1984, 1196 ff. 166 Friauf, in: Fs. f. Wacke, S. 293ff. (300-304); ders., VVDStRL 35 (1977), S. 3 5 0 - 3 5 1 ; Schenke, DVB1. 1986, 362ff. (363-364); Breuer, JuS 1986, 359ff. (363); ähnlich Pietzcker, DVB1. 1984, 457ff. (462-463); Hohmann, DVB1 1984, 997 ff. (998-1001); a. A.: Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 320-321; ablehnend auch VGH Mannheim NVwZ 1985, 325ff. (326); eine vorsichtige Annäherung findet sich in VGH München BayVBl. 1986, 590 ff. (592 f.). Vgl. auch BGH JZ 1984, 987 ff. (990). 1663 Auch die heute im Vordergrund stehenden Altlasten-Probleme (oben Fn. 163a) lassen sich nicht durch eine pauschale Berufung auf die Zustandshaftung der zufällig betroffenen Grundstückseigentümer lösen. 238
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 2 b
Der Eigentümer hat in solchen Fällen zwar die Beseitigung des störenden Zustands nach den Regeln des polizeilichen Notstandes (unten Abschnitt II. 3) zu dulden. Er braucht aber die finanziellen Nachteile nicht zu tragen. cc) Latente Gefahr161: Gefahren sind stets situationsbedingt. Sie realisieren sich vielfach erst dann, wenn mehrere Handlungen oder mehrere Zustände von Sachen zusammentreffen. Eine bestimmte, zunächst völlig ungefährliche Situation kann später beim Hinzutreten weiterer Umstände plötzlich zu einer Gefahr werden. Vor allem können Veränderungen in der Umwelt bewirken, daß eine bisher ungefährliche Sache — die ihrerseits unverändert bleibt — sich nunmehr als Gefahrenherd erweist: Ein bebautes oder bepflanztes Grundstück wird durch die Verstärkung des Verkehrs auf der benachbarten Straße zu einem Verkehrshindernis168. Eine Schweinemästerei, die ursprünglich im freien Gelände lag, beeinträchtigt durch störende Geräusche, Gerüche usw. Bewohner der nachträglich bebauten Nachbargrundstücke 169 . Die in derartigen Fällen auftretende Problemstellung wird traditionell unter dem Topos „latente Gefahr" behandelt. Dabei geht es aber sachlich nicht um die Abgrenzung von Gefahren, sondern vielmehr um die Frage der Verteilung der Verantwortlichkeit. Problematisch ist stets, ob der Eigentümer der ursprünglich ungefährlichen Sache wegen der später aktuell gewordenen Gefahr polizeirechtlich in Anspruch genommen werden kann. Die Rechtsprechung hat das im ersten Beispielsfall verneint; sie hat dagegen die Verantwortlichkeit des Inhabers der Schweinemästerei bejaht 170 . Die einschlägigen Entscheidungen können vielfach zumindest in der Begründung nicht überzeugen. Sie versuchen, der Problematik mit rein begrifflichen Argumenten oder mit Erwägungen über die Verursachung der Gefahr gerecht zu werden. Diese Betrachtungsweise führt jedoch nicht zu sachgerechten Ergebnissen171. In sämtlichen in Betracht kommenden Fällen besteht eine objektive Unverträglichkeit zwischen mehreren benachbarten Sachen und ihrer Nutzung. Keine von ihnen würde, isoliert gedacht, als gefährlich angesehen werden können. Die Gefahr resultiert erst aus ihrem Nebeneinander. Jede von ihnen würde, dächte man sie hinweg, die Gefahr verschwinden las167
Zum folgenden Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (716-719); Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, S. 252ff.; Schenke, JuS 1977, 789ff.; Sendler, WiVerw 1977, 94ff; Fröhler/Kormann, GewArch. 1978, 245ff.; Lutz, Eigentumsschutz bei „störender" Nutzung gewerblicher Anlagen, 1983; Weyreuther, Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums, 1983, S. 72-78; Pietzcker, DVB1. 1984, 457ff. (463-64); ders., JZ 1985, 209ff. (211-212 m. w. N. in Fn. 15); Dolde, Bachof-FS (1984), 191 ff. (195ff.). 168 O V G Lüneburg OVGE 14, 396 (401 ff.); 17, 447 (451 f.); s. dazu K. Vogel, JuS 1961, 91 ff. 169 OVG Münster OVGE 11, 250ff.; dazu Menger, VerwA 50 (1959), S. 77ff. (85 - 86); Quaritsch, DVB1. 1959, 455ff.; Schnur, DVB1. 1962, 1 ff. (5 - 7). Wie OVG Münster jetzt auch VGH Kassel, BRS 20, 284ff. (285 - 286). 170 Krit. z. B. Ule / Rasch, a. a. O., § 5 ME Rdnr. 17. 171 S. näher Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (716-17). 239
3. Abschn. II 2 c
Karl Heinrich Friauf
sen. Man kann unter diesen Umständen nicht behaupten, nur eine einzelne der beteiligten Sachen „verwirkliche" die Gefahr, so daß gerade ihr Eigentümer polizeipflichtig sei172. Es kommt vielmehr jeweils darauf an, welche rechtlichen Grenzen der Nutzung den beteiligten Grundstücken im Verhältnis zu den Nachbarn gezogen sind172". Dabei kann sich im Einzelfall ergeben, daß der Zustand derjenigen Sache als polizeiwidrig zu bewerten ist, von der aktive Einwirkungen (Gerüche, Geräusche, Funkenflug) auf ihre Umwelt ausgehen (Grundsatz der Störungsneutralität)m oder die zuletzt verändert worden ist und damit das bisherige Umweltgleichgewicht verschoben hat (Grundsatz der Priorität)11*. Es sind aber, je nach der konkreten Wertungslage, auch umgekehrte Entscheidungen möglich175. Der Sache nach handelt es sich meist um die Korrektur von Planungsfehlern, für die das Polizeirecht nur bedingt tauglich ist. Eine befriedigende Lösung kann nur vorbeugend durch entsprechende Planungsmaßnahmen erfolgen, die bereits die Entstehung der Störungslage verhindern176. c) Kumulative Verantwortlichkeit mehrerer Störer: Nicht selten sind mehrere Personen für dieselbe Gefahr polizeilich verantwortlich. Dann steht es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, gegen den einen oder den anderen von ihnen vorzugehen177; u. U. kann sie auch mehrere Störer gleichzeitig in Anspruch nehmen178. Die neuere Rechtsprechung neigt dazu, dieses Ermessen teilweise einzuschränken. So soll die Polizei verpflichtet sein, von mehreren Handlungsstörern denjenigen vorrangig heranzuziehen, der die zeitlich letzte179 oder die wertungsmäßig am stärksten ins Gewicht fallende180 Ursache gesetzt hat. 172 172a
173
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So aber das OVG Münster im Schweinemästerfall, OVGE 11, 250. Vgl. BGH JZ 1984, 987ff. (990): Ein emittierender Betrieb, an den aufgrund rechtswidriger Bauleitplanung eine Wohnbebauung herangerückt ist und der dagegen einen Abwehrspruch aus Art. 14 I GG hat, ist nicht Störer. Vgl. z. B. BVerwG DVB1. 1971, 751 ff. (Fall der Fischgroßhandlung im Wohngebiet); OVG Münster OVGE 11, 250 (Schweinemäster-Fall); hinsichtlich privatrechtlicher Abwehransprüche in dieser Situation s. BGHZ 67, 252. OVG Lüneburg OVGE 14, 396 (Tankstellenfall) und OVGE 17, 447 (Heckenfall). S. etwa PrOVG 65, 369 (Eisenbahnfall): polizeiwidrig ist nicht der Betrieb der funkensprühenden Eisenbahn, sondern der Zustand des durch Funkenflug gefährdeten, schon vor Errichtung der Eisenbahnanlage vorhandenen Hauses. Vgl. ferner den Friedhofsfall: OVG Münster, Urt. v. 30.5. 1952 (wiedergegeben bei Wacke, DÖV 1960, 93 ff., 95). Zum vorbeugenden Rechtsschutz des „latenten Störers" s. näher Fröhler, WiVerw 1977, 114ff. Krit. Lutz, a. a. O., S. 19ff. OVG Münster DVB1. 1971, 828ff. (829); OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (928); VGH München BayVBl. 1978, 340f.; OVG Saarlouis, DÖV 1984, 471 ff (472). Zur Frage einer Ausgleichspflicht zwischen den beteiligten Störern s. (verneinend) BGH NJW 1981, 2457f. (2458); VGH Kassel NJW 1984, 1197ff. (1199). Vgl. PrOVG 90, 326 (334). VGH Stuttgart DVB1. 1950, 475 ff. (477). Vgl. die eingehenden Erwägungen bei OVG Münster DVB1. 1973, 924 ff. (928).
240
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 2 d
Beim Zusammentreffen von Handlungs- und Zustandshaftung soll primär gegen den Handlungsstörer vorgegangen werden181. Wer gleichzeitig aus mehreren Gründen haftet (aus Verursachung und als Eigentümer: sog. Doppelstörer), soll vor demjenigen in Anspruch genommen werden, bei dem nur ein Haftungsgrund vorliegt182. Es handelt sich aber hier nicht um starr anzuwendende Regeln. Die Entscheidung des Einzelfalls wird sich stets an den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit und des mildesten Mittels zu orientieren haben 183 . Dabei sind durchaus auch abweichende Ergebnisse möglich184. Wird ein einzelner Störer aus einer Störermehrheit in Anspruch genommen, so sieht das Polizeirecht keinen internen Ausgleichsanspruch vor. Auch eine analoge Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Normen über die Geschäftsführung ohne Auftrag oder die Gesamtschuld ist nicht möglich1843. d) Polizeipflicht von Hoheitsträgernl84b: Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne des Polizeirechts können nicht nur von dem Verhalten einzelner Bürger bzw. von dem Zustand im Privateigentum stehender Sachen ausgehen. Sie werden bisweilen auch durch die Tätigkeit einer Behörde oder sonstigen staatlichen Stelle oder durch den Zustand eines öffentlichen Zwecken dienenden Grundstücks verursacht. Beispiele: Von einem militärischen Schießplatz irren häufiger Kugeln ab und gefährden Passanten. Der allnächtliche Lärm der Verladearbeiten in einem Paketpostamt schädigt die Gesundheit der in der Nachbarschaft Wohnenden. Ständige Tiefflüge von Düsenflugzeugen über einem Klinikviertel schädigen die Patienten. 181
OVG Hamburg DVB1. 1953, 542f.; OVG Koblenz VerwRspr. 19, 849; OVG Münster JZ 1964, 367ff. (368); VGH München NJW 1984, 1196f.; OVG Münster NVwZ 1985, 355ff. (356); VGH München BayVBl. 1986, 590ff. (593) und - auch zu den Grenzen dieses Grundsatzes - OVG Koblenz NJW 1986, 1369f. (1370); vgl. auch BGHZ 54, 21 (24ff.); VGH München BayVBl. 1974, 342. 182 Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 305; VGH München BayVBl. 1978, 340f. (341). - Zur Polizeipflicht für Kraftfahrzeuge (Eigentümer, Halter, Fahrer, Dieb usw.) s. Knütel, DÖV 1970, 375ff.; VGH München NJW 1984, 1196f. sowie - teilweise abweichend - OVG Koblenz DÖV 1986, 483 f. (484) und jetzt auch VGH München BayVBl. 1986, 625 f. (626) (betr. Auswahlermessen — auch — hinsichtl. der Kosten); VGH Kassel NJW 1984, U97ff. (betr. Haftung für Abschleppkosten bei mehreren verkehrsgefährdend abgestellten Fahrzeugen). 183 Eingehend dazu H. Fleischer, Die Auswahl unter mehreren Polizeipflichtigen als Rechtsfrage, 1980; vgl. a. Krampol, in: Fs. f. R. Samper, 1982, S. 153ff. 184 Zur Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Pflichtigen s. OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (928). Zum Gesichtspunkt der erforderlichen Schnelligkeit und Effektivität der Gefahrenabwehr s. VGH Mannheim NVwZ 1986, 325 ff. (326). Vgl. auch Papier, NVwZ 1986, 256 ff. (262 f.). 184a BGH NJW 1981, 2457f. (2458). S. auch Papier, NVwZ 1986, 256ff. (263); a. A. Breuer, JuS 1986, 353ff. (364). 184b Dazu Gebhard, DÖV 1986, 545 ff. 241
3. Abschn. II 2d
Karl Heinrich Friauf 185
Nach überlieferter Rechtsprechung und noch heute weithin h. L.186 kann die Polizei derartigen Gefahren nicht begegnen, weil sie nicht befugt ist, in die öffentlich-rechtliche Tätigkeit anderer Behörden einzugreifen. Lediglich bei rein fiskalischem Handeln der betreffenden Stelle (z. B. Verwaltung einer Staatsdomäne) soll ein Recht zu polizeilichem Einschreiten bestehen. Die Polizei wird damit auf den „bürgerlichen Verkehr", also die privatrechtlichen Tätigkeiten des einzelnen oder des Staates, beschränkt 187 . Diese Auffassung läßt sich jedoch nicht in vollem Umfange aufrechterhalten188. Die traditionelle Lehre vermengt zwei Fragen: einmal, die Sachfrage, ob der Staat und die anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts bei Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Funktionen materiellrechtlich polizeipflichtig sind, d. h. die gesetzlich statuierten Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beachten haben; zum anderen die Kompetenzfrage, ob die Polizei- bzw. Ordnungsbehörden gegen eine Verletzung des materiellen Polizeirechts durch Hoheitsträger vorgehen können 189 . Die erste Frage muß grundsätzlich bejaht werden. Die Träger öffentlicher Funktionen sind auch bei hoheitlicher Tätigkeit an die allgemeinen Gesetze einschließlich des Polizei- und Ordnungsrechts gebunden, soweit nicht für bestimmte Fälle Sondervorschriften 190 gelten. Sie dürfen ebensowenig wie ein Privatmann Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung herbeiführen191. Das gilt auch für Bundesorgane 192 . Sie haben die landesrechtlichen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts jedenfalls insoweit einzuhalten, wie das mit der Wahrnehmung ihrer auf Bundesgesetz beruhenden Aufgaben vereinbar ist193. Bei der Kompetenzfrage ist dagegen zu differenzieren. Grundsätzlich kann eine Polizei- oder Ordnungsbehörde Verwaltungsakte auch gegenüber einem 185
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Grundlegend PrOVG 2, 399 (Schießplatz). - Aus neuerer Zeit OVG Lüneburg OVGE 12, 340 (Paketdienst der Bundespost). Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 240ff.; Ule / Rasch, a.a.O., § 8 ME Rdnr. 10ff.; Weimar, DÖV 1960, 114ff.; Folz, JuS 1965, 41 ff. So PrOVG 2, 399 (409), vgl. allerdings auch a. a. O., S. 410f. S. jetzt auch W. Wagner, Die Polizeipflicht von Hoheitsträgern, 1971; D. Blumenwitz, AöR 96 (1971), 161 ff.; Karpen, WissR 5 (1972), S. 195ff. (206ff.); Schenke, in: Steiner (Hrsg.), a. a. O., S. 205 f. Zutreffend dagegen W. Weber, Arch. f. d. Post- und Fernmeldew. 10 (1958), S. 65ff.; Rudolf, Polizei gegen Hoheitsträger, 1965, S. 15ff. Vgl. z. B. § 35 StVO über die Sonderrechte von Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr u. a. bei Teilnahme am Straßenverkehr. W. Weber, a.a.O., S.65ff.; Rudolf, a.a.O., S. 17; Scholz, DVB1. 1968, 732ff. (737f.); ebenso BVerwGE 29, 52 ( 5 6 - 5 9 ) ; BGH DVB1. 1970, 499 ( 4 9 9 - 5 0 0 ) ; OVG Münster NJW 1986, 2526. Vgl. BVerwG DÖV 1976, 749ff. (750): Der Bund unterliegt auch im Rahmen seiner Hoheitstätigkeit der Bindung an das jeweils einschlägige Landesrecht; s. a. VGH Kassel NJW 1980, 305; BVerwG NJW 1984, 817ff. (818); BVerwG NVwZ 1983, 474ff. (475-476). S. allgemein Brohm, Landeshoheit und Bundesverwaltung, 1968; Reigl, DÖV 1967, 397ff.; BVerwG NJW 1962, 552ff. (554).
242
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 3
Hoheitsträger erlassen. Sie darf aber nicht in der Weise in seine Tätigkeit eingreifen, daß die Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben beeinträchtigt würde194. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr können also grundsätzlich erfolgen, sie sind jedoch nur insoweit zulässig, wie dadurch die rechtmäßige Ausübung der dem Hoheitsträger übertragenen Funktionen nicht behindert wird 195 . Die Abgrenzung bleibt dabei eine Frage des Einzelfalls. Hat die Polizei eine von einem Hoheitsträger verursachte Störung zunächst mit eigenen Mitteln beseitigt, dann kann sie die entstandenen Kosten gegen den Hoheitsträger in gleicher Weise wie gegen einen privaten Störer (s. unten Abschnitt IV. 2) geltend machen 196 . Soweit der Polizei demnach eine Eingriffsbefugnis fehlt, ist allein die Fachbehörde für die Beachtung der nach materiellem Recht bestehenden Polizeipflichtigkeit verantwortlich. Kommt sie ihren Verpflichtungen nicht nach, dann kann die Polizei lediglich versuchen, durch Anrufung der vorgesetzten Behörde Abhilfe zu schaffen 197 . 3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand Wenn sich die Polizei- oder Ordnungsbehörde einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegenübersieht, so kann sie ihr grundsätzlich nur auf zwei Wegen begegnen, nämlich entweder durch Einsatz eigener Mittel 198 oder aber durch Inanspruchnahme eines Störers (oben Abschnitt II. 2 a — c). In manchen Fällen erweist sich jedoch keiner der beiden Wege als gangbar: Weder die Heranziehung eines Störers noch der Einsatz eigener Mittel sind geeignet, der Situation Herr zu werden. Man spricht in derartigen Fällen von einem polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Notstand. Nicht selten verfügt dann aber ein außenstehender Dritter über die Möglichkeit, die Störung zu beseitigen oder die Gefahr abzuwehren. Beispiele: Eine Familie ist obdachlos und nicht in der Lage, sich eine neue Wohnung zu verschaffen. Öffentliche Obdachlosenunterkünfte sind nicht vorhanden. Dagegen stehen in einem Privathaus Räume leer. — Ein schwerverletztes Unfallopfer ist eingeklemmt und kann nur mit Hilfe eines Schneidbrenners befreit werden. Die Polizei ist nicht in der Lage, ein solches Gerät schnell genug herbeizuschaffen. Ein in der Nähe tätiger Schlosser weigert sich, seinen Schneidbrenner herzugeben, da er einen eiligen Auftrag zu erledigen habe. — Randalierer bewerfen vom Dach eines Hauses aus Passanten und Polizeibe194
195 196 197
198
So im Ergebnis auch BVerwGE 29, 52 (59-60), allerdings mit sehr zurückhaltender grundsätzlicher Stellungnahme. Im wesentlichen übereinstimmend Wolff / Bachof, VwR III, § 127 Id 5. Rudolf, a. a. O., S. 26ff.; Scholz, DVB1. 1968, 732ff. (738ff.). Dazu BGHZ 54, 21 (24 ff.). Zum Eingreifen der Polizei im räumlichen Herrschaftsbereich anderer Verwaltungsträger s. Knoke, AöR 94 (1969), 388ff. ( 4 1 1 - 4 1 8 ) ; Sonderkötter, WissR 2 (1969), S. 22ff.; Karpen, WissR 5 (1972), S. 195ff.; Bethge, DV 11 (1977), S. 313ff. Um einen Einsatz eigener Mittel handelt es sich auch, wenn sie einen Unternehmer durch Dienst- oder Werkvertrag verpflichtet, auf ihre Kosten tätig zu werden. 243
3. Abschn. II 3 a
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amte mit Steinen usw. Der. Verfügungsberechtigte gestattet der Polizei aber nicht, das Haus zu betreten, um gegen die Störer vorzugehen199. Der Gesetzgeber hatte für derartige Fälle einen Ausgleich'zwischen divergierenden Interessen herbeizuführen. Auf der einen Seite konnte er aus naheliegenden Gründen die Polizei nicht verpflichten, schweren Gefahren tatenlos zuzuschauen, obwohl bei Inanspruchnahme dritter Personen eine wirksame Abwehr möglich wäre. Auf der anderen Seite aber konnte er nicht unberücksichtigt lassen, daß diese Dritten für die abzuwehrenden Gefahren nicht verantwortlich sind. Die Interessenabwägung hat dazu geführt, daß das Gesetz die Inanspruchnahme von Personen, die nicht Störer sind, zwar grundsätzlich für zulässig erklärt, sie aber von erheblich strengeren Voraussetzungen abhängig macht als das polizeiliche Einschreiten gegen einen Störer und daß es außerdem einen Entschädigungsanspruch vorsieht. Bei der Anwendung der Vorschriften über den polizeilichen Notstand ist stets zu beachten, daß es sich um Ausnahmeregelungen handelt. Sie dürfen in keinem Fall extensiv interpretiert und angewandt werden. Im einzelnen setzt der Eingriff gegen einen unbeteiligten Dritten (den sog. Nichtstörer) voraus200: a) Erhöhte Gefahr: Gefordert wird zunächst ein spezifischer Gefahrenzustand: Die Störung muß entweder bereits eingetreten sein (das Kind liegt bereits im Brunnen und droht zu ertrinken) oder die Gefahr muß „gegenwärtig" sein bzw. „unmittelbar bevorstehen" (das Kind balanciert auf dem Brunnenrand). Wesentlichstes Merkmal der gegenwärtigen Gefahr ist ihre zeitliche Aktualität. Es muß ein sofortiger Schadenseintritt zu erwarten sein, so daß die Gefahr schon unmittelbar greifbar ist201. Eine zwar absehbare, aber nicht unmittelbar akute Gefahr — bei der ein Eingreifen gegen den Störer bereits zulässig wäre — reicht nicht aus202. Daneben ist ein gesteigertes Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu fordern203. Beide Komponenten sind selbständig zu prüfen. Sie werden allerdings in der Praxis vielfach zusammenfallen, weil bei größerer zeitlicher Nähe der Grad der Wahrscheinlichkeit sicherer erkennbar zu sein pflegt. In einigen Ländern wird dem Wortlaut des Gesetzes nach zudem eine besondere Schwere der Gefahr vorausgesetzt204. Aus rechtsstaatlichen Gründen 199 200
201 202 203 204
244
Fall des Urteils OVG Berlin DÖV 1974, 27 ff. = BVerwGE 47, 31. § 6 ME PolG; § 9 bad.-württ. PolG; Art. 10 bay. PAG; § 13 berl. ASOG; § 7 brem. PolG; § 10 hamb. SOG; § 15 hess. SOG; § 8 nieders. SOG; § 19 nordrh.-westf. OBG; §6 nordrh.-westf. PolG; §7 rheinl.-pfälz. PVG; §21 saarl. PVG; §187 schlesw.-holst. LVwG. S. OVG Münster DVB1. 1973, 922ff. (924) zum analogen Begriff der gegenwärtigen Gefahr in § 32 nordrh.-westf. PolG. a. F. ( = § 21 PolG n. F.). OVG Münster OVGE 8, 239 (240 f.). BVerwGE 45, 51 (58); OVG Saarlouis DÖV 1973, 863ff. (864). Vgl. § 10 I Nr. 1 bay. PAG, § 13 I Nr. 1 berl. ASOG, § 7 I Nr. 1 brem. PolG, § 8 I Nr. 1 nieders. SOG, § 6 I Nr. 1 nordrh.-westf. PolG, § 19 I Nr. 1 nordrh.-westf. OBG und § 7 I Nr. 1 rheinl.-pfälz. PVG, die eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr" voraussetzen.
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 3b
ist anzunehmen, daß dem Nichtstörer keine Opfer zugemutet werden dürfen, die größer sind als die der Allgemeinheit aus der Gefahrenabwehr erwachsenden Vorteile. Die Grenzen des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips, das auch gegenüber dem Störer beachtet werden muß (oben Abschnitt II. 1 e, bb), sind für die Inanspruchnahme des Nichtstörers zu weit205. b) Unmöglichkeit anderweitiger Abwehr: Weiter muß die Polizei objektiv außerstande sein, der Gefahr durch Heranziehung eines Störers oder Einsatz eigener Mittel (einschließlich der Beauftragung dazu bereiter Hilfspersonen auf ihre Kosten) zu begegnen. Die Heranziehung ist unmöglich, wenn ein Störer überhaupt nicht vorhanden ist, wenn er nicht ermittelt werden kann, wenn seine Inanspruchnahme nur unter Betreten des im Eigentum oder Besitz eines Nichtstörers befindlichen Grundstücks möglich ist206 oder wenn sie an sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Hindernissen scheitert (z. B. wenn der Störer trotz Anspannung aller Kräfte nicht in der Lage ist, der Gefahr zu begegnen). Dem steht der Fall gleich, in dem eine Inanspruchnahme des Störers zwar an sich möglich wäre, aber ihrerseits zu unverhältnismäßig großen Schäden bzw. zu unverhältnismäßig großen anderweitigen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führen würde207. So kann in extremen Fällen eine rechtmäßige Versammlung beschränkt werden, um die unabsehbaren Konsequenzen großer Straßenschlachten zu vermeiden, die sich vorhersehbarerweise aus einem — an sich zulässigen und gebotenen — Vorgehen gegen eine rechtswidrige Gegendemonstration ergeben würden. Diese Möglichkeit kommt indessen nur in äußersten Notsituationen in Betracht, namentlich wenn das gebotene Einschreiten gegen die Störer schwere Gefahren für Leib und Leben unbeteiligter Dritter mit sich brächte208. Grundsätzlich hat die Polizei die rechtmäßige Versammlung zu schützen. Auf die Frage, ob die Motive der diese Versammlung rechtswidrig störenden Gegendemonstranten politisch achtenswert sind oder nicht, kommt es dabei nicht an. Es wäre im Rechtsstaat unerträglich, wenn rechtswidrige Aktionen Dritter die Polizei legitimieren könnten, rechtmäßige Verhaltensweisen zu unterdrücken 209 . Die Polizei muß, bevor sie den Nichtstörer in Anspruch nimmt, ihre eigenen personellen und sachlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft haben 210 . Sie darf ihn grundsätzlich nicht nur deshalb heranziehen, weil sie dabei Kosten spart211. Denn im Gegensatz zur Inanspruchnahme des Störers dient die 205
Zu den Grenzen vgl. PrOVG 12, 397 (403); OVG Münster OVGE 8, 213. Vgl. OVG Berlin DÖV 1974, 27 ff. (28). 207 prOVG 78, 279 (282); VGH Stuttgart DÖV 1954, 221 f. 208 Zu weitgehend OVG Saarlouis JZ 1970, 283 ff., mit krit. Anm. Pappermann; s. dagegen VG Köln NJW 1971, 21 Off. (212); VG Gelsenkirchen NJW 1971, 213, sowie OVG Saarlouis DÖV 1973, 863 ff. 209 Treffend VGH Mannheim DÖV 1968, 179 ff. (181) und DVB1. 1987, 151 ff. (152). 210 S. BGH DVB1. 1957, 864. 211 Dazu OVG Münster OVGE 14, 265 (270, 272f.). 206
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3. Abschn. II 3c
Karl Heinrich Friauf
Heranziehung des Nichtstörers nicht der finanziellen Entlastung der Steuerzahler (oben Abschnitt II. 2). Für die Beurteilung der Unmöglichkeit einer anderweitigen Gefahrenabwehr kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem der Nichtstörer herangezogen wird. Ob die Behörde sich durch rechtzeitige Vorsorge vor Eintritt der Gefahr bzw. Störung die notwendigen Mittel hätte verschaffen können, bleibt unerheblich. Der Eigentümer der zur Unterbringung von Obdachlosen beschlagnahmten Räume kann sich deshalb nicht darauf berufen, die Behörde sei in der Lage gewesen, rechtzeitig Notunterkünfte zu errichten. Entscheidend ist vielmehr, daß im Augenblick keine Unterkünfte zur Verfügung stehen. Selbstverständlich bedeutet das aber keinen Freibrief für die Polizei, angesichts einer sich abzeichnenden Gefahrenentwicklung zunächst untätig zu bleiben und sich darauf zu verlassen, daß ihr gegebenenfalls die Eingriffsmöglichkeiten gegen Nichtstörer zur Verfügung stehen werden. c) Subsidiarität der Notstandseingriffe: Die Maßnahmen im polizeilichen Notstand dürfen nur getroffen und aufrecht erhalten werden, soweit und solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist212. Sie sind auf das sachlich und zeitlich unbedingt erforderliche Mindestmaß zu beschränken. In sachlicher Hinsicht darf nicht mehr verlangt werden, als zur Abwendung der Gefahr unbedingt notwendig ist (Unterbringung eines Obdachlosen nur in notdürftig ausreichenden Räumen; die Beschlagnahme einer „angemessenen" Wohnung wäre unzulässig)213. Eingriffe, die sich nicht ohnehin in einem einmaligen Akt erschöpfen, dürfen nur bis zu dem Zeitpunkt aufrechterhalten werden, in dem die Polizei in der Lage ist, der Gefahr durch Einsatz eigener Mittel (z. B. Errichtung von Notunterkünften) oder durch nachträgliche Heranziehung eines Störers zu begegnen. In diesem Sinne darf es sich also stets nur um vorläufige Maßnahmen handeln 214 . Die überwiegende Rechtsprechung verlangt zudem, daß sie von vornherein zeitlich befristet werden müssen. An die Bemessung der Frist sind strenge Anforderungen zu stellen215. Ist die Frist verstrichen, innerhalb derer die Polizei bei Einsatz ihrer Kräfte anderweitige ausreichende Maßnahmen hätte treffen können, dann muß sie die Inanspruchnahme des Nichtstörers aufheben — selbst dann, wenn sie das Erforderliche tatsächlich noch nicht veranlaßt hat. Ihre Untätigkeit darf sich nicht zu Lasten des Nichtstörers auswirken.
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213 214 215
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Art. 10 II bay. PAG; § 9 I bad.-württ. PolG; § 7 II brem. PolG; § 13 II berl. ASOG; § 15 II hess. SOG; § 8 II nieders. SOG; § 6 II nordrh.-westf. PolG; § 19 II nordrh.-westf. OBG; § 7 II rheinl.-pfälz. PVG; § 187 I Nr. 1 und 2 schlesw.-holst. LVwG. Vgl. hierzu VGH München BayVBl. 1979, 244. PrOVG 106, 37 (42). S. auch Pappermann, JZ 1970, 286f. (287) mit weit. Nachw. BGH NJW 1959, 768f.; BGHZ35, 27 (31 f.); OVG Lüneburg NJW 1953, 599; OVG Münster OVGE 35, 303.
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3. Abschn. II 3 e
d) Grenze der Leistungsfähigkeit: Der Nichtstörer kann stets nur im Rahmen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Eine Inanspruchnahme ist unzulässig, wenn sie sein Leben oder seine Gesundheit gefährden oder ihn an der Erfüllung überwiegender anderweitiger Verpflichtungen hindern würde 216 : Ein Herzkranker darf nicht zu schweren körperlichen Arbeiten verpflichtet werden; ein Arzt darf nicht durch Beschlagnahme seines Wagens von einem dringenden Krankenbesuch abgehalten werden. e) Folgenbeseitigung und Entschädigung: Da der Nichtstörer für die jeweils abzuwehrende Gefahr nicht verantwortlich ist, braucht er die Last der Gefahrenabwehr nicht auf die Dauer zu tragen. Er kann deshalb verlangen, daß die Behörde, die ihn in Anspruch genommen hat, die ihm erwachsenen Nachteile ausgleicht. Sein Anspruch richtet sich entweder auf Folgenbeseitigung oder auf Entschädigung, u. U. auch auf beides nebeneinander. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist zwar im Gesetz nicht geregelt, wird aber heute allgemein anerkannt 217 . Der Anspruch richtet sich im Regelfall auf die „Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands mit hoheitlichen Mitteln"218. Der Anspruch greift dann ein, wenn trotz rechtlicher Beendigung der Inanspruchnahme ihre tatsächlichen Wirkungen fortbestehen. Häufigster Fall: Die Einweisung eines Obdachlosen in einen Wohnraum hat sich durch Ablauf der bestimmten Frist erledigt oder ist — durch die Behörde selbst oder durch verwaltungsgerichtliches Urteil — aufgehoben worden. Der Eingewiesene bleibt dennoch in dem Raum. Hier hat der Hauseigentümer zwar die Möglichkeit, Räumungsklage (§ 985 BGB) zu erheben, da der Betreffende nicht mehr zum Besitz berechtigt ist. Er kann aber statt dessen auch von der Behörde verlangen, den Eingewiesenen zwangsweise zu entfernen und dadurch die Folgen der Einweisung zu beseitigen219. Für die nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile (Nutzungsausfall während der Zeit der Beschlagnahme; Zerstörung oder Beschädigung einer Sache usw.) kann der Nichtstörer Entschädigung in Geld beanspruchen (s. unten Abschnitt IV. 1 a).
216
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§ 13 I Nr. 4 beri. ASOG; Art. 10 I Nr. 4 bay. PAG; § 6 I Nr. 4 nordrh.-westf. PolG; § 19 I Nr. 4 nordrh.-westf. OBG; § 7 I Nr. 4 brem. PolG; § 15 I Nr. 3 hess. SOG; § 7 I Nr. 4 rheinl.-pfälz. PVG; § 187 I Nr. 3 schlesw.-holst. LVwG; § 8 I Nr. 4 nieders. SOG. Grundlegend dazu Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951 (2. Aufl. 1968); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 153ff.; s. a. Spanner, DVB1. 1968, 618ff.; Heidenhain, JZ 1968, 487ff.; Schleeh, AöR 92 (1967), S. 58ff.; Broß, VerwA 76 (1985), S. 217ff.; Schock, VerwA 79 (1988), S. 1 ff.; aus der Rspr. insb. BVerwGE 69, 366. BVerwG DVB1. 1963, 677 (LS 3, 678); s. ferner BVerwGE 28, 155 (163 - 164); 35, 268 (272 - 273); BVerwG DÖV 1971, 857 mit Anm. Bachof. OVG Lüneburg OVGE 4, 235 (239): OVG Münster OVGE 8, 212 (216); 14, 265 (273). 247
3. Abschn. II 4a
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4. Standardmaßnahmen Polizei- und Ordnungsbehörden müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr in vielfältiger Weise in Freiheit und Eigentum der Bürger eingreifen. Verschiedene besonders schwerwiegende Eingriffe waren bereits im preuß. PVG (§§ 15 — 17) in ihren Einzelheiten näher durchnormiert. Nunmehr enthalten die meisten Landesgesetze nach dem Vorbild des M E PolG detaillierte Eingriffsermächtigungen. Bei ihrem Erlaß mußte der Gesetzgeber den Anforderungen des G G (insb. Art. 2, 13 und 104) Rechnung tragen 220 . Die formellen Rechtsgrundlagen für die in Betracht kommenden Eingriffe (sog. Standardmaßnahmen) sind in den einzelnen Bundesländern nicht einheitlich. In der Sache bestehen aber keine grundlegenden Unterschiede. Überall gilt, daß Maßnahmen, die der Gesetzgeber besonders normiert hat, ausschließlich nach den Sondervorschriften zu beurteilen sind. Eine Ausweitung der dort geregelten Eingriffsbefugnisse unter Rückgriff auf die Generalklausel wäre unzulässig. Auch die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe (insbes. § 34 StGB) bilden keine zusätzliche Ermächtigungsgrundlage für hoheitliche Eingriffe 221 ; sie können allerdings zivil- und strafrechtlich das Verhalten des einzelnen Beamten rechtfertigen. Die nachfolgend dargestellten Standardmaßnahmen beziehen sich allein auf die Gefahrenabwehr. Daneben gibt es teilweise gleichartige oder ähnliche Eingriffsbefugnisse der Polizei im Rahmen der Strafverfolgung. Die Eingriffe zur Gefahrenabwehr stützen sich auf die Polizeigesetze, die Maßnahmen zur Strafverfolgung dagegen auf die StPO. So muß die Durchsuchung einer Wohnung, wenn sie der Gefahrenabwehr dient, nach § 19 M E PolG und den ihm entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, als Maßnahme der Strafverfolgung dagegen nach §§ 102 ff. StPO beurteilt werden 222 . Es ist stets sorgfältig zu prüfen, in welchem Bereich die Polizei jeweils tätig wird 223 . a) Feststellung von Personalien (sog. Sistierung): In zahlreichen Fällen hat die Polizei, um ihre Aufgaben im Rahmen der Gefahrenabwehr erfüllen zu können, Namen und Personalien von Personen — Störern oder sonstigen, z. B. Zeugen — festzustellen. Dazu müssen die Betreffenden angehalten und befragt werden. Ist eine sichere Feststellung der Personalien an Ort und Stelle nicht möglich, so kann es erforderlich werden, die Personen zur Wache mitzunehmen und notfalls erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen sie anzuord220 221
222 223
248
Vgl. auch Lisken, ZRP 1980, 145 ff. Sehr Str.; wie hier: Amelung, NJW 1977, 833 ff.; De Lazzer / Rohlf, JZ 1977, 207ff.; Kirchhof. NJW 1978, 969ff.; M. Kuppelt, Maßnahmen ohne Rechtsgrundlage, 1983; Riegel, NVwZ 1985, 639ff.; a. A. Lange, NJW 1978, 784ff.; Schwabe, NJW 1977, 1902ff.; ausführlich zum Streitstand: LK, 10. Aufl. 1985, § 32 Rdnr. 263-280 u. § 34 Rdnr. 6 - 2 0 ; informativ: Amelung, JuS 1986, 329ff. (331-334). S. dazu näher Thomas, BayVBl. 1969, 50ff. Zum Rechtsschutz gegen (eigenverantwortliche) Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei s. BVerwGE 47, 255; BayVGH NVwZ 1986, 655; Markworth, DVB1. 1975, 575ff.; Schenke, NJW 1976, 1816 ff.; zur Abgrenzung der beiden Tätigkeitsbereiche der Polizei vgl. auch BayVGH NJW 1984, 2235 ff. (Führung von Kriminalakten).
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3. Abschn. II 4a
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nen . § 9 I Nr. 4 ME PolG will eine Identitätsfeststellung auch an sog. Kontrollstellen zulassen, die zur Verhinderung von Straftaten i. S. von § 100 a StPO und § 27 VersG eingerichtet werden. In dieser Form ist der Entwurf von Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen übernommen worden 225 . Nordrhein-Westfalen und Bremen haben demgegenüber die Einrichtung von Kontrollstellen auf die Verhinderung eines wesentlich engeren Kreises von Straftaten 226 beschränkt 227 . Als Freiheitsbeschränkungen bedürfen diese Maßnahmen nach Art. 104 I S. 1 GG einer Rechtsgrundlage in Gestalt eines förmlichen Gesetzes. Fast alle Bundesländer haben in ihren Polizeigesetzen die Sistierung besonders geregelt228. Im übrigen leitet man das Recht der Polizei zur Sistierung unmittelbar aus der Generalklausel her229. In einigen Landesgesetzen230 ist ausdrücklich bestimmt, daß eine Mitnahme zur Wache zum Zweck der Identitätsfeststellung erfolgen kann. § 9 II 3 ME PolG und die ihm folgenden Landesgesetze2303 ermächtigen dazu, den Betroffenen ggfs. zur Personalfeststellung „festzuhalten"; dies umfaßt auch die Befugnis, eine Person, falls erforderlich, zur Dienststelle mitzunehmen230b. Da die Mitnahme zur Wache nicht eine bloße Freiheitsbeschränkung, sondern eine (wenn auch vorübergehende) Freiheitsentziehung darstellt, gilt für sie Art. 104 II S. 2 und 3 GG. Die Sistierung nach § 9 I Nr. 1 ME PolG231 setzt eine konkrete Gefahr voraus. Bei der Sistierung von Nichtstörern sind deshalb die einschränken224
Eingehend dazu: W. Hoffmann, DVB1. 1967, 751 ff.; Steinke, Polizei 1977, 227ff.; Thomas, BayVBI. 1969, 50 ff. 225 Art. 12 I Nr. 4 bay. PAG; § 10 I Nr. 4 rheinl.-pfälz. PVG; § 12 I Nr. 4 nieders. SOG. 226 § 9 I Nr. 4 nordrh.-westf. PolG; § 11 I Nr. 3 brem. PolG. 227 Kontrollstellen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung sind nach § 111 StPO unter engen Voraussetzungen zulässig. Zur Problematik dieser Vorschrift vgl. Steinke, NJW 1978, 1962f. (sie verlagere reines Polizeirecht in die StPO); Kurth, NJW 1979, 1377 ff. 228 §9 ME PolG; §20 bad.-württ. PolG; Art. 12 bay. PAG; § 15 berl. ASOG; § 11 brem. PolG; §12 hamb. SOG; §16 hess. SOG; §12 nieders. SOG; §9 nordrh.-westf. PolG; § 10 rheinl.-pfälz. PVG; § 176 schlesw.-holst. LVwG. 229 So schon PrOVG 87, 289 (292); vgl. auch OLG Bremen, NJW 1957, 158. 230 § 20 II 3 bad.-württ. PolG; § 15 II 3 berl. ASOG; § 11 II Nr. 8 brem. PolG; § 12 II hamb. SOG; § 176 II schlesw.-holst. LVwG. 230a Art 12 II 3 bay. PAG; § 12 II 3 nieders. SOG; § 9 II 3 nordrh.-westf. PolG; § 10 II 3 rheinl.-pfälz. PVG. 230b u l e / R a s c h ^ a a o., § 9 ME Rdnr 27; Drews /Wacke/Vogel/Martens, S. 187. Die Frage, ob die Generalklausel als Grundlage für eine Mitnahme zur Wache ausreicht, stellt sich nur noch für das Saarland sowie in Hessen in der modifizierten Form, ob der sehr generelle § 16 I hess. SOG eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage enthält (vgl. dazu Drews /Wacke/Vogel /Martens, S. 188). 231 Ihm folgend: Art 12 I Nr. 1 bay. PAG; § 11 I Nr. 1 brem. PolG; § 12 I Nr. 1 nieders. SOG; § 9 I Nr. 1 nordrh.-westf. PolG; § 10 I Nr. 1 rheinl.-pfälz. PVG. Ebenso setzen §§ 20 I Nr. 1 bad.-württ. PolG, 15 I Nr. 1 berl. ASOG eine konkrete Gefahr voraus. 249
3. Abschn. II 4b
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den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zu beachten (oben Abschnitt II. 3). Dagegen verlangt § 9 I Nr. 2 - 4 ME PolG232 keine konkrete Gefahr als Voraussetzung einer Identitätsfeststellung. Dadurch wird die Unterscheidung zwischen Störer und Nichtstörer gegenstandslos233; die Identität jeder Person, die sich an einem der im Gesetz beschriebenen Orte aufhält, kann grundsätzlich überprüft werden. Selbstverständlich muß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Eine Razzia „ins Blaue hinein" wäre deshalb unzulässig233". Ist eine Personenfeststellung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich, so kann die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen i. S. des § 81 b StPO (Fingerabdrücke, Lichtbilder usw.) vornehmen234. Das gleiche gilt unter bestimmten Voraussetzungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Personalien dürfen auch zur Sicherung privater Rechtsansprüche festgestellt werden, sofern die Ansprüche glaubhaft behauptet werden und ohne die Feststellung die Gefahr bestünde, daß ihre Durchsetzung vereitelt oder wesentlich erschwert würde: Ein Passant, der durch Unachtsamkeit eine Schaufensterscheibe zerschlagen hat, will sich ohne Namensnennung entfernen. Der Geschädigte bittet einen hinzukommenden Polizeibeamten, die Personalien des Schädigers festzustellen, damit er ihn auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. Die Befugnis, zum Schutz privater Rechte einzugreifen, ist in fast allen Ländern besonders normiert235. In den übrigen ergibt sie sich aus der Generalklausel236. Denn die öffentliche Ordnung wäre gestört, wenn Anspruchsgegner die Rechtsverfolgung durch „Flucht" vereiteln könnten, obwohl die Polizei ohne weiteres in der Lage ist, ihre Personalien zu ermitteln. b) Vorladung, Vorführung und Vernehmung: Kann die Polizei die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen, dann wird 232
Ebenso: Art 12 I Nr. 2 - 4 bay. PAG; § 12 I Nr. 2 - 4 nieders. SOG; § 10 I Nr. 2 - 4 rheinl.-pfälz. PVG. Gleiches gilt für §§ 20 I Nr. 3 - 6 bad.-württ. PolG, 15 I Nr. 3, 4 berl. ASOG, 11 I Nr. 2 - 4 brem. PolG, 9 I Nr. 2 - 4 nordrh.-westf. PolG. 233 Ule/Rasch, aaO, § 9 ME Rdnr. 8; Drews /Wacke /Vogel /Martens, S. 186; Riegel DVB1. 1979, 709ff. (711); vgl. auch OVG Berlin NJW 1986, 3223. 233a Vgl. Schwan, AöR 102 (1977), S. 243ff. (259 mit Fn. 49); Thiele, DVB1. 1979, 705ff. (708). 234 § 10 ME PolG; § 30 bad.-württ. PolG; Art. 13 bay. PAG; § 16 berl. ASOG; § 11 II Nr. 7 brem. PolG; § 45a hess. SOG; § 13 nieders. SOG; § 10 nordrh.-westf. PolG; § 11 rheinl.-pfälz. PVG. 235 § 2 II bad.-württ. PolG; Art 2 II, 12 I Nr. 6 bay. PAG; § 4 II berl. ASOG; § 1 II brem. PolG; §§3, 16 II hess. SOG; § 1 III nieders. SOG; § 1 II nordrh.-westf. PolG; § 1 II rheinl.-pfälz. PVG; § 175 schlesw.-holst. LVwG. 236 Vgl. z.B. OVG Münster DVB1. 1968, 759; ferner PrOVG 87, 289 (292); Baur, JZ 1962, 73ff.; von Hellingrath, JZ 1962, 244f.; Frotscher, DVB1. 1976, 695ff.; Martens, DÖV 1976, 457 (459). 250
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 4 b
sie Auskünfte einholen. Soweit die Beschaffung der Auskünfte im Einzelfall eine notwendige Maßnahme der Gefahrenabwehr darstellt, kann der Störer auf Grund der Generalklausel verpflichtet (und notfalls mit den polizeilichen Zwangsmitteln — unten Abschnitt III. 3 — angehalten) werden, sie zu erteilen237. Im Rahmen der Gefahrenabwehr besteht also, anders als im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, eine Aussagepflicht vor der Polizei. Von einem Nichtstörer kann die Aussage nur im Notstandsfall verlangt werden238. Wenn schriftliche oder an Ort und Stelle erteilte mündliche Auskünfte nicht ausreichen, kommt eine Vorladung in Betracht. Leistet der Vorgeladene ihr nicht Folge, dann wird die Polizei prüfen, ob sie ihn zwangsweise vorführen darf. Die Voraussetzungen der Vorladung sind in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Z. T. wird die Polizei generell ermächtigt, jemanden vorzuladen, „wenn es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist" 239 ; z. T. sind die Voraussetzungen aber auch enger gefaßt 240 . Ähnliche Unterschiede bestehen bei der Vorfiihrung, d. h. der zwangsweisen Durchsetzung einer Vorladung durch unmittelbare Verbringung des Pflichtigen zur Dienststelle. In Bremen ist sie zulässig zum Zwecke der Identitätsfeststellung sowie zur Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen 241 , in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zur Einholung von Angaben, die zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich sind, sowie zur Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen 242 , im Saarland hingegen allein zur Aufklärung eines Verbrechens oder Vergehens243. Einige Länder sehen sie überhaupt nicht vor244. Dort ist sie unzulässig. Angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen kann man dem Recht zur Vorladung als solchem keine Befugnis zur Vorführung entnehmen 245 .
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PrOVG 37, 427 (428, 430); st. Rspr.; Ule/Rasch, a . a . O . , §11 ME Rdnr. 5; Drews / Wacke / Vogel/ Martens, S. 192-194; H. W. Schmidt, NJW 1962, 2190ff.; spezialgesetzlich normiert ist eine Auskunftspflicht nunmehr in §25a III rheinl.-pfälz. PVG, s. dazu unten h). „Aufklärungsnotstand"; s. Ule / Rasch, a. a. O., §11 ME Rdnr. 6. § 11 I hamb. SOG; § 17 S. 1 hess. SOG; § 177 I 1 schlesw.-holst. LVwG. § 21 I bad.-württ. PolG; Art. 14 bay. PAG; § 17 I Nr. 1 berl. ASOG; § 12 I brem. PolG; § 14 I nieders. SOG; § 11 I nordrh.-westf. PolG; § 24 nordrh.-westf. OBG; § 12 I rheinl.-pfälz. PVG. § 12 III brem. PolG. § 11 III nordrh.-westf. PolG; Art. 14 III bay. PAG; § 17 III berl. ASOG; § 12 III rheinl.-pfälz. PVG; § 14 III nieders. SOG. § 17 saarl. PVG. Vgl. § 17 hess. SOG; § 21 III bad.-württ. PolG. - In § 177 II schlesw.-holst. LVwG wird die Vorführung ausdrücklich untersagt. Vgl. Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 191 f. (a. A. noch Drews / Wacke, 7. Aufl., S. 186). 251
3. Abschn. Il4d
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Als Freiheitsentziehung unterliegt die Vorführung dem Art. 104 II GG246. Soweit den Umständen nach möglich, ist die richterliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit im voraus einzuholen. Bei polizeilichen Vernehmungen darf kein Zwang angewandt werden, um eine Aussage herbeizuführen 247 . c) Platzverweisung: Einige Länder normieren im Anschluß an § 12 ME PolG die Platzverweisung als Standardmaßnahme 247 ". Danach kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die gleiche Maßnahme kann gegen Personen getroffen werden, die den Einsatz der Feuerwehr sowie von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern. In den übrigen Ländern wird eine derartige Anweisung auf die polizeiliche Generalklausel gestützt247b. Falls erforderlich, kann eine Platzverweisung durch unmittelbaren Zwang nach den allgemeinen Vorschriften über dieses Zwangsmittel vollzogen werden. Der zwangsweise Vollzug einer Platzverweisung berechtigt die Polizei allerdings nur dazu, eine Person unmittelbar von dem abgegrenzten Platz zu entfernen, dessen Betreten nach den oben genannten Normen verboten wurde. Ein weiterer Abtransport — z. B. von Demonstranten oder Stadtstreichern — an einen entfernteren Ort, damit die Betroffenen nicht sogleich an den Ort zurückkehren, von dem sie soeben verwiesen wurden, könnte nur nach den Vorschriften über die Ingewahrsamnahme von Personen zulässig sein247c. d) Ingewahrsamnahme von Personen: Eine Person kann in polizeilichen Gewahrsam genommen werden entweder auf ihren eigenen Wunsch248 (etwa zum vorübergehenden Schutz gegen verbrecherische Nachstellungen) oder aber zwangsweise, sei es ohne oder sei es gegen ihren Willen249. Die landesrechtlichen Regelungen über die zwangsweise Ingewahrsamnahme250 weichen teilweise voneinander ab. Sie normieren aber zumeist zwei Gruppen von Gewahrsamsgründen: 246
In diesem Sinne: §17 nieders. SOG; §11 III nordrh.-westf. PolG; §17 rheinl.-pfälz. PVG; s. a. OVG Münster DVB1. 1982, 658 f. - Vgl. aber auch BGHZ 82, 261 (265ff.); BVerwG NJW 1982, 537; BayObLG DVB1. 1983, 1069f.; Drews/Wacke/Vogel /Martens, S. 191 (lediglich Freiheitsbeschränkung). 247 § 13 brem. PolG und § 29 I bad.-württ. PolG geben einen allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz wieder. Vgl. auch Art. 104 I S. 2 GG. 247a Art. 15 bay. PAG; § 14 brem. PolG; § 15 nieders. SOG; § 12 nordrh.-westf. PolG; § 13 rheinl.-pfälz. PVG. 247b Maaß, NVwZ 1985, 151 (153); Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 202 247c Ebenso Maaß, NVwZ 1985, 151 (154); zum Gewahrsam vgl. den folgenden Abschnitt, insbesondere zum sog. Verbringungsgewahrsam. 248 S. § 22 I Nr. 2a bad.-württ. PolG; § 180 I Nr. 2a schlesw.-holst. LVwG. 249 S. auch J. Koschwitz, Die kurzfristige polizeiliche Freiheitsentziehung, 1969; R. Hoffmann, Polizeiliche „Schutzhaft" und Grundrechte, DVB1. 1970, 473 ff. 250 Außer den in Fußnote 248 genannten Gesetzesstellen vgl. Art. 16 bay. PAG; § 18 berl. ASOG; § 15 brem. PolG; § 13 hamb. SOG; §46 hess. SOG; § 16 nieders. SOG; § 13 nordrh.-westf. PolG; § 14 rheinl.-pfälz. PVG; § 15 I saarl. PVG. 252
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. I l 4 d
1. Schutz einer Person, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet, vor Gefahren für Leib oder Leben (in manchen Ländern auch bei Selbstmordgefahr 251 ), 2. Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung und Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr, wenn andere Mittel nicht zur Verfügung stehen (ultima ratio) 252 . Die Verwahrung ist — von dem Fall abgesehen, daß sich jemand freiwillig in Gewahrsam begibt — stets Freiheitsentziehung i. S. von Art. 104 Abs. 2 GG. Über ihre Zulässigkeit und Fortdauer ist daher in jedem Fall unverzüglich 253 eine richterliche Entscheidung herbeizuführen 254 . Über das Ende des 251 252 253 254
Dazu Polder, BayVBl. 1977, 392ff. Enger z. B. § 13 I Nr. 2, 3 nordrh.-westf. PolG: nur zur unerläßlichen Verhütung von Straftaten und zur Durchsetzung einer Platzverweisung. Näher dazu BVerwGE 45, 51 (63 - 64). Art. 104 II S. 2 GG; die Einzelheiten des Verfahrens sind landesrechtlich geregelt, § 22 III - IV bad.-württ. PolG; § 19 berl. ASOG; § 16 brem. PolG; § 47 hess. SOG; Art. 17 bay. PAG; § 17 nieders. SOG; § 14 nordrh.-westf. PolG; § 15 rheinl.-pfälz. PVG. — Nach der Mehrzahl dieser Vorschriften braucht eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams nicht herbeigeführt zu werden, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahmen ergehen würde. Dies beruht auf einer teleologischen Reduktion des Art. 104 II S. 2 GG, da es nicht dem Sinn dieser Norm entspräche, wenn durch die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung der Polizeigewahrsam verlängert würde (ebenso Drews/Wacke / Vogel/Martens, S. 200; vgl. auch BVerwGE 45, 51 (63 f.). In vielen Landesgesetzen (Art. 17 II 2 bay. PAG; § 19 II 3 berl. ASOG; § 16 III 2 brem. PolG; § 14 II 2 nordrh.-westf. PolG; § 15 II 2 rheinl.-pfälz. PVG) wird in Anlehnung an § 14 II 2 ME PolG für das Verfahren auf das BundesG über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. 6. 1956 (BGBl. I S. 599; FEVG, Sart. Nr. 617) verwiesen. Hat der Amtsrichter eine Freiheitsentziehung angeordnet, ist dagegen nach § 7 FEVG sofortige Beschwerde möglich. Dieses Rechtsmittel wird allerdings unzulässig, wenn der Betroffene vor einer Entscheidung freigelassen wird. Gegen die Anordnung des Amtsrichters ist in allen Ländern zumindest grundsätzlich nach Freilassung des Betroffenen kein Rechtsbehelf gegeben (vgl. KG NJW 1983, 690ff.; BayObLG DÖV 1987, 252f.; nach VGH Kassel NJW 1984, 821 ff. ist in Hessen eine Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht analog § 113 I 4 VwGO zulässig, wenn die Entscheidung des Amtsrichters aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Mindesterfordernisse nicht gewahrt hat). Wurde der Betroffene bereits vor einer richterlichen Entscheidung freigelassen, ist bei einem Verfahren nach dem FEVG keine Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem VG zulässig (a. A. Ule/Rasch, a. a. O., § 14 ME Rdnr. 4; OVG Berlin NJW 1971, 637 f.), sondern es kann nachträglich eine Entscheidung des Amtsrichters nach § 13 II FEVG herbeigeführt werden (vgl.BVerwGE 62, 317, 321-325). Für Länder, die für das Verfahren nicht auf das FEVG verweisen, wurde eine Fortsetzungsfeststellungsklage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit analog § 113 I 4 VwGO als zulässig angesehen (BVerwGE 45, 51 (54); VGH Kassel NJW 1984, 821, 822). 253
3. Abschn. II 4 e
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auf ihren Beginn folgenden Tages hinaus darf sie nur auf Grund richterlicher Anordnung, in Hessen255 sogar überhaupt nicht, aufrechterhalten werden255*. Das gilt selbst dann, wenn der Gewahrsamsgrund weiterhin andauern sollte. Die Befugnis, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, ermächtigt zwar auch zum Transport des Betroffenen zu einem geeigneten polizeilichen Arrestraum. Daraus läßt sich jedoch nicht die Zulässigkeit eines sog. Verbringungsgewahrsams, d. h. eines zwangsweisen polizeilichen Transports von Personen — etwa Demonstranten oder Stadtstreichern — an einen anderen Ort, mit der Begründung herleiten, die bloße Verbringung an einen anderen Ort sei ein Minus gegenüber der Verbringung und anschließenden Verwahrung des Betroffenen, so daß die Normen über polizeilichen Gewahrsam auch einen derartigen Transport als Mittel der Gefahrenabwehr erlaubten 256 . Die Vorschriften über den Gewahrsam von Personen lassen eine Verbringung nämlich nur insoweit zu, als sie erforderlich ist, um den Betroffenen in polizeilichem Gewahrsam zu halten, also nur einen Transport zum nächstgelegenen geeigneten Gewahrsamsraum, der zu dem Zweck erfolgt, dort den Gewahrsam zu vollziehen. Jeder andere zwangsweise Abtransport von Personen ist kein Minus gegenüber einer „normalen" Ingewahrsamnahme, sondern ein Aliud. Für diesen Eingriff bilden die Vorschriften über den Gewahrsam keine Ermächtigungsgrundlage. Er läßt sich auch nicht auf die Generalklausel stützen, da die Normen über den Gewahrsam abschließend regeln, in welcher Weise eine polizeiliche Freiheitsentziehung zum Zweck der Gefahrenabwehr erfolgen darf 2563 . Die Verwahrung von geisteskranken, geistesschwachen und suchtkranken Personen in Heil- und Pflegeanstalten ist durch besondere Landesgesetze geregelt257. e) Durchsuchung von Personen: Die Durchsuchung von Personen258 erweist sich als Freiheitsbeschränkung. Sie bedarf nach Art. 104 I GG einer Grundlage im förmlichen Gesetz. Die neueren Polizeigesetze haben diese Grundlage für bestimmte Fälle geschaffen 259 . Dabei handelt es sich um präventive Maß255
§ 48 I hess. SOG; dazu s. BVerwGE 45, 51 (63 - 64). Vgl. a. die Einschränkung in § 16 I Nr. 3 nordrh.-westf. PolG. 256 So aber Innenministerium Baden-Württemberg, LT-Drucks. Baden-Württemberg 7/4199; Greiner, Die Polizei 70 (1979), 92 (93f.); vgl. auch die Nachw. bei Maaß, NVwZ 1985, 151 Fn. 3 u. OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 (237). 256a Ebenso Maaß, NVwZ 1985, 151 (156f.). 257 Näher Kunig, in: von Münch, GGK, Bd.3, Rdnr. 20 zu Art. 104; s. ferner das BundesG über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, a. a. O. (Anm. 254). 258 Dazu eingehend W. Hoffmann, Polizei 1969, 11 ff. und 42 ff. 259 § 23 I bad.-württ. PolG; Art. 20 bay. PAG; § 19 brem. PolG; § 22 berl. ASOG; § 15 hamb. SOG; § 50 hess. SOG; § 20 nieders. SOG; § 17 nordrh.-westf. PolG; § 18 rheinl.-pfälz. PVG; § 179 I schlesw.-holst. LVwG. 255a
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Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. II 4 g
260
nahmen — im Gegensatz zu der Durchsuchung nach § 102 StPO, die der Strafverfolgung dient. f ) Durchsuchung von Wohnungen: Die Polizei darf Wohnungen ohne Einwilligung des Inhabers nur betreten und durchsuchen, wenn das zur Abwehr einer „gemeinen Gefahr", einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person sowie zur Ergreifung von Personen und zur Sicherstellung von Sachen erforderlich ist261. Die landesrechtlichen Bestimmungen262 weichen teilweise voneinander ab. Mehrfach wird zwischen dem bloßen Betreten und der Durchsuchung unterschieden und für letztere ein strengerer Maßstab aufgestellt. Begriffsmerkmal der Durchsuchung ist die Suche nach Personen, Sachen oder Spuren, also ein spezifisches Eindringen in die private Geheimsphäre. Fehlen diese Merkmale, dann handelt es sich um ein bloßes Betreten263. Einige Gesetze sehen vor, daß Wohnungen zur Nachtzeit nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr betreten werden dürfen 264 . Nach Art. 13 II GG können Durchsuchungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Lediglich bei Gefahr im Verzug steht das Anordnungsrecht auch anderen, gesetzlich besonders ermächtigten Organen zu. Diese Vorschrift gilt, entgegen der früher herrschenden Meinung, nicht nur für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, sondern auch für die präventive polizeiliche Durchsuchung 265 . Praktisch wird allerdings in den meisten Fällen, in denen die Polizei überhaupt eine Wohnung durchsuchen darf, Gefahr im Verzug vorliegen, so daß die in Art. 13 II GG zugelassene Ausnahme eingreift. g) Sicherstellung von Sachen: Fast alle Polizeigesetze normieren als Standardmaßnahme die Sicherstellung266. 260 261 262
263 264 265
266
Charakteristisch: § 50 in Verb, mit § 18 I hess. SOG; § 17 I Nr. 2 in Verb, mit § 21 nordrh.-westf. PolG. Zu Art. 13 GG und gefahrenabwehrenden Eingriffen in die Wohnungsfreiheit, vgl. Schwan, DÖV 1975, 661 ff. § 19 ME PolG; § 16 hamb. SOG; § 25 bad.-württ. PolG; § 24 berl. ASOG; § 21 brem. PolG; §52 hess. SOG; §22 nieders. SOG; § 19 nordrh.-westf. PolG; §20 rheinl.-pfälz. PVG; § 16 saarl. PVG; § 182 schlesw.-holst. LVwG; Art. 22 bay. PAG. BVerwGE 47, 31 (36 - 37). Z. B. § 25 I bad.-württ. PolG; § 19 II nordrh.-westf. PolG; § 182 III schlesw.-holst. LVwG. BVerwGE 28, 285 ( 2 8 7 - 2 9 2 ) ; BVerfGE 51, 97 (106); BayObLG BayVBl. 1984, 27 f.; Ule/Rasch, a.a.O., §19 ME Rdnr. 4. So jetzt ausdrücklich § 25 V bad.-württ. PolG; Art. 23 I bay. PAG; § 24 II berl. ASOG; § 22 I brem. PolG; § 23 I nieders. SOG; § 20 I nordrh.-westf. PolG; § 21 I rheinl.-pfälz. PVG. Nur im Saarland fehlt eine spezialgesetzliche Regelung; dort werden Sicherstellungen auf die polizeiliche Generalklausel gestützt. §§ 26, 27 bad.-württ. PolG unterscheiden zwischen Sicherstellung und Beschlagnahme. Im Text wird der Begriff der Sicherstellung wie in den Polizeigesetzen aller anderen Bundesländer (außer den unten in Fn. 268 genannten: § 14 hamb. SOG; § 18 hess. SOG; § 183 schlesw.-holst. LVwG) und im ME PolG als Oberbegriff für beide Fallgruppen verwendet. 255
3. Abschn. II 4g
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aa) Allgemein zur Sicherstellung: Sicherstellung bedeutet die Beendigung des Gewahrsams des Eigentümers oder sonstigen Berechtigten an einer Sache und die Begründung neuen Gewahrsams durch die Verwaltung oder eine von ihr beauftragte Person267. Die meisten Polizeigesetze kennen ebenso wie § 21 ME PolG drei Gruppen von Sicherstellungsgründen: 1. Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, 2. Schutz des Berechtigten vor Verlust oder Beschädigung der Sache, 3. die Sache wird von einer Person mitgeführt, die festgehalten wird, und kann verwendet werden, um sich oder andere zu töten oder zu verletzen, fremde Sachen zu beschädigen oder die Flucht zu ermöglichen bzw. zu erleichtern268. Sichergestellte Sachen sind grundsätzlich in amtliche Verwahrung zu nehmen. Wird der sichergestellte Gegenstand in amtliche Verwahrung genommen oder von der Polizei bei einem Dritten verwahrt, entsteht ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis269. Sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind, hat der Berechtigte einen Anspruch auf Herausgabe der Sache; es handelt sich dabei um einen — zumeist gesetzlich geregelten — Spezialfall des öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruches270. Die Polizeigesetze der einzelnen Länder lassen unter unterschiedlichen Voraussetzungen eine Verwertung, d. h. Veräußerung, sichergestellter Sachen zu. Dabei tritt der Erlös an die Stelle der verwerteten Sache271. Liegt die Gefahr in der Eigenschaft des Gegenstandes selbst begründet, ohne daß es darauf ankommt, in wessen Hand er sich befindet, kann eine sichergestellte Sache unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden, z. B. Sprengstoff, Rauschgift oder verdorbene Lebensmittel272. Die Unbrauchbarmachung eines 267 268
269
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272
256
Drews /Wacke/Vogel /Martens, S. 209. Art. 24 bay. PAG; §26 berl. ASOG; §23 brem. PolG; §24 nieders. SOG; §21 nordrh.-westf. PolG; §22 rheinl.-pfälz. PVG; inhaltlich ähnlich §§26 I, 27 I bad.-württ. PolG. Zu Einzelheiten s. § 22 ME PolG; Art. 25 bay. PAG; § 27 berl. ASOG; § 24 brem. PolG; §14 III hamb. ASOG; §§19, 20 hess. SOG; §25 nieders. SOG; §22 nordrh.-westf. PolG; §23 rheinl.-pfälz. PVG; § 183 IV iVm §217 schlesw.-holst. LVwG; vgl. auch §§ 26 III, 27 II bad.-württ. PolG. §24 ME PolG; Art. 27 bay. PAG; §29 berl. ASOG; §26 brem. PolG; § 14 III hamb. SOG; § 18 II hess. SOG; § 27 nieders. SOG; § 24 nordrh.-westf. PolG; § 25 rheinl.-pfälz. PVG. Die Verwertung ist im einzelnen geregelt in § 23 I - III ME PolG; Art. 26 I - I I I bay. PAG; § 28 I—III berl. ASOG; § 25 I—III brem. PolG; § 14 IV, V hamb. SOG; § 21 I, I I I - V hess. SOG; § 26 I - I I I nieders. SOG; § 23 I - I I I nordrh.-westf. PolG; § 24 I - I I I rheinl.-pfälz. PVG; § 218 I - I I I schlesw.-holst. LVwG. § 23 IV ME PolG; Art. 26 IV bay. PAG; § 28 III bad.-württ. PolG; § 28 IV berl. ASOG; § 25 IV brem. PolG; § 14 VI hamb. SOG; § 21 II hess. SOG; § 26 IV nieders. SOG; §23 IV nordrh.-westf. PolG; §24 IV rheinl.-pfälz. PVG; §218 IV schlesw.-holst. LVwG.
Polizei- und Ordnungsrecht
3 . A b S C h n . II 4 g
Gegenstandes beseitigt dessen bestimmungsgemäße Verwendbarkeit, durch Vernichtung hört er zu bestehen auf 273 . Ein Teil der Polizeigesetze normiert auch eine Einziehung sichergestellter Sachen, d. h. einen Eigentumsübergang auf den Staat274. Unbrauchbarmachung, Vernichtung und — soweit vorgesehen — Einziehung sind keine Enteignung iSd Art. 14 III GG, sondern Konsequenz einer Inhaltsbestimmung des Eigentums nach Art. 14 I 2 GG, da jedermann verpflichtet ist, sein Eigentum so zu behandeln, daß von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. bb) Sicherstellung ordnungswidrig parkender PKWs: Besonders umstritten ist, ob und ggfs. wann das Abschleppen ordnungswidrig parkender PKWs als Sicherstellung anzusehen ist275. Teilweise wird angenommen, das Abschleppen bedeute keine Sicherstellung, sondern es handle sich um die im Wege der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs erfolgte Ersatzvornahme 276 einer fiktiven Grundverfügung, den Wagen aus dem Parkverbot zu entfernen 277 . Auch wird vertreten, das Abschleppen sei als im Wege der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs durchgeführte Ersatzvornahme einer Sicherstellungsanordnung als fiktiver Grundverfügung zu qualifizieren 278 . Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Sie erscheint weithin pragmatisch am Ergebnis (Kostenbelastung des Halters) orientiert. Gegen die Auffassung, beim Abschleppen handle es sich um den Vollzug einer fiktiven Sicherstellungsanordnung, spricht, daß die Polizei dem Autofahrer nicht gebieten dürfte, den Wagen zum polizeilichen Sicherstellungsgelände zu fahren, sondern nur, ihn aus dem Parkverbot zu entfernen. Das Abschleppen zum Sicherstellungsgelände ist demzufolge keine Handlung, die für den Störer anstelle einer ihm obliegenden eigenen Handlung vorgenommen wird279. Richtig erscheint dagegen folgende Differenzierung 280 : Wird ein 273 274 275
276 277 278
279
280
Ebenso Drews/Wacke/Vogel /Martens, S. 213. §28 bad.-württ. PolG; §25 IV brem. PolG; § 14 VI hamb. SOG; §218 IV schlesw.-holst. LVwG. Generell wird das Abschleppen falsch geparkter PKWs als (bloße) Sicherstellung angesehen von Schwabe, NJW 1983, 369 (373) u. Köhler, BayVBl. 1984, 630f.; eine Sicherstellung nahm auch das VG Kassel NVwZ 1985, 212ff. an. S. dazu unten Abschnitt III. 3b). So wohl OVG Münster DVB1. 1975, 588f. u. NJW 1981, 478f.; Samper, BayVBl. 1983, 333f.; VGH Kassel NVwZ 1987, 904 (909) u. 910f. So OVG Münster DVB1. 1983, 1074f. u. wohl auch in NJW 1982, 2277f.; z. T. sieht auch Kottmann, DÖV 1983, 493 (498) im Abschleppen die Ersatzvornahme einer Sicherstellung. Vgl. dazu, daß die Sicherstellung nicht generell als Grundverfügung zu einem Handeln des Polizeipflichtigen aufgefaßt werden kann, die, falls erforderlich, mit Mitteln des Verwaltungzwangs durchgesetzt wird, sondern daß die Sicherstellungsnormen z. T. gerade zu einer eigenen Realhandlung der Polizei ermächtigen: Schwabe, NJW 1983, 369 (371); Drews /Wacke /Vogel/Martens, S. 216f.; VGH Kassel DÖV 1985, 75 (76). Ebenso BayVGH NJW 1984, 2962ff.; wohl auch Geiger, BayVBl. 1983, 10 (11). 257
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Kfz. zu einem freien, der StVO entsprechenden Parkplatz in unmittelbarer Nähe seines Abstellortes geschleppt (sog. Versetzung), handelt es sich nicht um eine Sicherstellung, sondern um die unmittelbare Ausführung bzw. den sofortigen Vollzug einer Ersatzvornahme. Fiktiver Grundverwaltungsakt ist dabei ein auf die polizeiliche Generalklausel gestüztes Gebot, den Wagen aus dem Parkverbot zu entfernen. In der Regel wird allerdings kein geeigneter freier Parkplatz in der Nähe des Abstellortes vorhanden sein. Veranlaßt die Polizei deshalb das Abschleppen zu einem amtlichen Verwahrplatz, so ist diese Maßnahme zumindest in den Ländern, die eine Pflicht des Störers zur Zahlung der Kosten der Sicherstellung normiert haben 281 , einheitlich als Sicherstellung zu qualifizieren. Die Polizei ordnet iSd § 21 Nr. ME PolG an, daß der PKW in amtlichen Gewahrsam verbracht wird, um dadurch eine von ihm ausgehende Gefahr 2812 zu beseitigen. Es erscheint demgegenüber unangemessen, den einheitlichen Vorgang des Abschleppens gedanklich zu zerlegen in die Ersatzvornahme eines fiktiven Gebots, den Wagen aus dem Parkverbot zu entfernen, und eine erst daran anschließende Sicherstellung des Fahrzeugs282. h) Verarbeitung personenbezogener Informationen: Die Polizeigesetze von Bremen und Rheinland-Pfalz normieren ausdrücklich die Erhebung, Verarbeitung und Speicherung personenbezogener Daten 283 . In den anderen Bundesländern können Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 284 nur auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden. Problematisch ist dabei, daß diese nur zu Eingriffen ermächtigt, die zur Abwehr einer konkreten Gefahr erfolgen, nicht aber darüber hinaus zu einer polizeilichen Beobachtung zwecks vorbeugender Bekämpfung von Straftaten, die in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift 285 . 281
So: § 24 III ME PolG; Art 27 III bay. PAG; § 29 III berl. ASOG; § 27 III nieders. SOG; § 24 III nordrh.-westf. PolG; § 25 III rheinl.-pfälz. PVG; zum Umfang des polizeilichen Kostenerstattungsanspruchs beim Abschleppen von PKW vgl. BayVGH BayVBl. 1982, 469ff. 281a Vgl. dazu oben Anm. 147. 282 So aber Drews /Wacke/Vogel /Martens, S. 167f. 283 §§27 ff. brem. PolG; §§25a ff. rheinl.-pfälz. PVG; zum brem. PolG s. Alberts, NVwZ 1983, 585 (586f.); zur Aussagepflicht vor der Polizei s. oben unter b). 284 S. dazu BVerfGE 65, 1 (43) (Volkszählungsurteil). 285 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 195f.; Merten, DÖV 1985, 518ff.; Riegel, DVB1. 1987, 325 (329f.). Sehr umstritten ist, ob z. Zt. eine Ermächtigungsgrundlage für die Aufbewahrung polizeilicher Kriminalakten besteht: Der Bay.VerfGH NJW 1986, 915f. (m. Anm. Honnacker, BayVBl. 1985, 654f.) verlangt für die Führung von Kriminalakten durch die Polizei eine spezialgesetzliche Regelung, läßt aber für eine Übergangszeit in eingeschränktem Umfang noch die bisherige Praxis zu. Das VG Frankfurt NJW 1987, 2248 f. fordert ebenfalls eine spezialgesetzliche Regelung, jedoch ohne Anerkennung einer Übergangszeit; da eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage z. Zt. in Hessen nicht bestehe, habe der Betroffene einen Anspruch auf Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen, die zu präventiv-polizeilichen
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Polizei- und Ordnungsrecht
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5. Sondergesetzliche Ermächtigungen Sondergesetzliche Ermächtigungen zur Gefahrenabwehr können entweder in Ergänzung einer Generalklausel oder aber an ihrer Stelle eingeführt werden. Ein System von sondergesetzlichen Bestimmungen anstelle einer Generalklausel kannte traditionell lediglich Bayern 286 . Heute bestimmen in allen Bundesländern Generalklauseln nicht nur den Aufgabenbereich der Polizei- und Ordnungsbehörden, sondern fungieren zugleich als Eingriffsermächtigungen. Daneben haben sondergesetzliche Ermächtigungen lediglich eine ergänzende Aufgabe. Im Rahmen ihres jeweiligen Anwendungsbereichs gehen sie allerdings der Generalklausel vor, weil diese grundsätzlich nur subsidiär gilt (oben Abschnitt II. 1 b). Vielfach ist die Regelung eines Sondergesetzes enger als die Generalklausel. Sie sieht Eingriffe nicht vor, die an sich von der Generalklausel gedeckt wären. In derartigen Fällen muß durch Auslegung des jeweiligen Gesetzes ermittelt werden, ob es das betreffende Sachgebiet abschließend geregelt hat oder ob für die von ihm nicht behandelten Situationen ergänzend auf die Generalermächtigung zurückgegriffen werden kann. Abschließende Bedeutung besitzen z. B. die gesetzlichen Bestimmungen über das Versammlungswesen 287 . Gehen von einer Versammlung Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung aus, dann kann die Polizei (unter Beachtung des Grundrechts aus Art. 8 GG) ausschließlich nach §§ 5, 13, 15 VersammlungsG einschreiten 288 - 289 . Dagegen lassen die Regelungen der Gewerbeüberwachung 290 oftmals Raum für Eingriffe auf Grund der Generalklausel 291 . Im Bereich des Verkehrswesens sind die Bestimmungen der StVO nur insoweit abschließend, als verkehrstypische Gefahren in Frage stehen.
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Zwecken verwahrt werden. Dagegen ist die Anlage und Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Akten zu präventiv-polizeilichen Zwecken nach VGH Mannheim NJW 1987, 3022 f. in Baden-Württemberg durch die polizeiliche Generalklausel gedeckt; auch § 81b 2. Alt. StPO soll als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommen (so: VGH Mannheim NJW 1987, 2762f., 2763f. u. 2764f.). Vgl. auch Alberts, ZRP 1987, 193ff.; Götz, NVwZ 1987, 858ff.; Kniesel, Z R P 1987, 377ff.; Kuhlmann, JA 1988, 160ff. (161). Zur bayerischen Sonderstellung s. Franz Mayer, Die Eigenständigkeit des bayerischen Verwaltungsrechts, dargestellt an Bayerns Polizeirecht, 1958; Emmerig, DÖV 1955, lOOff.; S. Schulze, Die polizeiliche Generalermächtigung. Ein Vergleich mit dem System der Spezialdelegation, Diss. Erlangen, 1975. G über Versammlungen und Aufzüge vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 684). OVG Münster DÖV 1970, 344ff. (345); OVG Bremen NVwZ 1987, 235ff.; VG Hamburg NVwZ 1987, 829 ff. Anders sieht es im Vorfeld einer Versammlung aus, vgl. OVG Münster DVB1. 1982, 653 f. (654). Dazu eingehend in diesem Band Badura, 4. Abschnitt, IV. Im einzelnen ist die Abgrenzung oft problematisch; s. näher Drews/ Wacke / Vogel/Martens, S. 172f.; vgl. auch OVG Münster NJW 1986, 2900f. (Anwendbarkeit der Generalklausel gegenüber der gefährlichen Behandlungsmethode eines Heilpraktikers). 259
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Andere Einwirkungen auf den Straßenverkehr können mit Hilfe der Generalklausel bekämpft werden292. Bisweilen übertragen Sondergesetze den Polizei- und Ordnungsbehörden Aufgaben, die über den Bereich der Gefahrenabwehr hinausgehen, z. B. im Paß- und Meldewesen293. Diese Aufgaben gehören nicht mehr zur polizeilichen Funktion im materiellen Sinne. Man spricht hier von bloß formell-polizeilichen Tätigkeiten294. Die in Betracht kommenden Funktionen werden in erster Linie nach Maßgabe der einzelnen Sondergesetze erfüllt. Daneben gelten für die Art und Weise der Durchführung ergänzend die Vorschriften der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze, und zwar teilweise auf Grund einer generellen Verweisung in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen selbst295, teilweise aber nur dann, wenn das jeweilige Spezialgesetz besonders auf sie verweist296. III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Organisation und Zuständigkeitsordnung Im Gegensatz zum materiellen Polizei- und Ordnungsrecht, bei dem die Rechtslage in sämtlichen Bundesländern weitgehend übereinstimmt, ergeben sich im organisationsrechtlichen Bereich tiefgreifende und vielfältig abgestufte Verschiedenheiten. Es besteht hier nicht nur der grundlegende Unterschied zwischen dem Einheits- und dem Trennungssystem (oben Abschnitt I. 5). Auch innerhalb beider Systeme variieren die Regelungen von Land zu Land. Im Rahmen der vorliegenden Darstellung können nur Grundlinien aufgezeigt werden. Ergänzend wird auf die einschlägigen Gesetze der einzelnen Bundesländer verwiesen297. a) Kompetenzabgrenzung zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden: In den Ländern, die die Aufgaben der Gefahrenabwehr auf zwei Behördenzweige verteilen, muß jede Behandlung eines konkreten Falles von der Frage ausgehen, ob für das betreffende Sachgebiet die Polizei oder die Ordnungsbehörde zuständig ist. Die landesrechtlichen Regelungen dazu sind unterschiedlich. Überall aber kennt man eine normale Zuständigkeitsverteilung und neben ihr eine Reihe von Not- und Hilfszuständigkeiten, die der Polizei zustehen. 292
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Insb. BVerwGE 28, 310 = DVB1. 1968, 509ff„ mit Anm. A. Schmidt-Tophoff, S. 512 ff., betr. die Anwendbarkeit der Generalklausel bei in den Straßenraum ragenden Werbeanlagen, die von den Vorschriften der StVO nicht erfaßt werden; ferner Knütel, DÖV 1970, 375 ff. Z. B. § 1 nordrh.-westf. MeldeG vom 13. 7. 1982 (GVB1. S. 474). S. Henke, DÖV 1960, 890 ff. (vgl. auch oben I. 3 b). § 10 II brem. PolG; § 1 II 2 hess. SOG; § 9 II rheinl.-pfälz. PVG; § 164 II 2 schlesw.-holst. LVwG. § 1 III nordrh.-westf. OBG. Überblick über den Aufbau der Ordnungsverwaltung bei Rasch, DVB1. 1977, 144ff.
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aa) Normale Zuständigkeitsverteilung: Für die Aufgaben der Polizeibehörden ist das Enumerationsprinzip durchgeführt. Sie sind nur für die Angelegenheiten zuständig, die die Gesetze ihnen ausdrücklich zuweisen298. Fehlt es an einer Zuweisung an die Polizei, dann ist die Ordnungsbehörde zuständig299. Es spricht also die Vermutung für die Kompetenz der Ordnungsbehörde. bb) Notzuständigkeiten der Polizei: In sämtlichen Ländern des Trennungssystems hat man nicht umhin gekonnt, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß allein die Polizei über einen stets unmittelbar einsatzfähigen Exekutivapparat verfügt. Auch den Ordnungsbehörden sind zwar teilweise sog. Vollzugsbeamte300 zugeteilt; sie reichen aber nach ihrer Zahl und dem Umfang ihrer Tätigkeit nicht aus, um eine allgemeine präventive Überwachung durchzuführen. Die Ordnungsbehörden bilden im wesentlichen eine Schreibtischverwaltung, die die tatsächlichen Vorgänge nur aus einer gewissen Distanz heraus verfolgen kann. Zum sofortigen Eingreifen in dringenden Fällen ist praktisch nur die Polizei imstande. Deshalb hat man überall der Polizei die Befugnis eingeräumt, auch im Tätigkeitsbereich der Ordnungsbehörden die notwendigen „unaufschiebbaren Maßnahmen" bei akuter Gefahr zu treffen (sog. Recht des ersten Zugriffs)301. Dabei handelt es sich, wie die Gesetze vielfach ausdrücklich betonen, um eine eigene Zuständigkeit der Polizei302. Das Recht des ersten Zugriffs gehört also zum Bereich des formellen Polizeibegriffs. Die Notzuständigkeit wirkt so lange, bis die Ordnungsbehörde, die sofort zu unterrichten ist, selbst eingreifen kann. cc) Hilfszuständigkeiten der Polizei: Die Polizei ist allgemeines Überwachungsorgan. Sie hat die Ordnungsbehörden von allen Vorgängen und Zuständen zu unterrichten, die deren Eingreifen erforderlich erscheinen lassen303. Außerdem fungiert sie als Vollzugsorgan304. In dieser Eigenschaft leistet sie den Ordnungsbehörden Hilfe beim Vollzug der von ihnen erlassenen Verfügungen. Die sachliche Verantwortung für den Inhalt der betreffenden Maß298 299 300 301
302 303 304
S. z. B. die Zuständigkeitskataloge in § 4 berl. ASOG; § 62 I 1 hess. SOG; §§11,12 nordrh.-westf. POG; § § 4 - 7 schlesw.-holst. POG. So ausdrücklich z. B. § 1 III 1 hess. SOG; § 166 I schlesw.-holst. LVwG. Z. B. § 28 nieders. SOG; in Nordrhein-Westfalen heißen sie „Dienstkräfte", § 13 nordrh.-westf. OBG. § 4 I 1 berl. ASOG; §§ 1 II 1, 62 I 2 hess. SOG; § 1 II 1 nieders. SOG; § 1 I Nr. 2 nordrh.-westf. PolG; § 14 I nordrh.-westf. POG; § 168 I Nr. 2 schlesw.-holst. LVwG. Z. B. § 1 II nieders. SOG, § 1 I 2 nordrh.-westf. PolG. § 4 I 2 berl. ASOG; § 2 S. 2 hess. SOG; § 1 II 2 nieders. SOG; § 1 I 3 nordrh.-westf. PolG; § 168 I Nr. 3 schlesw.-holst. LVwG. § 1 IV nieders. SOG; § 2 nordrh.-westf. OBG, in Verb, mit §§ 25ff. nordrh.-westf. PolG; § 168 I Nr. 4, III schlesw.-holst. LVwG; einschränkend dagegen §44 III 2 hess. SOG. 261
3. Abschn. II11 b
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nahmen liegt bei den Ordnungsbehörden. Gegen sie richten sich die Rechtsmittel. Die Polizei ist nur für die Art und Weise des Vollzugs verantwortlich. b) Organisation der Polizei: Der organisatorische Aufbau der Polizei bietet in den verschiedenen Bundesländern ein sehr buntes Bild. Es ergeben sich aber immerhin eine Reihe von Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten. aa) Arten der Polizeibehörden: In den meisten Ländern unterscheidet man die Vollzugspolizei von den eigentlichen Polizeibehörden305. Die Vollzugspolizei besteht aus den uniformierten Beamten, die für den laufenden Einsatz durch Einzelakte zur Verfügung stehen. Das organisatorische Verhältnis der Vollzugspolizei zu den Polizeibehörden wechselt. Teilweise bildet die Vollzugspolizei eine selbständige Behörde neben den Polizeibehörden306, teilweise ist sie diesen als unselbständige Untergliederung integriert307. Die Zuständigkeitsverteilung im Verhältnis zwischen Polizeibehörden und Vollzugspolizei ist in formaler Hinsicht ähnlich ausgestaltet wie zwischen den Ordnungsbehörden und der Polizei als Gesamtheit308. Die Vollzugspolizei hat enumerierte Einzelzuständigkeiten, daneben das Recht des ersten Zugriffs, die Überwachungstätigkeit und die Pflicht zur Vollzugshilfe. Die übrigen polizeilichen Aufgaben liegen bei den Polizeibehörden. Es spricht also — sofern im Einzelfall überhaupt eine polizeiliche, nicht ordnungsbehördliche Aufgabe gegeben ist — eine Vermutung für die Zuständigkeit der Polizeibehörden. 1. Gliederung der Vollzugspolizei : Die Vollzugspolizei ist nach fachlichen Gesichtspunkten in mehrere Zweige untergliedert, insbesondere in Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Wasserschutzpolizei und Bereitschaftspolizei309. Bei der Bereitschaftspolizei handelt es sich um eine kasernierte Polizeitruppe310. 2. Gliederung der Polizeibehörden: Sie sind eingeteilt in die allgemeinen (ordentlichen) Polizeibehörden311 und die Sonderpolizeibehörden312. Die Sonderpolizeibehörden sind jeweils für ein bestimmtes Fachgebiet zuständig. Ihre Organisation und ihre Aufgaben beruhen auf dem einschlägigen Spezial305
306 307 308 309 310 311 312
262
§45 bad.-württ. PolG; §§65, 70 brem. PolG; §§ 57, 64 hess. SOG; §§77, 85 rheinl.-pfälz. PVG; dagegen sind gem. § 165 II schlesw.-holst. LVwG „Polizei i. S. dieses Gesetzes (nur) die Polizeivollzugskräfte"; anders wiederum § 1 IV berl. ASOG: „Polizei i. S. dieses Gesetzes ist der Polizeipräsident in Berlin." So § 56 bad.-württ. PolG. So §§ 65, 66 I hess. SOG; §§ 65, 69 nieders. SOG. Vgl. § 46 II bad.-württ. PolG (dort: Einheitssystem); §§ 1 II, 44 I und III, 62 hess. SOG; anders dagegen in Schlesw.-Holst. (Anm. 305). Z. B. § 56 bad.-württ. PolG; § 70 brem. PolG; § 64 hess. SOG; § 85 I rheinl.-pfälz. PVG; §§ 3, 7 schlesw.-holst. POG. Vgl. Ule / Rasch, a. a. O., § 56 bad.-württ. PolG Rdnr. 4; Drews / Wache / Vogel / Martens, S. 93 f. §47 I bad.-württ. PolG; §65 I brem. PolG; §57 hess. SOG; § 2 nordrh.-westf. POG; § 77 I rheinl.-pfälz. PVG; § 165 I Nr. 1 - 3 schlesw.-holst. LVwG. §47 II bad.-württ. PolG; §66 I brem. PolG; §63 hess. SOG; § 12 nordrh.-westf. OBG; § 165 I Nr. 4 schlesw.-holst. LVwG.
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gesetz. Die allgemeinen Polizeibehörden können im Zuständigkeitsbereich der Sonderpolizeibehörden grundsätzlich nicht tätig werden. Die Zuständigkeit der Sonderpolizeibehörden geht also vor313. Als Sonderpolizeibehörden kommen z. B. in Betracht die Bergämter, die Gesundheitsämter, die Forstämter und die Gewerbeaufsichtsämter. Sie bilden allerdings in den Ländern, die die Polizei- von den Ordnungsbehörden trennen, zumeist nicht Sonderpolizei-, sondern Sonderordnungsbehörden. bb) Staatliche Polizei: Die Polizei gehört seit jeher materiell zum Kompetenzbereich des Staates. Verschiedene Gesetze erklären sie ausdrücklich und uneingeschränkt zur „Angelegenheit des Landes"314. Sie ist heute, nachdem die Übertragung von Polizeiaufgaben auf die Gemeinden zur Wahrnehmung im Auftrag des Landes, wie sie verschiedene Bundesländer früher kannten 315 , bis Mitte der siebziger Jahre allmählich abgebaut worden ist, auch in organisatorischer Hinsicht ganz zur unmittelbaren Landesverwaltung geworden. Die Organisation der Polizei folgt in den Ländern keinem einheitlichen Schema. Meistens ergibt sich ein dreistufiger Aufbau in Landes- (Bezirks-), Kreis- und örtliche Polizeibehörden316. An der Spitze steht der Innenminister als oberste Dienstaufsichtsbehörde. Einige Länder verzichten auf die örtlichen Polizeibehörden, so daß die Behörden auf der Ebene des Stadt- bzw. Landkreises die unterste polizeiliche Instanz bilden 317 . Man will damit im Interesse der Schlagkraft eine zu weitgehende organisatorische Zersplitterung vermeiden. Landes- bzw. Bezirkspolizeibehörden sind im allgemeinen die Regierungspräsidenten (Bezirksregierungen)318. Nur einige Länder qualifizieren auch die Ministerialinstanz als Polizeibehörde319. In den übrigen nimmt sie lediglich Aufsichtsfunktionen wahr. Sie kann also nicht unmittelbar Exekutivmaßnahmen treffen. Soweit auf der Kreisebene die Landräte (Oberkreisdirektoren) als Kreispolizeibehörden fungieren 320 , werden sie nicht als Selbstverwaltungsorgane, sondern in ihrer Zweitfunktion als untere staatliche Verwaltungsbehörde 321 tätig. — In den größeren Städten bestehen vielfach Polizeipräsidien, Polizeidirektionen oder Polizeiämter als besondere staatliche Behörden 322 . 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322
Dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 100ff., 119f. Vgl. auch Mößle, GewArch. 1984, 8 ff. (9). S. § 65 I nieders. SOG; § 1 nordrh.-westf. POG; § 1 schlesw.-holst. POG. Überblick über die Entwicklung der kommunalen Polizei bei Götz, a. a. O., S. 165 f. S. § 47 I bad.-württ. PolG; § 57 I hess. SOG; § 77 I rheinl.-pfälz. PVG; § 2 saarl. POG; §§ 163, 165 schlesw.-holst. LVwG. So § 2 nordrh.-westf. POG, § 65 II nieders. SOG. § 48 II bad.-württ. PolG; § 57 I Nr. 2 hess. SOG; § 67 nieders. SOG. § 48 I bad.-württ. PolG; § 57 I Nr. 1 hess. SOG. §48 III bad.-württ. PolG i. Verb, mit § 13 I bad.-württ. LVG; § 57 I Nr. 3 hess. SOG; § 3 I Nr. 2 nordrh.-westf. POG; § 78 II rheinl.-pfälz. PVG. Dazu s. in diesem Lehrbuch Schmidt-Aßmann, 2. Abschnitt, IX 4. Z. B. § 68 nieders. SOG; § 3 II 1 nordrh.-westf. POG. 263
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Örtliche Polizeibehörden sind, sofern keine besonderen staatlichen Polizeibehörden auf Ortsebene bestehen, die Bürgermeister (Oberbürgermeister) bzw. die Gemeindedirektoren, gegebenenfalls auch die Amtsvorsteher323. Sie werden insoweit kraft gesetzlicher Organleihe unmittelbar für den Staat tätig. Neben den Landes-, Kreis- und Ortspolizeibehörden stehen selbständig eine Reihe zentraler Institutionen der Polizeiverwaltung, insbesondere die Landeskriminalämter324. c) Organisation der Ordnungsbehörden: Die Ordnungsbehörden und die allgemeinen Verwaltungsbehörden, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrzunehmen haben, bilden einen integrierenden Bestandteil der „normalen" Verwaltungsorganisation. Es war ja gerade der Zweck der „Entpolizeilichung" der betreffenden Sachgebiete, die Sonderstellung der Polizeibehörden zu beseitigen (s. oben Abschnitt I. 5). Infolgedessen gelten hier die gewöhnlichen Grundsätze der Verwaltungsorganisation. Untere (örtliche) Ordnungsbehörden sind regelmäßig die Gemeinden als Selbstverwaltungskörperschaften325. Die Kompetenzen werden von ihren nach Gemeindeverfassungsrecht zuständigen Organen326 als Pflichtaufgaben nach Weisung327 wahrgenommen. Über den örtlichen Ordnungsbehörden stehen die Kreisordnungsbehörden (Landkreise) und die Landesordnungsbehörden (Regierungspräsidenten)328. Die Aufgaben der Gefahrenabwehr sind grundsätzlich von den örtlichen Ordnungsbehörden zu erfüllen329. Jedoch wird dieser Grundsatz für zahlreiche Fälle durch Sonderregelungen durchbrochen330. Auch im Bereich der Ordnungsverwaltung gibt es neben den allgemeinen Ordnungsbehörden verschiedene Sonderordnungsbehörden331, die jeweils für einzelne Sachgebiete ausschließlich zuständig sind. Soweit die Ordnungsaufgaben auf kommunaler Ebene wahrzunehmen sind, ergeben sich vielfach Verschränkungen zwischen Kommunalverfassungsrecht und Ordnungsrecht. Einzelheiten dazu können hier nicht dargestellt werden332. 323 324 325 326
327 328 329 330 331 332
264
§ 48 IV bad.-württ. PolG; § 57 I Nr. 4 hess. SOG; § 3 III saarl. POG. Z. B. §§ 2, 13 nordrh.-westf. POG; § 70 hess. SOG; § 56 Nr. 1 bad.-württ. PolG. §§ 1 III 2, 55 I hess. SOG; § 74 nieders. SOG; § 3 I nordrh.-westf. OBG. Zur Maßgeblichkeit des Kommunalverfassungsrechts für die innerkörperschaftliche Organzuständigkeit der Ordnungsbehörden s. OVG Münster DVB1. 1970, 550 ff. S. Schmidt-Aßmann. a. a. O., 2. Abschnitt, II 3. §§ 1 III, 55 hess. SOG; § 74 I nieders. SOG; § 3 I u. II nordrh.-westf. OBG; § 165 I Nr. 2 schlesw.-holst. LVwG. S. insb. § 5 I nordrh.-westf. OBG; § 78 I nieders. SOG; dagegen stellt § 1 III 2 hess. SOG Gemeinden und Kreise als Ordnungsbehörden 1. Instanz nebeneinander. Dazu § 78 II nieders. SOG; § 5 II nordrh.-westf. OBG. Z. B. § 12 nordrh.-westf. OBG; vgl. im übrigen die Nachweise in Anm. 312. S. als Beispiele § 74 II nieders. SOG; § 11 nordrh.-westf. OBG.
Polizei- und Ordnungsrecht
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d) Aufsicht über Polizei- und Ordnungsbehörden: Der Vielfalt der differenzierten Organisationsregelungen sowohl im Bereich der Polizei als auch in dem der Ordnungsbehörden entspricht eine ebenso aufgefächerte Ausgestaltung der Aufsichtsbefugnisse in den einzelnen Bundesländern 333 . Das Aufsichtsrecht liegt regelmäßig bei den höheren Polizei- und Ordnungsbehörden bis hin zu den Ministerien als letzter Instanz. Die Ministerien sind auch dort Aufsichtsorgane, wo sie nicht selbst die Stellung einer Polizeibzw. Ordnungsbehörde haben334. Die Aufsicht gliedert sich in die allgemeine Dienstaufsicht und die auf den konkreten Tätigkeitsbereich bezogene Fachaufsicht. Die Dienstaufsicht ressortiert zum Innenminister, die Fachaufsicht zum jeweils zuständigen Fachminister335. Die Aufsichtsbehörden besitzen ein umfassendes Informationsrecht336. Sie können Weisungen erteilen, denen die untergeordneten Behörden Folge zu leisten haben 337 . Die Weisungen können entweder als allgemeine Weisungen oder als besondere Weisungen für den Einzelfall ergehen. Sie können sich auf die Rechtmäßigkeit wie auf die bloße Zweckmäßigkeit (Ermessensausübung!) einer Maßnahme beziehen. In einigen Fällen, in denen Aufgaben der Gefahrenabwehr kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften obliegen, sind die Weisungsbefugnisse allerdings eingeschränkt. So kann nach § 9 II nordrh.-westf. OBG die Aufsichtsinstanz durch Einzelweisung nur dann in das Ermessen der örtlichen Ordnungsbehörde eingreifen, wenn deren Verhalten zur Gefahrenabwehr nicht geeignet erscheint oder wenn es überörtliche Interessen verletzt. Als äußerstes Mittel steht der Aufsichtsbehörde vielfach das Recht zum Selbsteintritt, also zur eigenen Durchführung der notwendigen Maßnahme anstelle der an sich zuständigen Behörde und auf deren Kosten, zu338. e) Zuständigkeitsordnung: Bei den Polizei- wie bei den Ordnungsbehörden besteht in den einzelnen Ländern jeweils eine Zuständigkeitsordnung, die den Tätigkeitsbereich der Behörden sowohl in räumlicher Hinsicht als auch instanziell im Verhältnis zwischen Behörden verschiedener Stufen abgrenzt. 333
334 335 336 337 338
S. §§ 49 - 50 bad.-württ. PolG; § 6 berl. ASOG; § 68 brem. PolG; §§ 58-59 hess. SOG; §§ 72, 76 nieders. SOG; §§ 5, 6 nordrh.-westf. POG und § 7 nordrh.-westf. OBG; § 83 rheinl.-pfälz. PVG; § § 1 4 - 1 8 schlesw.-holst. LVwG. Wie in Nordrhein-Westfalen: s. §§ 2, 5, 6 nordrh.-westf. POG; §§ 3, 7 III nordrh.-westf. OBG. Z. B. §§ 49, 50 bad.-württ. PolG; § 6 I berl. ASOG; § 59 I, II hess. SOG; § 76 nieders. SOG; §§ 5, 6 nordrh.-westf. POG. §51 III bad.-württ. PolG; § 7 II Nr. 1 berl. ASOG; § 68 I 3 brem. PolG; §60 II hess. SOG; § 8 nordrh.-westf. OBG. § 51 I bad.-württ. PolG; § 7 II Nr. 2 berl. ASOG; § 69 I brem. PolG; § 60 I hess. SOG; § 9 nordrh.-westf. OBG. § 51 II bad.-württ. PolG; § 7 II Nr. 3 berl. ASOG; § 69 II brem. PolG; § 61 I hess. SOG; § 10 nordrh.-westf. OBG. — Ohne besondere gesetzliche Zulassung ist der Selbsteintritt nicht zulässig; vgl. OVG Berlin NJW 1977, 1166f. (1167). 265
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Grundsätzlich ist diese Zuständigkeitsordnung starr. Jede Behörde ist auf den ihr zugewiesenen Bereich beschränkt. Der Gesetzgeber hat jedoch die Regelzuständigkeiten im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr durch ein System von außerordentlichen Zuständigkeiten ergänzt. Dadurch soll gewährleistet werden, d a ß eine an sich mögliche Gefahrenabwehr im Einzelfall nicht an Zuständigkeitsgrenzen zu scheitern braucht. aa) Örtliche Zuständigkeit: Die örtliche Zuständigkeit entscheidet darüber, welche von mehreren gleichartigen u n d gleichrangigen Behörden mit unterschiedlichem räumlichen Bezirk in einem konkreten Fall einzugreifen hat. 1. Regelzuständigkeit: Die örtliche Zuständigkeit der Polizei- u n d Ordnungsbehörden beschränkt sich fast stets auf ein bestimmtes Gebiet, den sog. Polizeibezirk. Zuständig ist die Behörde, in deren Bezirk die in Betracht kommende Aufgabe wahrzunehmen ist 339 , wo also die abzuwehrende G e f a h r oder die zu beseitigende Störung auftritt („wo die polizeilich zu schützenden.Interessen verletzt oder gefährdet werden"). Unerheblich sind demgegenüber der Wohnsitz oder Aufenthalt des Störers sowie der Ort, an dem Ursachen f ü r die Störung gesetzt worden sind. Gehen von einem Grundstück Gefahren aus, d a n n k a n n nur die Behörde einschreiten, in deren Bezirk das G r u n d stück belegen ist. Auf den Wohnsitz des Eigentümers (als Zustandsstörer) kommt es nicht an. Einige Länder haben den Beamten der staatlichen Vollzugspolizei eine umfassende örtliche Zuständigkeit für das gesamte Landesgebiet verliehen 340 . 2. Außerordentliche Zuständigkeiten: Außerordentliche Zuständigkeiten k ö n n e n entweder genereller Natur sein oder nur im konkreten Einzelfall eingreifen. Eine generelle Regelung kann f ü r Fälle getroffen werden, in denen eine bestimmte polizeiliche Aufgabe, die in mehreren Dienstbezirken auftritt, zweckmäßig nur einheitlich wahrgenommen werden kann (Überwachung eines gefährlichen Unternehmens, dessen Betriebsgelände die Bezirksgrenzen überschreitet). Hier kann die übergeordnete Instanz eine der beteiligten Polizei- bzw. Ordnungsbehörden für allein zuständig erklären 341 . Der Zuständigkeitsbereich dieser Behörde wird damit punktuell ausgedehnt; derjenige der anderen wird beschränkt. Außerordentliche Zuständigkeiten im Einzelfall kommen in Betracht bei der polizeilichen Nachbarhilfe u n d bei der Nacheile. Es geht hier d a r u m , die zwangsläufige Einbuße an polizeilicher Effektivität, die sich aus den örtlichen Zuständigkeitsgrenzen ergibt, nach Möglichkeit auszugleichen 342 . 339
340 341
342
266
§54 I bad.-württ. PolG; §78 I brem. PolG; § § 7 5 - 7 6 hess. SOG; §7 1 nordrh.-westf. POG; § 4 I nordrh.-westf. OBG; §81 I rheinl.-pfälz. PVG; § 167 I schlesw.-holst. LVwG. Z. B. § 63 I bad.-württ. PolG. §55 bad.-württ. PolG; §78 III brem. PolG; §75 II hess. SOG; §78 III nieders. SOG; §7 III nordrh.-westf. POG; §81 III rheinl.-pfälz. PVG; §167 II schlesw.-holst. LVwG. Dazu Schreiber, Polizei 1971, 200 f.
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Nachbarhilfe bedeutet Tätigkeit einer Polizeibehörde oder eines Vollzugsbeamten in einem benachbarten Bezirk bei Gefahr im Verzug. Sie setzt stets voraus, daß die an sich örtlich zuständige Behörde nicht rechtzeitig eingreifen kann. Zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf frischer Tat, zur unmittelbaren Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie zur Verfolgung und Wiederergreifung Entwichener dürfen alle Vollzugsbeamten im Wege der Nacheile auch außerhalb des Bezirks ihrer Behörde Amtshandlungen vornehmen 343 . Diese Befugnis erstreckt sich auf das gesamte Gebiet des jeweiligen Landes, nicht nur auf die benachbarten Polizeibezirke. Nachbarhilfe und Nacheile können oftmals auch über Landesgrenzen hinweg geboten erscheinen. Dafür ist aus kompetenzrechtlichen Gründen jeweils eine komplementäre Rechtsgrundlage erforderlich: Die Polizeigesetze der einzelnen Länder gestatten den eigenen Polizeibeamten, in anderen Ländern tätig zu werden, soweit der dortige Gesetzgeber das zuläßt. Gleichzeitig ermächtigen sie die Polizeibeamten der anderen Länder, unter bestimmten Voraussetzungen im eigenen Landesgebiet Amtshandlungen vorzunehmen. In diesen Fällen werden die Amtshandlungen eines „fremden" Polizeibeamten rechtlich so behandelt, als seien sie von Beamten des ermächtigenden Landes vorgenommen worden 344 . bb) Instanzielle Zuständigkeit: Im Regelfall sind die Aufgaben der Gefahrenabwehr von der untersten Instanz (örtliche bzw. bei deren Fehlen Kreisbehörde) wahrzunehmen. Dieser Grundsatz ist in einigen Gesetzen besonders ausgesprochen345. Er gilt aber auch sonst. Eine unmittelbare Zuständigkeit höherer Instanzen kommt nur dort in Betracht, wo sie gesetzlich besonders angeordnet ist346. Bei Gefahr im Verzug können die instanziellen Zuständigkeitsgrenzen weitgehend beiseite geschoben werden. Die übergeordneten Behörden werden für diesen Fall in den meisten Gesetzen ermächtigt, selbst die Befugnisse der untergeordneten Stellen auszuüben und umgekehrt (!)347. Es kann also im Extremfall eine örtliche Polizeibehörde in die Lage kommen, eine Aufgabe der Landespolizeibehörde wahrzunehmen. Die Zuständigkeitsverschiebung erfaßt allerdings in der Regel nur den Erlaß von Verfügungen im Einzelfall, nicht dagegen von Polizeiverordnungen.
343
344 345 346 347
§ 78 IV brem. PolG; § 76 II Nr. 3 - 4 hess. SOG; § 78 IV Nr. 4 - 5 nieders. SOG; § 7 II Nr. 1 nordrh.-westf. POG. § 9 nordrh.-westf. POG; §§ 65, 66 bad.-württ. PolG; § 81 brem. PolG. § 5 I nordrh.-westf. OBG; § 52 II bad.-württ. PolG; § 62 II 2 hess. SOG. Z. B. § 12 nordrh.-westf. POG für die Regierungspräsidenten. § 53 bad.-württ. PolG; § 80 I brem. PolG; § 61 I hess. SOG; § 80 I, II nieders. SOG; § 14 I nordrh.-westf. POG; § 6 I nordrh.-westf. OBG. 267
3. A b s c h n . 1112 a
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2. Rechtsformen des polizeilichen und ordnungsbehördlichen Handelns Das Polizeirecht ist aus rechtsstaatlichen Gründen bereits seit langem durch eine weitgehende Formenstrenge gekennzeichnet. Die einzelnen Tätigkeitsformen sind im Gesetz näher geregelt. Drei Hauptformen sind zu unterscheiden, die im folgenden behandelt werden. a) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verfiigungen: Bei den Verfügungen des Polizei- und Ordnungsrechts handelt es sich um hoheitliche Maßnahmen, die zur Regelung eines Einzelfalls erlassen werden, also um Verwaltungsakte im Rechtssinne. Die heute geltenden Gesetze definieren sie im Anschluß an § 40 I preuß. PVG als „Anordnungen der Polizei-(bzw. Ordnungs-)behörden, die an bestimmte Personen oder an einen bestimmten Personenkreis ergehen und ein Gebot oder Verbot oder die Versagung, Einschränkung oder Zurücknahme einer rechtlich vorgesehenen polizeilichen Erlaubnis oder Bescheinigung enthalten" 348 . Keine Verfügung ist nach dieser gesetzlichen Definition die Erteilung einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Erlaubnis. Seitdem jeder Verwaltungsakt anfechtbar ist (Art. 19 IV GG, §§ 40, 42 VwGO), hat der Begriff der Verfügung seine frühere zentrale Bedeutung (anfechtbar waren lediglich Verfügungen, nicht sonstige Maßnahmen der Polizei) verloren. Er besitzt heute im wesentlichen nur noch systematische Bedeutung und wird allein dadurch noch unmittelbar praktisch relevant, daß die Gesetze für Polizei- und Ordnungsverfügungen gewisse Formerfordernisse aufstellen, die für andere Verwaltungsakte der Polizei- und Ordnungsbehörden nicht gelten 349 . Die Verfügung regelt stets einen konkreten Einzelfall, also eine bestimmte Gefahrensituation. Dadurch unterscheidet sie sich von den polizei- und ordnungsbehördlichen Verordnungen, die generelle Anordnungen für eine unbestimmte Vielzahl von abstrakt im voraus bedachten Fällen treffen (unten Abschnitt III. 2 c). Auf die Zahl der Adressaten kommt es nicht an. Sind zahlreiche Personen an einer einzelnen Gefahrensituation beteiligt, so können sie sofern ihr Kreis nur objektiv bestimmbar ist — durch eine einheitliche Polizeiverfügung herangezogen werden. Eine an alle Groß- und Einzelhändler eines Bezirks gerichtete, durch den Rundfunk verbreitete Anordnung, wegen Seuchengefahr bis auf weiteres nicht mehr mit Endiviensalat zu handeln, ist als Polizeiverfügung (i. S. einer Allgemeinverfügung, § 35 S. 2 VwVfG), nicht als Verordnung zu qualifizieren 350 .
348 349
350
268
§ 6 I hess. SOG; § 20 I nordrh.-westf. OBG; § 45 I rheinl.-pfälz. PVG; § 40 I saarl. PVG; § 173 I schlesw.-holst. LVwG. Zur heutigen Bedeutung des Instituts der polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfügung s. OVG Münster DVB1. 1959, 478ff. (481); eingehend Drews/ Wache/ Vogel / Martens, S. 348 ff. BVerwGE 12, 87 (89); weiterer charakteristischer Fall: OVG Lüneburg OVGE6, 265 (267 - 268).
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3. Abschn. III 2a
aa) Selbständige und unselbständige Verfögungen: Je nach der gesetzlichen Grundlage, auf die eine polizeiliche oder ordnungsbehördliche Verfügung sich stützt, müssen wir zwei Gruppen unterscheiden: die selbständigen und die unselbständigen Verfügungen. 1. Selbständige Verfögungen haben ihre Rechtsgrundlage in der Generalklausel (oben Abschnitt II. 1). Sie sind nur dann zulässig und rechtmäßig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um eine tatsächlich vorhandene konkrete Gefahr abzuwehren bzw. eine konkrete Störung zu beseitigen351. Es müssen also konkrete Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, daß gerade in diesem Einzelfall der Eintritt der Gefahr zu gewärtigen ist352. Dagegen wäre es unzulässig, eine selbständige Verfügung lediglich auf die abstrakte Annahme zu stützen, daß gewisse Vorgänge und Zustände typischerweise Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung mit sich bringen. 2. Unselbständige Verfögungen ergehen dagegen nicht auf der Grundlage der Generalklausel, sondern auf Grund einer besonderen Rechtsvorschrift, sei es eines förmlichen Gesetzes oder sei es einer Rechtsverordnung (insbesondere einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Verordnung, unten Abschnitt III. 2 c). Sie sind rechtmäßig, wenn die zugrundeliegende Rechtsvorschrift ihrerseits gültig ist (vor allem nicht der Verfassung zuwiderläuft und — bei Verordnungen — im Einklang mit dem ermächtigenden Gesetz steht) und wenn ihr Tatbestand im Einzelfall erfüllt ist. Die Gesetze und Verordnungen, die die Polizei zum Einschreiten in bestimmten Fällen ermächtigen, bewerten ihrerseits die jeweils geregelten Situationen als abstrakt gefährlich. Dabei müssen sie notwendig generalisieren. Es kann deshalb vorkommen, daß in einem einzelnen Anwendungsfall aus besonderen Gründen in Wahrheit gar keine Gefahr vorliegt. Das Fehlen einer konkreten Gefahr ändert aber nichts an der Rechtmäßigkeit der unselbständigen Verfügung. Der Polizeipflichtige kann die Verfügung nicht mit dem Nachweis zu Fall bringen, daß bei ihm keine Gefahr gegeben sei353. Gelegentlich wurde behauptet, die Zulässigkeit unselbständiger Verfügungen trotz Fehlens einer konkreten Gefahr verletze das Rechtsstaatsprinzip 354 . Dabei wird aber das Wesen jeglicher Gesetzesanwendung verkannt. Wenn der Tatbestand des Gesetzes gegeben ist, kann es angewandt werden, ohne daß die gesetzgeberische Motivation noch einmal auf den Einzelfall projiziert zu werden braucht. Den rechtsstaatlichen Bedenken muß vielmehr bereits beim Erlaß der betreffenden Gesetze oder Verordnungen Rechnung getragen 351 352 353
354
§ 173 I schlesw.-holst. LVwG. OVG Lüneburg OVGE 10, 341 (343); zur Abgrenzung von abstrakter und konkreter Gefahr s. BVerwG NJW 1970, 1890 ff. (1892). PrOVG 99, 217; OVG Münster OVGE 13, 280 (282); OVG Berlin DVB1. 1966, 907; Schröter, DVB1. 1957, 415ff.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 411 ff.; vgl. a. OLG Karlsruhe NJW 1984, 502 ff. (503). v. Köhler, DÖV 1956, 744ff. (747-748); ders., DVB1. 1957, 73ff.; Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 81 d, cc zu Art. 2 I GG (Fn. 3). 269
3. Abschn. III 2a
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werden. Sie dürfen die Handlungsfreiheit der Bürger nicht stärker beschränken, als das durch legitime öffentliche Interessen geboten ist355, und müssen gegebenenfalls für besondere Fallgestaltungen Ausnahmeregelungen vorsehen (Prinzip der Verhältnismäßigkeit). Soweit die Gesetze und Verordnungen aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen und gültig sind, ist ihre Anwendung im Einzelfall zulässig. bb) Form der Verfiigungen: Die meisten Polizei- und Ordnungsbehördengesetze sehen vor, daß Verfügungen mündlich, schriftlich oder durch Zeichen erlassen werden können356. Es besteht also weitgehende Formfreiheit351. Auf jeden Fall aber muß die Verfügung dem Adressaten zur Kenntnis gelangen. Solange sie ihm nicht zugegangen ist (er z. B. das Zeichen nicht gesehen hat), erlangt sie keine rechtliche Wirksamkeit. Der Begriff der Zeichen ist weit zu fassen. Er umfaßt sowohl die typisierten Zeichen eines Verkehrspolizisten als auch sonstige konkludente Handlungen jeder Art. Schriftliche Verfügungen sind bei ihrem Erlaß schriftlich zu begründen358. In einigen Gesetzen ist der schriftliche Erlaß als regelmäßige Form vorgeschrieben. So dürfen in Nordrh.-Westf. Ordnungsverfügungen außer bei Gefahr im Verzug nur schriftlich erlassen werden359. Auch wo derartige Vorschriften nicht bestehen, wird man aus rechtsstaatlichen Gründen verlangen müssen, daß die Schriftform gewählt wird, soweit das möglich ist, ohne die gebotene Effizienz der Gefahrenabwehr zu beeinträchtigen. Nur sie gewährleistet die notwendige Rechtsklarheit und gibt eine sichere Grundlage für ein etwaiges Rechtsmittelverfahren ab. Lediglich bei Gefahr im Verzug sowie in Fällen, in denen es sich um vorübergehende, wenig einschneidende Maßnahmen handelt (Verkehrsregelung), genügt die formlose Bekanntgabe der Verfügung. Teilweise ist vorgeschrieben, daß schriftlichen Verfügungen eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt werden muß360. Ein Verstoß hiergegen hat aber nur die Rechtsfolge des § 58 VwGO; er macht die Verfügung nicht rechtswidrig. cc) Erfordernisse der Rechtmäßigkeit der Verfügungen: Die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Verfügung setzt im Regelfall voraus361: 355 356
357 358 359 360 361
270
S. BVerfGE 20, 150(155). §7 S.2 hess. SOG; §49 I rheinl.-pfälz. PVG; § 44 I 1 saarl. PVG; § 108 II 1 schlesw.-holst. LVwG. — Bei Fehlen von polizeigesetzlichen Sonderregelungen ist auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des jeweiligen Landes zurückzugreifen (vgl. § 37 II VwVfG). Vgl. auch OVG Lüneburg DVB1. 1977, 832ff. (833): Bekanntgabe einer Polizeiverfügung über Lautsprecher. §7 S. 3 hess. SOG; §49 II rheinl.-pfälz. PVG; § 44 II saarl. PVG; § 109 I schlesw.-holst. LVwG; § 39 I bad.-württ. VwVfG; § 39 I 1 brem. VwVfG. § 20 I nordrh.-westf. OBG. Z. B. § 20 II 2 nordrh.-westf. OBG. Vgl. auch Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 8. Aufl., 1986, S. 47 ff.
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. III 2b
1. Zuständigkeit der erlassenden Behörde (oben Abschnitt III. 1); 2. Beachtung der jeweils vorgeschriebenen Form- und Verfahrensvorschriften (s. oben unter III. 2a, bb); 3. Einhaltung der Grenzen des ermächtigenden Gesetzes: entweder einer Spezialvorschrift oder der Generalklausel (zur Anwendung der letzteren s. oben Abschnitt II. le, cc). — Dazu gehört die ordnungsmäßige Ausübung des Ermessens. Polizei- und Ordnungsverfügungen dürfen nur zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlassen werden. Sie dürfen auch nicht lediglich dazu dienen, der Polizei die Aufsicht zu erleichtern362. Eine außerpolizeiliche Motivation (eine formell berechtigte Polizeiverfügung gegen einen Grundstückseigentümer ergeht lediglich, um ihn zur Veräußerung seines Grundstücks zu veranlassen) macht die Verfügung rechtswidrig; 4. Inanspruchnahme des Störers (oben Abschnitt II. 2) oder Vorliegen eines polizeilichen Notstandes (oben Abschnitt II. 3); 5. Anordnung einer Maßnahme, die zur Beseitigung der Gefahr erforderlich ist, die dem in Anspruch genommenen Bürger nichts rechtlich Verbotenes oder tatsächlich Unmögliches zumutet und die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (s. oben Abschnitt II. le, bb); 6. Bestimmtheit der Anordnung 363 . Der Betroffene muß eindeutig erkennen können, was von ihm verlangt wird. Die Bestimmtheit ist auch deshalb notwendig, weil andernfalls die Verfügung nicht ordnungsgemäß im Zwangswege vollzogen werden könnte. b) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Erlaubnisse: Für zahlreiche Verhaltensweisen bedarf der Bürger einer Erlaubnis der Polizei- oder Ordnungsbehörde. Der Erlaubniszwang kann nur generell durch ein Gesetz im materiellen Sinne (einschließlich einer Polizeiverordnung364, unten Abschnitt III. 2 c), nicht dagegen im Einzelfall durch eine Polizei- oder Ordnungsverfügung eingeführt werden. Insofern sprach § 40 I preuß. PVG zutreffend von einer „rechtlich vorgesehenen" Erlaubnis. Die wichtigsten Anwendungsfälle des Instituts der polizeilichen und ordnungsbehördlichen Erlaubnis finden sich im Tätigkeitsbereich der Sonderpolizei- und Sonderordnungsbehörden, z. B. im Bau- und Gewerberecht. aa) Arten der Erlaubnis365: 1. Freie und gebundene Erlaubnis: Eine freie Erlaubnis liegt vor, wenn die Erteilung vom Gesetzgeber in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen 362
363 364 365
§ 39 I hess. SOG ausdrücklich nur für PolVO'en; § 20 II 1 nordrh.-westf. OBG; §§ 46 I i. Verb, mit 9 rheinl.-pfälz. PVG; §§ 173 II i. Verb. m. 58 IV schlesw.-holst. LVwG. § 7 S. 1 hess. SOG; § 45 I rheinl.-pfälz. PVG; § 108 I schlesw.-holst. LVwG. Zum Problem der Einführung einer Erlaubnispflicht durch Polizeiverordnung s. Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 461 ff. Zum folgenden: H. Krüger, DÖV 1958, 673ff.; Friauf, JuS 1962, 422ff.; Mussgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964; Wolff /Bachof, VwR I, §48 II; Schwabe, JuS 1973, 133ff.; Gusy, JA 1981, 80ff. 271
3. Abschn. 1112 b
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Behörde gestellt worden ist366. Sie darf versagt werden, sofern das durch legitime öffentliche Interessen, insbesondere durch Belange der Gefahrenabwehr, gerechtfertigt wird. Die gebundene Erlaubnis muß dem Antragsteller dagegen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen stets erteilt werden367. Er besitzt darauf einen Rechtsanspruch. 2. Erlaubnis, Ausnahmebewilligung, Befreiung: Eine Erlaubnispflicht wird zumeist nicht eingeführt, weil die betreffende Verhaltensweise im Regelfall unterdrückt werden soll. Vielmehr will der Gesetzgeber lediglich der Polizeioder Ordnungsbehörde die Möglichkeit verschaffen, in einem Erlaubnisverfahren zu prüfen, ob sich in concreto Gefahren ergeben können. Das zunächst ausgesprochene Verbot hat lediglich vorbeugenden (präventiven) Charakter. Die Erlaubnismöglichkeit ist ihm von vornherein zugeordnet. Man spricht deshalb von einem „ Verbot mit Erlaubnisvorbehalt". Ergibt die Prüfung im Einzelfall, daß das beabsichtigte Vorhaben ungefährlich ist, dann erteilt die Behörde die Erlaubnis und stellt damit die ursprüngliche Freiheit des Bürgers wieder her. Typisch für eine derartige Polizeierlaubnis ist die in den landesrechtlichen Bauordnungen vorgesehene Bauerlaubnis368: Es besteht im Rahmen des materiellen Baurechts Baufreiheit. Für jedes Bauvorhaben ist aber eine Erlaubnis einzuholen, damit das Bauamt (eine Sonderordnungsbehörde) vor Beginn der Ausführung prüfen kann, ob das Vorhaben den Bestimmungen des materiellen Baurechts entspricht. Ist das der Fall, dann muß die Bauerlaubnis erteilt werden (gebundene Erlaubnis)369. Anders gestaltet sich die Situation dagegen bei der Ausnahmebewilligung und der Befreiung. Hier liegen echte (repressive) Verbote vor, mit denen die in Betracht kommende Verhaltensweise als rechtswidrig qualifiziert und grundsätzlich unterdrückt werden soll. Die Mannigfaltigkeit der Lebensverhältnisse führt aber bisweilen dazu, daß die unbedingte Durchsetzung eines Verbots dem öffentlichen Interesse im Einzelfall mehr schaden als nützen oder einzelne Bürger unverhältnismäßig belasten würde. Um solchen atypischen Situationen Rechnung zu tragen, ermächtigt der Gesetzgeber die Exekutive, Ausnahmen von dem gesetzlichen Verbot zu bewilligen und Befreiungen zu erteilen. Ausnahmebewilligungen sind in den in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften im einzelnen tatbestandsmäßig vorgesehen. Sie können erteilt 366 367 368
369
272
S. z. B. § 23 I 2 nordrh.-westf. OBG. S. z. B. § 23 I 1 nordrh.-westf. OBG. § 61 I MBauO; § 51 I bad.-württ. BauO; Art. 65 S. 1 bay. BauO; § 55 I berl. BauO; § 87 I brem. BauO; § 60 I hamb. BauO; § 87 I hess. BauO; § 68 nieders. BauO; § 60 I nordrh.-westf. BauO; § 60 I rheinl-pfälz. BauO; § 87 I saarl. BauO; §61 I schlesw.-holst. BauO. Dazu s. in diesem Band: Friauf, Baurecht, Abschn. III. 3 b. § 69 I 1 MBauO; § 59 I 1 bad.-württ. BauO; Art. 74 I bay. BauO; § 62 I 1 berl. BauO; § 95 I 1 brem. BauO; § 69 I 1 hamb. BauO; § 96 I 1 hess. BauO; § 75 I nieders. BauO; § 70 I 1 nordrh.-westf. BauO; § 68 I 1 rheinl.-pfälz. BauO; § 96 I 1 saarl. BauO; § 69 I 1 schlesw.-holst. BauO.
Polizei- und Ordnungsrecht
3. Abschn. 1112 b
werden, wenn der jeweilige Ausnahmetatbestand erfüllt ist. Auch hier bietet das Baurecht die bedeutsamsten Anwendungsfälle 370 . Die Befreiung schließlich beruht auf einer Generalermächtigung in dem jeweiligen Gesetz. Sie ist regelmäßig an stark erschwerte Voraussetzungen geknüpft. So darf eine baurechtliche Befreiung (sog. Dispens) nur erteilt werden, wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit sie erfordern oder wenn die strikte Durchführung der betreffenden Vorschrift im Einzelfall zu einer vom Gesetz „offenbar nicht beabsichtigten Härte" führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist371. Zusätzlich erschwert wird sie durch Mitwirkungsrechte möglicherweise betroffener Dritter und durch Zustimmungsvorbehalte zugunsten übergeordneter Behörden. bb) Nebenbestimmungen zu Erlaubnissen: Nebenbestimmungen — Auflagen, Bedingungen, Befristungen — dürfen einer Erlaubnis stets dann beigefügt werden, wenn die zugrundeliegende Rechtsnorm sie besonders zuläßt. Im übrigen muß unterschieden werden: Hat der Antragsteller einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung (gebundene Erlaubnis), dann sind sie nur insoweit ausnahmsweise zulässig, als sie lediglich dazu dienen, die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Erlaubnis sicherzustellen (Ausräumung von Versagungsgründen)372. Im übrigen würde ihre Beifügung den Anspruch auf uneingeschränkte Erteilung beeinträchtigen. — Steht die Erteilung der Erlaubnis dagegen im Ermessen der Behörde, so kann sie Nebenbestimmungen insoweit beifügen, als das im Rahmen pflichtmäßiger Ermessensausübung möglich ist. Die Auflagen usw. müssen in jedem Fall Belangen dienen, zu deren Wahrung die zuständige Behörde befugt ist (polizeiliche Motivation)373. cc) Rücknahme und nachträgliche Einschränkung: Mit der Erteilung einer polizeilichen Erlaubnis erlangt der Begünstigte zwar kein subjektiv-öffentliches Recht, aber doch eine relativ geschützte Rechtsposition. Aufhebung und nachträgliche Einschränkung sind deshalb nur ausnahmsweise möglich. Die entsprechenden Voraussetzungen waren früher im Polizeirecht selbst geregelt374. Heute gelten statt dessen in den meisten Ländern die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten 375 . 370
371
372 373 374 375
§ 31 I BauGB; § 67 I, II MBauO ; § 57 II, III bad.-württ. BauO; Art. 72 I I - I V bay. BauO; § 61 I berl. BauO; § 93 I brem. BauO; § 66 hamb. BauO; § 94 I hess. BauO; § 85 nieders. BauO; § 68 I, II nordrh.-westf. BauO; § 67 I, II rheinl.-pfälz. BauO; § 67 I, II schlesw.-holst. BauO. § 31 II BauGB; § 67 III MBauO; § 57 IV bad.-württ. BauO; Art. 72 V bay. BauO; § 61 II berl. BauO; § 93 II brem. BauO; § 67 hamb. BauO; § 86 nieders. BauO; § 68 III nordrh.-westf. BauO; § 67 III rheinl.-pfälz. BauO; § 67 III schlesw.-holst. BauO. Vgl. § 36 I BVwVfG und die entsprechenden Vorschriften der Landes-VwVfGe. Vgl. entsprechend zur Versagung der Erlaubnis § 23 S. 2 nordrh.-westf. OBG. Vgl. noch heute § 10 II, III hess. SOG; § 47 rheinl.-pfälz. PVG. Vgl. §§ 48, 49 BVwVfG. 273
3. Abschn. 1112 c
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Ist einer dieser Tatbestände erfüllt, dann steht die Aufhebung im Ermessen der zuständigen Behörde. Sie kann nur innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem die Behörde Kenntnis von dem Aufhebungsgrund erlangt hat376. c) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verordnungen: Bei den polizeilichen und ordnungsbehördlichen Verordnungen handelt es sich um Rechtsnormen, d. h. für eine unbestimmte Zahl von Fällen (abstrakt) an eine unbestimmte Zahl von Personen (generell) gerichtete Gebote oder Verbote, die von einer Polizei- oder Ordnungsbehörde zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlassen werden377. Durch die Abstraktheit der Regelung unterscheiden sie sich von den Verfügungen, die stets auf einen konkreten Fall bezogen sind378. Wie jede Rechtsverordnung bedürfen auch die polizeiliche und die ordnungsbehördliche Verordnung einer Rechtsgrundlage in Gestalt eines Gesetzes im formellen Sinn. Das Recht zu ihrem Erlaß kann sich entweder aus einer Spezialermächtigung in einem Sondergesetz oder aber aus der in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen enthaltenen generellen Ermächtigung ergeben. Spezialermächtigungen gehen nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Generalklausel (oben Abschnitt II. 1 b) stets vor379. Sie finden sich in zahllosen bundes- und landesrechtlichen Gesetzen. Die jeweilige Verordnung ist gültig, wenn sie sich im Rahmen des ermächtigenden Gesetzes hält380 und dieses mit der Verfassung in Einklang steht. Fehlt eine Spezialermächtigung, so können Verordnungen grundsätzlich auf die Generalklausel gestützt werden. Nach zutreffender Auffassung 381 genügt die Generalklausel dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot für Verordnungsermächtigungen, das entsprechend Art. 80 I GG auch für landesrechtliche Ermächtigungen gilt — entweder auf Grund ausdrücklicher Bestimmung in den Landesverfassungen 382 oder als allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsatz vermittels Art. 28 I S. 1 GG 383 . Die in ihr enthaltenen Begriffe haben durch jahrzehntelange Rechtsprechung hinreichend scharfe Konturen erhalten.
376 377 378 379 380 381
382 383
274
§§ 48 IV, 49 II 2 BVwVfG. S. § 10 I bad.-württ. PolG; § 33 berl. ASOG; § 48 brem. PolG; § 34 hess. SOG; § 33 nieders. SOG; § 25 nordrh.-westf. OBG; § 26 rheinl.-pfälz. PVG. Oben Abschnitt III. 2 a. Beispiel: AG Heidelberg NJW 1978, 1638f. (1639), betr. Verbot des wilden Plakatierens durch eine PolizeiVO. Vgl. hierzu und zum rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (508). Wacke, DÖV 1955, 456ff. (bes. 457ff.); Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 492ff.; OVG Lüneburg OVGE 11, 292 (294); 11, 360 (362); VGH Stuttgart ESVGH 7, 43 (LS 2, 46); VGH Mannheim NVwZ 1988, 166. Z. B. Art. 70 S. 2 nordrh.-westf. Verf. Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, GG, Rdnr. 44 zu Art. 80 GG.
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3. A b s c h n . 1113 a
Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verordnungen richten sich gegen abstrakte Gefahren, d. h. sie regeln Situationen, die nach der Lebenserfahrung typischerweise gefährlich sind, also im Einzelfall regelmäßig zu konkreten Gefahren zu führen pflegen 384 . Da die Generalklausel ausschließlich zur Gefahrenabwehr ermächtigt, sind sie mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage nichtig, wenn die erlassende Stelle den Sachverhalt zu Unrecht als abstrakt gefährlich angesehen hat 385 . Soweit aber eine abstrakte Gefahr mit Recht angenommen worden ist, können sie in jedem von ihnen geregelten Fall angewandt werden, auch wenn feststehen sollte, daß die Gefahr in einer konkreten Einzelsituation einmal nicht realisiert wird 386,387 . 3. Polizeiliche und ordnungsbehördliche Zwangsmittel a) Überblick zu den polizeilichen und ordnungsbehördlichen Zwangsmitteln: Zwangsmittel 388 dienen dazu, im Einzelfall ergangene Gebote oder Verbote durchzusetzen. Gegenstand des Zwangs sind also Polizeiverfiigungen bzw. ordnungsbehördliche Verfügungen. Dagegen können Verordnungen nicht unmittelbar im Zwangswege durchgesetzt werden. Ein in der Vergangenheit liegender Verstoß gegen sie kann, soweit gesetzlich vorgesehen, durch Verhängung einer Geldbuße geahndet werden. Um dagegen eine bestimmte Person zu zwingen, die Verordnung in Zukunft zu befolgen, muß zunächst eine unselbständige Verfügung (s. oben Abschnitt III. 2a, aa) gegen sie ergehen. Erst auf deren Grundlage können dann die gesetzlich vorgesehenen Zwangsmittel angewandt werden. Auch die Zwangsanwendung unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes. Das bloße Vorhandensein einer wirksamen polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Verfügung rechtfertigt für sich noch nicht den Einsatz bestimmter Zwangsmittel. Es muß vielmehr stets eine besondere gesetzliche Grundlage für die Zwangsanwendung gegeben sein, die selbständig neben der gesetzlichen Grundlage für den Erlaß der zu vollziehenden Verfügung steht. Die Polizei- und Ordnungsbehördengesetze verschiedener Bundesländer regeln die Zwangsanwendung nicht eigenständig, sondern verweisen ausdrücklich 389 oder konkludent auf die allgemeinen Vorschriften über den Verwaltungszwang, insbesondere auf die dem Landesrecht angehörenden Verwaltungsvollstreckungsgesetze. Demgegenüber enthalten die Polizeigesetze von Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz besondere Vorschriften über die zwangsweise Vollziehung von polizeili-
384 385 386 387 388 389
Dazu OVG Münster OVGE 13, 280 (282); BVerwG NJW 1970, 1890ff. (1892); OLG Karlsruhe NJW 1978, 1637f.; OLG Karlsruhe NJW 1984, 502ff. (503). S. VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (509 f.). S. oben Abschnitt III. 2 a, aa (2). Vgl. im übrigen die 6. Aufl. dieses Beitrags, S. 264 f. Vgl. die Problemübersicht bei Rasch, DVB1. 1980, 1017ff. S. § 32 I bad.-württ. PolG; § 40 I brem. PolG. 275
3. Abschn. 1113 b
Karl Heinrich Friauf 390
chen bzw. ordnungsbehördlichen Verfügungen . Auch in diesen Ländern bestehen aber keine grundsätzlichen Unterschiede gegenüber dem Vollzug sonstiger Verwaltungsakte. Es kann deshalb hier auf eine Darstellung verzichtet werden391. In allen Ländern ist der polizeiliche Schußwaffengebrauch als Mittel des unmittelbaren Zwangs besonders geregelt392. Er bildet immer das letzte Mittel, von dem nur mit äußerster Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden darf 593 . Lebhaft umstritten ist das Problem des sog. finalen Rettungsschusses (gezielten Todesschusses)394. Dieser ist nur in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz im Anschluß an § 41 II 2 ME PolG gesetzlich geregelt395. Nordrhein-Westfalen und Bremen haben die Frage bei der Neufassung ihrer Polizeigesetze ausgeklammert 396 , so daß es dort ebenso wie in den Bundesländern, die ihr Polizeirecht noch nicht auf der Grundlage des Musterentwurfs novelliert haben, an einer besonderen gesetzlichen Regelung fehlt. b) Unmittelbare Ausßihrung und sofortiger Vollzug: Grundsätzlich werden die Verfügungen in einem mehrstufigen Verfahren durchgesetzt: Erlaß der Grundverfügung — Androhung eines Zwangsmittels — Festsetzung des angedrohten Zwangsmittels — tatsächliche Anwendung des festgesetzten Zwangsmittels. Für Eilfälle, in denen „gegenwärtige", akute Gefahren abzuwehren sind, reicht dieses normale Verfahren aber vielfach nicht aus. Für derartige Situationen normieren fast alle Polizeigesetze das Institut der unmittelbaren Ausführung 397 oder des sofortigen Vollzugs398. Einige sehen ne-
390 391 392
393 394
395 396 397 398
Art. 32ff. bay. PAG; §§ 24ff. hess. SOG; §§ 42ff. nieders. SOG; §§28ff. nordrh.-westf. PolG; §§ 50ff. rheinl.-pfälz. PVG. Ausführlicher noch die 6. Aufl. dieses Beitrags, S. 266 ff. §§ 39 f. bad.-württ. PolG; Art. 45ff. bay. PAG; §§ 8ff. berl. UZwG; §§ 46f. brem. PolG; §§ 24ff. hamb. SOG; §§ 5f. hess. UZwG; §§ 54ff. nieders. SOG; §§41 ff. nordrh.-westf. PolG; §§63ff. rheinl.-pfälz. PVG; §§9ff. saarl. UZwG; §§231 ff. schlesw.-holst. LVwG. Vgl. im einzelnen Drews /Wacke/Vogel /Martens, S. 546 ff.; R.Krüger, Polizeilicher Schußwaffengebrauch, 3. Aufl. 1977. Von § 41 II 2 ME PolG definiert als „Schuß, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird"; zu diesem Problem s. Berndt, Polizei 1975, 197ff.; Funk-Werkentin, KJ 1976, 121 ff.; Gintzel, Polizei 1978, 33ff.; Hummel-Liljegren, Polizei 1977, 373ff.; R. Lange, JZ 1976, 546ff.; W. Lange, MDR 1977, 10ff.; Lerche, in: Fs. f. v. d. Heydte, 1977, 1033ff.; Rupprecht, in: Fs. f. W.Geiger, 1974, 771 ff.; Riegel, ZRP 1978, 73ff.; Thiele, DVB1. 1979, 705 (707); Amelung, JuS 1986, 329 (332). Art. 45 II 2 bay. PAG; § 54 II 2 nieders. SOG; § 63 II 2 rheinl.-pfälz. PVG. vgl. §41 II nordrh.-westf. PolG; §46 II brem. PolG; dazu Riegel, NJW 1980, 143 5 ff. § 8 bad.-württ. PolG; § 6 rheinl.-pfälz. PVG; § 44 I 2 saarl. PVG. §40 I brem. PolG iVm §11 brem. VwVG; §42 II nieders. SOG; §28 II nordrh.-westf. PolG.
276
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3. Abschn. 1113 b
beneinander unmittelbare Ausführung und sofortigen Vollzug vor399. Der Musterentwurf hielt eine Regelung der unmittelbaren Ausführung neben der des sofortigen Vollzugs (§2811 ME PolG) für entbehrlich, sah aber gleichwohl eine derartige Normierung in § 5 a für den Fall vor, daß der Landesgesetzgeber Verwaltungszwang nur bei einem Handeln gegen den Willen des Betroffenen als gegeben ansieht400. In den Polizeigesetzen kommt klar zum Ausdruck, daß unmittelbare Ausführung bzw. sofortiger Vollzug nur als ultima ratio zur Abwehr einer akuten Gefahr zulässig sind, wenn der Erlaß eines Verwaltungsakts gegen den Störer oder — im polizeilichen Notstand — gegenüber einem Nichtstörer nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist oder keinen Erfolg verspricht401. Bei ihnen fallen (Grund-)Verfügung, Androhung des Zwangsmittels und Ausführung des Zwangs in einem Akt zusammen. Eine der Gefahrenabwehr dienende Realhandlung der Polizeibehörde i. S. einer unmittelbaren Anordnung bzw. eines sofortigen Vollzugs ist als Verwaltungsakt anzusehen, wenn sie erkennbar auf einen bestimmten Adressaten bezogen ist. Dann können gegen sie die Rechtsmittel eingelegt werden, die gegen eine entsprechende Verfügung gegeben wären; hat sich die getroffene Maßnahme erledigt, dann kann ihre Rechtmäßigkeit unter den Voraussetzungen einer Fortsetzungsfeststellungsklage geprüft werden. War das Handeln der Behörde dagegen adressatneutral, so kommt erst die nachfolgende Inanspruchnahme eines konkreten Störers wegen der entstandenen Kosten als Polizeiverfügung in Betracht402. Mittel der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs sind die Ersatzvornahme und der unmittelbare Zwang, da diese Zwangsmittel — anders als das Zwangsgeld — eine Gefahrenabwehr ohne Einwirkung auf den Willen eines Polizeipflichtigen ermöglichen. In diesen Fällen ist jeweils eine dreistufige Prüfung vorzunehmen: a) Zulässigkeit des durchgesetzten 399
400
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402
Art 9, 32 II bay. PAG; §§ 12 berl. ASOG, 6 II berl. VwVG; § 7 hamb. PolG, § 27 hamb. VwVG; §§ 174, 196 schlesw.-holst. LVwG. Das hess. SOG regelt zwar in §§ 24 ff. die Durchsetzung polizeilicher Verfügungen mit Zwangsmitteln, enthält aber keine ausdrückliche Normierung über einen sofortigen Vollzug oder eine unmittelbare Ausführung polizeilicher Maßnahmen. Nach VGH Kassel NVwZ 1987, 904ff. u. 910f. existieren diese Rechtsinstitute deshalb nicht im hessischen Polizeirecht; zustimmend: Schild, NVwZ 1987, 865ff.; a. A. Drews/Wacke/Vogel/ Martens, S. 439 Fn. 203. Vgl. die Begr. zu § 5a I ME PolG bei Heise, G. / Riegel, R„ Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, 2. Aufl. 1978; im Zweifel wird ebenso in den Ländern, die sofortigen Vollzug und unmittelbare Ausführung nebeneinander regeln, sofortiger Vollzug nur bei Handeln gegen den Willen des Betroffenen anzunehmen sein; vgl. ferner zu dieser Abgrenzung Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 441 f. S. die in Fn. 1 - 3 genannten Normen; § 44 I 2 saarl. PVG bestimmt allerdings — ebenso wie das preuß. PVG — lediglich die Rechtswirkungen der unmittelbaren Ausführung; diese ist auch im Saarland nur unter den hier genannten Voraussetzungen zulässig, vgl. dazu noch die 7. Aufl. dieses Beitrags. Dazu überzeugend OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (925). 277
3. A b s c h n . IV 1 a
Karl Heinrich Friauf 403
fiktiven Grundverwaltungakts , b) Vorliegen der besonderen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs (d. h. Vorliegen einer akuten Gefahr) sowie c) korrekte Anwendung des Zwangsmittels nach den Normen über die Ersatzvornahme bzw. den unmittelbaren Zwang404.
IV. Entschädigungs- und Ersatzansprüche im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Vorschriften der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze über die polizeiliche Verantwortlichkeit bestimmter Personen nicht lediglich Eingriffsmöglichkeiten schaffen sollen, sondern daß sie zugleich dazu dienen, die finanziellen Lasten der Gefahrenabwehr zwischen dem einzelnen und der Gesamtheit der Steuerzahler zu verteilen. Die ungeschriebene Grundregel lautet dabei, daß der jeweilige Störer diese Lasten selbst zu tragen hat, während sie im Verhältnis zu einem Nichtstörer von der Allgemeinheit übernommen werden müssen405. Zur Verwirklichung dieser Regel dienen eine Reihe von Ansprüchen406.
1. Entschädigungsansprüche eines Bürgers gegen die Verwaltung a) Anspruch des im polizeilichen Notstand in Anspruch genommenen Nichtstörers: Sämtliche Gesetze billigen dem Nichtstörer, der im polizeilichen Notstand rechtmäßig zur Gefahrenabwehr herangezogen worden ist (oben Abschnitt II. 3), einen Anspruch auf Entschädigung zu407. Die Entschädigung ist 403
404
405 406 407
278
Bei einer Normierung des sofortigen Vollzugs nach dem Modell des § 28 II ME PolG ist dies unter das Tatbestandsmerkmal zu subsumieren, daß „die Polizei hierbei innerhalb ihrer Befugnis handelt" (so § 28 II nordrh.-westf. PolG, § 42 II nieders. PolG); bei der unmittelbaren Ausführung ist zu fragen, ob die Polizei eine Anordnung, zu deren Erlaß durch Verwaltungsakt sie berechtigt wäre, ohne eine derartige Grundverfügung unmittelbar ausführt. Zur Frage, ob es sich beim Abschleppen falsch geparkter PKW um die unmittelbare Ausführung bzw. den sofortigen Vollzug einer Ersatzvornahme handelt, vgl. oben Abschnitt II 4 g). S. oben Abschnitt II. 2. Vgl. den Überblick bei Papier, DVB1. 1975, 567ff.; Drews/ Wacke/ Vogel/ Martens, S. 624ff.; Schenke, in: Steiner (Hrsg.), a. a. O., S. 282ff. §§ 41 ff. bad.-württ. PolG; Art 49ff. bay. PAG; §§ 37ff. berl. ASOG; §§ 56ff. brem. PolG; § 10 III, V hamb. SOG; §§ 30ff. hess. SOG; §§ 58ff. nieders. SOG; §§ 39ff. nordrh.-westf. OBG; §§68ff. rheinl.-pfälz. PVG; §§ 70ff. saarl. PVG; §§ 188ff. schlesw.-holst. LVwG; dazu s. Papier, DVB1. 1975, 567 ff. (569).
3. Abschn. IV 1 c
Polizei- und Ordnungsrecht 408
409
in Geld zu leisten . Der Anspruch richtet sich in einigen Ländern gegen den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht, der die Maßnahme getroffen bzw. sie angeordnet oder um ihre Vornahme ersucht hat. In anderen Ländern dagegen richtet er sich gegen den Träger der Polizeikosten. Der Inanspruchnahme als Nichtstörer muß es rechtlich gleichstehen, wenn ein unbeteiligter Dritter bei Vornahme einer rechtmäßigen polizeilichen Maßnahme geschädigt worden ist410. Beispiel: Der von einem Polizeivollzugsbeamten in rechtmäßiger Amtsausübung auf einen flüchtenden Verbrecher abgefeuerte Schuß hat eine Schaufensterscheibe zertrümmert411. Durch eine anderweitige Ersatzmöglichkeit wird der Entschädigungsanspruch nicht mehr ausgeschlossen412. Kein Entschädigungsanspruch besteht allerdings, wenn die schädigende Maßnahme dazu gedient hat, die Person oder das Vermögen des Betroffenen zu schützen413. Ferner ist der allgemeine Entschädigungsanspruch des Nichtstörers ausgeschlossen bei anderweitiger gesetzlicher Regelung414. b) Anspruch bei Rücknahme von polizeilichen Erlaubnissen: Wird eine polizeiliche oder ordnungsbehördliche Erlaubnis zurückgenommen415, weil 1. im Falle einer Rechtsänderung Tatsachen vorliegen, die nunmehr eine Versagung rechtfertigen würden, und von ihr noch kein Gebrauch gemacht worden ist, oder 2. nachträglich Tatsachen eingetreten oder bekanntgeworden sind, die eine Versagung gerechtfertigt hätten, und die Rücknahme zur Gefahrenabwehr erforderlich ist, dann kann der Betroffene in gleicher Weise wie ein Nichtstörer Entschädigung beanspruchen416. c) Ansprüche bei Schädigung durch rechtswidrige Maßnahmen: Neuere Gesetze gewähren ausdrücklich einen Entschädigungsanspruch bei rechtswidri408
409 410 411 412 413
414 415 416
In den meisten Polizeigesetzen wird dies ausdrücklich bestimmt: Art. 49 VII 3 bay. PAG; § 38 III 1 berl. ASOG; § 10 III 1 hamb. SOG; § 59 III 1 nieders. SOG; § 40 II 1 nordrh.-westf. OBG; §69 III 1 rheinl.-pfälz. PVG; §190 II 1 schlesw.-holst. LVwG. Gleiches gilt auch in den anderen Bundesländern, vgl. BGHZ 7, 96 (100ff.); Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 670. Zum Umfang des Anspruchs s. BGH DVB1. 1976, 714. Teilweise ist das ausdrücklich bestimmt; so § 37 I Nr. 2 berl. ASOG. S. Drews / Wacke / Vogel/ Martens, S. 667; Weimar, DÖV 1961, 379ff. Anders allerdings Art. 49 I bay. PAG. So § 41 I 2 bad.-württ. PolG; § 10 III 2 hamb. SOG; § 30 II hess. SOG; § 39 II b nordrh.-westf. OBG; § 188 II Nr. 2 schlesw.-holst. LVwG. Eine flexiblere Regelung enthalten § 38 V berl. ASOG; § 59 V nieders. SOG; § 69 V rheinl.-pfälz. PVG. So ausdrücklich § 41 II bad.-württ. PolG; § 30 III hess. SOG. Oben Abschnitt II. 2b, cc. §30 IV hess. SOG; §70 II saarl. PVG; §§ 116 III 1 und 117 III schlesw.-holst. LVwG; im übrigen gibt die generelle Regelung des § 49 VwVfG. 279
3. Abschn. IV 2 a
Karl Heinrich Friauf
ger Inanspruchnahme durch polizeiliche oder ordnungsbehördliche Maßnahmen 417 , und zwar teilweise unter Beschränkung auf schuldlos rechtswidrige Maßnahmen 418 , teilweise aber auch bei schuldhaftem Verhalten 419 . Im letzteren Fall kann der hier eingeräumte Anspruch in Konkurrenz zu Amtshaftungsansprüchen nach § 839 BGB, Art. 34 GG treten 420 . Dagegen geht er als spezialgesetzliche Regelung den allgemeinen Grundsätzen über die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff vor 421 . Wo derartige Vorschriften nicht bestehen, greifen bei rechtswidrig zugefügtem Körperschaden die Grundsätze über die Aufopferung, bei Vermögensschäden diejenigen über den enteignungsgleichen Eingriff ein422. d) Ansprüche eines Störers: In einigen Sonderfällen gewährt der Gesetzgeber aus besonderen rechtspolitischen Gründen regelwidrig auch einem Störer einen Ersatzanspruch für Schäden, die er durch seine Inanspruchnahme erlitten hat. Praktisch bedeutsam sind die Ansprüche nach § 51 GewO (Untersagung einer gewerblichen Anlage wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl), § 49 BundesseuchenG (Berufsbeschränkungen aus seuchenpolizeilichen Gründen) und §§ 24, 66 ff. TierseuchenG (Tötung seuchenbefallener Haustiere). 2. Ersatzansprüche der Verwaltung gegen den Störer Hat der Störer die Gefahr auf Grund einer polizeilichen Inanspruchnahme mit eigenen Mitteln beseitigt, dann ist der Verteilungsregel Genüge getan. Ist die Beseitigung dagegen auf Kosten der Verwaltung erfolgt, dann bleibt zu fragen, ob und inwieweit die entstandenen Aufwendungen auf den Störer abgewälzt werden können. a) Erstattungsanspruch bei Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang: Soweit die Behörde die erforderlichen Maßnahmen im Wege der Ersatzvornahme oder des unmittelbaren Zwangs getroffen hat, kann sie von dem Störer Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen 423 . Dieser Anspruch ist in den Polizeigesetzen selbst424 oder in den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der 417
418 419
420 421 422 423 424
Dazu eingehend Papier, DVB1. 1975, 567 ff. (571 - 574). Aus der Rechtsprechung s. BGHZ 72, 273 (275); 84, 292 (294); 86, 356 (358); 92, 302 (303f.); BGH NJW 1987, 1945f. Der Begriff der „Maßnahme" ist dabei weit zu fassen; vgl. auch Kasten, JuS 1986, 450ff. (zum nordrh.-westf. OBG). So § 30 I 2 hess. SOG. So ausdrücklich § 39 I Buchst, b nordrh.-westf. OBG; § 56 I 2 brem. PolG; § 37 II berl. ASOG; zum Schutzbereich des § 39 I b (§ 41 I b a . F.) nordrh.-westf. OBG: BGHZ 86, 356 (362). Vgl. auch § 37 IV berl. ASOG; § 40 V nordrh.-westf. OBG. Vgl. BGHZ 72, 273 (276). S. dazu Rüfner in : Erichsen / Martens, Allg. VwR, § 52 III, IV. Dazu s. eingehend OVG Lüneburg DVB1. 1977, 832ff. (834 - 835). Z. B. § 30 I nordrh.-westf. PolG; Art. 34 I bay. PAG.
280
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Polizei- und Ordnungsrecht 425
einzelnen Länder geregelt . Die nach diesen Bestimmungen geschuldeten Beträge werden durch Verwaltungsakt festgesetzt und im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben426. b) Erstattungsanspruch bei sonstigen polizeilichen Maßnahmen: Insbesondere angesichts der vielfach mit sehr hohen Kosten verbundenen Polizeieinsätze beispielsweise bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen, Pop-Konzerten etc., aber auch bei Demonstrationen und Hausbesetzungen stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer Kostenüberwälzung. Regelungen, die eine Kostentragungspflicht hinsichtlich derartiger polizeilicher Maßnahmen begründen — sei es als Gebühr für das Handeln der Polizei selbst oder sei es als Ersatzforderung für einen besonderen Aufwand —, sind (mit erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern) entweder in den Polizeigesetzen427 selbst oder aber in den Kosten- und Gebührengesetzen und den auf ihnen beruhenden Gebührenordnungen 428 enthalten. Es ergeben sich hierbei verschiedene verfassungsrechtliche Probleme. In kompetenzmäßiger Hinsicht ist zu berücksichtigen, daß die Länder ausschließlich für eine an präventive Amtshandlungen der Polizei anknüpfende Kostenerstattungsregelung zuständig sind, die genannten Polizeieinsätze aber teilweise zugleich auch strafverfolgende Zielsetzungen verfolgen. Die Forderung eines Polizeikostenersatzes kann u. U. in Kollision zu Grundrechten treten, insbesondere wenn sie die Ausübung des Versammlungsrechts in unverhältnismäßiger Weise erschwert. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit die allgemeine polizeiliche Überwachungs- und Sicherungstätigkeit als verfassungsrechtlich gebotene (ausschließlich) öffentliche Aufgabe anzusehen und demzufolge über das allgemeine Steueraufkommen zu finanzieren ist429. c) Erstattungsansprüche bei Heranziehung eines Nichtstörers: Hat die Polizei* bzw. Ordnungsbehörde die Gefahr oder Störung durch Heranziehung ei425 426 427
428 429
Z. B. §§ 25, 26, 31 bad.-württ. LVwVG i. V. m. §§ 6, 7 bad.-württ. Vollstr. KostenO. S. § 30 II nordrh.-westf. PolG. S. z.B. §81 II bad.-württ. PolG (bei privaten Veranstaltungen kann Ersatz von Polizeikosten verlangt werden); dazu VGH Bad.-Württ. DVB1. 1981, 788f. u. NVwZ 1986, 657ff.; vgl. a. VG Frankfurt NVwZ 1985, 214f. (jeweils Pop-Konzert). Vgl. dazu im einzelnen die landesrechtlichen Bestimmungen. Vgl. zum Problemkreis der Kostenerhebung für Polizeieinsätze: OVG Lüneburg DVB1. 1984, 57ff.; VGH Bad.-Württ. DÖV 1984, 517ff, DVB1. 1985, 969ff. u. DÖV 1986, 881 ff.; VG Stade NVwZ 1985, 933ff.; BayVGH NVwZ 1986, 655ff. (jeweils Polizeieinsatz bei Demonstrationen); OVG Bremen DVB1. 1983, 462ff.; VGH Kassel NJW 1984, 73ff.; OVG Lüneburg NJW 1984, 192ff. u. 1986, 2007f.; OVG Hamburg DVB1. 1985, 972f.; VHG Bad.-Württ. DÖV 1987, 257 (jeweils Fehlalarm einer Alarmanlage); OVG Hamburg NJW 1986, 2005ff. (Anscheinsgefahr); Kühling, DVB1. 1981, 315ff.; Albrecht, in: Fs. f. R. Samper, 1982, 165ff.; Majer, VerwArch. 1982, 167ff.; Broß, DVB1. 1983, 377ff.; Schenke, NJW 1983, 1882ff.; Würtenberger, NVwZ 1983, 192ff.; Götz, DVB1. 1984, 14ff.; v. Brünneck, NVwZ 1984, 273ff. 281
3. Abschn. IV 2 c
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nes Nichtstörers im polizeilichen Notstand beseitigt, dann kann wegen des Ersatzes, der dem Herangezogenen geleistet werden mußte (oben Abschnitt IV. 1 a), bei dem Störer Regreß genommen werden430. Auf diesen Anspruch sind die Vorschriften des BGB über die Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechend anwendbar. Einige Länder haben ihn in den Verwaltungsrechtsweg verwiesen431,432. In den übrigen ist er — ebenso wie der Anspruch des Nichtstörers gegen den Träger der Polizeikosten — vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen 433 .
430
431 432 433
282
§ 43 bad.-württ. PolG; § 42 beri. ASOG; § 61 brem. PolG; § 10 IV hamb. SOG; § 32 hess. SOG; § 63 nieders. SOG; § 42 II nordrh.-westf. OBG; § 73 rheinl.-pfälz. PVG; § 72 saarl. PVG; § 191 II schlesw.-holst. LVwG. S. § 62 brem. PolG; § 43 beri. ASOG; Art. 52 II bay. PAG; § 43 II nordrh.-westf. OBG; § 64 nieders. SOG; § 74 rheinl.-pfälz. PVG. In Hamburg (Fn. 430): Erstattung durch Leistungsbescheid. §44 bad.-württ. PolG; §33 hess. SOG; §73 saarl. PVG; §192 schlesw.-holst. LVwG.
VIERTER ABSCHNITT
Wirtschaftsverwaltungsrecht Peter Badura
Literatur E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932; 2. Aufl., 2 Bde., 1953/54. A.-J. Merten / Ch. Kirchner / E. Schanze, Wirtschaftsrecht, 1978. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 2 Bde., 1983. R. Weimar / P. Schimikowski, Grundzüge des Wirtschaftsrechts, 1983. H. D. Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl., 1984. E. Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., 1985. H.-W. Arndt, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: U. Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S. 633-737. G. Rinck / E. Schwark, Wirtschaftsrecht, 6. Aufl., 1986. R. Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2 Bde., 4. Aufl., 1986. W. Tilmann, Wirtschaftsrecht, 1986. F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., 1987. U. Scheuner /A. Schule, Die staatliche Intervention im Bereich der Wirtschaft, VVDStRL 11 (1954), S. 1 ff., 75ff. K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: GRe I I I / l , S. lff. H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965. W. Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967. H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968. W. Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969. P. Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1971. U. Scheuner {Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971. R. Schmidt, Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971. K. Stern / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., 1972. H. F. Zacher, Bericht über das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Wirtschaftsrecht (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Studien), 1973. E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht (1956), in: ders., Bewahrung und Wandlung, 1975, S. 215ff. P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, S. 205. 283
4. Abschn.
Peter Badura
H.-J. Papier, Fälle zum Wahlfach Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1976; 2. Aufl., 1984. F. Gygi, Die schweizerische Wirtschaftsverfassung, 2. Aufl., 1978. P. J. Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980. K. Korinek /H. P. Rill, Grundfragen des Wirtschaftslenkungsrechts, 1982. H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, S. 609. J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942, 3. (dt.) Aufl., 1972. E. Heimann, Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, 1963. H. C. Recktenwald(Hrsg.), Geschichte der Politischen Ökonomie, 1971. W. Zom, Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., 1974. K. Hardach, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 1976. F. Neumark {Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl., 4 Bde., 1977-83. H. Recktenwald, Lexikon der Staats- und Geldwirtschaft, 1983. Zeitschriften: Der Betriebsberater (BB); Der Betrieb (DB); Gewerbearchiv (GewArch) mit der Vierteljahresbeilage Wirtschaft und Verwaltung (WiVerw); Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR); Wirtschaft und Wettbewerb (WuW); Zeitschrift für öffentliche und gemein wirtschaftliche Unternehmen (ZögU); Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP).
284
4. Abschn.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
Gliederung I. Recht und Ordnung der Wirtschaft 1. Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht 2. Der wirtschaftliche Prozeß und die Wirtschaftspolitik a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik: Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik c) Wirtschaftsstatistik
286 286 287
II. Staat und Wirtschaft 1. Geschichte 2. Wirtschaftsverfassung a) Die „Wirtschaftsverfassung" des Grundgesetzes b) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" ; Stabilitätsgesetz c) Das europäische Wirtschaftsrecht 3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft 4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit a) Unternehmensfreiheit; Grundsätze der willkürfreien Sachgerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit b) Berufsfreiheit c) Eigentumsgarantie
294 294 296 297
III. Wirtschaftsverwaltung 1. Organisation a) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern b) Selbstverwaltung der Wirtschaft c) Wirtschaftsverbände; Koalitionsfreiheit 2. Verwaltungszwecke und Rechtsformen a) Wirtschaftslenkung, Wirtschaftsaufsicht b) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte c) Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag d) Verwaltungsprivatrechtliche und fiskalische Verwaltungstätigkeit; Auftragswesen ; wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand
316 316 316 317 321 323 324 332 335
IV. Gewerberecht 1. Gewerbefreiheit 2. Techniken gewerberechtlicher Regelung a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht; Untersagungsermächtigung; Verbot mit Erlaubnisvorbehalt b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde; Zuverlässigkeit 3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse a) Stehendes Gewerbe; Reisegewerbe; Marktverkehr b) Handwerk c) Gaststättengewerbe
349 349 353
288 290 293
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353 356 358 358 359 362 285
4. Abschn. 11
Peter Badura
I. Recht und Ordnung der Wirtschaft 1. Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht Die liberale Wirtschaftsidee und die von ihr bestimmte Rechtsordnung hatten die Autonomie der Wirtschaft gegenüber dem politischen Prozeß in besonders weitgehendem Umfang gefordert und verwirklicht. Dem entsprach das die politische Philosophie des Liberalismus beherrschende Theorem der Trennung von (monarchischem) Staat und (bürgerlicher) Gesellschaft, das den Staat und das von ihm geschaffene Recht auf die Funktion beschränkte, die naturrechtlich begründete „vorstaatliche", d. h. gesellschaftlich regulierte Freiheit des einzelnen zu achten und zu sichern. Dennoch ordnete der liberale Staat die Wirtschaft durch sein Recht, nicht anders wie der moderne Wohlfahrtsstaat, wenn auch nach anderen Grundsätzen. Er besaß in diesem auf das geregelte Sachgebiet abhebenden Sinn ein Sonderrecht der Wirtschaft. Da sich indessen das liberale Recht der Wirtschaft, der liberalen Wirtschaftsidee entsprechend, im wesentlichen in den Zusammenhängen des Privatrechts und des Polizeirechts entwickelte, kam es nicht zur Ausbildung eines besonderen als „ Wirtschaftsrecht'4 bezeichneten rechtswissenschaftlichen Arbeits- und Lehrgebietes. Immerhin brachte der durchgreifende industrielle Aufschwung seit der Reichsgründung 2 eine derart auffällige und alle Rechtsgebiete erfassende Fülle von spezifischen Rechtssätzen und rechtlichen Problemen hervor, daß die rechtliche Ordnung der Bedürfnisse des kapitalistischen Unternehmens, seiner Beziehungen zu den Abnehmern, des Wettbewerbs, der Assoziation der Unternehmer und der Arbeiter, des Arbeitsverhältnisses und des Arbeitsschutzes als Gegenstand eines besonderen Rechtsgebietes, des „Industrierechts", betrachtet wurde 3 . Das besondere Arbeits- und Lehrgebiet „ Wirtschaftsrecht", das sich nach dem 1. Weltkrieg ebenso wie das Arbeitsrecht verselbständigte4, verdankt seine Entstehung weniger dem theoretischen Interesse an klassifizierender Systematik als der kurz vor der Jahrhundertwende einsetzenden und durch die Bedürfnisse des Krieges beschleunigten Umorientierung der Staatszwecke. Der Abschnitt „Das Wirtschaftsleben" (Art. 151-165) der Weimarer Reichsverfassung zeigt den Übergang von der liberalen Wirtschaftsidee zu einer 1 2 3 4
286
Piepenbrock, Der Gedanke eines Wirtschaftsrechts in der neuzeitlichen Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1964. E. R. Huber, Dt. Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV, 1969, S. 971 ff.; Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, S. 16ff. H. Lehmann, Grundlinien des deutschen Industrierechts, in: Fs. f. E. Zitelmann, 1913. A. Nussbaum, Das neue dt. Wirtschaftsrecht, 1920, 2. Aufl., 1922; H. Goldschmidt, Reichs-Wirtschaftsrecht, 1923; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. Abschn. I 2
neuen Staatsvorstellung, in der das Prinzip der privatautonomen Wirtschaftsfreiheit verbunden ist mit der Verantwortung des Staates für die soziale Gerechtigkeit. Die Verselbständigung des Rechtsgebiets „Wirtschaftsrecht" ist eine Wirkung dieser Umwälzung der Verfassungs- und Wirtschaftsidee und es wurde und wird dementsprechend definiert als das Insgesamt der Rechtssätze, durch die der Staat Organisation und Funktionsweise der Wirtschaft ordnet, gestaltet und lenkt 5 . Das Wirtschaftsrecht entfaltete sich zunächst als Annex des Privatrechts, was insofern folgerichtig war und ist, als die wirtschaftsrechtlichen Regelungen als Beschränkungen der im Privatrechtsverkehr wirksamen Privatautonomie aufgefaßt werden können. Die dem Wirtschaftsrecht eigentümliche „Sozialisierung des Rechtsstoffes" (Nußbaum), in der sich die zunehmende staatliche Ingerenz in das Wirtschaftsgeschehen äußert, und der damit notwendig einhergehende Aufbau einer staatlichen Wirtschaftsverwaltung zum Vollzug der wirtschaftsrechtlichen Ermächtigungen bedingten ein außerordentliches Vordringen des öffentlichen Rechts, das seinen bisherigen polizeirechtlichen Charakter weit hinter sich ließ. Das Gewerberecht ging in dem neuen „ Wirtschaftsverwaltungsrecht"6 auf. In diesem Rechtsgebiet tritt der Anspruch des Staates zutage, die entwickelte Industriegesellschaft nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen und zu gestalten. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht umfaßt die Rechtssätze, durch die der Staat mit den Zielen der Gefahrenabwehr, der Lenkung und der Förderung auf den wirtschaftlichen Prozeß ordnend, gestaltend und leistend einwirkt, indem er Aufgaben und Befugnisse der Verwaltung und öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten der am wirtschaftlichen Prozeß Beteiligten begründet. 2. Der wirtschaftliche Prozeß und die Wirtschaftspolitik Die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen ist eine Funktion der Entwicklung der Produktivkräfte (Ausbildungsstand der arbeitenden Bevölkerung, technologischer Fortschritt, Arbeitsteilung) und der Gestaltung der Produktionsverhältnisse (gesellschaftliche und rechtliche Organisation des wirtschaftlichen Prozesses). Da die Erhaltung und Vermehrung der Produktivität von der Rate des akkumulierten und für Investitionen verfügbaren Kapitals abhängen, sind die Arbeitsweise des Kreditapparats und die Verfügung über die Investitionsentscheidungen Schlüsselpunkte des wirtschaftlichen Systems. Die wirtschaftlichen Größen Versorgung und Produktivität sind allerdings für den Staat und seine Wirtschaftspolitik in die umfassenderen Ziele und Zusammenhänge der allgemeinen Politik, der Gesell5
6
Hedemann, in: Fs. f. A. Hueck, 1959, S. 377; Rittner, Wirtschaftsrecht, StaatsL 8 (1963), S. 817; G. Rinck, Begriff und Prinzipien des Wirtschaftsrechts, 1971; N. Reich, Markt und Recht, 1977. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932, 2. Aufl., Bd. I, II, 1953/54; Scheuner, Das öffentliche Wirtschaftsrecht, in: Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Heft 28 (1934), S. 3; R. Stober, Quellen zur Geschichte des Wirtschaftsverwaltungsrechts, 1986. 287
4. Abschn. 12a
Peter Badura
schaftspolitik und der Sozialpolitik eingeordnet. Auch die Wirtschaftsordnung selbst weist mit dem „Produktionsfaktor" Arbeit über sich hinaus; denn die Arbeit ist nicht nur Beitragen zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts, sondern auch unentrinnbarer Schauplatz menschlicher Selbstverwirklichung. a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung: Nach dem Maß der Selbständigkeit, das der wirtschaftliche Prozeß gegenüber dem politischen Prozeß besitzt, oder anders gesagt nach der Funktion des Staates im Wirtschaftsprozeß, lassen sich die realen Wirtschaftsordnungen an zwei typisierend vereinfachten Wirtschaftsformen messen7. In der Wirtschaftsform der Verkehrs- oder Marktwirtschaft, deren institutionelle Voraussetzungen die Privatautonomie, das Privateigentum, die Berufs- und Gewerbefreiheit und die Vertragsfreiheit bilden, sind die wirtschaftlich relevanten Entscheidungen über Produktion, Investition, Distribution und Konsum dezentralisiert und den einzelnen Wirtschaftssubjekten überlassen. Bei dieser verkehrswirtschaftlichen Bedarfsdeckung gibt das individuelle Interesse den Ausschlag und werden die allein vorhandenen Einzelpläne der Unternehmer und Verbraucher nur durch den Tausch vergesellschaftet und den von Angebot und Nachfrage abhängigen Marktpreis koordiniert. In der Wirtschaftsform der Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft sind die wirtschaftlich wesentlichen Entscheidungen mit Ausnahme der Konsumtionssphäre in der Hand des Staates, der alleiniger Eigentümer der Produktionsmittel ist, zentralisiert. Bei dieser planwirtschaftlichen Bedarfsdeckung werden die individuellen Wirtschaftspläne durch den von einer Zentralstelle für einen bestimmten Zeitabschnitt in Gesetzesform aufgestellten Gesamtplan ersetzt oder zumindest gebunden. Der staatliche Wirtschaftsplan legt auf der Grundlage von politischen Entscheidungen die Erzeugung und Verteilung nach den angenommenen Bedürfnissen des Gemeinwesens fest, so daß an die Stelle des für die Marktwirtschaft charakteristischen Tausches die Zuteilung tritt8. Die Marktwirtschaft ist die von der liberalen Wirtschaftsidee ideolo7
8
288
Max Weber, Grundriß der Sozialökonomik, 2. Aufl., 1925, I I I / l , 59; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., 1975; E. Heimann, Wirtschaftssysteme und Gesellschaftssysteme, 1954; ders., Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme 1963; Dahrendorf, Markt und Plan, zwei Typen der Rationalität, 1966; Krüsselberg, Marktwirtschaft und ökonomische Theorie, 1969; Heinze, Autonome und heteronome Verteilung. Rechtsordnung staatlicher Lenkung von Produktion und Verteilung, 1970; K. P. Hensel, Grundformen der Wirtschaftsordnung, 2. Aufl., 1974; Hedtkamp, Wirtschaftssysteme, 1974; Ch. E. Lindblom, Jenseits von Markt und Staat, 1980; P. Bernholz / F. Breyer, Grundlagen der Politischen Ökonomie, 2. Aufl., 1984; P. Koslowski / J. M. Buchanan, Ethik des Kapitalismus, 2. Aufl., 1984. K. P. Hensel, Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, 2. Aufl., 1959; Salin, Politische Ökonomie, 5. Aufl., 1967, S. 94ff.; W. W. Engelhardt u. a., Zur marxistischen und neuen Politischen Ökonomie, SchrVfS N F Bd. 112, 1981; Fincke (Hrsg.), Handbuch der Sowjetverfassung, Bd. I, 1983; Deutsches und sowjetisches Wirtschaftsrecht II, hrsg. vom Max-Planck-Institut für ausländ, und internation. Privatrecht, 1983.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. Abschn. I 2 a
gisch gerechtfertigte Wirtschaftsform der kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaften, in denen sie allerdings nur durch mehr oder weniger intensive Einrichtungen staatlicher Wirtschaftslenkung modifiziert verwirklicht ist. Die Planwirtschaft ist die von der marxistischen politischen Ökonomie ideologisch gerechtfertigte Wirtschaftsform der sozialistischen Staaten, in denen sie abgeschwächt durch die Beibehaltung der Geldwirtschaft, die mehr oder weniger weitgehende Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungen im Rahmen des Volkswirtschaftsplanes und die Zulassung marktwirtschaftlicher Enklaven verwirklicht ist. Die Verfassung der DDR vom 8. April 1968, jetzt in der Fassung vom 7. Oktober 1974, hat die Grundlinien der Wirtschaftsordnung entsprechend den Grundsätzen der sozialistischen Politischen Ökonomie verfassungsrechtlich festgelegt9. Die Volkswirtschaft der DDR beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln; der „Leitung und Planung der Volkswirtschaft" dienen die sozialistische Planwirtschaft und das sozialistische Wirtschaftsrecht (Art. 9, 12 VerfDDR). Das Kernstück der Volkswirtschaft ist als „Volkseigentum" organisiert, dem Regelfall des produktiven Eigentums außerhalb des landwirtschaftlichen und des handwerklichen Sektors. Unter der Direktion der staatlichen Organe der Wirtschaftsführung, an der Spitze der von der Staatlichen Plankommission unterstützte Ministerrat, erfolgt die Nutzung und Bewirtschaftung des Volkseigentums durch die nach der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitenden Einheiten, die Volkseigenen Betriebe und die Kombinate. Da die institutionellen Grundlagen der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen fast durchweg im Rahmen des politischen Systems verfassungsrechtlich gewährleistet sind, kann der Übergang von der verkehrswirtschaftlichen zur planwirtschaftlichen Wirtschaftsform nur durch eine Sozialrevolutionäre Umwälzung erfolgen. Unter Sozialisierung (Vergesellschaftung) versteht man die in der Regel zur Verwirklichung der sozialistischen Wirtschaftsidee erfolgende Umgestaltung der Eigentumsordnung durch Aufhebung des privaten Sondereigentums an bestimmten oder allen Produktionsmitteln und deren Überführung in staatliches Eigentum (Verstaatlichung) oder in das Eigentum unter staatlicher Aufsicht stehender halbautonomer („gemeinwirtschaftlicher") Wirtschaftssubjekte mit genossenschaftli9
U. J. Heuer u. a., Sozialistisches Wirtschaftsrecht - Instrument der Wirtschaftsführung, 1971; dies., Wirtschaftsrecht, 1985; Staatsrecht der DDR, 1978, S. 126ff., 207ff. - G. Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl., 1979, bes. S. 97ff.; K. Oettle, Volkseigene Betriebe, HdWW 17./18. Lief., 1979, S. 351; S. Mampel, Die sozialistische Verfassung der Dt. Dem. Republik, 2. Aufl., 1982; R. Rühmland, DVB1. 1983, 261; Handbuch DDR-Wirtschaft, hrsg. vom Dt. Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, 4. Aufl., 1985; Art. Wirtschaftsrecht, in : DDR-Handbuch, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 3. Aufl., 1985, Bd. 2, S. 1506; Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987, BTag Drucks. 11/11. 289
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eher Beteiligung der produzierenden Arbeiter . Werden lediglich einzelne Unternehmen oder Produktionsmittel vergesellschaftet, beschränkt sich die Wirkung dieser Teilsozialisierung auf eine Änderung der Eigentumsverteilung im Rahmen der beibehaltenen Eigentumsordnung. b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik; Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik: Die Wirtschaftspolitik besteht aus den sich in staatsleitenden und gesetzgeberischen Akten niederschlagenden politischen Entscheidungen des Parlaments und der Regierung über die Ordnung, die Entwicklung und den Ablauf der Wirtschaft11. Auf der Grundlage der privatwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Ordnung bilden die Sicherung des Wettbewerbs und der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts die leitende Zielsetzung der Wirtschaftspolitik. Die sozialstaatlichen Aufgaben fügen dieser Grundorientierung Ziele und Maßnahmen der Strukturpolitik und der Gesellschaftspolitik hinzu, in denen auch die Interdependenz mit der raumbezogenen Planung und der Sozialpolitik wirksam wird. Die Sicherung der Ernährung, der Rohstoffzufuhr und der Energieversorgung12 und ebenso die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch den Schutz von Natur und Umwelt13 haben Beschränkungen der Wirtschaftsfreiheit durch verschiedenartige Eingriffe und Steuerungsmaßnahmen zur Folge. Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Beeinflussung, Förderung und Lenkung lassen sich als Ausdruck der sozialstaatlichen Wirtschaftspolitik verstehen. Die Teilintegration von Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung in den Europäischen Gemeinschaften und die Außenwirtschaftspolitik tragen der großen Bedeutung von Export und Import und der Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft von den internationalen und übernationalen Märkten Rechnung. Die Wettbewerbspolitik ist bestrebt, auf den dafür geeigneten Märkten den Zustand wirksamen Wettbewerbs herzustellen und zu erhalten, um die marktwirtschaftliche Steuerungsfunktion des Preises zu sichern. Sie wendet sich mit Hilfe Wettbewerbs- und kartellrechtlicher Regelungen gegen Verfälschungen und Beschränkungen des Wettbewerbs durch „unlauteres" Verhalten, durch die Bildung oder Ausnutzung monopolistischer oder oligopolistischer Marktmacht und durch Kartellabsprachen. Wesentlicher Ausdruck der marktwirtschaftlich orientierten Wettbewerbspolitik ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juni 1957, jetzt i. d. Fass. d. Bek. vom 24. Sept. 1980 (BGBl. I S. 1761). Der „Ordo-Liberalismus", der vor allem durch die Arbei10 11 12
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G. Burdeau, Die französischen Verstaatlichungen, 1984 (Beiheft 56 der ZHR). H.H. von Arnim, Volkswirtschaftspolitik, 5. Aufl., 1985. Siehe den Energiebericht der Bundesregierung (BRat Drucks. 423/86) und andererseits den Entwurf der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Beendigung der energiewirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und ihrer sicherheitstechnischen Behandlung in der Übergangszeit (BTag Drucks. 10/6700). Siehe in diesem Lehrb. den 11. Abschn. „Umweltrecht".
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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ten von Walter Eucken bestimmten neoliberalen Freiburger Schule14 erwartet durchweg die optimale Produktivität und Versorgung von den Mechanismen des Wettbewerbs. Die Wettbewerbspolitik bedarf angesichts der wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Probleme der wirtschaftlichen Konzentration, gegen die sich die kartellrechtliche Fusionskontrolle richtet, der Einfügung in eine umfassende Ordnungspolitik. Die Wachstumspolitik strebt eine Steigerung der Produktivität, des Sozialprodukts und des Lebensstandards an; ihr Ziel ist eine angemessene Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere durch die Förderung der technologischen Innovation. Die Komplexität der Wachstums- und konjunkturpolitischen Zielsetzung der Wirtschaftspolitik zeigt sich in dem Richtlinienbündel des § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 196715: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen." Die Konjunkturpolitik zielt darauf ab, die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage, die sich in den Ausgaben des Staates, der Unternehmen (Investitionen) und der Haushalte (Verbrauch) ausdrückt, möglichst gleichmäßig und frei von den Schwankungen der Übernachfrage und des Überangebots zu halten. Den konjunkturpolitischen Zielen dienen hauptsächlich global ansetzende und insofern mittelbar lenkende Steuerungsmaßnahmen der Wirtschaftspolitik. Maßnahmen der Finanzpolitik der öffentlichen Haushalte, der Währungspolitik, der Kreditpolitik und der Außenwirtschaftspolitik stehen im Vordergrund16. Die Kreditpolitik ist hauptsächlich Sache der unabhängigen Zentralbank des Bundes17. Die Kreditpolitik beeinflußt über den Zinssatz und die Liquidität der Geschäftsbanken die Kreditaufnahme auf dem Kapitalmarkt und damit die Investitionen. Die konjunkturpolitisch orientierte Finanzpolitik manipuliert einerseits durch Art und Maß der Besteuerung die für Investitionen und Konsum verfügbare Geldmenge und setzt andererseits als antizyklische oder kompensatorische „fiscal 14
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W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., 1975; F. Böhm, Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, 1980. K. Stem / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., 1972, S. 35ff.; P. von der Lippe, Stabilität und Wachstum, 1975. Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; H. Koller, Der öffentliche Haushalt als Instrument der Staats- und Wirtschaftslenkung, 1983; F. Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, 1987. Art. 88 G G ; Gesetz über die Deutsche Bundesbank vom 26. 7. 1957. Siehe unten unter Ill.l.a. 291
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policy" die haushaltswirtschaftlichen Ausgaben der öffentlichen Hand zur Dämpfung oder Ankurbelung der Konjunktur ein. Insofern als die Wachstumspolitik darauf gerichtet ist, zurückgebliebene oder dem marktwirtschaftlichen Prozeß nicht gewachsene Gebiete oder Wirtschaftszweige zu unterstützen oder zu entwickeln, ist sie regionale oder sektorale Strukturpolitik. Strukturpolitische Maßnahmen bestehen hauptsächlich darin, daß mit den Zielen der Verbesserung der sozialen und technischen Infrastruktur, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Begünstigung von Innovationen mit einer besonderen volkswirtschaftlichen Bedeutung und der Umstrukturierung ländlicher Gebiete eine eigene Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand entfaltet wird und Investitionen Privater durch Subventionen und steuerliche Vorteile angeregt und gefördert werden. Die Strukturpolitik steht in einem engen Zusammenhang mit der Raumordnungspolitik, nimmt aber ebenso Zielsetzungen der Arbeits- und Sozialpolitik, der Verkehrspolitik, der Energiepolitik und des Umweltschutzes in sich auf. Die regionale Strukturpolitik ist eine Schwerpunktförderung mit regionalen Aktionsprogrammen in abgegrenzten Fördergebieten. Die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ist eine Gemeinschaftsaufgabe gem. Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 GG 18 . Hauptfelder der sektoralen Strukturpolitik, die in breiten Bereichen von der regionalen Strukturpolitik nicht trennbar ist, sind die Landwirtschaft und der Kohlebergbau, neuerdings auch die Stahlindustrie; die Verbesserung der Agrarstruktur ist ebenfalls eine Gemeinschaftsaufgabe 19 . Die Mittelstandspolitik 20 hat eine bis in die Weimarer Zeit zurückgehende Tradition (vgl. Art. 164 WeimRVerf). Die Steuer- und haushaltswirtschaftliche Umverteilung (Redistribution) nicht weniger wie die sozialgestaltende Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung durch Wachstums- und Strukturpolitik weisen über die durch das privatrechtliche Eigentum vermittelte Güterzuteilung hinaus. Die auf das nicht sozialpolitisch verengte Staatsziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtete Gesellschaftspolitik stellt der Wirtschaftspolitik insgesamt die Aufgabe, die gegebenen gesellschaftlichen Grundlagen des wirtschaftlichen Prozesses 18
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Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Okt. 1969 (BGBl. I S. 1861); Sechzehnter Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" BTag Drucks. 11/583. - Das Gesetz gibt dem Rahmenplan eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Außen Wirkung (BVerwG NJW 1980, 1862). Art. 91 Abs. 1 Nr. 3 GG; Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3. 9. 1969 (BGBl. I S. 1573); Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1987 bis 1990, BTag Drucks. 10/6786; Agrarbericht 1987, BTag Drucks. 11/85. - Der Rahmenplan hat keine Rechtssatzqualität (BVerwG DÖV 1987, 289). Antwort der BReg. auf eine Große Anfrage betr. Lage und Perspektiven des selbständigen Mittelstandes in der Bundesrepublik Deutschland, BTag Drucks. 10/6090
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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nicht als gerechtfertigt zugrunde zu legen und die Ungleichheiten der Einkommens* und Vermögensverhältnisse durch Einzelmaßnahmen, vor allem aber auch durch an langfristigen Perspektiven ausgerichtete planmäßige Veränderung der Gesellschaft insoweit zu revidieren, als die sozialen Ungleichheiten die demokratische Emanzipation hindern. Zu diesen Vorhaben zählen die Vermögensbildung und die wirtschaftliche oder unternehmerische Mitbestimmung. Die bis zur Parität getriebene Mitbestimmung und die umverteilende Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, vor allem bei Einrichtung überbetrieblicher Fonds, würden eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Qualität besitzen. Die durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) vom 4. Mai 1976 (BGBl. I S. 1153) erweiterte unternehmerische Mitbestimmung läßt ein leichtes Übergewicht der Anteilseignerseite bestehen21. Eine gesellschaftspolitische Maßnahme anderer Zielrichtung ist die Reprivatisierung öffentlicher Unternehmen oder der Beteiligung der öffentlichen Hand an Wirtschaftsunternehmen22. c) Wirtschaftsstatistik: Sachgerechtigkeit und Erfolg der Wirtschaftspolitik im allgemeinen und der zugrundeliegenden Beurteilungen und Projektionen im besonderen sind von einer umfassenden und aktuellen Informiertheit des Parlaments und der Regierung über die für den wirtschaftlichen Prozeß erheblichen Daten abhängig, die durch statistische Erhebungen vermittelt wird. Die amtliche Statistik liegt in den Händen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden und der statistischen Ämter der Länder. Das Kernstück des Statistikrechts ist das Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke (Bundesstatistikgesetz) vom 22. Januar 1987 (BGBl. I S. 462)23. Für die Wirtschaftsstatistik sind außerdem das Gesetz zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung auf dem Arbeitsmarkt (Mikrozensusgesetz) vom 10. Juni 1985 (BGBl. I S. 995)24, das Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1987) vom 8. November 1985 (BGBl. I S. 2078)25 sowie eine große Zahl fachstatistischer Gesetze und Rechtsvorschriften maßgebend. Die mit Auskunftspflichten verbundene Erhebung personenbezogener und unternehmensbezogener Einzel21 22 23
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BVerfGE 50, 290; K. Fitting / O. Wlotzke / H. Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, 2. Aufl., 1978; P. Hanau / P. Ulmer, Mitbestimmungsgesetz, 1981. BVerfGE 12, 354 (VW-Werk); W. Graf Vitzthum, AöR 104, 1979, S. 580; Th. Maunz, in: Fs. für Hans Ulrich Scupin, 1983, S. 615. RegEntw.: BTag Drucks. 10/5345; Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses: BTag Drucks. 10/6638, 10/6666.— Vorangegangen war das Bundesstatistikgesetz vom 14. 3.1980 (BGBl. I S. 289). Initiativentwurf und RegEntw.: BTag Drucks. 10/2600, 10/2972; Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses: BTag Drucks. 10/3328. — OVG Hamburg NJW 1986, 3100; Hess VGH NJW 1986, 3102. RegEntw.: BTag Drucks. 10/2814; Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses: BTag Drucks. 10/3843. 293
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angaben und deren statistische Verarbeitung, soweit dabei eine Reidentiflzierung möglich bleibt, muß den datenschutzrechtlichen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verb, mit Art. 1 Abs. 1 GG, Recht auf „informationelle Selbstbestimmung") und dem Schutz der Wirtschaftsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG) genügen26. Dem dienen insbes. das Zweckbindungsgebot und das Statistikgeheimnis (§ 16 BStatG). II. Staat und Wirtschaft 1. Geschichte In der Geschichte der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung lassen sich bei typisierender Vereinfachung drei aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen unterscheiden: der Merkantilismus des absolutistischen Staates, der Liberalismus des bürgerlichen Verfassungsstaates und der Wohlfahrtsstaat der parlamentarischen Demokratie27. In diesen Wirtschaftsformen äußern sich der Aufstieg, die Blüte und die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Der Übergang von der auf dem Vorherrschen der agrarischen Produktion beruhenden Naturalwirtschaft des Mittelalters zur neuzeitlichen Verkehrswirtschaft auf der Grundlage von Handel und Gewerbe (Handwerk und Manufaktur) brachte die großräumigen Nationalwirtschaften mit der neuen Herrschaftsform des modernen Staates hervor. Die geldwirtschaftliche Staatsfinanzierung ermöglichte Bürokratie und stehendes Heer, die charakteristischen Voraussetzungen staatlicher Herrschaftsgewalt. Die Einsicht, daß die Blüte der nationalen Wirtschaft, vornehmlich von Handel und Gewerbe, 26
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BVerfGE 27, 1; 65, 1. - R. Scholz / R. Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 1984; H. H. von Arnim; Volkszählungsurteil und Städtestatistik, 1987. F. Lütge, Dt. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl., 1966 (Nachdruck 1975); Stolper, Dt. Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl., 1966; H. Hausherr, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl. 1981; Beutin / Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, 1973; Treue, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 2 Bde., 1973; W. Zorn, Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrh., 1976; R. Engelsing, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, 2. Aufl., 1976; K. Hardach, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrh., 1976; Wehler, Bibliographie zur modernen dt. Wirtschaftsgeschichte, 1976; K. Borchardt, Grundriß der dt. Wirtschaftsgeschichte, 1978. - Sombart, Der moderne Kapitalismus, 2. Aufl., 1916-27; Heckscher, Der Merkantilismus, 2 Bde., 1932; Gerloff, Staatstheorie und Staatspraxis des kameralistischen Verwaltungsstaates, 1937; Dobb, Studies in the Development of Capitalism, 1946 (dt.: Entwicklung des Kapitalismus, 1970); Tautscher, Staatswissenschaftslehre des Kameralismus, 1947; Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeitnehmer unter dem Kapitalismus, 40 Bde., 1948ff.; K. Borchardt, Die industrielle Revolution in Deutschland, 1972; F. Blaich, Die Epoche des Merkantilismus, 1973.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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die Grundlage territorialstaatlicher Macht sei, bildete die Richtlinie der merkantilistischen Wirtschaftspolitik. Deren Grundsätze waren außenwirtschaftlich die protektionistische Beschränkung der Einfuhr und das Streben nach einer aktiven Handelsbilanz mit dem Ziel der Autarkie, der Unterstützung der einheimischen Wirtschaft und der Ansammlung eines Edelmetallvorrats. Der Staat suchte Gewerbe und Handel durch vielfältige und sehr ins einzelne gehende Reglementierung, durch Vergabe von Monopolprivilegien für neue Industrien und durch Gründung oder Übernahme zahlreicher Unternehmen anzuregen, zu fördern und zu beeinflussen. Für die kapitalistische Wirtschaftsweise der unter staatlichem Schutz im 17. und 18. Jahrhundert entstandenen und erstarkten Nationalwirtschaften erwies sich die merkantilistische Bevormundung und Reglementierung bald als lähmend. Ebenso wie die politische Theorie der Aufklärung die Staatsidee des Absolutismus in Frage stellte und endlich zerstörte, führte die Wirtschaftstheorie der Aufklärung zur Auflösung der absolutistischen Wirtschaftsform des Merkantilsystems. Die liberale Wirtschaftsidee forderte Freiheit der Wirtschaft vom Staat: Freihandel und Gewerbefreiheit. Gewerbefreiheit bedeutete die Beseitigung aller durch den Staat geschaffenen öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen Beschränkungen des Gewerbes und des Handels, soweit nicht polizeiliche Rücksichten eine bestimmte Einschränkung rechtfertigten. Dieses Prinzip richtete sich besonders gegen die aus der merkantilistischen Epoche hervorgegangenen monopolistischen Erscheinungen wie die Beherrschung einzelner Wirtschaftszweige durch staatliche Unternehmungen und durch von Monopolprivilegien geschützte Privatunternehmer, gegen ausschließliche Gewerbeberechtigungen und Zwangs- und Bannrechte 28 und gegen die Zwangskorporationen der Handwerker (Zünfte) und Kaufleute (Gilden). Der individualistische und rationalistische Grundsatz des Laissez-faire, der im Mittelpunkt der „klassischen" Nationalökonomie des Liberalismus steht, leitet sich aus dem Axiom einer „natürlichen" Ordnung der Wirtschaft ab, die der Staat durch sein Eingreifen nur verwirre. Die Triebfeder des nach den eingestifteten Gesetzen einer Wirtschaftsmechanik, nämlich den Marktgesetzen, funktionierenden wirtschaftlichen Prozesses sei der erwerbsorientierte und rationale Egoismus des homo oeconomicus, der mit seinem individuellen Wirtschaftserfolg zugleich die Prosperität der Nationalwirtschaft und die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse bewirke. „Das natürliche Bestreben jedes Menschen, seine Lage zu verbessern, ist, wenn es sich mit Freiheit und Sicherheit geltend machen darf, ein so mächtiges Prinzip, daß es nicht nur allein und ohne alle Hilfe die Gesellschaft zu Reichtum und Wohlstand führt, sondern auch hundert arge Hindernisse überwindet, mit denen die Torheit menschlicher Gesetze es allzuoft zu hemmen suchte" (Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776).
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Vgl. §§ 7 ff. GewO. - BVerwGE 38, 244 (§ 39 a S. 1 GewO). 295
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Die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen erfolgte im Rahmen der Stein-Hardenbergschen Reformen 29 . Aufnahme und Fortsetzung eines Gewerbes waren nunmehr grundsätzlich nur noch von der mit der Entrichtung der Gewerbesteuer gekoppelten Lösung eines Gewerbescheins abhängig gemacht 30 . Die Verwirklichung der Gewerbefreiheit und die damit korrespondierende Entwicklung eines Gewerbepolizeirechts kamen in Preußen mit der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 (GS S. 41) zum Abschluß, dem unmittelbaren Vorbild der mit zahlreichen Änderungen heute noch geltenden Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869. Das Allgemeine BergG für die Preußischen Staaten vom 24. Juni 1865 (GS S. 705) löste die Regalität des Bergbaus 31 durch das Prinzip der Bergbaufreiheit ab. 2. Wirtschaftsverfassung Im Zeichen der „Wirtschaftsverfassung" finden die Auseinandersetzungen über die grundlegenden Rechtsfragen der gegebenen Wirtschaftsordnung statt 32 . Seitdem die Weimarer Reichsverfassung in dem besonderen Abschnitt „Das Wirtschaftsleben" (Art. 151 ff.) die überkommenen Institutionen und Freiheiten des liberalen Wirtschaftsrechts durch verschiedenartige sozialistische und sozialreformerische Grundsätze, Einrichtungen und Programme (siehe bes. Art. 151, 156, 165) überformt hatte, stellte sich die Frage nach der verfassungsgestalteten Grundordnung der Wirtschaft und dem Zusammenhang zwischen der „Wirtschaftsverfassung" und der „politischen" Verfassung 33 . 29
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E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, 2. Aufl., 1967, S. 200ff.; Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 1967; B. Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit, 1983; J. Ziekow, GewArch. 1985, 313. § 50 (Allgem. Grundsätze über Gewerbepolizei) der Geschäfts-Instruktion für die Regierungen in sämtlichen Provinzen vom 26. 12. 1808 (GS 1806-1810, S. 481); Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-Steuer vom 28. 10. 1810 (GS 1810/11, S. 79); G über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 7. 9. 1811 (GS 1810/11, S. 263). W. Ebel, ZfB 109 (1968), S. 146. E. R. Huber, DÖV 1956, 97, 135, 172, 200, jetzt in: ders., Bewahrung und Wandlung, 1975, S. 215; Ballerstedt, GRe I I I / l , S. 1; ders., Art. Wirtschaftsverfassung, EvStL, 3. Aufl., 1987, Sp. 4065; Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965; Zacher, in: Fs. f. F. Böhm, 1965, S. 63; Badura, JuS 1976, 205; P. Saladin / H.-J. Papier, W D S t R L 35 (1977), S. 7ff.; K. Stern, ORDO 30 (1979), S. 257; R. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981, S. 83ff. E. R. Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931; L. Raiser, in: Fs. f. Julius von Giirke, 1950, S. 181; C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 489; E.-J. Mestmäcker, in: SchrVfS N F 74/1, 1973, S. 183, und ZHR 137 (1973), S. 97; H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung", 1974 (Rez. ZHR 139 [1975]), S. 2C1).
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Der Ausdruck „Wirtschaftsverfassung" wird in einem engeren und in einem weiteren Sinn gebraucht, je nachdem ob damit die verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ordnung des Wirtschaftslebens oder das Insgesamt der Rechtssätze, die Organisation und Ablauf des wirtschaftlichen Prozesses grundlegend und dauernd bestimmen, ohne Rücksicht auf ihren Rang als Verfassungs- oder Gesetzesrecht, gemeint sind. Der weitere Begriff der Wirtschaftsverfassung ist unter dem Blickwinkel des betroffenen Gegenstandes, der Wirtschaft, gebildet und orientiert sich demnach daran, welche Rechtssätze und Rechtsinstitute für die reale Ordnung des Wirtschaftens prinzipiell bedeutsam und kennzeichnend sind. In diesem von einer metarechtlichen Fragestellung bestimmten Sinne umfaßt das Wirtschaftsverfassungsrecht unter anderem das AktienG vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das G gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957, jetzt i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. September 1980 (BGBl. I S. 1761) und das G zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabilitätsG) vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 582). a) Die „ Wirtschaftsverfassung" des Grundgesetzes: Der engere Begriff der Wirtschaftsverfassung wirft die Frage auf, welche Regelungen das GG, das im Unterschied zur WRV und zu einigen älteren Landesverfassungen (insbesondere Bayern, Hessen) ausdrücklicher und zu einer äußeren Einheit zusammengefaßter Bestimmungen über das Wirtschaftsleben entbehrt, über die Aufgaben und Befugnisse des Staates zur Ordnung und Beeinflussung des wirtschaftlichen Prozesses trifft, und ob die getroffenen Regelungen sich zu einer besonderen „Wirtschaftsverfassung" des GG zusammenfügen. Die Kernfrage der Auseinandersetzungen über die „Wirtschaftsverfassung" des GG ist, welche Grenzen die Verfassung der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung setzt. Weder die These Nipperdeys von der verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der „sozialen Marktwirtschaft", die in erster Linie auf der sehr angreifbaren Annahme einer Gewährleistung der Institutionen des Wettbewerbs und der Gewerbefreiheit durch die Freiheitsrechte der Art. 2 I und 12 I GG beruht, noch die polemisch gegen eine Absicherung der ordoliberalen Wirtschaftspolitik durch einseitige Verfassungsauslegung gerichtete These Herbert Krügers, daß der Staat zwar nach Maßgabe der Verfassung okkasionell und pragmatisch in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, sich dabei aber nicht auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem festlegen dürfe, weil dem die relativistische Grundlinie der Demokratie entgegenstehe, haben sich durchzusetzen vermocht. Die These Ernst Rudolf Hubers von der „gemischten Wirtschaftsverfassung" sieht im GG ein spannungsvolles Gleichgewicht und einen durchdachten Ausgleich von grundrechtlichen Wirtschaftsfreiheiten und unterschiedlichen Sozialbindungen, die der Gesetzgeber unter Ausnutzung der Gesetzesvorbehalte durch seine gesamtwirtschaftliche Gestaltungsmacht verwirklichen dürfe, garantiert. Die durch die im GG rezipierte Verfassungsidee des sozialen Rechtsstaates verfassungsrechtlich verankerte Verantwortung des Staates für die Herstel297
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lung und Wahrung der sozialen Gerechtigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft 34 und die zur fortdauernden Verwirklichung dieses Staatsziels und seiner Verheißungen durch evolutionäre Sozialgestaltung unabdingbare Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers finden in der die Praxis des BVerfG seit dem Urteil zum InvestitionshilfeG beherrschenden These von der „wirtschaftspolitischen Neutralität" des GG ihre sachgerechte Berücksichtigung35. Das GG ist danach in dem Sinn neutral, daß der Gesetzgeber jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen darf, sofern er dabei die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, den sozialstaatlichen Auftrag, die rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätze und die grundrechtlichen Gewährleistungen beachtet. Dem Gesetzgeber und, nach Maßgabe der gesetzlichen Ermächtigung, der normativ handelnden Exekutive kommen im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung Gestaltungsfreiheit zu. Das Grundgesetz läßt in der Bestimmung wirtschaftspolitischer Ziele und der zu ihrer Verfolgung geeigneten Maßnahmen einen Beurteilungs- und Handlungsspielraum, innerhalb dessen das freie Spiel der Kräfte auch durch wirtschaftspolitische Lenkungsmaßnahmen korrigiert werden darf 36 . Die etwas mißverständliche Formel von der wirtschaftspolitischen „Neutralität" des Grundgesetzes betont die Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers, darf aber angesichts der verfassungsrechtlichen Bindungen nicht als wirtschaftsverfassungsrechtliche Inhalts- oder Entscheidungslosigkeit des Grundgesetzes verstanden werden. Das Grundgesetz enthält Festlegungen, Garantien, Rechte und Freiheiten mit wirtschaftsverfassungsrechtlicher Tragweite, so in der Berufsfreiheit, in der Eigentumsgarantie und in der Koalitionsfreiheit, es zeigt aber eine deutliche Zurückhaltung in Fragen der Wirtschaftsordnung und -gestaltung. Der Sozialstaatssatz hebt die Verantwortung des Staates für die soziale Gerechtigkeit als eine vordringliche\Staatsaufgabe hervor und gibt damit der Gesetzgebung, mit der dieser Aufgabe durch Schutz, Leistungen und Sozialgestaltung nachgekommen wird, eine ausdrückliche verfassungsrechtliche „Legitimation". Vorsorge und Fürsorge, Schutz und Ausgleich zugunsten derjenigen, die durch Benachteiligung, Abhängigkeit oder sonstige Behinderung die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein nicht selbst zu sichern vermögen oder sonst eines besonderen Schutzes für ihre per34
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E. Forsthoff / O. Bachof W D S t R L 12 (1954), S. 8ff., 37ff.; E. R. Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 249; W. Weber, Staat 4 (1965), S. 409; Badura, DÖV 1968, 446; ders., SGb 1980, 1; E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Fs. f. A. Arndt, 1969, S. 53; Barion, DÖV 70, 15; K. Stern, Staatsrecht, I, 2. Aufl., 1984, § 21; H. F. Zacher, in: Fs. f. H. P. Ipsen, 1977, S. 207; ders., HbStR, Bd. I, 1987, § 25; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 737; J. Isensee, in: Fs. f. Johannes Broermann, 1982, S. 365. BVerfGE 4, 7/17f.; 7, 377/400; 12, 341/347; 14, 19/23; 14, 263/275; 22, 180/204; 26, 16/37; 27, 253/283; 32, 273; 50, 290/336 ff. BVerfGE 53, 135/145.
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sönliche und soziale Entfaltung bedürfen, sind danach staatliche Verpflichtung 37 . Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG) mit Hilfe des Sozialstaatssatzes verstärkt 38 und ebenso kraft dieses Verfassungssatzes eine teilhaberechtliche Ergänzung grundrechtlicher Garantien zur Sicherung der Bedingungen von Freiheitsrechten angedeutet 39 . Der Sozialstaatssatz betrifft jedoch nicht nur den Ausgleich von Schutz- und Hilfsbedürftigkeit und die Sicherung sozialer Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch die gesellschaftspolitische Gesetzgebung im Bereich der Wirtschaftsund Arbeitsverfassung. So ist es „für das ganze Volk von entscheidender Bedeutung" und gehört es „zu der dem Staat obliegenden, ihm durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit vom Grundgesetz auch besonders aufgegebenen Daseinsvorsorge", daß „die Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und der Mangel an Arbeitskräften auf der anderen Seite gemindert und behoben werden" 40 . In der Verfolgung der sozialstaatlichen Ziele bleibt allerdings die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und ebenso die Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze, Rechte und Freiheiten der Verfassung bestehen. Die Verfassung birgt nicht eine bestimmte, durch Gesetz nur zu konkretisierende „Wirtschaftsverfassung". b) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht"; Stabilitätsgesetz: Da das Grundgesetz den Gesetzgeber auf das sozialstaatliche Verfassungsprogramm verpflichtet hat und so Ziel und Richtung der Wirtschaftspolitik der gesetzgeberischen Disposition entzieht, kann sich der Grundsatz der „wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes nur auf die Art und Weise der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, auf die Mittel der Wirtschaftspolitik beziehen 41 . Hinsichtlich dieser Mittel hat die Neufassung des Art. 109 G G durch das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 581) insofern eine Verdeutlichung des Wirtschaftsverfassungsrechts bewirkt, als mit der Festlegung der staatlichen Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" das an sich bereits vom Sozialstaatssatz umfaßte Mandat zur Konjunktur- und Wachstumspolitik ausdrücklich bekräftigt wird. Die Bedeutung des Art. 109 G G erschöpft sich nicht in der konjunkturpolitischen Einbindung der Haushaltsund Finanzpolitik, in der sozialstaatlich bedingten Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur und in der Ausrichtung der kommunalen Finanzhoheit an den konjunkturpolitischen Erfordernissen. Folgerichtig greift das auf-
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BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
35, 42, 33, 21, 22,
202/236; 35, 348/355; 40, 121/133; 44, 353/375. 176 u.ö. 303/331. - P. Badura, Staat 14 (1975), S. 17, 32ff. 245/251. 180.
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grund Art. 109 GG erlassene Stabilitätsgesetz über den haushalts- und finanzwirtschaftlichen Finanzauftrag hinaus. Es bindet Bund und Länder nicht nur bei ihren finanziellen, sondern auch bei ihren wirtschaftspolitischen Maßnahmen an die in Art. 109 GG nur in einer Generalklausel ausgedrückten, in § 1 StabG genauer angegebenen Grundsätze der Konjunktur- und Wachstumspolitik. Diese Grundsätze, wie auch die zugrunde liegende Generalklausel des Verfassungsrechts, bilden eine Direktive für Parlament und Regierung, sind aber nicht eine Grundlage für individuelle Ansprüche. Das Stabilitätsgesetz trifft vor allem eine Anzahl von Vorkehrungen zur Vorbereitung und Unterstützung konjunkturpolitischer Maßnahmen. Es verpflichtet die Bundesregierung zur Vorlage eines Jahreswirtschaftsberichtes (§ 2)43 und zur Aufstellung von Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten („konzertierte Aktion") der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Wahrung der Ziele des § 1 (§ 3) und zur Vorlage zweijähriger Subventionsberichte (§ 12 Abs. 2)44. Bund und Länder werden zu einer fünfjährigen Finanzplanung verpflichtet (§§ 9, 10, 14 StabG; §§ 50ff. HGrG) 45 . Zu den im Stabilitätsgesetz vorgesehenen Maßnahmen einer antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik gehören die Manipulierung der haushaltswirtschaftlichen Ausgaben mit Hilfe von Konjunkturausgleichsrücklagen und Kreditaufnahmen (§§ 5-8, 13, 14, 15), Kreditlimitierungen zu Lasten der öffentlichen Haushalte (§§ 19 ff.) und Veränderungen des Steuersatzes der Einkommen- und der Körperschaftsteuer im Wege der Rechtsverordnung (§§ 26 Nr. 3, 27). c) Das europäische Wirtschaftsrecht: Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung werden in zunehmendem Maße auch durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften und die politischen und administrativen Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane bestimmt46. Der europäische Gemeinsame Markt 42
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Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; K. Stern / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., 1973; R. Schmidt, Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971; U. Scheuner, in: Fs. f. Hans Schäfer, 1975, S. 109; P. Badura, in: Fs. f. H. P. Ipsen, 1977, S. 367. Jahreswirtschaftsbericht 1988 der BReg, BTag Drucks. 11/1733 - Dazu: Jahresgutachten 1987/88 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BTag Drucks. 11/1317. Bericht der BReg über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1985 bis 1988 (Elfter Subventionsbericht), BTag Drucks. 11/1338. Zuerst: Beschluß der BReg vom 6. 7. 1968 über die Finanzplanung des Bundes bis 1971 (Bulletin 1968, Nr. 73); zuletzt: Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991, BTag Drucks. 11/701.- W. Graf Vitzthum, Parlament und Planung, 1978, S. 164ff. Über Recht und Praxis der Europ. Gemeinschaften unterrichten die halbjährigen Berichte der BReg über die Integration in den Europ. Gemeinschaften, zuletzt für April 1987 bis September 1987, BTag Drucks. 11/1712. - E. Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 1983ff.; Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl. 1983.
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beruht nicht nur auf einer Zollunion, in der die Beschränkungen des Handelsverkehrs durch Zölle und Kontigente zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit des Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs hergestellt werden und eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittstaaten stattfindet. Er beruht darüber hinaus auf einer Wirtschaftsunion, in der selbständige Gemeinschaftsorgane mit eigenen wirtschaftspolitischen und wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Aufgaben und Befugnissen bestehen, in der die nicht den Gemeinschaftsorganen zugewiesenen Funktionen der nationalen Wirtschaftspolitiken koordiniert werden, in der die Gemeinschaftsorgane supranationale Befugnisse der Rechtsetzung und der Rechtsverwirklichung besitzen und in der eine Vereinheitlichung des für den wirtschaftlichen Prozeß wesentlichen nationalen Rechts, insbes. des Wirtschafts- und Steuerrechts, angestrebt wird. Die Rechtsfragen und Materien des europäischen Wirtschaftsrechts haben sich seit längerem zu einem eigenen Rechtsgebiet entwickelt, dessen Darstellung hier unterbleiben muß. 3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sichert die Entscheidungsvollmacht des parlamentarischen Gesetzgebers für alle die Regelungen und Maßnahmen auf dem Gebiete der Wirtschaftsverwaltung, durch die individuelle Rechte oder Pflichten begründet oder sonst gestaltet werden. In dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt liegt zugleich die Garantie der gesetzmäßigen Freiheit des einzelnen 47 . Der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte Grundsatz, daß alle für die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten des einzelnen „wesentlichen" Regelungen durch Gesetz zu treffen sind 48 , bestärkt - von anderen Folgerungen abgesehen - die rechtsstaatliche Anforderung, daß ein Gesetz, das zu Eingriffen der Verwaltung in Freiheit und Eigentum ermächtigt oder sonst grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen oder Wirkungen zur Folge haben kann, den Handlungsbereich der Exekutive hinreichend bestimmt abgrenzen muß. Der Vorrang des Gesetzes bedeutet für die Wirtschaftspolitik und auch sonst nicht, daß die Funktion der Regierung praktisch oder dem Prinzip nach schlechthin in Abhängigkeit von der parlamentarischen Entscheidung und der Gesetzgebung zu sehen wäre. Die im Rahmen des parlamentarischen Re47
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D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961; H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965; K. Vogel / R. Herzog, VVDStRL 24, 1966, S. 125, 183; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968; Chr. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970; U. Scheuner, DÖV 1969, 565; ders. in: Gedächtnisschrift für René Marcie, 1974, S. 889; H.-J. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, 1973. BVerfGE 33, 125; 34, 304; 40, 237/248ff.; 41, 251/259f.; 45, 400/417f.; 47, 46/78f.; 49, 89/124ff. 301
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gierungssystems bestehende selbständige Initiative und Entscheidungsaufgabe der Regierung, d. h. insbes. der Regierungschefs und der zuständigen Ressortminister in Bund und Ländern, hat in der Wirtschaftspolitik ein besonderes Gewicht. Auf die verfassungsrechtliche Grundbeziehung zwischen Parlament und Regierung kommt es nicht zuletzt für die in die politische Planung (Aufgabenplanung) eingebettete Wirtschaftsplanung an49. Wirtschaftsplanung bedeutet planmäßige Wirtschaftslenkung durch verbindliche oder mittelbar wirksame Planungsakte staatlicher Organe. Die Wirtschaftsplanung schlägt in Planwirtschaft um, wenn der Staat selbst wirtschaftet oder den gesamten Wirtschaftsprozeß durch mittelbar wirkende oder verbindlich ordnende Planungsakte steuert, ein privat- und marktwirtschaftliches Gegenüber des Staatshandelns also nicht mehr vorhanden ist. Der für die wohlfahrtsstaatliche Sozialgestaltung charakteristische instrumentale Charakter des Gesetzes tritt im Bereich der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung besonders deutlich zutage. Das „Maßnahme-Gesetz"50 stellt nicht, wie das verwaltungsrechtliche Gesetz des liberalen Staates, in auf dauerhafte Geltung angelegter Abstraktheit der Exekutive Ermächtigungen zum „Vollzug" im Einzelfall zur Verfügung, sondern greift als situationsbezogene normative Aktion selbst intervenierend und gestaltend in einen Sozialbereich ein, um in ihm einen gewünschten Zustand herzustellen oder zu erhalten. Die Charakterisierung eines Gesetzes als „Maßnahme-Gesetz" führt zu keinen spezifischen verfassungsrechtlichen Maßstäben51. Das „Plan-Gesetz" legt für eine bestimmte Sachaufgabe und für einen bestimmten Zeitraum das Ziel und die Mittel der Aufgabenerfüllung fest52. Das „Richtlinien-Gesetz" normiert ein bestimmtes politisches Programm durch Abwägungsgrundsätze, die für das einschlägige Handeln der Exekutive, aber auch der künftigen Gesetzgebung verbindlich sein sollen53. Das in der Gesetzgebung insgesamt zu beobachtende Bedürfnis, technische, untergeordnete und situationsbezogene Regelungen durch eine Delegation der Verordnungsgewalt der Exekutive zu überlassen, macht sich im Bereich der Wirtschaftspolitik und auch sonst in Gestalt von gesetzlichen Ermächtigungen oder „Ermächtigungs-Gesetzen" geltend. Die Rechtsverord-
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J. H. Kaiser(Hrsg.), Planung I - V I I , 1965ff.; U. Scheuner, in: Fs. f. Werner Weber, 1974, S. 369; W. Graf Vitzthum, Parlament und Planung, 1978; E.-H. Ritter, Staat 19(1980), S. 413. Beispiele: Investitionshilfegesetz vom 7. 1. 1952 (BGBl. I S. 7); MitbestimmungsÄnderungsgesetz vom 27. 4. 1967 (BGBl. I S. 505). - H. P. Ipsen, AöR 78, 1953, S. 284; E. Forsthoff, in: Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 221; K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz, 1963; E. R. Huber, in: ders., Bewahrung und Wandlung, 1975, S. 215, 265 ff. BVerfGE 4, 7; 25, 371. P. Badura, in: Fs. für Hans Huber, 1981, S. 15. Beispiele: Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform vom 24. 6. 1948 (WiGBl. S. 17); § 1 StabG.
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nung ist ein Regelungsinstrument der Exekutive, mit der diese auf Grund Gesetzes, aber mit einer selbständigen Vollmacht normativen Ermessens, zu raschem, flexiblem und von spezialisiertem Sachverstand geleitetem Handeln im Wege der Rechtsetzung befähigt ist54. Derartige Ermächtigungen sind im Bereich der Wirtschaftsverwaltung häufig Generalklauseln mit der Einräumung eines weitgespannten Spielraums normativer Gestaltung, wie z.B. in § 2 Abs. 1 PreisG und in § 7 EnergiewirtschaftsG. Sie sind mit dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) vereinbar, wenn die Eigenart des geregelten Gegenstands eine genauere Substantiierung im Gesetz Eigenart des geregelten Gegenstands eine genauere Substantiierung im Gesetz selbst ausschließt und die mit Hilfe von Zweck und Regelungszusammenhang des Gesetzes auszulegende Ermächtigungs-Generalklausel Programm, Tendenz und Reichweite der durch sie zugelassenen exekutivischen Rechtsetzung erkennen läßt55. Zum Unterschied von den Rechtsverordnungen sind Verwaltungsvorschriften keine Rechtssätze. Die verwaltungsinterne Regelungsvollmacht der Exekutive spielt im Bereich der zu Ermessensentscheidungen ermächtigten oder mit politischer Gestaltungsfreiheit ausgestatteten Wirtschaftsverwaltung eine bedeutende Rolle, besonders in der Erscheinungsform der Subventionsrichtlinien. Die Zuständigkeiten zur wirtschaftspolitischen Gesetzgebung liegen umfassend in der Hand des Bundes, entsprechend der Notwendigkeit, die Wirtschaftseinheit innerhalb der Bundesrepublik zu wahren (vgl. Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG). Die z. T. sehr ausführlichen Bestimmungen einiger Landesverfassungen über das Wirtschaftsleben (insbes. Art. 151 ff. BayVerf; Art. 27 ff. HessVerf) sind dadurch weitgehend bedeutungslos56. Der Bund besitzt für einzelne Bereiche teils ausschließliche (Art. 73 Nr. 4, 5, 6, 9 GG), teils konkurrierende (Art. 74 Nr. 1, I I a , 15, 16, 17, 18, 20 GG) Zuständigkeiten sowie allgemein für das „Recht der Wirtschaft" (Art. 74 Nr. 11 GG) die konkurrierende Kompetenz zur Gesetzgebung. Zur Materie „Recht der Wirtschaft", die im weiten Sinn zu verstehen ist und durch die in dem Klammerzusatz angegebenen Gegenstände nur beispielhaft erläutert wird, gehören Gesetze, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen, alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnde Normen, die sich in irgendeiner Weise auf die berufliche Tätigkeit oder die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs bezie54
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E. Friesenhahn, in: Fs Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich, 1968, S. 103; D. Wilke, AöR 98, 1973, S. 196; M. Lepa, AöR 105, 1980, S. 337; F. Ossenbühl, in: Fs. für Hans Huber, 1981, S. 283; P. Badura, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 25. - BVerwGE 70, 318. BVerfGE 8, 274/311; 20, 257; 28, 66; 33, 358; 34, 52; 42, 191; 58, 283.- Hasskarl, AöR 94, 1969, S. 85. Böckenförde / Grawert, DÖV 1971, 119; H.-J. Papier, in: Chr. Starck / K. Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, 1983, Bd. III, S. 319. 303
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hen . Zu dieser Materie zählen auch wirtschaftslenkende Ausgleichsabgaben, z. B. im Rahmen einer Marktordnung, sowie sonstige wirtschaftslenkende Sonderabgaben 58 . 4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung und die Tätigkeit der zur Wirtschaftsverwaltung zuständigen Behörden im Einzelfall finden in den Grundrechten direktive Gebundenheit und normative Begrenzung. Der Grundrechtsschutz der selbständigen Unternehmertätigkeit ist auf eine Anzahl von Grundrechtsverbürgungen mit unterschiedlichen Inhalten und Gesetzesvorbehalten verstreut. Neben den Basisfreiheiten des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG), des Eigentums (Art. 14 GG) und der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) einschließlich der Vertragsfreiheit 59 gehören hierzu auch die wirtschaftliche Assoziationsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), die für das Gesellschaftsrecht und das Recht der Wirtschaftsverbände maßgebend ist, und die wirtschaftliche Freizügigkeit (Art. 11 GG). a) Unternehmensfreiheit; Grundsätze der willkürfreien Sachgerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit: Aus Art. 2 I G G ist als besondere Konkretisierung der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit neben der Vertragsfreiheit die Freiheit selbstverantwortlicher unternehmerischer Disposition entwikkelt worden, durch die die unternehmerischen Entscheidungen über die Art und Weise, in der auf den Unternehmenserfolg hingearbeitet werden soll, über den Einsatz der Betriebs- und Investitionsmittel und das Verhalten des Unternehmens im marktwirtschaftlichen Wettbewerb („Wettbewerbsfreiheit") einen eigengearteten grundrechtlichen Schutz gegenüber wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Geboten, Verboten und Verpflichtungen erfahren 60 . Der Schutz dieser durch das schwächere Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit umschlossenen Unternehmensfreiheit kommt nur zum Zuge, soweit nicht die spezielleren Gewährleistungen der Berufsfreiheit oder der Ei57
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BVerfGE 4, 7 / 1 3 ; 5, 25/28f.; 8, 143/148f.; 26, 246; 28, 119; 41, 344 ; 68, 319. H.-W. Rengeling, BK. Art. 74 Nr. 11, Zweitbearb. 1983. BVerfGE 4, 7 / 1 3 f f . ; 18, 315/328; 37, l / 1 6 f . ; 55, 274 mit Anm. R. Stettner, DVB1. 1981, 375 und L. Osterloh, JuS 1982, 421; 57, 139; 67, 256 mit Anm. P. Kirchhof, ZIP 1984, 1423 und J. Hofmann, DVB1. 1986, 537; BVerwG DVB1. 1984, 1175. BVerfGE 8, 274/328f.; L. Raiser, JZ 1958, 1; ders., in: Hundert Jahre Dt. Rechtsleben, 1960, Bd. I, S. 101; H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974. BVerfGE 4, 7 / 1 5 f . ; 12, 341/347f.; 29, 260/266f.; 65, 196/210; BVerwGE 30, 191; Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965, S. 29ff.; H.-P. Ipsen, in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung II, 1966, S. 63, 93 ff.; H„ P. Ipsen, AöR 90 (1965), S. 393,. 430ff.; R. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981; H.-J. Papier, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Art. 14, RdnNrn. 214ff.
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gentumsgarantie einschlägig sind. Die hier in Betracht kommenden Abgrenzungen sind noch nicht hinreichend geklärt. Sie können nicht nur von einem sozusagen vorweg definierten Schutzbereich der einzelnen Grundrechtsbestimmungen aus vorgenommen werden, sondern müssen sich auch an Ziel und Wirkung der zu beurteilenden gesetzlichen Regelung orientieren. So ist im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb Bestandteil ihrer Berufsausübung und demnach von Art. 12 I GG erfaßt, soweit es berufsspezifisch geregelt wird61. Die unternehmerische Nutzung von Eigentum hingegen genießt den Schutz des Art. 14 GG, soweit der zu betrachtende Eingriff eine Schmälerung oder Beeinträchtigung gerade der bestehenden Vermögenswerten Rechte bewirkt62. Jedes Gesetz, das Inhalt und Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit oder irgend eines anderen Grundrechts bestimmt, muß mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) und mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. Diese beiden Verfassungsgrundsätze sind gerade für die sozialgestaltenden Rechtssätze des ordnenden und lenkenden Wirtschaftsgesetzgebers die ausschlaggebenden Maßstäbe. Eine gesetzliche Regelung verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn sie eine sachlich nicht gerechtfertigte, „willkürliche" Differenzierung oder Nichtdifferenzierung von Sachverhalten oder Personengruppen bewirkt, d. h. wenn sie ohne vernünftige, sich aus der Natur der Sache ergebende oder sonst sachlich einleuchtende Gründe gleiche Tatbestände ungleich oder ungleiche Tatbestände gleich behandelt und die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung evident ist63. Die Beurteilung einer Regelung als „willkürlich" bezieht sich nicht auf die Motive oder sonstige subjektive Beweggründe der an der gesetzgeberischen Entscheidung beteiligten Personen, sondern auf die tatsächliche und eindeutige, „objektive" Unangemessenheit einer Norm im Verhältnis zu der Sachlage, für die eine Regelung getroffen wird 64. Eine Regelung ist dann nicht willkürlich, wenn die durch sie bewirkte Unterscheidung oder Gleichsetzung durch einen sachlichen Grund des öffentlichen Interesses von hinreichendem Gewicht gerechtfertigt ist, wobei es zuerst Sache des Gesetzgebers ist, das öffentliche Interesse für den betroffenen Sachbereich zu definieren und die sachlich in Betracht kommenden Regelungsbedürfnisse zu bestimmen. Empirisch erhebbare Sachgegebenheiten sind Voraussetzung und Grundlage der wertenden Entscheidung des Gesetzgebers, ergeben aber nicht notwendig in Verbindung mit den durch die Verfassung normierten Bindun61 62
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BVerfGE 32, 311/317; 50, 290/361 ff.; BVerfG NJW 1978, 313. Auf dieser Linie sieht Scheuner, in: ders. (Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 50 f., die „unternehmerische Direktions- und Leitungsbefugnis" in Art. 14 G G garantiert. BVerfGE 1, 14/52; 19, 101/115; 19, 354/367 f.; 26, 172/185; 28, 227; 30, 59; 38, 187; 38, 213; 39, 316.-//. H. Rupp, in: Fg. für das BVerfG, 1976, II, S. 364; K. Hesse, AöR 109, 1984, S. 174. BVerfGE 2, 2 6 6 / 2 8 1 ; 4, 144/155; 42, 6 4 / 7 3 ; 51, l / 2 6 f . 305
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gen der Gesetzgebung eine strikte Festlegung der Legislative für eine bestimmte gesetzliche Regelung, die aus der Verfassung mit juristischen Mitteln allein deduzierbar wäre. Das Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als Willkürverbot (Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit) geht auf die Weimarer Zeit zurück. Es gibt dem wirtschaftslenkenden Gesetzgeber, dessen Intention gerade die aus wirtschafts-, sozial- oder gesellschaftspolitischen Gründen gebotene Gestaltung, d. h. differenzierende Veränderung der Wirtschaftsstruktur oder der Wettbewerbsverhältnisse ist, erheblichen Spielraum 65 . Beispielsweise ist es ein legitimes Mittel staatlicher Wirtschaftspolitik, einen gewissen Ausgleich zwischen schwächeren und leistungsfähigeren Mitgliedern einer Gruppe zu Lasten der zweiten herbeizuführen 66 . Berührt die nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beurteilende Regelung zugleich andere Verfassungsgüter, z. B. den Sozialstaatssatz oder grundrechtliche Positionen und Gewährleistungen, so sind dem Gestaltungsraum engere Grenzen gezogen als die allein aus dem Willkürverbot hervorgehenden 67 . Die neuere Praxis des Bundesverfassungsgerichts hat den Prüfungsmaßstab bei der Betroffenheit verschiedener Personengruppen spezifischer als Gleichbehandlungsgebot gefaßt und das Grundrecht dann als verletzt angesehen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten 68 . Es ist nicht sicher, ob damit eine erhöhte Kontrolldichte in dem Sinne angezeigt wird, daß die verfassungsgerichtliche Prüfung auf die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erstreckt wird69. Der allgemeine Gleichheitssatz bindet Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch eine gerichtliche Entscheidung, die unter Berücksichtigung des das Grundgesetz beherrschenden Gedankens nicht mehr verständlich ist, so daß sich der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen, verletzt das Willkürverbot 70 . Für die gesetzesfrei durch und auf Grund von Verwaltungsvorschriften tätige Wirtschaftsverwaltung führt der allgemeine Gleichheitssatz zu einer quasinprmativen Bindung durch das Gebot der Gleichbehandlung und den 65 66
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H. Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, 1924, S. 26 ff. BVerfGE 4, 7/18 f., 24; 12, 354/367; 17, 210/216 f.; 18, 315/331 f., 340; 19, 101; 21, 160; 25, 1/12, 17; 30, 250/270 f.; 30, 292/317, 319; 33, 171/189 f.; 36, 321/ 330 ff.; 40, 109 BVerfGE 19, 101/114; 21, 292/299; 23, 50/59 f.; 37, 1/28 ff. BVerfGE 37, 342/353 f.; 44, 263/389 f.; 60, 123/134; 62, 256/274. - H. Zacher, AÖR93, 1968, S. 341. So die Abw. Meinung Katzenstein zu dem Beschluß vom 18.11.1986 - 1 BvL 29/83 u.a. - ; siehe jedoch K. Hesse, AöR 109, 1984, S. 174/191; ders., Grundzüge, 15. Aufl., 1985, S. 170. BVerfGE 62, 189; 67, 90; 70, 93.
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rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz und zur Begründung von Rechten und Pflichten der Verwaltungsunterworfenen71 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein verfassungsrechtliches Kriterium für Art und Ausmaß zulässiger Beschränkungen des Grundrechtsbereichs. Das verfolgte wirtschaftspolitische Ziel muß ein hinreichendes Gewicht haben, und die erfolgte Freiheitsbeeinträchtigung muß geeignet und erforderlich sein, um das wirtschaftspolitische Ziel zu verwirklichen72. Der einzelne muß vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt bewahrt bleiben. Es verstößt beispielsweise gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn für eine Erlaubnis Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in keinem Bezug zu der geplanten Tätigkeit stehen. Ist ein gesetzlicher Eingriff unerläßlich, so müssen die Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein und dürfen den einzelnen nicht übermäßig belasten73. Soweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein hinreichendes Gewicht für das mit einer gesetzlichen Regelung verfolgte Ziel fordert, ist er mit dem Maßstab der willkürfreien Sachgerechtigkeit verknüpft. Auch soweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage erfahrbarer tatsächlicher Gegebenheiten eine vernünftige Relation zwischen Ziel und Mittel sicherstellen will — auf diese Anforderung der Proportionalität wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, seiner verwaltungsrechtlichen Herkunft entsprechend, oft beschränkt —, stellt er als Maßstab der Gesetzgebung weniger einen subsumtionsfähigen Rechtssatz dar, aus dem allein mit juristischen Mitteln eine bestimmte Rechtsfolge abgeleitet werden könnte, als eine Richtlinie für die der politischen Entscheidung zugrundezulegende Abwägung. Nichts anderes gilt für die „Geeignetheit" oder „Zwecktauglichkeit" einer wirtschaftspolitischen Maßnahme. Dem Gesetzgeber steht für die Beurteilung der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes ein weiter Spielraum zu; nur ein Gesetz, das zur Erreichung seines Zweckes „schlechthin untauglich" ist, verletzt rechtsstaatliche Grundsätze. Eine gesetzliche Maßnahme ist nicht allein deswegen verfassungswidrig, weil sich nachträglich herausstellt, daß sie auf einer Fehlprognose beruht. Es kommt darauf an, ob die Prognose sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung orientiert hatte. Bei „komplexen Sachverhalten" ist dem Gesetzgeber eine angemessene Zeit zum Sammeln von Erfahrungen zu konzedieren. Außerhalb verfassungsrechtlicher Maßstäbe liegt es, ob auch andere Maßnahmen zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zieles möglich und besser geeignet gewesen wären74. 71
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BVerwGE 34, 278; 35, 159.- F. Ossenbühl, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, §7 IV. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; Zippelius, DVB1. 1956, 533; Grabitz, AöR 98 (1972), S. 568. - BVerfGE 21, 150; 27, 344/352f.; 30, 292/315f.; 33, 171/186ff.; 37, 1; 40, 198/222ff. BVerfGE 55, 159/165 (Falknerjagdschein). BVerfGE 29, 402; 30, 250; 33, 171/181 f.; 36, 66; 40, 198/222f.; 50, 290/331ff.; 71,206/215f.- F.Ossenbühl, in: Fg. BVerfG, 1976, I, S.458; P. Badura, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 321. 307
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b) Berufsfreiheit: Art. 12 I GG schützt das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit, das Recht, eine frei gewählte und frei ausgeübte Tätigkeit zur Grundlage der Lebensführung und Daseinsgestaltung zu machen. Das Grundrecht wendet sich gegen unverhältnismäßige und nicht in der Sache begründete Einschränkungen der beruflichen Betätigung durch die öffentliche Gewalt. Es garantiert „die Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, das heißt zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen und damit seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung selbst zu bestimmen", es sichert „die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit"75. Zu dem Gewährleistungsinhalt des Grundrechts gehört auch eine auf die Privatrechtsbeziehungen des Wirtschafts- und Arbeitslebens gerichtete Schutzpflicht des Staates, die sich allerdings grundsätzlich nur an den Gesetzgeber wendet. Der „personale Grundzug" der Berufsfreiheit schließt das unternehmerische Handeln und die Wirtschaftstätigkeit juristischer Personen zur Verfolgung des Unternehmenszwecks nicht von der Gewährleistung aus; als „Unternehmensfreiheit" ist die freie Gründung und Führung von Unternehmen geschützt. Schutzgut des Art. 12 GG ist bei juristischen Personen die Freiheit, eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbes. ein Gewerbe zu betreiben, soweit diese Tätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann76. Bestandteil der durch Art. 12 I GG geschützten freien unternehmerischen Betätigung ist auch das Verhalten des Unternehmers im wirtschaftlichen Wettbewerb77. Der Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers wird allerdings davon beeinflußt, ob personal bestimmte Erscheinungsformen der Berufstätigkeit oder Unternehmenstätigkeiten mit mehr oder minder großem sozialem Bezug betroffen sind78. Art. 12 I gewährleistet neben der Berufsfreiheit die konnexen Rechte der freien Wahl des Arbeitsplatzes79 und der Ausbildungsstätte80. Die selbständige Nennung von Wahl und Ausübung des Berufes betrifft lediglich die unterschiedliche Reichweite der zulässigen gesetzlichen Regelung beruflicher Tätigkeit. Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 12 GG erstreckt sich daher nicht nur auf die Ausübung, sondern auch auf die Wahl eines Berufes, kann in bezug auf diese aber nur unter erschwerten Voraussetzungen durch Gesetz ausgenutzt werden. Die denkbaren „Stufen", auf denen der Gesetzgeber die Berufsfreiheit regeln kann, unterscheiden sich nach dem Maß der durch sie bewirkten Freiheitsbeeinträchtigung und sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszuwählen; verhältnismäßig ist nur der geringste zur Erreichung des wirtschaftspolitischen Ziels ausreichende Eingriff. 75
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BVerfGE 30, 292/334, 335. - R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983; P. J. Tettinger, AöR 108 (1983), S. 92. BVerfGE 65, 196/209f. BVerwGE 71, 183/189 f. BVerfGE 50, 290/362 ff. BAG NJW 1962, 1981; BAG NJW 1964, 568; BVerwGE 30, 65; 42, 296. BVerfGE 33, 303; 37, 104.
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Die Regelungsstufen reichen von der bloßen Ordnung der Berufsausübung bis zur Beschränkung der Berufswahl durch subjektive oder gar objektive Zulassungsvoraussetzungen 81 . Diese „Stufen" sind Anhaltspunkte der Interpretation und dürfen nicht mit mechanischem Konstruktivismus verwandt werden. Es gibt Regelungen der Berufsausübung, die eine derart einschneidende Wirkung haben, daß sie einer Beschränkung der Berufswahl nahekommen 82 . Ebenso können subjektive Zulassungsvoraussetzungen ihrer Wirkung nach objektiven Zulassungsvoraussetzungen gleichkommen 83 . Eine Regelung der Berufsausübung kommt nur dann in ihrer wirtschaftlichen Wirkung einer Zulassungsbeschränkung nahe — und beeinträchtigt damit die Freiheit der Berufswahl —, wenn die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, den gewählten Beruf ganz oder teilweise zur Grundlage ihrer Lebensführung oder — bei juristischen Personen — zur Grundlage ihrer unternehmerischen Erwerbstätigkeit zu machen 84 . Der sachliche Schutzbereich der Berufsfreiheit wird durch den Begriff des Berufes bestimmt. Beruf ist jede erlaubte 85 , für eine bestimmte Dauer und nicht nur vorübergehend ausgeübte Betätigung, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient, sei es als selbständiger Unternehmer oder sonst Berufstätiger („freier B e r u f ) , sei es in abhängiger Arbeit. Da das Grundrecht die freie Disposition darüber gewährleistet, durch welche berufliche Betätigung die materielle Daseinssicherung angestrebt wird, ist „ B e r u f nicht nur die einem sozial geprägten oder überkommenen „Berufsbild" entsprechende Erwerbstätigkeit 86 . Andererseits darf der Gesetzgeber unter Wahrung der freiheitsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts in ausgestaltender und auch beschränkender Regelung typisierend Berufsbilder festlegen. Durch das Grundrecht geschützte Berufe sind auch die nur im Staatsdienst möglichen Beschäftigungen und die dem Staat oder einem sonstigen Verwaltungsträger vorbehaltenen Wirtschafts- oder Berufstätigkeiten, wie z. B. die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung. Deshalb unterliegt sowohl die Monopolisierung einer Tätigkeit zugunsten des Staates, d. h. die Errichtung oder Beibehaltung eines Verwaltungsmonopols, als auch die Ausgestaltung der monopolisierten Tätigkeiten durch das Gesetz den Grundsätzen des Art. 12 I GG, wenngleich nach dem Grundgedanken des Art. 33 IV G G die Eigenart der in Anspruch genommenen öffentlichen Aufgaben als besonde-
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BVerfGE 7, 377 („Apotheken-Urteil"). - H. H. Rupp, AöR 92 (1967); S. 212; J. Schwabe, DÖV 1969, 734; H. A. Hesse, AöR 95 (1970), S. 449. BVerfGE 11, 30 (Kassenarztrecht); 32, 1 (Apothekerassistenten). BVerwGE 40, 17 („männliche Hebamme"). BVerfGE 13, 181/187; 16, 147/165; 30, 292/314. - Zur generalisierenden Betrachtung bei Berufsausübungsregelungen allgemein: BVerfGE 37, 1. BVerwGE 22, 286. L. Fröhler/G. Mörtel, GewArch 1979, 105, 145; P. Badura, in: Fs. f. Wilhelm Herschel, 1982, S. 21. - Zum „Berufsbild": R. Scholz, DB 1980, Beilage 5. 309
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rer Maßstab der Grundrechtseinschränkung zu berücksichtigen ist und die Einschränkung durch die gesetzlich geordnete Aufgabe und Funktion des Berufs gefordert sein muß87. Die Freiheit der Berufswahl darf nur eingeschränkt werden, wenn und soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend gebietet. Besteht die Beschränkung der Berufswahl in der Aufstellung bestimmter Voraussetzungen für die Aufnahme des Berufs, ist der tiefere Eingriff in Gestalt objektiver Zulassungsbedingungen, die an außerhalb der Person des Berufsbewerbers liegende Umstände anknüpfen 88 , nur zulässig, wenn subjektive Bedingungen89 ungenügend wären. Die Berufsausübung kann gesetzlich geregelt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen; der grundrechtliche Schutz erschöpft sich in der Abwehr unverhältnismäßiger und willkürlicher Beschränkungen90. Regelungen der Berufsausübung müssen auch die Ungleichheiten berücksichtigen, die typischerweise innerhalb des Berufes bestehen, dessen Ausübung geregelt wird. Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte, Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, dann kann Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 verletzt sein91. Auch Steuervorschriften mit wirtschaftslenkender Nebenwirkung sind, sofern sie nicht prohibitiv die Aufnahme eines Berufs beeinflussen und dadurch die freie Berufswahl beeinträchtigen, als Regelungen der Berufsausübung zu beurteilen 92 ; denn eine an Art. 12 I GG zu messende Regelung der Berufsausübung liegt bei allen gesetzlichen oder administrativen Maßnahmen vor, die bestimmt oder geeig87
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BVerfGE 16, 6; 17, 371; 21, 245; 21, 261; BVerfG Beschl. vom 1. 7.1986 - 1 BvL 26/83 - (öffentlich bestellter Vermessungsingenieur); BVerwG DÖV 1966, 195; BVerwG DÖV 1972, 647 (Fährregal); Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, Tz 83; ders., Jb des Postwesens 1977, 1978, S. 76; H. Hoffmann, DVB1. 1964, 457; Leisner, AöR 93 (1968), S. 161; Obermayer, NJW 1969, 1457; P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, 1977, S. 401 ff. BVerfGE 9, 39; 14, 19; 21, 173; 21, 245; 21, 161; 25, 1; 40, 196; BVerwGE 18, 113. BVerfGE 9, 338; 13, 97; 19, 330; 25, 236; 34, 71; BVerfG JZ 1981, 20; BVerfGE 69, 209. BVerfGE 9, 73; 21, 72; 22, 380; 23, 50; 30, 292; 33, 125; 33, 171; 34, 293; 37, 1; 41, 360; 53, 135; 59, 336; 65, 248; 71, 162; 71, 183. BVerfGE 30, 292/327, 330ff. (strukturbedingte Sonderbelastung der unabhängigen Importeure durch die Erdöl-Bevorratungspflicht); 33, 171/188 (sozialversicherungsrechtliche Honorarverteilungsmaßstäbe bei Kassenärzten); 59, 336/356 (Ladenschlußzeiten für Friseure); 68, 155 (pauschalierte Erstattung von Fahrgeldausfällen wegen unentgeltlicher Beförderung von Schwerbehinderten). BVerfGE 13, 181; 16, 147; 38, 61; 47, 1/21, 37ff. - Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung und Sozialgestaltung durch Steuergesetze, 1966; Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 244ff.
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net sind, in die eigenverantwortliche Gestaltung der Berufstätigkeit einzugreifen. Art. 12 I GG ist Prüfungsmaßstab auch für Vorschriften, die nur infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen93. Mangels einer gewerbepolizeilichen Spezialermächtigung kommt auch die polizeiliche Generalklausel als Rechtsgrundlage für eine Regelung der Berufsausübung durch Verordnung oder Verfügung in Frage, sofern damit nur eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch bestimmte Formen der Berufsausübung verhindert oder unterbunden werden soll und der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Entscheidung des Gesetzgebers über neue Formen der Berufsausübung nicht vorgegriffen wird94. Einschränkungen der freien Wahl oder Ausübung eines Berufes bedürfen in jedem Fall der Grundlage in einem hinreichend bestimmten Gesetz95. c) Eigentumsgarantie: Ihrem Wortlaut nach stellt die grundrechtliche Garantie des Eigentums96 den „Inhalt" des Eigentums seinen „Schranken" gegenüber (Art. 14 GG) und legt damit die Vorstellung nahe, das Eigentum sei entsprechend der liberalen Formel des „staatsfreien Raumes" von „Freiheit und Eigentum" eine vorstaatliche Größe, die der staatlichen Ordnung, Begrenzung und Gestaltung gewissermaßen vorgegeben sei. Doch ist es das Gesetz, das den Inhalt nicht weniger als die Schranken des Eigentums bestimmt und dabei dessen Sozialgebundenheit zur Geltung zu bringen hat (Art. 14 II GG). Durch die Garantie wird der Gesetzgeber bei der Regelung der Güterverteilung und bei der Bereitstellung der rechtlichen Ordnung für die Vermögenswerten Rechte, ihre Ausgestaltung, ihre Nutzung und die Verfügung über sie, verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen, die sich hauptsächlich in den Grundsätzen der Lastengleichheit der einzelnen und der Privatnützigkeit des Eigentums und seiner Verwendung zusammenfassen lassen. Ihrer verfassungspolitischen Funktion nach reichen das Eigentum und seine Garantie weit über die Zuerkennung eines individualistischen Reservats hinaus. Art und Maß des Schutzes des Eigentums und der privatautonomen und privatwirtschaftlichen Verwendung des Eigentums bilden ein wirt93 94
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BVerfGE 46, 120/137 (§ 3 IV DirRufV). BVerwGE 10, 164 (Ermacora, JuS 1961, 217); BVerwG DVB1. 1970, 504 = JuS 1970, 538; VGH Mannheim DVB1. 72, 503. BVerfGE 54, 224 und 237 mit Anm. H.-J. Papier, JZ 1980, 608; BVerwG DVB1. 1982, 301. W. Weber, GRe II, S. 331; R. Reinhardt / U. Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, 1954; Scheuner, in: ders. / Küng, Der Schutz des Eigentums, 1966, S. 5; ders., Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 43ff.; Sendler, DÖV 1971, 16 und 1974, 73; H.-J. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 55, 81 ff.; H. Chr. Binswanger, Eigentum und Eigentumspolitik, 1978, bes. S. 115 ff.; G. Müller, Schweizer. Juristenverein 115/1, 1981; P. Badura, Eigentum, in: HbVerfR, S. 653; U. Battis / J. Felkl-Brentano, JA 1983, 494; A. von Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984; K. Nüßgens/ K. Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987. 311
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schaftsverfassungsrechtliches Grundkriterium für die Unterscheidung der Wirtschaftsordnungen. Wenn die Verfassung, wie im Falle des Grundgesetzes, das Eigentum — und nicht nur das „persönliche Eigentum" — schützt, geschieht das nicht nur aus Rücksicht für die Eigentümer, sondern weil darin auch ein dem Prinzip nach nützliches Element der Gesellschaftsordnung gesehen wird. Dementsprechend kann und muß der Gesetzgeber die Unterschiedenheit der Eigentumsarten — Unternehmenseigentum, Grundeigentum, Verbrauchseigentum etc. — je nach ihrer sozialen und politischen Bedeutung berücksichtigen. Die Auseinandersetzung um die Eigentumsverfassung97 ist in den Hauptpunkten zugleich eine Auseinandersetzung um die Wirtschaftsordnung und die Gestalt politischer Herrschaft. Das Eigentum wird einerseits geschützt, weil es die rechtliche Zuteilung der gegenständlichen Grundlagen individueller Daseinsbehauptung und -gestaltung bewirkt. Auf der anderen Seite hat das Eigentum im Rahmen einer Wirtschaftsordnung mit prinzipiell marktwirtschaftlicher Produktion und Verteilung die Aufgabe, die privatautonome Entscheidung über den Gebrauch und den Verkehr der Güter (Produktionsmittel, Waren) zu ermöglichen, auf der die Dezentralisation des wirtschaftlichen Prozesses und die mit der gesellschaftlich erwünschten privaten Initiative verbundene individuelle Verteilung von Erfolg und Risiko beruhen98. Kraft des wohlfahrtsstaatlichen Sozialgestaltungsauftrages, der in Art. 14 II GG individualistisch gewendet als Pflichtigkeit des Eigentümers erscheint, ist es dem Staat aufgegeben, den privatautonomen Gebrauch des Eigentums, vornehmlich des produktiven Kapitals, unter Aufrechterhaltung seiner Funktion für den marktwirtschaftlichen Prozeß in dem Maße durch rechtliche Ordnung und Gestaltung zu vergesellschaften, in dem es zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit erforderlich ist und in dem das Eigentum sozialschädliche Macht- und Ausbeutungschancen vermittelt. Die Gewährleistung des Eigentums hat eine individuelle, die konkreten Rechte einzelner betreffende, und eine institutionelle, das Rechtsinstitut des „Privateigentums" betreffende Schutzwirkung99. „Eigentum" im Sinne des Grundrechts ist jedes erworbene und bestehende Vermögenswerte Recht, also nicht nur das Sacheigentum des BGB, sondern auch schuldrechtliche, sachenrechtliche und gesellschaftsrechtliche Berechtigungen, auch erworbene öffentlich-rechtliche Ansprüche, sowie alle sonstigen konkretisierten Rechtspositionen, auf denen Lebensführung und wirtschaftliche Betätigung beruhen. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung besteht hinsichtlich der durch die Rechtsordnung anerkannten einzelnen Vermögensrechte; das Vermögen 97 98
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Zur Mitbestimmung siehe oben Abschn. I 2b. Scheuner, in: ders. / Küng, 1966, S. 43; Bericht „Mitbestimmung im Unternehmen", BTag Drucks. VI/334, S. 78; F. Rittner, in: Marburger Gespräch über Eigentum - Gesellschaftsrecht - Mitbestimmung, 1967, S. 50. BVerfGE 14, 263; 24, 367; 50, 290/339. - M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Fs. f. Wilhelm Kahl, 1923.
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selbst genießt diesen Schutz nicht . Kein Eigentum sind bloße Erwerbsaussichten oder Chancen, die zwar nach den gegebenen rechtlichen oder faktischen Verhältnissen, z. B. der Marktlage, bestehen, auf deren Fortbestehen aber nicht vertraut werden kann. Als grundrechtliche Gewährleistung individueller Rechte schützt die Eigentumsgarantie vor beliebiger Beeinträchtigung oder Entziehung vermögenswerter Rechte (Art. 14 III GG). Als Einrichtungsgarantie gewährleistet das Grundrecht die Existenz privatrechtlicher Rechtssätze, die Innehaben, Erwerb, Nutzung und verkehrswirtschaftliche Verwendung individueller Vermögensrechte als Grundlage privater Daseinsgestaltung und privatautonomer Wirtschaftsführung ermöglichen und ordnen. Die wirtschaftsverwaltungsrechtlich im Vordergrund stehende Konkretisierung der Eigentumsgarantie ist die Sicherung des als vermögenswertes Recht anerkannten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs im Hinblick auf eine Beeinträchtigung durch Auswirkungen des Verwaltungshandelns, ggf. auch durch den sozialgestaltenden und wirtschaftslenkenden Gesetzgeber101. Der geschützte Gewerbebetrieb102 umfaßt den sachlichen Bestand des Betriebs und alle seine einzelnen Erscheinungsformen („Ausstrahlungen"), die außerdem den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebs ausmachen, wie Geschäftsbeziehungen, good will und die besondere Lage an der Straße („Kontakt nach außen"), nicht aber bloße Erwerbsmöglichkeiten, Gewinnaussichten, Hoffnungen oder Chancen. Gewährleistet wird die „Sachund Rechtsgesamtheit" des Betriebs in ihrer „Substanz", d. h. das ungestörte Funktionieren des Betriebsorganismus, dessen Beeinträchtigung den Verfügungsberechtigten daran hindert, von der in dem Gewerbebetrieb verkörperten Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen. Zur eigentumsrechtlich geschützten Gewerbeausübung wird auch die Wirtschaftswerbung gerechnet103. Der geschützte Umfang des Betriebs wird durch die jeweilige ökonomische und örtliche „Situation" bestimmt, in der das Gewerbe betrieben wird, so daß vorteilhafte Umstände nur garantiert sind, wenn und soweit der Betriebsinhaber sich darauf verlassen darf, daß sie auf Dauer erhalten bleiben. Wirtschaftslenken100 101
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BVerfGE 65, 196/209. Fröhler, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1972; Badura, in: Fs. f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, S. 1. - In BVerfGE 51, 193/221 f. werden Zweifel daran angedeutet, ob ein selbständiger Schutz des „Gewerbebetriebs" als Eigentum i. S. des Art. 14 G G in Betracht komme. BVerfGE 68, 193/222f.; BGHZ 23, 157; 45, 150; 48, 58; 48, 65; BGH NJW 1967, 1867; BGHZ 55, 261; BGH NJW 72, 1574; BGH NJW 75, 1966; BGH DVB1. 1977, 857 (Fluglotsen-Streik); BVerwGE 36, 248. - W. Weber, AöR 91 (1966), S. 382, 400f.; Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktischen Unternehmensschutz, 1971; Zuck, Gewerbebetrieb und Enteignungsentschädigung, 1971; M. Löwisch / W. Meier-Rudolph, JuS 1982, 237. P. Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S. 73ff.; P. Selmer, in: Fs. f. H. P. Ipsen, 1977, S. 515. 313
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de Maßnahmen, die — wie die Veränderung des Diskontsatzes, die Herabsetzung eines Schutzzolls oder die Umgestaltung einer Marktordnung — lediglich die erkennbar situationsbedingten Erwerbschancen eines Gewerbebetriebs beeinflussen, stellen daher keinen entschädigungspflichtigen Eingriff in das Unternehmereigentum dar, sofern nicht ein besonderer Vertrauenstatbestand gegeben ist oder auf andere Weise ein Sonderopfer abverlangt wird104. Über diese Grundsätze der Eigentumsgarantie hinaus hat ein aus dem allgemeinen Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand staatlicher Wirtschaftsplanung abgeleiteter „Plangewährleistungsanspruch" noch keine Anerkennung gefunden 105 . Sofern eine wirtschaftslenkende Maßnahme oder Regelung den grundrechtlich gesicherten Bereich des Gewerbebetriebs oder sonst eines Vermögenswerten Rechtes berührt, kommt es für die Frage, ob darin eine entschädigungslos zu duldende Bestimmung von Inhalt oder Schranken des Eigentums oder aber ein enteignender Eingriff zw sehen ist, darauf an, ob die Maßnahme — ihre Geeignetheit vorausgesetzt — im rechten Verhältnis zu der Schwere der den Eigentümer treffenden Einschränkung seiner Dispositionsfreiheit steht, mit anderen Worten, ob die Regelung notwendig (nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar) und für den Eigentümer zumutbar ist106. Als Kriterium für die Schwere und Zumutbarkeit des Eingriffs ist von der in der Eigentumsgarantie vorausgesetzten Zweckbestimmung des Privateigentums, seiner „Privatnützigkeit", auszugehen, nämlich seiner Funktion, im marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprozeß Basis der privaten Initiative und des privaten Interesses zu sein. Ausschlaggebend ist demnach, ob eine wirtschaftslenkende Maßnahme die Privatnützigkeit des Eigentums respektiert oder aber wesentlich beeinträchtigt oder gar beseitigt, etwa durch Zerstörung der Rentabilität107. Diese Grundsätze müssen auch für den Fall gelten, daß die Wirtschaftslenkung sich des Mediums der Besteuerung bedient; denn der Steueranspruch verkörpert hier nicht nur eine Geldleistungspflicht, sondern auch eine wirtschaftsverwaltungsrechtliche Beeinträchtigung des Unternehmereigentums. Mit dieser Auffassung stimmt die Rechtsprechung des BVerfG 104
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BGHZ 45, 83; BGH VerwRspr. 16, 902; BGH JZ 1968, 130; BGH BB 1968, 1179; BVerwG DVB1. 1966, 751. Ipsen, VVDStRL 11 (1954), S. 129; ders., in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung I, 1965, S. 35, 60ff.; ders. in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung II, 1966, S. 63, 106ff.; ders., in: Fs. f. E. R. Huber, 1973, S. 219; Oldiges, Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, 1970; J. Egerer, Der Plangewährleistungsanspruch, 1971; Ossenbiihl, DÖV 1972, 25; Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 348ff.; G. Korbmacher, WiVerw. 1979, S. 37; W. Thiele, DÖV 1980, 109; P. Badura, in: HbVerfR, S. 681 f.; W. Brohm, JURA 1986, 617. BVerfGE 21, 74; 21, 150; 24, 367; 25, 112; 26, 215; 31, 229 und 275; 37, 132; 52, 1; 56, 249; 58, 300. - BGHZ 6, 270; 32, 208; 48, 193; 60, 126; BGH DVB1. 1974, 625 und 627. - BVerwGE 15, 1 ; 24, 60. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., 1973, S. 344; Reinhardt, in: ders. / Scheuner (Anm. 96), S. 10ff.; BGH NJW 1968, 294.
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möglicherweise im praktischen Ergebnis überein, weil danach die Eigentumsgarantie zwar gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten nicht schützt, aber andererseits dennoch verletzt sein könnte, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen108. Noch größer als gegenüber der Steuergewalt ist die Schwäche des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gegenüber der Geldentwertung109. Ungerechte Auswirkungen der Geldentwertung können einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz zur Folge haben. Die Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt (Art. 14 III GG). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Gesetz, das eine Enteignung bewirkt oder zuläßt, sind eine wesentliche Ausprägung der Eigentumsgarantie. Denn diese sichert den konkreten Bestand des geschützten Eigentums in der Hand des Eigentümers, und der Eigentümer muß den hoheitlichen Zugriff auf den Bestand ihm zustehender konkreter Rechtspositionen nur unter der Voraussetzung dulden, daß das Wohl der Allgemeinheit den ihm abverlangten Rechtsentzug nach Art, Maß und Zeitpunkt erfordert110. Wenn und soweit die gesetzlich vorgesehenen oder zugelassenen Enteignungszwecke eine nach dem Richtmaß des Wohls der Allgemeinheit vorrangige öffentliche Aufgabe darstellen und zudem sichergestellt ist, daß das Vorhaben, für das die Enteignung notwendig ist, zum Nutzen der Allgemeinheit verwirklicht werden wird, ist eine Enteignung auch zugunsten eines privatrechtlich organisierten und selbst eines privatwirtschaftlichen Unternehmens zulässig. Kann sich der Nutzen für das allgemeine Wohl, der mit einer Enteignung erzielt werden soll, nicht aus dem Unternehmensgegenstand selbst, sondern nur als mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit ergeben, müssen besondere Anforderungen an die gesetzliche Konkretisierung des nur mittelbar erfüllten und daher nicht von vornherein handgreiflichen Enteignungszwecks gestellt werden111. 108
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BVerfGE 4, 7/16; 19, 119/128f.; 30, 250; BVerfG NJW 76, 101 (substanzverzehrende Vermögenssteuer). - P. Kirchhof / H. H. von Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 213, 286. BVerfG HFR 1969, 347; BVerfGE 50, 57; BFHE 89, 422; 90, 396; 102, 383; BFH BStBl. II 1974, 572 und 582; BFH JuS 1976, 545. - H. H. von Arnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, 1978; K. Schmidt, in: Fs. f. d. Berliner Jur. Gesellschaft, 1984, S. 665. - „Aufwertung" zivilrechtl. Ansprüche (Ruhegeldzusagen, Zugewinnausgleich): BAG DB 1973, 773; BGH DB 1973, 1497; BGH NJW 1974, 137 und 1186; BGH DB 1975, 2220 (keine „Aufwertung" von Mietzinsansprüchen). Die Anpassung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an die Geldentwertung bestimmt sich seit dem 1. 1. 1975 nach der wenig klaren Vorschrift des § 16 G. zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung; vgl. u. a. BAG NJW 1980, 1181; G. Schaub, NJW 1982, 362/365f. BVerfGE 24, 267/389; 38, 175/180f.; 45, 297; 56, 249/260ff.; 70, 191/199f.; 71, 137/143. BVerfGE 66, 248 ( § 1 1 1 EnWG); 74, 264 (Schaffung von Arbeitsplätzen in einem strukturschwachen Gebiet). 315
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Die verfassungsrechtliche Regelung der Sozialisierung in Art. 15 GG 112 hat bisher mangels Vollzugs113 noch keine praktische Bedeutung erlangt, ist aber nichtsdestoweniger jedenfalls deshalb wirtschaftsverfassungsrechtlich bedeutsam, weil sie in besonders eindeutiger Weise zeigt, daß das GG nicht eine Festlegung der liberalen Wirtschaftsidee darstellt oder verlangt. Die Sozialisierung ist durch ihre auf sozialentwährende Umschaffung der Eigentumsordnung gerichtete Zwecksetzung von der Enteignung geschieden. Da Art. 15 GG den Gesetzgeber nicht zur Sozialisierung verpflichtet und deshalb seine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gestaltungsfreiheit nicht berührt, besteht die rechtliche Wirkung dieser Vorschrift lediglich darin, daß sie einen etwaigen Sozialisierungswillen auf die aufgeführten Objekte der Produktionssphäre beschränkt, deren Sozialisierungsfähigkeit allerdings zugleich abstrakt feststellt, und daß sie durch die Verweisung auf die Regelung der Enteignungsentschädigung eine entschädigungslose Sozialisierung ausschließt. III. Wirtschaftsverwaltung 1. Organisation a) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern: Während die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts zur ausschließlichen oder konkurrierenden Kompetenz des Bundes gehört, ist die Ausübung öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft ganz überwiegend eine Angelegenheit der Länder (Art. 30, 83, 84 GG). Die Formulierung der Wirtschaftspolitik hingegen liegt im wesentlichen in der Hand der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministers, ebenso wie die abgeleitete Rechtsetzung durch Rechtsverordnungen; für diese ist meistens die Zustimmung des Bundesrates erforderlich (Art. 80 II, 109 IV 3 GG). Durch Beiräte der Bundesregierung wird die Wirtschaftspolitik vorbereitet und beeinflußt114. Aufgaben und Befugnisse der Währungs- und Kreditpolitik werden durch die unabhängige (ministerialfreie) Bundesbank wahrgenommen115. 112
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Ipsen / Ridder, VVDStRL 10 (1952), S. 74ff., 124ff.; H. Krüger, GRe I I / l , S. 267; J. Jsensee, DÖV 1978, 233; P. Badura, in: HbVerfR, S. 694ff. Zu der auf Grund Art. 41 HessVerf erfolgten Sozialisierung und deren Schicksal: H. Krüger, AöR 77 (1951/52), S.46; Ipsen, DÖV 1952, 225; ders., in: Fs. f. Jahrreiß, 1964, S. 115. G über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14. 8. 1963 (BGBl. I, S. 685), § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StabG. - Jahresgutachten 1987/88, BTag Drucks. 11/1317. - Heinze, Staat 6, 1969, S. 433; Brohm, in: Fs. f. E. Forsthoff, 1972, S. 37; ders., HbStR, II, § 36; R. Molitor (Hrsg.), Zehn Jahre Sachverständigenrat, 1973, R. Scholz, DÖV 1973, 843. Art. 88 GG, G über die Deutsche Bundesbank vom 26.7. 1957 (BGBl. I S. 745, mehrf. geänd.). - BVerwGE 41, 334; von Spindler/Becker/Starke, Die Deutsche Bundesbank, 4. Aufl., 1973; K. Stern, Staatsrecht, II, 1980, S. 463 ff.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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Eine Ausübung von Wirtschaftsverwaltung durch den Bund erfolgt mit Hilfe von Bundesoberbehörden, wie z. B. dem Bundeskartellamt" 6 und dem Bundesamt für Gewerbliche Wirtschaft" 7 , und von bundesunmittelbaren Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, wie z. B. der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr" 8 und der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (Art. 87 III 1 GG) 119 . Die Gemeinden sind im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts zur Entfaltung kommunaler Wirtschaftsverwaltung befugt 120 . b) Selbstverwaltung der Wirtschaft: Neben den staatlichen Behörden der Wirtschaftsverwaltung bestehen im Bereich der Industrie und des Handels, des Handwerks und der Landwirtschaft Einrichtungen einer „Selbstverwaltung der Wirtschaft" in Gestalt von Körperschaften des öffentlichen Rechts 121 . Die ebenso wie die Kammern der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft auf dem Prinzip der körperschaftlichen Selbstverwaltung beruhenden Kammern der freien Berufe, z. B. der Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, die wegen der von ihnen angebotenen gehobenen Dienstleistungen und Geschäftsbesorgungen außerhalb des Gewerberechts stehen, werden als ein besonderer Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung angesehen 122 . Bei den Kammern der Selbstverwaltung der Wirtschaft handelt es sich organisationsrechtlich und äußerlich um Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung mit einem bestimmten Bezirk, die für die Vertretung der In116
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§§48 ff. GWB. Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1985/1986 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (§ 50 GWB), BT-Drucks. 11/554. - Günther, ZHR 125 (1963), S. 38; 10 Jahre Bundeskartellamt, 1968; Zuck, NJW 1971, 1633. G vom 9. 10. 1954 (BGBl. I 281). §§ 53 ff. GüKG. G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981. R. Stober, JZ 1984, 105. - Zur kommunalen Wirtschaftsförderung siehe Anm. 155, zur Wirtschaftstätigkeit der Gemeinden siehe unten unter III. 2.d. E. R. Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958; W. Reuss, GRe I I I / l , S. 91; Horak, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958; Bremer, Das Kammerrecht der Wirtschaft, 1960; Fröhler/ Oberndorfer, Körperschaften des öffentl. Rechts und Interessenvertretung, 1974; P. Oberndorfer WiVerw 1979, 129; W. Brohm, in: Fg. f. G. Chr. von Unruh, 1983, S. 777; P. J. Tettinger, ebd., S. 809; R. Hendler, DÖV 1986, 675. - Selbstverwaltung der Wirtschaft findet auch durch nicht rechtsfähige, bestimmten Behörden zugeordnete Gremien statt, wie z. B. die Frachtenausschüsse der Binnenschiffahrt gem. §§ 22 ff. BSchG (BVerwGE 31, 359). Brandstetter, Der Erlaß von Berufsordnungen durch die Kammern der freien Berufe, 1971; D. Hahn, Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung der verkammerten freien Berufe, 1974; P. Badura, Dt. Architektenbl. 1979, BY 67. - Zu den Grenzen der Satzungsgewalt der Kammern: BVerfGE 33, 125 (Facharzt-Urteil); BVerwG DÖV 1973, 311; zu den Grenzen der Aufgaben einer Ärztekammer: BVerwG NJW 1982, 1300 m. Anm. K. Redeker, NJW 1982, 1266. 317
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teressen ihrer körperschaftlich zusammengeschlossenen Mitglieder das Recht der Selbstverwaltung besitzen und unter Staatsaufsicht stehen. Die Bildung dieser Verwaltungseinheiten entspringt allerdings nicht dem Organisationsprinzip der Dezentralisation, d. h. dem Gedanken, eine Verwaltungsaufgabe durch Ausgliederung aus der unmittelbaren Staatsverwaltung besser erledigen zu können, sondern der Absicht, die kollektive Interessenwahrung in einzelnen Wirtschaftszweigen durch die öffentlich-rechtliche Organisation der Interessenten zu begünstigen und bis zu einem gewissen Grade zu disziplinieren; neben den eigenen Angelegenheiten der Mitglieder spielen bei den Trägern der wirtschaftlichen Selbstverwaltung übertragene Angelegenheiten nur eine geringe Rolle. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der hier meist bestehenden Zwangsmitgliedschaft und damit der „Verkammerung" der Wirtschaft überhaupt beurteilt sich nicht nach Art. 9 I GG, dessen Schutzbereich nur die privatautonome Assoziation erfaßt und deshalb die „negative" Vereinigungsfreiheit nur bei privatrechtlichen Organisationsformen schützt123. Die Praxis zieht die allgemeine Handlungsfreiheit heran; danach hindert es Art. 2 I GG nicht, daß der Staat sich bei der „legitimen Aufgabe der Förderung der Wirtschaft" der Hilfe von Einrichtungen bedient, die er auf gesetzlicher Grundlage aus der Wirtschaft heraus sich selbst bilden läßt und die durch ihre Sachkunde die Grundlage dafür schaffen helfen, daß staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen 124 . Die Industrie- und Handelskammern125 haben die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Die Kammern wirken an der Berufsausbildung mit. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen gehört nicht zu ihren Aufgaben. Kammerzugehörige, die durch Beiträge die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Kammern aufzubringen haben, sind natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Kammerbezirk entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten und mit dieser gewerbesteuer123 124 125
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Abw. Hesse, VerfR, Rdnr. 413. BVerfGE 15, 235; 32, 54; OVG Münster NJW 1960, 214. G zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. 12. 1956 (BGBl. 1956 I S. 920). - G. Frentzel / E. Jäckel / W. Junge, Industrieund Handelskammergesetz, 4. Aufl., 1982; W. Fischer, Unternehmerschaft, Selbstverwaltung und Staat, 1964; Leibholz, Die Stellung der Industrie- und Handelskammern in Gesellschaft und Staat, 1966; Wülker, Der Wandel der Aufgaben der Industrie- und Handelskammern in der Bundesrepublik, 1972.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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pflichtig sind ; von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind die nicht in das Handelsregister eingetragenen freiberuflich tätigen Personen und Inhaber land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe sowie die Inhaber von Handwerksbetrieben und von handwerksähnlichen Betrieben (§ 2 IHKG, Art. 23 SteueränderungsG 1961, §§ 18ff., 90 II HandwO). Der Inhaber eines Handwerksbetriebs, der außerdem eine nicht-handwerkliche Gewerbetätigkeit ausübt, ist insoweit Pflichtmitglied der Industrie- und Handelskammer127. Die Handwerkskammern128 haben die Aufgabe, die Interessen des Handwerks zu wahren und zu fördern und an der Berufsausbildung mitzuwirken (§§ 90 ff. HandwO). Eine betriebliche Beratung der Mitglieder hält sich im Rahmen der Kammeraufgaben, nicht jedoch eine wirtschaftliche Betätigung der Kammer129. Die Mitgliedschaft der Handwerkskammer beim Deutschen Handwerkstag und beim Zentralverband des Deutschen Handwerks dient der Erfüllung der Kammeraufgaben und kann rechtlich nicht beanstandet werden130. Mitglieder der Handwerkskammern sind die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe im Kammerbezirk sowie die Gesellen und Lehrlinge dieser Gewerbetreibenden. Die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe tragen durch Beiträge zur Deckung der Kosten bei, die durch die Errichtung und Tätigkeit der Handwerkskammer entstehen (§ 113 HandwO)131. Die Handwerksinnungen stellen einen freiwilligen Zusammenschluß der selbständigen Handwerker desselben Handwerks oder verwandter Handwerke auf der Kreisebene dar und sollen die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder fördern (§§ 52 ff. HandwO). Sie werden von der zuständigen Handwerkskammer beaufsichtigt (§ 75 HandwO) und sind fachlich zu Landesinnungsverbänden (§ 79 HandwO) und örtlich zu Kreishandwerkerschaften (§ 86 HandwO) zusammengeschlossen. Die Landesinnungsverbände und die Kreishandwerkerschaften sind in Rechtsformen des Privatrechts organisiert. Die Tariffähigkeit der Innungen und Innungsverbände (§§ 54 III Nr. 1, 82 S. 2 Nr. 3 HandwO) verletzt Art. 9 III GG nicht132. Innungen und Innungsverbände sind für den 126
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BVerwGE 16, 295; 22, 58; 55,1; BVerwG GewArch. 1984, 350. - Beitragspflicht: HessVGH DÖV 1987, 548; OVG NW DÖV 1987, 550. BVerwG NJW 1978, 389. L. Fröhler, Die Staatsaufsicht über die Handwerkskammern, 1957; ders.. Das Organisationsrecht der Hand Werksordnung, 1973; V. Chesi, Struktur und Funktionen der Handwerksorganisation in Deutschland seit 1933, 1966; Kolbenschlag / Patzig, Die dt. Handwerksorganisation, 1968; R. Stober, Rechtsfragen bei Mitgliederklagen auf Einhaltung des Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches innerhalb der Handwerksorganisation, 1984. OVG Koblenz GewArch. 1980, 339; OVG Lüneburg GewArch. 1986, 201.- G. Ress, in: Gedächtnisschrift für Dietrich Schultz, 1987, S. 305. BVerwG NJW 1987, 338 mit Anm. J. Pietzcker, NJW 1987, 305 und A. Siegert / H.-K. Sternberg, GewArch. 1986, 300 BVerwG NJW 1977, 1893. BVerfGE20, 312. 319
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Wirkungskreis, in dem sie Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen, nicht grundrechtsfähig. Soweit sie dagegen durch einen hoheitlichen Eingriff als Interessenvertretung und nicht in ihrer Funktion als Teil der staatlichen Verwaltung betroffen sind, können sie sich auf Grundrechte berufen133. Für das Recht der Landwirtschaftskammern besteht eine bundesrechtliche Regelung, die gemäß Art. 74 Nr. 17 GG möglich wäre, noch nicht. In einer Anzahl von Bundesländern sind jedoch Landwirtschaftskammern auf landesrechtlicher Grundlage errichtet worden134. In Anlehnung an die in Art. 165 WeimRVerf vorgesehenen Wirtschaftsräte, in denen Vertreter der Unternehmer und der Arbeitnehmer zusammenwirken sollten, haben Bremen135 und Rheinland-Pfalz136 Wirtschaftskammern errichtet. Das Grundgesetz hat lediglich in Übereinstimmung mit Art. 156 WeimRVerf eine gemeinwirtschaftliche Selbstverwaltung für sozialisierte Produktionsmittel in Betracht gezogen (Art. 15). Bis in die jüngste Zeit ist nach dem Vorbild des Reichswirtschaftsrates der Weimarer Republik137 und der Wirtschaftsräte in einigen westeuropäischen Verfassungen von verschiedenen Seiten eine quasiparlamentarische Repräsentation der organisierten Interessen der Wirtschaft in einem „Bundeswirtschaftsrat" oder „ Wirtschaftsund Sozialrat" gefordert worden138. Ein derartiges Verfassungsorgan, das beratend oder beschließend (sei es auch nur im Rahmen eines Rechts zur Gesetzesinitiative) an der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung oder an der gesamten Gesetzgebungstätigkeit einschließlich des Haushaltsgesetzes beteiligt wä133 134
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BVerfGE 68, 193; 70, l/20f. - O. Seidl, in: Fs für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd. 2, S. 1459. Vgl. z.B. das niedersächs. G über Landwirtschaftskammern i. d. Fass. vom 1.6. 1967 (GVB1. S. 223). Der Bayer. Bauernverband ist eine Körperschaft des öffentl. Rechts mit freiwilliger Mitgliedschaft; VO Nr. 106 vom 29. 10. 1946 (BayRS 7800-2-E), Bek. vom 17.2. 1960 (StAnz Nr. 9). - E. Sauer, Landwirtschaftliche Selbstverwaltung, 1957. Art. 46 BremVerf, G vom 23. 6. 1950 (GVB1. S. 71). Art. 71 ff. VerfRhPfalz, G vom 21. 4. 1949 (GVB1.1, S. 141). Art. 165 WRV; VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat vom 4. 5. 1920 (RGBl. S. 858). Entwurf eines G über die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates: BTag Drucks. VI/2514. - G. Bernhardt, Wirtschaftsparlamente, 1923; Glum, Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, 1929; Seidenfus, Gedanken zur Errichtung eines Bundeswirtschaftsrates, 1962; Napp / Zinn, Wirtschaftsräte und überbetriebliche Mitbestimmung in Deutschland, SchrVS N F 24/11, 1964, S. 61; H. Stephan, JöR 18 (1969), S. 95; W. Thiele, DVB1. 1970, 529; B.-O. Bryde, Zentrale wirtschaftspolitische Beratungsgremien in der Parlamentär. Verfassungsordnung, 1972; Steinberg, DÖV 1972, 837; H. H. Rupp, Die „öffentlichen" Funktionen der Verbände und die demokratisch-repräsentative Verfassungsordnung, SchrVfS 74/11, 1973, S. 1251; H. Donner, DVB1. 1974, 183; E.-W. Böckenförde, Staat 15 (1976), S.457; K. Stern, JöR 25 (1976), S. 103; A. Saipa, AöR 102 (1977), S.497; H.-J. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980.
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re, würde zu den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie in einen gewissen Widerspruch treten; es könnte jedenfalls nicht ohne eine Verfassungsänderung errichtet werden. Während ein Wirtschafts- und Sozialrat als Werkzeug überbetrieblicher Mitbestimmung oder als korporativ-professionelle Ergänzung des Parlamentarismus verstanden wird, stehen die auf anderen Vorstellungen beruhenden Arbeitskammern ihrem Prinzip nach in einer Spannungslage zu den Koalitionen und der Koalitionsfreiheit139. Die Europäischen Gemeinschaften haben den Einfluß der organisierten Interessen in Organen mit beratender Funktion institutionalisiert, nämlich in dem Wirtschafts- und Sozialausschuß von EWG und EAG und in dem Beratenden Ausschuß der EGKS140. c) Wirtschaftsverbände, Koalitionsfreiheit: Als privatrechtlich organisierte Vereinigungen des Wirtschaftslebens bestehen die Koalitionen (Art. 9 III GG) und die Wirtschafts- oder Unternehmensverbände (Art. 9 I GG). Koalitionen sind freiwillige und überbetriebliche Vereinigungen entweder von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern („Gegnerfreiheit") mit dem Ziel der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, aber nicht notwendig mit Tarifwilligkeit und Streikbereitschaft141. Wirtschaftsverbände sind Vereinigungen von fachlich gleichartigen Unternehmen zur Wahrung und Förderung der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Interessen und deren Zusammenschlüsse in regionalen Spitzenverbänden, wie z. B. der Bundesverband der Deutschen Industrie142. Die Wirtschaftsverbände können für ihren Bereich Wettbewerbsregeln143 aufstellen und bei der Kartellbehörde de139
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BVerfGE 38, 281. - Zacher, Arbeitskammern im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1971; Gass, DÖV 1960, 778; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973. Art. 193 ff. EWGV, Art. 165 ff. EAGV, Art. 5 des Abkommens über gemeinsame Organe für die europ. Gemeinschaften vom 25. 3. 1957; Art. 18, 19, 48 EGKSV. - Zellentin, Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG und Euratom, 1962; H.-G. Brüske, Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europ. Gemeinschaften, 1979. BVerfGE 18, 18; Ramm, JuS 1966, 223; BAGE 21, 98; 23, 320; BAG JZ 1977, 470. - P. Badura, ArbRGgwart 15 (1978), S. 17. O. Stammer, Verbände und Gesetzgebung, 1965; G. Briefs (Hrsg.), Laissez-fairePluralismus, 1966; E. Buchholz, Die Wirtschaftsverbände in der Wirtschaftsgesellschaft, 1969; Erdmann, Die verfassungspolitische Funktion der Wirtschaftsverbände in Deutschland 1815-1871, 1968; K. von Beyme, Interessenverbände in der Demokratie, 4. Aufl., 1974; Kaelble, Industrielle Interessenpolitik in der Wilhelminischen Gesellschaft, 1969; Nicklisch, Die Koppelung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgeberverbänden, 1972; Völpel, Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972; Steinberg, ZRP 1972, 207; ders., PVS 14 (1973), S. 27; H. Leßmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, 1976; H. H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977; W. Berg, Verwaltung 11 (1978), S. 71; H. P. Ipsen, ZGR 1980, S. 548. BGHZ 46, 168; H. Oehler, Wettbewerbsregeln als Instrument der Wettbewerbspolitik, 1968 (Rez. A. Schüller, ORDO XXI [1970], S. 407). 321
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ren Eintragung in das Register für Wettbewerbsregeln beantragen (§§28 ff. GWB). Ein von ihnen ausgeübter diskriminierender Organisationszwang ist kartellrechtlich verboten (§§ 27, 35 I 2 GWB). Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind präsumtive Partner einer „konzertierten Aktion" (§ 3 StabG). Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) ist, über ihre individualrechtliche Wirkung hinaus, ein tragender Grundsatz der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung 144 . Sie gewährleistet jedermann das Recht, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben, sich in ihnen zu betätigen und aus ihnen auszutreten. Das Grundrecht ist auch ein Bestands- und Betätigungsrecht der Koalitionen selbst. Zu dem geschützten Tätigkeitsbereich der Koalitionen gehören alle Vorkehrungen und Verhaltensweisen, die der Erhaltung und Organisation der Koalition und der Verfolgung ihrer koalitionsmäßigen Ziele dienen, so beispielsweise die Tätigkeit im Rahmen der Betriebsverfassung, die Werbung neuer Mitglieder, der Abschluß von Tarifverträgen (Tarifautonomie) 145 und der Arbeitskampf (Streik, Aussperrung) 146 . Die Koalitionsfreiheit der Koalitionen und die Koalitionsfreiheit der einzelnen können in Konflikt geraten, entweder im Hinblick auf die Organisation und Willensbildung der Koalitionen 147 — „innerverbandliche Demokratie", Organisationszwang — 144
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Dietz, GRe HI/1, S. 417; W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1955; R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971; ders., Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, 1972; Zöllner, AöR 98 (1973); S. 71; Badura, RdA 1974, 129; ders., RdA 1976, 275; Säcker, ArbRGgwart 12 (1975), S. 17; A. Söllner, ArbRGgwart 16, 1979, S. 19; R. Scholz, ZFA 1980, 357.; G. Schwerdtfeger, in: Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers (Beitr. z. ausl. öff. Recht u. Völkerrecht, Bd. 75/1), 1980, S. 149; A. Fuchs, in: HbVerfR, S. 733; H. Seiter, AöR 109 (1984), S. 88. - BVerfGE 4, 96; 17, 319; 18, 18; 19, 303; 20, 312; 28, 295; 34, 307; 38, 281; 38, 386; 42, 133; 44, 322; 50, 290/366ff.; 51, 77/87f.; 55, 7; 57, 220/244ff.; 58, 233; 60, 162/169f. Tarifvertragsgesetz i. d. Fass. v. 25. 8. 1969 (BGBl. I, S. 1323). Materialien zur Entstehung des TVG vom 9.4. 1949, ZfA 4 (1973), S. 129; Herschel, ebd. S. 183. BVerfGE 4, 96; 34, 307; 44, 322; 50, 290/369; 55, 7/20ff.; 58, 233/246ff. - H. Wiedemann/ H. Stumpf, TVG, 5. Aufl., 1977; W. Zöllner, Arbeitsrecht, 3. Aufl., 1983, S. 296 ff; F. A. Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, 1987. BVerfGE 38, 386; BAG 1, 291 ; BAG AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 23, 292; 33, 140; BAG EzA §615, 7 BGB Betriebsrisiko; BAG SAE 1983, 217; BAG AP Nrn. 81 und 83 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG JZ 1986; 596. - P. Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968; U. Scheuner, RdA 1971, 327; H. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975; ders., RdA 1986, 165; H. Konzen, AcP 1977, 1977, S. 473; R. Scholz/H.Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980; H. Brox/ B. Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982; E. Picker, Der Warnstreik, 1983; P. Badura, DB 1985, Beilage Nr. 14/85; H. Buchner, RdA 1986, 7; R. Richardi, RdA 1986, 146. Richardi, AöR 93 (1968), S. 243; BGH NJW 1978, 990.
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4. AbSChn. III 2
oder im Verhältnis der Koalitionen zu den Nichtorganisierten und deren „negativer" Koalitionsfreiheit 148 — bes. Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in tariflichen Regelungen. Die Koalitionsfreiheit ist drittens die Gewährleistung eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems im Sinne des kollektiven Arbeitsrechts mit frei gebildeten Koalitionen als Tarifparteien (Institutsgarantie) 149 . Das Grundrecht statuiert im Bereich der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den grundsätzlichen Vorrang der Tarifautonomie vor einer zwingenden gesetzlichen Regelung und garantiert so einen „Kernbereich" verbandsmäßiger Aushandlung und Entscheidung. 2. Verwaltungszwecke und Rechtsformen Die Aufgaben des Staates für die Wirtschaftspolitik von Parlament und Regierung sind von der Verfassungsidee des sozialen Rechtsstaates bestimmt. Sie erscheinen auf der Ebene des Vollzugs durch die Exekutive als Verwaltungszwecke der Wirtschaftsverwaltung. Die Eigenart dieser Verwaltungszwecke und das Bedürfnis nach einem dieser Eigenart möglichst angepaßten rechtlichen Instrumentarium des Verwaltungshandelns haben eine schwer zu übersehende Vielfalt von Rechtsformen hervorgebracht, für die eine konsolidierte Theorie und Systematik noch ausstehen 150 . Überkommen ist die Unterscheidung und Gegenüberstellung von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung. Dem liegt der im konstitutionellen Staatsrecht entwickelte Gesetzesvorbehalt („Eingriffs"vorbehält) und die daraus folgerichtig abgeleitete Orientierung an den Rechtsformen des Verwaltungshandelns zugrunde. Die planende, gestaltende und lenkende Verwaltung kann allein mit diesem Begriffsapparat nicht hinreichend erfaßt werden. Im Rahmen der Leistungsverwaltung müssen zwei durchaus verschiedenartige Bereiche unterschieden werden, nämlich die Verwaltungstätigkeit in Erfüllung von „Daseinsvorsorge" (Forsthoff), bei der die Hingabe der Leistungen oder Vorteile allein zum Zwecke der Befriedigung eines durch die Hilfsquellen des Begünstigten oder die Arbeitsweise des Marktes nicht gedeckten Bedürfnisses erfolgt, wie bei 148
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BVerfGE 50, 290/367; BVerfG JZ 1981, 23; BAG JZ 1969, 105. - Biedenkopf, JZ 1961, 346; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, 1974; H. Seiter, JZ 1979, 657; ders., JZ 1980, 749; P. Hanau /J. Kroll, JZ 1980, 181. BVerfGE 4, 96; 50, 290/366 ff.. E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. I, 1953, S. 47 ff.; P. Lerche, DÖV 1961, 486; P. Badura, DÖV 1966, 624; W. Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967; K. Stern, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, 1969; Bachof/Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 193, 245; Hans J. Wolff / O. Bachof, VwR I, 9. Aufl., 1974, § 3; G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983. 323
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der Sozialversicherung oder bei den kommunalen Versorgungsbetrieben, und andererseits die Leistungsgewährung, bei der außerdem oder primär ein Gestaltungs- oder Lenkungszweck verfolgt wird, wie bei der Vergabe von Subventionen. Bei dem zweiten Zweig der Leistungsverwaltung kann zufolge des gestaltenden oder lenkenden Verwaltungszwecks der Leistung zu Lasten Dritter eine als „Eingriff zu beurteilende Wirkung eintreten. Unter dem Blickwinkel der die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisse bestimmenden Verwaltungszwecke sind die eingesetzten Rechtsformen des Verwaltungshandelns nicht selten austauschbar. Ausschlaggebend ist die Unterscheidung des in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsform wahrgenommen Verwaltungshandelns von der privatautonomen und privatwirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen und der privaten Haushalte. a) Wirtschaftslenkung, Wirtschaftsaufsicht: Unter Wirtschaftslenkung versteht man alle staatlichen Maßnahmen, durch die auf den wirtschaftlichen Prozeß eingewirkt werden soll, um einen wirtschafts-, sozial- oder gesellschaftspolitisch erwünschten Zustand oder Ablauf des Wirtschaftslebens herzustellen oder zu erhalten, ohne Rücksicht auf die Rechtsform der Maßnahmen als verwaltungsrechtliches oder zivilrechtliches Gesetz, als Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder privatrechtliches Rechtsgeschäft151. Wirtschaftslenkung entspringt dem Sozialgestaltungsauftrag des Staates und unterscheidet sich einerseits von der rechtlichen Ordnung des Privatrechtsverkehrs nach dem Maßstab der Privatautonomie und andererseits von der Begründung von Aufgaben und Befugnissen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ein Beispiel für die wirtschaftslenkende Regulierung des Absatzes einzelner Produkte sind die für die Ernährungswirtschaft charakteristischen Marktordnungen"2. Bei einer Marktordnung werden der Wettbewerb und die durch ihn ausgeübten Wirkungen auf den Preis, den Inhalt der Austauschbeziehungen, die Art und Weise des Warenverkehrs und die Produktionsstruktur ganz oder teilweise durch öffentlich-rechtliche Regelungen ersetzt. Der Grund dafür ist, daß wegen struktureller Gegebenheiten in dem betroffenen Bereich unter den Bedingungen marktwirtschaftlicher Konkurrenz wirtschaftspolitisch unerwünschte Nachteile für die Produzenten oder die Konsumenten eintreten würden. Durch die Marktordnung wird mit Hilfe eines vielgestaltigen Bündels gesetzlicher und administrativer Maßnahmen ein Ausgleich der bis zu einem gewissen Grade widerstreitenden Ziele der befriedigenden Versorgung der Verbraucher und der angemessenen Entlohnung der Produzenten über den (gelenkten) Preis angestrebt, wie etwa durch die Festsetzung von Höchst-, Mindest-, Rieht- und Interventionspreisen, z. B. bei der Getreide-
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BVerwGE 71, 183/190. K. P. Hensel, Marktordnung, HDSW 7 (1961), S. 161; V. Götz, Marktordnungsrecht, in: Hdwb des Agrarrechts II, 1982, Sp. 448.
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marktordnung 153 . Staatliche Kontroll- und Überwachungspflichten zur Durchführung einer Marktordnung verlagern das unternehmerische Risiko nicht auf den Staat. Die Aufsicht dient nur dem Allgemeininteresse, nicht auch dem Schutz der am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Unternehmen 1533 . Ein Instrument der Wirtschaftslenkung sind die Subventionen, staatliche Finanzhilfen, deren Vergabe im Regelfall strukturpolitische Ziele verfolgt 154 . Durch eine Wirtschaftsförderung, wie sie bei der Steuerung der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung, bei der energie- und sozialpolitischen Förderung des Kohlenbergbaus und bei den regionalen Strukturmaßnahmen zu beobachten ist, werden allerdings wesentliche Wirtschaftszweige oder einzelne Wirtschaftsregionen in Produktions- und Wettbewerbsbedingungen, in Struktur und Wachstum öffentlich-rechtlich gelenkt und von politischen Entscheidungen abhängig. Die subventionsweise zugewandte Begünstigung knüpft an das konkrete privatwirtschaftlich bestimmte Unternehmensziel an, führt dem Unternehmen aber Mittel zu, die es marktwirtschaftlich nicht erworben hat. Regelmäßig wird der Grund der Subventionierung eine strukturpolitische Eigenschaft sein, durch die das geförderte Unternehmen sich als Angehöriger einer im öffentlichen Interesse förderungswürdigen Gruppe von Wirtschaftssubjekten erweist. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, daß die Existenz oder die Entwicklung eines einzelnen Unternehmens für ein bestimmtes Gebiet oder für einen bestimmten Wirtschaftszweig von so herausragender Bedeutung sind, daß die Förderung dieses Unternehmens für sich allein durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt erscheint. Die Wirtschaftsförderung ist hauptsächlich eine Sache des
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GetreideG i. d. Fass. v. 3. 8. 1977 (BGBl. I S. 1521); VO Nr. 2727/75 des Rates vom 29. 10. 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. Nr. L 281/1); G zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) vom 31.8. 1972 (BGBl. I S. 1617), jetzt in der Fass. des 2. ÄndG vom 27.8.1986 (BGBl. I S. 1389). — Ein Verzeichnis der Grundverordnungen für die gemeinsamen landwirtschaftl. Marktorganisationen findet sich in Sartorius Bd. II, Nr. 177. R. Boest, Die Agrarmärkte im Recht der EWG, 1984 153a BGH NJW 1987, 585 (gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse der EWG). 154 A. Röttgen, DVB1. 1953, 485; H. P. Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, 1956; V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966; Ipsen/Zacher, Verwaltung durch Subventionen, W D S t R L 25 (1967), S. 257ff., 308ff.; P. Kirchhof (Anm. 87), S. 371 ff.; K. Lange, DVB1. 1977, 873; K. Vogel, in: Fs. f. Hans Peter Ipsen, 1977, S. 539; P. Badura, WiVerw 1978, 137; A. Bleckmann, Subventionsrecht, 1978; P. J. Tettinger, GewArch 1981, 105; D. Ehlers, VerwArch. 74 (1983), S. 112; K. H. Friauf, 55. DJT, 1984, Sitzungsbericht M; M. Oldiges, NJW 1984, 1927; G. Jooss, BayVBl 1985, 545, 581, 615; P. Henseler, VerwArch. 77, 1986, S. 249; G. Jooss, Subventionsrecht, in: F. Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, 1987, S. 283. 325
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Staates, doch ist sie auch den Gemeinden aufgrund und in den Grenzen ihrer Selbstverwaltungsaufgabe erlaubt155. Der reißend angeschwollene Umfang der Wirtschaftsförderung durch staatliche Finanzhilfen, die nur zu einem Teil auf einem besonderen Gesetz beruhen und häufig nur aufgrund eines Ansatzes im Haushaltsgesetz nach Maßgabe von Richtlinien der Exekutive ausgeschüttet werden, korrespondiert mit einem hier besonders auffälligen Einfluß der organisierten Interessen. Politisch gesprochen hat die vereinfachende Paradoxie eine gewisse Berechtigung, mit Subventionen interveniere „weniger der Staat in die Wirtschaft als die Wirtschaft in den Staat" (Volkmar Götz). Die Verpflichtung der Subventionspolitik auf die sehr allgemeinen Richtlinien des § 1 StabG (§12 1 StabG) verspricht kaum eine Bändigung des Subventionismus, doch bringt der von der Bundesregierung alle zwei Jahre vorzulegende Subventionsbericht (§ 12 II-IV StabG)156 wenigstens eine größere Durchsichtigkeit und so vielleicht den Anstoß zu einer stärkeren Planmäßigkeit der Wirtschaftsförderung. Die ordnungs- und wettbewerbspolitischen Risiken des Subventionswesens lassen sich nur durch strenge und unbestechliche Festlegung und Überwachung des öffentlichen Interesses bei der Einführung, Abwicklung und Beibehaltung der einzelnen Förderungsmaßnahmen in Grenzen halten157. Dem finanzpolitischen Ziel, durch Rückführung von Ausgaben den Handlungsspielraum des Bundes zu sichern, dient das Subventionsabbaugesetz vom 26. Juni 1981 (BGBl. I, S. 537)158. Die Abgrenzung des Kreises der durch eine bestimmte Subventionierungsmaßnahme zu begünstigenden Wirtschaftssubjekte ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung, die vor allem dem Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit (Art. 3 I GG) unterliegt159. Die durch die Subventionierung bewirkte Veränderung der Chancengleichheit im Wettbewerb bedarf der sachlichen Rechtfertigung durch ein hinreichend gewichtiges öf155
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A. Köttgen, Der heutige Spielraum kommunaler Wirtschaftsförderung, 1963; F.-L. Knemeyer, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 493; ders. /B. Rost-Haigis, DVB1. 1981, 241; R. Altenmüller, DVB1. 1981, 619; K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981; H.-P. Steinmetz, BayVBl. 1983, 97. Bericht der BReg über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1985 bis 1988 (Elfter Subventionsbericht), BTDrucks. 11/1338. Antwort der BReg auf eine Große Anfrage: Subventionspolitik der BReg, BTDrucks. 8/3429. RegEntw, BT-Drucks. 9 / 9 2 ; Finanzplan des Bundes 1980 bis 1984, BT-Drucks. 9 / 5 1 ; Stellungnahme des BRates und Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks. 9/217; V. Stern / G. Werner, Subventionsabbau. Notwendigkeit und Möglichkeiten, 1987. — Die Gewährung einer Subvention begründet grundsätzlich keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand für eine Weitergewährung der Förderung (BVerfGE 72, 175 betr. ein zins- und tilgungsbegünstigtes Darlehen). I. von Münch, AöR 85 (1960), S. 270; Götz, Wirtschaftssubventionen (Anm. 154), S. 267ff.; Kreussler, Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber, 1973. - BVerwG DÖV 1973, 317.
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4. Abschn. III 2a
fentliches Interesse, d. h. ein definiertes strukturpolitisches Ziel. Der Nutzen und der Erfolg einer Subventionierungsmaßnahme und die Frage der finanzpolitischen „Beherrschbarkeit" von Subventionen sind Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Beurteilung160. Wirtschaftsverwaltungsrechtlich gesehen sind Subventionen Geldleistungen, die in Verfolgung eines bestimmten wirtschaftsgestaltenden Zweckes an einen privaten Unternehmer als Angehörigen eines zu fördernden Wirtschaftszweiges161 oder wegen des Standortes seines Betriebes162 durch einen Verwaltungsträger im Rahmen eines besonderen Rechtsverhältnisses in Gestalt von Zuschüssen, Krediten163, Zinserleichterungen, Prämien oder Bürgschaften vergeben werden. Subvention im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften über den Subventionsbetrug (§ 264 StGB, Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen vom 29. 7. 1976, BGBl. I, S. 2034, 2037) ist eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an (private oder öffentliche) Betriebe oder Unternehmen, die wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und der Förderung der Wirtschaft dienen soll (§ 264 VI StGB)164. Steuervergünstigungen sind mangels eines besonderen Subventionsverhältnisses nur im wirtschaftlichen, nicht aber im wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Sinn als Subventionen anzusehen („verdeckte" Subventionen). Die Investitionszulage nach § 4a InvZulG 1975 ist keine Steuervergünstigung, sondern eine Subvention165. Erfolgt die Vergabe einer Subvention nicht aufgrund eines besonderen Gesetzes, dient als direktiver Maßstab für den Inhalt der Verwaltungsvorschriften (Richtlinien), die als normative Grundlage für die Entscheidung über Subventionierungsanträge durch das zuständige Ministerium erlassen werden, der Zweck der Subvention, wie er durch den Haushaltsansatz der zu vergebenden Mittel festgelegt ist166. Das Haushaltsgesetz kann für sich allein individuelle Ansprüche Begünstigter nicht begründen (§ 3 HGrG) und kommt deshalb als eine dem Gesetzesvorbehalt entsprechende gesetzliche Grundlage 160
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K.-H. Hansmeyer, Subventionen in der Bundesrep. Deutschland, 1963; ders., FinArch 30 (1971/72), S. 103; Andel, Subventionen als Instrument des finanzwirtschaftlichen Interventionismus, 1970; Schetting, Rechtspraxis der Subventionierung, 1973. Sektorale Wirtschaftsförderung, z. B. der Landwirtschaft nach dem „Grünen Plan" (§ 6 LandwirtschaftsG vom 5. 9. 1955, BGBl. I, S. 565), durch Anpassungsbeihilfen (G zur Förderung der Eingliederung der dt. Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt vom 9. 9. 1965 (BGBl. I, S. 1201), u. a. - Siehe oben Anm. 19. Regionale Wirtschaftsförderung; siehe oben Anm. 18. Hier ergeben sich besondere Rechtsgestaltungen, wenn sich die Verwaltung zur Kreditvergabe einer Bank bedient: BVerwGE 30, 211; BGH NJW 1964, 2060; BayVerfGH NJW 1961, 163; BayVGH DVB1. 1967, 383. L. Findeisen, JZ 1980, 710; O. Ranft, NJW 1986, 3163. BVerwG NJW 1985, 1972. BayVGH BayVBl. 1970, 408; OVG Lüneburg GewArch 1970, 283. 327
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für Subventionsgewährungen nicht in Betracht . Verfassungsrechtlich ist zwischen der dem parlamentarischen Budgetrecht unterliegenden haushaltswirtschaftlichen Bereitstellung der zu vergebenden Mittel und der normativen Grundlage des Subventionsverhältnisses der öffentlichen Hand zu dem Subventionsempfänger (Subventionsstatut) zu unterscheiden. Eine besondere gesetzliche Grundlage ist jedenfalls dann erforderlich, wenn die Förderung des Begünstigten in einem notwendigen Zusammenhang mit der Belastung eines Dritten steht, wie z. B. bei Ausgleichsabgaben und -leistungen168, oder wenn der Gewährleistungsbereich eines Grundrechts spezifisch betroffen wird, wie z. B. bei Pressesubventionen 169 oder bei der Filmförderung 170 . Die Vergabe von Subventionen erfolgt im Einzelfall durch Bewilligungsbescheid und regelmäßig aufgrund einer Ermessensentscheidung. Ein Anspruch des Bewerbers auf Gewährung oder Weitergewährung einer Subvention kann sich durch normative Rechtsbegründung und sonst nur kraft Gleichheitssatzes oder kraft eines besonderen Vertrauenstatbestandes, z. B. einer Zusage, ergeben171. Unter engen Voraussetzungen kann nach Grundsätzen der willkürfreien Folgerichtigkeit oder „System"gebundenheit ein Anspruch unmittelbar auf Zahlung eines bestimmten Subventionsbetrages gegeben sein172. Besondere Fallgestaltungen können es rechtfertigen, eine Subvention durch öffentlich-rechtlichen Vertrag zu gewähren173. Eine fehlerhaft geleistete und eine zweckwidrig verwendete Subventionsleistung kann durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden. Bei fehlerhafter Vergabe entsteht dieser Erstattungsanspruch jedoch nur, wenn der Bewilligungsbescheid zurückgenommen werden darf (§ 48 VwVfG) und zurückgenommen worden ist 174. Die eine Zeitlang maßgeblichen Vorschriften des Haushaltsrechts (§ 44 a BHO und die Landeshaushaltsordnungen) über den Widerruf von Zuwendungsbescheiden, insbes. wegen zweckwidriger Verwendung, und über die Erstattung der fehlerhaft gewährten oder zweckwidrig verwandten Zuwendung 175 sollen in 167 168 169 170 171 172 173
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BVerfGE 38, 121. BVerwGE 6, 282; 18, 352; 58, 45. - J. Gündisch, NVwZ 1984, 489; H. D. Jarass, NVwZ 1984, 473. VG Berlin DÖV 1975, 134 mit Anm. R. Scholz; OVG Berlin DVB1. 1975, 905. W.-R. Schenke, GewArch 1977, 313. G über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz) in der Fass. der Bek. vom 18. 11. 1986 (BGBl. I S. 2046). BGH JZ 1975, 485; OVG Hamburg GewArch 1975, 20; OVG Münster DVB1. 1980, 648. BVerwGE 55, 349 mit Anm. H.-U. Erichsen, VerwArch 1980, 289. W. Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979; Chr.-Fr. Menger, in: Fs. für Werner Ernst, 1980, S. 301. - Ein Konkurrent kann Rechtsschutz im Wege der Feststellungsklage erlangen (OVG Münster GewArch. 1984, 227, mit Anm. A. Knuth, JuS 1986, 523). BVerwG NJW 1977, 1838; BVerwG GewArch. 1977, 264; BVerwG DVB1. 1983, 810; OVG Lüneburg NVwZ 1985, 499 und 500 H.A. Dommach, DÖV 1981, 122; H. D. Jarass, DVB1. 1984, 855; P. Weides, JuS 1985, 364.
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das Verwaltungsverfahrensrecht übernommen werden (§§49 Abs. 3, 49 a VwVfG). Die Rückforderung von Beihilfen, die auf Grund von Rechtsvorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts gewährt worden sind, ist durch die nationalen Behörden grundsätzlich nach nationalem Recht zu bemessen176. Subventionen stellen durchweg zumindest in ihren Wirkungen eine Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse dar; die Strukturpolitik, von der sich typischerweise der jeweilige Subventionszweck ableitet, zielt gerade auf die Beeinflussung der Bedingungen ab, unter denen die begünstigte Wirtschaftsleistung den Markt erreicht. Es können sich deshalb über das Subventionsverhältnis zwischen der Verwaltung und dem Begünstigten hinaus rechtlich faßbare Beziehungen auch zu beeinträchtigten Konkurrenten des Begünstigten ergeben. Die Beeinträchtigung des Konkurrenten kann in seinem willkürlichen Ausschluß aus dem Kreis der Subventionsempfänger 177 oder in einer willkürlichen Verminderung seiner Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Insoweit als eine Subventionsvergabe die Chancengleichheit im Wettbewerb (Art. 3 I GG) oder die Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 I GG) eines Konkurrenten des Begünstigten und damit die rechtlich geschützten Interessen eines Drittbetroffenen berührt, ist sie ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Da Subventionen eine Begünstigung nationaler Wirtschaftszweige und damit eine Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt der Europäischen Gemeinschaften zur Folge haben können, ist die Subventionspolitik der Mitgliedstaaten europarechtlich beschränkt (Art. 4 lit. c EGKSV; Art. 92 — 94 EWGV)178. Subventionsmaßnahmen können verfassungsrechtlich durch den allgemeinen sozialstaatlichen Schutz- und Gestaltungsauftrag, aber auch durch grundrechtliche Schutzpflichten gerechtfertigt sein, wie z. B. im Fall der privaten Ersatzschulen (Art. 7 IV GG). Grundrechtliche Schutzpflichten finden ihren Grund in der Förderung individueller Freiheit. Deshalb ist es selbstverständlich, daß der Geschützte eine angemessene Eigenleistung erbringen muß und nicht etwa vom allgemeinen unternehmerischen Risiko, insbes. im Wettbewerb mit anderen Anbietern, freizustellen ist178a. Die Wirtschaftsaufsicht ist ein Bereich der Wirtschaftsverwaltung, der durch ein in verschiedenen Gesetzen für bestimmte Zweige wirtschaftlicher Betätigung geregeltes Instrumentarium von Kontrollaufgaben und -befugnissen gekennzeichnet ist179. Genehmigungspflichten lassen sich als eine Technik präventiver Wirtschaftsaufsicht begreifen. Sache der Aufsichtsbehörde ist 176
BVerwG BayVBl. 1987, 87. BVerwGE 30, 191. - siehe Anm. 202. 178 B. Börner / M. Bullinger (Hrsg.), Subventionen im Gemeinsamen Markt, Kölner Schriften zum Europarecht, Bd. 29, 1978; H.-W. Rengeling, JZ 1984, 795. 178a BVerfG DVB1. 1987, 621/625. 179 Bullinger, W D S t R L 22 (1965), S.264; E.Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967; R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971; Steindorff, Wirtschaftsrecht, S. 105ff.; H. Schäffer, ÖZW 1978, 33, 65 und 1979, 1; R. Schmidt, HdWW, 23. Lief, 1980, S. 34; K. Wenger, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 373. 177
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es, die jeweils gesetzlich festgelegten Aufsichtsmaßstäbe — gesetzlich bestimmte oder in einem Verwaltungsakt, z.B. einer Genehmigung, festgelegte Anforderungen an ein wirtschaftliches Verhalten — mit Hilfe der ihr zugewiesenen Eingriffsbefugnisse gegenüber der beaufsichtigten Wirtschaftstätigkeit durchzusetzen. Da die Aufsichtsmaßstäbe sowohl gewerbepolizeilicher wie auch wirtschaftslenkender Art sein können, schließen sich Wirtscriaftsaufsicht und Wirtschaftslenkung nicht gegenseitig aus 180 . Wichtige Zweige der Wirtschaftsaufsicht sind die Gewerbeaufsicht über die Prüfung der überwachungsbedürftigen Anlagen (§ 24 d GewO) l 8 0 a und über die Einhaltung der gewerberechtlichen Arbeitsschutzbestimmungen (§ 139 b GewO), die Atomaufsicht (§ 19 AtG), die Aufsicht über Verkehrsunternehmen (§ 54 PersBefG, § 77 GüKG), die Versicherungsaufsicht über Versicherungsunternehmen und private Bausparkassen 181 , die Bankenaufsicht über die Kreditinstitute und Hypothekenbanken 182 , und die Aufsicht über die Energieversorgungsunternehmen 183 . 180 180a 181
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Abw. Auff. Bullinger, a. a. O., S. 286 f. E. Hauck, GewArch. 1987, 145; J. Scherer, JA 1987, 237. Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen vom 13. 10. 1983 (BGBl. I S. 1261), zuletzt geändert durch G vom 19. 12. 1985 (BGBl. I S. 2355); Gesetz über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen vom 31. 7. 1951 (BGBl. I S. 480), zuletzt geändert durch G vom 29. 3. 1983 (BGBl. I S. 377); Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen vom 22. 12. 1954 (BGBl. I S. 501). - E. Prölss / R. Schmidt/P. Frey, Versicherungsaufsichtsgesetz, 9. Aufl., 1983; W. Weber, ZVersWiss 50, 1961, S. 333; ders., in: Braess (Hrsg.), 25 Jahre Institut für Versicherungswissenschaft an der Universität zu Köln, 1966, S. 51; ders., ZVersWiss 57, 1968, S. 227; A. Goldberg, Versicherungsaufsichtsgesetz, 1980; R. Scholz, ZVersWiss 73, 1984, S. 1; H. Mösbauer, DÖV 1985, 811; ders., BB 1987, 1688; M. Tigges, Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht, 1985. §§ 6, 52 Ges. üb. das Kreditwesen in d. Fass. d. Bek. v. 11. 7.1985 (BGBl. I S. 1472), zuletzt geändert durch G vom 15. 5. 1986 (BGBl. I S. 721); § 3 HypothekenbankG i. d. Fass. vom 5. 2. 1963 (BGBl. I S. 81), zuletzt geändert durch G vom 19. 12. 1985 (BGBl. I S. 2355). - BVerfGE 14, 197; L. Bähre/ M. Schneider, KWG-Kommentar, 3. Aufl., 1986; R. Fleischmann / D. Bellinger / V. Kerl, Hypothekenbankgesetz, 3. Aufl., 1979; W. A. Müller, Bankenaufsicht und Gläubigerschutz, 1981. - Amtshaftung bei ermessensfehlerhafter Handhabung der Bankenaufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, wie sie seit BGH JZ 1979, 679 und 683 in Betracht kam, ist nunmehr durch die Neufassung des § 6 III KWG (3. ÄndG vom 20. 12. 1984, BGBl. I S. 1693) ausgeschlossen. Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft vom 13. 12. 1935 (RGBl. I S. 1451), zuletzt geändert durch G vom 19. 12. 1977 (BGBl. I S. 2750). - E. Eiser / J. Riederer / W. Obemolte / W. Danner, Energiewirtschaftsrecht, 4. Aufl., 1976ff.; W. Tegethoff / U. Büdenbender / H. Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, 1982ff.; U. Büdenbender, Energierecht, 1982; H.-U. Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl., 1983; H.-J. Papier, in: Fs. f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, S. 529; W. Ludwig / A. Cordt / J. Steck / H. Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, 1986.
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Die wettbewerbsrechtliche (kartellrechtliche) Aufsicht und die Preisaufsicht dienen der Sicherung grundlegender überfachlicher Verhaltensanforderungen im Wettbewerb und in der Vertragsgestaltung. Die Wirtschaftsaufsicht nach dem Kartellgesetz'84 schützt die Wettbewerbsordnung und den marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Das Zweite Änderungsgesetz vom 3. August 1973 (BGBl. I S. 917) hat die Aufsichtsbefugnisse durch die Einführung einer präventiven und repressiven Konzentrationskontrolle erweitert185. Die allgemeine Preisaufsicht mit Hilfe der die „Aufrechterhaltung des Preisstandes" als Maßstab verwendenden Generalklausel des § 2 Preisgesetz erlaubt nur ordnungssichernde Regelungen und Verfügungen, nicht dagegen eine aktiv wirtschaftsgestaltende Preislenkung 186 . Fachlich speziellere Ermächtigungen erlauben weitergehende Bindungen und Eingriffe, z. B. bei der Gestaltung von Verkehrstarifen oder im Energiepreisrecht 187 . Während die Wirtschaftsaufsicht das wirtschaftliche Verhalten Privater daraufhin überwacht, ob es mit den maßgeblichen Normen des Wirtschaftsverwaltungsrechts übereinstimmt, und diese Übereinstimmung notfalls erzwingt, wird bei der Indienstnahme Privater für die Erfüllung von Verwaltungszwecken die privatwirtschaftliche Tätigkeit insgesamt oder in einzelnen Hinsichten im öffentlichen Interesse in Anspruch genommen 188 . Das kann in der Weise geschehen, daß Private zur Erfüllung einer bestimmten öffent184
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Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957, jetzt i. d. Fass. d. Bek. v. 24. 9. 1980 (BGBl. I S. 1761), zuletzt geändert durch G vom 19. 12. 1985 (BGBl. I S. 2355). - Frankfurter Kommentar, 1958ff.; Gemeinschaftskommentar, hrsg. von H. Müller-Henneberg und G. Schwartz, 3. Aufl., 1972ff.; E. Langen / E. Niederleithinger / U.Schmidt, Kommentar zum Kartellgesetz, 5. Aufl., 1977; O. Frhr. v. Gamm, Kartellrecht, 1979; F. Rittner, Einführung in das Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1981; V. Emmerich, Kartellrecht, 4. Aufl., 1982; W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983. R. Scholz, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971; ders., Entflechtung und Verfassung, 1981; W. Kleinmann / R. Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, 1977; Chr. Windbichler, Unternehmensverträge und Zusammenschlußkontrolle, 1977; P. Selmer, Unternehmensentflechtung und Verfassung, 1981; C. Canenbley / K. Moosecker, Fusionskontrolle, 1982. - Viertes Hauptgutachten der Monopolkommission 1980/1981 (BTag Drucks. 9/1982); Stellungnahme der BReg, BTag Drucks. 10/409 (26. 9. 1983). Übergangsgesetz über Preisbildung und Preisüberwachung (PreisG) vom 10.4. 1948 (WiGBl. S. 27), fortgeltend gemäß G vom 29.3. 1951 (BGBl. I S. 223). BVerfGE 8, 274; 53, 1 mit Anm. W. Meng, DVB1. 1980, 613; 65, 248. § 7 EnWG. - Probleme des § 12 a BTO Elt (VEnergR 51), 1983. - BVerfG NJW 1982, 1511 (Liefersperre). Wolff/ Bachof/ R. Stober, VerwR II, § 104; Ipsen, in: Fg. f. E. Kaufmann, 1950, S. 141; ders., AöR 90 (1965), S. 393; K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959; H.H. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen? 1963; Ossenbühl / Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137ff„ 211 ff.; BVerfGE 22, 380; 30, 292; BGH JZ 1964, 379. 331
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liehen Aufgabe dadurch herangezogen werden, daß ihnen einzelne öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, wie z. B. bei der Durchführung der Währungsumstellung durch die Banken, beim Abzug und der Abführung der Lohnsteuer durch die Arbeitgeber oder bei der Begründung der Pflicht, einen Mindestvorrat an Erdölerzeugnissen zu halten. Darüber hinaus wird im Fall des „beliehenen Unternehmers" einer natürlichen Person oder einer juristischen Person des Privatrechts die Befugnis übertragen, gegenüber Dritten öffentlich-rechtlich zu handeln, wie z. B. bei den Technischen Überwachungsvereinen (§ 24 c GewO, § 29 StVZO)189. Die Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf eine juristische Person des Privatrechts darf nur durch oder auf Grund Gesetzes erfolgen190. b) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte: Die wirtschaftslenkenden Gesetze und die zu ihrem Vollzug ergehenden Rechtsverordnungen und Verwaltungsakte der Exekutive greifen mit sehr vielgestaltigen Rechtswirkungen in die unternehmerischen Entscheidungen und den Privatrechtsverkehr ein. Ein Hauptansatzpunkt dieser Rechtssätze und Maßnahmen ist die Vertragsfreiheit, die etwa durch preisrechtliche Regelungen, öffentlich-rechtliche Genehmigungspflichten oder dadurch beschränkt sein kann, daß ein Kontrahierungszwang die freie Wahl des Vertragspartners ausschließt. Durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes kann ein bestimmtes Verhalten geboten 191 oder verboten 192 sein oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zugunsten der Behörden der Wirtschaftsverwaltung 193 begründet werden. Genehmigungspflichten für die Aufnahme wirtschaftlicher Berufe, für bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten oder für bestimmte Verträge ermöglichen eine vorbeugende Überwachung im Interesse der Gefahrenabwehr oder der Wirtschaftslenkung (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Diesen Verwaltungszwecken dienen auch belastende Nebenbestimmungen, vor allem Auflagen, die Er-
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BVerwGE 29, 166; BGH NJW 1957, 1597; BGHZ 25, 266; BGH DÖV 1968, 135; Steiner, JuS 1969, 69; ders.. Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975; P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, 1977. OVG Münster JZ 1980, 93. Z. B. ein Beimischungszwang zur Sicherung der Verwertung von Rohstoffen inländischer Erzeugung (z. B. früher nach dem G über die Unterbringung von Rüböl aus inländischem Raps und Rübsen vom 12. 8. 1966, BGBl. 1966 I S. 497). - BayVGH DVB1. 1970, 977; BVerwG NJW 1974, 2247 und 2250. Z. B. das Verbot des Vertriebs und des Ankaufs bestimmter Waren im Reisegewerbe (§ 56 GewO) oder die Untersagung eines Energieversorgungsunternehmens (§ 8 EnergiewirtschaftsG). Z. B. die allgemeine Auskunftspflicht nach der VO über Auskunftspflicht vom 13. 7. 1923 (RGBl. 1923 I, S. 723) oder die zahlreichen Auskunftspflichten im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht (u. a. §§ 14, 16, 24 KreditwesenG; § 3 EnergiewirtschaftsG; § 9, 16 IV, 23 GWB).
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. A b s c h n . 1112 b
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laubnissen oder Bewilligungen, insbesondere von Subventionen 195 , beige196 fügt werden . Wirtschaftslenkende Verwaltungsakte unterscheiden sich von Polizeiverfügungen, obwohl sie ebenso wie diese individuelle Adressaten haben, dadurch, daß sie zwischen einer Gruppe von Verwaltungsunterworfenen, die durch dieselbe wirtschaftliche Situation verbunden sind, eine bestimmte Ordnung herstellen und in diesem Sinne nicht nur individuelle Verhaltensweisen, sondern kollektive Wirkungen erreichen wollen. Diese Verwaltungsakte sind nicht allein von dem zweiseitigen Verhältnis zwischen der Verwaltung und dem Adressaten rechtlich zu erfassen. Sie haben eine „Dritt-" oder „Doppelwirkung"191, so bei der Veränderung der Wettbewerbslage durch die Subventionierung eines Konkurrenten oder bei der Genehmigung eines Linienverkehrs neben einem Altunternehmen (vgl. § 13 II Nr. 2 PBefG). Die Rechtsvorschriften, die der Behörde die Grundlage zur Entscheidung über derartige Verwaltungsakte bieten, normieren zugleich mit den Voraussetzungen für die Genehmigung oder Bewilligung die im Interesse und zum Schutz der Drittbetroffenen für nötig gehaltenen Anforderungen. Der Dritte kann daher aus diesen Bestimmungen einen Abwehranspruch oder - sofern dem Verwaltungsakt keine Hindernisse entgegenstehen - einen Anspruch auf Nebenbestimmungen zur Sicherung seiner Rechte ableiten. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine begünstigende Erlaubnis oder Bewilligung nicht nur die Erwerbschancen, sondern auch die Rechtsstellung eines Konkurrenten des Begünstigten berührt, ist bisher vornehmlich unter dem prozeßrechtlichen Blickwinkel des Rechtsschutzbedürfnisses bei der Verfassungsbeschwerde198 und der Klagebefugnis bei der Verwaltungsklage (§ 42 II VwGO; „Konkurrentenklage") behandelt worden. Der Dritte („Konkurrent") ist in einer ihn zur Verwaltungsklage berechtigenden Weise beschwert, wenn zwischen ihm und dem Adressaten des Verwaltungsaktes ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und wenn er sich kraft der einschlägigen Rechtsvorschriften oder kraft des grundrechtlich geschützten Rechts auf gleiche Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 I, 3 I GG) auf eine durch die Verwaltungsmaßnahme betroffene Rechtsposition berufen kann, die durch eine Rechtsverletzung verkürzt worden sei199. Das wirtschaftliche Interesse eines Gewerbetreibenden, daß die Zahl seiner Konkurrenten nicht durch Neuzulassung vermehrt oder durch Ausschluß vermindert werde, genießt keinen 194 195 196 197 198 199
Beispielsw. § 5 Abs. 1 GaststG; § 16 PersBefG. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 45ff.; BGH NJW 1972, 210. BVerwGE 6, 282, 291; 24, 129; 29, 261. - H. Krüger, DVB1. 1955, 380, 450, 518; G. Huber, in: Fs. f. E. R. Huber, 1973, S. 203; K. Lange, AöR 102 (1977), S. 337. Erichsen /Martens, Allg. VwR, S. 203ff.; R. Mußgnug, NVwZ 1988, 33. BVerfG DÖV 1963, 582; BVerfGE 18, 1; 21, 132; 24, 289. BVerwG NJW 1980, 2764 (Festsetzung von Pflegesätzen für Krankenhäuser); BVerwG DVB1. 1982, 692 (Ausnahmegenehmigung nach §23 I LadSchlG); BVerwG DVB1. 1984, 91 (Genehmigung nach dem GüKG). 333
4. Abschn. 1112 b
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rechtlichen Schutz, es sei denn das Gesetz hat aus besonderen Gründen eine derartige Rechtsstellung geschaffen. Auf dieser Grundlage ist eine Klagebefugnis des vorhandenen Taxiunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Kraftdroschkenverkehrs (§ 13 III PBefG) verneint200, die Klagebefugnis des Altunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Linienverkehrs (§ 13 II PBefG) dagegen bejaht worden 201 . Gegen die Subventionierung eines Konkurrenten ist dem Dritten eine Anfechtungsmöglichkeit zugesprochen worden, wenn er geltend macht, daß seine schutzwürdigen Interessen willkürlich, nämlich in Form der Verzerrung der Wettbewerbslage durch Verletzung der Chancengleichheit, vernachlässigt worden seien202. Für den interventionistischen Charakter des Wirtschaftsverwaltungsrechts kennzeichnend ist die Rechtsfigur des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts203. Rechtsfolge dieses Verwaltungsaktes ist die Begründung, Veränderung oder Aufhebung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse oder Rechte. Besonders häufig ist der Fall, daß das Wirksamwerden eines privatrechtlichen Rechtsgeschäfts von einer Genehmigung abhängig ist, so z. B. beim Grundstücksverkehr und im Mietpreisrecht204. Wenn die Wirkung des Verwaltungsaktes auf das private Rechtsgeschäft eingetreten ist, ist ein Widerruf ex tunc grundsätzlich ausgeschlossen205. Ein rechtsbegründender privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt war die Verleihung des Bergwerkseigentums nach dem alten Recht vor dem Inkrafttreten des Bundesberggesetzes vom 13. August 1980 (BGBl. I S. 1310), eines Inbegriffs einzelner zivilrechtlicher Berechtigungen mit dem Aneignungsrecht für die verliehenen Bodenschätze als seinem Kern. Das neue BBergG ist im Berechtsamswesen zu einem öffentlichrechtlichen Konzessionssystem übergegangen, in dessen Rahmen die Bezeichnung „Bergwerkseigentum" für eine bestimmte, insbes. beleihbare, Bergbauberechtigung hinsichtlich bergfreier Bodenschätze fortbesteht 206 . 200 201 201
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BVerwGE 16, 187; OVG Münster NJW 1980, 2323. BVerwGE 9, 340; BVerwG VerwRspr. 20, 487. BVerwGE 30, 191 (Anm. R. Scholz, NJW 1969, 1044; Mössner, JuS 1971, 131). R. Scholz, WiR 1, 1972, S. 35; Zuleeg, Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage, 1974; P. Badura, in: Fs. f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, S. 1. - Zur gemeinschaftsrechtlichen Konkurrentenklage im Rahmen des Art. 93 II EWG-Vertrag vgl. EuGH EuR 1986, 256. E. R. Huber, WirtschaftsverwaltungsR, I, S. 72ff.; Wertenbruch, in: Gedächtnisschrift f. Rudolf Schmidt, 1966, S. 89. BVerwG DÖV 1968, 54; OVG Münster JuS 1968, 340; BGH NJW 1965, 41; Kiekkebusch, VerwArch 57 (1966), S. 17, 162. BVerwGE 29, 314; differenzierend BVerwG JZ 1977, 794. §§ 6ff. BBergG. RegEntw: BT-Drucks. 8/1315; Ausschußempfehlung und -bericht: BT-Drucks. 8/3965. — H. Westermann, Freiheit des Unternehmers und des Grundeigentümers und ihre Pflichtbindungen im öffentl. Interesse nach dem Referentenentwurf eines Bundesberggesetzes, 1973; Weitnauer, JZ 1973, 75; R. Willecke, Die dt. Berggesetzgebung, 1977; B. Börner, Abwägungsdefizit beim Gesetzgebungsverfahren (RegEntw. BBergG), 1978; U. Karpen, AöR 106 (1981), S. 15; R. Piens / H.-W. Schulte/S. Vitzthum, BBergG, 1983.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. Abschn. III 2c
c) Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag: Eine Gruppe wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Genehmigungspflichten hat in verschiedenartiger und komplexer Ausgestaltung raumbezogene und raumbeeinflussende Vorhaben zum Gegenstand, die der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit durch den Unternehmer des Vorhabens dienen. Exemplarisch dafür sind die Genehmigungspflichten für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen und von Flugplätzen. Unternehmer ist hier regelmäßig eine Kapitalgesellschaft mit alleiniger oder wesentlicher Beteiligung der öffentlichen Hand, die durch das Vorhaben öffentliche Aufgaben der Energie- oder Verkehrswirtschaft erfüllt. Die Unternehmergenehmigung besteht rechtstechnisch aus einer Genehmigung, mehreren Genehmigungen oder einer Planfeststellung, auch aus einer Kombination dieser Gestattungsakte, sowie aus vorbereitenden landesplanerischen oder fachplanerischen Entscheidungen. Je nach der rechtlichen Ausgestaltung wird das durch den Antrag des Unternehmers bestimmte Vorhaben in einer Entscheidung oder in mehreren aufeinander aufbauenden Entscheidungen einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Anforderungen unterworfen. Die Eigenart dieser Genehmigungen besteht darin, daß sie zugleich eine dem Unternehmer auf seinen Antrag hin erteilte Erlaubnis und eine Planungsentscheidung im Hinblick auf das zuzulassende Vorhaben sind. Im Falle der Zulassung des Vorhabens kommen die öffentlich-rechtlichen Anforderungen und die staatliche Schutzpflicht zugunsten der betroffenen privaten Belange in den Nebenbestimmungen der Gestattung zur Geltung. Da regelmäßig eine oft sehr große Zahl von Dritten in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind, handelt es sich bei den die Errichtung oder den Betrieb des Vorhabens verbindlich zulassenden und regelnden Gestattungsentscheidungen um Verwaltungsakte mit Drittwirkung. Die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens beruht auf einer durch die gesetzlichen Anforderungen und Richtlinien geleiteten Abwägung und Ausgleichung des Anspruchs des Unternehmers, der berührten öffentlichen Interessen und der rechtlich geschützten Interessen der durch das Vorhaben und seine voraussichtlichen Auswirkungen betroffenen Dritten. Sie begründet eine öffentlich-rechtliche Rechtsstellung des Unternehmers. Entsprechend den gesetzlichen Entscheidungsprämissen übt die Behörde bei der Zulassung des Vorhabens planerische Gestaltungsfreiheit aus, z. B. bei der Billigung des Standortes207. Dieses „Planungsermessen" hat auf der Grundlage der gesetzlichen Planungsaufgabe und der gesetzlichen Anforderungen die Grundsätze der gebotenen Planrechtfertigung gegenüber den betroffenen pri207
Die Behörde hat sich in dem projektbezogenen Fachplanungsverfahren auf die rechtliche Prüfung des von dem Unternehmer gewählten Standortes zu beschränken, sofern sich nicht eine andere Standortwahl anbietet oder „aufdrängt" (BVerwG DÖV 1974, 418; BVerwG NJW 1980, 953). - Zur Standortvorsorgeplanung: Blümel, DVB1. 1977, 301; H. Brocke, Rechtsfragen der landesplanerischen Standortvorsorge für umweltbelastende Großanlagen, 1979; R. Wahl, DÖV 1981, 597. 335
4. Abschn. III 2c
Peter Badura
vaten Rechten, der umfassenden „Bewältigung" der durch das Vorhaben aufgeworfenen „Probleme" und des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots zu beachten208. Die Unternehmergenehmigung ist eine fachplanerische Entscheidung, die sich in die Gesamtplanungen der Bodenbeanspruchung einzufügen hat. Die Abstimmungspflicht des § 4 V BROG führt zu einer Beteiligung der Landesplanungsbehörden, die eine einfache landesplanerische Beurteilung abgeben oder ein Raumordnungsverfahren durchführen. Etwa bestehende Ziele der Raumordnung und Landesplanung lösen die Anpassungspflicht nach § 5 IV BROG aus, die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung werden, ggf. aufgrund spezieller Raumordnungsklauseln, wie z. B. in § 6 II 1 LuftVG, im Wege der landesplanerischen Beurteilung ermittelt und vorgegeben209. Die örtliche Bauleitplanung hingegen muß grundsätzlich hinter der fachplanerischen Entscheidung zurücktreten (vgl. §§ 7, 38 BauGB). Im Komplex der Unternehmergenehmigung geht der wesentlichen Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens ein förmliches Verwaltungsverfahren voraus210. Eine Eigentümlichkeit ist die im Regelfall anzutreffende Stufung des Verfahrens 2 ". Im Luftrecht folgt auf die Genehmigung des Flughafens die Planfeststellung der Anlage (§§ 6, 8 ff. LuftVG), im Atomrecht ist die Anlagengenehmigung in der Regel projektbegleitend in mehrere aufeinander folgende Teilgenehmigungen, ggf. je mit akzessorischen Freigabebescheiden, aufgespalten, und außerdem ein Vorbescheid zulässig, insbes. zur Wahl des Standortes (§§ 7 ff. AtG). Durch die Förmlichkeiten des Verfahrens sollen hauptsächlich die Beteiligung und das rechtliche Gehör der Betroffenen gesichert werden. Den Gemeinden, deren Gebiet durch das Vorhaben oder seine Auswirkungen berührt wird, kommt planungsrechtlich eine besondere Stellung zu; denn die kommunale Planungshoheit schließt, unabhängig von einer ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung (wie z. B. in § 10 II 2 LuftVG), ein „Recht der Gemeinden auf Mitwirkung an überörtlichen, aber 208
BVerwGE 34, 301; 45, 309 (M. Schröder, DÖV 1975, 308; Papier, DÖV 1975, 461); 47, 144; 48, 56; 52, 237; 55, 220; 56, 110; 57, 297; 59, 87; 59, 253; 61, 295; 61, 307; 67, 74; 71, 163; 71, 166. - Badura, in: Fs. zum 25jähr. Bestehen des BayVerfGH, 1972, S. 157; ders., BayVBl. 1976, 515; Hoppe, DVB1. 1974, 641; ders., DVB1. 1977, 136; Blümel, DVB1. 1975, 695; F. Weyreuther. DÖV 1977, 419; G. Korbmacher, DÖV 1978, 589; ders., DÖV 1982, 517. 209 £ porsthoff / W. Blümel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970; Dölker, BayVBl. 1975, 377; H. Schiarmann, DVB1. 1980, 275; M. Ronellenfitsch, WiV 1985, 168. - BVerwG DVB1. 1984, 627; BayVerfGH 14. 8. 1987 - Vf. 55-IX-87 - (Volksbegehren über den Entwurf eines Gesetzes über Standorte von kerntechnischen Anlagen in Bayern unzulässig). 210 W. Hoppe / H. Schiarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 2. Aufl., 1981; P. Badura, in: Erichsen/Martens, Allg. VwR, §42 ;R. Wahl, DVB1. 1982, 51. 211 R. Wahl, DÖV 1975, 373; E. Schmidt-Aßmann, in: Fg. für das BVerwG, 1978, S. 569; P. Badura, in: Erichsen/Martens, Allg. VwR, § 41 II 7. 336
4. Abschn. 1112c
Wirtschaftsverwaltungsrecht 212
ortsrelevanten Planungen" ein . Nach der Erfahrung der neueren Zeit werden gegen größere Vorhaben zahlreiche, vielfach formularmäßige Einwendungen erhoben, so daß es zu einem „Massenverfahren"kommt213. Das Verfahrensrecht trägt der Eigenart des Massenverfahrens z. B. dadurch Rechnung, daß die individuelle Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses durch dessen öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden darf, wenn außer an den Träger des Vorhabens mehr als 300 individuelle Zustellungen vorzunehmen wären (§ 74 V VwVfG)214. Gemeinden und private Drittbetroffene können die verbindlichen Entscheidungen über die Zulassung des Vorhabens mit der Anfechtungsklage angreifen und Planergänzungsansprüche auf Beifügung von Nebenbestimmungen mit der Verpflichtungsklage verfolgen. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) resultiert jedoch nicht schon aus dem erfolglosen Erheben von Einwendungen im Verwaltungsverfahren, sondern setzt stets voraus, daß der Kläger selbst in einem rechtlich geschützten Interesse betroffen ist. Für die Klagebefugnis in atomrechtlichen Streitigkeiten beispielsweise kommt es darauf an, ob der Kläger geltend macht, daß ihm durch die angefochtene Genehmigung ein höheres Risiko zugemutet wird, als er nach den Schutzbestimmungen des Atomrechts tragen muß215. Überdies können im Anfechtungsprozeß nur solche Rechtsmängel gerügt werden, für die eine individuelle rechtliche Betroffenheit bestehen kann (§113 I I VwGO). Der subjektivrechtliche Charakter des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bleibt in „Großverfahren" unberührt216. Auch das Klagerecht der Gemeinden kann nur auf solche Rechtsverletzungen gestützt werden, durch die eine geschützte Rechtsstellung der Gemeinde, nämlich ihre Planungshoheit, ihre sonstigen Selbstverwaltungsbefugnisse oder ihr Grundeigentum, beeinträchtigt werden können217. Die Verbandsklage ist unzulässig218. Die häufig lange Dauer der Hauptsacheverfahren bei technischen Großvorhaben hat es hier zu einem 212 213
214 215 216 217
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BVerwGE 31, 263/266; BVerfGE 56, 298 m. Anm. R. Steinberg, JuS 1982, 578. W. Blümel, in: Fs. f. Werner Weber, 1974, S. 539; F. O. Kopp, DVB1. 1980, 320; V. Henle, BayVBl. 1981, 1; P. Badura, JA 1981, 33/34f. - Die Auswahl von Musterverfahren bei einer Vielzahl von verwaltungsgerichtlichen Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluß ist verfassungsrechtlich zulässig (BVerfGE 54, 39). BVerwG DVB1. 1983,901. BVerwGE 70, 365; OVG Lüneburg DVB1. 1984, 887. BVerwG DÖV 1982, 323. BVerfG DVB1. 1981, 536; BVerfGE 56, 298 (W. Blümel, VerwArch 73, 1982, S. 329; R. Steinberg, JuS 1982, 578); BVerwGE 31, 263; BVerwG DVB1. 1969, 362; BVerwG DÖV 1970, 387; BVerwG DVB1. 1971, 186; BVerwG DÖV 1973, 342; BVerwG DVB1. 1974, 562; BayVGHE 27, 115; BayVGH DVB1. 1979, 673. - W. Blümel, abl. Anm. zu OVG Lüneburg, DVB1. 1972, 795; H. Jarass, DVB1. 1976, 732; P. Lerche, in: Fs. f. d. BayVGH, 1979, S. 223. Ein verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz kommt der Gemeinde nicht zu (BVerfGE 61, 82 m. Anm. P. Badura, JZ 1984, 14). BVerwG DÖV 1981,268. 337
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Charakteristikum der verwaltungsgerichtlichen Praxis werden lassen, daß dem vorläufigen Rechtsschutz ein ungewöhnliches Gewicht zugefallen ist219. Der Schutz, den ein privater Drittbetroffener mit der Verwaltungsklage gegen das Vorhaben oder seine Auswirkungen sucht, beruht materiellrechtlich auf dem durch Gesetz und Verfassung begründeten Störungsabwehranspruch gegen rechtswidrige Beeinträchtigung von Leben, Gesundheit oder Eigentum. Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Vorhabens schutzwürdigen Interessen eines nachteilig betroffenen Dritten eine subjektivrechtliche Ausgestaltung geben, kann ein Dritter die Zulassung des Vorhabens im ganzen oder in einzelnen Punkten angreifen, die Ergänzung der Planungs- oder Genehmigungsentscheidung durch Schutzbestimmungen verlangen oder äußerstenfalls Entschädigung für unvermeidbare Rechtsbeeinträchtigungen fordern. Auf allgemeine Belange, z. B. des Naturschutzes, kann sich der Dritte dabei nicht berufen. Nur wenn die Zulassung des Vorhabens einen Dritten mit enteignender Wirkung beeinträchtigt - sei es, daß sein Grundstück für die Ausführung des Vorhabens benötigt werden wird, sei es, daß er durch die Auswirkungen des Vorhabens schwer und unerträglich betroffen werden wird - , kann er gegen die Entscheidung die Verletzung öffentlicher Belange geltend machen; denn kraft der Eigentumsgarantie muß eine enteignende Rechtsverkürzung in jeder Hinsicht gesetzmäßig sein220. Rechte einzelner können sich weiter unmittelbar und allein aus der Verfassung ergeben, soweit wegen der mangelnden oder mangelhaften Regelung der nuklearen Gefahren, des Fluglärms oder der Luftverschmutzung oder durch einen rechtswidrigen Vollzug der materiell- oder verfahrensrechtlichen Vorschriften in diesem Bereich ein Rechtsnachteil durch die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 II oder 14 GG entsteht221. Soweit das Gesetz auch den Schutz von im Ausland belegenen Rechtsgütern einbegreift, steht das Territorialitätsprinzip der Klagebefugnis des ausländischen Rechtsinhabers nicht entgegen222. Die Genehmigungspflicht für Atomanlagen gehört zu den Überwachungsvorschriften des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie
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BVerfGE 35, 263; 53, 30; BVerfG NVwZ 1984, 429; BVerfG GewArch. 1985, 16; BVerwG DVB1. 1974, 566; BVerwG DÖV 1982, 323; VGH Bad-Württ. DÖV 1979, 521; BayVGHE 27, 115; BayVGH NVwZ 1982, 130; BayVGH DVB1. 1984, 882; OVG Lüneburg, DVB1. 1978, 67 und DÖV 1979, 797 und ET 1984, 65; OVG Münster, NJW 1974, 287. - H.-J. Papier, in: Rechtsfragen der Genehmigung von Kraftwerken, VEnergR 41/42, 1978, S. 86: W. Martens, Suspensiveffekt, Sofortvollzug und vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz bei atomrechtlichen Genehmigungen, 1983. BVerwGE 67, 74. BVerfGE 53, 30; 56, 54; BVerfG NJW 1983, 2931. - F. Ossenbühl, DÖV 1981, 1; ders., DVB1. 1981, 65; P. Badura, in: Fs. f. Kurt Eichenberger, 1982, S. 481. BVerwG JZ 1987, 351 (atomrechtl. Anlagengenehmigung), dazu D. Rauschning, ArchVR 25, 1987, S. 312; A. Weber, DVB1. 1987, 377.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. Abschn. III 2c
und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 23. Dezember 1959 (BGBl. I S. 814), jetzt i. d. Fass. d. Bek. vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), geändert durch Gesetz vom 18. Februar 1986 (BGBl. I S. 265)223. Der Genehmigung bedarf, wer eine ortsfeste Anlage zur Erzeugung oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe errichtet, betreibt oder sonst innehat oder die Anlage oder ihren Betrieb wesentlich verändert (§7 1 AtG). Der Genehmigung bedürfen auch die Stillegung einer Anlage sowie der sichere Einschluß der endgültig stillgelegten Anlage oder der Abbau der Anlage oder von Anlageteilen (§7 III AtG). Die Entscheidung über die Genehmigung hat die Einhaltung der in § 7 II AtG festgelegten nuklearspezifischen und nichtnuklearspezifischen (§ 7 II Nr. 6 AtG) Anforderungen sicherzustellen, die sich aus der in § 1 AtG ausgesprochenen Zielsetzung des Gesetzes ableiten; der Schutzzweck hat dabei den Vorrang vor dem Förderungszweck224. Die Genehmigung darf insbes. nur erteilt werden, wenn die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist (§ 7 II Nr. 3 AtG; StrahlenschutzVO vom 13. 10. 1976, BGBl. I S. 2905, ber. BGBl. 1977 I S. 184, 269). Ungewißheiten jenseits einer „Schwelle praktischer Vernunft", die durch die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens bedingt ist („Restrisiko"), dürfen außer Betracht gelassen werden225. Risikoermittlung und Risikobewertung bei der gemäß § 7 II Nr. 3 AtG über die Gefahrenabwehr hinaus geforderten Risikovorsorge gehören zur Kompetenz der Exekutive. Die Normkonkretisierung ist insoweit der Exekutive vorbehalten. Es ist nicht Sache der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen226. Aus dem gesetzlichen Vorsorge- und Schutzprinzip ergeben sich Rechte Dritter, soweit es den einzelnen - so durch die Dosisgrenzwerte des § 45 StrSchV
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K.-P. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978; Rechtsfragen des Genehmigungsverfahrens von Kraftwerken, VEnergR 41/42, 1978; U. Büdenbender, Energierecht, 1982, Tz. 1146ff.; Chr. Degenhart, Kernenergierecht, 2. Aufl., 1982; H. Fischerhof, Atomrecht, 9. Aufl., 1982; D. Kröncke, Die Genehmigung von Kernkraftwerken, RTW Bd. 27, 1982; D. Kuhnt, ET 1982, 495; H.-U. Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl., 1983, S. 275ff.; M. Ronellenfitsch, Das atomrechtl. Genehmigungsverfahren, 1983; R. Breuer, Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; P. Marburger, ET 1984, 209; H.-W. Rengeling, Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; E. Ziegler, ET 1987, 353. BVerwG DVB1. 1972, 678. Zwischenbericht und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" über die Inbetriebnahme der Schnellbrüter-Prototypanlage SNR 300 in Kalkar, BTag Drucks. 9/2001. BVerwGE 72, 300/ 318ff., mit Anm. D. Seltner, NVwZ 1986, 616. 339
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- vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren will, nicht jedoch soweit es nur Belange der Allgemeinheit („Bevölkerungsrisiko") betrifft, wie in Gestalt des Strahlenminimierungsgebots nach §§ 28 I Nr. 2, 46 I Nr. 2 StrSchV227. Die in §§ 9äff. AtG ausgestaltete „Entsorgungspflicht" insbes. des Betreibers einer Atomanlage besteht im Interesse der Allgemeinheit, kann also Rechte Dritter auf Erfüllung dieser Verpflichtung, vor allem auf entsprechenden Nachweis im Anlagegenehmigungsverfahren nach § 7 AtG, nicht begründen 228 . Soweit es sich um den Schutz vor den Gefahren der Kernenergie oder der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen handelt, wird das Immissionsschutzrecht durch die atomrechtlichen Vorschriften verdrängt (§ 8 I AtG, § 2 II BImSchG), hinsichtlich der sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen schließt die atomrechtliche Genehmigung die Genehmigung nach §§ 4ff. BImSchG ein (§ 8 II AtG). Bei der Entscheidung über die Genehmigung besitzt die Behörde - was bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt die Ausnahme ist - einen Spielraum pflichtgemäßen Ermessens, um auch bisher nicht vorhersehbaren Umständen Rechnung tragen zu können 229 . Daß trotz der Risiken eine Verwendung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken überhaupt erfolgen darf, hat der Gesetzgeber im Atomgesetz und mit verfassungsrechtlicher Billigung (Art. 74 Nr. 11 a, 87 c GG) bestimmt230. Über die Genehmigung entscheidet die zuständige oberste Landesbehörde, die dabei das Atomgesetz im Auftrag des Bundes ausführt (Art. 87 c GG, § 24 II AtG). Das Genehmigungsverfahren ist in einigen Hinsichten durch das Atomgesetz selbst, im übrigen durch die Atomrechtliche Verfahrensverordnung (AtVfV) i. d. F. d. Bek. vom 31. März 1982 (BGBl. I S. 412) geregelt2317232. Die Prüfung durch die Genehmigungsbehörde erstreckt sich außer auf die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 II AtG auch auf die Beachtung der übrigen das Vorhaben betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 14 AtVfV), eine Ersetzung anderer Genehmigungsverfahren tritt da-
227
BVerfGE 49, 89/140ff.; BVerwG DVB1. 1981, 405 in Abw. von OVG Lüneburg DÖV 1978, 289 und DVB1. 1979, 686; BVerwGE 61, 256; BVerwG DÖV 1982, 820; BayVGH DVB1. 1979, 673. - B. Bender, NJW 1979, 1425; R. Breuer, DVB1. 1981, 300; Chr. Degenhart, ET 1981, 203. 228 U. Büdenbender, Energierecht, 1982, S. 517ff.; R. Stober, ET 1983, 585; H. Wagner, DVB1. 1983, 574. - Bericht der BReg zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen, BTag Drucks. 10/327. 229 Regierungsentwurf des Atomgesetzes, BT 3. WP Drucks. 759, S. 50, 59. - F. Ossenbühl, ET 1983, 665. 230 BVerfGE 49, 89 (R. Breuer, ZfE 1979, 268; W. Fiedler, JZ 1979, 184); 53, 30 (A. Weber, JZ 1980, 314). - F. Ossenbühl, DÖV 1981, 1; R. Lukes, ET 1987, 361. 231/233 Vorher galt die Atomanlagen-VO vom 20.5. 1960 (BGBl. I S.310), dann in d. Fass. vom 29. 10. 1970 (BGBl. I S. 1518). Die AtVfV galt zunächst in d. Fass. vom 18. 2. 1977 (BGBl. I S. 280). - Lukes / Vollmer / Mahlmann, Grundprobleme zum atomrechtlichen Verwaltungsverfahren, 1974; Drittes Dt. Atomrechts-Symposium, 1975; F. Ossenbühl, NJW 1981, 375; D. Mumm / H. Schattke, DVB1. 1982, 629.
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234
durch jedoch nicht ein . In Genehmigungsverfahren kann jedermann Einwendungen erheben. Einwendungen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, werden durch Fristablauf präkludiert ( § 7 1 2 AtVfV). Diese - materielle - Präklusion erstreckt sich auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren, erfaßt aber nicht das Geltendmachen von Nichtigkeitsgründen 235 . Auf Antrag können das Verfahren und die Genehmigungsentscheidungen in einen Vorbescheid und in Teilgenehmigungen für einzelne Abschnitte der Errichtung und für den Betrieb der Anlage aufgeteilt werden (§ 7 a AtG; §§18, 19 AtVfV). Für den Entscheidungsgegenstand von Vorbescheid und Teilgenehmigung treten Bindungswirkung und materielle Präklusion von Einwendungen (§ 7 b AtG) ein236. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen und ihre Erfüllung nicht durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden kann (§ 15 II 1 AtVfV). Zur Erreichung der in § 1 AtG bezeichneten Zwecke kann die Genehmigung inhaltlich beschränkt und mit Auflagen, nicht jedoch mit Bedingungen, verbunden werden (§ 17 II 2 AtG)237. Nachträgliche Auflagen sind, u. U. nur gegen Entschädigung, zulässig, soweit es zur Sicherung der in § 1 Nr. 2 und 3 AtG genannten Zwecke erforderlich ist (§§ 17 I 3, 18 III AtG). Die luftrechtliche Zulassung von Flugplätzen ist unterschiedlich geregelt für Flughäfen, für Landeplätze mit oder ohne beschränkten Bauschutzbereich und für Segelfluggelände238. Flughäfen sind Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorhergesehenen Flugbetriebs einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen; sie sind Flughäfen des allgemeinen Verkehrs (Verkehrsflughäfen) oder solche für besondere Zwecke (§ 38 234
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K.-P. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978, S.37f.; P. Henseler, DVB1. 1982, 390. - Bedarf es für eine Anlage neben der atomrechtlichen Genehmigung auch einer wasserrechtlichen Gestattung und ist die atomrechtliche Genehmigung erteilt, ist diese Entscheidung über die atomrechtlichen Anforderungen für das wasserrechtliche Verfahren bindend (BVerwG DÖV 1980, 168). BVerfGE 61, 82; BVerwG DVB1. 1980, 1001 (Wyhl) und 1009 (Mülheim-Kärlich); BVerwGE 60, 297; BVerwG ET 1982, 431 (Wyhl); BVerwG NVwZ 1986, 472 (Mülheim-Kärlich). — R. Breuer, in: R. Lukes (Hrsg.), Sechstes Dt. Atomrechts-Symposium, 1980, S. 243; J. Ipsen, DVB1. 1980, 146; R. Stober, AöR 106 (1981), S. 41; M. Ronellenfitsch, VerwArch. 74, 1983, S. 369. BVerwGE 70, 365; 72, 300. - Th. Klante, Erste Teilerrichtungsgenehmigung und Vorbescheid im Atomrecht, 1984; ders., BayVBl. 1987, 5. OVG Lüneburg ET 1984, 65; Mutschier, Nebenbestimmungen zur Atomanlagengenehmigung und die Zulässigkeit ihrer Verwendung zur Ausräumung von Versagungsgründen, 1974. §§ 6ff. Luftverkehrsgesetz i. d. Fass. d. Bek. vom 14. 1. 1981 (BGBl. I S. 61), zuletzt geändert durch G vom 26. 11. 1986 (BGBl. I S. 2089); §§ 38ff. Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) in d. Fass. der Bek. vom 13. 3. 1979 (BGBl. I S. 308), geändert durch VO vom 21. 7. 1986 (BGBl. I S. 1097). - M. Hofmann, Luftverkehrsgesetz, Luftverkehrs-Verordnungen, 2 Bde., 1971; W. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 1981; P. Badura, in: Fs. f. d. Bitburger Gespräche, 1984; E. Giemülla / U. Lau / D. Barton, LuftVG, Stand 1986. 341
4. Abschn. 1112c
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LuftVZO). Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über den Luftverkehr (Art. 73 Nr. 6 GG) erstreckt sich auch auf Regelungen, die die Zulassung von Flughäfen sowie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Flughafenunternehmer und den vom Luftverkehr beeinträchtigten Grundstücken betreffen 239 . Flughäfen dürfen nur mit Genehmigung (§ 6 LuftVG) und nach vorheriger Planfeststellung (§§ 8 ff. LuftVG) 240 angelegt und betrieben werden. Die Genehmigung ist eine Entscheidung über den Antrag des Unternehmers, dem sie eine Anlage- und Betriebserlaubnis gibt, und zugleich eine überschlägige und vorläufige Planungsentscheidung, durch die ohne abschließende rechtliche Verbindlichkeit die rechtliche Grundlage für das Planfeststellungsverfahren und den Planfeststellungsbeschluß geschaffen wird241. Mit der Genehmigung ist die Festlegung des Ausbauplanes verbunden, der den Bauschutzbereich umschreibt (§ 12 LuftVG)242. Über die Genehmigung befindet die nach Landesrecht zuständige Behörde im Auftrag des Bundes, mit Ausnahme der dem Bundesminister für Verkehr vorbehaltenen Prüfung und Entscheidung, inwieweit durch die Anlegung und den Betrieb eines Verkehrsflughafens die öffentlichen Interessen des Bundes berührt werden (Art. 87d GG, § 31 II Nr. 4 und Abs. 3 LuftVG); die dem Bund vorbehaltene Entscheidung hat einen nur verwaltungsinternen Charakter. Die Entscheidung über die Genehmigung ergeht in Ausübung von Planungsermessen nach den materiellen Richtlinien des § 6 LuftVG. Dem Unternehmer können Regelungen des Flugbetriebs auferlegt werden, soweit nicht die Festlegung der An- und Abflugverfahren der Bundesanstalt für Flugsicherung vorbehalten ist243. Da erst das nachfolgende Planfeststellungsverfahren die parzellenscharfe und verbindliche Regelung der Rechtsbeziehungen zu den Drittbetroffenen, insbes. den Flughafennachbarn, zur Folge hat (§§ 9, 11 LuftVG), können Drittbetroffene die Genehmigung mangels 239 240
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HessStGH DÖV 1982, 320 (BVerfGE 60, 175); dazu R. Steinberg, ZRP 1982, 113. Die zu der Genehmigung hinzutretende Planfeststellung ist durch die Novelle vom 5. 12. 1958 (BGBl. I, S. 899) eingeführt worden. - Beine, ZLR 7, 1958, S. 363; ders., ZLW 10, 1961, S. 3. BVerwG DÖV 1969, 283; BVerwG DVB1. 1969, 362; BVerwG DVB1. 1971, 415; BVerwG DÖV 1974, 418 mit Anm. Wahl, DÖV 1975, 373; BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1980, 135; OVG Lüneburg DVB1. 1972, 795 mit abl. Anm. Blümel; P. Badura, BayVBl. 1976, 515. Das im Bauschutzbereich eintretende Erfordernis der Zustimmung der Luftfahrtbehörde zu Baugenehmigungen hat für sich allein grds. keine enteignende Wirkung (BGH ZLW 21, 1972, 179; BGH DVB1. 1974, 430), kann aber im Fall der Verweigerung der Zustimmung, die eine nur verwaltungsinterne und nicht selbständig anfechtbare Verwaltungshandlung ist, zu einer entschädigungspflichtigen Enteignung führen (§ 19 LuftVG). Gesetz über die Bundesanstalt für Flugsicherung vom 23. 3. 1953 (BGBl. I, S. 70), geändert durch Gesetz vom 23. 6. 1970 (BGBl. I, S. 805); § 31 I 2 LuftVG. - BGHZ 69, 128.
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Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) nicht angreifen . Das gilt auch für die in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinden. Diese sind jedoch an dem Genehmigungsverfahren - und ggf. an einem vorgängigen Raumordnungsverfahren - zu beteiligen, haben hier ein Recht auf Information und Anhörung und können eine Verletzung dieses „formellen" Beteiligungsrechts im Wege der Anfechtungsklage geltend machen245. Planfeststellungsbehörde ist die von der Landesregierung bestimmte Behörde, die in Bundesauftragsverwaltung handelt (Art. 87 d GG, § 10 LuftVG)246. Bei der Entscheidung über die Planfeststellung, die in Ausübung planerischer Gestaltungsfreiheit zu treffen ist, sind die entsprechend geltenden Anforderungen nach § 6 II und III LuftVG maßgebend247. Die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die rechtlich geschützten Interessen Dritter müssen, sofern sie nicht der Planfeststellung überhaupt entgegenstehen, aufgrund der gebotenen planerischen Abwägung durch Auflagen (§ 9 II LuftVG) oder Entschädigung ausgeglichen werden248. Von besonderem Gewicht ist der Schutz gegen Fluglärm249. In § 29 b LuftVG ist hierfür eine beim Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden zu beachtende allgemeine Grundpflicht aufgestellt. Die normativen Vorkehrungen zur Bekämpfung des Fluglärms und ihr Vollzug im Einzelfall müssen der in Art. 2 II GG begründeten Schutzpflicht des Staates genügen. Ihre Erfüllung kann nicht ausschließlich davon abhängen, welche Maßnahmen nach dem „Stand der Technik" möglich sind; maßgebliches Kriterium ist letztlich, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf 250 . Gemeinden und private Betroffene können die Planfeststellung angreifen, soweit sie in ihren Rechten berührt sind und die Verletzung von Vorschriften rügen können, die ihren Schutz bezwecken. Entsprechend dem Sach- und Regelungsgehalt der Ent244
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BVerwG DÖV 1969, 283. - Vgl. auch BVerfG DVB1. 1981, 374 (1.8. 1980) mit Anm. E. Schmidt-Aßmann, DVB1. 1981, 334. BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1979, 517; BVerwG DÖV 1980, 135; Grabherr, ZLW 1977, 247. - Vgl. auch BVerfG DVB1. 1981, 374 (12. 5. 1980). Das Gesetz schreibt den Landesregierungen nicht vor, für die Anhörung der Beteiligten und für die Planfeststellung verschiedene Behörden zu bestimmen (BVerwG NJW 1980, 1706). Zum Landverbrauch als abwägungserheblichem Belang bei der Dimensionierungsund Konfigurationsentscheidung: BVerwG Urteil vom 5. 12. 1986 - BVerwG 4 C 13.85 - (München 2). BVerwGE 56, 110, dazu H.-J. Keller, NJW 1979, 1490. Dazu auch das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. 3. 1971 (BGBl. I S. 282), das u. a. die Festsetzung von Lärmschutzbereichen und die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen vorsieht. Der in § 3 des Gesetzes und in der Anlage als Maßstab vorgesehene äquivalente Dauerschallpegel wird auch im Rahmen der Planfeststellung zur Ermittlung der Lärmbelastung herangezogen. — Bericht der BReg über die Erfahrungen bei der Durchführung des Fluglärmgesetzes, BT-Drucks. 8/2254. BVerfGE 56, 54. 343
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Scheidung müssen die Verwaltungsgerichte jedenfalls „die umfassende Nachprüfung der luftverkehrsrechtlichen Gesichtspunkte innerhalb der Planung" - ohne Beschränkung durch die materiell nicht angreifbaren Vorentscheidungen durch die Genehmigung - im Rahmen des Verfahrens gegen den Planfeststellungsbeschluß vornehmen251. d) Verwaltungsprivatrechtliche und fiskalische Verwaltungstätigkeit; Auftragswesen; wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand: Die Beteiligung des Staates und sonstiger Verwaltungsträger, besonders der Gemeinden, am Privatrechtsverkehr führt zu der Frage, ob die Exekutive in der Wahrnehmung ihrer nach Privatrecht bestehenden Handlungsmöglichkeiten und Rechte wie ein Privater über Privatautonomie und Vertragsfreiheit verfügt oder aber besonderen Bindungen durch die rechtsstaatlichen Grundsätze und durch die Grundrechte unterworfen bleibt. Die Lehre vom „ Verwaltungsprivatrecht" (Hans J. Wolff) trifft hier eine Unterscheidung danach, ob die Exekutive öffentliche Verwaltung in privatrechtlicher Form ausübt, also die Gestaltungsmöglichkeiten des Privatrechts nur als eine „Rechtsform" für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben verwendet, oder aber als gewissermaßen ununterscheidbarer Teilnehmer des Privatrechtsverkehrs („fiskalisch") auftritt. Nur im ersten Fall ist die Tätigkeit der Exekutive trotz ihrer privatrechtlichen Einkleidung nach Grund, Inhalt und Wirkung Ausübung vollziehender Gewalt, z. B. bei der Vergabe von Subventionen als Darlehen oder Bürgschaften, und muß deshalb „verwaltungsprivatrechtlich" gebunden sein252. Das gilt auch bei einer Vereins- oder gesellschaftsrechtlichen Verselbständigung eines Wirkungskreises der Verwaltung; ein der Organisationsform nach privatrechtliches Unternehmen der Daseinsvorsorge gehört zur öffentlichen Hand253. Als fiskalische, nicht verwaltungsprivatrechtlich gebundene Tätigkeit betrachtet die Praxis die Beteiligung der Exekutive am Privatrechtsverkehr im Rahmen des Auftragwesens der öffentlichen Hand („fiskalische Hilfsgeschäfte") und der „erwerbswirtschaftlichen" Betätigung öffentlicher Unternehmen, weil hier nicht unmittelbar öffentliche Verwaltung ausgeübt werde; in der Literatur wird dieser Standpunkt zunehmend, allerdings mit sehr variierenden Erwägungen und Ergebnissen kritisiert. Beim Auftragswesen254 steht nicht, wie früher, die Beschaffung von Büromaterial o. ä. im Vordergrund, sondern die sehr ausgedehnte Investitionstätigkeit, vor allem zugunsten der Bauwirtschaft, mit der die öffentliche Hand einen so bedeutsamen Teil der Gesamtnachfrage einnimmt, daß sie als Medium antizyklischer Konjunkturpolitik 251 252
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BVerfG DVB1. 1981, 374 (1. 8. 1980). BGHZ 29, 76; 52, 325; 65, 284/287; 91, 84/96ff.; BGH DVB1. 1985, 793. - Wolff/ Bachof, VwR I, § 23 II b; W. Siebert, in: Fs. für Niedermeyer, 1953, S. 215; D. Ehlers, DVB1. 1983, 422; ders., Verwaltung in Privatrechtsform, 1984. BVerfGE 45, 63/78 ff. E. Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, 1963; J. Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978; ders., AöR 107 (1982), S. 61; ders., NVwZ 1983, 121; A. Dohmen, JbDBP 1985, S. 198.
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geeignet ist (§§ 6 1, 10, 11 StabG). Die Vergabe von Aufträgen erfolgt ohne verwaltungsprivatrechtliche Grundrechtsbindung 255 nach Maßgabe des jeweils einschlägigen Haushaltsplans, des Haushaltsrechts und besonderer Verwaltungsvorschriften, insbesondere der Verdingungsordnungen256. Neben einzelnen Bestimmungen mit wirtschaftspolitischen Richtlinien für das Beschaffungswesen, wie z. B. § 31 PostVerwG, § 50 BBahnG, finden sich Regelungen, die aus sozialpolitischen Gründen die Bevorzugung bestimmter Personengruppen bei der Auftragsvergabe vorschreiben, z. B. § 74 BundesvertriebenenG. Auch in diesen Fällen bleibt das Rechtsverhältnis privatrechtlich, sofern nicht eine verselbständigte Entscheidung über die Verpflichtung der Verwaltung zur Bevorzugung einer Person vorgesehen ist oder stattfindet; jedoch ist stets eine Feststellungklage auf Bestehen einer Verpflichtung zur bevorzugten Berücksichtigung im Verwaltungsrechtsweg zulässig, weil der begünstigende Rechtssatz insoweit eine öffentlich-rechtliche Beziehung begründet257. Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist in ihren Gegenständen und Rechtsformen sehr vielfältig und reicht von der gemeinwohlorientierten Leistungsverwaltung in oft gleitenden Übergängen bis zu unternehmerischem („erwerbswirtschaftlichem") Handeln im Marktverkehr, bes. im Falle der Industriebeteiligungen258. Die öffentliche Wirtschaftstätigkeit kann zwar durch wirtschafts- oder sozialpolitisch orientierte Modifikation der Preise oder Konditionen bis zu einem gewissen Grade wirtschaftslenkend eingesetzt werden, ist aber nicht planmäßig zu einem „gemeinwirtschaftlichen" Sektor der Gesamtwirtschaft ausgestaltet. Von der den Verwaltungszweck der Daseinsvorsorge verwirklichenden Leistungsverwaltung, z. B. 255
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BGHZ 36, 91 = JZ 1962, 176 m. Anm. Stern = DVB1. 1962, 298 m. Anm. Zeidler; BVerwG GewArch 1970, 285. — Zur Frage des Schadensersatzes, auch nach Kartellrecht (§§ 26 II, 35 GWB), bei willkürlicher „Auftragssperre": OLG Stuttgart JuS 1974, 456; OLG Düsseldorf DÖV 1981, 537 mit Anm. J. Pietzcker. H. Ingenstau / H. Korbion, Kommentar zur VOB A.B./DIN 1960/61, 9. Aufl., 1980; H. Korbion, DB 1974, 77; H. Ebisch / J. Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentl. Aufträgen, 3. Aufl., 1973. - Die in Teil A der VOB aufgestellten Richtlinien und Regeln für die Vergabe von Bauleistungen sind keine Schutzgesetze i. S. d. § 823 II BGB (BGH VersR 65, 764). BVerwGE 7, 89; 14,65; BVerwG BB 1969, 1084; BVerwG DVB1. 1970, 866 ( H o f f mann-Becking, VerwArch, 62 [1971], S. 191); BVerwG DÖV 1971, 705; Bettermann, DVB1. 1971, 112. H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968; V. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969; R. Scholz, AöR 97 (1972), S. 301; ders., in D. Duwendag (Hrsg.), Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S. 113; B. Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europ. Gemeinschaft, 1980; P. Badura, in: Fs. f. Hans-Jürgen Schlochauer, 1981, S. 3; ders., ZHR 146 (1982), S.448; A. Dickersbach, WiVerw. 1983, 187; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl., 1985. - Der Bundesminister der Finanzen ist Herausgeber des jährlich erscheinenden Berichts: Beteiligungen des Bundes. 345
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durch die großen Verkehrsanstalten des Bundes (Bahn, Post) oder die kommunalen Verkehrs- und Versorgungsbetriebe, unterscheidet sich die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses, dem die Einheiten der Leistungsverwaltung gewidmet sind. Die öffentliche Hand wird unternehmerisch tätig, wenn sie Waren oder Dienstleistungen im Wirtschaftsverkehr anbietet, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeit in privatrechtlichen oder in öffentlich-rechtlichen Organisations- oder Handlungsformen ausgeübt wird und ob sich die öffentliche Hand dabei eines rechtlich verselbständigten Wirtschaftssubjekts bedient. Die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand kann im öffentlichen Interesse Zweckbindungen unterliegen oder dienstbar gemacht werden, wie z. B. bei den öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsunternehmen der Kredit- und der Versicherungswirtschaft, hat jedoch anders als die Einrichtungen der Leistungsverwaltung nicht eine spezifisch öffentliche Aufgabe als Anstalts- oder Unternehmenszweck zu verfolgen. Das Aktienrecht, das die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstandes auf das Unternehmensinteresse verpflichtet, setzt der beliebigen Durchsetzung öffentlicher Interessen in der Aktiengesellschaft Grenzen 259 . Die kommunale Wirtschaftstätigkeit26°, für deren Zulässigkeit und Handhabung nach dem Vorbild der §§ 67 ff. DGO in den Gemeindeordnungen besondere Vorschriften bestehen, ist zum größten Teil nicht erwerbswirtschaftliche, sondern leistungsverwaltungsrechtliche Wirtschaftsbetätigung 261 . Denn das Gemeinderecht erlaubt die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen und ebenso Beteiligungen an Kapitalgesellschaften u. a. nur, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen
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W. Leisner, WiVerw. 1983, 212. Siehe die Kommentierungen zu den Gemeindeordnungen sowie: Suren, Gemeindewirtschaftsfecht, 1960; A. Köttgen, in: Hundert Jahre Dt. Rechtsleben, 1960, II, S. 577; Depenbrock, Die Stellung der Kommunen in der Versorgungswirtschaft, 1961; Siedentopf, Grenzen und Bindungen der Kommunalwirtschaft, 1963; Stern / Pütltter, Die Gemeindewirtschaft, 1965; P. Lerche, JurA 1970, 821; R. Scholz, DÖV 1976, 441; W. Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), S. 580; H. H. von Arnim, in: Fg. f. Hermann Weitnauer, 1982, S. 163; R. Scholz / R. Pitschas, Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, 1982; J. Burmeister, in: Fg. f. G. Chr. von Unruh, 1983, S. 623; J. Gerke, JURA 1985, 349; L. Mahlberg, Kontrolle gemeindlicher Unternehmen, 1986; H.-U. Erichsen, Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, 1987. - BVerfGE 61, 82/106ff.; BVerwGE 39, 329; BVerwG NJW 1978, 1539. Dies ist der wesentliche Grund, der die Gemeinden daran hindert, mit Hilfe ihrer gesellschaftsrechtlichen Befugnisse neuartige Mitbestimmungsformen einzuführen, sofern sie sich dadurch ihres letztentscheidenden Einflusses begeben; OLG Bremen NJW 1977, 1153 unter Aufhebung von LG Bremen DVB1. 1977, 50 mit Anm. E. Röper. — F. Ossenbühl, Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972; H.-P. Schneider, DÖV 1972, 598; G. Püttner, DVB1. 1984, 165; D. Ehlers, JZ 1987, 218.
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4. Abschn. Ill2d
rechtfertigt. Die öffentlichen Sparkassen der kommunalen Gebietskörperschaften unterliegen landesrechtlicher Regelung (siehe auch Art. 99 EGBGB)262. Gesetzliche Bestimmungen über die Unternehmenstätigkeit der öffentlichen Hand Finden sich nur im Haushaltsrecht 263 ; individuelle Abwehransprüche lassen sich daraus nicht ableiten. Versuche, Beschränkungen aus dem Verfassungsrecht zu gewinnen, nämlich aus einem vorgeblich geltenden Grundsatz der „Subsidiarität" der Staatstätigkeit264 oder aus einem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz privater Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 I GG) 265 , haben keine allgemeine Anerkennung gefunden. Ein grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Anspruch auf Unterlassung „unverhältnismäßiger" Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand wird durch Art. 2 1, 12 1 GG nicht begründet 266 . Ein grundrechtlich erheblicher „Eingriff durch Konkurrenz"267 kommt nur in Betracht, wenn das Gesetz der öffentlichen Hand Vorrechte einräumt, z. B. ein Verwaltungsmonopol, oder wo die öffentliche Wirtschaftstätigkeit oder ein öffentliches Unternehmen nach Zielsetzung oder Wirkung zu Lasten privatwirtschaftlicher Konkurrenten wirtschaftslenkend eingesetzt werden, so daß die Regulative des Privatrechts nicht ausreichen. In diesen Fällen einer interventionistischen Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die nur durch oder aufgrund Gesetzes zugelassen sein dürfte, gelten die an den jeweiligen Schutzinhalten der beeinträchtigten Grundrechte auszurichtenden Anforderungen des Grundsatzes der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie das Willkürverbot des allgemeinen Gleichheitssatzes. Eine Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die als mittelbare Wirkung zu Lasten Privater lediglich eine dem Wettbewerbsprinzip immanente Verschärfung des marktwirtschaftlichen Konkurrenzdrucks zur Folge hat, ist nicht allein deshalb eine Grundrechtsbeeinträchtigung. Etwas anderes gilt bei wirtschaftslenkenden Maßnahmen, mit denen der Staat zielgerichtet gewisse 262
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H. Schliersbach, Das Sparkassenrecht in der BRep. Dtl. und Berlin-West, 1981; Stern / Burmeister, Die kommunalen Sparkassen, 1972; P. Weides, DÖV 1984, 41; M. Nierhaus, DÖV 1984, 662. - BVerfG DVB1. 1987, 844; BVerwG DÖV 1972, 350; BayVGHE 26, 177; BayVgH DVB1. 1982, 500; OVG Münster DVBI. 1984, 504. § 65 BHO (§ 60 Wirtschaftsbestimmungen für die Reichsbehörden vom 11. 12. 1929) sowie die entspr. Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen. Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 54, und Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 52; Herzog, Staat 2, 1963, S. 399; ders., Art. Subsidiaritätsprinzip, EvStL, 3. Aufl., 1987, Sp. 3564; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, 1968. J. Isensee (\n \ Fs. f. Hans Peter Ipsen, 1977, S. 409/431, und DB 1979, 145) bindet Beginn und Ausführung erwerbswirtschaftl. Staatstätigkeit an die Grundrechte zugunsten privatwirtschaftl. Handelns. Siehe auch H. P. Ipsen, NJW 1963, 2101. BVerwGE 17, 306; F. Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Dt. Bundespost, 1980, S. 113 ff. R. Scholz, AöR 97 (1972), S. 301/305f.; ders., in: Fs. f. Karl Sieg, 1976, S. 507/518 f. - VG Münster NVwZ 1982, 522. 347
4. Abschn. III 2d
Peter Badura
Rahmenbedingungen verändert, um zu Lasten bestimmter Unternehmen einen im öffentlichen Interesse liegenden Erfolg herbeizuführen. Hier liegt eine finale und grundrechtsspezifische Maßnahme vor, die gesetzlicher Grundlage bedarf und materiell den Grundrechtsschutz der unternehmerischen Betätigungsfreiheit beachten muß 268 . Die öffentliche Hand unterliegt als Aktionär den Vorschriften des Aktienrechts, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Auch der Staat oder eine Gebietskörperschaft kann deshalb herrschendes Unternehmen in einer Unternehmensverbindung (§ 17 AktG) sein269. Für das Entsendungs- und Weisungsrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften beim Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist seit dem AktienG 1965 allein das Aktienrecht einschließlich des Konzernrechts maßgebend (§§ 101 II, 103 II, 394, 395; §§ 15 ff., 311 AktG); kommunalrechtliche Vorschriften des Landesrechts über Sonderrechte bei Beteiligungen der Gemeinde (Eigengesellschaft, gemischwirtschaftliches Unternehmen) können neben den abschließenden Regelungen des Aktienrechts keinen Bestand haben269". Die öffentliche Hand ist nicht nur mit ihrer Unternehmenstätigkeit, sondern mit jeder wirtschaftlichen Betätigung, selbst wenn sie in öffentlichrechtlichen Rechtsformen stattfindet, dem Wettbewerbsrecht (UWG, GWB; § 98 Abs. 1 GWB) unterworfen, vorausgesetzt, daß sie zu einem Dritten in ein Wettbewerbsverhältnis tritt und in ihrem Angebotsverhalten nicht normativ gebunden ist270. Überschreitet ein Verwaltungsträger durch eine wirtschaftliche Betätigung die ihm gesetzlich zugewiesene Aufgabe, kann darin im Verhältnis zu einem mit ihm in einem Wettbewerbsverhältnis stehenden Gewerbetreibenden oder Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten liegen, auf dessen Unterlassen er im ordentlichen Rechtsweg in Anspruch genommen werden kann 271 . Die Entscheidung der öffentlichen Hand, überhaupt eine konkurrenzwirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, ist allerdings grundsätzlich der Nachprüfung durch die ordentlichen Gerichte entzogen. Zu einem wettbewerbsrechtlich begründeten Unterlassungsanspruch kann das Wettbewerbsverhalten der öffentlichen Hand regelmäßig erst dann führen, wenn sie sich dabei sittenwidriger Mittel bedient, beispielsweise unter Mißbrauch ihrer Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft, oder wenn sie 268
BVerwGE 71, 183/193f. - Weitergehend K.-O. Schmittat, ZHR 148, 1984, S. 428/ 445 ff. 269 BGHZ 69, 334 zu § 320 V 3 AktG. - W. Zöllner, ZGR 1976, S. 1; F. Rittner, in: Fs. f. Werner Flume, 1978, S. 241; H. P. Ipsen, in: Fs. f. d. Berliner Jur. Gesellschaft, 1984, S. 265. 269a BGHZ 69, 334; R. Fischer, AG 1982, 85. 270 BGHZ 66, 229; 67, 81; BGH G R U R 1982, 425. - E.-J. Mestmäcker, NJW 1969, 1; R. Scholz, ZHR 132, 1969, S. 97; ders., NJW 1978, 16; H. Müller-Henneberg, NJW 1971, 113; V. Emmerich, AG 1976, 225; P. Badura, Postarch. 1981, 262ff.; P. Ulmer, ZHR 146, 1982, S. 466. 271 BGHZ 82, 375 = GRVR 1982, 425 - Brillen-Selbstabgabestelle einer AOK, Augenoptiker. 348
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sonst aus der Verbindung hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Interessen einen unzulässigen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern erlangt oder erstrebt, z. B. durch Preisunterbietung272. Die europarechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten in bezug auf ihre öffentlichen Unternehmen und die Wettbewerbsbestimmungen des Gemeinschaftsrechts für öffentliche Unternehmen 273 sind durch die besondere Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EWGV eingeschränkt, wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Vorschriften des EWGV, insbes. die Wettbewerbsregeln, nur gelten, soweit ihre Anwendung nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert274. IV. Gewerberecht 1. Gewerbefreiheit Die Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 sollte eine gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht spezialgesetzliche bundesrechtliche Gesamtregelung des Gewerbewesens nach dem Grundsatz der Gewerbefreiheit sein, der Beschränkungen der gewerblichen Tätigkeit nur zuläßt, wenn und soweit die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung es erfordert. Dieses Gesetz, sehr häufig geändert, galt bis vor kurzem i. d. F. vom 26. Juli 1900. Nunmehr gilt die Gewerbeordnung in der Fassung vom 1. Januar 1987 (BGBl. I S. 425)275. Der Grundsatz der Gewerbefreiheit (§ 1 I GewO) besagt, daß jedermann jede gewerbliche Tätigkeit ausüben darf, ohne bei Beginn und Fortsetzung des Gewerbebetriebs anderen administrativen Beschränkungen — durch Erlaubnispflichten, die die Aufnahme des Gewerbes von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, oder durch Untersagungsmöglichkeiten — unterworfen zu sein, als sie durch Bundesgesetz festgelegt sind. Vorschriften, die die Ausübung eines Gewerbes regeln oder zu derartigen Regelungen ermächti272
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BGH GewArch. 1987, 13 - Gemeindliche Wirtschaftstätigkeit im Bereich des Bestattungswesens. Richtlinie 8 0 / 7 2 3 / E W G über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen vom 25. 6. 1980 (ABl. Nr. L 195/35). EuGH XVII, 1971, S. 2 2 3 . - G. Nicolaysen, in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung III, 1968, S. 311; E.-J. Mestmäcker, Europ. Wettbewerbsrecht, 1974; G. Püttner, ZögU 3 (1980) S. 27. Landmann / Rohmer, GewO, 14. Aufl., 1976ff.; E. Fuhr / E. Stahlhacke, GewO, 2. Aufl., 1960ff.; L. Fröhler / J. Kormann, GewO, 1978; Sieg/ Leifermann / Tettinger, GewO, 5. Aufl., 1988; über die Entwicklung des Gewerberechts unterrichtet die Aufsatzreihe von R. Stober, NJW 1980, 2335; 1982, 804; 1984, 2499; 1986, 2613. 349
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gen, werden durch die Gewerbefreiheit nicht berührt. Als charakteristisches Beispiel einer Regelung der Gewerbeausübung ist das Gesetz über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juli 1986 (BGBl. I S. 1169), zu nennen276. Die Gewerbefreiheit war das tragende Prinzip der liberalen Wirtschaftsverfassung. Anders als noch die Weimarer Reichsverfassung (siehe dort Art. 151 III) kennt das GG ein selbständiges Grundrecht der Gewerbefreiheit nicht; die Gewerbefreiheit ist in dem umfassenderen Grundrecht der Berufsfreiheit aufgegangen. Die GewO sieht, entsprechend ihrem Regelungsprogramm, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gewerbefreiheit und der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit (§§41, 105 GewO). Sie enthält deshalb bis heute in ihrem Titel VII wesentliche Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der gewerblichen Arbeitnehmer. Das außenwirtschaftliche Pendant der Gewerbefreiheit ist die Freiheit des Außenhandels — „Freihandel" — ( § 1 1 AußenwirtschaftsG)277. Der sachliche Anwendungsbereich der Gewerbefreiheit und damit des Gewerbe(polizei)rechts wird durch den von der GewO nicht genau abgegrenzten 278, sondern vorausgesetzten Begriff der gewerbsmäßigen Ausübung eines Gewerbes bestimmt. Die zugrundeliegende Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 11 GG knüpft an den überkommenen Begriff und Regelungsbereich des Gewerberechts an279. Gewerbe sind die industrielle und handwerkliche Produktion und Verarbeitung, der Groß-, Einzel- und Kleinhandel und die wirtschaftlichen Dienstleistungen (z. B. Verkehrs- und Vermittlungsgewerbe, Vermietungen280 und Verpachtungen, Touristikgewerbe, Fotografen). Keine Gewerbe sind die Urproduktion, die persönlichen Dienstleistungen höherer Art (Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, freie Unterrichtstätigkeit, u. a.)280a, die wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten und die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (z. B. Notare). Urproduktion ist die auf die Gewinnung roher Naturerzeugnisse gerichtete Wirtschaftstätigkeit, so Land- und Forstwirtschaft281, Wein- und Gartenbau 282 , Jagd und Fischerei, Bergbau. Dieser Begriff des Gewerbes ist nicht systematisch gebildet, sondern erklärt sich aus 276
BVerfGE 13, 237; 59, 336. - R. Stober, Ladenschlußgesetz, 1986. R. Schmidt, VVDStRL 36 (1978), S. 65; K. Strauch / H.J. Strauch, Außenwirtschaftsrecht, einschl. Interzonenhandelsrecht, Stand 1983; J. Wapenhensch, Das neue Außenwirtschaftsrecht, 3. Ausg., Stand 1983; H. Bopp, Wirtschaftsverkehr mit der D D R , 1983. - BVerfGE 12, 281.; 30, 250. 278 Die Aufzählung in § 6 GewO ist nicht erschöpfend. 279 BVerfGE 41, 344 280 BVerwG DVB1. 1973, 857. 280a g v e r w G DVB1. 1987, 1075. 281 Der Verkauf selbstgebackenen Brotes durch einen Landwirt kann gewerbsmäßiger Einzelhandel sein (BayObLG BayVBl. 1970, 324). 282 Ein mit einer Gärtnerei verbundenes Ladengeschäft ist insoweit Gewerbebetrieb (Einzelhandel), als in ihm nicht selbst erzeugte, zugekaufte Waren feilgeboten werden (OVG Lüneburg BB 1966, 678). 277
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4. Abschn. IV 1
der der Gewerbefreiheit historisch zugrundeliegenden wirtschaftspolitischen Zielsetzung. Das weitere Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit" bedeutet, daß das Gewerbe selbständig283, auf Erwerb gerichtet284 und nachhaltig (auf eine gewisse Dauer berechnet) ausgeübt werden muß. Die Erwerbsabsicht fehlt bei Tätigkeiten, die einen „idealen" (gemeinnützigen) Zweck verfolgen, und bei öffentlichen Unternehmen der Leistungsverwaltung (Post, Bahn, Versorgungsbetriebe). Durch die Novelle vom 13.6. 1974 ist ein Gewerbezentralregister eingerichtet worden (§§ 149 ff. GewO). Die Bedeutung des Grundsatzes der Gewerbefreiheit besteht darin, daß er landesrechtlichen Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs entgegensteht (Art. 125 Nr. 1, 74 Nr. 11; 72 I GG), soweit nicht ausdrücklich ein Vorbehalt landesrechtlicher Regelung eröffnet ist (wie z. B. in §§ 33b, 71 a GewO), und daß er auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs ausschließt, soweit nicht ausdrücklich eine Regelung auf Grund des allgemeinen Polizeirechts zugelassen ist285. Der Grundsatz der Gewerbefreiheit besagt also einerseits, daß das Gewerberecht abschließend durch Bundesrecht geregelt ist, und andererseits, daß die gewerberechtlichen Vorschriften über Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs abschließendes Spezialgesetz gegenüber der polizeilichen Generalklausel sind. Ein polizeiliches Einschreiten gegenüber einer von der Gewerbefreiheit geschützten Tätigkeit kommt deshalb nur hinsichtlich der Art und Weise der Gewerbeausübung in Frage, um diese mit den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Einklang zu halten. Ein Verbot des Gewerbebetriebs ist auf Grund des allgemeinen Polizeirechts nicht zulässig, jedoch bleibt eine polizeiliche Anordnung hinsichtlich der Gewerbeausübung auch dann rechtmäßig, wenn sie praktisch bewirkt, daß die weitere Ausübung des Gewerbebetriebs unmöglich wird286. Der § 1 I GewO ist ein Satz des einfachen Bundesrechts, der für bestimmte Berufe — die Gewerbe — landesrechtliche und polizeiliche Regelungen der Zulassung zum Beruf ausschließt, für den Bundesgesetzgeber aber keine Schranke darstellt, während die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) als Grundrecht alle Berufe gegen bestimmte Beschränkungen durch Bundes- wie durch Landesgesetz schützt. Das Grundrecht der Berufsfreiheit umfaßt auch die Gewerbefreiheit, ist jedoch im Unterschied zu dem überkommenen und durch § 1 I 283
BVerwG DÖV 1977, 401. - Das Merkmal der Selbständigkeit, d. h. des auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübten Gewerbes, gilt für das Reisegewerbe nicht ( E. Mußmann, GewArch 1979, S. 166 gegen OLG Düsseldorf GewArch 1979, S. 125). 284 Der Betrieb eines Dauercampingplatzes mit 1200 Standplätzen ist Ausübung eines stehenden Gewerbes, nicht nur eine außerhalb des Gewerberechts liegende bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (BVerwG DÖV 1977, 403). 285 BVerwG DVB1. 1963, 149; BVerwGE 38, 209. 286 p r oVGE 92, 99/106f.; 100, 127; RG RVerwBl. 1937, 143; BVerwG DVB1. 1965, 768; BVerwGE 38, 209. - E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 696; D. Lorenz, BB Beilage Nr. 19/73. 351
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GewO fortbestehenden Inhalt der Gewerbefreiheit „personal" geprägt287. Die durch die Gewerbefreiheit nicht geschützten (nichtgewerblichen) Wirtschaftstätigkeiten sind nach Maßgabe der Art. 74 Nr. 11, 72 I GG landesgesetzlicher Regelung zugänglich; der wichtigste der Landeskompetenz verbliebene Bereich des Rechts der Wirtschaft war bis vor kurzem das Bergrecht288. Im übrigen hat der Bund „Ausnahmen und Beschränkungen" im Sinne des § 1 I GewO außerhalb des kodifikatorischen Zusammenhangs der GewO durch eine große Anzahl von Nebengesetzen (also nicht nur „durch dieses Gesetz") festgelegt. Die wichtigsten dieser Nebengesetze sind: das G zur Ordnung des Handwerks (HandwO) i. d. F. vom 28. Dezember 1965, das Gaststättengesetz (GaststG) vom 5. Mai 1970, das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) vom 21. 3. 1961289 und das Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) i. d. F. der Bek. vom 10. März 1983290. Das Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel vom 5. August 1957291 ist durch das Gesetz vom 25. Juli 1984 (BGBl. I S. 1008) aufgehoben worden. Unter dem rechtlich nicht fest umrissenen Sammelnamen der ,freien Berufe" 292 werden verschiedenartige selbständige Berufstätigkeiten zusammengefaßt, die Dienstleistungen höherer Art erbringen und deshalb nicht dem Gewerberecht unterliegen. Die wichtigsten von ihnen sind Gegenstand besonderer Gesetze, in denen eine typisierende Ausformung von „Berufsbildern" erfolgt ist. Charakteristisch für diese gesetzlichen Regelungen sind eine Reglementierung der Berufsausbildung, qualifizierte Sachkundenachweise als Bedingung der Berufszulassung und die Bindung der Berufsausübung durch öffentlich-rechtliche Pflichten. Unter den nichtgewerblichen Heilberufen sind die Ärzte293, die Zahnärzte294, die Tierärzte295 und die Heilpraktiker296 hervorzuheben. Die Apotheker werden ungeachtet ihrer Erwähnung in 287 288 289
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BVerfGE 50, 290/362. Siehe oben Anm. 206. BVerfGE 11, 168; BVerwGE 23, 314; 30, 242; 31, 184. - Bidinger, Personenbeförderungsrecht, 2. Aufl., Stand 1982; Fromm, DVB1. 1967, 181; ders., BB 1969, 741. BVerfGE 40, 196; BVerwGE 18, 113. - Balfanz/ Tegelen, GüKG, Loseblattslg; Th. J. Horn, GewArch. 1985, 73. BVerfGE 19, 330; 34, 71. Bericht der BReg über die Lage der freien Berufe in der Bundesrep. Deutschland (1979), BT-Drucks. 8/3139. - E. Steindorff, Freie Berufe - Stiefkinder der Rechtsordnung? 1980; H. D. Jarass, NJW 1982, 1833; P. J. Tettinger, NJW 1987, 294. Bundesärzteordnung in der Fass. vom 14. 10. 1977 (BGBl. I, S. 1885), zuletzt geändert durch G vom 14. 3. 1985 (BGBl. I, S. 555). - BVerfGE 11, 30; 33, 125. Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31.3. 1952 (BGBl. I, S. 221), zuletzt geändert durch G vom 25. 2. 1983 (BGBl. I, S. 187). - BVerfGE 12, 144; 25, 236; BGH GewArch 1972, 303; F. Koch, Das Berufsrecht der Zahnärzte, 1955. Bundestierärzteordnung in der Fass. vom 20. 11. 1981 (BGBl. I, S. 1193). - BVerfGE 38,312. Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 17.2. 1939 (RGBl. I, S.251), zuletzt geändert durch G vom 2.3. 1974 (BGBl. I, S. 469). - BVerwG Buchholz 418.04 § 1 HeilprG Nr. 1.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
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§ 6 GewO zum Gewerbe gerechnet297, was heute wenig einleuchtet, verfügen aber über ein eigenes Berufsrecht298. Zu den rechtsberatenden Berufen zählen die Rechtsanwälte 299 , Patentanwälte300 und Rechtsbeistände301. Die Besonderheiten des Notarwesens weisen die Notare den freien, jedoch „staatlich gebundenen" Berufen zu302. Freie Berufe sind weiter die Wirtschaftsprüfer303 und die Steuerberater304. Die Berufe der freien Architekten und Ingenieure fallen in die Kompetenz des Landesgesetzgebers305. 2. Techniken gewerberechtlicher Regelung Die gewerberechtliche Kontrolle der Gewerbebetriebe erfolgt mit Hilfe eines abgestuften rechtstechnischen Instrumentariums und ist an einigen durch die Eigenart der betroffenen Gewerbe bestimmten materiellen Maßstäben orientiert. a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht; Untersagungsermächtigung; Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Die wesentlichen formalen Techniken gewerberechtlicher Regelung sind die Anzeigepflicht, die Untersagungsermächtigung und das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Durch eine Anzeigepflicht soll die Verwaltung einen Überblick darüber gewinnen, wie viele und welche Gewerbebetriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich vorhanden sind. Neben der für alle stehenden Gewerbebetriebe geltenden und außer für die gewerberechtli-
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BVerfGE 5, 25. Gesetz über das Apothekenwesen in der Fass. d. Bek. vom 15. 10. 1980 (BGBl. I, S. 1993); Bundes-Apothekerordnung vom 5.6. 1968 (BGBl. I, S. 601). - BVerfGE 7, 377; 17, 232; 38, 373; 53, 96. Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959 (BGBl. I, S. 565), zuletzt geändert durch G vom 9. 12. 1986 (BGBl. I, S. 2326). - BVerfGE 22, 114; 28, 21; 34, 293;
39, 238; 52, 256. - HJ. Papier NJW 1987, 1308.
Patentanwaltsordnung vom 7. 9. 1966 (BGBl. I, S. 557), zuletzt geändert durch G vom 13. 6. 1980 (BGBl. I, S. 677). Rechtsberatungsgesetz vom 13. 12. 1935 (RGBl. I, S. 1478), geändert durch G vom 18. 8. 1980 (BGBl. I, S. 1503). - BVerfGE 10, 185; 41, 378; BVerwGE 2, 85; 7, 349; 59, 138. Bundesnotarordnung vom 24. 2. 1961 (BGBl. I, S. 98). - BVerfGE 16, 6; 17, 371; 47, 285; 54, 237; BVerfG DVB1. 1987, 292. Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer in der Fass. der Bek. vom 5. 11. 1975 (BGBl. I, S. 2803), zuletzt geändert durch G vom 19. 12. 1985 (BGBl. I, S. 2355). - P. Badura, Berufsrechtl. Fragen der Abschlußprüfung nach dem Entwurf eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes, 1983. - BVerfGE 54, 237/239f. Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten in der Fass. der Bek. vom 4. 11. 1975 (BGBl. I, S. 2735). - BVerfGE 21, 227; 34, 252; 54, 301; 55, 185; 59, 302; 60, 215; 69, 209. Z. B. Bayer. Architektengesetz in der Fass. der Bek. vom 26. 2. 1982 (BayRS 2133-1-1); Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 27.7. 1970 (BayRS 702-2-W). - BVerfGE 26, 246. 353
4. Abschn. IV 2 a
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che Überwachung auch für die Gewerbestatistik notwendigen allgemeinen Anzeigepflicht (§§ 14, 15 I, 146 II Nr. 1 GewO) hat das Gewerberecht306 vielfältige besondere Anzeigepflichten begründet, z. B. für Handwerker (§ 16 HandwO), für Gastwirte (§ 4 II GaststG) und für überwachungsbedürftige Anlagen (§ 24 I Nr. 1 GewO)307. Eine Untersagungsermächtigung gibt der zuständigen Behörde die Befugnis, die Fortsetzung eines erlaubten oder erlaubnisfreien Gewerbebetriebs aus bestimmten Gründen des öffentlichen Wohls ganz oder zum Teil zu verbieten. Ein allgemeiner Untersagungsvorbehalt besteht nur bei Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (§ 35 GewO)308. Daneben gibt es besondere Untersagungsermächtigungen mit anderen Anknüpfungspunkten, z. B. § 59 GewO; § 16 III HandwO. Wenn das Gesetz die Ausübung eines Gewerbes oder den Betrieb einer Anlage von einer Erlaubnis (Genehmigung, Konzession) abhängig macht und so eine Erlaubnispflicht begründet, ist die Ausübung des Gewerbes und der Betrieb der Anlage so lange verboten, bis die Erlaubnis erteilt ist. Dieses Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hat im Gegensatz zu einem repressiven Verbot mit Dispensierungsvorbehalt, mit dem eine an sich unerwünschte Tätigkeit für den Regelfall unterbunden und nur aus besonderen Gründen zugelassen werden soll309, nur eine verwaltungstechnische, formelle Bedeutung; es dient dazu, die Ausübung des betreffenden Gewerbes einer vorbeugenden (präventiven) Kontrolle im Einzelfall zu unterwerfen310. Wo das Gesetz eine derartige präventive Kontrolle für unverhältnismäßig hält, begnügt es sich mit einer besonderen Anzeigepflicht, z. B. bei bestimmten Arten des Reisegewerbes (§ 55 c GewO) und bei den handwerksähnlichen Gewerben (§ 18 HandwO). Aus dem Grundsatz der Gewerbefreiheit ergibt sich, daß die gewerberechtlichen Erlaubnisse „gebundene" Erlaubnisse sind, d. h. daß die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen, die vom Gesetz für die Erteilung der Erlaubnis aufgestellt sind, verpflichtet ist, die Erlaubnis zu erteilen. Wer ein erlaubnispflichtiges Gewerbe beginnen will, die Erlaubnis ordnungsmäßig beantragt hat und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat einen öffentlichrechtlichen Anspruch, ein subjektiv öffentliches Recht auf Erteilung der Erlaubnis. Je nachdem, ob sich eine Erlaubnis nur auf den Gewerbetreibenden und seine gewerberechtlich relevanten Eigenschaften oder ob sie sich nur auf eine bestimmte Anlage bezieht, unterscheidet man persönliche und dingliche Erlaubnisse (Personal- und Sachkonzessionen). Der Regelfall ist die raumoder sachgebundene Personalerlaubnis, bei der die Erlaubnis einem bestimm306 307 308 309
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Steuerrechtl. Anzeigepflicht für gewerbliche Betriebe: §§ 138, 139 AbgO. BVerwG DVB1. 1973, 857 (Aufzug). Siehe unter b) am Ende. Beispiele: Zulassung von Spielbanken (§ 33h Nr. 1 GewO; Spielbankengesetz vom 14.7. 1933, RGBl. I, S.480); BVerfGE 28, 119; OVG Münster GewArch 1968, 89. Vorschriften über die allgem. Sperrzeit und deren Verkürzung für einzelne Betriebe (§ 18 I GaststG); BVerwG DÖV 1977, 405. E. R. Huber, WirtschaftsverwaltungsR I, S. 696 ff.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. Abschn. IV 2 a
ten Gewerbetreibenden für bestimmte Räume, Anlagen oder Gerätschaften erteilt wird, so daß sowohl ein Wechsel in der Person des Gewerbetreibenden 3 " als auch ein Wechsel oder eine wesentliche Änderung der Betriebsräume oder -einrichtungen eine erneute Erlaubnispflicht auslöst312. Die reine Personalerlaubnis, z. B. die Zulassung zum selbständigen Betrieb eines Handwerks, ist grundsätzlich 313 an die Person des Erlaubnisempfängers gebunden. Die Erlaubnis wird im Regelfall in Form eines schriftlichen Bescheids erteilt, der neben dem Ausspruch der Gewerbeerlaubnis die für erforderlich gehaltenen Auflagen enthält; in einigen Fällen ist eine besondere urkundliche Form vorgeschrieben, z. B. die Reisegewerbekarte (§§ 55, 60 c GewO), die (konstitutive) Genehmigungsurkunde gem. § 15 GüKG. Eine besondere Gestalt der Erlaubnis ist die Eintragung in ein Register, z. B. die Eintragung in die Handwerksrolle (§§1, 10, 17 HandwO). Soweit die Voraussetzungen für die Aufhebung einer erteilten Erlaubnis spezialgesetzlich geregelt sind, wie z. B. in §§ 33 d IV, V GewO, § 15 GaststG, sind die Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten nicht anwendbar. Wird ein erlaubnispflichtiges Gewerbe ohne Erlaubnis ausgeübt, d. h. ohne Erlaubnis begonnen oder trotz Aufhebung der Erlaubnis fortgesetzt, kann die Fortsetzung des Betriebes durch die zuständige Behörde verhindert werden (§ 15 II GewO)314. Da diese Vorschrift einen allgemeinen gewerberechtlichen Grundsatz ausspricht, gilt sie nicht nur - wie der Regelungszusammenhang nahelegt - für stehende Gewerbebetriebe nach der GewO, sondern für alle erlaubnispflichtigen Gewerbe, bei denen eine entsprechende Vorschrift315 fehlt, z. B. für die Personenbeförderung. Die Stillegung und Beseitigung überwachungsbedürftiger Anlagen beurteilt sich nach § 25 GewO. Die „Verhinderung" der Fortsetzung des Betriebes (früher: „polizeiliche" Verhinderung) bedeutet die Anwendung von Verwaltungszwang entsprechend den dafür geltenden landesrechtlichen Vorschriften und durch die nach Landesrecht zuständige Behörde (§ 155 II GewO). Das Einschreiten nach § 15 II GewO steht im Ermessen der Behörde. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, daß vor dem Einschreiten gegen einen ohne Erlaubnis ausgeübten Gewerbebetrieb geprüft wird, ob nicht nach den einschlägigen Vorschriften eine nach-
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Sonderregelungen bestehen für den Betrieb durch Stellvertreter (z.B. §§45, 47 GewO; § 9 GaststG) und in Gestalt des „Witwenprivilegs" (z. B. § 46 GewO; § 10 GaststG). Z. B. die Konzession einer Privatkrankenanstalt (§30 12 Nrn. 1, 2 GewO); die gaststättenrechtl. Erlaubnis (§§ 3 I, 4 I Nr. 2 GaststG); der Betrieb von Spielgeräten (§ 33 c in Verb, mit § 33 e GewO). Vgl. § 4 HandwO. Wird das Gewerbe nach einer Untersagung gem. § 35 GewO fortgesetzt, ist gemäß § 35 V GewO zu verfahren. §16 III, IV HandwO i. d. F. der Novelle vom 9.9.1965. - BVerwGE 59, 5; BVerwG GewArch 1979, 96. 355
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trägliche Erteilung der Erlaubnis in Betracht kommt, vorausgesetzt, daß der Gewerbetreibende einen Erlaubnisantrag stellt. b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde, Zuverlässigkeit: Die materiellen Maßstäbe, in denen sich die vom Gewerberecht hinsichtlich der einzelnen Gewerbe verfolgten Ziele ausdrücken und die als Anknüpfungspunkte für die Erteilung und den Widerruf einer vorgesehenen Erlaubnis und für die etwa vorgesehene Untersagung eines Gewerbebetriebs dienen, beziehen sich einerseits (und vornehmlich) auf die Person des Gewerbetreibenden, andererseits auf das sachliche Substrat des Gewerbebetriebs. Als objektive Bedingungen für die Ausübung eines Gewerbes fordert das Gesetz etwa die Eignung der Betriebsräume 316 oder der Betriebseinrichtung 317 für den beabsichtigten Gewerbebetrieb oder den Nachweis eines bestimmten Betriebskapitals, wenn das fragliche Gewerbe den Kunden in besonderer Weise von der Solvenz des Gewerbetreibenden abhängig macht 318 . Die wichtigsten subjektiven Anknüpfungspunkte sind Zuverlässigkeit und Sachkunde; für einzelne Gewerbe ist eine bestimmte gesundheitliche Eignung erforderlich 319 . Unter dem grundrechtlichen Blickwinkel der freien Berufswahl (Art. 121 I GG) ist das Erfordernis der Sachkunde320 eine intensivere Beschränkung als das Erfordernis der Zuverlässigkeit und muß daher durch besondere aus der Eigenart des jeweiligen Gewerbes hervorgehende Gründe gerechtfertigt sein, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Der große Befähigungsnachweis als Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks (§7 1 HandwO) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen 321 , weil Existenz und Leistungsfähigkeit des Handwerks als eines gemeinschaftsnotwendigen Berufsstandes von diesem besonderen Sachkundenachweis abhängen, während im Fall des Einzelhandels die allgemein aufgestellte Voraussetzung einer besonderen Sachkunde (§ 3 II Nr. 1 a. F. EHG) eine unverhältnismäßige Einschränkung der freien Berufswahl war 322 . Die geläufigste Anforderung, die das Gewerberecht für die Person des Gewerbetreibenden aufstellt, ist die „Zuverlässigkeit". Mit diesem gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff wird nicht ein moralischer, sondern ein gewerbepolizeilicher Tatbestand bezeichnet. Die Zuverlässigkeit fehlt, wenn der Gewerbetreibende nicht die Gewähr für eine ordnungsmäßige Ausübung seines Gewerbes bietet. Dieses Merkmal ist zwar jeweils auf ein bestimmtes Gewerbe bezogen, so daß die dadurch ausgedrückten Anforderungen nicht für alle Gewerbe gleich, sondern je nach der Art des Gewerbes 316
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Z. B. §§ 30 I 2 Nrn. 2 - 4 , GewO; § 4 I Nr. 2, 3 GaststG; §§ 2 I Nr. 6, 21 ApothekenG. Z. B. § 33e GewO; § 13 I Nr. 1 PBefG; §§ 10 I Nr. 3, 17 GüKG. Z. B. §§ 34 I 3 Nr. 2, 34a I 3 Nr. 2, 34b IV Nr. 2 GewO; § 33 I Nr. 1, 10 KWG. Z. B. § 2 I Nr. 7 ApothekenG. Z. B. § 34b IV 2 GewO; § 33 I Nr. 3 KWG; § 10 I Nr. 2 GüKG. BVerfGE 13, 97. BVerfGE 19, 330; 34, 71.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
4. Abschn. IV 2 b
verschieden sind, beschränkt aber seine Anforderungen nicht auf die eigentliche gewerbliche Tätigkeit. Das Erfordernis der Zuverlässigkeit bezieht sich auf das gesamte Verhalten im gewerblichen Verkehr, so daß beispielsweise ein Bauunternehmer nicht nur bei einem Versagen auf bautechnischem Gebiet unzuverlässig ist, sondern auch dann, wenn seine Betriebsführung einen „Mangel an wirtschaftlichem und sozialem Verantwortungsbewußtsein" offenbart 323 . Das ist in erster Linie dann der Fall, wenn der Gewerbetreibende hartnäckig und in erheblicher Weise die für seine Betriebsführung einschlägigen gesetzlichen Verpflichtungen verletzt oder der allgemeinen Strafrechtsordnung zuwiderhandelt 324 ; typische Sachverhalte sind, daß der Gewerbetreibende nachhaltig seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt und daß er fortlaufend die Sozialversicherungsbeiträge der bei ihm Beschäftigten nicht abführt 325 . Unzuverlässig ist ein Gastwirt, der in seinen Räumen die Begehung strafbarer Handlungen duldet326. Der Begriff der Zuverlässigkeit ist auf den beabsichtigten oder ausgeübten Gewerbebetrieb und auf dessen Betriebsart ausgerichtet, so daß die Unzuverlässigkeit nicht unbedingt einen charakterlichen Mangel des Gewerbetreibenden voraussetzt327. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit kommt es nicht auf ein moralisches oder strafrechtliches Verschulden, sondern auf eine (gewerbe)polizeiliche Zurechnung an, d. h. darauf, ob nach dem bisherigen Verhalten des Gewerbetreibenden damit zu rechnen ist, daß er im Zusammenhang mit seiner gewerblichen Tätigkeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzen und dadurch eine Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder einzelner herbeiführen wird328. Die Unzuverlässigkeit kann daher auch aus weit zurückliegenden Straftaten 329 und selbst aus Tatsachen gefolgert werden, die vor Beginn der Gewerbeausübung liegen330, sofern sie für die Einschätzung des künftigen Verhaltens eine Bedeutung haben können. Weiterhin ergibt sich daraus, daß auch die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei bestimmten Gewerben Unzuverlässigkeit begründen kann 331 . Schließlich erklärt 323
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BVerwG DÖV 1958, 548. — Hat ein Güternahverkehrsunternehmer ausschließlich in seiner Freizeit bei der Führung seines Privatwagens Verkehrsdelikte begangen, seinen Betrieb aber ordnungsmäßig geführt, so ist er nicht unzuverlässig für die Ausübung seines Gewerbes (BVerwGE 36, 288). Ist eine Bestrafung erfolgt, darf sich die Behörde nicht mit dem Strafregisterauszug oder dem Strafausspruch als solchem begnügen, sondern muß den dem Strafurteil zugrundeliegenden Sachverhalt selbst gewerberechtlich würdigen (BVerwG VerwRspr. 16, 983; BVerwG DVB1. 1966, 443). BVerwGE 23, 280; 28, 202. BVerwG JZ 1978,642. BVerwGE 39, 247; BVerwG DÖV 1973, 822. BVerwGE 36, 288; BVerwG DÖV 1985, 834; OVG Lüneburg GewArch 1962, 269. OVG Münster OVGE 1, 45. BVerwGE 24, 38. Zu dem durch § 1 II GewO eintretenden Schutz bei Rechtsänderungen: BVerwGE 24, 34. BVerwGE 22, 16; BadWürttVGH GewArch 69, 33; BayVGH GewArch 1979, 37. 357
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sich aus diesem Gesichtspunkt, daß seit jeher auch der Umstand die Unzuverlässigkeit anzeigen kann, daß der Gewerbetreibende einem Dritten (insbesondere dem Ehegatten), der die für das Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, Einfluß auf den Gewerbebetrieb einräumt oder nicht willens oder nicht in der Lage ist, einen solchen Einfluß hintanzuhalten 332 . Die Zuverlässigkeit ist eine häufige Erlaubnisvoraussetzung 333 , die Unzuverlässigkeit ein häufiger Widerrufstatbestand für die erteilte Erlaubnis 334 . Soweit nicht für ein Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften oder Vorschriften über die Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, wie z. B. §§ 15 II, 16 Nr. 1 in Verb, mit § 4 I Nr. 1 GaststG, gilt die allgemeine Ermächtigung für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 GewO 335 . Die Gewerbeuntersagung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; denn sie verbietet dem Betroffenen für die Dauer ihrer Wirksamkeit, das Gewerbe auszuüben. Dennoch sind im Falle der Anfechtungsklage wegen des seit der Novelle vom 13. Februar 1974 (BGBl. I S. 161) neu gefaßten Antragserfordernisses in § 35 VI GewO Änderungen der Sach- oder Rechtslage nach dem Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht zu berücksichtigen 336 . Maßnahmen nach § 35 V GewO sind selbständig anfechtbare, der Vollstreckung fähige und bedürftige Verwaltungsakte, nicht ohne weiteres schon Vollstreckungshandlungen 337 . 3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse a) Stehendes Gewerbe; Reisegewerbe; Marktverkehr: Die GewO unterscheidet nach der Art der Gewerbeausübung stehendes Gewerbe (Titel II), Reisegewerbe (Titel III) und Marktverkehr (Titel IV). Die Grundform ist der stehende Gewerbebetrieb; alle Gewerbeausübung, die nicht Reisegewerbe oder Marktverkehr ist, fällt darunter. Die GewO nimmt die Abgrenzung nicht derart vor, daß jede Gewerbeausübung auf Grund einer gewerblichen Niederlassung (§ 42 II GewO) stehender Gewerbebetrieb und jede Gewerbeausübung ohne eine solche Reisegewerbe wäre, vielmehr orientiert sich die Abgrenzung an dem besonderen Zweck, der mit der Sonderregelung für das als besonders kontrollbedürftig angesehene Reisegewerbe 338 verfolgt wird. Die jüngste No332 333 334 335 336 337 338
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BVerwGE 9, 222; BayVGH BayVBl. 1964, 375; BayVGH GewArch 1980, 334. Z. B. §§ 30 I 2 Nr. 1, 33 d III, 34a I 3 Nr. 1, 34b IV Nr. 1 GewO; § 4 I Nr. 1 GaststG; § 2 I Nr. 4 ApothekenG; § 13 I Nr. 2 PBefG, § 10 I Nr. 1 GüKG. Z. B. § 88 I Nr. 5 GüKG. - Widerruf einer Gaststättenerlaubnis: BVerwG DÖV 1977, 406 und JZ 1978, 642 (§ 15 II in Verb, mit § 4 I Nr. 1 GaststG). BVerwGE 65, 1; BVerwG GewArch. 1982, 298, 299, 301 und 303. - S. Robinski, Gewerberecht, 1983, S.48ff. BVerwG 65,1 (unter Abänderung der bisherigen Rspr.); OVG Lüneburg JuS 1983, 970. OVG Münster DÖV 1982, 412. BGH NJW 1980, 1585; BayObLG GewArch 1979, 167.
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vellierung des Titels III der GewO hat allerdings diese Sonderstellung des ambulanten Gewerbes abgeschwächt und das Reisegewerbe „von nicht mehr zeitgemäßen Beschränkungen befreit339. Die sich in einer intensiven Gewerbeüberwachung (§§ 56, 57, 59, 60c GewO) äußernde besondere Kontrollbedürftigkeit wird für das Merkmal angenommen, daß eine Gewerbeausübung außerhalb einer oder ohne eine gewerbliche Niederlassung „ohne vorhergehende Bestellung" erfolgt (§§ 42 I, 55 I GewO), und das ist zugleich das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium. Während der stehende Gewerbebetrieb grundsätzlich bloß anzeigepflichtig (§ 14 GewO)340 und nur nach besonderer Bestimmung (§§ 30 ff. GewO - „Gewerbetreibende, die einer besonderen Genehmigung bedürfen" - sowie die Nebengesetze) erlaubnispflichtig ist, ist das Reisegewerbe grundsätzlich erlaubnispflichtig (§ 55 I GewO: „Reisegewerbekarte") und nur ausnahmsweise erlaubnisfrei (§§ 55 a, 55 b, 55 c GewO). Der Marktverkehr341 ist durch den Grundsatz der Marktfreiheit privilegiert (§ 70 I GewO). Marktfreiheit bedeutet, daß der Besuch sowie der Kauf und Verkauf der zum Marktverkehr zugelassenen Waren 342 auf den festgesetzten Messen, Ausstellungen und Märkten (§ 69 GewO) von administrativer Beschränkung grundsätzlich frei sind, d. h. den Erlaubnis- und Anzeigepflichten des Gewerberechts, inbes. der Titel II und III der GewO, nicht unterliegen, so daß im Marktverkehr u. a. die Anzeigepflicht des § 14 GewO und das Erfordernis der Reisegewerbekarte entfallen. Die ursprünglich und ohne Rücksicht auf die gewerbliche Nutzung im Gewerberecht geregelten lästigen Anlagen (§§ 16 ff. GewO) sind jetzt sachlich zutreffend der Genehmigungspflicht gemäß §§ 4ff. Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 721) unterworfen 343 . b) Handwerk: Das Handwerk nahm seit jeher in mehr oder weniger ausgeprägter Weise eine Sonderstellung im Rahmen des Gewerberechts ein. Die Entwicklung zu einem besonderen Handwerksrecht erfolgte zunächst durch 339
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RegEntw.: BT-Drucks. 10/1125; Ausschußbericht: BT-Drucks. 10/1646. - U. Schönleiter, GewArch. 1984, 317. Die gesetzl. Statuierung der Anzeigepflicht schließt die Ermächtigung für die Behörde ein, die Anzeige nach Vordruck zu verlangen (BVerwG NJW 1977, 772). Auf die Erteilung der Anmeldebestätigung gem. § 15 I GewO kann der Anzeigepflichtige verzichten (BVerwGE 38, 160). Das Recht des Marktverkehrs ist durch das Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der GewO vom 5. 6. 1976 (BGBl. I, S. 1773) durchgreifend umgestaltet worden. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 7/3859; Ausschußbericht, BT-Drucks. 7/4846. - K.-L. Wirth, Marktverkehr, Marktfestsetzung, Marktfreiheit, 1985 Zu Volksfesten vgl. § 60 b GewO. Für das Recht der lästigen Anlagen sei auf die S. 298 ff. der 3. Auflage dieses Lehrbuches und nunmehr auf den Abschn. Umweltschutzrecht, bearb. von R. Breuer, verwiesen. 359
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verschiedene Novellen zur GewO, hauptsächlich durch die Handwerkernovelle vom 26. Juli 1897, auf welche die früher in Titel VI behandelten Handwerkskammern zurückgehen, und durch die Handwerksnovelle vom 11.2. 1929, die die Handwerksrolle einrichtete (vormals Titel Via). Mit dem - mehrfach geändert bis heute fortgeltenden - Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953 kam es auch gesetzestechnisch zu einer Verselbständigung des Handwerksrechts. Dieses Gesetz gilt heute in der Fassung vom 28. Dezember 1965 (BGBl. 1966 I, S. 1) und ist seither insbes. durch das BerufsbildungsG vom 14. 8. 1969 (BGBl. I, S. 1112) novelliert worden344. Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe ist die Eintragung in die Handwerksrolle, die von der Handwerkskammer als ein Verzeichnis der selbständigen Handwerker ihres Bezirks geführt wird (§§ 1 I, 6 I HandwO). Die Eintragung in die Handwerksrolle entspricht der Erteilung einer gewerblichen Erlaubnis. Die Entscheidung über die Eintragung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt (§ 12 HandwO), ebenso die Mitteilung, daß die Eintragung beabsichtigt sei (§ 11 HandwO)345. Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle - und damit für die Zulassung zum Beruf des selbständigen Handwerkers - ist grundsätzlich der Befähigungsnachweis in Form der Meisterprüfung in dem zu betreibenden oder einem diesem verwandten Handwerk (§§ 7 I , 45 ff. HandwO)346. Durch Rechtsverordnung kann als Grundlage für ein geordnetes und einheitliches Meisterprüfungswesen bestimmt werden, welche Tätigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten den einzelnen Handwerkern zuzurechnen (Berufsbild) und welche Anforderungen in der Meisterprüfung zu stellen sind (§ 45 HandwO). Das „Berufsbild" zahlreicher Handwerke ist auf diesem Wege fixiert worden, z. B. das der Uhrmacher durch die Verordnung vom 17. April 1986 (BGBl. I S. 533). Die gemäß § 7 II HandwO erlassene Verordnung über die Anerkennung von Prüfungen bei der Eintragung in die Handwerksrolle und bei Ablegung der Meisterprüfung vom 2. November 1982 (BGBl. I S. 1475) legt fest, welche anderen Prüfungen der Meisterprüfung für die Ausübung des betreffenden Handwerks gleichartig sind. In besonderen Fällen kann die Eintragung auch ohne Meisterprüfung mit Hilfe einer Ausnahmebewilligung erreicht werden (§§ 7 III, 8, 9 HandwO), eine Regelung, die nicht die Bedingung des Befähigungsnachweises, sondern nur den Grundsatz durchbricht, daß dieser Nachweis gerade durch die Meisterprüfung zu er-
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Eyermann /Fröhler/Honig, Handwerksordnung, 3. Aufl., 1973; Kolbenschlag/ Lessmann /Stücklen, Die Dt. Handwerksordnung, 1967ff.; Siegert /Musielak, Das Recht des Handwerks, 1966ff.; W. Berg, GewArch. 1982, 73. BVerwG DÖV 1961, 511. Dieser handwerksrechtliche Sachkundenachweis ist keine Verletzung der Berufsfreiheit (BVerfGE 13, 97).
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bringen ist . Der selbständige Betrieb eines handwerksähnlichen Gewerbes unterliegt nicht der Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle, sondern nur einer besonderen Anzeigepflicht (§ 18 HandwO; Anlage B zur HandwO). Ein Gewerbebetrieb ist ein Handwerksbetrieb, wenn er eines der in der Positivliste (Anlage A zur HandwO) aufgeführten Gewerbe (Handwerk) zum Gegenstand hat und wenn er handwerksmäßig ausgeübt wird (§1 II HandwO). Die Beurteilung, ob eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit ein Handwerk zum Gegenstand hat, bringt in der Regel keine Schwierigkeiten mit sich348. Da die Qualifizierung eines Gewerbebetriebes als Handwerksbetrieb die besonderen Zulassungsvoraussetzungen und Pflichten des Handwerksrechts zur Folge hat, insbesondere die Notwendigkeit, in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, und die Zwangsmitgliedschaft in der Handwerkskammer, wird die Frage, ob ein Handwerk handwerksmäßig betrieben wird, dann praktisch bedeutsam, wenn ein Gewerbetreibender sich weigert, die Eintragung in die Handwerksrolle zu beantragen, oder wenn er die Löschung in der Handwerksrolle begehrt. Es handelt sich dabei um die Abgrenzung handwerklicher und industrieller Betriebsweise. Ausschlaggebend bei dieser Abgrenzung ist die Rolle, die der Gebrauch von Maschinen in dem Betrieb spielt 349. Die kennzeichnende Eigenart der industriellen Betriebsweise besteht darin, daß die erbrachte Arbeitsleistung einem von maschinellen Fertigungs- und Behandlungsvorgängen bestimmten technischen Prozeß ihre Prägung verdankt, so daß die Kenntnisse und Fertigkeiten des Betriebspersonals sich nicht unmittelbar auf den Arbeitsgegenstand, sondern auf die technische Wirkungsweise der maschinellen Hilfsmittel beziehen. Für
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BVerwGE 8, 287; 13, 317 (Honig, JuS 1964, 437). Diese Rspr. zu § 8 a. F. ist in der Neufassung dieser Vorschrift berücksichtigt worden. — Ritgen, BB Beilage 8/66; J. Stolz, GewArch 1979, 8. Montage von Ölfeuerungen als Bestandteil des Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerks, Nr. 33 der Positivliste (BVerwG VerwRspr 20, 623); Fassadenverkleidung als Bestandteil des Dachdeckerhandwerks, Nr. 6 der Positivliste (GewArch 1979, 377). Das praxiseigene Labor des Zahnarztes ist grds. nicht Ausübung des Zahntechniker-Handwerks (BVerwG GewArch 1979, 305; Badura, Zahnärztl. Mitteilungen 1978, S. 597). Die gewerbsmäßige Restaurierung alter Möbel ist i. d. R. nicht als - eigenschöpferische - künstlerische Tätigkeit höherer Art, sondern als Handwerksausübung zu bewerten (BayOblG DÖV 1987, 548). BVerwGE 17, 230 und 25, 66 (industrielle „Expreß-Schuhbar"); BVerwG GewArch 64, 108 (industrielle Schnellreinigung; vgl. Nr. 34 Anlage B zur HandwO); BVerwG GewArch 64, 248 und 249 (grafisches Gewerbe); BVerwGE 20, 263 (industrielles Baugewerbe), dazu Honig, JuS 1966, 436; BVerwG GewArch 1979, 262 (handwerkl. Herstellung von Backwaren); BVerwG GewArch 1979, 377 (handwerkl. Dachdeckerei); OVG Koblenz GewArch 1972, 15 (Kfz-Gewerbe); Fröhler / Dannbeck, Zur Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1965; Söllner, Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1973; P. Schwarz, GewArch. 1988, 1. - Kriterium der handwerkl. Arbeit für die Auslegung eines Tarifvertrages: BAG GewArch. 1982, 335. 361
4. Abschn. IV 3 c
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die Annahme industrieller Betriebsweise spricht es, wenn die Verwendung von Maschinen keinen Raum läßt für die Entfaltung von Handfertigkeit und es im wesentlichen auf die Bedienung der Maschinen ankommt. Für die Annahme handwerklicher Betriebsweise spricht es, wenn man sich der Maschinen nur zur Erleichterung der Arbeit und zur Unterstützung der Handfertigkeit bedient, eine einwandfreie und fachgerechte Arbeitsleistung ohne qualifizierte Handarbeit also nicht erreicht werden kann. Es kommt nicht auf das Ausmaß der Verwendung von technischen Hilfsmitteln überhaupt und auf die Betriebsgröße als solche an, sondern auf die Funktion der Maschinen für die Arbeitsweise des Betriebs und den Zusammenhang der Betriebsgröße und Betriebsorganisation mit der Wirkungsweise der maschinellen Arbeitsprozesse. Die Abgrenzung kann letztlich nur nach den Umständen des Einzelfalles und dem Gesamtcharakter des Betriebes erfolgen, wobei auch die Arbeitsteilung zwischen unternehmerischer Leitung und technischer Tätigkeit und das Ausmaß des Kapitaleinsatzes ins Gewicht fallen. Die Berufsbildung im Handwerk und vor allem die Ausbildung der Lehrlinge und der Gesellen ist eine wesentliche Aufgabe der Handwerksbetriebe. Sie ist eingehend geregelt (§§ 21 ff. HandwO). Für die staatlich anerkannten Ausbildungsberufe erläßt der Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft durch Rechtsverordnung Ausbildungsordnungen als Grundlage für eine geordnete und einheitliche Berufsausbildung sowie zu ihrer Anpassung an die technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse und deren Entwicklung (§ 25 HandwO) 35°. Die Regelung und Überwachung der Berufsausbildung gehört zu den Aufgaben der Handwerkskammern (§911 Nr. 4 bis 7 HandwO) und der Innungen (§ 54 I Nr. 3 bis 6 HandwO). c) Gaststättengewerbe: Das Gaststättengesetz vom 5. Mai 1970 (BGBl. I S. 465, ber. S. 1298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Juli 1976 (BGBl. I S. 1773)351, begründet eine Erlaubnispflicht für den Betrieb einer Schankwirtschaft, einer Speisewirtschaft und eines Beherbergungsbetriebs im stehenden Gewerbe sowie für den Tatbestand, daß jemand als selbständiger Gewerbetreibender im Reisegewerbe352 von einer für die Dauer der Veranstaltung ortsfesten Betriebsstätte aus Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (§§1,2 GaststG). Ein Gaststättengewerbe liegt sowohl vor, wenn der Betrieb jedermann, als auch wenn er nur bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Verschiedene Formen der Ausübung des Gaststättengewerbes sind von der Erlaubnispflicht ausgenommen, z. B. die 350 351
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Z. B. die Verordnung über die Berufsausbildung zum Korbmacher vom 15. 7. 1985 (BGBl. I, S. 1532). G. Mörtel/R. Metzner, GaststG, 4. Aufl., 1987; E. Hoffmann / O. Seitter, GaststG, 3. Aufl., 1985; E. Michel/ W. Kienzle, GaststO, 9. Aufl., 1986; R. Stober, JuS 1983, 843; H.-Chr. von Ebner, WiV 1987, 69. Das Gaststättenrecht ist für diese Art des Reisegewerbes eine Sonderregelung gegenüber dem Titel III der GewO (§ 13 GaststG).
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4. Abschn. IV 3 c
Verabreichung unentgeltlicher Kostproben und von alkoholfreien Getränken aus Automaten (§ 2 II — IV); in diesen Regelungen hat auch die gerichtliche Praxis zum sachlichen Anwendungsbereich des alten GaststättenG einen Niederschlag gefunden353. Der Verkauf von Getränken, zubereiteten Speisen, Tabak- und Süßwaren von einer Schank- oder Speisewirtschaft aus „über die Straße" zum alsbaldigen Verzehr oder Verbrauch ist in Fortführung der bisherigen Rechtslage354 als „Gassenschank" Bestandteil des Gaststättengewerbes und nicht zusätzlich Ausübung von Einzelhandel (§ 7 II GaststG). Die Erlaubnis ist für eine bestimmte Betriebsart und für bestimmte Räume zu erteilen; sie ist eine raumgebundene Personalerlaubnis (§3 1 GaststG). Die gesetzlichen Voraussetzungen der Erlaubniserteilung erstrecken sich auf die Zuverlässigkeit des Antragstellers, die ordnungsgemäße Beschaffenheit der für die Gewerbeausübung vorgesehenen Räume, die im Hinblick auf die örtliche Lage des Betriebs oder auf die Verwendung der Räume sonst berührten öffentlichen ( = polizeilichen; z. B. straßenverkehrsrechtlichen355) Interessen und den Nachweis lebensmittelrechtlicher Kenntnisse (§4 1 GaststG). Das Erfordernis, daß der Antragsteller durch eine Bescheinigung der für den Ort seiner gewerblichen Niederlassung zuständigen Industrie- und Handelskammer nachweisen muß, daß er oder sein Stellvertreter über die Grundzüge der für den in Aussicht genommenen Betrieb notwendigen lebensmittelrechtlichen Kenntnisse unterrichtet worden ist und mit ihnen als vertraut gelten kann (§4 1 Nr. 4 GaststG), ist die sachlich bedeutsamste Änderung gegenüber dem früheren Recht; die Erwägungen über Art und Umfang dieses „Unterrichtungsnachweises" haben in den Ausschußberatungen des Bundestages eine beherrschende Rolle gespielt. Ein allgemeiner Sachkundenachweis, wie er von der Interessenvertretung des Gaststättengewerbes gefordert worden war und wie ihn der Rechtsausschuß bei Speisewirtschaften für notwendig gehalten hatte, wurde vom Wirtschaftsausschuß aus rechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen abgelehnt, ist in die als Gesetz beschlossene Fassung nicht eingegangen und hätte auch angesichts der durch Art. 12 I GG festgelegten Kriterien für die Verhältnismäßigkeit einer subjektiven Zulassungsbeschränkung für einen Beruf, die das BVerfG im Hinblick auf den Sachkundenachweis im Einzelhandel verdeutlicht hatte356, kaum gerechtfertigt werden können357. Der schließlich in § 2 I Nr. 4 GaststG gefundene Weg eines qualifizierten Unterrichtungsnachweises dürfte schwerlich auf verfas353 354 355 356 357
BVerwGE 20, 325; 20, 330; BadWürttVGH GewArch 1969, 20. BayOblG DÖV 1955, 567; OLG Celle GewArch 1962, 155; OVG Münster GewArch 1964, 46. BVerwGE 10, 91; BVerwG NJW 1957, 1043; BadWürttVGH GewArch 1964, 39; OVG Koblenz GewArch 1964, 174. BVerfGE 19, 330. R. Stober, Der Befähigungsnachweis im Gastgewerbe als Rechtsproblem, 1986 (für die „differenzierte Einführung" eines derartigen Befähigungsnachweises); W. Kienzle, WiV 1987, 95. 363
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sungsrechtliche Bedenken stoßen. Die nach altem Recht ursprünglich erforderliche Bedürfnisprüfung (§§ 1 II, 8 I 2 GaststG 1930) war mit Inkrafttreten des GG als unverhältnismäßige objektive Zulassungsvoraussetzung entfallen358. Zum Schutze der Allgemeinheit, der Gäste, des Personals und der Bewohner des Betriebsgrundstückes und der der Nachbargrundstücke können der Erlaubnis, auch nachträglich, Auflagen beigefügt werden (§5 1 GaststG) 359 .
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BVerwGE 1, 48; 20, 321. - F. R. Schmidt, Die Bedürfnisprüfung als Instrument der Wirtschaftslenkung und Gesellschaftsgestaltung, 1968. OLG Hamm DVB1. 1975, 584 m. Anm. Götz; HessVGH GewArch 1979, 24.
FÜNFTER ABSCHNITT
Sozialrecht Franz Ruland
Literatur* H. Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 3. Aufl., 1979. G. Albrecht, Die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, 5. Aufl., 1977. H. Bachmann, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 14. Aufl., 1986. H. Barta, Kausalität im Sozialrecht, 1983. W. Baumer/H. Fischer/ J. Salzmann, Die gesetzliche Unfallversicherung, 1978ff. V. Bethusy-Huc, Gräfin v., Das Sozialleistungssystem der BRD, 2. Aufl., 1976. R. Binter, Bundesversorgungsgesetz, 1977. H. Bley, Sozialrecht, 5. Aufl., 1986. H. Bley, Handbuch der öffentlichen Sozialleistungen, 1986. Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, Hrsg. von W. Wertenbruch, 1979. E. Boettcher(Hrsg.), Sozialpolitik und Sozialreform, 1957. H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973. W. Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, 1957. K. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., 1949ff. E. Bulla, Der Dienst- und Arbeitsunfall als Institut des allgemeinen Verwaltungsrechts, 1970. W. Burdenski / B. v. Maydell / W. Schellhom, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch (GK-SGB I), 2. Aufl., 1981. K. C. Casselmann / H. Friedrichs / O. K. Hartmann / H. Kaltenbach / H. Koch / K. Maier, Angestelltenversicherungsgesetz, 2.-3. Aufl., 1953 ff. D. Döring, Das System der gesetzlichen Rentenversicherung, 1980. W. Doetsch, Handbuch zum Sozialrecht, 1975ff. H. Donnerhack / K. Metzler / K. H. Romann / G. Schroeder-Printzen / W. K. Schneider/B. Gabbe, Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum, 1959 ff. K. Eckert, Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, 1985. H. Ehrenberg / A. Fuchs, Sozialstaat und Freiheit, 1980. * Literaturauswahl. Die in diese Auswahl aufgenommenen Titel werden nur mit dem Namen des Verfassers zitiert. Gibt es von ihm mehrere Titel, sind sie, wie durch die Klammern gekennzeichnet, gekürzt worden. 365
5. Abschn.
Franz Ruland
H. Eicher / W. Haase / F. Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 7. Aufl., 1986. A. Erlenkämper, Sozialrecht, 1984. M. Faude, Selbstverantwortung und Solidarverantwortung im Sozialrecht, 1983. C. v. Ferber / F. X. Kaufmann, Soziologie und Sozialpolitik, Sonderheft 19 / 1977 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1977. G. Figge, Sozialversicherungshandbuch für die betriebliche Praxis, 1982. F. Flamm, Sozialwesen und soziale Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., 1980. H. Freudenthal, Sozialhilferecht, 4. Aufl., 1985. A. Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, 1982 ff. Gesamtkommentar — Sozialgesetzbuch, Sozialversicherung, bearbeitet von H. Bley / W. Gitter (u. a.), 1975 ff. D. Giese, Sozialgesetzbuch — Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1984ff. W. Gitter, Sozialrecht, 2. Aufl., 1986. W. Gitter, (Schadensausgleich) im Arbeitsunfallrecht, 1969. H. Gottschick / D. Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl., 1985. K. Groß, Fälle zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2. Aufl., 1982. H. Hauck/H. Haines, Sozialgesetzbuch-Kommentar, SGB I: 1976ff., SGB I V / I : 1977ff., S G B X / I , II: 1981ff. W. Hennig / H. Kühl / E. Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, 1969 ff. V. Hentschel, Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1880-1980, 1983. W. Hilfer, Das System sozialer Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, 1982. E. v. Hippel, Grundfragen der sozialen Sicherheit, 1979. H. G. Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, 1980. R. Hoemigk / E. Jorks, Rentenversicherung, 1986 ff. G. Igl, Kindergeld und Erziehungsgeld, 1986. J. Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973. K. Jahn, Allgemeine (Sozialversicherungslehre), 2. Aufl., 1980. K. Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, Kommentar, 1976 ff. K. Jung / H. H. Cramer, Schwerbehindertengesetz, 3. Aufl., 1987. F.-X. Kaufmann, Bürgernahe Sozialpolitik, 1979. A. Knigge / J. Ketelsen /D. Marschall, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, 1984. A. Knopp/ O. Fichtner, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Aufl., 1983. R. Kolb/E. Seidel, Rehabilitationsrecht, 1984. O. E. Krasney / K. Noell / D. Zöllner, Das landwirtschaftliche Sozialrecht und Möglichkeiten seiner Fortentwicklung, 1982. P. Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, 1982. P. Krause, Sozialgesetze, 3. Aufl., 1986. P. Krause/B. v. Maydell/D. Merten / J. Meydam, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch (GK-SGB IV), 1978. D. Krauskopf / G. Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Kommentar, 2. Aufl., 1976 ff. H. Krebs, Arbeitsförderungsgesetz, 1969 ff. H. Kugler, Rehabilitation in der Rentenversicherung, 2. Aufl., 1984. E. Kunz, Opferentschädigungsgesetz, 1981. 77i. Kunze/ H. D. Steinmeyer, Die Sozialrechtsklausur, 2. Aufl., 1980. 366
Sozialrecht H. E. B. B.
5. Abschn.
Lauterbach / F. Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., 1967 ff. Maschler, Kindergeldrecht, 1974. v. Maydell (Hrsg.), LdR-Sozialrecht, 1986. v. Maydell/ W. Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch (GKSGB X 3), 1984. O. Mergler / G. Zink / E. Dahlinger / H. Zeitler, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 3. Aufl., 1985 ff. D. Merten, Sozialrecht — Sozialpolitik, in: Hdbd. VerfR, hrsg. v. Benda / Maihofer / Vogel, 1984, S. 765 ff. H. Miesbach / W. Baumer, Die gesetzliche Unfallversicherung, 1964 ff. H. Miesbach / W. Busl, Reichsknappschaftsgesetz, 4. Aufl., 1969 ff. P. Mrozynski, Rehabilitationsrecht, 2. Aufl., 1986. E. Oestreicher/K. Schelter/E. Kunz, Bundessozialhilfegesetz, 1986ff. W. Pelikan, Rentenversicherung, 6. Aufl., 1986. H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., 1970ff. H. Peters, Sozialgesetzbuch-Kommentar, Allgemeiner Teil, 1976ff.; Gemeinsame Vorschriften, 1977 ff. J. Plagemann / H. Plagemann, Gesetzliche Unfallversicherung, 1981. F. Rothe/E. A. Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 12. Aufl., 1986ff. W. Rüfner, Einführung in das Sozialrecht, 1977. F. Ruland, Familiärer (Unterhalt) und Leistungen der sozialen Sicherung, 1973. F. Ruland, Möglichkeiten und Grenzen einer Annäherung der (Beamtenversorgung) an die gesetzliche Rentenversicherung, 1983. F. Ruland, Sicherung gegen (Arbeitslosigkeit) auch für Referendare und Lehramtsanwärter, 1983. F. Ruland/B. Tiemann, Der Versorgungsausgleich und steuerliche Folgen der Ehescheidung, 1977. Ch. Sachße / F. Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, 1980. Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Vergleich der Alterssicherungssysteme und Empfehlungen der Kommission, Bd. 1; Darstellung der Alterssicherungssysteme und der Besteuerung von Alterseinkommen, Bd. 2, 1983. D. Schäfer, Die Rolle der Fürsorge im System sozialer Sicherung, 1966. W. Schellhorn / H. Jirasek/P. Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 12. Aufl., 1985. E. Schönefelder / G. Kranz / R. Wanka, Arbeitsförderungsgesetz, 1972 ff. W. Schönleiter / H. Au/U. Schönleiter, Handbuch der Bundesversorgung, 2. Aufl., 1974 ff. A. Schoreit / T. Düsseldorf, Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, 1977. G. Schroeder-Printzen / K. Engelmann, Sozialgesetzbuch, 1981/3. B. Schulin, Soziale (Entschädigung) als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, 1981. B. Schulin, Soziale Sicherung der (Behinderte)n, 1980. B. Schulin, Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl., 1986. B. Schulin, (Fälle) zum Sozialrecht, 1987. B. Schulte / P. Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, 2. Aufl., 1986. G. Schulz-Lüke / M. Wolf, Gewalttaten und Opferentschädigung, 1977. G. Schwerz, Das neue Wohngeldrecht, 1972 ff. H. Seifert, Schwerbehindertengesetz, 4. Aufl., 1981. Sozialbericht 1986, BT-Dr. 10/5810. Sozialenquete, Soziale Sicherung in der BRD, Bericht erstattet von Achinger, Meinhold, u. a„ 1966. 367
5. Abschn.
Franz Ruland
Sozialgesetzbuch X, Ausgabe mit 7 einführenden Aufsätzen, 1981. O. Stadtler / D. Gutekunst, 2. Wohngeldgesetz, 1971 ff. E. Standfest, Sozialpolitik und Selbstverwaltung, 2. Aufl., 1978. M. Stolleis, Quellen zur Geschichte des Sozialrechts, 1976. J. Strasser, Grenzen des Sozialstaates, 2. Aufl., 1983. F. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik in Deutschland, 1981. E. Tiesler, Sozialhilfe, Bd. 1: 2. Aufl., 1980, Bd. 2: 2. Aufl., 1985. Transfer-Enquete-Kommission, Das Transfersystem in der Bundesrepublik Deutschland, 1981. Verbandskommentar, Kommentar zur RVO, 4. und 5. Buch, hrsg. v. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, bearbeitet von K. Bauer / L. Bergner u. a., G. Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, 1. Bd., 1965. G. Wannagat, (Hrsg.), Sozialgesetzbuch, SGB I: 1977ff.; SGB IV: 1984. G. Wannagat, (Hrsg.), Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, 1979 — 1987. E. Wickenhagen / H. Krebs, Bundeskindergeldgesetz, 1971 ff. G. Wilke/G. Wunderlich, Bundesversorgungsgesetz, 5. Aufl., 1980. H. Winterstein, Das System der Sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, 1980. K. Wolber, Alles über Arbeitsunfälle, 1979. H.-J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht Bd. III, 4. Aufl., 1978. H. F. Zacher, (Einführung) in das Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., 1985. H. F. Zacher, (Hrsg.), Die Rolle des (Beitrag)s in der sozialen Sicherung, 1980. H. F. Zacher, (Sozialpolitik) und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, 1980. H. F. Zacher (Hrsg.), Wahlfach (Sozialrecht), Einführung mit Examinatorium, 2. Aufl., 1981. K. O. Zimmer, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 7. Aufl., 1986. J. Zweng/R. Scheerer / G. Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl., 1966. Zeitschriften: Die Angestelltenversicherung; Behindertenrecht; Die Berufsgenossenschaft; Die Betriebskrankenkasse; Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht*; Deutsche Rentenversicherung; Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge; Die Ortskrankenkasse; Die Rentenversicherung; Die Sozialgerichtsbarkeit; Soziale Sicherheit; Sozialer Fortschritt; Die Sozialversicherung; Vierteljahresschrift für Sozialrecht*; Zeitschrift für das gesamte Familienrecht; Zeitschrift für das Fürsorgewesen; Zeitschrift für Sozialhilfe; Zeitschrift für Sozialreform; Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft; Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung. (* inzwischen eingestellt)
368
5. Abschn.
Sozialrecht
Gliederung I. Das Sozialrecht 1. Umschreibung des Sozialrechts 2. Die Kodifikation des Sozialrechts im SGB II. System und Entwicklung des Sozialrechts 1. Fürsorge — Versicherung — Versorgung a) Wesen und Entwicklung der Fürsorge b) Wesen und Entwicklung der Sozialversicherung c) Wesen und Entwicklung der Versorgung 2. Mindestsicherung und gehobene soziale Sicherung a) Die Mindestsicherung b) Die gehobene soziale Sicherung 3. Vorsorge — Entschädigung — staatliche Hilfe a) Vorsorge und Vorsorgesysteme b) Entschädigung und Entschädigungssysteme c) Staatliche Hilfe und Hilfssysteme 4. Die Bedeutung der sozialen Sicherung a) Daten b) Die Bedeutung für den einzelnen c) Die Bedeutung für die Familie d) Die Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft 5. Aufklärung — Beratung — Auskunft III. Die Sozialhilfe 1. Die Grundprinzipien 2. Die Hilfe zum Lebensunterhalt a) Der notwendige Lebensunterhalt b) Die Anspruchsberechtigung 3. Die Hilfen in besonderen Lebenslagen 4. Kostenersatz und Überleitung von Ansprüchen 5. Träger und Finanzierung der Sozialhilfe 6. Das Sozialhilferecht in der Diskussion IV. Sonstige staatliche Hilfen 1. Das Kindergeld 2. Das Erziehungsgeld 3. Das Wohngeld 4. Der Unterhaltsvorschuß 5. Die Ausbildungsförderung V. Das Arbeitsförderungsrecht 1. Beschäftigung und Arbeitsmarkt 2. Arbeitslosengeld — Arbeitslosenhilfe 3. Konkursausfallgeld 4. Finanzierung
372 372 375 375 375 376 377 379 380 380 381 382 382 383 385 386 386 388 389 390 391 392 392 396 396 398 400 400 401 402 403 . 403 404 404 405 405 408 408 410 413 413 369
5. AbSChn.
Franz Ruland
VI. Die Sozialversicherung 1. Allgemeines Sozialversicherungsrecht a) Durch Beitrag finanzierte Vorsorgesysteme b) Der Versichertengrundbestand aa) Gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Arbeiter und Angestellte bb) Die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten cc) Behinderte dd) Landwirte ee) Sonstige Selbständige c) Der Geltungsbereich des deutschen Sozialversicherungsrechts 2. Das Krankenversicherungsrecht a) Die Versicherungspflicht der Arbeiter und Angestellten b) Die Mitgliedschaft c) Die durch die Krankenversicherung gesicherten Risiken d) Die Leistungen der Krankenversicherung aa) Die Krankenpflege bb) Das Krankengeld cc) Sonstige Leistungen dd) Die Familienhilfe ee) Leistungen an Ausländer und Versicherte im Ausland e) Das Kassenarztrecht und die Beziehungen der Krankenkassen zu Krankenhäusern und Apotheken aa) Das Kassenarztrecht bb) Die Beziehungen zu den Krankenhäusern und Apotheken 0 Die Finanzierung der Krankenversicherung g) Sonderregelungen für einzelne Gruppen aa) Die Krankenversicherung der Rentner bb) Die studentische Krankenversicherung cc) Die Krankenversicherung der Arbeitslosen h) Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung i) Die Reform des Krankenversicherungsrechts 3. Das Rentenversicherungsrecht a) Die Versicherungspflicht der abhängig Beschäftigten b) Die durch die Rentenversicherung gesicherten Risiken aa) Berufs- und Erwerbsunfähigkeit bb) Das Alter cc) Der Tod c) Die Leistungen der Rentenversicherung aa) Rehabilitationsmaßnahmen bb) Die Renten cc) Die Renten an Hinterbliebene dd) Leistungen in das Ausland d) Die Finanzierung der Rentenversicherung aa) Beiträge und Bundeszuschuß bb) Umlageverfahren und Anteilsgerechtigkeit cc) Der Finanzausgleich innerhalb der Rentenversicherung e) Die übrigen Versicherungspflichtigen und die zur Versicherung Berechtigten f) Die Organisation der Rentenversicherung g) Das Rentenversicherungsrecht in der Diskussion 370
414 414 414 416 416 419 419 419 419 420 420 421 421 422 423 423 425 426 426 427 427 427 431 431 432 432 433 433 433 434 435 435 436 436 438 438 439 439 439 442 443 444 444 444 446 446 447 447
Sozialrecht
5. Abschn.
4. Das Unfallversicherungsrecht a) Die Versicherten b) Die durch die Unfallversicherung gesicherten Risiken aa) Der Arbeitsunfall bb) Die Berufskrankheiten c) Die Leistungen der Unfallversicherung aa) Heilbehandlung und Verletztengeld — Rehabilitation und Übergangsgeld bb) Die Verletztenrente cc) Die Leistungen an Hinterbliebene d) Die Unfallversicherung als Vorsorgesystem e) Besonderheiten der „unechten" Unfallversicherung
448 448 449 450 452 452 453 453 454 455 455
VII. Soziales Entschädigungsrecht 1. Die Entschädigungstatbestände 2. Die Entschädigungsleistungen 3. Verwaltungs- und Kostenträger
456 457 458 459
VIII. Die Sozialleistungen und ihr Ersatz durch Dritte 1. Die Sozialleistungen 2. Ersatzansprüche gegen Dritte a) Die Fälle b) Speziell: der Übergang von Schadensersatzansprüchen
460 460 462 462 463
IX. Besonderheiten des Sozialverfahrensrechts — Der Schutz der Sozialdaten . . 1. Die Besonderheiten des Sozialverfahrensrechts a) Mitwirkung des Berechtigten und Dritter b) Widerruf, Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten aa) Der Widerruf von Verwaltungsakten bb) Die Rücknahme von Verwaltungsakten cc) Die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung dd) Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren 2. Der Schutz der Sozialdaten
465 465 466 467 468 468 469 470 470
X. Die Sozialleistungsträger und ihre Beziehungen zueinander 1. Die Sozialleistungsträger 2. Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit 3. Die Beziehungen der Sozialleistungsträger untereinander
471 471 472 474
371
5. Abschn. 11
Franz Ruland
I. Das Sozialrecht 1. Umschreibung des Sozialrechts Das „Sozialrecht" entzieht sich einer eindeutigen und einheitlichen Definition 1 . Gemeint war mit ihm zunächst die an die bürgerlich-liberale Rechtsordnung gestellte Forderung, das Recht dürfe nicht auf das vereinzelt gedachte, aus seiner gesellschaftlichen Situation herausgelöste Individuum zugeschnitten sein, sondern habe auf den „konkreten und vergesellschafteten Menschen" abzustellen und größere distributive Gerechtigkeit anzustreben 2 . Sie zu verwirklichen, ist Aufgabe der Sozialpolitik. So lebt dieser ursprüngliche Ansatz in der heutigen weiten materiellen Definition fort, die ausgehend davon, daß Sozialrecht „zur Norm verfestigte" staatliche Sozialpolitik ist3, mit ihm all die Rechtsgebiete meint, „die sich durch eine gesteigerte Intensität ihres sozialpolitischen Gehalts auszeichnen" 4 . Dieses Sozialrecht im weiteren Sinne beschreibt aber keine eigene Rechtsdisziplin. Es ist in allen Teilbereichen sozialstaatlichen Rechts anzutreffen. Erwähnt seien nur Mieterschutz, Pfändungsfreigrenzen, Unterhaltsrecht und Prozeßkostenhilfe 5 . Kernbereiche sozialpolitischer Gestaltung sind das Arbeitsrecht und das Sozialrecht im engeren Sinne, für das nahezu gleichbedeutend die Ausdrücke: Recht der sozialen Sicherung, Sozialleistungsrecht oder Sozialverwaltungsrecht gebraucht werden. Dieses Sozialrecht im engeren Sinne hat sich zu einer eigenständigen Rechtsdisziplin entwickelt und ist Gegenstand dieses Abschnitts. Eine mit § 40 VwGO vergleichbare rechtliche Notwendigkeit, diese Rechtsdisziplin exakt gegenüber anderen abzugrenzen, besteht nicht. Die Zuweisung zu den Sozialgerichten ist enumerativ erfolgt (§ 51 SGG). Gleichwohl ist die Abgrenzung nicht beliebig, da es darum geht, ein durch gemeinsame Grundsätze geprägtes Rechtsgebiet herauszuarbeiten. Über die wichtigsten, dem Sozialrecht (im engeren Sinne) zuzurechnenden Einzelsysteme herrscht Einigkeit, die durch deren Einbeziehung in das SGB vom Gesetzgeber bestätigt wurde 6 : die Ausbildungsförderung (BAföG), die Arbeitsförderung (AFG), die Sozialversicherung (RVO, AVG, RKG, KVLG, GAL, KSVG), die soziale 1 2 3 4 5
6
372
Zu ihr umfassend: F. Schmid, Sozialrecht und Recht der sozialen Sicherheit, 1981; Zacher, in: Fs. f. Schieckel, 1978, S. 373. Vgl. Radbruch, Der Mensch im Recht, 3. Aufl., 1957, S. 35, 37; dazu Eichenhofer, VSSR 1981, 19ff.; ders., ZSR 1983, 393ff. Bley, S. 37. Schmid(Fn. 1), S. 157; Zacher (Fn. 1), S. 373; ders., VSSR 1976, 1 (7). Zur Prozeßkostenhilfe als Sozialhilfe in besonderer Lebenslage: Behn, ZfS 1985, 98; Kohlhosser, ZRP 1979, 279ff.; s. auch LAG Frankfurt, AuR 1984, 55; OLG Düsseldorf, FamRZ 1987, 398. Vgl. Art. II § 1 SGB I.
Sozialrecht
5. Abschn. 11
Entschädigung (BVG, OEG), das Kindergeld- (BKGG) und Wohngeldrecht (WoGG) und die Sozialhilfe (BSHG). Die Jugendhilfe, die derzeit noch als besonderer Teil des SGB gilt, soll aus ihm wieder herausgenommen werden7, dafür soll ein besonderes Buch über das Recht der Behinderten eingefügt werden8. In all diesen Systemen geht es um staatliche Sozialleistungen. Auf sie ist das Sozialrecht (im engeren Sinne) begrenzt. Es ist öffentliches Recht9. Ausgegrenzt sind die privatrechtlichen Systeme sozialer Sicherung wie der familiäre Unterhalt, die betriebliche Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst oder die Privatversicherung. Diese sind aber wichtige Teilbereiche im Gesamtsystem sozialer Sicherung, stehen daher zu den staatlichen Sicherungssystemen in einer ambivalenten Beziehung gegenseitiger Ergänzung und Verdrängung10. Das Sozialrecht ist der wichtigste Bereich des öffentlichen Leistungsrechts. Doch ist es nicht nur Leistungsrecht. Die Sozialversicherung, überwiegend mit Beiträgen finanziert, ist abgabenrechtlich nicht minder von Interesse". Von den übrigen Bereichen des öffentlichen Leistungsrechts heben sich die Sozialleistungen durch ihre spezifische, d. h. intensive sozialpolitische Zwecksetzung ab. Sie sollen dazu beitragen ( § 1 1 2 SGB I), ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen. Eine deutliche Abgrenzung zu anderen staatlichen Leistungen gibt es aber dennoch nicht. Sozialleistungen werden wegen eines tatsächlichen oder typisierten Bedarfs gewährt, den sie bei dem Begünstigten unmittelbar abdecken. Das unterscheidet sie z. B. von vielen Subventionen, die häufig zwar auch, aber nur mittelbar, sozialpolitische Zielsetzungen verfolgen, z. B. Leistungen an den Arbeitgeber zur Erhaltung von Arbeitsplätzen12. Werden Subventionen der 7 8 9 10
11
12
Vgl. Schellhorn, in: G K - S G B I, § 8 Rdnrn. 1 ff. Vgl. BT-Dr 9 / 1753, S. 4; BT-Sten. Ber. 9 / 6675 A. Vgl. Henke, VVdStRL 28 (1970), S. 149ff.; Zacher, in: Fs. f. Jantz, 1968, S. 29. Zur Beziehung zum familiären Unterhalt: v. Hippel, S. 48ff.; Ruland, Unterhalt; Schmitz/Elsen, in: Soziale Arbeit — Soziale Sicherheit, 1981, S. 105ff.; zur betrieblichen Altersversorgung: Ruland, D B 1978, 1833ff.; zur Privatversicherung: Bäumer, VersWirt 1978, 1422 (1430f.); H. Bogs, S. 297ff.; Frey, VersWirt 1977 11 ff.; Greb, Das Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung zu privater Lebensversicherung seit 1957, 1968; v. Heinz, S. 45ff.; Heubeck, ZVersWiss 1970, 317ff.; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, 1974; Schwebler, Sicherheit zwischen Individual- und Sozialversicherung, 1977. Dazu Bley, VSSR 1976, 289ff.; Isensee, a . a . O . ; Krause, SGb 1983, 1 ff.; Ruland, D R V 1985, 13ff.; umfassend Zacher(Hrsg.), Beitrag, a. a. O. Sie werden nicht selten auch von Sozialleistungsträgern erbracht, vgl. §§ 54ff., 91 ff. A F G ; § 1237 a I Nr. 1 RVO. 373
5. Abschn. 11
Franz Ruland
Zielgruppe aber unmittelbar gewährt, hilft mitunter auch ihre Funktion, Entgelt für Planbefolgung zu sein13, zur Unterscheidung nicht weiter14. So ist z. B. die soziale Sicherung der Landwirte eine Mischung aus einer Agrarsubvention und einer teilweise beitragsfinanzierten Sozialleistung15. Amtshaftungs- und Aufopferungsansprüche fallen trotz ihrer Nähe zur sozialen Entschädigung in den Bereich der staatlichen Ersatzleistungen, die dem Sozialrecht nicht zugerechnet werden16. Sie sind eindeutiger als die soziale Entschädigung (Versorgung der Kriegs- oder Verbrechensopfer) Kompensation staatlichen Unrechts. Doch sind auch hier die Grenzen fließend, wie die dem Sozialrecht zugerechnete Versorgung der NS-Verfolgten (BEG) zeigt. Die Beamtenversorgung ist zwar auch ein Teilsystem sozialer Sicherung, gehört aber traditionell und insoweit durch Art. 33 V GG geschützt zum Beamtenrecht, somit nicht zum Sozialrecht im engeren Sinne17. Sozialleistungen können auch Verschonungen sein, wie z. B. die unentgeltliche Beförderung von Schwerbeschädigten (§§ 59 ff. SchwbG; Art. II § 1 Nr. 18 SGB I). Die meisten sozialpolitisch motivierten Verschonungen finden sich jedoch im Steuerrecht, z. B. das Ehegattensplitting (§ 32 a V EStG), der Kinder- (§ 32 EStG) und der Versorgungsfreibetrag (§ 19 II EStG) oder die Steuerfreistellung von Sozialleistungen (§ 3 EStG). Aus seinem systematischen Kontext können sie auch nicht zugunsten einer Einbeziehung in das Sozialrecht herausgelöst werden18. Die derzeit h. M. reduziert positivistisch das Sozialrecht im engeren Sinne auf die in das SGB eingegliederten Bereiche19. Das sind zwar die schon aufgezählten wichtigsten Systeme sozialer Sicherung, auf die sich die nachfolgende Darstellung im wesentlichen auch beschränken wird. Doch darf nicht vergessen werden, daß es daneben auch auslaufende Materien gibt, wie z. B. die Verfolgtenversorgung, oder landesrechtlich geregelte Bereiche, wie z. B. die berufsständische Versorgung der Ärzte, Apotheker, Architekten oder Anwälte20, die ebenfalls Sozialrecht im engeren Sinne darstellen21. 13 14
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374
So Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, 1977, S. 374. Zu ihr: Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 100f.; Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 11ff.; Zacher, VVdStRL 25 (1967), S. 308 (321). Vgl. Hagedorn, VSSR 1977, 203ff.; Krasney / Noell / Zöllner, S. 22f.; Winterstein, S. 61. Vgl. Schulin, Entschädigung, S. 106ff.; s. auch Zacher, DÖV 1972, 461 (467). Ruland, Beamten Versorgung, Rdnr. 42 ff. m. w. Nachw. Dem Sozialbudget werden sie aber zugerechnet, vgl. BT-Dr 8 / 4327, S. 128ff.; s. auch Berie, Das Sozialbudget, 1970, S. 57 f. Statt aller Müller- Volbehr, JZ 1978, 249; Rüfner, S. 5; Wannagat, RdA 1973, 209 (210); s. a. Krause, JuS 1986, 352ff. Dazu Boecken, Die Pflichtaltersversorgung der verkammerten freien Berufe und der Bundesgesetzgeber, 1986; Ruland, NJW 1982, 1847ff. Genannt seien z. B. auch die LandesblindengeldG, z. B. in Niedersachsen für Zivilblinde (GVB1. 1975, 115); zum (Landes-)Sozialrecht: Ruland, in: Faber /Schneider, Nds. Staats- u. VerwR, 1985, S. 499ff.; Stolleis, in: Meyer/Stolleis, Hess. Staats- u. VerwR, 1983, S. 306 ff.
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Sozialrecht
2. Die Kodifikation des Sozialrechts im SGB Einer seit langem erhobenen Forderung entsprechend hat sich der Bundesgesetzgeber 1969 entschlossen, das unsystematisch gewachsene, in viele Einzelgesetze zersplitterte und daher unübersichtlich gewordene Sozialrecht in einem SGB zusammenzufassen 22 . Damit verbunden sollte eine „begrenzte Sachreform" 23 sein. Daran wird noch gearbeitet. Bisher sind verabschiedet: — der Allgemeine Teil (SGB I), der die einführenden, Verfahrens- und materiell-rechtlichen Bestimmungen umfaßt, die, soweit keine Sonderregelungen bestehen (§ 37 SGB I), grundsätzlich für alle Sozialleistungsbereiche einheitlich gelten ; — das Erste Kapitel des Vierten, die Sozialversicherung betreffenden Buches (SGB IV); in ihm sind die Bestimmungen „vor die Klammer gezogen" worden, die das allgemeine Sozialversicherungsrecht darstellen sollen, und — das Zehnte Buch (SGB X), das das Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger, den Schutz der Sozialdaten und die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten regelt. Die Regelungsbereiche, die noch in das SGB eingegliedert werden sollen, gelten einstweilen als dessen besondere Teile (Art. II § 1 SGB I). Als nächster Schritt ist die Eingliederung des Krankenversicherungsrechts in das SGB (5. Buch) geplant (Referentenentwurf eines GRG). II. System und Entwicklung des Sozialrechts Das SGB hat bislang nur wenig zur Systematisierung des Sozialrechts 24 beigetragen. Traditionell ist die Einteilung in: Fürsorge — Sozialversicherung — Versorgung 25 . Sie geht von den historisch gewachsenen Sozialleistungsbereichen aus. Nach dem Leistungsziel fragt die Unterscheidung zwischen Mindestsicherung und gehobener sozialer Sicherung 26 . Demgegenüber stellt die Einteilung in Vorsorge-, Entschädigungs- und Hilfssysteme 27 auf den Grund der Leistung ab. 1. Fürsorge — Versicherung — Versorgung Die traditionelle Einteilung ist rechtlich von großer Bedeutung, weil sich an ihr die wichtigsten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf dem Gebie22
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Dazu Zacher, Das Vorhaben des Sozialgesetzbuchs, 1973; Dembowski / Doetsch (u. a.), Das neue Sozialgesetzbuch, 1972 Zacher, a. a. O., S. 24; s. auch André, SF 1986, 217; Ruland, SGb 1982, 505ff. zur Einbeziehung der Rentenversicherung. Zu ihr Bley, S. 27ff.; Zacher, DÖV 1970, 1 ff.; ders., Sozialrecht, S. 16ff. Statt aller W. Bogs, in: Sozialenquète, Rdnr. 131 ff.; Rüfner, S. 9; Wannagat, S. 31 ff. Vgl. etwa Krause, ZSR 1972, 385 (389 ff.). Vgl. Meinhold, in: Sozialenquète, Rdnr. 306; Zacher, Sozialrecht, S. 16ff.; ders., Einführung, S. 20ff., ders., SGb 1982, 329ff. (zur „Anatomie" des Sozialrechts). 375
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te des Sozialrechts orientieren. Er ist konkurrierend zuständig für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Nr. 7 GG), für die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Art. 74 Nr. 12 GG) und für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen (Art. 74 Nr. 10 GG). Hinzugekommen ist seine Kompetenz zur Regelung der Ausbildungsbeihilfen (Art. 74 Nr. 13 GG)28. a) Wesen und Entwicklung der Fürsorge: Die meisten Prinzipien der heutigen Sozialhilfe haben lange Tradition19. Vom Anbeginn öffentlicher (staatlicher oder kommunaler) Fürsorge an (Beginn des 16. Jahrhunderts) setzt öffentliche Unterstützung eine individuelle, durch eigene Mittel oder Arbeitsleistung nicht behebbare Notsituation voraus. Die Subsidiarität wird zum tragenden Prinzip der Fürsorge. Aus ihr ergibt sich die Arbeitspflicht, die beginnend und besonders hart zur Zeit des Merkantilismus in Zucht- und Arbeitshäusern durchgesetzt wird. Die Subsidiarität begrenzt auch die Leistungen. Sie müssen selbst hinter unteren Erwerbseinkommen zurückbleiben, damit die Fürsorge keine lohnende Alternative zur Arbeit wird. Die Leistungen waren und sind daher auf das Allernotwendigste beschränkt. Öffentliche Fürsorge entstand in den Städten, als diese das Betteln verboten und statt oder zu der bis dahin üblichen kirchlichen Fürsorge kommunale Unterstützungen für ihre „eigenen" Armen einführten. An dieser kommunalen Zuständigkeit haben seit den Reichspolizeiverordnungen von 1530 und 1548 alle staatlichen Regelungen der Fürsorge festgehalten. Auch heute noch ist die Sozialhilfe grundsätzlich eine Angelegenheit kommunaler Selbstverwaltung. Allerdings mußte das Heimatprinzip, demzufolge die Gemeinden nur für ihre Bürger und die im Ort gebürtigen Armen verantwortlich waren, wegen der Bevölkerungsbewegungen insbesondere im Zusammenhang mit der beginnenden Industrialisierung zugunsten der Maßgeblichkeit des Unterstützungswohnsitzes aufgegeben werden (z. B. Preußen 1842). Entscheidend wurde, wo der Hilfsbedürftige seit einer relativ kurzen Aufenthaltszeit lebt. Zur Aufgabe des Staates wurde die Fürsorge erstmals im PrALR (2. Teil, 19. Titel, § 6). Der Staat mußte als überörtlicher Träger die „Landarmen" unterstützen, für die kein Ortsarmenverband zuständig war. Fürsorge war, wie heute noch die Obdachlosenfürsorge 30 , eine polizeiliche Aufgabe. Die Hilfe wurde aus Gründen der öffentlichen Ordnung gewährt, dem Empfänger kein Rechtsanspruch zugestanden. Er war auch sonst — Verweigerung des Wahlrechts — 28
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Vgl. Krause, JuS 1986, 350f.; in der kompetenzrechtlichen Bindung moderner Sozialpolitik an traditionelle Formen sozialer Sicherung hat die Unsystematik des Sozialrechts einen ihrer vielen Gründe. Sie zwingt z. B. zahlreiche Versorgungstatbestände in das Gewand „unechter" Unfallversicherung (S. 455 f.), Jsensee, S. 48; Rüfner, Vhdlgen d. 49. DJT, 1972, S. E 10; Schulin, Entschädigung, S. 94f. Zur ihr vor allem Sachße / Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, 1980, S. 23ff.; Schulte/ Trenk-Hinterberger, S. 37ff.; Stolleis, S. 15ff.; Tennstedt, S. 16ff.; Wolff /Bachof, VwR III, S. 266ff. Dazu Greifeld, JuS 1982, 819 ff.
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ein Bürger „2. Klasse". All die genannten Prinzipien (nicht: Ausschluß vom Wahlrecht) haben in der Reichsförsorgepflicht-Verordnung und den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge von 1924 (RGBl I, 100, 765) bis nach Inkrafttreten des Grundgesetzes fortgegolten. Allerdings entschied das BVerwG schon 195431, daß das Grundgesetz es ausschließt, den Bürger zum Gegenstand staatlichen Handelns zu machen. Daher bestehe ein Rechtsanspruch auf Fürsorge. Damit war ein Grundprinzip des 1961 eingeführten BSHG vorweggenommen. Das BSHG verlagerte zwar den Schwerpunkt der Hilfe von der Existenzsicherung weg zu den „Hilfen in besonderen Lebenslagen" hin und definierte die Hilfsbedürftigkeit neu. Die traditionellen Grundprinzipien wie: Subsidiarität, Hilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalles (Individualisierungsprinzip) und unabhängig vom Grund der Bedürftigkeit (Finalität) blieben aber prägend 32 . Verfassungsrechtlich ist die Kompetenz „öffentliche Fürsorge" nicht durch deren klassische Ausgestaltung beschränkt. So hat das BVerfG z. B. auch die staatlichen Hilfen für Schwerbehinderte — einschließlich der zu ihren Gunsten erhobenen Ausgleichsabgabe — auf diese Kompetenz zurückgeführt 33 ; die Literatur stützt auf sie z. B. auch das Kindergeld 34 , das Wohngeld 35 ; früher (heute: Art. 74 Nr. 13 GG) sind auch Ausbildungsbeihilfen der Fürsorge zugerechnet worden 36 . b) Wesen und Entwicklung der Sozialversicherung: Versicherung ist die gemeinsame Deckung eines im Einzelfall ungewissen, in der Gesamtheit aber schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit gleichartiger Risiken37. Dies gilt auch für die Sozialversicherung. Ihre Vorläufer38 wa-
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BVerwGE 1, 159ff.; zuvor schon BayVerfGH, VerwRspr 1, 351. Statt aller von Maydell, NDV 1978, 341 (342). BVerfGE 42, 263 (283); 57, 139 (159, 166). Vgl. Maschler, S. 54; Rüfner, S. 59 Anm. 2. Vgl. Hering, DVB1. 1975, 14; v. Münch, in: GGK, Art. 74 Rdnr. 24. BVerwGE 27, 58 (59). BVerfGE 11, 105 (112); 75, 108 (146); BSGE 6, 213 (218); Manes, Versicherungswesen, 4. Aufl., 1920, S. 3; Hoffmann, Privatversicherungsrecht, 1978, S. 4; Winterstein, S. lOff. Zu ihrer Geschichte: Hentschel, S.9ff.; Hockerts, S. 21 ff., ders., HZ 237 (1983), 361 ff.; Köhler / Zacher (Hrsg.), Ein Jahrhundert Sozialversicherung, 1981; Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 3. Aufl., 1978; Ritter, Sozialversicherung in Deutschland und England, 1983; Stolleis, S. 29ff.; ders., in: Zacher (Hrsg.), Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung von Sozialversicherung, 1979, S. 387ff. (RV); ders., ZSR 1983, 612ff. (KV); Stolleis /Saul/ Koch / Zöllner, ZVersWiss 1980, 155ff.; Töns, 100 Jahre gesetzliche Krankenversicherung, 1983; (vor allem) Tennstedt, in: Blohmke, Hdb. d. Sozialmedizin, Bd. 3, 1976, S. 385ff.; ders., ZSR 1975, 225ff., 358ff., 422ff. (Quellen); ders., ZSR 1981, 663ff.; Vogel, Bismarcks Arbeiterversicherung, 1951. 377
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ren zum einen die „Kranken-, Sterbe- und Hülfskassen" der Zünfte 39 , zum anderen die ebenfalls auf genossenschaftlicher Grundlage beruhenden „Büchsen-" oder „Knappschaftskassen" der Bergleute, an denen schon damals die Unternehmen finanziell beteiligt waren. Das Ungenügen der kommunalen Fürsorge gegenüber der durch Bevölkerungswachstum und industrielle Revolution immer drückender gewordenen Not führte zu Versuchen, das Hilfskassenwesen gesetzlich, z. B. durch Beitrittszwang, zu verfestigen (etwa PrAllgGewO von 1845; Hülfskassengesetz von 1876). Die regional und berufsständisch begrenzten Solidargemeinschaften waren jedoch zu schwach, um wirksam zur Lösung der sozialen Probleme beitragen zu können. Erfolgreicher war die Entwicklung im Bergbau40. Die 1854 gesetzlich vorgeschriebenen „Knappschaftsvereine" wurden 1864 zu einem Vorläufer der heutigen Sozialversicherung umgestaltet. Sie kannten sowohl lohnbezogene Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge (mindestens 50%), als auch Einzug und Abführung des Beitrages durch den Arbeitgeber. Die Sozialgesetzgebung des Reichs (Bismarcks) beginnt mit der Kaiserlichen Botschaft vom 17. 11. 1881, in der eine gesetzliche Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Alterssicherung angekündigt wurde. Diese Gesetzgebung war nicht nur sozial motiviert. Sie sollte — als Kontrast und Ergänzung zur Sozialistengesetzgebung — die Arbeiterschaft der Sozialdemokratie entfremden, sie mit dem Staat versöhnen, um so das neu gegründete Reich innerlich zu verfestigen41. 1883 wurde die gesetzliche Krankenversicherung, 1884 die Unfall- und 1889 die Invaliditätsund Alterssicherung für Arbeiter eingeführt. 1911 wurden die drei Gesetze in der RVO zusammengefaßt und inhaltlich z. B. durch Einführung einer Hinterbliebenensicherung 42 verbessert. Das gleiche Jahr brachte die Angestelltenversicherung (AVG). Die hohe Arbeitslosigkeit während und nach dem 1. Weltkrieg ließ staatliche Eingriffe auf den Arbeitsmarkt (Arbeitsnachweise und -Vermittlung) und die Einführung einer Arbeitslosenversicherung (AVAVG) unausweichlich werden (1927)43. Inhaltliche Strukturreformen brachten die Rentenreform 1957 mit dem Übergang zur dynamischen Rente 44 39
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Zu ihnen Fröhlich, Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden, 1976, S. 38 ff. Zu ihr: Dapprich, in: 10 Jahre Bundesknappschaft, 1979, S. 21 ff.; ders., SGb 1982, 514ff.; Geyer, Die Reichsknappschaft, 1987; Thielmann, Die Geschichte der Knappschaftsversicherung, 1960. Dazu etwa Gatt, Bismarck, 1980, S. 642ff.; Saul, ZVersWiss. 1980, 182; Schäfer, ZfS 1983, 179ff.; Stolleis, ZVersWiss. 1980, 155 (157f.). Zu ihrer Geschichte: Dreher, Die Entstehung der Arbeiterwitwen Versicherung in Deutschland, 1978. Zu ihrer Einführung: Adamy /Reidegeld, SozSich 1987, 374; 1988, 21 ff.; W. Bogs, Die Sozialversicherung in der Weimarer Demokratie, 1981, S. 95ff.; Schieckel, SGb 1977, 425 ff. Dazu von Bethusy-Huc, S. 196ff.; (vor allem) Hockerts, S. 320ff.; Jantz / Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1957; s. a. Hentschel, S. 160ff.; Ammermüller, BAB1. 1987/1, 7ff.
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und der Wechsel vom AVAVG zum AFG (1969), das den Versicherungsgedanken zugunsten einer umfassenden Präventivkonzeption zurückdrängte 45 . Gesichert waren zunächst grundsätzlich nur die abhängig Beschäftigten. Diese Konzeption wurde 1938 erstmals durch die Einbeziehung der Handwerker in die Rentenversicherung durchbrochen (HwVG), 1957 folgten die Landwirte (GAL). Die Entwicklung ist trotz der Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige (1972), wie die Einführung der Sozialversicherungspflicht für Künstler (KSVG) zeigt, noch nicht abgeschlossen46. Von einem „ Wesen" der Sozialversicherung zu sprechen 47 , ist fast unmöglich. Dafür weisen ihre Zweige zu viel Eigencharakteristik auf, das Arbeitsförderungsrecht so viel, daß es im SGB als eigenes Buch geregelt wird (§ 1 II SGB IV). Gemeinsam ist nur, daß gesetzlich zu Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 29 I SGB IV) zusammengefaßte Solidargemeinschaften eine von konkreter Bedürftigkeit unabhängige, mit Beiträgen erkaufte Sicherung gegen bestimmte typische Risiken bieten. Die Besonderheiten der Unfallversicherung und der sozialen Sicherung der Landwirte schließen weitere Gemeinsamkeiten aus, zeigen aber auch, welch weite Gestaltungsmöglichkeiten die Kompetenz „Sozialversicherung" dem Gesetzgeber eröffnet. Sie begründet zwar keine sozialpolitische Allzuständigkeit, beschränkt ihn aber nicht auf die klassischen Versicherungszweige und bindet ihn nicht an deren überkommene Ausgestaltung48. Auch die berufsständischen Sicherungssysteme z. B. der Ärzte oder Anwälte stellen „Sozialversicherung" dar 49 . Jedoch liegt, weil eine bundesrechtliche Regelung fehlt, die Kompetenz bei den Ländern 50 . c) Wesen und Entwicklung der Versorgung: Versorgungsleistungen entschädigen aus Steuermitteln für Opfer, die dem Staat erbracht wurden oder für die er in besonderer Weise die — zumindest politische — Verantwortung trägt oder übernommen hat. Historisch hat die Versorgung zwei Entwicklungsstränge5]: die Entschädigung für die Personen, die sich im Dienste des Staates aufgeopfert haben und sich infolgedessen keine Alters- und Invaliditätssicherung aufbauen konnten (Beamtenversorgung)52, und die Versorgung der 45 46 47
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Dazu BVerfGE 53, 313 (324f.); Hoppe, ZSR 1977, 381 ff. Vgl. Ruland, SGb 1981, 391 (394); s. auch von Maydell, SGb 1981, 412 (414). Zu ihm: Achinger, S. 87ff.; W. Bogs, S. 24ff.; Jahn, Sozialversicherungslehre, S. 5ff.; s. a. BSG, SGb 1987, 169 (170f.). BVerfGE 11, 105(111). Vgl. W. Bogs, in: Fs. f. Krohn, 1954, S. 35ff.; Schneider, Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung freier Berufe und das Grundgesetz, 1959, S. 49ff.; Zacher, Sozialpolitik, S. 58; nunmehr zur Schornsteinfegerversorgung: BVerfGE 63,1 (36); a. A.: BVerwGE 17, 74ff.; Bley, S. 130. BVerfGE 63, 1 (36); Boecken (o. Fn. 20), S. 253ff; Ruland(o. Fn. 21), S. 500. Schulin, Entschädigung, S. 61 ff.; Stolleis, S. 47ff. Zu dieser historischen Deutung: Gönner, Der Staatsdienst aus dem Gesichtspunkt des Rechts und der Sozialökonomie betrachtet, 1801, S. 101; w. Nachw. bei Ruland, Beamten Versorgung, Rdnr. 316. 379
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kriegsbeschädigten Militärpersonen. Inzwischen ist aber der von der „Versorgung" erfaßte Personenkreis nahezu vollständig ausgewechselt worden. Die Versorgung der Beamten und Berufssoldaten ist nach heutigem Verständnis Teil des öffentlichen Dienstrechts und Entgelt für geleistete Dienste, nicht aber Entschädigung für eine Aufopferung 53 . Nachdem Kriege zunehmend mehr Opfer in der Zivilbevölkerung gefordert haben, ist deren Entschädigung hinzugekommen (1920), heute im BVG geregelt. Das Unrechtssystem des „3. Reichs" hat die Verfolgtenversorgung (vor allem durch das BEG, 1953) notwendig werden lassen. Mit der Entschädigung von Verbrechensopfern (OEG, 1976) übernahm der Staat die Verantwortung dafür, daß seine Bemühungen, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, im Einzelfall erfolglos blieben. Weitere Ursachen staatlicher Entschädigung sind Impfschäden (§ 51 BSeuchG); gelegentlich gestaltet der Staat den Ausgleich katastrophenartiger Schäden, deren Regelung das zivile Schadensersatzrecht überfordert, unter Einsatz auch eigener Mittel öffentlich-rechtlich, so bei den Contergan-Fällen (StHbKG, 1972)54. Zum Sozialrecht gehört die Versorgung nur insoweit, als sie Gesundheitsschäden ausgleicht (§ 5 SGB I). Systeme, die, wie z. B. der Lastenausgleich, Vermögensverluste entschädigen sollen, rechnen nicht dazu. 2. Mindestsicherung und gehobene soziale Sicherung a) Die Mindestsicherung: Die Mindestsicherung wird durch die Sozialhilfe gewährleistet 55 . Ihr Ziel ist es, jedem Hilfeempfänger, wenn er sonst nicht dazu in der Lage ist, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 9 SGB I, § 1 II 1 BSHG). Als Hilfe zum Lebensunterhalt sichert sie den notwendigen Lebensunterhalt (§ 12 BSHG), wozu auch — in vertretbarem Umfang — ein Mindestmaß an sozio-kulturellem Bedarf (z. B. das Radio, die Kinokarte) gehört. Eine Abstufung nach unten ist das zum Lebensunterhalt Unerläßliche. Auf es können Personen, die ihre Hilfsbedürftigkeit absichtlich herbeigeführt haben (§ 25 II BSHG) 56 , und Asylsuchende (§ 120 II BSHG) 57 verwiesen werden. Die Hilfen in besonderen Lebenslagen zielen auf besondere, eventuell zusätzliche Bedarfssituationen, wie z. B. Krankheit, Alter (§ 27 BSHG). Als Abwehr gegen Not kommt der Sozialhilfe eine Auffang- und Ergänzungsfunktion zu. Sie muß in typischen Bedarfssituationen (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit) den Personen helfen, die von den personell begrenzten Versicherungs- oder Versorgungssystemen keine oder keine ausreichenden Leistungen beziehen 58 . Sie hat außerdem für atypi53 54 55 56 57
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Dazu Ruland, a. a. O. Rdnr. 317ff.; Summer /Rometsch, ZBR 1981, 1 (8). Dazu BVerfGE 42, 263ff.; Schulin, Entschädigung, S. 27ff. Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 32; Zacher, Sozialpolitik, S. 766 ff. Zur Problematik: Rode, ZfS 1980, 323. Dazu BVerwG, JuS 1986, 820; Schüler/Schulte, InfAuslR 1986, 8; Stolleis/Schlamelcher, N D V 1985, 309ff. Heute vor allem: Sozialhilfe als Ergänzung zur Arbeitslosenhilfe, vgl. BT-Dr 10/6055, S. 17f.; 10/6623, S. 5; s. a. 10/6634, S. 13.
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sehe Bedarfssituationen aufzukommen, die von den auf typische Risiken begrenzten Versicherungssystemen (noch) nicht erfaßt werden (z. B. Hilfe zur Pflege, Hilfe für Nicht-Seßhafte). Hier geht die Hilfe vielfach über in persönliche Förderung ( § 8 1 BSHG). Die Sozialhilfe setzt Bedürftigkeit voraus, deren Ursache für sie als zwangsläufig finales Mindestsicherungssystem unerheblich ist. b) Die gehobene soziale Sicherung: Während die Mindestsicherung eine tatsächliche Bedürftigkeit des Hilfeempfängers beheben will, ist Ansatzpunkt der gehobenen sozialen Sicherung — von Sachleistungen abgesehen — ein typisierter Bedarf. Er bemißt sich zumeist an dem durch das jeweilige Risiko weggefallenen Einkommen, das ganz oder teilweise ersetzt werden soll. Dabei kommt es — was den Unterschied zwischen Bedarf und Bedürftigkeit ausmacht — nicht darauf an, inwieweit der Empfänger tatsächlich auf den Einkommensersatz angewiesen ist59. Die Sozialversicherung stellt innerhalb der gehobenen sozialen Sicherung die Regelsicherung dar. Sondersysteme sind z. B. die Beamtenversorgung und berufsständische Versorgungswerke. Die betriebliche Altersversorgung und z. T. auch die Privatversicherung sollen die Regelsicherung ergänzen60. Vom Sicherungsziel her lassen sich Vollsicherungen von Grundsicherungen unterscheiden. Ziel der Vollsicherung ist es, das um beruflich bedingte Ausgaben verminderte Nettoeinkommen durch eine entsprechend hohe (Netto-) Leistung zu ersetzen. Es wird nach allgemeiner Auffassung 61 bei einem Nettoleistungsniveau von 80 bis 85% erreicht. Eine Vollsicherung ist z. B. die Beamtenversorgung 62 . Wird der Satz von 80-85% überschritten, wie z. B. bei der sich aus Rente und Zusatzversorgung zusammensetzenden Sicherung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes63, handelt es sich, sofern nicht sonstige Risiken (Pflege) hinzutreten, um eine Überversorgung, die denen, die sie finanzieren müssen, nicht (länger) zumutbar ist. Die Renten erreichen nach erfülltem Arbeitsleben von 45 Versicherungsjahren z. Z. (1986) ein tatsächliches Netto-Niveau von 69,3% (AnV: Männer) bis 79,9% (ArV: Frau-
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Vgl. Bley, S. 70; v. Maydell, DRV 1985, 35. „Drei-Säulen-Theorie", zu ihr etwa Blumrath, Die Entwicklungsmöglichkeiten des 3-Säulen-Konzeptes der Alterssicherung, 1987; von Maydell, in: Über- und Unterversorgung bei Altersversorgung, 1979, S. 33. Vgl. Bode / Grabner, DB 1977, 1555; Heubeck, DB 1975, 1121; Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 53; weiter gezogen: Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 1, S. 141; s. auch Schmähl, Zeitschrift für Gerontologie 1980, 222 (238). Ihr Nettoniveau liegt durchschnittlich bei 81-85%, BT-Dr 7 / 5 5 6 9 , S. 89ff.; Schmähl, Altersvorsorge und Alterssicherung im Vergleich, 1981, S. 33. BT-Dr 7 / 5 5 6 9 , S. 89f., 154 (Zahlen für 1975); Dombusch, DAngVers 1980, 227 (232); Lorz, RV 1983, 1 (3); s. auch von Hippel, S. 62 ff. 381
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en) . Sie stellen daher eine (qualifizierte) Grundsicherung dar , die zur vollen Aufrechterhaltung des Lebensstandards aber einer Ergänzung etwa durch Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bedarf. Geringer ist noch das Leistungsniveau von Arbeitslosengeld (63%) und -hilfe (56% des typisierten Nettoeinkommens, §§111 I, 136 I AFG) 66 . Diese Zahlen zeigen, wie unterschiedlich das Sicherungsniveau im Bereich der gehobenen sozialen Sicherung ist. Zusätzlich ist zu beachten, daß die jeweiligen Netto-Relationen für einen Systemvergleich nur bedingt tauglich sind, weil die Bruttoeinkommen mit Steuern und Sozialabgaben unterschiedlich belastet sind. Andererseits ist bei einem Vergleich der Systeme zu beachten, daß es bifunktionale Sicherungssysteme gibt, die in sich Grundsicherung und betriebliche Altersversorgung kombinieren. Beispiele sind die Beamtenversorgung 67 und die knappschaftliche Rentenversicherung 68 . 3. Vorsorge — Entschädigung — staatliche Hilfe a) Vorsorge und Vorsorgesysteme: Rechtsgrund der gehobenen sozialen Sicherung ist vor allem die Vorsorge des Gesicherten. Sie erfolgt entweder durch Zahlung von Beiträgen (z. B. Kranken- oder Rentenversicherung) oder durch Arbeits- oder Dienstleistung, die Sozialleistung ist dann nachträglich zufließendes Arbeitsentgelt (z. B. Beamtenversorgung, betriebliche Altersversorgung). Vorsorge sichert gegen zukünftige Risiken, die bei Versicherungssystemen (z. B. Kranken- oder Rentenversicherung) schon aus Gleichheitsgründen für den erfaßten Personenkreis typisch sein müssen 69 . Es sind dies: Krankheit, Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, Invalidität (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit), Alter und Tod unter Zurücklassung von Hinterbliebenen. Der Zugang zu Vorsorgesystemen setzt Vorsorgefähigkeit voraus. Diese ist dann gegeben, wenn entweder Einkommen erzielt wird, das die Zahlung von Beiträgen ermöglicht, oder wenn eine Beschäftigung ausgeübt wird, mit der — wie bei Beamten — eine gehobene soziale Sicherung durch den Dienstherrn (Arbeitgeber) verbunden ist. Personen ohne eigenes Einkommen — 64 65
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Vgl. Steeger, DRV 1987, 435ff.; s. a. Bergner, DRV 1987, 201. Ähnlich BVerfGE 29, 221 (237); Jantz, ZVersWiss. 1973, 213 (218); Zacher, VSSR 1973, 97 (120); gemeint ist nicht eine lediglich existenzsichernde Grundversorgung, dagegen zu Recht: Hauck, DAngVers 1984, 267. Dazu, daß dieses Niveau vielfach ergänzend Sozialhilfe notwendig werden läßt: Transfer-Enquête-Kommission, Rdnrn. 263 ff. und o. Anm. 58. Dazu Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 56; ders., SGb 1981, 391 (395); Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 1, S. 27, 142, 149; Transfer-Enquête-Kommission, Rdnr. 298; jetzt auch Krause, Verantwortung und Leistung, Heft 10/1984, S. 10; v. Maydell, Harmonisierung der Alterssicherung?, 1984, S. 14; a. A.: Fürst, ZBR 1983, 319 (328); Loschelder, DÖV 1984, 1003 (1007). Ruland, SGb 1982, 505 (510); Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, a. a. O. S. 156; Schewe, SF 1979, 25 (27). Dazu schon Achinger, S. 90.
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z. B. Hausfrauen, Kinder — sind nur über einen „Verdiener" abgeleitet sicherbar. Ihre Anbindung an das Vorsorgesystem erfolgt zumeist über den familiären Unterhaltsanspruch 70 . In diesen auf Leistung und Gegenleistung beruhenden Systemen ist das Ausmaß der Sicherung Äquivalent der Vorleistung. Dafür sind die Dauer der Zugehörigkeit zu dem System, die Höhe des Einkommens und davon abhängig die Höhe eventuell gezahlter Beiträge wichtige Faktoren. Die Verpflichtung zur Vorsorge ist Ausfluß der Selbstverantwortlichkeit. Wer vom Einkommen oder der Beschäftigung her in der Lage ist, für typische, weil voraussehbare Bedarfssituationen Vorsorge zu treffen, kann, damit er dann nicht Hilfe von anderen benötigt, zur Vorsorge verpflichtet werden. Einer Pflichtmitgliedschaft in sozialen Vorsorgesystemen steht grundsätzlich weder Art. 2 I GG 71 noch, auch wenn sich daraus Beitragspflichten ergeben, Art. 14 GG 72 entgegen. Vorsorgepflichten sind ein Mittel, die Fürsorge (Sozialhilfe) zu entlasten. Darum ging es bei der Einführung der Sozialversicherung73. Aus dem gleichen Grunde wird gegenwärtig die Einführung einer Pflegeversicherung diskutiert74, mit der die Sozialhilfe von den stark ansteigenden Kosten der Hilfe zur Pflege entlastet werden soll. Pflegebedürftigkeit ist typisch, ist sozialversicherbar geworden. b) Entschädigung und Entschädigungssysteme: Gehobene soziale Sicherung bieten auch die Leistungen der sozialen Entschädigung, die die Folgen von bereits eingetretenen Gesundheitsschäden ausgleichen sollen, für die den Staat aus dem Gesichtspunkt der Aufopferung heraus oder — wie es in § 5 SGB I als Eingeständnis mangelnder Fähigkeit zur Systematisierung75 heißt — „aus sonstigen Gründen" eine gesteigerte Verantwortung trifft. Die Gründe dafür sind unterschiedlichster Art. Sie reichen, wie die nachfolgende Übersicht zeigt, von der rechtsstaatlich geforderten Einstandspflicht für Verschulden (BEG) bis hin zur aus sozialstaatlichen Gründen übernommenen Verantwortung für die Gefährdung der Bürger, die der Staat nicht lückenlos vor Verbrechen schützen kann (OEG)76. Dieser Vielfalt der Gründe wegen konkurriert das soziale Entschädigungsrecht mit anderen staatlichen Entschädigungssystemen, wie z. B. Amts-(Staats-)haftung, beamtenrechtlicher Dienst-
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Dazu ausführlich Ruland, Unterhalt S. 119ff. BVerfGE 10, 354 (361); 12, 319 (323); s. auch Benda in: Die verfassungsrechtliche Relevanz des Sozialrechts, 1975, S. 46f. Vgl. BVerfGE 4, 7(17); 10,89(116); 11, 105 (126); st. Rspr. 53, 313 (331). Dazu Sachße / Tennstedt (p. Fn. 29), S. 16. Vgl. zusammenfassend: Igl, DRV 1986, 40; Vorschläge: BT-Dr 10/2609 ; 6135; BR-Dr 81, 137, 138, 270/86; s.a. BT-Dr 10/1943; Geil, SF 1985, 4ff.; Naendrup, ZSR 1982, 322ff.; Nesseker, N D V 1985, 2ff. Kritisch auch Schulin, Entschädigung, S. 118 ff. Vgl. Schnapp, in: Dembowski / Doetsch (o. Fn. 22), S. 155f.; Stolleis, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 583ff.; a. A.: Kunz, § 1 Anm. 1. 383
5. Abschn. II 3 b
Franz Ruland
unfallfürsorge oder mit der Unfallversicherung 77 . Die Systemlosigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, hat viele Gründe. Die Sonderregelung für NS-Verfolgte schafft zum einen klare Anspruchsgrundlagen, dient zum anderen aber auch als Teil der Liquidation politischer Katastrophen der Haftungsbegrenzung. Wenig überzeugend ist, daß Wehrdienstleistende keinen spezifischen Unfallschutz genießen wie alle anderen Dienstnehmer auch 78 . Sie sind schlechter gestellt selbst als Nothelfer. Die Absicht, innerhalb der Opfer der Weltkriege nicht zwischen Soldaten und Zivilisten zu unterscheiden, vermag dem gegenüber nicht zu überzeugen. Daß daraus zu Lasten der Bundeswehrsoldaten ein Dauerrecht wurde, bedarf schon aus Gleichheitsgründen dringend der Korrektur. Kompetenzrechtliche Gründe hat es, daß viele Tatbestände sozialer Entschädigung (z. B. Nothelfer, Schüler etc). als (unechte) Unfallversicherung abgewickelt werden79. Überblick über soziale Entschädigungssysteme lden Haftung für Verschulden Zurechnung rechtswidrigen, nicht schuldhaften Handelns
Verantwortung aus der Inanspruchnahme von Diensten
Einzelgefährdung durch
allgemein: Amtshaftung NS-Verfolgte: BEG - allgemein: Aufopferung (Staatshaftung) Beamte - Dienstunfallfürsorge (BeamtVG) Arbeitnehmer - Unfallversicherung Wehrdienstleistende - BVG oder SVG (-» BVG) Ehrenamtliche Tätige - Unfallversicherung Gefangene - Unfallversicherung
Eingliedung in staatliche Einrichtungen
Studenten, KindergartenKinder Rehabilitanden etc. Unfallversicherung allgemein: evtl. Aufopferung
Verantwortung für Gefährdung
technische Risiken - ungeregelt Krieg und Kriegsfolgen für die Zivilbevölkerung
- BVG - HHG ( - BVG)
Kollektivgefährdung durch nicht ausreichender Schutz - OEG (— BVG) der Rechtsordnung - TumultschädenG 77 78
79
384
Dazu Zacher, DÖV 1972, 461 (463 ff.). Ebenso Schulin, Entschädigung, S. 76. Vgl. o. Fn. 28 und ausführlich u. S. 455 f.
Sozialrecht
5. Abschn. II 3 c
Entschädigungssysteme gestalten aber auch zivilrechtliche Haftungsbeziehungen um. Wichtigstes Beispiel hierfür ist die gesetzliche Unfallversicherung. Sie entschädigt die Versicherten (vor allem: Arbeitnehmer) bei Arbeitsunfällen und stellt dadurch die Unternehmer — inzwischen aber auch die Arbeitskollegen - grundsätzlich von der Haftung frei (§§ 636 f. RVO). Für die Unternehmer ist die Unfallversicherung, die sie wegen der Haftungsfreistellung allein zu finanzieren haben, ein Vorsorgesystem, eine Art Haftpflichtversicherung, aus der sie sich historisch auch entwickelt hat81. In öffentlichrechtliche Entschädigungssysteme können zivilrechtliche Schadensersatzansprüche aber auch dann umgewandelt werden, wenn ansonsten die Regulierung von Massenschäden nicht möglich wäre (Bsp.: StHbKG zur Abwicklung der Contergan-Katastrophe). Entschädigungssysteme sind zwangsläufig kausale Sicherungssysteme82. Sie sind auf bestimmte, die Entschädigung begründende Schadens Ursachen (z. B. Arbeitsunfall, § 548 RVO; militärischer Dienst, Kriegseinwirkung, § 1 BVG) begrenzt und erfassen die Gesundheitsschäden nur dann, wenn sie sich auf diese Ursachen zurückführen lassen. Der Verlust eines Beines z. B. kann in der Rentenversicherung, einem finalen Vorsorgesystem, gleich aus welchen Gründen er eingetreten ist, Invaliditätsrenten auslösen, wenn er zur Berufsoder Erwerbsunfähigkeit führt. Zu Leistungen etwa der Kriegsopferversorgung berechtigt er nur dann, wenn er Folge entweder des militärischen Dienstes oder einer Kriegseinwirkung war; Leistungen der Unfallversicherung löst er nur dann aus, wenn ursächlich für ihn ein Arbeitsunfall war. Als Entschädigungsleistungen werden Heilungskosten und Einkommensersatz gewährt, der an den tatsächlichen oder typisierten Einkommensfolgen der Gesundheitsschädigung orientiert ist. Immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) werden grundsätzlich ebensowenig ersetzt wie Sachschäden (Ausnahme: § 765 a RVO). Folgeschäden werden — wenn überhaupt — nur über qualifizierte Hilfssysteme (Kriegsopferfürsorge) abgedeckt. c) Staatliche Hilfe und Hilfssysteme: Staatliche Hilfe ist unterschiedlich motiviert. Die Sozialhilfe als Mindestsicherung konkretisiert die Verpflichtung des Sozialstaates, aus Achtung vor der Würde des Menschen die für seine körperliche und geistige Existenz notwendigen Mittel jedenfalls dann bereitzustellen, wenn der einzelne selbst dazu nicht in der Lage ist (Art. 1 I, 2 II, 20 GG)83. Die Ausgestaltung der Mindestsicherung als — insoweit dann zwangss
" Dazu ausführlich H. Bogs, S.449ff.; v. Heinz, S. 54; v. Maydell, SGb 1981, 412 (416); Schulin, Entschädigung, S. 17 ff., 87 ff. 81 Außer den eben genannten: BVerfGE 34, 118 (132); Dassbach / Jung, in: Fs. f. Grüner, 1982, S. 114ff.; Gitter, S. 85; ders., Schadensausgleich, S. 38ff.; Lauterbach, BG 1953, 125ff.; Schulin, Sozialversicherungsrecht, S. 92; Wannagat, NJW 1960, 1597 ff. 82 Dazu Rüfner, Vhdlgen d. 49. DJT, 1972, S. E 20f.; Watermann, Die Ordnungsfunktion von Kausalität und Finalität im Recht, 1968, S. 50ff. 83 BVerwGE 1, 159 (169); 23, 149 (153); 35, 178 (180); 360 (363); BVerfGE 1, 97 (104); Gottschick / Giese, § 1 Rdnm. 3.1 ff.; v. Maydell, in: Fs. f. BVerwG, 1978, S. 405 (409); Trenck-Hinterberger, ZfSH 1980, 46ff. 385
5. Abschn. II 4a
Franz Ruland
läufig: subsidiäre — staatliche Hilfe und nicht wie in anderen Ländern (z. Z. Holland, Schweden) als Staatsbürgerversorgung (nur für Invalide und Alte) ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben 84 . Das Maß der Hilfe ist an der zu behebenden Bedürftigkeit ausgerichtet, die jedoch aus Gleichheitsgründen typisiert werden muß. Neben der Mindestsicherung gibt es qualifizierte Hilfssysteme. Die Ausbildungsförderung soll für die Berufswahl Chancengleichheit eröffnen. Sie ist eine teilhaberechtliche Komponente zu Art. 12 GG 85 . Die qualifizierten Hilfen für Kriegsopfer (Kriegsopferfürsorge), aber auch für Arbeitslose (Arbeitslosenhilfe) weisen entschädigungsrechtliche Momente auf (Ausgleich für eine im Einzelfall fehlgeschlagene Arbeitsmarktpolitik) 86 . Mit der Wohnhilfe (Wohngeld) soll auch der Wohnungsmarkt gefördert werden 87 . Das Kindergeld ist als familienpolitische Maßnahme unverzichtbare Ergänzung des der Alterssicherung zugrunde liegenden „Generationenvertrags" 88 . Es nimmt innerhalb der übrigen Hilfssysteme eine Sonderstellung ein, weil es unabhängig selbst von typisierter Bedürftigkeit gewährt wird. 4. Die Bedeutung der sozialen Sicherung a) Daten: Mit einigen Zahlen 89 soll die Bedeutung der einzelnen Systeme sozialer Sicherung verdeutlicht werden. 1986 wurden ausgegeben für Leistungen (jeweils Mrd. DM): der der der der der
Rentenversicherung Krankenversicherung Arbeitsförderung Sozialhilfe Sozialen Entschädigung
Versichert waren in in in in in 84 85
86 87 88
89
386
der der der der der
178,5 118,5 43,6 23,5 17,3
nach dem BKGG der Unfallversicherung nach dem BaföG nach dem GAL nach dem WoGG
Krankenversicherung Unfallversicherung Schülerunfallversicherung Rentenversicherung Arbeitslosenversicherung
1986: 1985: 1985: 1986: 1986:
36,4 29,9 12,7 46,7 21,0
14,6 12,0 0,5 3,6 3,1 Mió. Mió. Mió. Mió. Mío.
Personen Personen Personen Personen Personen
Vgl. v. Maydell, NDV 1978, 341 (342). Dazu Blanke, FamRZ 1981, 226ff.; Bley, S. 389; Denninger, Staatsrecht, Bd. 1, 1973, S. 160f.; Rüfner, ZRP 1980, 114ff.; BT-Dr 10/1716, S. 51. Vgl. Ruland. in: Gedächtnisschrift f. Martens, 1987, S. 688ff. BT-Dr 7 / 868, S. 39f.; Rüfner, S. 57. Dazu Borchert, Die Berücksichtigung familiärer Kindererziehung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, 1981, S. 39; Burkhardt, 3-Generationen-Solidarität, 1985, S. 13ff.; Bünger, Familienpolitik in Deutschland, 1970, S. 35ff., 80ff.; Rollinger. AuS 1978, 212; Ruland, Unterhalt, S. 235ff., 339ff.; ders., in: Fs. f. BSG, 1979, S. 437 (449); Vogel. DStR 1977, 31 (33). Sie sind vor allem dem Sozialbericht 1986, BT-Dr 10/5810; Stat. Jahrbuch 1987 für die Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 37ff., 391 ff., entnommen; außerdem: VDR, Rentenversicherung in Zahlen 1987.
Sozialrecht
5. Abschn. II 4a
In der Krankenversicherung gab es 1985 23,3 Mio. Leistungsfälle, pro Mitglied 17,5 Arbeitsunfähigkeitstage. Von 114,1 Mrd. DM Ausgaben (1985) entfielen 26,4 Mrd. DM auf die (zahn)ärztliche Behandlung90, 37,3 Mrd. DM auf Arzneien, Heilmittel, Zahnersatz etc., 35,0 Mrd. DM auf Krankenhauspflege, 6,4 Mrd. DM auf Krankengeld, 5,3 Mrd. DM auf Verwaltungskosten. 1970 betrugen die Gesamtausgaben 23,9 Mrd. DM. In der Unfallversicherung gab es 1985 1,75 Mio. Arbeitsunfälle, davon 179000 Wegeunfälle und 37000 Berufskrankheiten; zu Leistungen führten 65000 Unfälle, zumeist wegen teilweiser Erwerbsunfähigkeit, 2834 mit Todesfolge. In der Schülerunfallversicherung (einschließlich hier jeweils der Unfallversicherung der Studenten und der Kindergartenkinder) mußten (1985) 3784 Fälle, davon 182 mit Todesfolge entschädigt werden. Im Bestand sind einschließlich der Schülerunfallversicherung 973000 Rentner. 1970 betrugen die Gesamtausgaben 5 Mrd. DM. Die Rentenversicherung zahlte 1986 14,01 Mio. Renten. Auf 100 Pflichtversicherte entfielen in der Arbeiterrentenversicherung 84,9, in der Angestelltenversicherung 47,9 Rentner. Gezahlt wurden 7,3 Mio. Altersruhegelder, 0,13 Mio. Berufs- und 2,09 Mio. Erwerbsunfähigkeitsrenten, 4,2 Mio. Witwen- und Witwerrenten und 0,44 Mio. Waisenrenten. Das Rentenzugangsalter lag 1986 bei Männern bei 58,1 (ArV) und 60,7 Jahren (AnV), bei Frauen bei 61,9 (ArV) und 60,7 Jahren (AnV). Im Rentenzugang 1986 betrug die durchschnittliche Versicherungsdauer bei Männern 35,6 (ArV) bzw. 38,0 (AnV), bei Frauen 21,0 (ArV) bzw. 27,3 (AnV) Versicherungsjahre. Das ergab im Durchschnitt Versicherungsrenten für Männer von 1180 DM (ArV) bzw. 1624 DM (AnV), bei Frauen von 469 DM (ArV) bzw. 782 DM (AnV). Die große Witwenrente betrug im Schnitt 836 DM91. Für die Rentenversicherung wurden 1970 54,5 Mrd. DM ausgegeben92. Arbeitslos gemeldet waren im Januar 1988 2,5 Mio. Personen (Arbeitslosenquote 9,1%), darunter 11,7% Ausländer, 5,0% Jugendliche unter 20 Jahren, 5,4% Schwerbehinderte und 4,1% über 59-Jährige. Die zeitliche Begrenzung des Arbeitslosengeldes spiegelt sich auch in der Statistik wider: Die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld geht prozentual zurück, während die der Empfänger von Arbeitslosenhilfe, in letzter Zeit jedoch deutlich langsamer, zunimmt93. Von den 23,5 Mrd. DM Ausgaben im Jahr 1986 für die Sozialhilfe entfielen 8,3 Mrd. DM auf die Hilfe zum Lebensunterhalt, 13,5 Mrd. DM auf die Hilfe in besonderen Lebenslagen. Mehr als die Hälfte davon (7,2 Mrd. DM) mußte für die Hilfe zur Pflege aufgewendet werden; 4,6 Mrd. DM für die Eingliede90
91 92 93
Während sich das durchschnittliche Arzteinkommen 1970 noch zu dem der Arbeitnehmer wie 5:1 verhielt, war es 1976 schon auf das Verhältnis 7:1 gestiegen, vgl. m. w. Nachw. Krauskopf, § 368 g Anm. 2.3. Vgl. VDR-Statistik: Rentenzugang 1986, 1987. Zur Rentenentwicklung 1962-1982, SozVers. 1983, 178ff. Vgl. ANBA 1988, 95f.; BT-Dr 10/6623, S. 3. 387
5. Abschn. II 4b
Franz Ruland
rungshilfe für Behinderte. An Personen in Einrichtungen wurden (1985) 12,2 Mrd. DM, an solche außerhalb 8,6 Mrd. DM gezahlt. Die Zahl der Hilfeempfänger betrug (1985) 2,81 Mio. Personen (in Einrichtungen: 594000), davon erhielten Hilfe zum Lebensunterhalt 2,06 Mio. Personen (in Einrichtungen: 77000). 1970 betrugen die Aufwendungen für Sozialhilfe 3,4 Mrd. DM94. Je länger der Zeitabstand zum 2. Weltkrieg wird, desto mehr nimmt von der Zahl der Versorgungsberechtigten her die soziale Entschädigung an Bedeutung ab. Sie hat sich von 2,5 Mio. (1970) auf 1,56 Mio. Personen (1986) verringert. Dennoch haben sich die Aufwendungen im genannten Zeitraum fast verdoppelt, gehen aber inzwischen leicht zurück. 98,5% der sozialen Entschädigungsleistungen entfallen auf die Kriegsopferversorgung. Kindergeld wurde 1986 an 6,3 Mio. Berechtigte (darunter 0,68 Mio. Ausländer) für 10,4 Mio. Kinder gezahlt. Wohngeld erhielten 1986 rund 1,51 Mio. Personen, die ganz überwiegend alleinstehend und Rentner waren. Nach dem BAföG wurden 1985 536000 Personen gefördert (1981: 1,2 Mio.), davon rund 20000 (1981: 250000) an Gymnasien, 44000 (1981: 35000) an Berufsfachschulen, 135000 an Fachhochschulen und 265000 an Universitäten. Die Förderung betrug durchschnittlich 400 — 700 DM. Nach der Berufstätigkeit des Vaters (23,5% ohne Beruf) waren es Kinder zu 20,5% von Arbeitern, 17,6% von Angestellten, 7,5% von Beamten und zu 14,2% von Selbständigen. b) Die Bedeutung für den einzelnen: In der heutigen stark arbeitsteiligen Gesellschaft ist der einzelne zumeist auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen und dadurch zahlreichen Risiken ausgesetzt, die seine Erwerbsfähigkeit und mit ihr seine Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, bedrohen. Soziale Sicherung ist zur wirtschaftlichen Voraussetzung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung geworden95. Sie garantiert dem von einem Risiko Betroffenen die finanziellen Mittel, die nicht nur seine physische Existenz sichern, sondern darüber hinausgehend Voraussetzung fast jedweder Freiheitsausübung sind. Als Abwehr gegen Not garantiert soziale Sicherung auch Freiheit96. Da vor allem Geldleistungen Freiheitsspielräume eröffnen, darf das Gesetz Sach- und (persönliche) Betreuungsleistungen, mit denen immer ein starkes Element der Fremdbestimmung verbunden ist, nur in begründeten Ausnahmefällen (z. B. Sachleistungen in der Krankenversicherung) vorsehen97. 94
95 96
97
388
Zur Entwicklung der Sozialhilfekosten: Schäfer, SF 1983, 121 ff.; Happe, Der unaufhaltsame Anstieg der Sozialhilfe?, 1984; s. im übrigen: WiSta 1987, 151 ff.; BT-Dr 10/6055, 6623. BVerfGE 40, 65 (84); 53, 257 (290). Vgl. Achinger, S. 74f.; Badura, SGb 1980, 1 (3); v. Bethusy-Huc, VSSR 1980, 1 (8); W. Bogs, in: Fs. f. Achinger, 1969, S. 45ff.; Ehrenberg / Fuchs, S. 26f.; Häberle, VVdStRL 30 (1972), S. 44 (80ff.); Henke, VVdStRL 28 (1970), S. 181; Strasser, S. 172; Zacher, VSSR 1983, 119 (126f.). Es darf sie andererseits aber auch nicht vernachlässigen, weil Geldleistungen leichter zu erbringen sind.
Sozialrecht
5. Abschn. II 4c
Soziale Sicherung ist mit Versicherungspflicht und Beitragszwang verbunden. Diesen Freiheitsbegrenzungen kommt aber um so weniger Gewicht zu, je größer die typische Schutzbedürftigkeit des einzelnen ist. Die Freiheit, die zur Bedürftigkeit führt, verliert sich selbst. Die Rechtsprechung sieht daher in der zwangsweisen Einbeziehung in soziale Sicherungssysteme, auch wenn mit ihr eine Beitragspflicht einhergeht, grundsätzlich keinen Verstoß gegen Art. 2 I oder 14 GG98. Die Problematik hat sich inzwischen auch umgekehrt, denn diskriminiert sind nun die, die keinen Zugang zur solidarisch getragenen sozialen Sicherung haben". Die — eventuell auch freiwillige — Teilhabe an ihr muß grundsätzlich all denen eröffnet werden, die typischerweise auf sie angewiesen und finanziell zur Vorsorge in der Lage sind100. c) Die Bedeutung für die Familie: Die Familie nimmt im System sozialer Sicherung eine Zwitterstellung ein101. Sie ist durch die staatliche soziale Sicherung von vielen Sicherungsfunktionen entlastet worden, denen sie nach Auflösung der Großfamilie auch nicht mehr gerecht werden konnte. So ist vor allem die Sicherung der Invaliden und Alten durch Vorsorge- und Entschädigungssysteme „vergesellschaftet" und faktisch jedenfalls aus dem familiären Unterhaltsverband herausgelöst worden102. Die staatliche soziale Sicherung ist daher sowohl Folge als auch Voraussetzung des Trends zur aus Eltern und Kindern bestehenden Kernfamilie. Diese ist die Gemeinschaft, innerhalb der, wie vom Sozialrecht vorausgesetzt, Erwerbseinkommen umverteilt wird103. Sozialleistungen, die das Einkommen ersetzen, belassen dem Unterhaltsverband seine Sicherungsfunktion, kommen daher vermittelt über den Unterhalt auch z. B. dem nicht-erwerbstätigen Ehegatten und den Kindern zugute. Soziale Vorsorge wird in der Kernfamilie als Unterhalt geschuldet104. Dem Leerlaufen von Unterhaltspflichten in der Großfamilie steht ihre Intensivierung in der Kernfamilie gegenüber. Der Unterhaltsverband hat seine Sicherungsfunktionen nicht verloren, sie haben sich entsprechend seiner neuen Struktur nur verlagert105. Die Familie ist aber nicht nur Träger und Vermittler sozialer Sicherung. Sie ist in immer stärkerem Maße auch ihr Objekt geworden. Sozialleistungen er98 99 100
101 102
103 104
105
Vgl. die Nachw. o. in Anm. 71 f. Dazu Achinger, S. 72; Ruland, NJW 1982, 1847. Dazu BVerfGE 18, 257 (267); 366 (373); Benda, (Fn. 71), S. 32 (38); Rüfner, VSSR 1974, 68 (80); Ruland, Arbeitslosigkeit, S.68ff.; Scholz /Pitschas, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 627 (640); s. auch Badura, Der Staat 14 (1975), S. 41. Vgl. Ruland, FamRZ 1972, 537ff.; ders., N D V 1986, 164ff. Dazu Blume, Möglichkeiten und Grenzen der Altenhilfe, 1968, S. 52ff.; v. Friedeburg / Weltz, Altersbild und Altersvorsorge der Arbeiter und Angestellten, 1958, S. 35. Dazu Ruland, Unterhalt, S. 238ff.; Zacher, DÖV 1970, 1 (12). BGH, FamRZ 1978, 236; LM § 844 II BGB Nrn. 2, 11; NJW 1960, 1200; s. auch BGHZ 74, 38ff.; H. Bogs, FamRZ 1978, 81. Ähnlich Gitter / Hahn-Kemmler, SGb 1979, 195 (200). 389
5. A b s c h n . Il4d
Franz Ruland
leichtern Unterhaltsleistungen (z. B. Kindergeld, Familienhilfe — § 205 RVO) oder ersetzen den durch den Tod des Verdieners weggefallenen Unterhalt (Hinterbliebenensicherung). Sie realisieren so das aus Art. 6 I GG abgeleitete Gebot, Ehe und Familie zu fördern, das allerdings dem Gesetzgeber in der Wahl und dem Einsatz seiner Mittel einen großen Gestaltungsspielraum läßt106. Aus ihm folgt kein Zwang, nicht-eheliche Gemeinschaften zu benachteiligen107, doch bleiben sie sozialrechtlich unberücksichtigt108, wenn man von der Möglichkeit absieht, ihretwegen subsidiäre Sozialleistungen wegen fehlender Bedürftigkeit zu versagen (§ 122 BSHG). d) Die Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft: Aufgabe des Sozialstaates ist es, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Zu ihr gehört auch ein leistungsfähiges System sozialer Sicherung. Es ist dies nicht nur ein Postulat im Interesse der auf diese Sicherung angewiesenen Bürger. Auch der Staat selbst ist auf sie als Faktor innenpolitischer Stabilität angewiesen109. Mit der Not werden auch die sich aus ihr ergebenden sozialen Folgewirkungen (Kriminalität110, Unruhen) verhindert. Soziale Sicherung dient damit auch der Systemerhaltung"', ein Gesichtspunkt, dem sie mit ihre Entstehung verdankt, erinnert sei an die Fürsorge als Aufgabe der „Armenpolizei" und an die Komplementärfunktion der Sozialgesetzgebung Bismarcks zur Sozialistengesetzgebung. Soziale Sicherung ist aber mehr. Als Mittel sozialer Umverteilung zielt sie unter Änderung des überkommenen Status-quo auf eine gerechtere Sozialordnung, insbesondere auf mehr Chancengleichheit (z. B. Ausbildungsförderung). Sie ist als „Sekundärverteilung" soziale Korrektur und Ergänzung der marktwirtschaftlich, vor allem nach Leistung vorgenommenen primären Einkommensverteilung 112 . Volkswirtschaftlich gilt der „einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer nur aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß". Dieser „Grundtatsache" gegenüber „werden alle juristischen und historischen Unterschiede hinfällig, also die Unterscheidung von Sozial106 107 108 109 1,0 111
112
BVerfGE 11, 105 (126); 22, 100 (103); s. auch 28, 258 (264); st. Rspr.: BVerfGE 43, 108 (121). BVerfGE 9, 20 (34); BVerwGE 15, 306 (316). Zum Problem BSGE 52, 276; BVerwG, NJW 1982, 2885; Behn, VSSR 1981, 328ff.; Rüfner, SGb 1979, 589ff.; Ruland, NDV 1986, 166f.; Simon, JuS 1980, 252ff. Dazu Narr/Offe, Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, 1975, (vor allem) S. 23; Strasser, S. 64; Zacher, in: Fs. f. Ipsen, 1977, S. 207 (245). Dazu Stolleis, ZSR 1979, 261 (263). Brück, Allgemeine Sozialpolitik, 1976, S. 25ff.; Heimann, Soziale Theorie des Kapitalismus, 1929, S. 135; Standfest, Sozialpolitik als Reformpolitik, 1979, S. 52ff. V. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, 3. Aufl., 1980, S. 231; Bley, S. 43f.; LiefmannKeil, Ökonomische Theorie der Sozialpolitik, 1961, S. 45ff.; Schmäht, Alterssicherung und Einkommensverteilung, 1977; Seidl, in: Ruppe (Hrsg.), Sozialpolitik und Umverteilung, (Wien) 1982, S. 20ff.; Transfer-Enquete-Kommission, S. 13ff.; Zacher, VSSR 1973, 97 ff.
390
5. Abschn. II 5
Sozialrecht
Versicherung, Sozialversorgung und Sozialfürsorge, es ist alles Sozialaufwand"m. Daher gibt es volkswirtschaftlich auch keine Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von Einkommensteilen von Periode zu Periode, auch kein „Sparen" im privatwirtschaftlichen Sinne, der gesamte Sozialaufwand muß aus dem laufenden Bruttosozialprodukt erwirtschaftet werden. Daher ist das Maß sozialer Sicherung stark konjunkturanfällig114. Die seit Jahren zu beobachtenden „Konsolidierungen" machen dies allzu deutlich. In diesem Umstand liegt eine der Hauptschwierigkeiten, Anrechte auf Sozialleistungen, die noch finanziert werden müssen, dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG zu unterstellen" 5 . Von der knapp 30% des Bruttosozialprodukts erfassenden Umverteilung gehen aber auch konjunkturelle Wirkungen aus116. Sie sichert Konsum. Steigende Sozialabgaben dämpfen überdies eine Hochkonjunktur; steigende Sozialleistungen wirken in Zeiten einer Rezession konjunkturfördernd. Doch hat sich noch kein brauchbares Instrumentarium herausgebildet, diese konjunkturellen Auswirkungen von Sozialleistungen volkswirtschaftlich sinnvoll einzusetzen. In der Rentenformel waren zwar mit der zeitverzögerten Anpassung Ansätze enthalten gewesen, die aber aufgegeben werden mußten, weil in einer Rezession überdurchschnittlich ansteigende Renten nicht zu finanzieren sind. 5. Aufklärung — Beratung — Auskunft
Damit man sich in dem unübersichtlichen System sozialer Sicherung zurechtfinden kann, bietet das Recht zahlreiche Hilfen. In den „Einweisungsvorschriften" werden dem Benutzer des SGB die einzelnen Sozialleistungen und die für sie zuständigen Leistungsträger „vorgestellt" (§§ 18 ff. SGB I). Er weiß dann immerhin, wo er nachschlagen oder hingehen muß. Für die vielen, die diese Bestimmungen nicht finden, sind die Informationsmöglichkeiten wichti-
113 114 115
116
Mackenroth, in: Boettcher(Hrsg.), S. 45ff.; Rürup, DRV 1979, 349 (354). Vgl. Liefmann-Keil (Fn. 112), S.79ff., 202ff., 335ff., 362ff., 405ff.; Preller, Sozialpolitik, 1962, S. 78 ff. Dazu BVerfGE 53, 164 (175); 257ff.; 54, 11 (30); 55, 114(131); 58,81 (109); 60, 360 (371); 64, 87 (97); 69, 272; 72, 9 (18)-Arbeitslosengeld; aus der Literatur zuletzt: Degenhart, BayVBl. 1984, 65ff.; Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, 1982, S.21ff.; Papier, VSSR 1973, 55ff.; Ruland, DRV 1986,13ff.; H. Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, 1981; Stober/Stolleis /Rüfner/Papier/ Grimm, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, 1982. Zu ihnen: Jantz, in: Fs. f. Schreiber, 1969, S. 253ff.; Jecht\mA Molitor, in: Boettcher (Hrsg.), S. 274ff., 301 ff.; Külp und Kloten, in: Auswirkungen von Inflation, Konjunktur und Unterbeschäftigung auf das System der sozialen Sicherheit, 1978; Külp, VSSR 1979, 165ff.; Pf,äff /Schneider, in: Zacher, Beitrag, S. 397ff.; Ruland, SGb 1985, 397ff.; Schlesinger, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 172ff.; Schmähl, VSSR 1974, 346 ff. 391
5. Abschn. II11
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ger 117 . Alle Leistungsträger und ihre Verbände haben die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären (§ 13 SGB I). Dies erfolgt generell, losgelöst vom Einzelfall. Bei einer konkreten Entscheidung hilft die Beratung (§ 14 SGB I) durch den Leistungsträger, um dessen Leistung es geht. Diese Beratung nach Aufforderung wird ergänzt durch (unselbständige) Beratungs- und Betreuungspflichten im Zusammenhang mit der Bearbeitung z.B. von unzweckmäßig gestellten Anträgen" 8 . Die Folgen einer fehlerhaften Beratung sind in beiden Fällen ähnlich: Je nach Fallsituation verliert der Leistungsträger die Einrede der Verjährung oder er muß wegen des von dem BSG entwickelten Herstellungsanspruchs119 den Geschädigten so stellen, wie er ohne den Fehler, d. h. bei richtiger Beratung, gestanden hätte. Im Bereich der Rentenversicherung erfolgt sie nicht nur durch Auskunftsund Beratungsstellen, sondern auch durch die Versichertenältesten (§ 39 SGB IV). Eine „Wegweiserfunktion" kommt der Auskunft (§ 15 SGB I) zu, zu der die Krankenkassen, die Versicherungsämter (§ 93 I SGB IV) und nach Landesrecht bestimmte Stellen (Niedersachsen z. B. die Landkreise und kreisfreien Städte) verpflichtet sind. Sie soll helfen, den im Einzelfall zuständigen Leistungsträger zu ermitteln.
III. Die Sozialhilfe 1. Die Grundprinzipien 120
Die Sozialhilfe ist als subsidiäre Mindestsicherung Auffangnetz im System sozialer Sicherung. Dem, der sich nicht helfen kann oder der die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 I)121, hat sie die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 II 1). Aus ihrer Subsidiarität folgt, daß sie versuchen muß, sich selbst entbehrlich zu machen, indem sie den Hilfeempfänger so weit als möglich befähigt, unabhängig von der Hilfe zu leben (§ 1 II 2). Sozialhilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe. Sie kann daher ausnahmsweise auch vorbeugend gewährt werden, wenn dadurch 117
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Krejci, VSSR 1975, 226ff.; Kunze, Aufklärung, Beratung, Auskunft im Sozialrecht, Diss. jur. Berlin 1977; Merten, VSSR 1974, 324 (333). Zum Ganzen ausführlich Jakumeit/ Wilde, SGb 1971, 375ff.; Krejci, VSSR 1975, 212ff.; Meyer, SGb 1985, 67ff.; Schnapp, VSSR 1978, 449ff.; Terwey, Die rechtliche Betreuung des Bürgers nach dem SGB, 1980. Zu ihm: Ebsen, DVB1 1987, 389ff; Funk, DAngVers 1981, 26ff.; Krasney, BKK 1985, 280ff.; Kreßel, SGb 1987, 313ff.; Maier, SGb 1982, 133ff.; Terwey, (o. Fn. 118), S. 126ff.; Wallerath, DÖV 1987, 505ff. Zu ihr vor allem an Lehrbüchern und Überblicken: Freudenthal, Schulte / TrenkHinterberger, Tiesler; an Kommentaren: Gottschick/Giese, Knopp/Fichtner, Mergler / Zink, Oestreicher, Schellhorn / Jirasek / Seipp, jew. a. a. O. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des BSHG.
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eine Hilfsbedürftigkeit ganz oder teilweise abgewendet werden kann (§§ 6 I, 36 I)122. Als Hilfe zur Selbsthilfe ist sie auf die Mitwirkung des Hilfeempfängers angewiesen (§ 1 II 2, 2. HS)123. Er ist verpflichtet, sich um Arbeit zu bemühen (§§ 19 f., 25) oder Ansprüche auf Unterhalt oder Sozialleistungen geltend zu machen. Am deutlichsten wird diese Zielrichtung in der Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (§ 30). Konsequenz ihrer Subsidiarität ist auch, daß Hilfe nicht für die Vergangenheit beansprucht werden kann 124 . Die Sozialhilfe hat daher nicht für Schulden des Hilfeempfängers aufzukommen 125 . Leistungen auch für die Vergangenheit sind aber dann zu erbringen, wenn zu Unrecht eine geltend gemachte Hilfe verweigert wurde126, längstens jedoch bis zum Tode des Hilfeempfängers; die §§ 58, 59 SGB I gelten nicht127. Trotz ihrer Zielsetzung, Hilfe zur Selbsthilfe zu sein, ist die Hilfe grundsätzlich „gegenwartsbezogen". Doch gibt es Hilfen für die Zukunft (z. B. Beiträge zur Krankenversicherung oder zur Alterssicherung, §§ 13, 14), wenn sie später auch den Sozialhilfeträger entlasten. Hilfe nach Beseitigung einer Notlage wird dann gewährt, wenn mit ihr die Wirksamkeit bereits gewährter Hilfen gesichert werden muß (§ 6 II). Die Sozialhilfe kann als Hilfe in der Not nicht nach deren Ursache fragen128. Sie ist zwangsläufig final. Auch selbstverschuldete Not löst Hilfe aus, wenn der Bedürftige sie durch Arbeit oder Geltendmachen von Ansprüchen nicht selbst beseitigen kann 129 . Sozialhilfe ist von Amts wegen zu gewähren (§ 5). Die „Anträge" lassen dem Hilfeträger eine Notsituation bekannt werden. Er hat dann von sich aus den Fall zu überprüfen und gegebenenfalls weitere als die „beantragten" Leistungen zu gewähren130. Gerade diese Konsequenz des Amtsprinzips zeigt, daß es — obwohl aus der „Armenpolizei" übernommen — wegen der Unbeholfenheit vieler Hilfeempfänger selbst dann unverzichtbar ist, wenn die Sozialhilfeträger nicht von sich aus die Armen aufspüren, sondern zumeist abwarten, bis sie angegangen werden131. Sozialhilfe darf aber nicht aufgezwungen werden. 122 123
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Zu den Voraussetzungen: ScheUhorn / Jirasek/Seipp, § 6 Rdnrn. 6ff. Zu den Grenzen: § 65 SGB I; dazu u. S. 466f.; s. auch Meier, Die Mitwirkungspflichten des Sozialhilfeempfängers, Diss. jur. Bochum 1976; Mergler / Zink, § 1 Anm. 26. BVerwGE 21, 258; 45, 238; 58, 150 in st. Rspr. BVerwGE 20, 115; 192; 21, 209; 48, 185; 60, 237; dazu auch Giese, ZfF 1976, 2ff.; Schulte/ Trenk-Hinterberger, S. 126ff.; s. auch §§ 15a, 121! BVerwGE 21, 281; 40, 346. BVerwGE 58, 68ff. = JuS 1980, 386; Ihmels, DVB1. 1979, 579ff.; ScheUhorn / Jirasek/Seipp, § 4 Rdnr. 26; a. A.: Wolff / Bachof, VwR III, S. 278. BVerwGE 29, 102; 32, 274; 35, 362. Vgl. §§ 25, 29 a. Zu diesem „Gesamtfallgrundsatz": BVerwGE 22, 320; 39, 263; s.a. Schoch, ZfS 1987, 65 ff. Zum Einsetzen der Sozialhilfe: BVerwG, NVwZ 1985, 49; Fichtner, BldW 1969, 130 ff. 393
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Die Not wird durch die individuelle Situation geformt. Daher haben sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe grundsätzlich nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu richten (§ 3 I). Der individuell ermittelte Bedarf soll durch individuell gestaltete Leistungen gedeckt werden. Kriterien der Individualisierung der Sozialhilfe sind die Person des Hilfeempfängers, ihr Alter, Gesundheitszustand, ihre Ausbildung etc., die Art des Bedarfs (Geld-, Sachmittel, persönliche Betreuung) und die örtlichen Verhältnisse. Dem Grundsatz entspricht, daß Wünschen des Hilfeempfängers, soweit möglich und vertretbar, entsprochen werden soll (§ 3 II)132. Doch setzen Verwaltungszwänge (Typisierung) und der Gleichheitssatz der Individualisierung von Bedarf und Hilfe vor allem bei der Hilfe zum Lebensunterhalt enge Grenzen133. Da Vorleistungen, die Differenzierungen rechtfertigen würden, fehlen, müssen Bedarf und Hilfe standardisiert werden. Der Regelbedarf wird in Regelsätzen ausgedrückt (§ 22), die durch typisierte Mehrbedarfszuschläge (§ 23) aufgestockt werden können. Im Einzelfall sind Abweichungen möglich (§ 22 I 2). Stärker individuell geprägt sind die Hilfen in besonderen Lebenslagen, hier vor allem die persönlichen Hilfen. Das, was die Hilfe an Individualität verliert, gewinnt sie an Rechtssicherheit zurück. Ihr Ausmaß wird verläßlicher134. Individualisiert ist auch der Anspruch auf Hilfe. So hat in einer Familie jedes Mitglied seinen eigenen Anspruch auf Hilfe135, was nicht ausschließt, daß Eltern wegen ihres Sorgerechts den der minderjährigen Kinder geltend machen können (§ 1626 BGB)136. Erst bei der Bedarfsermittlung und der Festsetzung der Leistung wird die Familie als Bedarfsgemeinschaft (§11 12) berücksichtigt. Die Hilfe hat familiengerecht zu sein, sie darf insbesondere nicht den Zusammenhalt der Familie gefährden (§§ 7, 25 III), etwa durch zu rigorose Geltendmachung übergeleiteter Unterhaltsansprüche137. Auf Sozialhilfe besteht ein Rechtsanspruch, soweit das Gesetz nicht einzelne Hilfsarten in das Ermessen der Sozialhilfeträger stellt (§ 4 I). Bei dem „Ob" der Leistung gibt es nur selten Ermessen, z. B. bei der Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlagen (§ 30). Ist es keine Pflichtleistung, überwiegt die „So//"-Leistung (z. B. § 36 I 1), die nur in Ausnahmefällen verweigert werden darf. Über Art und Höhe der Leistungen ist, von Ausnahmen (z. B. §§ 67 II, 69 III) abgesehen, als Konsequenz des Individualisierungsgrundsatzes nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 4 II). Es reduziert sich aber in dem Maße, in dem Bedarf und Hilfe standardisiert worden sind. 132 133
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135 136 137
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Giese, ZfSH 1976, 1 ff.; Hannesen, BldW 1984, 34ff.; Igl/ Giese, ZfSH 1982, 65ff. Dazu Krüger, BldW 1968, 209; ders., ZfF 1969, 279; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 115 ff. Schäfer, Fürsorge, S. 161 ff.; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 117; s. auch Zacher, SGb 1982, 329 (335). BVerwGE 25, 307; 55, 148. S. aber auch § 36 SGB I. Dazu Schubart, FamRZ 1966, 267 (268).
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Formen der Sozialhilfe sind persönliche Hilfe, Geld- oder Sachleistung (§ 8 I). Die Geldleistung überwiegt. Sie ist am einfachsten zu erbringen. Sie beläßt, wenn auch in bescheidenem Rahmen, die Freiheit der Verwendung. Auch langfristig erbracht wird die Sozialhilfe keine rentenähnliche Dauerleistung138. Sie kann wegen ihrer Subsidiarität immer nur für bestimmte Zeiträume (zumeist: monatlich) bewilligt werden 139 . Geschieht es für länger, ist dies nur die Ankündigung jeweils erneuter (stillschweigender) Weiterbewilligung, sofern sich die Umstände nicht ändern 140 . Wird wegen einer Änderung die Hilfe eingestellt, ist Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) zu erheben 141 , ggf. eine einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO) zu beantragen 142 . Ist die Bedürftigkeit nur vorübergehend (bis 6 Monate), kann die Hilfe als Darlehen gewährt werden (§§ 15 a f., 27 II, 30 III, 56 II Nr. 1, 89), eine Ausnahme zum Grundsatz, daß die Hilfe nicht zurückzuzahlen ist (§ 92 I)143. Sachleistungen werden entweder in Natur (z. B. der Rollstuhl aus dem Bestand oder die Einweisung in ein Heim des Trägers), als Sachgutscheine (Kleidergutscheine) oder dadurch erbracht, daß der Hilfeträger die Kosten übernimmt (ärztliche Versorgung, Versicherungsbeiträge, § 14; Bestattungskosten, § 15). Wertvolle Sachen verbleiben zumeist im Eigentum des Sozialhilfeträgers. — Die Sozialhilfe hat mehr als andere Sicherungsformen den (zumeist auch: atypischen) Bedarf an persönlichen Hilfen (Beratung 144 und Betreuung) abzudecken (§ 8 II). Teils „kauft" sie sie „ein" (ärztliche Betreuung — §§ 37, 37b, 38, 49 II), teils erbringt sie sie selbst. Es kann sich dabei um ganz allgemeine Lebensberatung handeln (z. B. bei einer Umschuldung), meistens aber um spezifische Hilfen in besonderen Lebenslagen (z. B. Eingliederung Behinderter, § 40; Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, § 72). Mit diesen persönlichen Hilfen muß staatliches Handeln tief in den Kernbereich der durch Not offengelegten Privatsphäre des einzelnen eindringen 145 . An der Qualität dieser Hilfen entscheidet sich die der Sozialhilfe überhaupt 146 .
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BVerwGE 28, 216; BVerwG, ZfSH 1979, 372; N D V 1967, 281. Dazu Schellhorn / Jirasek / Seipp, § 4 Rdnr. 31. BVerwGE 28, 216. Gottschick / Giese, § 4 Rdnr. 8.3. Philipp, N V w Z 1984, 498f.; Rotter, NVwZ 1983, 727; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 364f., 437f.; Thierfelder, ZfF 1971, 82f. Dazu OVG Bremen, N V w Z 1987, 250. Dazu Seibert, Soziale Arbeit als Beratung, 1978; Suter / Wagner, Schuldnerberatung und Schuldenregulierung in der sozialen Arbeit, 1986. Zum Problem: Roscher, VSSR 1980, 199ff.; Krause, in: Vhdlgen d. 52. DJT, 1978, S. E 57 ff. Zur Bedeutung der Sozialarbeit vor allem die Referate der Fachtagung: „Persönliche Hilfe, ein Kernbereich sozialer Arbeit", N D V 1976, 129ff.; Merten, in: Sozialpolitik durch soziale Dienste, 1981, S. 17ff.; Wersch /Rauschenbach, in: Handbuch Sozialarbeit-Sozialpädagogik, 1984, S. 984 ff. 395
5. Abschn. III 2a
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Die Arten der Sozialhilfe unterscheiden sich grundlegend in folgendem: Die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff.) deckt den zum Leben notwendigen Bedarf (§ 12) ab. Sie ist innerhalb der Sozialhilfe die Mindestsicherung. Daher muß der Hilfesuchende grundsätzlich sein gesamtes Einkommen und Vermögen zur Selbsthilfe einsetzen (§§ 76, 88). Demgegenüber gehen die Hilfen in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff.) davon aus, daß der notwendige Lebensunterhalt des Hilfeempfängers gesichert ist, er aber nicht den durch die besondere Lebenslage hervorgerufenen Sonderbedarf aufbringen kann. Die Verschonungen bei der Anrechnung des Einkommens (§§ 79 ff.) belassen dementsprechend dem Hilfeempfänger die Mittel für seinen Lebensunterhalt. 2. Die Hilfe zum Lebensunterhalt a) Der notwendige Lebensunterhalt: Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt definiert die Höhe der Leistung den zum Lebensunterhalt notwendigen Bedarf. Wer in seiner Höhe eigene Mittel hat, ist nicht bedürftig und nicht anspruchsberechtigt. Das Gesetz bestimmt aber weder die Höhe der Leistung noch den mit ihr abzudeckenden Bedarf 147 . Als notwendigen Lebensunterhalt zählt es in § 12 lediglich nicht abschließend einige Bedarfsgruppen (z. B. Ernährung, Unterkunft, Kleidung) auf. Es schweigt sich aber darüber aus, in welchem Maße diese einzelnen Bedarfe zu befriedigen und damit als notwendig anzuerkennen sind. Bestimmt ist lediglich, daß die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Heimen nach Regelsätzen gewährt werden (§ 22 I), die von den zuständigen Landesbehörden unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten festzusetzen sind. Sie sollen zusammen mit den Kosten der Unterkunft das Netto-Arbeitsentgelt unterer Lohngruppen zuzüglich Kindergeld und Wohngeld nicht überschreiten (§ 22 III 1, 2)148. Aber auch die dazu ergangene Regelsatz-VO 149 enthält nur Bestimmungen über Inhalt und Aufbau der Regelsätze und darüber, welche laufenden Bedarfe mit ihnen abgedeckt sind (z. B. Ernährung, Körperpflege, Kochfeuerung, Beleuchtung, Wäsche und Hausrat von geringem Anschaffungswert und deren Instandhaltung, Reinigung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, § 1 Regelsatz-VO). Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden, soweit angemessen, zusätzlich voll übernommen (§ 3 a. a. O.). Den von den Landesbehörden festgelegten Regelsätzen liegt derzeit mit dem „alternativen Warenkorb"15° ein auf den alleinstehenden Haushaltsvorstand bezogenes Bedarfsmengenschema zugrunde 151 , das die in unserem Recht entscheidende Definition der Armutsgrenze darstellt. So stehen dem Haushaltsvorstand im Monat z. B. 2750 g Brot (verschiedener Sorte), 480 g
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Zur Problematik Bieback /Stahlmann, SF 1987, 1 ff.; Stolleis, N D V 1981, 99ff. Dazu Deininger, N D V 1981, 104ff.; Gerster, TuP 1981, 417ff. V. 20. 7. 1962 (BGBl. I, 515); Sartorius I, 411. Zu ihm Tilburcy, N D V 1986, 47ff.; Tschoepe, N D V 1987, 433ff. Krit.: Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 56; Tilburcy, N D V 1986, 48.
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Semmel (nur Wasserware), 21 Fruchtsäfte, 0,5 1 Bier, 60 g Erdnüsse, 1400 g Bananen, 70 g Schinken, 100 g Fettseife, 10 Telefon(orts)gespräche, 31-kmDB-Rückfahrkarte und eine Kinokarte zu. Die Regelsätze sind der Betrag, mit dem man diesen „Warenkorb" soll kaufen können 152 . Der „normale" Regelsatz ist der für den Haushaltsvorstand 153 . Bei ihm werden auch Bedarfe mit berücksichtigt, die zur allgemeinen Haushaltsführung rechnen (§ 2 II Regelsatz-VO), wie z. B. Kochfeuerung und Beleuchtung. Die Regelsätze für die übrigen Familienangehörigen sind niedriger und nach dem altersbedingten Bedarf unterschiedlich hoch festgesetzt (§ 2 III a.a. O.)154. Sie betragen ab 1. 7. 1987 durchschnittlich 155 : Haushaltsvorstand/Alleinstehender Haushaltsangehörige - b i s 7 Jahre - zwischen 8 und 11 Jahren - zwischen 12 und 15 Jahren - zwischen 16 und 21 Jahren - älter als 22 Jahre
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im im im im im
Monat Monat Monat Monat Monat.
Diese Regelsätze erhöhen sich um den Mehrbedarfszuschlag (§ 23) von 20% bei alten (60 Jahre) oder erwerbsunfähigen Personen, bei werdenden Müttern oder bei Personen, die allein für zwei oder drei Kinder unter 16 Jahren sorgen. Sind es mehr Kinder, erhöht sich der Mehrbedarf auf 40%. Mit der Anerkennung eines „angemessenen" Mehrbedarfs für Erwerbstätige (§ 23 IV) soll die Arbeitsbereitschaft gefördert werden. Er beträgt maximal 25% des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes. Die Zuschläge kumulieren. Die laufenden Leistungen für eine Familie mit 4 Kindern (3, 6, 8 und 15 Jahre), in der noch ein Großelternteil lebt, betragen (403 + 322 + 322 x 1,2 + 2 x 181 + 262 + 302 = ) 2037,40 DM zuzüglich der laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung (z. B. 720 DM). Bezieht der Haushaltsvorstand Einkommen, erhöht sich sein Regelsatz um 25%, d. h. um 100,75 DM. Der Gesamtbedarf beläuft sich dann auf 2858,15 DM. Zu diesen laufenden können einmalige Leistungen hinzutreten (§ 21 I). Mit ihnen wird einmaliger, wenn auch u. U. häufiger auftretender Bedarf (Anschaffung von Bekleidung oder von größerem Hausrat, Weihnachtsbeihilfe 156 ) abgedeckt. Wegen der Kostensteigerungen, die die Erhöhungen der Regelsätze nur z. T. aufgefangen haben, werden zunehmend mehr einmalige Leistungen notwendig, um den laufenden Lebensunterhalt zu sichern.
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153 154 155 156
Krit.: Giese, Z f S H / S G B 1987, 505ff.; Fichtner, TuP 1985, 162ff.; Harmening, Z f F 1985, 248ff.; Hofmann / Stahlmann, Regelsatz und Warenkorb in der Sozialhilfe, 1985. Zu ihm BVerwGE 15, 306. Dazu krit.: Tilburcy, NDV 1986, 48. Vgl. NDV 1987, 285. Dazu BVerwG, NDV 1985, 204; weitere Beispiele: Schulte, NVwZ 1986, 358. 397
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Bei Heiminsassen werden die laufenden Unterbringungskosten übernommen157 und das Einkommen (z. B. die Rente), abzüglich eines Taschengeldes (30% des Regelsatzes), in Anspruch genommen (§ 21 III). b) Anspruchsberechtigung: Anspruch auf Sozialhilfe hat nur, wer den so ermittelten Bedarf nicht mit eigenem Einkommen oder Vermögen abdecken kann. Einkommen sind grundsätzlich alle Nettoeinkünfte (§ 76 II) in Geld (Renten, Kindergeld 158 , Arbeitslosengeld oder -hilfe, Zinsen etc.) oder Geldeswert (z. B. freies Wohnen), nicht jedoch Schmerzensgeld und die Grundrente nach dem BVG und BEG (§§ 76 I, 77 II) und zweckbestimmte Leistungen (z. B. Pflege-, Bestattungsgeld), es sei denn, die Hilfe dient demselben Zweck (§ 77 I)159. Der Bezug von Ausbildungsförderung schließt — von besonderen Härtefällen abgesehen — eine Hilfe zum Lebensunterhalt aus (§ 26)160. Forderungen müssen geltend gemacht werden, soweit sie, weil in angemessener Zeit zu realisieren, „bereite Mittel" darstellen. Dazu rechnen auch Unterhaltsansprüche 161 . Vielfach wird Hilfe jedoch unabhängig davon gewährt und der Anspruch gem. § 90 übergeleitet. Vermögen ist, vom Schonvermögen (z. B. selbstbewohntes, kleines Einfamilienhaus 162 , Hausrat, Erbstücke) abgesehen, voll einzusetzen (§ 88)163. Da Familien aus „einem T o p f wirtschaften164, werden nicht getrenntlebende Ehegatten und — geht es um deren Bedürftigkeit — die im Haushalt lebenden minderjährigen unverheirateten Kinder zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefaßt (§ 11 I). Ihr Einkommen und Vermögen wird unabhängig von dem Ausmaß der (gesteigerten) Unterhaltspflichten 165 zusammengerechnet. Erst wenn es für alle in die Bedarfsgemeinschaft einbezogenen Personen nicht ausreicht, sind diese anteilig bedürftig und jeder für sich sozialhilfeberechtigt166. Über die Kernfamilie hinaus reicht die Haushaltsgemeinschaft (§ 16)167. Soweit Hilfesuchende in Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften auf famiiiärer Grundlage mit Ver157
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Dazu Ruland, Das Verhältnis von öffentlicher und privater Wohlfahrt im Bereich der stationären Betreuung von Hilfeempfängern, 1985. Zu seinen sozialhilferechtlichen Auswirkungen: BVerwGE 39, 314; 60, 18; Mergler / Zink, § 72 Rdnr. 27 m. w. Nachw.; Schellhorn / Jirasek / Seipp, § 76 Rdnr. 16. Vgl. VO zur Durchführung des § 76 BSHG v. 28. 12. 1962 (BGBl. I, 692), Sartorius, Nr. 415. Kritisch Krahmer, N D V 1981, 212ff. Zur Pflicht der Mutter eines nichtehelichen Kindes, Unterhaltsansprüche gegen dessen Vater geltend zu machen, BVerwG, NJW 1983, 2954 = JuS 1984, 310. Dazu BVerwGE 47, 103ff.; BVerwG, N D V 1980, 321 ff.; VG Berlin, NJW 1987, 144. Vgl. die vom Deutschen Verein veröffentlichten „Empfehlungen für den Einsatz des Vermögens in der Sozialhilfe und der öffentlichen Jugendhilfe", 1971. BVerfGE 9, 20 (30); BVerwGE 15, 306 (312); s. auch BVerfGE 12, 180 (190). Vgl. Keese, N D V 1962, 295ff.; Ruland, Unterhalt, S. 85f. S. o. Anm. 135. Zu ihr von Maydell, ZfS 1963, 430ff.
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5. Abschn. 1112 b
wandten und Verschwägerten zusammenleben, wird widerlegbar vermutet, daß sie von ihnen unterhalten werden168. Auch die allein durch Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichnete eheähnliche Gemeinschaft169 stellt — schon um die Ehe nicht zu benachteiligen — eine Bedarfsgemeinschaft dar (§ 122). Der Hilfeempfänger muß bereit sein, zu arbeiten (§ 18). Diese Arbeitspflicht entspricht nicht nur der Subsidiarität der Hilfe170, sie ist auch ein Mittel sozialer Integration und Therapie171. Zumutbar ist grundsätzlich jede erlaubte Tätigkeit172. Jedenfalls bei längerfristig Hilfsbedürftigen kann es schon aus Gleichheitsgründen keinen Berufsschutz geben (§ 18 III)173. Aus familiären Gründen (Kindererziehung) kann eine Erwerbstätigkeit unzumutbar werden174. Wer der Arbeitspflicht nicht nachkommt, verliert den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt 175 . Als Ermessensleistung kann sie bis auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche beschränkt werden. Diese Sanktionen dürfen nicht zu Lasten der Familienangehörigen gehen (§ 25)176. Der Hilfeträger hat geeignete Tätigkeiten anzubieten, um die Arbeitsbereitschaft zu testen oder um den Hilfesuchenden wieder an Arbeit zu gewöhnen (§ 20 I). Er hat sich zusammen mit dem Arbeitsamt um einen Arbeitsplatz zu bemühen (§ 18 II) oder selbst Arbeitsgelegenheiten z. B. in städtischen Lagern oder Heimen zu schaffen (§ 19 I)177. Bei der dabei bevorzugten öffentlich-rechtlichen Heranziehung wird kein Arbeitsverhältnis begründet, der Betreffende bleibt Hilfeempfänger (§ 19 II, III). Anspruchsberechtigt sind dem Territorialitätsprinzip (§ 30 SGB I) entsprechend grundsätzlich auch Ausländer (§ 120 I), wenn sie nicht nur der Sozialhilfe wegen in das Bundesgebiet gekommen sind. Der Anspruch von Asylsuchenden kann auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche beschränkt werden (§ 120 II 3)178. Sofern nicht zwischenstaatliche Abkommen oder supranatio168
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Die Beweislast trifft den Hilfesuchenden: BVerwGE 21, 208 (213); 23, 255 (258); die Anforderungen dürfen jedoch nicht zu hoch sein: Fichtner, ZfF 1964, 3 (4); s. auch BVerwG, FEVS 25, 274. Zu ihr BVerwG, FamRZ 1977, 392; FEVS 34, 47; Grave, ZfF 1978, 152ff.; Perl, ZfF 1971, 37; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 190 ff. Generell: Zacher, SGb 1982, 329. Dazu BVerwGE 29, 99 (102). Aber nur zu tariflichen Bedingungen, nicht als Streikbrecher, vgl. Schellhorn / Jirasek / Seipp, § 1 8 Rdnr. 14. So auch Schulte/ Trenk-Hinterberger, S. 199; s. auch BVerwGE 32, 362 (zum alten Rechtszustand!). Vgl. Knopp / Fichtner, § 18 Rdnr. 11; Mergler / Zink, § 18 Rdnr. 34. Dazu BVerwGE 12, 129ff. (verfassungsmäßig); BVerwG, NVwZ 1983, 410. Vgl. BVerwG, N D V 1968, 139. Dazu BVerwGE 68, 91 ff.; Münder, NVwZ 1984, 206ff.; Schulte, NVwZ 1986, 359; zu besonderen Problemen bei Asylbewerbern: Binkert, ZfS 1982, 226ff.; Zuleeg, ZAR 1984, 80 ff. DazuAnm. 57. 399
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nales Recht (z. B. Europ. Fürsorgeabkommen) entgegenstehen, können Ausländer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, ausgewiesen werden (§ 10 I Nr. 10 AuslG) 179 . Deutschen im Ausland wird in Ausnahmefällen Sozialhilfe gewährt (§ 119)180. 3. Die Hilfen in besonderen Lebenslagen Von den 11 Arten der Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 27 I), fallen die Hilfe zur Pflege (§§ 68 ff.), die Eingliederungshilfe für Behinderte (§ 39 ff.)181 und die Krankenhilfe (§ 37) mit 96% des Gesamtaufwandes für diese Hilfen zahlenmäßig und wirtschaftlich am stärksten ins Gewicht. Die Subsidiarität all dieser Hilfen ist eingeschränkt. Die allgemeine Einkommensgrenze (§ 79 I) soll dem Hilfeempfänger die zu seinem Lebensunterhalt notwendigen Mittel belassen. Sie errechnet sich für den Haushaltsvorstand aus dem Grundbetrag in Höhe von 786 DM, den Kosten für Unterkunft (Miete, Nebenkosten, nicht: Heizung) und pro Familienmitglied einem Zuschlag in Höhe von 80% seines Regelsatzes. Erhöhte Einkommensgrenzen (§81) gelten für besonders kostenintensive Hilfen. Bei Schwerbehinderten ist der Grundfreibetrag auf 1179 DM erhöht (§81 III). Einkommen oberhalb dieser Grenzen, von denen beim Zusammentreffen mehrerer Hilfen die günstigste gilt (§ 83), ist in angemessenem Umfang einzusetzen (§ 84), soweit es im Bedarfszeitraum zufließt (Ausnahme: § 84 II, III). Nach dem Abzug „besonderer Belastungen" (z. B. Ausbildungskosten, Abzahlungspflichten; pauschal: 20%)182 wird zumeist ein Einsatz von 50-70% der Restmittel verlangt 183 . Einkommen unterhalb der Freigrenzen muß nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, vor allem dann, wenn eine Heimunterbringung zu häuslichen Einsparungen führt (§ 85). Deckt das einzusetzende Einkommen nur einen Teil der Aufwendungen ab, kann der Hilfeträger die Hilfe insgesamt erbringen und ihren Empfänger durch Bescheid zum Ersatz heranziehen (§ 29). Vermögen ist wie bei der Hilfe zum Lebensunterhalt grundsätzlich — vom Schonvermögen abgesehen — voll einzusetzen. Allerdings verfährt die Praxis bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen zu Recht großzügiger (s. § 88 III 2)184. Bei den meisten dieser Hilfen kommt ein Einsatz der Arbeitskraft nicht in Betracht (s. § 67 IV). 4. Kostenersatz und Überleitung von Ansprüchen Von dem Hilfeempfänger kann Kostenersatz nur innerhalb von 3 Jahren und nur dann verlangt werden, wenn er seine oder seiner Angehörigen Hilfs179 180 181 182 183 184
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Vgl. BVerwG, NJW 1982, 2742 = JuS 1983, 230f.; Schuler / Schulte, InfAuslR 1986, 8 ff. Dazu Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 444ff. Zu den beiden Hilfen Mrozynski, S. 125ff, 135ff. Gottschick / Giese, § 84 Rdnr. 4.7. Vgl. im einzelnen die von dem Deutschen Verein veröffentlichten „Empfehlungen für die Anwendung der §§ 84ff. BSHG", 1975. Vgl. BVerwGE 32, 89 ff.
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bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 92a)185. Diese Verpflichtung geht auf die Erben über, die — auf den Nachlaß begrenzt — grundsätzlich auch die Leistungen erstatten müssen, die dem Hilfeempfänger und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall gewährt wurden (§ 92 c). Der Kostenersatz hat nur geringe wirtschaftliche Bedeutung. (Vermeintliche)186 Ansprüche des Hilfeempfängers z. B. auf Unterhalt oder Sozialleistungen kann der Hilfeträger dadurch, daß er dem Schuldner die Hilfegewährung schriftlich anzeigt, insoweit auf sich überleiten, als ihre rechtzeitige Erfüllung die zu Recht gewährte Hilfe187 erübrigt hätte (§ 90). Zugunsten der Unterhaltsschuldner gelten die Einkommens- und Vermögensverschonungen für die Hilfen in besonderen Lebenslagen (§91 I)188. Die Überleitungsanzeige bewirkt, daß mit befreiender Wirkung nur noch an den Hilfeträger geleistet werden kann 189 . Sie ist ein Verwaltungsakt, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage 190 keine aufschiebende Wirkung haben (§ 90 III). Der übergeleitete Anspruch behält seine Rechtsnatur 191 . Ist er bestritten, muß er, handelt es sich z. B. um einen Unterhaltsanspruch, vor den Zivilgerichten eingeklagt werden192. Schadensersatzansprüche gehen kraft Gesetzes im Zeitpunkt der Schädigung auf den Sozialhilfeträger über, wenn durch sie die Hilfsbedürftigkeit ausgelöst wurde (§116 SGB X)193. 5. Träger und Finanzierung der Sozialhilfe
Staatliche und private, insbesondere kirchliche Fürsorge standen seit jeher in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung und Verdrängung 194 . Das BSHG 185 186
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188
189 190 191 192 193 194
Dazu BVerwGE 51,61. Das Bestehen des Anspruchs ist keine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Überleitung, vgl. BVerwGE 34, 220; st. Rspr. 58, 214; zu Auskunftspflichten: Baur, FamRZ 1986, 1175. A. A. BVerwGE 55, 26; BVerwG, NJW 1987, 915; krit.: Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 386; andernfalls ist sie zu erstatten, vgl. BVerwG, NJW 1983, 2954 = JuS 1984, 310. Vgl. dazu die durch den Deutschen Verein veröffentlichten „Empfehlungen für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger", 3. Aufl., 1988; zu den unterhaltsrechtlichen Auswirkungen der Verschonungen: Giese/Brühl, FamRZ 1982, l l f f . ; 13ff.; Kunz, FamRZ 1977, 291 ff.; Ruland, Unterhalt, S.98ff.; ders., NDV 1986, 164 (169); Scholler / Fuchs, JZ 1984, 304ff.; LG Offenburg NJW 1984, 1189. BVerwGE 41, 115; s. a. Schulze-Werner/Bischoff, NJW 1986, 696ff. Auch des Unterhaltsschuldners: BVerwGE 29, 229. BVerwGE 34, 219; BSG, Breithaupt 1972, 179; BSGE 41, 237. Auch das Pfändungsvorrecht nach § 850d ZPO bleibt erhalten, vgl. BAGE 23, 226. S. aber Küppersbusch, VersR 1983, 195f.; Ruland, JuS 1984, 71. Dazu v. Campenhausen, Kirche-Staat-Diakonie, 1982, S. 10ff.; Scheuner, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8, 1974, S. 43ff.; Ruland, (Fn. 157); Stolleis, ZevKR 1973, 376ff.; Wegener, Staat und Verbände im Sachbereich Wohlfahrtspflege, 1978; Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, 1964. 401
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hat der freien Wohlfahrt195 ihren Tätigkeitsbereich vor allem durch eine Verpflichtung der staatlichen Stellen zur Zusammenarbeit (§§ 17 III, 28 II SGB I) u n d — im Bereich der persönlichen Hilfen — durch eine institutionelle Subsidiarität staatlicher Fürsorge garantiert (§ 10)196. So sollen insbesondere staatliche Einrichtungen (Heime etc.) nicht neu geschaffen werden, wenn die freie Wohlfahrt sie anbieten kann (§ 93 I). Zwischen mehreren Einrichtungen hat der Hilfeempfänger ein Wahlrecht (§ 3 II, III). Für die Kosten m u ß , soweit angemessen, der (staatliche) Träger aufkommen. Ihre Höhe wird zumeist durch Vereinbarung festgelegt (§ 93 II). Wegen der hohen Kosten ist die offene Hilfe der Heimunterbringung vorrangig (§ 3 a). Örtliche Träger sind die kreisfreien Städte und die Landkreise (§ 96 I), die einzelne Verwaltungsfunktionen auf die Gemeinden übertragen können 1 9 7 . Die Sozialhilfe gehört traditionell zu den Selbstverwaltungsangelegenheitenm. Überörtliche Träger (§ 96 II) sind teils die Länder selbst (Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein), teils die Bezirke (Bayern), die Landeswohlfahrtsverbände (Baden-Württemberg, Hessen) oder die Landschaftsverbände (Nordrhein-Westfalen) 1 9 9 . Ihre sachliche Zuständigkeit ist enumerativ bestimmt (§§99 ff.). Im übrigen sind die örtlichen Träger zuständig. Für die örtliche Zuständigkeit ist grundsätzlich der Aufenthaltsort des Hilfesuchenden maßgeblich. Er bleibt es auch, wenn anderswo eine Heimunterbringung oder Strafhaft erfolgt (§§ 97 f.). Erstattungsansprüche zwischen den Hilfeträgern (§§ 103 ff.) sichern trotz Vorleistung die örtliche u n d sachliche Zuständigkeit. Für Streitigkeiten besteht eine Schiedsvereinbarung 2 0 0 . Die Länder führen das B S H G als eigene Angelegenheit aus. Sie haben die Ausgaben zu tragen. Soweit die K o m m u n e n zuständig sind, haben sie auch f ü r die Kosten aufzukommen. 6. Das Sozialhilferecht in der Diskussion Aktuell ist die Sozialhilfe in die Diskussion geraten, weil der Gesetzgeber mit den — nur zu einem kleinen Teil inzwischen wieder rückgängig gemachten — Kürzungen in ihr die Ärmsten der Armen getroffen hat 201 . Zwei wichti195 196 197
198 199 200 201
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Zu ihr: Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, dargestellt am Rechtsstatus der Wohlfahrtsverbände, 1971. Dazu vor allem BVerfGE 22, 180 ff. Vgl. § 4 Nds AGBSHG; zur Kommune als Träger der Sozialarbeit: Becher, NDV 1986, 203ff.; Keim, Gegenwartskunde 1983, Sonderheft 4, S. 61 ff.; Mötsch, in: Möglichkeiten und Grenzen der Sozialarbeit im sozialen Rechtsstaat, 1980, S. 55ff.; Wagener, Organisation kommunaler Sozialarbeit, 1981. Dazu BVerfGE 22, 180 (199ff.), Rüfner, S. 46. Einzelheiten bei Woiff / Bachof, VwR III, S. 286ff. Abgedruckt: NDV 1965, 326ff.; vgl. Schellhorn / Jirasek/Seipp, § 103 Rdnr. 4. Krit. Adamy / Naegele, in: Leibfried / Tennstedt, Politik der Armut, 1985, S. 94ff.; Bieback, ZSR 1985, 582ff.; Giese, ZfF 1982, 285ff.; Schulte, NVwZ 1986, 354f.
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ge Einwände treffen das System. Die Definition der Armutsgrenze über den Inhalt des Warenkorbes und ihre Umsetzung in Regelsätze erfolgt in vielen Ländern noch durch Erlaß. Das entspricht nicht der Notwendigkeit, daß der Gesetzgeber die „wesentlichen" Entscheidungen selbst treffen muß202. Bedenklich stimmt auch, daß die Dunkelziffer der latent Hilfeberechtigten sehr loch ist203. Das hat zur Kritik an der „Filterung des Armutspotentials,